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Prolog

 

 

 

Lokens Umhang schleifte hinter ihm als er auf die gefallene Gestalt zutrat. Laub und Asche hatten sich darin verfangen und rieselten aus den lodernden Bäumen über ihm herab.  Der verletzte Mann, den er soeben niedergestreckt hatte, versuchte noch vor ihm wegzukriechen, vor dem Dämon in schwarzer Rüstung und als er nicht mehr kriechen konnte hob er zum Schutz die Arme. Nicht, das Fleisch und Knochen Schutz vor Stahl boten. Lokens Klinge fuhr herab und bohrte sich tief in die Brust des Gefallenen. Sofort drehte der Prätorianer die Waffe herum und der Körper zu seinen Füßen lag still. Nicht mehr als ein erstickter Laut war noch über seine Lippen gekommen, während Loken langsam von dem Leichnam  zurück trat. Gejarn waren den Menschen innvielen Dingen ähnlich… aber sie waren keine. Das Wesen, das er erschlagen hatte, mochte auf zwei Beinen laufen, es mochte Hände fast wie er haben und selbst der Körperbau war ähnlich, doch statt von bloßer Haut, war es von dunklem, fast schwarzen Fell bedeckt. Und das Gesicht hatte, trotz allem menschlichen, das darin lag, auch Züge, die sich völlig davon entfernten und ihn mehr an ein Tier erinnerten. Einen Wolf um genau zu sein.

Loken wendete sich ab. Flammen spiegelten sich in seinen Augen, Feuer, die aus den Fenstern und Türen der umliegenden Gebäude heraus loderten. Die Hütten der Gejarn brannten wie Zunder und wo eines in sich zusammen fiel, entfachten die aufstiebenden Funken die Baumwipfel selbst. Die Nacht, die ihnen zuvor noch Schutz geboten hatte, war längst fast Taghell erleuchtet und wo er auch hinsah konnte er huschende Schatten erkennen. Die meisten schienen seinen eigenen Männern oder den Gardisten zu gehören, die man ihnen zur Seite gestellt hatte.  Die Schreie jedoch waren so gut wie verstummt. Wer beim ersten Auftauchen der Prätorianer nicht geflohen war, war im Kampf gefallen.

Loken reinigte seine Waffen, dann schob er sie wieder an ihren Platz an seinem Gürtel, während er zwischen den brennenden Gebäuden umher ging. Gejarn bauten nicht mit Stein, sondern mit Holz oder Flechtwerk aus Fasern. Mehr als ein paar in Pech getränkte Fackeln hatte es nicht gebraucht um die Siedlung in ein flammendes Inferno zu verwandeln und innerlich konnte er nur hoffen, dass die Nachricht angekommen war. Wer sich dem Kaiser nicht beugte, würde auch nicht auf dem Land siedeln, das er für sich beanspruchte. Sein Wille war getan.

Und doch stimmt es ihn beinahe traurig, zu wie wenig Gegenwehr ihre Gegner fähig gewesen waren. Das hier war die letzte Gejarnsiedlung diesseits des  Erdschlunds gewesen, von der sie wussten.

Doch was konnten Bronze und gehärtete Holzpfeile gegen geschmiedeten Stahl ausrichten?  Loken löste wie beiläufig einen Pfeilschaft , der sich in seinem Kettenhemd verfangen hatte. Er hatte nicht einmal gemerkt, dass er getroffen war. Obwohl der Treffer den weniger gut gepanzerten Gelenken gegolten hatte, würde er kaum mehr als einen blauen Fleck davon tragen. Das der Kaiser es für nötig fand, ihn gegen die Clans zu entsenden, kam beinahe einer Erniedrigung gleich. Und der schale Beigeschmack eines leichten Sieges tat wenig um diesen Eindruck zu mindern.

Mittlerweile hatte er die Dorfmitte erreicht, wo sich die übrigen seiner Krieger sammelten. Ein Dutzend Männer in den schweren, dunklen Panzerungen der Prätorianer-Garde , in den Händen Großschwerter oder Streitkolben. Und über ihren Köpfen wehte das Banner des weißen Drachen, das Wappen des Kaisers selbst. Sie hatten ein paar Gardisten beim Ansturm verloren, bevor die Krieger der Gejarn den Mut verloren hatten, doch von seinen eigenen Männern schienen alle Unverletzt, wie Loken erleichtert feststellte. Selbst ihr Bannerträger hatte bestenfalls ein paar Schrammen abbekommen, obwohl es seine Aufgabe mit sich brachte, dass er eine ideale Zielscheibe abgab. Ihre Aufgabe hier war erfüllt. Sollte die kaiserliche Garde die restlichen Gejarn doch alleine jagen. Mit einem Handzeichen gab er seinen Männern das Zeichen zum Aufbruch.

Die Wälder jenseits der brennenden Siedlung waren dicht und so dunkel, dass man ohne eine Fackel kaum die eigene Hand vor Augen erkennen konnte. Selbst bei Tag schafften es nur wenige Lichtstrahlen, einen Weg bis hinab zum Boden zu finden. Und genau das machte es den Männern des Kaisers so schwer. Für einen Gejarn bedeutete, sehen zu können, nicht das gleiche wie für einen Menschen. Und sie kannten diese Wälder um Längen besser. Immer wieder gab es einzelne Clans, die scheinbar aus dem Nichts wieder auftauchten, obwohl man sie lange vertrieben glaubte. Und wo sie ihre Siedlungen finden und überfallen konnten, waren ihre Gegner beinahe unsichtbar, sobald sie einmal in die schützende Weite der Herzland-Wälder flüchteten. Es war ein gigantisches, verzwicktes Katz und Maus-Spiel, sie in die Knie zu zwingen. Und der Kaiser kein geduldiger Mann.

Doch das war nichts, mit dem er sich beschäftigen musste, dachte Loken. Er führte den Willen seines Herrn und der Strategen in der fliegenden Stadt aus. Nichts weiter als das. Und damit sicherte er das Wohl seines Volkes. Die Herzlande waren furchtbar, ganz anders, wie die Öden Steppen Hasparens und mit jeder Meile, den sich die Grenzen des Kaiserreichs darüber ausbreiteten, würden sie tausende ernähren können.  Und der Preis, den sie dafür zu zahlen hatte, war gering, ganz anders als der Wiederstand, den ihnen die übrigen angrenzenden Königreiche Länder boten.

Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Ein Schrei, der zwischen den Bäumen hervordrang, ein Geräusch, dem er eigentlich kaum Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Nicht mit dem brennenden , zum Schlachtfeld gewordenen, Dorf in seinem Rücken.  Doch weder kam der Schrei aus den Ruinen, noch war es der eines Verwundeten oder Sterbenden. Es war der eines Kindes…

Einen Augenblick lang nur wurde Loken  langsamer. Er sollte es ignorieren und zusehen, dass sie hier weg kamen. Wenn, war es vermutlich nur ein fliehender Gejarn mit seiner Familie. Ihm lag nichts daran, unnötiges Leid über diese Leute zu bringen.  Oder schlimmer, es könnte eine Falle sein. Was ließ einen schon schneller jede Vorsicht vergessen als ein weinendes Kind?

Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass die Rufe ohnehin gleich wieder verstummen würden, aber das Gegenteil war der Fall. Loken blieb endgültig stehen. Das war zu offensichtlich für eine Falle. Und jemand der Flucht hätte die Schreie längst erstickt. Und was war es dann? Misstrauen und Neugier gleichermaßen, trieben ihn dazu, die Antwort wissen zu wollen. Mit einem weiteren Handzeichen gab er seinen übrigen Männern zu verstehen, zurück zu bleiben und ihm den Rücken frei zu halten. Dann erst machte er sich auf dem Weg in Richtung der Schreie.  War es doch eine Falle, lief immerhin nur er direkt hinein.

