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Prolog

 

Die Nacht war kalt und erfüllt vom Flüstern das von den Feuern aufstieg. Die Blätter der Bäume, die im letzten Sonnenlicht noch in allen Farben geleuchtet hatten waren jetzt nur mehr dunkle Schatten, die ihn auf allen Seiten umgaben, während er auf die Ebene hinaus spähte. Soweit man sehen konnte erstreckten sich Zelte, nur erhellt vom wiederschein vereinzelter Lagerfeuer und den Fackeln, die einige Posten mit sich trugen. Zu wenige, dachte er sofort. Allerdings war das wohl auch schlicht den Ausdehnungen des Lagers geschuldet. Das Lichtermeer, das die Hauptstadt des Kaiserreichs umgab, ließ selbst  die gewaltigen Paläste und Prunkbauten und die schwebenden Inseln, groß wie eigene Städte, winzig wirken.

 Er würde  sich nicht einmal anstrengen müssen um den Posten auszuweichen. Und auf eine Begegnung mit der Garde wollte er lieber verzichten.  Nicht in seinem Zustand. Er war fast drei Wochen durch das Land geirrt um sie wieder zu finden… und er würde nicht noch einen Tag warten, nur um zu erklären wer er war. Vermutlich würde selbst Relina ihn nicht einmal mehr erkennen, dachte er bitter.

 Wie lange hatte er in der Dunkelheit gesessen und auf das Ende gewartet? Er wusste es nicht.   Und nun saß er erneut hier, diesmal allerdings wenigstens Freiwillig. Und fast am Ziel. Ein Teil von ihm fürchtete sich fast davor. Wie viel war in den letzten Wochen geschehen… lebte seine Familie überhaupt noch? Lebten Naria und Relina noch? Niemand, den er auf seinem Weg nach Westen getroffen hatte, hatte ihm mehr sagen können, als er ohnehin schon wusste. Das Kaiserreich war dabei zu zerbrechen. Niemand hatte wirklich noch die Übersicht darüber, was genau vor sich ging.  Erindal war gefallen, Silberstedt stand angeblich ebenfalls unter dem Banner der roten Hand. Der Kaiser sei geflohen. Der Kaiser bereite einen Gegenschlag vor. Der Kaiser habe aufgegeben und sein Sohn tot. Der rote Heilige sei in der fliegenden Stadt gesehen worden, die Kultisten hätten Dämonen und Kreaturen aus dem Abgrund der Erde gerufen, der Sangius-Orden habe angeblich Schatten ausgesendet, die das Land durchstreiften… Gerüchte und er konnte sich nicht sicher sein, was davon stimmte. Mit der Ausnahme dessen, das Kellvian Belfare  wohl kaum aufgeben würde, dachte er.

Vorsichtig wich er etwas weiter in die Schatten zurück und beobachtete das Lager noch einen Moment länger. Im Dunkeln leuchtete die schwebende Zitadelle, die sich über den Zelten erstreckte wie ein Wunder. Das Mondlicht brachte die weißen und grauen Marmorbauten zum Glitzern, erhellte Gärten und spiegelte sich in Fenstern wieder. Doch die fliegende Stadt war jetzt wenig mehr als die letzte Zuflucht, die diese Leute hatten. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten stand sie fast vollkommen still. Nur wenn man genau hinsah, bemerkte man vielleicht, wie sich Stunde für Stunde die einzelnen Bezirke etwas verschoben und die silbrigen Schatten des Mondlichts wieder auf den Boden durchdrangen.

Also dann, dachte Zyle Carmine. Zeit herauszufinden, wie die Wahrheit aussah… und wie schlimm es wirklich um sie alle stand. Der Gejarn trat unter den Bäumen hervor und tauchte wenig später in das Gewirr des Lagers ein.

 

Kapitel  1 Rätsel

 

 

 

Die ersten Sonnenstrahlen ließen die Klippen des roten Tals wie mit Blut überzogen wirken. Wie eine Narbe erstreckte sich ein Riss in der Steppenlandschaft und brachte rote, braune und ockerfarbene Felsen ans Tageslicht, die diesem Ort seinen Namen gaben.  Einige  wenige Wasserläufe und ein größerer Fluss glitzerten in der Tiefe und schufen die einzigen Flecken aus Grün in einer ansonsten toten Landschaft. Lediglich in den tiefen Schatten an den Klippen selbst fanden einige Bäume Schutz und formten spärliche Wälder.  Ansonsten jedoch war die Landschaft flach  und karg und bot kaum Schutz vor dem Wind, der beständig durch die Ebene strich und roten Staub mit sich führte. Staub, der sich in einer feinen Schicht über Gräser und Felsen legte. Und auch über das uralte Pflaster der verfallenen Straßen, welche diesen Ort durchzogen. Manche Wege waren nur noch von oben zu erkennen, ein paar zerbrochene Pflastersteine, die durch die Jahrhunderte bereits so abgeschliffen waren, das sie kaum von natürlichen Felsen zu unterschieden waren. Andere jedoch hatten den Zahn der Zeit getrotzt und bildeten ein Netz aus breiten Adern, die sich, den Flüssen gleich, durch das Tal wanden. Überall entlang der uralten Pfade ragten Ruinen auf, manche besser erhalten, andere kaum mehr als Grundmauern, doch einst hatte sich hier eine Stadt erstreckt, die das gesamte Tal ausfüllte

Eine Metropole, in der hunderttausende gelebt hatten und noch immer konnte man stellenweise einen Eindruck er vergangenen Pracht gewinnen. Es gab halb eingefallene Tempel, deren Säulen und Kuppeldächer noch immer standen, Villen und Häuser aus Marmor, der einst wohl weiß in der Sonne glitzerte, nun jedoch vom Flugsand aufgeraut und rosa verfärbt war. Und heute gab es keine Spuren mehr von den einstigen Bewohnern dieses Ortes und selbst sein Name war lange aus den Geschichtsbüchern verschwunden. Nur der Wind heulte noch immer in den Toten Hallen, als trauere er den lange vergessenen Erbauern noch immer nach…

Und doch war das Tal längst nicht mehr so verlassen, wie die Jahrhunderte zuvor. Auch wenn die Neuankömmlinge die Ruinen mieden, die ersten von ihnen erhoben sich bereits sobald sich der Himmel grau zu färben begann und pilgerten in einem endlosen Zug die verfallenen Straßen entlang. Ihr Ziel war eine gewaltige Baustelle, die sich genau in einer Flussbiegung befand. Trotz der frühen Stunden herrschte dort bereits Hochbetrieb und seit Wochen ruhte die Arbeit wenn überhaupt, nur für wenige Stunden. Selbst in den Nächten gab es einige, die weitermachten, Steine in Form meißelten, Mörtel mischten und die Fundamente im Licht der Fackeln aushoben.

Und hätten die Männer, die in den Baugruben arbeiteten  einen Moment nach oben gesehen, so hätten sie wohl die zwei Gestalten bemerkt, die am Rand des Abgrunds standen und den Fortschritt der Arbeit begutachteten. Die beiden Männer hätten wohl unterschiedlicher nicht sein können, sah man davon ab, dass man das Alter beider kaum hätte festmachen können.  Der  eine  war hoch gewachsen und muskulös, in einem dunklen Mantel aus Fell und Gold, in dem Rubine wie Augen glänzten. Sein Haar hatte die Farbe von geronnenem Blut. Und sein Gegenüber hätte nicht einmal gewundert, wenn es sich genau darum Handeln würde. Quer über das Gesicht des Mannes zog sich eine Narbe von der gleichen, beunruhigend rötlichen Farbe. Eine Narbe, die beinahe aussah, wie eine Hand mit drei ausgestreckten Fingern.  Der Begleiter des Mannes war zwar nicht kleiner, aber wo der rote Heilige breit gebaut war, wirkte Träumer wie eine Vogelscheuche, die bei der nächsten Windböe einfach umfallen könnte. Und doch täuschte das. Ein zerschlissenes blaues Gewand ohne Zierrat oder Markierungen flatterte an seinem Körper und seine Haare waren, obwohl er noch jung war, bereits mit den ersten grauen Strähnen durchwirkt. In den letzten Wochen schienen beständig neue hinzuzukommen, dachte er nicht ohne einen Hauch Selbstmitleid. Und der Grund dafür stand direkt neben ihm.

Sie standen so nahe am Abgrund, es hätte nur einen Stoß gebraucht um sein Gegenüber in die Tiefe zu befördern. Und doch, so schnell wie der Gedanke kam, so schnell hatte Träumer ihn schon wieder verworfen. Nicht nur das es verzweifelt wäre, es wäre verrat. Nicht an seinem Herrn, aber an ihrer Sache. So schwer es war, sich das einzugestehen, der rote Heilige war, was sie alle zusammenhielt. Eine bittere Erkenntnis. Doch ohne ihn würde ihr Kreuzzug schlicht in sich zusammenfallen, das war sicher.  Der Wille dieses Mannes war es, der die Monster, die sie erschaffen hatten unter Kontrolle hielt. Sowohl jene, die durch den Willen ihres Gottes tatsächlich zu Kreaturen geworden waren, als auch jene, die es nur im Geiste waren.  Und Träumer selbst war durch einen Eid gebunden, den er nicht brechen konnte. So schrecklich die Methoden des roten Heiligen waren, sie waren bedauerlicherweise auch effektiv… und trieben ihre Sache gewaltig voran. Innerhalb eines halben Jahres nur hatten sie einen unglaublichen Teil der Welt für sich beanspruchen können. Und nun lag das Kaiserreich Cantons selbst offen vor ihnen…

Und doch schien sein Herr über diesen Erfolg alles andere als erfreut, dachte Träumer. Der rote Heilige blickte düster auf die geschäftige Baustelle hinaus, schien das Durcheinander jedoch kaum wahrzunehmen. Sein Blick ging ins Leere, seine Züge wirkten angespannt. Es hatte einen Grund, aus dem sie heute hier oben standen.

Der Kaiser war zu ihnen gekommen, wie er es geplant hatte. Und nun schien er doch entkommen zu sein. Irgendwo hatte es eine Lücke gegeben. Die Rache, auf die der rote Heilige spekuliert hatte, war ihm im letzten Moment verwehrt worden. Träumer wusste nicht, ob er darüber erleichtert sein sollte. Vielleicht hätte es geholfen, den zerstörerischen Zorn seines Herrn etwas zu dämpfen. Und vielleicht hätte es auch das Ende bedeutete. Doch den Kaiser würden sie von hier oben sicher nicht erspähen. Das Tal war groß und der Mann vermutlich längst irgendeinen der geheimeren Pfade hinauf geklettert um zu entkommen. Doch war er nicht alleine gewesen…

,, Sagt mir die Wahrheit, warum habt ihr mich gerufen ?“ Er war nicht gewillt zu glauben, was sein Herr von ihm forderte. Es passte schlicht nicht zu dem Mann, den er kannte. Dem Monster… Und was macht es aus dir, wenn du einem Monster dienst? , fragte er sich selbst stumm. ,, Ihr wollt, das ich ihn heile ? Verzeiht mir, Herr, aber warum braucht ihr mich dafür?“

Der rote Heilige antwortete ihm nicht sofort, sondern starrte schlicht weiter in die Ferne, als könnten die orange und rot leuchtenden Wolken am Horizont ihm eine Antwort liefern.

,, Weil ich ganz sicher nicht dem Sohn unseres größten Feindes helfen werde. Niemals…“ Die Stimme seines Gegenübers zitterte vor unterdrückter Wut, dann jedoch sah er zu Träumer. ,, Ihr jedoch… Ihr habt ein zu großes Herz. Ich brauche euch nicht einmal bitten, nicht?“

,, Ich verstehe nicht, Herr… Warum wollt ihr ihn überhaupt retten?“

,, Es geht nicht darum, das ich ihn retten will, es geht darum, das ich ihn nicht töten kann.“

,,Herr ?“ Träumer konnte nur verwirrt blinzeln. Nichts was der rote Heilige sagte schien einen Sinn für ihn zu ergeben. ,, Warum lebt der Junge noch ?“

,, Genauso gut könnte ich euch fragen, wieso ihr den Gejarn in Erindal befreit habt. Wieso ihr etwas so närrisches tun würdet. Könnt ihr mir eine Antwort darauf geben?“

Keine die ihr begreifen könntet, dachte Träumer und schüttelte den Kopf. Er hatte an jenem Tag eigentlich mit dem Tod gerechnet. Zu Sterben wäre besser gewesen, als weiter zu Leben und zusehen zu müssen, wie der Wahnsinn, den sein Herr entfacht hatte, sich weiter ausbreitete… und er nichts dagegen tun konnte, als zuzusehen und das schlimmste zu verhindern. Und selbst das war eine vergebliche Mühe nicht?

,, Ihr seid mir ein Rätsel, Träumer. Wäre ich nicht so von eurer Loyalität überzeugt, ich würde euch vernichten.“ Die Ehrlichkeit dieser Worte ließ ihn Schaudern. Und dennoch beantwortete es seine eigentliche Frage nicht…

,, Der Junge…“

,, Er sollte tot sein.“ , erklärte der rote Heilige schließlich seufzend. ,, Und ich habe es versucht. Wieder und wieder. Was die Sense nicht geschafft hat, wollte ich mit Magie beenden. Und ich konnte es nicht…“

Träumer wusste nicht ob ihn diese Antwort wirklich beruhigte. ,, Wie meint ihr das ? Ihr konntet nicht…“

,, Meine Kräfte haben versagt, Träumer. Der Gott  hat mir seine Hilfe verweigert. Es scheint unser Herr hat noch etwas mit ihm vor. Auch wenn ich keine Ahnung habe was. Aber er soll leben, das habe ich verstanden.“ Zum ersten Mal schwang Unsicherheit in der Stimme des Mannes mit. Zum ersten Mal schien er genauso ratlos wie Träumer sich fühlte. ,, Und wenn er eine Rolle im Plan des Herrn der Ordnung zu spielen hat, dann muss er Leben.“

Mit diesen Worten drehte er sich um und bedeutete Träumer, ihm zu Folgen. Ihr Weg führte sie fort von der monumentalen Baustelle hin zu einer Ansammlung schlichter Holzhütten. Es waren etwa ein halbes Dutzend grob gezimmerter Verschläge, die den Vorarbeitern des Tempels als Unterkunft dienten.  Im Augenblick jedoch waren sie alle verlassen, sah man von der einen ab, die ihr Ziel darstellte. Die Bauten waren halb im aufgewühlten Boden versunken und das ehemals graue Holz bereits von Lehm und Flugsand rötlich verfärbt.

Der Weg war kurz und ließ Träumer kaum Zeit über die Worte des roten Heiligen nachzudenken. Der Herr der Ordnung selbst habe ihn davon abgehalten, den Jungen zu töten? Und doch hatte er zugesehen, wie sein erwählter Streiter Tausende andere in seinem Namen dem Feuer überantwortete. Warum griff er dann jetzt ein? Und das nur um ein Leben zu retten, anstatt diesem Wahnsinn endlich ein Ende zu setzen ?  Es schien keinen Sinn zu ergeben …

Zögerlich streckte er die Hand nach der Tür der Hütte aus, die sein Herr ihm gezeigt hatte. Es gab kein Schloss und so schwang sie einfach nach innen auf und offenbarte lediglich einen einzigen Raum.  Außer einem schlichten Tisch mit einem, wohl selbstgezimmerten, Hocker, war die einzige Einrichtung eine einfache Holzpritsche. In Ermangelung eines Fensters kam das einzige Licht durch  die Spalten in den Wänden und malte scharfe Linien auf den gestampften Lehmboden und die Einrichtung.

Träumer jedoch sah den Körper sofort, der regungslos auf der Pritsche lag. Er hatte Janis Belfare nie zuvor gesehen, doch irgendwie schien er ihn doch von irgendwo her  bekannt vorzukommen. Träumer jedoch schüttelte den Eindruck so schnell wieder ab, wie er gekommen war. Das war schlicht nicht möglich.  Seine Haare waren dunkel, doch dort wo das Sonnenlicht darauf fiel, schienen sie rötlich zu schimmern. Das Gesicht war glatt, ebenmäßig und vermutlich konnte der junge Mann die zwanzig noch nicht lange erreicht haben.

Um seinen Oberkörper zog sich ein dicker Verband, der jedoch bereits rot gefärbt war. Kleine Rinnsale aus Blut liefen darunter hervor und versickerten im Stroh, mit dem die Pritsche gedeckt war. Die Waffe, die für diese Verletzung verantwortlich war, lehnte keine drei Schritte entfernt neben ihm an der Wand, eine Sense, die jedoch  nicht zur Feldarbeit geschaffen war. Es war ein Symbol… Zumindest hatte Träumer das einst geglaubt. Nun offenbar konnten auch Symbole töten. Wenn er nichts unternahm wäre der Junge vermutlich vor dem Mittag tot. Träumer zögerte tatsächlich zu tun, was der rote Heilige von ihm verlangte, als er sich neben das Lager des Sterbenden kniete und eine Hand ausstreckte. Sein Herr sah von der Tür aus zu, als wäre ihm egal, ob Träumer den Jungen nun rettete oder nicht. Und vermutlich war es das auch. Dem roten Heilige mochte sich damit den Wünschen seines Gottes wiedersetzten… aber wer würde es anprangern? Wer offen gegen ihn sprechen, wo er sie doch so erfolgreich führte ?

Träumer streckte die Hand aus, aus der nun grelles, blaues Licht hervordrang. Sofort begann der dünne Blutstrom zu versiegen, schien der Körper des jungen Mannes sich anzuspannen, als Blut, Haut und Knochen wieder an ihren angestammten Platz zurückgezogen wurden. Die Schmerzen, die eine magische Heilung mit sich brachte, waren genug, schwächere Männer in den Wahnsinn zu treiben. Und auch wenn Träumer die Pain im Zweifelsfall auf sich nehmen konnte, viele fürchteten sich auch vor der Magie selbst. Vielleicht war es da eine Gnade, das der Junge bewusstlos war.

Für Träumer hingegen war der Zauber kaum mehr als eine Fingerübung. Er war der erste Geweihte  und seine Macht stand weit über dem, zu was selbst die mächtigsten Zauberer des Landes imstande waren.  Und doch war er hilflos auf seine ganz eigene Art.

Mit einem seufzen ließ er die Hand sinken und das Licht erlosch. Erneut senkte sich Zwielicht über das Innere der Hütte. Und Stille… Träumer lauschte einen Moment, doch das einzige, was er hörte,

waren sein eigener Atem und der des Jungen. Und doch wusste er, dass der rote Heilige nicht gegangen war. Stattdessen stand er  hinter ihm und starrte mit düsterer Mine auf den bewusstlosen Jungen. Und als dieser sich endlich rührte und die Augen Aufschlug, traf sich ihr Blick, Grün-blaue Augen wie das Meer, die auf brennendes Feuer trafen…

 

 

 

Kapitel 2 Erwachen

 

 

 

 

 

Als er die Augen aufschlug wusste er nicht wo er war. Oder wer er war… Selbst sein Name schien ein fernes Echo, an das er sich klammern musste um es nicht zu verlieren. Janis… Sein Name war Janis und das war alles, das sicher schien.

Das und das er einem bösen Geist gegenüberstand. Augen, in denen ein unheilvolles Feuer zu brennen schien starrten auf ihn hinab. Janis wagte nicht einmal zu blinzeln, war erstarrt wo er war, wo immer er war.  Eine breite Narbe zog sich über das Gesicht zu dem diese Augen gehörten und einen Moment war er fest davon überzeugt, sie von irgendwo her zu kennen. Doch schon in dem Moment, wo er nach der Erinnerung griff, verblasste diese, wurde undeutlicher…

Und dann trat die Gestalt schließlich ohne ein Wort bei Seite. Janis atmete auf.  Zum ersten Mal wagte er es, sich umzusehen. Stroh knisterte, als er sich bewegte und versuchte den Kopf zu heben.

Er lag auf einem schlichten Lager im inneren eines kleinen, aus Holz gezimmerten Verschlags. Trübes Licht sickerte durch die Lücken zwischen den einzelnen Balken und machte es schwer, viel zu erkennen. Der Mann jedenfalls, der sich bei seinem Erwachen über ihn gebeugt hatte, war nur noch als dunkle Silhouette auszumachen. Am Fußende des Bettes jedoch saß eine weitere Gestalt und musterte ihn neugierig. Die Augen des zweiten fremden waren sanfter und von grauer Farbe, doch wo sein Vorgänger, eine entstellende Narbe im Gesicht getragen hatte, war im Gegenzug eine seiner Hände von dunklen Wucherungen übergeben. Und selbst das Blut, das durch die schwarzen Schuppen und die versehrte Haut hindurchfloss schien zu brennen, als befinde sich in seinen Adern flüssiges Feuer.

Janis wagte es, sich ein Stück weit aufzurichten. Sein Kopf schwirrte bei der plötzlichen Bewegung und einen Moment glaubte er, ihm würde sich der Magen umdrehen…

,, Ganz ruhig.“ Die Stimme des zweiten Fremden, der nach wie vor am Bett saß war dünn, kaum mehr als ein Flüstern. Und trotzdem schien eine gewisse Autorität und Kraft daraus zu sprechen. ,, Ihr wart eine Weile bewusstlos und habt einiges an Blut verloren.“

Das musste wohl stimmen, dachte Janis unsicher. Er konnte sich nicht erinnern. Aber um seine Brust zog sich ein breiter Verband und das Hemd das er trug, war mit Blut durchtränkt.

,, Wo bin ich hier… wer…“

,, In Sicherheit.“ Sowohl er als auch der Mann am Bett drehten sich fast zeitgleich zu dem Sprecher um. Selbst im Halbdunkeln schienen seine Augen zu glühen wie zwei Kohlen. ,, Träumer hier hat dich geheilt. Erinnerst du dich an etwas?“

Die Gestalt trat wieder etwas aus den Schatten und erneut war Janis davon überzeugt, ihn schon einmal gesehen zu haben. Doch wann und wo blieb hinter einem Schleier verborgen, so wie alles andere auch.

,, Ich… Nein…“

Der als Träumer angesprochene Mann schien nicht weniger verwirrt als er. ,, Herr ?“ , fragte er unsicher. Janis meinte fast in seinen Augen lesen zu können. Er wollte wissen, was das hier zu bedeuten hatte, das war klar…

,, Ich glaube Träumer macht sich nur Sorgen um euch.“ , erklärte er schlicht. Der Gesichtsausdruck des anderen jedoch schien dem zu Wiedersprechen, denn was Janis dort sah war schlicht… misstrauen. Gegen ihn ? Oder etwa gegen den Mann, den er eben noch Herr genannt hatte ?

,, Ist das euer Name ?“ , wagte Janis zu Fragen.

,, Ja und Nein.“ , erklärte Träumer wieder ruhiger. ,, Wir legen unsere Namen ab, wenn wir uns ganz in den Dienst unseres Herrn stellen.“

,, Und euer Herr ist…“

,, Der Herr der Ordnung natürlich.“ , bemerkte der für ihn immer noch namenlose Fremde. ,, Was Teil des Grunds ist, aus dem ihr hier seid. Und ihr erinnert euch wirklich an nichts?“

,,Wenig.“ Die Frage beunruhigte Janis auf eine Art, die er nicht ganz festmachen konnte. Verdammt, er konnte eigentlich nichts wirklich herleiten. Er wusste wie er hieß und einige allgemeine Dinge, die ihm kaum etwas verrieten. Damit erschöpfte sich  sein gesamtes Wissen auch schon. ,, Was ist passiert ? Wie komme ich hierher?“

Träumer sah einen Moment wie um Hilfe bittend zu seinem Herrn, der einen Moment schwieg. Als er das nächste Mal sprach, klang seine Stimme mitleidig. ,, Ihr seid im roten Tal. Der größten Zuflucht für die Anhänger des Herrn der Ordnung. Ich und Träumer haben euch in den Überresten eines Dorfes nicht unweit von hier gefunden, das sich zu unserem Gott bekannt hatte. Leider kamen wir zu spät um sonst noch jemanden zu retten. Der Kaiser kennt keine Gnade.“

,, Der Kaiser…“ Immerhin, damit konnte er noch etwas anfangen. ,, Der Kaiser Cantons verfolgt euch ? Besser uns ?“

,, Ich vermute, er hält sich längst selbst für einen Gott.“ Der fremde lächelte bei diesen Worten, als würd eihn schon alleine der Gedanke absurd erscheinen. ,, Und er wird schwer einen anderen neben sich dulden. Aber wahrer Glaube lässt sich nicht ewig mit Tyrannei ersticken. Unser Herr hat uns zu den Waffen gerufen… Was uns zu dir geführt hat.“

,, Wer seid ihr ?“

,,Meine Anhänger nennen mich den roten Heiligen. Ich bin der Erwählte des Herrn der Ordnung. Des einen wahren Gottes dieser Welt. Mein Gott hat den Ruf seines Volkes gehört. Und es wir deine Aufgabe sein, Canton in sein Licht zu führen. Doch für den Moment spielt das für euch keine Rolle, glaube ich.“

Mit diesen Worten verschwand der rote Heilige erneut und Janis wurde einen Moment geblendet, als er den kleinen Raum mit großen Schritten durchmaß und die Tür öffnete.

,, Ich sollte ihm besser folgen.“ , meinte Träumer nachdenklich. ,, Ihr erholt euch in der Zwischenzeit. Lasst euch Zeit, ihr seid vielleicht nicht in Lebensgefahr aber… Es gibt andere Dinge, die euch gefährlich werden können.“

Bevor Janis ihn fragen konnte, was er damit meinte, war auch Träumer bereits aufgestanden und verschwand zur Tür hinaus. Einen Moment blieb er nur regungslos auf dem Bett sitzen. Egal wie sehr er es versuchte, er konnte sich nicht an das geringste erinnern. Selbst die vereinzelten Schemen, das Gefühl, mehr wissen zu müssen hatte sich aufgelöst und ließ ihn lediglich verwirrt und unsicher zurück. Er stand auf und war überrascht, dass ihn seine Beine kaum trugen. Eines stimmte. Er hatte wohl wirklich einiges an Blut verloren und fühlte sich nach wie vor furchtbar. Einen Moment musste Janis sich an dem einfachen Tisch abstützen, der neben dem Bett das einzige wirkliche Möbelstück in der Hütte war.

Während er halb vornübergebeugt so dastand und darauf wartete, dass das Schwindelgefühl verschwand, versuchte er erneut, irgendeine Erinnerung zu finden. Irgendetwas, das ihm sagen könnte, wer er eigentlich war und über das was seine Retter ihm erzählt hatten hinausging. Als er schon aufgeben wollte, spürte er, wie irgendetwas aus seiner Manteltasche glitt und mit einem metallischen Klingen auf dem Holz des Tischs aufkam.

Was immer es war, es war nicht besonders groß. Vorsichtig hob er es auf und hätte sich fast an dem dünnen Metallstift gestochen, der daraus hervorragte. Es war eine Art Anhänger oder eine Brosche. Janis hangelte sich den Tisch entlang und ließ sich auf den Schemel davor sinken, während er seinen Fund ins Licht hielt. Es war tatsächlich eine Spange. In Gold und Silber waren darauf das Symbol eines Löwen und eines Adlers zu sehen und selbst mit seinem zerstörten Gedächtnis erkannte er die Wappentiere des Kaiserreichs natürlich. Doch wie kam das in seinen Besitz?

Janis strich über die eingeprägten Figuren, meinte sogar das Fell des Löwen und die federn des Raubvogels unter seinen Fingerkuppen zu spüren. Das war kein simpler Anhänger, dachte er. Dazu war es zu wertvoll. Eher etwas, das man einem Ranghohen Offizier oder Agenten mitgeben würde, damit er sich im Zweifelsfall ausweisen konnte. Das half ihm allerdings nicht dabei weiter, ehrauszufinden, wie er da heran gekommen war.

Vielleicht aus dem Dorf ? Wenn stimmte was der rote Heilige sagte, dann hatten die Truppen des Kaisers seine Heimat verehrt. Und nicht einmal daran konnte er sich erinnern. Aber warum sollte er es dann an sich nehmen? Er würde ganz sicher nichts brauchen, das ihn an die Männer erinnerte, die ihm alles genommen hatten. Oder hatte er gewusst,  das er alles vergessen würde? Götter, eine frage führte zur nächsten und keine der möglichen Antworten gefiel ihm besonders gut.

Einen Moment überlegte er tatsächlich, die Brosche einfach wegzuwerfen. Doch etwas regte sich im hintersten Winkel seines Verstandes.  Er konnte es schlicht nicht. Er hätte sich schlecht dabei Gefühlt. Miserabler noch, als ihm beim Anblick des Wappens ohnehin zu Mute war. Doch war es nicht Wut oder Verzweiflung, die ihn dabei befiel. Es war das Gefühl von Schuld. Als wüsste etwas in ihm noch, das ihn mehr mit diesem Zeichen Verband. Eine Wiedergutmachung, die noch zu leisten war, etwas, das er zu tun hatte… Doch wussten die Götter was das war.

Kaum weiser als zuvor, steckte er die Brosche wieder ein und wankt ebenfalls, so gut es eben ging, zur Tür. Das Sonnenlicht würde ihm guttun, dachte er. Er wusste nicht, wie lange er Bewusstlos gewesen war, doch Janis sehnte sich danach, aus den Schatten heraus zu kommen. Vielleicht würde alleine das schon helfen, die Dinge in einem etwas anderen Licht zu betrachten. Und solange ihn seine Erinnerung im Stich ließ, blieb ihm sowieso kaum etwas anderes übrig.

Als er schließlich zur Tür heraus stolperte, musste er einen Moment den Atem anhalten. Die Hütte stand auf einem kleinen Hügel und so konnte er fast das gesamte Tal überblicken. Die Morgensonne brachte die roten Felsen und die Klippen in allen Schattierungen von Gold, Rot und Ocker zum Leuchten und zeichnete scharfe Schatten, die ins Tal hereinfielen und alles wie ein gewaltiges Kaleidoskop wirken ließen. In der Ferne schimmerten die Ruinen einer toten Stadt und das blaue Waser eines breiten Flusses. Und direkt vor ihm erstreckte sich eine Mondlandschaft, durch die hunderte, wenn nicht tausende von Arbeitern wuselten.

Janis stand direkt am Rand der Baugrube und sah zu dem gewaltigen Bau im Zentrum des Troubles. Noch war das Gebäude weit von seiner Vollendung entfernt, doch gaben bereits die ersten Grundrisse einen Eindruck von der Pracht und der Größe, die hier einst zu bewundern sein würde.

Schwarze, grüne und rote Granitblöcke wurden von einem ganzen Heer an Steinmetzen in Form gebracht und das singen der Hämmer war vermutlich noch auf der anderen Seite des Tals zu hören. Die ersten Ebenen des Baus waren bereits höher als so manches Haus, die Wände zu einem Achteck angeordnet.  Am Ausläufer jeder Ecke hatte man bereits damit begonnen hohe Säulen zu errichten, die , je höher sie wurden, immer mehr in einen Bogen übergingen, der wohl einst mit der Außenwand des Bauwerks abschließen würde. Aus der Ferne und vor den massiven Blöcken, aus denen die Wände bestanden,  mochten sie filigran und zerbrechlich wirken , doch jeder einzelne war so stark wie ein Baum. An anderem ort hatte man die Mauern bereits höher gezogen und Janis konnte den Ansatz eines Kuppeldachs erkennen, das am Ende wohl den gesamten Komplex überspannen würde. Weitere Säulen, die man entlang einer  aus Erde aufgeschichteten Rampe  aufgestellt hatte, markierten bereits den Eingang des Gebäudes. Noch war es nicht mehr als eine Lücke in der Mauer, die langsam Gestalt annahm. Trotzdem war der Aufgang bereits jetzt beeindruckend. Über die Rampe hätte man hunderte Menschen gleichzeitig führen können, ohne dass sie sich in die Quere kämen und das entstehende Tor selbst wäre breit genug um eine kaiserliche Galeone hindurch zu bringen. Mitsamt Masten.  Eines Tages würde das Bauwerk es mit jedem Palast eines Königs aufnehmen können, dachte Janis. Auch wenn es nicht wie ein Palast wirkte. So grob alles wirkte, es war von einer Brutalen Schönheit, auf seine ganz eigene Art Ehrfurchtgebietend und beunruhigend zugleich…

Seine beiden Retter standen am Rand der Baugrube und unterhielten sich gedämpft, bis sie hörten, wie er sich näherte und das entstehende Monument bewunderte.

,, Bald wird das hier das Zentrale Heiligtum des Herrn der Ordnung werden.“ , erklärte der rote Heilige sichtlich stolz. ,, Hier hat sich unser Herr zum ersten Mal seinen Anhängern gezeigt. Und hier  wird er erneut auferstehen und unter uns Wandel,  wenn die Zeit gekommen ist. Ein paar Monate noch und der Bau ist vollendet. Und dann… fehlt nur noch eines.“

Janis fragte nicht, was er damit meinte,  bezweifelte er doch, eine Antwort darauf zu bekommen. Und auch Träumer schwieg sich trotz seines fragenden Blickes über die Pläne seines Meisters aus.

 

Kapitel 3 Das Lager

 

 

 

 

Im flackernden Schein des Feuers saß eine bunte Truppe zusammen. Männer des Kaisers und Flüchtige Bürger saßen neben Magiern aus Maras und den überlebenden Paladinen Helikes. Die Männer in ihren purpurroten Mäntel hätten einmal beide Seiten mit Schrecken erfüllt, nun jedoch saßen sie alle schwermütig und schweigend um die Flammen herum. Es war so still, sie hätte auch alleine dasitzen können, dachte Relina  betrübt. Irgendwo klimperte Metall im Wind und einige Kleider flatterten an den zwischen den Zelten aufgespannten Leinen. Ansonsten jedoch tat sich nichts.

Die Nächte waren bereits merklich Kälter geworden. Der Herbst näherte sich seinem Ende und der erste Schnee wäre wohl nicht mehr weit. Doch noch hielt sie das nicht davon ab, sie draußen vor den Zelten zu versammeln. An den lodernden feuern, die sie entfachten war es nach wie vor Warm genug und unter den schweren Stoffplanen war es zu eng und zu stickig um sich länger freiwillig dort aufzuhalten. Und niemand wollte in diesem Zeiten unbedingt mit seinen Gedanken alleine sein, dachte Relina, während sie dabei zusah, wie erneut jemand einen Stapel Holzscheite in die Flammen war und diese Knisternd Feuer fingen. Immerhin daran mangelte es ihnen bestimmt nicht. Die Wälder waren nicht fern und trotz des näher rückenden Winters waren größere Regenschauer bisher ausgeblieben. Somit brauchten sie das Holz nur vom Boden aufzuklauben oder einige der dünneren Bäume zu Fällen. Auch in den Wäldern war das Ende des Sommers bereits deutlich zu spüren. Die einzigen Bäume, die noch grün trugen, waren die vereinzelten Fichten und Tannen, alle anderen Blätter schimmerten bereits in allen Schattierungen von  Rot, Gold und braun.

Immerhin würde der Winter vielleicht Frieden bringen, dachte Relina. Es war riskant, bei Kälte und Schnee Truppen zu bewegen. Andererseits hatte der rote Heilige bereits auf Maras bewiesen, wie wenig ihm das Leben seiner Anhänger bedeutete.

Es war wohl wirklich nur eine schwache Hoffnung. Und doch was war ihnen außer der Hoffnung schon noch geblieben? Und selbst diese Schwand täglich mehr. Relina hörte es aus den Gesprächen heraus, aus den geflüsterten Gerüchten.

Die überlebendenden Paladine und Krieger Helikes standen mutlos um die großen Zelte und Feuer herum, die man um die ganze fliegende Stadt herum errichtet hatte. Die schweren Planen aus braunem Stoff boten zumindest vor der Witterung Schutz, aber schön war es nicht, dachte Relina. Oder bequem. Und wenn erst der Schnee kam würde auch die Kälte endgültig zum Problem werden. Mit dem stetigen Zustrom gab es schon jetzt kaum genug Platz für alle, so dass sie bereits begonnen hatten, das innere der einzelnen Zelte mit Vorhängen und Teppichen abzutrennen um wenigstens etwas Privatsphäre zu schaffen. Nur damit sie dann doch alle draußen Zuflucht suchten.

Der große Schatten der fliegenden Stadt über ihnen bewegte sich nur kaum merklich. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten hatte man die Stadt auf ihrer ewigen Wanderschaft so weit gebremst, das sie beinahe still zu stehen schien. Wenn es noch ein Zeichen dafür gebraucht hätte, dass etwas nicht stimmte, war es das wohl.

Von den weiter entfernten Feuern wehte Essensduft herüber. Immerhin hatten sie noch genug Vorräte um wohl bis zum Frühjahr durchzuhalten, wenn es nötig wurde. Die Schakalin  versuchte dankbar dafür zu sein, es gelang ihr jedoch nicht wirklich. Die fliegende Stadt verfügte über gewaltige Vorräte und Speicher, schon alleine um die Garde im Fall einer Belagerung versorgen zu können. Und es war seit jeher kein Problem gewesen, die Stadt auf ihrem ewigen Weg aus dem Umland zu versorgen. Zumindest das hatte sich nun geändert. Es war eine Sache, wenn die fliegenden Inseln jeden Tag ein gutes Stück weg gut machten und sich die Last damit auf dutzende wen nicht hunderte von Bauern verteilte. Nun jedoch wo sie stillstand war sie praktisch abgeschnitten. Sie würden vielleicht nicht verhungern, doch das Schwert mochte immer noch auf sie warten.

Und es waren nicht nur ihre eigenen Leute, die sich hierher geflüchtet hatten. Auch aus Erindal und den gesamten östlichen Provinzen kamen Leute um bei ihrem Kaiser Schutz zu suchen. Und selbst aus Helike waren einige hundert eingetroffen… und brachten furchtbare Geschichten mit sich. Die Befreiung, die sich so viele erhofft hatten war nicht gekommen. Stattdessen hatte der rote Heilige die Stadt den dort zurück bleibenden Predigern und Geweihten  überantwortet. Und wo die Prediger wohl zumindest noch eine Herrschaft   nach dem Bild ihres Gottes errichtet hätten, hatten die Geweihten kaum etwas dafür übrig. Es hatte keinen Monat gedauert, bis selbst die Prediger sich ihnen beugten oder starben, von der Schreckensherrschaft, die sie für die normale Bevölkerung entfesselten ganz zu Schweigen. Selbst viele von jenen, die sich zuvor gegen ihre Archonten gestellt hatten, wendeten nun der Stadt dem Rücken, während immer klarer wurde, das die Pläne des roten Heiligen nicht vorsahen, schnell die erhoffte Ordnung zu schaffen. Sie waren enttäuscht worden oder flohen schlicht vor der Brutalität ihrer neuen Herrn…

Und sie waren genau so verzweifelt wie sie alle.

Vor einigen Wochen noch hätte es Relina kaum gekümmert, was aus Helike wurde. Und schon ganz sicher nicht, was aus seinen Soldaten wurde. Die Paladine hatten sie und ihre Leute Jahrelang gejagt und getötet. Doch nun… Auf Maras hatten sie unter Wys ihr Leben für sie riskiert ohne zu zögern. Hatten Seite an Seite mit ihnen gekämpft um jene zu retten, die sie Jahre zuvor noch verdammen wollten. Wie sehr sich die Dinge doch ändern konnten. Vielleicht musste auch sie lernen über ihren Schatten zu springen. Was auch immer geschehen mochte, sie teilten jetzt das gleiche Schicksal…

Immerhin trugen die Paladine dazu bei, die Ordnung im Lager aufrecht zu erhalten. Mit so vielen Menschen und Gejarn auf engstem Raum  waren Schwierigkeiten kaum zu vermeiden, von Verbrechen ganz zu schweigen. Doch unter den starren Blicken der Männer aus dem Süden in ihren schweren Vollpanzern und den Lanzen und Schwertern blieb es erstaunlich ruhig.

Nun noch zumindest. Relina  wollte sich gar nicht vorstellen, was geschah, wenn der rote Heilige und seine Kultisten sie hier angriffen. Die fliegende Stadt selbst war uneinnehmbar.  Oder zumindest so gut wie. Doch wäre es schlicht unmöglich auch nur ein Viertel der Leute dort unterzubringen und das Lager selbst war mehr als nur angreifbar. Es gab praktisch keine Möglichkeit sich zu verteidigen.

Syle, Kellvians Hochgeneral hatte nur erklärt, das der rote Heilige schon dumm sein müsste, die fliegende Stadt direkt anzugreifen, Lager hin oder her. ,, Selbst die Kultisten sind dafür bei weitem nicht stark genug, das könnt ihr mir glauben. Seit mehr als zweihundert Jahren hat kein Feind mehr die fliegende Stadt betreten können und nie, seit die kaiserliche Garde sie beschützt. „

Ihr blieb wohl nur zu hoffen, dass der Bär Recht behalten würde. Und mehr konnte sie auch ihren Leuten nicht sagen, wenn sie sie Fragend ansehen. Ob sie ihren Posten im Rat aufgegeben hatte oder nicht für die meisten war sie nach wie vor die Herrin von Maras. Und sie erwarteten Antworten von ihr. Und doch was sollte sie ihnen sagen? Leider sah die Wahrheit tatsächlich düster aus und es hatte keinen Sinn darüber zu Lügen. Doch sie hatten schlimmeres durchgemacht, daran konnte sie sie zumindest erinnern. Während ihrer Verfolgung durch die Archonten und auch in den Jahren danach, in denen sie sich aus dem Nichts eine neue Heimat geschaffen hatten. Und auf Kellvian konnten sie sich wohl nach wie vor verlassen.

Relina lächelte unbewusst bei dem Gedanken, während sie erneut Holz nachlegte. Funken stoben auf und tanzten einen Moment durch die Nacht, bevor ein Windhauch sie in den engen Gassen und den gespannten Seilen zwischen den  Zelten verwehte.

Kellvian hatte sich weit von dem jungen, naiven Mann entfernt, den sie einst kennen gelernt hatte. Und den sie, wenn sie ehrlich war vielleicht auch manipuliert hatte. Nein nicht nur vielleicht. Sie hatte in ihrem Leben so einige Leute ausnutzen müssen. Angefangen von den Whaid.  Es war Kellvian gewesen, der Maras die Anerkennung durch das Kaierreich zusicherte. Das hatte alles überhaupt erst möglich gemacht. Und jetzt zwanzig Jahre später stand sie wieder vor dem Nichts. Maras lag in Trümmern. Wys war tot und Zyle… Wer wusste schon ob er noch am Leben war.  Vielleicht war das am Ende die Vergeltung für alles?

Bevor sie noch länger darüber nachsinnen konnte, setzte sich eine Gestalt neben sie. Naria wirkte kaum wenige erschöpft als sie. Aber immerhin war es Gesellschaft, dachte Relina. Nein, in diesen Zeiten wollte wirklich niemand mit seinen Gedanken zu lange alleine sein. Besorgt musterte sie ihre Tochter. Die junge Gejarn trug einen grauen Mantel, der ihr etwas zu groß war und ihre Gestalt damit zierlicher wirken ließ, als sie eigentlich war. Graues Fell und braune Haare lugten unter der Kapuze hervor, während sie mit einem Stab in den Flammen stocherte.

Wys hatte Relina nie viel bedeutet,. Am Ende hatte sie ihm vielleicht nicht mehr den Tod gewünscht, doch Trauer hatte sie für ihn nicht verspürt. Aber Naria… Irgendwie hatte sie sich mit ihrem Onkel angefreundet, in den Wochen, die sie vor dem Fall der Stadt in Helike verbracht hatte. Und es war nicht nur der Tod des Archonten, der ihr zu schaffen machte, nicht?

,,Egal wie schlecht es steht, manchmal muss man einfach hoffen.“ , meinte sie um zumindest etwas zu sagen. Ihr war klar, wie hohl diese Phrase klang. Sie glaubte sie ja selber nicht. Doch war sie genauso Ratlos, wie sie sonst beginnen sollte.

,, Das ist es nicht.“ Naria stieß ein glühendes Holzscheit mit dem Stock an, das nach unten Rutschte und einen kleinen Funkenschauer freisetzte.  Nein, dachte Relina. Das war es wirklich nicht.

Nach außen gab Naria sich noch immer so stoisch und gelassen wie stets. Und vielleicht konnte sie andere damit täuschen, aber nicht sie. Nicht ihre Mutter.

,, Kannst du mir von ihr erzählen ?“ Sie wusste nur zu gut, wie schwer es Naria fiel Schwäche zu zeigen. Oder sie sich auch nur einzugestehen. Aber sie konnten nicht so weitermachen.

,,Wem ?“ Naria sah kaum von den Flammen auf, doch zumindest huschte der Anflug eines Lächelns über ihre Lippen. Wie lange war es her, dass sie sich einmal in Ruhe hatten unterhalten können? Monate, dachte Relina . Zuerst hatte sie sich in Canton Galren und den anderen angeschlossen und war Wochenlang auf See verschollen und als sie zurückgekehrt war, kam auch schon Wys um sie um Hilfe zu bitten. Vom allen, was seit dem geschehen war ganz zu schweigen.

,, Ihr Name war Sine ? Du hast sie geliebt, nicht?“

Einen Moment verschwand der stoische Ausdruck von Narias Gesicht. Was darunter zum Vorschein kam, schien so viel von Relina selbst widerzuspiegeln und noch mehr. Sie konnte ihr den Schmerz ansehen, die Trauer, alles was sie sonst so sorgfältig vor allen verbarg…. Noch bevor sie jedoch dazu zukam, zu antworten wurde es am Feuer plötzlich unruhig. Hatten eben noch alle regungslos und still am Feuer gesessen, so drehten sich jetzt alle Köpfe in Richtung einer der größeren Gassen, die zwischen den Zelten hindurch führte. Am anderen Ende konnte man normalerweise einen Blick auf die Hügel und Wälder um das Lager herum erhaschen. Nun jedoch stand dort eine einzelne Gestalt, die langsam ins Licht trat.

Ihr Herz schien einen Moment aussetzen zu wollen, als sie ihn sah. Er war abgemagert, kaum mehr Haut und Knochen, seine Kleidung abgetragen und mit Blut und Dreck verschmiert. Und doch gab es für sie keinen Moment einen Hauch des Zweifels. Zyle dachte sie und stand ebenfalls auf.

Die Paladine, die bereits die Schwerter gezogen hatten, ließen die Waffen wieder sinken, als sie ebenfalls erkannten, wer zu ihnen zurück gefunden hatte.

,, Ich wusste einfach, das du nicht tot bist.“ Relina flüsterte die Worte nur, zu mehr war sie nicht in der Lage. Zyle lebte…

Und doch war es nicht der Name, den sie aus den Kehlen der überleb denen Kämpfer und Paladine Helikes hörte. Und dieser ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren, weil es so absolut unmöglich schien.

,, Wys !“  Die Soldaten erhoben sich einer nach dem anderen, brachen in ihre eigene Form von Jubel aus. Stahl klirrte, als ein Dutzend Schwerter gen Himmel gerissen wurden, Schilde auf Stahl trafen. Ein donnerndes Getöse, das ihren Ruf begleitete, der Bald im ganzen Lager zu hören war. ,, Der Archont lebt ! Der Archont lebt!“

 

Kapitel 4 Der Archont lebt

 

 

 

 

Geister, sie hielten ihn tatsächlich für Wys. Naria wusste nicht, ob sie über diese Vorstellung erschreckt sein oder Lachen sollte. Immer noch kamen weitere Paladine aus den Zeltgassen herbeigeeilt. Das ganze Lager, in dem zuvor noch trostloses Schweigen geherrscht hatte schien von einem Moment auf den anderen in Unordnung geraten zu sein. Alles drängte ans Feuer, an dem Zyle eben ins Licht getreten war. Alles schien genau in seine Richtung zu starren. Und doch gab es keinen, der den Fehler zu erkennen schien. Oder vielleicht erkennen wollte…

Relina selber hätte nie geglaubt, dass es sich bei dem Neuankömmling um Wys handeln könnte. Und auch jetzt konnte sie schlicht nicht verstehen, wie sie darauf kamen. Die beiden Brüder, Wys und Zyle,  waren sich wirklich unglaublich ähnlich gewesen. Aber jeder, der einen der Beiden besser kannte musste doch die feinen Unterschiede sehen, die ihr sofort ins Auge sprangen.  Oder vielleicht kannte sie Zyle nach all den Jahren einfach so gut wie sonst niemand? Sie jedenfalls durchschaute sofort, das es nicht Wys sein konnte.

Zyle war ein unmerkliches Stück kleiner als sein Bruder und generell schlanker gebaut .Das Haar, das ohnehin bei beidem langsam in grau überging war noch dunkler, während das Fell heller war, fast wie bei Naria. Und dann waren da die vielen anderen Kleinigkeiten, die vielleicht wirklich nur sie bemerken würde. Die kaum sichtbaren Sandfarbenen Flecken in seinem Gesicht, der Gang der sich von den hektischen, großen Schritten seines Bruders unterschied, die Augen, die so viel sanfter wirkten, nicht ruhelos und getrieben…

Und doch viel es niemanden auf. Vielleicht weil selbst sie Zyle im ersten Augenblick kaum wiedererkannt hatte, so mitgenommen wie er aussah. Doch jetzt im Licht der Feuer… Nein,  da hatte sie keine Zweifel mehr. Und dabei hatte sie die Hoffnung schon aufgegeben, auch nur einen der beiden je wiederzusehen und dann Zyle…

Am liebsten wäre sie sofort zu ihm gerannt, doch die immer noch herbeiströmenden Paladine verstellten ihr längst den Weg und sich an den Hünen in Stoff und Stahl vorbei Zudrängen wäre eine Herausforderung für sich. Zumindest ohne Magie. Den einen Moment konnte sie ihnen wohl gönnen, bevor Zyle den Irrtum aufklärte, dachte sie. Auch sie hatten alles verloren. Die Krieger Helikes waren allesamt stolze Männer und durch Laos Gesetz gab es viele von ihnen. Doch an dem Tag, an dem man ihnen die Heimat nahm, war dieser Jahrtausendealte Stolz scheinbar zerbrochen, wie Glas. Und als man ihnen dann noch ihren letzten Archonten nahm…

Relina hatte den Großteil ihres Lebens unter ihnen verbracht, war in Helike aufgewachsen. Und auch wenn sie es ungern zugab, sie verstand den Schmerz dieser Männer. Aus ihrer Sicht hatten sie vollkommen und vollständig versagt. Etwas, das schlicht unvorstellbar war, nicht zu entschuldigen.

Nun jedoch wo sie plötzlich zumindest ihren Archointne zurückgewonnen glaubten, kannte ihre Begeisterung kein Halten mehr. Relina war sich nicht sicher, schon einmal gesehen zu haben, wie so schnell aus einer demoralisierten Truppe aufrecht stehende Männer wurden. Immer wieder skandierten sie Wys Namen, ließen den totgeglaubten Archonten hochleben…

So wie sie nie auf die Idee gekommen war, dass es sich bei dem Neuankömmling um Wys handeln könnte, so schienen sie schlicht nicht mit Zyle zu rechnen. Sie sahen was sie sehen wollten und die Brüder waren einander ähnlich genug dazu. Und die Paladine klammerten sich an diesen Strohhalm, den man ihnen gereicht hatte…

Relina verstand nur zu gut was vor sich ging. Aber warum wiedersprach Zyle dem ganzen nicht endlich? je länger es dauerte, desto größer würde hinterher ihre Enttäuschung sein. Besonders, wenn sich ihr Archont als dessen genaues Gegenstück herausstellte. Der Mann, der sich gegen Helike gewendet hatte… Es würde einige geben, die sich noch daran erinnerten. Und mehr, die es noch nicht verziehen hatten.

Immer noch tauchten beständig weitere rote Umhänge im Schein des Feuers auf und auch weitere Schaulustige, geflohene Einwohner Helikes, gewöhnliche Soldaten… Die Nachricht verbreitete sich offenbar wie ein Lauffeuer zwischen den Zelten.

Endlich schließlich trat Zyle vor, zuerst mit zögerlichen Schritten, dann jedoch sicherer. Auch der Blick, den er in die Runde warf war zuerst alles andere als erbaulich. Gequält schien er jeden einzelnen Paladin in Sichtweite zu mustern, bevor er schließlich die Hand hob und Ruhe bedeutete. Diesmal mit entschlossener Mine. Die Entscheidung war gefallen. Einen Moment konnte Relina nur zu gut mit ihm fühlen und ihr Herz flog ihm zu.  Es war kaum leicht, ihre Hoffnung derart enttäuschen zu müssen.

Es dauerte eine ganze Weile bis schließlich Ruhe einkehrte. Noch immer riefen vereinzelt Leute Wys Namen, während weitere nach vorne drängten und einen Kreis um Zyle bildeten. Dieser stand mittlerweile direkt vor dem Feuer, sah immer wieder in die Runde, bevor er schließlich tief Luft holte. Einen Moment traf sich sein Blick mit dem ihren.

,, Ich bin zu euch zurückgekehrt.“ Relina konnte nur ungläubig dastehen, während erneut Jubel ausbrach und sich die Stimmen überschlugen. Erneut krachten Schwerter auf Schilde, wurden Hochrufe laut. Der Rest von Zyles Ansprache ging im Lärm unter.

Wenn sich jetzt jemand zu ihr umgedreht hätte, hätte er sich vermutlich schleunigst beeilte, außer Reichweite zu kommen. Das war doch ein schlechter Scherz…

Relina stieß den erstbesten Paladin aus dem Weg, während sie energisch auf Zyle zutrat und ihn am Handgelenk packte.

,, Verzeiht, aber ich fürchte ich habe einiges mit eurem Archonten zu besprechen.“ , brummte sie. Sich wütend zu stellen, damit nicht auffiel, das sie seltsam vertraut mit einem Mann umging, den sie eigentlich nicht leiden konnte, fiel ihr grade nicht schwer.

Ein paar Paladine wollten sich ihr in den Weg stellen, während sie Zyle mit sich zog, doch dieser bedeutete ihnen lediglich, dass alles gut war. Wenn man das so nennen konnte, dachte sie.

Mittlerweile hatten sie endgültig die Aufmerksamkeit des ganzen Lagers und selbst Naria sah ihnen kopfschüttelnd nach. Aber immerhin grinste sie wieder, dachte Relina und einen Moment war sie sogar bereit, ihre Wut hinter sich zu lassen. Dann jedoch stieß sie auch schon die Eingangsplane des erstbesten Zelts beiseite und trat ins Halbdunkel. Immerhin waren sie hier drinnen alleine, dachte Relina, während sie ur Vorsichtig noch unter einigen schweren Vorhängen durchtauchte, bis sie die Zeltmitte erreichten. Einige schwere Holzbalken stützten hier den Stoff über ihren Köpfen und die Teppiche und Vorhänge dämpften die Geräusche von draußen. Erst jetzt wagte Relina  es zu sprechen.

,, Hast du den Verstand verloren ?“ , zischte sie. Auch wenn sie glaubte, den Grund bereits zu gut zu kennen. Sie hatte es in den Augen der Männer gesehen. Und hatte trotzdem nicht vorhergesehen, was geschehen würde…

Zyle wiederum sah sie nur an, als verstünde er nicht was sie meinte. Und einen kurzen, furchtbaren Moment lang, war sie tatsächlich überzeugt, einen Fehler gemacht zu haben. Das es tatsächlich so unmöglich es schien, Wys war, der hier vor ihr stand. Und dann seufzte er und wich ihrem Blick aus.

,, Ich weiß was ich tue, Relina.“ Es klang wie eine Entschuldigung. Und doch würde er seine Meinung ändern? Sie befürchtete auch die Antwort darauf bereits zu kennen.

,, Das bezweifle ich grade leider…“

Zyle nickte lediglich traurig. ,, Ich hätte wohl nicht darauf hoffen dürfen, auch dich täuschen zu können. Es hätte alles einfacher gemacht…“

Er machte nicht einmal den Versuch, sich wegzudrehen, als sie ausholte. Er hätte sie im unklaren gelassen, dachte Relina. Er hätte sie wirklich Rätseln lassen, wenn sie nicht selber darauf gekommen wäre,  wer er war… Das tat allerdings weh.

Und nicht nur ihr… In Zyles Augen fand sich keine Angst, er schämte sich auch nicht für das, was er zu tun bereit war.  Aber er hatte gewusst, was geschehen würde, falls sie die Wahrheit erfuhr, gewusst, was er ihr antun würde… Und trotzdem tat er es, weil er es für das richtige hielt. Hatte sie nicht selber oft genug das gleiche getan? Langsam ließ sie die Hand wieder sinken.

,,Warum ?“ Es war die eine Frage, auf die alles hinauslief. Warum log er Wys Männer an? Warum wollte er unbedingt die Rolle seines Bruders übernehmen?

,, Ich bin die einzige Hoffnung, die sie haben, Relina. Auch wenn es eine Falsche ist. Sie sind nach wie vor mein Volk… Und sie brauchen jetzt Wys, nicht mich. Sie brauchen ihren Archonten…“
,, Du kannst sie nicht ewig so anlügen.“ , erklärte sie und legte ihm eine Hand auf die Brust. ,, Und…“ Und was ist mit mir? , hätte sie beinahe gefragt.

,, Sie brauchen ihren Archonten und das mehr als du mich je brauchen wirst, Relina. Du bist immer schon alleine klar gekommen.“

Früher vielleicht ja… Sie sah ihm in die Augen und wusste bereits, das es zwecklos wäre, ihn umstimmen zu wollen. Und hatte er nicht Recht. Trotzdem wünschte sie, es gäbe eine andere Lösung, eine Alternative, irgendetwas…

Zyle schien ihre Gedanken zu erraten. ,, Was soll ich sonst tun, Relina, sag es mir ?“ Seine Stimme verriet, dass er gerne einen Ausweg von ihr gewusst hätte.  Und doch wusste er schon, dass er keinen bekommen würde. ,, Soll ich ihre Hoffnung wieder zerschlagen, ihnen endgültig den letzten Rest Mut nehmen ?“

Relina wünschte sie könnte ihm wiedersprechen. Aber wer  wäre sie, ihm deswegen noch einen Vorwurf zu machen? Sie hatte selbst oft genug getan, was sie für richtig hielt. Egal, was für Konsequenzen das hatte oder wer darunter litt. Damit hatten sie beide Erfahrungen…

,, Und doch kannst du sie nicht ewig anlügen…“

,, Ich weiß.“ Es war ihm nur allzu klar, das konnte sie ihm ansehen.  Er fühlte sich nicht besser dabei als sie, aber was sollte er sonst tun? Sie wieder in Verzweiflung versinken lassen… das war schlicht kein Ausweg.

,, Und was willst du dann tun ?“ Irgendwann würde die Wahrheit ans Licht kommen müssen. Spätestens wenn, falls, das hier alles vorbei war. Er konnte nicht ein Leben als Schatten seines Bruders führen. Nicht für immer.

,, Ich weiß es nicht.“ Er war näher getreten. Einen Augenblick standen sie sich kaum eine Handbreit voneinander entfernt im Halbdunkeln gegenüber. Relina konnte die Verzweiflung und die Ratlosigkeit in seinem Gesicht sehen und doch war da noch etwas anderes…. Er küsste sie.

,, Ich dachte manchmal ich sehe die nie mehr wieder….“ , hauchte er. ,, Ich dachte ich würde einfach in der Dunkelheit Wahnsinnig werden, ich dachte… Selbst als ich entkommen bin wusste ich nicht was aus euch oder Maras geworden ist. Der Gedanke das du und Naria Tod sein könntet...

All die angestaute Angst, die Verzweiflung, die Schmerzen schienen sich in diesem einen kurzen Moment Bahn zu brechen.  Relina brachte ihm zum Schweigen, als sie ihn erneut küsste. Sie liebte ihn. Und er sie.  Immerhin daran hatte sich nichts geändert. Und dieser Augenblick gehörte noch ihnen. Seine Hände wanderten wie von selbst unter ihr Kleid und sie half ihm, es ihr über den Kopf zu ziehen. Ihre Finger fuhren über seinen Rücken und zu ihrem eigenen kurzen entsetzten konnte sie jeden Knochen einzeln spüren. Erst jetzt offenbarte sich ihr, wie geschwächt und abgemagert er eigentlich war…

Das Kleid landete auf dem Boden, den Umhang hatte sie schon abgelegt, als sie das Zelt betreten hatten. Ihre Lippen fanden sich erneut und sie öffnete den Mund leicht, gab ein ersticktes Stöhnen von sich. Für den Moment erstickte Zyle alle Fragen, die sie noch gehabt hätte. Und sie gab sich geschlagen.  Sie würde sich angewöhnen müssen, in Zukunft die kühle Distanz ihm gegenüber zu wahren, so wie man es von ihr Wys gegenüber erwarten würde. Aber nicht jetzt… Ganz sicher nicht jetzt…

Ihre Hände nestelten am Gürtel seiner Hose herum, während sie zurückstolperten, praktisch gegen den Balken fielen, der das Dach über ihnen trug. Einen Moment schwankte die Stütze bedrohlich und sie hielten beide inne und wartete darauf, dass das Zelt zusammenfiel. Relina konnte ein nervöses, atemloses Kichern  nicht unterdrücken. Das hätte ihre Pläne so ziemlich sofort zu Nichte gemacht… Und auch Zyle grinste einen Moment, bevor er sich wieder ganz ihr zuwandte…

Erneut stöhnte sie leise auf, als er sich gegen sie drängte, seine Hände fanden ihre Brüste, liebkosten sie. Relina konnte sein Glied auf ihrem Bauch spüren. Erneut stöhnte sie leise auf und erinnerte sich grade im letzten Moment noch daran, das sie leise sein musste. Wenn sie ihn nicht verraten wollte… Und doch das konnte sie ihm nicht antun. Geister, selbst jetzt schmiedest du noch Ränke? Es war einer ihrer letzten Zusammenhängenden Gedanken. Ihre Hände wanderten hinab zu seinem Penis, ihre Finger schlossen sich darum… Nach wie vor lehnten sie am Balken.

,, Heb mich hoch.“ , flüsterte sie . Wortlos griff Zyle ihre Taille und hob sie ein Stück an. Ihre Beine schlangen sich um ihn, während ihre Hände sein Glied führten. Sie hob die Hüfte, lies ihn endlich in sie eindringen….

Kaum einen Moment später war er auch schon in ihr und das war gut so. Relina  musste sich ohnehin bemühen, das ihr kein Ton über die Lippen kam und das brennende Verlangen, das längst in ihr tobte, machte das zunehmend schwerer. Ein ersticktes Stöhnen entkam ihr, als er begann sich in ihr zu bewegen, schnell und hart in sie stieß. Viel Zeit hatten sie nicht, das wussten sie beide und so hielt sich auch keiner von ihnen zurück. Gemeinsam sanken sie zu Boden, als Zyles Beine sie nicht mehr tragen wollten. Und immer noch stieß er schneller in sie, während sie sich seinem Rhythmus anpasste. Ihr aufgeheizter Körper wusste schon, was gleich folgen würde. Zyles Stöße wurden zu einem wilden Stakkato und sie selber konnte kaum ehr tun als mitzugehen und das Gesicht an seiner Schulter zu vergraben um nicht laut loszuschreien. Ihr eigener Höhepunkt riss Zyle mit und grade, als sie glaubte es nicht mehr länger ertragen zu können, spürte sie, wie er sich in sie ergoss.

Er blieb noch einen Moment länger in ihr und sie genoss das Gefühl, ihm endlich wieder so nahe zu sein. Blieb nur die Frage, wie lange.  Relina zitterte, als er schließlich aus ihr glitt. Ein Seufzten entkam ihr, während sie immer noch umschlungen zusammen sanken. Gedankenverloren strich sie ihm durch die Haare, drückte seinen Kopf an ihre schweißbedeckte Brust, als ihre Körper langsam abkühlten. Zyle war wieder hier, das war alles, was für sie im Augenblick zählte. Der Rest… sie versuchte optimistisch zu bleiben, doch bei dem Gedanken, an das was vor ihnen liegen mochte, verblasste dieser Vorsatz schnell.  Sie würden ab jetzt  sehr vorsichtig sein müssen. Alle beide.

Kapitel 5 Träume

 

 

 

Er wusste dass er träumte, nicht zuletzt weil er diesen Traum kannte. Er hatte ihn in letzter Zeit so oft gehabt, trotzdem hatte er kaum an Schrecken für ihn verloren. Ab und an mochte die Vision ihre Gestalt ändern, ihn mit neuen Orten, neuen Eindrücken locken… doch im Kern blieb sie immer dieselbe. Und auch die Erkenntnis, dass es sich um einen Traum handelte, trug kaum dazu bei, das er sich ruhiger fühlte. Im Gegenteil. Wenigstens seine Träume sollten doch ihm gehören.

Vorsichtig sah er sich um und fragte sich, was ihn diesmal erwarten mochte. Um ihn herum erstreckte sich nur Finsternis, soweit er sehen konnte. Dennoch wusste er instinktiv, das er sich nicht im freien Befand. Es gab keinen Lufthauch hier, nicht einmal einen Geruch, den er hätte definieren können. Wie in einer Gruft fast. Die absolute Leere um ihn herum war der einzige Eindruck, den er klar definieren konnte. Er musste sich in einer gewaltigen Kammer befinden, vielleicht auch in einer Höhle. Und doch war es keine Höhle. Dafür war der Boden unter seinen Füßen zu glatt. Normalerweise hätte jeder Schritt unter diesen Bedingungen ein nachhallendes Echo erzeugt, doch er war nur ein Geist an diesem Ort. Ein vorübergehender Besucher, den man her gezwungen hatte

Von draußen oder vielleicht auch aus einem anderen Teil des Gebäudes drang das Echo von Hammerschlägen und fernen Stimmen herein. Die Wände, die für ihn nach wie vor im Dunkeln verborgen lagen, warfen die Klänge zurück, verzehrten sie…

Ansonsten kam er sich in der weiten Halle so verloren vor wie in dunkelster Nacht auf freiem Feld. Und obwohl er es besser wusste, ging er weiter, suchte nach Licht, nach einem Funken vielleicht nur und folgte dem grauen Schimmer, der sich langsam in der Ferne aufzubauen schien. Über sich konnte Galren zum ersten Mal etwas ausmachen, während er weiter in den Raum hinein trat. Ein großes Kuppeldach, das sich so hoch über ihm erstreckte, dass sich ein Vogel hier wohlfühlen mochte. Im Zentrum der Konstruktion klaffte ein kreisrundes Loch, durch das ein einzelner Strahl Sonnenlicht herein fiel. Ansonsten gab es keine weiteren Lichtquellen. Wo die Strahlen den Boden erreichten, brachten sie die glatten Fliesen in Schattierungen von rot und schwarz zum schimmern. Und dort saß er. Genau im Zentrum des Lichtkegels.

Galren hatte es gewusst, seit er wusste, dass der Traum zurück war. Und trotzdem war er weitergegangen, ging immer noch auf das Licht zu nur um wenigstens nicht in der Finsternis gefallen zu sein. Doch als die Gestalt den Blick hob wusste er nicht mehr, ob die Dunkelheit nicht die gnädigere Alternative gewesen wäre. Der Blick des roten Heiligen traf ihn, zwei Augen, die mehr an brennende Kohlen erinnerten und ihn fixierten. Er sagte kein Wort, während Galren näher trat, sondern erhob sich nur langsam, ohne auch nur einmal den Blick abzuwenden. Im Licht schimmerten seine Haare, seine Kleidung, selbst sein Schatten rötlich, als würde er beständig einen Strom aus Blut hinter sich her ziehen. Ein Schatten, der sich trotz des steten Lichteinfalls unmerklich zu bewegen und zu verschieben schien, fast als hätte er einen eigenen Willen. Und obwohl der Traum sich so oft wiederholt hatte wusste Galren nach wie vor nicht, was er eigentlich zu bedeuten hatte. Was wollte dieser Mann noch von ihm? Sein Gott war frei und doch rief er ihn zu sich. Selbst wenn Galren wach war konnte er den schwachen Sog spüren und wenn er sich konzentrierte, den Pfad sehen, der ihn zu ihm führen würde. Warum ?

Die Erscheinung vor ihm schien seine Gedanken gelesen zu haben. ,, Kommt zu mir, wenn ihr eure Antworten wollt. Wir beide, ihr und ich… wir haben viele Dinge zu besprechen, Kind des Propheten.“

Es war, als besäßen diese Worte ein physisches Gewicht, denn plötzlich fühlte Galren, wie sich ein Gewicht gegen ihn drückte, ihn zurückschob. Einen Moment versuchte er Worte zu formulieren, dann wurde er jedoch schon zurückgerissen. Die Halle verschwand in einem Wirbel aus Farben, genauso wie der rote Heilige…

Er schlug die Augen auf.

 

Galren blinzelte einen Moment ins grelle Licht und wusste nicht genau, wo er sich befand. Über ihm glitzerte die Sonne zwischen den Blättern eines ausladenden Baumes hindurch. Die im Wind wehenden Zweige erzeugten ein ständig wechselndes Muster, das ihn mal blendete und mal im Halbdunkel zurück ließ. Einzelne Blätter rieselten um ihn her zu Boden, in allen Farben des Herbst gezeichnet. Ein leuchtender Teppich aus Rot und Gold, der sich um ihn herum erstreckte und auch die Bank bedeckten, auf der er lag.

Die Bank selbst war um den Stamm des Baumes herum errichtet worden und hätte wohl zwanzig Leuten Platz geboten, doch im Augenblick war er der einzige hier. Der Baum unter dem er eingeschlafen war, stand genau im Zentrum dieses Teils der Gärten. Er roch feuchte Erde, den Duft verblühter Blumen, die sich überall in kleinen Pflanzungen befanden  und vermodernde Blätter, hörte jemanden in der Ferne Lachen… Elin ? Und noch weitere Stimmen, die er nicht sofort zuordnen konnte.

Er setzte sich auf und musste feststellen, dass er immer noch müde genug wäre um auf der Stelle wieder einzuschlafen. Seine Träumer verwehrten ihm jede Erholung. Das hieß wenn die Erschöpfung einmal die Oberhand gewann und er die Augen für ein paar schreckliche Minuten schließen musste.

Schlafmangel und der stetige Zwang gegen seine eigene Gabe ankämpfen zu müssen zehrten ihn langsam aber sicher aus und das sah man auch, dachte er. Elin zumindest hatte es bemerkt…

Die kaiserlichen Gärten waren ein weitläufiges Areal, das sich auf einer Freifläche inmitten des gewaltigen Palastkomplexes befand, Die übrigen Bauten der fliegenden Stadt waren nur als ferne, hohe Schemen ausmachen und an den Mauern, welche die Gärten begrenzten wuchsen weitere Bäume, so dicht an dicht, das ihre Äste und Blätter den Stein fast völlig verbargen. Die Illusion, sich schlicht auf einer großen Lichtung inmitten der Wälder Cantons zu befinden war fast perfekt.

Erneut hörte er lautes Lachen und drehte den Kopf. Elin und ihre Eltern standen nicht weit entfernt vor einem weiteren kleinen Hain mit Sträuchern und Bäumen und veranstalteten ein Wettwerfen mit Messern.

Galren hatte sich wohlweislich herausgehalten, machen ihm seine Verletzungen aus dem roten Tal doch nach wie vor zu schaffen. Auch wenn die meisten Verbände mittlerweile ab waren, er konnte sich nach wie vor nicht richtig bewegen, geschweige denn die Haut spannen oder die Arme richtig beugen. Es war nicht mehr mit den alles verzehrenden Schmerzen verbunden wie anfangs, aber er fühlte sich ungelenk und… teilweise sogar hilflos.

Lias hatte ihm beigebracht, wie an sich verteidigte und es war das eine Geschenk des alten Gejarn, für das er ihm von allem vielleicht am dankbarsten war. Doch in seinem Momentanen Zustand war das schlicht wertlos. Er konnte Atrun kaum heben, geschweige denn Schwingen, sollte das nötig werden.  Das Schwert, das Lias für ihn gefertigt hatte, ruhte gegen den Baumstamm gelehnt in einer schlichten, dunklen Lederscheide.

Fast meinte er Lias Stimme zu hören, der ihn schalt: ,, Wenn du nicht mit dem Körper kämpfen kannst kämpf  eben mit dem Kopf, Junge…“

Und doch selbst daran versagte er grandios, oder nicht? Noch immer hatte er keine Lösung auf die Frage, warum man ihn rief. Oder weshalb der rote Heilige irgendwie die Kontrolle über seine Gabe haben sollte. Wie sonst wäre es möglich, das sie ihn immer wieder Richtung Süden ziehen wollte… zurück ins rote Tal wo er schon erwartet werden würde.

Rufe und laute Stimmen  rissen ihn einen Moment aus seinen Gedanken. Elin war mit Werfen an der Reihe und jede einzelne der drei Klingen landete direkt im Ziel. Dieses wiederum bestand, in Ermangelung einer alternative, aus einer Reihe schwarzer Kreise, die sie auf die Rinde eines Baumes aufgemalt hatten. Die Rinde war bereits an mehreren Stellen abgeplatzt und ließ helles Holz hervorschimmern.

Cyrus, der sein Glück als nächstes versuchte, schaffte es jedoch nicht einmal, die Rinde anzukratzen. Jedes einzelne der Messer flog weit am Ziel vorbei und verschwand irgendwo im Unterholz. Ungehalten grummelnd machte sich der Wolf daran sie zu suchen. Eden, die neben ihm stand, lachte lediglich und wies ihn an, sich nicht so anzustellen. Auf die Frage allerdings, ob er langsam Blind werde, antwortete der einäugige Wolf erst gar nicht mehr.

Götter, es hatte etwas seltsam beruhigendes ihnen einfach nur zuzusehen, dachte Galren.  Die Worte mochten harsch sein, aber  es war leicht ersichtlich, wie sehr diese drei zusammen gehörten und sich ergänzten. Und Cyrus trug den Spott immerhin mit Würde. Oder zumindest versuchte er es, während er durch die Büsche kroch, vermutlich wirklich halb blind im Zwielicht unter dem Blätterdach.  Gejarn mochten besser sehen als Menschen, aber auch das hatte seine Grenzen. Ein fehlendes Auge beispielsweise. Dort, wo  Cyrus linkes hätte sein müssen, befand sich nur eine schlichte Binde unter der einige alte, hellrot Narben hervorschimmerten. Schließlich ließ sich Eden immer noch lachend dazu hinab, ihm zu helfen, während Elin zu Galren gelaufen kam. Das Mädchen wirbelte einen Haufen Blätter auf, als sie sich achtlos neben ihm auf die Bank fallen ließ.  Das Temperament jedenfalls hatte sich sicherlich von ihren Eltern geerbt, da war Galren sich mittlerweile ziemlich sicher. Sie war ihm wahrsten Sinne des Wortes ein kleiner Wirbelwind. Und Elin war klein, besonders neben ihrem Vater. Der Wolf überragte Galren leicht um einen halben Kopf und auch Eden konnte man schwer als klein bezeichnen. Ihre Tochter hingegen ging ihm vielleicht bis zur Brust. Elin hatte das cremefarbene, fast weiße Fell ihrer Mutter geerbt, sah man von einem Ohr ab, das schwarz war. Ab und an zuckte es nervös, wenn sie zu ihm sah. Galren wusste nicht ob es ihm gefiel, aber er war vielleicht wirklich das einzige, was dieses Mädchen aus der Fassung bringen konnte. Wenn auch nicht für lange.

,, Hey…“ Er konnte ihr schon ansehen, was sie dachte. Er musste schrecklich aussehen und so fühlte er sich auch. Zu wenig Schlaf und zu viele alte Wunden, die noch nicht ganz verheilt waren.  Seine Vermutung bestätigte sich sofort. ,, Du siehst aus, als wärst du  von einem Wyvern verschlungen und wieder ausgespuckt worden. Du träumst wieder, oder?“

Für Elins Verhältnisse war  das fast taktvoll und er nickte lediglich. ,, Woher weißt du das ?“

,, Davon abgesehen das du eben aussiehst als hättest du ein paar Tage nicht geschlafen ? Ich merke doch wenn du nachts aufwachst.“ Zu oft in letzter Zeit, dachte er. ,, Und du sprichst im Schlaf wusstest du das ?“

,, Nein… Was sage ich denn?“

,, Du redest, Galren. Und ich glaube zu wissen mit wem. Und das macht mir Angst.“ Es hatte wirklich keinen Sinn etwas vor ihr verbergen zu wollen. Dafür war Elin schlicht zu neugierig. Und was ihn anging offenbar wirklich besorgt.

,, Es ist nichts.“ , erklärte er, obwohl er es bereits besser wusste. Aber Galren wusste auch, dass es so nicht weitergehen konnte. Es musste einen Weg für ihn geben diese Träume loszuwerden oder zumindest abzuschwächen. Ansonsten wusste er nicht, wie lange er sich ihnen noch wiedersetzen konnte und wenn er erst einmal an den Punkt kam, an dem er nachgeben musste… Er schüttelte unwillkürlich den Kopf. Vielleicht könnte Naria ihm helfen. Sie hatte es schon einmal versucht, damals, als er seine Fähigkeiten noch nicht fürchten gelernt hatte. Möglicherweise viel ihr ja etwas ein. Und wenn nicht… Wenn nicht bitte ich Erik darum das er mir genug Opium besorgt das ich eine Woche durchschlafen kann, sagte er sich und war selbst entsetzt, dass er die Möglichkeit tatsächlich erwog. Langsam wäre er tatsächlich bereit alles zu tun um mal mehr als ein paar Stunden Schlaf zu bekommen…

Elin gab ihm einen Kuss auf die Stirn und warf ihm noch einen Vorwurfsvollen Blick zu. Sie wusste dass er log, aber auch, dass er kaum mehr dazu sagen würde. Und sie ließ ihn gewähren… obwohl sie es ebenfalls längst besser wusste.  Dann war sie auch schon wieder verschwunden und lief zurück zu der Stelle an der schon Cyrus und Eden auf sie warteten.

Diese hatten die Suche mittlerweile aufgegeben und sahen zu einer einsamen Gestalt, die sich ihren Weg durch die weitläufigen Gärten hin zu ihnen suchte. Galren wusste bereits, wer es war, noch bevor er ganz in Sicht kam. Einerseits ließen der hellblaue Mantel und die schwere Tasche kaum einen anderen Schluss zu andererseits… Seine Fähigkeiten wurden wieder stärker, dachte Galren. Früher , vor der großen Reise, die sie alle zusammengeführt… und letztlich für dieses Dilemma verantwortlich war, da hatte er mit Mühe Wege und Pfade finden können, die jedem menschlichen und auch tierischen Auge verborgen bleiben würden. Doch daraus hatte sich längst mehr entwickelt, zuerst in der Stadt der Zwerge und jetzt erneut. Und je stärker seine Wegfindung  wurde, desto stärker wurde er gezogen… Galren erhob sich umständlich um keine Wunden aufzureißen und ging zu den andere um auf den alten Arzt zu warten. 

 

Kapitel 6 Erik

 

 

 

Erik Flemming war eine Vogelscheuche von einem Mann, hochgewachsen, dürr, mit wehenden weißen Haaren und einem großen Backenbart, der an einem anderen Mann vielleicht lächerlich gewirkt hätte. Wie alt er eigentlich war, wusste niemand und Cyrus hatte lediglich einmal angedeutete, das er auf die Frage meist recht barsch  reagieren konnte. Ansonsten jedoch war er eigentlich recht umgänglich, wenn man einige seiner Marotten verzeihen konnte. Soweit Galren wusste, kannten er und Cyrus  beiden sich wohl schon eine kleine Ewigkeit, noch aus der Zeit, in der dieser als Gardist an den südlichen Grenzen gedient hatte.

,, Da seid ihr.“ , rief der Arzt und ruderte mit den Armen, als wäre er darüber erbost, sie erst suchen zu müssen. Hörbar außer Atem stützten die Hände auf die Knie. ,, Götter es ist leichter eine Stecknadel im Heuhaufen zu suchen, als in diesem Palast jemanden zu finden. Zu viele Zimmer und zu viele Leute. Ich wette es sind schon Kaiser bei dem Versuch verhungert, den Speisesaal zu finden…“

,, Jetzt übertreibt ihr.“ , meinte Cyrus lachend, während der alte langsam wieder zu Atem kam.

,, Von wegen. Ich frage mich manchmal, wie Kellvian sich hier zu recht findet. Oder die Gardisten. Überprüft eigentlich abends jemand ob die alle auch den Weg zurück zu ihren Quartieren gefunden haben?“  Erik zog eine dünne Holzpfeife aus einer Seitentasche des großen Beutels, den er immer mit sich trug und entzündete sie mit einem Schwefelholz.  ,, Aber warum ich eigentlich hier bin, ich habe mir ein paar Gedanken gemacht…“

,, Worüber ?“

,, Das alles hier, den Herrn der Ordnung, seine Anhänger… ich dachte ihr wolltet das vielleicht hören ?“ Er sah direkt zu Galren und einen Moment fühlte er sich tatsächlich ertappt. Oder vielleicht sah ihm der Alte auch nur genauso wie alle anderen an, wie erschöpft er war. Erik wusste ebenfalls wer den Herrn der Ordnung letztlich befreit hatte ob Galren damals gewusst hatte was er tat oder nicht. Den Rest hatte er sich wohl zusammen reimen können und Galrens Reaktion darauf entlockte ihm lediglich ein zufriedenes Nicken. Er wusste es.

,, Ich habe mir so ziemlich jedes Buch und jede Schriftrolle durchgelesen, die sich mit den Unsterblichen beschäftigt… und die die Palastbibliotheken her geben. Man machte meinen, die kaiserlichen Büchereien seien besser sortiert aber…“

,, Ihr habt also etwas gefunden ?“ , unterbrach Galren ihn und war über den rauen Ton seiner Stimme überrascht. Normalerweise hätte er dem Alten seinen Spaß gelassen, sie auf die Folter zu spannen, aber in diesem Fall… Er war müde und ohne Ausweg.

,, Dazu wollte ich grade kommen. Also wie gesagt, was ich gefunden habe ist nicht viel und das meiste sind Mythen und Gerüchte. Wenn es irgendwelche Quellen des alten Volks zu den Unsterblichen gibt, dann nicht hier. Aber ich habe meine eigenen Ideen, zusammen mit dem, was ich den Büchern entnehmen konnte. Beispielsweise, glaube ich jetzt zu verstehen, wie seine Diener derart mächtig sein können ohne über eigene latente magische Fähigkeiten zu verfügen.“ Erik  bedeutete ihnen, ihm zu Folgen und trat den Weg zurück über die Wiesen in Richtung des großen Baums im Zentrum der Gärten an. Dort angekommen ließ er sich schwer auf die Bank fallen und beförderte einen erstaunlichen Stapel Bücher aus seinen Taschen zu tage. Insgesamt fünf große Wälzer, von denen der kleinste wohl leicht bereit so viel wog wie ein Kleinkind. Kein Wunder, das er außer Atem war, wenn er die durch den halben Palast geschleppt hatte, dachte Galren.

Und eines der Bücher wirkte älter als das andere. Die Seiten der ersten beiden waren zwar vergilbt, doch immerhin vollständig, während das dritte deutliche Schäden und Schimmelflecken aufwies. Die letzten beiden hingegen waren wenig mehr als Fetzen, zwischen denen große Lücken klafften und die wohl nur noch durch die brüchigen Buchdeckel zusammen gehalten wurden. Einen Titel konnte Galren nirgendwo ausmachen. Neugierig blätterte er die Seiten des Buches durch, das noch am besten erhalten schien… und musste feststellen, dass er kein Wort verstand. Auch Elin runzelte die Stirn, genauso wie Cyrus und Eden. Das war weder die Amtsprache des Kaiserreichs, wie man es von einem Buch eigentlich erwarten würde,  noch eine der Clansprachen, die einer von ihnen kannte. Und zumindest die nomadisch lebenden Gejarn hinterließen nur selten etwas Schriftliches, wenn überhaupt.

Das zweite Buch war ihm ebenso ein Rätsel, genau wie diejenigen die folgten. Das einzige, was er sicher wusste war, das es wohl unterschiedliche Sprachen sein mussten. Bestand die Schrift im ersten noch aus geschwungenen Zeichen, waren die zwei folgenden mit Runen geschrieben, das dritte mit Piktogrammen, die ihm zumindest entfernt vertraut vorkamen. Er hatte im roten Tal ähnlichem Symbole gesehen, in den Ruinen der Städte des alten Volkes und auch in den Archiven…

Und  das letzte Buch ließ ihn erneut mit der Stirn runzeln… Er war sich absolut sicher, die Schrift schon einmal gesehen zu haben, ihm wollte nur beim besten Willen nicht einfallen wieso.

,, Ich kann nichts davon lesen.“ , erklärte er schließlich und sah hilfesuchend zu Erik, der genüsslich an seiner Pfeife sog und in sich hinein grinste. Götter dieser Mann liebte ganz offenbar seine Geheimniskrämerei.

,, Kein Wunder. Das erste Buch ist in keiner Sprache geschrieben, die heute noch viele beherrschen würde. Das hier…“ , er klopfte auf den Deckel. ,, Ist eine der letzten Überlebenden Kopien der Geschichten der Eisnomaden. Zusammengetragen von den ersten Menschen, die sich nach Süden wagten. Noch lange bevor das Kaiserreich entstand oder es so etwas wie eine Amtssprache gab.  Und verfasst in ihrer Sprache. Das sind die ältesten Schriftlichen Aufzeichnungen, die es noch von den ersten Menschen gibt.  Es ist ehrlich gesagt nicht so interessant wie es klingt. Geschichten über Urväter und Helden und Schlachten und Jagden und all das… aber wenn man zwischen den Zeilen lesen kann, nun es sind sehr spärliche Hinweise, aber das alte Volk war zu diesem Zeitpunkt schon erloschen. Die Unsterblichen… nicht. Die anderen beiden  Bücher sind Abschriften von Texten des alten Volkes, die man in ihren Ruinen gefunden hat. Genauer gesagt handelt es sich dabei um den Dialekt der Hochmagierkaste.  Es gibt nur ein zwei Passagen darunter, die sich wirklich mit den Unsterblichen beschäftigen. Interessant jedoch wird es beim letzten… Wisst ihr ich habe schon ein paar Abschriften dieses Buchs gesehen und bis jetzt hat es nie jemand übersetzen können. Aber ich glaube euch dürfte die Schrift vertraut sein.“

,, Wie meint ihr das ?“

,, Es ist eigentlich einem Zufall zu verdanken. Wisst ihr mir ist dieses Buch mehr aus Versehen in die Hände gefallen , aber während ich noch darüber nachgrüble, ist eine Gruppe Zwerge am Bibliotheksflügel vorbei gekommen. Ich würde das sonst nie sagen, aber ich bin zum ersten Mal froh, dass sie so viel Wert auf die Zugehörigkeit zu ihren Häusern legen und so viele von ihnen Runen und Symbole auf ihrer Kleidung tragen. Mir ist aufgefallen, das diese Symbole zu denen im Buch passen.“

,, Das ist also Zwergensprache ?“ Galren sah sich den Text erneut an und meinte tatsächlich einige Wörter aus seiner Zeit an der Nebelküste zu erkennen. Doch andere schienen schlicht keinen Sinn zu machen. Er war lange genug bei den Zwergen gewesen um zumindest die Grundlagen ihrer Sprache aufzuschnappen. Das hier hatte nur sehr Oberflächlich etwas damit gemeint.

,, Genau das. Wenn auch ein älter Dialekt, wie ich erfahren musste. Das hier entstand lange vor ihrem Exodus aus Canton , aber immerhin ist es ihrer heutigen Sprache ähnlich genug,  das ich das meiste übersetzen konnte… mit etwas freundlicher Unterstützung…“

Galren konnte sich bereits lebhaft vorstellen, wie diese Unterstützung wohl aussah. Innerlich fragte er sich, ob der arme Zwerg zwischendurch um sein Leben gefürchtet hatte, als der Alte ihn einfach mit sich zerrte um ihn vor ein altes Buch zu setzen.

,, Nun jedenfalls scheint es sich bei diesem Buch um einen religiösen Text zu handeln, vor allem über den Kult der Unsterblichen. Es scheint als habe der Herr des Feuers vor dem Exodus nur eine Untergeordnete Rolle im Pantheon gespielt, so oder so, was wirklich interessant ist, sind die Beschreibungen von Ritualen. Angeblich gab es eine Zeremonie, bei der ein Unsterblicher einem seiner Anhänger unvorstellbare Kräfte zu Teil werden lassen konnte. Allerdings wurde sie wohl nur in Zeiten größter Not abgehalten und es wird eindringlich vor den Gefahren gewarnt. Vor allem für jene, die  nur nach der Macht streben und sich der Sache nicht ganz und gar verschrieben haben, für die sie eintreten wollen. Ein solcher Erwählter konnte leicht den Tod erleiden oder schlimmeres. So viele dabei gestorben sind, so viele wurden durch die Magie deformiert und zerstört, so dass sie von ihren Brüdern von ihrem Leid erlöst werden mussten.“

,, Das klingt verdächtig nach dem, was die Anhänger des Herrn der Ordnung tun.“ , stellte  Eden fest.

,, Genau. Und das ist noch nicht alles. Seht ihr ich glaube ich verstehe langsam, wie sie das tun. Auch Magie hat ihre Ration. Dinge, die möglich sind und solche, die es eben nicht sind. Zauberei ist Gestalt gegebene Lebenskraft. Magier besitzen lediglich etwas mehr davon zusammen mit der Fähigkeit, sie auch anzuzapfen. Beides ein Erbe des alten Volkes. Aber diese Kreaturen, die der Herr der Ordnung erschafft, sind praktisch übersättigt damit. Ihre Körper können damit nicht umgehen. Es braucht enorme Willenskraft und Anstrengung um eine solche Kraft daran zu hindern, sich schlicht selbstständig zu machen und doch gelingt es wohl keinem von ihnen ganz. Die Magie folgt ihrem Willen, bewusst oder unbewusst. Und formt sie zu dem um, was ihren Gedanken, ihrem Wesen ,  entspricht.“

,, Was ihr damit sagen wollt ist also einfach… das wohl jeder eine furchtbare Person werden würde, wenn man ihm unendliche Macht gibt ?“
,, Sozusagen. Doch die Macht über die die Geweihten verfügen stammt nicht von ihnen selbst. Es muss irgendeine Art Verbindung zwischen ihnen und ihrem Gott geben. Wenn man die unterbrechen würde, wären sieplötzlich machtlos. Ich bezweifle, dass selbst die Magier unter ihnen ohne diesen Zustrom an Magie noch Zauber wirken könnten. Vermutlich würde allein der Schock sie schlicht töten.“

,, Und ihr wüsstet nicht zufällig auch, wie man das anstellen würde ?“ Es wäre zumindest ein Vorteil, dachte Galren. Die Geweihten waren nicht viele, aber er hatte gesehen, über welche Macht sie verfügten. Was nützte alle Disziplin und noch so viele Männer, wenn ein Gedanke, eine Handbewegung jede Schlachtplanung zunichtemachte? Selbst der Orden verfügte nicht über eine solche, zermürbende Gewalt. Und das war nur die Magie.

,, Leider nein, so weit war ich noch nicht.“ Erik zuckte entschuldigend mit den Schultern. ,, Wie gesagt ich kann nur spekulieren, aber… wenn man etwas versteht ist man vielleicht auch einen Schritt näher daran, es aufzuhalten.“

,, Und ihr seid extra hergekommen um uns das zu sagen ?“ Cyrus zog eine Augenbraue hoch und nickte in Richtung des schweren Bücherstapels. Erik musste ohne Umwege direkt aus den Bibliotheken zu ihnen gekommen sein.

,, Das und weil mir vielleicht einer von euch verraten kann, wo meine Magnete hingekommen sind. Die waren teuer… Selbst in Vara kommt man an so was nicht leicht heran.“ Er sah vielsagend zu Elin, die eines der Wurfmesser aufgehoben hatte und noch versuchte, die Waffe hinter dem Rücken zu verbergen. Das war eine der Klingen, die Cyrus zuvor geworfen hatte… Schuldbewusst reichte sie dem Arzt das Messer mit dem Griff zuerst. Dieser drehte es wie beiläufig um und löste irgendetwas kleines, eckiges, das über dem Knauf gesessen hatte. Erik warf den kleinen Gegenstand Cyrus zu, der ihn gekonnt auffing und einen Moment betrachtete. Es war ein Metallplättchen nicht viel größer als ein Fingernagel und kaum so dick wie ein Finger. Aber er reiche wohl aus.

 ,, Das macht den Griff schwerer und die Waffe ausbalanciert… Du schummelst.“ , stellte der Wolf grinsend fest. ,, Götte rund ich dachte schon ich hätte alles verlernt.“ Cyrus schüttelte einen Moment den Kopf, fing dann jedoch an zu lachen. Nach und nach stimmten auch die anderen mit ein und bevor Galren es selbst merkte, lachte er auch schon mit ihnen. Fast konnte er die Bedrohung vergessen, der sie gegenüberstanden.  Und seine düsteren Träume… Zumindest für den Moment…

 

Kapitel 7 Quinns Rückkehr

 

 

 

Quinn war in den letzten Wochen nicht mehr in der Stadt gewesen. Umso erleichterter war Hadrir, von seiner Rückkehr zu erfahren, auch wenn es wohl andere Wege gab, begrüßt zu werden. Der Mann saß praktisch wie aus dem Boden gewachsen  im großen Esszimmer seiner Quartiere im kaiserlichen Palast. Wie selbstverständlich hatte er sich auf einem der schwer gepolsterten Stühle nieder gelassen und ein Feuer im Kamin entzündet, das mit seltsam unnatürlicher, grüner Flamme brannte.

Quinn wirkte auf den ersten Blick  noch erschöpfter als bei seiner Abreise. Als Hadrir ihn das letzte Mal gesehen hatte, waren die Spuren die das Alter gesehen hatte bereits deutlich zu sehen gewesen. Nun jedoch schien der Mann noch einmal um ein Jahrzehnt gealtert… Graue, kurz geschorene  Haare in denen sich nur noch einige schwarze Strähnen fanden , bedeckte den Kopf und auch der sauber geschnittene Bart wies deutlich mehr helle Stellen auf, als noch zuvor. Quinn war nicht besonders kräftig gebaut und die weiten, türkisfarbenen Roben seines Ordens machten das nur deutlicher. Das einzige, was nicht verbraucht an diesem Mann wirkte, waren seine Augen, in denen neben dem wachen Geist auch immer noch etwas anderes zu schimmern schien, das Hadrir einen Schauer über den Rücken jagte. Quinn war trotz seiner Statur niemand, den man für sanft halten  konnte. Ihm unterstand der Sangius-Orden und damit fast jeder Zauberer im gesamten Kaiserreich, etwas, das ihn wohl zum einflussreichsten Mann Cantons machte, sah man vom Kaiser selbst einmal ab. Und vielleicht von ihm selbst, dachte Hadrir. Es war nach wie vor ein seltsamer Gedanke und der Zwerg

war sich nicht sicher, ob er ihn beruhigen oder aber Angst machen sollte.

Quinns Reise zur Ordensburg hatte ihn alleine mit Kasran zurück gelassen. Und auch wenn der Thane der Mardar weiterhin mit ihm zusammenarbeitete… er wusste, dass der  alte Zwerg alles andere als ein verlässlicher Verbündeter war. Umso erleichternder war die Rückkehr des Zauberers und umso bestürzender der Zustand, in dem er sich befand…

Menschen verwelkten so schnell, ganz im Gegensatz zu seinem Volk, dachte er. Und ganz besonders galt das wohl für Zauberer. Er selbst hatte grade die hundert überschritten und galt damit für sein Volk noch als jung. Vielleicht zu jung um König zu sein, wenn man manchen der Thanen glauben wollte. Aber er hatte dieses Amt auch nicht gewollt. Dieser Mann hier vor ihm hatte ihn dazu gemacht. Und Quinn wirkte mit grade einmal fünfzig bereits, als stünde er am Ende seines Lebens. Der Preis der Magie, so nannte man es hier. Die übermäßige Anwendung von Zauberei zehrte die Körper der Anwender auf und der Orden war berüchtigt dafür, kaum Rücksicht auf seine Adepten zu nehmen, wenn es darum ging.

Angeblich war Quinn zur Ordensburg gereist, um dort alles zu sichern und Nachforschungen anzustellen.  Doch gab es auch andere Gerüchte. Erzählungen über Schatten, die dem Ordensmeister folgten und seit seiner Rückkehr auch die fliegende Stadt und die Lager darunter durchstreiften…

Hadrir gab nicht viel darauf. Quinn war definitiv ein verschlagener Bastard, das hatte er bereits mit Hadrir spontaner Krönung unter Beweis gestellt, aber an seiner Loyalität gab es keinen Zweifel. 

Seine ersten Worte versetzten dem König der Zwerge jedoch bereits einen Dämpfer.

 ,, Silberstedt ist gefallen…“ , erklärte Quinn, als er sich zu Hadrir umdrehte und aufstand. Stehend überragte er ihn leicht um zwei  Köpfe, dennoch schien er bei diesen Worten sichtlich in sich zusammen zu fallen.  Sie hätten damit rechnen sollen, sagte Hadrir sich. Es hatte seit einer Weile keine Nachrichten mehr aus dem Norden Cantons gegeben und Silberstedt lag noch hinter den Bergen und der Ordensburg und war bereits im Herbst kaum mehr zu erreichen. Dennoch waren keine Nachrichten in Zeiten wie diesen immer schlechte Nachrichten. Quinn bestätigte es nur.

,, Weiß der Kaiser bereits davon ?“

,, Ich habe ihn grade informiert. Die Nachricht hat selbst die Ordenfestung erst kurz vor meiner Abreise erreicht.  Der Orden wird die Pässe in den Norden sichern… aber bis der Kaiser meinen Magiern Verstärkung zukommen lassen kann, werden wir  kaum viele abziehen können um uns hier zu unterstützen.“

Das war nicht gut, dachte Hadrir. Damit waren sowohl der Norden als auch die östlichen Teile des Kaiserreichs in den Händen der Kultisten. Und ihm wollte beim besten Willen nicht einfallen, was sie dagegen unternehmen könnten. Es trug nur dazu bei, dass er sich noch mehr wie ein Hochstapler fühlte. Grade jetzt, wo er die Häuser mehr oder weniger geschlossen gegen sich aufgebracht hatte, als er sie zum roten Tal führte. Kasran würde sich noch früh genug einfinden um ihn deswegen zu schelten, dessen war er sich sicher. Noch ein Grund, aus dem die Rückkehr des Magiers ihn gleich doppelt freute. Es änderte aber nichts an der Situation. Das Kaiserreich brach auseinander und er wäre unfähig Kellvian irgendwie zu helfen, solange es keine neue Versammlung der Zwergenhäuser  gab. Und was so eine Versammlung mit sich bringen würde, darüber wollte er gar nicht erst nachdenken.

Quinn setzte sich wieder, während Hadrir neben ihm Platz nahm und griff ohne ein Wort nach der Karaffe, die auf einem kleinen Holztisch neben dem Kamin stand. Unsterbliche, ich werde  noch zu Kasran, dachte er, während er sich einen Becher eingoss und ihn mit einem Zug leerte.

Der ältere und doch von Jahren her jüngere Zauberer ließ sich ebenfalls einen Becher einschenken. Das goldene Tropfenemblem auf seiner Robe schimmerte im Schein der Flammen, während der dunkle Stein, den er um den Hals trug, das Licht vollständig schluckte, als trüge der Mann ein Stück Schatten mit sich herum. Gedankenverloren strich Quinn über das Amulett und das in die Oberfläche gravierte Symbol eines offenen Auges,  bevor er erneut zu sprechen begann:  ,, Ich habe mir bereits gedacht, das ihr mit mir reden wollen würdet. Es gibt wohl einiges zu besprechen und bevor Kasran zuerst bei euch auftaucht…“

,, Ich bin bereits hier.“ Die Stimme des alten Thanen klang wie Eis, als er im Türrahmen auftauchte. Kasran Mardar war selbst für Zwergen-Verhältnisse uralt. Die Hände auf den aus Rubinen gefertigten Knauf eines schweren Stabs gestützt, bewegte er sich trotzdem mit einer gewissen Anmut. Grau melierte Haare fielen ihm in den Nacken und bis zu den Augen, in denen ein beunruhigender, rötlicher Schimmer zu liegen schien. Kasrans Familie führte ihre Ursprünge noch auf einen lebenden Unsterblichen zurück und ob dies nun stimmte oder nicht… genug Selbstsicherheit dafür strahlte er sicherlich aus. Die Weinrote Kleidung mit dem Wappen seines Hauses, einem Stützbalken und einer Hacke, war mit Gold durchwirkt und schien das Flackern des Feuers nachzuahmen.

Unsterbliche, hatten seine Quartiere Türen oder nicht? Hadrir schien es mittlerweile als würde jeder in diesen Räumen ein und ausgehen wie es ihm passte.  Dann jedoch fiel ihm die Gestalt auf, die Kasran folgte… Natürlich hatte der Leibwächter, dem ihn der Mann einst zur Verfügung gestellt hatte, seinem Herrn die Tür geöffnet. Kasrans Gefährten kannten keine andere Loyalität als die zu ihm. Und keiner von ihnen Sprach je um keine Geheinisse preisgeben zu können. Oder besser, sie waren nichtbeinmal dazu in der Lage, hatten sie all sich doch in einem Ritual die eigenen Stimmbänder verätzt.

,, Was hat der Magier hier zu suchen ?“ , fragte Kasran kühl, als er Quinn erkannte. Einen Moment traf sich ihr Blick, während der Ordensoberste ruhig an seinem Wein nippte.

,, Der Kaiser hat mich gebeten euch zu helfen und das tue ich noch immer.“ , erklärte er schließlich und setzte den Kelch ab. ,, Und ich glaube, ihr werdet meine Hilfe brauchen…“

,, Es scheint wohl so…“ Kasran trat, die Hände hinter dem Rücken verschränkt ans Feuer. Im Vorübergehen nahm er sich ohne zu Fragen einen der Kelche vom Tisch und goss sich ebenfalls Wein ein. ,, Ich bin immer noch euer Verbündeter, Hadrir, das wisst ihr…“
,, Ach wirklich ?“ Er wusste definitiv nicht, wie weit er diesem Mann noch trauen konnte. Und wenn er ehrlich war… dann hatte er das wohl nie gewusst. Aber er hatte auch keine große Wahl, nicht? Das war ihm genauso klar, wie dem Thanen. ,, Mir war bisher nicht einmal bewusst, dass ich Verbündete unter meinem eigenen Volk habe.“ Zumindest konnte er nicht darauf bauen noch viele zu behalten. Nicht nach allem was geschehen war.  Er könnte immer noch als der am kürzesten herrschende König in die Geschichte seines Volkes eingehen. Und doch brauchte er Kasran wenn er auch nur den Hauch einer Chance haben wollte. Daran führte kein Weg vorbei. Aber reichte er alleine aus, um die übrigen Häuser zumindest dazu zu bringen, zuzuhören?

Kasran tat so, als hätte er Hadrirs letzte Bemerkung nicht einmal gehört. ,, Es sieht leider so aus, als hätten wir erneut alles verloren… Das Rote Tal war eine herbe Enttäuschung Hadrir.  Und wenn wir nicht handeln, liegt bald alles, was wir erreicht haben ebenfalls in Trümmern.

,, Was schlagt ihr also vor ?“ Kasran war sicher nicht nur hier um das offensichtliche auszusprechen. Auch ihm war durchaus klar, dass die Niederlage am roten Tal ihnen keinen Gefallen getan hatte. Schon die Häuser in diese Schlacht zu führen hatte ihm die Feindschaft vieler eingebracht. Und jetzt hatte es nicht einmal etwas genützt. ,, Ihr wollt nicht etwa behaupten, wir sollten uns den Kultisten  anschließen ?“

Er erwartete es sogar Halb. Am Ende war Kasran auch deshalb so alt und Einflussreich geworden, weil er ein Opportunist war. Um die Macht seines Hauses auszubauen und zu erhalten war ihm sicher auch ein Seitenwechsel nicht zu schade… Und Kasran war vor allem an seinem eigenen Volk gelegen. Wenn er vermutete, dass der Kaiser den Kampf nicht mehr gewinnen konnte…

Doch der alte Thane machte Hadrirs Bedenken mit einem Schlag zu Nichte. ,, Seit ihr Wahnsinnig ? Nein… Wenn es eine Sache gibt, die wir gelernt haben sollten, dann das wir uns nicht mit diesen Leuten einlassen dürfen. Der Prophet hätte uns vernichten können und dieser Heilige wird es, wenn es ihm dient. Aber wir haben das Land , das uns versprochen wurde verloren, bevor wir es je zu Gesicht bekamen, Hadrir. Die Häuser werden erwarten, das ihr etwas unternehmt. Selbst jene, die noch auf unserer Seite sind, brauchen Antworten…“

Und was bitte soll ich ihnen sagen? , fragte er sich. Das sie wieder Forderungen stellen sich gegen den Kaiser stellen sollten? In diesen Zeiten ?  Das wäre nichts als blanker Verrat an dem Vertrauen,

das Kellvian ihnen entgegengebracht hatte.

,, Ich schätze, die Häuser, die mit dem Kaiser brechen wollen, werden als erste ihre Chance wittern.“ , stellte Quinn fest. ,, Das ist die Gelegenheit auf die sie gewartet haben.“

Kasran nickte. ,, Und jene, die uns oder besser dem König die Treue halten werden Fordern, das wir endlich kurzen Prozess mit jedem Wiederstand machen. Und wenn ihr das nicht tut…“

Er brauchte nicht weitersprechen. Wenn Hadrir nicht einschritt, würden sie das eben für ihn übernehmen. Das würde einen Bürgerkrieg bedeuten. Und das konnte keiner von ihnen erlauben.

Aber erwarteten sie wirklich eine Antwort von ihm ? Sowohl Quinns als auch Kasrans Blick ruhten schwer auf ihm. Sie waren es doch, die auf dem politischen Parkett geübt waren, nicht er. Unsterbliche, vor all dem hier war er kaum mehr als ein Wachmann gewesen, der zufälligerweise mit dem König verwandt war. Das hatte keine Bedeutung gehabt.

,, Ich habe alle enttäuscht, oder ?“ , fragte er und wusste schon, das er für diese Frage wohl nur beißenden Spott von Kasran ernten würde.

Der ältere Zwerg antwortete nicht sofort sondern nahm noch einen Schluck Wein und lies die tiefgoldene Flüssigkeit einen Moment im Kelch kreisen. ,, Wisst ihr, normalerweise bin ich wohl der letzte der euch da Wiedersprechen würde. Aber das hier… Nein, das ist nicht eure Schuld. Ich sage es ungern, aber in Anbetracht der Umstände, habt ihr immer getan, was ihr konntet. Das hier… ist ihre Schuld. Unser aller Schuld vielleicht sogar. Die Häuser  sind zu stur… zu sehr auf sich fixiert… Niemand konnte mehr von euch erwarten.“

,, Was heißt konnte ?“

,, Das ist der Grund aus dem ich hier bin, Hadrir… Sie haben bereits ohne unser Zutun eine Versammlung einberufen. Morgen.“

Hadrir spürte, wie ihm mit einem Mal eiskalt wurde.

 

Kapitel 8 Bruch

 

 

 

Das Kuppeldach der Versammlungshalle klang von den Echos von Schritten und Stühlen wieder, die zu Recht gerückt wurden. Der polierte Marmor warf alle Geräusche zurück und schien sie noch zu verstärken. Goldenes Mittagslicht sickerte durch die hohen Fenster des Rundsaals und brachte die in das Glas geschnittenen Bildnisse von innen heraus zum Leuchten. Bunte Schatten wanderten über das Holz der großen Tafel im Zentrum des Raums, verschwommene Abbilder der Zwölf Gestalten, die mit ernster Miene von ihren Fenstern auf die Versammlung herabsahen. Ob es sich bei den Bildnissen wirklich um die Unsterblichen handelte wie Hadrir vermutete oder nur um die Götter Cantons, heute jedenfalls schien die Stimmung, die der Künstler ihnen verpasst hatte, zur allgemeine Lage zu passen.

Der Anblick, der sich ihnen bot, war mehr als kläglich. Die Hälfte des runden Tisches war unbesetzt geblieben, die hohen Lehnstühle leer. Und sie würden es wohl auch bleiben, dachte der König der Zwerge grimmig. Viele Häuser hatten bereits am Morgen angekündigt, keine Vertreter zu schicken. Er brauchte nicht erst Kasran um zu wissen, dass das kein gutes Zeichen war. Sie machten deutlich, dass ihnen die Entscheidungen dieser Versammlung… und auch die Hadrirs längst egal waren. Häuser beider Seiten, sowohl seiner Gegner als auch der gering gewordenen Zahl seiner Verbündeten, über die sie keine Kontrolle mehr hatten. Und der Rest ? Er sah es sogar Kasran an, das er daran zweifelte, das diese Männer und Frauen hier waren um zuzuhören. Selbst der alte Mardar wirkte nervös, während er sich im Raum umsah.