Es gab hier draußen keine wirklichen Wege. Nur einige ausgetretene Pfade, die durch das Unterholz um das Dorf herum führten und einem davon folgte er nun. Kleine Zweige zerbrachen unter seinen Schritten, während er sich der Quelle des Lärms näherte. Lokens Hand blieb dabei jedoch beständig am Schwertgriff, immer bereit sich zu verteidigen, während er mit dem freien Arm Äste und Büsche bei Seite schob. Und dann plötzlich, ohne Vorwarnung, stolperte er ins Freie. Die Lichtung auf der er sich wiederfand,  war nicht groß, vielleicht dreißig Schritte im Durchmesser.  Was wohl erklärte, wieso sich bisher keiner seiner Leute hierher verirrt hatte, dachte der Prätorianer. Im Mondlicht, das nun ohne Probleme den Boden erreichte, glitzerte das Wasser eines kleinen Teichs im Zentrum der Wiese wie flüssiges Silber. Die Bäume wichen in einem nahezu perfekten Kreis darum herum zurück, obwohl es nirgendwo ein Zeichen gab, das je ein Mensch oder Gejarn Hand an diesen Ort gelegt hatte um ihn vor  Bewuchs zu  schützen. Lediglich ein einzelner Baum hatte es gewagt, seine Wurzeln in den Boden dieses Ortes zu schlagen, ein großes, auslandendes Ungetüm, dessen Äste im Mondlicht wie Knochen wirkten, ganz ohne Blätter. Stattdessen wehten kleine Schriftrollen, bunte Fähnchen und Talismanen, die man an Stamm und Zweigen des Baumes festgebunden hatte  im Wind.

Loken wusste, was er vor sich hatte und sein Misstrauen verstärkte sich noch einmal. Ein Geisterbaum der Gejarn… Vorsichtig trat er weiter auf die Wiese hinaus und zog das Schwert. Das Scharren des Metalls war einen Moment das einzige Geräusch, das die Stille durchbrach. Selbst das Knistern der Feuer war verstummt, genauso wie die Schreie, die ihn hierher geführt hatten. Seltsam. Selbst wenn sie die Gejarn im Dorf zurück geschlagen hatten, das hier war eine gänzlich andere Sache. Ihre Wohnungen würden sie zurück lassen. Ihre Ahnen jedoch unter keinen Umständen. Ein Wächter würde immer an einem solchen Ort zurück bleiben. Also wo war er?

Loken trat um den Teich herum auf den Baum zu. Und erst jetzt, beim Näherkommen, wurde ihm klar, dass er in der Tat nicht alleine war. Und auch ihr wurde offenbar klar, dass sie entdeckt war.

Das Mädchen, das zwischen den Wurzeln des großen Baumes saß, den mehr war sie wirklich kaum, dachte Loken, erhob sich schwerfällig. Ein Dolch blitze in ihrer Hand, auf, den sie sofort auf ihn richtete, während sie mit der anderen Hand ein kleines Bündel an ihre Brust presste. Das erste was ihm auffiel, war das Blut, das bereits an der Waffe klebte. Loken legte den Kopf schief und besah sie sich einen Augenblick von Kopf bis Fuß. Sie war keine Bedrohung für ihn, selbst mit dem Dolch. Es war eine Gejarn-Waffe. Weiches Metall. Und das Blut daran stammte nicht von einem Toten. Ihre Kleidung war fast vollkommen damit durchtränkt und auch auf ihrem Gesicht schimmerten Schnittwunden, als hätte sie um ihr Leben gerungen.  War das einer seiner Männer gewesen? Er spürte einen kurzen Stich des Bedauerns, aber… solche Dinge geschahen. Und die Waffe, die sie trug stammte definitiv von einem Gejarn…

„ Ich werde euch nichts tun.“ Er war sich nicht sicher, ob sie ihn überhaupt Verstand. Das Messer in ihrer Hand zitterte, entweder Blutverlust oder Furcht. „ Zumindest, solange ihr mir keinen Anlass dafür gebt. Was macht ihr überhaupt noch hier? Euer Clan ist geflohen. Hat man euch wirklich hier zurück gelassen?“

Er stellte die Fragen mehr um überhaupt etwas zu sagen und gab sich alle Mühe, dabei möglichst nicht bedrohlich zu klingen. Die Frau war schon tot, sie wusste es nur noch nicht. Antwortete sie ihm nicht, würde er sich umdrehen und zurückgehen.

„ Sie sind fort ?“ Sie beherrschte tatsächlich die Amtssprache. Selten genug aber die Art, wie sie die Worte betonte war fast perfekt…  Loken entschied, das sie vielleicht eine entlaufene Sklavin war… und er dieses Rätsel nicht unbedingt lösen musste.

Loken runzelte die Stirn. Wie konnte sie das nicht wissen? „ Wie lange genau… seit ihr schon hier?“

„Ich weiß es nicht, vielleicht drei Tage.“ Zögerlich ließ sie das Messer sinken und wiegte stattdessen das Bündel in ihren Armen. Bevor er dazu kam, zu Fragen wieso sie sich hier draußen versteckte, schien ihr mit einem Mal die Kraft zu fehlen, sich noch länger auf den Beinen zu halten. Loken sah nur zu, wie sie gegen die großen Wurzeln des Baums zurück sackte, die eine Art natürlichen Sitz formten. Er war nicht dumm genug sich ihr zu nähern. Nicht solange sie bewaffnet war. Vor einer durchgeschnittenen Kehle schützte auch  eine Rüstung nur bedingt. Ihm war klar, dass sie hier draußen sterben würde.

„Ich kann das Kind zu eurem Clan bringen, wenn ihr das wünscht.“ Oder zumindest zu einem Gejarn, der sich um es kümmern würde. Der Kaiser brauchte hier Untertanen und Diener, keine Leichen.

„Nein…“ Die nackte Panik, die plötzlich in ihrer Stimme lag überraschte ihn. Selbst als sie ihn bemerkt hatte, hatte sie weniger Furcht gezeigt. „Alles… nur nicht dorthin.“

„Wieso ?“

„Sie würden ihn töten… überallhin… nur nicht zurück.“ Vorsichtig schob sie die Decke zurück in der das Kind eingeschlagen war. Weißes, fast durchscheinendes Haar schimmerte darunter hervor und ein paar hellroter Augen blickte Loken entgegen. Deshalb hatte sie sich also hier verborgen. Nun, was das angeht, werden ihre Leute wohl kaum noch einmal Gelegenheit dazu haben, dachte Loken. Und doch widerte ihn alleine die Vorstellung an. Wer würde ein Kind töten, egal aus welchem Grund? Bisher hatte er nie über die Gejarn geurteilt, auch wenn er sie bei mehr als einer Gelegenheit bekämpft hatte. Nun jedoch… Das war nur grausam, dachte er. Und nicht die verstandlose Grausamkeit eines Tieres, sondern reine, überlegte  Niedertracht. Oder abergläubische Furcht mit der der Kaiser bald genug aufräumen würde.  Einen Moment lang war er versucht aufzustehen und seinen Männern, die noch außerhalb des Hains wartete, zu befehlen, jeden letzten Gejarn dieses Dorfes zu finden und zusammenzutreiben. Stattdessen ließ er sich neben der Frau auf ein Knie sinken.

„Ich verspreche es.“ Schritte hinter ihm veranlassten ihn dazu, den Kopf zu drehen.

Zwei seiner Männer traten soeben zwischen den Bäumen auf die Lichtung heraus. „Herr ?“ , fragte einer von ihnen.

„Alles in Ordnung. Nur einen Moment noch.“ , sagte er, bevor er sich wieder zu der Gejarn umwendete. „ Ihr…“ Er verstummte. Ihr Kopf war gegen eine der Wurzeln zurück gefallen, ihre Augen blickten leer. Als Loken die Hand ausstreckte um ihre Augen zu schließen, stellte er fest, dass ihre Haut bereits eiskalt war. War sie grade eben gestorben… oder schon vor Stunden ? Ein unbekannter, abergläubischer Schauer überlief ihm, während er  hinauf zu den kahlen Zweigen des Baumes sah, die sich über ihnen erstrecken. Vorsichtig löste er das kleine Bündel aus den Armen der Frau, bevor er sich erhob und seinen Mantel richtete. Langsam trat er über die Wiese hinweg und an seinen Männern vorbei, die einen Moment lang ratlos stehen blieben.

„ Herr ? Was ist da grade passiert?“

„Ich weiß es nicht.“ , antwortete er ehrlich. Immerhin das Kind lebte, er konnte die Wärme, die der Körper des kleinen Abstrahlte spüren. Die Frage war nur, für wie viel länger… Sie würden es schwer haben, jemanden zu finden, der einen Gejarn aufzog. Und einem der seinen konnte er das Kind scheinbar nicht anvertrauen. Es war verdammt.  Die Nüchternheit seiner eigenen Gedanken erschreckte ihn zum ersten Mal. Sein Entschluss viel in einem einzigen Augenblick. „ Vernichtet, was von dem Dorf übrig ist. Und  Verbrennt die Toten.“  , meinte er, als er in Richtung des Baumes nickte. „ Die Verwundeten tötet.“ Es war eine Schale Rache, für ein Verbrechen, das er nicht einmal verstand.  Mit diesen Worten drehte er sich um und ging davon, immer noch das kleine Stoffbündel auf dem Arm.

Kapitel 1

 

Kapitel 1

 

Dreißig Jahre später , das Jahr 387 der Herrschaft des Hauses Ordeal

 

 

Beroe Trahan sah zu dem großen Befestigungswerken auf, die vor ihnen am Horizont auftauchten. Die Erdwacht  war gegen das Licht der untergehenden Sonne nur als Silhouette zu erkennen, doch reichte das, was er sah bei weitem aus, um einen Eindruck von der Größe dieses Ortes zu bekommen. Mauern, breit genug, dass man einen Ochsenkarren bequem darauf hätte fahren können, umschlossen dutzende von hoch aufragenden Festungsbauten und Türmen. Gedrungen und unerschütterlich wirkten sie, mit nur winzigen Fenstern und Schießscharten, die jeden der die große Straße aus dem Norden herab kam, misstrauisch zu beäugen schienen. Die Aufmerksamkeit der lebenden Wachen hingegen, lag vermutlich eher bei der großen Steinbrücke, die den Abgrund hinter der Festung überspannte. Der Erdschlund teilte die Herzlande fast auf ihrer halben Länge in zwei Teile, unüberwindbar und so tief, das hindurch zu klettern, Tage in Anspruch nehmen würde. Die Erdwacht stellte den einzigen befestigten Übergang dar. Es mochte hier und da ein paar von Schmugglern gefertigte Seile oder Hängebrücken geben, doch nichts, das für das Reich auf seiner anderen Seite eine Gefahr darstellte.

„ Du bist doch nicht etwa nervös, oder ?“ Loken Trahan schloss zu ihm auf, während die Burg langsam näher kam.

„Nein.“ Beroes Stimme war kalt, ohne ein Spur des Zögerns. Unsicherheit zu zeigen bedeutete Schwäche zuzulassen. Und das war nicht, was ihn so weit gebracht hatte, sondern eiserne Entschlossenheit. „ Aber es ist trotzdem schön dich an meiner Seite zu haben.“ Er lächelte nicht.

Sein Ziehvater  jedoch ließ sich zu einem dünnen Lächeln hinreißen. Seine Haare waren grau geworden, die dunkle Rüstung die er trug, glänzte stumpf und trug die Spuren von dutzenden Schlachten. Er hatte wohl mehr Überlebt, als Beroe je hoffen konnte. Und doch lag hinter den dunklen Augen seines Herrn und  Vaters Sorge. Um ihn ?

„Ich habe auf dich aufgepasst, seit du ein kleines Kind warst. Aber hier wirst du dein eigener Herr sein müssen. Der Kaiser duldet keine Fehlschläge. Und ich kann dich nicht vor ihm schützen.“

„Ich erwarte nicht, das du es versuchst.“

Beroe musste den Blick abwenden, als sie den Gipfel einer kleinen Anhöhe erreichten und die Sonne nicht mehr von den Türmen und Zinnen der Festungsanlage überdeckt wurde. Einen Augenblick lang kniff er die Augen zusammen, blinzelte und wartete darauf, dass die Nachbilder verschwanden. Mit einer kurzen Handbewegung zog er sich die Kapuze des langen, weißen Mantels ins Gesicht, den er als Schutz vor der Sonne trug. Zwar litt er nicht so sehr darunter,  wie viele andere, denen es so ging wie ihm, aber zu helles Licht wurde schnell schmerzhaft… und die Sonne verbrannte ihn. Und sie hatten die ganze Reise über Sonne gehabt. Trotz des schützenden Umhangs begann sich die Haut an seinen Armen und seinem Nacken bereits zu schälen. Regen wäre ihm bei weitem lieber gewesen…

 Einer seiner Begleiter ritt neben ihn und musterte ihn stumm.

„Mir geht es gut.“ , knurrte Beroe, als er in das nichtssagende, maskierte Gesicht seines Gegenübers starrte. Der andere Mann legte lediglich den Kopf schief, wobei sich dieser unnatürlich weit zu beugen schien, sagte aber nichts. Alcyon sprach selten. So selten, das Beroe sich nicht einmal sicher war, dass dies sein wirklicher Name war, aber es gab ohnehin so einiges, was er über diesem Mann nicht wusste. Das einzige, was er je von seinem Gesicht gesehen hatte, waren diese unnatürlich hellen, gelblichen Augen und die Federn die darum herum hinter der Maske hervorschimmerten. Der Rest verschwand unter weiten, hellbraunen Gewändern und dem Tuch, das Alcyons Gesicht fast vollkommen verbarg. Vielleicht war das auch nicht mal sein richtiger Name, wer wusste das schon.

Beroes Sicht kehrte langsam zurück, während sie sich dem Tor der Festung näherten, die bereits für sie geöffnet wurden.  Sein Banner, das einer der Männer führte, die hinter ihm ritten, hatte man wohl schon bemerkt. Über ihren Köpfen wehte eine Flagge mit dem Drachen des Kaisers und darunter etwas kleiner, Beroes persönliches Wappen, ein roter Engel, auf dessen Brust ein weißer Löwe zu sehen war.

Die Mauern waren tatsächlich so stark, wie sie aus der Entfernung gewirkt hatten und das Torhaus kam Beroe schon mehr wie ein kurzer Tunnel vor, an dessen Ende sich der äußerste Hof der Erdwacht befand. Waren die ersten Wälle  niedrig und gedrungen, war die Freifläche auf der sie ihre Pferde zum Stehen brachten, von weiteren, und bedeutend höheren Mauern umschlossen. Die Festung bestand aus insgesamt drei, ineinander gelegenen Mauerringen, die beständig höher wurden. Während sich auf dem ersten Hof, auf dem sie sich nun befanden, vor allem Wirtschaftsgebäude und kleine Häuser aus Holz aneinander reihten, ragten auf dem zweiten  mehrere Steinbauten in die Höhe, deren Dächer von Zinnen gekrönt waren und die den Soldaten der Festung als Unterkunft dienten. Auf dem  innersten Ring schließlich befand sich der eigentliche Bergfried, eine große Turmanlage, umgeben von einem Wassergraben und einem zusätzlichen Erdwall.