Hadrir erkannte einige Gesichter und Wappen. Lughan, Aralit, Schwarzsonn…  Doch auch wenn sie hier waren… allein die Tatsache, dass man diese Versammlung einberufen hatte ohne ihn vorher anzuhören oder auch nur direkt zu informieren  sprach für sich. Nein, sie würden ihm nicht zuhören,

dachte er. Sie hatten entschieden sich selbst zu regieren. Und genau das musste er verhindern. Die Häuser waren zu zerstritten, uneins… wenn es jetzt zum Bruch zwischen ihnen kam, wäre das ihr Ende. Vermutlich würden die Häuser sich gegenseitig  auslöschen, bevor der rote Heilige Gelegenheit dazu hatte.

Und was konnte er dagegen tun? Sie fürchten mich nicht und sie lieben mich nicht grade, dachte Hadrir düster. Kasran hingegen mochten sie vielleicht fürchten, aber nicht so sehr wie einen möglichen Machtverlust. Und sie hatten ihm nach wie vor nicht verzeihen, das er eine Entscheidung erzwungen hatte. Nein, ganz im Gegenteil. Vermutlich war manchen der Verlust des roten Tals mehr als willkommen.

Feindselige Blicke trafen ihn, wo immer er auch hinsah und auch wenn der Kaiser niemandem außer ihm selbst, seiner Garde und Hadrir im Palast Waffen tragen ließ, war er  plötzlich heilfroh, die Rüstung angelegt zu haben. Allerdings… vor den Entscheidungen dieser Leute würde ihn auch das nicht bewahren. Es brauchte kein Messer im Dunkeln mehr um alles zu Nichte zu machen…

,, Mein König,“ , erhob sich schließlich der Thane des Hauses Aralit. ,, Ihr werdet uns verzeihen, das man grade euch nicht früher über dieses Treffen informiert hat. Das war weder meine Idee noch mein Wunsch aber einige unter uns… hielten es für besser, manches hinter eurem Rücken zu besprechen.“ Die unterschwellige Wut in der Stimme des Mannes war immerhin etwas, dachte Hadrir. ,, Und…“ Er wurde von einem Hustenanfall unterbrochen. Ozem Aralit gehörte zu Kasrans Verbündeten und damit hoffentlich auch noch zu den seinen. Neben Kasran gehörte Aralit zu den Ältesten Zwergen im Rat und er hatte sich bei weitem nicht so gut gehalten, wie der Thane der Mardar. Und das sah man ihm auch an, während er einen Moment sichtlich nach Luft schnappte. Die Haare gingen ihm in Büscheln aus, die Augen lagen tief in den Höhlen  und es ging das Gerücht um, das sein schwindender Gesundheitszustand nicht ganz natürlichen Ursprungs war. Dennoch  klang seine Stimme noch kräftig genug das jeder im Saal sie hören konnte, als er schließlich forderte: ,, Es muss etwas geschehen.“

,, Das sehe ich allerdings ebenso. Das rote Tal war ein Debakel, in das ihr uns geführt habt, Hadrir !“ Ein weiterer Zwerg, dessen mit geometrischen  Runen verzierte Kleidung das  Wappen eines Wasserkessels zeigte war aufgestanden. Hadrir brauchte einen Moment, bis ihm der Name des Mannes wieder einfiel. Unsterbliche, es gab zu viele Häuser, dachte er. Und zu wenig Zeit sich mit jedem davon einzeln herumzuschlagen. Cenwalh , fiel ihm schließlich ein. Das Haus hatte in der Zwillingsstadt über die Siedehäuser und die Bäder geboten. Auch wenn Wasser in ihrer alten Heimat keine geringe Rolle gespielt hatte, waren die großen Bauten, in denen die Männer Cenwalhs Meerwasser destillierten immer unbedeutend gewesen. Und jetzt, hier in der Fremde, hatten sie  nicht einmal mehr das. Kein Wunder, das ihr Thane verbittert war. ,, Ihr habt unser Volk verraten, Hadrir. Ihr und euer Vater noch dazu in dem er uns an diesen verfluchten Ort brachte. Und deshalb kann ich euch nur noch auffordern, eure Krone abzugeben.“

,, So etwas hat es noch nie zuvor gegeben !“ , protestierten sofort ein halbes Dutzend Stimmen. Sogar jene, von denen Hadrir sich sicher war, das sie gegen ihn standen begehrten plötzlich auf. Der Cenwalh-Thane musste sich seiner Sache schon extrem sicher sein um solch einen Vorschlag zu machen. Das ging gegen alles, was je eine Versammlung entschieden hatte. Sicher, theoretisch könnten die Häuser sich geschlossen gegen den König stellen und ihn zum Abdanken zwingen, aber soweit Hadrir wusste, war das noch nie geschehen. Viel üblicher war es, das ein ungeliebter König schlicht und ergreifend… plötzlich und unter seltsamen Umständen verstarb. Und auch einen beliebten Herrscher ereilte ein solches Schicksal nur all zu schnell.

,, Ich habe ein Dutzend Häuser hinter mir.“ , erklärte der  Cenwalh ruhig.

,, Und natürlich wollt ihr die Krone dann am liebsten gleich euch aufsetzen, ja ?“ , fragte Ozem stichelnd. Die Spannung in der Luft schien Hadrir mit Händen greifbar. Mittlerweile waren fast alle Anwesenden außer ihm selbst aufgestanden. Unsterbliche, wenn das so weiterging würden sie gleich jeden Moment aufeinander losgehen.

,, Bitte… es gibt wichtigere Probleme, auf die wir uns konzentrieren müssen.“ , versuchte er die Aufmerksamkeit der Anwesenden zurück zu gewinnen. Doch wie er schon befürchtet hatte, trugen seine Worte kaum dazu bei, die Situation zu beruhigen.

,, Ihr habt dabei nichts mehr mitzureden, Verräter-König !  Auch nicht mehr als der alte Mann!“, rief ihm der Cenwalh-Tane zu und was als nächstes geschah, nahm Hadrir später nur noch als eine Folge von Bildern wahr, die keinen richtigen Zusammenhang zu haben schienen. Das erste, was er mitbekam, war wie jemand schrie und das helle Blitzen von Stahl. Im nächsten Moment stand Ozem Aralit nicht mehr an seinem Platz, sondern war über der Tischplatte zusammengesunken, ein Messer im Rücken.

Die Türen des Saals flogen auf und zwanzig Gardisten stürzten herein, die Gewehre im Anschlag. Und während Hadrir und die anderen noch zu verstehen versuchten was vor sich ging und die Wächter nach einem Ziel suchten, setzte der Cenwalh-TAne über den Tisch auf Hadrir zu. Er sah das zweite Messer zu spät und kam grade noch dazu die Arme zu heben. Der Stahl glitt funkenschlagend an dem Stahl ab, während Hadrir mit dem Stuhl nach hinten kippte. Er und der Angreifer gingen zusammen zu Boden. Den umstehenden Gardisten blieb nur, zuzusehen, wie Hadrir versuchte, das Messer von seinem ungeschütztem Gesicht und der Kehle abzuhalten.  Auf den Mann zu schießen traute sich offenbar niemand, dazu waren sie zu nahe beieinander. Ein Hieb traf ihn an der Wange und hinterließ einen klaffenden Schnitt. Hadrir spürte das Blut, das seinen Hals hinab rann und den plötzlichen scharfen Schmerz. Mit aller Kraft, die er hatte, schaffte er es endlich, den Thanen mit einem Tritt zur Seite zu schleudern. Keuchend kam er wieder auf die Füße und zog den Streithammer. Jetzt war er es, der den Schützend er kaiserlichen Garde das Schussfeld versperrte, aber im Augenblick war ihm das egal. Der Cenwalh sprang überraschend leichtfüßig wieder auf die Beine und attackierte Hadrir erneut. Oder er versuchte es zumindest. Kasran hatte das Schauspiel bisher eher desinteressiert verfolgt und es würde Hadrir nicht einmal wundern, wenn er schon mit so etwas gerechnet hatte. Nun jedoch, als der irre Thane an ihm vorbeisetzte, erhob er sich in einer fließenden Bewegung, die sein Alter Lügen strafte und schlug mit dem Rubinstab zu. Der Stab traf den Zwerg direkt vor den Kopf und holte ihn glatt ein zweites Mal von den Füßen, während Kasran wie beiläufig neben ihm stehen blieb… und ihm die Spitze an die Kehle setzte. Der Fuß des Stabs lief in einem dünnen Dorn aus, der die Haut am Hals des Zwergs ritzte. Ein kleines Blutrinnsal begann zu fließen, tropfte auf die weißen Marmorfliesen.

Einen Moment traf sich sein Blick mit dem von Hadrir. ,, Sagt mir mein König, was ist die Strafe für Mord und Verrat ?“ Der rote Schimmer in seinen Augen schien zu lodernden Flammen zu werden, während er den Druck auf der Stabspitze noch verstärkte. Hadrir verstand nur zu gut. Das war ihre Gelegenheit ein Zeichen zu setzen. Die Blicke aller ruhten auf ihnen und die Nachricht über das, was heute hier vorgefallen war, würde sich bald in der ganzen Stadt verbreiten. Nachdenklich strich er über den Griff des Streithammers in seiner Hand. Aber Kasran würde nicht derjenige sein, der es tat, nicht? Das oblag ihm… Und wenn nicht ? Was würde dann geschehen?

Hadrirs Füße bewegten sich wie von selbst, während er auf die beiden Zwerge zutrat und den Hammer auf die Schulter legte.

,, Habt ihr mir etwas zu sagen ?“ , fragte er leise an den am Boden liegenden Zwerg gerichtet. Der Cenwalh-Thane spuckte ihm ins Gesicht. Hadrir hatte immer noch das Gefühl, gar nicht her über seinen eigenen Körper zu sein, als seine Hände den Streithammer umfassten  und mit aller Macht nach unten wuchteten. Marmor und Knochen barsten gleichermaßen, als der Hammer sein Ziel fand. Der Aufprall hallte noch Minuten später in der Halle nach, nachdem Hadrir den Griff der Waffe schon lange losgelassen und sich von dem Anblick des zerschmetterten Zwergs abgewendet hatte. Kasran zog langsam den Stab zurück und hielt den Blick weiter auf seinen Rücken gerichtet.

Unsterbliche, was hatte er grade getan? , fragte er sich, während das Blut über den Marmor lief, sich um seine Füße staute…  Waren sie den alle verrückt geworden? Er selbst eingeschlossen?

Es dauerte eine Weile, bis es schließlich wieder jemand wagte zu sprechen. Einer der Thanen, die noch hinter ihm standen. Oder es zumindest bis grade noch getan hatten…

,, Herr, das ist ein Skandal das… das war ein offener Angriff durch die anderen Häuser…“

,, Cenwahl war ein armer, einzelner  Irrer.“ , schaltete sich Kasran sofort ein. ,, Oder glaubt ihr wirklich irgendjemand hätte ihn zum König gemacht, wenn er Hadrir tatsächlich getötet hätte ?“

,, Das vielleicht nicht, aber irgendjemand hat ihm diesen Floh ins Ohr gesetzt.“ Der Thane sah sich im Raum um als erwarte er halb, dass der schuldige vortreten und sich verraten würde. Doch natürlich bleiben alle wie erstarrt auf ihren Plätzen sitzen.

,, Wir können sie immer noch zurück gewinnen.“ , meinte Hadrir.

,, Diese Narren werden nicht auf euch hören Hadrir. Und ich werde nicht dabei zusehen, wie sie alles zerstören. Verzeiht mir, mein König, aber wenn ihr nicht tut, was getan werden muss… müssen wir das Eben für euch übernehmen.“

Mit diesen Worten drehte sich der Mann um und ging an den Gardisten vorbei aus der Halle. Und zu Hadrirs entsetzen erhoben sich auch nach und nach die übrigen Anwesenden und gingen, einer nach dem anderen zur Tür heraus. Er konnte ihnen nur nachsehen, während die Sonne aus den großen Buntlgasfenstern verschwand und die Halle in Zwielicht versinken ließ. Beinahe meinte er, die Unsterblichen sähen allesamt vorwurfsvoll in seine Richtung, als er sich wieder auf seinen Stuhl sinken ließ. Die Krone war ihm bei dem Angriff vom Kopf gerutscht und so hob er sie wieder auf und drehte den Metallreif einen Moment zwischen den Fingern.

,, Sie werden es nicht tun.“ , meinte Kasran leise, auch wenn diese Worte selbst für Hadrirs Ohren verzweifelt klangen. ,, Ihr habt ihnen gegeben was sie wollten. Blut. Ihre Gemüter werden sich abkühlen…“

Hadrir antwortete ihm nicht. Selbst wenn Kasran Recht behielt, traf das immer noch nur auf die Häuser zu, die ihn unterstützten. Die anderen… Er sah zu den toten Körpern der beiden Thanen. Die anderen würden nicht vergessen…

 

Kapitel 9 Schlechte Nachrichten

 

 

 

Armell sah aus dem Fenster auf die dunkler werdende Stadt hinaus. Die Lichter der schwebenden Inseln und der Feuer, die darunter in der Tief loderte, glommen wie Augen. Kalter Wind wehte durch die geöffneten Läden hinein und ließ sie frösteln, obwohl im hinteren Teil des Zimmers ein großes Feuer loderte.  Die Quartiere, die man ihnen im Palast zur Verfügung gestellt hatte, waren größer als ihr kleines Anwesen auf Hamad. Es gab sogar eine eigene kleine Bibliothek und Küche, für die es jedoch kein Personal mehr gab. Alle Diener und Männer, die der Kaiser erübrigen konnte, waren jetzt irgendwo unten in den Lagern und taten was sie konnten. Armell konnte nicht anders, als sich bei der Pracht, die sie hier umgab ein wenig schuldig zu fühlen. Zu viele andere hausten im Augenblick in Zelten und harrten nur der Dinge, die da kommen würden. Und doch war es schlicht nicht möglich, so viele in die fliegende Stadt zu bringen. Selbst wenn man alle Winden und Gondeln nutzen würde, würde es wohl Tage dauern alle herauf zu bringen und das war das Problem.  Es würde genauso lange dauern, sie wieder nach unten zu schaffen. Wenn es wirklich zu einem Angriff kam, saßen sie hier alle in der Falle. Hoffentlich würde es nicht dazu kommen, dachte sie und fragte sich insgeheim, wo Merl blieb. Er war jetzt schon fast drei Stunden fort... Gedankenverloren berührte sie die einzelne weiße Feder, die an einem Band um ihren Hals hing. Der Magier grübelte schon die letzten Wochen über irgendetwas nach, das war ihr klar. Sie wusste allerdings auch, dass es keinen Sinn hatte deswegen weiter nachzuhaken. Er würde sich Gedanken machen und reden, wenn er so weit war. Wie immer also eigentlich. Sie lächelte bei dem Gedanken und konnte doch die Sorgen nicht ganz aus ihrem Geist vertreiben. Der Kaiser hatte Merl vor einigen Stunden zu sich rufen lassen und das er bis jetzt nicht zurückgekehrt war… Es musste wichtig sein.

Alles was sie erfahren hatte war, das wohl ein Bote aus Silberstedt eingetroffen war. Armell hatte Merl zuerst noch begleiten wollten , aber ein Blick hatte ihr gereicht. Die stumme Bitte, hier zu bleiben und zu warten. Der junge Zauberer hatte besorgter gewirkt, als noch die Tage zuvor, als ahnte er bereits, dass man keine guten Nachrichten für ihn hatte. Und doch war Merl eben niemand, der seine Sorgen gerne mitteilte, sondern ein nachdenklicher Mensch, der sich gerne auch einmal zurückzog. Manche würden sagen, sogar etwas zu sehr, sie jedoch hatte genau das lieben gelernt. Und seine Rückkehr hatte daran wohl nichts geändert.

 Ihr war selber klar, dass sie ihm dazu in den letzten Wochen kaum Gelegenheit gegeben hatte. Doch es schien nach wie vor so unglaublich, wie ein seltsamer Traum, dass sie ihn wirklich wieder hatte, wieder in die Arme schließen konnte, nach allem was geschehen war… Es fiel ihr schlicht schwer, sich zu überwinden, ihm einmal von der Seite zu weichen, nachdem sie ihn schon verloren geglaubt hatte.

Und dann waren da auch noch die anderen… und Galren. Auch wenn er dem Wiedersprach, sie war es gewesen, die ihn dazu gedrängt hatte, sich seinen Fähigkeiten wieder zu öffnen. Und obwohl er auch das leugnete, sah ihm doch jeder an, dass er darunter litt… Dabei hatte doch grade sie gesehen, wie gefährlich seine Gabe für ihn… und grade andere werden konnte, nicht? Im Augenblick erinnerte er kaum noch an den jungen Mann, der bei ihr in Freybreak um Hilfe für ein törichtes Unterfangen gesucht hatte. Nun am Ende hatten sie alle einen hohen Preis dafür bezahlt.

Immerhin wären Freybreak und Hamad wohl in Sicherheit. Sie schmunzelte über die Ironie, das grade ihre einst größte Sorge, dafür sorgen würde, das die Insel verschont bleiben würde. Sie war schlicht nicht wichtig genug um ein lohnendes Ziel für Kultisten oder den Kaiser darzustellen. Es gab auf Hamad einfach nichts.

Sie schloss das Fenster und wendete sich wieder dem Feuer zu . Erneut berührte sie wie beiläufig die Feder um ihren Hals. Sie hatte Merl wieder, aber Sentine verloren. Das Wesen hatte gewusst, was für ein Opfer es brachte und insgeheim fragte sie sich ob Zachary de Immerson vor all den Jahren nicht bereits geahnt hatte, das so etwas geschehen würde. Er hatte ihr Sentine zum Geschenk gemacht, einem kleinen, fünfjährigen Mädchen, das vor Angst kaum reden konnte. Und doch hatte auch dieses Kind schnell erkannt, dass das Wesen mehr war als eine Spielkameradin.

Armell streckte die Hände dem Feuer entgegen um sich zu wärmen. Die Flammen ließen das Blau ihres Kleids mehr violett wirken und tauchten Sentines Feder in rot-goldenen Glanz. Dunkle Haare, die zu einem simplen Zopf geflochten waren, vielen ihr bis über die Schultern und an ihrem Gürtel glitzerte der Griff eines kurzen Dolchs.

Es war Syle, der darauf bestanden hatte, dass sie ebenfalls eine Waffe trug. Der Hochgeneral des Kaisers war vielleicht übervorsichtig, aber Armell musste zugeben, dass das Messer zumindest dafür sorgte, dass sie sich etwas sicherer fühlte. Nicht, das es viel nützen würde, wenn der rote Heilige wirklich Agenten in der Stadt hatte, dennoch hatte Syle ihr keine Wahl gelassen. In diesen Zeiten war eben auch die fliegende Stadt nicht sonderlich sicher, hatte er gemeint. Und sie als eine der wenigen noch in der Stadt verbliebenen Adeligen, stand unter dem Schutz des Kaisers. Was auch immer das noch Wert sein mochte. Der Rest des Adels, die sonst ihre Vertreter in der fliegenden Stadt hatten, war längst geflohen um ihren Besitz zu sichern oder sich in Sicherheit zu bringen. Und wenn sich einige von ihnen dem roten heiligen anschlossen, würde sie das auch nicht mehr überraschen.

Als sie hörte, die die Tür aufschwang, drehte sie sich um. Merl trat langsam ein, den Blick gesenkt. Eine braune Robe, die mit roten Ziernähten versehen war, fiel ihm um den Körper und er hatte sich die Kapuze ins Gesicht gezogen, wie um sich zu verstecken. Dennoch konnte Armell den Blick seiner grünen Augen ausmachen und die wirren Strähnen braunen Haars, die ihren Weg unter der Kapuze hervor fanden. Merl wirkte immer kleiner als er war, weil er meist leicht geduckt ging, genauso wie die Roben verbargen, das er eigentlich um einiges kräftiger gebaut war, als man vermuten würde. Heute jedoch trat er ohne zu zögern auf Armell zu… und blieb dann doch ohne etwas zu sagen stehen.  Sie wusste sofort, dass etwas nicht stimmte, ganz und gar nicht…

,, Merl ?“ Sie wagte selber nicht laut zu sprechen, während er endlich aufsah. Manchmal hatte sie das Gefühl, den Mann nicht mehr zu kennen, der von den Toten zurückgekehrt war. Merl schien ihr schweigsamer geworden zu sein aber auch ausgeglichener. Nun jedoch schimmerten seine Augen feucht.

,, Silberstedt ist an die Kultisten gefallen, Armell…“ Die Worten trafen sie wie ein Schlag, genauso wie sie wohl zuvor Merl getroffen hatten. Nein…

,, Und Zachary ?“ Sie hatte die Antwort schon gewusst, als sie seine Augen gesehen hatte. Merl schien sich einen Moment zu sammeln und als er wieder sprach, war sein Blick wieder klar. Er wollte nicht wie ein Kind über den Mann weinen, dem er so viel zu verdanken hatte. Und Zachary de Immerson war auch für sie ein guter Freund gewesen. Götter, sie hatte ihn seit ihrer Kindheit gekannt und  hatte in manchen Jahren mehr Zeit auf dem Rabenkopf als Daheim verbracht… Und nun ?

,, Es gibt keine Nachricht von ihm, kein Wort und kein Lebenszeichen… Aber den Fürst von Erindal haben sie hingerichtet, nachdem sie die Stadt einnehmen konnten…“

,, Das muss nicht heißen, das auch In Silberstedt…“

,, Mein Meister ist vermutlich Tod, Armell.“ Sein Ton hatte fast etwas belehrendes, als er ihr ins Wort fiel. Er wollte keinen Trost, dachte sie. Oder zumindest tat er noch so. Aber ich kenne dich doch so viel besser, dachte sie. Warum tust du immer noch so, als müsstest du alles verstecken? Sie streckte eine Hand aus und legte sie ihm an die Wange, bevor sie ihn ganz in die Arme schloss.

,,Es ist schon seltsam.“ , meinte er, während sie einander festhielten, sich gegenseitig zumindest etwas aufrichteten. ,,Ich habe in letzter Zeit so oft an ihn Gedacht Armell. Es ist… ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass er einfach fort sein könnte.“

Das war es also was ihn die ganzen Wochen beschäftigt hatte, dachte sie.  Und das er jetzt so eine Nachricht erhielt… Natürlich hatte er mit Zachary sprechen wollen.  Er war sein Schüler gewesen und am Ende… war der Grund aus dem Merl noch lebte das Ergebnis ihres gemeinsamen Lebenswerkes. Und dessen, was das für ihn bedeutete. Zachary war wohl der einzige, der ihm mehr über seine Herkunft hätte verraten können. Und nun war diese Möglichkeit vielleicht für immer dahin.

,, Ich glaube ich habe mich damals schon von ihm verabschiedet… Als wir aufgebrochen sind, weißt du noch?“ Armell nickte. Wie könnte sie das je vergessen. Letztlich war es der Anfang von all dem hier gewesen. Und erst diese Reise hatte dazu geführt das sie einander überhaupt näher gekommen waren.

,, ich hätte ihn nur gerne noch so viel gefragt… nur ein letztes Mal mit ihm gesprochen. Und sei es nur um ihm für alles zu danken.“

,, Ich weiß.“ , flüsterte sie. Was konnte sie sonst schon sagen. Zachary war auch für sie immer ein Teil der Familie gewesen. Teilweise mehr als ihre wahren Verwandten. Und nun war er fort, genau wie Sine. Sie verspürte selber einen schmerzhaften Stich bei dem Gedanken. So viele waren schon gegangen… und wie viele mehr es noch sein würden, wollte sie besser nicht wissen.

Vielleicht, dachte Armell sarkastisch, war das Leben als Fürstin einer dem Untergang geweihten Stadt gar nicht so furchtbar gewesen. Sie hatte nur noch Merl. Und nicht einmal das war sicher.

Sie küsste ihn  sanft und sei es nur um seine Lippen wieder einmal auf ihren zu spüren. Es schien ihr immer wieder zu zeigen, dass sie nicht schlicht verrückt geworden war, das Merl tatsächlich wieder bei ihr war. Und er erwiderte den Kuss. Seine Lippen strichen über ihre, sie konnte seinen warmen Atem spüren, das leichte Kitzeln seines Barts.  Und ehe sie sich versah, war aus dem simplen Kuss bereits mehr geworden. Seine Hände wanderten sanft hinab über ihre Arme zu ihren Brüsten, strichen über den Stoff ihres Kleids. Sie wollten jetzt einander und keiner von ihnen sich mit einem simplen Kuss zufrieden geben. Armell umfasste sanft seine Hände und zog ihn mit sich, hinaus aus dem Kaminzimmer und durch die angrenzenden Räume bis in ihre Schlafkammer. Auch hier schwelten noch die Überreste eines Feuers in einem zweiten Ofen und die Glut beleuchteten den Raum grade genug, dass sie ihre Umgebung erkennen konnten. Die Schatten von Möbeln huschten an ihnen vorbei, während Merl sie erneut küsste. Seine Hände waren mittlerweile unter ihr Kleid gewandert, hoben ihren Rock an und versuchten ihre Unterkleidung zu lösen. Götter, sie hatte es vermisst, ihn wieder so nahe bei sich zu spüren, dachte Armell, während sie gegen die Wand zurück stolperten.  Atemlos löste sie sich einen Moment von ihm und sie beeilte sich, die Unterkleider los zu werden, während Merl die Robe über den Kopf zog.  Ohne die schweren Stoffe wirkte der junge Magier um einiges muskulöser und schien Armell plötzlich um einen Kopf zu überragen. Dennoch ging er sanft, beinahe zögerlich vor, als er wieder auf sie zutrat. Armell konnte ein seufzen nicht unterdrücken, als sie ihn an sich zog, seine warme Haut an ihrer spürte. Sie drängte ihm ihr Becken entgegen, konnte die Härte zwischen seinen Beinen spüren. Und die Feuchtigkeit die sich an ihrer eigenen Mitte sammelte. Sie wollte nicht mehr warten, doch Merl schien gar nicht daran zu denken, ihr schon Erlösung zu gewähren. Stattdessen spürte sie nur wie er grade mit der Spitze seines Penis in sie drang und langsam wieder zurückzog. Immer wieder und ruhig, während Armell die beinahe Vereinigung fast um den Verstand brachte. Sie konnte ihn genau spüren,  sein Glied unter sich und doch wenn sie ihm die Hüften entgegenschob, war er schon wieder fort. Ihm war sichtlich anzusehen, das er dieses Spiel genoss, dachte sie. Auch wenn es ungewöhnlich für ihn war, so eine dominante Rolle bei ihrem Liebesspiel einzunehmen… Es gefiel ihr und Merl schien genau zu wissen was er tat. Es war neu… und die Aufregung steigerte ihre schon quälende Erregung nur noch.

Und dann zog er sich plötzlich ganz aus ihr zurück.  Ein enttäuschtes seufzt entrang sich ihr, doch ehe sie dazu kam, zu fragen, was das sollte, ging er vor ihr auf die Knie. Im nächsten Moment spürte sie auch schon seine Zunge an ihrer Scham, die forschend in sie drang. Merl schien jegliche Scheu verloren zu haben. Sie spürte die raue Textur der Zunge in ihr, die dort über die geheimsten Stellen strich, wie sie sich wieder zurückzog, ihre Perle umschloss und vorsichtig damit spielte…

Seine Hände hatte Merl dabei an ihre Hüften gestützt, während ihre Hände sich hilflos in seinem Haar vergruben. Sie genoss dieses Spiel genau so sehr wie er, doch wollte sie endlich mehr, ihn ganz spüren…  Ihre Gedanken schienen keine feste Folge mehr zu haben, es gab nur noch  die Wärme zwischen ihren Beinen und die Zunge. Die Augen geschlossen lehnte sie sich zurück gegen die Wand , während sich die Hitze in ihrem Unterleib immer mehr zu steigern schien. Ihre Hüften begannen sich wie von selbst zu bewegen, ihm entgegenzudrücken… Sie keuchte auf. ,, Merl…“ Es klang mehr wie ein Hilferuf. Jeder klare Gedanke wurde von der aufsteigenden Hitze in ihr verdrängt. Sie hatte die Kontrolle über ihren Körper längst verloren, schrie auf, als der Orgasmus sie ganz erfasste. Sie bekam nicht einmal mit, wie oder wann Merl sich von ihr zurückgezogen hatte, aber als sie das nächste Mal aufsah, stand er wieder vor ihr und sah sie beinahe…. Sorgevoll an ?

Armell rang nach Atem, während sie ihn an sich drückte. Ihr Kopf fühlte sich leer an, ihr Mund wollte keine Worte formen.

,, War das… gut ?“ Merl klang plötzlich wieder wie ein kleiner Junge, dachte sie und musste ein grinsen unterdrücken. ,, Ich habe dir nicht wehgetan, oder ?“

,,Götter, Merl…“ Sie kicherte leise in seine Schulter. ,, Was machst du nur mit mir…“

Ihm schien das Antwort genug zu sein, während Armell ihn mit sich zog und auf das Bett zurückfallen ließ. Die Polster gaben ein knarzen von sich, als sie nackt und verschwitzt zwischen den Decken landeten. Dabei  strich ihr linkes Bein über  seinem noch immer halb aufgerichteten Penis.

Ohne groß nachzudenken, rollte sie sich auf ihn und drückte ihn zurück in die Kissen. Kurz verharrte sie einfach wo sie war, hob ihr Becken und wollte ihn in sich aufnehmen. Dann jedoch kam ihr eine andere Idee…

,, Ich glaube… den Spieß kann ich umdrehen.“  Einen Moment zögerte sie noch. Dann jedoch gab Armell sich einen Ruck. Im Zweifelsfall konnten sie morgen alle Tod sein, dachte sie. Und sie wollte sicher nicht behaupten, einen Moment mit Merl verpasst zu haben… Bevor Merl dazu kam zu fragen, was sie meinte rutschte Armell  auch schon an ihm herab bis sie auf gleicher Höhe mit seinem Glied war. Merl setzte zu einer Frage an, die jedoch in ein leises Stöhnen überging, als sich ihre Lippen um seinen Schaft schlossen. Forschend ließ Armell ihre Zunge über seine Länge wandern. Dünne Speichelfäden bildeten sich, als sie seinen Penis wider entließ und erneut vorsichtig aufnahm. Merl reagierte darauf in dem er sich ihr entgegen hob, seine Hände wanderten ziellos über die Decken.

Das könnte noch ein interessanter Abend werden, dachte sie.

 

 

Kapitel 10 Lauschen

 

 

 

Das Gewirr aus Zelten , das sich unter der fliegenden Stadt erstreckte, war mindestens genau so unübersichtlich, wie die endlosen Gänge und Korridore des kaiserlichen Palastes. Wenn nicht schlimmer, dachte Galren, als er fast über einige gespannte Seile stolperte. So weit er sehen konnte erstreckte sich eine Einöde aus großen, braunen und grauen Zelten, erloschenen Feuerstellen und Menschen… so unfassbar viele Menschen, die sich zusammendrängten. Mehr als einmal  bekam er einen Ellenbogen in die Seite oder sogar auf die nach wie vor empfindliche Haut auf seinem Rücken. In diesem durcheinander eine einzelne Person zu finden war fast unmöglich. Zumindest, solange man nicht genau wusste, wo man suchen musste.

Tagsüber war das Lager von Lärm und Leuten erfüllt. Noch immer trafen jeden Tag neue Reisende ein, manche auf der Flucht, andere mit finstereren Interessen. Bereits jetzt gab es hunderte von Fuhrleuten, die Anboten, die Leute noch weiter ins Landesinnere zu bringen… zu gesalzenen Preisen. Genau so gab es jene, die aus dem Verlust anderer Kapital schlagen wollten. Die meisten Flüchtigen hatten ohnehin nur retten können, was sie mit sich tragen konnten. In den meisten Füllen Lebensmittel und Kleidung doch einige wenige hatten auch Familienschätze, Geld und sogar vereinzelt Möbel bei Seite geschafft. Und damit schlug die Stunde der Aaskrähen, dachte Galren. Hier im Lager konnte man auch mit allem Gold keinen Komfort kaufen und selbst harte Münze war kaum etwas Wert. Und so kam es oft genug vor, dass die Leute Ring, Ketten, Uhren und Waffen gegen trockenes Bort und einen Kessel Suppe eintauschten. Sowohl die Garde, als auch die im Lager patrouillierenden Paladine versuchten zwar solche Geschäfte zu unterbinden… aber gegen das nötige Bestechungsgeld sahen auch die Gardisten einmal weg und was die Paladine anging, so gab es schlicht zu wenige von ihnen, als das sie überall sein konnten.

Galren sah oft genug, wie sich  einzelne Gestalten rasch wegduckten, sobald sie einen roten Mantel in der Menge erspähten, nur um im nächsten Augenblick wieder die Köpfe zusammen zu stecken. Nur die, die er suchte, hatte er bisher nicht entdecken können. Was auch daran liegen mochte, das seine Augen ohnehin vor Müdigkeit tränten. Seine körperlichen Wunden heilten, langsam aber sicher und immerhin konnte er sich mittlerweile wieder ohne Schmerzen bewegen. Zumindest solange er es langsam angehen ließ. Er würde sich ganz sicher für die nächsten Monate keinen Handstand zutrauen, dachte er.

Und wo zumindest auf seiner Haut nur Narben bleiben, gruben sich die Träumer mit jedem Tag tiefer. Er konnte sie jetzt schon sehen, wenn er die Augen auch nur einen Moment schloss. Düstere Visionen, die sich ihm nicht erschlossen und doch immer nur dieselbe Botschaft vermittelten. Er wurde gerufen, seltsamerweise fast so, wie man einen alten Freund rufen mochte, nicht gezwungen sondern lockend, freundlich… Wüsste er nicht, das diese Stimme dem Mann gehörte, dem er seine Verletzungen zu verdanken hatte, dem Mann, der fast Elin und danach alle anderen getötet hatte… es wäre so einfach der Aufforderung auch zu folgen. Und tief in seinem inneren fürchtete er, diese Stimme auch einmal schon viel früher gehört zu haben. Damals… als er es gewesen war, der beinahe alles vernichtet hätte. Es musste aufhören oder er würde den Verstand verlieren…

Galren sah sich weiter um , doch die Zelte sahen schlicht in jede Richtung gleich aus. Die einzige Orientierung, die er hatte, war der Schatten der fliegenden Stadt über ihm. Wie ein großes,

steinernes Spinnennetz zogen sich Silberne Brücken und schwebende Inseln über ihm dahin. Dort wo der kaiserliche Palast über dem Lager schwebte, blockte er sogar die Sonne aus und tauchte die Zelte darunter in Zwielicht. Immerhin ging er vermutlich in die richtige Richtung, dachte Galren. Naria zu finden würde auch so schon nicht einfach werden.  Im Lager gab es dutzende von Verletzten und noch viel mehr Kranke, deren Zahl, jetzt wo die kälteste Jahreszeit näher rückte, nur noch mehr zunehmen würde . Die Heilerin wurde hier unten schlicht mehr gebraucht und hatte sich auch als eine der ersten bereit erklärt zu helfen, sobald sie erfuhr, dass sie gebraucht wurde. Und dabei war es geblieben. Galren hatte sie seit dem kaum noch gesehen, höchstens Flüchtig, wenn sie doch einmal den Weg hinauf in die Stadt fand, meist nur um neue Vorräte mit hinab zu nehmen. Getrocknete Kräuter ,Tinkturen, Pulver Pflanzen…   Der Kaiser hatte bereits angeordnet, das die Gejarn alles bekommen sollte, was sie brauchte und auch wenn Galren von der Heilkunst reichlich wenig verstand… von den schieren Mengen her, musste die Lage düster sein. Und der Winter würde nicht nur mehr Krankheiten mit sich bringen… Die Zelten würden kaum Schutz vor der Witterung bieten. Und bis die ersten Leute anfingen zu erfrieren wäre es dann nur eine Frage der Zeit. Auch wenn die fliegende Stadt sich unendlich langsam nach Süden schob,  dem Schnee würden sie nicht entkommen.

Er passierte erneut eine kleine Gruppe Paladine, die einen Händler in die Mitte genommen hatten. Der Mann hob abwehrend die Hände, als wollte er seine Unschuld beteuern.  Die Goldringe, die daran schimmerten sprachen jedoch scheinbar eine andere Sprache, genauso wie die schweren Ketten um seinen Hals. Ohne auch nur auf seine Proteste einzugehen, schoben die Männer ihn schlicht vor sich her und hin zum Rand des Lagers. Vermutlich würde man ihn fortschicken, nur damit er ein paar Tage später auf der anderen Seite der Zelte auftauchte und weiter Geschäfte machte. Sie hatten schlicht nicht genug Männer, dachte Galren. Selbst mit den Paladinen…

Vor kaum einer Woche hatten sich die verbliebenen Krieger aus Helike schließlich ganz dem Kaiser verschrieben. Zumindest, bis ihre Heimat befreit war. Und in Anbetracht dessen wie die Dinge standen, hieß das wohl, das sie ab jetzt alle im selben Boot saßen.

Galren war dabei gewesen, als die Männer ihren Eid geleistet hatten. Und dabei hatte er auch zum ersten Mal den Archonten gesehen.  Angeblich waren alle fünf Archonten, die Helike regierten beim Fall der Stadt umgekommen oder wenig später auf der Flucht vor den Kultisten in Richtung Canton gestorben. Alle… bis auf einen. Wys Carmine hatte ebenfalls für viele als Tod gegolten, bis er an jenem Tag zusammen mit fast zweihundert Paladinen in den Palast gekommen war. Männer, die vor dem Kaiser auf die Knie sanken, doch als der Archont sich ebenfalls verbeugen wollte, war Kellvian auf ihn zu getreten und den Mann an den Schultern gefasst. Galren hatte das ganze nur aus der Ferne beobachten können, doch der Kaiser schien sich einen Moment leise mit  Wys zu unterhalten, bevor sie sich wieder trennten und der Archont ebenfalls auf die Knie sank. Seltsamerweise schien Kellvian darüber kaum erfreut aus. Ganz Im Gegenteil, wenn Galren den Blick des Kaisers hätte deuten müssen, er hätte  Mitleid und Trauer erkannt.

Und Wys selbst ? Der Mann, der in der weißen, schlichten Robe eines Archonten vor den Kaiser getreten war, hatte ausgezehrt gewirkt, kränklich. Wie jemand , der zu lange Zeit in der Dunkelheit verbracht hatte… Und doch waren seine Schritte fest und jede Bewegung sicher, nicht wie die von jemand, der erst kurz zuvor einen Bruder… und noch so viel mehr verloren hatte. Wys Carmine war Narias Onkel  gewesen und zusammen mit ihrem Vater Zyle auf Maras verschollen. Doch nur einer der beiden Brüder war  auch wieder aufgetaucht…

Sie hatten wahrlich alle Verluste hinnehmen müssen, dachte er. Visionen und Träume warne nicht das einzige, was die Leute wach hielt… für manche waren ihre Alpträume leider längst zur Realität geworden. Sie hatten ihre Heimat verloren, ihre Freunde und Verwandten… und nun war es nur eine Frage der Zeit, bis der Herr der Ordnung kam um sich den Rest zu holen. Endlich konnte Galren vor sich das äußere Ende des Lagers ausmachen, wo die endlosen Zeltreihen in, von tausenden von Füßen platt getrampelte, Wiesen übergingen.  Eine einzelne, breite Straße zog sich mitten durch die Landschaft hindurch , einer der Händlerwege, die das Kaiserreich durchzogen. Und zumindest in Friedenszeiten auch Verbanden, dachte Galren. Etwas weiter dahinter begannen die Wälder der Herzlande, welche die Heimat für die meisten Gejarn außerhalb von Laos und Maras bildeten. Immerhin war es für die Clans einfacher, sich vor den Kultisten in Sicherheit zu bringen. Die meisten von ihnen lebten nomadisch in wandernden Dörfern, die sich innerhalb weniger Tage auf und abbauen ließen. Und gleichzeitig hatten sie auch Geschichten von ganzen Clans gehört, die restlos ausgelöscht worden, weil sie versuchten, ihre Heiligen Plätze zu schützen. Unter der Herrschaft des Kaisers waren unähnliche Religionen und Kulte gediehen, die, solange sie sich kaiserlichem Recht als oberste Instanz unterordneten, auch allgemein Gedudelt wurden. Doch die Kultisten des Herrn der Ordnung kannten nur einen Gott. Geisterbäume wurden verbrannt, Tempel und heilige Quellen, Kirchen und Opfersteine geschleift. Und die Götter starben leise ohne auf die Schreie ihrer Anhänger zu antworten…

Rasch schüttelte  er diese Beunruhigenden Gedanken ab und setzte seinen Weg fort. Narias Zelt gehörte bei weitem zu den größten im Lager, was alleine schon dem Umstand geschuldet war, das man alle Kranken und schwerer Verletzten hierher verlegt hatte. Galren war erst einmal zuvor hier gewesen und umso erleichterter, das er den Weg wieder gefunden hatte. Das innere war durch Vorhänge und Decken in zwei Teile geteilt worden, einen kleineren, die Naria als Quartier dienten und über einen separaten Eingang verfügten und dem größeren, in dem sich Strohlager an Lager reihte. Galren ließ den ersten Eingang hinter sich und hielt auf den zweiten Durchgang zu, wo die Zeltplane von zwei Stangen abgestützt wurde. Schon von weitem schlug ihm der Duft von getrockneten Kräutern und Pflanzen  entgegen, der zusammen mit dem Dunst von Blut und Schweiß und Krankheit  vom Krankenzelt herüber wehte.  Galren spürte, wie sein Magen bei dem Durcheinander aus Gerüchen rebellierte. Zum Glück trugen seine Träume auch nicht grade dazu bei seinen Appetit zu steigern, dachte er. Hätte er heute Morgen mehr als eine trockene Scheibe Brot heruntergebracht, er wäre sich nicht sicher, ob er es auch bei sich behalten hätte. Und Naria hatte vermutlich eine deutlich empfindlichere Nase als er.  Wie sie es, Kräuter hin oder her, überhaupt längere Zeit hier aushielt, war ihm ein Rätsel.  Und es trug nur dazu bei, den gesunden Respekt, den er vor ihr hatte noch etwas zu steigern. Es brauchte mehr als bloß gute Absichten um freiwillig hier zu verweilen. Allerdings war die Gejarn für ihn ohnehin schon immer etwas undurchsichtig gewesen. Wenn Naria etwas von sich preisgab, dann nur was sie wollte und das war… wenig.

Noch ehe er den Zelteingang erreichte, hörte er bereits Stimmen, die aus dem inneren herausdrangen. Galren wurde langsamer und blieb schließlich im Eingang stehen. Naria schien sich mit irgendjemanden zu unterhalten, allerdings so gedämpft, das er zuerst kein Wort verstand.

Ein Teil von ihm wollte auf sich aufmerksam machen um nicht beim Lauschen erwischt zu werden. Der andere jedoch ließ ihn bloß stehen bleiben wo er war. Das innere des Zelts lag im Kontrast zu der Helligkeit draußen in trüben Schatten, so dass er kaum etwas erkennen konnte. Lediglich die zwei Schemen, die sich leise Unterhielten. Einen Moment hätte er nicht zu sagen gewusst, welcher von ihnen NAria war und welcher nicht, bis ihm die grauen Strähnen im Haar der einen Gejarn auffielen. Das musste Relina sein… Narias Mutter. Jetzt bekam er tatsächlich ein schlechtes Gewissen, bevor er jedoch dazu kam, auf sich aufmerksam zu machen, hob Naria plötzlich die Stimme. Es war immer noch nur ein leises Zischen, aber der Ärger un die Sorge darin waren deutlich zu hören.

,, Kellvian hat ihn sofort durchschaut. Was glaubst du, wie lange er dieses Spiel treiben kann? Wie lange wird es dauern, bis ihn jemand erkennt, der nicht schweigt?“

Die ältere Gejarn sah betroffen zu ihrer Tochter auf, bevor sie den Blick abwendete. Und Galren sich räusperte.

,, Verzeiht, ich wollte nicht lauschen.“ , erklärte er.  Sowohl Relina als auch Naria drehten sich zeitgleich zu ihm um.

,,Galren ?“ Naria blinzelte einen Moment .Gegen die Helligkeit des Eingangs konnte sie vermutlich kaum mehr als seine Silhouette ausmachen. ,, Wie lange steht ihr schon da ?“ Wenn die Gejarn je unsicher geklungen hatte, dann wohl in diesem Moment. Auch wenn er grade mal einen Satz aufgeschnappt hatte… um was immer es hier ging, sollte ihm wohl nicht zu Ohren kommen. Oder sonst jemanden.

,, Ich sollte besser gehen.“  Relina raffte ihren Federmantel um sich und trat an ihm vorbei. Nicht jedoch, ohne sich noch ein letztes Mal zu ihrer Tochter umzudrehen. ,, Ich weiß, das du seine Entscheidung nicht verstehst , Relina. Ich auch nicht… und ich kann es auch nicht gut heißen. Aber wir tuen alle nur, was wir für richtig halten…“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und war auch schon an Galren vorbei und in den Gassen des Lagers verschwunden.

 

Kapitel 11 Wahnsinn

 

 

 

Galren duckte sich unter der niedrig hängenden Deckplane hindurch, während er noch kurz Relina nachsah. Die Gejarn hatte es offenbar ziemlich eilig gehabt sie alleine zu lassen. Normalerweise hätte er dem keine Aufmerksamkeit geschenkt, schon alleine weil er sie unfreiwillig belauscht hatte. Aber irgendwie schien ihr Auftauchen sie fast… gefreut zu haben?  Er konnte es nicht ganz festmachen, aber sie hatte sich nicht benommen,  als hätte sie ihn grade beim Lauschen erwischt…

,, Sie hatte es offenbar eilig ?“ , fragte er, daher an Naria gewandt.

,, Ich glaube fast sie hat die Hoffnung einmal Enkel zu haben noch nicht ganz aufgegeben…“ , erklärte Naria lediglich in trockenem Tonfall.

,, Was ?“ Galren war sich einen Moment sicher, sich verhört zu haben,.

,,Gar nichts.“ Naria grinste lediglich und schüttelte den Kopf, als sie seine Verwirrung sah.  Irgendwie war es doch schön zu sehen, das diese Frau so etwas wie Humor besaß, dachte er. Auch wenn ganz offenbar eine ziemlich verquere Art. ,, Also, euch führt doch sicher noch etwas anderes her, als mir dabei zuzuhören, wie ich mich mit meiner Mutter streite….“

Im inneren des Zelts war es dunkel, aber Galrens Augen gewöhnten sich langsam an die schummrigen Lichtverhältnisse. Ein schwerer Vorhang, der die meisten Geräusche schluckte, trennte Narias Quartiere von den Krankenlagern ab, an dem die Gejarn dutzende von leinen Regalen und Schränkchen aufgebaut hatte. Flaschen und Töpfe in denen Kräuter und Pflanzenteile trockneten oder in Alkohol und anderen Lösungen schwammen  reihten sich daran auf, nur erleuchtet von einigen Kerzen. Galren hätte vermutlich Schwierigkeiten gehabt, auch nur eine der Phiolen zu benennen, doch Naria schien sich bestens zu Recht zu finden. Während sie noch auf eine Antwort von ihm wartete, hatte sie bereits ein halbes Dutzend kleine Schälchen aus den Regalen genommen und begann den Inhalt in einem Mörser aus Keramik zu vermischen. Der Geruch von Kräutern und alkoholischen Tinkturen wurde noch etwas stärker und selbst auf die Entfernung begannen Galrens Augen zu Tränen.

Einen Moment glaubte er die bunten Schatten, die über den mit einem Teppich ausgelegten Boden zu seinen Füßen und Narias Rücken wanderten mussten daher stammen, dann jedoch hob er den Kopf.  Durch eine kleine Öffnung im Zeltdach viel ein dünner Lichtstrahl ins Innere, kaum genug, das er gereicht hätte, die Umgebung zu erhellen. Doch das war auch nicht der Zweck, wie Galren fasziniert feststellte. Fast genau über seinem Kopf hing , an einem Geflecht aus verdrehten Drähten, ein Windspiel aus Kristall. Manche der Steine waren vom Ruß geschwärzt und viele gesprungen, doch mit jedem Windhauch erfüllten sie das innere des Zelts mit leisem Klingen. Und das Licht, das sich in den Prismen brach, warf Regenbogenfarbene Schatten auf Möbel und Wände. Selbst dort, wo die Steine gesprungen waren, schimmerten sie, je nachdem aus welchen Winkel man sie betrachtete, in einer anderen Farbe. Galren war sofort fasziniert von dem Lichterspiel und für einen Moment rückten sogar seine Erschöpfung und seine Träume in den Hintergrund, während er die Kristalle vorsichtig mit der Hand anstieß. Sofort veränderte sich das Farbenmeer zu seinen Füßen, wechselte von ehemals dominierenden orange, gelb und Rottönen zu tiefem Blau und allen Schattierungen von Grün. Es war Wunderschön, so wenig er es verstand. Ein Farbfleck inmitten der Tristesse und Ödnis der Lager.

,, Was ist das ?“ , fragte er an Naria gewandt, die einen Moment von ihrer Arbeit aufsah und seinem Blick folgte.

,, Das letzte, was von Maras noch übrig ist, fürchte ich.“ Einen Moment schien selbst sie von dem Lichterspiel gefangen, obwohl sie es wohl jeden Tag sah. ,, Das stammt aus der Lichterhalle im Versammlungssaal .  Vor ein paar Monaten noch, gab es tausende wie dieses. Jeder Zauberer, der auf Maras das Ende seiner Ausbildung erreicht hat, fertigte ein solches Windspiel, Galren. Jetzt… sind die meisten von ihnen Tod und ihre Kristalle zerbrachen mit ihnen. Und das ist zum Teil auch meine Schuld…“

,, Warum sagt ihr so etwas ?“ Narias Stimme klang belegt und traurig. Natürlich hatte auch er mittlerweile von dem Massaker gehört, das die Männer des roten heiligen unter den Magiern von Maras angerichtet hatten. Aber wenn dann gab es nur einen Schuldigen dafür und das war ganz sicher nicht Naria. Oder irgendjemand sonst von der Insel.

,, Weil es stimmt, Galren. Ich habe darauf bestanden, dass wir bleiben und kämpfen. Hätte ich das nicht getan… vielleicht wären sehr viel mehr entkommen. Ich habe sie sehenden Auges in den Tod laufen lassen, obwohl mir klar war, das wir nicht gewinnen können…“

,,  Naria…  wenn ich eins weiß, dann das ihr niemand seid, der so eine Entscheidung leichtfertig treffen würde.“

,, An diesem Tag schon. An diesem Tag habe ich einen Fehler gemacht… den größten meines Lebens. Und ich habe teuer dafür bezahlt…“

,, Euer Vater…. Ich habe gehört, was passiert ist. Ich weiß Worte ändern nichts aber… es tut mir leid. Ich weiß wie es sein kann…“ Andererseits, er hatte seinen Vater schon Jahre zuvor verloren geglaubt. Varan Lahaye mochte durch seine Hand gestorben sein, doch zu dem Zeitpunkt, war von dem Mann, den Galren einst seinen Vater genannt hatte schon kaum mehr etwas übrig gewesen. Bis auf… ja bis vielleicht auf diesen letzten Moment, als die Klinge zerbrach und sein Blick für einen kurzen Herzschlag wieder zu klären schien… Und ihm drohte möglicherweise das gleiche Schicksal, wenn er nicht vorsichtig war. Er konnte es spüren, wieder gezogen wurde, getrieben. Und so sehr er sich dagegen stemmte…  er verlor den Kampf, konnte spüren wie er sich Stück für Stück wieder verlor. Deshalb war er hier….

,,  Ich brauche etwas, das mich schlafen lässt, Naria. Möglichst traumlos. Nur ein paar Stunden, aber ich darf nicht mehr Träumen…“ Er wusste selber, wie verzweifelt seine Stimme dabei klang.  Und was konnte er auch anderes tun. Mit seiner Gabe waren auch die Einflüsterungen wieder erwacht…

Naria musterte ihn einen Moment unsicher. ,, Ich halte das für keine gute Idee, Galren.  Ich habe zwar noch ein paar Schattenpilze, aber die Dosis, die ich euch in der Zwergenstadt gegeben habe, hat nichts bewirkt. Und das war schon mehr, als ich irgendjemanden zumuten würde.  Wenn ihr mehr nehmt… könnte das dafür sorgen, das ihr gar nicht mehr aufwacht. Das ist euch klar?“

,, Das würde mein Problem allerdings auch lösen.“ , murmelte er. Naria sah ihn daraufhin nur entsetzt an.

,, Ich werde euch nicht helfen, euch umzubringen…“

,, Naria, ich verliere den Verstand, wenn das noch etwas so weitergeht...“ Er schloss einen Moment die Augen nur einen Moment. Um sich zu sammeln, wie er sich selber sagte. Es war kaum mehr als ein Blinzeln… und doch reichte es aus.

Mit einem Mal war er wieder in der Dunkelheit. Das Zelt und Naria waren verschwunden, genauso wie das Lichterspiel. Es gab nur noch ihn und eine leise, fast freundliche Stimme, die doch einem Monster gehörte…

,, Lass mich in Ruhe !“ Grenzenlose Wut stieg in ihm auf, während er die Worte der Dunkelheit entgegen schleuderte. Doch sein verborgener Gegner ließ sich davon ganz offenbar kaum beeindrucken… Galrens Hände schlossen sich um den Schwertgriff, während er fortstürzte, die Klinge zog…  Das Kristallschwert klirrte, ein durchdringendes Singen, das mehr nach einem leisen Lied den Tod klang. Einen Moment ging alles in einem grellen Blitz unter, als die Klinge herabsauste, dann hörte Galren wie etwas mit lautem Krachen zersprang.

Mit einem Mal war er zurück im Zelt. Kristallsplitter gingen um ihn herum zu Boden, streuten das Licht, das durch den Eingang herein fiel in tausend Farben.  Das Lichterspiel, dachte er und starrte einen Moment auf das Schwert in seiner Hand. Er hatte die Waffe erhoben und schon halb zum Schlag gesenkt. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, warum er sie überhaupt gezogen hatte, nur an die rasende Wut… Naria wollte ihn im Stich lassen, weigert sich etwas zu unternehmen…

,, Wenn ihr mir freiwillig nicht helfen wollt… dann sei es ebenso…“  Noch immer hielt er das Schwert erhoben, glitzerten die Kristallscherben des Lichterspiels auf dem Boden. Dort, wo es einmal gehangen hatte, baumelten nur noch einige lose Fäden.

Naria wich vor ihm zurück, einen Ausdruck nackten Entsetzens auf dem Gesicht. Einen Moment lang verstand Galren nicht einmal, was überhaupt geschehen war, seine eigenen Worte schienen aus weiter Ferne zu kommen, nicht seinem eigenen Verstand zu entspringen.

Seine Arme fingen an zu zittern, während sich der Schleier über seinen Geist langsam wieder hob. Und sobald ihn die ganze Erkenntnis dessen traf, was grade geschehen war, stolperte er zurück und ließ das Schwert fallen, als hätte er sich verbrannt.

,, Oh Götter… Ich… Naria, ich habe keine Ahnung warum ich das grade getan habe… ich… Oh Götter, es tut mir so leid…“ Er wich vor ihr zurück, die Arme von sich gestreckt. Galren glaubte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. ,, Ich kann  nicht mehr…“

Seine Beine gaben unter ihm nach und er sank zu Boden. Die Kristallscherben schnitten in seine Handflächen, als er versuchte, seinen Sturz abzufangen  und schließlich einfach liegen blieb. Blut tropfte von seinen Fingerspitzen und Galren wagte erst gar nicht, erneut zu Naria aufzusehen.

Atruns Schneide war durch den Kristall gedrungen wie Butter… Sie musste ihn hassen, dachte er. Dafür gab es keine Entschuldigung mehr, egal welcher Wahnsinn in ihn gefahren war. Doch er spürte nur, wie sie zwei Hände auf seine Schultern legten und ihn erstaunlich sanft , aber bestimmt wieder auf die Füße zogen.

,, Setzt euch gefälligst.“ Naria schubste  ihn mühelos zu einem Stuhl in der Nähe und lies ihn einfach davor stehen, bevor sie sich wieder ihren Regalen mit Kräutern und Tinkturen zuwendete. ,, Ihr hättet längst zu mir kommen sollen, wenn es so schlimm ist…“ Sie klang nicht wütend… nur vorwurfsvoll. Und Besorgt, wenn er ehrlich war.

Galren konnte einen Moment nur unsicher blinzeln, während er sich langsam auf den Angebotenen Platz sinken ließ. Kaum saß er, warf Naria ihm auch schon ein großes Tuch zu nur um sich gleich darauf wieder ihrer Arbeit zuzuwenden.

,, Kümmert euch um eure Hände.“ , befahl sie schlicht und Galren war sich einen Moment unsicher

was er eigentlich damit sollte, bis ihm das Blut auffiel, das immer noch zwischen seinen Fingern hervorquoll.  Seltsamerweise spürte er nicht einmal Schmerzen dabei. Alles schien einfach weit weg zu sein, selbst sein eigener Körper. Während die Gejarn weiter in den Regalen wühlte, begann er, das Tuch in kleinere Streifen zu reisen und zumindest die linke Hand, die es am schwersten erwischt hatte zu verbinden. Mit dem Schwert wäre es ihm leichter gefallen, den Stoff zuzuschneiden, doch die Klinge wieder zu berühren war im Augenblick das letzte was er wollte.

,, Es tut mir wirklich leid…“ , murmelte er schwach und Naria hielt tatsächlich einen Moment inne und drehte sich zu ihm um. Kurz  war er nicht sicher, was er von ihrem Gesichtsausdruck halten sollte. Und langsam wurde ihm klar, dass sie selber nicht wusste, ob sie ihm so simpel verzeihen konnte… oder wollte.

Dann seufzte sie jedoch. ,, Es ist nicht eure Schuld.“ , erklärte Naria leise. ,, Und doch hättet ihr längst zu mir kommen müssen. Ihr habt doch gewusst, dass so etwas  früher oder später passieren würde. Geister, Galren wir wissen es alle.“

,, Ja ich…“ Ja warum hatte er so lange gezögert, warum gewartet bis er bereits am Rand des Zusammenbruchs war? Er wusste es nicht. ,, Ich verschwinde immer mehr, Naria. Ich kann es spüren, wie ich mir selbst einfach entgleite und nicht dagegen tun kann…“

,, Nun zumindest das ist jetzt vorbei.“ Naria hatte sich wieder ihren Kräutern zugewandt und gab eine Reihe davon nacheinander in einen Mörser, bevor sie etwas darüber gab, das für Galren  verräterisch nach scharfem Alkohol roch. Einige Minuten lang werkelte sie so schweigend vor sich hin, während sie den Keramiktopf über eine Kerzenflamme stellte, bis der Alkohol zu dampfen begann. Allein von dem Dunst wurde Galren schon benommen und er wäre am liebsten aus dem Zelt gegangen. Dann holte Naria ein Glas aus den Regalen über sich, setzte einen dünnen Papierfilter darüber und goss die Mischung aus Pflanzenteilen und Alkohol hindurch, die mittlerweile eine tiefgrüne Farbe angenommen hatte. Den Inhalt des Glases wiederum berührte sie noch mehrmals durch weitere Filter, bis der Inhalt am Ende in einer etwa faustgroßen Phiole landete, die sie vorsichtig an sich nahm.

Bevor Galren jedoch die Finger danach ausstrecken konnte, zog sie das Fläschchen  wieder zurück.

 ,, Galren, ich weiß ihr hört mir sowieso nicht zu… und in Anbetracht der Alternative mag es euch egal sein… aber der Inhalt dieses Fläschchens würde ausreichen um zehn Männer umzubringen, die zu leichtfertig damit umgehen. Schon von drei Tropfen wird euch Übel werden, glaubt mir. Aber ihr werdet auch garantiert schlafen. Was die Träumer angeht… ich weiß nicht ob Kräuter etwas gegen Magie ausrichten können, die ich nicht einmal verstehe. Aber ihr dürftet immerhin Ruhe finden.“

Galren wusste, er hätte sie anlüge sollen. Doch im Augenblick schien er nicht in der Lage zu sein, Naria etwas anders, als die Wahrheit zu sagen. ,, Ich sterbe lieber, als das ich wieder damit anfange, Leute zu verletzen, die mir etwas bedeuten, Naria. Ich… kann das niemanden noch einmal antun.“ Nicht ihr. Nicht Elin. Nicht sonst jemanden…

Sie zögerte einen Moment, schloss dann jedoch die Augen und reichte ihm die Phiole. ,, Versprecht mir nur, das ihr vorsichtig seit… und verdammt nochmal nicht einfach aufgebt…“
,, Ich tue was sich kann.“ , versprach er und war das nicht genau das, was er hier tat ? Kopfschüttelnd öffnete er die Phiole und gab ein paar Tropfen auf seine Zunge. Ob es wirklich drei waren zählte er erst gar nicht und als Naria sich das nächste Mal zu ihm umdrehte, war er bereits im Sitzen eingeschlafen. Die Gejarn seufzte kurz, bevor sie an ihm vorbei nach draußen trat. Immerhin, es schien zu helfen, dachte sie und ein dünnes, trauriges  Lächeln  stahl sich auf ihr Gesicht.

 

 

Kapitel 12 Anschuldigungen

 

 

 

Elin sah etwas ratlos zwischen den Beiden Zwergen hin und her. Kasran  Mardar wirkte in seinem roten Mantel und dem bis zum Rand gefüllten Weinkelch fast entspannt, während er sich locker an die Kante eines Tisches lehnte. Sie befanden sich in einem  großen Raum, der wohl als Empfangszimmer diente. Im Kamin prasselte ein Feuer, das den Saal trotz seiner Größe beinahe unangenehm warm werden ließ und schwere Teppiche auf Böden und an den Wänden  sorgten nur dafür, dass es noch wärmer wurde. Die Abendsonne  schien durch die Fenster im Teil des Palastes, den Kellvian dem Zwergenkönig zur Verfügung gestellt hatte. Dieser wiederum schien das genaue Gegenteil des entspannten Thanen zu sein. Hadrir sah aus, als wäre er Kasran am liebsten an die Kehle gesprungen. Im Gegensatz zu diesem trug er nach wie vor schwere Panzerplatten ohne jede erkennbare Verzierung und einen  Umhang aus grünem Tuch. Oder zumindest  hatte der Mantel wohl einmal diese Farbe, nun jedoch wies der Stoff große Blutflecke auf, genauso wie die Rüstung.

Hadrirs Stimme klang nur mühsam beherrscht, während er vor den Flammen auf und ab ging.

,, Ihr wusstet, das es zu diesem Angriff kommen würde, nicht wahr ?“

,, Ich hatte es zumindest vermutet.“ , gab der ältere Zwerg vorsichtig zu. ,, Sind wir ehrlich, Hadrir, nicht damit zu rechnen, wäre mehr als töricht gewesen. Ich hatte eigentlich erwartet, das nicht einmal ihr so blind sein könntet.“

,, Blind ja ?“ Hadrir wendete sich von seinem gegenüber ab und Elin war ganz froh, dass sein Blick sie dabei nur kurz streifte. Er schien ich vielleicht zu Fragen,  das sie hier tat, doch im Augenblick richtete sich seine ganze Aufmerksamkeit ohnehin auf Kasran. Sie hätte ihm sowieso nicht antworten können. Sie wusste nur, dass es am Mittag zu einer weiteren Versammlung der Zwerge gekommen war… und wenn sie Hadrir besah war klar, dass nicht alle überlebt hatten. Und keine Stunde später hatte sie auch schon ein Bote Kasrans auf der Straße angehalten und gebeten in die Quartiere des Zwergenkönigs zu kommen. Der Mann, der ihr geöffnet hatte, war ohne Zweifel einer von Kasrans Gefährten gewesen, sobald er sie erblickt hatte, hatte er sie bloß mit einem stummen Zeichen weitergewinkt. Ihre beiden Gastgeber waren ohnehin nicht zu verfehlen gewesen, konnte man vor allem Hadrirs Stimme doch durch den ganzen Palastflügel hören.

,, Ihr habt mich wissentlich in eine Falle laufen lassen, Kasran. Schlimmer noch, ihr habt unsere einzige Chance zerstört, die wir noch hatten, die Häuser…“

,, Verhalten sich nach wie vor ruhig, falls es euer Hoheit entgangen ist. Würden sie wirklich den Aufstand proben, hätten wir und diese Stadt es bereits mitbekommen. Glaubt mir. Alle Häuser haben längst damit begonnen, heimlich Truppen und Leute in die Stadt zu bringen. Einige haben ihre Dienerschaft komplett mit Soldaten ausgetauscht. Und doch ist nichts passiert.“ , konterte der Zwerg kühl. ,, Vielleicht denkt ihr kurz darüber nach. Sie haben die Versammlung allesamt friedlich verlassen. Und wie ich euch schon sagte, sie werden sich ruhig verhalten. Der Angriff hat den gewünschten Effekt gehabt. Wir konnten bei dieser Versammlung nichts gewinnen, Hadrir. Aber jetzt sind sie verunsichert. Der Tod zweier Thanen wird uns zumindest Zeit verschaffen und ist für sie schwer einzuschätzen. Die verlorenen Plätze müssen neu besetzt werden. Und wem die Loyalität der neuen Thanen gehören wird steht noch nicht fest. Und selbst wenn sie unseren Gegnern zufallen, die abtrünnigen Zwerge werden sich ruhig verhalten, weil sie jetzt Vergeltung fürchten müssen und die, die uns Loyal gegenüberstehen werden sich ruhig verhalten, weil sie weitere Angriffe fürchten. Wenn man sich auf eines verlassen kann, dann das: Ein Thane ist sich selbst am meisten verpflichtet. Macht hin oder her, er wird sich nicht zur Zielscheibe machen. Und jeder wird darauf warten, das die andere Seite den ersten Schritt macht, damit sie behaupten kann, sich nur zu verteidigen.“

Hadrir sah den Mann einen Moment verdutzt an und selbst Elin schauderte einen Moment. Sie hatte beinahe vergessen wie berechnend Kasran sein konnte. Wie eiskalt.  Aber nur beinahe… Wenn es einen Mann gab, der das Chaos aus miteinander verfeindeten Häusern und Familien beherrschen konnte, die die Thanen der Zwerge stellten, dann wohl er. Und im Gegensatz zu Hadrir hatte er dabei keine Skrupel.

,, Aber woher wisst ihr, das es nicht tatsächlich zu weiteren Angriffen kommen wird ? Mag sein,  das sie jetzt verunsichert sind, aber eine weitere Klinge im Dunkeln und…“ Der Zwergenkönig stutzte, als er begriff, was Elin bereits einige Momente zuvor klar geworden war. Kasran überließ so etwas nicht dem Zufall. Er war ein Spieler, aber er wusste, wie man Risiken minimierte…

,, Ihr wart es.“ , stellte Hadrir fest. ,, Ihr habt ihm eingeflüstert, er hätte eine Chance auf die Königskrone, wenn es ihm gelingt, mich zu töten ?“

,,Glaubt ihr ich bin ein Narr und würde riskieren,  das die Häuser sich gegenseitig zerfleischen… ohne das ich sie dabei Kontrollieren kann ?Cenwalh war ein Narr und umso leichter zu überzeugen. Und es gibt weitere in beiden Lagern, die man all zu leicht auf bestimmte… Bahnen lenken kann, sollte es notwendig sein.“

,, Ihr habt mein Leben für eure Pläne riskiert, genauso wie das aller anderen in der Versammlung…“

,, Ich habe schon einmal versucht, es euch zu erklären, Hadrir. Ihre Leben sind austauschbar. Und was euch angeht… die Wahrscheinlichkeit, dass ein Anschlag auf euch Erfolg hat, war sehr gering. Ich wusste, das ihr nicht ohne Rüstung zur Versammlung erscheinen würdet . Und niemand konnte hoffen, etwas größeres, als ein Messer an den Wachen des Kaisers vorbei zu schmuggeln. Die Männer sind wegen der anhaltenden Krise mittlerweile doppelt so aufmerksam. Haben sogar das hier gefunden…“

Mit diesen Worten drehte Kasran den Knauf am oberen Ende seines Stabs  und das Griffstück glitt ein Stück nach oben.  Im Stab selbst kam eine etwa drei Finger lange Aussparung zum Vorschein, die wohl einstmals eine am griff montierte Klinge beherbergte. Nun jedoch war das Messer entfernt und nur noch Holz und Gold vorhanden.

,, Was mich zu der Frage bringt, wen ihr bestochen habt, damit Cenwalh seinen Dolch  behalten konnte.“ , brummte Hadrir. Die Wut war ihm nach wie vor anzusehen, aber er musste wohl auch einsehen, dass Kasrans Methoden, so durchtrieben sie waren, durchaus funktionierten.  Der Mardar-Thane war im Augenblick vielleicht der einzige, der zumindest so etwas wie Kontrolle über das Geschehen hatte. Elin konnte nicht anders, als ihm unfreiwillig etwas Bewunderung entgegne zu bringen.

,, Warum habt ihr mich zuvor nicht wenigstens eingeweiht ?“Hadrir ließ sich auf einen Schemel in der Nähe des Feuers sinken und legte den Kopf in die Hände.

,, Genau deshalb. Wegen eurer Reaktion. Ihr hättet mir nie erlaubt, meine Pläne auch umzusetzen. Und ich fürchte, die Zeit in der ich auf eure…Gefühle Rücksicht nehmen konnte, sind vorbei. Wir haben alle unsere Optionen verspielt, Hadrir…“

,, Und warum habt ihr mich rufen lassen ?“ , wagte Elin schließlich zu sprechen. Sie hatte langsam ohnehin genug davon, sich die gegenseitigen Anschuldigungen der beiden Zwerge anzuhören.

Kasran drehte sich zu ihr um und musterte sie einen Moment. Das kaum wahrnehmbare rötliche Schimmern in seinen Augen schien einen Moment  tatsächlich heller zu werden.

,, Damit Hadrir vielleicht eine Lektion lernen kann. Und zumindest für den Moment aufhört mich anzuschreien.“ Also selbst dafür hatte er schon im Voraus geplant, dachte Elin düster. Er hatte sich also Rückendeckung holen wollen. Nun, da würde sie ihn enttäuschen müssen… Doch noch ehe sie dazu kam, etwas zu erwidern, fuhr Kasran bereits fort: ,, Wir beide haben etwas verstanden, das unser verehrter König hier nicht akzeptieren will. Manchmal muss man Risiken eingehen und manchmal ist man auch gezwungen zu spielen, wenn man seine Ziele erreichen will. Es geht nur darum, die Risiken zu minimieren. Ihr tut das gleiche, Elin, wenn auch vielleicht in kleinere Maßstab.“

,, Wir sind uns überhaupt nicht ähnlich…“ Sie merkte nur am Rande, dass sie vor ihm zurück gewichen war.  Sie spielte die Leute nicht gegeneinander aus oder manipulierte sie. Mochte sein, das Elin ab und an dafür sorgte, das sich die Dinge zu ihren Gunsten verschoben, aber das waren Spielereien, Tricks… Und sah Kasran seine Taten am Ende als nichts anderes? Speile mit größerem Einsatz ?

,, Ich fürchte, da müsste ich euch wiedersprechen, meine Liebe. Aber darum geht es nicht. Ich sagte, ihr wisst um die Notwendigkeit dieser Dinge.  Ihr und ich… es fällt uns beiden schwer zu akzeptieren, das wir nicht bekommen was wir wollen. Und so sind wir manchmal eben gezwungen, die Dinge ein wenig… anzupassen. Algim hat das nie verstanden. Selbst mit seinem irrsinnigen Streben mich zu übertrumpfen. Er wäre immer nur eine Spielfigur gewesen. Ihr hingegen…“

Kasran beendete den Satz nicht. Einen Moment verharrten sie alle drei wortlos wo sie waren, Hadrir, der resigniert auf seinem Platz saß, Kasran, der auf eine Reaktion zu warten schien… und Elin. Sie schüttelte lediglich langsam den Kopf. Mochte Kasran glauben, was er wollte, sie hatte nie jemanden verletzt oder ernsthaft gefährdet. Und wieder ging ihr dieser Gedanke durch den Kopf: Sah Kasran seine eigenen Taten am Ende genauso? Dass er das geringstmögliche Risiko einging?

Zu ihrer beider Überraschung, war es jedoch Hadrir,  der das Schweigen brach:  ,, Kasran das reicht  jetzt.“   Er hatte sich wieder erhoben und vor dem Thanen aufgebaut. ,, Ich verstehe was euch antreibt, aber das hier geht zu weit. Ich sagte euch bereits einmal, dass ich keine Säuberungen dulden werde. Und ich fürchte,  das ist genau das, was ihr vorhabt. Lasst es gut sein.“

,,  Mein Ziel, König, ist das gleiche wie das eure. Unser Volk retten. Wenn nötig auch vor sich selbst.“

,, Ihr triebt genau das voran,  was uns  eigentlich erst fast vernichtet hat. Merkt ihr das eigentlich nicht?“ Hadrirs Stimme klang mit einem mal nicht mehr nach unterdrückter Wut, sondern fast sanft, irritiert. ,, Kasran, wenn ich euren Weg weiter gehe, wo enden wir damit ? Es wird sich genau das gleiche wiederholen, wie in unserer alten Heimat. Und wenn die Zeit für unser Volk gekommen ist, wieder eine große Entscheidung zutreffen, was dann? Was wenn ich sie zu den Waffen rufe, welches Haus würde mir folgen? Vielleicht die Hälfte ? Was will ich mit einem geteilten Volk, Kasran, verratet mir das? Eines, das mir alleine durch Furcht hörig ist ?“

,, Furcht ist die einzige Sprache, die dies Narren verstehen.“

,, Und ihr ? Sind eure Taten nicht von Furcht getrieben? Vor der die Kontrolle zu verlieren? Angst ist es doch, was uns in diese Situation gebracht hat. Die gleiche Angst, die uns langsam in Stücke reißt.“

Der alte Zwerg schwieg einen Moment und zum ersten Mal schien so etwas wie Unsicherheit in seinen Zügen aufzutauchen. Elin konnte es nicht mit Sicherheit sagen, doch schienen die Worte seines Königs ins Schwarze getroffen zu haben.

,, Vielleicht. Vielleicht habe ich mich auch schon zu lange an die Macht geklammert, als das ich sie Aufgeben will. Damit  stecke ich wohl in der gleichen Falle, wie die übrigen Häuser, ja? “  Ein düsteres Lachen entkam ihm. Er schien einen Moment mehr mit sich selbst zu sprechen, als mit einem der Anwesenden. ,, Und doch, was ändert es ?  Was würdet ihr dagegen tun ? Die Dinge sind nun einmal, wie sie sind, Hadrir. Wenn wir Jahrzehnte oder Jahrhunderte Zeit hätten wie einst… vielleicht könnten wir die Häuser langsam auf einen neuen Kurs bringen. Aber so wie es steht, bleiben uns nicht einmal Monate. Ich weiß, dass der Kaiser so viele Häuser brauchen wird, wie er kriegen kann. Und ich weiß, dass ihr ihn unterstützen wollt. Aber das ist schlicht nicht möglich. Die Hälfte… ist besser als nichts.“
Elin musste ihm im stillen Recht geben. Gleichzeitig jedoch hatte Hadrir wohl das eigentliche Problem erkannt. Vielleicht hatte Jahrhunderte in Isolation die Zwerge doch mehr verändert, als Kasran zugeben wollte. Am Ende hatte ihr ganzes Volk es verlernt zu Vertrauen. Und das war wohl nicht nur dem Einfluss des Herrn der Ordnung geschuldet. Kasran musste doch dabei gewesen sein, bemerkt haben, wie seine Leute sich immer mehr gegeneinander wendeten… Und doch hatte grade er nichts dagegen getan, sondern schlicht mitgespielt.

 

 

 

Kapitel 13 Vertraute Sorgen

 

 

 

Elin war froh, wieder an die frische Luft zu kommen. Nach der stickigen Luft im Kaminzimmer, war die kühle Brise, die durch die Gärten des Palastes wehte, angenehm auch wenn sie nur ein einfaches Hemd trug. Und nicht nur deshalb war sie froh, Kasran fürs erste entkommen zu sein. Nach wie vor geisterten seine Worte in ihrem Kopf umher, egal wie vehement sie sie abstritt. Sie waren sich in keiner Weise ähnlich… Auch wenn der Besuch bei Hadrir etwas seltsame gehabt hatte… Noch immer verstand sie nicht, warum Kasran sie überhaupt hatte rufen lassen. Ging es ihm wirklich nur darum Hadrir eine, gescheiterte, Lektion zu erteilen… es schien ihm einfach nicht ähnlich zu sehen. Und wenn es dabei um Elin selbst und nicht um seinen König gegangen war, wollte sie gar nicht wissen, was der alte Zwerg als nächstes plante. Die Art, wie er sie gemustert hatte, als wollte er sich von irgendetwas vergewissern, vielleicht hätte sie ihn zur Rede stellen sollen, doch in dem überhitzten Zimmer, mit den lauten Stimmen in ihren Ohren hatte sie ohnehin kaum denken können. Und Kasran  war bei weitem ihre geringste Sorge, etwas, das sie vor einem Jahr wohl noch für Unmöglich gehalten hätte. Es gab weitaus wichtigere Dinge. Und weitaus bedrohlichere, als einen Zwerg, der sein eigenes Gewissen überlebt hatte.

Elin trat in die weitläufigen Parkanlagen hinaus, die  nur von den Bauten des kaiserlichen Palastes begrenzt wurden. Jetzt wo der Herbst sich seinem Ende näherte, färbte das Gras auf den Wiesen sich langsam dunkler und die Blätter der Bäume, die normalerweise die hohen Mauern auf allen Seiten verbargen wurden davongeweht und bedeckten den Boden in einer leuchtenden Schicht aus rot und Goldtönen. Sie wusste nicht, wo sie eigentlich hin wollte. Vielleicht sollte sie doch zurück zu Hadrir gehen. Als sie ihn und Kasran schließlich verlassen hatte, hatten beide zumindest ruhiger gewirkt und sich lediglich am Feuer angeschwiegen. Was sie zu sagen hatten, war gesagt worden, das schien klar. Und so gegensätzlich sie vielleicht waren, sie würden weiter zusammenarbeiten müssen. Doch das letzte was sie wollte, war sicherlich sich in die Machenschaften des alten Zwergs verstricken zu lassen. Oder vielleicht willst du ihm einfach keine Gelegenheit bieten zu beweisen, dass er Recht haben könnte? , fragte eine leise Stimme. Ihre eigene. Skeptisch, leicht spöttisch.

Elin schüttelte sie ab, als wäre sie ein lästiger Floh und hielt auf einen kleinen Pavillon zu, der sich auf einer Erhebung inmitten der Gärten befand. Vielleicht konnte sie nachher zumindest Hadrir aufsuchen und ihre Hilfe anbieten… wenn es den etwas gab, dass sie tun konnte. Im Augenblick jedoch wollte sie den Kopf frei bekommen. Ungewöhnlich genug für sie, das war ihr selber klar. Aber wenn es einen Mann auf dieser Welt neben Galren gab, der sie unsicher werden ließ, dann war das Kasran Mardar. Und im Gegensatz zu ersterem nicht auf eine positive Art… Der Mensch war bereits am Morgen in die Lager unter der fliegenden Stadt aufgebrochen und zumindest bis jetzt noch nicht zurückgekehrt. Elin wusste nicht zu sagen, ob das ein gutes Zeichen war oder nicht, aber er konnte auch auf sich aufpassen. Oder könnte es, wenn er nicht bereits müde und überreizt wäre. Er versuchte es ihr gegenüber vielleicht immer noch herabzuspielen und so zu tun, als sei alles in Ordnung… aber auch wenn sie nicht wusste, was in seinem Kopf und seinen Träumen vorging, sie merkte doch, dass es ihn zerstörte. Nachts lag er oft wach und warf sich unruhig neben ihr hin und her, doch wenn sie dann schließlich selber die Augen aufschlug und fragte… erhielt sie meist keine Antwort. Stattdessen lag er schlicht hellwach neben ihr und versuchte wohl so zu tun, als würde er tatsächlich schlafen. Und Elin konnte nur hilflos dabei zusehen… Es gab schlicht keine Möglichkeit ihm zu helfen, nicht für sie. Und dieser Gedanke machte sie rasend. Zum nichts tun verdammt zu sein… Als sie das bedrückende Schweigen schließlich nicht mehr ausgehalten hatte, hatte sie sich schließlich auf ihn gerollt und ihn geküsst. Wenn er schon nichts sagte, sollte er wenigstens Wissen, das er doch immer noch nicht alleine war. Und einen Moment war sie tatsächlich davon überzeugt davon, ihn zurück zu haben. Galren hatte immerhin die Augen aufgeschlagen und den Kuss einen Moment erwidert. Es hatte keine Worte gebraucht um ihm zu sagen, was sie sagen wollte. Sie war hier. Elin hatte ihm die Haare aus dem Gesicht gestrichen, das in den letzten Tagen immer ausgezehrt wirkte. Ein Gesicht in dem ein paar graue Augen schimmerten, in denen immer noch ein ganz eigenes Feuer zu brennen schien. Sie hatte die Hände hinab zu seiner Männlichkeit gleiten lassen, ihn gestreichelt und auch wenn er darauf reagierte, wehrte er sie doch rasch ab. Mit einem letzten Kuss auf die Stirn hatte er sie mit sanftem Druck wieder auf ihre Seite des Bettes befördert.

,, Schlaf weiter.“ , hatte er gemurmelt, so als hätte sie ihn tatsächlich eben geweckt. Als würde sie die Lüge noch glauben. Und so hatten sie schließlich lediglich beide Wach gelegen, bis Elin irgendwann kurz vor Morgengrauen doch wieder vom Schlaf übermannt wurde. Als sie aufwachte, war er bereits nicht mehr da…

Sie hatte die kleine Anhöhe mit der filigranen Konstruktion darauf mittlerweile fast erreicht. Dünne Säulen aus hellem Marmor  trugen ein rundes Holzdach, das bereits halb unter Blättern und Zweigen verschwunden war, die Wind und Wetter von einem großen Baum in der Nähe geschüttelt hatten.

Die Ranken längst verblühter Rosen wanden sich an den Säulen entlang und über Wände aus Flechtwerk, mit denen man das Innere des Pavillons etwas vor dem Wind geschützt hatte. Der Boden wiederum bestand aus festgestampfter Erde, über die man lose Platten  gelegt hatte. Es gab einen aus einer Steinplatte gefertigten Tisch  mit zwei Bänken daran. Und nur eine davon war unbesetzt.

Am anderen saß Jiy. Elin hatte nicht erwartet jemanden hier draußen zu finden. Und schon gar nicht die Kaiserin selbst.  Die Schneeleopardin trug ein bodenlanges Kleid, das für Elin wie aus Silber gewirkt schien und fast nahtlos mit dem grau-weiß ihres Fells zu verschmelzen schien. Graue Strähnen schimmerten in ihrem schwarzen Haar , das ihr elegant bis über die Schultern fiel und in den tiefgrünen Augen, die Elin zuerst gar nicht wahrzunehmen schienen lag so viel Trauer, so viel unausgesprochenes…

Elin blieb einen Moment nur stehen wo sie war. Janis, dachte sie stumm. Mochte sie von dem Mann gehalten haben, was sie wollte, im roten Tal hatte er sein Leben riskiert um sie  und um sie alle zu retten.  Wo Kellvian den Tod seines Sohnes jedoch mit neuer Entschlossenheit ertränkte, war das für Jiy offensichtlich nicht der Fall… Wie versteinert standen sie sich gegenüber. Elin war drauf und dran sich einfach wieder umzudrehen, als die Kaiserin sie schließlich ansprach.

,, Wollt ihr euch nicht setzen ?“  Ihre Stimme klang wie die einer viel älteren Person, dachte Elin und wenn sie sich so ansah konnte man wohl wirklich behaupten, dass sie in den letzten Wochen mehr gealtert war, als in den Jahren zuvor. Trotzdem strahlte sie nach wie vor eine einnehmende Eleganz aus, selbst in ihrer Trauer und Niedergeschlagenheit. Und hatte sie nicht alles Recht dazu?

Elin stellte fest, das sich ihre Füße tatsächlich wie von selbst in Richtung der freien Bank bewegten.

,, Verzeiht, ich wollte euch nicht stören.“ Elin fühlte sich mittlerweile wie ein Eindringling. Sie hatte nicht vorgehabt, die Kaiserin zu stören.

,, Wenn ihr mich stören würdet, hätte ich euch gebeten zu gehen.“ , erwiderte diese , während sie abwesend auf die Gärten hinaus sah.  ,, Wisst ihr, dieser Ort erinnert mich immer etwas an Vara. Wart ihr schon einmal dort?“

,, Nicht… in den letzten Jahren.“  Tatsächlich wohl nicht mehr seit sie zehn gewesen war. Ihre Eltern hatten sich zuerst dort niederlassen wollen, doch die Stadt mit ihren Bibliotheken, der Universität und den genau ausgerichteten Straßen und Häusern war nichts für sie. Und für Elin auch nicht, wenn sie genauer darüber nachdachte. Und nicht einmal für Erik, der sich vielleicht in den Unmengen an Büchern verlor , doch von seinen Kollegen immer misstrauisch beäugt wurde. Auf die Frage warum die übrigen Magister und gelehrten so nervös auf ihn reagierten hatte der Arzt jedoch nur gemeint, sie erinnerten sich noch gut an den letzten Unfall, der ihm passiert war. Und das heute noch Bücher wie von Geisterhand aus ihren Regalen fielen,  dafür machten sie ihn auch verantwortlich. Elin hatte es damals nicht verstanden und verstand es heute nicht.

,, Wir haben dort geheiratet.“ , fuhr Jiy derweil fort. ,, Auch wenn man wohl nicht grade von einer glücklichen Hochzeit sprechen kann.“

Elin nickte abwesend. Sie war noch nicht einmal geboren gewesen, aber ihre Eltern hatten ihr die Geschichte erzählt, waren sie zu der Zeit doch selbst in der Stadt gewesen. Der Tag der kaiserlichen Hochzeit war auch der Tag gewesen, an dem der Krieg mit dem Aristokratenbund vollends ausbrach. Die schwache Hoffnung auf eine friedliche Lösung war an jenem Tag wohl endgültig zerschmettert worden, genauso wie die Tore von Vara… Es hatte tausende von Toten gegeben und man hatte den Kaiser selbst anfangs darunter geglaubt.  Das hatte eine der härtesten Zeiten während des ganzen Kriegs nach sich gezogen, in der Jiy alleine gezwungen gewesen war, das verblieben Reich zusammen zu halten. Und es schien nichts, was sie dieser Frau vor sich so einfach zutrauen würde, wenn Elin ehrlich zu sich war. Das damals musste eine andere Person gewesen sein.

,, Wir haben wirklich so einiges durchgemacht.“ Jiy lächelte schwach. Es wirkte nicht echt, fand Elin. ,, Aber nie etwas wie das hier. Ich weiß nicht ob ihr das verstehen könnt…“

,, Oh glaubt mir , ich habe wegen Galren mehr als genug durchgemacht…“ Auch wenn ihr damals wohl kaum zum Lachen zumute gewesen wäre. Und irgendwie hatte sie das Gefühl, das die Kaiserin ohnehin etwas völlig anderes beschäftigte. Es ging hierbei doch um mehr als vergangene Zeiten… Und doch schien auch sie schlicht nicht mit der Sprache herauszurücken.  Genau wie Galren. Genau wie Kasran… Sie war es langsam Leid außen vor gelassen zu werden. ,, Aber ich würde mich sicher nie so gehen lassen.“ Elin sprach, bevor sie überhaupt darüber nachdachte. ,, Man braucht euch jetzt mehr denn je und stattdessen Versteckt ihr euch hier ? Andre de Immerson ist Tod, Vara weit weg… und Janis ebenfalls fort.“

Sie hätte die Worte am liebsten sofort wieder zurückgenommen, anstatt ihre Anschuldigungen der Kaiserin derart an den Kopf zu werfen. Aber hatte sie nicht Recht? , fragte sich ein kleiner Teil von ihr. Immerhin schien es zum ersten Mal eine andere Reaktion bei Jiy hervorzurufen als bloße Lethargie.

,, Was versteht ihr den schon ? Ich sehe zu wie alles, was mir je etwas bedeutet hat verschwindet und stirbt. Janis… alles, was ich aufgebaut habe. Und Kellvian…“

,, Der Kaiser lebt noch.“

Jiy stieß ein bitteres Lachen aus. ,,Er läuft sehenden Auges auf sein Grab zu. Ich liebe ihn so sehr und doch… ich weiß, dass er nicht mit uns gehen wird, sollte es wirklich so weit kommen. Und er ist das einzige, was mir geblieben ist… Und ich hätte für ihn alles gegeben aber… ich kann nicht noch mehr verlieren.“
,, Wie meint ihr das ?“

,, Glaubt ihr wirklich, er würde diese Stadt aufgeben , falls der rote Heilige sie erreicht ? Das kann er nicht, Elin. Und das darf er auch nicht. Und ich kann nichts tun, als dabei zuzusehen. Ich war bereit alles für diesen Mann zu Opfern. Und am Ende, was hat es mir gebracht? Eine Verbindung zwischen Mensch und Gejarn ist von keiner Seite gerne gesehen, Elin. Für euch mag das weniger gelten, aber für einen Kaiser… Wir haben den Zorn so vieler auf uns gezogen und es war mir egal. Damals… Aber das war damals. Ich hatte so gehofft, es würde einmal zu Ende gehen. Das Kämpfen, das Chaos… das man uns einfach zu Leben erlauben würde. Und zwei Jahrzehnte habe ich es fast geglaubt… zwei Jahrzehnte sind zu kurz.“

Elin verspürte einen Moment nur Mitleid mit dieser Frau und vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben verkniff sie sich eine bissige Bemerkung. Vielleicht konnte sie es nicht verstehen. Vielleicht wollte sie es auch nicht. Aber Jiy hatte mehr durchgemacht als sie, das zumindest war ihr klar. So viel Leid und am Ende war ihr nicht einmal eine schwache Hoffnung geblieben. Jiy sprach nicht von einem vielleicht. Sie wusste was kommen würde. Zu ihrer eigenen Überraschung nahm Elin die ältere Frau tatsächlich in die Arme und die Kaiserin ließ es geschehen.  Einen Moment bettete sie ihren Kopf auf Elins Schulter, bevor sie sich wieder von ihr löste und sich die Tränen wegwischte. ,, Verzeiht…“

Schon gut, wollte Elin ihr sagen, doch so weit kam sie bereits nicht mehr, als die Kaiserin aufsah und  sich erhob. Eine einzelne Gestalt kam den Weg durch die Gärten auf das Pavillon zu. Ein Bär, neben dem manche der Bäume in den Parks klein wirkten und auch wenn er noch zu weit weg war um mehr erkennen zu müssen, wusste Elin, das es sich eigentlich nur um Syle handeln konnte. Der Hochgeneral verbeugte sich kurz, als er den Rundbau erreichte, wobei er dabei immer noch sowohl Elin als auch Jiy um mindestens einen Kopf überragte. Braunes Fell bedeckte seinen Körper, der in einer der blauen Uniformen der kaiserlichen Garde steckte. Elin hatte den Mann auch selten etwas anderes tragen sehen, vielleicht aus dem simplen Grund, dass er ohnehin kaum etwas passendes fand.

,,Verzeiht, wenn ich störe, Herrin, aber  soeben ist Lord Immerson  an den Gondeln zur Stadt aufgetaucht. Ich habe bereits den Kaiser informiert, dachte aber ihr solltet ebenfalls Bescheid wissen…“

Einen Moment schien Jiy wie erstarrt und Elin wurde plötzlich klar, dass sie kurz dachte, er würde von Andre de Immerson sprechen,. Aber der ruhte seit Jahrzehnten in seinem Grab. Es gab nur noch einen Immerson in Canton. Allerdings hatte auch dieser bis grade eben als verschollen gegolten… Zachary lebte. Und er war hier…

 

Kapitel 14 Rückkehr

 

 

 

 

Eden lief unruhig im Empfangssaal auf und ab, während sie warteten. Cyrus hingegen gab sich nach außen um einiges ruhiger, als ihr das Gelang. Der große, schwarze Wolf lehnte an einer der Säulen, welche das zur Hälfte verglaste Dach trugen und in einem Halbkreis um die Mitte der Kammer angeordnet waren.

Das Licht, das zwischen ihnen hereinfiel, beleuchtete ein großes Mosaik, das fast den halben Raum für sich einnahm. Und mit jeder Generation wuchs. Darstellungen alter Kaiser, zusammengesetzt aus leuchtenden Glasornamenten, glänzten im Licht. Von den ersten Kaisern der Ordeal deren Darstellungen von zehntausenden von Füßen und den Generationen bereits so abgetragen waren,

das die einst lebendigen Gesichtszüge verwaschen und geisterhaft wirkten, bis hin zu Konstantin Belfare. Kellvians Vater.  Jeder neue Kaiser wurde irgendwann während seiner Herrschaft hier verewigt, zusammen mit dem alten und jedes Mal musste das gesamte Mosaik vorsichtig abgetragen und mit dem neuen Bild darin wieder zusammengesetzt werden. Und mit jeder Generation schwand der Platz auf der noch freien Fläche zwischen den einzelnen Gestalten, die man zu einem Kreis angeordnet hatte. Noch ein paar Jahrhunderte und man würde das ganze vergrößern müssen, dachte Eden und sah zum anderen Ende der Halle. Zwei Wachen standen dort vor einer großen Flügeltür, die in die mit Marmor überzogenen  Wände eingelassen war. Unruhig umrundete sie das Mosaik zu ihren Füßen und wartete. Darauf, das sich die Türen öffneten und sie entweder eine herbe Enttäuschung erleben würde… oder eben nicht. Als sie die Nachricht vom Fall Silberstedts gehört hatte, hatte sie lediglich eine tiefe Leere in sich gefühlt. Kälte. Selbst bei der Erinnerung daran schauderte sie und zog den roten Mantel den sie trug enger um sich. Zachary, ihr Zach fort… Es schien so unvorstellbar.  In  den letzten Jahren hatte sie ihn immer seltener gesehen… schon alleine weil Silberstedt weit weg und im Winter manchmal gar nicht zu erreichen war. Doch immerhin hatte sie immer gewusst, dass er da war. Und das er, nach all den Jahren, scheinbar endlich seinen Platz gefunden hatte. Sie lächelte Gedankenverloren und quittierte Cyrus Fragenden Blick nur mit einem leichten Kopfschütteln.

Und jetzt ? Sie hatte es erst nicht glauben wollen, als Syle zu ihnen gekommen war und berichtet hatte, das Zachary vor der Stadt gesehen worden war und sich offenbar bereits auf dem Weg nach oben befand. Nein wahrscheinlicher schien es, dass sich schlicht jemand geirrt hatte.  Doch Syle hatte darauf bestanden, das dem nicht so war… und das Kellvian meinte, dass sie ihn sicherlich willkommen heißen wollten, bis er selbst zu ihnen stoßen konnte. Eden sagte sich, das sie sich keine Hoffnungen machen sollte… und doch sie wolle es nur zu gerne glauben und das trug nur dazu bei ihre Nervosität noch zu steigern. Außer ihr, Cyrus und den Wachen war sonst noch niemand hier und für den Augenblick war sie heilfroh darum. Immerhin würde sie sich so nicht vor allen Blamieren, wenn ein Fremder den Raum betrat, den man zufällig mit ihrem Jungen verwechselt hatte.

Und dann wurden die Tore schließlich von der anderen Seite aufgestoßen. Es gab einen gewaltigen Knall, als die Flügel bei Seite flogen und hart gegen die Marmorwände schlugen. Eine Windböe wehte durch den Raum und veranlasste alle, sich in Richtung des Mannes umzudrehen, der mit gemäßigten Schritten eintrat. Eine schwarze Robe, in der silberne Embleme und Ziernähte glitzerten fiel dem letzten freien Zauberer Cantons um den Körper. Dunkle Haare und ein Bart, der während der Reise hierher ungepflegt gewachsen war rahmten ein junges Gesicht ein, das jedoch ernst genug dreinsah um zu jemand viel älteren gehören zu können. Zachary de Immerson schien gealtert, dachte Eden. Und doch war er es, ganz ohne Zweifel. Bevor überhaupt irgendjemand Gelegenheit hatte zu reagieren, lief sie bereits auf ihn zu. Er war tatsächlich entkommen…

,, Zachary ! Geister, wir haben uns alle Sorgen um dich gemacht, als wir die Nachricht hörten. Es hieß Silberstedt sei in Aufruhr und an den Kult gefallen, wie…“

Edens Schritte wurden langsamer, je näher sie ihm kam. Er sah nicht auf und machte auch keine Anstalten sich ihr zu nähern. Das Gefühl, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte schien plötzlich übermächtig. Und dann sah sie es schließlich. Als er merkte, wie sie zögerte, hob Zachary langsam den Blick. Normalerweise waren seine Augen von einem tiefen Türkis, ein Farbton wie das Küstenwasser an einem Sonnentag.  Doch davon war nichts mehr zu sehen. Stattdessen loderte dort nur grünes, sich immer veränderndes Feuer…

,,Nein…“ Eden blieb endgültig stehen und machte sogar einen Schritt zurück. Und doch das Feuer verschwand nicht, wenn dann nahm es noch an Intensität zu… ,, Nein…“ Doch mit Worten ließ sich das, was Zachary getan hatte längst nicht mehr rückgängig machen. ,, Zachary….“ Noch immer erghielt sie keine Antwort. Das war schlicht ein Alptraum, sagte sich ein Teil von ihr. Eine schreckliche Vision, die gleich vorbei gehen würde. Besser er wäre Tod, dachte der andere. Sie hatte die Schrecken der Seelenträger gesehen. Von einem Wirt blieb nichts übrig wenn das Fragment des alten Volkes in ihm einmal die Oberhand gewann. Aber er war keiner, sagte sie sich. Zachary war kein Seelenträger gewesen. Weder Andre de Immerson noch seine Frau hatten auch nur den Anschein erweckt irgendwie magisch begabt zu sein. Und der einzige, der je jemanden dazu hatte machen können war Tod. ,, Sag doch was…“

,, Eden… ich glaube nicht, dass das noch Zachary ist…“ Cyrus trat vor sie, Schwert und Axt gezogen. Der Stahl würde ihnen reichlich wenig Schutz bieten, wenn dieses Wesen sich tatsächlich gegen sie richten sollte, das war ihr nur allzu klar

,, Es tut mir leid.“ Das waren die ersten Worte, die er an sie richtete. Und selbst seine Stimme klang nicht mehr nach Zachary. Fremd und verzerrt  und doch irgendwie vertraut. ,, Aber ich fürchte er hat Recht. Ich muss mit eurem Kaiser sprechen. Jetzt.“

Ein Befehl keine bitte. Und von wem ? Welche Seele hatte sich in Zacharys Geist eingenistet… und vielleicht am wichtigsten, warum war sie nicht vollkommen Wahnsinnig wie all die anderen? Seelenträger waren Menschliche Zauberer, bei denen beide Elternteile einen Teil des Bluts des alten Volkes in sich trugen. Das Kind einer solchen Vereinigung wurde immer als Zauberer geboren und meist als ein mächtiger noch dazu. Doch das hatte seinen Preis. Diese Zauberer zogen die umherirrenden Geister des alten Volkes an. Oder besser, das was nach all den  Jahrtausenden noch von ihnen übrig war. Fragmente, bösartige Dinger , die nur noch Hass und Zerstörung kannten… und keine Rücksicht darauf nahmen, ob ihr unfreiwilliger Wirt dabei Schaden nahm. Oder sonst irgendjemand.

Doch das war nicht, was sie hier vor sich hatten. Kein wahnsinniger alter Geist… ,, Was… Wer seid ihr?“

Dieses Fremde Wesen, das vorgab Zachary zu sein, ging nicht einmal auf ihre Frage ein. ,, Kellvian.“ , erklärte er nur. ,, Wo ist er ? Ich muss ihn sofort sprechen…“ Und erneut kam Eden diese Stimme einfach zu bekannt vor. Es klang nicht nach Zachary in keiner Weise. Und doch hatte sie sie schon einmal gehört. So lange es her war, sie hätte sie nie vergessen können und als ihr die Antwort schließlich einfiel, konnte sie nichts weiter tun, als sich abzuwenden. Nein, dachte sie wieder, doch diesmal vergrub sie ihr entsetzten tief in sich.  Eden war Realistin. Das war vielleicht der einzige Grund, aus dem sie Dinge überlebt hatte, an denen andere lange zerbrochen währen. Sowohl körperlich als auch geistig.  Und sie hatte sich die Dinge nie schön geredet, sondern immer so genommen wie sie eben kamen.  Mit den Jahren war sie vielleicht weicher geworden, ja…. Dieses Leben lag in ferner Vergangenheit und das war gut so.  Eden war bei weitem nicht stolz auf alles, was sie damals getan hatte. Sie war nicht mehr die Ausreißerin, die sich irgendwie durchschlug. Sie hatte eine Familie, ein Leben, das so einen Namen auch verdiente, Freunde… Cyrus…. Doch nun holte sie dieses alte Wesen wieder hervor, störrisch unnachgiebig, allem verschlossen. Und es überraschte sie selber, wie leicht es ihr fiel, diese alte Rolle wieder anzulegen. Wie ein gut passendes Kostüm und für einen Moment fragte sie sich, was eigentlich die Verkleidung war… das hier… oder ihre Vergangenheit. Wie auch immer die Wahrheit letztendlich aussehen mochte, sie zögerte nicht, sondern wich rasch vor Zachary oder Ismaiel oder was auch immer dieses Ding war zurück… und gab den Wachen ein Zeichen. Fast Augenblicklich flogen die Türen in ihrem Rücken auf, die weiter ins Innere des Palastes führten und zwei Dutzend Gardisten stürmten in den Saal, die Gewehre bereits im Anschlag. In diesen Zeiten brauchte es nicht viel, um die Garde in Alarmbereitschaft zu versetzten. Die Blauröcke umstellten den Zauberer sofort, während ihr Kommandant auf die drei zutrat.

,, Was ist passiert ?“ , verlangte er zu wissen , ohne Ismaiel dabei auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Eden hatte aufgehört, in diesem Wesen dort noch Zachary sehen zu wollen. Die wenigen Worte hatten ihr bereits das Gegenteil beweisen… Und wenn sie die Worte als Lügen abgetan hätte, spätestens das grüne Feuer in seinen Augen konnte sie nicht wegleugnen.

,, Kommandant… das ist nicht Zachary. Ich… will dass ihr diesen Mann in Gewahrsam nehmt. Der Kaiser muss hiervon erfahren aber sollte dieses Ding da Kellvian auch nur nahe kommen, fürchte ich um sein Leben.“

Halb rechnete sie damit, das Ismaiel ihr wiedersprechen oder versuchen würde, sich vor den Wächtern doch noch als Zachary zu verkaufen. Oder das er sie angriff . Auch wenn sie ihm Zahlenmäßig weit überlegen waren, Eden war nur zu klar, dass sie gegen einen Magier von Ismaiels Kaliber immer noch unterlegen waren. Selbst innerhalb der schützenden Mauern der fliegenden Stadt würde es nur wenig geben, was sie vor dem Zorn dieses Mannes schützen könnte, ob er nun im vollbesitzt seiner Kräfte war oder nicht. Doch nichts dergleichen geschah. Ismaiel besah sich lediglich die zwei Dutzend Musketen Mündungen, die auf ihn gerichtet waren, als würde er abschätzen, ob es die Mühe wert war, zu kämpfen.

,, Ich könnte euch alle vernichten.“ Er schien mehr zu sich selbst als mit ihnen zu sprechen. Trotzdem ließ die kalte Selbstsicherheit in seiner Stimme selbst die disziplinierte kaiserliche Leibgarde einen Moment zögern. Einige Gewehre schwankten, andere wichen tatsächlich einen halben Fuß zurück, auch wenn sie sich bemühten, es so aussehen zu lassen, als suchten sie nur einen sichereren Stand. Doch niemand floh oder verließ seinen Posten. Selbst Eden schauderte kurz, wusste sie doch aus erster Hand, das diese Worte bei weitem keine leere Drohung waren. Allein die Ausstrahlung dieses Mannes, jetzt wo sie einmal wusste, wer er war, hätte eine geringere Person in die Knie gezwungen.

Eden konnte ihr eigenes Blut in den Ohren rauschen hören und Cyrus suchte ihre Hand. Nach wie vor war es wahrscheinlich, dass sie alle starben… aber dieses Monster zu Kellvian zu führen oder überhaupt gewähren zu lassen, würde genauso den Tod bedeuten.

Die Hand des Wachkommandanten trommelte nervös am Schwertgriff, offenbar zögerte er, den Befehl zum Feuern zu geben… Und dann nach Ismaiel tatsächlich langsam die Hände hoch.

,, Jedoch um Zachary willen… will ich Gnade zeigen.“

Eden konnte ihm nur sprachlos dabei zusehen, während sofort zwei Gardisten herbeisprangen, die den Mann in die Zange nahmen und seine Arme packten.  Nicht, das es ihn daran hindern würde, sie zu töten, wenn er das wollte, dachte Eden. Was meinte er damit, er verschonte sie wegen Zachary?

,, Er ist nicht fort, oder ?“ Eden drängte sich an dem nach wie vor stehenden Ring aus Wachen vorbei und hätte den Magier am liebsten selbst gepackt. ,, Ismaiel. Er ist nicht verschwunden, oder?“

Sie erhielt keine Antwort. ,, Sorgt nur dafür, das der Kaiser auch erfährt, dass ich hier bin. Meine Geduld ist begrenzt… Und sagt ihm, wenn er seinen Thron noch etwas länger behalten will, sollte er mich bald sprechen. Das ist ein Befehl… keine Bitte…“

Und in diesem Moment schlug Eden ihn. Sie wusste nicht, ob die Ohrfeige sich gegen Zachary richtete, weil er dumm  genug gewesen war, Ismaiel so etwas zu erlauben oder gegen den alten Magier selbst, doch der Hieb traf ihn unvorbereitet. Und einen Moment flackerte nur kalter Zorn in den Augen des getroffenen Zauberers auf, während seine Wächter ihn aus dem Raum eskortierten.

,, War das jetzt gegen ihn oder Zachary gerichtet ?“ , wollte Cyrus wissen, während sie den Wächtern und ihrem Gefangenen nachsahen.

,, Beide.“ , brummte sie. Einen Teufel würde sie tun und der bitte dieses Bastards nachkommen. Aber… ihr blieb keine Wahl. Zumindest was das anging, würde Ismaiel wohl seinen Willen bekommen. Kellvian würde hiervon erfahren, wenn nicht durch sie, dann durch seine Wachen. Und dann  ? Was wollte dieser Mann eigentlich? Außer das er ihr einen Sohn genommen hatte…
,, Könnte schlimmer sein.“ , meinte Cyrus und legte ihr eine Hand auf die Schulter. ,, Wir kriegen das schon wieder hin…“

,, Nein Cyrus… Ich fürchte, schlimmer hätte es wirklich nicht mehr kommen können…“

 

 

 

 

Kapitel 15 Zwist

 

 

 

Merl hatte schon  gewusst, dass etwas nicht stimmte, als man ihn rufen ließ. Doch da hatte er noch geglaubt, dass es wohl nur sein Meister wäre, der ihn wegen etwas sprechen wollte. Die Nachricht über Zacharys Rückkehr hatte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt verbreitet und kaum jemand hatte die Nachricht so freudig aufgenommen wie er und wie Armell. Es schien schlicht ein kleines Wunder inmitten all der Katastrophen, die sie ereilt hatten, das ausgerechnet Zachary entkommen sein sollte. Und doch ließ niemand, der ihn auf seinem Weg durch die Stadt gesehen hatte, einen Zweifel daran. Auch wenn der Mann seltsam ungreifbar blieb. Merl hatte nach ihm gesucht, ihn jedoch nicht finden können und hatte er eigentlich damit gerechnet, sofort zu ihm gerufen zu werden, dauerte es bis zum frühen Abend, bis sie endlich Nachricht erhielten.