Beroe ließ das Pferd langsamer gehen, während er sich im ersten Innenhof umsah. Die Hufe der Tiere hatten Staub aufgewirbelt, der sich langsam wieder setzte, irgendwo gackerten ein paar Hühner… und das Geflüster war da, natürlich. Die Leute, die im Hof arbeiteten, gaben ihr Bestes, ihn nicht anzustarren, aber wenn sie glaubten, dass er die hastigen Blicke und die Gemurmelten Worte nicht bemerkte, dann irrten sie sich.  Langsam streifte er den linken Handschuh ab und drehte ihn Gedankenverloren in der anderen Hand, während sie zum zweiten Torhaus hinauf ritten.

Das Geflüster folgte jedem ihrer Schritte, wie ein geisterhaftes Omen. Und hatte der Hof eben noch vor Leben vibriert, war die meiste Arbeit so gut wie zum Erliegen gekommen. Selbst die Wachen auf den Zinnen und Türmen sahen zu ihnen herab.

„Der Engel… der Kaiser hat ihn wirklich her gesandt?“, konnte Beroe eine Stimme hören. Und das war alles, was die Leute je in ihm sehen durften. Mehr einem Instinkt folgend, schob er sich die Kapuze aus dem Gesicht, auch wenn ihn das grelle Licht ihn in den Augen stach. Der weiße, mit Federn besetzte,  Mantel, der ihm um die Schultern fiel, mochte auf manche tatsächlich wie Flügel wirken und die hellen, fast leuchtend weißen Haare, verstärkten wohl nur den Eindruck, der ihm seinen Namen und letztlich auch sein Wappen eingebracht hatten. Beroe war sich der beinahe abergläubischen Ehrfurcht, die ihm manche entgegenbrachten, nur zu bewusst. Und er hatte begonnen, sie sich auf seine Art zu Nutze zu machen. Die mit Einlegearbeiten aus Elfenbein und Perlmutt verzierte Rüstung die er trug war genauso darauf ausgelegt, Ehrfurcht zu erzeugen, wie abzulenken. Von den Dingen, die manche eben nicht sehen sollten. Gedankenverloren berührte er mit der linken Hand den kleinen Talisman, der an einer Silberkette um seinen Hals hing. Eine verschlungene Figur aus verschiedenen, geometrischen Formen, in deren Zentrum ein winziges Juwel , hell wie Wasser glühte. Ein leichtes Kribbeln machte sich in seinen Zehenspitzen breit, als er sie berührte  Die Finger, die nach dem Amulett griffen, waren die eines Menschen und doch schienen sie kurz zu verschwimmen, wie Morgennebel, der plötzlich von einer Windböe geteilt wurde . Beroe zog die Hand zurück . Niemand hier würde je mehr als das sehen, was er sollte,  nur einen Mann mit beunruhigend roten Augen,  heller Haut und Haaren, die er unter einem weiten Mantel  vor der Sonne versteckte.

Gemeinsam ritt die kleine Gruppe  durch das zweite Tor bis zu den Stallungen, wo er seinen Leuten den Befehl zum Anhalten gab. Das Geflüster war ihnen den ganzen Weg bis hier gefolgt, doch so Neugierig die Händler und Reisenden im äußeren Hof sein mochten,  sie hatten noch genug Respekt vor den Wachen an den inneren Toren um Abstand zu wahren.  Beroe schwang sich aus dem Sattel, während bereits die ersten Stallburschen angelaufen kamen um ihn und seinen Begleitern die Tiere abzunehmen. Beroe ließ sie gewähren, während er sich zu Alcyon und Loken umdrehte. Sein Ziehvater hatte das Pferd bereits selbst von seinem Sattel befreit, ehe der erste Junge ihn erreichte und drückte dem überraschten Diener schlicht die Zügel in die Hand.

An Alcyon jedoch schien sich niemand wirklich heran zu wagen, während der vermummte Mann die Schnüre löste, die sein Gepäck am Sattel seines Pferds hielten, allen voran eine seltsame, längliche Konstruktion aus einem Metallrohr und einer hölzernen Auflage. Mit einigen raschen Bewegungen hatte Alcyon das Gewehr zusammengesetzt und die seltsam anmutende Waffe geschultert. Erst dann trat er weit genug von seinem Pferd zurück, das sich die Stallburschen näher trauten.

Beroe hatte bereits gesehen, wie der Mann mit dem Gewehr umging, auch wenn er den Vorgang nach wie vor nicht verstand. Offenbar war es eine Art von Waffe, die Alcyons Volk ersonnen hatte und auch wenn ab und an einmal welche in die Hände des Kaiserreichs fielen, so hatte bisher niemand genau erschlossen, wie sie funktionierten. Und Alcyon und die wenigen seinesgleichen, die man antraf, schwiegen beharrlich. Und er hat mir bis heute nicht mal verraten, was sein Volk überhaupt ist, dachte Beroe. Oder wo. Entweder gab es nicht viele von ihnen oder sie verirrten sich zumindest nicht in großer Zahl nach Canton.

„Ich hoffe, ihr hattet eine gute Reise, Herr.“, meinte einer der  Jungen derweil , offenbar unsicher, was er sonst tun sollte.

„Erträglich.“, antwortete Loken, ehe  sich Beroe zuwendete und mit großen Schritten auf ihn zukam. Direkt voreinander  stehend, reichte er dem Prätorianer grade einmal bis zu den Schultern, obwohl. „Ihr könnt dem Kommandanten mitteilen, das die Gesandten eingetroffen sind. Ich erwarte, dass er Lord Trahan den Befehl über die Garnison überlässt.“

Verzeiht Herr…“ Der Bursche räusperte sich. „Ich fürchte, das wird schwer möglich sein. Lord Quintus ist nicht mehr hier, fürchte ich. Er… ist gefallen. Und das schon vor fast zwei Wochen. Zumindest vermuten wir das.“

„Ihr vermutet es?“ Loken runzelte die Stirn.

„Er ist mit zwanzig  seiner besten Männer ausgezogen, als er die Nachricht erhielt, das der Kaiser ihn ablösen will. Seine Absicht war es, eines der Gejarn-Dörfer nahe der Grenze zur Umsiedlung zu zwingen um den Kaiser etwas vorweisen zu können. Wir haben mittlerweile zwar das Land diesseits des Erdschlunds unter Kontrolle, aber über die Brücken hinaus weigern die Clans sich nach wie vor sich dem Kaiser zu unterwerfen. Er ist nicht mehr zurückgekehrt. Natürlich haben wir versucht ihn zu finden, aber jenseits dieser Brücken gibt es nur noch Wildnis, Herr.“

„Und kann ein einzelnes Dorf wirklich euren besten Männern gefährlich werden?“ , verlangte Beroe nun zu wissen. Nein, dachte er bei sich, als der Diener nicht antwortete. Natürlich nicht. Er hatte die Clans bereits selbst bekämpft. Zwanzig hochgerüsteten Rittern Cantons hatte eine Siedlung Gejarn nichts entgegenzusetzen.

„Das erspart mir immerhin, ihn in die fliegende Stadt zurück zu zerren, damit er Rechenschaft ablegen kann.“, meinte Loken , ehe er dem Burschen mit einer Geste zu verstehen gab, das er entlassen war.