Und als er nun durch die Türen zum Thronsaal des Kaiserpalastes trat, steigerte sich das ungute Gefühl, das ihn befallen hatte nur noch. Was ihn dort erwartete waren ernst dreinblickende Gesichter und keines davon gehörte Zachary…

Der Thronsaal lag genau im Herzen des ausladenden Komplexes aus Türmen, Mauern und Gebäuden, die den Palast bildeten, eine große Halle, die angeblich den versammelten Adel Cantons aufnehmen konnte… und dabei immer noch leer wirken würde. Große Säulen aus weißem Marmor  stützten im Abstand von jeweils hundert Schritten die hohe Decke, auf der sich ein ausladendes Gemälde befand. Fast lebensecht schimmerte einem der Abendhimmel in Rot und violett tönen entgegen, während gezeichnete Wolken sich beinahe unmerklich zu bewegen schienen.  Uralte Kristalle, die sanftes Licht abgaben, verstärkten die Illusion sich tatsächlich unter freiem Himmel zu befinden noch zusätzlich und brachte den Sitz  im Herzen der Kammer wie von innen heraus zum Leuchten. Der Bernsteinthron mochte hier schon gestanden haben, lange bevor der erste Mensch einen Schritt über die nördlichen Berge tat. Aus halbdurchsichtigen , Honigfarbenen Stein gefertigt schien er nicht unwirtlich, so als gehörte der ganze Thron nicht wirklich hierher und in die hohe , goldene Lehne war genau in Kopfhöhe eine Aussparung eingelassen, in der ein einzelner runder Bernstein funkelte.

Kaiser Kellvian Belfare saß inmitten all des Golds und wirkte in dem weißen Gehrock, den  er trug wie ein heller Schatten. Das Licht, das durch die Lehne des Throns sickerte, verstärkte diesen Eindruck nur noch und Merl verstand in diesem Moment, wieso manche die alten Kaiser als lebende Götter gesehen hatten. Doch Kellvian wirkte im Augenblick eher besorgt,  die grünblauen Augen ernst und müde.  Wie sie alle hier…

Der Kaiser war ein Mann jenseits der vierzig, dessen einst goldblondes Haar und Bart bereits die ersten grauen Strähnen aufwiesen.  Darüber konnte auch der Goldreif über seiner Stirn nicht hinwegtäuschen. Die Krone Cantons  war erstaunlich schlicht gehalten, ohne jede Insignien oder Zierrat. Lediglich ein einzelner, klarer Stein war genau in der Mitte eingelassen worden… und vermutlich war bereits dieser Diamant mehr wert, als alles andere in diesem Raum, dachte Merl bei sich. Angeblich war Kellvian ein Mann, der viel lachte… doch seit einigen Wochen wurde in der fliegenden Stadt nur noch selten gelacht…

Um den Thron herum hatte eine Gruppe von zehn Gardisten Posten bezogen, zwei davon in traditionellen Panzerungen, in die man das Wappen des Kaiserhauses getrieben hatte, das Doppelbanner von Löwe und Adler , das sich auch auf den Flaggen zeigte, die von den Säulen herab hingen. In Gold und Silber gehalten, wirkten die Tiere fast lebendig, als würden sie sich jeden Moment aufeinander stürzen wollen. Jeder der zwei Männer trug ein schweres Großschwert, dessen Spitze auf den Boden ruhte und stand so regungslos da, als handle es sich bei ihnen um Statuen. Angeblich hatte der Kaiser einigen Paladinen Helikes  erlaubt, in die kaiserliche Garde einzutreten, vielleicht waren das also zwei davon? Wenn ja, dann war alleine schon die Geste, sie in der Reihe seiner Wächter zuerst aufzustellen eine mächtige, dachte Merl. Kellvian musste sich ihrer Loyalität absolut sicher sein…

Die übrigen acht Wächter hatten sich jeweils in Vierergruppen zu beiden Seiten des Throns aufgestellt und trugen die normalen Uniformen im Blau der Garde. Vergoldete Knöpfe, die ebenfalls das Wappen des Kaiserreichs zierte glitzerten im Schein der Kristalle und auch wenn die Männer genauso regungslos wie ihre Brüder aus Laos dastanden, ihre Augen ruhten nie, sondern wanderten suchend über die Anwesenden, bereits, beim geringsten Anzeichen von Gefahr sofort zu reagieren.

Wer glaubte in all dem Prunk hier, wäre die Garde weich geworden, der würde wohl schnell eines Besseren Belehrt werden.  In Friedenszeiten mochten sie vor allem als Leibwächter agieren, aber in Krisenzeiten bildeten diese Männer die schlagkräftigste Truppe des ganzen Reichs… und vielleicht auch darüber hinaus, wenn man mit den Paladinen streiten wollte.

Neben den Gardisten entdeckte Merl Syle, den Hochgeneral der Garde. Der Bär hielt sich etwas Abseits seiner Männer , beobachtete jedoch genau wie sie den Raum. Und auch wenn er sich  hinter die anderen Anwesenden zurück stellte, war er dank seiner Größe doch kaum zu übersehen. Braune Augen glitzerten in einem mit braunem Pelz besetztem Gesicht, durch das sich eine dünne Narbe zog. Genau ihm gegenüber wiederum stand Quinn, der Ordensoberste des Sanguis-Ordens. In den dunklen Roben die er trug, wirkte er fast wie das genaue Gegenstück zu Kellvian. Ein Schatten mit ergrauten , matten Haaren , der vom Alter bereits leicht gebeugt dastand. Und wohl nicht nur davon. Doch seine Augen wirkten wach und seine Züge, obwohl schon von Falten zerfurcht,  genauso ernst und Aufmerksam, wie die der Gardisten. Unter den weiteren Anwesenden entdeckte er auch noch Eden, Cyrus, Elin… und schließlich Naria und Galren, der tatsächlich besser aussah, als seit Tagen. Die tiefen Ringe unter seinen Augen waren nicht verschwunden, doch irgendetwas schien in die grauen Augen des Mannes zurückgekehrt. Vielleicht war es nur ein schwacher Funke Hoffnung, doch  Merle entging die Veränderung nicht und Armell stieß sogar einen kaum hörbaren, erleichterten Seufzer aus. Und erst da wurde Merl klar, dass das er zweite Grund hätte sein können, aus dem man ihn rief. Das Galren zusammengebrochen sein könnte oder schlimmeres. Doch auch das war nicht der Fall und die At, wie sich alle Augen auf ihn richteten, als er eintrat, gefiel ihm gar nicht. Es war nur Armell zu verdanken, dass er nicht auf der Stelle stehen blieb. Die junge Adelige trat schlicht an ihm vorbei und ohne langsamer zu werden in die Halle hinaus, womit ihm nur blieb, alleine zurück  zu bleiben oder sich endlich in Bewegung zu setzen.

,, Was ist passiert ?“ , fragte er . ,, Ich habe gehört Zachary sei zurück, aber warum…“
,, Ich fürchte, Merl, es war nicht euer Meister, der zu uns zurückkehret ist. Nicht wirklich jedenfalls.“ Es war der Kaiser der Sprach und das Mitleid in seiner Stimme machte Merl Angst. Irgendetwas ging hier vor sich und er wusste nach wie vor nicht was. Und dann sprach Kellvian das aus, was seine schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen schien. ,, Ich fürchte, euer Meister könnte fort sein, Merl. Wer in seiner Gestalt zu uns kam, war niemand anderes, als Ismaiel selbst. Ich weiß weder wie, noch wieso Zachary das getan hat, aber es gibt keinen Zweifel daran.“

,, Er hat den Seelenbrunnen benutzt, oder ?“ , verlangte Quinn zu wissen und mit einem Mal war der Mann Merl viel zu nahe, ragte über ihm auf, wie eine dunkle Wolke.  ,, Antwortete mir, Junge…“

,, Ja, aber…“ Er fand sich unfähig etwas zu erwidern und der ältere Magier ließ ihm auch keine Gelegenheit dazu.

,, Verdammt Junge, wisst ihr, was das anrichten kann ? Nun jetzt wohl schon. Aber jetzt ist es verdammt noch mal zu spät dafür! „ Statt ihm Gelegenheit zu geben, etwas zu erwidern, wendete er sich an den Kaiser. ,, Ich habe ihn gewarnt, Herr, ich habe ihn wieder und wieder gewarnt, das es ein Fehler wäre, dieses Ding zu behalten…“

,, Ich weiß sehr gut, was wir riskiert haben .“ Merl fand seine Stimme erstaunlich schnell wieder. Mochte sein, das es ein Fehler gewesen war, aber wenn es eine Sache gab, die er sich nicht anhören würde, dann wie jemand das gesamte Lebenswerk von ihm und Zachary derart abtat. Als einen Fehler… Er spürte das unvertraute Gefühl der Wut in sich aufsteigen. ,,  Und vielleicht solltet ihr mich deshalb auch anhören, bevor ihr so leichtfertig über Zachary urteilt. Ich verdanke ihm und diesem…Fehler mein Leben, Quinn.  Ich bin sein Schüler, genauso wie auch der letzte direkte Spross des alten Volkes. Vielleicht wäre es also ganz gut, wenn ihr mir zuhört, wenn ich sage , dass es nicht eure Aufgabe ist, darüber zu urteilen…“ Merl atmete steif durch. ,, Unsere Arbeit ist nicht gefährlich. Zumindest nicht für irgendjemand anders… Und es ist nicht dafür verantwortlich, was mit Zachary passiert ist!“
,, Und könnt ihr mir das auch beschwören ?“ , fragte Quinn schlicht. Merls schweigen schien ihm Antwort genug und er wollte sich bereits wieder dem Kaiser zuwenden, als der junge Magier den Kopf schüttelte.

,, Nein. Nein ich kann es nicht, Quinn…“ Er wünschte er könnte es. Er wünschte er könnte schwören, das Zachary nicht genau gewusst hatte, was er tat… und was das mit sich bringen konnte. ,, Aber darum geht es jetzt auch gar nicht, oder ? Wenn er wirklich besessen ist, müssen wir ihm helfen. Das ist jetzt wichtig…“
,, Es gibt keine Heilung.“ , erwiderte der ältere Magier . ,, Wenn Ismaiel überhaupt etwas von eurem Meister übrig gelassen hat, heißt das. Doch so oder so, ich sehe nur einen Weg. Er muss sterben, bevor er irgendwelchen Schaden anrichten kann. Ich habe ihn immer wieder gewarnt, Herr… jetzt muss er auch die Konsequenzen tragen.“ Einen Augenblick lang folgte auf Quinns Worte nur Stille. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als sich alle Blicke auf den Magier richteten.

,, Seit ihr Wahnsinnig ?“ Drei Stimmen, die fast gleichzeitig sprachen, durchbrachen die Stille. Merl war überrascht, seine eigene darunter zu hören. Und Armell sowie Eden, die  einen fast drohenden Schritt auf den Zauberer zu machte. Kurz hatte er tatsächlich befürchtet, er würde der einzige sein,  der gegen den Vorschlag  sprach. Es tat gut zu wissen, dass er Rückendeckung hatte. Quinn war eine beeindruckende Erscheinung, wenn schon nicht körperlich, so doch zumindest magisch und Merl konnte nicht anders, als sich in seiner Nähe Unwohl zu fühlen. Wenigstens stand er aber nicht alleine…

,, Ich könnte euch dasselbe Fragen.“ , erwiderte Quinn an Eden gerichtet. ,, Habt ihr von allen etwa bereits vergessen, was nötig war um ihn los zu werden ? Ich werde sicher nicht riskieren, das sich das wegen Zacharys Unvorsichtigkeit wiederholt. Und ich habe ihn gewarnt… aber er musste den Seelenquell ja behalten. Ich habe das zugelassen, Eden. Ich habe nichts dagegen unternommen bis jetzt… aber ich werde nicht zusehen, wie die Welt wegen meiner Nachlässigkeit noch mehr leidet… Verzeiht… aber ich werde tun, was ich tun muss.“

,, Nur damit eines ganz klar ist..“ Edens Hand wanderte demonstrativ zum Schwertgriff und ehe einer der Anwesenden nur reagieren konnte hatte sie den Säbel bereits in der Hand. Das singen des Stahls hallte immer noch durch den Saal während sie die Spitze auf Quinn richtete.  ,, Ihr tötet Zachary nur über meine Leiche…“

,, Ich versuche hier die Stimme der Vernunft zu sein. Wir können ihn jetzt ausschalten, bevor er irgendwelchen Schaden anrichten kann. Oder wollt ihr wirklich abwarten? Das ist nicht mehr Zachary, egal wie oft ihr ihn so nennt….“
,, Ihr redet wirklich, als wäre er fort… Das könnt ihr gar nicht wissen!

,, Ach, aber ihr schon ? Das ist eine Abscheulichkeit, die vernichtet werden muss…“

,, Redet ihr von euch oder von ihm ? Sagt mir die Wahrheit, Zauberer geht es hierbei wirklich um Ismaiel oder darum, das ihr euren eigenen Fehler korrigieren wollt?“

Cyrus stand einen Moment unsicher neben den beiden Kontrahenten und sah zwischen Eden und Quinn hin und her, Schließlich jedoch zuckte er resigniert mit den Schultern und stellte an Edens Seite, eine Hand am Axt griff. Am Ende, dachte Merl, könnte es sich noch als Fehler erweisen, den alten Freunden des Kaisers hier Waffen erlaubt zu haben.  Und nun schien es, das auch Quinn die Geduld verlor. Feuer leuchtete in seinen Augen und seiner ausgestreckten Hand gleichermaßen auf. Götter, das konnte nicht gut gehen…

 

 

Kapitel 16 Zwist Teil 2

 

 

 

 

Die Anspannung im Raum war mit Händen zu greifen. Während der Reste der Anwesenden nur zusehen konnte, standen sich sowohl Quinn als auch die beiden Gejarn gegenüber und funkelten sich unnachgiebig an. Magisches Feuer speigelte sich auf den Stahl in Edens Händen, die auch vor dem Schauspiel der Macht nicht zurück wich. Und Quinn machte gar nicht erste den versuch, etwas mehr Abstand zwischen sich und die geschliffene Klinge an seiner Kehle zu bringen. Am Ende wäre er der schnellere, das wussten sie alle. Das wusste vor allem Merl… Götter jemand musste etwas tun, oder die drei würden tatsächlich aufeinander losgehen. Und dann…  Er wünschte er könnte sich davon überzeugen, das Quinn es nicht tun, das er sie vielleicht verletzen aber nicht töten würde. Doch ein Blick in die Augen des Zauberers reichte, um ihn daran zweifeln zu lassen…  Rot und blau spiegelte sich das Feuer auf dem polierten Marmor der Säulen und des Fußbodens wieder, ließ die Gestalt des Magiers gegen das Licht nur als Schemen erkennen. Merl wappnete sich innerlich bereits dafür, dazwischen gehen zu müssen, auch wenn er nicht wusste, was es bringen würde. Quinn trug eine Träne, ein schwarzes, tropfenförmiges Juwel, das an einer Kette um seinen Hals hing. Damit wäre er ihm in jedem Fall unterlegen…

,, Quinn… Ich glaube wir müssen uns unbedingt einmal über das Beschwören von Feuerbällen im Thronsaal unterhalten.“ Es war Kellvians Stimme, die das Schweigen brach und was Merl grade noch für unmöglich gehalten hatte geschah. Eden lies die Waffe sinken und drehte sich zum Kaiser rum, genauso wie Quinn. Das Feuer in seiner Handfläche erlosch, während sich ein verhaltenes Lächeln auf den Zügen der Gejarn ausbreitete…

Nur langsam verstand Merl, was grade geschehen war. Kellvian hatte es irgendwie geschafft, die ganze Situation mit wenig mehr als einem einzigen Scherz zu entschärfen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis Quinn sich wieder fing und erneut aufbegehrte:

,, Herr , ihr wisst, das ich recht habe. Es ist schlicht zu gefährlich. Sperrt Ismaiel von mir aus für immer ein oder lasst ihn wegbringen… aber lasst euch nicht darauf ein, ihm auch nur eine Sekunde zu vertrauen.  Sein Schüler und Eden können die Situation doch gar nicht objektiv einschätzen.“ Er machte einen Schritt auf Merl zu, der diesen unwillkürlich zurückweichen ließ. ,,Sie sind genauso verblendet, wie Zachary es war, wir…“
,,Genug jetzt.“ Kellvian war aufgestanden und trat von seinem Sitz zurück. Selbst ohne die Erhöhung, die das Podest des Bernsteinthrons schien er Quinn in diesem Augenblick zu überragen. ,,Ich verstehe sehr wohl. Und trotzdem, werdet ihr den Jungen in Ruhe lassen. Ich werde niemanden auf bloßen Verdacht hin zum Tode verurteilen, Quinn. Nicht einmal Ismaiel. Warum ist er überhaupt hergekommen? Ihm muss doch klar sein, dass ihn keiner von uns freundlich empfangen wird, wenn er sich so offen zu erkennen gibt. Hat er irgendetwas gesagt?“
,, Nur das er euch sprechen will.“ , erklärte Eden. ,, Er hat nicht einmal versucht sich zu wehren, als man ihn weggeführt hat… unter der Voraussetzung das man ihm erlaubt, sich mit euch zu treffen. Ich weiß nur nicht wieso.“

,, Nun dann werde ich  das wohl tun müssen, oder ?“

,, Kellvian, das ist Ismaiel von dem wir hier reden…“ , warf nun Jiy zum ersten mal etwas ein.

,, Ich weiß. Deshalb kann ich mich immerhin darauf verlassen, das er irgendetwas plant.“ Und er war der Mann, der fast das Kaiserreich vernichtet hätte nur um seine wahnsinnigen Ziele umzusetzen. ,, Aber es steht auch außer Frage, Zachary zu töten. Nicht, solange ich nicht weiß, dass es keine Rettung mehr für ihn gibt. Und im Augenblick ist er zumindest sicher verwahrt. Ihr wolltet eine Entscheidung Quinn, hier ist sie. Ich werde zuerst persönlich mit ihm reden. Dann fälle ich mein Urteil.“

Mit ihm sprechen… Merl hatte seinen Meister bisher noch nicht einmal wiedergesehen. Vielleicht war das unter den Umständen auch das Beste, dachte er. Ein Teil von ihm wollte Zachary gar nicht in diesem Zustand erleben, derartig…verändert. Schon gar nicht wenn es möglicherweise das letzte wäre, was er von ihm in Erinnerung behalten mochte. Und doch…. Er konnte auch nicht nur abwarten. Und dann gab es da noch etwas. Etwas, das ihm Zachary nicht verraten konnte, sondern nur Ismaiel.  Das war die erste Gelegenheit, die er hätte, mit einem lebenden Mitglied des alten Volkes zu sprechen. Mit jemanden.. . nun der fast wie er war. Erneut war er sich nicht sicher, wie er sich dabei fühlen sollte. Ein Teil von ihm fürchtete die Antworten, die er erhalten mochte. Der andere jedoch würde diese Gelegenheit unter keinen Umständen verstreichen lassen wollen.

,, Herr…“ Merl trat vor. ,, Ich sollte euch begleiten, wenn ihr mit ihm sprecht. Ich… Zachary war mein Lehrer. Ich kenne ihn. Wenn er nicht ganz fort ist… vielleicht kann ich etwas tun.“ Ihm war selber klar, wie unwahrscheinlich das war und wie unsicher er selber klang.

,, Ich halte das für keine gute Idee.“ , bemerkte Syle. Der Bär hatte bisher schweigend gelauscht, nun jedoch klang seine Stimme fast entschuldigend. ,, Ihr mögt das nicht so sehen, aber wir müssen davon ausgehen, dass wir es tatsächlich nur mit Ismaiel zu tun haben. Er ist Manipulativ, Merl. Man kann ihm nicht trauen und dass er zufällig die Gestalt eures Meisters hat, ändert daran nichts. Für ihn zumindest nicht.  Er könnte versuchen euch zu benutzen, vor allem, da ihr Zachary nahe steht. Und ich fürchte, er könnte damit sogar Erfolg haben.“ Einen Moment fragte Merl sich, ob der Bär tatsächlich seine Gedanken von vorhin erraten haben könnte. Vielleicht…

,, Ich fürchte, in diesem Punkt muss ich Syle recht geben.“ , erklärte Kellvian. ,, Ihr werdet euren Meister  früh genug sehen, Merl . Falls ich ihn anhöre, dann hier im Thronsaal.“

Aber nicht alleine. Er versuchte das aufsteigende Gefühl der Enttäuschung niederzuzwingen, aber… es gelang ihm nicht wirklich. Und als der Kaiser weitersprach verdüsterte sich seine Stimmung nur noch.

,, Wenn er  mir Allerdings nichts zu sagen hat…“
,, Du denkst nicht ernsthaft darüber nach, ihn wirklich zu töten, oder ?“ Jiy sah ihn fragend an und  einen Moment schien Kellvian tatsächlich zu zögern. Dann jedoch war der Augenblick vergangen, der Kaiser wieder ganz der Herrscher, sicher und bestimmt.

,, Ich lerne aus meinen Fehlern, Jiy. Wenn es nötig ist, werde ich nicht zögern. Ich kann mich nicht mit ihm und diesem Kult befassen. Götter, ich komme kaum mit einem der beiden klar.“ , gab er zu. ,, Ich will einfach, das sich jeder von ihm fernhält, zumindest, bis wir wissen, was er will. Morgen treffe ich mich mit Syle mit ihm. Danach werde ich darüber nachdenken, euch zu ihm zu lassen, Merl, aber nicht vorher.

,, Ich verstehe.“ , erwiderte Merl bitter. ,, Habe ich eure Erlaubnis zu gehen ?“

Kellvian nickte lediglich, worauf der junge Magier auf dem Absatz kehrt machte und sich auf den Weg aus der Halle hinaus begab.

 

Armell folgte ihm  nur einige Augenblicke später. Nach dem Kellvian seinen Standpunkt klar gemacht hatte, hielt es ohnehin kaum noch jemanden in der Halle und einer nach dem anderen verließen nun auch die übrigen den Thronsaal und zerstreuten sich in den dunkler werdenden Fluren des Palastes. Sie jedoch wollte zu Merl und sah sich suchend nach ihm um. Doch außer einem angespannt wirkenden Quinn und Elin, die rasch an ihr vorbeihuschte, konnte sie niemanden mehr entdecken.  Er hatte wohl nicht auf sie gewartete. Dennoch hatte sie so eine Vermutung, wo er stecken könnte.

Armell folgte dem Gang fort vom Thronsaal und hin zu einer Passage, die über offene Seitenwände verfügte. Sie frostete, als sie nach draußen trat. Die Abendluft war bereits merklich kühler geworden, auch wenn sie noch keinen Schnee mit sich brachte. Viel Zeit jedoch blieb ihnen wohl nicht mehr. Marmorsäulen stützten das Dach, das den Gang zumindest etwas vor der Witterung schützte.

In der Ferne konnte sie die Straßen und Paläste der fliegenden Stadt leuchten sehen, wie das letzte Sonnenlicht zwischen den Gebäuden hindurch fiel und lange Schatten zeichnete.

Merl selbst wartete ein Stück weiter, wo der offene Gang in eine geschwungene Brücke zwischen zwei schwebenden Klippen überging. Unter dem Steg, der wie aus Silberfäden gewebt wirkte, gab es nur noch den Abgrund und die unendlich langsam unter ihnen dahinziehende Landschaft aus Bäumen und Flüssen, die vereinzelt in der Sonne glitzerten.

Und dort war auch Merl an eine der Stützen gelehnt, welche das Geländer der Brücke trugen und sah in die Ferne. Ihr Herz flog ihm zu, wie sie ihn so dort sitzen sah, tief in Gedanken und einen Moment konnte sie sich nicht dazu überwinden, ihn zu stören. Es schien schlicht so typisch für ihn, so ganz und  gar Merl… hatte sie doch manchmal das Gefühl, das ein anderer Mann zu ihr zurückgekehrt war. Früher hätte er es wohl kaum gewagt, jemand wie Quinn die Stirn zu bieten.

Am Ende war er es, der sich schließlich zu ihr umdrehte und ihr mit einem wortlosen nicken bedeutete, sich zu ihm zu setzen. War seine Mine zuvor noch ernst und verschlossen gewesen, lächelte er kurz, sobald er sie bemerkte, nur um dann erneut in düsteres Schweigen zu verfallen.

Armell ließ sich neben ihm nieder und sah auf die in der Ferne leuchtende Stadt hinaus.

Merl hatte den Kopf in die Hände gestützt und schien kaum auf die vorbeiziehende Landschaft zu achten. Er hatte genug mit seinen eigenen Gedanken zu tun, vermutete Armell. Und vielleicht war das auch nicht der einzige Grund, aus dem er alleine sein wollte.

,, Macht es dir wieder zu schaffen… hier zu sein meine ich ?“ Sie wusste, dass ihm das früher Probleme bereitet hatte. Die Menge an Magie und die Vielzahl an Zaubern, die die fliegende Stadt durchströmten konnten selbst von jemanden wahrgenommen werden, der über keinerlei magische Begabung verfügte. Wie ein lichtes Kribbeln, das durch die Füße in den ganzen Körper drang. Für einen Magier und noch dazu einen wie Merl musste es fast unerträglich sein, wenn sie sich nicht davor schützten.

Merl jedoch schüttelte den Kopf. ,, Ich glaube, ich bekomme es langsam unter Kontrolle.“ Und das war natürlich nur die halbe Wahrheit, dachte Armell. Er hatte sich verändert, subtil vielleicht, aber doch ganz eindeutig für jene, die ihn kannten…  Ihr war klar, das ihn noch etwas völlig anderes beschäftigte, doch wusste sie auch, dass sie kaum eine zufriedenstellende Antwort erhalten würde. Vielleicht, wenn er sich selber darüber im Klaren war, was er tun wollte. Oder vielleicht auch nicht, wenn ihre Befürchtungen zutrafen.   Würde er sich am Ende über das Verbot des Kaisers hinweg setzen wollen? Es gäbe kaum jemanden in der Stadt,  außer Quinn selbst, der ihn daran hindern könnte.

Eine Weile saßen sie einfach nur schweigend nebeneinander und leisteten sich Gesellschaft. Die Sonne versank langsam über den Wäldern, die sich unter der Stadt erstreckten und ließ nur die Feuer, die man in den Lagern und hier oben entzündete zurück. Vereinzelt gab es auch zwischen den Bäumen Lichter, vielleicht von einzelnen Reisenden oder den Nomadendörfern der Gejarn…

Auch über den Stützbalken der Brücke flackerten die ersten Lichter auf , blaue Feuer, die mit Magie brannten und sich zwischen die wärmeren, helleren Flammen mischten, die in Gebäuden und auf den Plätzen entzündet wurden. Armell schlagen den dünnen Wollumhang den sie trug um sich. Langsam machte sich die Kälte doch  bemerkbar  und die magischen Feuer  hier gaben keine Wärme ab. Wie die die sie vor einem Gefühlten Leben in den Katakomben unter Silberstedt gesehen hatte…

Merl schien es nicht zu bemerken, oder vielleicht machte ihm die Kälte auch schlicht weniger aus als ihr.

,, Wollen wir nicht wieder reingehen ?“ Vielleicht würde ihn das auch auf andere Gedanken bringen. Sie wollte ihn nur ungern hier draußen zurück lassen und je länger er hier saß und schwieg, desto unwohler wurde ihr dabei. Nicht weil die Kälte bedrohlich wäre… aber nach wie vor wusste sie nicht, was er vorhatte. Oder ob er überhaupt etwas tun würde.

,, Ich komme nach.“ Merl sah kurz zu ihr auf. ,,Versprochen.“  , fügte er hinzu, als er ihren besorgten Gesichtsausdruck bemerkte. Armell hätte ihm gerne geglaubt. Würde er sie derart  anlügen, wenn er wirklich etwas planen würde? Einen Moment war Armell sich nicht sicher.  Aber sie wusste auch, dass es zwecklos wäre, ihn noch überzeugen zu wollen. Er hatte seine Entscheidung getroffen.

Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen, bevor sie sich erhob und auf den Weg zurück ins Palastinnere machte. Bevor sie die Brücke jedoch verließ, drehte sie sich noch einmal um. Merl  war mit seinen Gedanken bereits wieder sonst wo, ließ einen Fuß  in die Leere unter sich baumeln und hatte den Blick scheinbar auf nichts gerichtet. Was immer ihnen an Göttern noch geblieben sein mochte… sie hoffte wenigstens einer davon würde ein Auge auf ihn haben, wenn sie es nicht konnte.

 

 

Kapitel 17 Narias Angebot

 

 

 

Galren verließ die Halle zusammen mit den anderen und einem kleinen Strom aus Wachen. Nachdem der Kaiser den Saal verlassen hatte, zogen sich auch die Gardisten nun wieder auf ihre Posten zurück. Vereinzelt waren Diener mit brennenden Lunten auf dem Weg durch die hohen Flure und Korridore des kaiserlichen Palastes und entzündeten Kerzen, Öllampen  und Fackeln, die sich auf dem Marmor der Böden und den übergroßen Buntglasfenstern spiegelten. Galren beachtete das Lichterspiel kaum, als er daran vorüberging. In seinem Kopf geisterten immer noch Worte umher. Quinns… Merls… Edens… die aller anderen. Götter, was wurde nur aus ihnen? Sie waren fast so weit gewesen, sich sogar gegeneinander zu richten. Und er wusste nur zu gut, wie es so weit kommen konnte, nicht? Er verstand es, die schleichende Verzweiflung, die Wut, das Unverständnis für alle anderen.   Ja er kannte es. Damals… und auch heute wieder. Doch hier konnte er die Schuld auf niemanden schieben. Nicht auf irgendeinen Einfluss, dunkle Visionen. Nein… die Rückkehr eines alten Feindes war nur der Tropfen der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.  Sie waren alle angespannt und übernervös und das vermutlich zu recht.. Und warum hatte es ihn dann nicht getroffen? Wäre Ismaiel einen Tag früher zu ihnen gekommen, er wäre vielleicht tatsächlich unter denen in der Halle gewesen, die das Schwert ergriffen. Für welche Seite wusste er jedoch nicht zu sagen.  Ein paar Stunden Schlaf hatten ein kleines Wunder bewirkt, dachte er. Er war nicht geheilt, nein das nicht. Wenn er die Augen schloss sah er immer noch den Pfad zu seinen Füßen der ihn nach Osten zog, hörte die Einflüsterungen, die Gedanken, die wie seine Klangen es aber nicht waren und von Misstrauen und Tod sprachen. Aber er hatte zum ersten Mal seit Wochen wieder so etwas wie Erholung gefunden. Und damit auch wieder die Kraft, dagegen anzukämpfen. Etwas, das den anderen verwehrt bleiben würde. Und dennoch war es auch für ihn ein knappes Ringen. Im Augenblick war er jedoch der Stärkere. Und das würde er bleiben, solange er etwas hatte, für das es sich lohnte weiterzukämpfen.

Das war vielleicht sein optimistischster Gedanke seit Wochen, aber es stimmte. Und Gründe weiterzumachen hatte er genug. Freunde, Liebe und wenn alles versagte, den simplen Wunsch in diesem Krieg lange genug zu Leben um zu erleben, wie der rote Heilige starb. Ein düsteres Grinsen stahl sich auf sein Gesicht, das jedoch ganz und gar ihm gehörte. Zumindest hoffte er das. 

,, Ihr seht besser aus.“ , bemerkte eine Stimme neben ihm und als er sich umdrehte, erkannte er Naria, die sich zwischen den Wächtern und Dienern zu ihm durchkämpfte. Die Gejarn hatte während der Audienz vielleicht nicht viel gesagt, aber er hatte sie gesehen. Naria hatte keine Partei ergriffen und dennoch hatte sie den Konflikt zwischen Quinn , Eden und Merl nur zu genau beobachtet.

,, Es geht mir tatsächlich besser.“ , erklärte er und hoffte, dass es stimmte. Im Augenblick zumindest. Der Ausbruch, als er bei ihr gewesen war hatte sich ihm ins Gedächtnis gebrannt. Das konnte sich nicht wiederholen. Es durfte die Kontrolle nicht noch einmal verlieren.  Das nächste Mal traf es vielleicht nicht nur ein Windspiel. Ihm schauderte bei dem Gedanken, das er in einem Anfall jemanden verletzen könnte. Götter, jeder, der ihm etwas bedeutete hielt sich ständig in seiner Nähe auf. Und wenn er das nächste Mal wenn er die Kontrolle verlor vor Elin stand ? Wenn dann nichts da war um Zufällig sein Schwert abzufangen? Das Gewicht an seiner Seite fühlte sich plötzlich falsch an.

Noch ein Grund, weiter dagegen anzukämpfen, sagte er sich. ,, Ein Wunder was ein paar Stunden Schlaf bewirken können. Und… ich glaube ich habe mich noch nicht richtig entschuldigt. Es tut mir leid, was passiert ist.“

,, Das wart nicht ihr, ich glaube darüber hatten wir schon gesprochen.“ Narias Tonfall wurde tatsächlich leicht vorwurfsvoll. Manchmal wirkte die Magierin auf ihn tatsächlich wie eine viel Ältere Frau. Aber das ließ sich wohl von den meisten Magiern behaupten. Auch  Merl war ihm manchmal weißer erschienen, als man erwarten würde und nach seiner Rückkehr hatte sich dieser Eindruck nur verstärkt. ,, Das nächste Mal , wenn unser neuer Freund sich in euren Kopf breit macht, kommt ihr früher zu mir.“

,, Das ändert nichts daran, dass es meine Schuld war. Und es ist noch nicht vorbei, Naria. Ich fürchte ganz wird das hier erst Enden, wenn er oder ich nicht mehr am Leben sind. Er muss sterben. “ Und Galren bezweifelte, dass er selber dafür würde Sorgen können. Er hatte sich bei seiner letzten Begegnung mit dem roten heiligen nur knapp retten können. Und alleine seine Worte hatten ihn fast so weit gebracht, dass er ihm gefolgt wäre. Jetzt schien ihm das ganze wie ein ferner Traum, aber er wusste, ihm noch einmal gegenüberzutreten würde schwer werden. Geschweige denn, das Schwert gegen ihn zu erheben. Was wieder zu der Frage führte, auf die alles letztlich hinauslief. Was wolle man von ihm? Bei dem Gedanken spürte er die Narben auf seinem Rücken wieder umso deutlicher. Vorsichtig drehte er die Arme um die verspannten Muskeln etwas zu lockern. Die Wunden heilten gut, meinte Erik, aber es würde noch eine ganze Weile dauern, bis er wieder auf der Höhe war.

Er und Naria folgten einem Gang, der sie weg von den belebteren Teilen des Palastes  und an offenen Wänden vorbei führte, durch die man auf die fliegende Stadt hinaus sehen konnte. Die Hohen Türme und Alkoven der Hauptstadt Cantons schimmerten Golden und Weiß im schwindenden Sonnenlicht  und auch jetzt noch waren die Straßen belebt, wenn auch Größtenteils von Gardisten und den wenigen Adeligen, die den Mut aufgebracht hatten, zu bleiben. Der Kaiser hatte längst begonnen, alle Regimenter zusammen zu rufen und entsprechend wehten von vielen der sonst leer stehenden Häuser Standarten und Insignien der kaiserlichen Garde. Im Palast selbst, der  noch einmal eine eigene Stadt in der Stadt darstellte, war es verglichen damit fast ruhig auch wenn man die Anspannung jedem anmerkte, von den Dienern bis hin zum Hochgeneral.

Vor ihnen wichen die Wänden nun langsam zurück und gaben den Blick frei auf eine der großen Silberbrücken, welche die einzelnen fliegenden Inseln der Stadt und auch die Teile des kaiserlichen Palastes miteinander verbanden. Das  metallische Geflecht aus dem diese Übergänge bestanden wirkte fast wie Stoff, gab unter den Füßen jedoch keinen Finger breit nach und war um einiges stabiler, als jedes andere Metall. Und selbst wenn es doch einmal jemanden gelang, die Brücken irgendwie zu beschädigen, die uralten Zauber, die durch jeden Gang und den Stein der fliegenden Stadt strömten, waren in der Lage selbst größere Schäden innerhalb weniger Herzschläge zu reparieren. 

Blaues  Zaubererlicht flackerte über den Brückenpfeiler und tauchte die dahinter liegenden Palastwände und die Brücke selbst in unstete Schatten. In diesem Zwielicht hätte er Merl übersehen, wäre er nicht fast über die Gestalt gestolpert, die vor ihm auf dem Weg saß.

Der junge Magier hatte sich an einen der Pfeiler gelehnt und sah in die Ferne. Ein Bein unter dem Körper geschlagen, baumelte das andere gefährlich in die Tiefe. Seine typische braune Robe mit den roten Ziernähten hatte er ausgezogen und sich über die Schultern gelegt, als wäre es ein lauer Sommertag. Galren jedoch zitterte selbst in dem mit Wolle gefütterten Mantel  den er trug.

,,Merl ?“

Der junge Magier sah auf und ein freudloses Lächeln huschte über sein Gesicht. ,, Galren… verzeiht, ich hatte euch gar nicht gehört.“

Oder gemerkt, dass ich grade fast auf dich getreten bin, dachte dieser.  Irgendwie erinnerte ihn die ganze Situation grade an seinen ersten Besuch in der fliegenden Stadt. Damals hatte er Merl fast in der gleichen Situation gefunden. Damals war es Armell gewesen um die er sich gesorgt hatte, doch Galren bezweifelte, dass das diesmal der Fall war. Hätte er sagen müssen, welcher der beiden Glücklicher war, den anderen wieder zu haben, er hätte die Antwort schuldig bleiben müssen. Nein…  das hier war etwas anderes. Und er glaubte zu wissen was.

,, Ihr macht euch Gedanken um Zachary, oder ?“ Naria kam ihm mit ihrer Frage zuvor. So vorwurfsvoll sie zuvor noch geklungen hatte, so sanft wurde ihre Stimme jetzt, als sie sich ungefragt neben den Magier setzte.

,,Nein.“ Die Antwort brachte sowohl sie als auch Galren dazu, Merl  einen Moment fragend anzusehen.  Der junge Zauberer stieß ein Seufzten aus. ,, Für Zachary kann ich bürgen, Naria. Mein Meister ist ein guter Mann, gleich, was Quinn behaupten oder denken mag. Ismaiel jedoch kenne ich nicht, Naria. Der Kaiser und Quinn  hingegen haben ihn bekämpft… er hat wohl jedes Recht ihm zu misstrauen.  Und ich würde lügen, wenn ich behaupte, das Zachary nicht um die Gefahr gewusst hätte, der er sich aussetzt. Wir haben beide immer gewusst, was geschehen könnte, wenn wir den Seelenquell manipulieren. Vielleicht hat Quinn also am Ende Recht.  Das Risiko war uns beiden bewusst. Aber gleichzeitig… Selbst wenn ich bereit wäre von meinem Meister Abschied zu nehmen, Ismaiel ist das letzte lebende Mitglied des alten Volkes von dem wir wissen, oder?“

Galren nickte. Zumindest wohl das einzige, das keine Legende war.  Mochte sein, das wo einer die Zeit überdauert hatte noch andere waren, doch wenn, dann verbargen sie sich deutlich besser. Und nach allem, was er wusste, schien es wohl unwahrscheinlich, dass ihnen einer davon helfen würde… Doch worauf wollte Merl hinaus?

,, Vielleicht…“ Der junge Magier zögerte sichtlich, seine Gedanken auszusprechen. Vielleicht fürchtete er tatsächlich, dass sie ihn nicht verstehen konnten, doch da hätte Galren ihn beruhigen können. Zumindest, bis Merl auch tatsächlich klar machte, was ihn so beschäftigte: ,, Naria, ihr habt einmal behauptet, ich müsste ein direkter Nachfahre des alten Volkes sein, nicht? Das Zachary mich vielleicht deshalb überhaupt erst aufgenommen hat…“

Die Gejarn runzelte die Stirn. Und Galren schien fast nachvollziehen zu können, was in ihrem Kopf vorging. Ein vages Gefühl, das er etwas übersah. ,, Ihr könnt es wohl kaum mehr leugnen, Merl. Ob es euch gefällt oder nicht, aber was ihr bereits getan habt, wäre einem normalen Menschen schlicht nicht möglich gewesen. Selbst wenn wir ignorieren, das Schutzrunen und Zauber des alten Volkes auf euch ganz anders reagieren als auf jeden sonst. Und ihr auch anders darauf reagiert...“

,, Und wenn es jemanden gibt, der mir mehr zu meiner Herkunft verraten könnte… dann wohl Ismaiel. Vor allem wenn Zachary das nicht mehr kann.  Ich muss mit ihm sprechen und vielleicht traue ich dem Kaiser nicht zu, dass er etwas übernimmt ohne… uns wenigstens noch einmal anzuhören. Aber Quinn…“

,, Ihr fürchtet, er könnte entscheiden, etwas auf eigene Faust zu unternehmen ? Das er Zachary tatsächlich töten könnte?“

Merl wand sich sichtlich, den älteren Magier  solcher Gedanken zu beschuldigen, aber sie hatten den ordensobersten alle erlebt. Wenn er wirklich glaubte, das alleine Ismaiels Anwesenheit hier eine Gefahr darstellte… Verdammt, wie musste es Merl erst mit dieser Vorstellung gehen?

,, Ich muss zumindest mit ihm reden, versteht ihr ? Und wenn es nur das ist, wenn Zachary wirklich fort ist… ich könnte nicht einfach dabei stehen ohne sicher zu sein. Und vielleicht auch so nicht…“

Eine Weile lang sagte keiner etwas. Wenn Merl so tatsächlich zu Ismaiel ging, würden sich Quinns Befürchtungen wohl Bewahrheiten. Es war keine gute Idee. Und gleichzeitig konnte Galren ihn nur zu gut verstehen. Er hatte selber bis zum Ende nicht glauben wollen, das sein Vater, der Mann der er einmal gewesen war zumindest, einfach fort war. Und wer wusste schon wie jemand wie Ismaiel diesen Glauben ausnutzen könnte?

Er warf einen kurzen Blick zu Naria, die ähnliche Bedenken  zu hegen schien. Aber immerhin fand sie auch die Worte, es Merl beizubringen. ,, Ehrlich ich halte das für keine gute Idee. Merl ich weiß, ihr hört das nicht gerne, aber bei allem was wir über Ismaiel wissen, ist dieser Mann manipulativ. Er wird wissen wer ihr seid. Und wenn er glaubt dadurch irgendetwas zu gewinnen spielt er euch sicher  gerne vor, Zachary zu sein.  Aber ich stimme euch zumindest in einem zu: Jemand anderes, als der Kaiser muss sich ein Bild machen. Unvoreingenommen…“

,, Und wer bitte ?“ Merl sah auf und blinzelte einen Moment. Er klang nicht wütend, nur enttäuscht. Quinns Art hatte ihn vielleicht gegen sich aufgebracht, doch Narias ruhiger Darlegung der Fakten konnte er sich nicht so einfach entziehen.

Statt einer Antwort grinste die Schakalin nur und stand auf.

,, Wo wollt ihr hin ?“ , rief Galren ihr nach und auch Merl erhob sich langsam, die Glieder steif vor Kälte.

,, Ich glaube, ich werde mal ein paar Worte mit diesem Erzmagier wechseln, Galren.“

Natürlich würde sie sich so eine Gelegenheit nicht entgehen lassen, dachte er. Und wenn er ehrlich war, war ihm das immer noch lieber, als das sich Merl alleine mit ihm traf. Naria war besonnener und sie kannte Zachary kaum. Und trotzdem konnte er wenig gegen das ungute Gefühl unternehmen, das ihn beschlich. Dieses dumpfe Wissen, etwas zu übersehen, das eigentlich offensichtlich war,

 

 

Kapitel 18 Gleichgültigkeit

 

 

 

Es gab keine wirklichen Zellen in der fliegenden Stadt. Das, was im kaiserlichen Palast einem verließ noch am nächsten kam, war eigentlich kaum mehr als eine endlose Ansammlung von Kellern. In den Fels geschlagen, aus denen die schwebenden Inseln der Stadt bestanden, erstreckten sich Gänge und Kammern , so weit, dass es hieß, man könnte von einem Ende des Palastes ohne Mühe zum anderen gelangen, ohne je das Tageslicht zu sehen. Gefangene indes, fanden sich in diesen Tiefen nur selten. Sollte es doch einmal einen Mann in Ketten hierher verschlagen, hieß das meist, das er schlicht zu wichtig für die Pläne und Geschicke des Imperiums war, um ihn irgendwo verrotten zu lassen… und entsprechend wurden diese  Häftlinge auch behandelt. Es brauchte keine Mauern und Eisengitter um jemanden hier fest zu halten, schwebte doch die gesamte Stadt hoch über dem Erdboden. Alles, was es brauchte, waren verlässliche Schwerter und Gewehre an den Seilwinden der Gondeln, die den einzigen sicheren Weg nach unten darstellten. Doch wenn es darum ging, jemanden sicher zu verwahren, waren die Keller wohl immer noch ein günstigerer Ort, als die Villen und Anwesen  des Adels und die Garnisonsunterkünfte. Die Tunnel hier unten waren genau so unübersichtlich und weitläufig, wie der oberirdisch liegende Palast, wie Naria schnell feststellen musste. Jemanden hier zu finden ohne zu wissen, wo man suchen musste, war ein aussichtsloses Unterfangen, verliefen die Gänge doch labyrinthisch und scheinbar ohne feste Ordnung durch den Fels. Manchmal führte eine Treppe abwärts zu einem tief gelegenen Lagerraum nur um bereits wenige Schritte später wieder nach oben zu führen. Andere Wege führten in weiten Serpentinen herauf in Kammern voller vermoderter Schriftrollen und Bücher. Die Verwaltung des Kaiserreichs produzierte Unmengen an Papier und  die Bibliotheken oben waren schon vor zweihundert Jahren aus allen Nähten geplatzt, wie es hieß. Hier in der Tiefe schlummerte das Erbe  der alten Kaiser. Aufzeichnungen über Sold und das Wetter aber auch Geschichtliche Dokumente, Urkunden, die man in schützenden Lederhüllen versiegelt hatte und Berichte der kaiserlichen Agenten. Hätte Naria Zeit gehabt, vielleicht hätte sie sich tatsächlich dazu hinreißen lassen, ein paar der uralten Schriftstücke durchzugehen, doch so warf sie im Vorübergehen nur einen kurzen Blick hinein und eilte weiter. Die Fackel die sie trug drohte bereits zu erlöschen und sie war noch nicht am Ziel. In völliger Dunkelheit ohne jede Lichtquelle, würde auch sie sich nicht mehr orientieren können. Doch immerhin würde sie sich nicht verirren, dachte sie. Die Präsenz des Wesens, das hier unten ausharrte, war so deutlich zu spüren, dass sie einen Moment doch daran zu zweifeln begann, ob es eine gute Idee gewesen war, den Weg alleine anzutreten. Ismaiel war wie ein Leuchtfeuer in finsterer Nacht, selbst zwischen all der Magie, welche die fliegende Stadt durchströmte. Er machte nicht einmal Anstalten sich zu verbergen. Naria hingegen bewegte sich wie ein Schatten, als sie sich schließlich ihrem Ziel näherte und versuchte, was immer sie an magischen Spuren hinterließ so gut es ging zu verbergen.

Ismaiels Zelle lag wie alles andere hier unten in Dunkelheit gehüllt. Nicht, dass der Mann nicht in der Lage gewesen wäre, daran etwas zu ändern, wenn er gewollt hätte, dachte sie, während sie ein paar Schritte entfernt stehen blieb und sich an die Wand lehnte um ins Innere der Zelle zu spähen.

Eine rostige Gittertür versiegelte einen Durchgang, der so niedrig war, dass wohl selbst ein Zwerg den Kopf eingezogen hätte. Dahinter gab es nur Dunkelheit, die das Licht der langsam ersterbenden Fackel in ihrer Hand nicht mehr ganz durchdringen konnte. Und doch war die Präsenz des Magiers jetzt deutlich spürbar, fast wie ein physisches Gewicht, das jeden Schritt schwerer zu machen schien. Vorsichtig trat sie näher und hielt die Fackel höher.

,, Was wollt ihr ?“ Ein Schatten erhob sich blitzschnell von einem einfachen Lager aus Decken und Stroh, das in einer Ecke der kleinen Zelle aufgeschichtet war. Mit einem einzigen, geschmeidigen Schritt, so schien es, trat er ans Gitter und spähte zu ihr herauf, denn tatsächlich musste er sich ducken um unter dem Türsturz hindurch sehen zu können. Einen Moment lang, war sie tatsächlich überrascht. Sie hatte vielleicht  jemand Älteren erwartet. Jemanden, der mehr wie das uralte Wesen aussah, das sich hinter dieser Gestalt verbarg. Doch Zachary war natürlich Jung gewesen, keine zwei Jahrzehnte älter als sie selbst. Doch das hier war er nicht mehr, erinnerte sie sich. Falls  Ismaiel von dem Besuch überrascht war, so zeigte er es zumindest nicht. Vielleicht hatte er doch gemerkt, wie sie sich genähert hatte? Sie hatte schon fast vergessen, dass er sie etwas gefragt hatte, bis sie den ersten Schock überwunden hatte.

,, Ich war vielleicht Neugierig.“ , erklärte sie, nicht bereit schon irgendetwas Preis zu geben. Sie konnte diesen Mann noch nicht einschätzen,  mal von den Geschichten abgesehen. Und die reichten bereits um das flaue Gefühl in ihrem Magen zu rechtfertigen. Wenn er gewollt hätte, er hätte diese Gitter, die sie trennten zerschmettern und sie gleichzeitig durch die nächste Wand schleudern können, da war sie sich sicher. Das letzte Mal, dass sie auch nur eine annähernd vergleichbare Macht gespürt hatte… das war in Helike gewesen. Sie dachte ungern an diesen einen schrecklichen Tag zurück. Und doch war das, was von Ismaiel ausging gänzlich verschieden von der rohen Gewalt des roten Heiligen. Es war auf eine schreckliche Art… realer, dachte sie. Ismaiel verfügte als letzter Erzmagier über Jahrtausende mehr an Erfahrung, als ein Mensch in seinem gesamten Leben ansammeln könnte. Und doch kämpfte sie die aufkommende Unruhe nieder. Deshalb war sie nicht hier.

 ,, Aber im Augenblick sehe ich nur Zachary. “Bis auf die grünen Augen, dachte sie, diese unsagbaren, brennenden Augen. Die Iris war durch einen Kranz aus sich ständig verändernden Formen verschleiert, die im Dunkeln schwach zu glühen schienen. ,, Und ich könnte euch das gleiche Fragen. Habt ihr geglaubt, man würde euch einfach so empfangen? Man denkt darüber nach euch zu töten, das muss euch klar sein. Was treibt euch hierher?“

Zachary Gesicht blieb starr und unbeweglich, während Ismaiel über die Antwort nachzudenken schien. Oder vielleicht ignorierte er sie auch bloß, wer wusste das schon zu sagen.

,, Ich habe zu viel verloren, als das es mich noch groß kümmern würde, was ihr denkt. Ich verlange nicht, dass jemand wie ihr das verstehen kann. Ich habe einmal jemanden wie euch getroffen, kleine Gejarn…. Ihr seid ein Fehler. Mehr noch als eure ach so wertvollen Zauberer…  Ich möchte nicht einmal wissen, welcher Umstand zu euren Fähigkeiten geführt hat.“

Naria ging nicht darauf ein. ,, Glaubt mir, ich kann das sehr gut nachvollziehen…“ Ihre Heimat, Sine, Wys… all die anderen… Wenn es jemanden gab, der nicht verstand, dann dieses Ding hier vor ihr. Sie schmunzelte einen Moment als ihr die Ironie der Situation bewusst wurde. Ismaiel sah sie offenbar als Monster. Und sie ihn. Nun immerhin das wussten sie beide.

Hinter dem grünen Feuer lagen nicht einmal mehr die Augen eines Menschen. Stattdessen schimmerte hinter dem grün dunkles gelb und Pupillen, die wie bei einer Katze oder manchen Gejarn geschlitzt verliefen.   Was sie da mit unterdrückter Wut und vielleicht auch Verzweiflung anblitzte, waren die Augen des alten Volkes, wie ihr klar wurde. Ismaiel war näher an das Gitter getreten und  hatte die Streben umklammert, das seine Finger weiß wurden. Naria wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Einen Moment war sie fest davon überzeugt, dass er  das Gitter schlicht zerbröseln würde, wie altes Brot. Doch dann trat auch Ismaiel einen Schritt zurück, scheinbar wieder ruhiger, ohne ersichtlichen Grund. Was ging da nur vor sich? Sie hielt nach wie vor Abstand, während der alte Erzmagier sich zu sammeln schien.

,, Habt ihr Merl gesehen ?“ Einen Moment lang war sie sich nicht sicher, ob die Frage überhaupt von der gleichen Person stammte. Selbst die Stimme, die mit ihr sprach, schien plötzlich jemanden anderem, jüngeren zu gehören, klang mehr nach jemanden, der dem Alter des Körpers entsprach, den Ismaiel besetzt hielt. Zachary ? Selbst das grüne Feuer schien einen Moment aus seinem Blick zu schwinden und wieder einen Hauch von Türkis durchschimmern zu lassen. Zacharys eigentliche Augenfarbe...  Sie ermahnte sich selbst, nicht dumm zu sein und sich so einfach täuschen zu lassen. Doch gleichzeitig, warum solle Ismaiel interessieren, was aus Merl geworden war? Es schien keinen Sinn zu machen. Und sie dadurch ablenken… wenn der alte Magier glaubte, das das nötig wäre um bei einem Fluchtversuch an ihr vorbei zu kommen, sollte sie sich wohl fast geehrt fühlen, dachte sie düster.

,, Werdet ihr mir noch antworten ?“ sie hatte beinahe vergessen, das der Mann auf der anderen Seite des Gitters ihr eine Frage gestellt hatte. Das war in jedem Fall wieder Ismaiel, dachte sie. Die Verachtung und Ungeduld in seiner Stimme sorgten dafür, dass sie ihm einen Moment am liebsten gar nicht geantwortet hätte. Doch je länger sie darüber nachdachte… Warum interessierte Ismaiel bitte, was aus Merl wurde? Die Antwort fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Es war unmöglich. Und doch gleichzeitig auf eine beunruhigende Art schlüssig, das Naria sich fragte, wieso sie nicht eher darauf gekommen war.

,, Ihr seid sein Vater, oder ?“ Zum ersten Mal tauchte so etwas wie Unsicherheit im Blick des alten Magiers auf.

,, Er… Wie kommt ihr darauf?“ Ismaiel funkelte sie misstrauisch an. ,, Er ist nicht mit Zachary verwandt…“

,, Ich rede auch nicht von ihm… sondern von euch Ismaiel. Merl ist euer Sohn, richtig?“

,, Wie kommt ihr darauf ?“ Ismaiel legte den Kopf schief und musterte sie, als würde er ihre Anwesenheit erst jetzt überhaupt wirklich zur Kenntnis nehmen. Und das allein verriet ihr bereits, dass sie ins Schwarze getroffen hatte, dachte Naria. Oder das sie der Wahrheit zumindest verdammt nahe kam.

,, Fangen wir damit an, das Zachary Merl sicher nicht nur durch einen bloßen Zufall gefunden hat.  Er wusste, wo er ihn finden würde. Wo er ihn suchen muss. Er hat ihn nicht einfach nur aufgenommen. Und Zachary muss gewusst haben, was und wer Merl ist. Wieso sonst sollte er seine ganze Forschung auf das alte Volk ausrichten? Und ich wüsste nur eine Person, von der er diese Informationen haben könnte. Das seid ihr. Wie lange hat er schon Kontakt zu euch, Ismaiel?

,, Spielt es eine Rolle ?“ Der alte Magier lehnte sich gegen die Wand neben dem Gitter und sah zu Boden. ,, Spielt irgendetwas hiervon eine Rolle ? Ihr könnt ihn meinen Sohn nennen, so oft ihr wollt, aber wenn, dann ist er vor allem eines: Ein Fehler, noch größer als ihr. Eine Abscheulichkeit  nicht wirklich ein Mensch und doch gehörter  auch nicht zum alten Volk.“

,, Wer war seine Mutter ?“

,, Was kümmert  es mich. Wenn irh unbedingt einen Namen wollt… fürchte ich kann ich euch damit kaum dienlich sein. Ihre Namen haben mich nie interessiert…“

Naria war den Abfälligen Tonfall des alten Magiers mittlerweile schon fast gewöhnt und vielleicht war auch genau das der Grund, aus dem sie ihm nicht abnahm, was er über Merl sagte. Er mochte sich vielleicht selbst davon überzeugt haben, aber… wenn er wirklich weniger als nichts für ihn empfand, warum hatte er dann Zachary zu ihm geführt? In diesem Augenblick klang sein Tonfall mehr nach bloßem Trotz. Beinahe… kindisch, so lächerlich diese Vorstellung war. Sie stand hier vor dem mächtigsten Wesen das diese Welt vielleicht je gesehen hatte und es verhielt sich wie ein bockiges Kind, das sich weigerte eine schlichte Wahrheit einzugestehen…

,, Ihr seid lächerlich…“ Ismaiel hörte die Beleidigung scheinbar nicht mal.  Oder gab es vielleicht noch einen anderen Grund aus dem er nicht reden wollte? Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Allein der Gedanke… Wenn ihre Vermutung zutraf, hatte Zachary dann ebenfalls davon gewusst?
,, Sagt mir die Wahrheit…. Hattet ihr etwa geplant, den Jungen als Hülle für euch zu nutzen? War das der Grund, aus dem ihr Zachary geholfen habt?“

Ismaiel sah sie nur ausdruckslos an. ,, Spielt es noch eine Rolle ?“ Die kalte Gleichgültigkeit in seinem Ton raubte Naria fast den letzten Nerv.  Geister, dieser Mann war anstrengend… und hatte es offenbar darauf abgesehen ein absolutes Ekel zu sein. Sie alle bedeuteten ihm weniger als nichts, das war ihr klar gewesen… aber das er selbst Merl und Zachary die ganze Zeit nur als Instrumente gesehen haben mochte…

Sie machte auf dem Absatz kehrt, zum einen, damit er den entsetzten Ausdruck auf ihrem Gesicht nicht sah, zum anderen, weil sie schlicht genug hatte. Sollte er hier unten in der Dunkelheit verrotten, dachte ein Teil von ihr. Vielleicht wäre das besser. Vielleicht nicht für Zachary, aber sicher für Merl… Wenn er sich von einer Begegnung mit diesem Monster irgendetwas erhoffte, dann konnte sie ihn jetzt wohl beruhigen.

Naria wendete sich zum Gehen, bevor sie jedoch vier Schritte gemacht hatte, ließ Ismaiels Stimme sie noch einmal anhalten. Sie drehte sich nicht um, doch die Präsenz des alten Magiers war für sie auch so spürbar, wie ein physisches Gewicht. Er war so dicht wie möglich vor das Gitter getreten und hatte die Hände um das Eisen geschlossen.

,, Bitte… verratet es ihm nicht.“ In diesem einen kurzen Moment schien seine Stimme endlich einmal etwas anderes als Gleichgültigkeit und Abscheu auszudrücken, klang beinahe flehend. Naria antwortete ihm nicht, während sie weiterging, Sollte er sich hier unten doch das Hirn darüber zermartern, ob sie seinen Sohn mit der Wahrheit konfrontierte. Allerdings bezweifelte sie, das sie überhaupt Gelegenheit dazu haben würde. Der Junge war schlau genug um selber darauf zu kommen. Und wenn nicht… würde er es wohl noch früh genug erfahren. Sie für ihren Teil hatte genug von der Dunkelheit und der drückenden Last des Steins.

Bevor sie jedoch weit kam,  hörte sie vor sich Stimmen. Sofort löschte sie die Fackel in ihrer Hand und duckte sich in eine Steinnische. Naria hatte keine Lust, zu erklären, was sie hier unten suchte. Mal davon abgesehen, das ihr wohl eh niemand abnehmen würde, das es sie zufällig hierher verschlagen hatte… keine zehn Schritte von Ismaiels Zellen entfernt.

Dieser wiederum verfolgte sie immer noch mit den Augen, während er regungslos an den Gittern stehen blieb. Auch der Erzmagier musste wohl die Stimmen bemerkt haben, den wortlos trat er wieder in die Dunkelheit seines Verlieses zurück, so als sei nie jemand hier gewesen….

 

 

 

Kapitel 19 Entscheidung

 

 

Es war kalt hier unten, dachte Syle. Ein Geruch wie aus einem Grab, nach Feuchtigkeit und Schimmel und Moder lag in der abgestandenen Luft und verriet, wie lange es her war, das sich überhaupt jemand hier hinab gewagt hätte. Normalerweise befand sich nur ein Bruchteil der Palastgewölbe überhaupt in Benutzung und es lebte wohl niemand mehr, der überhaupt genau wusste, wohin alle Gänge führten. Angeblich konnte man durch die Keller in jeden Teil des Palastes gelangen, ohne einmal Tageslicht zu sehen und je länger Syle den endlosen Treppen und Korridoren folgte, desto mehr war er geneigt, das auch zu Glauben. Und wären nicht die Dunkelheit gewesen, der Unterirdische Komplex hätte ihm wohl nur halb so viel Unbehagen bereitet. Zwar trugen sowohl er als auch Kellvian Fackeln mit sich, doch der die Flammen erschufen lediglich einen kläglichen Lichtschimmer in der alles umschlingenden Finsternis. Nur sporadisch gab es Wandhalterungen aus schwarzem Eisen, doch die Fackeln darin waren wohl schon vor Jahrhunderten nutzlos geworden. Eine dunkle Patine aus getrocknetem Pech und Öl hatte sich auf ihrer Oberfläche gebildet, die nicht einmal mehr Feuer fangen wollte, als Syle sie direkt gegen die Flammen hielt. Sie passierten leerstehende Kammern, Räume, die mit uralten, zerbröselnden Urkunden und Büchern vollgestopft waren und mehr als einen Weinkeller. Die flüssigen Schätze die in großen Holzfässern und einzelnen Flaschen in hohen Holzregalen stammten vermutlich noch aus längst vergessenen Jahrzehnten. Oder wenn Syle die Schicht aus Staub und Spinnweben auf manchen Flaschen richtig einschätzte eher noch Jahrhunderten.  Der Anblick weckte unwillkürlich Erinnerungen an Lucien. Vor einer gefühlten Ewigkeit hatte er sich einmal mit ihm und Quinn in ganz ähnlichen Katakomben unter Erindal betrunken. Seit dem hatte sich einiges geändert. Und er nicht nur Lucien enttäuscht, nicht? Nein…

Er hatte den kaiserlichen Agenten nicht retten können und er war nicht da gewesen um Janis zur Seite zu stehen. Oder seinem Kaiser. Und das war nur die Spitze des Eisbergs. Er war nicht da gewesen, als Kellvians Vater starb. Er war nicht dagewesen, als man ihm damals  in Helike eine Falle stellte… Und jetzt hatte er genug Freunde und schon zwei  seiner Kaiser überlebt. Er würde nicht auch noch einem dritten beim Sterben zusehen, dachte der Bär. Ein Hochgeneral sollte vor seinem Kaiser sterben oder mit ihm. Aber er sollte ihn nicht überleben…

Und genau deshalb gefiel es ihm bereits nicht hier unten zu sein.  ,, Herr… ich halte das für keine gute Idee.“ Er wusste bereits, dass seine Worte auf taube Ohren treffen würden. Wenn die Kaiser der Belfare eines waren, dann stur. Hatten sie einmal eine Entscheidung getroffen, brachte sie auch nichts mehr davon ab, sie umzusetzen… oder es zumindest zu versuchen. Und Kellvian bildete da keine Ausnahme, ganz im Gegenteil.  Der Junge war vielleicht der starsinnigste von allen. Und kein Junge mehr, schon lange nicht. Manchmal musste er sich tatsächlich daran erinnern. ,, Zumindest hätten wir mehr Männer mit nehmen sollen…“

,, Mehr Männer Syle ?“ Kellvian klang beinahe amüsiert, während er kurz an einer Abzweigung stehen blieb und sich zu ihm umdrehte. Die Fackel in seiner Hand warf unstete Schatten auf sein Gesicht und brachte goldene und silberne Strähnen in seinem Haar zum Leuchten. Und auch die dunklen Schatten unter seinen Augen. ,, Ich bezweifle, dass es je genug sein könnten.“

Und vielleicht, dachte der Gejarn, hatte sein Herr damit auch Recht. Aber es  würde ihn zumindest ruhiger machen.

Sie hatten ihr Ziel mittlerweile so gut wie erreicht. Vor ihnen aus dem Schatten schälte sich eine schlichte Gittertür heraus, kaum groß genug, dass ein Kind hindurch gepasst hätte, ohne den Kopf einziehen zu müssen. Syle selbst hätte vermutlich kriechen müssen und Kellvian, der direkt vor dem Gitter stehen blieb, musste sich leicht vorbeugen um ins Innere spähen zu können. Während er das tat, stutzte er jedoch plötzlich, die Hände auf die Knie gestützt. Dann hob er langsam etwas vom Boden auf und betrachtete es einen Moment. Es war eine Fackel, wie Syle schließlich erkannte, aber keine der Ruinierten, die sich in den Wandhaltern befanden. Diese hier war fast völlig heruntergebrannt und die Asche so frisch, das Kellvian die Hand zurückzog, als er sie darauf legte. Dann lies er sie jedoch achtlos fallen, als schließlich eine einzelne, hagere Gestalt an der Zellentür auftauchte. Für Syle bot sich nur das Bild von Zachary, der seinen Kaiser mit ungewohnt desinteressierter Mine musterte. Und doch wusste er, dass sich hinter den grünlich schimmernden Augen um einiges mehr verbarg als das. Vielleicht war Quinns Vorschlag doch die bessere Option. Und doch… er kannte Zachary seit er ein halbes Kind gewesen war. Es… Syle schloss die Augen. Es war schlicht nicht vorstellbar, diesen Mann zu richten. Aber wenn er jetzt irgendetwas tun würde, das ihm nicht gefiel… Syle henkte die Fackel in seiner Hand an eine leere Wandhalterung keine zehn Schritte von seinem Herrn und Ismaiel entfernt und nahm das Gewehr vom Rücken. Blei tötet auch einen Zauberer, sagte er sich und hoffte, es nicht auf die Probe stellen zu müssen.

Einen Moment meinte er in der Nische neben der Fackelhalterung eine Bewegung wahrzunehmen, schenket ihr jedoch keine Aufmerksamkeit. Vielleicht nur eine Ratte. Das einzige, was für ihn wichtig war,  waren die beiden Männer, die sich durch das Gitter getrennt gegenüber standen.

Eine Weile musterten sie einander nur. Seit ihrem letzten treffen waren mehr als zwei Jahrzehnte vergangen und doch hatte sich für sie wohl nicht viel geändert. Am Ende waren sie immer noch alte Rivalen. Und nun standen sie sich plötzlich wieder gegenüber. Was Kellvian für Ismaiel war, ließ sich schwer sagen, doch  Kellvian hatte seinen vielleicht größten Widersacher vor sich. Es war schwer zu sagen, was sie dabei fühlen mochten. Kellvian war damals erheblich jünger gewesen, unerfahrener…  Er war jetzt klüger, weiser… Und Ismaiel ? So wie die Dinge momentan standen war er vielleicht einfach nur Wahnsinniger geworden. Ein alter Mann im falschen Körper

,, Ich hatte nichtgedacht, das wir uns noch einmal wiedersehen.“ , stellte Kellvian schließlich fest. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt  ging er vor der Zelle auf und ab. Sein Gehrock wehte hinter ihm, schimmerte im schwachen Fackelschein bleich wie Mondlicht. ,, oder unter solchen Umständen.“

,, Die Umstände, Kaiser sind es, die mich überhaupt erst hierher führen. Ich glaube ich brauche euch die Situation in der ihr euch befindet nicht lange erläutern.“

,, Und deshalb gebt mir nur einen Grund, das hier nicht sofort zu beenden.“

,, Ihr meint abgesehen davon, das Edne nicht zulassen…“

,, Eden ist nicht hier.“ Kellvian wirbelte zu ihm herum und die schlichte Kälte in seiner Stimme lies Syle einen Schauer über den Rücken laufen. Sein Herr bluffte nicht. Er hatte bereits eine Bedrohung mit der er sich herumschlagen musste… und er würde nicht riskieren, dass daraus zwei wurden.

,, Ihr tötet mich und ihr tötet Zachary….“ Ismaiels Stimme verriet, dass er sich längst nicht mehr sicher war, dass das auch ausreichen würde.

,, Was die Frage nur wichtiger macht : Warum sollte ich euch anhören ?“ Kelvlian blieb stehen und wendete sich, die Hand auf den Schwertgriff gestützt, wieder der Zelle zu. ,, Warum sollte ich jemals etwas anderes als Lügen von euch erwarten ?“ Seine Stimme war warnend geworden, leise und tödlich.

,, Wart ihr es, der mich richtete ?“

,, Was ?“ Kellvian schien die Frage zu überraschen. Die Wut und die Kälte waren aus seiner Stimme gewichen. Er blinzelte.

,, Erinnert ihr euch, was an jenem Tag geschah, als ihr Silberstedt gestürmt habt ? An den Seelenquell ? Sagt mir also, wer hat mich gerichtet? Ihr ?“

,, Nein…“ Kellvian seufzte. ,, Das wart ihr selbst .“

,, Warum also sollte ich euch Schaden wollen ? Ich weiß, wann ich verloren habe. Ich hätte euch damals schon vernichten können und ich könnte es auch jetzt…“
,, Versucht es.“ , knurrte Syle ihn an und hob demonstrativ das Gewehr. Ismaiel schenkte ihm nur ein müdes Lächeln, bevor er sich wieder Kellvian zuwendete.

 ,, Es ging mir nie darum euch persönlich zu vernichten, Kellvian. Es ist nur schlicht so, das ihr mir im Weg gestanden habt… und langsam lästig wurdet, wenn ich ehrlich bin. Und jetzt biete ich euch lediglich eine Chance… was ihr daraus macht ist eure Sache, aber…“ Ismaiel zögerte und wendete sich schließlich vom Kaiser ab, als wollte er ihm seine nächsten Worte nicht direkt ins Gesicht sagen. Als würde es sie irgendwie weniger… schwer machen. ,, Ich konnte mein Volk nicht retten… erlaubt mir wenigstens es bei eurem zu Versuchen. Das ist alles, worum ich bitte…“

Und seltsamerweise glaubte Syle ihm. Der Schmerz in Ismaiels Stimme war echt, daran gab es für ihn keinen Zweifel. Mochte alles andere Lüge sein, diese letzten Worte waren es nicht. Sie waren sein ganzer Antrieb, der Grund, aus dem er überhaupt er all seine Taten überhaupt erst begangen hatte. Weil er tief im inneren wusste, dass er versagt hatte…  Doch Syles  Mitleid hielt sich in Grenzen. Ismaiel war ein Monster, ein Mann, der ohne zu Zögern über Leichen ging, wenn es seinen Zielen diente. Dafür gab es keine Entschuldigung. Konnten sie sich auf so jemanden verlassen?

Kellvian schien ähnlichen Gedanken nachzuhängen. ,, Ich bin verzweifelt genug, euch zumindest anzuhören.“ , gab er zu. ,, Sagt mir die Wahrheit, gibt es noch Hoffnung für Zachary selbst ?“

Ismaiels Mine verzog sich zu einem säuerlichen Grinse. ,, Natürlich, das ist alles was euch wirklich interessiert nicht wahr ? Und wenn ich euch ja sage, was dann ? Nein. Nein  er ist fort.“ Ismaiel log,  das wusste Syle diesmal so sicher, wie zuvor, dass er die Wahrheit sprach. Und das bittere Lachen des alten Zauberers bestätigte seine Vermutung nur.  ,, Es spielt keine Rolle, Kellvian. Nichts wird noch eine Rolle spielen, wenn wir nicht bald handeln.“

,, Nun dann erklärt mir was ihr vorhabt.“ Selbst Kellvian schien mit seiner Geduld am Ende. Entnervt begann er erneut damit, vor der Gittertür auf und ab zu laufen. ,, Und ich hoffe, sie gefallen mir, sonst…“
,, Sonst was, Kaiser ?“ Da war wieder dieses bittere Lachen. ,, Schickt ihr dann euren Magier hier herab um mich zu vernichten ? Wollt ihr mich persönlich töten? Ihr würdet niemals euren freund vernichte, ich kenne euch zu gut… ihr habt euch nicht verändert ob ihr es euch eingestehen wollt oder nicht. Immer noch der sture, naive Junge, dem die Welt entweder Platz macht, oder der sie in Trümmer legt. Erinnert ihr euch?“

,,Genug.“ Kellvians Stimme war wie ein Donnerschlag und Ismaiel verstummte tatsächlich. ,, Ich bin nicht hier um mich von euch beleidigen zu lassen. Vielleicht höre ich mir an, was ihr zu sagen habt, aber wenn ich das tue, müsst ihr Zachary gehen lassen. Verstehen wir uns ?“

,, Selbst wenn das so einfach möglich wäre, mich wieder von ihm zu trennen… wie kommt ihr auf die Idee, das ich das auch tun würde ? Ich habe kein Interesse das Leben bereits wieder aufzugeben. Dann schickt mir lieber  euren Schoßhund von einem obersten Magier… Ihr werdet mich brauchen, Kaiser, ob ihr es schon wisst, oder nicht. Und ihr werdet schon sehr bald verstehen, warum… wenn ihr mir erlaubt es euch zu erklären…“

Einen Moment war Syle sich nicht sicher, was Kellvian tun würde. Nachdenklich sah der Kaiser zu ihm, als ob er eine Antwort von ihm erwartete. Doch weder wollte noch konnte der Gejarn ihm sagen, was er nun tun sollte. Vom reinen Bauchgefühl her, wäre es Syle lieber gewesen, Ismaiel hier unten in der Dunkelheit verrotten zu lassen. Sein Verstand jedoch wusste genau so gut wie Kellvian, dass sie sich das nicht leisten konnten. Nicht, wenn Ismaiel wirklich ihre Rettung sein könnte.

,, Ihr werdet euch nicht nur mir erklären, sondern  uns allen.“ , erklärte Kellvian schließlich, während er einen schweren Schlüssle aus der Manteltasche zog und die Tür aufsperrte. ,, Kommt mit nach oben… und ihr auch.  Ich habe euch schon gesehen…“

Während Syle sich noch Fragte , mit wem außer Ismaiel Kellvian noch sprach, trat eine einzelne Gestalt zögerlich aus der Nische , genau dort, wo er zuvor eine Bewegung vermutet hatte.

,, Naria ?“ Syle sah überrascht zu Kellvian, der wortlos mit Ismaiel im Schlepptau an ihm vorbeitrat.  Die Gejarn wiederum zögerte einen Moment, als ob sie abwog, ob es sich lohne, wegzulaufen. Dann jedoch fügte sie sich scheinbar in ihr Schicksal und folgte ebenfalls dem Kaiser. Und Syle blieb nur , hastig wieder zu ihnen aufzuschließen oder alleine in der Dunkelheit zurück zu bleiben.

,, Herr…“ , fragte er sobald er Kellvian erreicht hatte. ,, Woher wusstet ihr das sie da war ?“

,, Ich wusste es nicht. Ich habe lediglich vermutet, dass die Fackel nicht von selbst hier unten abgebrannt ist. Sie hat sich selber verraten, in dem sie sich gezeigt hat.

 

 

 

 

Kapitel 20 Aiden

 

 

 

Selbst jetzt am Beginn des Winters brannte die Sonne unaufhörlich über dem roten Tal. Die trockene Luft und der allgegenwärtige Staub kratzten im Hals und die Erdarbeiten taten ihr übriges, die Sache noch schlimmer zu machen. Die bröckelige rote Erde, die man aus den Gruben  herauf schaffte, wurde mit jedem Schritt aufgewirbelt und legte sich wie ein dünner Schleier über die gesamte Baustelle. Um die Mittagszeit, wenn der endlose Strom aus Arbeitern und Aufsehern seinen Höhepunkt erreichte,  konnte man kaum noch atmen und selbst die oft so stoisch erscheinenden Prediger des Herrn der Ordnung zogen sich Schals und Tücher über Nase und Mund oder wagten sich erst gar nicht mehr in die Nähe der Baustelle. Selbst in der Nacht wurde mittlerweile noch gearbeitete. Große Feuer, die man über das gesamte Areal verteilt entzündete spendeten auch in der Dunkelheit noch genug Licht um einfachere Tätigkeiten zu erlauben. Jetzt am Morgen jedoch waren davon nur noch Gruben voller erkaltender Asche übrig, von denen langsam Rauch zum Himmel emporstieg. Es brauchte alleine zwei Dutzend Arbeiter, die am Tag damit beschäftigt waren, Holz aus den Wäldern heranzuschaffen, welche im Schatten der hohen Klippen wuchsen.

Janis konnte von seinem relativ angenehmen Platz die gesamte Tempelanlage überblicken. Hinter ihm standen die Hütten der Arbeiter, in denen er vor einigen Wochen aufgewacht war und neben ihm ragte einer der wenigen Bäume auf, die sich in der sengenden Hitze gehalten hatten. Ein verkümmertes Ding, dessen dünne, von gelblichen Blättern besetzte Zweige kaum Schatten spendeten.  Unter ihm jedoch tobte das Leben. Auch heute arbeiteten wieder tausende von Menschen daran, den Bau des Tempels voran zu treiben. Der Hauptbau war mittlerweile bereits so gut wie fertiggestellt, ein düsteres Vieleck, von dem aus sich dünne Säulen zum Himmel erhoben, bevor sie in einem Bogen wieder im Kuppeldach der Anlage endeten. Doch damit war es nicht getan, wie sich alsbald herausgestellt hatte. Der Tempel selbst war erst der Anfang…

Janis selber hatte erst einige Tage nach dem er aufgewacht war, begriffen, welche Ausmaße das Monument tatsächlich hatte. Damals hatte er sich zum ersten Mal bereit erklärt, beim Bau zu helfen. Er war kein Steinmetz, oder wenn dann erinnerte er sich zumindest nicht daran, aber er konnte Tragen helfen und wenn er ehrlich war… er hatte es auch satt gehabt, nur herumzusitzen. Also half er wo er konnte und warum auch nicht… diese Leute gaben ihm im Austausch Essen, Kleidung, alles was er brauchte. Und sein Kopf war nach wie vor so leer, wie an jenem Tag als er zum ersten mal die Augen aufgeschlagen hatte. Für ihn hätte es auch der erste Tag seines Lebens sein können. Das war das eine, was sie ihm nicht geben konnten. Weder der rote Heilige noch Träumer. Seine Erinnerungen….

Janis  setzte sich unter den Baum und damit in den wenigen Schatten, den dieser bot, während er weiter die Baustelle beobachtete.  Aus einer simplen Tasche, die ihm jemand geschenkt hatte, zog er einen Laib Brot und eine schlichte Tonpfeife hervor. Die Arbeiter, denen er zugeteilt worden war,  hatten für den Moment Pause und Zeit, sich bis zum Abend auszuruhen, wo sie eine weitere Schicht übernehmen würden.  Er riss lediglich einen kleinen Kanten Brot ab. Bei der Hitze war ihm der Appetit vergangen und so ließ Janis den Rest wieder in den Beutel wandern und entzündete stattdessen die Pfeife. Hier oben war der Staub nicht ganz so schlimm und im Schatten waren die Temperaturen beinahe angenehm. Er könnte sich fast an dieses Leben gewöhnen, dachte er. Auch wenn er gerne wissen würde, wer er eigentlich war… hier hatte er das Gefühl, zumindest etwas zu bewirken.

Träumer unterhielt sich manchmal mit ihm, stellte Fragen über sein früheres Leben… doch jedes Mal musste er die Antwort schuldig bleiben. Auch wenn er manchmal das Gefühl hatte, sich fast erinnern zu können.  Ein Gedanke nur, oder ein Gesicht, das ihm Waage vertraut vorkam. Manchmal auch ein Raum. Das Gefühl von Stoff unter seinen Fingern, ferne Geräusche, das Läuten einer Glocke. Nichts was Bedeutung hätte. Doch immer wenn er nach diesen ihm fremden Bildern und Gedanken greifen wollte, waren sie auch schon wieder fort. Das hieß, bis auf den Mann. Janis wusste nicht wer er war, aber er tauchte immer wieder in seinen Gedanken auf. Er war nicht mehr jung, ging wohl eher schon auf die fünfzig zu, mit blonden Haaren, in denen graue Strähnen glänzten und Augen in denen ein unendlicher Schalk zu glitzern schien. Und er fiel, dachte Janis. Er sah es genau vor sich. Er stürzte nach unten in ein Meer aus Feuer oder vielleicht waren es auch Fackeln, eine verlorene Armbrust segelte neben ihm in die Tiefe…

Das war die einzige, konstante Erinnerung die er hatte und auch wenn er nicht wusste, wieso, erfüllte sie ihn mit Schuld. Janis lehnte sich nachdenklich zurück und drehte die Pfeife in den Händen. Dann legte er sie bei Seite und begann erneut seinen Beutle zu durchsuchen. Ganz am Boden befand sich der einzige Gegenstand, den er außer seiner Kleidung besaß. Eine Brosche aus Gold und Silber, die einen Adler und einen Löwen zeigte. Das Wappen der Belfare-Kaiser. Wenn stimmte, was man ihm erzählte, war es der Kaiser  Cantons, der für seinen Zustand überhaupt erst verantwortlich war. Sah man davon ab, was er vielleicht sonst noch verloren und schlicht vergessen hatte…

Und warum fühlte er sich dann so schuldig, wenn er es betrachtete?

,, Hier steckst du also !“ Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Ein Schatten fiel über ihm als er aufsah und er musste unwillkürlich Grinsen.

Aiden war ein Mann, der aus den südlichsten Provinzen des Kaiserreichs stammte, oder dem was davon übrig war. Der Kreuzzug des roten Heiligen hatte einen Großteil der Gebiete vereinnahmt und mehr als eine Stadt hatte sich ihm Freiwillig ergeben und war ihm gefolgt. Der dunkelhäutige Riese überragte Janis um mindestens einen Kopf, doch war Aiden normalerweise Freundlich, solange man ihm keinen Grund gab. Einen dieser Gründe hatte Janis am ersten Tag auf der Baustelle selbst miterleben können. Er war der Vorarbeiter über eine Gruppe von dreißig Männern, die damit beauftragt waren, einen Weg den Hügel hinauf zum Tempel zu ebnen. Janis war an jenem Tag zuerst ihm zugeteilt worden, vor allem , als es darum ging die gröberen Arbeiten zu verrichten. Jeweils zu fünf in sechs Reihen hatten sie eine Spur von der Größe eines Wagens glatt gezogen, jedoch war eine der Gruppen, die der Janis angehörte, kaum so schnell voran gekommen wie der Rest. Er war immer noch geschwächt und die anderen konnten seinen Verlust kaum alleine nachholen. Vor allem weil einige von ihnen zuvor der Nachtschicht zugeteilt gewesen waren und kaum drei Stunden Schlaf gehabt hatten.

Einer der Prediger, ein Mann, in einer schweren, dunklen Robe, die seine gesamte Gestalt verhüllte, war auf sie zugetreten und hatte einen der Arbeiter niedergeschlagen. Janis hatte bis zu diesem Moment nie erlebt, das einer dieser Männer auch nur die Hand hob… doch irgendetwas an dieser Gestalt war anders gewesen… Und erst, als er damals die zur Faust geballte Hand des Predigers gesehen hatte, war ihm klar geworden was. Statt normaler Finger hatte er nur eine verunstaltete Kralle, die dem unglücklichen Arbeiter den Rücken aufschlitzte und ihn heulend in den Staub sinken ließ.

,, Wenn ihr eurem Herrn nicht mit mehr Eifer dienen könnt, dient ihr vielleicht besser den Würmern.“ , hatte der  Prediger ihn angenurr.t Und ein Knurren war es tatsächlich gewesen, was dort unter der Kapuze hervordrang, klang seine Stimme doch nur noch entfernt menschlich. Bellende, scharfe Laute , die bereits Ausreichten, ihm eine Gänsehaut zu bescheren.

Aiden jedoch war sofort da gewesen und hatte sich dem Prediger in den Weg gestellt. Oder besser, dem Geweihten. Janis hatte es erst später erfahren, doch dieses Wesen , das ihn so zittern ließ, war einer jener Erwählten des Herrn der Ordnung, die einen Teil seiner Macht in sich trugen. Eine Gabe die sie, wie es hieß, für immer zeichnete. Und mittlerweile verstand er auch, was das hieß.

Aiden jedoch schien nicht einmal so etwas wie Angst zu empfinden, als er den Hieb der Kreatur abfing und sie plötzlich an der Kehle packte. Dabei rutschte dem Geweihten die Kapuze aus dem Gesicht und entblößte rötlich schimmernde Augen und dunkle Schuppen, die sich über sein Gesicht wanden. Der Vorarbeiter überragte ihn vielleicht um ein gutes Stück, doch schien da sin diesem Augenblick kaum eine Rolle zu spielen. Ein Geweihter verfügte über weitaus mehr Kräfte als seine körperlichen…

Trotzdem ballten sich Aidens Hände zur Faust, als er den Mann zurückstieß und wütend anstarrte. Der verletzte Arbeiter kam währenddessen wieder auf die Füße und machte sich, mit einem besorgten Blick auf die Beiden Kontrahenten, schleunigst aus dem Staub.

,, Ihr werdet jetzt gehen.“ , meinte er  völlig ruhig. ,, Und solltet ihr so etwas noch einmal tun, werde ich Lord Träumer bitten, eure Weihe zurück zu ziehen…“

Sofort wendeten sich alle ab und senkten die Köpfe, sogar Janis, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ganz Verstand, was eigentlich vor sich ging. Die Erwählten des Herrn der Ordnung zeigten ihre Gesichter nicht. Viele verachteten vielleicht schlicht, was aus ihnen geworden war oder versuchten es zumindest vor anderen zu verbergen. Etwas, das nie ganz zu gelingen schien. Der rötliche Schimmer in ihren Augen und die beunruhigende Aura, die sie umgab waren Janis bereits nach den wenigen Tagen die er hier war vertraut. Als würde man ständig kleine Stromstöße bekommen, wenn eine dieser Gestalten in der Nähe war. Und angeblich gab es weitere von ihnen, die sich jedoch meist im inneren des Tempels verbargen. Die Entmenschlichten… Kreaturen, die alle Vernunft verloren hatten oder Feuerengel mit Schwingen aus flammender Magie, die alles verbrannten was ihnen zu nahe kam… Die Männer und Frauen, die sich bei ihrem Streben ihrem Gott nachzueifern selbst verloren hatten, so hieß es…

Jeder rechnete damit, dass der Geweihte kurzen Prozess mit dem Aufwiegler machen würde. Wann hatte man es je erlebt, dass jemand derart offen einem Erwählten Gottes die Stirn bot? Dann jedoch befreite sich der Geweihte nur unwirsch und ging mit wehender Robe davon. Aiden sah ihm noch eine ganze Weile nach, bis er die Kapuze wieder aufzog und im inneren des Tempels verschwand. Es schien, als würde ihn nicht einmal kümmern, wie nahe er grade dem Tod gekommen war. Erst viel später, in einer stillen Stunde, als sie ihn bei einer Flasche gestohlenen Risara-Wein feierten,  gestand der große Mann ihnen allen, dass er selbst eine Heidenangst gehabt hatte.

,, Schön euch zu sehen.“ , begrüßte Janis ihn, als er sich jetzt neben ihm setzte. Aiden war vielleicht streng genommen sein Vorgesetzter, doch behandelte er seine Leute eher wie Familie. Und das schloss Janis ein.

Aiden nickte ihm kurz zu, bevor er auf die Baustelle hinaus deutete. ,, Wenn wir Glück haben, wird die Schicht heute Abend halb so hart. Siehst du die Mauern um den Tempel? Sie sind so gut wie fertig…“ Tatsächlich nahm Rings um die Anhöhe, auf der die Kuppeln und Türme des Zentralen Prunkbaus aufragten, langsam ein Wall Gestalt annahm. Etwa doppelt so hoch wie Aiden und mindestens dreimal so breit, zog er sich in einer Spirale vom Eingang des Tempels herab. Die Wälle folgten dem ansteigenden Boden des künstlichen Hügels, auf dem man den Tempel errichtet hatte, bis sie wieder auf einer Höhe mit dem ebenen Grund des Tals waren.  Die Mauern verliefen dabei serpentinenartig umeinander und bildeten so eigentlich drei separate Abschnitte, die durch den Weg zwischen ihnen getrennt waren. ,, Ich verstehe nur nicht, warum man das ganze so umständlich baut. Wenn ihr mich fragt, wollen die einfach nur, das jeder, der zum Tempel will, sich erstmal die Füße wund läuft.“

Aiden grinsten, doch Janis erwiderte das Lächeln nicht. Nein, das war nicht der Grund, dachte er. Die Sonne brachte ein paar hellere, rötliche Strähnen in seinen Haaren zum Leuchten, während er sie sich aus dem Gesicht strich. Sein neuer Freund runzelte bei diesem Anblick die Stirn. ,, Wisst ihr , es ist völlig unmöglich, aber ihr erinnert mich fast ein wenig an…“

,, Das ist nicht der Grund…“ , unterbrach Janis ihn. ,, Das sind Verteidigungswerke, Aiden. Man nennt eine solche Konstruktion eine Wendelmauer. Der Weg selbst ist das Hindernis, es braucht keine Tore. Jeder Feind, der versuchen würde, dem Weg hinauf zu gelangen, würde von den Mauern eingekeilt werden. Und er  müsste sich die Serpentinen hinauf kämpfen und der Spirale folgen , während er gleichzeitig von überall her beschossen werden kann. Ohne Kanonen oder Geschütze um die Mauern einzureißen, ist jeder Angriff sinnlos. Selbst eine Handvoll Leute könnte so einen Aufgang gegen eine gewaltige Übermacht halten. Und ich wette, sobald die Mauern stehen, werden wir damit anfangen, in ihrem Rücken Erdhügel aufzuschichten. Das würde sogar die Wucht einer Kanonenkugel schlucken. Das macht es fast uneinnehmbar…“

,, Woher wisst ihr so etwas nur ?“ Aiden sahen ihn fragend an und Janis konnte nur mit den Schultern zucken. ,, Ich bezweifle, das sich hier sonst jemand mit Belagerungen auskennt…“

,, Es… Ich…“ Er schloss die Augen versuchte sich auf die Erinnerung zu konzentrieren, die er am Rand seines Bewusstseins erhaschen konnte. ,, Jemand hat es mir beigebracht… glaube ich.“

Einen Moment sah er eine Gestalt vor sich, so deutlich wie den unbekannten fallenden Mann. Einen Gejarn, mindestens genau so groß wie Aiden. Ein Bär um genau zu sein, der ein Gewehr über der Schulter trug. Eine dünne Narbe zog sich über sein Kinn und die Wange hinauf und verlieh seinen Zügen zusätzliche Härte… Janis wusste, dass er ihn kannte, doch blieben sein Name oder wo er ihn getroffen hatte, ein Rätsel.

,, Ein Rätsel für später wie ?“ Aiden reichte offenbar sein Gesichtsausdruck um zu wissen, was er dachte. ,, Wirklich ihr werdet mir unbedingt erzählen müssen, wer ihr eigentlich seid…wenn ihr euch wieder erinnert heißt das. „ Der große Mann erhob sich und blieb einen Moment nachdenklich stehen. ,, Ich gehe die anderen Suchen. Ein paar sind sicher noch auf der Baustelle. Kommt ihr mit?“

Janis nickte. Sich etwas die Beine zu vertreten, würde ihn wohl zumindest von seinen eigenen, rumorenden Gedanken ablenken…

 

 

Kapitel 21 Die Geweihte

 

 

 

 

Janis zog sich den Schal den er um den Hals trug ins Gesicht, als sie in das Gewirr der Tempelbaustelle eintauchten. Das einstmals weiße Tuch hatte mittlerweile durch Staub und Feuchtigkeit die Farbe von Rost angenommen und lies kaum noch Luft hindurch. Trotzdem war es besser, als den allgegenwärtigen Dunst einzuatmen, der vom Boden und auch von den Arbeitszelten der Steinmetze aufstieg. Mit der Eroberung  von Silberstedt  hatte auch der Bau des Tempels einen gewaltigen Aufschwung erlebt. Das Silber aus den Minen des Nordens hatte dafür gesorgt, das den Kultisten des Herrn der Ordnung nun fast unbegrenzte Finanzielle Mittel zur Verfügung standen… und was den Transport und Abbau anging, so fanden sich genug Arbeiter, ob Freiwillig oder nicht, die aus dem Süden und Osten herangeschafft wurden.  An Feinden, die man zur Sklavenarbeit verdammen wollte, mangelte es ihnen definitiv nicht. Aber vielleicht waren das alles auch nur Gerüchte. Janis wusste es nicht, doch den Effekt, den der endlose Strom aus Edelmetallbarren  hatte, den konnte er mehr als deutlich vor sich sehen, während sie einem Pfad die Flanke des Hügels hinab folgten. Bereits auf halbem Weg fanden sich die ersten Zelte. Einfachen Gestelle, über die man dichtes, weißes Leinen gespannt hatte, das die Sonne ausblockte und  unter denen die Steinmetze mittlerweile filigraneren Arbeiten nachgingen. Die Mauern des Tempels und der Schutzwall standen, doch noch wirkten die behauene Granit und Marmorblöcke  Schmutzig und roh, die glitzernden roten und weißen Andern im Gestein trüb. Und die Straßen, die den Hang hinauf führten waren lediglich Staubpisten und wirkten vor dem Prachtbau mehr als Schäbig. Eine halbe Hundertschaft Handwerker  war deshalb dabei, Reliefs für die Außenseite des Komplexes zu fertigen, große Marmorplatten zu schleifen und Fliesen heraus zu schneiden. Das Singen der Hämmer hallte war über die ganze Ebene hinweg zu nehmen und die Arbeiter mussten einander zurufen, um sich überhaupt noch verständlich zu machen. Ganze Körbe voller Steinsplitter türmten sich neben den Gestellen der Steinmetze auf, die mit Meißeln, Hämmern und Schleifsteinen zu Werke gingen. Kleine Funken stoben auf, wann immer ein Meißel auf den Felsen herabfuhr um die gröberen Stücke in Form zu bringen. Auch wenn sie unter dem Schatten einiger aufgestellter Zeltdächer saßen, stand den meisten der Schweiß auf die Stirn. Ein Fehler und die dünnen Platten, die sie mühsam aus dem Felsen herausgearbeitet hatten, brachen entzwei und machten damit die Arbeit von Tagen und Wochen zu Nichte. Die großen Schutthalden rings um die Verschläge der Handwerker sprachen Bände davon. Geborstene Reliefs und Fliesen ragten als scharfkantige Finger aus dem Abraum heraus und bildeten eine eigene, kleine Mauer, durch die lediglich einige Pfade hindurch führten, die die Arbeiter ausgetreten hatten.

 Einst würde der ganze Weg hinauf zum Tempel einschließlich des Platzes davor  mit Platten aus rotem Marmor überzogen sein, in denen weiße Adern glitzerten. Und wenn Janis sich ansah, welches Tempo die Männer vorlegten, würde das eher früher als später der Fall sein. Aiden besah sich die auf langen Barren gelagerten Reliefs im Vorübergehen. Zwischen die einzelnen Platten, die später an der Außenwand des Gebäudes angebracht werden würden, hatte man schwere Seidentücher gelegt, damit sie nicht zerkratzten und damit war immer nur die oberste Tafel zu sehen. Es waren religiöse Insignien der Ordnung, wie Janis feststellte. Das Symbol einer Spinne um genau zu sein, die  Mitten in ihrem Netz saß. Dazu kamen Runen und Piktogramme,  die jenen ähnelten, welche man auf den zerfallenen Bauwerken fand, die im Tal verstreut standen. Die Sprache des alten Volkes… Die Runen hingegen waren die Symbole der Amtssprache Cantons und, so vermutete er zumindest, wohl eine Übersetzung des darüber angebrachten Textes.

,,Das große Werk ist bald vollbracht… Ordnung und Licht.“ , zitierte Aiden neben ihm. ,, Und beten wir alle dafür, dass es stimmt. Dieser Konflikt dauert jetzt schon zu lange. Die Leute wollen heim… Sie haben sich Frieden verdient…“

,, Wir alle haben das. Doch ohne Blut kann es keine großen Taten geben.“ , meinte eine Stimme neben ihm.,, Zumindest ist das die Auffassung des roten Heiligen.“

Janis und sein Begleiter wirbelten fast zeitgleich herum, nur um sich Auge in Auge mit einer in schlichte, braune Roben gekleideten Gestalt zu finden. Die Frau war ein gutes Stück kleiner als er, doch bereits ein Blick in ihre Augen reichte für Janis aus, um zu wissen, dass sie das keinesfalls weniger gefährlich machte. Das feine Kribbeln  der Magie, das sie wie ein Schleier umgab war für ihn wie Nadelstiche. Sie war eine Geweihte…

Das Symbol der roten Hand prangte fast wie eine aufgerissene Wunde auf Brust und Rücken des Umhangs den sie trug. Unter der weiten Kapuze funkelten ihn rötliche Augen an, die ohne diesen Schimmer vielleicht sanft zu nennen gewesen wären. So jedoch fehlte ihnen scheinbar jegliche Wärme, trotz des inneren Feuers darin. Das dazugehörige Gesicht war jung und war, soweit Janis das erkennen konnte, wohl einst  hübsch gewesen. Nun jedoch war eine Hälfte davon fast vollständig von einem dunklen Makel verschlungen worden, ein verdrehter  Abdruck in der Form eines Sterns, von dem sich schwarze Ausläufer über Augen, Kinn und Wange zogen. Ein paar Strähnen braunen Haares wehten unter ihrer Kapuze hervor, doch selbst der Geruch davon war falsch, ohne das Janis hätte sagen könne, woran er das festmachte. Wonach roch das Haar einer Frau? Nicht auf subtile Art beunruhigend jedenfalls… und gleichzeitig faszinierend gefährlich.

,, Ehrwürdige Schwester Amatheris…“  Aiden verbeugten sich knapp, sobald er sie erkennte, während die Geweihte unter einem der Zeltdächer hervortrat, die den Steinmetzen als Schutz dienten. Falls ihr die Sonne und die Temperaturen zusetzen, so zeigte sie es jedenfalls nicht, während sie zuerst den Vorarbeiter und dann Janis betont langsam musterte. Einen Moment war er sich nicht sicher, was er davon halten sollte, derart begutachtet zu werden. Dann jedoch zeigte sich etwas auf ihrem Gesicht, das er bisher bei keinem der anderen Geweihten je gesehen hatte. Verwunderung, gefolgt von einem Lächeln, das ihr nicht richtig gelingen wollte, als sei es zu lange her, dass sie ernsthaft gelacht hatte. Die versehrte Hälfte ihres Gesichts schien sich dabei tatsächlich etwas aufzuhellen, als würde die Glut der Magie, die sie langsam verzehrte durch diese schlichte Geste etwas gebremst.

,, Man möchte meinen, ihr hättet mittlerweile gelernt, mich nicht mehr beim Namen zu nennen.“ , meinte sie in leicht vorwurfsvollem Ton an Aiden gerichtet. ,, Unsere Namen sind bedeutungslos, wenn wir uns in den Dienst des Herrn stellen. Ihr wisst das…“

Träumer hatte ihm ja bereits erzählt, dass viele der höheren Diener des Herrn der Ordnung ihre Namen ablegten oder andere benutzten. Er selber war wohl das beste Beispiel dafür. Gleichzeitig jedoch  wurde ihm nun erst bewusst, was das wirklich für sie bedeutet. Die Geweihten gaben ohnehin bereits viel auf, sogar ihre Menschlichkeit, wie es schien… Wie lange konnte man sich derart selbst verleugnen, ohne einfach den Verstand zu verlieren?

,, Natürlich…“ Der Vorarbeiter gab sich derweil betreten, oder war es tatsächlich und sah weg. Amatheris wendete sich derweil wieder Janis zu, auch wenn sie nach wie vor mir Aiden sprach.  ,, Ich habe gehört, ihr hattet ein kleines Zusammentreffen mit einem der Geweihten oben am Tempel ?“
Es war seltsam  einen Geweihten des Herrn der Ordnung so… unförmlich und offen sprechen zu hören, dachte er. Normalerweise kam es selten genug vor, das eine der vermummten Gestalten überhaupt mal etwas sagte und wenn, dann klang ihre Stimme normalerweise kalt, rau und ohne jede echte Emotion. Sie hingegen schien sich irgendwo einen Funken Menschlichkeit bewahrt zu haben. Auch wenn ihm der Blick mit dem sie ihn immer noch bedachte gar nicht gefiel. Ihre Augen waren wie Kohlen, darin unterschied sie sich in keiner Weise von den übrigen Erwählte  des Herrn der Ordnung.  Dunkle Brunnen, um die infernales, ewiges Feuer brannte, genauso wie in ihren Adern die Magie tobte. Janis fühlte sich von diesen  Augen gleichzeitig verschlungen und fasziniert. Allerdings nur so weit, das er selbst nicht zu sagen wusste, ob er davon abgestoßen war oder nicht…

,, Er hat einen meiner Leute fast getötet.“ , erklärte Aiden derweil , während Amatheris Blick immer noch auf Janis ruhte.  ,, Der arme Jorick kann bis heute nicht wieder richtig arbeiten. Ich habe ihn zu den Heilern schicken müssen und solange er krank ist, bekommen er und seine Familie nur halbe Rationen. Die Leute kommen doch überhaupt nur hierher, weil es Arbeit gibt… Der Kreuzzug hat die Felder und die Heimat vieler zerstört, sie hoffen zumindest hier zu Überleben….“

,, Manchen steigt die Macht zu Kopf… Ich werde sehen was ich tun kann, Aiden, mehr kann ich euch nicht versprechen, das wisst ihr.“ Janis machte den Versuch, den Blick von Amatheris abzuwenden, fand sich jedoch kaum in der Lage, den Kopf zu drehen. Sie hingegen plauderte weiter mit Aiden, ohne ihn dabei anzusehen.  Es war beinahe, als würde sie die Anwesenheit des Vorarbeiters gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen, dennoch antwortete sie ihm sofort. Alles an dieser Frau war seltsam, entschied Janis in diesem Moment stumm für sich. ,, Und wie sieht es mit eurem Freund hier aus ? Ich habe schon gehört, das Träumer angeblich jemanden von den Toten zurück geholt hat?“
,, Nicht ganz, aber ich fürchte, ich war nahe dran.“ Es tat gut, zumindest etwas zu sagen. Immerhin gab es ihm endlich die Gelegenheit, den Blickkontakt abzubrechen. ,, Ich bin Janis…“

,, Und weiter ?“ Amatheris legte den Kopf zur Seite und sah ihn fragend an.

,, Wenn ich das wüsste.“ Warum nur hatte er das Gefühl, das sie mit dieser Antwort gerechnet hatte.

,, Ich verstehe.“ Zum ersten Mal seit einer Gefühlten Ewigkeit wanderte ihr Blick wieder zu Aiden, der kurz nickte. Janis sah die Bewegung nur aus dem Augenwinkeln, aber den Ausdruck der daraufhin auf dem Gesicht des Vorarbeiters erschien, war nur zu deutlich. Skepsis und… noch etwas, das er nicht deuten konnte. Es gefiel ihm nicht, was immer hier vorging.

,, Ich werde euch besser alleine lassen.“ Trotzdem lag kein Protest in seiner Stimme. ,, Janis… wir sehen uns später.“ Bevor Janis auch nur dazu kam, etwas zu erwidern, hatte sich der große Vorarbeiter auch schon umgedreht und war zwischen den Zelten der Handwerker verschwunden. Was sollte das denn jetzt? Mal davon abgesehen, das es dem großen Mann gar nicht ähnlich sah, so einfach… einzuknicken. Langsam wurde ihm tatsächlich mulmig zu mute. Andererseits, wenn Amatheris eine Gefahr für ihn war, wäre er schon Tod, oder nicht? Die Macht dazu hatte sie. Und niemand würde einen geweihten zur Rechenschaft ziehen.  Blieb die Frage, was das ganze hier dann sollte…

,, Würdet ihr mich ein Stück begleiten ?“ Es klang vielleicht wie eine Frage, doch ihre Hand, die sich um seinen Arm schloss, war wie ein Schraubstock und zog ihn mit sich, bevor er auch nur geantwortet hatte.

,, Was…“
,, Geduld.“ ,war alles, was die Geweihte erwiderte. Allerding sin einem Tonfall, der klar stellte, das er am besten schweig, bis sie ihn wieder dazu aufforderte, etwas zu sagen. Ihr Weg führte sie erneut fort von der Baustelle und dem Trouble der Menge aus Steinmetzen, Wasserträgern, einfachen Arbeitern und den gelegentlichen Predigern und anderen Geweihten. Die Zelte blieben bald hinter ihnen zurück, genau wie die Anhöhe, auf der sich die Unterkünfte der Arbeiter befanden. Stattdessen führte Amatheris sie einmal um den Hügel herum, bis sie die Erdwand im Rücken hatten… und die offene Ebene vor sich. Wogende Grashalme und Flächen aus, toter, roter Erde erstreckte sich vor ihnen, aus denen gelegentlich die Überreste eines Bauwerks hervorragten. Weiß und Rose schimmerten die Ruinen im Licht der Mittagssonne und nachdem sie sich nun nicht länger auf der Schattenseite der Erhebung befanden, musste Janis die Hand mit dem Augen abschirmen um nicht geblendet zu werden. Man konnte scheinbar endlos weit sehen, dachte er. Und vielleicht war genau das auch der Sinn. Hinter ihnen gab es nur die Wand. Zu hoch, als das man sie von oben hätte belauschen können und zu Steil um sich anzuschleichen und sollte sich jemand vom Grasland aus nähern, würde man ihn schon zehn Meilen entfernt bemerken.

Amatheris  sah sich einen Moment misstrauisch um, als erwartete sie trotzdem noch, jemanden zu entdecken. Erst dann wendete sie sich wieder ihm zu und schlug die Kapuze zurück.

Fragte sich nur, wozu all die Vorsicht dient…

 

 

Kapitel 22 Rätsel

 

 

 

 

Ohne die Kapuze wurde erst deutlich, wie weit die Korruption Amatheris wirklich bereits befallen hatte. In den Schatten war Janis nur der dunkle Stern auf ihrer Wange aufgefallen. Nun jedoch im Licht, wurde deutlich, das sich die Ausläufer der magischen Verbrennung noch tiefer zogen, weit über ihren Hals hinab. An anderer Stelle griffen dunkle Finger wieder hinauf, Fein wie Adern, verloren sich auf der der großen Wunde gegenüberliegenden Gesichtshälfte. Und dort wo ihre Hand immer noch auf Janis Arm lag, konnte er ebenfalls feine, dunkle Linien entdecken. Raue , mit rötlichen Adern wie Lavaströmen durchzogene, Schuppen, die sich durch die weiche Haut zogen. Und trotzdem hatte sie sich einen Hauch von Schönheit bewahrt, dachte er. Zumindest genug. Genauso, wie sie sich wohl irgendwie ihren Verstand bewahrt hatte. Ihre schulterlangen, braunen Haare waren stumpf und von vereinzelten, grauen Strähnen durchzogen, wie Silberadern in der Erde. Janis fragte sich unwillkürlich, wie alt sie eigentlich war. Zahlten auch die Geweihten am Ende den Preis der Magie? Es schien ihm die einzige Erklärung zu sein, denn sah man von ihren Haaren ab, wirkte sie jung und ihre Züge, dort wo das Gesicht nicht durch die Zeichnungen entstellt waren , glatt und makellos , die Haut so hell, das sie beinahe ungesund, wie Porzellan wirkte… Die hohe Stirn und Wangenknochen verliehen ihrem Ausdruck etwas herablassendes, etwas, das Janis um einiges erträglicher war, als das ewige starren. Das Tageslicht machte den roten Schimmer in ihren Augen erträglicher und wenn man nicht zu genau darauf achtete, wirkten sie sogar fast normal. Doch auch das täuschte schließlich nicht über das hinweg, was sie war…

,, Warum bringt ihr uns hierher ?“ , fragte Janis schließlich, nachdem er seine Sprache wiederfand. Weit und breit war niemand zu sehen, das endlose Grasmeer, das sich am Fluss entlang zog verlassen. Die einzigen Geräusche waren die, die von der Baustelle hinter dem Hügel zu ihnen herüber drangen und das leise Flüstern des Winds der die Gräser bog und Staubwolken vor sich hertrieb.

,, Erinnert ihr euch, was ich Aiden gesagt habe ?“

Sie hatte ihm einiges gesagt, dachte Janis. Aber nichts davon schien diese Situation hier erklären zu können. Normalerweise hätte er sich wohl fürchten sollen, einem Geweihten derart nah zu sein…

,, Manchen steigt die Macht zu Kopf ?“ , fragte er schließlich unsicher. Das waren ihre letzten Worte gewesen, bevor sie sich nach ihm erkundigt hatte… Worauf lief das hier alles bloß hinaus?

Amatheris nickte lediglich. ,, Und das nicht von Ungefähr. Wisst ihr, manche sind der Meinung, dass das Vorgehen des roten heiligen zu Brutal sei…“

War das eine Falle? Janis wurde misstrauisch. Ging es hier darum, ihn auf die Probe zu stellen, hatte Aiden sie deshalb alleine gelassen? Aber warum dann dieses Spiel ? Ein geweihter musste nicht mit Konsequenzen rechnen, wenn er jemanden verhören wollte. Und schon gar nicht jetzt. Sie waren weit draußen, von allen Menschen entfernt und doch schien sie es immer noch für nötig zu halten, ihre Spielchen zu treiben, anstatt ihm direkt ins Gesicht zu sagen, was hier eigentlich vorging.

,, Ist das Vorgehen des Kaisers das denn nicht ?“ , fragte er grimmig. Dieser Mann hatte ihn nicht bloß seine Heimat sondern ganz offenbar sogar seine Erinnerungen daran gekostet. Und er durfte sich wohl noch zu den Glücklichen zählen, die Überlebt hatten. Und dennoch, ja, es gab Geschichten über den Heiligen. Von der Eroberung Helikes, von Strömen aus Blut die durch die Straßen der gefallenen Städte geflossen waren. Und doch wie sonst konnte man sich einem Tyrannen entgegen stellen? Manchmal blieb die einzige Antwort eben das Schwert…

,, Wenn ihr eure Zukunft sichern wollt, sehe ich nicht, das es einen anderen Weg gibt, oder ?“ Er wusste nur wenig darüber, was außerhalb des Tals in der Welt vor sich ging, doch das, was bis hierher drang, war nichts Gutes. Der Kaiser würde nicht freiwillig Platz machen und die Anhänger des Herrn der Ordnung mussten offenbar um ihr Leben fürchten, wenn sie sich nicht verteidigten…

Beide Seiten hatten aus ihrer Sicht wohl kaum eine Alternative…

,, Mag sein, doch das hier ist nicht die großartige Zukunft, von der wir geträumt haben. Ihr habt Aiden auch gehört. Die Leute die hier arbeiten sind hier, weil sie keine Wahl mehr haben, weil unser Kreuzzug ihre ganze Welt vernichtet hat… Wir haben Sklaven erschaffen, Janis. Keine freien Menschen und je länger dieser krieg andauert, desto mehr werden es. Auf beiden Seiten. Auch der Kaiser wird anfangen müssen, Truppen einzuberufen, Felder werden brach liegen, Väter und Söhne aus ihren Familien gerissen… Selbst wenn Kellvian Belfare auf Zwangsrekrutierungen verzichtet, wird es tausende geben, die glauben, ihre Heimat verteidigen zu müssen. Wir haben bereits einen großen Landstrich für uns gewonnen. Es wäre an der Zeit, den Kreuzzug zu beenden und damit anzufangen, alles wieder aufzubauen, bevor der Winter kommt. Mit den Männern, die wir haben, könnten wir die Grenzen halten. Und vielleicht sogar Frieden schließen.“

,, Und warum tut ihr es dann nicht ?“

,, Das ist der Punkt. Der rote Heilige hat nicht vor, den Krieg bald   zu beenden, Janis. Einige von uns fürchten, vielleicht auch nie. Nicht, bevor nicht ganz Canton unter unserer Kontrolle steht. Ein nobles Ziel, doch was nützt uns eine Welt, die in Trümmern liegt? So gerecht unser Kreuzzug ist, die Art auf die er geführt wird, ist es nicht. Er erzählt uns Lügen über die Zukunft, dabei zertritt er sie grade zu Staub…“

,, Das klingt beinahe, als hättet ihr vor ihn abzusetzen…“ Allein die Vorstellung klang lächerlich, musste er zugeben. Selbst die Geweihten fürchteten die Macht des ersten Dieners ihres Gottes. Der rote Heilige war weitaus mehr als ein einfacher Mann. Und wenn er ehrlich war, dachte Janis, wollte er nie herausfinden, zu was er alles in der Lage war.

,, Nein… ich habe vor ihm etwas entgegen zu setzen, Janis. Es gibt viele, die so denken wie ich, Aiden zum Beispiel. Dass der Kampf enden muss, das wir uns erst erholen müssen…“ Warum nur hatte er plötzlich das Gefühl, das das nicht alles war, was dahinter steckte? ,, Ich… Ich kann euch nicht alles verraten. Nicht hier…“

Also darum ging es, dachte er. Sie wollte ihn als Verbündeten gewinnen. Sie. Und auch Aiden wie es schien, sonst wäre er wohl nicht so bereitwillig verschwunden. Janis zögerte. Er hatte wirklich andere Sorgen, als sich in die Politik der Anhänger der Ordnung hineinziehen zu lassen. Selbst wenn er ihrer Meinung wäre, Götter, er wusste ja nicht einmal richtig, wer er eigentlich war, dachte Janis. Wie sollte er sich da entscheiden auf welcher Seite er hier stehen sollte? Oder ob er überhaupt auf einer sein wollte… Gleichzeitig jedoch… was würde sie tun, wenn er sie abwies? Ihn töten? Unruhig scharrte er mit einem Fuß auf dem Boden, wirbelte kleine, rote Wolken auf.

,, Ich weiß, ihr erzählt mir das alles nicht ohne Risiko, aber könnt ihr mich einfach da heraus halten ? IEs gibt im Augenblick… genug andere Dinge mit denen ich mich herumschlagen muss.“ Wie beispielsweise seine fehlenden Erinnerungen und die wenigen Fragmente, die noch davon blieben. Nichts davon schien wirklich zueinander zu passen. Die Brosche mit dem Wappen des Kaisers, der fallende Mann, der Gejarn, an den er sich erinnert hatte, dessen Name ihn aber immer wieder entglitt… Er hatte gehofft hier im Tal einfach abwarten zu können, ob sich etwas tat und wenn nicht… vielleicht konnte ihm ja jemand helfen, zumindest einen Anfang zu finden.

Doch Amaterhis schüttelte den Kopf. ,, Ich fürchte nicht. Auch wenn ich es verstehe. Glaubt mir… es gab einen Punkt in meinem Leben, an dem ich besser das gleiche gesagt hätte…“ Bei diesen Worten wurde ihre Stimme bitter und Janis fragte sich, von was sie sprechen mochte. Vielleicht wollte er es gar nicht wissen…

,, Das ist nicht eure Entscheidung.“ , erwiderte er und ihm war klar, auf wie dünnes Eis er sich damit begab. Aber Janis glaubte nicht, dass sie Gefährlich für ihn war. Zumindest bis jetzt hatte Amatheris ihn mit keinem Wort bedroht. Aber das konnte sich ändern, ermahnte er sich. Für sie brauchte es nur einen Gedanken und sein Leben würde hier und jetzt enden.

,, Und schon wieder irrt ihr euch, Janis.“ Sie lächelte ihn traurig und wissend zugleich an. Und dann beugte sie sich vor, ihr Atem kitzelte an seinem Ohr, als sie erneut zu sprechen begann: ,, Ich kenne euch Janis. Ich weiß wer ihr seid…“

Janis Augen wurden weit, während Amatheris sich zurückzog, als wäre nichts gewesen. Ungläubig rang er einen Augenblick um Worte. Sie wusste es? Sie wusste wer er war, was geschehen war, bevor er ohne Erinnerungen hier aufwachte?

,, Erklärt euch… Sofort !“ Die plötzliche Wut in seiner eigenen Stimme überraschte ihn. Wenn sie wusste wer er war, wenn sie es die ganze Zeit über gewusst hatte… wer kannte die Wahrheit dann noch? Aiden vielleicht ? Und warum im Namen aller alten Götter, hatte man ihn dann bis jetzt im Dunkeln gelassen? Ein Teil von ihm hätte sie am liebsten gepackt und die Antwort aus ihr herausgeschüttelt. Eine närrische Eingebung. Davon abgesehen, das Amatheris ihn in einen Haufen Asche verwandeln würde, wenn er irgendetwas unternahm… allein   er Gedanke weckte ein unbestimmtes Gefühl in ihm, das er in den letzten Tagen zu oft gehabt hatte. Das von Schuld. Unsicher starrte er auf seine Hände, ballte sie zur Faust und öffnete sie wieder. Was war nur los mit ihm? Der Witz war, das die Antwort auf diese Frage vielleicht genau vor ihm stand. Und beharrlich schwieg.

,, Sagt mir, endlich was ihr wisst…“ Seine Verzweiflung war ihm sicher anzuhören, aber in diesem Augenblick kümmerte es ihn nicht mehr. Er wollte nur endlich, dass dieses Spiel aufhörte… Man hatte ihn mit Absicht im Dunkeln gelassen. Irgendwie hatte Amatheris   die irre Idee, dass er einen Part in ihren Plänen spielen könnte…

,, Nicht hier. Jemand könnte zuhören…“ Zuhören ? Er schloss die Augen und gab ein entnervtes Aufstöhnen von sich. Man könnte fast meinen sie hatte Angst davor, die Wahrheit auszusprechen. Oder fürchtete sie nur das jemand bestimmtes sie zu Ohren bekommen könnte?

,, Wer denn ?“

,, Er zum Beispiel.“ Amatheris Blick ging hinaus auf die Ebene hinter ihnen und als Janis sich umdrehte und ihm folgte, entdeckte er eine einzelne Gestalt, die sich einen Weg zwischen Ruinen und hohem Gras hindurch suchte. Der Neuankömmling war noch zu weit weg, als das er sie belauschen konnte. Janis erkannte ihn allerdings ohne Probleme. Der mit dunklem Peltz besetzte Umhang und die goldenen Ketten, in denen vereinzelt Rubine blitzten warnen nicht zu übersehen. Der rote Heilige… Manchmal sollte man die Dinge eben nicht beschwören, dachte Janis.

,, Wann ?“ Er würde nicht auf seine Antworten warten, bis er sie zufällig wiederfand. Die Tempelbaustelle war riesig und eine einzelne Person schnell zu finden praktisch unmöglich. Mal davon abgesehen, das er den Tempel selbst nicht betreten konnte… sie hingegen schon. Und manche der Geweihten verbrachten Tage oder Wochen innerhalb der schwarzen Mauern.

,, In drei Tagen. Wenn die Sonne untergegangen ist.“ , erwiderte sie ohne zu zögern und zu spät wurde Janis klar, dass sie vielleicht auf genau das hier hinaus gewollt hatte. ,, Bei den alten Minen. Fragt Aiden, er kennt den Weg. Dann werde ich euch alles erklären. Und nur falls ihr euch überlegen solltet, nicht zu kommen… sehe ich euch dort nicht, wird unser nächstes Treffen ein gänzlich anderes Ende nehmen. Und folgt mir nicht… und seid vorsichtig. Nicht jeder ist euch hier nicht so wohlgesonnen, wie ihr es zu glauben scheint.“

,, Was meint ihr damit ?“

,, Nicht hier.“ , erklärte sie erneut. ,, Ihr wisst wo. Und vielleicht können wir am Ende sogar einander helfen.“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und schlug wieder die Kapuze hoch. Janis konnte ihr nur nachsehen, während sie auf dem Weg zurück in das Lager der Handwerker verschwand. Er selbst blieb stehen wo er war und einen Moment kämpfte er tatsächlich mit der Versuchung ihr nachzugehen. Es wäre Gefährlich ja, aber im Augenblick wäre er bereit fast alles für ein paar Antworten zu tun. Vielleicht würde er auch ein ernstes Wort mit Aiden wechseln müssen. Aber wenn der Vorarbeiter etwas wusste, hätte er ihm das wirklich verschwiegen? Janis wollte nicht glaubend das der Mann mit dem er sich angefreundet hatte, ihn derart im Dunkeln lassen würde. Langsam wendete er sich ab und sah wieder auf die Ebene hinaus, wo die Gestalt des roten heiligen nun bereits ein gutes Stück näher gekommen war. Sollte es ein Zufall sein, das er ausgerechnet jetzt hier auftauchte? Und konnte er Amatheris wirklich glauben, was ihn betraf?

 

Kapitel 23 Taufe

 

 

 

 

,,Janis !“ Der rote Heilige begrüßte ihn freundlich, sobald er nahe genug heran war und kam das letzte Stück Wegs bis zum Fuß des Hügels gelaufen. Doch Janis erwiderte den Gruß nicht. Wusste auch er etwas über ihn, das man ihm vorenthielt? Einen Moment lang zweifelte er daran, ob er überhaupt noch jemand hier vertrauen sollte.

,, Sagt mir die Wahrheit, wofür führt ihr diesen Kampf ?“ , fragte Janis kühl, während die Gestalt des roten Heiligen vor ihm zum Stehen kam. Einen Moment runzelte er die Stirn, als müsste er seine nächsten Worte gut abwägen.

,, Ihr klingt erbost.“ , stellte er fest und klang tatsächlich verwundert. Und einen Moment war Janis tatsächlich bereit, die Sache fallen zu lassen. Konnte jemand so etwas spielen? Aber er wollte sich nicht mehr mit Stückwerk zufrieden geben. Amatheris hatte diesen Mann, der ihn gerettet hatte, schwer beschuldigt. Er würde sich anhören, was er dazu zu sagen hatte. Allerdings, ohne die Geweihte dabei zu verraten, das stand jetzt schon fest. Selbst wenn er alle ihre Vorwürfe in den Wind schlug… sie wusste etwas. Und sie war zumindest bereit, es Janis auch zu verraten. Falls das keine Lüge gewesen war um ihn irgendwie für ihre kleine Verschwörung zu gewinnen.

,, Beantwortete meine Frage…“ Er wusste nicht, woher er überhaup0t den Mut nahm, diesem Mann solche Forderungen zu stellen, doch er weigerte sich auch unter dem forschenden Blick des Heiligen einzuknicken. Schließlich seufzte dieser.

,, Gehen wir ein Stück ?“ Er nickte in Richtung des Wegs der zum Lager der Handwerker zurück führte und Janis schloss sich ihm an. Der Wind hatte mittlerweile aufgefrischt, doch statt Abkühlung brachte er nur trockene Luft und Staub mit sich, der Janis verschwitzte Kleidung verklebte und auch an seiner nassen Haut hängen blieb. Wenn er die Gelegenheit hatte, würde er sich wohl am Abend mit den übrigen Arbeitern zum Fluss aufmachen… und dabei vielleicht ein ernstes Wort mit Aiden reden. Er wollte nicht glauben, dass der Mann ganz in Amatheris Pläne eingeweiht war…

Dem roten Heiligen schien die Hitze derweil um einiges weniger auszumachen. Der Staub, der sonst überall hängen blieb, perlte scheinbar von ihm ab und auch wenn der Pelzmantel, den er trug die Hitze eigentlich fast unerträglich machen müsste, schwitzte er nicht einmal. Sie hatten fast die Hälfte des Wegs zurück hinter sich gebracht, als er schließlich zu sprechen begann:

,, Du hast mich gefragt, wofür wir kämpfen… oder ich. Und ich will ehrlich sein. Es gibt keine einheitliche Antwort auf diese Frage, Janis. Manche hier kämpfen, um die Gerechtigkeit unseres Gottes zu vollstrecken. Der Kaiser und seine Getreuen wiedersetzen sich weiterhin, obwohl sie seine Macht gesehen haben. Er mag ebenfalls Glauben, für eine gute Sache zu kämpfen, doch der Kampf um die Macht hat ihn auf eine Weise Blind werden lassen, die mein Herr nicht vergeben wird. Wer sich seiner Kontrolle entzieht, arbeitet gegen ihn. Dafür werden, nein müssen sie bestraft werden. Und für so viele andere Dinge auch, meint ihr nicht?“
Janis zögerte, etwas zu erwidern. Ja, meinte ein Teil von ihm. Das war ein guter Grund, auch wenn das wohl kaum alle so sehen würden. Der Kaiser hatte vieles vernichtet. Für ihn. Und für andere auch. Und dennoch hielt ihm etwas davon ab, dem roten heiligen einfach zuzustimmen. Einen Moment meinte er etwas wie ein Echo in seinem Kopf zu hören, eine ferne Stimme, die niemanden zu gehören schien: ,, Es gab schon einmal jemanden der glaubte, die Menschen müsste alle kontrolliert werden.“ Wem gehörte die Stimme? War es überhaupt eine echte Erinnerung oder nur eine innere Eingebung? je mehr Janis versuchte, sich darauf zu konzentrieren, desto mehr verschwammen die Stimme und auch die Erinnerung selbst…

Stattdessen fragte er: ,, Was sind die anderen Gründe?“

,, Manche der Männer hier folgen mir auch, weil sie die Wahrheit erkannt haben. Und wenn unser Werk erst getan ist, werden sie es sein, die eine neue Welt im Namen ihres Herrn errichten. Der Kaiser, Janis , behält alle Macht für sich, der Herr der Ordnung hingegen teilt sie mit seinen Anhängern.   Und damit werden sie die Welt verändern…“

,, Und ihr selbst ?“

Zum ersten Mal wirkte der rote Heilige tatsächlich unsicher. Die Narbe auf seinem Gesicht verzog sich, während seine Kiefer arbeiteten, die Zähne hörbar aufeinander rieben.

,, Ich werde meinen Posten abtreten, sobald unsere Arbeit getan ist, Janis. Es wird dann… andere Dinge um die ich mich kümmern muss. Meine Aufgab ist es nur, dem Herrn den Weg zu bereiten. Mit allen Mitteln. Danach… bin ich frei, das wurde mir versprochen. Das und mehr. Uns allen hier wurden Versprechungen gemacht, das ist vielleicht die einfachste Antwort auf eure Frage.“

,, Versprechungen ? Verzeiht mir, aber welches Versprechen ist es Wert, dafür einen Krieg zu beginnen? Und sei es auch nur um sich selbst zu schützen. Es hätte andere Wege gegeben. Ein Versprechen kann auch gebrochen werden.“

,, Ein Gott hat es nicht nötig zu Lügen, Janis . Er ist allmächtig. Das ist der Punkt. Es stellt für ihn keine Gefahr da, unsere Wünsche zu erfüllen. Es bereitet ihm nicht einmal Mühe. Warum also sollte er es nicht tun? Es sei denn, er wäre nicht, was er vorgibt zu sein, aber wer kann daran zweifeln, nachdem er einmal seine Macht gesehen hat? Mein Herr würde selbst den Kaiser willkommen heißen, solange er ihn anerkennt… egal was ich davon halten mag.“

,, Das heißt ihr haltet nicht von ihm ?“

,, Ich fürchte ihr seid nicht der einzige, dem der Kaiser etwas wichtiges genommen hat, Janis. Und ich werde es zurück erhalten, so oder so. Solange mein Herr seine Versprechen hält, soll mir sogar egal sein, wenn ich mit ihm auf einer Seite kämpfen müsste. Aber das wird er nicht. Und somit obliegt mir die Aufgabe, die Strafe zu vollziehen…“ Der rote Heilige lächelte. ,, Ich kann nicht sagen, dass ich darüber besonders traurig wäre. Wir alle können nur sein, was unser Herr uns vorgesehen hat. Und mir obliegt es die Geißel zu sein, sein Schwert und sein Zorn.. Und ihr Janis ? Welche Rolle spielt ihr in den Plänen des Herrn der Ordnung? Ich weiß es nicht und egal wie lange ich auch darüber meditiere ich erhalte einfach keine Antwort. Nur das euer Überleben von Gott gewollt ist.“

Einen Moment lang kam ihm Amatheris Warnung in den Sinn. Aber sie war es, die ihn im Dunkeln stochern ließ, nicht der rote Heilige. Er glaubte schlicht nicht, das dieser Mann , der so freundlich und aufmunternd mit ihm sprach ihn dabei anlügen könnte. Der Mann, der ihn gerettet hatte, dessen Anhänger ihn aufgenommen hatten… Hoffentlich würde die Geweihte ihr Wort halten. Das war das einzige, das ihm im Augenblick daran hinderte, von ihren Plänen zu erzählen. Und im Gegensatz zu ihr enthielt er ihm wenigstens nichts vor, sondern sprach völlig offen mit ihm.

,, Jeder von uns kämpft für etwas, Janis.“ , fuhr der rote Heilige derweil fort. ,, Und genau deshalb frage ich mich : Wofür kämpft ihr ? Wenn man so will, verratet mir… was ist euer Versprechen?“

,, Ich kann mich nicht erinnern, das wisst ihr…“ Aber er Verstand langsam, wieso so viele diesem Mann folgten. Der rote Heilige verstand es , den Leuten zuzureden, das anzubieten und zu sagen, was sie hören mussten oder wollten. Und obwohl ihm dies bewusst war, fiel es Janis leicht, darauf einzugehen. Dieser Mann war so weit es ihn betraf der einzige wirkliche Wegweiser den er hatte. Und wenn er nicht einmal dem lebenden Avatar eines Gottes vertrauen konnte, wem dann ? ,, Ich weiß es nicht.“ , wiederholte er. ,, Und dennoch manchmal glaube ich, ich habe einen Fehler gemacht. Irgendwie Schuld auf mich geladen…“ Erneut kam ihm die Brosche ins Gedächtnis, die sich nach wie vor in seiner Tasche befand. Gehörte sie am Ende doch ihm? War er ein kaiserlicher Agent gewesen? Und wenn ja, war er dann für den Untergang seiner Heimat verantwortlich? Es gab so viele offene Fragen und für den Moment konnte er keine davon beantworten. ,, Vielleicht ist das ja der Grund, aus dem wie ihr sagt, euer Herr mein Leben bewahrt hat. Damit ich etwas wieder gut machen kann. Und wenn es schon sonst nichts gibt, das ich tun kann, helfe ich euch, diese Tyrannei zu zerstören, wird vielleicht wenigstens ein Teil davon aufgehoben.“
Der rote Heilige lächelte freundlich. ,, Dann müsst ihr diesem Ruf folgen, nicht wahr ? Und ich werde euch nicht daran hindern, wenn ihr es denn wollt. Niemand kann euch zwingen, das Schicksal anzunehmen, dass mein Herr euch zeigt. Ich kann euch nur den Weg weisen, solltet ihr das wünschen. Frei von der Last euer Vergangenheit.“
Konnte das stimmen? War sein Gedächtnis-Verlust am Ende vielleicht gar keine Strafe, sondern ein Segen? Es schien einleuchtend, je länger der rote Heilige sprach und auch wenn Janis wusste, dass es das nicht unbedingt wahr machte… Es gab hier gute Leute. Und auch schlechte, meinte eine zynische Stimme im hintersten Winkel seines Verstands. Er brachte sie zum Schweigen. Er würde sich nicht in Amatheris Ränkespiel hinein ziehen lassen. Aber er konnte ihrer Sache dienen. Nicht der Sache irgendeiner Splittergruppe, sondern der des Herrn der Ordnung. Er konnte hier wirklich etwas bewirken. Und sei es nur durch die Arbeit seiner beiden Hände. Und deshalb viel es ihm umso leichter, am Ende Ja zu sagen…

 

 

Träumer hatte diesen Moment gefürchtet. Und hatte er nicht auch damit gerechnet, seit der Junge erwacht war, fragte er sich, als er sah, wer mit seinem Meister zusammen den Tempel betrat. Das Zwielicht in der innersten Kammer wurde nur durch einen einzigen Lichtstrahl erhellt, der durch eine Öffnung im Kuppeldach herein fiel. Rot und schwarz schimmerten der Boden und die wenigen Stellen, an denen das wenige Licht bis zu den Wänden der Halle durchdrang. Große Säulen, dick wie Bäume ragten dort auf und trugen das Gewicht der Kuppel über ihm, verziert mit den Insignien des Herrn der Ordnung. Die Wände selbst hingegen waren völlig glatt poliert worden, so dass man sich, währen die Lichtverhältnisse besser, darin spiegeln könnte. Eine Fußleiste aus weißem Marmor verlief daran entlang, in welche man stilisierte Zweige und Wurzeln geschnitzt hatte.

Und an der Rückwand des Raums, noch hinter dem hellen Kreis, den die Öffnung in der Kuppel hinterließ stand das Becken. Es war ein einfacher Steintrog aus grauem Granit. Der Stein war vollkommen unbearbeitet, selbst die Öffnung in seiner Mitte war natürlichen Ursprungs. Lediglich an den Kanten, wo die Arbeiter ihn aus dem umgebenden Fels gelöst hatten, gab es einige scharfkantige Bruchstellen und aus Erfahrung wusste er, dass bereits mehr als ein Mann sein Blut daran zurück gelassen hatte. Die im Halbdunkel ölig schimmernde Flüssigkeit darin allerdings, war lediglich klares Wasser.

Träumer trat seinem Herrn wortlos entgegen, als dieser mit Janis unter dem großen Bogentor stehen blieb, das den Eingang zur inneren Kammer markierte. War der restliche Tempel zumindest sporadisch mit Fackeln ausgeleuchtet, so gab es ab hier nicht einmal mehr Halterungen an den Wänden und Träumer merkte, wie der Junge einen Moment zögerte weiterzugehen. Doch war nicht nur die Dunkelheit der Grund dafür, nicht? Die Schatten in den dunkelsten Nischen des Heiligtums begannen sich zu bewegen, als sie das Nahen ihres Herrn spürten. Einst waren sie Geweihte gewesen, außerwählte ihres Gottes. Und manche waren es vielleicht immer noch. Andere jedoch waren von der Berührung des Herrn der Ordnung zerstört worden, ihre Körper so weit verdreht, das sie kaum noch etwas menschliches hatten, ihr Geist in vielen Fällen einfach zerschmettert. Für sie gab es keine Erlösung mehr. Und der einzige, der noch über sie Gebieten konnte, war der rote Heilige selbst. Es wäre besser, für uns und auch für sie, sie einfach zu töten, dachte Träumer nicht zum ersten Mal.

Stumm bedeutete Träumer den beiden Neuankömmlingen einfach ihm zu folgen. Er wusste, wieso sie hier waren. Janis kam der Aufforderung offenbar nur zu gerne nach, gab es ihm doch zumindest einen Grund, seine Aufmerksamkeit von den wogenden Schatten und glühenden Augen in der Finsternis zu nehmen. Stattdessen konzentrierte er sich scheinbar ganz auf den schwachen Lichtkreis im Zentrum des Saals, wo Träumer zuvor gewartet hatte. Einen Moment blinzelte der junge Mann geblendet, als er schließlich hinein trat, Träumer und den roten Heiligen nun jeweils zu seiner linken und rechten Seite.

,, Ihr habt eure Entscheidung getroffen ?“ , fragte der rote Heilige, während die Schatten erneut in Bewegung gerieten. Zwei von ihnen lösten sich aus der Dunkelheit und stellten sich neben das Becken. Im Halbdunkeln war nicht viel zu erkennen, außer ihrer skelettartigen Gestalt. Die dünne Haut, die ihre Körper überzog wirkte ausgezehrt und stellenweise schien sogar Glut darin eingeschlossen zu sein und glomm mit einem beunruhigenden Licht, das keine wirkliche Helligkeit abzusondern schien.

Janis nickte lediglich, behielt die zwei Gestalten dabei jedoch genau im Auge. Jede hätte selbst den größten Menschen oder Gejarn noch um mindestens einen Kopf überragt. Und sobald der Junge den Kopf senkte, entfalteten sich ihre Schwingen. Gewaltige Segel aus Feuer, die den Saal in gleißendes Licht tauchten. Rote und gelbe Flammen bauschten sich auf, vertrieben die Dunkelheit innerhalb eines Herzschlags und enthüllte ausgezehrte, von verbrannter, toter Haut eingehüllte Körper. Knochen stachen daraus hervor, als wollte sie bei jeder Bewegung reißen, verstärkte den Eindruck noch, etwas Totem gegenüber zu stehen. Eine verbrannten Leiche vielleicht… Augen aus Glut glommen eingelassen in dieser Membran. Die Augenhöhlen der Schädel jedoch waren leer, wie dunkle Teiche, die Züge ausdruckslos und nicht zu deuten , sah man von dem zu viel an nadelspitzen Zähnen ab…

Wie lebendige Statuen blieben die zwei Kreaturen links und rechts des Wasserbeckens stehen, beleuchteten die Szene mit ihren Flügeln. Das Licht drang jedoch kaum zehn Schritte weit in den Raum hinein und war lange wieder geschluckt worden, bevor es den hellen Kreis erreichte, wo Janis, Träumer und der rote Heilige nach wie vor warteten. Dieser hatte mittlerweile eine schlanke Klinge zu Tage gefördert, die er Janis hinhielt, das Heft und die Spitze jeweils auf seinen ausgestreckten Händen ruhend. Das Schwert selbst war dünn und erinnerte mehr an einen Rapier, das Heft jedoch war einem Langschwert nachempfunden worden. Im Knauf hatte man einen Handtellergroßen Rubin eingelassen, der zu drei Fingern auslief. Die Parierstange und der Griff wiederum warne mit feinstem Silberdraht umwickelt, so fein und mit Stoff durchsetzt, das er sich fast wie Spinnweben anfühlte. Weich, nachgiebig… und doch auch irgendwie verfänglich, als würde er die Hand seines Trägers nie wieder frei geben.

Janis nahm die Waffe ehrfürchtig entgegen.

,, Ab heute seit ihr sein Werkzeug, Janis. Und auch eine Waffe des Herrn, sollte er es fordern. Genau wie die Klinge in eurer Hand. Und genau wie die Klinge soll euer altes Leben hier enden. Trete vor, wenn ihr es wagt, reinigt die Waffe und euch selbst von jeder Vergangenheit…“

Rst bei diesen Worten sah Träumer zum ersten Mal so etwas wie Unsicherheit auf dem Gesicht des Jungen. Aber nur einen Herzschlag lang, dann packte er das dargebotene Schwert fester… und trat entschlossen aus dem Lichtkreis heraus . Die erneute Dunkelheit musste ihn halb blind machen, nachdem seine Augen sich einmal mehr an die Helligkeit gewöhnt hatten, doch trotzdem blieb sein Blick starr auf das Becken und die Wächter gerichtet. Träumer und der rote Heilige folgten ihm ohne einen Laut und in etwas Abstand, bis er den Felsen erreichte. Beinahe sanft lies Janis das Schwert ins Wasser gleiten, bevor er selber vor dem Becken niederkniete. Die Feuerschwingen der beiden Wächter spiegelten sich auf der ruhigen Oberfläche, machten sie undurchsichtig und verbargen die Waffe in der Tiefe. Janis streckte die Hände aus. Der rote Heilige trat ohne sichtliche Eile neben ihm…, legte eine Hand auf seinem Kopf… und drückte ihn ohne jede Warnung ins Wasser. Trotzdem blieb der Junge völlig ruhig, wie Träumer erstaun feststellte. Es hatte genug gegeben, die plötzlich doch ihre Zweifle bekommen hatten, sogar jene, die versucht hatten sich zu befreien. Doch Janis nicht. Stattdessen treckte er suchend die Hände aus, fand den Schwertgriff… und wartete. Träumer wusste nicht, wie viel Zeit wirklich verging. Es konnte wohl kaum mehr als eine vielleicht auch zwei Minuten gewesen sein. Mehr hätte der Junge nicht überlebt, sagte er sich. Und doch rechnete er einen Moment tatsächlich damit, dass sein Herr ihn einfach ertränken würde. Dann jedoch riss der rote Heilige den nach Atem ringenden Janis zurück. Er stolperte rückwärts, das Schwert in den Händen und landete mit einem dumpfen Laut auf dem Boden. Im Gleichen Moment falteten die Wächter ihre Schwingen zusammen, das Feuer erlosch… und lies sie wieder einmal im Dunkeln zurück. Nur Janis schwere Atemzüge hallten von den Wänden wieder, als der Junge sich langsam aufrichtete… und die Klinge darbot.

,, Behaltet sie.“ , meinte der rote Heilige und Träumer stelle überrascht fest, dass sein Herr tatsächlich lächelte. ,, Wie ich euch schon sagte. Von diesem Tag an seid ihr Werkzeug und Waffe des Herrn. Und nun geht. Erholt euch, meditiert… und wir werden uns bald wieder sprechen. Ich habe … Verwendung für euch.“

Janis erwiderte nichts, vielleicht war er dazu im Augenblick auch gar nicht in der Lage, sondern verbeugte sich lediglich und zog sich dann zurück. Träumer sah ihm nach, bis er von der Finsternis verschluckt wurde. Und selbst danach wartete er, bis auch seine Schritte nicht mehr zu hören waren. Erst dann drehte er sich zu seinem Herrn um ihn zur Rede zu stellen. ,, Ihr habt das geplant, oder ?“ , verlangte er zu wissen. ,, Ihr wisst so gut wie ich, wer er ist. Ist es wirklich nötig, ihn derartig gegen seinen eigenen Vater zu benutzen?“

,, Wenn seine Strafe vollkommen sein soll, dann ja… Ich will ihn zerstört sehen, Träumer. Und wie könnte das besser gelingen, als durch die Hand seines eigenen geliebten Jungen… Dann ist der Sieg vollkommen unser.“

Träumer erwiderte nichts. Aber bei diesen Worten kam ihm ein völlig neuer, schrecklicher Verdacht…

,, Sein Gedächtnisverlust war kein Zufall, nicht wahr ?“

,, Natürlich nicht,. Ich kann ihn nicht töten, Träumer. Benutzen kann ich ihn schon…“

,, Ja und doch… ist es euch nicht aufgefallen ? Der Junge…“

,, Der Junge ist ein Werkzeug.“ , erwiderte der rote Heilige kühl und leis Träumer alleine in der weiten, leeren Halle zurück. Erneut zögerte dieser, etwas zu sagen, bis die Schritte seines Herrn vollkommen verhallt waren.

,, Das mag so sein, Herr. Aber er sieht euch auch ähnlich. So unglaublich ähnlich…“ Vielleicht hatte der rote Heilige schlicht keine Augen dafür. Vielleicht hatte es auch nichts zu bedeuten. Er konnte nur hoffen, dass es außer ihm sonst niemanden auffiel. Wer wusste schon zu was für Schlussfolgerungen die Leute sonst kommen mochten. Und jene, die den roten Heiligen heimlich kritisierten… für sie wäre es ein gefundenes Fressen, dachte er.

 

 

Kapitel 24 Ismaiels Geschichte

 

 

 

,, Wir glaubten einst, alles zu beherrschen. Kein Feind, ob es nun einer der wenigen von außen oder von innen war, konnte sich unserer Magie wiedersetzen und für eine Weile, Jahrhunderte, Jahrtausende, schien es keine Grenzen mehr für uns zu geben. Immer größere Werke erschufen wir, Städte und Festungen , wie diese hier, die über dem Erdboden schwebten und uns erlaubten unser ganzes Imperium zu bereisen und zu schützen , Flüsse, die nicht mehr über Land, sondern durch die Himmel flossen, Täler und Wälder, die von ewigem Sommer eingehüllt waren . Berge formten wir mit bloßen Willen in Siedlungen um, verwandelten die See in Land, wo es uns gefiel oder öffneten die Fluten des Himmels um Seen, Bäche, ja sogar Meere aufsteigen zu lassen. Landschaften aus Kristall und Gold , Tempel die Leben und dem Licht der Sterne geweiht waren, den selbst die finsterste Nacht konnte den erwachenden Göttern keine Furcht bereiten. Die erwachenden Götter, die Recrude Infer, so nannten wir uns in unsere Arroganz selbst damals noch.

Es schien, dass es für uns keinen Schrecken mehr geben könnte, keine Herausforderung die nicht bezwungen, keine Kunst und Schönheit, der nicht Form gegeben werden könnte. Wir hätten uns nicht weniger täuschen können. Ich wurde am Ende jenes goldenen Zeitalters geboren, auch wenn es damals noch niemand wusste. Im Gegenteil. Es schien, als sei nun endgültig der Moment gekommen unseren Platz als ewige Herrn dieser Welt einzunehmen. Den trotz all unserer Macht und unserer Wunder wussten wir, dass alles, was wir erschufen auch vergänglich war. Selbst unsere Leben waren es, wenn wir bei der Seelenwanderung versagten oder sie schlicht nicht ein weiteres Mal auf uns nehmen wollten und es gab immer noch genug, die sie wohl nie meistern würden. Und so beschlossen einige von uns, sich des letzten großen Mysteriums zu widmen. Viele der niederen Völker sahen uns bereits als Götter an. Die primitiven Menschen der Eisebenen, die Gejarn die sich in ihren Wälder verbargen und selbst die Zwerge, die immerhin schon etwas errichte hatten, das man Zivilisation nennen konnte. Man sah die Zeit für unser Volk gekommen, diesem Anspruch endgültig gerecht zu werden. Götter zu werden und nach Gutdünken für und von uns zu erschaffen. Wächter eines ewigen Imperiums, Leuchtfunken in einer Welt, von der manche unserer Weißen bereits spürten, dass sie nicht von Dauer sein würde. Davon jedoch wollten die großen Magier nichts hören, meinten sogar, der Untergang, den die Alten vorhersahen sei einfach nur die Folge davon, wenn sie nicht handeln würden. Und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich zuerst auf ihrer Seite gestellt habe. Und so wurde unsere größte Schöpfung in Angriff genommen. Der Herr der Ordnung war einst nur einer unter vielen aus meinem Volk, einer der wenigen, der sich den arkanen Ritualen, die seine Brüder ersonnen hatten unterzog um am Ende Aufzusteigen. So dachten wir damals noch. Der Zirkel der Magier hatte sich im roten Tal versammelt um den Versuch zu wagen. Ich habe nie erfahren was oder ob bei den Ritualen etwas schief gegangen ist. Vielleicht nicht. Vielleicht war es alles nur eine Folge dessen, was bereits in uns schlummerte. Wir wollten einen Gott erschaffen, der die Welt für uns Ordnen möge, auf das sie immer unter unserer Herrschaft stehe. Vielleicht haben wir missverstanden, was dies bedeutet. Vielleicht hat er es missverstanden. Und vielleicht haben die Zauber seinen Verstand gebrochen. Was wir für Ordnung hielten, war das genaue Gegenteil. Ein Volk das sich über alle erhebt. Wir waren zu Arrogant… Und deshalb hat unser eigener Wunsch uns zerstört. Die großen Magier des Zirkels, unsere mächtigsten und weisesten wurden in einem einzigen Augenblick vernichtet oder zu den ersten Kreaturen der Ordnung korrumpiert. Anfangs, so entsetzt wir waren, so schockstarr aufgrund unseres Fehlers unseres Versagens, glaubte man noch, der Dinge schnell Herr zu werden. Ein Fehler, den während wir glaubten, nur eine Schlacht im roten Tal schlagen zu müssen, begannen die Einflüsterungen Herrn der Ordnung sich bereits wie die Wurzeln eines Baumes in unsere Gesellschaft einzuwachsen. Die Macht eines Gottes war für viele ein verlockendes Angebot und so wurde aus der Flamme ein Feuersturm, der sich mit jeder Dekade tiefer in unser einst friedliches Imperium fraß. Den der Kampf dauerte lange, länger als ein Menschenleben, lange genug um sich an den neuen Schrecken zu gewöhnen. Und manchmal sah es sogar so aus, als könnten wir Boden gut machen, als hätten wir eine Chance… doch mit jeder Korruption die eingedämmt, mit jeder Stadt die zurück gewonnen wurde, flammte das Feuer an zwei neuen auf, verschlang der Einfluss des Herrn der Ordnung weitere unserer einst Größten.

Und in unserer Verzweiflung griffen einige zum Letzten Mittel, das sie sahen. Das Ritual zu wiederholen, um den Fehler zu finden oder zumindest ein Gegengewicht zur Zerstörerischen Macht in unserer Mitte zu gewinnen. Doch fürchtete man, das Problem nur zu vergrößern und so wurde diesmal die gesamte Kraft des Rituals nicht auf ein einziges Individuum konzentriert… sondern auf zwölf. Zwölf, die gemeinsam hoffentlich die Macht habe sollten, ihrem gefallenen Bruder entgegen zu treten. Und Anfangs gelang es. Obwohl ich meine Zweifle hatte, erschufen wir eben nicht weitere Monstrositäten sondern tatsächlich gutartige Wesen, zwölf Unsterbliche, jeder mit einer Aufgabe und genug Macht, selbst die mächtigsten unserer Zauberer in den Schatten zu stellen. Jedoch, als wir unsere neuen Götter um Hilfe anflehten, verließen sie uns und in unserer Stunde der Not, sahen sie nur Schweigend auf uns herab. Als hätten wir es verdient, als wäre ihre Arroganz nicht genau so schuldig wie die unsere… und als unser Volk im Sterben lag, erklärten sie nur, das sie beschlossen hätten, das ihre Macht zu groß sei um sie frei einzusetzen oder jemals zu benutzen. Sie waren entsetzt und erschrocken über das, was wir ihnen gegeben hatten, ja sie sahen es sogar als Strafe… Sie ließen uns sterben. Genauso wie sie jetzt euch sterben lassen. Um ihr ach so wertvolles Gleichgewicht zu erhalten…

Und so… blieben wir alleine, unserer letzten Hoffnung beraubt und der Dunkelheit nun Hilflos ausgeliefert. Trotzdem dauerte der Krieg noch Jahre. Wir waren ein stolzes Volk uns auch wenn unsere Niederlage sicher schien… dieser Dunkelheit wollte sich keiner Freiwillig beugen und wer es doch tat, diente nur als warnendes Beispiel für die anderen, wenn er als verdrehte Monstrosität zu ihnen zurück kehrte um unter ihren Klingen und Zaubern zu fallen.

Und am Ende kam unsere Rettung von den Sternen, die wir so lange verehrt hatten. Als hätten unsere alten Götter uns letztlich doch nicht vergessen, obwohl wir versucht hatten, sie so kläglich zu ersetzen. Ein Meteor aus silbernem Kristall, der über unserer Küste niederging und beim Einschlag eine halbe Welt vernichtete… und dabei eine neue Insel erschuf. Als die Feuer, die er entfachte schließlich nach Wochen verloschen waren und die ersten Bruchstücke gefunden wurden, stellte sich schnell heraus, dass niemand je etwas Vergleichbares gefunden hatte. Das Metall, das beim Einschlag entstanden war, schien jede Art von Magie einfach aufzunehmen und zu reflektieren. Keine mystische Macht dieser Welt hätte es vermocht, es irgendwie zu verändern, doch unter den Händen eines Schmieds ließ es sich bearbeiten wie normaler Stahl. Und so entstand der letzte, verzweifelte Plan eines Gefängnisses für den Herrn der Ordnung. Die letzten unseres Volkes mussten letztlich als Köder dienen, um ihn hervorzulocken und ich selbst stellte mich ihm schließlich entgegen. Die Falle in Form eines Schwerts, war die perfekte Täuschung. Er rechnete nicht damit, war unvorsichtig und sah den Moment seines endgültigen Triumphes gekommen. Und so gelang es mir ihn letztlich zu bannen, nicht jedoch ohne dass er eine letzte Drohung ausstieß… Das er jene Aussenden würde, die ihn finden konnten, wo immer man sein Gefängnis auch verbarg. Was auch geschehen ist, wie man sieht…

Ich vermute, den Rest der Geschichte kennt ihr. Das alte Volk war vernichtet, die Welt praktisch leer von jeglichem höheren Leben. Einige wenige Gejarn hatten in ihren Verstecken überlebt und die Menschen sich soweit nach Norden zurückgezogen, das sie wohl nie erfuhren, was eigentlich vor sich ging. Doch als die ersten schließlich das Eis verließen, fanden sie eine tote Welt vor. Ruinenstädte und Gärten aus gesprungenem Kristall . Eine Welt, die darauf wartete, erobert zu werden.

Ich selbst jedoch verließ Canton mit dem Schwert und brachte es an die Nebelküste um es dort, hoffentlich für jeden Unerreichbar, zu versiegeln. Bis schließlich jemand die Zwerge über das Meer führte, die den Schrecken des Ordnung-Krieges erlebt hatten… und da sie nicht wussten, was am Ende geschehen oder wohin die Kreaturen verschwunden waren, die sie fast vernichtet hatten, fürchteten wohl einige, es wäre nur eine Frage der Zeit, bis sie zurück kehren würden. Vielleicht war das der Grund, aus dem sie schließlich die Reise über die See antraten. Vielleicht hat sich jemand in meine Pläne eingemischt. Ich weiß es nicht. Ich will es nicht wissen. Das Ergebnis ist jedenfalls, das wir wieder genau da stehen, wo mein Volk vor einigen Jahrtausenden war. Am Ende…“
Es war still geworden im Thronsaal der fliegenden Stadt. Alle Augen ruhten auf der Gestalt, die im Zentrum des großen Saals stand auch Merls. Doch wo Quinn und der Kaiser den Mann misstrauisch beäugten, wo sie den Mann sehen mochten, der einst fast alles zerstört hatte, konnte Merl nur Zachary erkennen. Außer wenn er sprach, dachte der junge Magier. Oder wenn er ihm in die Augen sah…   Die Stimme seines Meisters schien alles Vertraute verloren zu haben, so als hätte der alte Geist, der ihn nun kontrollierte, noch Schwierigkeiten damit umzugehen. Und seine Augen hatten sich in Teiche aus loderndem, grünem Feuer verwandelt. Nein, er machte sich keine Illusionen. Was hier vor ihnen stand hatte nichts mehr mit Zachary gemein. So schwer es fiel, sich das jetzt eingestehen zu müssen, dachte Merl.

Es war eine lange Geschichte geworden und wr wusste schon, wie lange Ismaiel sie bereits mit sich herumgetragen oder ob er sie überhaupt je jemanden erzählt hatte. Jahrhunderte.. oder vielleicht eher Jahrtausende. Seit dem Fall dem Fall des alten Volkes…

Mit einem hatte er wohl Recht, dachte Merl. Sie standen tatsächlich am Ende, wenn stimmte, was er ihnen enthüllt hatte. Wenn das gesamte alte Volk daran gescheitert war, den Herrn der Ordnung aufzuhalten.. welche Chance hatten sie dann?

Der Kaiser schien wohl ähnlichen Gedanken nachzuhänge, während er schweigend auf dem Thron saß, den Kopf in die Hand gestützt und die Stirn in Falten gelegt. Das Licht, das durch die honigfarbenen Steine der Lehne gefiltert wurde, erschuf eine kaum sichtbare, goldene Aura um seine Gestalt herum. Am Fuß des Throns standen wie schon zuvor, Quinn, Syle und dieses Mal auch die Kaiserin und Merl fragte sich tatsächlich einen Moment, wer der drei   eigentlich am schlechtesten Aussah. Quinn, der vom Alter bereits leicht gebeugte Ordensoberste wirkte nicht, als hätte er in letzter Zeit viel geschlafen und behielt jede Bewegung Zacharys genau im Auge. Der Hochgeneral hingegen ließ sich sein misstrauen vielleicht weniger Anmerken, doch war er hellwach und sah immer wieder zu den Wächtern an den Türen des Thronsaals herüber. Es waren insgesamt acht, zwei Schwertträger aus Helike , zwei Gardisten und auch zwei Ordensmagier, die vor einigen Tagen mit Nachrichten von den Pässen der nördlichen berge herab gekommen waren.

Und Jiy… Die Kaiserin wirkte einfach nur erschöpft, dachte Merl. Müder, als die anderen beiden zusammen genommen. Im Gegensatz zu Syle oder Quinn schien sie den Mann, der jetzt in der Gestalt Zacharys vor ihnen stand nicht zu fürchten. Oder vielleicht war ihr ein Grund sich zu fürchten abhandengekommen. Wer wusste das schon zu sagen. Nach wie vor war es ruhig genug, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Ismaiel stand nach wie vor regungslos in der Mitte des Saals, die Arme hinter dem Rücken verschränkt und sah die Anwesenden der Reihe nach an, als wollte er sie herausfordern, etwas zu sagen.

Es war Quinn, der schließlich wieder das Wort ergriff und vortrat. ,, Und das glaubt ihr, nützt uns diese Geschichte jetzt ?“

,, Es sollte euch eines klar machen.... Zauberer. Alleine und auf euch gestellt, werdet ihr ihn nicht aufhalten können.“ In Ismaiels Stimme lag Genugtuung, das konnte Merl selbst über den verzerrten Klang hinweg heraushören. ,, Ihr braucht mich… Und wenn ihr es noch nicht erkannt habt: Ihr braucht mich mehr… als ich euch.“

 

Kapitel 25 Ismaiels Pläne

 

 

 

 

Die Stimme des alten Erzmagiers war kühl und distanziert, während er Quinn fokussierte. Der Ordensoberste zuckte selbst Angesichts von Ismaiels letzten Worten nicht einmal mit der Wimper.

,, Dann erklärt euch.“ , forderte er ihn mit kalter Stimme auf. ,, Ihr seid nicht nur hierhergekommen um uns eine Geschichte zu erzählen.“

,,Nein, das ist allerdings wahr.“ Ismaiels Stimme klang mit einem Mal belegt. Erst jetzt bracher den Blickkontakt mit Quinn und sah sich einen Moment suchend in der Halle um. Bis sein Blick schließlich auf Merl zum Ruhen kam. Irgendetwas daran, wie der Mann ihn ansah, ließ dem jungen Magier die Haare zu Berge stehen. Einen Moment schien das grüne Feuer darin zu schwinden und ließ dunkles Türkis darunter zum Vorschein kommen. Zachary… Das Ganze war so schnell wieder vorbei, das Merl später nicht sagen konnte, ob er sich nicht getäuscht hatte. Vielleicht war es nur das Licht oder sah schlicht, was er sehen wollte…

Kellvians Stimme holte ihn zurück in die Wirklichkeit. ,, Ihr habt gesagt, ihr hättet einen Plan. Das ist der Grund aus dem ich euch überhaupt anhöre. Wenn stimmt, was ihr sagt, ist der Herr der Ordnung der Schlüssel zu allem, richtig? Wenn wir ihn vernichten könnten, würde auch die Macht der Geweihten schwinden und mit dieser sicher auch der Zusammenhalt des Kults.“

Alles hing wie so oft, an einer einzigen Sache, dachte Merl. Einem einzigen Strang, der das komplette Spinnennetz aufrecht erhielt, in dem sie sich verfangen hatten. Mit einem hatte Kellvian Recht. Schlug man der Schlange den Kopf ab, konnte der Körper unmöglich überleben. Doch Merl wusste auch etwas, das dem Kaiser vielleicht nicht klar war.

,, Genauso, wie ihr verloren wärt, sollte es ihnen im Gegenzug gelingen, euch zu vernichten, Kellvian.“ Merl zuckte unbewusst zusammen, als er Ismaiel seine Gedanken aussprechen hörte. ,, Mit einem kleinen Unterschied…“

Falls Ismaiel hoffte, den Kaiser durch diese Worte einzuschüchtern, so hatte er sich wohl geirrt.

,, Und das wäre ?“

,, Einen Mann, kann man vernichten. Wie spielt keine Rolle. Durch Schwerter, Kugeln, Pfeile , Gift oder eine Krankheit. Aber einen Unsterblichen… Wie gesagt, wir wollten einen Gott der Ordnung erschaffen. Jeder Unsterbliche vereinigt in sich eines der Grundprinzipien der Schöpfung selbst. Ordnung und Chaos , die Wärme der Sonne.. und die Kälte von Mondlicht . Und als solche, sind sie genauso unnagreifbar und unbezwingbar. Selbst wenn es jemand fertig bringen würde, einen zu töten, er würde unweigerlich nur Sklave desselben Konzepts werden, dem zuvor ein anderer diente. Schlicht und ergreifend, weil ihre Eigenschaften immer weiter existieren müssen. Man kann sich eben nicht gegen eine Naturgewalt auflehnen. Auch Ordnung in Leben und Tod ist essentieller Bestandteil der Realität.“

,, Ihr wollt uns also sagen, wir können ihn gar nicht vernichten ?“

,, Nicht im herkömmlichen Sinne jedenfalls. Aber ein Unsterblicher ist auch immer noch ein physisches Wesen. Vor ihrem Aufstieg, waren sie schlicht Männer und Frauen des alten Volkes. Sie existieren nicht außerhalb dieser Welt sondern in und mit ihr, nicht wie die Götter die ihr verehrt.“

,, Aber wenn das stimmt…“ Merl versuchte seine Vermutung in Worte zu fassen. Er hatte eine dunkle Ahnung, worauf Ismaiel hinaus wollte und alleine der Gedanke… ,, Ich glaube wir hätten es mittlerweile alle mitbekommen, wenn der Herr der Ordnung selbst auf dieser Welt wandeln würde. So wie ihr es beschreibt, hätte er kein Problem damit, seine Macht gegen uns zu richten und uns alle zu vernichten. Das alte Volk war vielleicht etwas anderes. Jeder einzelne eures Volkes war stark genug um im Zweifelsfall eine Bedrohung für ihn darzustellen. Er konnte euch nicht alleine bezwingen. Aber wir ? Es gibt vielleicht ein paar hundert Magier auf diesem Kontinent. Und keiner davon käme euch gleich. Wozu braucht er also Geweihte und Anhänger?“

Ismaels Lippen formten sich zu einem grimmigen Lächeln. Er nickte, beinahe anerkennend wie es schien. ,, Ich sehe Zachary hat dicht gut ausgebildet.. Wenigstens gibt es einen hier, der versteht… Der Herr der Ordnung hat keinen Körper mehr, keine physische Komponente. Bei seiner Verbannung verging seine Hülle einfach wie eine Kerze, ausgebrannt durch seine eigene Magie und nur noch durch seinen eigenen Willen zusammen gehalten. Auch wenn sein Geist durch das Zerbrechen des Schwerts befreit wurde, im Augenblick ist er in dem gleichen Zustand gefangen, wie diejenigen des alten Volkes, die sich auf eine Seelenwanderung begaben ohne einen Körper zu finden. Doch im Gegensatz zu den letzten Geistern meiner Art kann er nicht einfach irgendeinen magisch begabten Körper übernehmen. Allein der Schock würde denjenigen vermutlich sofort töten. Ihr habt bereits gesehen, was ein winziger Funke seiner Macht bei seinen Geweihten anrichtet. Es müsste jemand sein, der seiner Essenz auch wiederstehen kann. Und ich glaube, wir wissen alle, wen er dafür vorgesehen haben dürfte…“
,, Der rote Heilige…“ Auch Quinn schien langsam zu begreifen. ,,Aber wieso…“

,, Hat er ihn dann noch nicht übernommen ?“ , fragte Ismaiel. ,, Auch ich habe keine Antwort auf diese Frage. Vielleicht lässt er es aus irgendeinem Grund nicht zu. Vielleicht will er abwarten. Und möglicherweise will er gar nicht mehr selbst auf Erden wandeln. Möglicherweise ist er mittlerweile selbst komplett davon überzeugt, ein Gott zu sein. Doch der rote Heilige ist der Schlüssel. Der Herr der Ordnung kann ohne einen Körper selbst noch keinen direkten Einfluss nehmen. Und zwischen ihm und seinem ersten Erwählten muss es eine Bindung geben. Wie bei einem Seelenträger, dessen Fähigkeiten noch nicht erwacht sind. Und genau darüber, kann ich an ihn herankommen… und ihn entweder erneut verbannen oder ihm die einzige Möglichkeit nehmen, noch einmal Einfluss auf diese Welt zu nehmen. Vernichten wir seinen Anker, wird das sein Ende sein, für immer verloren in der Welt der Seelen.“

,, Ich bezweifle allerdings, das es einfach werden dürfte, an ihn heran zu kommen.“ , bemerkte Erik. Der Arzt hatte die Arme vor der Brust verschränkt und lies Ismaiel genau so wenig aus den Augen wie Quinn. Doch was bei dem alten Zauberer reines misstrauen war, schien bei ihm mehr Neugier zu sein, dachte Merl. ,, Was ist mit den Unsterblichen ?“

Ismaiel sah ihn einen Moment irritiert an. ,, Das ihr diese Frage stellen müsst, überrascht mich. Ich habe es doch schon gesagt. Sie haben sich von uns abgewandt. Abgesehen von dem einen, der danach trachtete uns alle zu vernichten. Seht den Tatsachen ins Auge. Von denen wird uns keiner helfen… Ich bin eure einzige Chance…“
,, Eine Chance…“ Kellvian schloss die Augen und lehnte den Kopf einen Moment an die Rückenlehne des Throns. ,, Und was verlangt ihr dafür ?“

,, Wir werden den roten Heiligen hervorlocken müssen.“

,, Wie ? Das rote Tal anzugreifen ist Selbstmord.“ Syle schüttelte den Kopf. ,, Nach allem was wir wissen, haben die Kultisten fast ihre gesamte Streitmacht und den Großteil ihrer Anhänger dort versammelt. Mit den Verlusten, die wir bereits erlitten haben, ist es unmöglich den Ort noch einmal zurückgewinnen zu wollen. Davon abgesehen, das er uns dabei nur allzu leicht entkommen könnte, wenn er herausfindet, was wir vorhaben. Ich werde das Leben meiner Männer nicht wegwerfen, Ismaiel !“

,, Es wird auch nicht nötig sein, das Tal anzugreifen, Gejarn. Der Herr der Ordnung wird nicht vergessen haben. Und das den roten Heiligen angeht, ist er der einzige unter seinen Dienern, der mir gefährlich werden könnte. Er wird keine Wahl haben, als ihn gegen mich zu entsenden. Und vermutlich ist ihm die Gelegenheit zur Rache sogar willkommen. Ich brauche eure Männer nur, um mich gegen den Rest seiner Kreaturen und Anhänger zu Verteidigen.“

,, Selbst das dürfte nicht einfach werden.“ Der Kaiser zögerte immer noch. ,, Aber…“

Bevor der Kaiser weitersprechen konnte, schaltete sich erneut Syle ein. ,, Herr, mit den Männern die wir hier haben, können wir die fliegende Stadt auf Monate wenn nicht Jahre halten. Ihr und wir alle, sind im Augenblick hier in Sicherheit. Er verlangt von uns unsere letzte Verteidigung zu Riskieren und damit die Stadt selbst angreifbar zu machen. Wenn er versagt…“
,, Ich weiß Syle.“ Kellvians Stimme war nachsichtig geworden, sanft. ,, Dann haben wir das einzige verloren, was noch zwischen dem Herrn der Ordnung und seinem Sieg steht. Aber wenn wir nichts tun, gewinnen wir nur Zeit. Zeit, die uns nichts nützt, oder ?“

,, Euer Kaiser ist weißer als ihr, Hochgeneral. Alle Truppen und alle Zeit der Welt werden euch nicht helfen, wenn der Herr der Ordnung eine Physische Gestalt erhält.“
,, Was ist mit den Zwergen ?“ , wollte Syle wissen. Er wollte sich noch nicht geschlagen geben und Merl konnte seine Sorge nur zu gut nachvollziehen. Die fliegende Stadt war vielleicht der letzte sichere Ort, der ihnen geblieben war. Und wenn Syle einer Sache verpflichtet war, dann auch dem Schutz seines Kaisers. Eines Kaisers, der ihn grade aufforderte, seine Zukunft in die Hände eines Mannes zu legen, der sie unter anderen Umständen alle selber getötet hätte. Eines Mannes, der den Körper eines Freundes, von Merls Lehrer, als Geisel genommen hatte.

Alle Augen richteten sich auf Hadrir, der als einziger Vertreter seines Volkes anwesend war. Der König der Zwerge senkte den Kopf, wobei die Scharniere seines Panzers leise knirschten. ,, Läge es in meiner Macht, ich würde euch die Hilfe niemals verwehren, das wisst ihr. Doch fürchte ich, kann ich euch die Unterstützung meines Volkes nicht bieten. Nicht länger zumindest. Es tut mir leid… aber ihr seid auf euch Gestellt.“

,,Nicht ganz.“ Ein dutzend Köpfe wendete sich um, zu dem Mann der soeben gesprochen hatte. Merl hatte ihn erst ein paar Mal zuvor gesehen und doch erkannte er ihn sofort. Der Gejarn hatte graues Fell in dem dünne strähnen aus sandfarbenem Haar leuchteten. Und die Erscheinung eines Fuchses. Ein langer, weißer Mantel viel hinter ihm bis auf den Boden und auch die Rüstung die er trug war aus hellem Stahl gefertigt worden und lagen aus weißem Stoff hingen darunter und an den Armen hervor. Eine Hand hatte er an den Griff eines schlichten Langschwerts gelegt, das verglichen mit den Gewehren der kaiserlichen Gardisten archaisch wirkte. Das musste Wys Carmine sein, dachte Merl. Der letzte lebende Archont Helikes… ,, Meine Paladine können Ismaiel begleiten. Und ich ebenfalls. So benötigen wir nur einen Teil eurer Männer. Der Rest kann hier weiterhin die Stellung halten und die Stadt verteidigen, sollte es nötig werden. Allerdings hoffe ich das es nicht dazu kommt.“
Kellvian nickte und ein dünnes Lächeln spielte um seine Lippen. ,, Ich danke euch, Zy… Wys.“

Merl runzelte die Stirn. Was war das eben gewesen? Irgendetwas hatte der Kaiser eben sagen wollen, sich jedoch im letzten Moment korrigiert.

,, Wenn das geklärt wäre“ , meinte Ismaiel ärgerlich, ,, dann sollten wir keine Zeit mehr verschwenden. Je eher wir aufbrechen, desto besser. Dann könne wir das alles hinter uns bringen.“

,, Wie wäre es, wenn ihr das an eurer Stelle, Zachary überlasst ?“ Eden hatte bisher schweigend daneben gestanden, während die anderen sich unterhielten. Nun jedoch trat die Gejarn vor und machte einen drohenden Schritt auf Ismaiel zu.

Der alte Erzmagier sah sie jedoch nur belustigt ab. ,, Ich werde dieses Leben nicht mehr aufgeben, wenn ihr das meint. Und ich würde zu gerne sehen wie ihr mich dazu zwingen wollt…“

Er sah Eden herausfordernd an, die leise Fluchte.

,, Kann ich wenigstens mit ihm reden ?“ Ihr Ton verriet, dass sie nicht damit rechnete. ,, Wenn wir euch schon vertrauen… will ich seine Meinung hören.“

,,Ich allerdings auch.“ , bemerkte Quinn säuerlich und fügte murmelnd hinzu : ,, Und was er sich dabei gedacht hat… Ich habe ihm ein Versprechen abgenommen und er hat es in den Wind geschlagen. Ich habe ihn gewarnt, weiter zu machen und er…“

,, Hätte ich das alles den zerstören sollen ?“ Sowohl Quinn als auch Eden zuckten Zusammen, als Ismaile erneut zu sprechen begann. Nur war das nicht länger Ismaiel, dachte Merl. Das grüne Feuer war aus seinen Augen verschwunden und auch seine Stimme… War das wirklich Zachary oder nur ein Trick? ,, Ihr und Kellvian hättet den Seelenquell doch nur vernichtet anstatt euch Gedanken darüber zu machen, was wir damit tun können. Es wäre alles Umsonst gewesen, all die Toten, die Ismaiels Arbeit schon eingefordert hatte…“ Zachary schloss die Augen. ,, Ich dachte ich könnte, das Werk zu Ende bringen, ohne dass dafür noch mehr diesem Wahnsinn zum Opfer fallen würden.

,, Was und stattdessen entzündest du den Wahnsinn neu ?“ , fragte Eden nun ebenfalls wütend.

Zachary lächelte müde. ,, Ich will nicht streiten. Nicht mit dir. Aber ich konnte nicht anders, Eden. Nicht nachdem ich Merl gefunden hatte. Ich hatte eine Verpflichtung. Ich glaube du verstehst das nur zu gut…“

Die Gejarn antwortete nicht, doch Merl sah, wie der Zorn aus ihren Zügen schwand. Ersetzt wurde er von Resignation. Dem schlichten Wissen, das Zachary vielleicht Recht haben mochte… doch das änderte wohl nichts daran, dass ihr die Antwort ganz und gar nicht gefiel. Zachary war bei ihr Aufgewachsen nicht bei seiner Familie. So wie Merl bei ihm groß geworden war. Nicht bei… seinen Eltern. Es war nur ein Gedanke zur falschen Zeit und doch schien er ihm die Augen zu öffnen. Und so war er es, der das einsetzende Schweigen erneut brach.

,, Sagt mir die Wahrheit. Er ist mein Vater, oder?“ Er musste nicht erklären, wen er meinte. Sie wussten es alle. Zachary antwortete nicht sofort und einen Moment rechnete Merl fest damit, das Ismaiel wieder die Kontrolle übernehmen würde um ihm am Sprechen zu hindern. Dann jedoch nickte er langsam.

,, Immerhin das weiß ich jetzt.“ Merl schloss die Augen. Er hatte mehr erwartet. Das ihn die Erkenntnis und die sichere Antwort mehr bestürzen würde vielleicht. Aber irgendwie… Er hatte es gewusst, oder? Seit dem Moment in dem er erfahren hatte, das sein Meister nicht alleine in die fliegende Stadt zurückgekehrt war. Und vielleicht schon früher vermutet. Der Junge, der er einmal gewesen war, wäre wohl aus allen Wolken gefallen. Er jedoch, der Wiedergekehrte, lies nur die Schultern hängen und trat zurück. Eden folgte seinem Beispiel, während Zacharys Augen wieder hinter einem Schleier aus grünen Flammen verschwanden. Du hast es gewusst, dachte er nur. Die ganze Zeit über… Und doch hatte er nie etwas gesagt, hatte es vielleicht auch nie vorgehabt. Warum ? Ein Teil von ihm hätte es wohl gerne als Lüge abgetan. Aber auf seine Art machte es leider Sinn. Ismaiel war so weit sie wussten das letzte Lebende Mitglied des alten Volkes. Wie viele Nachkommen mochte jemand haben, der so lange gelebt hatte wie Ismaiel ? Dutzende, vielleicht sogar hunderte… Vielleicht war Merl nur der letzte in einer viel zu langen Reihe.

,, War das wirklich nötig ?“ , fragte Ismaiel, wohl eher an Zachary als an sie gerichtet. Dann wendete er sich Merl zu. ,, Ich schätze, wenn ich zurück komme, haben wir einiges zu besprechen… Sohn.“

Merl kam nicht umhin zu bemerken, dass die Worte eher abfällig und gelangweilt als freundlich klangen.

,, Wenn ihr zum roten Heiligen gelangt, werdet ihr ihn vernichten ?“ ,fragte Kellvian, wie um sich noch einmal zu versichern.

,, Den Herrn der Ordnung. Und darüber auch ihn, ja. Ich bezweifle das die Geweihten ohne seine Macht überhaupt noch leben können. Und das den roten Heiligen angeht wird er das Schicksal seines Herrn teilen, falls es in meiner Macht steht. Nur eines fehlt noch…“

,, Was wollt ihr noch von uns ?“

,, Ich brauch eine Sterneneisenklinge.“

,, Ihr dürftet auch wissen, das Sterneneisen seit Jahrhunderten nicht mehr verarbeitet wird. Geschweige denn gefördert.“

,, Und doch gibt es immer noch zumindest eine Waffe daraus .“ Ismaiel drehte sich um und sah genau auf Galren. ,, Ihr habt sein Gefängnis zerbrochen. Jetzt helft mir, es wiederherzustellen.“ Er streckte die Hand aus, als erwartete er, das Galren ihm die Waffe einfach so übergeben würde. Das klare Singen des Kristalls füllte die Luft, als dieser Atrun blank zog. Die Klinge des Schwerts schien aus gefrorenem Mondlicht zu bestehen, weiß und bleich, mit dünnen Adern, die den halbdurchsichtigen Kristall durchzogen. Das Heft hingegen war mit dunklem Leder umwickelt worden und im Stil eines Langschwerts gehalten, ohne jegliche Verzierungen. Beinahe schlicht, für eine derartige Waffe, doch es war Lias gewesen, der die Klinge einst gefertigt hatte. Galrens alter Freund. Und dabei nutzte, was ihm auf Hamad eben zur Verfügung stand.

Einen Moment war Merl fest davon überzeugt, das Galren es nicht tun würde. Dann jedoch ging der Mann langsam auf die Knie, verzog dabei jedoch das Gesicht, als die Verbrennungen an seinem Rücken erneut aufflammten und protestierten. Mit dem griff zuerst hielt er Ismaiel Atrun hin.

,, Wenn es uns retten kann , nehmt es.“ , erklärte er, doch lag in seinen Worten auch die klare Warnung, sie nicht zu hintergehen.

Zum ersten Mal seit er seine Geschichte begonnen hatte, zögerte Ismaiel sichtlich, statt die Klinge sofort an sich zu nehmen. ,, Ich verstehe, das ihr mir nicht vertraut. Aber unser Feind ist der gleiche. Bis der Herr der Ordnung besiegt ist, herrscht zumindest Waffenruhe. Was danach ist… wir werden sehen. Ich weiß dass meine Wege falsch waren und ich hatte lange Zeit darüber nachzudenken, glaubt mir. Dennoch… ich bin nicht bereit mein Volk aufzugeben.“ Mit diesen Worten schlossen sich seine Finger um das Schwertheft. ,, Es wird Zeit, das wir uns auf den Weg machen…“

,, Ich werde euch begleiten.“ , erklärte Eden kühl.

,, Ihr würdet nur sterben.“ , erwiderte dieser mindestens genauso eisig. ,, Oder schlimmer, mir im Weg stehen. Was wollt ihr ausrichten, wenn ich versage? Nichts.“
Erik grummelte etwas als Antwort für Eden, bevor er hinzufügte: ,, Dann wird es euch sicher nicht stören, wenn wir uns nach Vara aufmachen. Ich muss ohnehin ein paar Nachforschungen anstellen.“

,, Und stehe ich euch etwas auch im Weg ?“ , fragte nun Merl . Er wusste nicht einmal zu sagen, warum. Vielleicht war es nur der Wunsch, etwas mehr über seinen Vater herauszufinden. So wenig ihm gefiel, was er bisher von ihm gesehen hatte. Armell trat demonstrativ neben ihm. Natürlich würde er sie nicht überzeugen können, hier zu bleiben…

,, Tu was du nicht lassen kannst.“ , erwiderte der Zauberer. ,, Aber ich werde nicht euch alle mitnehmen. Auch nicht euch.“ , fügte er an Galren gerichtet hinzu, als wollte er jedem Protest des Menschen zuvor kommen.

,, Zumindest darin muss ich ihm zustimmen.“ , meinte Kellvian. ,, Ihr seid nach wie vor verletzt… und nicht in der Lage zu kämpfen.

,, Und was soll ich dann tun ?“

,, Euch erholen. Geht nach Hamad, wenn ihr es wünscht, oder bleibt hier, aber kommt wieder zu Kräften. Was immer geschieht… wir werden euch brauchen.“

Der Vorschlag, in seiner Heimat nach dem Rechten zu sehen, schien Galren tatsächlich etwas versöhnlicher zu stimmen. Und natürlich war es Elin, die sofort zustimmte, ihn zu begleiten. Eden und Cyrus hatten wohl gehofft, das sie sie nach Vara begleiten würde, wenn Merl die schwache Enttäuschung auf ihren Gesichter richtig deutete. Aber ganz schienen sie wohl nicht damit gerechnet zu haben. Zu sagen, dass die kleine Gejarn ihren eigenen Kopf hatte, wäre eine Untertreibung. Und damit, dachte Merl, wäre es entschieden…

Kapitel 26 Zerrissen

 

 

 

 

Es war nur Wasser gewesen, sagte er sich, wie schon so oft in den letzten Tagen. Der Schwur hatte keine Bedeutung, wenn es darauf ankam, er hatte ihn ja nicht einmal gesprochen. Und doch wurde er Unruhiger je näher das Treffen kam. Vor allem jetzt, wo er sich im Dunkeln zwischen den Zelten der Handwerker hindurch schlich, fort vom Tempel und in Richtung der Wälder, die in den Schatten der Klippen gediehen. Seit jenem Tag am Taufbecken hatte er nicht mehr mit dem roten Heiligen oder Träumer gesprochen. Er hatte sich seltsam Gefühlt an jenem Tag, dachte er. Und wenn er ehrlich zu sich war, war das Gefühl seitdem nicht mehr von ihm gewichen. Nicht seit… Nun nicht seit der Heilige ihm seinen Eid vorgesagt hatte. Janis wusste nicht, wieso, doch in dem Moment, wo er von Erinnerungen und seinem alten leben gesprochen hatte, hatte er gezögert. Es bedeutete nichts, sagte er sich erneut. Es war nur Wasser gewesen. Ein Eid vielleicht, ja, aber war der wirklich binden, wenn er den Worten nicht im Herzen zustimmen konnte? Er hatte sie ja nicht einmal selbst ausgesprochen… Das war doch der Punkt, dachte er. Nach wie vor sehnte er sich danach, mehr darüber zu erfahren, wer er eigentlich gewesen war. Er konnte, nein wollte dieses Leben an das er sich nicht einmal mehr erinnern konnte, nicht einfach so wegwerfen und gänzlich vergessen. Und war das nicht genau der Grund aus dem er jetzt hier war?

Damals jedenfalls hatte er fest damit gerechnet, das der rote Heilige sein Zaudern irgendwie spüren, ihn entlarven würde… doch das Ritual war einfach weiter geführt worden, sowohl zu Janis Erleichterung als auch Verblüffung. Wie konnte er es nicht wissen? , fragte er sich. Konnte man den Erwählten eines Gottes in dessen eigenen Tempel wirklich derart einfach anlügen?

Das Lager war mittlerweile nur noch eine Ansammlung von Lichtern in der Ferne. Silbriges Mondlicht hüllte die weite Ebene ein, verwandelte das Gras in Fäden aus glänzendem Metall und die Ruinen in Bauten aus glimmenden Juwelen. Selbst nach all den Jahrtausenden war der Marmor der uralten Tempel und Häuser nicht stumpf geworden, sondern warf das Licht zurück wie in einem Spiegel, erschuf Sterne, die inmitten der Staubwüsten glitzerten. Janis stieg über eine halb in Gras und Erdboden versunkene Säule hinweg und trat auf einen runden Platz hinaus. Die Steinplatten, die ihn einst in einer geschlossenen Schicht bedeckt hatten, waren lange zerfallen und in den aufgebrochenen Fugen spross Unkraut. Einen Moment lang zögerte er tatsächlich, weiter zu gehen.

Es hatte kein Zurück mehr gegeben, als er einmal im Tempel gestanden hatte, sagte er sich. Egal wie sehr er geglaubt hatte, einen Fehler zu machen, was hätte er sagen sollen? Dass er es sich anders Überlegt hatte? Erneut sagte er sich, dass der Schwur an sich bedeutungslos war. Egal, was er heute von Amatheris erfuhr, es würde seine Zweifle entweder bestätigen oder sie in alle Winde zerstreuen.

Aber wenn es nicht Bedeutungsvoll war, wenn es für ihn eben nichts ändern würde, fragte er sich, warum machte sie dann so ein Geheimnis daraus? Warum musste sie sich weit ab von allem und vor allem weit fort vom roten Heiligen mit ihm treffen? Weil sie dich will und weil sie dich so kontrollieren kann, meinte eine düstere Stimme. Aber es änderte nichts daran, dass er keine Wahl hatte.

Janis schloss die Augen, seine Finger strichen wie unbewusst über den Schwertknauf an seiner Hüfte. Vielleicht hätte er zumindest das Schwert ablehnen sollen. Er war kein Krieger, oder doch? Er wusste es ja nicht. Aber was er nicht war, das war eine gedankenlose Waffe… Er hatte eine Schuld abtragen wollen, doch wie tat man das mit einer Klinge? Nein.. mit einem Schwert vergrößerte man sie am Ende nur. Götter, Gott, was auch immer davon stimmte, er brauchte Antworten oder er würde den Verstand verlören, so hin und her gerissen wie er sich fühlte. Die letzten drei Tage waren eine einzige, verschwommene Abfolge von Ereignissen, die mehr wie in einem Traum an ihm vorübergezogen waren. Er hatte gearbeitet, hatte mit Aiden gesprochen… über was das konnte er nicht einmal sicher sagen. Nicht über Amatheris jedenfalls. Nicht darüber ob er ebenfalls wusste, wer Janis war. Aber woher denn ? Und woher nahm Amatheris dieses Wissen? Wissen, das anscheinend sonst niemand, nicht einmal Träumer oder der rote Heilige zu besitzen schienen ? Oder konnte es sein, das auch einer der beiden in Wahrheit wusste, wer Janis eigentlich war? Es schien so unmöglich, so absolut perfide… Nein. Janis schüttelte den Kopf. Sie hatten ihn gerettet, ihn mit offenen Armen aufgenommen und willkommen geheißen… Konnte man jemanden derart ins Gesicht lügen? Das fragst du dich also, der selbst ins Angesicht eines Gottes lügen kann? , erwiderte erneut diese dünne, bohrende Stimme in seinem Kopf. Die Stimme des Zweifels, die sich seit seiner Taufe immer tiefer gefressen hatte. Janis brachte sie zum Schweigen.

Nein . Wahrscheinlicher schien es, das Amatheris allein die Wahrheit kannte. Wenn das überhaupt stimmte und sie nicht nur einen einfachen Mitstreiter mit ihm gewinnen wollte. Dass er sich nicht erinnerte wer er war, das war immerhin im ganzen Lager bekannt. Es wusste also auch jeder, wie verzweifelt er nach Antworten suchte… Erneut, eine Vorstellung zu perfide, als das er sie weiter verfolgen wollte. Und doch, diesmal konnte er sie nicht so leicht zum Schweigen bringen…

Mittlerweile hatte er den Waldrand erreicht, der wie eine dunkle Linie vor ihm aufragte. Die Bäume waren niedrig und verdreht, fanden sie in der trockenen, ausgezehrten Erde doch kaum einen Halt, doch ihre Zweige formten ein dichtes, von dünnen, aber vielzähligen Blättern besetztes Dach. Das Mondlicht drang kaum an einer Stelle bis zum Boden durch. Bereits nach wenigen Schritten war nichts mehr zu sehen, außer einer samtigen Schwärze, aus der hier und da die knotigen, gebeugten Baumstämme herausschimmerten. Janis war gezwungen, sich mehr durch Tasten als mit seinen Augen zu orientieren, ging an der dichten Palisade aus Stämmen entlang, bis er eine Lücke fand. Es dauerte nicht lange, bis er nicht einmal mehr sagen konnte, ob er noch in die Richtige Richtung ging. Dann jedoch begann sich der Wald langsam erneut zu Lichten. Zuerst konnte Janis zumindest wieder seine eigenen Hände erkennen, dann die ersten, im Mondlicht silbrigen Zweige und Bäume… und dann war er plötzlich wieder im Freien. Direkt vor den Klippen at sich eine kleine Lichtung auf, aus der hier und da Stümpfe herausragten. Kleinere Bäume, kaum so hoch wie Sträucher, sprossen überall bereits wieder in die Höhe, doch noch würde es wohl Jahre dauern, bis sie den Einschlag wieder überwuchern würden. Wie eine gigantische Mauer ragten die Felsen die das rote Tal begrenzten dahinter auf. Selbst jetzt in der Nacht war ihr purpurner Farbton zu erahnen, auch wenn das Mondlicht ihn stellenweise fast violett wirken ließ. Dünne Ranken hingen von den Überstehenden Vorsprüngen herab und bildeten einen Vorhang aus grün, der die Lücke im Stein fast vollständig verdeckte. Wäre es nicht für den schwachen Lichtschein, der dazwischen hervordrang, Janis hätte den Mineneingang wohl schlicht übersehen. So jedoch trat er zielstrebig darauf zu und schob Ranken und Gewächs zur Seite.

Janis musste sich unter einem morschen Tragbalken hinweg ducken, in dem bereits ein tiefer Riss klaffte. Viel länger würde er das Gewicht des Steins über sich wohl nicht mehr tragen können. Dahinter lag eine weitere Kammer, deren Decke jedoch hoch genug war , das er bequem stehen konnte. Mehr jedoch konnte er im ersten Moment nicht ausmachen. Der Lichtschein, der ihn überhaupt erst auf den Tunnel aufmerksam gemacht hatte, drang von weiter hinten her, wo der Felsen sich absenkte und in die Tiefe führte. Um ihn herum jedoch lag alles nach wie vor im Dunkeln.

Unter Janis Füßen knirschte Stroh, als er weiter in den Raum hineintrat. Ein weiterer Schritt und er traf wieder Stein. Noch einer und wieder knisterte es. Waren das Lager? , fragte er sich. Wenn ja, dann hatten mindestens zwei Personen hier geschlafen, vielleicht mehr. Ein gutes Versteck war dieser Ort wohl alle mal. Aber wer war hier gewesen und wieso? Hatte Amatheris am Ende doch mehr Verbündete, als er glaubte?

,, Ich dachte schon ihr kommt nicht mehr.“ Eine einzelne Gestalt löste sich aus der Dunkelheit, die gleich darauf von einem goldenen Schimmer erfüllt wurde. Amatheris entfachte ein magisches Licht, das von ihrer Handfläche zur Decke der Kammer aufstieg. Janis wurde einen Moment geblendet, bevor er sich umsehen konnte. Nun bestätigte sich auch sein Verdacht. Das Licht enthüllte ein halbes Dutzend Strohlager, die im gesamten Eingangsbereich der Mine verteilt waren. Hinzu kam ein Sammelsurium an Gebrauchsgegenständen, erloschenen Kerzen, Werkzeugen, ein einfacher Holztisch und ein kleines Regal mit Büchern, die wohl schon bessere Zeiten erlebt hatten. Die Einbände der meisten waren so abgegriffen, das man ihre Farbe nur noch an den Ecken erahnen konnte und die Titel darauf lange verblasst.

Amatheris jedoch schien erneut nur Augen für ihn zu haben, als sie auf ihn zutrat. Janis stellte fest, das ihm dieser Blick noch immer nicht gefiel, selbst wenn nichts bedrohliches darin lag. Dafür jedoch etwas, das ihn mindestens genauso beunruhigte…

,, Es ist nicht so, dass ich eine Wahl gehabt hätte.“ , erwiderte er kühl. Selbst wenn er sich entschieden hätte, seine Vergangenheit zu ignorieren, diese Frau hatte angedroht, ihn zu töten, sollte er nicht auftauchen. Und nach allem was er über die Geweihten wusste, waren das keine leeren Worte.

,, Die anderen warten bereits unten auf uns.“ , erklärte sie und nickte in Richtung des Tunnels, aus dem der Lichtschein nach oben drang. Einen Moment lang standen sie sich in unangenehmen Schweigen gegenüber, weil keiner von ihnen Anstalten machte, sich zu bewegen.

,, Ich bin hier, weil ich Antworten brauche.“ Nicht um sich in ihre Pläne verwickeln zu lassen.

Amatheris nickte. ,, Ich weiß. Und doch…“ Sie streckte eine Hand aus und als der Ärmel ihrer Robe davon zurückrutschte, sah er, dass die Haut dunkel geworden war, verbrannt wie durch Feuer. Und als er sie an seiner Wange spürte, schien sie warm und kalt zugleich, schickte einen Schauer durch seinen Körper. Wärme bereitete sich von der Berührung her aus, durchlief ihn von den Zehenspitzen bis zum Haaransatz. Er wusste nicht, was geschah, vielleicht ein Zauber, vielleicht war es nur die seltsame Faszination, die diese Frau auf ihn ausübte. Doch die Wärme setzte sich in seinen Lenden fest. Er wurde hart, ohne, dass er etwas dagegen tun konnte oder sagen zu können, wieso. Er wendete sich ab um wenigstens die Beule in seiner Hose zu verbergen. Doch sie drehte sein Gesicht wieder herum, ihre Hand nach wie vor an seiner Wange… und küsste ihn.

Das war nicht richtig, war der einzige Gedanke zu dem er in diesem Augenblick fähig war. Ja sie war faszinierend, aber das war es auch. Er empfand nichts für sie, keine Liebe und ob sie so etwas überhaupt kannte… Es war bloße Neugier und mehr würde er daraus auch nicht machen. Sie war nicht einmal mehr Menschlich wenn man es genau nahm. Er brach den Kuss und zog sich zurück, wehrte die Hand an seiner Wange ab.

Sie sah ihn nur an und zu Janis Überraschung standen Tränen in ihren Augen. ,, Ich habe diesem Wahnsinn mein Leben geopfert, Janis. Alles. Nicht mehr. Ich will mein Leben zurück. Für mich. Ich will nicht mehr auf das verzichten…“ Ihre Hand schloss sich um sein Handgelenk, drückte zu, als suchte sie nach einem Halt. Sie war verrückt, wurde ihm in diesem Moment klar und kurz verspürte er nur Mitleid. Ein Geweihter gab eben auch seine Menschlichkeit auf. Sie hatte jedoch den Fehler gemacht, sich daran zu klammern. Das war also die Entscheidung, die sie am liebsten ungeschehen machen würde. Das sie je zu einer Geweihten geworden war? Er schob ihre Hand sanft von sich.

,, Fürchtest du mich ?“ In diesem einen Moment wirkte sie fast verletzlich.

Janis schüttelte den Kopf. Das war es nicht. Aber er liebte sie auch nicht, er empfand kaum etwas für sie… Daran änderte auch kein Zauber etwas. Er konnte diese seltsame Wärme nach wie vor spüren, die sein Blut so sehr in Wallung brachte. Und sie liebte ihn auch nicht, dachte er. Sie wollte ihn, warum auch immer. Vielleicht um sich selbst etwas zu beweisen. Aber sie empfand nicht mehr für ihn als er für sie.

,, Ich werde jetzt gehen.“ , erklärte er. ,, Wenn ihr mich nur deshalb hergerufen habt, dann tut es mir leid.“ Es gab hier keine Antworten für ihn, davon war er jetzt überzeugt. Janis wendete sich von ihr ab. Doch bevor er auch nur zwei Schritte in Richtung Ausgang gemacht hatte, lies ihn ihre Stimme noch einmal anhalten.

,,Ich weiß wer ihr seid.“ Alle Schwäche, alles Sanfte schien erneut aus ihrer Stimme gewichen. Stattdessen waren die Worte kalt und unnachgiebig. ,, Deshalb seid ihr doch hergekommen…“

Und plötzlich kamen ihm wieder Zweifel. Janis blieb stehen und schloss die Augen. Und warum musste sie ihn daran erinnern? Ein Teil von ihm sagte ihm, das er einfach weitergehen sollte, das es das nicht wert war. Und doch selbst wenn nur die kleinste Chance bestand… Er drehte sich wieder zu ihr um. Hatte er denn eine Wahl? Die Antwort war ein klares nein. Und Amatheris ? Sie mochte vielleicht glauben, was sie eben gesagt hatte… aber in was unterschied sie das hier in der Rücksichtslosigkeit der anderen Geweihten?

Und plötzlich war sie ihm wieder viel zu nahe. Diesmal öffnete er den Mund leicht, als sie sich vorbeugte, er ihre Lippen auf seinen spürte. Er konnte ihren warmen Atem spüren und für einen Moment lag vielleicht etwas Echtes in seinen Küssen. Ihre Hände wanderten über seinen Körper, ließen Wärme durch ihn hindurch fließen. Und dann fanden sie einen Weg unter den Bund seiner Hose, umfassten sein Glied, das sich unter der Liebkosung erneut aufrichtete. Seine eigenen Hände wanderten zu seinem Gürtel. Janis lies den Stoff einfach herabrutschen, während Amatheris ihn auf eines der Lager drängte. Er wollte sie an den Leisten packen, sie auf seinen Schoß ziehen, doch sie schüttelte seine Hände ab, während ihre Finger weiter seine Männlichkeit massierten. Verwirrt lies er eine Hand über ihre Wirbelsäule wandern, während er die andere unter ihre Roben tauchen ließ. Oder es zumindest versuchte. Diesmal schlug sie seine tastenden Finger tatsächlich fort und hauchte ein leises:

,, Nein..“

Janis fehlte einen Moment die Worte und sie hielten beide Inne. Schwer atmend blieb sie einen Moment auf ihm sitzen. Sie machte auch keine Anstalten, ihre Roben abzustreifen. Stattdessen umfasste sie erneut seine Erektion,, hob ihren Mantel an, führte ihn unter den Stoff…. Und in ihr inneres. Er stieß ein leises seufzen aus, als ihn warmes Fleisch umfing. Ein gebrochener Schrei entkam ihr, als sie sich mit einem Ruck au ihm niederließ und ohne Scheu anfing, sich auf ihm zu bewegen, grob, fahrig… Tat er ihr nicht weh? Wenn dann zeigte sie es nicht und nach wie vor erlaubte sie ihm nicht, sie zu Liebkosen, oder auch nur zu berühren… Das verbunden mit der Tatsache, dass er nichts von ihr sehen konnte, trieb ihn schon an den Rand der Verzweiflung… Und so schloss er schließlich die Augen und gab ihr was sie wollte, lies sich schlicht benutzen. Langsam begann er sich ihrem Rhythmus anzupassen, stieß in sie, wann immer sich ihre Hüften hoben. Er konnte spüren, wie sie feuchter wurde und das Tempo erhöhte, mit dem sie ihn ritt, ihn ermutigte, selbst schneller zu werden… Dünne Fäden bildeten sich zwischen ihren Leibern, dort, wo ihre wenige entblößte Haut zwischen ihren Schenkeln auf die seine traf.

Janis eigener Atem wurde nun ebenfalls immer hektischer, seine Stöße verwandelten sich in ein unregelmäßiges Stakkato… und dann ergoss er sich in ihr. Der Orgasmus brachte keine wirkliche Erlösung, war ein Teil von ihm doch nur froh, dass es vorbei war… Der Akt war unbefriedigend gewesen und er sowohl physisch als auch geistig erschöpft. Für ihn war es nur ein Mittle zum Zweck und das wusste sie auch. Doch etwas stimmte nicht.

Amatheris machte keine Anstalten, sich von ihm zu erheben, sondern bewegte sich weiter auf ihm, während er kam und noch weiter, nachdem er Strom seines Samens längst verebbt war.

,, Götter…“ Sie erstickte seinen Aufschrei mit ihrem Mund, ein tiefer Kuss, der kaum etwas Schönes hatte. Was eben noch Lust gewesen war, wandelte sich in leichten Schmerz, während sie ihn Gnadenlos weiter ritt. Die Überstimulation trieb ihn an den Rand der Besinnungslosigkeit. Mit Lustverschleierten Augen sah sie auf ihn herab, bevor auch sie erschauderte. Er wollte sie an sich ziehen und diesmal wehrte sie sich nicht. Oder vielleicht war sie nach wie vor zu sehr im Nachglühen ihres eigenen Höhepunkts gefangen um etwas zu merken. Janis Hände strichen über ihren Rücken, ertasteten Knoten, Erhebungen und er verstand. Verstand, warum sie sich ihm nicht zeigen, keine Hände auf sich spüren wollte. Und statt der Wut, die er vielleicht empfinden sollte, überwog wieder einmal das Mitleid. Dann erhob sie sich hastig, schüttelte seine Hände fort und richtete ihre Kleider mit einigen wenigen Handgriffen. Janis hingegen blieb noch einen Moment liegen, spürte wie der Schweiß auf seiner Haut verdunstete… Wie sie so da vor ihm stand konnte er nicht umhin erneut daran zu denken, dass sie auf ihre Art doch schön war. Faszinierend. Und doch machte nichts davon wieder gut, dass sie sein Vertrauen derart ausgenutzt hatte…

,, Verzeih mir.“ Er erwiderte nichts, sondern erhob sich nur ebenfalls und zog sich wieder an. Was hätte er auch sagen sollen? Was er hier von ihr gesehen hatte, schien sich so sehr von der Frau zu unterschieden, die er vor drei Tagen getroffen hatte.

,, Du hast gesagt, du kennst mich…“ Was er an Respekt vor ihr gehabt haben mochte, war Asche. Und er würde sich nicht noch einmal verströsten lassen.

,, Bald. Du wirst bald alles verstehen…“ Sie streckte ihm eine Hand hin und er zwang sich, sie zu nehmen, als sie ihn nach unten führte. Doch seine andere Hand ballte sich zur Faust. Er würde nur noch dieses eine Mal mitspielen…

Ach ja ? , fragte ihn eine sarkastische Stimme. Seine eigene. Und wie oft hast genau hast du das schon geglaubt?

 

Kapitel 27 Rebellion

 

 

 

 

Stimmengewirr hallte von den Felsen wieder. Ein fernes Echo, aus dem er nur einige wenige Worte herausfiltern konnte. Es war auch nicht wichtig.

Es war nicht schwer gewesen herauszufinden, wo sie sich trafen, dachte Träumer. Um ihn herum ragten Felswände auf, die den schräg nach unten führenden Gang begrenzten. Wasser tropfte an den Wänden herab und lief in kleinen Strömen neben dem Pfad her, wo es bereits eine Mulde in den Stein gewaschen hatte. Niemand bemerkte ihn, als er schließlich das Ende seines Abstiegs erreichte. Der Gang mündete in einer großen, in den Fels geschlagenen Kammer. Ein halbes Dutzend Tragbalken stützten die Decke ab, wirkten jedoch bereits marode und ächzten unter der Last, die auf ihnen lag. Weitere Schächte zweigten im hinteren Teil der Höhle ab, führten tiefer in die Erde hinein. Doch Angesichts des Zustand der Minenanlage bezweifelte Träumer, das viele davon noch passierbar waren... oder es noch lange bleiben würden. Doch weiter als bis hier musste er sich auch nicht vorwagen.

Fast einhundert Leute hatten sich im Schein von Fackeln und Öllaternen versammelt, deren Rauch an der Decke hing und die Steine dunkel färbte. Die meisten schienen Träumer einfache Arbeiter zu sein, doch entdeckte er auch ein paar darunter, die die Robe eines Predigers trugen. Und Amatheris, die an der Spitze der Menge stand. Träumer näherte sich der Menge leise, doch seine Vorsicht erwies sich als Unangebracht. Niemand drehte sich zu ihm um, niemand sprach ihn an. Die Aufmerksamkeit aller ruhte auf der Geweihten, die auf einen niedrigen Felsen geklettert war. Wasser lief von den Tropfsteinen herab, die sich an der Decke der Höhle gebildet hatten, bildeten eine dünne Wasserschicht auf dem Grund und verschwanden mit leisem, nachhallendem Platschen in einem Brunnen, den man im hinteren Ende der Kammer angelegt hatte. Vielleicht hatte die Konstruktion einst dazu gedient, damit das Wasser ablaufen konnte und sich nicht in den Gängen der Mine sammelte. Nun jedoch war dieser Ort seit Jahrhunderten verlassen. Lediglich der Kohlestaub und die glitzernden Quarzadern im Fels zeugten noch davon, dass einst Menschen hier Hand angelegt hatten. Das, dachte er und die verräterisch knarrenden Stützen und die langsam verrottenden Windensiele über dem Brunnen. Träumer blieb am Rand der Menge stehen und zog sich die Kapuze seines blauen Mantels weiter ins Gesicht.

Amatheris hatte derweil erneut angefangen zu sprechen. ,, Wir sind alle hier, weil wir etwas erkannt haben. Wir sind belogen worden.“ Sie ließ ihre Worte einen Moment wirken während in der Menge unsicheres Gemurmel ausbrach. Lediglich einige zustimmende Rufe wurden laut und zur Träumers Überraschung stammten diese vor allen von den Predigern. ,, Der rote Heilige hat uns Freiheit versprochen und stattdessen eine Tyrannei errichtet. Eine Tyrannei unter der Führung der Geweihten und ihm selbst. Sie haben alles verraten, was uns versprochen wurde und egal wie viele von uns meinen, dass der Krieg nicht weiter geführt werden muss, werden sie je auf uns hören? Ich habe seinen Zielen meine Menschlichkeit geopfert und nur Lügen und Täuschungen dafür erfahren. Und es gibt keinen Weg mehr das ungeschehen zu machen. Man hat uns eine neue Welt versprochen und wo ist sie? Ich sehe nur Zerstörung und tausend Sklaven, selbst wenn niemand sie so nennen will. Euch. Eure Heimat ist verbrannt und es ist nichts aus der Asche erstanden und jetzt seid ihr hier, arbeitete nur um grade so zu überleben, während andere sich in dem Glanz sonnen, den ihr für sie erschafft. Wir sind nicht hier um für den persönlichen Ehrgeiz eines einzigen Mannes zu zahlen!“

,, Aber wir können nicht gegen sie bestehen !“ , rief jemand aus der Menge. Zumindest glaubte Träumer, das die Stimme von dort stammte. Jeder Laut hier wurde von den Felswänden zurückgeworfen und verzerrt. ,, Keiner von uns kann das. Ihre Macht ist zu groß, ihr habt es alle gesehen. Ja unsere Heimaten sind zerstört. Und hat man sie nicht verteidigt? Wer soll uns dann verteidigen wenn wir uns gegen sie stellen? Der Kaiser etwa?“

Amatheris lächelte. ,, Der Kaiser wird sich vor uns beugen, wir werden nicht in seinen Schutz kriechen. Doch erst, wenn dieser Krieg beendet ist. Doch dazu kann der rote Heilige nicht länger unser Anführer sein. Wir sind viel mehr, als sie. Wie viele Geweihte gibt es hier ? Vielleicht ein paar hundert. Und wie viele seit ihr ß Wie viele werden wir sein, wenn jeder von euch heute Nacht hinaus geht und die Botschaft verbreitet? Glaubt ihr er kann sich dem Willen von zehntausenden in den Weg stellen?“

Träumer fragte sich ob er ihren Optimismus bewundern oder bedauern sollte. Was war einer gegen zehntausend? Nichts. Aber was konnten zehntausend gegen einen Gott ausrichten? Selbst wenn sie mehr Geweihte auf ihre Seite ziehen konnte, der rote Heilige und die verbliebenen Diener des Herrn der Ordnung würden sie hinwegfegen. Die Macht seines Herrn konnte nicht gebrochen werden…

Und selbst wenn, wirst du es nie erfahren, meinte eine Stimme. Denn du hast den Tod hierher gebracht. Einen Moment zögerte er tatsächlich. Einen kurzen Augenblick lang stand alles auf der Kippe. Wenn er sich jetzt umdrehte und ging, konnte er noch rechtzeitig wegkommen, seinen Herrn noch aufhalten. Vielleicht war es die einzige Gelegenheit die er jemals bekommen würde. Träumer schloss die Augen. Nein. Nach wie vor. Ihm blieb keine Wahl. Am Ende war er seinem Herrn mehr verpflichtet als Amatheris und ihrer kleinen gruppe von Aufständischen. Selbst wenn sie den roten heiligen schlagen könnten, was bedeutete das für ihr Werk? Noch war der Herr der Ordnung nicht am Ziel, noch durften sie nicht nachlassen, ob sie das erkannten oder nicht. Und er konnte sie auch nicht warnen. Nicht wenn er nicht riskieren wollte, das ihr gesamtes Werk umsonst gewesen war. Noch mehr Leben, die das Ungeheuer verschlingen würde, dass sie freigesetzt hatten. Dass er mit aufgebaut hatte. War es überhaupt noch von Bedeutung? Was waren ein paar hundert Leben im Vergleich zu der Schuld, die er sich ohnehin schon aufgebürdet hatte. Er hatte seinen Pfad doch längst gewählt…

,, Aber der rote Heilige ist der Erwählte des Herrn.“ , bemerkte erneut eine Stimme.

,, Ist er das wirklich ?“ , entgegnete Amatheris kühl. ,, Ich weiß nicht, woher es kommt, das der Gott ihm nach wie vor seinen Segen gewährt. Oder welchem Umstand er sonst seine Fähigkeiten verdankt. Aber wenn wir das Werk des Herrn noch retten wollen, bleibt uns keine andere Wahl. Der rote Heilige muss fort. Ob freiwillig oder nicht, ist dabei egal. Und der Herr der Ordnung wird uns dabei nicht im Stich lassen.“

,, Aber wir haben nichts, was wir ihm entgegensetzen können…“ Und das, dachte Träumer wäre hoffentlich der Punkt an dem sie verstehen würden. Noch war Zeit, sagte er sich. Wenn sich diese kleine Rebellion jetzt und hier auflöste, hätte er noch die Möglichkeit seinen Herrn abzufangen. Bevor er ebenfalls hier eintraf. Oder sie doch noch zu warnen.

Doch erneut zeigte sich nur ein triumphierendes Lächeln auf Amatheris   Gesicht. Was jetzt ? , fragte er sich. Sie konnte nicht hoffen, dem roten Heiligen selbst irgendwie Paroli zu bieten. Vielleicht hatten sie eine Chance über alles andere hinweg zu kommen, aber ihn ?

,, Vertraut mir.“ , meinte die Geweihte. ,, Wir haben etwas, das ihm sehr, sehr wichtig ist. Ob er es weiß oder nicht. Er wird bei Seite treten, wenn wir es fordern.“ Sie sah die Menge der Reihe nach an, bis ihr Blick an jemanden hängen blieb. Und als Träumer es ihr gleich tat, gefror ihm plötzlich das Blut in den Adern. Janis…Er stand genau da, am äußeren Ende der Menge, kaum vier Schritte von Träumer entfernt. Und obwohl er ihm den Rücken zuwendete, gab es keinen Zweifel. An seiner Hüfte glitzerte der griff des Schwert, das man ihm zum Geschenk gemacht hatte im Licht der Fackeln. Nein… Das gab es doch nicht. War also der Plan des roten heiligen gescheitert, den jungen Belfare zu benutzen? Er durfte, konnte nicht hier sein. Träumer machte einen Schritt nach vorne, streckte die Hand aus. Der Junge musste hier weg, bevor…

,, Und was sollte das sein ?“ Wieder die Stimme aus der Menge. Spöttisch, kalt. Doch kam sie nicht aus der Menge, wie ihm plötzlich klar wurde. Er stand jetzt mitten unter ihnen, doch keiner der paar hundert Seelen hatte gesprochen. Herr der Ordnung, dachte Träumer, als er sich zusammen mit ihnen umwandte. Ich könnte grade wirklich ein Wunder gebrauchen…

Mit einem Mal war es totenstill in der Kammer. Selbst das Zischen des Pechs, das in den Fackeln verbrannte schien plötzlich leiser, kaum noch wahrnehmbar, als der Sprecher endlich aus dem Schatten des Mineneingangs trat. Rot schimmerten die Rubine, die er an mehreren, schweren Goldketten trug, genauso rot wie seine Augen und die Haare im Ton von getrocknetem Blut.

,, Eine beeindruckende Ansprache.“ , meinte der rote Heilige spöttisch. Amatheris Züge gefroren, aber nur für einen Moment.

,, Wir sind die Wahre Stimme des Herrn der Ordnung.“ , erklärte sie trotzig und viel zu selbstsicher… Alle Aufmerksamkeit richtete sich jetzt auf sie und den roten heiligen. Träumer sah den Moment gekommen. Er konnte Janis nicht hier heraus bringen, aber wenn sein Herr ihn hier entdeckte, war der Junge so gut wie tot… Rasch trat er vor und packte den Jungen. Blitzschnell hielt er ihm dem Mund zu, bevor er ein Wort sagen konnte… und stieß ihn mit aller Macht in Richtung des Brunnens, während er ein stummes Gebet zum Himmel schickte, das der Schacht nicht zu tief wäre. Ein rasch geflüsterter Zauber schluckte alle weiteren Geräusche, als der Junge in die Tiefe stürzte. Rasch sah er wieder auf, doch niemand schien gemerkt zu haben, was er getan hatte. Die Menge wich nervös zurück, als Amatheris von ihrem Felsen stieg und der rote Heilige auf sie zukam.

,, Und was hat diese wahre Stimme mir zu sagen ?“ Er grinste sie herausfordernd an, während die Geweihte sich umsah. Hin zu der Menge, die sich beeilte, schnell Platz um sie zu machen. Wenn sie hoffte, das ihr jemand zur Hilfe kommen würde, dachte Träumer, dann hatte sie nicht verstanden. Oder könnte es sein… Ihr Blick wanderte von Gesicht zu Gesicht, schien mit jedem Augenblick panischer zu werden, als würde sie jemanden suchen und nicht finden. Janis. Natürlich suchte sie nach Janis. Aber was sollte der Junge ihr jetzt nützen? Wenn sie glaubte, das Janis dem roten heiligen irgendetwas bedeutete, dann musste sie wirklich verblendet sein. Er hatte sich ja sogar geweigert, ihn auch nur   selbst am Leben zu erhalten. Oder gab es etwas, das sie wusste und er nicht? Er würde keine Gelegenheit mehr haben sie zu fragen…

Immer noch ohne ein Wort, doch nun mit einem Anflug von Panik wich sie vor ihm zurück, als er die Hand ausstreckte. Es dauerte nur einen Herzschlag lang. Träumer spürte das Aufflackern der Magie, als husche ein Schatten durch die Höhle, der sämtliche Fackeln einen Moment zum Erlöschen brachte. Und als das Licht zurückkehrte, ging Amatheris in die Knie. Die Male auf ihrem Gesicht und Händen lösten sich auf wie Rauch, der von einem Sturm auseinander getrieben wurde, verschwanden, genau wie ihr Leben. Und doch, als sie langsam zur Seite kippte, meinte Träumer kurz so etwas wie ein Lächeln über ihre Züge huschen zu sehen…

Der rote heilige jedoch würdigte sie keines Blickes und stieg achtlos über den Leichnam hinweg auf die übrigen Anwesenden zu.

,, Ich bin der wahre Erwählte des Herrn der Ordnung. Und ich bin der einzige Anführer seiner Diener. Sonst niemand.“ Träumer war sich sicher, dass er sie töten würde. Offene Rebellion konnte er unmöglich dulden. Seine Hände ballten sich zur Faust. Und entspannten sich wieder. ,, Sollte einer von euch das noch einmal in Frage stellen, glaubte nicht, das ich Gnade walten lassen werde. Und jetzt… geht !“

Die Menge wich zurück, als hätten seine Worte ein physisches Gewicht, das drohte, sie zu Boden zu werfen. Langsam, einer nach dem anderen machten sie sich daran, den Höhleneingang zu suchen. Allerdings machten alle dabei einen großen Bogen um ihn und die Stelle, wo die gefallene Geweihte lag.

,, Das hast du gut gemacht.“ , meinte er an Träumer gerichtet.

,,Herr.“   Er verneigte sich. Es gab keine Erlösung mehr. Nicht für ihn. Wenn ihm dieser Tag eines klar gemacht hatte, dann das. Er war Gefangen zwischen den Fronten, zwischen seinen Eiden und Hoffnungen, die seine Loyalität einforderten… und dem Wissen, das er dem falschen Mann diente.

Und dann geschah etwas, das Träumer für unmöglich gehalten hätte. Bis zu diesem Moment jedenfalls. Er sah die Bewegung nur aus den Augenwinkeln, sah, wie ein einzelner Mann in der Menge sich umdrehte und etwas Längliches hochhielt. Und doch konnte er sich später an jedes Detail erinnern. Der Mann war groß, gebaut wie ein Ochse mit dunkler, olivfarbener Haut. Obwohl er noch jung wirkte, schienen seine Augen bereits einem älteren Menschen zu gehören. Jemanden, der wenn nicht Wissen, so doch zumindest Weisheit genug besaß um von manchem als Anführer gesehen zu werden. Jemand, der entschlossen genug war, alles zu riskieren… Aiden, dachte Träumer, wollte ihm etwas zurufen, ihm sagen, dass das Wahnsinn war… Und dann verschwanden das Gesicht und der dazugehörige Mann hinter einer Pulverwolke. Der Knall des Schusses hallte in der Kammer Ohrenbetäubend wieder. Die Kugle zerplatzte keinen Fingerbreit vom Ohr des roten heiligen entfernt, brachte die magische Barriere mit der er sich umgab zum Flackern und zeichnete glühende Nachbilder auf Träumers Netzhaut. Der rote heilige jedoch hielt irritiert eine Hand in die Höhe, zu der Stelle, wo ihn eigentlich die Kugel hätte treffen müssen. Was Träumer auf dem Gesicht seines Meisters sah, war eine Mischung aus Unglauben und nacktem Entsetzen. Und einen Moment rührte er sich nicht einmal, schien Gefangen in dem Schock des Augenblicks.

Träumer meinte zu wissen, was in ihm vorging. Wie konnte das sein? Ein einzelner Sterblicher, der sich der Lebenden Inkarnation eines Gottes in den Weg stellen wollte. Es schien so irrwitzig so surreal.

Träumer wusste nicht ob er über so viel Mut lachen oder weinen sollte, war er am Ende doch schlicht sinnlos. Selbst wenn die Kugel getroffen hätte, hätte ein einzelnes Projektil seinen Herrn wirklich noch töten können? Der rote Heilige stand soweit über den meisten anderen Lebewesen… Und doch hatte er grade Angst gehabt, dachte Träumer. Panik sogar… Und während die Sekunden dahinrannen, schien er zu Verblüfft, auch nur etwas gegen den Mann zu unternehmen, der wie angewachsen dastand. Kein Wort kam über seine Lippen, keine bitte um Gnade.