„Vermutlich hat er damit gerechnet und ist lieber in die Wälder geflohen.“ Beroe schüttelte den Kopf. „Die Clans werden sich um ihn gekümmert haben, wenn er nicht nach Osten entkommen ist.“

Gemeinsam machten sie sich auf den Weg hinauf  zum dritten Tor der Festung. Das wenige, was sie an Gepäck dabei haben, würde man vermutlich später ebenfalls nach oben bringen. Heute jedenfalls, würden sie nicht mehr viel bewirken können, entschied Beroe mit einem kurzen Blick in Richtung Sonne, die mittlerweile schon begann, hinter dem Horizont zu versinken. Morgen würde er damit beginnen, sich die Gegend anzusehen. Vielleicht ließen die Clans ja mit sich reden. Immerhin… wenn es einen Menschen auf dieser Welt gab, der  auf Augenhöhe mit ihnen sprechen konnte. Auch wenn sie das kaum erkennen würden… Und er kannte sie. Wenn es nötig wäre, würde er auch die Clans jenseits des Erdschlunds in die Knie zwingen. Genauso wie er es mit jenen getan hatte, die sich ihm in den restlichen Herzlanden wiedersetzt hatten. Nur ein Narr würde eine friedliche Lösung ausschlagen, solange es eine gab. Aber die Geduld des Kaisers währte nicht ewig…

Kapitel 2

 

 

Das Zimmer in einem der Türme des Bergfrieds war geräumiger als so manches Haus,l auch wenn das Mobiliar sich in Grenzen hielt. Es gab lediglich einen einfachen Schreibtisch, ein Bett, das sicher schon bessere Tage und frischere Laken gesehen hatte und einen großen Kamin, in dem immerhin ein großes Feuer brannte um die Kälte der Nacht fern zu halten. Beroe hatte die Fenster geöffnet, so das frische Luft von draußen herein kam, während er langsam die Briefe und Dokumente, die der ehemalige Kommandant hinterlassen hatte durchging. Belustigt stellte er fest, dass nicht wenige davon von ihm selbst stammten oder aber von ihm sprachen. Dass man ihn hierher berufen hatte war lange geplant gewesen und eigentlich hätte Quintus ihn hier erwarten sollen. Nun, es würde kaum die einzige böse Überraschung bleiben, da war er sich sicher.

Beroe faltete einen weiteren Brief zusammen und warf ihn dann in die Flammen. Die meisten enthielten weder Wissenswertes noch irgendwelche Informationen über den Clan, den sie aufsuchen wollten.

Das Licht des Kamins und der Kerzen war sanft genug um seine Augen nicht zum Tränen zu bringen und gleichzeitig hell genug um ohne Probleme lesen zu können. Kalte Nachtluft strömte durch die Fenster herein und brachte die Flammen immer wieder kurz zum Flackern. Draußen konnte Beroe die Sterne am Himmel glitzern sehen. Große Feuer loderten weiter unten in den Höfen der Erdwacht und warfen große Schatten an die Mauern, wann immer jemand an ihnen vorbei ging. Die Steine der Außenmauern waren so gewaltig, dass man sie jedoch selbst im Dunkeln noch erahnen konnte und die Fundamente des Festungsturms  in dem er saß, waren mindestens doppelt so stark. Nicht, das man eine derartige Festung bräuchte um sich vor Gejarn zu schützen. Aber was hinter ihren Wäldern lag… fremde Reiche mit ihren eigenen Ambitionen und ferne Küsten, die bisher nur einige mutige Boten des Kaisers je gesehen hatten.

 Die Erdwacht schlief auch nachts nie vollständig. Zumindest nicht mehr, jetzt wo er hier war. Unten im Hof konnte er nach wie vor Bewegungen ausmachen, als die Männer Vorräte heraus brachten und Pferde aufzäumten. Es war kurz vor Morgengrauen. In wenigen Stunden würden sie aufbrechen können.  Beinahe meinte er, das Geräusch von Peitschen und das laute Rufen der Leute hören zu können. Aber hier oben war es ruhig und das einzige Geräusch stammte vom Knarren des Holzbodens, der jedes Mal etwas nachzugeben schien, wenn er den Stuhl etwas verrückte.

Vor ihm auf dem Tisch war der Papierstapel mittlerweile zu Nichts geschwunden und neben den wenigen Briefen, die er als nützlich erachtete, nur zwei Gegenstände zurück geblieben. Das Schwert mit den Perlmutteinlagen im Griff und dem Rubinknauf war ihm vom Kaiser selbst nach seinem ersten Sieg zum Geschenk gemacht worden. Zehn Jahre war das nun fast her. Und doch wäre die Klinge nichts Wert, ohne das Amulett. Der hellblaue Stein schien zwischen den Silbernen Runen immer noch  wahrnehmbar zu glühen, während Beroe es mit einem Finger anstieß. Erneut flackerten die Fingersitze, das weiße Fell, das sie nun überzog verschwand und ließ nur nackte, menschliche Haut zurück. Beroe warf einen Blick zur Tür des Turmzimmers, nur um noch einmal sicherzugehen, dass sie tatsächlich verschlossen war. Ein erleichtertes Seufzten entkam ihm, während er sich auf seinem Stuhl zurück lehnte und die Füße auf den Tisch stellte.

Die Magie war notwendig, erlaubte sie es ihm doch, seinem Herrn ohne dessen Misstrauen zu dienen und schützte ihn gleichzeitig vor zu vielen Fragen seiner eigenen Untergebenen. Aber manchmal war es eine Last immer mit dem Wissen umher zu ziehen, das alle nur eine Illusion sahen. Eine noch vollkommenere Maske als Alcyons Gewänder. Aber immerhin konnte er sich sicher sein, das es kaum Menschen gab, die sie durchschauen konnten. Solange er vorsichtig war, jedenfalls. Magie konnte ein launisches Ding sein, das hatte er früh gelernt. Und er konnte sie nicht kontrollieren. Also musste er sich selbst beherrschen.  Die Zauberer blieben für gewöhnlich unter sich. Selbst unter den Prätorianern des Kaisers gab es kaum ein dutzend und von diesem dutzend war nur ein einziger Eingeweiht, was Beroes wahre Natur betraf.  Der Mann, den sein Vater einst gebeten hatte die Magie zu weben, die nun zu einem Teil seines Lebens geworden war. Selbst wenn es eigentlich nicht möglich war, manchmal meinte er tatsächlich das Gewicht der Illusion die über ihm lag zu spüren. Und genau deshalb nutzt du diesen Moment besser, sagte er sich. Die nächsten Wochen würden Anstrengend werden und er es sich nicht erlauben, ein Risiko einzugehen.

Für die Expedition am nächsten Morgen stand nun fast  alles bereit, Pferde, Männer und Verpflegung für mehrere Tage, die man auf ein paar Packesel verteilen würde. Das einzige was ihm fehlte, dachte Beroe, war ein ortskundiger Führer. Obwohl die Herzlande weniger als einen Steinwurf hinter der Festung begannen, wusste scheinbar niemand hier auch nur das Geringste über deren Geographie. Anfangs hatten sich noch einzelne Späher oder kleinere Gruppen über die große Brücke gewagt, doch nachdem immer weniger von ihnen zurückkehrten, hatte ihre Zahl stetig abgenommen. Und jetzt waren sie blind, dachte Beroe. Es gab kaum Straßen, keine markierten pfade oder Wege. Nur Wald und Wildwechsel, die vielleicht versteckte Trampelpfade waren oder doch nur eine falsche Spur und verlassene Ruinen unter den Wurzeln der großen Bäume. Niemand konnte ihm auch nur sagen, wo genau sich die Siedlungen der Gejarn befanden. Bis auf das eine, dass der Garnison  Schwierigkeiten machte und vielleicht Quintus Verhängnis geworden war. Und selbst dieses schien von Zeit zu Zeit zu verschwinden.