Wie beiläufig wischte der rote Heilige ihn mit einer Handbewegung bei Seite und Träumer hörte, wie sämtliche Knochen in Aidens Körper gleichzeitig brachen. Seine leblose Form wurde ungebremst gegen die Wand der Kammer geschleudert, die Stützen zitterten einen Moment… und dann lies der rote Heilige die Hand wieder sinken. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und stürmte an den wie paralysiert dastehenden Kultisten nach draußen. Nach und nach begannen auch diese sich wieder zu bewegen, verließen die Höhlen… und ließen Träumer alleine mit den zwei Toten zurück. Und mit Janis… Einen hast du gerettet, sagte er sich stumm. Aber wo war einer je genug?

 

 

Kapitel 28 Lügen

 

 

Der Aufprall im kalten Wasser raubte ihm einen Moment den Atem. Janis geriet unter die Oberfläche, spürte, wie die Wucht seines Sturzes Wellen schlug, während er versuchte, sich irgendwie wieder an die Oberfläche zu kämpfen. Um ihn herum gab es einen Moment nur Dunkelheit, kein unten oder oben. Er wusste nicht mehr ob er überhaupt in die richtige Richtung schwamm, tastete mit den Händen, bekam die von Algen überwucherten Mauern des Brunnens zu fassen. Doch selbst der Versuch sich daran irgendwie orientieren zu wollen schien vergebens. Seine Lungen brannten, er konnte nicht mehr denken… und dann sah er es. Einen fernen silbrigen Schimmer. Es könnte die Oberfläche sein. Oder auch nur eine Spiegelung auf dem Grund. Doch ihm blieb keine Wahl mehr. Mit letzter Kraft stieß er sich von der Mauer ab, ruderte mit dem Armen, die schließlich die Oberfläche durchbrachen. Nach Atem ringend und zitternd tauchte er schließlich auf, kämpfte darum, nicht wieder unter zu gehen. Bereits jetzt konnte er die Kälte des Wassers bis in die Knochen spüren. Er musste hier raus und zwar jetzt. Das war das einzige was noch zählte oder er wäre in ein paar Augenblicken tot. Das Innere des Brunnenschachtes bestand nur ganz oben aus wirklichem Mauerwerk. Je weiter er in die Tiefe führte, desto mehr wurde es von simplen behauenem Stein abgelöst und knapp über dem Wasserspiegel wo Janis trieb, aus grob behauenem Stein   ragten Vorsprünge aus dem Fels, die einem Fuß oder einer Hand leicht Platz boten. Er konnte wohl von Glück reden, nicht gegen einen davon geprallt zu sein. Auch wenn das Wort Glück hier wohl kaum etwas bedeutete. Er bekam einen der vorstehenden Felsen zu packen und zog sich herauf. Die Luft hier unten war immer noch eisig, aber besser, als im Wasser zu bleiben, dachte er. Was ihn wieder zu der Frage brachte, was eigentlich passiert war. Das letzte woran er sich erinnern konnte, war wie ein Schatten aus dem Eingang zur Mine getreten war und dann… Jemand hatte ihm einen Stoß versetzt der ihn, ob nun beabsichtigt oder nicht, über den Rand des Brunnens befördert hatte.

Und warum half ihm dann niemand? Janis spähte nach oben, wo schwach Licht schimmerte. Verzerrte Stimmen hallten zu ihm herab, ohne das er mehr als Wortfetzen verstehen konnte. Was ging da oben nur vor sich? Man musste seinen Sturz doch bemerkt haben?

Vorsichtig tastete er sich mit der Hand weiter, bekam einen weiteren Vorsprung zu fassen und zog sich hinauf. Ganz nach oben würde er es die Wand entlang nicht schaffen, dazu wurde der Stein in der zweiten Hälfte der Wand zu glatt. Aber dafür wäre das Seil fast in Reichweite. Das hieß, wenn er sein Leben einem morschen Strick anvertrauen wollte. Andererseits, schien ihm auch niemand zur Hilfe zu kommen.

,, Hallo ?“ , rief er und die Worte hatten seinen Mund kaum verlassen, als sie auch schon von den Wänden als Echo zurück geworfen wurden. Doch nichts davon schien oben an zu kommen. Als wäre der Brunnen selbst irgendwie… stumm. Mittlerweile war er soweit hinauf geklettert, wie er es ohne das Risiko abzurutschen wagen konnte. Er war vielleicht noch drei Körperlängen unter dem Rand des Brunnens. Und doch auch jetzt reagierte niemand auf seine Rufe. Tatsächlich war es Oben mittlerweile tückisch Leise geworden… Als ob man ihn zurück gelassen hätte. Götter, was ging hier nur vor? Von Amatheris hatte er noch immer keine Antworten erhalten, nicht einmal, wieso sie sich so sicher war, dem roten Heiligen etwas entgegen setzen zu können. Und jetzt ließ man ihn hier zum Sterben zurück? Er schloss die Augen, schätzte die Entfernung bis zum Seil. Hatte man ihn wirklich umbringen wollen? Und wenn ja, wer ? Bedauerlicherweise viel ihm sogar jemand ein   und er biss die Zähne zusammen, spähte erneut zum Brunnenrand. Und diesmal war er nicht mehr alleine. Eine einzelne Gestalt beäugte sich plötzlich über die Öffnung, lies das Licht einen Moment lang verschwinden.

,, Janis ?“ Träumer ? Er erkannte die Stimme des Mannes, auch wenn er nur einen Schemen sehen konnte. Götter, was machte er hier ?

Statt sein glück lange in Frage zu stellen, rief er: ,, Ich bin hier !“

Träumer seufzte erleichtert auf. ,, Der Herr hat meine Gebete erhört, es geht euch gut. Könnt ihr raus kommen oder muss ich euch helfen?“
Janis schielte erneut zu dem Seil, schätzte seine Chancen. Es wäre sicherer, Träumer Hilfe holen zu lassen, sagte er sich. Und doch sprang er ab, schwebte einen Moment, bekam das Seil zu fassen. Es war rutschig, verbrannte seine Haut als die rauen Fasern sich hinein gruben, drohte ihm zu entgleiten. Und plötzlich fragte er sich wie er so dumm hatte sein können, hatte Todesangst…

Eine Erinnerung, die ihn wie ein Blitz durchfuhr. Er kannte dieses Gefühl. Er sah sich auf einem Feld, Zelte um sich herum. Er rannte, konnte sein Blut in den Ohren pulsieren hören , spürte die Hitze der Fackeln, die im Halbdunkel an ihm vorüberzogen. Und jemand rannte neben ihm. Eine Gestalt die er schon einmal gesehen hatte. Als sie gefallen war…

Dann war alles vorbei, das Seil straffte sich mit einem Ruck, knirschte bedrohlich… aber es hielt ihn.

,, Warum habt ihr das getan ?“ Träumer kauerte mit weit aufgerissenen Augen am Brunnenrand, sah zu wie Janis am Seil hin und her schwankte. Dieser konnte einen Moment nicht antworten, versuchte die Erinnerung zu behalten, mehr zu sehen… doch die Bilder verblassten schon wieder, ließen kaum etwas über außer dem unbestimmten Gefühl, diese Situation zu kennen.

,, Ich weiß es nicht.“ , antwortete er.

 

Träumer wusste plötzlich nicht mehr, was er von dem Jungen halten sollte, als er ihm die Hand reichte und ihm über den Rand des Brunnens half. Janis Blick blieb natürlich sofort an den zwei toten Körpern hängen. Was von Aiden geblieben war, war kaum mehr als Mensch zu erkennen, nur ein Haufen zertrümmerte Knochen und Blut. Amatheris hingegen, auch wenn sie nicht mehr atmete, war zumindest äußerlich unverletzt. Und ohne den Makel den die Weihe von ihr gefordert hatte… So wie sie dalag wirkte sie fast friedlich, ein dünnes Lächeln auf den Lippen. Und Träumer insgeheim, ob das am Ende nicht genau ihr Ziel gewesen sein mochte. Vielleicht nicht. Wenn Amatheris eines umgebracht hatte, dann auch ihr eigene Ehrgeiz. Träumer wusste bis jetzt nicht, wie sie glauben konnte, irgendetwas zu bewirken. Im besten Fall hätte sie den roten heiligen ersetzt und was dann? Konnte ein Mann oder eine Frau überhaupt von einer derartigen Macht kosten ohne sich zum negativen zu verändern? Und was   bedeutet das für dich selbst? Er wusste es nicht…

,, Was ist geschehen ?“ , fragte Janis leise.

Träumer überlegte tatsächlich kurz ihm einfach die Wahrheit zu sagen. Nicht nur über all das hier, sondern alles. Aber…

,, Sie haben sich von ihr abgewendet, JAnis. Amatheris hat versucht sie auf einen falschen Pfad zu führen. Der rote Heilige hat sie gerichtet. Der Rest… hat seinen Fehler erkannt.“ Er sah zu der zweiten Leiche. ,, Außer Aiden.“ Dieser närrische, tapfere… Dummkopf. Vielleicht hätte er besser ihn statt Janis in den Brunnen gestoßen. Du hast es nicht wissen können, sage er sich. Ja… aber änderte das etwas an seinem versagen ? Er hatte nicht gewollt, das das hier in Blutvergießen endete. Und wann hat der rote Heilige das letzte Mal etwas friedlich gelöst? Du machst dir Illusionen…

,, Ich glaube sie hat versucht mich umzubringen. Sie… Ich verstehe es nicht, Träumer. Ich versteh nicht mehr was eigentlich vor sich geht…“ Janis stand einen Moment unsicher da. Und Träumer konnte ihn nur mitleidig ansehen. Hatte er schon einmal jemanden gesehen, der so verloren wirkte? Der Junge konnte ja nicht ahnen, wie die Wahrheit aussah. Amatheris hatte ihn gebraucht. Wofür auch immer. Und doch würde er ihn in dem Glauben lassen müssen. Besser, er lebte damit weiter.

,, Ich glaube dann sind wir grade noch rechtzeitig gekommen.“ , meinte Träumer. ,, Und wir werden die Wahrheit schon noch herausfinden. Ich helfe euch dabei. Versprochen.“ Seit wann bist du ein so guter Lügner? Allerdings… es brauchte wohl keinen guten Lügner um einen Jungen ohne Vergangenheit… und vielleicht auch ohne Zukunft für sich zu gewinnen.

,, Ich weiß nicht, was ich noch glauben soll. Amatheris hat gemeint sie wüsste, wer ich bin… War das nur eine Lüge, damit sie mich kontrollieren kann?“

,, Vielleicht war sie verrückt.“ Träumer kniete sich neben sie, schloss ihr die Augen. ,, Es gibt manche, denen es schwer fällt, in Einklang zu bringen, was sie einst sein wollten… und was sie geworden sind.“

,, Redet ihr von ihr… oder von euch ?“

Träumer seufzte. ,, Ihr seid klüger als euch gut tu schätze ich.“ Und warum sah der Junge dann nicht? Die Wahrheit lag vor seinen Augen. Andererseits… Er hatte keine Erinnerungen. Und den roten Heiligen noch nicht so erlebt wie Träumer es getan hatte. Für Janis… war er im Augenblick die einzige Führungsfigur die er hatte. Neben ihm selbst. Und ich führe ihn nur brav zum Abgrund…

,, Wie oft hast du dich schon mit ihnen getroffen ?“ , wollte Träumer wissen.

,, Nur heute. Aber sagt mir… warum waren sie so überzeugt davon, das der rote Heilige ein falscher Anführer ist?

,,Vielleicht ist er es.“ , flüsterte Träumer. ,, Und vielleicht auch nicht. Aber den roten Heiligen treibt mehr als nur der Wunsch, die Welt zu reformieren. So wie viele von uns…“ Er stand auf und machte eine Geste in Richtung von Amatheris Körper. Grüne Flammen hüllten ihn ein, verbrannten was von ihr geblieben war zu Asche. Dann wendete er sich dem zu was von Aiden geblieben war und wiederholte den Vorgang. Janis sah ihm schweigend dabei zu, mit ernstem Gesicht, das von den Flammen beleuchtet wurde. Ein Gesicht, das ihm vertraut vorkam. ,, Etwas Düstereres…“

,,Rache ?“

Woher wusste der Junge das? Oder hatte er nur geraten? Träumer war lediglich in der Lage zu nicken.

,, Also sagt mir… haben sie nicht recht ? Ich bin der letzte, der ihm misstraut, Träumer. Der rote Heilige hat mich gerettet. Und ihr auch. Mag sein, das er Brutal ist, aber schulde ich ihm nicht etwas?“

,, Das ist… nicht so einfach.“ Auch wenn ein Teil von ihm Janis einfach zustimmen wollte. Ja, der Heilige war in Wahrheit ein Monster. Aber eines, das gebraucht wurde. Und eines, das Janis brauchte, auch wenn sich ihm immer noch nicht erschloss, wozu… ,, Am Ende haben wir alle das gleiche Ziel. Der Kaiser ist das einzige , was noch zwischen uns und der neuen Welt steht. Wenn er besiegt ist, wird sich alles ändern… Dann kann Gerechtigkeit walten.“
,, Und kann Rache nicht ebenfalls gerecht sein ?“

Träumer musterte Janis einen Moment unsicher, wusste nicht ob oder was er antworten sollte. Die Frage ging über den roten heiligen hinaus, nicht war ? Sie hatten dem Jungen genug Lügen gegeben. Und Amatheris hatte unfreiwillig ihr Übriges dazu getan ihn auch noch gegen die Abweichler in den eigenen Reihen aufzubringen. Und doch weigerte Träumer sich derjenige zu sein, der seinem erwachenden Zorn noch Nahrung gab. ,, Nicht diese Art von Rache, Janis. Niemals… Nicht wenn die ganze Welt darunter leiden muss.“

Viel später, als der Junge längst fort und in Sicherheit war, traf er sich erneut mit dem roten Heiligen. Mittlerweile zeigte sich bereits der erste Schimmer Morgenrot am Horizont, ließ die hoch aufragenden Säulen und Kuppeln des Tempels als dunkle Silhouette vor dem blutroten Himmel stehen. Von den Toren aus konnte man über die Wendelmauern hinweg fast das gesamte Tal überblicken. Das Lager zu seinen Füßen schlief hingegen noch, von einigen wenigen Nachtschwärmern einmal abgesehen.

,, Glaubt ihr, das Janis wirklich loyal zu euch steht ?“ Er würde den Jungen genau so wenig verraten, wie seinen Herrn. Auch wenn er nicht zu sagen wusste, woher diese Loyalität stammte. Vielleicht war es einfach der erbärmliche Versuch nicht noch mehr Schuld auf sich zu laden.

,, Das werden wir bald sehen.“ , meinte der rote Heilige. ,, Ich habe weitaus mehr getan, als ihm nur seine Erinnerungen zu nehmen, falls es das ist, was euch Sorgen bereitet…“

,, Ihr habt ihn manipuliert ?“

,, Grade genug. Er wird mir weiter aus der Hand fressen, wenn ich es wünsche Träumer. Bis ich ihn auf die Probe stellen kann. Die Taufe ist mehr, als sie zu sein scheint. Ihr wisst das genau so gut wie ich. Was der Herr einmal für sich beansprucht hat, gibt er nur schwer wieder her. Und was sich ihm einmal verschrieben hat… das wird er nutzen.“

,, Ihr wisst, was ihr ihm damit antut ?“

,, Als ob mich kümmert, was aus ihm wird. Er dient einem Plan unseres Herrn, Träumer. Nicht mehr, nicht weniger. Darüber hinaus… ist er wertlos.“

Und doch wird es ihn in den Wahnsinn treiben, wenn er je die Wahrheit erfährt, dachte Träumer. Und so sicher sich sein Herr war ihn unter Kontrolle zu haben… war nicht alleine die Tatsache, das der Junge auf der Versammlung der Abtrünnigen aufgetaucht war Beweis genug, das er sich seinem Einfluss auch wiedersetzen konnte?

,, Ihr sagt, ihr würdet ihn auf die Probe stellen…“

,, Sehr bald. Doch zuerst gibt es wichtigere Dinge um die wir uns kümmern müssen. Es sieht so aus, als wolle sich uns ein alter Feind erneut stellen… Wenn der Erzmagier närrisch genug ist, mich herauszufordern, wird er bald merken, dass er sich diesmal verschätzt hat… Und diesmal ist er ganz alleine…“

 

 

 

Kapitel 29 Enttäuschung

 

 

 

 

 

Merl konnte nicht einschlafen. Während draußen langsam der Mond aufging dessen silbriges Licht durch die Stoffbahnen des Zeltes hindurch schien, lag er nur hellwach da, lauschte seinem eigenen Atem und Armells gleichmäßigerem direkt neben sich. Er konnte die Wärme ihres Körpers spüren, wie sich ihre Brust langsam hob und senkte und dabei gegen seinen Rücken drückte. Es war nicht die bevorstehende Schlacht, die ihn keine Ruhe finden ließ, so seltsam das schien. Wenn er an das dachte, was bald vor ihnen liegen mochte, fühlte er sich ganz ruhig, seine Gedanken kalt. Seltsam, dachte er. Der Junge, der er eigentlich hätte sein müssen, wäre aufgeregter gewesen. Aber das war er nicht mehr.

Merl erhob sich leise um Armell nicht zu wecken und schlich zum Zelteingang. Der Mond stand hoch am Himmel und silbriges Licht flutete ihm entgegen, sobald er die Plane zur Seite schlug und ins freie trat. Doch bis auf die große bleiche Scheibe schien der Himmel komplett schwarz. Keine Sterne und nicht einmal eine Wolke zeigten sich. Eisblumen glitzerten auf dem Gras wie Edelsteine und die kühle Luft ließ ihn schauern. Aber nur einen Moment, dann raffte er seinen Umhang um sich. Jeder Atemzug brannte leicht in der Nase, so kalt war es mittlerweile geworden.

Sie hatten ihr Lager mitten auf der Ebene aufgeschlagen. Eine halbe Meile entfernt konnte Merl eine der Händlerstraßen sehen, die sich in einem endlosen Band zwischen Hügeln und kleinen Wäldern dahin zog. Daneben und bis zu ihm erstreckte sich ein Meer aus Zelten und Standarten, alle in ordentlichen Reihen. Fast zwanzigtausend Mann hatten sie zusammenrufen können, zweitausend davon aus der fliegenden Stadt selbst. Den Rest hatten sie unterwegs aus verschiedenen Garnisonen eingezogen und ein paar hundert, die abseits des kaiserlichen Militärs lagerten waren auch Freiwillige. Männer und auch ein paar Frauen, die ihre Heimat an die Kultisten verloren hatten oder darum fürchteten, jetzt wo sie nur noch einen Schritt von den Herzlanden entfernt waren. Menschen und auch einige Clan-Gejarn. Merl sah zu ihrem Lager, eine unordentliche Ansammlung aus Zelten in allen Farben, die teilweise mit großen Flicken versehen waren. Genau so bunt wie ihre Unterkünfte war auch ihre Ausrüstung. Manche der Gejarn hatten nicht einmal Feuerwaffen mitgebracht, sondern nur Pfeil und Bogen und die Bauern und Städter waren nicht viel besser. Einer hatte eine Flinte, einer einen rostigen Degen…   Das war keine Streitmacht und selbst das Wort Miliz wäre wohl noch ein Lob. Würden sie kämpfen, dann würden sie auch sterben, dachte er. Seltsam wie unberührt ihn dieser Gedanke ließ. Vielleicht war ein Teil von ihm zu lange in der Dunkelheit gewesen, hatte sich verändert. Oder war schlicht älter geworden… Alt… Es war nicht das richtige Wort dafür, aber er hatte kein besseres.

Eisrosen, die die Erde nach oben gedrückt hatten und wie scharfe Nadeln daraus hervorstanden, zersprangen unter seinen Füßen. Merl wendete sich in Richtung des östlichen Lagerrands, wo ein kleiner , aber dichter Wald aufragte. Während der Rest des Lagers totenstill und fast Dunkel dalag, sah man von vereinzelten Wachfeuern einmal ab, schimmerten unter den Bäumen dutzende von Lichtern. Der unstete Schein von Fackeln zeigte Merl, wo sich ihre Posten befanden um sie auf dieser Seite vor Überraschungen zu schützen. Über die Ebene konnte sich ein Feind kaum unbemerkt nähern, solange auch nur ein einziger Posten mit Augen im Kopf wach blieb. Doch das Dickicht bot im Zweifelsfall nicht nur Wild und Kleintieren Schutz.

Er wusste nicht einmal, wo genau er eigentlich hin wollte. Vielleicht würde er eine Runde um das Lager gehen, bis es Morgen wurde. Ruhe jedenfalls würde er keine mehr finden.

,, Bist du auch hier um mich zu bewachen ?“ Die Frage riss Merl aus seinen Gedanken. Er hatte die Gestalt, die keine zwei Schritte von ihm entfernt in einem Zelteingang lehnte gar nicht bemerkt. Doch die Stimme reichte ihm bereits um zu wissen, wen er dort finden würde. Es klang nach Zachary und doch falsch. Ismaiel sah nicht einmal zu ihm auf, während er in Richtung Waldrand nickte. ,, Keine Sorge. Dieser Narr dort lässt mich schon nicht aus den Augen.“

Im ersten Moment konnte Merl nicht einmal jemanden erkennen, als er dem Blick des alten Zauberers folgte. Dann jedoch sah er es. Das Blinken von Stahl. Zu seinem Erstaunen schälte sich Wys Carmine aus der Dunkelheit, der scheinbar entspannt an einem Baumstamm lehnte. Doch das täuschte, dachte Merl. Der Archont mochte gelassen wirken, doch sein Schwert lag blankgezogen auf seinem Schoß und seine Augen ließen weder Merl noch Ismaiel für einen Herzschlag aus den Augen.

,, Wie du siehst, habe ich schon einen Wachhund, Junge.“ , bemerkte Ismaiel spöttisch. In seinen Händen lag eine längliche Pfeife , von der eine dünne Rauchsäule nach oben stieg. In die metallene Pfanne passte wohl kaum ein Fingernagel tief Tabak. Die Glut beleuchtete das Gesicht des Erzmagiers , ein Ausdruck vollkommener Gleichgültigkeit für alles um ihn herum.

Manchmal wenn er diesen Ausdruck sah, fragte Merl sich selbst, warum er eigentlich mitgekommen war. Hatte er sich wirklich irgendetwas von diesem Mann erwartet? Imsaile mochte sein Erzeuger sein, aber warum sollte er in ihm je so etwas wie einen Vater sehen wollen? Und doch konnte er das dumpfe Gefühl von Enttäuschung nicht ganz bezwingen. Mit Ablehnung wäre er wohl klar gekommen, doch mit dieser vollkommenen Kälte, dieser Gleichgültigkeit?

Die Lichter der Blendlaternen in der Ferne flackerten einen Moment Heller, als sich eine Patrouille näherte, nur um dann wieder zu verblassen, als sie erneut in den Wäldern verschwanden. Sie wollten für so lange wie möglich unbemerkt bleiben, während sie weiter nach Südosten zogen. Ihre größte Hoffnung war es, die Kultisten unvorbereitet zu treffen und so hoffentlich den roten heiligen aus der Reserve zu locken.

Eine Weile lang stand Merl Ismaiel nur Schweigend gegenüber. Und während die Minuten dahinzogen und die Glut in Ismaiels Pfeife langsam erkaltete, schien der ihn nicht einmal eines Blickes zu würdigen.

,, Was willst du ? , fragte der Magier schließlich barsch und zum ersten Mal lag wenigstens so etwas wie eine Emotion in seinen Worten. Wut und immer noch beißender Spot, als frage er sich, was überhaupt jemand von ihm wollen könnte. Es war immerhin besser, als Gleichgültigkeit.

Merl konnte einen Moment tatsächlich nicht antworten. Er gab keinen Grund für sein hier sein. Aus zweierlei Sicht. Langsam setzte er sich ins gefrorene Gras, dem Mann gegenüber.

,, Wer war meine Mutter ?“ Die Frage kam fast von selbst, ohne dass er irgendeine Kontrolle darüber gehabt hätte. Vielleicht konnte er auf sie Stolzer sein wie auf dieses… Ding.

Ismaiel zuckt lediglich mit den Schultern. ,, Ich habe mir ihre Namen nie gemerkt. Aber zugegeben ich war überrascht zu erfahren, dass eine meiner Partnerinnen… überlebt hatte. Ausgerechnet, wenn ich nichts mehr dagegen unternehmen konnte.“

,, Will ich überhaupt wissen, was das heißen soll ?“

,, Das du ein Fehler bist. Ich habe mich nur ein paar Mal in Momenten der Schwäche hinreißen lassen. Und ich habe dafür Sorge getragen, dass aus diesen Verbindungen niemals Kinder entstehen können. Vor unserem Fall wäre so etwas mit dem Tode bestraft worden. Danach… Die anderen die wenigen Überlebenden hatten es vielleicht vergessen. Aber ich nicht. Magie ist unser Erbe, nicht das der Menschheit. Eure Magier sind ein Fehler.“

Merl wendete sich angewidert ab. Götter, wie konnte ein einzelner Mann so viel Verbitterung in sich tragen? Selbst ein Jahrtausend der Einsamkeit rechtfertigte doch nicht einen solchen… Hass. Auf die Menschen ? Weil sie noch lebten? Und wenn stimmte was er sagte… Merl wollte gar nicht weiter darüber nachdenken, aber…

,, Du hättest meine Mutter also getötet, wenn du gekonnt hättest ?“

Ismaiel sah ihn an, als verstünde er nicht einmal, warum Merl noch fragte. ,, Wenn ich noch dazu in der Lage gewesen wäre, als ich erfuhr, dass sie Schwanger war… Ja. Und glaub mir, es wäre mir nicht schwer gefallen.“ Und schon wieder klang er absolut gleichgültig, als würde er nicht grade davon sprechen, gleich zwei Leben zu vernichten, aus keinem anderen Grund weil sie ihm unbequem waren.
Merl stand rückartig auf. Er hatte genug gehört. Seine Hand zitterte. Er wollte etwas sagen, irgendetwas. ,, Hast du dir selbst eigentlich schon mal zugehört ?“ Er versuchte nicht einmal länger die Enttäuschung zu verbergen. Die Wut… ,, Du klingst als hätten wir alle den Tod verdient. Und gleichzeitig meinst du die Unsterblichen hätten dein Volk im Stich gelassen? Weißt du was… sie hatten recht. Wenn alle von euch so waren wie du, dann war es das richtige sie sterben zu lassen. Und du bist nicht besser…“

,, Du weißt ja nicht wovon du sprichst.“ , zischte Ismaiel. Der Magier bewegte sich schneller als Merl je für möglich gehalten hätte, war mit einem Satz auf den Beinen und baute sich vor ihm auf. Seine Augen glühten, ein Wirbelwind aus grünem Feuer. Merl blinzelte nicht einmal. ,,Euer ganzer Aufstieg hätte nie sein dürfen. Alles was die Menschen erreicht haben… ging auf kosten meiner Art.“

,, Glaubst du ja ? Was willst du tun, mich auch töten?“ Er funkelte ihn kalt und herausfordernd zugleich an. Götter, war er jemals zuvor so wütend gewesen? Merl konnte sein Blut in den Ohren rauschen hören. Sein Blut… und das des alten Volkes. Er wollte es nicht mehr, wollte nichts mit dieser armen, kranken Kreatur zu tun haben. Allein die Vorstellung, dass sie zumindest eine Sache gemein hatten ließ Galle in ihm aufsteigen. Und kurz schien er den Hass zu verstehen, den Ismaiel spüren musste… mit nur einem Unterschied. Er hatte ihm nie einen Anlass dazu gegeben. Sie alle hatten das nie… Wäre er nach dem Fall seiner Art als Freund zu den Menschen gekommen, wie könnten die Dinge heute stehen? Stattdessen hatte er sich in seinen Groll und seinen stummen Zorn geflüchtet und einem Traum nachgejagt. Selbst als klar war, dass er ihn nie erreichen würde. Einen Moment war er tatsächlich überzeugt, das Ismaiel es tun oder zumindest versuchen würde. Die Hände des Magiers ballten sich zur Faust. Merl konnte spüren, wie die Luft um sie schwerer wurde, kleine Blitze sich um ihre Füße entluden. Und dann war alles vorbei. Plötzlich entspannte Ismaiel sich wieder, schien das grüne brennen seiner Augen sanfter zu werden und wieder etwas mehr von Zacharys Augenfarben hervorzutreten.

,, Geh.“ , knurrte er nur mit einer Stimme, die keinen Wiederspruch duldete. Merl drehte sich um, sagte kein Wort mehr. Es war genug. Selbst wenn er ihn nicht wegschicken würde, er würde diesem Mann auch keinen Augenblick länger zuhören. Einen Moment lang war es totenstill, bis das Klirren von Stahl sie durchbrach. Keiner von ihnen hatte bemerkt, wieWys sich erhoben hatte. Oder überhaupt noch an den Mann gedacht, was das anging. Nun jedoch gab er seine Wacht anscheinend auf. Das Schwert war zurück an seinen Gürtel gewandert. Als Merl schließlich davonstapfte, verschwand auch der Schatten des Gejarn-Archonten irgendwo zwischen den Bäumen.

Die Sonne ging grade erst auf und zeichnete einen dünnen, silbernen Steif an den Horizont. Die Wachfeuer waren mittlerweile so gut wie alle erloschen und ließen das Lager zumindest für die nächsten Minuten im Zwielicht zurück. Trotzdem herrschte bereits wieder reger Betrieb. Die letzten Wachen kehrten grade aus den Wäldern zurück, während andernorts bereits die ersten verschlafenen Gesichter aus den Zelten lugten. Die erloschenen Wachfeuer wurden alsbald von den Kochfeuern der Gardisten abgelöst, die sich bald daran machten, Wasser zu erhitzen oder die Reste des Abendessens aufzuwärmen.

Manche der Männer grüßten Merl im Vorübergehen, andere nickten ihm zumindest kurz zu und ein paar, die bereits Feuer entfachten boten ihm sogar Suppe, eine Pfeife oder eine Tasse heißen Tee an. Man kannte ihn mittlerweile hier und in der Garde war man Zauberern gegenüber nicht ganz so verschlossen wie unter der normalen Bevölkerung.   Zwar suchten auch die Gardisten nicht unbedingt die Nähe eines Ordenszauberers, aber sie wussten um seinen Wert und wenn sie ihn schon nicht schätzten, so erwiesen sie ihm zumindest einen gewissen Respekt. Was Merl anging, mochten ihn die Männer vielleicht auch , weil er keine so düstere Erscheinung war, wie die reglementierten und von einem Leben an der Grenze dessen was ihrem Körper und Geist zumutbar war entstellten Ordenshexenmeister. Er wirkte auf die Gardisten wohl schlicht nicht wie das, was sie sich unter einem Magier vorstellten. Trotzdem ging er schlicht achtlos an ihnen vorbei. Im Augenblick wollte er vor allem seine Ruhe. Aber daran waren sie nicht Schuld… Er zwang sich zumindest, die Begrüßungen kurz zu erwidern, während er zurück in Richtung des Zelts irrte, das er sich mit Armell teilte.

 

Kapitel 30 Aussprache

 

 

 

Die Sonne stieg grade erst über den Horizont. Mit den ersten, wärmenden Strahlen schwand auch der Bodenfrost etwas und verwandelte die platt getretenen Wiesen in eine Schlammwüste, durch die sich kleinere und größere Trupps aus Gardisten schleppten. Vermutlich planten Wys und die übrigen Befehlshaber bereits den Aufbruch und es würde nicht mehr lange dauern bis die nun von tausenden zelten bedeckte Ebene als leere , zertrampelte Fläche zurück bleiben würde.

Zu Merls Überraschung war Armell bereits auf, als er ihr Zelt schließlich erreichte. Die junge Adelige kniete vor einer simplen Feuerstelle auf der Erde und warf kleine Zweige in die Flammen, wann immer sie auszugehen drohten. Darüber köchelte auf einem simplen Gestell aus Steinen bereits ein Topf mit Wasser. Wie Merl sie so betrachtete, fiel es ihm schwer sich vorzustellen, dass sie jetzt eigentlich in einer Halle auf Hamad sitzen sollte um die Insel zu regieren. Stattdessen trug sie simple, von Schnee und Schlamm beschmutze Kleider und kochte Tee. Und dennoch hatte sie auf ihn nie schöner gewirkt, als in diesem Augenblick, mit der aufgehenden Sonne im Rücken, die ihr braunes Haar zum Leuchten brachte. Ein dünnes Lächeln stahl sich auf seine Lippen und zumindest ein Teil der rumorenden Wut in ihm verrauchte schlicht. D

Dennoch bemerkte Armell sofort, dass etwas nicht stimmte, als sie ihn schließlich bemerkte. Er konnte es ihr ansehen, wie sie die Stirn plötzlich in Falten legte. Doch sie sagte nichts, während er sich ebenfalls wortlos an das Feuer setzte. Bis jetzt hatte er die Kälte kaum gespürt, die ihm in die Glieder gekrochen war, nun jedoch prickelten seine Finger und Hände während er sie den Flammen entgegen streckte.

Armell hatte derweil ein Tuch um die Griffe des Topfs auf dem Feuer geschlungen und goss den Inhalt in zwei Becher. Der Geruch von frischem Tee schlug Merl entgegen, als sie ihm wortlos einen der Becher hinhielt. Irgendwie erinnerte es ihn an ihre Kindheit. Armell hatte fast mehr Zeit auf dem Rabenkopf verbracht als in Freybreak. Damals war es Zachary gewesen, der die durchgefrorenen Kinder irgendwann herein rief, wenn er Merl unterweisen… und sie beide wohl daran hindern wollte sich Erfrierungen einzufangen. Und es war Zachary gewesen, der ihnen wortlos Tassen mit heißem Tee oder Schokolade gereicht hatte, der seltsame stumme Zauberer, vor dem Merl sich damals noch gefürchtet hatte. Sie waren nur Kinder gewesen. Armell war immer die Abenteuerlustige von ihnen, die, die die Höhen und geheimen Winkel der Berge Silberstedts und von Zacharys Anwesen auskundschaftete… und ihn dabei meist ob er wollte oder nicht mit schleifte. Damals hatte er sie gefragt ob es ihr eigentlich gefiel, sich ins ungewisse zu stürzen. Und Insgeheim fragte er sich nun , was sie jetzt wohl antworten würde. Die Antwort würde kaum dieselbe sein wie vor all diesen Jahren, dafür hatten sie beide zu viel erlebt.

Er nahm vorsichtig einen Schluck Tee und erneut schien es ihm ein Stück besser zu gehen. Nicht viel. Und doch besser. Er zwang sich zu einem schiefen Lächeln, das Armell immer noch nicht sonderlich zu überzeugen schien.

,, Es ist nicht gut gelaufen, wie ?“   Nein, Nein das war es nicht. Sie musste nicht fragen, wo er gewesen war.

,, Er ist ein ungehobelter, verblendeter Bastard.“ Merl musste ihr nicht erklären, wen sie meinte. Sie wusste es , genauso wie sie wusste, wo er gewesen war.

,,Ohne Zweifel.“ Irgendetwas an ihrer Stimme klang beinahe belustigt. ,, Und nicht unbedingt ein guter Vater ?“

,, Dazu müsste er mich überhaupt erst einmal beachten.“ , knurrte Merl düster. ,, Wenn er uns nicht allen grade den Tod wünscht.“

,, Stimmt auffallend.“ Wieder dieser seltsame Unterton. Nahm sie ihn nicht ernst? Nein, er kannte Armell besser als das.

,, Und warum fühle ich dann immer noch so etwas wie Mitleid mit ihm ?“ , fragte er und diesmal schmunzelte Armell tatsächlich. ,, Ist daran irgendetwas lustig ?“

,, Ich dachte nur immer, das ich mich mit meinem Onkel nicht gut verstehe. Aber im Gegensatz zu euch scheint mir das im Nachhinein geradezu harmlos. Du würdest ihm gerne vergeben, oder?“

Merl zögerte mit der Antwort.   ,, Wenn es irgendeinen Grund dazu gäbe, vielleicht.“ Und vielleicht wünschte er sich sogar, dass er über das Hinwegsehen könnte, was dieser Mann war. Aber ob das noch möglich war… ,, Er hätte mich getötet, wenn er gekonnt hätte, sogar meine Geburt verhindert. Desto früher wir das hier alles hinter uns bringen, desto früher kann ich ihm aus den Augen gehen.“

Und was dann mit Zachary geschehen mochte ? Er wusste es nicht. Aber wenn Ismaiel sich weigerte ihn gehen zu lassen… wer könnte ihn daran hindern? ich, dachte Merl düster, während er in seinen Tee starrte, als könnte ihm sein eigenes, verzerrtes Spiegelbild irgendeine Antwort geben. Wenn es jemanden gab, der sich gegen den uralten Magier behaupten konnte, dann war er das.

Er sah auf, als er merkte, wie Armell sich vom Feuer erhob. Und als er ihrem Blick folgte, sah er schließlich den einen Mann den er im Augenblick am aller wenigsten gebrauchen konnte.

Ismaiel war mehrere Schritte von ihnen entfernt stehen geblieben, die Hände in den Ärmeln seiner , nein von   Zacharys, Robe verschränkt . Eine Weile, Merl wusste nicht zu sagen wie lange genau, starrten sie sich nur an, warteten vielleicht darauf, wer das Schweigen zuerst brechen würde. Doch diesen gefallen würde Merl ihm nicht tun. Wenn es sich irgendwie vermeiden ließ würde er kein Wort mehr mit diesem… Ding wechseln, das sich sein Vater nannte. Dann jedoch geschah etwas, mit dem er nie gerechnet hätte.

Der alte Magier senkte den Kopf, stand einen Augenblick gebeugt da. ,, Können wir reden ?“

Ein Teil von ihm, der größere, wollte ihn anschreien, ihn verjagen Hauptsache, er musste ihn nicht mehr sehen.

Armell legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter, bevor sie für ihn antwortete: ,, Natürlich.“

Trotzdem blieben sie einen Moment noch alle stehen wo sie waren. Armell war die erste, die sich wieder ans Feuer setzte und Ismaiel trat schließlich zögerlich näher. Wortlos nahm er einen weiteren Becher Tee entgegen, bevor er sich, die Beine überschlagen zu ihnen setzte.

,, Es tut mir leid.“ , sagte er schließlich, an niemand bestimmtes gerichtet. ,, In dieser Form fällte es mir schwer, mich zu konzentrieren. Woran dein Meister nicht ganz unschuldig ist.“

,, Das ist keine Entschuldigung.“ , meinte Merl ohne ihn anzusehen.

,, Es soll auch keine sein.“ Da war sie wieder, diese Verachtung, die sich in seine Stimme schlich. ,, Ich versuche nur zu erklären, warum ich die Geduld mit dir verloren habe. Eine Entschuldigung wäre nur Nötig, wenn es etwas zu verzeihen gäbe.“

Merl verbiss sich eine Erwiderung. Nicht vor Armell. Und er würde Ismaiel ganz sicher nicht den Triumph gönnen ihn so schnell aus der Reserve zu locken. Doch als er den Blick hob, saß dieser immer noch mit gesenktem Kopf da und stocherte mit einem Ast im Feuer.

,, Ich bin nicht was du erwartest und sind wir ehrlich… ich werde es nie sein. Aber für dich tut mir das Leid.“

,, Du hättest sie getötet.“ Merl war nicht bereit, ihn so einfach davon kommen zu lassen.

,, Vielleicht.“ , gestand Ismaiel. ,, Und vielleicht auch nicht. Es war noch nie nötig. Und letztlich starb sie ohne mein Zutun, nicht? Und ich habe Zachary zu dir geführt…“

,, Weil du einen Körper brauchtest. Glaub mir ich habe keine großen Erwartungen mehr. Aber wenn du glaubst ich bin dumm, dann geh besser jetzt.“ Merl war aufgestanden , starrte auf den Mann hernieder, der ihm nach wie vor nicht in die Augen sehen wollte.

,, Nicht dumm. Nein das ganz sicher nicht.“ Endlich sah Ismaiel auf. ,, Aber so unerfahren. So schwer es mir fällt mir das einzugestehen. Du bist alles, was von meinem Volk noch übrig ist. Und doch bist du kaum mehr als ein Kind. Selbst wenn ich ein Jahrhundert Zeit hätte, dir alles beizubringen, es würde nicht ausreichen, dir auch nur das Wissen eines Kindes meines Volkes zu vermitteln. Es würde Vor dem hundertsten Lebensjahr wurde bei uns selten jemand auch nur als Erwachsener angesehen.“

,, Wir sind also alle nur Kinder für euch ?“ , fragte Armell.

,,Kinder die mit Mächten agieren die sie nicht verstehen. Brutale, unzivilisierte Kinder, die nicht wissen, dass sie die Welt mit ihren Taten in Brand stecken könnten.“

,, Was und deshalb habt ihr das Recht uns zu vernichten ?“

,, Ich habe versucht meine Art zu retten, Junge. Das ist mehr als man von eurem Kaiserbehaupten kann. Er hat nur zugesehen, als er noch handeln konnte. Vielleicht liegt es jetzt an uns beiden, diesen Fehler zu korrigieren.“ Ismaiel ließ eine Hand in er Tasche seines Mantels verschwinden. Als er sie wieder hervorzog lag etwas darin, das Merl zum letzten Mal vor einem gefühlten leben gesehen hatte. Ein tropfenförmiger, blauer Stein in einer Fassung aus Silber. Eine feingliedrige Kette hing davon herab, angelaufen vom Alter. ,, Ich denke du solltest das hier haben. Zumindest meint Zachary das wohl.“

Einen Moment war er Versucht, das Geschenk abzulehnen. Sollte das etwa eine Entschuldigung sein?

Merl sah auf und direkt in diese von grünem Feuer erfüllten Augen, die Zachary gehörten und doch gleichzeitig nicht. Dann schloss seine Hand sich um das Amulett.

,, Das hat nichts zu bedeuten.“ , erklärte der Magier kühl und Merl nickte lediglich. ,, Ich habe lediglich keine Verwendung mehr dafür. Es wäre schlicht Verschwendung es zu behalten. Du jedoch wirst seine Macht gut gebrauchen können. Und ich werde deine Hilfe noch nötig haben.“

Nun er würde zumindest nicht zugeben, dass es eine Entschuldigung war, dachte Merl, als er die Kette über seinen Kopf streifte. Das Gewicht der Träne auf seiner Brust war vertraut und unangenehm zugleich. Es gehörte ihm nicht. Es gehörte Zachary. Aber Zachary… war nicht hier.

,, ich nehme es nur, bis mein Meister sie zurück will.“ , erklärte er und der warnenden Unterton in seiner Stimme entging Ismaiel wohl nicht.

Der alte Magier seufzte. ,, Wir werden uns darüber unterhalten müssen, schätze ich. Aber nicht heute. Eines Tages wirst du mich vielleicht besser verstehen.“ Merl bezweifelte es. ,, Und dennoch gibt es Dinge, die du besser vorher erfährst. Du bist jetzt alles, was von meiner Art noch übrig ist. Ich bin nur noch ein Geist und selbst wenn ich die Kraft aufbringen kann, weiterzumachen… ich will nicht, das die Geschichte meines Volkes mit mir gestorben ist. Wirst du mir zuhören?“

Merl nickte. Zumindest das konnte er tun.

,, Mein Volk glaubte, dass es von den Sternen abstammte. Von einem Wanderer in der Leere der alten Zeit, als noch alles ungeformt und die Welten nichts als Staub waren. Ein Wesen, das aus dem Nichts kam und vielleicht wieder dorthin verschwand. Der Sternenschmied. Doch die große Leere der Welt erfüllte jenes Wesen mit Trauer und so nahm er die Nebel und verdichtete sie und schlug in einer Esse den ersten Funken daraus. Diese Funken wurden zu den ersten Sternen und erhellten das Dunkel für das erste Mal in Äonen. Die Nebel wichen zurück und was einst bloße Leere gewesen war, wurde zu einem Meer aus glimmenden Diamanten. Die Sterne jedoch wollten nicht das einzige im Dunkeln bleiben und so wendeten sie sich an den Schmied mit ihrer Bitte, die Welten füllen zu dürfen. Und der Sternenschmied erhörte sie. Einer der ihren wurde auf dem Amboss gelegt und geformt, seine Überreste über die leeren, kalten Welten verteilt. Noch waren sie Karg, als die Funken des Lebens über ihnen neidergingen, doch mit der Zeit spross das erste Leben, Pflanzen, Tiere in tausenden Formen und die Sterne erfreuten sich eine Weile daran. Doch dann wollten sie ein Wesen finden, das für die Welt die sie erschaffen hatten nicht taub und tumb war. Eines, das wie sie die Schöpfung verstehen und formen konnte. Und so erwählten sie sich einige der entstandenen Wesen und gaben ihnen die Kraft des Denkens und des Erkennens, wie sie sie besaßen.

Der Sternenschmied, der über all diese Zeit durch die Leere gewandert war, besaß sich die Schöpfung seiner Sterne und wie diese erwählte auch er schließlich eine Art. Wesen, die wie er den Willen besaßen die Welt umzuformen, doch mit bloßem Willen und unendlicher Geduld und Ausdauer. Dieses Volk wurde zu den Zwergen… Und vielleicht erklärt es auch, warum sie so resistent gegen Magie und für die Unsterblichen so schwer zu korrumpieren sind. Sie sind aus ihrer reinsten Form geschaffen worden, vom ursprünglichen Funken aller Dinge.

,, Und die Erwählten der Sterne, wurden zum alten Volk nehme ich an ?“

Ismaiel nickte. ,, Aber nicht nur.   Einer der Sterne stieg zu ihnen herab und bot ihnen einen Teil des Funkens an, den der Sternenschmied einst ihn ihnen schlug. Den Funken der Magie. Die Macht die Welt zu formen wie sie es vermochten. Diejenigen die dieses Geschenk annahmen, wurden zu den ersten Mitgliedern des alten Volkes. Doch gab es unter ihnen auch jene, die die Gabe der Sterne ablehnten und die Welt lieber weiterhin mit ihren eigenen Händen beherrschen wollten, wie es die Zwerge taten und wie sie es seit dem Erwachen ihrer Intelligenz getan hatten. Es kam zu einem Streit und die Sterne begannen den freien Willen ihrer Schöpfung plötzlich zu fürchten. Sie hatten Wesen nach ihrem Bild gewollt, nicht etwa welche, die sie ablehnten und sie fürchteten. Die Folge war ein Krieg. Der erste krieg, der jemals geführt wurde. Das alte Volk vertrieb jene, die die Gaben der Sterne abgelehnt hatten in den eisigen Norden ihrer Welt wo sie zu den ersten Menschen wurden. Wie sie in der Ödnis überlebten ist mir nicht bekannt, doch sie taten es. Vielleicht hatte sich der Sternenschmied in ihr Schicksal eingemischt, als er sah, wie die Schöpfungen die aus seiner Schmiede hervorgingen sich gegeneinander wendeten. Und vielleicht gab es noch andere Wesen wie ihn, die Mitleid mit den Menschen hatten, wer weiß? Doch unter den Menschen entstanden nach ihrer Vertreibung mächtige Führer, die ersten Seher, die sie auch in den unwirtlichen Eiswüsten am Leben erhielten.

Währenddessen wuchs das alte Volk heran und wir vergaßen unsere Ursprünge. Und schließlich hatten wir selber Versucht, den Funken der Göttlichkeit zu replizieren unsere eigenen Götter und Schöpfungen zu formen. Wie das Ausging, wisst ihr ja mittlerweile. Mein Volk ging unter und die letzten Überlebenden gingen in der Menschheit auf. Ich schätze, all eure Magie heute stammt immer noch aus diesen wenigen Vereinigungen. Vermutlich ist also mittlerweile euer ganzes Volk mit Spuren des alten Bluts durchsetzt.“

,,Und die Gejarn ?“ , wagte Merl schließlich zu Fragen. ,, Du hast sie nicht erwähnt.“

,, Ein Mysterium. Selbst ihre Seelen verhalten sich anders als die der Sternengeschaffenen Rassen. Sie sind nicht an die goldenen Hallen gebunden wie wir. Vielleicht wurde sie von demselben Wesen geschaffen, das dereinst die Menschen rettete? Und vielleicht ist alles, was ich euch grade erzählt habe auch nur eine alte Geschichte…“

,, Und der Schmied ? Was wurde aus ihm?“

,, Wer weiß. Vielleicht ist er noch immer irgendwo da draußen, weiter hinaus in die Leer gewandert um neue Welten zu erschaffen. Und vielleicht ist er gestorben? Wer weiß schon, ob die Götter wirklich Unsterblich sind. Er scheint sich jedenfalls nicht mehr um uns zu kümmern, als die Unsterblichen. Und wir verlassen uns besser auch nicht darauf. Nein, wir werden es alleine sein, die dem roten heiligen entgegen treten.Und er wird mich persönlich herausfordern wollen. Ich habe seinen Herrn einmal fast vernichtet. Und der Herr der Ordnung ist ein nachtragendes Wesen. Er wird sich die Rache nicht entgehen lassen…

Kapitel 31 Heimkehr

 

 

 

Die Überfahrt verlief ruhig. Lediglich einmal waren sie in die Ausläufer eines Wintersturms geraten, der das Deck gefährlich zum schwanken gebracht und Wellen über die Planken gespült hatte. Nun jedoch, wo sie sich der Küste näherten, war das Wasser wieder still und die Luft eisig und still. Galren hatte das Gefühl auf See zu sein vermisst. Etwas, das ihm erst wirklich bewusst geworden war, nachdem er nach einer Ewigkeit wieder das Schwankende Deck unter den Füßen gespürt hatte. Das Gefühl, wie der Schiffsboden bei jeder Welle rollte, das leichte knarzten der Planken und der Geruch von Salz in der Luft. All dies gehörte auf Tiefste zu ihm, hatte es immer getan. Und das nicht nur wegen seiner natürlichen, oder wohl eher unnatürlichen, Fähigkeit sich auch auf offener See zu Recht zu finden.

Schon als Kind war er mit den Fischern in Maillac rausgesegelt, wenn auch immer in Sichtweite der Küste und später nachdem sein Vater verschwunden war, hatte ihn nichts davon abhalten können, in seine Fußstapfen zu treten. Vielleicht war es damals noch jugendlicher Leichtsinn gewesen, der Traum ihn eines Tages zu finden. Nun am Ende hatte er genau das getan. Und im Nachhinein betrachtet wäre es wohl besser gewesen, wenn nicht.

Naria hatte ihm ein frisches Flächen mit ihrer Tinktur mitgegeben und bisher schien sie immerhin zu wirken. Er schlief traumlos und ruhig, auch wenn er sich morgens eher fühlte, als hätte ihm abends einfach jemand einen Hammer über den Schädel gezogen. Und neben der dünnwandigen Kristallphiole hatte die Gejarn ihm noch etwas anderes zugesteckt. Galren berührte den kleinen, weißen Kristall in seiner Tasche nur um sich zu versichern, dass er immer noch da war. Er sah fast genau aus wie der, den sie ihm bei seinem ersten Abschied aus der fliegenden Stadt geschenkt hatte. Mit einem Unterschied. Dieser hier könnte ungeschehen machen, was der erste Erschuf. Trotz ihrer Gegensätze, irgendwie hatten Lias und Naria am Ende doch respektieren gelernt.

Eis hatte sich in einer Schicht auf den Tauen und Segeln des Schiffs festgesetzt und auch am Rumpf und auf den Planken hatte sich ein dicker Kristallpanzer gebildet, der es gefährlich machte, das Deck überqueren. Galren hatte sich als Schutz vor der Kälte einen schweren Wollumhang um die Schultern gelegt und ein paar Handschuhe angezogen, trotzdem konnte er jeden Windhauch bis auf die Knochen spüren.   Die Winter auf Hamad waren schon immer grausam gewesen, vor allem hier an der nördlichen Küste der Insel. Und doch genoss er dieses Gefühl, scheine selbst die eisigen Windböen von Zuhause zu sprechen…

Elin hingegen war die Kälte deutlich weniger gewohnt und hatte sich in einen schweren, Mantel gehüllt, der ihr zu groß war und hinter ihr über den Boden schleifte. Dazu kamen ein dichter, schwerer Wollrock über ihren Hosen und eine Mütze, die mit ihrem schreiend roten Farbton bereits bei der Mannschaft für Belustigung gesorgt hatte. Nach dem Spott der Matrosen allerdings, hatte die Gejarn wohl erst recht für sich entschieden, sie weiter zu tragen.

Das Schiff tauchte in eine Nebelbank ein. Eisflocken wirbelten durch die Luft, die sich in einer dünnen Schicht auf seinen Mantel legten, während eine Welle den Boden unter Galrens Füßen schwanken ließ.

Unter Deck wäre es sicher wärmer, dort brannten in kleinen Eisenöfen Feuer vor denen sich die Crew versammelt hatte. Doch Galren dachte gar nicht daran, als das Schiff den Nebel wieder hinter sich ließ. Am Horizont waren so eben die ersten Gipfel von Hamad aufgetaucht. Schwarzer Granit und gleißend weißer Schnee wechselten sich miteinander ab, während die Insel langsam vor ihnen aus dem Meer erhob. Sie war klein, das wusste er und aus der Ferne betrachtet wirkte sie sogar winzig. Nicht viel größer als eine Münze und doch schon zum Greifen nahe. Im Sommer konnte man innerhalb von wenigen Tagen die gesamte Küste umrunden und das Meer war selbst im Zentrum der Insel nie weiter als einen halben Tagesmarsch entfernt. Und doch war es seine Heimat, dachte Galren. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass er sie das letzte Mal gesehen hatte. Damals waren die Küsten noch grün gewesen und Freybreak… Galren sah auf den größer werdenden Hafen hinaus. Nun, vor Freybreak hatten sich die Schiffe damals noch nicht gestaut, dachte er mit einem Lächeln. Freybreak war damals noch ein völlig anderer Ort gewesen. Wenn Armell das nur sehen könnte.

Jeder Pier der Stadt war doppelt und dreifach besetzt, insgesamt wohl mehr als einhundert Schiffe, die sich trotz der Witterung und des Kriegs bis hier herauf gesagt hatten. Ihre Masten und Taue bildeten einen dichten Wald , der bereits aus der Ferne kaum zu überblicken war und der Hafen selbst war ein wuselndes Meer aus Menschen. Manche trugen Kisten mit Tüchern, Fischen, Krüge voll Öl und Gewürzen, andere unterhielten sich über den allgemeinen Lärm   hinweg. Oder versuchten es zumindest. Händler, von den örtlichen Fischern bis hin zu den Gewürzhändlern und den fliegenden Krämern die sich als blinde Passagiere auf den Schiffen versteckt haben mochten, riefen ihre Waren aus und boten sie im Schein großer Kohlebecken feil, an denen sich ihre Kundschaft die Hände wärmen konnte.

Freybreak war auf einer Seite vom Meer und von drei von hoch aufragenden, grauen Klippen umschlossene. Die Berge schirmten die Stadt fast vollständig vom Rest der Insel ab, so dass sie nur über steile Treppen oder über den Seeweg zu erreichen war. Die Felsen wiederum , die bis in die grau-grünen Wogen hinein reichten, formten eine geschützte Bucht , die zumindest die schlimmsten Unwetter abhielt und so einen natürlichen Hafen schufen . Und die ständig den Gezeiten ausgesetzten Steine boten guten Untergrund für Muscheln und mit ihnen einer Unzahl Fische, welche die Fischer Feybreaks mit großen Netzten direkt von den Klippen aus an Land ziehen konnten. Die mutigeren wagten sich auch in kleinen Ruderboten bis an die Klippen um dort ihre Angeln auszuwerfen oder Muscheln und Austern zu ernten. In früheren Zeiten hatte sich die Stadt fast ausschließlich über den Fischfang versorgt. Somit war der Hafen schon immer mit Abstand der wichtigste Teil der Stadt gewesen, selbst als die Stadt nach dem Krieg des Aristokratenbunds drohte in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Nun jedoch konnte Freybreak dem Andrang der Händler kaum noch standhalten wie es schien und Galren begann sich insgeheim zu fragen ob nicht grade der Krieg der Grund dafür sein mochte. Überall in Canton brannte das Land. Nur nicht hier. Hier erwarteten die Händler noch einfache Geschäfte und sichere Abnehmer für ihre Waren. Hingegen bezweifelte Galren, das man sie in Erindal noch willkommen hieß, wenn von der Stadt überhaupt mehr als eine rauchende Ruine geblieben war. Hamad jedoch war von den Kämpfen bisher so gut wie unberührt geblieben und zu seiner Erleichterung hatte er bisher auch keinen Prediger oder die rote Hand des Herrn der Ordnung entdecken können. Allerdings war es selbst aus der Nähe schwer, einzelne Personen im Gedränge auszumachen.

Als sie schließlich eine freie Anlegestelle fanden, mussten der Kapitän zuerst die Menschenmengen mit wildem Flüchen und Armwedeln bei Seite scheuchen, damit man überhaupt eine Planke hinab lassen konnte ohne jemanden zu erschlagen. Elin sprang bereits von Bord, noch bevor die Laufplanke ganz den Kai erreicht hatte und lief mit großen Augen in Richtung Hafen. Der Wind der über die Piers wehte war genau so bitterkalt wie der auf See und von den Dächern der großen Steinhäuser und hölzernen Lagerhallen, die das Hafenbecken säumten hingen Eiszapfen wie Reihen von gläsernen Dolchen. Und trotzdem musste Galren unwillkürlich lachen, als er Elin nachsah und sich selbst mit ihrem Gepäck über der Schulter auf den Weg machte. Für den Moment spürte er die Kälte nicht einmal mehr.

Die Stadt erblühte geradezu, trotz der eisigen Temperaturen. Schneeflocken rieselten aus dem grauen Himmel auf sie herab, verdampften in Fackeln und Kohlebecken. Die Hafenmole war fast komplett mit Eis überkrustet, das jeden Schritt tückisch rutschig mache. Und dann fand er schließlich Elin wieder, die dort wo der hölzerne Steg in das Fundament der Stadt überging auf ihn wartete.   Gischt und Schneeflocken wirbelten um sie, verfingen sich in ihrer Kleidung und ihrer Mütze, die sie mit einer Hand festhalten musste, damit sie nicht einfach wegflog. Sie schien ihm nie schöner gewesen zu sein wie in diesem Augenblick. Galren nahm sie in den Arm, bevor er überhaupt wusste was er tat, lachte erneut. Er war daheim, dachte er, als er sie wieder losließ. Für einen Moment zumindest…

Elin legte ihre Hand in seine, als sie sich auf den Weg fort vom überlaufenen Hafen und weiter ins Stadtinnere machten. Vor nicht einmal einem Jahr waren die Fenster der meisten Häuser vernagelt und selbst die   Gasthäuser geschlossen gewesen. Nun jedoch leuchtete warmes Licht aus den Fenstern, in denen sich meist sogar echtes Glas befand und warf seinen Schein auf den Schnee draußen und aus den Gasthäusern drang der Duft von bratendem Fleisch und Bier und undeutliches Stimmengewirr.

Einmal überhörten sie eine Gruppe Händler, die sich direkt im Eingangsbereich einer völlig überfüllten Taverne niedergelassen hatten und sich offenbar über ihre Konkurrenten unterhielten.

,, Die Händlergilde wird langsam zu einer echten Macht. Die Zeiten wo es hier nur ein paar vereinzelte Kaufleute gab die alles bestimmten ist vorbei.“ , meinte einer, ein Mann mittleren Alters , der sich in schwere, dunkle Pelze kleidete, die ihn mehr wie einen Jäger den wie einen Kaufmann wirken ließen.

,, Ich habe gehört sie hätten Obarst D'Ambois aus der Stadt gejagt. Ist da was dran?“, fragte ein anderer, der bunte Roben trug, die für die Witterung gänzlich ungeeignet schienen. Vielleicht ein Händler aus Erindal oder Lasanta.

,, Und ob. Nach der ersten Ratssitzung hat er gepackt. Sein Haus ist leer, bis auf die Diener. Es heißt, er hätte die Stadt Richtung Süden verlassen, vielleicht nach Risara.“ Der dritte Sprecher war ein Gejarn im feinen Mantel eines Edelmannes, bestickt mit Silber und Gold.

,, Nun, zumindest gibt es da genug Wein.“ , meinte wieder der Mann im braunen Pelzumhang und hob zur Demonstration einen Kelch mit dunklem Roten. ,, Auf das wir ihn so schnell nicht wiedersehen mögen.“

,, Es wurde auch Zeit, dass jemand etwas gegen ihn unternimmt. Der Mann war nicht mehr tragbar. Angeblich hat er versucht die Pachtmeister am Hafen zu bestechen, damit sie einigen Händlern Plätze verweigern. Nur damit er sein persönlichen Geschäft schützen kann.“

Nun wenn das stimmte, dachte Galren, als sie weitergingen, wäre Armell ein weiteres Problem los. Erneut musste er unwillkürlich grinsen. Der Tag wurde tatsächlich noch besser. Immer noch Seite an Seite erreichten sie schließlich eines der Tore Freybreaks. Wobei Tor wohl kaum das Richtige Wort dafür war. Der einzige Schutz, den die Stadt brauchte bestand in den Bergen selbst und so war die Stadtmauer entsprechend kaum mehr als ein mannstarker Steinwall, der durch einen Bogengang unterhöhlt wurde. Dahinter stiegen beständig die schneebedeckten Stufen nach oben über die Felsen und Grate der Berge. Wenn sie sich beeilten würden sie es heute noch bis in die nächste Siedlung schaffen um sich dort eine Unterkunft zu suchen. So überfüllt wie die Stadt war bezweifelte Galren bereits, dass sie hier ein Gasthaus finden konnten.

Am Ende kostete die Reise von Freybreak nach Maillac sie fast drei ganze Tage. Durch den Wintereinbruch waren viele Straßen fast unpassierbar geworden oder gänzlich unter Schnee und Eis verschwunden. Mehrmals mussten sie in kleineren Dörfern vor Wind und Schneeregen Schutz suchen, der nur heftiger zu werden schien, je näher sie ihrem eigentlichen Ziel kamen. Ein paar Mal verschüttete der Schnee den Weg dem sie folgten, so dass sie sich nur noch Querfeldein bis zur nächsten Ortschaft durchschlagen konnten um nach dem Weg zu fragen.

Doch Galren ließ sich davon nicht entmutigen. Im Gegenteil. Er hatte es nicht eilig und nachdem er endlich wieder hier war, interessierte er sich brennend für das, was sich alles verändert haben mochte. Ein paar der Leute bei denen sie Unterschlupf suchten kannte er sogar, auch wenn es sie meist einige Zeit brauchte bis sie ihn auch   wiedererkannten. Er hatte sich verändert und das nicht nur durch Wunden und Schlafmangel. Auch wenn die Verbrennungen ihm nur noch wenige Beschwerden bereiteten, ging er leicht schief, eine Angewohnheit die er wohl nicht mehr so schnell loswerden würde. Und wenn er sich selber im Spiegel betrachtete sahen ihn ausgebrannte, graue Augen an. Nein, ganz hatte er sich noch nicht erholt. Aber er war auf dem besten Weg, sog die Kalte, klare Luft ein und genoss die verschneite, gefrorene Landschaft. Mit seiner Gabe hätte er sicher einen schnelleren Weg nach Hause finden können, doch noch zögerte er seinen Fähigkeiten wieder zu vertrauen. Die letzten Tage waren traumlos gewesen, obwohl er Narias Tinkturen gelassen hatte wo sie waren. Vielleicht war es tatsächlich vorbei, dachte er. Vielleicht hatte Ismaiel den Herrn der Ordnung auch längst besiegt… oder dieser zumindest seine Aufmerksamkeit von ihm abgewendet, jetzt wo er nicht einmal mehr das Schwert besaß. Galren vermisste das vertraute Gewicht an seiner Seite und gleichzeitig war es doch eine Erleichterung. Er war wieder frei, sein Geist gehörte wieder ihm… Und am Abend des dritten Tages ihrer Wanderung kam schließlich Maillac in Sicht.

 

Kapitel 32 Stein zu Stahl

 

 

 

Maillac erhob sich auf einer Reihe kleiner Hügel direkt am Meerufer. Im Sommer weideten Schafe und Ziegen auf den weitläufigen Wiesen und bis an die dichten Tannenwälder im Rücken der Siedlung heran, nun waren die Koppeln jedoch verlassen und unter einem Fuß Schnee verschwunden. Zwischen den Häusern des Dorfes selbst hatten die Bewohner einige Pfade aus gefrorenen Schlamm fei geräumt der unter Galrens Füßen wie Glas zersprang als er und Elin die Gebäude passierten. Die ersten Leute , die sie sahen spähten noch vorsichtig hinter den Fenstern ihrer Häuser hervor, doch dauerte es nicht lange, bis die erste Tür aufflog und eine gebeugte Gestalt heraustrat. Der in eine grau grüne Robe gekleidete Mann blinzelte ihn ungläubig an. ,,Galren ? Götter seit ihr das wirklich?“ Das war Meran , der Dorfheiler. Seit jenem Tag an dem ein viel jüngerer Galren einen verletzten Lias in das Dorf geführt hatte, war der Mann sichtlich gealtert. Seine schon damals ausgehenden Haare waren fast völlig verschwunden und die wenigen noch vorhandenen völlig ergraut. Und dennoch war seine Stimme überraschend kräftig, als er mit den Händen einen Trichter formte und rief: ,, Leute, Galren ist zurück!“ Sofort gingen überall weitere Türen auf und bekannte Gesichter stürmten auf ihn ein. Alte Freunde, Bekannte, aber auch einige Fremde waren darunter. Mit dem Aufschwung Freybreaks kehrte das Leben wohl auch an diesen Ort zurück. Doch ob nun alte Bekannte oder nicht, alle überfielen sie ihn mit Fragen.

,, Wen habt ihr da mitgebracht ? Es hieß ihr seid tot… wo seid ihr gewesen? Wart ihr wirklich in der fliegenden Stadt? Was geht vor sich, es heißt Erindal wäre zerstört worden.“ Er konnte gar nicht so schnell antworten und musste sie bald mit den Händen abwehren um nicht schlicht erdrückt zu werden und über den allgemeinen Trouble verstand ihn sowieso niemand. Und doch lachte er, hatte sich selten wohler und willkommener Gefühlt. Und im Austausch für ihre Fragen bestürmten ihn die Dörfler auch gleich mit dem neuesten Tratsch von der Insel selbst. ,, Habt ihr gehört das man Obarst aus Freybreak vertrieben hat ? Karwen hat das alte Gasthaus wiedereröffnen können. Meran meint wir sollten einen neuen Schmied aus einem der Nachbarorte anwerben.“ Und so ging es weiter über tausend Dinge und Kleinigkeiten, bis Galren selbst mit den Gerüchten nicht mehr hinterher kam, umringten die Leute ihn und Elin in der Kälte. ,, Bitte.“ , rief er schließlich. ,, Später haben wir noch genug Zeit uns gegenseitig Geschichten zu erzählen.“

,, Sicher doch.“ , meinte Meran der Heiler grinsend. ,, Als erstes erzählt ihr mir, warum ihr schon wieder einen Gejarn hier anschleppt. Das wird langsam zur schlechten Angewohnheit.“ Er sah zu Elin. ,, Die ist allerdings deutlich kleiner als der Letzte, falls ihr daran dachtet uns einen neuen Schmied mit zu bringen.“

,, Immerhin habe ich noch Haare.“

Elins bissige Bemerkung brachte den alten Mann nur herzhaft zum Lachen, während er den Rest der Dörfler mit den Armen wedelnd zu verscheuchen suchte.   ,, Na kommt ihr erdrückt uns den armen Jungen noch.“, meinte er. ,, Falls ihr ein paar Geschichten loswerden wollt Galren, ihr findet uns heute vermutlich alle bei Karwens Gasthaus.“

,, Ich verspreche nichts, wenn Karwens Selbstgebrautes nicht um einiges besser geworden ist.“ , antwortete dieser ihm. ,, Ich weiß noch nicht wie lange ich bleiben kann. Für s erste wollte ich… nach Lias sehen.“

Der Heiler nickte. ,, Verstehe. Reisende soll man nicht aufhalten. Aber es ist schön euch wieder einmal hier zu haben. Die Leute freuen sich wirklich über eure Rückkehr.“ Mit diesen Worten drehte Meran sich um und verschwand den anderen hinterher in einem der größeren Häuser das ein Schild als Gasthaus auswies.

,, Ich mich auch.“ , murmelte Galren. Doch wurde ihm so nur umso schmerzhafter wieder bewusst, das Lais nie wieder zu dieser bunten Truppe gehören würde, die ihn begrüßte. Er sah zu der Stelle, wo sich die alte Schmiede des Gejarn über dem Dorf erhob, etwas abseits des dichter besiedelten Kerns der Siedlung mit seinen Stegen, die bis ins aufgewühlte Meer hinaus reichten. Niemand hatte sich die Mühe gemacht den Schnee vom Weg zu räumen, so dass sie während ihres Aufstiegs bis zu den Knien einsanken. An der Schmiede selbst hatte sich so gut wie nichts verändert. Amboss und Schmelze waren kalt, ansonsten stand noch alles genau so da, wie Lias es zurück gelassen hatte. Vor einer Ewigkeit…

Galren schüttelte sich den Schnee aus den Kleidern als er unter das niedrige Dach trat und sich umsah. Selbst die Werkzeuge des Gejarn waren noch da, hatten nicht einmal Rost angesetzt, als er einen der Hämmer aus seiner Halterung zog. Galren hatte nicht damit gerechnet das alles so vorzufinden. Es schien beinahe so, als wäre er nur kurz fort gegangen und würde jeden Moment zurückkehren. Doch in den Fenstern brannte schon lange kein Licht mehr und sowohl die Schmiede als auch der Schornstein der Hütte waren rauchlos und Kalt.

,, Galren ? Alles In Ordnung ?“ Elin die bisher vor dem Vordach der Schmiede gewartet hatte trat zu ihm und sah sich um.

,, Nur ein paar alte Erinnerungen.“ Er ließ den Hammer auf dem Amboss zurück, als er wieder ins freie trat. Der Waldrand war von hier nicht mehr fern. Und damit auch sein eigenes Ziel. Gerne wäre er zuerst zu seinem Haus zurückgekehrt um dort nach dem Rechten zu sehen, doch gab es etwas, das er zuvor tun musste. Der kleine Kristall in seiner Tasche schien plötzlich schwerer zu werden. ,, Kannst du hier auf mich warten ? Es wird nicht lange dauern.“

Elin nickte und Galren amtete erleichtert auf. Er musste sie nicht hiermit belasten. Wenn es getan war konnte er vielleicht wirklich anfangen, den ganzen Wahnsinn für ein paar Tage zu vergessen. Als er wieder in den Schnee hinaus trat, traf ihn die Kälte wie ein Peitschenhieb. Seine Hosenbeine waren durchnässt und nun begann der Stoff auch noch zu frieren. Aber es würde nicht lange dauern. Das hatte er zumindest Elin versichert. Die Gejarn blieb langsam hinter ihm zurück, ein Schatten im Windschutz von Lias Hütte. Und dann hatte er die ersten Bäume erreicht und verlor sie Endgültig aus den Augen. Er war alleine als er das Grabmal schließlich wiederfand. Es wurde von einem steinernen Schwert markiert, das in einem einfachen, zierlosen Sockel saß. Scharten durchzogen die Klinge, schienen von Jahren der Benutzung zu sprechen, genau wie das abgegriffene, verformte Leder des Griffs. Selbst wenn es nun Fels war, einst hatte genau diese Waffe Lias begleitet. Seit dem Tag an dem Galren ihn zum ersten Mal getroffen hatte. Bis zu seinem Tod. Es gab keine Inschrift, aber das war auch nicht nötig. Er wusste nur zu gut, wer hier lag. Und wenn Galren ehrlich zu sich war, dann markierte das unscheinbare Steinmonument den letzten Ruheort zweier Personen, selbst wenn nur einer darin lag. Von Lias… und auch von Varan Lahaye, seinem Vater. Was auch immer von diesem am Ende noch geblieben sein mochte. Wenig. Nichts. Er würde nicht zulassen, dass es ihm genau so erging.

Eis hatte sich an der Parierstange des Steinschwerts festgesetzt, formte dünne Stacheln, die Richtung Erdboden ragten. Zögerlich nahm Galren den Kristall aus der Tasche, weiß wie der Schnee um ihn herum. Er selbst hatte Naria darum gebeten, doch plötzlich fühlte er sich nicht mehr wohl dabei. Er konnte Lias nicht mehr um Erlaubnis fragen. Einst hatte er Versprochen, seine Geschichte bis nach Helike zu tragen, wenn er konnte. Nun schien dieses Versprechen unerfüllbar geworden zu sein. Und doch würde man von ihm erzählen. Respektvoll legte er den Kristall schließlich auf den Knauf der steinernen Waffe und drückte zu. Der Zauber zersprang wie Glas. Halb erwartete er den Schmerz zu spüren, als sich die Splitter des Kristalls in seine Haut bohrten. Stattdessen jedoch zerstoben sie wie Schnee, weich wie Federn, verloren ihre feste Form und rieselten an der Klinge herab. Und mit den hellen weißen Funken der Magie fiel auch der Stein von der Waffe ab, als hätte er sich verflüssigt ohne wirklich zu schmelzen. Das Eis am Heft brach zuerst, bröckelte herunter und legte feines, geschmeidiges Leder frei. Dann wich der stumpfe Fels über der Klinge zurück, legte grauen, scharf geschliffenen Stahl frei. Das Schwert war schwer, als er zum ersten Mal die Hände um den Griff schloss und daran zog.   Lias war größer und stärker als er gewesen. Doch nach einem kurzen Moment des Wiederstands löste sich der Stahl schließlich von seinem Sockel und Galren stolperte mit der Waffe in der Hand zurück. Einen Moment glaubte er das Gesicht des roten heiligen wieder vor sich zu sehen. Wie ein Tagtraum. Oder besser ein Tagalptraum.

Ich werde dich hiermit töten, schwör er stumm. Die Antwort die er erhielt, war ein dünnes Lachen. Ein Lachen das ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Und von einem Moment auf den anderen waren sowohl der Wald als auch die verschneite Landschaft fort. Stattdessen schlug ihm stickige Wärme entgegen, als er sich im Halbdunkeln wiederfand. An einem Ort, den er aus seinen Träumen nur zu gut kannte. Galren konnte die Mauern des Tempels nicht sehen, stand inmitten der großen Kammer, direkt unter der Deckenöffnung. Und obwohl die Dunkelheit alles verbarg wusste er, dass er nicht alleine war. Die Schatten an diesem Ort schienen beinahe etwas Lebendiges zu haben, verdichteten sich zu Kreaturen, Schlangenartigen Monstren, und zwei geflügelten Wesen, die mehr wie verbrannte Leichen wirkten. Und der rote Heilige in ihrer Mitte. Die Vision wirkte so real wie jedes mal. Mit dem Unterschied, dass er dieses Mal hellwach war. Und er hatte Narias Tinktur seit fast drei Tagen nicht mehr genommen… Galren wollte vor der Erscheinung zurück weichen, stellte jedoch fest, das sich seine Füße kein Stück bewegten.

,, Kommt zu mir. Wir haben viel zu bereden, ihr und ich. Ihr wisst warum ich euch rufe, nicht? Ihr habt es immer gewusst…. Oder glaubt ihr es war Zufall, dass mein Herr sich euren Vater als Propheten erwählte? Sein Werk wird beendet werden. Mit oder ohne euch…“

Seine Füße bewegten sich wie von selbst einen Schritt auf die Gestalt zu. Nein er verstand es nicht. Er verstand nicht, was dieses Wesen noch von ihm wollen könnte, jetzt wo er nicht einmal mehr das Schwert hatte. Atrun war jetzt in Ismaiels Besitz nicht in seinem… Und doch zogen ihn die Worte des roten heiligen wie magisch an, zerrten an seinem gesamten Wesen. Hatte er wirklich geglaubt, es wäre genug?

Mit aller Macht stemmte Galren sich gegen den Sog, der ihn gepackt hielt. Selbst wenn er jemals darüber nachdenken würde sich dem roten heiligen anzuschließen… es würde seine Entscheidung sein,. Seine alleine…

,, Ihr werdet mich nicht wie ihn bekommen.“ , erklärte er und war überrascht wie sicher seine Stimme dabei klang. Stahl blitzte, als er Lias Schwert zwischen sich und den roten heiligen brachte. ,, Sollten wir uns begegnen, werde ich euch vernichten.“
,, Du kannst es gerne versuchen, Junge.“ Der rote Heilige schien über diese Drohung mehr amüsiert als wirklich besorgt, fegte die Schwertspitze an seiner Kehle mit einer Geste beiseite. Galren folgte der Bewegung, holte mit der Waffe aus, obwohl er wusste, dass er gegen einen Traum ankämpfte. Der Hieb ging ins Leere, als der rote Heilige dem Schlag auswich, schneller als ein Mensch sich jemals hätte bewegen dürfen. Galren spürte, wie er den Boden unter den Füßen verlor, als er an der Kehle gepackt und hochgerissen wurde. Er wollte erneut mit dem Schwert ausholen, den Griff irgendwie brechen, der seinen Hals zusammenpresste. Sein Gegner hielt seine Schwerthand mit der freien Hand umklammert, als wäre er nur ein Kind. Hilf und kraftlos… Galren rang nach Atem, jeder Atemzug war ein Kampf. Er wusste das ihm vielleicht noch wenige Augenblicke bleiben bis er schlicht das Bewusstsein verlor und dann… Konnte man in einem Traum sterben?

,, Und falls ihr es noch nicht bemerkt habt… ich brauche euch gar nicht zu bekommen. Ihr gehört   schon mir. Ich lasse euch nur die Wahl freiwillig zu mir zu kommen. Als Freund. Aber wenn nicht… dann muss ich euch eben brechen und mir nehmen was ich brauche.“

Galren wusste nicht, woher er die Kraft nahm. Aber irgendwie bekam er seine Hand frei, riss das Schwert zurück… und stieß zu. Die diabolische Selbstsicherheit in den Zügen des Heiligen wandelte sich in Panik, als das Schwert knapp an seinem Hals vorbeischnitt, einen dünnen Blutstreifen hinterlassend. Sein griff löste sich. Galren seinerseits spürte einen plötzlichen Druck auf der Brust, als er nach Atem rang. Und dann wurde er zurück gerissen, durch das Dunkel und fort von dem Dämon in Menschengestalt, der ihm irgendetwas hinterherschrie. Etwas Bedeutungsloses…

Ihr habt verloren, dachte Galren. Zumindest diesmal. Als er die Augen wieder aufschlug, fand er sich im Schnee neben dem Grabstein sitzend wieder. Das Schwert war ihm aus der Hand gerutscht und lag halb unter dem Weiß begraben… und er war nicht länger alleine. Elin saß neben ihm , die Arme um ihn geschlungen. Und irgendwie half das die letzten Nachbilder der Vision zu vertreiben, da langsam verblassende, wutverzerrte Gesicht des roten heiligen… und die Schmerzen wo sie dessen Hände um seinen Hals geschlossen hatten. Ein Traum. Und doch keiner.

 

Kapitel 33 Rückkehr

 

 

 

Galren wusste später nicht zu sagen, wie lange sie schweigend so dasaßen.   Leichter Schneefall hatte eingesetzt. Die weißen Kristalle sammelten sich auf ihren Mänteln und in ihren Haaren, bevor sie schmolzen und für immer verschwanden.

Der ängstliche Ausdruck auf ihrem Gesicht sagte ihm bereits alles, was er wissen musste. Und die Erkenntnis, wie weit er wieder gefallen war, ließ ihn selbst erbleichen. Er hatte zugelassen, dass er wieder in einer Vision gefangen wurde. Obwohl er hellwach gewesen war…

,, Götter, Elin… Ist alles In Ordnung? Habe… Ich habe dir nichts getan, oder?“ Er legte ihr die Hände auf die Schultern, zwang sie mit sanftem Druck ihn anzusehen. Sie schüttelte den Kopf. Nein. Und doch wollte sich keine Erleichterung einstellen. Alleine der Gedanke, dass er sie derartig erschreckt haben konnte, sie die sonst alles mit einer bissigen Bemerkung und etwas Spott abtat… Er hatte sich geschworen es nie wieder so weit kommen zu lassen. Und doch saß er jetzt hier, hielt das leicht zitternde Mädchen in den Armen.

,, Du warst einfach weg.“ , flüsterte sie. ,, Ich dachte dir passiert etwas. Ich dachte du kommst nicht zurück…“ Er würde ihr nicht sagen, wie Recht sie mit ihren Befürchtungen haben könnte. Der rot Heilige hätte ihn töten können. Oder schlimmeres. Solange sie glaubte das es nur Träume waren… Elin sah ihn ernst an. ,, Wenn du so etwas noch einmal machst wecke ich dich das nächste mal mi einem Tritt.“

,, Ich bitte sogar darum.“

Sie lachte, doch es klang falsch, dennoch fühlte Galren bei diesem Klang wie auch die letzten Überreste des Alptraums langsam von ihm abfielen. Und für den Moment war er froh und zufrieden damit, sie nur hier bei sich zu haben, während sie ihren Kopf an seiner Schulter bettete. Dieses Mal hatte er gesiegt, dachte er. Blieb nur die Frage was geschehen würde, wenn er dem roten Heiligen wieder persönlich gegenüberstand. Galren hatte sich selten so schwach gefühlt… so angreifbar. Und dumm. Er war so unglaublich dumm gewesen. Hatte er wirklich bis grade noch geglaubt, weglaufen zu können?

,, Ich will dich wirklich nicht drängen.“ , meinte ELin nach einer Weile. ,, Aber wenn wir hier noch länger rumsitzen frieren wir fest. Und bevor das passiert müsste ich dich vermutlich ins Dorf zurück schleppen. Ich glaube di willst den Leuten nicht noch mehr zu reden geben als ohnehin schon, oder?“

Jetzt lachten sie beide und dieses Mal klang es echt.

,, Du hast recht. Wir sollten zusehen, das wir aus der Kälte kommen.“ Auch wenn er noch gar nicht sicher war, in welchem Zustand er sein Haus vorfinden würde. Bei seinem letzten Besuch hier hatte eine Gruppe Agenten des Herrn der Ordnung das untere Stockwerk in Brand gesetzt und am Ende waren die Flammen aus dem Dach geschlagen. Galren stand auf, klopfte sich den Schnee aus der Kleidung und zog Elin zu sich hoch.

,, Du siehst allerdings immer noch aus, als hättest du grade einen Geist gesehen.“ , stellte sie beunruhigt fest. Damit kam sie der Wahrheit   wieder näher, als sie jemals herausfinden durfte.

,, Ich habe das Gefühl, das ich mich verliere, Elin. Ich gehöre mir selbst nicht mehr. Es…“

Sie ließ ihm keine Gelegenheit weiterzusprechen. Stattdessen nahm sie seinen Kopf in die Hände und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Warm und weich lagen sie einen Moment auf seinen. Es lag keine Leidenschaft darin, nur reine, tiefe Zuneigung, die ganze Herzenswärme, die dieses entzückende kleine Wesen vor ihm aufbringen konnte. Diese Seite von ihr, die sie sonst niemals jemandem zeigen würde… außer ihm. Und als sie sich wieder von einander lösten, hielt Elin ihn immer noch fest, sah ihn eindringlich und ernst an. ,, Der einzige dem du gehörst bin ich. Und daran kannst du diesen Bastard auch gerne erinnern…“ Elin küsste ihn erneut, dieses Mal auf die Stirn, bevor sie ihn gehen ließ und fast wieder so aussah, als sei nie etwas gewesen.

Galren schloss einen Moment die Augen. Natürlich. Wie könnte er das auch je vergessen? Er lächelte. Sie waren nur zwei gegen die Macht eines Gottes. Es war unmöglich, konnte nicht ausreichen, meinte eine Stimme in seinem Inneren. Und gleichzeitig war er selten so überzeugt davon, dass es doch Reichen würde. Das es doch möglich sein würde. Ich habe in meinem Leben genug Unmögliche Dinge getan um daran zu glauben, dachte er. Wir beiden haben das. Die Reise zu unternehmen war unmöglich. Die westliche Sonnensee zu überqueren war unmöglich. Die Nebelküste zu finden war unmöglich. Die Archive des roten Tals aufzuspüren war unmöglich. Einen Gott aufzuhalten ist nichts mehr dagegen. ,, Danke.“ , flüsterte er. ,, Das habe ich gebraucht.“ Und bis grade eben hatte er gar nicht gewusst, wie sehr. ,, Ich glaube wenn der rote Heilige dich erstmal kennen lernt ist er es, der vor dir Angst haben muss.“

Mit einem Lächeln auf den Lippen trat er schließlich von ihr zurück und trat an die Stelle, an der das Schwert verloren und fast vergessen im Schnee lag. Galren hob die Waffe auf und wischte das Weiß herab. Die Klinge darunter schimmerte gräulich und gar nicht so, wie Stahl aussehen sollte. Beinahe, als wäre ein Teil davon immer noch aus Stein. Flexibler Fels, scharf wie ein Rasiermesser. Galren schob die Klinge in eine einfache Fellscheide, deren Tragegurt er sich über die Schulter war. Hier würde er sie hoffentlich nicht brauchen. Und doch würde der Moment an dem man sie in die fliegende Stadt zurück rief nur zu bald kommen, das wusste er. Und was immer dann dort auf sie warten würde, er würde Lias altes Schwert mit sich führen.

Als sie das nun nur noch durch eine Stein platte markierte Grab hinter sich ließen, begann der Schneefall langsam dichter zu werden. Schwere, große Flocken segelten zwischen den Ästen der Bäume hindurch zu Boden und bedeckten sowohl Häuserdächer als auch den Boden. Der aufkommende Wind trieb Schneewehen vor sich her, die den alten Sandweg hinauf zu Galrens Haus fast vollständig unter sich begruben und sie versanken fast bis zu den Knie darin, mussten sich mit gesenkten Köpfen vorankämpfen. Doch wenn Galren ehrlich zu sich war, dann war er über den Schnee, der die Gärten um das Gebäude verschluckt hatte. Er hatte sich nie viel um die Grünanlagen gekümmert und nachdem er nun über ein Jahr nicht mehr hier gewesen war, würde im Sommer das Unkraut vermutlich bis zu den niedrigsten zweigen der Apfelbäume wuchern, welche den Pfad säumten. Vereinzelt hingen noch Blätter und vertrocknete, gefrorene Früchte daran, die sich mit dem aufkommenden Sturm lösten und lautlos davongeweht wurden.

Das Gebäude selbst jedoch war in besseren Zustand, als er erwartet hatte. Der Bau stammte wie die meisten größeren Gebäude des Dorfs, noch aus einer Zeit, in der Maillac für die Insel ein bedeutender Hafen gewesen war. Hauptsächlich wegen der reichen Fischvorkommen und der Sterneneisenminen, die sich von einem Krater hinter dem Dorf aus durch den Fels zogen. Damals hatten sich Hunderte von Leuten in den Minen verdingt und noch mehr waren gekommen um Erz und Stahl zu erwerben. Nun jedoch waren diese Zeiten lange vorbei, Sterneneisen fand man schon seit Jahrhunderten keines mehr und statt Händlern verirrten sich höchstens noch die örtlichen Fischer an den Hafen.

Doch die Häuser waren geblieben. Galren konnte sehen, wo das alte, verblasste Holz der unteren Stockwerke in die neuen Balken überging, die das obere Stockwerk bildeten. Das Feuer hatte viel zerstört, doch war nun davon kaum mehr etwas zu sehen. Die Dörfler mussten das meiste für ihn repariert haben.

Der Schneefall wurde noch einmal stärker, als sie schließlich die Tür erreichten. Galren hielt einen Moment inne, als er die Hand nach dem Türgriff ausstreckte. Es war ein seltsames Gefühl, wieder hier zu sein, dachte er. Alles hier wirkte vertraut. Und doch auch irgendwie Fremd. Als gehöre dieser Ort, dieses ganze Dorf nur noch entfernt zu ihm. Es war zu lange her.   Und vielleicht hätte er nie weggehen sollen…

Im Eingangsbereich schlug ihm sofort der vertraute Geruch von altem Leder und Papier entgegen, der von der Treppe zum Obergeschoss herab sickerte. Die alte Schreibstube war vielleicht der Teil des Hauses, der nie ganz ihm gehören würde. Was sein Vater an Freizeit gehabt hatte, hatte er meist oben in seinen Kammern zwischen Atlanten, Karten und alten Seefahrtsinstrumenten verbracht. Getrieben von seiner Idee, die Nebelküste zu erreichen, besessen vielleicht damals schon. Und doch hatte es damals noch nicht seine Menschlichkeit zerstört…

Galren wischte die schweren Gedanken bei Seite und schüttelte sich den Schnee aus dem Mantel, der Schmolz noch ehe er den Boden erreichte. Es war nach wie vor kühl hier drinnen, doch man musste wohl vor kurzem Feuer gemacht haben. Vielleicht hatte Meran jemandne vorausgeschickt, nachdem man von seiner Rückkehr erfahren hatte ? Elin war derweil an der Tür stehen geblieben und spähte nach draußen, wo der Schneefall mittlerweile zu einem ausgewachsenen Sturm wurde. Wenn das so weiterging, wäre Maillac morgen unter einem halben Meter Schnee verschwunden, dachte Galren bei sich.

,, Da gehe ich sicher nicht wieder raus.“ , stellte die Gejarn fest.

Er lachte. ,, Würde ich an deiner Stelle auch nicht.“ , meinte er grinsend, während er einen Arm um sie legte und die Gejarn mit etwas Schwung in seine Arme beförderte. Meran würde eben bis Morgen warten müssen.

Elin stieß ein leises kichern aus, während er sie durch den Flur ins alte Kaminzimmer trug. Hier hatte das Feuer damals ursprünglich angefangen, doch die Dörfler waren gründlich gewesen. Lediglich die vielen   leere Stellen in den Bücherregalen an den Wänden zeigten, wo einige der Schriften verbrannt waren, ohne dass man sie Ersetzt hatte. Auf dem Boden lag ein schwerer, brauner Teppich, der den alten Ersetzt hatte und die holzgetäfelten Wände waren heller, als er sie in Erinnerung hatte. Doch ansonsten schien es genau der gleiche Raum zu sein… Im Kamin, der sich Parallel zu einer Reihe verglaster Fenster befand, glomm immer noch schwach Glut, wie er zuvor bereits vermutet hatte.

Ohne größere Anstrengung beförderte er Elin in einen der Sessel, die vor dem gefliesten Kamin standen und wendete sich dann dem Feuer zu. Holz gab es genug und so dauerte es nicht lange, bis er die Flammen wieder zum Lodern brachte. Hinter sich konnte er Elin hören, die sich auf ihrem Platz regte, meinte ihren Blick im Rücken zu spüren. Als versuche sie zu erraten, was er denken mochte. Sie hatte nicht vergessen, was im Wald passiert war.

,, Was meinst du wie lange wird es dauern bis man uns zurück ruft ?“ Sie sprach nicht aus, was sie eigentlich fragen wollte. Was würde in diesem Schreiben stehen? Würde man sie wegen Sieg oder Niederlage holen lassen?

,, Ich weiß es nicht. Ein paar Wochen vielleicht.“ , erklärte er ohne sich umzudrehen. Er schenkte dem Rascheln von Stoff und Kleidung hinter sich keine Beachtung. Und dennoch sah es Elin nicht ähnlich, so nervös zu sein. ,, Alles wird gut werden.“ Vielleicht. ,, Ich traue ihm vielleicht nicht, aber wenn es jemand fertig bringen kann, den Herrn der Ordnung erneut zu bannen… dann wohl Ismaiel.“ Und wenn nicht, was dann ? Götter, wenn er es nur wirklich glauben könnte. Er wünschte sich so sehr,

das dieser Wahnsinn ein Ende fand, das er einfach mit Elin hierbleiben könnte.

Die Wärme des Feuers schlug ihm entgegen, brachte seine durchgefrorenen Finger zum Prickeln. Galren löste die Schnüre, die seinen Umhang hielten und hängte die durchnässte, schwere Wolle über den Kaminsims. Die Flammen würden ihr übriges tun und mittlerweile wurde es in dem Raum bereits deutlich wärmer. Und als er sich zu Elin umdrehte, stellte er fest, dass sie sich gleich ganz ausgezogen hatte. Draußen war es mittleerweile dunkel geworden. Das dichte Schneetreiben ließ kaum noch die Sonne erkennen und im Licht des Feuers nahm der schneeweiße Pelz der Gejarn einen orangen Ton an. Rosa schimmerten ihre Brustwaren darunter hervor. Elin sah ihn erwartungsvoll an, lehnte sich einladend in die Kissen zurück. Galren stand vom Feuer auf und trat auf sie zu. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatten ihm die Worte gefehlt zu beschreiben was zwischen ihnen war. Oder vielleicht war es die Angst gewesen, das er für sie nicht mehr als ein Zeitvertreib sein könnte. Wenn Elin eines war, dann sprunghaft. Doch in den Monaten hatte sich die Angst gelegt. Er liebte sie, trotz oder vielleicht grade wegen ihrer frechen, direkten Art, die manchmal geradezu unhöflich wirkte. Und sie hielt ihn bei Verstand, wenn er wieder drohte abzudriften, zu verschwinden… Sie war da, riss ihn vom Abgrund zurück, wenn es nötig wurde, besser als jedes von Narias Mittelchen.

Galren küsste sie, zog sie hoch an seine Brust, während ihre Hände unter seine Weste wanderten. Er spürte ihre Finger, die über seine Wirbelsäule strichen, über die Narben und Verbrennungen an seinem Rücken. Sie schreckte nicht davor zurück, zögerte nicht. Und als hätte sie seine Gedanken erraten flüsterte sie : ,, Ich werde dich bestimmt nicht wegen ein paar Narben alleine lassen.“

Er lächelte. Nein. Und hätte er das je bezweifeln dürfen? Sein Hemd landete auf dem Boden, zusammen mit dem Rest von Elins und bald auch seiner Kleidung. Er zog sie an sich, während sie auf den Sessel zurück sanken, jedoch ohne in sie einzudringen. Stattessen liebkoste er weiter ihren Körper, umfasste ihre Brüste, während sie sich gegen ihn lehnte, sich an ihn schmiegte. Seine Erektion drückte sich gegen ihren Rücken. Galren musste sich zusammen nehmen um es nicht hier und jetzt zu beenden. Er wollte das hier auskosten und auch Elin weitaus mehr geben. Er ließ eine Hand tiefer gleiten, fort von ihren Brüsten, über ihren Bauch, hinein in die dichteren Haare, die über ihrem Hügel sprossen, bis er die süße Feuchte zwischen ihren Beinen fand. Die andere Hand legte er ihr um die Hüften, hielt sie fest. Ihr weiches Fleisch gewährte ihm ohne Wiederstand Einlass, als er ihre Schamlippen teilte und mit einem Finger in die eindrang. Vorsichtig erst , dann jedoch schneller. Und es dauerte nicht lange, bis sie darauf reagierte. Elin lehnte sich gegen ihn, ihr Becken hob sich ein Stück, während sie die Augen schloss. Mutiger geworden ließ Galren einen zweiten Finger in sie gleiten, tiefer diesmal. Elins Atem wurde hektischer, während er ihr süßen Unsinn ins Ohr flüsterte und sanft zubiss. Elin stöhnte laut auf und Galren konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Nur gut, dachte er, dass sie sein Gesicht jetzt nicht sehen konnte. Er liebte jede Sekunde hiervon, wie sich ihr Körper anspannte, sich gegen seinen drückte. Wie sie auf ihn reagierte. Ihr warmer Atem strich über sein Gesicht, als sie den Kopf zurücklegte, ihn mit lustverschleierten, glänzenden Augen ansah. Er hätte eine Ewigkeit so weitermachen können, ihrem rauen Atem und dem leisen Stöhnen lauschen, ihre Feuchtigkeit spüren können. Elin drängte sich seinen Fingern entgegen, bewegte sich mit ihm, als wollte sie ihn drängen, schneller zu werden. Und er gab ihr was sie wollte, spürte wie ihr Körper schließlich erschauerte und sich aufbäumte. Schwer atmend blieb sie einen Moment sitzen, während er die Hand zurückzog. Seine Finger glitten aus ihr, glänzten feucht. Galren hätte es hier zufrieden beenden können. Alleine ihr so nah zu sein… Er lächelte, küsste sie auf den Nacken.

Elin jedoch richtete sich nah einem Moment wieder auf. Ihre Finger tasteten nach seiner Männlichkeit, führten ihn, als er dieses Mal wirklich in sie Eindrang. Seine Hände bedeckten ihre Brüste, spielten mit den harten Knospen, als sie begann sich auf ihm auf und ab zu bewegen. Zu seinem eigenen Bedauern dauerte es nicht mehr lange. Elin erschauerte erneut, als er sich ihn ihr Ergoss und ließ sich gegen seine Brust sinken. Draußen versank die Welt in Weiß .Und für sie hier drinnen schien die Welt zumindest einen kurzen Augenblick lang in Ordnung. Ein Wimpernschlag nur, genauso flüchtig wie die Schneeflocken, die gegen die Fensterscheiben getrieben wurden um sofort wieder zu vergehen.

 

 

Kapitel 34 Über das Eis

 

 

 

 

Sie hatten gehofft de, Fluss im Norden passieren zu können, kurz bevor die Keel in die See mündete. Auf diese Art konnten sie die bekannteren pfade und Brücken über den ehemaligen Grenzfluss meiden und so der Aufmerksamkeit der Späher des roten Heiligen entgehen. Doch ihre Hoffnungen waren vergebens gewesen.

Der Fluss glitzerte blau und eisig am Grund einer tiefen Schlucht. Eis hüllte ihn auf seiner ganzen Länge ein, hatte aufragende Felsen umschlossen und war teilweise unter einer frischen Schicht weißem Schnee verschwunden. An einigen Stellen, wo die Keel noch nicht ganz erstarrt war, sprudelte Wasser zwischen den Eisschollen hervor, genau so kalt und klar wie der Himmel darüber. Dünne Eiszapfen hatten sich an den Felsvorsprüngen der Klippen gebildet, die mit jedem Windhauch Klirrten und ab und an lösten sich einzelne Brocken und zerschellten in der Tiefe. Über dem gefrorenen Fluss wiederum spannten sich drei große Brücken, die ebenfalls  mit Schnee und Eis bedeckt gewesen waren. Nun jedoch schmolz es, als es mit heißem Blut durchtränkt wurde und der Schnee hatte sich auf beiden Seiten der Schlucht rot verfärbt. Pferde irrten reiterlos durch das durcheinander, während der Donner von Gewehren und Kanonen über den Fluss hallte. Pulverdampf trieb Nebel gleich über das Schlachtfeld, hatte die Brücken dicht eingehüllt, so dass man von außen nur einzelne Schemen sehen konnte. Und jene, die aus dem Dunst zurückkamen. Verletzt, bluten oder tot. Und doch waren sie noch die Glücklicheren. Viel zu viele blieben schlicht auf den kalten Steinbögen zurück oder stürzten hinab zum gefrorenen Grund der Keel.  Schneeflocken trieben vereinzelt durch die Luft, verfingen sich in Standarten und Zeltplanen auf beiden Seiten des Flusses, während auf der Westseite die Armeen Cantons Aufstellung nahmen. Und auf der anderen Seite lauerten bereits die Kultisten. Es mussten tausende sein, dachte Zyle, während er das Schlachtfeld überblickte. Vielleicht sogar mehr als sie. Doch auf den Brücken waren Zahlen bedeutungslos. Die Armeen stauten sich an beiden Enden, versuchten nach vorne zu gelangen, während fast genau in der Brückenmitte die eigentliche Schlacht stattfand. Die Toten lagen dort mittlerweile so dicht, das sowohl Gardisten als auch Kultanhänger über ihre gefallenen Kameraden hinweg steigen mussten. Und doch nahm es kein Ende, strömten beständig neue Männer nach, wenn die ersten Reihen fielen.

Das war keine Schlacht mehr, dachte Zyle düster. Das war ein gewaltiger Fleischwolf in dem sich beide Seiten langsam zerfetzten…

Er musste sich abwenden. Man hatte sie erwartet. Ihr Plan, die Hauptstreitmacht des Herrn der Ordnung zu umgehen war fehlgeschlagen. Und jetzt schien alles davon abzuhängen, welche Seite den längeren Atem bewies. Anfangs waren noch sowohl Gardisten als auch Kultisten auf die Brücken hinaus gestürmt, hatten versucht, den jeweils anderen irgendwie zurück zu drängen. Mittlerweile jedoch schien klar, dass  der Kampf zu einem Stillstand gekommen war. Kugeln, Pfeile und Gewehrsalven zischten durch die Leere über den Fluten, fanden ihre Ziele, ob Freund ob Feind. Und ab und an hämmerte der Ohrenbetäubende Donner einer Kanone, der kurzzeitig die Schreie der verwundeten und Sterbenden erstickte. . Die schweren Kugeln jedoch waren nicht auf die Brücken selbst gerichtet.  Ein direkter Treffer würde sie schlicht zum Einsturz bringen und sowohl die Garde als auch die Kultanhänger in den Tod reißen. Und so konzentrierte sich das Feuer vor allem auf die Heerlager die sich an den Ufern gebildet hatten. Ohne dabei jedoch viel zu bewirken. Die Entfernung war zu groß und die meisten Geschosse verfehlten ihre Ziele weit oder zerschellten an den Klippen.

Zyle selbst stand mit den übrigen Offizieren und dem Großteil ihrer eigenen Geschütze auf einer kleinen Anhöhe unweit der vordersten Brücke. Zu Ihren Füßen hetzten Gardisten und Boten durch das Gewirr aus hastig errichteten Zelten, aufgebrochenen Kisten mit Gewehren, Pulver und Munition und den Lagern der Ärzte, die mit der Anzahl an verwundeten schlicht Hoffnungslos überfordert waren. Es war das absolute Chaos. Weitere Männer strömten herbei, suchten ihre Ausrüstung zusammen und liefen in Richtung der Brücken um dort den Tod zu finden. Und viele wussten es, das ah er ihnen an. Und doch gingen sie, ohne zu zögern, ohne sich umzudrehen. Sie wussten auch, was die Alternative war, wenn sie jetzt zurück wichen. Das Ende des Kaiserreichs.

Zyle seufzte schwer, während in seinem Rücken erneut die Geschütze aufflammten. Man hatte eine kleine Befestigung aus Angespitzten Palisaden um sie errichtet. Doch er machte sich keine Illusionen. Alles um was es hier ging, waren die Brücken. Brach eine Seite durch, war die Schlacht so gut wie entschieden. Und jeden Herzschlag in dem das nicht gelang, wurde mit Blut erkauft.

Er hatte schon kämpfe gesehen, den Geschmack von Blut in seinem Mund kannte er nur zu gut, das heillose Durcheinander wenn Männer auf offenen Feld aufeinander trafen. Aber das hier ? Nein, das war etwas anderes.

Vier seiner, nein vier von Wys Paladinen begleiteten ihn, als er zum Zelt der Offiziere hinauf stieg, das sich auf dem Gipfel der Anhöhe befand, noch hinter den Kanonen und Barrikaden. Das Wappen des Kaiserhauses, der Adler und der Löwe wehte auf einem Banner direkt daneben, doch inmitten von Pulverdampf und Blut wirkten selbst das strahlende Blau, Silber und Gold Cantons… blass. Bedeutungslos.

Zwei Gardisten die vor dem Zelteingang wache hielten grüßten ihn kurz, bevor sie bei Seite traten. Als er unter der Zeltplane hindurch trat, drehten die Köpfe der Anwesenden sich zu ihm um. Ein halbes Dutzend Offiziere in den blauen Uniformen der kaiserlichen Garde standen um einen abgenutzten Tisch herum. Das zertrampelte Gras zu ihren Füßen zeugte noch von der Aufregung, die zu Beginn der Schlacht geherrscht hatte. Nun jedoch saßen oder standen die meisten mit mürrischen Gesichtern um den Tisch herum, einige Rauchen, andere gingen  nervös auf und ab. Auch ihnen war klar, in welcher Situation sie sich befanden. Nur einer rührte sich nicht, stand in seine dunklen Roben gekleidet am dem Eingang gegenüberliegenden Ende des Tisches und starrte auf das mitgenommene Holz herab, als könnte er in den Kratzern und geborstenen Splittern irgendetwas erkennen. Ismaiel sah nicht auf, als Zyle eintrat. Auch er kannte ihn nur als Wys auch wenn Zyle sich nicht sicher war, ob der Mann ihn nicht durchschaut hatte. Wie Kellvian. Wie Relina. Die Paladine die ihn begleitet hatten, hatten vor dem Zelt Posten bezogen. Um ihn zu schützen. Und vielleicht würde er ihnen heute auch befehlen müssen, für ihn zu sterben. Bei dem Gedanken wurde im flau im Magen. Es war eine Sache, selbst da draußen zu stehen. Eine ganz andere, nur zusehen zu können.

Seine Hände ballten sich zu Fäusten, brachten die Panzerplatten und Ketten seiner Rüstung zum Knirschen. Nein Wys Rüstung. Die Rüstung seines Bruders. Des Mannes, der eigentlich hier stehen und seine Männer als Archont führen sollte. Obwohl ihm der helle, silbrige Stahl wie angegossen passte, fühlte er sich unwohl darin. Der Helm auf seinem Kopf schien zu schwer, obwohl er schon weitaus schwerere Panzerung getragen hatte. Der Schild auf seinem Rücken war unvertraut, die zwei Schwerter irritierend. Auch diese waren für Wys gefertigt worden, dessen Hände unmerklich größer gewesen waren. Zyle hatte das Leder das den Griff umwickelte vorsichtig eingekürzt damit sie besser in seiner Hand lagen.   Der weiße Umhang eines Archonten fiel ihm um die Schultern, schmucklos genau wie die Rüstung selbst. Eine Fibel aus Silber hielt den Mantel an seiner Schulter zusammen, im starken Kontrast zu dem Purpur und verziertem Gold der Paladine.

,, War einer von euch schon einmal da draußen ?“ , fragte er zerknirscht. ,, Das ist ein verdammtes Massaker.“ Die Brücken waren das Problem, die verdammten Brücken. So wie die Dinge jetzt standen konnte keine Seite ihre volle Macht wirksam zum Einsatz bringen. ,, So wird keine Seite gewinnen, es sei denn wir haben mittlerweile den Aaskrähen den Krieg erklärt. Ich fürchte sie werden uns nach diesem Tag als einzige noch danken.“

,, Und was wollt ihr dagegen tun, wenn ich fragen darf ?“ Ismaiel sah von seinem Platz am Tisch auf, starrte ihn mit diesen durchdringenden, brennenden Augen an. Er wartete er wirklich eine Antwort von ihm? ,, Das alles dient nur dazu, den roten heiligen hervorzulocken. Wir haben nicht die Absicht diese Schlacht zu gewinnen und dass müssen wir auch gar nicht. Wie viele sterben ist egal, wenn ich mein Ziel erreiche. Dann wird dieser Krieg sofort enden.“

,, Und wenn nicht kann ich immer noch die Raben um Asyl bitten , ja ?“ Die bittere Bemerkung erntete das zustimmende Nicken mehrere Offiziere und Zyle wurde nur noch deutlicher  klar, dass sie längst zu der gleichen Erkenntnis gekommen waren wie er. Und wie er hatten sie keine Möglichkeit etwas dagegen zu tun. Der einzige hier mit einem Plan war ein halb-irrer, Jahrtausend alter Magier. Und der scherte sich einen Dreck um ihre Leben. Für Ismaiel waren sie alle nur Mittel zum Zweck und mit einem hatte er Recht gehabt. Sie brauchten ihn leider… Wenn es nur einen Weg gäbe, die Armee der Kultisten zu umgehen. Die nächsten Brücken waren mindestens zwei Tagesmärsche entfernt. So lange würde keine Seite durchhalten. Und selbst wenn, würden wohl auch die Kultisten damit rechnen, das man Versuchen  würde sie hinterrücks anzugreifen. Bestimmt warteten an jedem Übergang bereits Späher, die beim ersten Anzeichen von Gefahr sofort die Hauptstreitmacht warnen würden. Wys mochte einen Ausweg gefunden haben, dachte Zyle. Wys, der Politiker, der Mann der sich in der Masse und mit der Masse immer wohler gefühlt hatte als er. Er war ein Einzelgänger gewesen und auch ein Einzelkämpfer. Er wusste wenig  darüber, wie man eine große Armee ins Feld führte. Selbst der Aufstand des Aristokraten-Bunds war ein vergleichsweise kleiner Konflikt gewesen verglichen mit dem hier. Immer in  Bewegung, nicht festgefahren.  Er wusste wie und wann er selber kämpfen musste, das hatte bisher immer genügt. Und aus seiner Sicht gab es keinen Weg über den Fluss zu gelangen, falls Ismaiel keinen Zauber kannte,  der seinen Männern Flügel verlieh. Und selbst wenn, dachte Zyle bitter, wie hoch wäre die Wahrscheinlichkeit, dass der Magier ihnen half? Er war schon am Ziel, wartete nur noch darauf, dass sein alter Feind  sich zeigte. Aber wenn es keinen Weg hinüber gab… gab es einen hindurch? Zyle zögerte kurz. Es wäre gefährlich. Aber gefährlicher, als weiter hier auszuharren ?