Sie zogen umher, dachte Beroe. Gejarn bevorzugten es, in Bewegung zu bleiben, anstatt sich irgendwo fest niederzulassen, wie die Menschen. Er selber hatte das nie ganz verstehen können. Während den Eroberungszügen in den Gebieten vor der Erdwacht vor einigen Jahren, hatte er mehr als eine ihrer Siedlungen gesehen… und mehr als eine niedergebrannt, was das anging. Reisig, Flechtwerk und Holz, aus denen ihre Hütten bestanden, waren durch den langen gebrauch oft trocken und entflammbar wie Drachenfeuer.

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Vermutlich ein Bote, der ihn stolz darüber informieren würde, das die Garnison in der Lage war einfachste Anweisungen zu befolgen. Und deshalb hätte er lieber seine eigenen Männer mit hierher genommen, dachte er. Aber der Kaiser wollte, dass er den Befehl über diese hier übernahm und mehr Soldaten an eine sichere Grenze zu entsenden als nötig, erschien auch Beroe wie Verschwendung. Er schloss einen Moment die Augen und hoffte einen winzigen Augenblick lang, wer immer da draußen wäre, würde ihm noch etwas Ruhe gönnen. Noch hatte er keinen wirklichen Plan, wie er die Clans für sich und das Kaiserreich gewinnen wollte. Und ohne einen Plan aufzubrechen… das war närrisch. Und vielleicht wollte er sich auch nur noch ein paar weitere Momente in Freiheit erkaufen. Als es erneut Klopfte, nahm er schweren Herzens das Amulett wieder an sich und schloss die Kette um seinen Hals. Erst dann nahm er die Füße vom Tisch und trat mit eiligen Schritten an die Tür um sie zu entriegeln. Zu seiner Erleichterung war es jedoch keiner der Gardisten, der ihn über etwas informieren wollte, dass er vom Fenster bereits gut genug sehen konnte. Es war Loken… und er war nicht alleine. Normalerweise hätte Beroe schlicht  Alcyon erwartet, doch der seltsame Mann war seit es dunkel geworden war, nirgends mehr zu sehen. Irgendwie war der Gedanke an einen  lautlosen Alcyon , der in einer dunklen Festung herum schlich beunruhigender als er sein sollte. Beroe glaubte nicht einen Moment, das er einfach nur schlief. Wenn er es sich genau überlegte, hatte er den Mann noch nie schlafen sehen. Er schüttelte die Gedanken ab, während er Loken herein bat.

„ Du siehst besorgt aus.“ , meinte sein Ziehvater, als er durch die Tür trat und sich ohne zu Fragen einen Stuhl an den Schreibtisch zog.  Der grauhaarige Prätorianer trug immer noch  die verunstaltete, schwarze Rüstung seines Standes  und hatte den Umhang locker über den Arm gelegt, während er auf eine Antwort wartete.

Beroe ließ sich ohne ein Wort ebenfalls am Schreibtisch nieder und musterte den Begleiter seines Vaters genau. Der Fremde ging geduckt, wie jemand der Angst hätte sich den Kopf zu stoßen. Doch trotz der Ketten, die seine Hände und Arme zusammenbanden, konnte Beroe keine Furcht in den Augen des Mannes erkennen. Nur Resignation…

„Ein Gejarn ?“

„Er wurde wohl vor einigen Monaten aufgegriffen und seitdem hier festgehalten. Ich dachte du wolltest vielleicht mit ihm sprechen?“

Hatte Loken den gleichen Gedanken gehabt wie er? Beroe wusste es nicht. Aber vielleicht hatte er grade tatsächlich die Lösung für eines seiner Probleme gefunden. Erneut betrachtete er sich den Mann. Würde er nicht so geduckt gehen, würde er Beroe vermutlich um einen guten Kopf überragen

„Du könntest ihm erst einmal die Ketten abnehmen.“

,, Wenn du meinst, das das etwas ändern würde.“ Sein Ziehvater zuckte mit den Schultern. Während er sich daran machte, die Ketten des Mannes aufzuschließen. Klirrend landeten die schweren Eisen auf dem Steinboden des Raums, trotzdem machte der Gejarn nach wie vor keine Anstalten, sich auch nur aufzurichten, sondern blieb in der gebeugter Haltung stehen, die ihm die Ketten aufgezwungen hatten, sah scheinbar an Beroe vorbei ins nichts.

„Sie haben einen Sklaven aus ihm gemacht….“

Loken schien der Abscheu, der in seiner Stimme mitschwang nicht aufzufallen. „Aber immerhin haben sie ihm das Schreiben bei gebracht, er muss wohl ein ziemlich heller Bursche sein. Oder war es. Willst du ihn haben?“

Beroe zögerte, während er direkt vor die gebeugte Gestalt trat. Unter dem ganzen Schmutz, der sich im Fell des Mannes verfangen hatte, konnte er nicht einmal wirklich sagen zu welchem Clan er gehören mochte. Su zerlumpt und verfilzt wie er war, konnte Beroe sich nicht mal sicher sein ob Braun-Grau wirklich seiner Fellfarbe entsprach.

Langsam wendete er sich von dem Anblick ab. Es hatte etwas zutiefst beunruhigendes diesem… Ding länger in die Augen zu sehen. Beroes Finger krochen über den Tisch, umspielten den Griff des Schwerts, das nach wie vor dort lag. Das Imperium wurde von Sklaven getragen. Selbst wenn sie nicht überall so hießen. Die fliegende Stadt selbst wurde von ihnen versorgt, Familien, die keine andere Zukunft hatten als der ewig wandernden Hauptstadt des Reiches zu folgen. Aber immerhin lebten sie in der Illusion frei zu sein, dass sie eines Tages so etwas wie ein Leben haben mochten. Er verzog das Gesicht und wusste, dass der Zauber der seine Züge dabei menschlich wirken ließ, kurz flackerte. Nicht lange genug, dass es irgendjemanden auffallen würde. Außer derjenige wusste bereits, worauf er achten musste.

„Ich weiß ja was du davon hältst.“, meinte Loken. Nicht viel, dachte Beroe. Man konnte einem Menschen vieles antun, vieles nehmen, auch die Freiheit. Aber er hätte immer noch die Chance sich eines Tages zu beweisen. Ein Gejarn… nicht. Sie ließen sich nicht in Ketten legen wie andere und tat man es doch, suchten sie den Tod und die Rückkehr zur Wiege ihrer Ahnen. Beroe wusste nicht ob er diesen glauben teilen sollte. Aber die wilden Clans waren überzeugt, dass ihre Seelen unsterblich waren und irgendwann den Weg zurück in ein neues Leben finden würden. Um jemanden in Ketten zu legen, der glaubte dass der Tod ein Ausweg war… musste man ihn brechen.

Geisterwasser nannten es die Clans, eine seltsame Mischung aus Alkohol und Pflanzengiften, die bei den Ritualen ihrer Ältesten Verwendung fand. Seltsam, das genau dieses Gemisch, das doch eigentlich der Kommunikation mit ihren Geistern dienen sollte, den Willen eines Gejarn auch brechen konnte. Beroe hatte das Ritual dazu nur einmal mit angesehen. Je nach Zubereitungsart goldene, hell leuchtende oder bläuliche Tropfen, die, ohne die sorgsame Anleitung eines Ältesten, nur Alpträume und Schrecken brachten und den Geist zerstörten. Und nichts zurück ließen.

Beroe sah erneut zu dem Gejarn  zurück, der gebeugt in der Mitte des Saals stand. Loken hatte derweil die Arme vor der Brust verschränkt und wartete scheinbar, was er tun würde. Er würde einen Führer für die Wälder brauchen… aber nicht dieses gebrochene Ding. Tod, wäre der Mann besser dran. Und so… war er nutzlos für ihn. Manche mochten eine Marionette vorziehen. Aber was er brauchte, war jemand, der dieses Land mit dem Herzen kannte. Nicht wie er. Nicht wie der Fremde, der er war. Beroe zog das Schwert aus der Scheide und drehte sich um.

 

Kapitel 3

 

 

 

Die Klinge spiegelte das Licht der Kerzen wieder, als Beroe auf den Gejarn zutrat. Rötliche Flammen tanzten auf der Oberfläche der Waffe, wie lebendige Blutstropfen.  Seine Finger schlossen sich fester  um den mit Perlmutt besetzten Griff, die Intarsien gruben sich in seine Haut. Er hatte damit gerechnet, dass der Mann genauso verharren würde, wie er dastand. Die meisten Gebrochenen hatten zumindest noch so viel eigenen Willen, dass sie Befehle ausführten, aber keinen mehr, sie auch in Frage zu stellen. Oder so etwas wie Selbstschutz an den Tag zu legen.

Der Schatten zu seinen Füßen, diese bloße Hülle eines Mannes, sah auf. Nur einen Moment lang traf sich ihr Blick. Es lag kein Schrecken in den Augen des Gejarn, keine Furcht, nicht einmal so etwas wie Erlösung oder Dankbarkeit. Nur stumme Akzeptanz. Einen Moment zögerte Beroe, bis sein Gegenüber den Blick erneut senkte. Fas zeitgleich ließ Beroe auch die Waffe sinken.

„Seht mich wenigstens an.“ , verlangte er. Mit einem leisen Klingen setzte er die Schwertklinge auf dem Boden ab und wartete ab, ob der gebrochene Schatten ihm Antworten würde. Minuten schienen zu vergehen, doch waren es wahrscheinlich nur Sekunden. Loken, der nach wie vor in der Tür stand, sah dem geschehen nur Still zu.

Dann jedoch erklangen zwei Worte. Dünn, brüchig, aber immerhin mit mehr Leben als Beroe dieser Kreatur noch zugetraut hätte.

„Verzeiht Herr.“ Statt aufzublicken hielt der Gejarn den Blick weiterhin gesenkt. Die Worte klangen eine Weile in der abgestandenen, rauchigen Luft nach. Das Feuer im Kamin war , nicht weiter durch Papier genährt, fast heruntergebrannt und verbreitete mehr Dunst als Licht. „Aber ihr könnt niemanden dazu zwingen seinem Schicksal auch ins Auge zu sehen. Ich habe das Recht darauf verwirkt.“

Beroe erwiderte nichts, sah nur einen Moment zu Loken, der nichts zu verstehen schien was er von ihm wollte. Wäre es eine Gnade diesen Mann zu töten? Mit einem Mal war er sich dessen nicht mehr sicher. Da war noch etwas in ihm, dachte er. Genug Trotz um zumindest einem letzten Ideal treu zu bleiben. Aber war das genug?

Mit einem Ruck hob er erneut das Schwert, allerdings nur um es zurück auf den schweren Schreibtisch fallen zu lassen. Erneut klang metallisches Klirren durch den Raum. Statt der Waffe streckte er dem Mann eine Hand entgegen.

,, Steht auf.“

Eine Weile lang geschah nichts. Nur wiederwillig, so schien es, hob der Gejarn den Blick, betrachtete die angebotene Hand vor sich, als verstünde er nicht, was sie bedeuten sollte. Dann jedoch, langsam, so als hätte er Angst, dass dies ein böser Trick oder doch nur eine Illusion war, griff er danach. Beroe griff zu, zog den Mann mit Gewalt auf die Füße, auch wenn er Anstalten machte, erneut zu Bode zu sinken.  Viele Leute zögerten ihn zu berühren. Eine Art abergläubische Furcht vor ihm, schien sie davon abzuhalten, als fürchteten sie die verzerrte, engelhafte Gestalt mit den rötlichen Augen könnte sie verbrennen wenn sie ihr zu nahe kämen. Der gebrochene Schatten nicht. Nachdem er einmal stand klammerte er sich weiterhin an Beroes Hand, dass seine Klauen sich in dessen Fleisch gruben.

„Warum ?“ Die Frage war nur ein Flüstern, gezeichnet zum ersten Mal von echter Emotion. Furcht.

„Weil ich glaube das ihr dem Kaiser noch einen Dienst erweisen könnt. Bis dahin, werdet ihr leben.“ Und weil ihr vielleicht zu retten seid, fügte er in Gedanken hinzu. Nur vielleicht. Und wenn nicht, dann wäre er da, die Klinge in der Hand. „ Ich werde in wenigen Stunden in die Herzlande aufbrechen. Und ich brauche jemanden der die örtlichen Clans besser kennt als die Männer hier. Vielleicht auch einen Übersetzer.“ Zwar sprach er die Clansprache und ihre Dialekte fast fließend, doch war es angesichts seiner Natur vielleicht besser, das an einem Ort wie diesem geheim zu halten. Er war nicht naiv genug zu glauben, das alle Männer hier einen neuen Anführer einfach so akzeptieren würden. Unangenehme Fragen wären das letzte, was Beroe  gebrauchen konnte.

„Wie lautet euer Name?“ Endlich  zogen sich die Krallen es Gejarn von seinem Arm zurück. Noch immer wirkt er verhärmt und abgemagert, die Kleider waren ihm zu groß und wo die Ketten gewesen waren, hatten sie tiefe Schürfwunden gerissen.

„Dowan, Herr.“

„ Loken, würdest du dafür Sorgen das man unserem Gast neue Kleider bringt? Und jemanden, der sich seine Wunden ansieht ?“

,, Es ist eine Sache ihn zu nutzen, Beroe. Aber das macht ihn weder zu unserem Verbündeten noch zu einem Freund.“ , bemerkte sein Ziehvater warnend.

Nein. Um das zu wissen brauchte er Loken nicht. Aber er würde bald genug wissen, ob er ihm trauen konnte. Die erste Probe würde nicht lange auf sich warten lassen. Und er hatte sich vorgenommen zu versuchen, diesen Mann wieder zu wecken. Und sei es nur um sich seine Loyalität sicher zu stellen. Seine Worte verrieten, dass doch noch etwas Kampfgeist in ihm steckte… Mehr als er sich vielleicht selbst erlaubte zu zeigen.

„Dieses eine Mal, habe ich nicht um deinen Rat gebeten.“

„Wie du meinst.“ Loken schmunzelte einen Moment in sich hinein. „Erinnere dich nur daran, dass nicht jeder dich alles durchgehen lassen wird. Zeigst du zu viel Gnade wird dich dieser Ort vernichten.“

Mit diesen Worten drehte der ältere Prätorianer sich um und verschwand zur Tür hinaus. Beroe lauschte noch eine Weile, wie seine Schritte auf der Turmtreppe leiser wurden.

Gnade ? Er hätte am liebsten laut gelacht. Dachte sein Vater das von ihm? Das er hier aus Mitleid handelte? Schweigend besah er sich einen Moment Dowan, der immer noch da stand, wo er auf die Füße gekommen war, ohne auch nur das Anzeichen einer Regung. Dann sah er zurück zu dem Schwert, das inmitten der restlichen Briefe lag.  Nein, was er hier tat war keine Gnade. Er nutzte nur, was man ihm gab.

„Ich fürchte…“ Der Gejarn setzte an etwas zu sagen, verstummte dann jedoch wieder. Beroe ließ sich zurück auf seinen Stuhl fallen und sah einen Augenblick zu wie eine Wachsträne eine der Kerzen hinablief und erstarrte.