,, Wir gehen über das Eis.“ , erklärte er schließlich. Verwunderte Blicke trafen ihn, unsicher, genau so zögerlich wie er zuvor. Nur Ismaiel nicht. Ismaiel lachte.

,, Wenn ihr euer Leben wegwerfen wollt, Gejarn, nur zu. Ich werde am Ufer stehen und zusehen, wie lange das Eis euch trägt. Und glaubt nicht, das euch jemand herausfischen wird.“

,, Ich habe auch nicht um eure Erlaubnis gebeten.“ , knurrte Zyle. ,, Ich werde meine eigenen Männer über den Fluss führen, Ismaiel. Ihr jedoch werdet dafür sorgen, dass man uns nicht bemerkt. Das Eis bietet keine Deckung, wir müssen die Aufmerksamkeit der Kultisten also irgendwie binden. Und ich wüsste niemanden, der für sie interessanter wäre als ihr.  Ihr Ismaiel werdet die nächste Angriffswelle persönlich anführen, während wir den Kultisten in die Flanke fallen. Schafft es eure Magie nicht, eine Breche zu schlagen, erledigen helikanische Schwerter den Rest.“

,, Ihr seid verrückt. Und wenn ihr glaubt, das ich für eure Torheit riskiere…“
,, Ich glaube gar nichts Ismaiel.“ Zyles Stimme war leise geworden, warnend. ,, Ihr werdet tun was man euch sagt. Oder ich befehle den Rückzug. Der Kaiser hat mir den Befehl über seine Männer anvertraut. Und der rote Heilige zeigt sich nicht. Ihr helft uns entweder, diese Schlacht zu wenden oder ihr könnt alleine hier bleiben. Mal sehen wie lange eure Magie eine ganze Armee stoppen kann. Vielleicht ange genug damit wir sicher entkommen ?“

,, Das wagt ihr nicht, Zachary…“

,, Ist vermutlich verloren, wie ich euch kenne.“ , unterbrach Zyle den Magier.,, Entscheidet euch.“

,, Ihr könnt nicht ernsthaft glauben, dass dies noch etwas am Schlachtverlauf ändern wird. Wir werden nur alle umkommen.“ Und nun sprach tatsächlich Angst aus Ismaiels Stimme. Angst um sein eigenes Leben. Zyle wendete sich ab, konnte dieser… Kreatur nicht länger in die Augen sehen.

,, Vielleicht. Und vielleicht geht es nicht immer darum das unvermeidbare zu ändern, Ismaiel. Das Scheint mir eine Lektion die ihr nie gelernt habt. Manchmal muss es einfach reichen, alles getan zu haben was in seiner Macht steht. Selbst wenn das heißt, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen.

es, das man alles getan hat was in eigener Macht stand. Selbst wenn das heißt Leben zu riskieren. Nd vielleicht versteht ihr langsam, das ihr jetzt uns braucht…“

 

Kapitel 35 Auf dem Fluss

 

Der Wind heulte zwischen den Felsen, die aus der Wand der Schlucht hervorstachen. Unter ihnen, viel zu tief so schien es, glitzerte das blaue Band des Flusses. Gefroren und zu Kristall erstarrt schien sein Funkeln sie zu locken, jedes Mal wenn Zyle es wagte, nach unten zu sehen. Er hatte diesen sog schon gespürt, damals vor einem leben als er zum letzten Mal auf den hohen Mauern der inneren Stadt stand. Dieses seltsame Gefühl, zu kippen, obwohl man fest dastand, als ob die Tiefe einen Locken wollte doch einfach zu springen. Doch ein Sprung oder auch ein Sturz bedeutete hier den sicheren Tod. Die Felsen, die sie hinab kletterten waren mit Eis und Schnee überkrustet und heimtückisch. Was zuerst wie fester Grund wirkte, löste sich, sobald man es mit dem Fuß belastete in Schneegestöber auf. Durchsichtiges Eis schmolz unter ihren Fingern, machte die Steine die zuvor noch guten Halt boten rutschig und ließen ihre Hände vor Kälte schmerzen. Ihre Handschuhe mitsamt den wärmenden Futter und den Metallplatten baumelten an ihren Gürteln, schlugen in regelmäßigen Takt gegen die Rüstungen und brachten einem Glockenspiel gleich das Eis zum klingen.

Und doch war das alles noch der leichtere Teil ihres Vorhabens, nicht ? , dachte Zyle. Oben mussten sich bereits die Gardisten für ihren Gegenangriff sammeln um ihm und den Paladinen Zeit zu verschaffen. Wenn sie das Eis nicht hinter sich brachten bevor der Angriff ins Stocken geriet, wäre alles umsonst. Und das würde er, dachte Zyle. Für einen Erfolg war die Situation zu verfahren.

Er wusste nicht wie lange sie alle in der Felswand hingen, sich an den scharfkantigen Vorsprüngen entlang tasteten und mit den Füßen nach Halt suchten. Doch irgendwann , irgendwie erreichten sie alle Unbeschadet das Flussufer. Zyle jedoch, spürte keine Erleichterung darüber, als er sich schließlich umdrehte und von den Klippen zurück trat. Vereinzelte Schneeflocken trieben durch die Luft, während er über die Ödnis hinweg sah. Blaues , glattes Glas erstreckte sich vor ihnen, bis hin zur anderen Seite des Flusses, wo sich erneut graue Klippen aus dem Dunst schälten. Nur einzelne Felsen durchbrachen die gläserne Ebene, wirkten fast wie Fremdkörper inmitten von reinem Weiß. Und doch waren es grade diese Felsen die im Zweifelsfall die einzigen sicheren Stellen für sie darstellten. Zu spärlich gesäht, als das man einfach über sie hätte hinweg gehen können. Und niemand wusste ob das Eis über hundert Männer in voller Kampfmontur überhaupt tragen würde. Ihre Panzer waren schwer, ihre Schritte in den Eisenstiefeln unsicher. Stürzte einer würde es für sie alle den Tod bedeuten.

Zyle atmete tief durch. Hinter ihm sammelten sich die Paladine auf dem schmalen Ufersaum zwischen Fluss und Klippen. Männer die eigentlich keine Furcht kannten wie es hieß. Auf dem Schlachtfeld mochte das auch zutreffen, doch das hier war etwas anderes. Sie konnte hören, wie der Wind durch die Schlucht heulte, wie das Eis leise knisterte und knarrte und sich verschob. Es schien ihnen zuzuflüstern, eine unverständliche Warnung do h umzukehren... Und die Paladine blieben wo sie waren, drückten sich mit dem Rücken gegen den sicheren Fels. Er musste ihnen voraus gehen, dachte Zyle. Jetzt. Wenn nicht, würden selbst diese Männer gleich kehrt machen und ihn alleine hier zurück lassen. Und er zwang sich den ersten Schritt zu tun. Und dann noch einen. Und noch einen. Ehe er zu lange darüber nachdenken konnte, hatte er sich bereits ein gutes Stück vom Ufer entfernt und stand mitten auf dem erstarrten Fluss. Alleine. Verlassen. Der weiße Umhang wehte hinter ihm wie eine vergessene Fahne nach einer Schlacht. Sie folgten ihm nicht, dachte er. Das einzige Geräusch waren das Scharren der Rüstungen und das Blut, das Zyle in den Ohren rauschte, als er sich zu den Paladinen umdrehte. Selbst der Schlachtlärm über ihnen auf den Brücken schien in diesem Moment geisterhaft und weit fort. Und noch immer bewegte sich keiner der Männer.

,, Ich weiß das ihr Angst habt.“ , rief er, nach wie vor auf dem Eis stehend. Seine Stimme klang zwischen den Felsen wieder, dünn, schwach, zerrissen von den Elementen. ,, Doch Angst wird uns heute nicht retten. Ihr habt gelernt keine Angst vor dem Schwert zu haben, keine Angst vor dem Lärm, nicht vor Schmerz, nicht in der Schlacht. Doch dies ist keine Schlacht. Was uns hier erwartet ist kein Sieg, nur das Überleben... oder das er trinken. Das sagt ihr euch. Das es keinen Feind zu schlagen gibt, keine Ehre zu gewinnen. Ich sage ihr irrt euch.“ Er zog das Schwert. Wys Schwert, richtete die Klinge auf sie. ,, Ich sage euer Feind steht heute genau dort. Die Schlacht die wir heute schlagen wird die wichtigste eures Lebens sein. Wer mir folgt wird nicht siegen, nein das kann ich ihm nicht versprechen. Wer mir heute folgt wird keine Ehre ernten. Ich kann nicht einmal schwören, das er das Schlachtfeld sehen wird. Doch wer mir heute folgt, der wird den einen Kampf gewonnen haben, den viele niemals wagen zu führen. Hier geht es nicht um Dienst an Archont und Stadt. Heute... geht es nur um euch.“ Und mit diesen Worten drehte er sich um, schob das Schwert zurück in die Scheide und marschierte weiter über das Eis. Und diesmal waren es nicht nur seine Schritte unter denen der Fluss ächzte. Und als er sich umdrehte, war das Eis verschwunden unter Füßen unter Mänteln und Rüstungen. Er atmete nochmals tief durch. Noch war es nicht vorbei. Jeder Schritt wurde von der Erwartung begleitet, das dass Eis unter ihnen nachgeben konnte. Und wenn das geschah erwartete sie nichts, als die kalte Umarmung der Fluten und ein einiges Grab. Ihre Rüstungen waren zu schwer um darin zu schwimmen. Und selbst wenn nicht, Zyle wusste, das die Kälte sie in Augenblicken töten konnte. Und obwohl sie ihm folgten erlaubte Zyle sich nicht langsamer zu werden. Er wusste, im Augenblick war er das einzige, das den Männern noch Mut machte. Zauderte er würden die ersten umkehren. Und trotzdem zwang er sich, weiterzugehen, nicht darüber nachzudenken, was unter seinen Füßen lag. Paladine mochten in der Schlacht ein Paradebeispiel an Mut und Disziplin sein. Aber was sie nicht mit Stahl bekämpfen konnten, das lernten auch sie schnell zu fürchten. Und die meisten hatten wohl in ihrem Leben noch nie so etwas wie Eis gesehen, höchstens davon gehört.

Ihren Weg legten sie in einvernehmlichen Schweigen zurück. Der Wind trieb Schnee von den Klippen herab, der sich auf ihre Schultern legte und das Ufer gänzlich im Nebel verschwinden ließ. Nur die Brücken, die sich geisterhaften Schemen gleich über ihnen erstreckten zeigten noch, wie weit der Weg sein mochte. Doch Zyle war für die schlechte Sicht mehr als dankbar. Er dämpfte das rot der Mäntel der Paladine. Er hatte nicht gewagt sie zu bitten sie abzulegen. Das wäre einer Beleidigung gleichgekommen, die selbst ein Archont sich nicht so einfach erlauben konnte. Nun jedoch erlaubte es ihm, die Männer zumindest noch auszumachen. Und von den Klippen aus waren sie vermutlich gar nicht mehr zu erkennen. Falls es Posten gab, die den Fluss im Auge behielten, sähen sie nur Schneetreiben und Wolkenfetzen und nicht das hundert Männer, die sich über das Eis kämpften. Mehrmals rutschten einige seiner Leute aus und Zyle selbst schlitterte bei jedem zweiten oder dritten Schritt gefährlich, schaffte es jedoch irgendwie auf den Beinen zu bleiben.

,, Man wird eins Lieder hierüber singen.“ , meinte jemand neben ihm. Der Galgenhumor in seiner Stimme war nicht zu überhören. Aber immerhin, sie wagten es noch zu sprechen. Der Atem stand ihnen als Eiswolken vor den Mündern, gefror in Bärten und Brauen oder Fell.

Und dann wurde die Stille um sie herum plötzlich von einem lauten Knall zerrissen. Sofort spähten sie alle nach oben zu den Brücken. Die Kanonekugel zerfetzte die Brüstung des mittleren Steinbogens, wo grade die ersten Schemen auftauchten, gegen den Wall aus Bajonetten und Gewehrmündungen anrannten, der sich ihnen entgegen stellte. Der Angriff hatte begonnen. Und damit lief ihre Zeit. Trotzdem konnten weder Zyle noch seinen übrigen Männer sich sofort wieder von dem Anblick abwenden. Feuer zischte über die Brücke, zerriss einen Moment die Nebelschleier und brachte Schnee und Eis zum Schmelzen. Zyle konnte die Hitze bis zu sich herab spüren , als Kultisten und Gardisten gleichermaßen in Flammen aufgingen , schreiend über den zersplitterten Rand der Brücke stürzten. Aus Rauch und Asche tauchte eine einzelne Gestalt auf. Ein Mann in dunklen Roben, dessen seltsam leuchtende Augen selbst auf die Entfernung klar zu erkennen waren. Ismaiel... Er hatte also tatsächlich Wort gehalten , dachte Zyle ungläubig. Er hatte nicht wirklich damit gerechnet, den alten Magier in der vordersten Schlachtreihe zu finden. Nun jedoch wurden die Kultisten durch eine wahre Flut aus Zaubern zurück getrieben. Blitze jagten aus den Wolken herab, gruben sich tief in den Stein. Eine Feuerwolke wand sich einer Schlange gleich um die Brückenpfeiler hinauf, durchbrach den Boden und verzehrte eine Gruppe Musketiere, die soeben auf den alten Magier anlegten. Und hinter Ismaiel strömten sofort die Männer der kaiserlichen Garde nach, hielten sich wohlweislich jedoch von ihm fern. Ismaiel schien es nicht wirklich zu kümmern, wen seine Zauber trafen, solange sie mehr Kultisten als seine eigenen Männer vernichteten. Und das taten sie. Der Patt, der zuvor Stundenlang gewehrt hatte löste sich auf, Männer flohen haltlos vor der entfesselten Wut des letzten des alten Volkes...

Und dann gab es erneut einen Donnerschlag, der den Erdboden zum Zittern brachte. Und Zyle wurde klar, das bereits zuvor etwas nicht gestimmt hatte. Bisher hatte keine der beiden Seiten die Brücken beschossen. Und das eben war kein Fehlschuss gewesen... Männer wurden in die Tiefe gerissen, als die Kugel einschlug und den Brückenbogen direkt auf seinem höchsten Punkt traf . Gesteinstrümmer und Leichen wirbelten durch die Luft, während die ganze Konstrukltion zitterte und bsich langsma zu Neigen begann. Ismaiel hatte Zyle im entstehenden Chaos aus den Augen verloren, sah nur noch, wie die Trümmerstücke in die Tiefe rasten und das Eis durchschlugen. Diese Wahnsinnigen wollten ihnen schlicht den Weg abschneiden. Und das sie dabei ihre eigenen Leute in die Tiefe rissen schien ihnen schlicht egal zu sein. Es ging wohl nur noch darum, Ismaiel am überqueren des Flusses zu hindern. Wasser spritzte auf , als das Eis brach. Risse, fein wie ein Spinnenetz breiteten sich von den Kratern her aus, Eisschollen lösten sich...

Zyle konnte einen Moment nur wie gebannt zusehen, während mehr und mehr Trümmer herabstürzten und Löcher in den zuvor massiv wirkenden Untergrund stanzten. Löcher die größer waren, sich immer schneller in ihre Richtung ausbreiteten...

Und dann endlich konnte er die Erstarrung abschütteln. ,, Lauft !“ , schrie er so laut wie er konnte. Den Lärm würde man in dem ganzen Durcheinander dort oben ohnehin nicht mehr bemerken. Und selbst wenn, bleiben sie länger hier, wären sie genau so verloren. Zyle rannte los und achtete erst gar nicht darauf ob ihm irgendjemand folgte. Der Boden unter ihm zitterte, einmal geriet sein Fuß unter Wasser, bevor er sich mit einem Sprung nach vorne retten konnte. Ein Mann der direkt neben ihm lief war plötzlich verschwunden, stieß nicht einmal mehr einen Schrei aus bevor ihn die Fluten holten. Heimlichkeit hatte keine Bedeutung mehr.

Ein weiterer Mann stolperte, als das Eis unter ihm nachgab. Zyle wirbelte herum, wollte seine Hand packen um ihn wieder hoch zu ziehen, doch bevor er ihn zu fassen bekam, war er bereits im dunklen Wasser verschwunden. Fassungslos blieb er einen Moment stehen, starrte auf das Loch wo eben noch einer seiner Männer gewesen war. Erst als er spürte, wie das Wasser bereits seine Beinkleider durchnässte, rannte er endlich selbst weiter.

Und dann plötzlich hörten die Trümmer auf zu Fallen. Zyle blieb erschöpft stehen und rang um Atem. Schwerfällig sah er sich um. Von hundert waren vielleicht siebzig über das Eis gekommen wie er ernüchtert feststellte. Der Rest war irgendwo in dem größer werdenden Spalt verschwunden, der nun die beiden Ufer voneinander trennte. Doch wenigstens hielt das Eis auf dem sie nun standen noch. Und die Brücke ? Er sah nach oben und erwartete eigentlich nichts mehr davon vorzufinden, außer geborstenen Überbleibseln. Doch das war nicht der Fall und einen Moment verstand Zyle warum manche das alte Volk für Götter halten mochten...



Kapitel 36 Auf den Klippen

 

 

 

Zyle blinzelte, fragte sich einen Moment ob er nicht Träumte. Die Trümmer hatten aufgehört zu fallen. Kleine Steine genau so wie ein Teil der Brücke so groß wie ein Haus schwebten wie eingefroren mitten in der Luft. Nichts regte sich mehr , obwohl der Wind um sie toste.

Ismaiel stand oben ganz am Rand der zerstörten Brücke und hatte die Hand ausgestreckt. Als wäre er der Puppenspieler und die Trümmer nur Marionetten die durch seine Finger gelenkt wurden.

Kugeln zischten um in herum durch die Luft , durchschlugen den Saum seines Mantels oder brachten die Gardisten zu Fall, die sich hinter ihm kauerten und über den Fluss hinweg zielten. Ismaiel jedoch schien von dem Stahlgewitter um sich nicht einmal etwas mitzubekommen. Manche der Projektile zerplatzten kaum eine Handbreit von seinem Körper entfernt in der Luft. Er schien es nicht einmal zu bemerken, während die Brückentrümmer sich auf einen Fingerzeig zu bewegen begannen. Mit der gleichen atemberaubenden Geschwindigkeit mit der sie zuvor in die Tiefe gestützt waren, wurden sie zurück gerissen. Das Eis, das sich bereits wieder über der Narbe im Fluss zu schließen begann wurde erneut aufgerissen, während Trümmer , Steine und ganze Brückenabschnitte wieder nach oben gesogen wurden. Zyle konnte nur mit wachsendem erstaunen zusehen. Und auf Ismaiels Gesicht breitete sich ein triumphierendes Grinsen aus, das dem Gejarn das Blut in den Adern gefrieren ließ. Als wäre nie etwas geschehen fügten sich die Trümmer nahtlos wieder an ihren Platz. Stein verschmolz mit Stein und während die Brücke vor ihm zusammenwuchs, führte Ismaiel bereits seine Gardisten herüber. Die verunsicherten Kultisten, die sich zuvor noch auf der anderen Brückenseite gehalten hatten wichen zurück, als sie sahen wie der wachsende Steinbogen auf sie zukam. Für sie war das, was dieser Mann dort tat göttlich, war seine Macht doch die gleiche die ihr Herr nutzte. Magie nichts mehr. Und vielleicht wären sie in diesem Moment geflohen. Vielleicht hätten sie ihren Glauben gänzlich versagt... Doch wer Ismaiel in diesem Moment sah würde kaum an einen Gott denken, eher an einen finsteren Dämon, der umgeben von Feuer und tobenden Blitzen erneut in ihre Reihen krachte. Und so verging der kurze Moment des Zögerns und die Kultisten warfen sich ihrerseits dem alten Feind, dem Erzverräter an ihrem Gott entgegen. Es nahm kein Ende, der Kampf ging weiter und Ismaiel wachte über alles mit einem grimmigen Lächeln auf den Lippen.

Zyle und seine überlebenden Männer hatten derweil die Klippen am anderen Ufer des Flusses erreicht. Statt Eis knirschten nun gefrorene Kiesel unter ihren Füßen. Schnee und Eis bedeckten auch hier die Felsen, die sich einer zerklüfteten Mauer gleich nach oben zogen, hinein in den weißen Himmel. Am Ende hatte der Weg über das Eis wohl kaum eine halbe Stunde gedauert, dachte Zyle, als er zurück über den Fluss blickte, über die langsam verschwinden Risse und Lücken wo Männer oder Trümmer eingebrochen waren. Und doch kam es ihm so vor, als wären Stunden vergangen. Einige Paladine lehnten schwer atmend an den Felsen oder duckten sich in die vermeintliche Sicherheit der Klippen. Sie waren am Ende ihrer Kräfte. Und doch durfte er ihnen jetzt keine Ruhe gönnen, nur einige Augenbli9cke um sich zu sammeln. Ohne zu zögern griff Zyle nach dem ersten Felsvorsprung und zog sich herauf, so gut es seine durchnässten und bereits gefrierenden Kleider und die Rüstung erlaubten. Was nun vor ihnen lag mochte sogar noch gefährlicher sein als die bevorstehende Schlacht. Mit Schwertern und Schilden auf ihrem Rücken festgezurrt waren sie völlig schutzlos und wenn auch nur die Aufmerksamkeit eines einzigen Postens nicht bei der Schlacht auf der Brücke lag... Die siebzig Gestalten auf den Felsen wären einem Gegenangriff schutzlos ausgeliefert. Zyle wagte es weder nach oben noch nach unten zu sehen, wollte nicht wissen, wie weit der Weg noch war. Doch irgendwann schließlich streckte er die Hand aus und bekam statt glattem Stein und Eis Schnee und Erde zu fassen. Vorsichtig spähte er über den Rand auf die Ebene hinaus, während neben ihm ein Dutzend weitere Köpfe auftauchten. Das Land, das vor ihm lag, war in Aufruhr, doch direkt an den Klippen war alles verlassen, der Schnee vollkommen unberührt. Niemand hatte sie erwartet, niemand sie entdeckt. Weiter den Klippenverlauf entlang jedoch tobte die Schlacht. Zyle konnte die Brücke sehen an der Ismaiel nach wie vor die Gardisten vorantrieb, während von ihrer Seite aus beständig die Kämpfer des Herrn der Ordnung nachströmten. Schreie und Gewehrfeuer drangen nur gedämpft aus Schneetreiben und Eisnebel zu ihnen herüber, doch konnte Zyle die Umrisse der Kämpfenden noch deutlich erkennen. Zelte und Barrikaden zeichneten sich als dunkle Schatten ab, die Banner mit der roten Hand des Heiligen hingegen wie verschwommene Blutflecken. Am Lager selbst so schien es waren nur einige duzend Wachen zurück geblieben, während der Rest des Heeres bereits am Fluss Aufstellung genommen hatte. Vom Rand der Klippen an dem Zyle mit seinen Leuten kauerte wären es nur wenige Schritte bis zu den ersten Zelten. Wenn sie dort für Unruhe sorgen könnten, würden die Armeen des Herrn der Ordnung gezwungen sein sich aufzuteilen um sich dem vermeintlichen Feind in ihrem Rücken zu stellen. Aber waren sie bereit dafür ? Seine Arme begannen langsam zu Schmerzen und er hatte ein drittel seiner Männer an die Fluten verloren. Zyle schloss die Augen. Er hatte keine Wahl mehr. Entweder sie griffen jetzt an und versuchten die Sache zu Ende zu bringen oder sie zogen sich zurück und flohen. Und das war schlicht nicht Möglich.

Mit einem Ruck zog er sich nach oben und löste sowohl Schwert als auch Schild von seinem Rücken. Die Paladine die ihm folgten taten das gleiche. Es brauchte keinen Befehl, keine Anweisungen. Innerhalb weniger Herzschläge standen alle siebzig seiner verbliebenen Männer am Rand der Klippen , die Waffen in der Hand. Leise, als wären sie Geister folgten sie Zyle über den Schnee in Richtung des Lagers. Nach wie vor schien keine der schemenhaft zu erkennenden Posten sie zu bemerken. Es wäre nur noch ein Katzensprung und sie wären mitten unter ihnen. Der erste Wachmann drehte sich um, als er das Knarren ihrer Stiefel im Schnee hörte. Zyle ließ ihm keine Zeit, Alarm zu geben. Mit einem Satz war er bei ihm und trieb ihm das Schwert in die Kehle. Warmes Blut sprudelte über seine Hände und den Schwertgriff, während der Mann mit einem überraschten Ausdruck auf dem Gesicht zu Boden ging. Andernorts sanken bereits weitere Männer in den Schnee,  jedoch wurden auch die ersten Alarmrufe laut, irgendwo hallte ein Schuss, näher als der Schlachtenlärm... Die Zeit der Heimlichkeit war vorbei. Zyle stieß den toten Körper des Postens von sich und riss das Schwert zurück. ,, Paladine, zu mir !“ , rief er und ohne sich umzusehen ob ihm auch jemand folgte, stürmte er los.  Mit einem Tritt verstreute er die Glut eines heruntergebrannten Feuers, die sich in den Zeltplanen verfing. Flammen loderten auf und begannen die Luft mit Rauch zu füllen. Sie waren zu wenige um sich der gesamten Armee zu stellen, sollte es einem der Posten gelingen, Hilfe zu rufen. Ihre einzige Chance bestand darin, so viel Chaos wie möglich zu stiften und sich dann zu Ismaiel durchzuschlagen, falls ihm der Durchbruch gelang. Falls nicht... Falls nicht, würde es hier enden, dachte er. Zelte und angespitzte Palisaden folgen an ihm vorbei, als er auf das Zentrum des Lagers zuhielt. Mittlerweile loderten auch an anderen Stellen Feuer wo seine Männer dem Beispiel ihres Archonten gefolgt waren. Auf der offenen Fläche die nun vor ihm lag hatten sich die verbliebenen Kultisten formiert um sich den Angreifern zu stellen. Es waren kaum mehr als drei Dutzend Männer, doch Zyle sah sich urplötzlich einer Barrikade aus Gewehrläufen gegenüber. Grade noch rechtzeitig warf er sich hinter einen Karren, den jemand vor einem Zelteingang zurück gelassen hatte. Der Donner der Musketen war Ohrenbetäubend, während ihm Holzsplitter um die Ohren flogen. Einige der Projektile prallten von seiner Rüstung ab und jaulten als Querschläger davon. Andere jedoch fanden ihr Ziel. Zyle zuckte zusammen, als eine Kugel seine Schulter durchschlug und das Metall dort verbog. Rotes Blut tropfte aus der Wunde, während die letzten Schüsse verhallten. Einen Augenblick lang wurde es Still, während der Pulverdampf um den Karren herum wehte. Still, bis auf das leise Tropfen von Blut und seinem eigenen  Atem. Mythril konnte einer Kugel standhalten. Aber nicht, wenn es in einem ungünstigen Winkel getroffen wurde. Oder aus nächster Nähe. Zyle konnte ein halbes Dutzend seiner Männer sehen, die sich ebenfalls in Deckung begeben hatten und auf ein Zeichen warteten. Jetzt oder nie.

Mit einem Satz sprang er über den Karren hinweg und tauchte in den Pulvernebel ein. Die erste Reihe  Kultisten stand nach wie vor Schulter an Schulter und war bereits eifrig dabei ihre Musketen nachzuladen, während die hinter ihnen schon die nächste Abteilung Aufstellung nahm. Es war eine zusammengewürfelte Schar, wie Zyle mit einem Blick erkannte. Die meisten trugen abgerissene Kleidung, ohne erkennbare Wappen oder Heraldik. Eine Miliz bestenfalls, doch ihre Kugeln konnten ihnen trotzdem gefährlich werden. Er riskierte es einen Blick zurück zu werfen, und sah seine Leute, die ihm dicht folgten, während vor ihnen nun die zweite Reihe Schützen vortrat und anlegte. Im letzten Moment gab er das Zeichen und ließ sich zu Boden fallen. Der Rest seiner Männer folgte seinem Beispiel keinen Herzschlag später, während die Welt erneut in Donner und weißen Dunstschwaden verschwand. Einen Moment verschwand die Reihe der Musketiere außer Sicht , doch Zyle konnte sich nicht erlauben abzuwarten, bis der Dunst sich verzog. Sofort sprang er wieder auf die Füße und hechtete weiter. Das Zeitfenster das sie hatten war winzig. Wenn sie nicht unter den Schützen waren, bevor die nächste Reihe feuerbereit war, würden sie alle schlicht zerfetzt werden.

Die ersten Gestalten tauchten aus dem Pulverdampf auf.  Ohne langsamer zu werden prallte Zyle mit dem ersten Mann zusammen und riss ihn zu Boden. Während der völlig überraschte Schütze noch versuchte wieder auf die Beine zu kommen, stieß Zyle ihm bereits das Schwert in die Brust und schlug dem nächsten den Schild gegen den Schädel. Sofort drangen die Kultisten von allen Seiten auf ihn ein, doch die meisten Schläge prallten wirkungslos von seiner Panzerung ab.  Bajonette und Musketen waren zu unhandlich um sie im absoluten Nahkampf verwende zu können. Die Männer standen sich gegenseitig im Weg und so konnte keiner Richtig ausholen um einen Treffer anzubringen, der von Bedeutung wäre. Zyle jedoch hatte dieses Problem nicht. Mit einem Rückhandhieb zerschmetterte er einen Schädel , durchtrennte einen Gewehrschaft mitsamt Bajonett, der auf sein Gesicht zielte. Und wo die Männer versuchten zurückzuweichen um sich Platz zu verschaffen warf Zyle sich ihnen erst recht entgegen, wütete unbehelligt weiter, Schwert und Schild in der Hand. Ein Mann der ihm mit einem Messer attackierte stolperte mit durchtrennter Kehle zurück, als er ihm den Schild in den Hals rammte. Die dem Träger abgewandte Seite der Metallplatte war zugeschliffen worden und so zu einer tödlichen Waffe geworden. Der Schild blieb im Knochen stecken und Zyle wand den Ar aus den Schlaufen damit er ihn nicht behinderte.  Stattdessen griff er zu der zweiten Klinge, die nach wie vor in ihrer Scheide ruhte. Ein Schwert in jeder Hand gab es nur noch wenig, das ihm die verbliebenen Kultisten entgegensetzten konnte. Gras und Schnee färbten sich erst rosa und dann rot. Ein Bajonett streifte seine linke Seite. Er bemerkte es kaum. Ein Pfeil ritzte seine Wange. Er fand den Schützen und erledigte ihn mit einem Streich. Für einige Augenblicke versank die Welt um ihn herum in Rot, gab es nur noch das Klirren von Metall und die Schreie der Sterbenden...

 ,,Herr ?“ Jemand rüttelte an seiner Schulter. Das war das erste, was er wieder mitbekam. Nur langsam lichtete sich der rote Nebel um ihn und er erkannte einen seiner Paladine. Die Rüstung des Mannes war zerbeult und mit Blut verschmiert, die Augen blickten genau so leer, wie Zyles eigene  noch Augenblicke zuvor. Weitere Gestalten irrten über das Feld in der Mitte des Lagers zwischen ausgebrannten Zelten und Leichen umher, als hätten sie plötzlich vergessen, was sie eigentlich hier taten...

,, Mir geht es gut...“ , erklärte er kühl, während er nach der Peilwunde in seinem Gesicht tastete. Sie war bereits verschwunden. Aber noch war die Schlacht nicht gewonnen. Er sah in Richtung Brücke, wo der Kampf nach wie vor mit unverminderter Härte geführt wurde. Die kaiserliche Garde kontrollierte mittlerweile den gesamten Brückenbogen, doch noch stellten sich ihnen die Männern des Herrn der Ordnung am Ende des Bogens entgegen und selbst Ismaiels Magie schien dieses mal keine Lücke in ihre Reihen schlagen zu können. Doch noch schienen sie nicht begriffen zu haben, das sie in ihrem Rücken angegriffen wurden. Zyle wusste, eine bessere Gelegenheit würde sich ihnen nicht bieten...  Diese Chance konnten sie sich nicht entgehen lassen...

,, Vorwärts, zu mir.“ Mehr als diese Worte brauchte es nicht, damit die Männer sich wieder neben ihm einfanden. Zufrieden stellte er fest, das  nach wie vor siebzig an seiner Seite standen. Lädiert, verletzt, erschöpft... aber am Leben. Ein Keil aus Stahl den er genau in den Rücken ihrer Gegner treiben würde...

Kapitel 37 Die Sandbestie

 

 

 

Zyle wusste nicht mehr wie lange er schon kämpfte. Zeit schien jede Bedeutung verloren zu haben, das einzige, was ihm noch als Anhaltspunkt für ihr Verstreichen diente, war das stetige Hämmern von Stahl auf Stahl und das seltener werdende Donnern der Geschütze. Die Brücke gehörte ihnen. Als sie den Kultisten in den Rücken gefallen waren, hatten diese ihnen kaum noch etwas entgegenzusetzen gehabt. Zu geschockt waren sie über den Anblick der Männer, die plötzlich aus ihrem eigenen, in Flammen stehenden Lager auf sie zustürmten. Und als die ersten Schüsse fielen waren sie bereits mitten unter ihnen gewesen. Nun jedoch, wo er Ismaiel bereits sehen konnte, nur noch durch einen dünnen Ring aus fliehenden Kultisten von ihm und den ersten Männern der kaiserlichen Garde entfernt, begann der Boden zu zittern. Einen Moment lang ebbte der Lärm der Schlacht um ihn herum ab. Waffen wurden gesenkt, Köpfe drehten sich fort von der Brücke und der Schlacht in Richtung der brennenden Zelte. Und dem was nun von dort auf sie zukam. Schuppen, deren Farbe an altes Pergament erinnerte bedeckten den breiten Körper der Kreatur, der auf vier erstaunlich dünnen Beinen ruhte. Drei Hörner krönten den Kopf, der in einem Schnabel ohne Zähne endete. Stattdessen bestand das Maul der Kreatur nur aus scharfkantigen Knochenplatten, die ungepanzertes Fleisch einfach zerschnitten. Grüne Augen voller animalischer Heimtücke und Wut brannten darüber. Statt brauen sprossen darüber federartige Schuppen deren Kanten messerscharf waren und sich in parallelen Linien den ganzen Körper des Wesens entlang zogen. Ein mit Dornen und den gleichen Klingenfedern besetzter Schweif peitschte hinter ihm und lies bei jeder Bewegung einen dünnen Pfeifton entstehen, wie wenn ein Schwert durch die Luft fuhr.

Selbst die Kultisten wichen beim Anblick der Kreatur zurück, die sich nun zwischen den verkohlten Überresten ihres Lagers einen Weg suchte. Es war kein Geweihter, dachte Zyle. Keine menschliche Bestie, verzehrt durch Kräfte, die nie ein sterbliches Wesen besitzen sollte. Nein, Zyle kannte diese Kreatur. Ein Sandschleicher, eine Unterart der Drachen, ähnlich den Wyvern des Nordens. Bei weitem nicht so intelligent oder gefährlich wie ein  echter Drache besaß das Wesen nicht einmal Flügel und erinnerte auch ansonsten mehr an eine zu groß geratene Echse als an einen der ehrfurchtgebietenden Götter der Whaid. Und normalerweise würde man ein solches Wesen auch in den Wüsten um Helike nur selten zu Gesicht bekommen. Sandschleicher waren bei weitem nicht so aggressiv oder territorial wie Wyvern und vergruben sich Tagsüber meist im Sand. Wenn sie einmal hervorkamen dann nur wenn sich über ihnen leichte Beute regte, wobei sie den Tritt eines Pferds angeblich schon auf eine halbe Tagesreise Entfernung wahrnehmen konnten. Einen einzelnem, halb verdursteten Wanderer mochten sie attackieren, eine Gruppe  Paladine oder eine Karawane der Whaid hingegen ließen sie meist in Ruhe und  waren damit für die meisten Menschen harmlos. Manche jagten sie auch wegen ihrer Federn und Schuppen die vor allem bei den Whaid für Waffen oder Rüstungen verwendet wurden und für einen Jäger eine mehr als Eindrucksvolle Trophäe abgaben. Mit der Zeit hatte man die Echsen daher bis in die entlegensten unbevölkerten Winkel der Wüsten verdrängt.

Was Zyle zu der Frage brachte, was so ein Wesen hier zwischen Schnee und Eis überhaupt zu Suchen hatte. Die Paladine, die sich dem Herrn der Ordnung angeschlossen hatten mussten den Schleicher schon gefangen haben, bevor sie überhaupt in Richtung Kaiserreich aufbrachen... und wenn er es sich so besah bezweifelte er , das sich jemand die Mühe gemacht hatte es zu füttern. Und wenn diese Wesen eines waren, dann empfindlich für Lärm. Das Tosen  der Schlacht musste für den Sandschleicher die reinste Qual sein.. und einmal Wild gemacht würde es alles töten, bis es der Schlacht entweder entkam oder selber vernichtet wurde...

Einige Männer bleiben wie angewurzelt stehen, als der kleine Drache in ihre Reihen krachte und Links und Rechts um sich schnappte. Die Kiefer zertrennten Knochen und zermalmten Fleisch ohne jeden Wiederstand. Blut lief über den Schnabel der Kreatur, während es weiter zwischen die Kämpfenden fuhr, ohne dabei zwischen Kultisten oder Garde zu unterscheiden. Paladine und Gardisten  wichen um ihn herum zurück, als die tobende Kreatur näher kam. Nur Zyle blieb wo er war. Sie konnten es sich nicht erlauben jetzt zurück zu weichen. Und gleichzeitig... was sollten sie gegen dieses Monster ausrichten ? Eine Kugelsalve traf es in die Flanke ohne Schaden anzurichten. Wenn überhaupt schienen die Bleikugeln die von seinem Panzer abprallten es nur noch wütender zu machen. Zwischen ihm und der Bestie lagen mittlerweile nur noch wenige Schritte... Zyle schloss die Augen, zählte jeden die Erde erschütternden Schritt des Drachens. Er würde nicht wanken, nicht zurückweichen. Er war immer noch ein Schwertmeister Helikes. Und einst waren es die Schwertmeister gewesen, die sich den Drachen der Whaid zusammen mit Laos entgegengestellt hatten. Ein Sandschleicher war nichts gegen diese ehrwürdigen Bestien. Und doch waren die Zeiten in denen sie sich mit Drachen herumschlagen mussten lange vorbei, die letzten großen Drachenjäger vor Jahrhunderten gestorben. Es spielte keine Rolle. Ein Schwertmeister wich nicht zurück.

Zyle warf sich im letzten Moment zur Seite, als die Schnabelartigen Kiefer des Drachens nach ihm schnappten. Er rollte sich über die Schulter ab und stieß nach dem nur schwach gepanzerten Bauch der Kreatur, hinterließ einen klaffenden Schnitt aus dem dunkles, zähes Blut troff. Das Wesen bäumte sich auf und hieb mit den Vorderpranken nach ihm. Erneut konnte Zyle sich nur mit einem Hechtsprung zur Seite retten, während die Klauen des Monsters sich in seinem Umhang verfingen und den Stoff in Fetzen rissen. Eines seiner Schwerter wurde ihm aus der Hand geprellt, als er nach dem Schädel der Kreatur stieß und das Wesen ruckartig mit dem Schädel ausholte. Die Klinge glitt wirkungslos an den Schuppen ab und die bloße Wucht der Bewegung  hätte ihm fast den Arm ausgekugelt. Er sah nur noch wie das Stück Stahl blitzend durch die Luft segelte, bevor ihn eine Kralle traf und von den Beinen fegte. Schmerz explodierte in seinem Brustkorb   Als er ungebremst gegen die Brüstung der Brücke geschleudert wurde. Zyle konnte seine Knochen knirschen hören während er halb betäubt zu Boden ging. Steh auf, schrie er sich selbst an. Steh auf und sieh zu das du weg kommst. Doch seine Beine wollten ihm nicht mehr gehorchen , seine Sicht verschwamm. Und der große, sandfarbene Schemen der sich auf ihn zuschleppte kam immer näher. Irgendwie kam er wieder auf die Füße und warf sich zur Seite, als die großen Keifer zuschnappten. Doch dieses mal war er nicht schnell genug. Zyle wurde zurückgerissen als die Überreste seines Mantels sich im Maul des Monsters verloren. Einen Moment schwebte er in der Luft, trat hilflos mit den Füßen, als das Monster ihn nach oben riss, zweifelsohne um ihn im nächsten Moment zu verschlingen. Doch noch hielt er das Schwert umklammert und als das Biest den Kopf hob um ihn zu Schütteln stieß er mit aller Kraft die ihm geblieben war zu. Die Unterseite des Halses des Sandschleichers war weich und bot fast keinen Wiederstand, als der Stahl sich hineinbohrte. Dickes, zähflüssiges Blut quoll aus der Wunde hervor, als Zyle die Klinge drehte und zur Seite zog. Das schmerzerfüllte Heulen der Kreatur ging in ein gurgeln Über als sein Maul sich mit Blut füllte. Blut, das die Überreste von Zyles Umhang durchtränkte und an den Rändern des scharfkantigen Schnabels hinab lief. Die ganze Kreatur zitterte einen Moment, Zyles Schwert nach wie vor tief in seiner kehle versenkt, während der Schwertmeister die Waffe losließ und an den Überresten seines Mantels zerrte. Der Stoff gab mit einem hörbaren Reißen nach und er stützte schwer zu Boden. So schnell er konnte, krabbelte er von dem schwankenden Ungetüm fort. Blut quoll mittlerweile in einem breiten Rinnsaal aus der Wunde an Hals und Bauch. Und dann gaben auch die Beine des Sandschleichers nach. Mit einem letzten, hohen Wimmern brach der Koloss in sich zusammen und brachte die Brücke zum zittern.

Zyle blieb einen Moment schlicht liegen wo er war, während seine Männer auf ihn zustürmten und ihren vermeintlichen Archonten umringten. Jemand musste ihn aufhelfen, weil seine Beine ihn nach wie vor nur wiederwillig trugen und als er das verbliebene Schwert aus dem toten Körper zog, musste er sich auf einen weiteren Paladin stützen um nicht zu fallen.

 Nach wie vor drehte sich in seinem Kopf alles, während er sich am Rand der Brücke umsah. Sowohl Gardisten als auch die Anhänger des Herrn der Ordnung waren erstarrt wo sie waren, doch er bezweifelte, das dass lange dauern würde. Energisch schüttelte er den Mann, der ihn stütze ab und umklammerte den Schwertgriff. Nur langsam gewann er die Kontrolle über seinen Körper zurück und ihm war klar, das selbst er eben dem Tode nahe gewesen war. Ein normaler Gejarn wäre vermutlich schon bei seinem Aufprall an der Brüstung tot oder zumindest gelähmt gewesen. Und doch auch sein Körper hatte Grenzen, dachte Zyle, das bekam er in letzter Zeit immer öfter zu spüren. Und er hatten sie so gut wie erreicht. Wie oft konnte er sich heute noch in die Schlachtreihen werfen ? Nicht mehr oft, dachte er, aber es blieb ihm auch kaum eine andere Wahl.

,, Zu mir !“ , rief er, solange die Kultisten sich noch neu organisierten. ,, Schließt die Reihen, niemand nimmt uns diese Brücke wieder ab.“

Schilde und Schwerter blitzten durch die Luft, als sich die Paladine erneut hinter ihrem Anführer formierten. Mittlerweile waren auch die Männer eingetroffen, die Zyle zuvor am Lager der Gardisten zurück gelassen hatte. Alles in allem vielleicht zweitausend Schwerter...

 Der Gegenangriff lies nicht lange auf sich warten, als die Kultisten durch die Lücken stürmten, welche die Bestie zuvor für sie gerissen hatte. Die vor der Brücke verstreuten Gardisten konnten sich nur noch zurückziehen, während die Paladine ihnen Platz machten, ohne jedoch Anstalten zu machen, ihnen zu Folgen um sich neu zu formieren. Zyle konnte ihnen ansehen was sie dachten.  Die Männer aus Helike mussten den Verstand verloren haben, nicht zu fliehen, während sie noch die Chance dazu  hatten. Doch es gab keinen Rückzug. Sie kauften Zeit, mehr nicht. Zeit, die Ismaiel brauchen würde, wo immer er jetzt war. Auf der Ebene kämpften immer noch kleinere Abteilungen der kaiserlichen Garde gegen die wieder anrückenden Kultisten. Und wenn sie sie nicht hier an der Brücke festhielten würden die wenigen Blauröcke kaum eine Chance haben sich zu behaupten. Brach ihr Vorstoß zusammen, ohne das der alte Magier sein Ziel erreichte, war alles umsonst... Sie waren der letzte Schild des Kaiserreichs, das letzte brennende Überbleibsel der alten Kriegerkaste Helikes. Und dieser Tag würde darüber entscheiden ob es für etwas davon noch eine Zukunft gab.

,, Für Archont und Stadt !“ Der Ruf war das letzte was Zyle hörte, bevor der Schlachtlärm alle anderen Geräusche nebensächlich machte.

Als die Reihen aus gepanzerten Kriegern und Kult-Milizen aufeinander trafen, hätte die Wucht mit der Körper und Stahl aufeinander prallten Zyle fast erneut von den Füßen geholt. Bajonettklingen trafen auf Schilde, vereinzelt surrten Kugeln, prallten als Querschläger von Panzern ab oder brachten Männer zu Fall. Wenigstens  schienen ihre Gegner kaum noch Munition zu haben, wenn sie sich ihnen schon im Nahkampf stellten, dachte Zylle. Das war immerhin etwas und mit den Klippen auf beiden Seiten und nur der Brücke als Weg weiter wurde ihre eigene Übermacht für sie zum Hindernis. Die Männer standen zu dicht, konnten mit den Gewehren und Bajonetten nicht Richtig ausholen. Zyle und seine Männer hatten dieses Problem nicht.  Sie waren ausgebildet und er selber wurde nicht müde und selbst wenn ihn einmal eine Klinge traf, glitt diese entweder vom Stahl ab oder die Wunden waren nur Oberflächlich und begannen sich bereits nach einigen Minuten zu schließen. Sie würden die Brücke noch etwas länger halten können, dachte er erleichtert. Aber nicht für immer. Suchend blickte er über die Köpfe der Kämpfenden hinweg hin zu den vereinzelten Gruppen aus Gardisten, die nach wie vor um das Lager des Herrn der Ordnung herum kämpften. Wo war nur Ismaiel und worauf wartete er noch , wenn der rote Heilige wirklich persönlich hier war ? Die Zeit lief ihnen davon. Entweder sie brachten das hier schnell zu Ende oder es gäbe kein Entkommen mehr...

 

 

Kapitel 38 Verschätzt

 

 

 

 

 

Es war nicht einfach gewesen, Armell davon zu überzeugen zurück zu bleiben. Und wenn er ehrlich war, hätte er jetzt einiges darum gegeben, sie noch an seiner Seite zu haben. Aber wenigstens wäre sie in Sicherheit. So sicher, wie irgendjemand in diesem ganzen Chaos eben sein konnte.

Merl hatte die Brücke längst aus den Augen verloren. Ismaiel und er hatten die verbliebenen Gardisten, denen der Durchbruch gelungen war lange hinter sich gelassen. Stattdessen hatten er und der alte Zauberer einen Bogen um das Lager der Kultisten geschlagen, so das die Schlacht nun an der von ihnen Abgewandten Seite stattfand. Und zum ersten mal seit er sich ihm auf dem Weg über die Brücke angeschlossen hatte, wurde der alte Magier langsamer.

Merl wusste nicht was er plante und er war sich nicht einmal sicher, warum er dem Ruf des Mannes letztlich überhaupt gefolgt war. Ein Teil von ihm wollte Ismaiel am liebsten alleine seinem Schicksal überlassen. Wie auch immer dieses aussah. Und der andere... der wusste, das ihm keine Wahl blieb. Ismaiel musste Erfolg haben. Und so wenig er es wahrhaben wollte, dachte Merl, am Ende war das Wesen, das den Körper seines Meisters besetzt hielt immer noch sein Vater. Nach wie vor fiel es ihm schwer sich mit diesem Gedanken anzufreunden, besonders nachdem er gesehen hatte wie Rücksichtslos Ismaiel beim Kampf auf der Brücke vorgegangen war. Gnadenlos hatte er die Kultisten zurück und seine Garde vorangetrieben, selbst als sie das offene Land auf der anderen Seite des Flusses erreichten. Und nun kämpften diese verstreuten Männer irgendwo dort draußen um ihr Leben.

Merl hatte sein bestes getan, sie auf dem Weg hinüber zu schützen, nachdem Ismaiel einmal eine Lücke in die Reihen der Kultisten gerissen hatte. Ismaiel hingegen schien sich kaum mehr darum zu kümmern was mit seinen Männern geschah als um die Gegner die vor ihm in Flammen aufgingen. Merl hätte gerne geglaubt, das es nur war um seine eigenen Kräfte für die bevorstehende Konfrontation zu schonen. Aber dafür trieb das letzte lebende Mitglied des alten Volkes seine Gardisten nach wie vor zu energisch an. Nun jedoch war der Schlachtlärm verstummt.

,, Komm schon her, ich brauche dich.“ Ismaiels Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Der alte Magier stand regungslos an den Stamm einer Tanne gelehnt und betrachtete ihn ohne jede Gefühlsregung. Merl hatte gar nicht mehr mitbekommen, wie er stehen geblieben war. Der Schnee um ihn herum und das helle Holz  bildete einen Kontrast zu seinem schwarzen Mantel und den silbernen Ziernähten darin, während er zu den Zelten des Kultistenlagers hinüber sah. Schweigend wartete er, bis Merl sich durch den Kniehohen Schnee zu ihm gekämpft hatte. Ismaiel sah einen Moment wortlos zu ihm herab, wie er da eingesunken stand, während der alte Magier selbst fast über den Schnee zu gleiten schien, ohne mehr als dünne Fußabdrücke im weichen Untergrund zu hinterlassen.

,, Was denkst du ?“ , fragte er schließlich und nickte in Richtung der Zelte. Während von der Brücke aus der Schlachtlärm zu ihnen drang, war hier hinten alles wie ausgestorben,. Lediglich der Wind brachte Planen und Seile zum flattern und trieb Schnee durch die verlassenen Pfade des Lagers.

,, Sieht verlassen aus.“ , stellte Merl fest um gleich darauf hinzuzufügen. ,, Was machen wir hier ? Ich dache wir sollten den roten Heiligen suchen.“ Und diesen Wahnsinn endlich beenden. Je früher desto besser...

,, Glaub mir, er ist hier. Und er weiß das ich komme.“

,, Woher ?“

,, Um manche Dinge zu wissen, braucht es keine Magie, Junge. Woher weiß Schnee, das er in Richtung Erdboden zu fallen hat ? Sie ziehen sich an. Und genau wie eine Flamme  eine Motte anzieht, wird er zu mir kommen. Oder ich zu ihm.“

Die letzten Worte des Zauberers beunruhigten Merl mehr als er zugeben wollte. Eine Motte verbrannte, wenn sie das Licht erreichte. Und wenn auch unabsichtlich, aber Ismaiel hatte grade scheinbar zugegeben, das er nicht wusste, wer hier eigentlich die Rolle der Motte spielte. Hatte er deshalb darauf bestanden, das Merl ihn begleitete ? Als Absicherung ? Sollte er für Ismaiel nun die Trumpfkarte sein... oder doch nur ein Schild falls etwas schief lief ? Nach allem was er von ihm gesehen hatte, erschien ihm letzteres wahrscheinlicher. Und damit würde er sich vor seinem Vater wohl genau so hüten müssen, wie vor ihrem eigentlichen Feind.

 Damals im roten Tal war es ihm fast gelungen, den roten Heiligen zu vernichten. Setzte Ismaiel darauf, das ihm das erneut gelingen könnte ?   Es war seltsam an jene Augenblicke zurück zu denken. So kurz vor seiner... ja was eigentlich ? Wiederauferstehung ? Alles was nach seinem Tod geschehen war erschien ihm mittlerweile weit fort, als hätte ein anderer all jene Dinge erlebt, die nach wie vor an seiner Seele zerrten. Oder als wäre es nur ein verworrener Traum gewesen. Vielleicht war das auch gut so, dachte Merl. Es gab Dinge, an die er sich nicht erinnern wollte. Das Gefühl der Verzweiflung, die Unsicherheit... Es spielte keine Rolle. Er war wieder hier. Und alleine um Armells willen er hatte nicht vor so bald wieder zu gehen, egal was Ismaiel planen mochte.

Nach wie vor rührte sich nichts zwischen den Zelten vor ihnen. Doch so verlassen das Lager auf den ersten Blick auch wirkte, Ismaiel zögerte noch immer sich zu nähern. Konnte es sein, das der alte Magier Angst hatte ?  Ismaiels Hände umklammerten Atruns Griff, als wollte er sich vergewissern, das die Waffe nicht plötzlich abhanden gekommen war.

,, Werden wir Erfolg haben ?“ Merl fühlte sich schon unwohl die Frage nur zu stellen. Und er rechnete nicht wirklich mit einer ehrlichen Antwort. Ismaiel würde es nur als Schwäche sehen...

,, Ich weiß es nicht.“ Die Worte überraschten ihn tatsächlich kurz, klangen sie doch geradezu sanft. Ismaiel drehte sich nicht zu ihm um, während er sprach, sondern behielt weiter die Zelte im Auge. Der hintere Teil des Lagers bestand aus vierzehn Reihen kleinerer  Zelte aus dunklem Stoff, die sich in Richtung Brücke zogen. In ihrer Mitte jedoch erhob sich ein größerer Unterstand, der mit roten und weißen Stoffbahnen dekoriert war und vor dem ein duzend Standarten mit dem Banner des Herrn der Ordnung wehten. Der hohe Eingang, der vom Boden bis zur Spitze der Zeltdecke geschnitten war, war mit Bahnen aus schwarzem Filz verhängt, so das es Unmöglich war, von außen hinein zu sehen. Weitere rote Schatten prangten darauf, wie um noch jedem klar zu machen, wer hinter den Zeltbahnen residierte.

So oft er das Symbol der vierfingrigen Hand jetzt schon gesehen hatte, Merl bekam immer noch eine Gänsehaut davon.  Und nicht nur davon. Ihm war, als hätte sich etwas auf seine Brust gelegt, während er zu dem Unterstand  herüber sah. Die Luft selbst schien schwerer zu werden  und machte jeden Atemzug mühsam. Magie, dachte er. Irgendetwas war dort hinter den Planen verborgen. Etwas, dessen bloße Anwesenheit magische Wellen durch die Luft schickte. Seine Füße kribbelten nicht nur leicht, er hatte das Gefühl, in einem Ameisenhaufen zu stehen , wurde gebissen und gezwickt, als wollten sie ihn dazu anhalten, doch umzukehren.

Wenn sie hier noch länger warteten, würde er noch den Mut verlieren, dachte der Junge. Er sah zu Ismaiel, der nach einigen Augenblicken schließlich nickte und leise wie ein Schatten über den Schnee huschte. Er hatte bereits die Sicherheit der ersten Zeltreihen erreicht, als Merl sich noch immer durch den Schnee kämpfte und sah mit einem missbilligenden Blick zu ihm zurück. Dennoch sagte er kein Wort, als der junge Magier ihn schließlich einholte und sich tiefer in das stille Lager schlichen. Zwischen den Zelten war der Schnee immerhin nicht mehr ganz so tief, so  das Merl wieder mit Ismaiel mithalten konnte. Doch noch immer war es viel zu still, dachte er. Neugierig und misstrauisch zugleich begann er die Umgebung abzusuchen, lauschte auf das leiseste Geräusch oder einen Hauch von Magie. Doch alles was er fand war die Erdrückende Präsenz, die aus dem großen Zelt in der Lagermitte drang. Wenn sonst noch jemand oder etwas hier war, verbarg es sich meisterhaft , den selbst Ismaiel, der sich genau so misstrauisch umblickte wie er selbst, schien nichts entdecken zu können. Schnee hatte sich über die Überreste eines Kochfeuers gelegt und eines der Zelte in der Nähe war unter der Last zusammen gebrochen. Merl stieg über die erkaltenden Kohlen hinweg und auf den Eingang des großen Unterstands zu. Ismaiel hielt sich dicht hinter ihm, die Augen genau wie er jetzt auf den wogenden, schwarzen Filz gerichtet. Irgendetwas stimmte hier schlicht nicht, das wussten sie beide. Selbst wenn der rote Heilige sich ihnen alleine stellen wollte... worauf wartete er dann bitte ? Sie wussten beide, das er da war und ihm musste genau so klar sein, das Ismaiel auf dem Weg war. Das war eine Falle, irgendein Trick und doch...

Der dunkle Stoff glitt langsam zur Seite, als sich etwas im inneren des Zelts bewegte. Das erste, was Merl sehen konnte, waren dünne, lange Finger die sich  nach draußen schoben und den Eingang aufzogen. Die Haut auf ihnen war Nachtschwarz mit vereinzelten Glutaugen, die noch darunter glommen, als wäre das Wesen von innen verbrannt. Und es war groß, dachte Merl, als mehr von dem Schatten in Sicht kam. Fast doppelt so hoch wie ein ausgewachsener Mann, aber dürr, wie eine ausgetrocknete Leiche. Dünne, pergamentartige Haut spannte sich über einen Schädel ohne Augen

Arme und Beine schienen genau so kaum Substanz zu besitzen. Knochen und Rippen waren bei jedem Schritt des verbrannten Wesens deutlich zu erkennen. Und dann breitete es Schwingen aus. Feuer hüllte die dünnen Membranen ein, die genau so tot und vertrocknet wirkten wie der Rest der Kreatur . Flammen leckten an seinen Schulterblättern, fächerten aus, bis  das Ungeheuer selbst inmitten des Feuersturms klein wirkte. Glutaugen öffnete sich überall am ausgezehrten Körper , richteten sich auf Merl, als es die letzten Stoffbahnen abstreifte. Alleine die Gegenwart dieser Kreatur raubte ihm fast den Atem. Das war was er gespürt hatte, doch nun hatte er ihren Gegner unverhüllt vor sich. Nicht der rote Heilige, nein. Doch selbst Ismaiel wich unwillkürlich vor dem Feuerengel zurück. Der Schnee um die Kreatur herum schmolz innerhalb weniger Herzschläge, als es einen Schritt auf sie zutrat. Wasserströme quollen unter seinen Füßen aus dem zuvor gefrorenen Boden und erstarrten wieder, noch bevor sie Merl erreichten. Totes, gelbes Gras tauchte unter dem Eis auf und die Hitzewellen, die jede Bewegung des Wesens begleitete brannten in seinem Gesicht, als stünde er vor einem  Hochofen. Und doch war Merl wie erstarrt, als er das Ungeheuer auf sich zutreten sah. Unfähig auch nur einen Muskel zu rühren konnte er nur hilflos in Ismaiels Richtung spähen.  Warum unternahm er nichts ? Hatte der alte Magier sich auf  der Brücke doch verausgabt ?

All diese Fragen verwandelten sich in Asche, als das Monster vor ihm eine Hand hob. Peitschen aus Feuer schlugen aus seinen Flügeln empor, verdichteten sich, während sie auf Merl zuströmten. Er kam grade noch dazu einen Schild herbeizurufen, bevor die Flammen ihn einhüllten. Knisternd trafen die Zauber aufeinander, Funken stoben auf wo Hitze und Magie verpufften als sie um Merls Körper herum gelenkt wurden. Trotzdem standen ihm bereits nach wenigen Augenblicken Schweißperlen auf der Stirn. Die Anstrengung, die Barriere gegen den Ansturm der Flammen aufrecht zu erhalten, ließ seine Arme zittern und ihm war, als hätte ihm jemand glühende Nadeln in die Schläfen getrieben.  Seine Gedanken rasten. Was konnte er tun ? Und warum unternahm Ismaiel noch immer nichts ? Schwach konnte er den Schemen des alten Magiers ausmachen, der ungerührt dastand.

Und der Feuersturm machte keine Anstalten abzureißen... Mit allem, was er noch an Konzentration aufbringen konnte, zog er Macht aus dem blauen Juwel um seinen Hals. Die Träne flackerte, erfüllte das innere des Schilds mit geisterhaften Schein. Und doch reichte es nicht aus, dachte Merl. Er konnte nichts tun, als sich zu verteidigen und auch so begann die Hitze langsam den Schildzauber aufzuzehren, schlugen Feuerzungen durch Breschen in der magischen Barriere... Er wusste ihm bleiben vielleicht noch Augenblicke, bevor die Hitze ihn verzehren würde, Schild hin oder her.

Er Ismaiel stand sicher  immer noch irgendwo abseits ihres Kampfes... und was erhoffte er sich hiervon, außer Merls Tod ? Vielleicht hatten sie sich alle täuschen lassen. Am Ende ging es Ismaiel vielleicht nicht einmal mehr darum, den roten Heiligen zu stellen. So oder so... das war das Ende...

Und dann trat eine Gestalt zu ihm durch die Flammen.

 

Kapitel  39 Konfrontation

 

 

 

,, Vernichte diese Abscheulichkeit endlich.“ Die Worte schienen wie aus weiter Ferne zu kommen, als der in dunkle Roben gehüllte Mann aus den Flammen trat. Das Feuer, das an seiner Kleidung leckte schien er nicht einmal zu bemerken, sein Blick blieb alleine auf Merl gerichtet. Brennende, grüne Augen, die ihn abschätzig musterten. Er hätte Ismaiel am liebsten gefragt, wie er sich das vorstellte, doch selbst für die Worte fehlte ihm schlicht die Kraft. Die Träne um seinen Hals flackerte jetzt nicht mehr, sondern gab nur noch einen schwachen, dünnen Lichtschein von sich, während die Hitze des Feuersturms, die der Dämon entfesselt hatte, bereits begann seine Haare zu versengen.

Er brachte nur ein dünnes ,, Wie ?“ zustande. Selbst wenn seine Kräfte ausreichen würden, dieses Ding zu vernichten, er konnte sich doch unmöglich auf zwei Zauber gleichzeitig konzentrieren. Zumindest nicht auf welche, die ihn gleichzeitig Schützen und auch nur das geringste gegen den Feuerengel ausrichten könnten. Die einzige Möglichkeit überhaupt etwas zu tun wäre seine Verteidigung preiszugeben und dann... würde er schlicht sterben.

,, Hör auf dich dumm zu stellen. Ich weiß das du es kannst, also los !“ Ismaiel schienen seine Einwände nicht zu interessieren. ,, Oder stirb hier. Deine Entscheidung...“ Immer noch inmitten der Flammen stehend schien das Feuer Ismaiel nichts das geringste anhaben zu können. Ganz im Gegensatz zu Merl selbst.  Seine Muskeln verkrampften sich, so als müsste er mit der Barriere längst auch ein physisches Gewicht stemmen und seine Beine drohten unter ihm nachzugeben. Immer wieder brach der Zauber stellenweise zusammen und Feuerfinger griffen nach ihm, versengten seine Roben und setzten den Stoff in Brand. Er machte einen Schritt zurück und der Dämon, nur ein verschwommener Schatten jenseits der Feuer,  einen auf ihn zu. Das Gras zu seinen Füßen war längst verbrannt, der Schnee geschmolzen. Er stand auf Glut und Kohlen, die sich langsam durch das Leder seiner Schuhe zu fressen begannen.

,, Tu es endlich du nutzloser Mischling !“ , fuhr Ismaiel ihn an. Und Merl spürte nur Wut. Wut auf Ismaiel, den Mann den das Schicksal zu seinem Vater machen musste, Wut auf sich selbst weil er dumm genug gewesen war ihm auch nur einen Moment zu trauen... und auch Wut auf Zachary. Zachary, der ihm all dies Jahrelang verheimlicht hatte. Jede einzelne Unze Zorn floss in den langsam zerbrechenden Schild, schloss die irisierenden Lücken, durch welche die Flammen drangen. Merl konnte spüren, wie die Magie aus seinem Körper floss. Nicht mehr aus dem Juwel um seinen Hals sondern aus seiner eigenen Seele. Mehr als er je herbeigerufen hatte, mehr als er für Möglich gehalten hätte ohne sich dabei umzubringen. Den Versuch, die Magie irgendwie zu formen unternahm er erst gar nicht. Es wäre gewesen, wie gegen einen wilden Strom ankämpfen zu wollen. Stattdessen folgte er ihm, ließ sich treiben. Und er richtete alles was er hatte gegen das brennende Phantom vor ihm

Es gab einen dumpfen Schlag, als sich der Schild um Merl zusammenschloss nur um im gleichen Moment mit unvorstellbarer Geschwindigkeit nach Außen gerissen zu werden. Die leuchtende Barriere fegte das Feuer schlicht beiseite, als sie sich ausdehnte und über den Dämon hinwegspülte. Die flammenden Schwingen der Kreatur wurden von der Gewalt des Zauber zerfetzte, sein aschener, ausgebrannter Körper in alle Winde verstreut. Dunkle Tupfer regneten auf das versengte Gras herab, als Merl schließlich die Hände sinken ließ. Alles um ihn herum drehte sich, jeder Muskel tat ihm weh und die Nadeln in seiner Stirn schienen zu Dolchen gewordne zu sein, die tief in seinen Schädel drangen. Langsam hob er den Kopf und spähte in Richtung der Stelle wo vor wenigen Augenblicken noch der Feuerengel gestanden hatte.  In der langsam zu Boden rieselnden Asche lag nur noch die verkrümmte Form eines Menschen. Kein großer Dämon mehr, kein Monster. Nur ein Mensch, nackt, hilflos und zu Merls Überraschung schwer atmend. Weder sagte der Mann etwas, noch rührte er sich groß, starrte nur mit leeren Blick ins Nichts. Als wäre da schlicht nichts mehr hinter seinen Augen. Nur leere, wo einst Leben gewesen war.

,, Vergiss ihn.“ , meinte Ismaiel, als er die Hand hob. Eine Lanze aus Licht schoss daraus hervor und durchbohrte den Körper des Mannes, verzehrte auch diesen zu Asche. ,, Wen ein Mensch die Geschenke des Herrn der Ordnung  unvorbereitet annimmt, verschwindet der Teil von ihm der einst ein lebendiges Wesen war immer mehr. Das war nichts mehr als eine leere Hülle. Seine Seele starb in dem Moment in dem er sich dem Unsterblichen verschrieb. Es gibt keinen Weg sie zu retten. Und  am Ende ist in ihnen nur noch er. Selbst wenn seine Macht über sie bricht, überleben die meisten nicht. Und wenn doch... sind sie fort.“

Merl antwortete nicht, während er zusah, wie der Wind die Asche über die Schneebedeckten Felder verstreute. Tief atmete er die kühle, klare Winterluft ein. War er in seinem Leben schon einmal so dankbar gewesen zu frieren ? Der kalte Lufthauch lies seine Verbrennungen taub werden. Das Eis, das sich abseits ihres Kampfplatzes gebildet hatte war so glatt, das er sich darin spiegeln konnte. Dunkle Rußstriemen zogen sich über sein Gesicht und seine Haare waren mehr schwarz als braun, verbrannt durch die Hitze des magischen Feuers. Doch er war nicht älter geworden, seine eigene Magie hatte kaum spuren hinterlassen und das obwohl er zuvor noch gefürchtet hatte sich selbst damit umzubringen. Und selbst die Erschöpfung fiel erstaunlich schnell von ihm ab...

Doch je länger er Ismaiel zuhörte, desto mehr wurde ihm auch noch etwas anderes bewusst.

,, Du hättest ihn jederzeit selbst töten können, oder ?“ , fragte er ohne sich zu seinem Vater umzudrehen.

,, Ich wollte sehen wie weit du bist.“ Ismaiel trat auf ihn zu, klang dieses mal fast entschuldigend. ,, Und ob du dein Erbe auch zu nutzen weißt.“ Merl musste sich zusammennehmen um seine Hände nicht abzuschütteln, als er sie ihm auf die Schultern legte.

,, Das war also alles nichts weiter als ein bloßer Test für dich ?“ Er hätte ihn sterben lassen, dachte Merl.  Hätte er nicht getan was der alte Magier von ihm erwartete... oder wäre er nicht dazu in der Lage gewesen, Ismaiel hätte zugesehen, wie er verbrannte.  ,, Du hättest mich sterben lassen.“

Merl wirbelte herum und schlug ihn. Der Hieb traf Ismaiel offenbar völlig unvorbereitet, den der alte Magier stolperte mit einem Aufschrei zurück, taumelte, während Blut aus seiner Nase sickerte. Merl  wusste sofort, das er eine Grenze überschritten hatte und stellte sich innerlich darauf ein. Ismaiel war niemand, der sich schlagen ließ, so viel war ihm klar. Und er war niemand, der sich für Dumm verkaufen ließ. Seine Hand ballte sich zur Faust, bereit seinem Vater einen Blitz nachzuschleudern, sollte er Anstalten machen, ihn zu attackieren. Doch zu seiner  Überraschung blieb er lediglich mit gesenktem Kopf stehen.

,,Nein...“ Ismaiel sah auf. Seine Stimme klang Nasal und verzerrt und seine Augen... ,, Das niemals.“  Verletzten ihn seine Anschuldigungen wirklich ?  Oder spielte er nur wieder irgend ein Spiel ? Merl wusste es nicht und als ihn der alte Magier das nächste mal ansah, war sein Blick wieder hart und gefasst und von grünem Feuer erfüllt. ,, Das wäre Verschwendung. Und dafür war ich nie zu haben. Ich bin kein Narr, Junge. Ich brauche dich noch immer.“

Als lebendes Schild ja ? , dachte Merl, sprach es jedoch nicht aus. ,, Tu so etwas nie wieder.“ , erklärte er schließlich nur und war bereits drauf und dran durch das Lager davon zu stapfen, als ihm auffiel, das etwas nicht stimmte. Er wurde langsamer, blieb stehen. Seine Füße kribbelten, wie von tausend Insektenstichen, die Haare auf seinem Unterarm waren aufgerichtet... Der Engel war tot, doch die Präsenz, die sie hierher gezogen hatte... Die Präsenz war nach wie vor deutlich zu spüren.

,, Wirklich beeindruckend.“ Erneut teilte sich der schwarze Vorhang vor dem Zelt. Der Mann der dieses mal heraustrat mochte wohl noch menschlich wirken, doch nach allem was Merl wusste, war er sogar noch weiter davon entfernt, als der Feuerengel. Rubine blitzen in tausend goldenen Augen und Kettengliedern. Haare wie getrocknetes Blut leuchteten selbst im schwachen Schein der Wintersonne und vereinzelte Schneeflocken verfingen sich in schwarzem Pelz. Der rote Heilige trat ohne jede Eile nach draußen, auf der Schulter den Griff einer Kriegssense stützend.

,, Mein Herr hat euch noch nicht vergessen.“ , meinte er an Ismaiel gerichtet, der ruhig und gefasst auf ihn zutrat. Das Schwert hielt er dabei mit einer Hand umklammert, schirmte die Waffe so gut es ging vor seinem Gegner ab. ,, Und nun fällt mir die Aufgabe zu, richtig zu stellen, was ihm vor all diesen Jahrhunderten verwehrt blieb. Ihr mögt einen meiner vertvolleren Diener vernichtet haben, aber ihr wisst nicht worauf ihr euch mit mir einlasst.“

,, Ein weiterer Verblendeter.“ , meinte Ismaiel nur kühl. ,, Und ich war es nicht, der das Leben eures Dämons beendet hat.“

,, Der Junge ?“ Der rote Heilige blinzelte ungläubig in Richtung Merl, bevor er wieder zu Ismaiel zurück sah. ,, Ich verstehe. Nun ich werde mich seiner Annehmen, wenn dies beendet ist. Ob er mir dienen wird oder nicht wird seine Entscheidung sein. Und was ist mit euch ?“

,, Wenn ihr glaubt das ich hier bin um euch zuzuhören, dann täuscht ihr euch.“ , erwiderte Ismaiel nur. ,, Aber sprecht. Vielleicht wird einer eurer Jünger eure letzten Worte zu schätzen wissen.“

,, Nein... aber vielleicht ihr... Herr über Aschen, Fürst über Nichts. Warum wollt ihr euch meinem Herrn entgegen stellen ? Aus Rache ? Aber es gibt einen viel süßeren Preis als das. Wir könnten einander helfen. Ihr wisst, das mein Herr die Macht dazu hätte. Was einst war kann wieder sein. Euch bedeuten diese Sterblichen nichts, gebt es doch zu... Nicht einmal euer eigener Sohn. Ihr habt es selbst gesagt. Ein Mischlings nichts weiter, weit entfernt von der einstigen Glorie eures Volkes. Alles was ihr tun müsstet, wäre das Knie zu beugen und euren Groll abzulegen. Und ich werde mich vor meinem Herrn für euch verbeugen, auf das euer Volk noch eine Chance bekommt.“

,, Glaubt ihr mich brechen zu können, Dämon ?“

,,Der Unterschied zwischen einem Teufel und einem Gott ist doch letztlich nur der eigene Standpunkt. Der Dämon nennt die Götter böse. Also was sagt ihr ?“  Er streckte Ismaiel die Hand hin. Schweigen senkte sich über das Lager, während Ismaiel die Augen schloss, nachdachte, wie es schien. Das Schweigen zog sich in die Länge, während der rote Heilige dastand, die Hand immer noch ausgestreckt. Er konnte nicht ernsthaft in Erwägung ziehen auf das Angebot dieser...Kreatur einzugehen ? Oder doch ? Merl wusste es nicht. Am liebsten hätte er seinen Vater gepackt und geschüttelt. Und wenn es nur wäre um endlich eine Antwort zu erhalten.

,, Es ist schon erstaunlich.“ , meinte Ismaiel kühl, als er die Hand ergriff. ,, Ihr habt recht. Mir bedeuten die Menschen wenig. Ich habe nichts davon sie zu schützen. Und wenn ich eines gelernt habe, dann das Rache kein Weg mehr für mich ist. Ich habe es Versucht. Genau so wie ich versucht habe, geschehenes ungeschehen zu machen. Manche Dinge lassen sich nicht ändern. Und manche Dinge muss man akzeptieren.“ Er sah auf, sein Blick wanderte zu Merl. ,, Aber wisst ihr was ich nicht akzeptieren muss ?“ Er packte zu, zog den roten Heiligen mit einem Ruck zu sich heran. ,, Das eine Kreatur wie ihr meint, mich deshalb verspotten zu können !“ Atrun blitzte auf. Das Singen des Kristalls erfüllte die Luft, als die Klinge aus der Scheide fuhr. Blitze zuckten um das Schwert , während die Klinge durchscheinend wurde. Ein Zauber, der das Schwert auf sein Ziel einstimmte, es halb hinüber in die Welt der Seelen schickte. Sterneneisen negierte Magie, dachte Merl. Es wäre in der Lage den roten Heiligen zu töten, egal welche Schutzzauber er herbeirufen würde. Doch noch wichtiger, wenn der rote Heilige tatsächlich ein lebender Avatar für den Herrn der Ordnung war, würde die Klinge vor allem sein Ende bedeuten. Er war ein Wesen der Magie und es gab nichts, das ihn vor diesem Angriff schützen konnte. Es würde in die Seele des Mannes schneiden und den Teil welcher  der Herr der Ordnung war finden und vernichten, ob er sich nun zeigte oder nicht..

,, Dieser Wahnsinn endet hier !“ Das Sterneisen fuhr herab und ohne jeden Wiederstand, geisterhaft durch den Körper des roten Heiligen.

 

Kapitel 40 Versagen

 

 

Das war nicht möglich. Merl starrte ungläubig auf die schimmernde Klinge in der Brust des roten Heiligen. Magie zuckte darum wie ein Gewittersturm. Blitze und Rauch stiegen von der Wunde auf, während Ismaiel langsam einen Schritt zurück trat. Der rote Heilige stolperte von ihm fort, einen Ausdruck auf dem Gesicht, der mehr Verwunderung zu sein schien als Schmerz. Seine Finger krallten sich in das geisterhafte Schwert zwischen seinen Rippen, sein Mund bewegte sich, ohne Worte zu formen. Aber nur einen Moment lang. Merl konnte nur mit wachsendem entsetzten zusehen, wie sich seine Hände um das Heft des Kristallschwerts schlossen und es langsam aus der Wunde zogen. Blut strömte daraus hervor, verpuffte wo es mit der magisch aufgeladenen Schneide in Berührung kam. Das strahlend Weiße Material, der dunkle Pelzmantel des Heiligen  und das rote Blut, das ihn durchtränkte hoben sich deutlich voneinander ab, bildeten einen dreifachen Kontrast, bis die Klinge sich schließlich ganz löste und dem roten Heiligen mit lautem  Klirren vor die Füße fiel. Der Kristall erfüllte die Luft mit durchdringenden Singen, ließ den Grund unter ihren Füßen vibrieren. Ich Gegner stand da, schwer atmend und vorübergebeugt. Hatte es funktioniert ?

Merl sah sich Hilfe  suchend  zu Ismaiel um, der nur ausdruckslos auf die Szene starrte, die sich vor ihm abspielte. Das Schwert war nach wie vor weiß, der Heilige noch am Leben... Was war schief gegangen ? Hatten sie irgendwo einen Fehler gemacht ? Hatte Ismaiels Zauber um die Seele des Herrn der Ordnung zu treffen versagt ?

,, Warum ist er nicht tot ?“ Ismaiel schwieg noch immer. ,, Antworte mir...“

Der rote Heilige hustete Blut, während sich die Wunde in seiner Brust langsam wieder zu schleißen begann. Und dann lachte er.

,, Narren.“ Die Worte gingen Merl durch Mark und Bein, als sich der brennende Blick des roten Heiligen auf ihn richtete. ,, Habt ihr ernsthaft geglaubt, mir mit einem Stück Kristall beikommen zu können ? Oder ist es etwas anderes.“ Er drehte sich langsam zu Ismaiel um. Blut sickerte aus seinem Mundwinkel. Die Wunde mochte verheilt sein, dachte Merl, aber der Schwertstreich machte ihm definitiv zu schaffen. Vielleicht war  er doch nicht so unverwundbar wie es schien ? ,, Dachtet ihr an meinen Herrn heran kommen zu können ? Ihr müsst entweder dümmer sein als ich für möglich gehalten habe... oder mutiger als man euch zutrauen würde, Ismaiel. So leichtfertig alles auf eine Karte zu setzen und euch in meine Hände zu begeben...“

Er trat auf den alten Magier zu, wie auf einen alten Freund. Oder einen Feind, on dem man nach Jahrzehnten vergessen hatte, wieso man ihn fürchtete. In diesem Fall wohl eher Jahrhunderte, dachte Merl. Der rote Heilige stand nun mit dem Rücken zu ihm, die Klinge Atruns glänzte im dämmrigen Sonnenschein, der durch die Schneewolken über ihren Köpfen drang. Jetzt oder nie, dachte er. Mit einem Satz stützte er in Richtung der Klinge. Schnee wirbelte auf als der rote Heilige die Bewegung bemerkte, sich umdrehte. Merls Finger schlossen sich um das Heft des Schwerts. Was auch immer schief gegangen war, sie konnten immer noch zumindest den roten Heiligen zur Strecke bringen. Es war ihre einzige Chance, wenn sie noch Lebens aus der Sache heraus kommen wollte. Er schwang die Klinge ungezielt nach oben auf den roten Heiligen zu und doch war er zu langsam. Die Schneide zerteilte nur Luft, als ihn der größere Mann vor die Brust trat und Rückwärts schleuderte. Merl überschlug sich und blieb hustend im Schnee liegen. Atrun landete mit einem geflüsterten Zauber in der Hand des roten Heiligen, der die Klinge in einem Bogen schwang  auf Ismaiel richtete.

,, Wir haben den falschen. Nicht wahr ? “ Ismaiel schien das Schwert an seinem Hals nicht einmal zu bemerken. Seine Stimme klang kalt, tonlos. ,, Wie ist das möglich ? Der Herr der Ordnung muss jemanden haben, den er für sich selbst Erwählt hat. Aber wenn nicht ihr...“ Wenn nicht der rote Heilige wer dann ? Merl rappelte sich wieder auf.

Die Lippen des roten Heiligen teilten sich zu einem überlegenen Grinsen. ,, Und hat er den nicht ? Direkt in eurer Mitte ? Mein Herr hat seinen Einfluss schon auf euch ausgeübt, lange bevor er aus seiner Gefangenschaft befreit wurde. Denn wie glaubt ihr konnte es überhaupt erst dazu kommen ? Seine Erwählten Kinder und seine Propheten waren unter eurem Volk und sie sind es auch unter den Menschen. Es überrascht mich, das ihr Blind dafür sein konntet.

,, Seine Propheten...“ Ismaiels Augen wurden weit. ,, Nein. Oh Nein... Es war direkt vor meiner Nase...“

,, Und jetzt werdet ihr nicht länger die Gelegenheit haben, etwas dagegen zu unternehmen. Mein Herr wird sich wieder erheben und über diese Welt wandern. Und dann... wird sie Frieden erfahren. Ihr jedoch werdet dann nicht länger Teil von ihr sein. Ihr hättet schon vor Jahrtausenden sterben sollen. Ich werde diesen Fehler korrigieren...“

,, Ihr könnt es Versuchen.“ , meinte Ismaiel , das Schwert nach wie vor an seiner Kehle. Gefasst sah er dem roten Heiligen in die Augen. ,, Also worauf wartet ihr ?“ Es war beinahe, als hätte es seinen Ausbruch von zuvor niemals gegeben. Grünes kaltes Feuer traf auf die lodernden Flammen der Ordnung. Die Klinge fuhr herab... und traf lediglich auf dunklen Nebel, der dort aufstieg wo zuvor noch Ismaiel gestanden hatte. Der alte Zauberer tauchte im Rücken seines Gegners wieder auf. Blitze umzuckten seine Hände, trafen auf  eine Wand aus Flammen, als der rote Heilige herumwirbelte und den Angriff abfing. Merl konnte dem folgenden magischen Schlagabtausch kaum mit den Augen folgen und ihm wurde klar, das dass, was er bisher von Ismaiel gesehen hatte bestenfalls Fingerübungen für den alten Meister gewesen waren. Zauber zuckten durch die Luft, wirbelten Schnee und Eis auf. Eine Lanze aus flüssigem  Feuer stieg zum Himmel auf, als sie von Ismaiel abgewehrt wurde und ging als Glutregen über den Zelten nieder. Das Leinen fing vielerorts Feuer und bald stiegen ein Dutzend dicke, dunkle Rauchsäulen zum Himmel auf, lenkten die Aufmerksamkeit der Kämpfenden auf der Brücke und auf den Ebenen auf sich. Der Donner von Gewehren und Kanonen und das Klirren von Stahl verstummten und selbst die Schreie der Verwundeten schienen einen Augenblick leiser zu werden. Nur das Gewitter der Zauber, die sich um die zwei kämpfenden Gestalten entluden hallte mit unverändertem Lärm über die Ebene hinweg. Merl konnte nur zusehen und den Blitzen aus magischer Energie ausweichen , die über den Boden zuckten, das Gras um die beiden Magier verbrannten. Selber einzugreifen wagte er  nicht mehr. Das war kein Kampf mehr, den er entscheiden konnte, es war ein Aufeinandertreffen zwischen zwei Wesen, die jedes für sich leicht als Götter gelten konnten. Und er würde dadurch entschieden werden, wer von den Beiden zuerst einen Fehler machte. Merl konnte die Macht der aufeinanderprallenden Zauber spüren, jeder einzelne begleitet von einem nachhallenden Donnerschlag, als sie sich Gegenseitig auslöschten. Ein Bann, ob er nun von Ismaiel oder dem roten Heiligen stammte, wusste Merl nicht zu sagen, warf die Erde auf der ganzen Länge des Lagers auf, verschlang Zelte und alles, was in seinem Wirkungsbereich stand.

Und dann geschah schließlich, was geschehen musste. Ein Zauber durchbrach Ismaiels Verteidigung und schleuderte den alten Magier Rückwärts, während Flammen an seinen Kleidern leckten. Merl sprang auf, kam jedoch nur zwei Schritte weit in Richtung der leblosen Gestalt, bevor der rote Heilige sich zu ihm umdrehte. Feuer flackerte in seinen Händen auf. Tiefrote Flammen, bereit alles und jeden zu verzehren, der sich ihm noch in den Weg stellen wollte. Doch in diesem Augenblick achtete Merl nicht darauf. Mit einem Gedanken entzündete er selbst das Land zwischen sich und seinem Gegner, hellweiße Flammen, die bis in den Himmel hinauf schlugen. Er konnte sich später nicht einmal mehr erinnern, den Zauber gewirkt zu haben, handelte aus bloßem Instinkt. Rote und Weiße Feuer  vermischten sich, als der Zauber des Heiligen mit seinem eigenen kollidierte und Merl schließlich Ismaiel erreichte. Der alte Magier rührte sich kaum, als er Merl bemerkte, blinzelte ihn nur einen Moment verwirrt an, als würde er ihn nicht erkennen. Dort wo ihn der Zauber getroffen hatte, schwelten seine Kleider noch immer, trotzdem wehrte er Merls Hände ab, als dieser ihm aufhelfen wollte. Der Geruch von verbranntem Fleisch erfüllte die Luft, als er sich allmählich wieder auf die Füße kämpfte.  Die Feuer waren mittlerweile erloschen, hatten eine weitere, ausgebrannte Narbe in der Landschaft hinterlassen. Vom Lager selbst schien kaum mehr geblieben zu sein als eine Ansammlung verbogener Holzgestelle und Asche, die mit dem Wind durch die Luft trieb und den Schnee grau färbte.

Der rote Heilige sah ihnen  seelenruhig zu , als Ismaiel wieder auf die Füße kam. Und wieso auch nicht. Merl bezweifelte, das einer von ihnen ihm noch etwas entgegen zu setzen hatte, selbst wenn Ismaiel bei Kräften gewesen wäre. So jedoch...

,, Mit euch vernichte ich gleich zwei Feinde meines Herrn auf einen Schlag.“ Er grinste. ,, Und mit dem Jungen drei...“

Merl sah zu Ismaiel, der seinen Gegner nach wie vor grimmig entgegensah. Nun jedoch bemerkte er auch Unsicherheit und... Angst. Der Blick des  alten Magiers wanderte vom Heiligen zu Merl und wieder zurück. Beinahe schien es, als wäre er sich Unsicher, an wen er sich wenden sollte. Doch als er schließlich Sprach, war seine Stimme nur ein Flüstern.

,, Ich weiß nicht wie viel Zeit ich euch verschaffen kann. Aber ich will das ihr beide hier verschwindet. Sammelt was von der Garde geblieben ist und seht zu, das ihr hier weg kommt.“

,, Wir ?“ Merl konnte Ismaiel nur verwirrt ansehen.

,, Zachary weiß was zu tun ist.“ , erwiderte dieser nur knapp, bevor er einen Schritt auf den roten Heiligen zutrat. Und die Hand hob. Mit einem Aufschrei löste sich ein Netz aus bläulich schimmernden Fäden aus seinem Körper, schossen Vorwärts und verdichteten sich. Merl hatte noch nie etwas derartiges gesehen. Der Anblick reichte aus, ihm einen Schauer über den Rücken zu jagen und noch mehr so, als die Lichtfäden immer mehr begannen, Gestalt anzunehmen. Aus Dunst und Licht erhob sich ein Mann, der so wenig mit Zachary gemein hatte, das Merl einen Moment brauchte um ihn als das zu erkennen, was er war.

Ismaiel... oder sein Geist war hochgewachsen und in die gleichen dunklen Roben gehüllt, wie Zachary. Graues Haar umrahmte ein Gesicht, dessen Züge fast übernatürlich fein schienen, grade so, das man bezweifelte es mit einem Menschen zu tun zu haben. Und die Augen bestätigten diesen Eindruck nur. Gelblich und mit geschlitzten Pupillen, die eher an einen Gejarn erinnerten. Erneut begann der Kampf, doch im Gegensatz zu Merls Konfrontation mit dem Heiligen im roten Tal schien dieser diesmal zu Wissen, womit er es zu tun hatte. Und Ismaiel war schon zuvor am Ende seiner Kräfte gewesen...

Und wenn das dort wirklich Ismaiel war... Merl drehte sich grade noch Rechtzeitig um, um zu sehen, wie Zacharys Körper schwankte. Sein Meister ging auf die Knie, atmete schwer, während seine Finger sich ins verbrannte Gras krallten, fast so als suche er Halt oder wolle sich davon überzeugen, das dass hier real war. Und als er zu Merl aufsah , gab es kein grünes Feuer mehr, das seine Züge erhellte. Stattdessen blickten ein paar türkisfarbene Augen zu ihm auf, Traurig, wie es ihm schien... Doch nur einen Moment, dann raffte er sich auf und packte Merl an den Schultern.

,, Wir müssen hier fort.“ , erklärte er nur mit einem Blick zu Ismaiel und dem roten Heiligen. Noch immer zuckten Zauber um die beiden Kontrahenten, doch schien es allmählich keinen Zweifel mehr am Ausgang ihres Duells zu geben. Ismaiel parierte die Angriffe seines Gegners nur noch und selbst seine Schildzauber scheinen den Geist zunehmend Kraft zu kosten. Und doch zögerte Merl... Er wollte diesen Mann nicht einfach so zurück lassen, egal wer oder was er jetzt war. Sein Vater. Ein verdammtes Monster. Und doch sträubte sich alles in ihm, ihm einfach den Rücken zuzukehren...

Einen Moment lang traf sich ihr Blick. Und dieses eine mal schien keine Verachtung in Ismaiels Zügen zu liegen. Er nickte Merl nur zu und beinahe konnte er wieder seine Stimme hören. ,, Verschwinde hier du nutzloser Mischling. Als ob ich deine Hilfe brauchen würde...“ Und dann lächelte er. Ein dünnes lächeln nur, doch schien es das ehrlichste zu sein, das Merl je bei Ismaiel gesehen hatte...

Und als Zachary ihn schließlich mit sich zog wehrte er sich nicht mehr, sah nicht zurück, als der Schemen seines Vaters von magischem Feuer verzehrt wurde. Während dort wo zuvor noch Ismaiel gewesen war nur noch glänzende Flocken zu Boden fielen und das Lachen des roten Heiligen über das Schlachtfeld hallte , wurden Merl und Zachary in die Reihen der Gardisten und Paladine gezogen, die sich immer noch an der Brücke hielten. Sie alle wussten, das es vorbei war, spätestens, als der rote Heilige hinter seinen Armeen auftauchte, Atrun über seinen Kopf erhoben...

,, Wir müssen zurück zur fliegenden Stadt.“ , erklärte Zachary nur, als Wys und die übrigen Anführer erfahren wollten, was geschehen war. ,, Der Kaiser muss Galren zurück rufen... sofort. Wenn es noch nicht zu spät ist.

Kapitel 41 Ende der Hoffnung

 

 

 

 

Bei ihrer Rückkehr war die fliegende Stadt in Aufruhr. Bereits lange bevor die ersten Gebäude und Zelte in Sicht kamen, strömten ihnen Menschen entgegen. Schmutzige Kinder und Erwachsene in zerlumpten Leinen,  Männer, Frauen, Alte, die sich mehr dahinschleppten, als das sie gingen  , Kranke die getragen werden mussten oder auf den Wagen lagen. In dem durcheinander schien es keinen Unterschied mehr zwischen ihnen zu geben. Ein endloser Zug aus grau und braun über dem Stimmengewirr, das Geschrei von Hühnern und Eseln und das Geklapper von Hufen hinweg hallte.  Karren die von abgemagerten Pferden und Ochsen gezogen wurden, waren mit den wenigen Habseligkeiten beladen, die die Leute noch hatten. Truhen voll mit Kleidern, Körbe mit Äpfeln, hartem Brot oder Getreide,  alles was man tragen konnte, war mitgenommen worden. Einmal schoben sich direkt vor ihnen sogar zwei Männer durch das Gedränge, die eine kleine Bank mit sich trugen. Jeder so schien es versuchte nur so viel Abstand wie möglich zwischen sich und der  fliegenden Stadt zu gewinnen, die einem Phantom gleich langsam am trüben Horizont auftauchte. Inmitten von tiefhängenden, bleigrauen Wolken wirkten die hoch aufragenden Bauten selber, als wären sie Teil des aufziehenden Sturms und nur die höchsten Türme durchbrachen die  Nebel. Die Hufe der Tiere und die Schuhe der Menschen hatten das was einstmals eine Straße gewesen sein mochte aufgewühlt und in eine Wüste aus nassem, halb gefrorenen Schlamm verwandelt, der an den Füßen kleben blieb und kalt genug war, das selbst die Pferde einen Bogen um die größeren Pfützen schlugen. Schneeflocken fielen vereinzelt aus dem Himmel herab, schmolzen jedoch noch sofort, wenn sie den Boden erreichten. In den Herzlanden wurde es nicht so kalt wie weiter oben im Norden oder am oberen Bereich der Ostküste. Es mochte schneien, doch bleiben die Winter hier barmherzig milde und kurz.  Und doch wollte Galren sich nicht vorstellen, wie ein plötzlicher Einbruch von Eis und Schnee sich jetzt auf die Fliehenden auswirken mochte. Wie viele mochten auch nur die nächste Ortschaft erreichen, wenn es nicht nur bei den paar Flocken blieb? Lediglich Elin schien sich von der Kälte nicht beeindrucken zu lassen, sondern lief unbeirrt weiter barfuß durch Wasser und Schlamm. Doch auch ihr schien der Humor vergangen zu sein, je näher sie der Stadt kamen,  stapfte sie doch ausnahmsweise einmal schweigend und ohne besonderen Enthusiasmus neben ihm her, den Blick vor allem auf den Boden gerichtet.

Auf die Frage was geschehen sei oder wohin sie wollten, antworteten die meisten erst gar nicht oder beschleunigten ihre Schritte nur, wen sie sahen, das die zwei Fremden die sie ansprachen nicht dem allgemeinem Zug folgten sondern sich zurück in Richtung Stadt kämpften. Ein Mann auf dem Kutschbock eines Pferdekarrens, auf dem sich seine Familie zusammen gedrängt hatte schüttelte sogar den Kopf, als er sie bemerkte.

,, Seht lieber zu, das ihr hier schnell wieder weg kommt. In der fliegenden Stadt gibt es nichts mehr für uns.“ , rief er ihnen zu. ,, Und wenn ihr in ein paar Tagen noch hier seit  mögen die Götter euch gnädig sein. Oder dann wohl der Gott …“ Mit diesen Worten zog er sich die Kapuze eines schweren Wollmantels ins Gesicht und trieb das Pferd an, um den Anschluss an die Karawane nicht zu verlieren.

Galren und Elin sahen ihm und den Rest der Menschen einen Moment nach bevor sie sich wieder der fliegenden Stadt zuwendeten. Was immer hier vorging, dachte Galren, es war nicht gut. Dafür brauchte er nicht erst zu sehen, was aus dem Zeltlager geworden war, das die fliegende Stadt die letzten Wochen umgeben hatte. Von dem einstigen Meer aus Leinen und Holz waren nur noch einige eingefallene Hütten und ein paar windschiefe Zelte geblieben. Inmitten der zertrampelten Einöde wirkten sie genauso verloren wie die Stadt, die sich über ihnen immer noch in den Wolken verbarg, düster und brütend wie ein Ungeheuer. Lediglich ein Dutzend Leute irrten noch durch den Schlamm. Ein paar mühten sich mit einem steckengebliebenen Ochsenkarren ab, dessen Räder bereits halb im weichen Untergrund verschwunden waren und die meisten Zelte waren dunkel und verlassen. Lediglich aus den größeren Drang noch der warme Schein von Feuer und als Galren mit Elin darauf zutrat, wurde ihm klar, dass er zumindest diesen Ort wiedererkannte. Naria, dachte er. Das waren Narias Zelte. Allerdings waren sie dieses Mal leer, als er an den hohen Eingängen entlang lief. Die meisten Angehörigen hatten ihre Kranken und Verletzten wohl mit auf ihre überstürzte Flucht genommen.  Lediglich die, die zu krank warne um sie zu transportieren waren geblieben und  lagen fiebrig und leise wimmernd in ihren Strohbetten. Er trat langsam ein und sah sich nach Naria um. Und tatsächlich war die Gejarn noch immer hier, saß im Schein einiger Öllampen über einen Tisch aus ungeschliffenem Holz gebeugt. Naria sah auf, als sie ihre Besucher bemerkte und was Galren dabei entdeckte vertiefte das ungute Gefühl das ihn beschlichen hatte nur noch. Erschöpfung und  Müdigkeit noch mehr als bei seinem letzten Treffen mit ihr. Und doch schien sie der einzige ruhige Punkt inmitten des ganzen Chaos zu sein, das draußen auf den Straßen tobte, arbeitete sie noch immer ruhig und routiniert, während sie Kräuter in einer kleinen Schüssel zermahl und Seiten in einem kleinen Buch vor ihr auf dem Tisch umblätterte.

,, Es tut gut euch zu sehen.“ , meinte Galren. ,, Was bei allen Götter ist bloß passiert ? Man hat uns nur informiert, das wir sofort zurückkommen müssen…“

,, Was meint ihr denn was geschehen ist ?“ Die Stimme die ihm antwortete kam nicht etwa aus Narias Mund sondern hatte ihre Quelle irgendwo hinter ihm. Als er sich umdrehte entdeckte er einen Mann in silberner Rüstung, dem ein fleckiger und zerfetzter weißer Umhang über die Schultern fiel.  Wys sah noch mitgenommener aus als Naria. Was von seinem  Mantel  übrig war, war mit getrocknetem Blut durchzogen und die einstmals polierte Rüstung wies bei weitem mehr Kratzer und Dellen als unversehrtes Metall auf. Hinter ihm folgte Narias Mutter, Relina. Eine Hand hatte sie auf die  Schulter des Archonten gelegt. Es schien seltsam, wie vertraut die beiden miteinander umgingen, dachte Galren. Nach allem was er gehört hatte waren Laos und die Inseln von Maras nicht grade gut aufeinander zu sprechen. Aber die Not formte wohl die seltsamsten Verbündeten. Und mehr. Suchte die Magierin am Ende Trost beim Bruder ihres toten Mannes? Verübeln würde es ihr wohl kaum jemand…. Es waren auch so schon trostlose Zeiten. Aber wenn Wys wieder hier war…

Der Kaiser hat Schlacht verloren.“ , erklärte Naria düster und bestätigte damit genau Galrens Befürchtungen.. ,, Ismaiel hat versagt… Es ist vorbei.“

Und genau das schien sein Eindruck als er schließlich den Thronsaal der fliegenden Stadt betrat. Noch immer hüllten die Wolken die Bauten ein, wallte Nebel durch die Straßen und dämpfte das Licht. Selbst im von Kristallen beleuchteten Thronsaal schien es dunkler zu sein als sonst und wohin er auch sah, blickte er in Niedergeschlagene Gesichter. Und bei weitem keines davon blickte so finster wie das von  Zachary de Immerson. Einen Moment war Galren sogar davon überzeugt, dass es sich bei dem Magier immer noch um Ismaiel handeln musste. Doch der alte Magier war fort, wenn stimmte, was er bisher über die Schlacht gehört hatte.   Naria , Wys und Relina hatten ihm zumindest so viel auf dem Weg hierher verraten.

Immerhin schien es allen so weit gut zu gehen, auch wenn sie schon besser ausgesehen hatten. Aber sie waren in Sicherheit dachte er. Armell, Merl, Kellvian, , QuinnJi, Hadrir und natürlich Syle. Bei Merl schien die Veränderung am deutlichsten. Kaum etwas an dem Magier erinnerte Galren noch an den verängstigten jungen Mann, den er damals, in einem anderen  Leben  wie es schien, in Silberstedt kennen gelernt hatte. Was immer davon geblieben war, war in den letzten Wochen gestorben, dachte er. Merl wirkte härter und ernster, mehr noch wie bei ihrem letzten Treffen.

Im Gegensatz zu ihm wirkte der Kaiser beinahe gelassen, wie er auf den Stufen zum Bernsteinthron stand und sich leise mit Syle unterhielt. Die Hände hatte er dabei locker hinter dem Rücken verschränkt, doch an seinem Gürtel blitzte das vergoldete Heft eines Schwerts auf dem eine mit  Lapislazuli eingelegte Rune schwach im Licht schimmerte. Die Waffe hatte im Laufe der Jahrhunderte in den Händen vieler Kaiser gelegen und war immer wieder neu  geschmiedet und angepasst worden. Kellvians Vater hatte sie noch als ein zweihändiges Großschwert gefügt und die Waffe war nach dessen Herrschaft sogar einige Jahre verloren gegangen. Kellvian  jedoch hatte die uralte Klinge Simons wieder mehr ihrer ursprünglichen Form angepasst, ein breites, aber zur Spitze hin dünner werdendes Klingenblatt, das vor allem dazu gefertigt war Panzerungen zu durchdringen. Es wirkte fehl am Platz, zwischen den Gardisten  mit ihren Uniformen und den Musketen in den Händen.  Ein Relikt alter Zeiten. Aber vielleicht war es genau das, was sie jetzt brauchten, dachte Galren unwillkürlich. Einfacher war es, die Leute an die alten Zeiten zurück zu erinnern, als an die die noch kommen mochte… Und besser, ihnen zu zeigen, dass das Haus Belfare noch nicht gebrochen war, das die Zeit dieses Mannes vor dem Bernsteinthron nicht ablief…

Hadrir schien das genaue Ebenbild zu der leichten Selbstsicherheit zu sein, die der Kaiser abstrahlte. Der König der Zwerge hielt sich abseits von Kellvians Gefolge. Den Blick hielt der bärtige Zwerg dabei beständig zu Boden gerichtet und als Galrne ihn begrüßte, stand ihm die Scham ins Gesicht geschrieben. Er musste nicht fragen, wieso.

,, Ihr hättet auch nichts ausrichten können.“ , meinte Galren ohne zu wissen ob es der Wahrheit entsprach. Vielleicht hätte die Hilfe der Zwerge alles geändert. Vielleicht nicht. Aber er konnte seinen alten Freund auch nicht so sehen. Hadrir hatte die Königswürde nie gewollt, das wussten sie beide…

,, Woher wollt ihr das wissen ?“ Hadrir schnaufte schwer. ,, Wisst ihr, Galren… ich habe meinen Vater nie verstanden. Er hat immer versucht unser Volk abzuschirmen. Vor der Welt. Selbst als Varan Lahaye zu uns kam, hat sich daran nichts geändert, obwohl sie sich anfangs noch gut verstanden. Vor… nun das wisst ihr ja selbst. All dem eben.“

,, Er lag falsch, ich dachte das hätten wir geklärt ?“ Galren sah den, zumindest für einen Zwerg jungen, König fragend an.

,, Eben nicht, Galren. Wenn das hier das Ergebnis davon ist, wenn mein Volk sich in die Belange anderer einmischt… dann war unsere Isolation vielleicht weniger eine Abschottung unsererseits, als  mehr der Versuch meines Vaters, die Welt vor uns zu schützen…“

,, Ihr könnt das nicht ernsthaft glauben…“
Der Zwerg schwieg lediglich und als Galren klar wurde, das er ihm nicht mehr antworten würde, zog er sich langsam zurück. Überall in der Halle hatten sich Wachen  Adelige und selbst die Bediensteten zu kleinen Grüppchen zusammen gefunden, tuschelten und unterhielten sich leise, während sie darauf warteten, das der Kaiser zu ihnen sprach. Doch Kellvian schien die Zeit absichtlich verstreichen zu lassen oder vielleicht war die Selbstsicherheit die er zur Schau trug nur die Maskerade eines Herrschers. Sie waren am Ende, dachte Galren. Wie brachte man das einer Nation bei?

Und dann sah er Zachary wieder, der ihn seit er die Halle betreten hatte nicht mehr aus den Augen ließ. Mit einigen Worten verabschiedete er sich von Merl und Armell und kam den Neuankömmlingen entgegen. Man hätte meinen können, er würde sich vielleicht freuen zumindest seinen Körper wieder zu haben. Und sie all gesund zu sehen. Doch Zacharys Mine schien nur noch Düsterer zu werden, je näher er ihm kam. Galren wollte ihm Fragen, was los sei, doch ihm bleiben die Worte im Hals stecken. Etwas stimmte nicht. Etwas anderes als die Niederlage. Und dann schoss die Hand des Magiers vor. Galren sah Stahl darin aufblitzen, das Messer zu schnell, als das er noch einen Versuch unternehmen konnte auszuweichen. Doch bevor die Klinge traf hallte plötzlich das Donnern einer Pistole durch den Saal. Es gab ein Knirschendes Geräusch, als die Klinge zersplitterte und nur Pulverdampf und den Geruch von heißem Metall zurück ließ. Alle drehten sich in die Richtung um aus der der Schuss gekommen war.

Elin ließ betont langsam die Pistole sinken, behielt Zachary dabei jedoch genau im Auge.

 ,, Könntet ihr mir mal erklären, was eigentlich in euch gefahren ist ?“ In diesem einen Augenblick erinnerte sie Galren  so sehr an Hedan, das es schon fast unheimlich schien. Das hieß wenn Hedan eine Frau wäre, Fell hätte und ihm nur bis zur Brust reichen würde….

,, Das würde mich allerdings auch interessieren.“ , meinte Kellvian und sah in Richtung der Messertrümmer. ,, Offenbar sollte ich doch wieder anfangen, jedem die Waffen abnehmen zu lassen. Zachary ?“ Die Stimme des Kaisers schwang innerhalb eines Herzschlages von amüsiert auf wütend um. Und selbst dem Magier musste klar sein, das er keinen Wiederspruch dulden würde.  ,, Erklärt euch… Möglichst ohne dabei jemanden zu ermorden, den ich hier als Gast willkommen heiße…“

 

Kapitel 42 - Kriegsrat

 

 

 

 

 

 

,, Versteht ihr nicht ? Sein Tod wäre die einzige Möglichkeit sicher zu sein. So furchtbar das Klingen mag.“ Und obwohl Galren nach wie vor nach einer Antwort suchte warum Zachary versucht hatte ihn zu töten… er glaubte ihm dass es ihm nicht leicht fiel. Was immer hier vorging, der Magier tat es nicht gerne… Falls er es überhaupt noch wollte. Den Dolch oder das was davon übrig geblieben war, hatte er mittlerweile fallen gelassen und Elin die Waffe mit einem Tritt so weit wie möglich von ihnen fort befördert.  Zachary sah sich suchend in der Menge um als erwarte er, das ihm jemand zur Hilfe eilen würde. Mittlerweile hatte sich ein Ring aus Gardisten um den Magier geschlossen. Galren bezweifelte allerdings, dass sie viel ausrichten könnten,  wenn Zachary wirklich vorhätte ihn zu töten.

Nein. Eine Kugel war im Zweifelsfall langsamer als ein Gedanke und mehr bräuchte der Mann vor ihm auch nicht. Ohne Atrun war er genauso schutzlos gegen Magie wie jeder andere auch. Was  zu der Frage führte, warum er es mit einem Messer versucht hatte? Er hatte ihm das Schwert anvertraut… wo war es jetzt? Und noch wichtiger, was sollte das alles? ,, Der rote Heilige ist nicht der Erwählte des Herrn der Ordnung. Galren  ist es.“

,, Was ?“ Kellvian sah von einem zum anderen. ,, Aber wie… Woher wisst ihr das?“

,, Der rote Heilige war es nicht. Aber er hat praktisch zugegeben, dass der Prophet ein Avatar für ihn war. Ich vermute, Galren, eure ganze Familie zumindest väterlicherseits dürfte die gleiche Gabe wie ihr besessen haben. Ihr alle wart und seid seine Erwählten. Was glaubt ihr, woher eure Fähigkeiten sonst stammen? Und genau deshalb war sein Einfluss auf euch und euren Vater  bei den Zwergen auch so groß. Alle anderen auf der Windrufer haben genau so viel Zeit in der Nähe des Schwerts verbracht wie ihr… aber nur ihr habt euch dabei verloren. Und ihr träumt nicht wahr?“

,, Ja, aber wie könnt ihr…“ Galren wünschte ihm würde etwas einfallen, irgendetwas, das er sagen könnte um Zacharys Worte zu entkräften. Doch die Logik des Magiers war bestechend. Es würde tatsächlich einiges erklären. Nein, dachte er. Es würde alles erklären. Wieso der rote Heilige ihn rief. Sein Vater. Er selbst. Wieso ihn das Schwert damals zu sich gezogen hatte… Einen Moment hatte er das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren. Und dann spürte er eine Hand in seinem Rücken, die ihn sanft stützte. Elin schüttelte langsam den Kopf. ,, Egal was ist…“ , flüsterte sie. Sie musste den Satz nicht beenden. Er nickte lediglich, war nur dankbar sie in seiner Nähe zu wissen. Es änderte nichts, es machte die Möglichkeit dessen was Zachary behauptete nicht weniger schrecklich. Aber für den Moment war es genug. ,, Woher…“

,, Woher ich das wissen kann ? Er ruft nach euch, versteht ihr das nicht?“ Zachary sah aus, als hätte er Galren am liebsten an den Schultern gepackt und geschüttelt. ,, Und warum glaubt ihr ist das so ?“

Es hatte keinen Sinn es zu leugnen, oder? ,, Weil er mich braucht, nicht ? Ich bin das eine das ihm fehlt um seinen Meister wiederauferstehen zu lassen. Der Schlüssel, die eine Seele die er gewinnen muss oder was auch immer…“

,, Ihr versteht also…“ Zachary schien beinahe erleichtert. ,, Ich weiß das es nicht einfach ist. Aber es gibt keinen Zweifel daran wer und was ihr seid. Wenn es dazu kommt, wenn der rote Heilige euch gewinnt oder in die Finger bekommt…“

,, Wir werden ihn nicht töten.“ , unterbrach Kellvian den Zauberer. ,, Nicht solange wir nicht sicher sind.. Der rot Heilige ist weit fort, Zachary. Und die fliegende Stadt nach wie vor sicher. Zumindest für den Moment. Und ich werde sicher kein Leben opfern solange noch Hoffnung besteht…“

Mittlerweile hatte sich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden von Zachary ab und ihrem Kaiser zugewandt. Wohin Galren auch sah, schien die gleiche Frage aus ihren Blicken zu sprechen. Bestand den noch Hoffnung? Und tatsächlich schien der Kaiser noch nicht am Ende, nicht so gebrochen wie der Rest. Konnte es wirklich sein, das dieser Mann noch einen letzten Plan hatte? irgendeinen Strohhalm an den sie sich klammern konnten ?

Jiy sah fast flehende zu ihrem Mann  und zu diesem Zeitpunkt glaubte Galren noch, darin nur die gleiche, stumme bitte um Hoffnung zu erkennen. Erst später, als ihm die ganze Tragweite dessen was der Kaiser vorschlug bewusst wurde, verstand er, dass sie es bereits geahnt haben musste…

,, Herr ?“ Syles Worte klangen in der Stille unheimlich laut. ,, Was sollen wir tun ? Was werden wir tun? Die kaiserliche Leibgarde steht bereit euch  bis zum letzten Mann zu verteidigen und die Reste der Armee ebenso. Aber wir können keinen Vorstoß mehr wagen, nicht wenn…“

,, Das wird auch nicht nötig sein.“ Kellvian lächelte tatsächlich. ,, Nein… das nicht.“ Mit langsamen Schritten an den Thron heran, so als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen. Mit den Rücken zu ihnen blieb er einen Augenblick stehen und blickte die Stufen hinauf. ,,  Syle, ihr wisst wie die Lage ist. Ich war ein Narr zuvor nicht auf euch zu hören. Wir haben zu viele Männer verloren und das für nichts. Schlimmer noch vielleicht, die einzige Waffe, die unseren wahren Feind gefährlich werden könnte, befindet sich nun ebenfalls in den Händen des roten Heiligen. Und damit stehen wir zweifach ohne Schutz da. Doch die Leute brauchen eine Zuflucht. Sie brechen ihre Zelte ab, ziehen blind ins nirgendwo hinaus. Wenn sie nirgendwo einen sicheren Unterschlupf finden, wird der Winter sie alle einfordern. Wys…“

Der Archont trat vor, sah dem Mann, dem er die Treue geschworen hatte allerdings misstrauisch an. ,, Wenn ihr von mir verlangt was ich befürchte, dann vergesst das. Kellvian… Wir haben Seite an Seite gegen Ismaiel gekämpft. Wir haben Seite an Seite gegen den Arikstokratenbund gestanden…“

,, Und nun brauche ich euer Schwert erneut alter Freund.“ Vielleicht zum letzten Mal. ,, ich will das ihr eure verbliebenen Paladine sammelt und Anfangt die Leute zusammen zu rufen. Bringt sie in Sicherheit.“

,, Es ist nirgendwo mehr sicher, Herr….“

,, Nein. Aber von Vara hält sich der rote Heilige im Augenblick noch fern. Es ist die einzige große Zuflucht die uns noch bleibt, Syle… Und es steht jedem Frei zu gehen. Wer nicht hierbleiben und bei der Verteidigung der Stadt helfen will, begibt sich auf schnellstem Weg dorthin.“

,, Die Stadt…“ Der Hochgeneral schien zu verstehen. Und gleichzeitig doch auch das offensichtliche zu leugnen. ,, Übergebt mir das Kommando, Herr. Ich schwöre euch ich werde nicht zulassen, das auch nur einer dieser Wahnsinnigen einen Fuß auf den Boden des Palastes setzt. Lasst mir nur hundert Männer meiner Wahl hier. Die fliegende Stadt…

Kellvian unterbrach ihm, indem er ihm eine Hand auf die Schulter legte. ,, Ist immer noch meine Heimat. Die Stadt meiner Ahnen. Und ich habe nicht vor sie Lebend irgendjemand anderem zu überlassen.  Ich werde nicht davonlaufen, Syle. Wer gehen will dem steht dies ab jetzt frei. Wer bleibt… für dessen Leben kann ich nicht mehr garantieren.“

Einen Moment wurde es still in der Halle. Dann langsam und zögerlich wendeten sich die ersten um, strömten Adelige wie auch Gardisten aus dem Saal. Doch es war die geringere Zahl, dachte Galren. Vielleicht zwei Dutzend. Andere traten vor oder rückten dichter zusammen.

,, Der Rest der bleibt wird die Stadt mit mir zusammen halten. Der rote Heilige weiß, das uns seine Pläne nicht länger verborgen sind, aber auch das wir kaum mehr etwas dagegen tun können. Er wird glauben wir wollten ihm Galren vorenthalten und der sicherste Ort dafür ist die fliegende Stadt. Wenn er ihn hier vermutet, wird er die Stadt mit allem angreifen was er hat. Und solange sich seine Kräfte hier konzentrieren verschafft das allen anderen Zeit.“ Zeit sich in Sicherheit zu begeben, dachte Galren.  Kellvians Worte mussten Jiy das Herz brechen, dachte er, nun wo er verstand was sie wirklich so bedrückte. Umso bewundernswerter schien es, das sie Still blieb. Keine Bitt es sich anders zu überlegen und keine Wiederworte. Zumindest nicht jetzt und nicht hier, vor aller Augen.  Trotzdem konnte er dabei zusehen wie sie ihre letzte Hoffnung verlor, während der Rest des Saals in zustimmendes Gemurmel überging, Vereinzelt wurden Schwerter gezogen doch niemand fühlte sich wirklich zum Jubeln aufgelegt. Es war ein feierliches Schweigen, ohne jeden Überschwang. Sie wussten alle, dass sie die Stadt nicht würden halten können.

,, Dieses Mal werdet ihr allerdings nicht alleine stehen.“  Hadrir war der erste, der es wieder wagte zu sprechen. ,, Das verspreche ich euch.“

Kellvian nahm es mit einem nicken zur Kenntnis, doch als schließlich auch Eden ,Cyrus,  Merl und die anderen aus der Menge vortraten schüttelte er nur den Kopf. Galren und ELin schlossen sich ihnen an.

,, Ihr nicht.“ , meinte er nur und lächelte dabei müde. ,, Ich schulde jedem von euch schon mehr als ich in der Lage bin je zurückzugeben.“

,, Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass ich mich nach Vara verziehen würde, während hier alles brennt ?“ , fragte Eden mit einem düsteren grinsen. ,, Ich habe außerdem von einem Alchemisten gehört, der gutes Geld an jedem zahlt der ihm ein paar Schuppen dieser… Geweihten bringt.“

,, Unter eurem Vater habe ich in den schwarzen Garden gedient.“ , meinte Cyrus seinerseits. ,, Wenn ich eines gewohnt bin, dann dem Tod ins Auge zu sehen. Und ich glaube das sehen auch die anderen so. Schickt Elin von mir aus fort, aber nicht uns… Die ist eh zu klein um eine Waffe zu halten. Wenn Eden mir nicht schwören würde das sie von mir ist… “ Weiter kam er nicht, weil die Gejarn ihm gegen das Schienbein trat. Der einäugige Wolf  erntete einen bösen Blick von seiner Tochter und von der genannten.  Trotz seines humorvollen Untertons schien klar, dass er hoffte, Kellvian würde ihm den Gefallen tun.

,, Ich habe nicht vor euch hier zu behalten. Oder sie was das angeht. Ich brauche euch beide in Vara. Zumindest euch…“ Er sah sich kurz nach Jiy um und Galren verstand. Er hatte auch nicht vor sie hier zu behalten ,, Jemand muss sie beschützen.“

Der Wolf zögerte einen Moment. ,, Verflucht Kellvian… Also gut. Aber wenn ihr euch umbringen lasst, muss uns fürchte ich jemand vor ihr schützen…“

,, Was euch andere angeht, so werdet ihr euch ihnen anschließen. Das ist diesmal ein Befehl. Galren…“

,, Wenn ihr den roten Heiligen hier in eine Falle locken wollt, werdet ihr mich brauchen.“ , wendeteer sofort ein. Die Idee einfach fortzulaufen gefiel ihm genau so wenig wie den anderen. Nein, er würde sich nicht fort schicken lassen, selbst wenn Zacharys Worte der Wahrheit entsprachen. Falls sie es taten… Sein Kopf begann erneut zu schwirren wenn er über diese Möglichkeit nachdachte. Die Worte des Kaisers holten ihn allerdings sofort in die Wirklichkeit zurück.

,, Ihr geht auch nicht nach Vara. Und ihr werdet auch nicht hier bleiben, so gerne ich euch an meiner Seite hätte. Für euch habe ich eine wichtigere Aufgabe. Und Naria wird euch begleiten. Nur für den Fall. Ich weiß dass sie Mittel und Wege kennt eure Träume im Zaum zu halten. Der rote Heilige darf euch nicht finden, wenn wir Erfolg haben wollen…“

,, Aber wenn nicht nach Vara, wohin sollen wir dann gehen ?“ , fragte Elin und stellte damit bereits klar, dass sie sich erneut nicht ihren Eltern anschließen würde. Galren wusste nicht ob er sich dieses Mal wohl damit fühlte, doch ein Teil von ihm atmete tatsächlich erleichtert auf. Naria war schön und gut, aber wenn es eine Person gab die ihm wirklich half sich den Einflüsterungen entgegenzustellen die ihn heimsuchten… dann war das sie. Immer nur sie.

,, Ich will das ihr nach Norden aufbrecht. Mir ist klar, dass der Weg gefährlich ist, vor allem jetzt wo sich Silberstedt in den Händen der Kultisten befindet.  Aber ihr werdet die Stadt meiden. Stattdessen will ich dass ihr einen Weg in die Eiswüsten hinaus einschlagt.  Ich will dass ihr dort nach jemandem sucht. Sein Name ist Melchior. Wenn es noch einen Weg gibt, das schlimmste abzuwenden… dann wird er wissen wie. Doch seit gewarnt. Die Antworten die dieser Mann geben kann müssen einem nicht unbedingt gefallen. Und sie sind ganz sicher nicht immer das was sie scheinen…  Und glaubt mir ich würde euch nicht zu ihm schicken, wenn ich eine andere Wahl hätte. Aber mir fehlen die Alternativen…“ Kellvian löste einen Siegelring von seinem Finger und legte ihn Elin in die Hand. ,, Er wird euch im Norden nicht viel nützen, aber das ist alles, was ich euch im Moment  noch an Schutz bieten kann. Bereitet euch vor. Ruht euch aus. Aber morgen früh müsst ihr Abreisen. Ich weiß nicht wie lange wir den roten Heiligen hier festhalten können und euer Weg wird lang…“

Elin nickte als sie den Siegelring an sich nahm.

,, Melchior, also…“ Der Name schien Galren entfernt vertraut. So als müsste er ihn schon einmal gehört haben, wenn auch nur geflüstert, vielleicht in einer Schenke oder über das Knsitern eines Lagerfeuers hinweg. Ein Name wie eine alte Legende…  Vertraut und doch fern. ,,  Aber wer ist dieser Mann das ihr eure ganze Hoffnung in ihn setzt?“

,, Ein Seher.“ ,antwortete der Kaiser. ,,Der letzte Seher der Eisnomaden.“

 

Kapitel 43 Ein Bad

 

 

 

 

Die Bäder des Palastes waren ein weitläufiger Raum der durch ein dutzend Vorhänge unterteilt wurde. Auch wenn sie kaum jemand außer dem Kaiser selbst betreten würde. Dunstschwaden trieben durch die Luft  und schlugen sich als feine Wassertropfen auf den gefliesten Wänden  und den Pflanzen nieder die in einem kleinen Streifen Erdreich gediehen, der sich an der äußeren Seite des Wasserbeckens entlang zog. Vorhänge aus hellem Leinen hingen von den Decken herab und schirmten das aufgeheizte Wasser vor neugierigen Blicken ab. Zumindest hier, abseits des Troubles, der sonst in Palast und Stadt herrschte,  konnte man die Welt noch einen Augenblick vergessen. Jiy ließ sich noch ein Stück tiefer in das Becken sinken. Wohlige Wärme umfing ihren Körper und trotzdem konnte sie wenig dagegen tun das sie zitterte. Nicht vor Kälte. Nebel kondensierte an den Fliesen der Wände und rann als kleine durchscheinende Tropfen daran herab. Wie Tränen.

Als sie Schritte hörte, die hinter den dünnen Vorhängen hervorhallten, wischte sie ihre eigenen fort. Niemand würde sie weinen sehen, sagte sie sich. Keine der Dienerinnen und auch nicht die Wachen. Doch der Schatten, der draußen stehen blieb gehörte zu keinem davon. Er sagte kein Wort, wartete einfach nur, nur eine Silhouette gegen das Abendlicht das durch die Fenster drang.

Jiy hatte gewusst, das er kommen würde um mit ihr zu reden. Nur nicht so bald. Nicht so… Einen Moment war sie versucht ihn tatsächlich zu ignorieren, als ob das etwas ändern könnte. Sie tauchte unter, ließ das Wasser über ihren Körper waschen in der Hoffnung das es ihre geröteten Augen verbergen mochte. Es änderte nichts. Und als sie die Augen wieder aufschlug war er immer noch da hatte den Vorhang zur Seite gezogen und saß am Rand des Beckens. Ihr Blick traf sich einen Moment.  Kellvians Augen waren von einem leuchtenden blaugrün, wobei manchmal die eine, dann die andere Farbe zu dominieren schien. Jiy hatte nie herausgefunden woran es lag, doch hatte sie sich schon oft genug darin verloren. So wie jetzt. Alle Härte war aus diesem Blick gewichen, als hätte es den Mann, der im Thronsaal noch wenige Stunden zuvor seine Männer auf den Tod einschwor nie geben.  Er war nicht mehr der Mann der sterben würde, der sie alleine zurücklassen würde… Und irgendwie wusste sie, wenn sie ihn jetzt darum bat, dann würde er die Stadt mit ihr verlassen. Und doch schweig Jiy und ließ den Moment und die einzige Gelegenheit die sie haben würde verstreichen. Ja sie könnte ihn bitten. Und sie wollte es so sehr… Aber gleichzeitig wusste sie auch, dass sie ihm das nicht antun konnte.

,, Danke.“ , murmelte er leise. Und er verstand es. Jeden einzelnen ihrer Gedanken, so schien es. In seinen Händen lag ein leerer Kelch aus Silber. Er hatte getrunken, dachte sie und diese simple Feststellung machte ihr fast mehr Angst als alles andere. Es sah ihm so ganz und gar nicht ähnlich, schien nicht zu dem Mann zu passen den sie kannte… Und trotz allem was war hätte sie alles gegeben um auch noch einen Teil seiner Last tragen zu können. Und sei es nur um nicht länger ertragen zu müssen, ihn so zu sehen. Gebrochen. Ihr Herz flog ihm zu, doch was konnte sie schon tun?

Sie nahm ihm den Becher weg,  fasste seine Hand und strich über die feinen Linien in seiner Handfläche, versuchte sich zu erinnern, wie es gewesen war als die Welt noch nicht angefangen hatte um sie herum zusammen zu stürzten. Es gelang ihr nur fast. Im Gegenzug führe er ihre Finger an die Lippen, küsste die Kuppe jedes einzelnen.

,, Ach Kell…“All ihre Sorge und aller Schmerz der letzten Zeit fanden ihren Ausdruck in diesen zwei Worten. Es ist nicht fair, dachte sie. Es ist einfach nicht fair. Sie hatten genug gekämpft…

Sie nahm seine Hand, als er ihr aus dem Wasser half und ihr ein Handtuch um die Schultern legte. Sie waren beide älter geworden, dachte sie, während sie ihr eigenes Spiegelbild auf dem Wasser betrachtete. Doch für Kellvian schien es keine Rolle zu spielen, als er ihr eine silbrige Haarlocke aus dem Gesicht strich. Er sprach es nicht aus und doch wusste sie bereits was er sagen wollte. Und Jiy wollte es nicht hören. Noch nicht. Am besten nie.

,, Erinnerst du dich noch an das Bad in Vara ?“ , fragte sie in der Hoffnung das unvermeidliche hinaus zu zögern. Solange sie es nicht aus seinem Mund hörte, konnte sie immerhin so tun, als wüsste sie noch von nichts.

Kellvian lächelte sanft. ,, Wie könnte ich das je vergessen…“ Seine Hände lagen auf ihren Schultern, strichen sanft darüber. Er musste spüren, dass sie zitterte, dieses Mal auch vor Kälte. Nach der Wärme des Bads war es  hier draußen überraschend kühl.  Er zog sie an sich. ,, Ich will das du mit ihnen gehst.“ , erklärte er. Die Worte hätten sie nicht schwerer treffen können, wenn er ihr stattdessen einen Dolch ins Herz gestoßen hätte. ,, Sie werden in Vara  jemanden brauchen, der sie an meiner statt führt.“

,, Ich hatte gehofft das es nie wieder so weit kommt.“ , murmelte sie als sie sich gegen ihn lehnte.

,, Ich auch. Aber ich weiß auch dass du es kannst. Und je länger wir sie hier aufhalten, desto mehr Zeit gewinnen wir für euch.“

Sie wollte etwas sagen, irgendetwas vielleicht, das ihn umstimmen könnte. Doch als sie noch die Möglichkeit dazu gehabt hätte, hatte sie den Moment verstreichen lassen. Plötzlich hatte sie einen Kloß im Hals, konnte kein Wort mehr heraus. Stattdessen küsste sie ihn. Sie wusste später nicht mehr, wer den Kuss zuerst beendete. Keiner von ihnen schien zu wollen, und ihre Lippen fanden sich immer wieder. Sie meinte jedoch, dass es Kellvian gewesen sein musste, der sich schließlich zurückzog. Über die Jahre waren sie nur mehr zusammengewachsen… und doch blieb die einfache Wahrheit bestehen dass nicht er es war, der alles aus seinem alten Leben  aufgegeben hatte. Und nun wollte er ihr auch noch das letzte nehmen was ihr geblieben war. Sich selbst…

,,Es  ist nicht fair.“ , murmelte sie leise in seinen Armen.

Kellvian lächelte traurig. ,, Nicht ist je fair, Jiy. Oder war es je. Die Götter wissen wir hätten uns Ruhe verdient. Aber ich bezweifle, dass sie die Wünsche von Menschen groß kümmern. Oder das sie das je getan haben. Ich weiß nicht ob oder wann wir uns wiedersehen… aber ich liebe dich. Daran hat sich nichts geändert…“

Und dennoch würden sich ihre Wege trennen, dachte die Gejarn. Und schlang ihm die Arme um den Hals, zog ihn an ihre Brust, als könnte sie ihn so irgendwie für immer  festhalten. Der Gedanke war lächerlich, das wusste sie.  Niemand war je in der Lage gewesen diesem Mann zu sagen was er zu tun hatte. Und sie würde daran nichts ändern wollen, selbst wenn sie könnte. Jiy legte ihren Kopf auf seine Schulter und eine Weile lag standen sie nur da, wiegten sich sanft mit jedem Atemzug. Ihr kam es bald wie ein unglaublich langsamer Tanz vor.  Irgendwie schaffte sie es zu Lächeln, als er ihre Hände nahm und sanft einen Schritt zurück machte. Und dann lachte sie sogar leise als er tatsächlich Anfing mit ihr zu tanzen. Langsam nur und dennoch anmutig. Irgendwann glitt das Handtuch von ihren Schultern. Sie trat es achtlos bei Seite. Wäre jemand hereingekommen er hätte sich wohl gefragt ob sein Kaiser den Verstand verloren hatte, wie sie so durch die Bäder tanzten, sie mit Nichts bekleidet, er immer noch in Weiß und Gold. Ihre Lippen fanden sich erneut und der Tanz ein Ende. Sie stolperten zurück an die Wand. Erneut umfasste seine Hände ihre, hielten sie über ihrem Kopf fest, während seine Lippen sich von den ihren lösten und ihren Hals hinab wanderten, bis zum Ansatz ihrer kleinen, festen Brüste. Wassertropfen rannen die Fliesen hinter ihr herab. Wie kalte Finger versickerten sie an ihrem Rücken, ließen sie zusätzlich zittern. Aber nicht mehr vor Sorge. Nicht mehr vor Kälte…. Sie wollte ihn. Wenn schon nichts sonst, wenn sich alles gegen sie verschworen haben mochte… für diesen einen Augenblick gehört er noch ihr. Für diesen Abend zumindest.  Ihr Becken drängte sich ihm entgegen und ihr Rücken drückte sich durch. ,, Nimm mich.“ , flüsterte sie heiser, entwand ihm ihre Hände und tastete nach dem Bund seiner Hose. Er half ihr schweigend ihn zu entkleiden. Gürtel, Hose und Hemd lagen bald vergessen auf dem Boden am Rand der Wasserbecken, während Jiy Kellvian mit sich in die Fluten zog. Ihre Beine umschlossen seine Hüften, zogen ihn an sie. Sie konnte sein Glied zwischen ihnen spüren, die Wärme die davon und von ihrer eigenen aufgeheizten Mitte ausging. Und dann drang er endlich in sie ein. Kellvians Hände umfassten ihre Schenkel um sie zu stützen, während er sich langsam in ihr zu bewegen begann. Jiy jedoch gab sich nicht damit zufrieden.  Sie wollte ihn jetzt ganz und gar spüren, stemmte sich ihm bei jedem Stoß entgegen und erhöhte das Tempo.  Kellvians Knie gaben nach und sie sanken zurück auf den Boden, immer noch vom  nur Kniehohen Wasser umspült und umschlungen. Jiy beugte sich zu ihm herab, küsste ihn, während ihre Hüften immer wieder die seinen trafen. Und obwohl alles in ihr mittlerweile nach Erlösung schrie, sie längst die Kontrolle über ihren Körper verloren hatte, hätte sie sich am liebsten gewünscht, dass es nie enden würde. Kleine Wellen schwappten  bei jeder Bewegung über ihre Körper umher und über den Rand des Beckens. Sie keuchte auf, als sich nun auch Kellvian ihrem Tempo anpasste und unbarmherzig in sie stieß, ihre eigenen Bewegungen wurden immer Ruckartiger. Seine Lippen waren den ihren immer noch ganz nah und Jiy konnte sehen wie sich auch seine Züge anspannten. Aber etwas stimmte damit nicht,d achte sie. Nach all den Jahren kannte sie ihn Inn und auswendig. In allen Dingen. Sie wusste manchmal so genau was er dachte, als wären es ihre eigenen Gedanken und sie kannte seinen Körper wie ihren… Sie wollte fragen was nicht stimmte, doch ihr fehlte der Atem. Ihre eigenen Hüften zuckten bereits verräterisch, die Wärme in ihrem Unterleib schien längst alles andere auszublenden. Sie verlor  den kurzen Kampf endgültig. Ihr Orgasmus  ließ sie erneut erschauern, ihre Hüften bewegten sich wie von selbst auf den seinen und doch sehnte sich ein Teil von ihr nach mehr, spürte Kellvian nach wie vor in sich, hart und unbefriedigt. Einen Moment blieb sie erschöpft auf ihm sitzen, bevor sie erneut versuchte, ihre Hüften zu bewegen, ihm auch zur Erlösung zu verhelfen. Kellvian jedoch hob sie nur vorsichtig von sich herab und glitt aus ihr.

,,Gehe mit ihnen.“ , flüsterte er und zu ihrem entsetzten sah sie Tränen in seinen Augen glitzern. ,, Versprich es mir.“

,, Kell…“ Sie schloss die Augen. Am liebsten hätte sie nicht geantwortet. Oder ihn nur für eine zweite Runde an sie gezogen. Und doch machte sein Tonfall klar, dass er jetzt keine andere Antwort als ein Ja oder ein Nein dulden würde. Sie streckte eine Hand aus, strich ihm durch die Haare. Konnte sie ohne ihn überhaupt Leben? Ohne Janis war es unerträglich… und nun auch noch ohne Kellvian? Und doch hatte sie nicht die ganze Zeit gewusst, dass es dazu kommen würde? ,, Ich verspreche es.“

Sie hatte erwartet dass er erleichtert sein würde. Vielleicht das er sich von ihr verabschieden oder wieder zu ihr kommen würde. Stattdessen stand er nur auf. Wasser troff aus seinen Haaren als er ohne sich umzusehen aus dem Becken stieg, seine Kleider aufhob… und ging. Einfach so. Jiy konnte ihm nur nachsehen. Und ihr wurde klar, dass sie in diesem Augenblick einem Toten anblickte. Ihr Kell war fort und der Mann den sie jetzt vor sich sah war ganz und gar nur noch Kaiser. Als er zu ihr gekommen war, hatte es für ihn schon keine Wahl mehr gegeben. Er hatte sich bereits aus dem Leben verabschiedet. Nur noch nicht von ihr. Und jetzt brach er auch diese Letzten Bindungen ab.  So  sehr  sie diese Erkenntnis schmerzte…  sie wusste auch gut genug, dass es ihm nicht leichter fiel. Und so begrub sie die aufsteigende Wut und den Schmerz unter dem stummen Stolz auf ihn…und lächelte. Für ihn, auch wenn er es nicht mehr sah. Und akzeptierte schließlich die schreckliche Wahrheit, dass sie einander in diesem Leben nicht wiedersehen mochte.

 

Kapitel 44 Gespräche

 

 

 

Dunkle Quellwolken bedeckten den Himmel soweit Naria sehen konnte. Regen und Schneeschauer gingen Abwechselnd über den leeren Straßen der fliegenden Stadt nieder und begruben Wege genauso wie Dächer, Höfe und Gärten unter einer schmutzgrauen Matschschicht. In  der kleinen Kammer im Gästeflügel des Palastes in der sie saßen, hielt das Feuer in zwei Kaminen die Kälte draußen. Schneeflocken schmolzen an den Scheiben und die entstehenden Wassertropfen fingen das Licht der Flammen ein wie Tränen aus Bernstein. Verzierte und mit Schnitzereien versehene Säulen flankierten die großen Öfen, die selber mindestens genau so prächtig gestaltet waren wie die restliche Einrichtung. Schwere rote Teppiche in denen mit Gold gewebte Muster glitzerten bedeckten den Boden und die Möbel um sie herum waren aus dunklem Holz gefertigt worden auf dem Intarsien aus Rotgold glitzerten. Doch auch alle Pracht konnte nur schwer darüber hinwegtäuschen in welcher Situation sie sich befanden. Fünf Stühle standen um einen großen Tisch in der Mitte des Raums herum, von denen jedoch nur vier besetzt waren. Auf dem freien Platz lag Narias gepackter Rucksack, während ihr alter Wanderstab an der Lehne lehnte. Das Holz trug noch immer Schwertkerben von ihren Übungen mit Lias. Sie lächelte unbewusst bei dem Gedanken an den alten Gejarn. Und insgeheim fragte sie sich, wie er wohl reagiert hätte, könnte er jetzt hier sein. Ihr Dilemma hätte er wohl nicht zu lösen vermocht. Aber manchmal… Nun manchmal konnte ein anderer Blickwinkel die Dinge zumindest weniger schwer erscheinen lassen.

Die übrigen Plätze am Tisch waren mit Armell, Zachary und Merl besetzt, wobei der Meister des jungen Zauberers ihr fast genau gegenübersaß.  Merl seinerseits hatte sich zurück gelehnt und die Augen halb geschlossen. Die Träne die ihm sein Meister überlassen hatte, glitzerte an einer Kette um seinen Hals und warmer Dampf stieg aus dem Becher in seinen Händen auf. Heißer Wein der mit Gewürzen zusammen gekocht worden war dampfte in einem großen Krug vor ihnen auf dem Tisch und in einer Reihe von Zinnbechern. Naria nippte nur vorsichtig daran, war jedoch froh sich bei der Witterung einmal richtig aufwärmen zu können.  Nach der Audienz im Thronsaal waren sie eine Weile ziellos durch die Flure des Palastes gewandert. Und längst nicht alle Räume hier wurden immer beheizt, wenn sie nicht in Benutzung waren. Und sie würden so oder so noch früh genug wieder hinaus in die Kälte kommen, dachte sie. Morgen früh würden sie, Elin und Galren nach Norden aufbrechen, während der Rest einen Bogen nach Süden in Richtung Vara schlagen würde. Das hieß bis auf die Garde. Bis auf Hadrir. Bis auf Quinn, Syle… und Kellvian. Sie respektierte die Entscheidung des Kaisers der Menschen, dennoch fragte sich ein Teil von ihr, ob nicht mehr dahinter stecken mochte. Kellvian schien nicht der Mann zu sein, der sein Leben sinnlos wegwerfen würde. Gab es also noch einen Plan? Oder hatte er schlicht aufgegeben und nur noch beschlossen sich seinem Schicksal lieber hier als in Vara zu stellen? Das die Stadt auf Dauer keine sichere Zuflucht sein würde, musste ihm ebenfalls klar sein.  Nicht wenn die fliegende Stadt fiel. Aber wo konnten die Leute sonst schon noch  hin? Und wer würde es wagen ihnen ins Gesicht zu sagen, dass sie das Ende nur hinaus zögerten… Erindal war zerstört, Silberstedt gefallen, Helike schon lange davor, selbst wenn es in Reichweite gewesen wäre, Lasanta war zu weit weg und Risara wurde belagert oder befand sich ebenfalls schon in den Händen der Kultisten. Und für die übrigen größeren Städte sah es nicht besser aus.

,, Wir könnten euch begleiten.“ Zacharys Stimme riss sie aus ihren trübseligen Gedanken. Von den drei Magiern hier, sie eingeschlossen, war er der Älteste, auch wenn das nicht viel zu sagen hatte.  Nach den Strapazen der letzten Tage wirkte er jedoch tatsächlich… gealtert, dachte sie. Ganz und gar nicht wie ein Mann um die dreißig, eher wie einer Anfangs fünfzig… ,, Zumindest bis nach Silberstedt. Ich habe nicht vor meine Heimat lange der Gnade des Herrn der Ordnung zu überlassen.“

Naria sah den Magier einen Augenblick lang misstrauisch an. Mochte sein das die anderen am liebsten vergessen mochten, was geschehen war, aber sie nicht. Er hatte versucht Galren Eiskalt zu ermorden. Und selbst wenn sie das auf eine Einflüsterung Ismaiels schieben könnte… wer garantierte ihr, das er dieser nicht wieder nachgab? Wenn es wirklich keine Möglichkeit mehr gäbe, wenn sie keinen Ausweg mehr hätten… ja, dann würde Galren sterben müssen, dachte sie. Zumindest wenn diese Welt noch irgendeine Hoffnung haben sollte.  Und wenn es nötig werden würde, würde sie es selbst tun… Und sie würde den Mensch sehr genau im Auge behalten.  Aber nicht vorher. Der Kaiser hatte einen Plan und ob er nun Erfolg haben würde oder nicht, noch waren sie nicht am Ende.

,, Je weniger wir sind, desto besser.“ , erklärte sie daher kühl. ,, Der rote Heilige ist nicht dumm, Zachary. Auch wenn der Kaiser seine Armeen hier binden kann, er wird Augen und Ohren überall haben. Eine kleine Gruppe bleibt  eher unentdeckt. Vor allem wenn ihr wirklich beabsichtigt, Silberstedt  zu attackieren. Ihr würdet nur Aufmerksamkeit auf uns lenken. Das ist genau das, was wir nicht gebrauchen können…“ Und er blieb besser weit fort von Galren. ,, Außerdem wird man euch in Vara brauchen. Ihr wisst das so gut wie ich.“

Der ältere Magier nickte. ,, Ihr habt ja recht.“ Er grinste. ,, Das heißt jedoch nicht das mir die Vorstellung diesen Bastarde die sich in meiner Stadt breit gemacht haben in Stücke zu reiße nicht gefallen würde.“

Und vielleicht war doch etwas von Ismaiel in ihm hängen geblieben, dachte Naria. ,, Ihr klingt schon wie der andere…“

Zachary sah plötzlich um einiges düsterer drein wie noch wenige Augenblicke zuvor. ,, Glaubt nicht, das ich das nicht wüsste. Ismaiel war so lange ein Teil von mir, das ich mir nicht sicher sein kann, ihn je wieder ganz los zu werden, Naria. Ihr wisst nicht wie das ist. Zwei Seelen in einem Körper können auf Dauer keine getrennten Entitäten bleiben. Irgendwann fangen sie an sich zu überlagern, während die eine die andere langsam übernimmt.“ Er hob eine Hand, betrachtete seine Finger, als würde er sie soeben zum ersten Mal wirklich wahrnehmen. ,, Manchmal kann ich nicht einmal mehr sicher unterscheiden was von meiner Persönlichkeit grade überhaupt noch wirklich von mir stammt… und was von ihm. Manche Dinge verändern einen. Und das nicht immer zum Besten.“

,, Ich glaube, ich kann das ziemlich gut nachvollziehen.“ , meinte Merl. Naria wusste nur zu gut was er meinte.  Den jungen Magier von einst schien es längst nur noch manchmal zu geben. Merl war über die letzten Jahre ernster geworden, härter. Und vielleicht in manchen Dingen weiser als sein Meister, dachte sie behielt diesen Gedanken jedoch für sich. Und die letzten Entbehrungen hatten diesen Eindruck nur verstärkt.  Zachary war wohl nicht der einzige, bei dem etwas von Ismaiel hängen geblieben war, auch wenn Naria hoffte, dass der Junge noch seinen eigenen Weg fand. Jenseits jeder Herkunft oder der Taten seines Meisters. ,,  Damals im Lager… du hast gesehen was er getan hat, oder ? Den Feuerengel ?“ Die Frage klang schon wieder mehr nach dem alten Merl.

,, Davon war nichts Ismaiel, Merl. Ausnahmsweise.“ Zachary schenkte sich Wein nach, rollte den Becher dann jedoch nur einen Moment zwischen den Händen, bevor er fortfuhr: ,, DU hattest diese Fähigkeiten schon immer… nein mehr du bist damit geboren worden. Du musstest sie nur auch nutzen wollen. Alles, was dich je zurück gehalten hat… ist genau hier.“ Er tippte sich gegen den Kopf.

,, Warum hast du es mir nie gesagt ? Ich meine, wer ich eigentlich bin?“

,, Lass mich mit einer Frage antworten : Hättest du es akzeptiert wenn du es auf diese Art erfahren hättest ? Ich kannte und kenne dich Merl.“

,,Nein.“  Naria wusste nicht zu sagen worauf sich die Antwort des Magiers bezog. ,, Ich glaube nicht, das Ismaiel jemand ist, den man so einfach akzeptieren kann…“

,, Und trotzdem erfüllt mich sein Verlust mit mehr Sorge als es sein Leben je tat.“ , murmelte Zachary mehr zu sich selbst als zu einem der Anwesenden. Die Augen hatte er dabei niedergeschlagen und auf den Inhalt seines Bechers gerichtet

,, Vielleicht war er nicht ganz das bösartige Wesen, das er für alle sein wollte. Ich weiß nicht ob sein Tod mir etwas bedeuten soll… Aber er schien mir immer so verbittert, wütend auf alles und jedem als würden sie an seinem Schicksal Schuld tragen.“ , stellte Armell fest. ,, Und trotzdem hat er sich am Ende für uns geopfert.“

,, Und damit ist die Linie des alten Volkes endgültig erloschen.“ Naria glaubte zu verstehen was Zachary an diesem Gedanken nicht gefiel. Und auch Merl begriff es, sie konnte es ihm ansehen- Das alte Volk war tot. Dieses Mal hoffentlich endgültig. Vielleicht musste man selbst ein Magier sein um die volle Tragweite dieser Tatsache fassen zu können. ,, Es ist das Ende, das meint ihr doch, oder ?“

Der ältere Zauberer nickte. ,, Unsere Magie speist sich aus dem Erbe des alten Volkes. Wir alle, zumindest Merl und ich stammen mehr oder weniger direkt vom alten Volk ab. Wie das bei euch aussieht, da bin ich mir nicht sicher. Aber würde  man die Stammbäume jedes Magiers im Kaiserreich bis zum Beginn zurückverfolgen würde bei jedem ein Mitglied des alten Volkes an letzter Stelle stehen. Und nun ist seine Blutlinie erloschen. Ich fürchte, dass dies… wenn nicht ihr Ende doch zumindest den langsamen Tod der Magie bedeuten könnte. Zumindest jene Form, die von Magiern gewirkt wird. Das Blut des alten Volkes wird sich mit den Jahrhunderten verlieren. Das hat es immer schon getan. Doch nun ist dieser Prozess endgültig unumkehrbar.“

,, Das glaube ich schlicht nicht.“ , erwiderte Naria.  ,, Wie ihr selbst gesagt hab. Ich glaube nicht, dass ich vom alten Volk abstamme. Und ich glaube es war Simon der sein Ordensbrüder einmal davor warnte, Magie als bloßes Phänomen von Blut und Erbe sehen zu wollen. Sie fluktuiert, nimmt manchmal zu und manchmal ab. Und ihr solltet das Wissen. Sie ist genau so sehr Entität wie Phänomen. Und auch ohne das alte Volk besitzen Menschen Magie.  Sie könnte genau so wenig aussterben wie ein Ozean verdunsten kann.  Mag sein, dass sich die Küstenlinien mit der Zeit verändern, das Wasser ist aber immer noch irgendwo. Die Magie achtet auf sich selbst…“

,, Hoffen wir, das ihr recht habt. Ich fürchte, wer von uns Recht hat, werden wir nicht mehr erfahren. Und vielleicht ist das auch gut so. Ich glaube nicht, dass ich in einer Welt  gänzlich ohne Magie leben wollen würde. Das wäre, wie seine Augen zu verlieren. Oder seine Füße.“

,, Der rote Heilige meinte, er könnte das alte Volk zurück bringen.“ , bemerkte Merl. ,, Wenn Ismaiel sich auf seine Seite schlagen würde zumindest. Er hat es ihm offen Angeboten. Sein Herr könnte sein ganzes Volk für eine zweite Chance zurück bringen…“

,, So sehr mich ihr endgültiges Verschwinden auch sorgt, ich hoffe inständig, das das eine Lüge war. Und Ismaiel scheint dies auch gewusst zu haben. Zumindest war er nicht bereit uns alle dafür zu opfern… Man mag über ihn sagen was man will, aber er ist nicht so wie die Diener des Herrn der Ordnung . Die Geweihten kennen kein Mitgefühl mehr, kein Erbarmen… der Prozess, der sie zu dem Macht was sie sind löscht ihre Identitäten  aus, vernichtet ihre Emotionen  oftmals völlig… Ismaiel hingegen hatte sich schlicht entschlossen, seine zu ignorieren. Und ich glaube, das war letztlich auch das einzige, was ihm über all diese Jahrtausende zumindest ein Fragment seines gesunden Verstandes bewahrt hat.“ Es war seltsam Zachary so sprechen zu hören. Sein Blick schien durch sie hindurch zu gehen, irgendwo in die Ferne, so als würde er auf das Leben zurückblicken von dem er sprach. Und wenn wirklich einige Fragmente von Ismaiel in seinem Geist zurück geblieben waren… nun wer weiß, dachte Naria.  Er würde ihr wohl kaum erlauben, herauszufinden ob es stimmte. Schade… ,, Hoffen wir, das wir nie herausfinden müssen ob der rote Heilige zu so etwa sin der Lage wäre. Das alte Volk wäre kaum unser Freund, auch wenn sie nicht von einem Dämonen-Gott zum Leben erweckt würden.“
,, Nein.“ Armell schüttelte den Kopf. ,, Laut allem was Ismaiel uns erzählt hat, haben sie die Menschen in die eisigen Weiten hinaus gejagt… und fast ausgelöscht.“

,, Und dabei die Seher erschaffen. Wenn auch eher unbeabsichtigt.“ Merl schien einen Moment darüber nachzudenken

,, Wie  diesen Melchior, den Galren suchen soll ? War es das was ihr gemeint habt als ihr sagtet, das auch Menschen über Magie verfügen würden, Naria ?“

,, In gewisser Weise ja. Aber es ist schwer zu erklären. Niemand weiß wirklich viel über die Seher, aber sie sind im Grunde Magier. Allerdings eine andere Form davon. Sie stammen nicht vom alten Volk ab. Man könnte sagen, wenn Maie eine Sprache wäre, das das alte Volk und die Seher unterschiedliche Dialekte darin darstellen würden. Ihre Fähigkeiten haben den gleichen Ursprung, äußern sich aber in völlig anderen Erscheinungsformen. Vielleicht verschieden genug, das einer von ihnen helfen kann, wo unsere Fähigkeiten versagt haben…“

 

 

 

Kapitel 45 Wahrheit

 

 

In der Nacht war das Wetter umgeschlungen. Als Zyle auf den Hof des Palastes hinaus sah, in dem er die Paladine versammelt hatte, wurde er beinahe geblendet. Sonnenlicht spiegelte sich auf dem Eis, das sich in der Nacht aus  Schneeregen und Schmelzwasser gebildet hatte und den Platz in eine glatte, rein weiße Fläche aus Kristall verwandelt hatte.

Zyle stand im Schatten des Torbogens der auf den Hof hinaus führte und betrachtete die Männer die dort auf ihn warteten. Ein paar dutzend hatten die Verteidigung von Maras überlebt. Und später waren hunderte im Flüchtlingslager um die fliegende Stadt gestrandet, nachdem die Herrschaft des roten heiligen Helike nicht in das Paradies verwandelt hatte, da ihnen versprochen wurde. Manche hatten gegen die Archonten aufbegehrt und waren kurzzeitig zu Verrätern geworden. Andere waren für ihre Herrn durch das Feuer gegangen und darüber hinaus. Und wieder andere waren schlicht geflohen als die innere Stadt  fiel. Doch jetzt und hier einte sie alle ihre Loyalität zu ihrem Archonten. Zu Wys. Und nicht zu mir, dachte Zyle. Er spielte ihnen etwas vor, seit dem Tag an dem er selbst in die fliegende Stadt zurückgekehrt war.  Und vielleicht war es auch das richtige gewesen. Er hatte ihre Hoffnung nicht so einfach zerschlagen können, ihnen ihren erhofften Anführer nicht wieder nehmen wollen. Nicht wo sie gebraucht wurden. Doch nun ? Sie waren geschlagen, dachte er. Und auch wenn sie es Wissen mussten, hielt jeder der Zweitausend den Kopf erhoben. Ihre Rüstungen schimmerten in Silber, Gold und Bronze. Tiefe Kratzer und Beulen überzogen das Metall und vielerorts konnte man nur allzu deutlich erkennen, wo die Panzer notdürftig ausgebessert worden waren. Einige der Männer hatten ihre Umhänge im Rot der Paladine verloren und trugen entweder gar keinen mehr oder bestenfalls noch Fetzen. Der Stolz Helikes war zerschlagen… und doch irgendwie auch ungebrochen in diesen Männern. Verblasste Banner wehten über ihren Köpfen, manche mit dem Adler und Löwen des Kaiserreichs bestickt, andere in den Farben Helikes oder dem weiß der Archonten.

Es war Wys, der sie hier bestellt hatte, zumindest für sie, dachte Zyle. Angeblich um sie für den Aufbruch nach Vara zu rüsten. Aber das war nur die halbe Wahrheit. Und die Lügen würden heute hier ein Ende finden. Wenn er nach dort draußen trat, würde er als Zyle vor sie treten, nicht als ein falscher Archont. Und so hatte er auf Rüstung und Umhang verzichtet, trug nur die schlichten, braunen Gewänder eines einfachen Mannes.

,, Du weißt das du das nicht tun musst.” Relina löste sich aus dem Schatten und stellte sich neben ihm. ,, Zyle… Was ist eine Lüge mehr?“ Ihr Federmantel raschelte im Luftzug, der durch den Tunnel pfiff und Schnee und kleine Eisflocken mit sich trug.

,, Eine zu viel, Relina…“ Er drehte sich zu ihr um und fasste ihre Hände. ,, Sie haben ihr Blut für mich vergossen. Sie haben für mich gekämpft und sind gestorben. Ich schulde ihnen zumindest so viel. Sie haben ein Recht zu wissen, dass sie mir keine Loyalität schulden. Ich bin nicht ihr Herr. Nicht der Mann, dem sie die Treue geschworen haben.“ Zyle sah erneut auf die Reihen aus zerlumpten Rittern hinaus. Sie waren ohne Murren mit ihm gezogen. Und er wusste sie würden ihm auch weiter folgen. Solange sie glaubten, dass er ihr Archont war, würde jeder dieser Männer weiterkämpfen, selbst wenn das Kaiserreich unterging. Selbst wenn sich alles gegen sie stellte. Solange sie noch glaubten ihrem toten Archonten zu folgen. Er konnte sie nicht mehr im Unklaren darüber lassen, wie die Wahrheit aussah.

,, Und du bist dir ganz sicher ?“ Sie machte ihm keine Vorwürfe, weil er überhaupt erst darauf bestanden hatte. Und sie versuchte auch nicht ihm das ganze Auszureden. Und dafür war er ihr nur stumm dankbar. Statt einer Antwort drehte er sich zu ihr herum und küsste sie. Falls sie jemand sah, war es jetzt ohnehin egal. Seine Entscheidung stand fest. Und als er sich wieder von ihr löste, drehte er sich nicht noch einmal um, als er schließlich unter dem Tor hinaus ins Licht der Morgensonne trat. Eis zerplatzte unter seinen Füßen, während die Männer sich zum ersten Mal rührten und sich ihre Köpfe in seine Richtung treten. Wenn sie weiterkämpften, dann nicht wegen einer Lüge. Auch aller Mut der Paladine konnte nichts mehr daran ändern, das es vorbei war…

Einige der Männer wirkten irritiert, als sie seine schlichte Kleidung und die fehlende Rüstung bemerkten. Selbst Wys Schwerter hatte er zurück gelassen und gegen eine einfache Klinge aus den Waffenkammern der fliegende Stadt eingetauscht. Und wie groß musste ihre Verwunderung erst sein, als ihr angeblicher Archont vor ihnen auf die Knie sank. Zyle konnte die Kälte des Bodens und des Eises spüren. Seine Beinkleider waren sofort durchnässt und begannen bereits wieder zu frieren, als er schließlich den Blick hob.

,,Herr , steht auf.“ , hörte er jemanden aus den Reihen der Paladine rufen. Und gleich darauf schloss sich ihm jemand an. ,, Wir stehen weiterhin hinter euch. Bis zum Ende, wenn ihr es verlangt.“

,, Helike lebt in uns und wenn ihr es verlangt, dann wird es auch das Kaiserreich. Was ist eine verlorene Schlacht, sagt es uns? Eine Lektion. Ein Hammerschlag auf eine heiße Klinge, auf das sie Form annimmt nichts weiter. Ohne Hammerschläge kann es keinen guten Stahl geben.“

Und einige fingen sogar an seinen Namen zu skandieren. Wie an jenem Abend im Lager. ,, Wys !, Wys, Wys !“

Sie verstanden  nicht, dachte Zyle. Ein Teil von ihm musste über die unverwüstliche Loyalität und den unerschütterten Glauben dieser Männer lächeln. Es tat gut zu wissen, dass es zumindest ein paar gab, die noch nicht aufgegeben hatten. Doch das mochte sich ändern, wenn sie einmal erfuhren, wie weit sie selbst  hintergangen worden waren. Von ihm…

,, Ich bin nicht Wys. Und es tut mir leid, dass heute nicht er an meiner statt hier vor euch stehen kann. Ich weiß mein Bruder hätte eure Loyalität zu schätzen gewusst. Doch ich nicht. Niemand soll mir unter falschen Voraussetzungen in den Tod folgen.“ Er stand auf. ,, Ich bin Zyle Carmine. Der gefallene Schwertmeister. Der Verstoßene. Ihr kennt mich. Ich bin kein Mann Helikes. Schon lange nicht mehr. Und doch habe ich eure Loyalität für mich in Anspruch genommen. Das stand mir weder zu , noch hätte ich es je tun dürfen. Es tut mir leid.“ , erklärte er erneut. ,, Ihr habt geglaubt unter einem Archonten zu dienen, stattdessen habt ihr euer Blut für einen Verräter vergossen. Wer gehen will, der soll es nun tun. Und wer Genugtuung fordern will…“ Zyle zog das Schwert, rammte es neben sich in das Eis. Die Klinge blieb zitternd im Pflaster stecken und fing das Licht der Sonne ein. ,, Hier bin ich..“

Er hatte mit vielem gerechnet. Damit, dass sie sich auf ihn stürzen würden, dass sie sich von ihm abwenden mochten. Vielleicht auch, das einige, die unbeugsamen bleiben oder seine Worte leugnen würden.  Einen Moment lang sahen die Männer nur irritiert zu ihm. Manche blinzelten einen Moment, als würde ihnen jetzt erst klar wen sie vor sich hatten… und die anderen… schmunzelten.

Doch nichts hatte ihn auf die Realität vorbereitet. Was ihm entgegenschlug war nicht Hass, nicht Ablehnung…

,, Ich kenne euch.“ , meinte einer der Älteren. ,, Die Archonten nennen euch einen Verräter, Zyle Carmine. Aber bei Laos, ihr sprecht wie einer von ihnen. Und die die euch Verräter nannten sind Tod. Oder selber zu welchen geworden.“ Und mit diesen Worten löste er die Spange dessen was noch von seinem Paladinmantel übrig war. ,, Wenn Ehre bedeutet, dass ich nicht mehr dem Mann folgen kann, den ich dafür würdig erachte, dann fort damit. Ein Schwert verdient man sich durch Taten und Worte. Und ich habe beides von euch gesehen.“

Der nächste Mann der vortrat war Jünger und hatte wohl kaum das zwanzigste Lebensjahr überschritten. ,, Herr, ich habe gesehen wie ihr euch einem Drachen in den Weg gestellt und euer eigenes Leben für uns riskiert habt. Ihr habt uns über den Fluss geführt und ihr habt uns zusammen gehalten. Ich kannte euren Bruder. In  Helike seit ihr beide lebende legenden. Und Wys sprach immer nur in höchsten Tönen von euch ob die übrigen Archonten das hören wollten oder nicht. Ihr wart es, der sich noch vor Laos selbst vor zwanzig Jahren den korrupten Archonten in den Weg stellte. Wie könnt ihr noch Fragen ob euch jemand folgen will?“ Ein weiterer Mantel landete auf dem Eis.
Und so ging es weiter, einer nach dem anderen, bis der gefrorene Platz mehr rot als weiß war.

Zyle entdeckte Relina, die mittlerweile unter dem Torbogen hervorgetreten war und alles mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen beobachtete.

Die Paladine, die keine Paladine mehr waren, standen noch einem Moment vor ihm und dann gab es für die Männer scheinbar kein Halten mehr. Tobender Jubel brach aus während die Männer ihn umringten und erneut begannen seinen Namen zu skandieren. Und diesmal tatsächlich seinen…

Er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Nein, das war ganz und gar nicht womit er gerechnet hatte. Es war besser, unglaublich sogar. Sah so aus, als würde er nicht mehr länger so tun müssen, als sei er ihr Archont… Zyle schloss einen Moment die Augen und erlaubte sich nur den Moment zu genießen, ließ Sorgen und die Gedanken an die Zukunft einen Moment bei Seite,  bevor er sich schließlich aus der Menge löste und Relina entgegenging. Die Gejarn schlang ihm die Arme um den Hals, lachte mit ihm, bevor er sie auf die Lippen küsste und sich wieder den wartenden Paladinen umdrehte. Falls sich jemand daran störte das ihr Herr eine Magiern in den Armen hielt, so sagte es zumindest niemand. Und einige schmunzelten sogar. Und wieder andere sahen ihn nur Erwartungsvoll an. Er hatte sie nicht nur herbei gerufen um endlich sein Geständnis abzulegen… Es war an der Zeit ihnen wieder eine Aufgabe zu geben,  dachte er.

,,  Der Kaiser hat uns die Aufgabe gegeben alle Leute aus der fliegenden Stadt hinaus und sicher nach Vara zu eskortieren. Und sie dort zu verteidigen.“

,, Herr, wir sind bereit diese Stadt zu halten.“ , bemerkte einer. Und natürlich murrten noch viele mehr über den Befehl des Kaisers. Wenn es eines gab, das Paladine nicht mochten, dann zum Rückzug gezwungen zu sein. Diese Männer starben lieber mit der Waffe in der Hand, egal wie die Chancen standen, bevor sie auch nur einen Fuß Boden Preis gaben. Und unter anderen Umständen hätte er Kellvians Anweisungen vielleicht auch selbst in den Wind geschlagen und die Männer in die Schlacht geführt. Er hätte an ihrer Seite gestanden.  Doch dieses Mal war das keine Option.

,, Ich weiß, das ihr lieber hier bleiben würdet. Und glaubt mir hätte ich die Wahl, ich würde lieber Seite an Seite mit euch hier bleiben. Kellvian ist mein Freund und der Gedanke ihn hier zurück zu lassen, gefällt mir noch weniger als euch. Aber manche Dinge stehen über Ruhm und Ehre. Denn er hat leider auch Recht. Jemand wird diese Leute führen und verteidigen müssen. Bleiben wir, heißt das hunderte von Menschen im Stich zu lassen, Alte, Frauen, Kinder. Ich habe nicht vor das zuzulassen.“ Und er würde das letzte Versprechen das er Kell gegeben hatte erfüllen. Er hatte Versprochen Jiy und die anderen für ihn in Sicherheit zu bringen… Und nun hatte er wahrhaft eine kleine Armee in seinem Rücken um genau das zu tun. Er wusste nicht ob sie Vara oder die fliegende Stadt halten konnten. Vielleicht nicht. Wahrscheinlich nicht.  Aber  Zyle würde auch nichts unversucht lassen. Nicht jetzt, wo diese Männer ihr ganzes Vertrauen in ihn und wirklich in ihn setzten. Und so lächelte er, trotz der Dinge die vor ihnen liegen mochten und drückte Relina nur fester an sich. Und fühlte sich zum ersten Mal seit Monaten tatsächlich so etwas wie frei, als wäre eine gewaltige Last von seinen Schultern genommen. Wys würde noch Grund haben Stolz auf ihn zu sein, sagte sich  Zyle. Wenn es so etwas wie die goldenen Hallen der Menschen wirklich gab und falls es dort noch einen Platz für ihn gab wenn alles vorüber war würden sie sich dort  früh genug wiedertreffen…

 

Kapitel 46 Hammer

 

 

 

Bunte Lichtstrahlen sickerten durch die Fenster im Ratssaal der Zwerge, einen großen Rundbau mit Kuppeldach, den ihnen der Kaiser bei ihrer Ankunft zur Verfügung gestellt hatte. Säulen aus Marmor trugen die Decke und ragten an den Mauerabschnitten zwischen den zwölf großen Buntglasfenstern auf, von denen jedes eine Namenlose Figur zeigte. Namenlos, bis auf den einen, dachte Hadrir, während er mit verschränkten Händen zu dem Bildnis auf sah. Rubinrot, orange und flammende Gelbs formten die Kleidung  einer menschlichen Gestalt mit grauen Haaren und dunklen, blauen Augen. Eine Laterne brannte in seiner Hand, eine Schiffsleuchte, als wäre das Wesen dort oben ein Navigator oder ein Wegweiser. Oder ein Mann der im Dunkeln der Nacht seine Ränke schmiedete. Der Gedanke beunruhigte Hadrir, während er  weiter zu dem Bildnis aufsah. Gläsernes Feuer loderte zu seinen Füßen und um ihn herum doch der lange vergessene  Künstler hatte das Gesicht des Mannes ausdruckslos und kühl wirken lassen, so als würde er die Feuer um sich herum gar nicht wahrnehmen. Bis auf die Augen. Ihre Augen schienen einen einfach zu verfolgen, sobald man den Saal einmal betreten hatte, egal wo man sich an dem großen, runden Tisch niederließ.

Hadrir selber stand der Tür gegenüber, die nach draußen in die Flure des Palastes führte. Und die zumindest im Augenblick noch geschlossen war.

Mit einem zumindest hatte Kasran letztlich Recht behalten, dachte er. Bisher war es ruhig geblieben. Allerdings war auch keine weitere Vollversammlung der Häuser mehr zu Stande gekommen.  Die Häuser standen  für sich alleine, ja manche beantworteten seine Aufforderungen an den Verhandlungstisch zurück zu kehren  nicht einmal mehr. Bis jetzt. Auch den störrischsten Thanen war klar, das ihr Schicksal mit dem des Kaiserreichs zusammen gesprochen werden würde.

Hadrir war klar, dass dies seine letzte Chance sein würde. Wenn er sein Versprechen wahr machen  und die Häuser zurück gewinnen wollte… dann hier und heute. Oder er würde nur auf einem weiteren gebrochenen Wort sitzen bleiben, dachte er. Einer weiteren Enttäuschung. Der Kaiser brauchte ihre Hilfe. Und er hatte ihm genau das versichert.

 Stumm senkte er den Blick und ließ sich in einen der hohen Lehnstühle an der Tafel sinken. Gedankenverloren strich er über den Griff des Hammers, der Griffbereit an der Seite des Stuhls stand.  Keines der Häuser konnte hoffen diese Schlacht alleine zu schlagen, dachte er. Das hieß, falls sie sich dazu entschlossen etwas zu unternehmen.  Aber so blind konnten sie nicht sein…

,, Wie konntet ihr dem Kaiser so einfach Männer versprechen ?“  Kasrans Stimme hallte von der hohen Decke wieder, als er durch die Türen Platzte, fünf seiner Gefährten hinter ihm.  Der alte Thane der Mardar bebte vor Wut . ,, Männer die ihr nicht einmal habt ? Wisst ihr was die übrigen Häuser tun werden, wenn sie erfahren, das ihr ohne ihre Zustimmung ein solches Angebot unterbreitet habt? Man wird euch in Fetzen reißen…“  Und euch gleich mit, dachte Hadrir stumm. Und wo seid ihr eigentlich gestern gewesen als der Kaiser uns alle in den Thronsaal rufen ließ? Nicht dort auf jeden Fall. 

Bebend kam der ältere Zwerg vor ihm zum Stehen und starrte auf ihn herab. Hadrir hatte ihn schon wütend erlebt… aber selten so.

,, Nach heute werde ich sie haben.“ , erklärte er ruhig und die Entschlossenheit in seiner Stimme überraschte ihn selbst. S hatte eine simple Entscheidung zu treffen gegeben, dachte er. Und er hatte sie getroffen.. Langsam erhob er sich. Wenn das hier das Ende von allem war, dann würde er ihm mit dem begegnen was ihm noch an Würde geblieben war. Selbst wenn das hieß ein paar Häuser endgültig zu verlieren. ,, Es geht nicht mehr darum, irgendwie die Kontrolle über alle Häuser zu behalten, Kasran. Dafür ist es längst zu spät. Und ich habe nicht mehr vor dieses Spiel noch länger zu spielen.“

,, Hört ihr euch noch selbst zu ?“ Die Mine des in rot gekleideten Thanen verdüsterte sich. Die Hand mit der er sich auf den Rubinknauf seines Gehstocks stützte, schien das Juwel beinahe zerdrücken zu wollen. ,, Habt ihr den Verstand verloren?“ Der bunte Schatten eines der Buntglasfenster fiel über sie und für einen Moment versank die Welt in sanften Grün und Blautönen. Hadrir fing den erhobenen Stab  mit einer Hand ab, bevor Kasran auch nur dazu kam, ganz auszuholen. Einen Moment standen sie wie erstarrt da. Die fünf Gefährten des alten Thanen hielten bereits die Waffen in den Händen. Buntes Licht spiegelte sich auf blankem Stahl. Hadrir stieß den anderen Zwerg ohne ein Wort zurück, wobei der Stab Kasrans Händen entglitt und auf dem gefliesten Marmolandete. Das Juwel an der Spitze zersplitterte mit einem hörbaren Krachen und feurig schimmernde Fragmente wurden über den Boden verstreut. Kasran schwankte, suchte nach halt und konnte sich schließlich an der Lehne eines Stuhls festhalten. Erneut schien die Zeit einen Moment still zu stehen, während der alte Thane auf die Rubinsplitter zu seinen Füßen hinab sah. Langsam bückte er sich um die Überreste seines Stabs wieder aufzuheben. Lediglich einige stumpfe Splitter waren vom Griff geblieben. Kasran schien sichtlich in sich zusammen zu sinken, während er seinen Leibwächtern  ein Zeichen gab, die Waffen zu senken.

,, Ich bin zu alt um noch an Heldenmut zu glauben, Hadrir. Das er irgendetwas bewirken kann. Oder an das da.“ Er hob die Überreste seines Stabs und deutete auf die großen Buntglasfenster. ,, Die Unsterblichen haben uns von diesen Ländern fort geführt. Wir gehören nicht hierher. Und vielleicht wäre es besser gewesen nicht zurück zu kehren und das Beste zu hoffen.“
Die Worte des Thanen erinnerten Hadrir nur zu sehr an seine eigenen, als Galren ihn darauf angesprochen hatte. Vielleicht. Aber änderte das etwas daran, wie die Dinge nun einmal standen? Am liebsten hätte er Kasran Recht gegeben. Doch das würde bedeuten, das Versagen zu akzeptieren. So weit war er noch nicht. Er wusste nicht woher seine Entschlossenheit gekommen war, als er Kellvian sein Angebot unterbreitet hatte. Oder ob es etwas ändern würde. Aber so ging es nicht weiter. Und so griff er Kasran schließlich unter die Arme, als dieser versuchte um den Stuhl, den er als Stütze nutzte, herum zu kommen.

,, Dafür ist es zu spät. Kasran. Wir sind wieder hier. Wir sind Teil dieser Welt. Und wir können uns nicht mehr verstecken. Also sagt mir nur das eine… werdet ihr heute an meiner Seite stehen oder nicht?“
Kurz sah es so aus, als würde der alte Mardar ihm nicht mehr antworten, dann jedoch nickte er langsam.  ,, So sei es dann. König Hadrir. Erster und vielleicht letzter König der Zwerge der alten Welt. So sei es dann.  Ich stehe zu euch. Ihr seid nicht euer Vater, so viel scheint gewiss…“

Und damit schien gesagt, was es zu sagen gab. Schweigend ließ Hadrir sich danach auf seinen Platz neben Kasran sinken. Die fünf stummen Gefährten stellen sich dabei hinter ihren Thanen, während sie darauf warteten, das die Vertreter der übrigen Häuser eintreffen würden. Sie mussten nicht lange warten. Und dieses Mal blieben keine Plätze leer. Manche der Thanen hatten gleich ein kleines Gefolge bestehend aus Familienangehörigen, Leibwächtern und Bediensteten dabei, andere kamen alleine oder in kleinen Gruppen. Doch als schließlich alle Anwesend waren, schien der große Raum plötzlich zu klein. Die Leute stauten sich an den Türen und bis zu den Säulen an den Wänden. Banner und Kleidung mit den Wappen der jeweiligen Familien verwandelten den kalt-weißen Saal in ein Meer aus Farben. Stimmengewirr füllte die ganze Halle und machte es fast unmöglich sich zu unterhalten, manche riefen Hadrir etwas zu, andere beschimpften ihn bereits Lautstark, bevor er etwas sagen konnte , wieder andere sprachen untereinander , als wäre er gar nicht da. Sie sahen ihn nicht mehr als König, dachte er. Diese Zeiten waren vorbei. Aber Hadrir ging es auch nicht darum, ihre Sympathie für ihn zurück zu gewinnen. Was er jetzt brauchte waren Schwerter. Die Stimmen prasselten mittlerweile Lauter auf ihn ein, verlangten Antworten, manche schienen wohl bereits von seinem Versprechen an den Kaiser gehört zu haben… Er ließ es über sich ergehen, streckte eine Hand nach dem Griff des Hammers neben seinem Stuhl aus. Seine Finger schlossen sich darum, als er sich erhob… und die Waffe mit einem Aufschrei über den Kopf hob. In hohem Bogen krachte der Hammer auf die Tischplatte nieder. Das Holz ächzte unter der plötzlichen Last und zersplitterte krachend. Kleine Trümmer wurden aufgewirbelt und verstreuten sich über den Tisch, während Hadrir von der Waffe zurück trat, die nun genau in der Mitte des Tisches feststeckte.

Mit einem Mal war es totenstill im Saal.

,, Das ist eure Antwort. Und die Situation.“ , erklärte er ruhig, seine Stimme leise und in der einsetzenden Stille doch überall hörbar. Staub tanzte in der Luft über dem gefallenen Hammer und fing die Sonnenstrahlen ein. ,, Krieg. Wir befinden uns im Krieg, einem Kampf der uns in dem Moment aufgezwungen wurde in dem der rote Heilige und seine Kultisten das rote Tal attackierten. Unsere rechtmäßige neue Heimat. Und doch hat sich unser Volk gemeinschaftlich beschämt, haben wir nichts getan um uns dem entgegenzustellen. Und ihr habt mich gezwungen diese Schuld mit euch zu tragen. Und wieder taten wir nichts. Nicht länger. Die Zeit in der ich mich mit euren kleinlichen Streitereien auseinandersetze sind vorbei.“ Mit einem Ruck schleuderte er die Krone von seinem Kopf fort, in die Mitte des Tisches, wo sie neben dem Hammer zum Liegen kam. ,, Tötet euch gegenseitig. Bringt es nur schnell zu Ende, denn ich werde die Überlebenden brauchen. Hier steht längst mehr auf dem Spiel als eure Vorstellungen von Recht und euer blindes Streben nach Macht.

Ich bin nicht länger euer König. Diejenigen von euch die mit mir in diesen Kampf ziehen, mögen mich eben so nennen, sofern sie es möchten. Und wer nicht… geht mir aus den Augen.“

Nach seinen Worten war es erneut einen Augenblick still. Er hatte ihnen ein Ultimatum gestellt, dachte er. Jetzt hieß es nur noch auf die Antwort zu warten.

,, Ihr habt das nicht zu entscheiden.“ , begehrte eine Stimme auf.

,, Ach wirklich ?  So wie ich das sehe gibt es nichts mehr zu entscheiden. Der Kampf hat begonnen, entweder wir schlagen ihn jetzt auch oder das dort ist unsere Zukunft.“ Er deutete auf den zertrümmerten Tisch und den Hammer.  ,, Es liegt in unserer Hand. Entweder wir werden uns unter dem Hammer der Unterdrückung wiederfinden und zermalmt… oder wir heben unsere Waffen auf. Hier und jetzt. Wir wurden nicht dafür geschaffen unter der Kette zu dienen! Wir sind geschaffen der Hammer zu sein, der die Welt selbst umformen kann. Wer von euch das vergessen hat, dem steht nun frei zu gehen…“

,, Wohin denn ?“ , fragte eine unsichere Stimme. Hadrir schloss die Augen. Sollte er Mitleid mit ihnen fühlen? Nicht mehr.

,, Es ist mir egal. In den nächsten Höllenschlund, zurück über das Meer. Rennt zum roten heiligen wenn ihr glaubt das rettet euch. Von mir aus nach Vara. Nur fort von hier.“

Und das taten sie. Still und leise. Selbst Kasran protestierte nicht mehr, als sich die Plätze langsam zu leeren begannen. Doch nicht einheitlich. Manche Thanen standen auf. Andere bleiben sitzen. Manche wurden plötzlich von Teilen ihres Gefolges verlassen, bei anderen bleiben ihre Männer zurück, während sie sich davon stahlen. In dieser Entscheidung gab es keine Häuser mehr, dachte Hadrir. Nur einzelne Zwerge… Am Ende blieb die Hälfte. Und Kasran.

,, Ihr spielt gefährlich.“ , bemerkte er.

,, Ist es das wofür ihr das hier haltet ? Nun ich bin jedenfalls nicht länger Teil davon.“ , antwortete  er ihm, bevor er zur Tür sah, wo grade die letzten den Saal verließen. ,, Geht mit ihnen, Kasran. Ich brauche eine Stimme unter ihnen, so ungern ich das zugebe. Jemanden, der vielleicht noch ein paar Häuser umstimmen kann. Und wenn nicht, dann stimmt eben jeden Einzelnen um, der bereit ist euch zu folgen. Es kümmert mich nicht ob ihr wortwörtlich ihre Häuser zerbrechen müsst. Nur tut was ihr könnt… Wenn schon nicht den Kaiser so müssen sie doch zumindest bereit sein, die Menschen in Vara zu verteidigen, wenn die fliegende Stadt fällt. Sorgt dafür. Das ist mein letzter Befehl als König an euch.“

,, Ihr habt mein Wort. Aber in eurer Abwesenheit werden viele versuchen ihre Gelegenheit zu nutzen um an die Macht zu gelangen. Ihr habt den Zusammenhalt ihrer Häuser selbst erschüttert, Hadrir. Ihr wisst nicht was das bedeuten könnte… Ohne einen König… sie könnten zerbrechen.“

,, Dann ist es eure Aufgabe dafür zu sorgen, dass das nicht geschieht. Oder lasst es zu und vielleicht ist es besser. Es kümmert mich nicht mehr.“

,, Ich kann was das angeht nichts versprechen… Aber es ist noch nicht zu spät, die Dinge richtig zu stellen, vermute ich.“ Nein, dachte Hadrir. Und vielleicht wäre Kasran in Vara sogar unter den Ersten, die selbst den Aufstand gegen ihn proben mochten. Und vielleicht wäre es gut so, wenn er sich durchsetzt. Hadrir bezweifelte, dass er den alten Thanen noch einmal wiedersehen würde. Sie würden eine Führung brauchen. Besser der Mardar als irgendjemand anderes… Dann jedoch fuhr der alte Thane fort : ,, Ich schätze, wir werden uns nicht wieder sehen. Aber ihr habt auch Recht. Wir können nicht so weitermachen. Vielleicht sind wir zu bequem geworden… Aber jetzt sind alle Vorkehrungen getroffen. So wenig ich versprechen kann… ich werde eine Antwort für euch finden.“

,, Auf welche Frage ?

,, Ob unser Volk wirklich verloren ist…“

Kapitel 47 Auftrag

 

 

 

,, Ein Sieg bleibt ein Sieg. „

Träumer blieb stumm, als er zum roten Heiligen aufsah. Er war erst vor wenigen Stunden ins Tal zurückgekehrt. An der Spitze der Streitmächte, die er nach Norden zur Mündung der Keel hinauf geführt hatte. Die Verluste waren schrecklich gewesen. Fast zehntausend Mann hatten die Tempelanlagen und die Lager darum verlassen. Arbeiter, Farmer, Handwerker einfache Leute… nur wenige echte Soldaten. Ein paar übergelaufene Gardisten und eine Handvoll Paladine. Zurück kehrte nicht einmal die Hälfte. Und wären die Leben von unzähligen treuen Anhängern des Herrn der Ordnung  nicht genüg,  waren auch dutzende von geweihten auf dem Schlachtfeld zurück geblieben. Darunter sogar eine der Engel des Herrn… Einige waren in der Schlacht gestorben, doch weitaus mehr hatte der Tod ereilt, als das Feuer auf die Brücken eröffnet wurde, die über den Fluss führten. Angeblich waren es die Männer des Kaisers gewesen, die ihre Geschütze auf die Übergänge richteten. Doch irgendwie weigerte sich Träumer das zu glauben. Die Garden des Kaisers waren es doch, die versucht hatten den Fluss zu überqueren. Eine solche Tat hätte sie nur selbst zurück geworfen. Und es gab jene Stimmen, die von den Brücken entkommen waren, bevor sie in sich zusammen gestürzt waren. Stimmen die im Dunkeln Flüsterten, der Angriff wäre aus ihren eigenen Reihen erfolgt.

Trotz dieser herben Verluste schien der rote Heilige bester Laune zu sein. Träumer kniete in der innersten Tempelkammer auf dem Boden, nachdem sein Herr ihn gleich nach seiner Rückkehr hatte zu sich rufen lassen. Dort wo sein Blick den Boden des Tempels traf, ruhte die Spitze eines Schwerts. Einer Klinge, die aus undurchsichtigem, weißen Kristall zu bestehen schien, anstatt aus Stahl. Er wusste nur zu gut, was das hieß. Und das sein Herr nun hier vor ihm stand…

,, Also ist der Erzverräter tot.“  Träumer sah auf, sah das triumphierende Grinsen auf dem Gesicht seines Herrn. Er brauchte keine Antwort um zu wissen, dass er Recht hatte. Mondlicht fiel durch die Runde Öffnung in der Decke auf sie herab und erschuf einen Kreis aus silbrigem Licht um sie herum.

,, Und damit steht uns die fliegende Stadt offen.“ , bestätigte sein Meister. Das Zentrum des Belfare-Kaiserreichs selbst. Träumer schauderte bei dem Gedanken, wie weit die Pläne  des roten Heiligen bereits gediehen waren. Sie standen kurz davor sich das gesamte Imperium untertan zu machen. Und wenn die fliegende Stadt erst in ihrer Hand war, würde das die Moral der verbliebenen Widerständler endgültig brechen. Vor allem wenn es ihnen gelang den Kaiser selbst zu stellen. Der rote Heilige jedenfalls schien daran keine Zweifel zu haben.

,, Er wird dort sein .“ , erklärte er. ,, Ich habe einige Späher um die Stadt, die mir berichtet haben, das sich tausende von Menschen von der Stadt in Richtung Vara entfernt haben. Aber nicht der Kaiser. Das haben alle geschworen die man befragen konnte… nachdem man mit ihnen fertig war. Kellvian Belfare hat sein eigenes Grab gewählt so scheint mir.“
,, Ich nehme an ihr werdet den Angriff auf die Stadt selbst führen ?“  Träumer kannte seinen Herren gut genug um zu wissen, dass er sich die Gelegenheit auf eine persönliche Rache kaum entgehen lassen würde. Und wenn das der Fall war… dann könnte es die Gelegenheit sein auf die er gewartet hatte. ,, In diesem Fall werde ich die Fertigstellung des Tempels beaufsichtigen. Bei eurer Rückkehr werden die Rituale abgeschlossen sein, dessen könnt ihr gewiss sein. Der Rückkehr unseres Herrn wird dann nichts mehr im Wege stehen.“ Und wenn er nicht mehr hier war, dachte Träumer könnte er sich etwas überlegen um Janis von hier fort zu bringen. Träumer hatte den Plan in der Nacht gefasst in der Amatheris gestorben war.  Er konnte sich diese Scharade nicht länger ansehen und der Junge schien sich nicht von selbst zu erinnern.  Gleichzeitig  konnte er  ihm auch nicht die Wahrheit sagen. Selbst wenn  der Junge ihm zuhören oder glauben würde, sobald er einmal wusste wer er war, würde er ihm kaum  noch länger vertrauen. Und ohne Hilfe würde er hier draußen nicht Überleben. Seine Unwissenheit schützte ihn. Aber wenn jemand herausfand wer er war oder er sich verriet…. Nein, er musste zuerst hier raus. Dann könnte er es wagen ihm die Augen zu öffnen. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, machte der rote Heilige all seine Pläne jedoch mit einem einzigen Wort zu Nichte.

,, Nein. Ich habe bereits jemanden dafür vorgesehen. Ich werde selber hier bleiben und alles für die Rückkehr unseres Herrn vorbereiten. Diese Aufgabe ist zu wichtig um sie irgendjemand anderem zu Überlassen. Nicht einmal euch…“ Und doch der Ton in dem er sprach ließ erkennen, dass es ihm kaum darum ging, nur sicherzustellen dass nichts schief ging. Nein… Einen Augenblick lang fragte Träumer sich ob er ertappt war. Aber wenn das der Fall war, wäre er schon tot, nicht? Aber was dann ? Der rote Heilige hatte jemand anderen? Janis… Träumer lief ein kalter Schauer über den Rücken als ihm klar wurde, was sein Herr plante. Und wenn er hierblieb würde es ihm unmöglich sein, etwas dagegen zu unternehmen.

,, Dann bitte ich um eure Erlaubnis die Männer begleiten zu dürfen.“ Das würde es vielleicht sogar einfacher machen. Weit weg vom Einfluss des roten heiligen könnte er den Jungen vielleicht schonender an die Wahrheit heran führen. Bevor es zu spät war.  ,, Die Stadt wird fallen , dafür Sorge  ich.“ Und das ohne dabei ein Massaker unter unseren Leutner zu veranstalten, fügte er in Gedanken hinzu. Doch erneut wurden seine Pläne zerschmettert.

,, Nein.  Für euch Träumer gibt es eine andere Aufgabe. Ihr wisst, das meinem Herrn noch eine Sache fehlt um seine Rückkehr abschließen zu können.“ In der Düsternis des Tempels schienen die Augen des roten Heiligen zu brennen, wie zwei Kohlebecken. Er war ein Monster. Und doch gewährte der Herr der Ordnung ihm nach wie vor seine Gunst. Es musste ein Trick sein, dachte Träumer. Doch konnte dieser Mann einen Gott täuschen?  Und insgeheim fragte er sich gleichzeitig , wie lange es noch dauern mochte, bis er eines Morgens aus seiner Meditation erwachte und selbst im Spiegle nur noch die Augen eines Dämonen sehen würde. Du tust nicht genug, schien eine Stimme in seinem Kopf zu Flüstern. Seltsamerweise nicht seine eigene. Sine ? Nein, das Knochenmädchen hatte nie so… ernst und energisch geklungen.  Ich tue was ich kann, antwortete er stumm. Und bereits das war zu viel. Herr, ich verstehe nicht mehr. Doch falls sein Gott zuhörte, blieb auch er stumm. War das hier Teil irgendeiner Prüfung die ihm auferlegt worden war? Wenn ja, dann musste er sie erdulden… Spätestens wenn sein Herr zurück kehrte musste sich alles ändern.  ,, Ihr werdet das Tal verlassen, Träumer.“

,, Der Junge ? Ihr wollt das ich Lahaye für euch jage?“

,, Ihn und jeden, der ihn begleiten mag. Bringt sie zu mir. Und dieses malt keine Ausflüchte. Ich habe nicht vergessen Träumer. Ich habe euch erlaubt den Archonten und die Magiern in Helike entkommen zu lassen. Ja ich habe sogar zugesehen, wie ihr den Gejarn befreit habt. Doch das hat hier ein Ende.“ Träumer lief ein Schauer über den Rücken. Er wusste es, woher, wie? Und wusste er es schon die ganze Zeit?  Wollte er ihm am Ende nur Angst machen? Der rote Heilige könnte auch lügen, sagte er sich selbst. Zu behaupten er hätte von Zyles Befreiung gewusst war eine Sache. Träumer war es selbst gewesen, der sie ihm gestanden hatte. Aber Helike ? Das konnte nicht sein. Er war sicher gewesen… Er sah auf, direkt in diese zwei Glutteiche die diesem… Ding in Menschengestalt als Augen dienten. Über wie viel Macht verfügte dieses Wesen vor ihm wirklich?

,, Beweist euch mir, Träumer. Jagt Galren Lahaye und seine Begleiter und verdient euch mein Vertrauen zurück.  Ich bezweifle, dass er noch in der Stadt sein wird. Der Kaiser ist nicht dumm und wird mittlerweile Wissen, welche Rolle er für uns spielt. Aber er ist auch ein sentimentaler Narr. Er wird ihn nicht töten, obwohl er die Gelegenheit dazu hätte. Nein. Die fliegende Stadt ist nur ein Köder, den er uns hinwirft um Zeit zu gewinnen. Am Ende werden ihre Mauern nur zu einem sinnlosen Grab für ihn werden. Er wird Galren irgendwohin in Sicherheit bringen wollen. Findet heraus wohin. Ihr hattet schon immer ein Talent dafür…“
Seine Visionen, dachte Träumer. Sie hatten ihn zum roten Heiligen geführt. Und sicher wäre er auch in der Lage die Spur von jemand aufzunehmen der von seinem Herrn berührt worden war. Und doch sträubte sich alles in ihm, dem Befehl seines Herrn auch nachzukommen. Und zum ersten Mal seit seiner Rückkehr zeigte sich so etwas wie Überraschung auf dem Gesicht des roten Heiligen.

,, Nein.“ Träumer wusste, dass er mit diesem einen Wort alles riskierte. Sein Meister könnte ihn töten. Oder jemand anderen aussenden. Doch gleichzeitig wusste er auch das nichts von dem geschehen würde. Wenn er wirklich bereits wusste, was Träumer bereits alles getan hatte um ihn zu untergraben und die Hand bisher nicht gegen ihn erhoben hatte… er brauchte ihn. Und sei es nur, weil irgendwo in seinem verbrannten Inneren noch ein Funke von dem Menschen überlebt hatte, der er einst gewesen war. Ein Funke der gleichen Sentimentalität die er dem Kaiser vorwarf. Sie hatten es zusammen begonnen. Er wollte es auch mit Träumer an seiner Seite beenden.

,, Ihr wagt es euch mir offen zu wiedersetzen ?“ Der Heilige schien einen Augenblick mehr verblüfft als wütend. ,, Wenn ihr meint euch weigern zu können, bedenkt was ihr bereits getan habt. Euer Leben gehört bereits dem Herrn. Werft das nicht so leichtfertig fort…“

,, Ich werde gehen.“ Träumer schloss die Augen. ,, Euer Wort ist sein Wort. Und ihm diene ich nach wie vor. Doch euch muss ich eine Bedingung stellen. Eine Gnade wenn ihr sie mir erweisen mögt.“

Einen Moment lang war Träumer sich sicher, dass der rote Heilige ihn bloß verlachen oder auf der Stelle töten würde.. Doch nach wie vor schien dieser verwirrte Gesichtsausdruck nicht weichen zu wollen, blieb seine Stimme eher neugierig als wütend. Und als er dieses Mal sprach, waren seine Worte geradezu sanft. Als würde Träumer zum ersten Mal wieder mit einem wirklichen Menschen sprechen.

,, Welche Gnade würde ich meinem ersten Diener nicht gewähren ? Trotz eurer Taten…. Ihr habt niemals geglaubt unsere Sache zu verraten. Es war kein Zufall, dass der Herr der Ordnung euch zu mir führte. Es war kein Zufall, der euch seinen Segen gewährte. Also sprecht. Frei heraus… Wie in alten Zeiten…“
Alte Zeiten, die kaum ein Jahr her waren, dachte Träumer. Auch der rote Heilige hatte einst noch Gnade walten lassen. Doch j weiter ihr Kreuzzug fortschritt, desto mehr verschwand das, was an ihm noch Menschlich zu nennen war. Träumer fragte sich ob ihm nicht das gleiche geschah. Ob er es überhaupt merken würde...

,, Wenn Galren und die anderen mich freiwillig begleiten, dann müsst ihr mir schwören, Gnade walten zu lassen. Ihr wollt nur Lahaye. Den anderen darf nichts geschehen.“ Und den Jungen braucht ihr lebend. ,, Schwört mir, das sie Leben werden.“

Wenn er schon nicht Janis hier herausholen konnte, dann konnte er zumindest versuchen ein paar andere Leben zu retten. Der Kaiser hatte Galren sicher nicht alleine losgeschickt um sich zu verstecken. Falls es überhaupt darum ging? Kellvian  musste doch ebenso klar sein, das der rote Heilige sich nicht lange täuschen lassen würde. Was nütze es ihm also sich derart teuer Zeit zu erkaufen? Der Gedanke beschäftigte ihn noch immer, als der rote Heilige schließlich antwortete:

,, Natürlich.“ Die Worte überraschten Träumer erneut. Und einen Moment war er sich nicht sicher, ob er sich nicht verhört hatte.  Er hatte die wachsende Grausamkeit dieses Mannes jetzt lange genug Geduldet. Und jetzt schien es,  gab er einfach so  nach?

,, Ich habe also euer Wort ?“

,, Mein Wort auf die Macht die mir unser Herr verliehen hat. Bringt sie zu mir Träumer. Und ihr werdet über ihr Leben verfügen. Nicht ich. Geht nun. Geht. Und vielleicht gewähre ich euch auch die Gnade, nach der ihr euch selbst sehnt…“

 

Kapitel 48 Aufmerksamkeit

 

 

 

Es regnete. Die Tropfen landeten auf den Blättern über ihren Köpfen, sammelten sich an den Zweigen und fielen als größere Wasserperlen herab, die wie ein ewiger Trommelwirbel auf ihre Kapuzen einprasselten. Nasses, feuchtes Laub bedeckte den Boden so hoch, das die Straße darunter kaum noch zu erkennen war. Lediglich das fehlende Unterholz lies ungefähr erahnen, wo entlang der Pfad verlief und wo der eigentliche Wald begann, trotzdem wurde Naria das Gefühl nicht los, das sie im Kreis gehen würden. Allerdings, sah durch die Regenschleier betrachtet auch alles gleich aus. Und die wenigen Blätter, die noch an den Bäumen hingen hatten längst alle Farbe verloren und waren Braun und tot. Naria war den Anblick der endlosen, ewig gleichen  Wälder mit ihren kaum noch von Blättern bestandenen Bäumen  mittlerweile so gewöhnt, dass sie kaum mehr aufsah um sich zu orientieren. Es hatte ohnehin keinen Sinn. Die Gejarn der frei lebenden Clans mochten ihre Wälder schützen und leiben, sie jedoch hatte nie wirklich den Drang verspürt irgendwo im Nichts in einer Hütte zu leben. Und die Ereignisse der letzten Tage hatten nicht grade dazu beigetragen, daran etwas zu ändern.

Wasserpfützen hatten sich  in Kuhlen auf dem Boden gebildet. Die Gejarn schritt achtlos durch sie hindurch. Sie waren ohnehin bereits alle bis auf die Haut durchnässt… In den südlicher gelegenen Teilen der Herzlande hatte der Winter noch keinen Einzug gehalten, doch ihr wäre Schnee fast lieber gewesen als das hier.

Fünf Tage waren sie nun schon Unterwegs und genau so lange hatten sie kaum mehr eine Menschenseele gesehen. Oder blauen Himmel, was das anging.  Elin und Galren, die sich hinter ihr den Weg entlangschleppten klebten die Wollmäntel ebenfalls bereits an der Haut und hielten den stetigen, kalten Nieselregen nur noch unzureichend ab. Ihre Beinkleider waren bis zu den Waden durchnässt, wo sie sich durch das Laub hatten kämpfen müssen und  langsam begann es auch noch dunkel zu werden. Rötliches Licht fiel zwischen den Stämmen der Bäume hindurch, zeichnete lange Schatten mit scharfen Konturen.  Nirgendwo gab es ein Zechen von Zivilisation und langsam begann Naria sich damit abzufinden, das sie dieses Mal im freien würden übernachten müssen. Auf eine Nacht in einem Zelt konnte sie bei dieser Witterung durchaus verzichten. Doch die letzten Bauten oder zumindest das was sie dafür hatten, hatten sie bereits am frühen Nachmittag passiert. Es war Elin gewesen, die als erstes darauf Aufmerksam wurde, als sie eine der seltenen Stellen erreichten, an denen sich der Wald etwas lichtete und den Blick auf die sie umgebende Ebene der Herzlande freigab. Die Felder,  die fast jeden Teil des Landes in Besitz nahmen, der nicht von Wald bedeckt war, erstreckten sich als triste, braun-graue Einöde bis zum Horizont. Die Ernte für dieses Jahr war lange eingebracht und sicher in den Scheunen verwahrt worden. Doch ganz am Horizont, wo das Land wie eine Narbe von einer Schlucht durchzogen wurde, ragten ein dutzend dunkler Steinbauten innerhalb verfallener, hoher Mauern in die Höhe.

,, Seht ihr das ?“ , fragte Elin, die sofort auf den Gipfel eines kleinen Hügels geklettert war um mehr zu erkennen. Mochten die Geister ihrer Ahnen  wissen woher das Mädchen die Energie nahm, dachte Naria, konnte jedoch ein Grinsen nicht unterdrücken. Elin war immerhin die eine von ihnen, die sie auf Trapp hielt. Und Galren davon ab, zu sehr über all das nachzudenken.  Naria gab es ungern zu, aber sie machte sich mittlerweile mehr Sorgen um ihn, als darum ob sie ihr Ziel überhaupt erreichen würden. Und diesmal waren der Grund nicht die Träume, die ihn weiterhin heimsuchten. Doch immerhin dieses Mal lächelte auch er, als die Gejarn ihm eine Hand hinstreckte und zu sich nach oben zog.

,, Ich glaube das ist die Erdwacht.“ , meinte er nachdenklich.  ,, Immerhin, das heißt wir gehen in die richtige Richtung. Vara ist nicht mehr weit von hier. Wenn wir einen Bogen um die Stadt machen sind wir bald auf direktem Weg in Richtung Berge…“
Mittlerweile allerdings war das alte Gemäuer lange hinter ihnen zurück geblieben. Gasthäuser und Dörfer gab es hier draußen nur noch selten und die, die sie fanden waren meist schon vor langer Zeit von ihren Bewohnern verlassen worden. Alles was sie noch vorfanden waren leere Hütten, in denen sich manchmal nicht einmal mehr Möbel befanden. Nur Spinnweben und zerbrochenes Holz. Einmal jedoch hatten sie Glück und fanden ein Gasthaus, dessen Besitzer zumindest etwas Feuerholz, Vorräte und ein paar Möbel zurück gelassen hatten.  Sie fanden alten Käsen, etwas Dörrfleisch und nickten  schließlich zu dritt vor dem Kamin ein. Das musste der letzte Abend gewesen sein, an dem sie nicht bis auf die Knochen durchnässt und frierend schlafen gegangen waren.  Zumindest der letzte an den sie sich erinnern konnte.

Ein Rascheln irgendwo im Unterholz riss sie kurz aus ihren Gedanken. Normalerweise hätte sie dem ganzen keine Aufmerksamkeit gewidmet. Das Laub zwischen den Bäumen war fast ständig in Bewegung. Muse huschten hindurch, Vögel und Eichhörnchen brachten die Zweige zum Zittern wenn sie davon aufstoben oder daran entlang kletterten. Doch das Geräusch schien zu laut gewesen  zu sein, klang nach etwas größerem… Sie blieb stehen, sah sich um. Sehen konnte sie nichts, nur das Gewirr aus Zweigen, Unterholz und gelbbraunen Blättern. Auch Elin und Galren hatten mittlerweile angehalten  und beobachteten die Umgebung. Sie wussten genau so, dass etwas nicht stimmte. Naria sog Prüfend die Luft ein und Spitzte die Ohren. Ihre Sinne waren nicht so scharf, wie die eines Gejarn der sein Leben in der Wildnis verbracht hatte, aber immer noch um einiges feiner als der eines Menschen. Doch weder wiederholte sich das Geräusch noch konnte sie etwas wittern.  Die einzigen  Gerüche hier draußen waren die des Waldes, verrottendes Holz und Laub und der Duft von Baumharz und Tannenadeln…  Seltsam, dachte sie. Sie hatten bisher nur Laubbäume gesehen. Und so weit im Norden waren sie noch nicht… Naria zuckte mit den Schultern. Vielleicht war es ja wirklich nichts…

Sie kam nicht mehr dazu den Gedanken richtig zu beenden. Wie aus dem Nichts stieß ein Schatten auf die Straße vor ihnen herab, ließ sich von den Zweigen über ihnen herabfallen und wirbelte Laub und kleine Holzstücke auf. Ein schwerer, dunkelbrauner Mantel bedeckte den Körper des Fremden. Darunter zeichnete sich Kleidung aus grob gegerbtem Leder und grünem Stoff ab. Und er war kein Mensch, dachte Naria. Ein Clan-Gejarn ?

Der Mann war klein, ein Luchs mit braunem Fell und hellgrünen Augen und einen Moment war Naria tatsächlich überrascht, wie jung er wirkte. Noch ein halbes Kind, das  vielleicht grade seinen sechzehnten Sommer erlebt haben mochte. Trotzdem strahlte er eine seltsame Selbstsicherheit aus. Ein Bogen aus hellem, fast weißem Holz lag in seinen Händen mit einem Pfeil auf der Sehne, dessen Spitze ölig schwarz glänzte. Irgendein Gift ? , fragte Naria sich. Weitere Munition befand sich Griffbereit in einem Köcher an seiner Hüfte. Allerdings musste ein einzelner Schütze schon sehr schnell sein um auf diese Entfernung noch einen zweiten Pfeil einlegen zu können. Ein Räuber war er also schon mal nicht, oder wenn, dann der dümmste den sie je gesehen hatte. Alleine gegen drei…  Naria war versucht die Sache hier und jetzt zu beenden. Aber bisher hatte er nichts getan als sie zu erschrecken. Und noch immer konnte sie ihn nicht wittern, obwohl er direkt vor ihr stand. Da war nur der Duft nach Wald und Harz… Was wollte er von ihnen?

 ,, Ich weiß nicht wer ihr seid, aber wir sind lediglich Reisende.“ , erklärte Galren. ,, Auf der Flucht aus der fliegenden Stadt.“  Der junge Mensch schlug seinen Umhang zurück und achtete darauf, dass man das Schwert an seiner Hüfte sehen konnte, als er vortrat. ,, Wir wollen keinen Ärger.“

,, Ihr seht allerdings nicht wie Flüchtlinge aus.“ , stellte der fremde Gejarn fest. Und noch während er sprach, schien der Wald um sie herum zum Leben zu erwachen. Bevor Naria dazu kam auch nur zu begreifen was vor sich ging, waren sie umstellte. Von einem Dutzend Gejarn, denen noch Blätter und Rindenstücke aus der Kleidung rieselten, während sie bereits Bögen und Musketen auf die kleine Gruppe richteten. Weitere tauchten  aus dem Unterholz auf, manche bewaffnet, andere nicht, bis es fast zwanzig sein mussten.

Galren wirbelte sofort herum und zog das Schwert, während er Elin mit der freien Hand hinter sich schob.  Das Schwert hatte die Farbe von Schiefer und die Schneide glitzerte wie gebrochener Feuerstein. Naria tat es ihm gleich, umklammerte den Kampfstab und zermarterte sich den Kopf ob es einen Zauber gab, der sie vor so vielen Projektilen gleichzeitig schützen konnte.

,, Wie gesagt… wir suchen keinen Ärger.“  Galen hielt die Klinge mit beiden Händen, während sie langsam zurückwichen, bis sie Rücken an Rücken standen. Irgendwie mussten sie hier heraus, dachte Naria. Blieb nur die Frage wie? Ihre Gegner blieben wo sie waren, rührten sich nicht. Worauf warteten sie? Wenn sie vorhatten sie einfach zu töten, wäre das längst geschehen.

Und dann war es wieder der  junge Mann mit dem Bogen der zu ihnen sprach. Seine Stimme verriet, dass er die Amtssprache wohl noch nicht sonderlich lange beherrschte. ,, Es sind dreißig Pfeile auf eure Herzen gerichtet.“ , erklärte er. ,, Ihr gebt mir besser schnell eine bessere Erklärung für euer hier sein als das. Dieser Weg hier führt in Richtung unserer Siedlung und ich sehe keinen Grund euch dort willkommen zu heißen. Oder am Leben zu lassen und dadurch unser Leben zu riskieren.  Ihr seid keine gewöhnlichen Reisenden. Die haben wir schon oft genug beobachtet. Und die sind auch nicht bewaffnet. Aus dem Süden und Osten  drängen zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten wieder   Sklavenjäger in unsere Wälder. Anscheinend braucht dieser neue Gott dort sehr viele Arbeiter… Also.. wer seid ihr? Und vor allem, was ?“

Naria konnte sehen wie Galren seine Taschen abtastete. Nach dem Siegelring den Kellvian ihm gegeben hatte, vermutete sie. Aber war das auch klug? Ihr bester Schutz war, das man sie nicht erkannte. Und wenn bekannt wurde, dass sich Abgesandte des Kaisers in den Herzlanden aufhielten würde sich das herumsprechen. Selbst unter den abgeschieden lebenden Clans. Aber hatten sie überhaupt eine Wahl?

Der Luchs sah neugierig und misstrauisch zugleich zu, wie Galren den Ring langsam aus der Tasche zog. ,, Das sollte eure Fragen beantworten.“ , meinte er während er das Siegel weiter reichte. ,, Weder sind wir Reisende,  noch Sklavenhändler… und nicht eure Feinde. Solange ihr nicht die unseren seid.“

Der Gejarn besah sich den Ring lange. Dann reichte r ihn schließlich ohne ein Wort zurück und gab seinen Männern ein knappes Zeichen, die Waffen zu senken. ,, Verzeiht… es sind verwirrende Zeiten, Herr. Auch für uns. Und es ist schwer abzuschätzen, wem man noch trauen kann. Aber die Clans haben Kellvian Belfare nicht vergessen.“ Nun klang der Mann sogar fast freundlich, wenn auch nach wie vor vorsichtig. ,, Obwohl es mehr als zwanzig Jahre her ist, das er das letzte Mal unter uns weilte. Unser Ältester hat immer davon erzählt, wie der junge Kaiser zur großen Versammlung kam um den Rat der Ahnen zu suchen.  Er hat uns immer respektiert… Also begleichen wir diese Freundlichkeit an seinen Gesandten.“ Er schien mehr an seine Leute gerichtet zu sprechen als an sie. Konnte es sein das dieses… halbe Kind hier der Anführer war? Möglich wäre es sicher, dachte Naria. Aber ungewöhnlich. Normalerweise wurden die einzelnen Clans von einem oder mehreren Ältesten geführt, die Recht sprachen und den Weg der Nomaden bestimmten. Und hatte er nicht genau einen solchen erwähnt?

,, Ich hoffe ihr verzeiht die ruppige Begrüßung.“ , fuhr der Luchs mittlerweile wieder an sie gerichtet fort. ,, Ich hoffe wir können das wieder gut machen. Wir würden uns  geehrt fühlen die Gesandte des Kaisers willkommen zu heißen…“

Die Entscheidung fiel ihnen nicht schwer. Im Nachhinein betrachtet, dachte Naria,  eine wirkliche Wahl hatten sie ohnehin nicht, sah man vom Waldboden einmal ab. Und nachdem sie sich einmal zu erkennen gegeben hatten schien  das Verhalten des Gejarn  sich vollkommen gewandelt zu haben. Naria bezweifelte, dass man sie hätte gehen lassen, selbst wenn sie das Angebot abgelehnt hätten. Und doch war das genau die Art von Aufmerksamkeit die sie hatte vermeiden wollen. Nun… besser als herauszufinden ob diese Pfeile wirklich vergiftet waren, sagte sie sich, als sie der kleinen Gruppe Gejarn folgten, die plötzlich zu ihrer Eskorte geworden waren.

 

 

Kapitel 49 Die Gehängten

 

 

 

 

Das Dorf schien genau wie seine Bewohner zuvor, einfach aus dem Wald aufzutauchen. Wo zuvor für Galren nur Zweige und Äste zu erkennen gewesen waren, tat sich plötzlich eine Lücke im Unterholz auf die Hütten, einfache Verschläge und Zäune preisgab. Die Gebäude waren mit Reisig gedeckt und bestand scheinbar aus wenig mehr als dünnen Ästen, die man jedoch derart miteinander verflochten hatte, das sie eine Wind und wetterdichte  Wand bildeten. Galren zählte etwa vierzig kleinere Hütten, konnte sich jedoch nicht sicher sein, ob sich Jenseits der Lichtung nicht noch weitere verbargen. Die Gebäude verschmolzen fast vollständig mit der Umgebung und wäre nicht das Licht gewesen, das aus den Fenstern und den Lücken zwischen Baumstämmen und Flechtwerk hindurch drang, er hätte manche davon wohl übersehen, bis er hinein gelaufen wäre. Hühner gackerten in einer Reihe von Verschlägen, die gesammelt im Zentrum des Dorfes standen und kleine Gatter boten Raum für Ziegen und andere Nutztiere. Und am anderen Ende der Siedlung, wo der Häuserbogen seinen Gipfel erreichte, ragte ein großer, toter Baum auf. Galren wusste, was er da vor sich hatte. Auf Hamad hatte er nie einen  gesehen, doch hier im Herzland fand man sie meist sogar auf den Feldern, wo sie zwischen goldenen Ehren standen, als hätten die Bauern nicht gewagt, sie zu fällen, obwohl der restliche Wald lange verschwunden war. Und tatsächlich würden es die wenigsten Bewohner der Herzlande ob nun Gejarn oder Menschen, wagen einen Geisterbaum anzurühren. Das wäre der sicherste Weg einen Clan zu erzürnen, handelte es sich bei diesen uralten Ungetümen doch um die heiligsten Plätze der Gejarn. Ihre Verbindung zu ihren Ahnen, wenn man ihren Ältesten glauben mochte. Doch ob man nun an die Geister glaubte oder nicht, Galren musste zugeben,  dass der Baum  etwas Beeindruckendes hatten.  Auf den ersten Blick hätte man meinen können, er sei vor langer Zeit gestorben.  Seine Rinde hatte er schon vor Jahrhunderten abgeworfen und nur ausgebleichtes, gelblich-weißes Holz zurück gelassen und seine blätterlosen Zweige schienen mehr Knochenfinger zu sein, die in Richtung des dunkler werdenden Himmels empor griffen. Statt einem grünen Kleid schmückten tausende von kleinen Amuletten Windspielen und dünnen Papierfetzen mit gebeten die Krone des Geisterbaums. Grün und Blau und Violett blitzten Glastalismane  an den Zweigen und mit jedem Windhauch schlugen sie gegeneinander, mischte sich das hohe Klirren unter die Töne der Windspiele und erzeugte eine disharmonische, doch seltsamerweise nicht ganz unangenehme Melodie.

Galren  bemerkte erst, das er stehen geblieben war, als Hejarn ihn darauf aufmerksam machte.

,, Stimmt etwas nicht , Herr?“ Der junge Luchs hatte sich ihnen auf dem Weg ins Dorf vorgestellt. Nachdem sie einmal enthüllt hatten, wer sie waren,  hatte er die meiste Zeit geschwiegen und ihnen nur noch bedeutet, ihm zu Folgen.

,, Alles in Ordnung.“ , meinte Galren, während er sich langsam wieder in Bewegung setzte. Am Ende war es nur ein Baum. Und wenn nicht ? Dann ließen sie die Geister der Gejarn genauso im Stich, wie ihre eigenen Götter. Er hätte lachen können. Der einzige Gott, der  noch die Gebete seiner Anhänger erhörte, wollte sie alle vernichten…

Obwohl die Gejarn mittlerweile keine Waffen mehr auf sie richteten, weigerte sich ein Teil von Galren ihnen bereits zu vertrauen. Oder vielleicht war er schlicht zu müde um noch klar zu denken. Die Aussicht auf eine warme Mahlzeit und ein warmes Bett stimmten ihn jedenfalls versöhnlich. Und die Gejarn und die Reise machten ihm bei weitem am wenigsten zu schaffen… Jetzt wo er einmal die Wahrheit kannte, zehrten seine Träume nur umso mehr an seinen Kräften. Und das Zachary die Wahrheit gesagt hatte, daran gab es für ihn kaum Zweifel. So schwer es war sich das einzugestehen. Es machte zu viel Sinn…  Er konnte den Ruf des roten Heiligen selbst jetzt spüren, das leichte ziehen an seinem Geist, das auch mit Narias Tinkturen nicht ganz verschwand. Verlockend. Gefährlich. Er war bereits einmal einem ähnlichen Einfluss erlegen und es hätte ihn beinahe alles gekostet. Es hätte ihn seine Freunde gekostet. Er hätte Elin verlieren können… Seine Hand ballte sich unbewusst zur Faust. Er würde nicht zulassen, dass er sich verlor.. Und wenn es doch so weit kam ? Er hätte Naria nach Gift gefragt,. Nur für den Fall. Aber dafür war es jetzt, wo sie nur noch zu dritt unterwegs waren zu spät. Nicht wenn er nicht wollte, das Elin etwas davon mitbekam. Langsam setzte er sich wieder in Bewegung und folgte Hejarn und seinen Männern in die Siedlung herein.  Eine Schar Kinder  rannten zwischen den Hütten umher, jagten entflohenes Geflügel oder kamen herbeigelaufen, als sie die Rückkehr der Jäger bemerkten. Den  dabei handelte es sich bei der Truppe die Galren und die anderen aufgegriffen hatte, wie sie erfahren hatten.  Ihre Begleiter ignorierten sie gekonnt, während vor allem Galren sich schnell im Zentrum der Aufmerksamkeit fand. Einige hatten wohl noch nie einen Menschen gesehen oder wenn, dann nur von fern. Ein Teil von ihm, der übermüdet und überreizt war, wollte sie entnervt fortscheuchen. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, hatten die Kleinen ihn und die anderen bereits umringt und folgten ihnen. Galren verzog das Gesicht als eines der Kleinen sich in den Kopf setzte, an ihm herauf zu klettern. Feine, nadelscharfe Krallen gruben sich durch sein Hosenbein hindurch und in seine Seite, während er irgendwie versuchte, die übrigen Kinder abzuhalten, ohne jemanden zu verletzen. Und dann seufzte er schlicht schicksalsergeben und ließ die Arme sinken. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, während er den anderen folgte. Das erste seit sie aufgebrochen waren… Das erste ehrliche seit langer Zeit und wo Naria die ungewollte Aufmerksamkeit nur mit stoischer Gelassenheit und ausdrucksloser Mine ertrug, grinste er bald von einem Ohr zum anderen. Elin lachte sogar lauthals, und als niemand etwas dagegen einzuwenden schien hob sie eines der Gejarn-Kinder hoch und erlaubte ihm, auf ihre Schultern zu klettern.

Es war… schön, dachte Galren bei sich. Elin so zu sehen, dieses kleine Dorf… und die Kleinen. Vielleicht verstanden die Kinder nicht, was selbst die Jäger des Clans in ihrem kleinen Winkel der Welt längst erkannt hatten. Und vielleicht war einfach noch nicht alles verloren….

Sein Lächeln erlosch jedoch, als sie auf die Leichen in den Bäumen  stießen.  Es waren drei, ein jeder von ihnen in abgetragenen, braunen Roben. Von den Körpern, die sich langsam im Wind drehten, waren nicht mehr als Knochen geblieben, doch das Symbol auf ihrer Kleidung, obwohl ausgebleicht,  ar nach wie vor deutlich zu erkennen. Und es jagte Galren einen Schauder über den Rücken. Die Prediger des Herrn der Ordnung hingen von einem Strick herab, der an einem der Bäume hinter der Siedlung befestigt war.

,, Ich schätze ihr kennt sie.“ , Hejarn hatte wohl bemerkt, wohin Galrens Blick ging. . ,, Diese drei kamen vor zwei Monden in unser Dorf und haben versucht unsere Bäume zu verbrennen und unseren Ältesten zu töten. Mit letzterem hatten sie bedauerlicherweise auch Erfolg. Das heißt, bevor sie Bekanntschaft mit unseren Schlingen und Pfeilen gemacht haben.“ Mit diesen Worten hielt er eines der Projektile hoch. Die Schneide an der Pfeilspitze glänzte immer noch schwarz, als wäre sie mit Pech überzogen. ,, Schattenpilztinktur. Der Älteste der diesen Clan ein Jahrzehnt vor meiner Geburt führte, hat uns gelehrt, wie man sie herstellt. Selbst ein Zauberer kann sich nicht dagegen wehren. Auch diese verderbten Kreaturen nicht , mit denen diese drei sich umgeben haben. Ihre Leichen haben wir verbrannt…“
Galren zwang sich den Blick von den Toten abzuwenden. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, was das Gift mit einem geweihten anstellen mochte. Wenn ihre Körper bereits darunter litten, dass sie über so viel Magie verfügten wäre die Stauwirkung, die Schattenpilz verursachte verheerend für sie.