„Sprecht. Ich habe euch nicht verboten zu reden, oder?“

,,Nein Herr.“ Noch immer klang Dowans Stimme viel zu dünn und brüchig, doch während er weitersprach, schien sie langsam wenigstens etwas an Sicherheit zu gewinnen. ,, Aber ich fürchte das ich für euch mehr eine Last wäre, als das meine Anwesenheit euch einen Dienst erweisen könnte. Ich bin ein Fremder für meinen eigenen Clan geworden. Würde ich zurückkehren, könnte ich es, sie würden mich vermutlich töten. Ich bin kein Gejarn mehr, ich bin eine Abscheulichkeit.“ Jedes Wort klang absolut nüchtern und kalt.

„Vielleicht seid ihr das wirklich“ Vielleicht sollte ich euch erlösen. „Vielleicht wünscht ihr euch das auch nur.“ Vielleicht ist der Mann der ihr einmal wart noch nicht ganz tot. ,, Aber so oder so. Euer Clan ist Vergangenheit. Ihr steht jetzt in meinen Diensten. Ich brauche jemanden wie euch, ob die Clans euch nun akzeptieren oder nicht. Es reicht mir wenn ihr für mich sprecht, nicht für sie. Aber antwortete mir auf meine nächste Frage ehrlich: Werdet ihr dienen oder nur reagieren?“

Die Frage schien selbst dieses gebrochene Ding Namens Dowan einmal aus seiner Lethargie zu reißen. „ Ich… was meint ihr damit? Ich schätze ich schulde euch wohl… etwas. Ich weiß nicht einmal für was. Mein Leben schätze ich. Was immer das auch Wert ist. Und dennoch habe ich keine Gnade von euch erwartet. Ihr habt bei Vara gegen die Clans gekämpft…“

„Ich habe gegen die Feinde des Kaisers gekämpft. Ihr jedoch habt euch mir gegenüber bisher nicht als solcher erwiesen. Und das solltet ihr auch nicht. Ich habe die Macht des Kaisers gesehen. Habe mitterlebt wie sie die Schatten vertreibt und eine Welt auf Ehre und Ordnung errichtet. Und dem wird nichts im Wege stehen. Nichts darf es. Diese Welt wird unter einem Banner geeint und keine Festung wird demjenigen Schutz bieten, der sich dagegen sträubt und keine Macht jene noch Aufhalten, die seine Ziele annehmen. Und selbst die Gefallenen sollen noch einmal eine Chance erhalten. So wie ihr. Loyalität, Pflichterfüllung, Opferbereitschaft. Das ist was man von uns erwartet. Und das gleiche erwarte ich von euch. Meine Feinde sind nicht meine Feinde, weil sie als solche geboren werden, Dowan. Sie haben sich durch ihre Taten dazu gemacht. Liefert mir keinen Grund, eure anzuzweifeln und ihr werdet sehen dass ich auch Freunde finden kann. Wenn möglich, will ich die Clans hier zu welchen machen. Nur ein Narr schlägt eine friedliche Lösung von vornherein aus.

Lord Quintus hat dies getan und es hat ihm keinen Erfolg gebracht. Ich lerne aus den Fehlern meiner Vorgänger.“ Und ich habe nicht vor mein eigenes Volk zu bekämpfen, dachte er. Egal ob er sich im Herzen wirklich zu ihnen zählte, er konnte nicht leugnen, was er war. Zumindest nicht für immer. Und das würde er nicht müssen, wenn seine Pläne aufgingen. „Aber wo es keine gibt, wo ihm die Tür zugeschlagen wird verweigert sich auch nur ein Narr dem Schwert. Alles, was mein Herr von euren Clans verlangt ist, das sie sich unter seinen Schutz stellen. Als loyale Diener.“

„ Schutz vor was ?“ Dowan kniff die Augen zusammen und auf einmal kam wieder etwas Leben in seine Stimme. „Soweit es mein Volk betrifft ist euer Kaiser die einzige Gefahr vor der man sie schützen müsste.“

Vor eurer eigenen Ignoranz, dachte Beroe. Er schloss einen Moment die Augen. Für die Clans existierte außerhalb ihrer Wälder nichts. Aber er hatte gesehen was hinter dem Horizont lag, andere Reiche, eine ganze Welt, die sich nach einem Jahrtausend der Finsternis neu zu ordnen begann. Und sie alle streckten ihre Finger nach den Herzlanden aus. Langsam aber sicher. Der Kaiser wäre bereit diese Leute unter seinen Schutz zu stellen, ihnen ihre Freiheit zu lassen, wenn sie nur das Knie beugten. Andere würden nicht so gnädig sein und bloß Diener suchen. Andere waren nicht darauf aus die Welt zu einen.

„Einigkeit ist Stärke. Das sollten auch die Clans verstehen. Jeder für sich werden sie untergehen. Das Kaiserreich wird ihnen diese Einheit bringen. Wartete nicht, bis dieses Angebot sich in Zwang verwandelt. Es gibt nichts, was den Legionen des Kaisers auf ewig standhalten könnte. Seid nicht närrisch genug zu glauben eure Wälder würden euch schützen. Ich habe sie andernorts  niedergebrannt und tue es wieder.“

„Das habt ihr.“, stellte Dowan fest. „Euer Name ist in den Herzlanden kein unbeschriebenes Blatt. Viele Gejarn  sind über den Erdschlund geflohen um sich den noch freien Clans anzuschließen, während die Armeen eures Kaisers vorrückten. Eure Armeen.“

Beroe nickte. Wenn der Mann glaubte ihm damit ins Gewissen reden zu können, irrte er sich. Seine Ziele standen weit über dem Schicksal eines einzelnen Clans. „ Wisst ihr sonst noch etwas über die Clans jenseits der Brücke?“

„ Ich fürchte nur wenig was euch helfen könnte. Wie ihr selbst sagtet, sind die Clans uneins… und meiner stammt ursprünglich aus den Ländern auf der anderen Seite der Erdwacht. Nicht alle von uns werden in den Wäldern… freundlich aufgenommen.“

„ Ihr meint eure Clans waren verfeindet.“ Beroe seufzte. Auch das würde er beenden müssen. In den Herzlanden die er schaffen wollte, würde es keine Konflikte zwischen einzelnen Clans mehr geben. Nicht, wenn sie überleben wollten. Die Welt änderte sich rasch und mit jedem Tag etwas schneller.

,, Dann werde ich mich eben selbst mit ihnen unterhalten müssen und lasse mich überraschen.“

Sobald er den Satz beendet hatte, schwang die Tür zum Turmzimmer erneut auf und Loken kehrte zurück, ein Bündel zerschlissener, aber immerhin sauberer Kleider im Arm und einen Heiler in grünen Roben im Schlepptau.

„ Ich schätze, da kommt euer neues Gewand. Loken, tu mir den gefallen und sorg dafür, dass der Heiler sich auch wirklich um ihn kümmert. Ich erwarte euch unten. Wenn wir noch aufbrechen wollen, bevor die Sonne ganz aufgegangen ist, werden wir uns beeilen müssen.“ Allein der Gedanke an die Sonne behagte ihm bereits nicht. Der Sonnenbrand, den er sich während der Reise hierher zugezogen hatte, machte sich immer noch schmerzhaft bemerkbar. Und er würde sich wieder mit dem schweren Mantel schützen müssen, wenn es nicht schlimmer werden sollte. Selbst der Zauber reichte ihm nicht als Versteckt, dachte er und lächelte einen Augenblick freudlos, ehe er an Loken vorbei und auf die Treppe hinaus trat, die ihn hinab in den Bergfried und weiter auf den ersten Burghof bringen würde.

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Tag der Veröffentlichung: 17.01.2017

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