,, Ihr scheint euer Dorf gut zu verteidigen.“ , stellte Naria fest.

,, Wir haben gelernt. Durch bittere Lektionen.“ Hejarn klang plötzlich niedergeschlagen. ,, Ich habe den Fehler gemacht und sie hergeführt ohne Fragen zu stellen. Ich denke ihr versteht also, warum wir Fremden gegenüber mittlerweile recht misstrauisch geworden sind. Und ich habe dabeigestanden als sie unseren Ältesten niederstachen und ihre Kreaturen begannen, die Leute zusammen zu treiben…“ Galren verstand nur zu gut. Er gab sich die Schuld für das was passiert war… ,, Jetzt bin ich der einzige Anführer, den diese Leute noch haben.“

Für die Nacht lud Hejarn sie in seine Hütte ein. Galren hatte zuerst Zweifel, als er das kleine Gebäude am äußeren Rand des Dorfes zuerst sah. Die Clans der Gejarn  bauten selten etwas dauerhaftes, alles war immer nur darauf ausgelegt, so lange zu halten wie ihre Nomadendörfer an einem Ort blieben und was sie nicht mitnehmen konnten, wenn sie wieder aufbrachen musste zurückgelassen werden. Das galt eben auch für ihre Häuser. Die meisten Gebäude konnten zum Großteil abgebaut und transportiert oder vor Ort schnell neu errichtet werden.  Doch obwohl die Wände lediglich aus geflochtenen Zweigen und Schilf bestanden, war es im Inneren der Hütte erstaunlich  trocken und warm. Felle bedeckten den Boden des einzigen Raumes, der bis auf eine kleine Feuerstelle nur spärlich möbliert war. Bald schon loderten die ersten Flammen und ihr Gastgeber ließ es sich nicht nehmen sie auch noch zu einer Mahlzeit einzuladen. Seine Jäger hatten außer ihnen nichts mit gebracht, doch aus dem Sommer gab es im Dorf noch genügend Vorräte und so saßen sie um das Feuer herum, aßen Trockenfleisch, mehlige Äpfel , Käse, den der Clan von einem reisenden Händler erstanden hatte  und Brot, das der Gejarn noch selbst für sie zubereitete. Dazu reichte er ihnen ein Gebräu, das von den Frauen des Clans  hergestellt wurde und aus vergorenen Früchten bestand, die diese im Herbst sammelten.  Keiner von ihnen lehnte zuerst ab, doch Galren ließ den Becher nach dem ersten Schluck lieber neben dem Feuer stehen, anstand noch einmal daran zu nippen. Der Höflichkeitshalber überwand er sich immerhin noch einmal daran zu nippen, als Hejarn mit ihnen auf eine sichere Reise trinken wollte. Das Gebräu war Süß genug um einen zu betäuben, auch ganz ohne Alkohol. Allerdings schien er in der Runde der einzige zu sein, der dem Getränk nicht zusprach und mit der Zeit fragte sich, wie Elin, Naria und ihr Gastgeber mehr als einen Becher davon herunterbekamen.  Und trotzdem war er es, der am nächsten Morgen übermüdet und mit Kopfschmerze aufwachte und die anderen bereits wieder auf den Beinen waren. Allerdings war daran auch nicht der Alkohol schuld, dachte er grimmig und griff dieses Mal freiwillig nach dem noch halb vollem Tonkrug am Feuer. Immerhin vertrieb der Geschmack die letzten Überreste seiner Visionen und als sie sich schließlich auf den Weg machten war er sogar halbwegs wach.

Hejarn und einige seiner Jäger begleiteten sie noch ein Stück die Straße entlang, als sie aufbrachen und als die Männer nach einer Weile verkündeten, das sie sie jetzt alleine weiterziehen lassen mussten, fühlte Galren sich plötzlich unwohl bei dem Gedanken. Man hatte sie hier freundlich aufgenommen, trotz der seltsamen Umstände ihrer Begegnung. Und irgendetwas sagte ihm, das der Weg ab hier nur härter werden konnte.

Die Berge im Herbst zu überqueren wäre bereits eine Herausforderung. Im Winter jedoch gestaltete sich das Ganze noch einmal etwas schwieriger. Selbst wenn die sicheren und gut ausgebauten Pässe um die Burg des Sangius-ordens nicht von einer Armee Kultisten aus Silberstedt belagert werden würden, machte der Schnee die Sache tückisch. Und je weiter sie nach Norden kamen, desto kärger wurde das Land, bis es schließlich in die menschenleeren Tundren und Sümpfe von Hasparen überging. Geröll und geborstene Felsen ersetzten die Wälder und zeigten, bis wohin die Gletscher im Winter von den Berggipfeln herab reichen würden, die sich als lange, graue Mauer am Horizont abzeichneten. Galren hatte ursprünglich geplant, sein Glück im Westen zu versuchen, in Richtung Lasanta um die Berge erst gar nicht überqueren zu müssen. Doch hatten sie Glück und stießen auf einen fahrenden Händler, der das gleiche Ziel hatte. Oder gehabt hatte.

Seine Worte klangen ihm immer noch in den Ohren. ,, Vergesst es. Lasanta ist genauso verloren wie die Pässe. Eine Armee der Männer des Herrn der Ordnung hat die Ordensburg umgangen und belagert jetzt die Stadt. Da kommt niemand mehr rein. Und ich schätze wenn sie da fertig sind holen sie sich auch noch Anego. Wenn die Stadt nicht vorher im Sumpf versinkt, heißt das natürlich… Aber das tut sie seit fast dreihundert Jahren…“

Und so bleiben nur die weiter im Osten gelegenen Pässe. Die gefährlicheren, lagen sie doch ungleich näher an den Gebieten, die bereits in Kultistenhand lagen. Und die gefährlicheren, weil sie kaum benutzt wurden. Die steinernen Pfade waren alt und brüchig und bei einem Erdrutsch oder einer Schneeverwehung konnte man nie sagen ob oder wann sie wieder frei wurden. Viele verfielen auch einfach. Bis auf einen. Genau so unsicher. Aber immerhin wurde er offen gehalten, dachte Galren, als er jetzt zu der verwitterten Statue aufsah, die sich im Schutz eines Felsvorhangs vor ihnen erhob.  Der Pass wand sich direkt daran vorbei und höher zu den in Schnee und Nebel gehüllten Gipfeln. Das Standbild hatte wenig mit der  skelettierten Leiche gemein, die sie auf einem namenlosen Felsen irgendwo im Westmeer gefunden hatten, dachte er. Hier wirkte der alte Kaiser fast noch lebendig… und bei weitem ehrwürdiger. Vor ihnen lag der Weg, den Simon Belfare am Beginn seines Feldzugs gegen die Ordeal-Kaiser genommen hatte. Die Kaiserpforte…

Besonders hoheitlich war der Weg allerdings nicht, wie Galren zugeben musste. Kaum ein Ziegenpfad. Aber wenn man ungesehen über die Berge kommen wollte, weil man eine Armee im Schlepptau hatte, oder  schlicht nicht bemerkt werden wollte wie sie,  perfekt. Blieb nur zu hoffen, dass ihnen der Weg auch offen stand…

Der erste Kaiser der Belfara hatte seinen Weg zum Ruhm aus dem Norden über die gleichen Pfade angetreten… und nun kehrte die letzte Hoffnung seines letzten Nachfahren dahin zurück. Galren wusste nicht ob das ein gutes oder schlechtes Omen war. Langsam machten sie sich auf den Weg die Felsen hinauf und in die Nebelbänke hinein, die  über der Statue hingen. So weit jedoch, sollten sie schließlich gar nicht erst kommen,, als sich eine einzelne Gestalt aus dem Dunst löste und ihnen den Weg versperrte. Der Mann wirkte selber wie Nebel, dünn, fast ätherisch, als könnte ihn ein Windhauch davontragen.  Gekleidet war er in eine blaue Robe, die so zerschlissen war, dass er im ersten Moment wie ein Bettler wirkte.  Graue Augen, deren sanfter Blick gar nicht zu seinem Auftreten passen wollte, musterten sie alle langsam… und blieben schließlich bei Naria hängen.

,, Hallo Naria. Es ist eine Weile her.“ Träumer lächelte, aber es war kein glückliches Lächeln.

 

 

 

Kapitel 50 Staub

 

 

 

Die fliegende Statd war größtenteils unter einer weißen Decke verschwunden. Schnee rieselte aus den Wolken herab und sammelte sich auf den Dächern und in den Straßen und an den Rändern der schwebenden Inseln stürzten bald die ersten Lawinen in die TIEFE, sobald die Last zu groß wurde. Es gab niemanden mehr, der die Wege hätte frei halten können. Die meisten Häuser waren verlassen und die knapp zweitausend Männer der GARDE, die noch in der Stadt verblieben waren eichten schlicht nicht aus.   Im Thronsaal des Palastes bekam man davon allerdings wenig mit. In den hohen Hallen mit ihrem Deckengemälde und den magischen kristallen die alles mit einem steten Licht erhellten, wirkte seit Jahrhunderten alles immer gleich. Ob nun Tag oder NACHT, Sommer oder Winter, der Thronsaal blieb erleuchtet , die dicken Steinwände hielten ihn im Sommer kühl und im Winter strahlte die Wärme aus den umgebenden Korridoren und Sälen ab und heizte ihn.

Zwar befanden sie sich die schwebenden Bauten der Hauptstadt Cantons  wieder auf dem Weg, doch weit würden sie wohl nicht mehr nach Süden kommen, dachte Kellvian. Er hatte nicht vor, der Armee des roten heiligen früher zu begegnen als nötig. Aber er wollte die fliegende Stadt auch sicher  zwischen ihm und Vara wissen.

Seine Hände trommelten auf den Griff des Schwerts, das er an der rechten Armlehne des Bernsteinthrons abgestellt hatte. Die Klinge war in einer vergoldeten Scheide VERBORGEN, in die ein lange toter Schmied uralte Runen und Symbole getrieben hatte.  Ein Schmied der Eisnomaden, wenn man den Legenden über den Ursprung dieser Waffe glauben wollte. Kellvian war geneigt es zu glauben, den manche der Runen waren ihm fremd, wenn auch der Sprache der Menschen in  den nördlichen Provinzen ähnlich. Andere waren ohne Zweifel später hinzugefügt worden und jüngeren Datums, erzählten von Eroberungen und Kaisern, die lange nach Simon geherrscht und gelebt hatten. Seine andere Hand ruhte auf der freien Lehne. Der honigfarbene Stein des Throns fühlte sich unter seinen Fingern kalt an, Fremd fast. Der Thron war schon hier gewesen, als die Stadt das erste Mal am Horizont der Welt aufgetaucht war, als das was einst zu einem Imperium das die Welt umspannte heranreifen sollte noch kaum mehr als ein loser Verbund von Stammesfürsten gewesen war. Älter als die Menschen, vielleicht älter als die Stadt selbst, wer wusste das schon. Der Stein schien das Licht einzufangen und um jeden der darauf saß herum zu lenken, als würde ihn eine Aura aus Licht umgeben.

Quinn trug schwere Wollroben, als die Wachen ihn hereinbrachten. Schnee schmolz auf den Kleidern des alten Ordensobersten, der bald zu einer Wasserspur wurde die er hinter sich herzog.

Kellvian sah ihm vom Thron aus entgegen. Er hatte den Magier bereits erwartet und außer ihnen und Syle war die Halle so gut wie verlassen. Der große Bär stand  am Fuß des Throns, in  der schlichten Uniform, die er immer trug und die so leicht über seinen Rang hinwegtäuschen konnte.

Langsam trat der Magier zwischen den Säulenreihen, die die hohe Decke stützen hindurch in Richtung Thron… und sank langsam auf die Knie.

,, Steht auf.“ Kellvian erhob sich selbst, als er sah, was der Mann tat. ,, Auf die Füße mit euch…“ Es gab Leute, die vor ihm knien wollte. Menschen, die es nicht wagten ihm in die Augen zu sehen. Aber Quinn ? Quinn hatte nie dazu gehört. Umso mehr erschreckte es ihn zu sehen, wie der alte Mann zu Boden sank.

,, Wenn ihr mir euer Wort gebt mich anzuhören…“

,, Quinn , warum sollte ich nicht ?“ Syle musste dem Magier helfen, als er den Kopf hob und sich umständlich wieder aufrichtete. Quinn war in nur zwanzig Jahren mindestens vierzig gealtert, dachte Kellvian. Der Preis der Magie… Vielleicht sollte er dankbar sein, ihn nie  in seiner vollen Tragweite gezahlt zu haben. Auch wenn er sicher war, selber ein paar Jahre verloren zu haben…

,, Weil ich euch kenne, Herr. Weil ich euch allzu gut kenne.“ Quinn wehrte Syle ab, als dieser ihn weiterhin stützen wollte und trat bis vor die Stufen des Throns. ,, Wir müssen diesen Krieg nicht schlagen.  Das ist was ich euch anbiete. Obwohl ich weiß, das ihr ablehnen würdet.“

Kellvian runzelte die Stirn. Die Worte des Zauberers wollten keinen Sinn für ihn ergeben. Fürchtete er etwa eine Strafe für das, was er vorschlagen wollte? ,, Quinn, ich bin im Augenblick verzweifelt genug um nach fast jedem Strohhalm zu greifen.  Und habe ich euch je für euren Rat gescholten?“

,,, Ihr werdet es vielleicht tun. Aber bei der Liebe der Götter, die uns vergessen haben… hört mich wenigstens an.  Ich habe selber lange darüber nachgedacht. Ob ich sie einsetzen soll. Ob ich es darf. Und auch ob ich euch überhaupt um Rat fragen sollte, anstatt zu handeln. Und ich habe noch länger daran gearbeitet…“ Der alte Magier nickte in Richtung der Tür des Thronsaals, die daraufhin langsam aufschwang. Vier Männer  traten ein, ein jeder trug einen grauen Umhang über den Schultern, der von einer Spange mit dem Wappen von Adler und Löwe darauf zusammengehalten wurde.

Jeder trug ein Schwert über dem Rücken, dessen grade, dünne Klinge an einem Heft mit runder Parierstange befestigt war. Zuerst konnte Kellvian nicht richtig erkennen, welche Form, das silberne Emblem darauf hatte, doch als die Männer näher traten wurde ihm klar, dass es ein Schädel war.

Und was ihn noch mehr beunruhigte war, das sie sich ähnlich sahen. Unglaublich ähnlich. Alle vier hatten graue Haare obwohl ihre Gesichter noch jung wirkten. Wenn das das richtige Wort war. Irgendetwas schien schlicht nicht damit zu stimmen. Ihre Haut war glatt und ebenmäßig ohne eine Spur von Bartwuchs aber wirkte gleichzeitig irgendwie… künstlich. Als wären die wahren Gesichter darunter und diese nur eine Maske über die man Haut gezogen hatte. Sie wirkten nicht jung, korrigierte er sich selbst. Sie wirkten Tod. Und ihre Augen… Hätten sie sich nicht ohne jede Unsicherheit bewegt,  leise wie Schatten ohne jedes Geräusch, er hätte schwören können, sie müssten blind sein. Statt normaler Pupillen waren dort nur milchige, silbrig weiße Scheiben. Auch ihre Kleidung unter den Mänteln war grau, von der Farbe alten Staubs, der sich in einem Grab niederschlagen mochte.

Auf ein stummes Zeichen hin, zog jede der vier Gestalten das Schwert über den Rücken und setzte die Klinge fast zeitgleich vor seinen Füßen ab. Ein einzelner Funken stob auf, als die Stahlsitzen und der Marmorboden des Thronsaals aufeinander stießen.

,, Was hat das zu bedeuten ?“ Kellvian sah von den vier Männern zu Quinn.

,, Ein Angebot, Herr, mehr nicht. Ich wusste, dass es euch nicht gefallen würde. Diese vier sind Freiwillige, die mich bei meiner Rückkehr aus der Ordensburg begleitet haben. Vier Magier. Oder sie waren es einmal. Ich habe die Magie studiert, welche der Herr der Ordnung seinen Dienern verleiht. Die Veränderungen, denen er ihren Körper unterzieht… und ich habe einen Weg gesucht genau das zu replizieren. Die Kinder des Staubs sind das Ergebnis davon.  Natürlich konnte ich nicht die Macht eines Gottes anzapfen, also habe ich ihre eigene magische Gabe für diese Zwecke genutzt. Sie können keine Magie mehr im herkömmlichen Sinne wirken, aber es hat sie verändert, wie ich hoffte. Ein jeder ist einem normalen Menschen um ein vielfaches Überlegen und was ihre Körper angeht, so sind sie beinahe immun dagegen. Ich bezweifle, dass es einen Zauber gibt, der einen von ihnen töten könnte. Und es wäre einem Zauberer auch unmöglich sie zu finden. Jedes Lebewesen trägt einen Lebensfunken in sich. Schwache Magie, die nach außen dringt. Sie nicht mehr. Für einen Magier stellen sie einen blinden Fleck dar, selbst wenn sie direkt hinter ihm stehen würden. Auch für einen Heiligen mit magischen Fähigkeiten…“

Kellvian verstand worauf Quinn hinaus wollte. Ein Angebot, wahrhaft, aber was für eines ? Der Magier hatte ihn nicht zuvor um Rat oder Erlaubnis gefragt, bevor er sich an die Arbeit mache. Und ob Freiwillige oder nicht… Kellvian  musterte diese Wesen, die Quinn begleiten langsam.  Er bezweifelte, dass sie wirklich gewusst hatten, worauf sie sich da einließen. Sie schienen nicht einmal mehr lebendig im eigentlichen Sinne, folgten nur den Anweisungen die Quinn ihnen gab , ohne auch nur einmal selber etwas zu sagen.

Ein Teil von Kellvian war enttäuscht. Der andere verbittert, das Quinn ihn im Dunkeln gelassen hatte. Aber mit einem hatte der Ordensoberste wohl Recht. Er  hatte genau gewusst, wie er reagieren würde. Hätte er früher hiervon erfahren,  er hätte ihm wohl niemals erlaubt mit dieser Art von Forschung weiterzumachen… Was konnte gutes daraus erwachsen, wenn sie sich Dämonen und Monster zum Vorbild nahmen? Wenn sie anfingen, in diesem krieg gleiches mit gleichem zu vergelten, konnten sie auch Aufgeben, dachte er. Das Ergebnis würde dasselbe sein. Sie würden im Kampf ums Überleben den um ihre Seelen verlieren…

,, Man könnte meinen, grade ihr hättet aus Zacharys Fehlern gelernt.“ , meinte Kellvian kühl.

,, Das hier ist etwas völlig anderes.“ Quinn begehrte auf. Seine Stimme klang wütend und  kräftiger als der altersschwache Körper des Zauberers vermuten ließ.  ,, Zacharys Arbeit hat uns alle gefährdet, ich versuche uns zu retten. Wir…“
,, Er hat keine verdammten Monster erschaffen und mir vorgeführt, als wäre er  auch noch stolz darauf !“ Kellvian wurde erst klar, dass er aufgesprungen war, als seine Worte bereits langsam in der großen Halle verklangen. Syle am Fußende des Throns sagte nichts, sah jedoch besorgt zu ihm auf.

Und Quinns Kreaturen, die Staubritter oder  wohl eher Meuchelmörder standen nach wie vor still da, blickten mit leblosen Augen ins Nichts. Keiner von ihnen machte Anstalten sich zu verteidigen oder schien von seinen Worten auch nur beunruhigt. ,, Also, warum fragen wir eure Männer nicht, was sie davon halten ?“

Das einzige, was ihm antwortete, war ohrenbetäubendes Schweigen und Quinn, der langsam den Blick senkte, fort von ihm und auf den Boden. Er hatte es gewusst. Ein Teil von ihm wollte sich schon wieder mit dem Magier versöhnen. Nicht nur weil er ihn brauchte. So sehr es ihn entsetzte, es bewies auch Quinns Mut, dachte er. Der Ordensoberste hatte gewusst, dass er mit Ablehnung rechnen musste. Vielleicht sogar, das Kellvian ihn verstoßen mochte. Und doch hatte er nicht gezögert, es zumindest zu versuchen. Mutig… aber töricht, dachte Kellvian.

,, Quinn, warum antworten sie mir nicht ?“

,, Sie waren freiwillige.“ , murmelte der alte Magier lediglich.

,, Das habe ich nicht gefragt…“

,, Herr, ich bitte euch, denkt darüber nach. Geschehen ist geschehen. Ich kann mein Werk nicht rückgängig machen. Aber wir können noch immer diese Welt retten. Der rote Heilige ist die treibende Kraft hinter allem. Nur weil Ismaiel versagt hat, heißt das nicht, dass alles vergebens wäre. Und wenn er stirbt, wäre dieser krieg innerhalb eines Herzschlages vorbei. Er ist es, der ihre Eroberungsbemühungen vorantreibt. Und ohne ihn würden sie entweder in sich zusammenbrechen oder doch zumindest ins Socken kommen und langsamer werden. Im besten Fall gewinnen wir alles. Im schlimmsten etwas Zeit. Zeit die auch Galren brauchen wird.“

Vernünftig, dachte Kellvian. Quinn klang so gefährlich vernünftig. Er schloss einen Moment die Augen, wollte weder dem Magier noch seinen Kreaturen länger in die Augen sehen. Es war zu gefährlich, zu verlockend, sie auch einzusetzen. Immerhin, geschehen war geschehen, wie Quinn schon sagte.  Und wenn er Erfolg hätte ? Der krieg wäre vorbei. Nur zu welchem Preis ? Konnte er sein Ehrgefühl wirklich über das Leben aller stellen? Gab es denn überhaupt eine Wahl? 

,, Herr, wir sind über den Punkt hinaus, wo unsere Prinzipien noch etwas wert sind. Hier geht es nicht darum einen Kampf zu gewinnen, sondern um unser bloßes Überleben. Das Überleben des Imperiums. Und von euch. Gebt ihr mir den Befehl nicht, gebe ich ihn selbst.“

,, Nicht wenn ich euch festnehmen lasse…“ Syle setzte sich am Fuß des Throns in Bewegung, machte einen Schritt auf den Magier zu.

,, Wir beide wissen, das ihr das nicht tun würdet, Syle. Nicht wen eure Loyalität zu Kellvian mehr ist als Worte. Ich bitte euch nur… denkt darüber nach.“

Sind wir schon so weit gefallen? Kellvian meinte einen Moment Jiys Stimme zu hören, die ihn schalt, meinte ihre Hand auf seinem Arm zu spüren. Und der schwächste Teil von ihm konnte nur ein leises ,,Ja.“ Flüstern. Er würde es bedauern.  Und gleichzeitig, wenn es auch nur bedeutete, dass es die Chance gab, sie noch einmal wiederzusehen… das das Töten endlich ein Ende hatte, durfte er sich Quinn dann verweigern? Nichts wünschte er sich mehr, als die Gelegenheit Jiy noch einmal in die Arme zu nehmen, ihr zu erklären, das er ihr keine Angst hatte machen wollen…

Er konnte seine Prinzipien über Bord werfen oder sein Volk verdammen.. und sich selbst. Beides war falsch, beides ruinös. Und doch… für eines von beiden musste er sich entscheiden.

,, Ihr bekommt euren Willen. Quinn, Meister des Sangius-Ordens.“ Kellvian ließ sich langsam auf den Thron zurück sinken. ,, Hiermit erteile ich euch einen Befehl. Bei der Gnade des Kaisers und der fliegenden Stadt, das Leben des roten Heiligen und seiner Anhänger sind verwirkt. Es soll in diesem Land weder eine Zuflucht noch Sicherheit für sie geben.  Jene, die die Waffen niederlegen können mit Gnade rechnen, wenn sie sich uns überantworten. Die anderen sind verdammt. Vernichtet  ihre Anführer wo immer ihr sie findet und zwingt sie in die Knie wo sie sich erheben. Seit schnell, seit gnadenlos, seit standhaft. Verbrennt ihre Zufluchten,  zerschlagt ihre Tempel… und bringt mir den Kopf der Schlange.“

Quinn verbeugte sich langsam. Und als er sprach, war seine Stimme schwer und belegt. Kellvian hatte bisher geglaubt, ihm würde dies alles leichter fallen. Offenbar war dem nicht so. ,, Ich danke euch, Herr… ihr trefft die richtige Entscheidung.“

,, Wagt es nicht mir zu danken… nicht hierfür.“ Er fühlte sich schmutzig, obwohl sein Anteil an diesem Irrsinn vielleicht noch der geringste war.

Quinn entfernte sich gebeugt, ohne ein Wort. Nur als er die Türen erreichte, meinte Kellvian ihn murmeln zu hören: ,, Ich sollte ein Klavier finden.“

Kellvian selbst blieb mit Syle im Thronsaal zurück und starrte ins Leere, auch lange noch nachdem die Türen wieder hinter dem Ordensbersten zu gefallen waren.

 

Kapitel 52 Staub

 

 

 

 

Einen Moment standen sie beide wie erstarrt da. Der Heilige und Janis, eingefroren auf ihrem Platz über dem Lager, aus dem immer noch Schreie zu ihnen empor drangen. Schreie… und Rauch. Ein Feuer, dachte Janis auch wenn es keinen Sinn machen wollte. Nichts hiervon. Er hastete schließlich als erster los, schnappte sich das Schwert das nach wie vor an den Felsen lehnte und spähte hinab zu den dicht an dicht stehenden Zelten. Dichter Qual schlug aus einem halben Dutzend davon. Ein Unfall ? , fragte er sich stumm, dann jedoch sah er die ersten Leute, die aus den noch stehenden Zelten hinaus stürzten. Aber nicht um den Flammen zu entkommen oder beim Löschen zu helfen. Sie flohen haltlos… Und dann sah er etwas, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Hinter den flüchtenden Arbeitern und Heilern trat eine weitere Gestalt aus dem Zelt. Ein Mann mit grauen Haaren, so viel konnte er auf die Entfernung erkennen. Ein Umhang in fast der gleichen Farbe fiel ihm über die Schultern und in seiner Hand lag ein Schwert, dessen grade Klinge in einer Parierstange endete, die wie ein Totenschädel geformt worden war. Blut troff den Stahl herab und über das Silber des Schädels, versickerte in den gravierten Augen und färbte sie tiefrot. Und dann sah der Mann auf und direkt zu ihnen. Janis hatte keine Ahnung ob er sie wirklich gesehen hatte, den gleich darauf setzte er bereits dazu an, den Flüchtenden zu folgen. Die Art wie er sich bewegte jagte Janis einen Schauer über den Rücken. Wie ein Schatten, schnell und ohne Wiederstand, als wäre er nur Luft und die Klinge die er mit sich führte ein Windhauch, der Knochen und Fleisch durchtrennte. Janis konnte nur wie erstarrt zusehen, zu weit weg um etwas zu tun, während der Schatten seine Opfer fand. Die weißen Zelte färbten sich rot…

Auch der rote Heilige hatte sich mittlerweile dem Lager zugewandt. Der Ausbruch von zuvor schien vergessen, den auch er starrte mit einem unsicheren Ausdruck im Gesicht in die Tiefe. Janis glaubte, dass es Angst sein könnte… doch was hatte dieser Mann zu fürchten?

Und vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er sich in diesem Moment nicht zu ihm umgedreht hätte. So jedoch sah Janis den zweiten Staubkrieger, der hinter ihnen aufgetaucht war. Das Gesicht des Mannes schien ihm ausdruckslos, fast als wäre die blasse Haut nur eine Maske. Doch der Stahl in seinen Händen war lebendig und gefährlich und blitzte in der Sonne, als er ihn nach unten auf den Rücken des roten Heiligen stieß.

,, Passt auf , hinter euch !“ Janis war sich sicher, dass seine Warnung zu spät kommen würde. Doch der Stahl traf nur Luft, als der rote Heilige in einem grellroten Blitz verschwand und sich wieder direkt neben ihm manifestierte. Der unsichere Ausdruck war nun definitiv zu Angst geworden, dachte Janis. Sie standen mit dem Rücken zum Abhang, während ihr Angreifer ohne jede sichtliche Eile auf sie zutrat. Zwei weitere Gestalten lösten sich aus den Schatten unter den hoch aufragenden Felsen und traten an seine Seite. Ihre grauen, leblosen Augen verfolgten jede von Janis Bewegungen, wie es schien.

,, Was sind das für Kreaturen ?“ Janis glaubte nicht, das es Menschen waren. Jedenfalls keine gewöhnliche, dachte er. Unten aus dem Lager drangen noch immer Schreie, doch wagte er es nicht, sich umzudrehen. Ein Teil von ihm wollte überhaupt nicht wissen, was dort unten grade geschah. Stattdessen hob er das Schwert auf, ohne dabei seine Gegner aus den Augen zu lassen. Der kalte Stahl in seiner Hand fühlte sich nach wie vor Vertraut an und er sich etwas besser.

,, Ich kann sie nicht spüren.“ Der rote Heilige schien mehr zu sich selbst als mit ihm zu sprechen. ,, Selbst jetzt nicht. Der Kaiser schickt mir also seine Meuchelmörder aus, ja? Es war dumm von euch, euch zu zeigen.“ Mit diesen Worten, rief er einen Feuersturm herbei, der das Land zwischen ihnen und den seltsamen Kriegern in Brand steckte. Flammen tosten um sie herum, bildeten Wirbel um ihre Körper. Doch wo jeder andere Mensch zu Asche zerfallen wäre, gingen die drei einfach nur weiter auf sie zu. Der Heilige löschte das Feuer und hohle einen Blitz von Himmel, der den mittleren der drei traf. Leuchtfunken zuckten über seine Haut und Lichtbögen sprangen von seinen Fingern zu Boden. Doch nach wie vor ging er zielsicher weiter hob das Schwert zum Schlag gegen den erstarrten Heiligen …

Einen Moment lang zögerte Janis. Tat er jetzt nichts, wäre gleich alles vorbei. Vielleicht würde sogar Träumer den Platz seines Herrn einnehmen, wer wusste das schon zu sagen? Aber konnte er den Mann, der sein Leben einmal bewahrt hatte einfach sterben lassen? Es war nur Wasser gewesen, flüsterte ein Teil seines Verstandes. Er trat vor. Hiernach waren sie quitt…

Janis sprang   dem Angreifer entgegen und blockierte den Hieb. Stahl traf knirschend auf Stahl und beinahe hätten seine Arme unter der bloßen Wucht des Hiebs nachgegeben. Janis stolperte zurück, hielt das Schwert jedoch zwischen sich und dem Angreifer. Die anderen Beiden beachteten ihn scheinbar gar nicht, sondern wendeten sich dem roten Heiligen zu, der nun mit der Sense in der Hand zurück wich. Mehr jedoch bekam Janis nicht mehr mit, als ihn der seltsame Assassine attackierte. Janis hatte Mühe der Bewegung auch nur zu folgen, doch sein Körper reagierte wie von selbst. Die Schwerter zuckten wie Blitze durch die Luft, trafen immer wieder aufeinander. Irgendwie schien Janis zu wissen, was er zu tun hatte, seine Hände bewegten sich zielsicher, wehrten Hieb m Hieb ab. Doch lange würde er das nicht durchhalten. Sein Gegner war zu schnell, kaum mehr als ein Schatten. Ein Hieb streifte ihn knapp über den Rippen, ein weiterer schlitzte seinen linken Arm auf, so dass er einhändig weiterkämpfen musste. Innerhalb weniger Herzschläge war seine Kleidung Blutdurchtränkt und sein Gegner schien nicht Müde zu werden. Weitere Blitzschnelle Schläge trieben ihn zurück, bis er spürte, wie der Boden unter seinen Füßen abschüssig wurde. Hinter ihm gab es nur noch den Abgrund und vor ihm Stahl, der ihm die Haut von den Knochen schälen würde, wenn er es zuließ. Ein Hieb verfehle ihn knapp am Kopf. Er konnte sich nicht länger nur Verteidigen. Und sein Gegner hatte sich für seinen letzten Angriff etwas zu weit vorgewagt. Janis ah die Lücke in seiner Verteidigung, und reagierte noch bevor er ganz Verstanden hatte, das sie da war. Erneut bewegten sich seine Hände wie von Geisterhand. Er hatte vergessen. Sein Körper nicht. Mit einem Satz warf er sich nach vorne, bohrte die Klinge tief in die Brust des Assassinen. Der Stahl trat am Rücken der Kreatur wieder aus. Dunkelrotes Blut sprudelte aus der Wunde hervor, als Janis die Waffe zurückzog. Und mit einem weiteren Hieb enthauptete er das Wesen schließlich. Im gleichen Moment zerfiel der Körper seines Gegners, als hätte er Spinnweben durchtrennt und nicht Fleisch. Asche und Staub verteilten sich über den Boden und wurden vom Wind verweht, wo eben noch ein Mensch aus Fleisch und Blut gestanden hatte.

Einen Moment stand Janis nur da und rang nach Atem. Nun machte sich auch der brennende Schmerz in seiner Seite und an seinem Arm bemerkbar, die er während es Kampfes ausgeblendet hatte. Und noch etwas anderes… Es war ruhig… zu ruhig. Der rote Heilige !

Janis wirbelte herum, das Schwert erhoben und rechnete bereits mit dem Schlimmsten. Doch alles was er sah, war der Erwählte des Herrn der Ordnung, wie er neben zwei Aschehaufen kniete und grauen Staub durch seine Finger rieseln lies. Falls er verletzt war, so zeigte er es jedenfalls nicht, während er sich aufrichtete und Janis einen Moment unsicher musterte. Er schien etwas sagen zu wollen, öffnete den Mund. Janis sah die Bewegung und warf die Klinge bevor auch nur ein Wort seine Kehle verließ. Das Schwert durchbohrte die Kehle des Mannes, der in der Bewegung erstarrte… bevor auch er zu Staub zerfiel. Die Aschewolke ging über dem roten heiligen nieder, der wie erstarrt dastand.

,, Du hast mich gerettet…“ , Ungläubig sah er auf das Schwert hinter sich, das aus dem Aschehaufen ehrausragte, der von dem vierten Angreifer geblieben war.

,, Wir müssen ins Lager.“ , erklärte Janis nur, als er die Waffe wieder an sich nahm. Und noch etwas anderes. Ein kleines silbriges Ding, das in der Asche zurück geblieben war. Der Angriff dort unten war nur eine Ablenkung gewesen, das schien klar, dachte Janis. Der rote Heilige war das eigentliche Ziel dieser Männer gewesen. Aber er hatte nicht mit seinem Blut dafür bezahlt.

Der Boden um die Zelte der Heiler war Blutdurchtränkt, die weißen Stoffbahnen der Aufbauten selbst mit roten Spritzern verunstaltet. Der Geruch nach Tod und Feuer schlug Janis bereits entgegen, als sie die ersten Ausläufer des Lagers erreichten. Doch erst hier zeigte sich das wahre Ausmaß der Zerstörung. Die Toten lagen nicht nur hingestreckt auf der Erde, sondern auch in den Zelten. Auf liegen, am Boden, halb über den Zeltausgang gebeugt, wo sie eine Klinge durchbohrt hatte. Und es waren auch nicht nur die wenigen Wächter, die diesen Teil des Lagers beschützt hatten. Janis fand ein dutzend Heiler, welche die Angreifer schlicht einen nach dem anderen niedergestreckt hatten. Und Verletzte, denen die Männer des Kaisers schlicht eine Klinge durchs Herz gebohrt hatten. Männer die im Fieberwahn gelegen hatten, denen Gliedmaßen fehlten oder gebrochene Knochen hatten. Die vier Kreaturen hatten scheinbar keinen Unterschied gemacht.

,, Jetzt seht ihr das wahre Gesicht unseres Feindes.“ , meinte der rote Heilige düster. Und das tat er, dachte Janis. Bis zu diesem Augenblick hatte er berechtigte Zweifel gehabt. Er hatte auch gesehen zu was der rote heilige fähig war… und er hatte Träumers Warnungen nicht vergessen. Aber das hier ? Das war nicht das Werk des Herrn der Ordnung, sondern das des Kaisers. Unschuldige, wehrlose Männer und Frauen , Heiler, Verwundete… Leute die keinerlei Bedrohung dargestellt hätte. Und sie waren hingemetzelt worden. Ein anderes Wort konnte das Blutbad hier nicht mehr beschreiben. Getötet, um eine Falle zu stellen, nicht mehr. Er verstand es, dachte er. Er sah die Wahrheit hier vor sich, geschrieben in Blut.

Janis betrachtete einen Moment den kleinen Gegenstand den er aus der Asche der Assassinen geborgen hatte. Er hatte in schon einmal gesehen. Das Symbol von Adler und Löwe darauf. Er strich über die Prägung, die ihm schon so vertraut war. Hatte der Kaiser solche Wesen auch gegen ihn entsendet? War er so in den Besitz dieser Brosche gekommen? Oder war das Geheimnis doch düsterer… Warum sollte er eines ihrer Embleme mit sich tragen, wenn dies die Männer waren, die für seinen Zustand verantwortlich waren? Was hatte der rote Heilige gesagt? Es hatte seinen Grund, dass der Herr der Ordnung seine Vergangenheit vor ihm verbarg. War er am Ende selber ein Diener des Kaisers gewesen? So oder so… es würde hier enden, sagte er sich. Janis ließ die Brosche achtlos zu Boden fallen und warf seine eigene gleich hinterher.   Seine Vergangenheit würde warten müssen. Zumindest für den Moment. Und vielleicht hatte der Kaiser die Antworten, nach denen er suchte? Selbst wenn ihm im Auenblick die Leiche des Mannes genügen würde. Er war der Schüssel zu allem… und Janis wusste bereits, wie er an ihn herankommen konnte.

Vielleicht gab es in diesem Kampf keine richtige Seite. Vielleicht gab es nur das kleinere Übel. Aber wenn er sich die Zerstörung hier ansah, wusste er, welches das war.

,, Ihr habt gesagt, ihr braucht jemanden um eure Männer zur fliegenden Stadt zu führen ?“, fragte Janis an den roten Heiligen gerichtet. ,, Ich bin bereit dazu…“

,, Zuerst Janis, gibt es noch eine Sache um die wir uns kümmern müssen. Ihr werdet nicht den direkten Weg zur fliegenden Stadt einschlagen. Begebt euch nach Risara. Die Stadt lehnt sich nach wie vor gegen unsere Herrschaft auf. Fällt sie erst endgültig in unsere Hände, ist der Weg zum Kaiser selbst frei… und zur Kontrolle über ganz Canton. Das ist die letzte Hürde, die es zu nehmen gilt. Seit ihr bereit dafür?“

Janis brauchte nicht lange über die Antwort nachdenken. Langsam nickte er. ,, Und ich werde die Rüstung brauchen. Doch eine Sache werdet ihr noch für mich tun müssen…“

Er bat ihn nicht. Er fragte auch nicht um Erlaubnis. Es band ihn nichts mehr an diesen Mann, dachte er. Sie hatten ein gemeinsames Ziel, das war alles. Den Kaiser… Und trotzdem schien der rote Heilige davon in keiner Weise beunruhigt.

 

Kapitel 53 Blockierter Pfad

 

 

,, Ich freue mich zu sehen, das ihr noch lebt. Auch wenn ihr mir das kaum glauben werdet, oder?“ Er klang traurig, dachte sie. Naria verkrampfte sich, als sie seine Stimme hörte. Lodernde Wut vermischte sich mit dem, was sie noch an Mitleid für diesen Mann empfinden konnte. Hatten sie wirklich geglaubt, so einfach entkommen zu können?

Galren und Elin waren ebenfalls stehen geblieben, wo sie waren und noch immer lächelte Träumer dieses traurige Lächeln, diese stumme Bitte um Vergebung. Naria hatte nicht vor ihm welche zu gewähren. Er würde sie nicht passieren lassen, das war klar. Er war nicht hier um ihnen zu helfen…

Träumer stand nur da und rührte sich nicht. Leicht schief und dünn wie eine Bohnenstange wirkte es, als würden ihn die Windböden, die durch den Pass pfiffen jeden Moment davonwehen. Der Wind zerriss die dünnen Nebelschleier, die über den Boden krochen und trug Schneeflocken von den Berggipfeln mit sich Träumers Schatten spiegelte sich an der grauen Wand, ein riesiges schwarzes etwas, das den kleinen, unscheinbaren Mann vor ihnen scheinbar jeden Moment zu verschlingen drohte. Naria jedoch wusste es besser. Träumer und das Monster waren ein Wesen…

,, Was wollt ihr hier ?“ Sie trat vor, so dass sie zwischen Träumer und den anderen stand. Sie hatte die vage Hoffnung noch nicht aufgegeben, einen Kampf zu vermeiden. Träumer war nicht sein Meister,, er hatte sie bereits einmal gehen lassen. Aber er war auch dem Herrn der Ordnung verpflichtet, warnte sie sich selbst. Doch was konnte sie sonst groß tun? Wenn er es wollte, konnte er sie in jedem Fall aufhalten. Mit der Macht, die ihm sein Gott bereits verliehen hatte, könnte vielleicht grade einmal der rote heilige selbst hoffen, gegen ihn zu bestehen. Fieberhaft suchte Naria nach einem Weg, wie sie sie hier wegbringen könnte, doch der Weg lag vor ihnen und selbst wenn sie weglaufen konnten, wohin wollten sie? Das hier war der einzig sichere Pass über die Berge, der ihnen blieb. Lasanta war besetzt und sie in die andere Richtung zu umgehen würde zu lange dauern…

,, Das wisst ihr.“ , meinte Träumer leise. Seine Stimme war ruhig und freundlich, aber Naria ließ sich davon nicht täuschen. ,, Ihr könnt eurem Schicksal nicht entkommen.“ , fuhr er derweil fort, dieses Mal an Galren gerichtet. ,, Was glaubt ihr durch eure Flucht zu erreichen ? Mein Herr hat mir versichert, das keinem von euch etwas geschehen wird… wenn ihr mich freiwillig zu ihm begleitet.“

,, Selbst wenn ich euch trauen würde, Träumer, eurem Meister traue ich ganz sicher nicht.“ Das war nicht gut, dachte sie. Trotzdem atmete Naria   erleichtert auf. Immerhin, er wusste anscheinend nichts von Melchior. Und wenn er nichts von dem Seher wusste, würde auch der rote Heilige sich seiner nicht bewusst sein. Vielleicht bedeutete es nichts. Aber vielleicht hieß es auch, dass er wirklich einen Weg kennen könnte, wie sie das Blatt noch wenden konnte. Nur… dazu mussten sie ihn immer noch finden. Und Galren durfte dem Herrn der Ordnung unter keinen Umständen in die Hände fallen.

,, Ihr wisst, wie viel ihm sein Wort bedeutet. Ihr erinnert euch an Sine…“

Zum ersten Mal zeigte Träumers Mine einen anderen Ausdruck als Traurigkeit. Schmerz.

,, Sie hat ihr Schicksal selbst gewählt sie… Ich habe sie geliebt.“

,, Ich weiß. Ich auch. Und dabei und bei allem was euch noch etwas bedeutet… ich bitte euch. Lasst uns einfach gehen. Wir sind keine Bedrohung für euch und euer Herr wird auch so triumphieren. Wozu braucht er Galren? Er kann ihn sich hohlen, wenn das Land ihm gehört.“

,, Es tut mir leid… aber ich fürchte, das wird er anders sehen. Noch einmal. Ihr habt mein Wort, das euch nichts geschehen wird…“
Euer Wort ja. Seines weniger, dachte Naria. Langsam erschöpfte sie das Ganze. Es gab keinen Weg ihn zu überzeugen. Irgendwie hatte Träumer sich nach allem was geschehen war trotzdem selbst davon überzeugt, dass sein Herr das richtige tat. Dass er immer noch auf der richtigen Seite stand. Und sie würde nicht zu ihm durchdringen können. Galren neben ihr legte eine Hand auf den Schwertgriff, aber sie schüttelte nur stumm den Kopf. Was sollte das bringen? Das war nicht Atrun. Mit Sterneneisen hätten sie Träumer vielleicht tatsächlich beikommen können. So jedoch war Naria selbst alles, was zwischen ihm und den beiden stand. Und wenn Träumer es darauf ankommen ließ hatte sie keine Chance. Sie hatte nicht einmal irgendwelche gewöhnlichen Kristalle um ihre Fähigkeiten zu stärken und erst recht keine Träne. Und er ? Er konnte die Macht eines Gottes herbeirufen. Aber musste sie ihn überhaupt schlagen? Nein, dachte sie. Nur den Weg frei machen. Und nicht einmal das schien sicher.

,, Schlagt das nicht aus…“ Sie ignorierte Träumers wiederholte Bitte. Geister, ich bin kein Freund von heroischer Aufopferung, dachte sie und ein bitteres Grinsen teilte ihre Lippen. Nein. In einem offenen Kampf konnte sie ihn nicht schlagen. Aber das war auch gar nicht nötig.

,, Ihr wollt eine Entscheidung, Träumer ? Hier ist sie…“ Naria legte alles was sie hatte in den Zauber. Mit einem einzigen Gedanken verdichtete sich der Nebel hinter Träumer zu einem Punkt aus gestauchter Luft, schwer wie tausend Eisenkugeln. Eis kondensierte um den Punkt, erzeugte glitzernde Kristalle in der Luft, die das Sonnenlicht einfingen… und dann schmetterte sie alles Träumer entgegen. Ein normaler Mensch wäre zu Staub zermalmt worden, Knochen und Fleisch. Was Träumer an magischer Abwehr besitzen mochte, es zerbarst unter der geballten Macht von Narias Angriff. Völlig unvorbereitet auf die Attacke wurde er von den Füßen geschleudert und schlitterte über den unebenen Boden. Scharfkantige Steine schnitten in seine Haut und schnitten durch Muskeln und Fleisch, so dass er bald eine Blutspur hinter sich herzog. Sich mehrmals überschlagend kam er schließlich regungslos in einer Felskuhle zum Liegen. Naria war nicht dumm genug zu glauben, dass sie ihn ernsthaft geschadet hatte. Ein Mensch wäre tot, aber Träumer war wie sein Meister weit über das bloße Menschsein hinaus.

Sie schwankte als eine Welle der Erschöpfung über sie hinweg rollte. Kälte kroch in ihre Glieder und ließ sie zittern. Der Zauber hatte sie bereits mehr gekostet, als sie zugeben wollte. Und sie bezweifelte, dass sie ihn wiederholen könnte.

,, Verschwindet hier !“, rief sie in Richtung Galren und Elin, die wie erstarrt dastanden. Das war ihre eine Gelegenheit durch den Pass zu gelangen. Aber wenn sie jetzt alle drei flohen, würde Träumer sie einholen… Einer musste ihn aufhalten. Und leider, Mädchen bist du die einzige, die auch nur Ansatzweise dazu in der Lage ist. Dein Pech. Erneut grinste sie. Und immer noch machten weder Galren noch Elin Anstalten sich zu bewegen.

,, Naria…“

,, Hört zu, entweder ihr verschwindet jetzt oder ihr bringt euch um, es kümmert mich nicht was von beiden, aber hört auf da rumzustehen !“ Und endlich setzte er sich in Bewegung, zog Elin mit sich, als sie langsam rückwärtsgingen. Und Träumer hatte sich grade bewegt, da war sie sich sicher… Noch lag der Geweihte, aber wenn er auf die Füße kam und Galren noch hier war... ,,Zu Melchior mit euch. Jetzt !“

Sie rannten los und Naria konnte ihnen nur einen Moment nachsehen. Lauft schneller, dachte sie. Ich will das hier nicht umsonst machen. Als sie sicher war, das die beiden hoch genug waren, sammelte sie sich erneut. Ein magischer Schlag brachte die Felsen zum Zittern, die sich an den Berghängen entlang des Pfads auftürmten. Zuerst waren es nur kleinere Steinchen, die Talwärts rutschten, doch sobald sich einmal die ersten Brocken lösten, geriet das restliche Geröll fast von alleine in Bewegung. Staubwolken stiegen auf, als Felsen groß wie Häuser in die Tiefe prasselten und als er sich wieder setzte, war dort, wo einmal eine Straße gewesen war, nur noch eine Wand aus Trümmern. Der Erdrutsch hatte den Pass blockiert. Naria konnte nur hoffen, das Galren und Elin bereits weit genug fort gewesen waren. Aber irgendwie musste sie auch Träumer daran hindern ihnen zu folgen. Und auch er konnte nicht fliegen… Oder zumindest hoffte sie das.

Die Gestalt des Geweihten begann derweil wieder sich zu rühren. Blut war über Träumers Gesicht gelaufen, wo ihm die Steine in die Haut geschnitten hatten und sein Gewand war mit dunkelroten Flecken durchtränkt. Doch wo die Wunden hätten sein müssen, war nur glatte Haut. Naria hatte damit gerechnet, das ihr heimtückischer Angriff ihn erzürnen würde. Dass er sie vielleicht sofort attackieren und danach die Verfolgung aufnehmen würde. Stattdessen stand er nur da, sah sie an als sähe er sie zum ersten Mal.

,, Ihr wolltet mich töten.“ Und noch immer klang seine Stimme seltsam sanft, nicht wütend oder aufgebracht. Und mit einem weiteren Blick auf ihr Gesicht korrigierte er sich: ,, Ihr wollt mich töten…“

,, Habe ich den eine Wahl ?“ , fragte sie sarkastisch. Die Antwort kannte er genau so gut wie sie.

,, Nicht mehr als ich, scheint mir.“ Worauf wartete er noch? Er könnte sie mit einem Gedanken bei Seite fegen, da war Naria sich sicher. Und er wusste, dass sie ihn nicht vorbei lassen würde. Ihre Hände schlossen sich um den Kampfstab den sie trug. Als ob das Stück Holz mehr ausrichten könnte, als all ihre Zauber. Und sie hatte sich bereits verausgabt, auch das musste er spüren. Es kostete sie bereits Mühe, nur auf den Beinen zu bleiben. Einen Zauber anzubringen, egal wie Klein würde ab jetzt direkt an ihrem Leben zehren.
Träumer betrachtete den Erdrutsch der seinen Weg blockiert hatte, als würde er Naria immer noch gar nicht richtig wahrnehmen.

,, Jetzt gibt es nur noch euch und mich.“ ,stellte sie fest.

,, Nein.“ Träumer schüttelte den Kopf. ,, Ich will euch immer noch nicht bekämpfen müssen, Naria. Und ihr wisst, das ihr mich nicht aufhalten könntet, wenn ich das wollte. Trete bei Seite, dann mache ich diesen Weg frei und ihr könnte euren weiter gehen. Galren ist meinem Herrn wichtiger als ihr. Ich bin sicher er verzeiht es wenn ich euch gehen lassen“

,, Ich kann euch nicht vorbei lassen. Tut mir leid. Aber wenn ihr Galren verfolgen wollt müsst ihr das durch mich.“

,, Ich kämpfe nicht gegen euch.“ , erklärte Träumer erneut.

,, Und ich lasse euch nicht passieren.“

,, Wollt ihr unbedingt sterben ?“ Er klang überrascht, so als würde ihn ihr Wiederstand tatsächlich überraschen.

Nein, dachte Naria. Sterben nicht. Das war das letzte was sie wirklich wollte. Aber welchen Wert hätte ihr Leben noch, wenn Träumers Meister seine Ziele erreichte? Sie hätte ihr Ende um ein paar Wochen oder Monate hinaus gezögert, aber das wäre alles. ,, Ich werde jedenfalls nicht Platz machen.“

Eine Weile erwiderte Träumer nichts, sondern umkreiste sie nur. Jedes Mal wenn er einen Schritt nach vorne machte, stellte sie sich ihm in den Weg, wollte er an ihr vorbei, war sie bereits da und Schnitt ihm den Weg ab. Es war Geplänkel mehr nicht. Nach wie vor, wenn er gewollt hätte, hätte er sie längst getötet, dessen war sie sich sicher. Aber je länger sie ihn hinhielt, desto besser, dachte Naria und langsam kehrten auch ihre Kräfte zurück. SO unbedeutend sie im Vergleich zur Macht des Herrn der Ordnung waren, sie würde wenigstens nicht bei ihrem ersten Aufeinandertreffen in sich zusammen klappen. Ich will wenigstens auf den Füßen sterben, sagte sie sich.

,, Dann bleibt mir nur euch fort zu bringen, oder ? Mein Meister wird sich sicher dafür interessieren, wohin eure Freunde wollen. Und wer dieser Melchior ist…“ Träumer lächelte, nickte ihr zu. Und sie verstand. Er hatte einen Weg für sie und für ihn gefunden. Einen der ihr allerdings noch weniger gefiel als er hier zu Enden. Das letzte was sie wollte, war sich in die Hände des roten Heiligen zu begeben… Dann sollte er sie besser hier töten. Das wäre schneller als alles, was sein Herr sich ausdenken könnte.

,, Ich glaube ihr versteht mich nicht… ich gehe nirgendwo hin.“

,, Und ich habe nicht gesagt, dass ich euch die Wahl lasse. Ich kann nicht zulassen, das ihr mir im Weg steht, Naria…“

,, Euer Meister ist ein Monster, Träumer, das müsst ihr doch sehen…“

,, Wohl war…“ Er sah sie an. ,, Aber was habe ich außer ihm noch, verratet es mir ? Alles andere ist dahin, Naria, was mir sonst etwas bedeutete, wurde mir genommen und ich kann nicht das Geringste daran ändern oder auch nur hoffen, noch etwas auszurichten. Und wir beide Wissen, das das hier nicht durch Worte zu Ende gehen wird.“

 

 

Kapitel 54 Ungleicher Kampf

 

 

 

Träumer begann erneut sie zu umkreisen und Naria folgte seiner Bewegung, stellte sich ihm in den Weg wann immer er versuchte an ihr vorbei in Richtung Pass zu gelangen. Er sagte kein Wort mehr, umrundete sie nur immer wieder schweigend und genau so still blieb sie selbst. Die Zeit für Worte war vorbei. Jetzt blieb nur noch abzuwarten, wer den ersten Schritt machen würde. Träumer wollte nicht, das sah sie ihm an. Aber er hatte auch bewiesen, dass seine Loyalität zu seinem Herrn noch immer über seinem eigenen Gewissen stand.

Erneut machte Träumer einen Schritt vor. Es hatte keinen Sinn mehr es hinauszuzögern, dachte Naria. Sie stieß Träumer mit einem Zauber zurück, der ihn erneut von den Beinen fegte und ein gutes Stück den Pfad hinab schleuderte.   Naria blinzelte verwirrt. Sie hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass sie etwas ausrichten könnte. Geschweigen denn zu hoffen, ihn ernsthaft zu verletzen. Aber entweder war es ihr tatsächlich gelungen ihn erneut zu überraschen oder…. Sie kam nicht dazu den Gedanken zu beenden, als Träumer wieder auf die Füße sprang und mit einem Satz bei ihr war. Naria kam grade noch dazu einen Schild herbeizurufen, der seinen Angriff abwehrte. Blitze zuckten um seine Hände, als sie auf die Barriere trafen. Naria musste zurück weichen. Doch der Zauber hielt stand. Ihr blieb kein Zeit lange darüber nachzudenken, was grade geschehen war, mit einem Gedanken ließ sie mehrere Felsbrocken aus dem Trümmerberg hinter ihr aufsteigen, ein jeder größer als sie selbst und schleuderte sie auf Träumer. Es war billigste Magie, einfach etwas schon vorhandenes zu nutzen, als etwas Neues zu erschaffen, aber für etwas Komplexeres fehlte ihr nach wie vor die Kraft. Die Trümmerstücke trafen Träumer mit voller Wucht und trieben ihn zurück. Er machte nicht einmal Anstalten, sie abzuwehren oder einem derart vorhersehbaren Angriff einfach auszuweichen… Warum ließ er das zu?

Nun schien Träumer allerdings ebenfalls seine Zurückhaltung zu verlieren. Er Schleuderte ein Bündel Lichtblitze nach ihr, grell wie die Sonne, die sie einen Moment blendete. Alles was sie tun konnte,

war erneut ein paar Felsen aufsteigen zu lassen. Diesmal um sie als improvisierten Schild zu nutzen. Die Blitze zermalmten den massiven Stein zu nichts weiter als Staub, der um sie herum zu Boden rieselte. Sie verteidigte sich wortwörtlich mit wenig mehr als Stöcken und Steinchen, dachte Naria. Warum stand sie überhaupt noch? Träumer hätte das hier alles längst beenden können. Spielte er nur mit ihr? Aber das sah ihm nicht ähnlich. Nein… vielleicht war es wirklich wie er sagte. Er wollte sie nicht bekämpfen und riskieren sie zu töten. Das hieß jedoch nicht, dass sie ihm die gleiche Gnade gewähren konnte, dachte Naria. Wenn er seine Verteidigung absichtlich vernachlässigt, gäbe es vielleicht wirklich einen Weg ihn zu besiegen. Allerdings würde sie das ihre letzten Reserven kosten… Naria bereitete sich vor, doch auch Träumer blieb nun nicht mehr untätig. Er machte eine Handbewegung, der aber scheinbar kein Zauber folgte. Sie wollte ihn bereits fragen was er tat, als eine zweite Bewegung sie Rückwärts warf. Doch sie schlug nicht etwa auf dem harten Boden auf, sondern landete in etwas weichem, nachgiebigen. Naria wollte sofort wieder aufspringen, doch worin auch immer sie gelandet war, ließ sie nicht gehen. Und dann sah sie es. Dünne, durchscheinende Fäden, die sich hinter ihr über den Weg und die Felsen zogen, grade hoch genug, das man sie nicht sofort bemerken würde. Und stark genug einen erwachsenen Menschen oder in diesem Fall eine Gejarn festzuhalten. Spinnweben ? Das war doch ein böser Scherz… Ein Teil von ihrem Verstand wollte die klebrigen Fäden nur lo0s werden, irgendwie abstreifen. Der andere Befahl ihr, ruhig zu bleiben.   Träumer wollte sie tatsächlich nur gefangen nehmen… Aber irgendwie musste sie hier raus…

Probeweise zerrte sie an den Fäden, die zwar nachgaben, dabei aber so stabil wie Stahl bleiben. Das einzige, was sie erreichte war, das sich das Netz ein Stück weiter um sie zuzog und sich mehr Seide um ihren Körper legte. Ein paar dieser Versuche und sie wäre Bewegungsunfähig. Naria ließ sich in die Fäden zurück sinken , achtete darauf ja alle Spannung aus ihrem Körper zu nehmen damit nicht ausversehen noch mehr an ihr haften blieben. Sie könnte das Netz verbrennen, sicher aber dann hätte sie nichts mehr was sie Träumer entgegenstellen konnte. Ihr Verstand arbeitete, suchte krampfhaft nach einer Lösung… Und fand eine. Mal wieder Steine, dachte sie.

,, Gebt ihr auf ?“ , fragte Träumer, der ohne sichtliche eile über die von ihm geschaffenen Fäden stieg. Seine Gestalt wirkte noch leichter und zerbrechlicher als sonst   wie er über die dünnen Drähte balancierte. Er rechnete ganz offensichtlich nicht mehr mit Wiederstand, was er an Verteidigung gehabt haben mochte, war verschwunden. Er wollte nur noch eine Antwort von ihr hören. Naria schloss die Augen und sammelte sich. Im gleichen Moment stiegen hunderte von kleineren Kieseln aus den Schuttbergen und von der Straße auf, bildeten ein schwebendes Mosaik aus grauem, schwarzen und olivfarbenen Granit, der einen Moment regungslos in der Luft schwebte um dann mit der Geschwindigkeit einer Musketenkugel auf Träumer zuzufliegen. Die Steine zerrissen das Netz in tausend Teile und Naria rollte sich zur Seite ab, sobald sie spürte, wie sich die Fäden um sie herum lockerten. Die Kiesle die nicht das Netz getroffen hatten, jagten über ihren Kopf hinweg auf Träumer zu… und durchschlugen seinen Körper scheinbar ohne je auf Wiederstand zu treffen in racher Folge. Es war, als wäre Träumer mitten in die Feuersalve eines Regiments der Garde egraten. Eine Blutwolke stieg hinter ihm auf, wurde von den Steinen über den Pfad hinab getragen.

Träumer stolperte zurück, rote Flüssigkeit sickerte aus unzähligen Wunden in seinem Oberkörper. Er schien etwas sagen zu wollen, doch statt Worten stieg nur Blut in seiner Kehle hoch. Naria rappelte sich langsam wieder auf und sah zu, wie er auf die Knie ging. Ihr Kopf drehte sich. Aber sie hatte es geschafft. Irgendwie…

Zögerlich trat Naria auf Träumer zu, der mit leerem Blick zu ihr aufsah. Was wollte sie ihm schon sagen? Dass sie ihn getötet hatte? Sie sollte sich umdrehen und zusehen, dass sie Galren und Elin vielleicht wieder einholte.

,, Es tut mir leid.“ , flüsterte sie trotzdem und wendete sich von dem Sterbenden ab. Bevor sie jedoch auch nur dazu kam, den Kopf ganz zu drehen, schüttelte Träumer den Kopf.

,, Mir auch…“ Das Blut das aus seinen Wunden quoll war nicht länger rot, sondern Schwarz, zäh wie Teer schien es sich über seinen Körper auszubreiten, verschmolz mit den feurigen Linien, die sich durch die Asche auf seiner Hand zogen. Stolpernd kam er wieder auf die Füße, wurde von den Schatten eingehüllt, die um ihn herum aufstiegen wie dünne Säulen und umfingen ihn. Naria konnte nur ungläubig zusehen, wie die Dunkelheit ihn verschlang. Und was wieder daraus hervortrat war nicht länger Träumer, obwohl sie das Wesen schon einmal gesehen hatte. Es war, zu was sein Herr ihn gemacht hatte. Nebelgleich krochen Schatten   über einen Körper, der kaum aus mehr als Knochen und Sehnen zu bestehen schien. Rotes feuer brannte hinter Augen, di in einem großen Schädel saßen und Naria ohne jede Spur von Wiedererkennen musterten. Oder ohen, das darin überhaupt irgendeine Emotion sichtbar gewesen wäre… Gewaltige Schwingen aus Dunkelheit und Knochen blähten sich hinter der Gestalt im Wind, Krallenbewährte, lange Arme schleifte fast über den Boden. Naria wich zurück, als das Wesen einen Schritt auf sie zu machte. Der Dämon griff nach ihr und sie wich aus, versuchte über die Felsen nach oben zu gelangen. Sie hatte Träumer unterschätzt, dachte sie. Ja er hatte sich in ihrem Kampf bisher zurück gehalten. Doch auch wenn er und der Dämon ein Wesen waren, sie bezweifelte, dass das auf die Kreatur zutraf. Und sie war am Ende ihrer Kräfte…

So oder so sollte sie nicht weit kommen. Naria streckte die Hand nach einem Felsvorsprung aus um auf der Schutthalde die sie geschaffen hatte nach oben zu gelangen. Doch noch ehe sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, traf sie eine Pranke des Monsters mit voller Wucht in die Seite. Zum Schreien fehlte ihr plötzlich der Atem, sie spürte nur noch, wie die Welt viel zu schnell an ihr vorbeirauschte, wie der Boden und die Felsen näher kamen Und dann war da eine ganze Weile lang nichts mehr…

Als Naria die Augen wieder aufschlug war es bereits dunkel. Zumindest war das ihre erste Vermutung dafür, dass sie nichts sehen konnte. Oder sie war blind, aber dann könnte sie den dünnen Lichtschimmer nicht wahrnehmen der von irgendwo rechts von ihr kam. Feuer, dachte sie. Und dann sah sie das zweite Licht. Blauer Schein , der das ausgezehrte Gesicht eines Mannes beleuchtete. Im ersten Moment hätte sie ihn kaum erkannt. Träumer wirkte verhärmt und angespannt, hielt die Hände knapp über ihrem Körper, während sein Zauber seine Arbeit tat. Naria konnte die heilende Magie spüren, doch statt der rasenden Schmerzen, die das Zusammenfügen von Knochen und Fleisch normalerweise begleiten sollten, war da nur ein taubes Gefühl und das steige Pochen von tausend kleineren Blessuren und Wunden. Die schwereren musste er bereits kuriert haben. Sie fühlte sich elend, ja, dachte Naria. Aber in Anbetracht dessen, das sie nicht damit gerechnet hatte, die Augen überhaupt noch einmal zu öffnen… Ihre Situation war besser als erwartet, dachte sie und lachte bitter auf. Ein Fehler. Der Lachanfall ließ tausend glühende Nadeln in ihren Rippen aufflammen… und er alarmierte Träumer, dass sie wach war.

Das Licht erlosch und ließ nur den Wiederschein des Feuers übrig, der sich schwach auf Träumers Gesicht niederschlug. Um sie herum schien es ansonsten nur Dunkelheit zu geben. Und das kalte Gefühl von Stein. Eine Höhle ?   Naria setzte sich vorsichtig auf und sah sich um. Tatsächlich befanden sie sich eher in einer Felsspalte.   Der Höhleneingang war kaum zehn Schritte entfernt und in ihrem Rücken befand sich bereits eine massive Wand aus Stein. Und die Decke schien einfach ein großer Stein zu sein, der günstig zwischen zwei größeren Felskanten gelandet und so einen natürlichen Unterschlupf gebildet hatte.

Am Eingang wiederum brannte ein Feuer mitten auf dem felsigen Untergrund und ohne, das sie irgendwo Holz entdecken konnte. Offenbar hatte Träumer einfach einen Zauber gewirkt. Allein der Gedanke dass er nach ihrem Kampf nach wie vor die Kraft für so etwas aufbringen konnte und sie im Augenblick wohl nicht einmal ein Steinchen hätte bewegen können… Vielleicht war ihre Situation doch nicht so gut, dachte Naria. Aber warum hatte er sie hierher gebracht? Er hätte sie am Pass zurücklassen und die anderen verfolgen können. Und hatte er nicht genau das angedroht? Die   leise Hoffnung keimte in ihr auf, dass er das vielleicht gar nicht wollte… Und das hieß, dass zumindest Elin   und Galren in Sicherheit waren. Fürs erste.

,, Könnt ihr aufstehen ?“ Träumers Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Er war aufgestanden und streckte ihr eine Hand hin. Einen Moment war sie versucht, die angebotene Hilfe einfach zu ignorieren. ,, Ihr habt mir keine Wahl gelassen…“ Er schien ihr zögern zu spüren.

Nein, dachte Naria. Aber das gleiche könnte sie von ihm behaupten. Mit einem seufzen gab sie sich einen Ruck und ergriff seine Hand. Nur um es gleich darauf zu bereuen. Er wirkte den Zauber, bevor sie etwas dagegen tu konnte, magische Bande, die sich um ihre Handgelenke legten und sie überkreuzt zwangen. Naria sah die Barriere als ein verzerrtes Schimmern in der Luft und obwohl es Magie war konnte sie sie beinahe wie eine echte Last spüren. Ob sie so noch hoffen konnte, effektiv Zauber zu wirken, wagte sie zu bezweifeln. Und das war natürlich der Zweck des Ganzen, dachte sie…

,, Großartig und jetzt ?“ , fragte sie sarkastisch.

,, Ich habe nicht vor euch hier zu lassen oder euren Freunden nachzurennen.“ Träumer sah ihr nicht ins Gesicht, seine Stimme war kalt und abweisend. ,,   Ihr werdet mich zum roten Tal begleiten. Dort… kann ich wenigstens sicherstellen, dass ihr mir nicht erneut in die Quere kommt. Und vielleicht erkennt ihr ja auch die Wahrheit… Würdet ihr euch uns anschließen… man würde jemanden mit euren Fähigkeiten willkommen heißen, Naria. Ob ihr nun eine Gejarn seid oder nicht…“

Es klang verzweifelt, mehr wie eine Bitte seinerseits als ein Angebot. Sie hatte ihm bereits einmal erklärt, was sie davon hielt. Vor langer, langer Zeit, wie es schien, dabei waren es nur ein paar Monate. Und seine Worte zerstörten ihre letzte Hoffnung was ihn anging. Träumer mochte erkannt haben, das sein Herr eben kein Heiliger war. Aber das sein Gott Teil des Problems war? Das würde er nicht akzeptieren… Vielleicht war er nach allem, was er schon für seinen Glauben geopfert hatte gar nicht mehr in der Lage dazu. Und genau das war sie nun, dachte Naria. Nur ein weiteres Opfer für Träumer, für seine Ideale um sich zu beweisen, dass er noch etwas retten konnte, das von Anfang an verloren war. Und Tief im inneren wusste er   das auch…. Und damit war er   genau so verdammt wie sie alle…

 

 

Kapitel 55 Wiedergutmachung

 

 

 

Janis stand am Rand des Olivenhains und beobachtete die Männer, die vor ihnen über die Terrassen hinauf strömten. Risaras Wiederstand, wenn man ihn so nennen konnte, war leicht zu brechen gewesen. Die Häuser und Gebäude, die sich am Fuß mehrere großer Terrassen zusammendrängten, wurden nur durch eine einfache Holzpalisade geschützt. Die eigentliche Verteidigungslinie der Stadt waren die Berge selbst, die sie in einem annähernden Halbkreis umgaben und sie vom restlichen Land praktisch abschnitten. Wo die der Siedlung zugewandte Seite gut bebaut und in einzelne Terrassen und Hänge unterteilt war in denen Wein, Oliven und Obst gediehen, war die andere kaum bebaut und mit schroffen Felsen übersehen. Wenn man nicht klettern wollte, bestand der einzige Weg nach oben über steile Treppen, an denen sich einige versteckte Fischteiche befanden. Ein Angreifer würde es schwer haben die Stadt unbeschadet zu Land zu erreichen. Doch was nützten die Berge, wenn der Feind von See her kam?   Der Hafen war kaum verteidigt gewesen und die wenigen Schiffe, welche ihre Gegner ihnen entgegen geschickt hatten,   waren bereits wieder auf dem Rückzug gewesen, noch bevor der Hauptteil ihrer Flotte die Stadt erreichte. Der Rest war eine Frage der Zeit gewesen. Janis fragte sich ob der rote Heilige ihn absichtlich darüber im Unklaren gelassen hatte, wie die Dinge hier wirklich standen. So wie er es formuliert hätte, hätte man meinen können, Risara sei eine echte Bedrohung in ihrem Rücken. Aber das hier ? Das waren Bauern und Arbeiter, die versucht hatten ihre Unabhängigkeit zu verteidigen. Sonst nichts…

Janis stieg über ein gefallenes Banner aus blauem Stoff hinweg, welches das Doppelwappen des Kaiserhauses zeigte. Die Gardisten waren als letzte geflohen, nachdem der Hafen einmal in ihrer Hand war. Aber auch ihnen war letztlich nur der Rückzug aus der Stadt in die umliegenden Weinberge und   Bergterrassen geblieben. Janis hatte seine Männer aufgeteilt um die Pflanzungen und die Hütten hier draußen zu durchsuchen, bezweifelte allerdings, dass sie viel finden würden. Wenn die Leute klug waren, nahmen sie ihre Niederlage als endgültiges Zeichen n zum Aufbruch und suchten sich eine neue Bleibe, weiter fort vom Einfluss des roten Heiligen. Vermutlich hatten viele nicht einmal damit gerechnet, dass die Stadt Opfer eines Angriffs werden würde. Außer Wein gab es hier nur wenig und der Hafen wurde bei weitem nicht so oft von den Händlern angelaufen wie der in Erindal, wo man neben Wein auch Gewürzen und Warne aus den südlicheren Provinzen des Reichs bekam.

Janis selbst lief mittlerweile einen ausgetretenen Pfad zwischen den Olivenbäumen entlang. Auch hier machte der Winter sich bereits bemerkbar, wenn die Temperaturen auch noch recht mild waren und e sin dieser Gegend wohl auch blieben. Die Wurzeln der Bäume hatten sich unter den Weg geschoben und ihn aufgebrochen und größere Holzknoten und dünnere Ausläufer ragten wie die Überbleibsel riesiger Knochenhände aus dem Grund heraus. Es wäre leicht zu stolpern, dachte Janis. Die Klinge seines Schwerts blitzte in den vereinzelten Pfützen aus Sonnenlicht, die durch das Blätterdach herab drangen und den Weg in ein unregelmäßiges Muster aus hellen und dunklen Flecken tauchten. Auch wenn er nicht mehr mit Wiederstand rechnete, blieb er auf höchste gespannt, wusste man doch nie, was sich im Zwielicht alles verbergen mochte.

Stimmen drangen von weiter oben am Hang zu ihm herab und er erkannte die Schemen seiner eigenen Leute… oder wohl besser der des roten Heiligen, die sich gegenseitig etwas zuriefen. Nur Janis blieb still. Ihm war nicht daran gelegen, sich jemanden anzuschließen. Der rote Heilige und er waren fertig miteinander, das hatte er ihm deutlich gemacht. Für ihn war der Kreuzzug des Mannes allerhöchstens noch Mittel zum Zweck. Was immer in seiner Vergangenheit gewesen war, er hatte seine Entscheidung getroffen. Und zum ersten Mal hatte er auch das Gefühl, damit etwas richtig gemacht zu haben. Der Kaiser musste zur Strecke gebracht werden. Doch über dies hinaus Deckten sich seine Ziele nicht mit denen des Herrn der Ordnung… Und das hatten sie nie, oder?

Schwarz und silbern glänzten die Metallschuppen der Rüstung die er trug im Sonnenlicht, als er unter dem Blätterdach der Bäume hinaus trat. Das Symbol der Hand am Helm jedoch hatte er entfernen lassen. Und der Schmied hatte gute Arbeit dabei geleistet.

,, Warum ?“ , hatte ihn der rote Heilige an jenem Tag gefragt, bevor sie aufgebrochen waren. Und er meinte nicht, warum er das Symbol entfernt hatte. Sondern das, was es nun ersetzte. Auf den Blanken, silbernen Stahl waren die Umrisse eines schwarzen Baumes geätzt worden, eines verbrannten, toten Dings, das trotz des Feuers jedoch noch aufrecht stand…

Janis war die Antwort schuldig geblieben. Aber der Baum war Teil seiner Erinnerungen gewesen. Genau wie der stürzende Mann und die Brosche und all die Dinge, die er schlicht nicht miteinander in Einklang bringen konnte. Eine letzte Verbindung zu seinem alten Leben und der Schuld, die ihn heimsuchte.   Doch jetzt schien es ihm einfacher, damit klar zu kommen. Es zählte schlicht nicht mehr. Er zog in diesen Kampf aus freien Stücken und als sein eigener Herr, nicht weil alle zu versuchen schienen, ihn für sich zu gewinnen. Angefangen bei Träumer über Amatheris bis zum roten Heiligen selbst. Es würde keine Seite mehr für ihn geben… nur das was er mit eigenen Augen sehen und einschätzen konnte. Für und nach seiner eigenen Gerechtigkeit. Und er hatte die Zerstörungen gesehen, zu denen der Kaiser fähig war. Aber auch die Gnadenlosigkeit des Heiligen… Vielleicht sollte er beide zur Strecke bringen, wenn es in seiner Macht stand.

Seltsam wie sicher er sich dabei fühlte. Noch vor einigen Tagen hatte er nicht gewusst, wohin er sich wende sollte und nun überlegte er sich einem Gott in den Weg zu stellen. Der Gedanke entlockte ihm ein Lächeln, während vor ihm ein kleines Haus inmitten der Pflanzung auftauchte. Eine einfache Holzveranda erstreckte sich davor und ein kleiner Bachlauf versickerte etwas Abseits davon in einem Brunnen. Dazu kamen einige Blumen, die Wild auf dem Grundstück darum und in den Schatten unter den überhängenden Olivenbäumen wuchsen. Janis trat vorsichtig näher und sah zu den verschlossenen Fensterläden im Obergeschoss des Hauses auf. Aus einem der Balken, die ein Vordach über der Veranda trugen ragte ein Bolzen und in einem Fass, das in einer Ecke neben dem Brunnen stand steckte ein zweiter. Allerdings begann das Holz des Pfeilschaftes bereits zu verwittern. Wer immer sie abgeschossen hatte, hatte das nicht getan um Janis oder seine Leute abzuwehren.

Trotzdem behielt er seine Umgebung im Auge, als er unter das Vordach trat. Die Tür war eingeschlagen worden und Holzsplitter lagen bis in den Flur hinein verstreut. War bereits jemand hier gewesen? Einen Moment stand Janis unschlüssig vor dem zerstörten Eingang. Dann jedoch hörte er von drinnen die ersten Schreie und Rufe. Das Schwert noch immer gezogen setzte er über die Überreste der Tür hinweg. Er sah Möbel und Räume an sich vorbeifliegen, während er dem Geräusch nachging, sogar etwas, das für ihn aussah wie ein skelettierter Drachenschädel, der drohend von einem Regal hinab starrte… und dann stolperte er in das, was wohl die Küche des kleinen Anwesens war.

Große verglaste Fenster erlaubten einen Blick hinaus in die Gärten und   die Pflanzungen. Eine der Scheiben war jedoch zersplittert, die Scherben über den Boden verteilt. Knirschend zersprang das Glas unter seinen Stiefeln, als er eintrat. Der Mann war das erste was er bemerkte. Ein großer Klotz in einer dunklen Lederweste, der mit einer Steinschlosspistole herumwedelte. Dem Geruch nach zu urteilen der Janis entgegenschlug hatte er die Waffe allerdings bereits abgefeuert. Vermutlich hatte er die Scheibe des Fensters getroffen. Auf den haarlosen Stiernacken trug der Mann die Tätowierung einer roten Hand, die auf der hellen Haut fast wie eine Wunde wirkte. Allerdings wirkte er auch nicht wie jemand, der um Hilfe rief, dachte Janis bei sich. Die Schreie stammten von einem kleinen Kind, das sich an seine Mutter klammerte, die sich in eine Ecke des Raums duckte. Den Mann schien das Geweine des Kleinen wenig zu kümmern, stattdessen fuchtelte er nur erneut mit der Waffe, deutete auf irgendetwas in seiner anderen Hand. Janis erkannte die silberne Brosche als da was sie war. Ein kaiserliches Emblem. Genau wie das, das er selbst bei sich getragen und das er bei den Attentätern gefunden hatte. Der dazugehörige Mantel lag vor ihm auf den Boden, ein graues Stück Stoff, das nicht ganz den gleichen verblichen Farbton hatte wie die Umhänge der anderen Kreaturen. Und er gehörte definitiv nicht der Frau, dachte Janis bei sich. Das musste jeder sehen, der Augen im Kopf hatte. Der Mantel hätte hinter ihr auf dem Boden geschleift, hätte sie ihn getragen und war auch breiter geschnitten, vermutlich hätte sie das Kind und sich selbst dreimal darin einwickeln können…

Und wo sie eine Fremde war… Janis blieb regungslos mitten im Raum stehen, während sein Blick zu dem Kind hinab wanderte. Es konnte noch keine vier sein, dachte er. Ein Schopf heller blonder Haare bedeckte seinen Kopf und ein paar blasse, blaue Augen sahen zu ihm auf, trafen seinen Blick scheinbar einen Moment. Obwohl er trotz seiner fehlenden Erinnerungen schwören könnte, weder der Frau noch dem Kind je in seinem Leben begegnet zu sein… er kannte diese Augen, kannten den flehend, verletzten Ausdruck darin. Es waren die Augen des Fallenden… Das konnte nicht sein und doch war er sich in dem Leben an das er sich erinnern konnte selten etwas so sicher gewesen.

,, Was geht hier vor ?“ Seine Stimme klang wütender, als sie es sein sollte, während der Klotz herumfuhr, immer noch die Pistole in der Hand. Offenbar hatte er jetzt erst bemerkt, dass er nicht mehr alleine war. Etwas, das Janis nur mehr in seiner Annahme bestätigte, dass der eigentliche Besitzer des Umhangs nicht hier war. Tot, flüsterte eine Stimme. Gestorben. Durch meine Hand obwohl ich nicht die Klinge führte. Es war unmöglich. Und doch stand er hier…, seine Hand schloss sich fester um den Schwertgriff…

,, Ich stelle nur ein paar Fragen…“
,, Ich glaube ihr habt genug Fragen gestellt.“ Janis legte einen warnenden Ton in eine Stimme. ,, Der Mann den ihr sucht ist nicht hier und ich fürchte er wird auch nicht zurück kommen.“

,, Ach ja ? Und woher seit ihr euch da so sicher?“

,, Er ist tot. Gestorben durch meine Hand.“ Die Worte schienen den Mann mehr zu überraschen als die Frau. Während der Kerl Janis einen Moment völlig erstarrt anblinzelte, zog sie das Kind lediglich etwas fester an sich und versuchte scheinbar, durch die Wand zu verschwinden.

,, Ihr wahnsinnigen… Ihr…“ Ihr Blick traf den seinen, flüsterte nur das eine Wort,, Mörder… Mein Lucien hat nur seinem Kaiser gedient und das…“

,, Ruhe.“ , fuhr der Kerl sie an. ,, Da seht ihr es ja. Verräter an ihrem wahren Herrn. Wir sind hier weil wir die Sympathisanten des Kaisers ausräuchern wollen. Da habt ihr zwei…“
,, Ich sehe eine verzweifelte Witwe und ein kleines Kind.“ Janis schüttelte den Kopf. ,, Ihr werdet jetzt gehen. Schließt euch wieder den anderen an.“

,, Und wenn nicht ?“ Janis seufzte. Der Ton war noch nicht verklungen, da hatte er bereits das Schwert erhoben und machte einen geschmeidigen Schritt nach vorne. Der Stahl blitzte durch die Luft traf auf Fleisch, bevor der Mann noch verstanden hatte, was vor sich ging. Mit durchbohrter Kehle ging er zu Boden, Blut sickerte aus der Wunde und formte Rasch eine Pfütze um seinen Körper. Janis wischte die Waffe achtlos an der Kleidung des Toten sauber und schob sie zurück in die Scheide.

Kind und Frau sahen ihn nur wortlos an, selbst das Weinen hatte aufgehört.

,, Ich danke euch….“ Ihre Worte klangen hohl in seinen Ohren. Langsam bückte er sich, hob die Brosche auf, die der Kotz bei seinem Tod hatte fallen lassen. Blut troff davon herab, während er sie einen Moment in den Händen drehte.

,, Ich habe nur etwas zurück gezahlt.“ , meinte er kühl, wischte auch die Brosche sauber… und hielt sie ihr hin. ,, Wie heißt er ?“

,,L-Larion, Herr…“ Zögerlich nahm sie die Brosche entgegen.

,, Also ein wenig nach seinem Vater…Ich weiß nicht ob wir uns je wiedersehen.. aber ihr solltet zusehen dass ihr hier weg kommt. Und damit sollte euch niemand sehen. Versucht einen sicheren Ort zu finden. Und wartet nicht mehr auf ihn… Ich fürchte, dass es keine Hoffnung mehr gibt…“

Aber vielleicht gab es jetzt eine für sie, dachte Janis. Waren zwei Leben in der Lage, eines aufzuheben? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er dieses Mal das richtige getan hatte.

 

 

Kapitel 56 Flammen

 

 

Syle machte sich Sorgen. Das konnte Kellvian ihm ansehen. Das letzte mal als er einen Boten des roten heiligen angehört hatte, schien ein Leben lang zurück zu liegen, dabei waren seit jenem Tag nur wenige Monde vergangen. Und er hatte schwer dafür gebüßt, nicht? Damals hatte es ihn seinen Sohn gekostet. Blieb die Frage womit er diesmal zahlen sollte… Er hatte nichts mehr, dachte Kellvian düster. Was er ein Leben lang aufgebaut hatte, lag in Trümmern zu seinen Füßen, der Friede der ein halbes Menschenleben wehrte war nur noch eine ferne Erinnerung für sie alle. Am liebsten hätte er sich irgendwohin geflüchtet, hätte den Thron verlassen, dessen honigfarbener Stein für ihn kalt wie Eis war. In letzter Zeit schien ihm ohnehin nur noch kalt zu sein, sehnte er sich nach dem simplen Gefühl von Geborgenheit zurück und wenn es nur einen Moment wehren würde. Vielleicht wurde er auch langsam verrückt? Aber sein verstand war immer noch überdeutlich klar, er sah den Mann der eintrat, sah das Wappen das auf seinem zerschlissenen, braunen Umhang prangte. Die rote Hand des Heiligen.

Er hatte ihm einen Prediger geschickt, dachte Kellvian, einen der Männer, die jetzt überall durch das Land zogen und ihre Botschaft verkündeten. Fanatiker, aber immer noch Menschen nicht wie die übrigen Kreaturen des Herrn der Ordnung. Aber vielleicht machte grade das sie noch gefährlicher. Diese Männer handelten aus Überzeugung… und gingen dafür auch in den sicheren Tod nur um ihre Botschaft zu überbringen. Kellvian wusste, dass dieser Mann nicht hier war um zu Verhandeln. Nur um Forderungen zu stellen. Und einen Preis zu verlangen Aber das er hier war bedeutete wohl, das der rote Heilige nicht wusste, wie angreifbar die fliegende Stadt im Augenblick war. Grade zweitausend seiner eigenen Schwerter und einige hundert Zwerge unter Hadrirs Befehl waren noch in der Zitadelle zurück geblieben. Der König der Zwerge stand mit grimmiger Miene am Fuß des Throns und musterte den Boten des Heiligen noch eindringlicher als Syle. Oder als Quinn, der mit in den Ärmeln verschränkten Hände dastand, das Gesicht eine Maske die keine Emotionen durchblicken ließ.

Doch selbst mit diesen wenigen Verteidigern war die fliegende Stadt kein leichtes Ziel, das musste auch dem roten heiligen klar sein, ob er nun über ihren Zustand unterrichtet war oder nicht. Es würde Wochen oder Monate der Belagerung erfordern auch nur einen Weg vom Grund in die Straßen der Metropole zu erkämpfen, falls dies den überhaupt möglich war. Die fliegende Stadt war noch nie durch einen offenen Kampf in Feindeshand geraten, wenn sie am Himmel schwebte, immer nur durch Verrat und lange Pläne. Ein Angriff könnte scheitern und würde selbst bei Erfolg tausende wenn nicht zehntausende das Leben kosten. Doch gegen die Übermacht und die Kontrolle die der rote Heilige nun über das Land besaß konnten sie nicht hoffen ewig zu bestehen… Also würde er Bedingungen stellen, dachte Kellvian.

,, Sprecht.“ , meinte er an den Boten gerichtet. ,, Was hat euer Herr uns mitzuteilen ?“ Sie hatten den Mann vor der Stadt aufgegriffen und nur mit verbundenen Augen in die Stadt und   bis zum Thronsaal gebracht, nachdem sich Quinn persönlich versichert hatte, das er harmlos war. Zumindest so harmlos wie es ein Fanatiker, auch ohne magische Fähigkeiten, sein konnte, dachte Kellvian.

,, Mein Gott und sein erster Diener, haben euch in all ihrer Gnade und Glorie ein Angebot zu machen, falscher Kaiser. Ihr wisst, dass euer Land uns gehört. Eure Städte dienen jetzt dem wahren, dem einzigen Glauben!“ Ihr meint er hat diejenigen zu Asche verbrannt, die es nicht tun, dachte Kellvian sprach es jedoch nicht aus. Er konnte, wollte sich nicht auf eine Konfrontation mit diesem Mann einlassen. Auch wenn alles in ihm danach schrie, seine Worte Lügen zu strafen, ihn wenigstens mit Worten herauszufordern… fühlte er sich doch nur müde.

,, Euer Kampf ist vergebens, das muss euch klar sein. Ihr steht gegen den Willen eines Gottes und für diese Ketzerei kann es nur eine Strafe geben! Doch mein Herr kennt auch Gnade. All jene, die sich seinem Willen unterwerfen werden vom reinigenden Feuer verschont. Alles was ihr dazu tun müsst ist… euch zu beugen. Eure Männer können Leben, als Diener der neuen Ordnung. Wenn ihr hier aufgebt. Alles was mein Herr verlangt ist genau das: Ihr dankt ab, Kaiser. Ihr wiederruft euren Anspruch auf diesen gestohlenen Thron, einen Thron den euer Vorfahr sich mit dem Blut der Unschuldigen erkauft hat und ihr erkennt den Herrn der Ordnung als wahren Herrscher der Welt an. So wie es sein muss, so wie es schon immer sein sollte! Das Haus Belfare muss seine Lügen der Welt gegenüber bekennen, dann kann Frieden herrschen… und dann Kaiser, wird man über euch richten.“

Stille senkte sich über die Halle.

,, Herr ?“ Syle sah fragend zu ihm auf, als er nicht antwortete. Das war also der Preis, dachte Kellvian. Nicht sein Leben… er hatte damit abgeschlossen, das er in dieser Stadt sein Grab finden würde. Aber sein Stolz, oder was auch immer davon noch übrig war. Er sah zu Quinn. Seine Prinzipien hatte er schon geopfert. Was bedeutete ihm sein Stolz wenn es ein paar Leben retten konnte? Aber wenn sie hier aufgaben, was wurde aus Galren? Der Junge ist vermutlich Tod, meinte eine leise aber beharrliche Stimme in seinem Kopf. Tod und erfroren in der Weite oder schon in den Händen des Feindes. Du hast nichts mehr von ihm gehört, seit sie aufgebrochen sind…

,,Herr ?“ , wiederholte Syle und riss ihn aus seinen Gedanken. Er wartete noch immer auf eine Antwort, aber welche konnte er ihm schon geben?

,, Seit ihr nur hier um uns zu verspotten ?“ , fragt Hadrir derweil kalt. ,, Wir wissen beide, wie dieses… Gericht aussehen würde. Der rote heilige und eine scharfe Klinge. Keine Worte, keine Verteidigung…“
,, Das Urteil wurde vor langer Zeit gesprochen.“ , meinte der Prediger nur.

,, Keineswegs, ich biete euch die Gnade Gottes an. Das ist mehr als die meisten Sünder erwarten können! Die Schuldigen wissen, dass sie schuldig sind. Aber um Vergebung zu erfahren müssen sie es auch… einsehen. Ansonsten kann man sie nur noch dem Feuer überantworten, die Entscheidung für sie treffen und ihr Leid beenden.“

,, Was euer Herr uns anbietet, sind Feuer und Schreie . Brennende Städte und Scherben, Leichen und das Lachen eines Wahnsinnigen über dem Qualm hinweg.“ Quinn trat vor, sein Gesicht noch immer eine kalte, emotionslose Maske.

,, Und ihr Zauberer ? Was ihr uns bietet sind anscheinend Klingen im Dunkeln. Sagt mir was davon wiegt schwerer?“

Alos hatten Quinns Männer tatsächlich versagt, dachte Kellvian.

,, mit Schwertern im Dunkeln kennt ihr euch ja aus.“ , warf Quinn dem Prediger entgegen. ,, Der Kaiser wollte bereits einmal mit euch verhandeln, stattdessen habt ihr ihn attackiert, seinen Sohn getötet und nun sagt ihr mir ob ihr überhaupt noch das Recht habt, das man euch anhört ! Ich kenne euren Herrn, den Heiligen, seine Gedanken, jeden einzelnen düsteren Schwur auf Rache, den brennenden Hass und die Abscheu vor allem. Ich kenne sie weil es einst auch die meinen waren. Und deshalb sage ich euch, es wird keinen Frieden geben, nicht unter ihm. Selbst wenn diese ganze Welt ihren Stolz abschüttelt, ihre ganze Größe ihre Pracht verleugnet und sich vor eurem Dämon im Staub windet… würden die Schreie kein Ende finden, die Feuer weiter lodern, bis von unserem Land nur noch Asche übrig ist. Ihr bietet uns keine Wahl für das Leben nur über die Art unseres Todes. Erhobenen Hauptes oder langsam und   kriechend. Und ich bin ehrlich gesagt zu Alt und stur um mich vor jemanden zu verneigen, der es sich nicht verdient hat. Vor einem Emporkömmling, der sich Narren wie euch bedienen muss ohne das ihr es auch nur merkt, einen Mann der nicht einmal versteht was Frieden ist oder es will. Nein… ich glaube ich werde genau hier bleiben und auf diesen beiden Beinen. Ihr könnt ja versuchen sie zu brechen…“
Quinn war dem Boten jetzt gefährlich nahe gekommen, beugte sich zu ihm herab und einen Moment meinte Kellvian tatsächlich so etwas wie Angst in den Augen des Mannes zu erkennen.

,, Ihr werdet für diese Worte brennen, Zauberer.“

,, Nicht vor euch, das schwöre ich euch.“ Quinn schenkte dem perplexen Prediger sein charmantestes Lächeln, das allerdings immer noch geeignet war, einem Schauer über den Rücken zu jagen. ,, Wenn wir ins Feuer gehen… dann kommt ihr alle mit…“

Kellvian wusste, er hätte Quinn zurück halten sollen. Und doch auch dafür schien er nicht den Willen finden zu können…

,, Herr, was dieser Mann fordert ist… Blödsinn.“ Syle stieß mit dem Fuß des Bajonetts das er trug auf den Boden. ,, Schickt ihn fort…“ Der Hochgeneral sah nur einmal in seine Richtung, aber der Blick reichte ihm auch. Sagt etwas ich bitte euch… Kellvian schloss die Augen. ,, Bitte…“ Die Stimme des Bären war leise, kaum ein Flüstern, doch in der Stille der Halle nur allzu gut zu verstehen. ,, Ich habe nie Angst an eurer Seite empfunden, Herr. Niemals. Und wenn ihr uns in den Abgrund und is Herz der Dunkelheit selbst   führt, ich folge euch solange mich meine Füße tragen. Da draußen stehen zweitausend Mann, denen es nicht anders geht und ob ihr es nun von ihnen verlangt oder nicht, ob ihr ihnen Befehlt bei Seite zu treten oder die Waffen niederzulegen, keiner von ihnen wird zulassen das auch nur ein einziger der Anhänger dieses Irren in eure Nähe kommt. Ich werde das nicht. Aber euer Schweigen… es erfüllt mich mit Furcht…“
,, Und wieder sollt ihr mit dem Blut anderer bezahlen als mit dem euren.“ Der Prediger legte den Kopf auf die Seite. ,, Eure Entscheidung, falscher Kaiser.“

Kellvian erhob sich langsam… und schüttelte den Kopf. ,, Ich danke euch. Aber ihr müsst verzeihen.“ Ein dünnes Lächeln huschte über seine Züge, er sah in das Gesicht des Predigers der ihm erwartungsvoll entgegensah. Nein… Kellvian schloss die Augen. Niemals, dachte er. Er war müde. Er wollte nicht mehr, sehnte sich nach Ruhe und nur etwas   Geborgenheit, nach einem Moment seines alten Lebens, nach Jiy nach Janis , selbst nach dem Trouble der Bittsteller und dem ewigen Gerangel der Fürsten , doch all dies hatte er verloren. Verloren durch die Hand eines Monsters in Menschengestalt, das jetzt auch noch verlangte, das er vor ihm kroch ? Er wusste nicht ob sie noch eine Chance hatten ob ihr Kampf hier etwas bedeutete. Für Jiy, für Galren und all die anderen. Oder ob es das unausweichliche nur hinauszögern würde. Aber er war noch nicht bereit jede Hoffnung aufzugeben. Egal was noch kam… ,, Ich werde als der letzte Kaiser meiner Linie in die Geschichte eingehen.“ , meinte er.

,, Herr…“

,, Euren Namen wird man schwer noch in irgendwelchen Aufzeichnungen finden.“ , meinte der Prediger kalt , ein überlegenes Grinsen auf seinen Zügen.

,, Wirklich ? Ich habe durchaus vor ihn dort zu verewigen, wisst ihr? Und zwar mit eurem Blut. Ihr habt meinen General und Quinn gehört. Und ich glaube Hadrir hier wird ihnen zustimmen.“ Der Zwerg nickte und legte eine Hand demonstrativ auf den Griff des schweren Kriegshammers den er vor sich auf dem Boden abgestellt hatte. ,, Sie werden sich nicht ergeben und wer bin ich, nur ein falscher Kaiser, dass ich ihnen ihren selbst gewählten Tod verwehre? Wenn es nur um mich ginge, schön. Aber das tut es nicht, oder? Es tut mir Leid, aber Nein. Ihr werdet euren Herrn enttäuschen müssen…“
,, Ihr verspottet mich…“ Das Lächeln des Mannes war erloschen, stattdessen war da nur noch Wut. ,, Ihr…“

,, Ich euch ?“ Kellvians Stimme hallte von den Wänden des Thronsaals wieder. ,, Ich glaube ihr habt euren eigenen Worten nicht gelauscht. Jedes Wort eine kleine Beleidigung. Gegen mich, gegen jeden Kaiser der je in dieser Halle saß, gegen alles, für was dieses Land einst stand. Ordnung, wahre Ordnung ohne die Menschen zu erdrücken und den Willen sich über alles hinweg zu setzen und aus den Scherben einer ganzen Welt etwas Neues zu formen. Von Kirus Ordeal bis Tiberius und von Simon bis zu mir, viele mögen Dispoten und Tyrannen gewesen sein, manche waren Helden und wenige Verrückte vielleicht noch größer als euer Herr. Aber ein jeder von ihnen war ein Mensch. Und keiner von ihnen hat dies je vergessen im Gegensatz zu eurem Heiligen und seinem wahnsinnigen Gott. Und als Menschen haben sie geherrscht und als Menschen sind sie gestorben. Und ich beabsichtige das gleiche zu tun. Wir sind immer noch hier, das brennende Feuer das immer noch im Herzen des Kaiserreichs schlägt und wo es sonst erloschen scheint, glimmt unter der Asche nach wie vor die selbe Glut . Und ein Feuer kann man neu entfachen. Sagt eurem Herrn dies: Wenn er uns herausfordern will, soll er es versuchen. Aber was ihm entgegentreten wird sind immer noch die Überreste eines Sturmes und wenn er uns geschlagen glaubt, soll er sehen wie wir uns aus der Dunkelheit erheben… Syle… bringt ihn weg.“

Der Gejarn nickte und wo zuvor noch Hoffnungslosigkeit gewesen war, glitzerte jetzt wieder ein Funken von Stolz. Kellvian sah ihm nach, während man den Prediger wieder aus dem Raum eskortierte und berührte wie beiläufig den Schwertgriff an seiner Seite. Bald würde diese Klinge alles stehen was zwischen ihm und dem Tod stand. Und seltsamerweise fühlte sich das Metall des Hefts warm an, fast heiß genug um sich daran zu verbrennen, wie etwas Lebendiges…

 

 

 

Kapitel 57 Letzter Brief

 

 

Die Waffe bot einen ehrfurchtgebietenden Anblick. Auf einem simplen, drehbaren Rahmen auf Holz aufgebaut funkelte einem der Tod aus hundert Mündungen entgegen, die alle auf einer gemeinsamen Achse montiert waren. Feuerte eines der Geschütze, setzte der Druck der Explosion eine Feder in Gang, die direkt das nächste an seine Stelle rückte. Es dauerte ewig, eine dieser Waffen wieder nachzuladen, doch feuerten sie einmal, blieb in ihrem Schussfeld nur Tod und Zerstörung zurück, wenn eine Unzahl schwerer Bleikugeln durch die Luft segelten. Eine einzige Salve konnte eine komplette Abteilung Soldaten in die Flucht schlagen und dabei dutzende von Opfern fordern. Zerstörung, die man sonst nur einem Magier des Ordens zutraute aus den Eingeweiden einer Maschine.

Syle hatte den Aufbau der Salvengeschüzte überwacht. Lange hatten sie in den Arsenalen der fliegenden Stadt geschlummert und eigentlich hatte sich der Bär nie träumen lassen, sie einmal einsetzen zu müssen. Der Palast und die Stadt selbst galten eigentlich als uneinnehmbar… Doch wenn es nötig war verfügten sie hier über die zerstörerischen Waffen, die die Arsenale der kaiserlichen Armee hergaben. Je ein dutzend Maschinen standen nun an jeder Seite der Stadt bereit, genauso wie auf den Türmen des Palastes, so wie hier. Unter normalen Umständen hätte alleine die Feuerkraft dieser Geschütze ausgereicht um wohl jeden Feind innerhalb von Augenblicken in die Flucht zu schlagen, während sich die Luft um sie herum mit Blei füllte. Und das war ohne das eine einzelne Muskete oder Kanonen abgefeuert worden wäre. Doch das hier waren keine normalen Zeiten und ihre Gegner verfügten über Magie. Sehr viel mehr und stärker als alles, was der Orden hervorbringen konnte.

Nein… so bedrohlich die neuen Waffen waren, Syle bezweifelten das es ausreichen würde, während er über die Dächer der Stadt hinaus sah. Der Himmel war klar und die Sonne schien auf die breiten Straßen und Plätze hinab, welche die schwebenden Inseln um den Palast herum durchzogen. Der Schnee schmolz langsam auf einer Unzahl Dächer und in den großen Parks, die nun nur noch von dürren, laublosen Bäumen und braunem, toten gras bestanden waren. Kleine Ströme aus Schmelzwasser flossen über die Rinnsteine und durch Abflüsse im Fels über die Ränder der Stadt hinaus. Beständig fielen Tropfen von den noch gefrorenen und von Eis überkrusteten Zinnen des Turms herab auf dem Syle sich befand und der kalte Wind ließ ihn trotz der mit Wolle gefütterten Uniform und seines eigenen Pelzes schaudern. Einzelne Schneeflocken trieben noch immer durch die Luft und verfingen sich auf den verbrämten Ärmeln und dem Kragen des blauen Offiziersmantels den er trug. In goldenen Fäden gestickt prangte das Wappen des Kaisers auf den Aufschlägen und am Rücken des Mantels, Adler und Löwe. Gejarn und Menschen, dachte er bei sich. Vereint nicht getrennt. Auf eine Weise symbolisierte sein hier sein genau das. Kaiser und Hochgeneral… Und dieses Mal würden sie ein Schicksal teilen.

Der Mann neben ihm schien seine Gedanken zu teilen. ,, Unsere Verteidigung ist so lückenlos wie sie sein kann, wenn man bedenkt wie wenige wir sind, Herr. Und dennoch…“

Der Hauptmann der Garde war von Syle persönlich ausgesucht worden. Ein Mensch mittleren Alters, dessen Haar an den Schläfen bereits zu ergrauen begann. Ein roter Schnurbart dessen Enden nach oben geflochten waren sorgte dafür dass sein Gesicht immer wirkte, als sollte er eigentlich Lächeln. Doch die tiefen Falten auf seiner Stirn sprachen eine andere Sprache.

,, Aber wir werden den Palast halten.“ , versprach er. ,, Niemand hat je die Garde geschlagen, wenn sie hier kämpfte. Und trotzdem wäre es mir lieber zu wissen, dass der Kaiser nicht hier wäre. Ihr kennt ihn besser als ich, Hochgeneral. Aber er sollte nach Vara gehen, solange noch Zeit dafür ist. Noch sind die Armeen des Herrn der Ordnung weit genug weg, noch gibt es einen Korridor nach Vara. Er hat keine Erben mehr… Es gefällt mir nicht.“

Nein, dachte Syle. Wenn Kellvian starb wäre seine Linie am Ende. Und das sie alle der Tod erwartete darüber machte sich hier keiner mehr Illusionen, er genau so wenig wie der Kommandant der Leibgarde.

,, Mir wäre bei diesem Gedanken auch wohler, glaubt mir. Aber Kellvian glaubt zu tun, was er tun muss. Und ich habe nicht vor ihn was dies angeht in Frage zu stellen.“

,, Meine eigene Familie ist schon auf dem Weg dorthin.“ , meinte der Hauptmann leise und Syle sah das erste Aufblitzen von Zweifel in seinen Augen.

,, Fürchtet ihr sie nie wieder zu sehen ?“ Von hier oben konnten sie auch die Palastgärten überblicken die nach dem ersten Frost und Schnee genauso öde und verlassen dalagen wie die Parks in der fliegenden Stadt selbst.   Syle konnte nicht behaupten, dass er die Befürchtungen des Mannes so leicht nachvollziehen konnte. Er selbst hatte keine Familie. Oder zumindest keine mehr, die ihn anerkennen würde. Während der Aufstände der Clans unter Konstantin Belfares Herrschaft hatte man ihn verstoßen. Kellvian, Jiy und Janis und Quinn… das war seine Familie, dachte er auch wenn er ihnen das niemals sagen würde oder könnte. Nicht mehr. Er war der Hochgeneral, sie die Herrscher und Quinn Meister der Magier.

,, Ich fürchte, dass wir nicht standhalten werden, Herr. Ja ich gebe zu ich denke darüber nach ob s nicht besser wäre, meinen Posten zu verlassen, selber nach Vara zu gehen. Jeden Tag. Wenn wir uns hier nicht halten können… ich würde es mir nicht verzeihen dann wenigstens nicht bei ihnen gewesen zu sein, versteht ihr? Und doch wenn ich das tuen würde… ich würde mich für den Rest meines Lebens fragen ob es nicht einen Unterschied gemacht hätte, wenn ich hier gewesen wäre. Mein Verstand gehört dem Kaiser, aber mein Herz… “

Syle verstand nur zu gut. ,, Euer Herz gehört euch. Kein Mann kann mehr von euch verlangen. Ich kenne das Gefühl. Und ich kann euch sagen es wird nicht besser werden falls wir verlieren und die nächsten Tage überleben.“ Nein… Er war nicht da gewesen um Janis zu schützen, er war nicht da gewesen um Lucien zu retten. Dieses Mal nicht. Sein Dilemma war das gleiche wie das des Hauptmanns. Wie hieß es doch? Behandle deine Soldaten wie deine Söhne und sie werden dir bis in den Tod folgen. Vielleicht war das genau sein Fehler, dachte Syle. Das er sonst keine Familie hatte. Jeder dieser Männer die er in den Tod schicken musste war ein Kind für ihn…   ,, Egal was ihr tut… beides ist falsch. Und beides richtig.“

Und doch würde er bleiben, das konnte Syle ihm ansehen, noch bevor er kurz vor ihm salutierte.

,, Nein Herr… mein Herz will dorthin, mein Verstand woanders hin. Aber mein Körper bleibt genau hier, in dieser Stadt. Und ich fürchte für immer.“ Diese Männer waren Loyal, egal was sie dabei verloren.

Syle verabschiedete sich von dem Mann und trat von der Plattform des Turms hinab. Eine Öffnung im Boden bildete den Zugang zu einer langen, gewundenen Treppe, die über Erkerfenster und Balkone hinab in die Räume des eigentlichen Palastes führte. Die Verteidigung der Stadt stand bereit. Sonst gab es nichts mehr zu tun für ihn, außer zu warten. Und so machte er sich schließlich auf den Weg

In Richtung Thronsaal in der Hoffnung Kellvian dort zu finden.

Die große Halle lag verlassen und Still da, als er sie fand. Nur das leise, kaum wahrnehmbare Summen der Kristalle erfüllte den Raum zusammen mit dem Echo seiner eigenen Schritte. Der Bernsteinthron war verweist, das Licht das den Raum durchflutete brach sich an tausenden von Staubfocken die darin wie Gold glitzerten. Syle sah auf zum Gemälde des Abendhimmels an der Decke und fand es selten so passend wie in diesem Augenblick. Sie standen in der Abenddämmerung des Kaiserreichs. Die bevorstehende Schlacht würde ihr aller Schicksal entscheiden. Syle wollte sich bereits wieder zum Gehen wenden, als er doch ein Geräusch hörte. Ein Stück Papier, das scheinbar aus dem Nichts hinter dem Thron hervorflog und über den Boden rollte. Der Bär blinzelte einen Moment irritiert, bevor er näher trat.

Kellvian Belfare saß auf dem Boden hinter dem Thron an die Rückenwand des Marmorsockels gelehnt, welche die Konstruktion hielt. Tine und Feder standen neben ihm auf dem Boden und auf dem Schoß hatte er einen ganzen Stapel leeres Papier. Nachdenklich tippte er mit der Feder gegen die untere Ecke eines der Papierbögen und zeichnete dabei eine Linie aus dünnen Tintenpunkten. Ein paar Zeilen waren bereits am oberen Ende entstanden, doch kaum genug für einen Brief.

,, Was tut ihr da, mein Herr ?“ Er musste Syle wohl schon bemerkt haben, den weder zeigte er sich überrascht noch versuchte er irgendwie sei Werk zu verbergen. Ohne aufzusehen überflog er die wenigen eilen die er bereits geschrieben hatte. Ein Dutzend weitere Papierknäule, ähnlich dem das er zuvor fortgeworfen hatte lagen bereits um ihn herum auf dem Boden verstreut.

,, Schreiben. Und einmal in meinem Leben werde ich das keinem Schreiber anvertrauen, mein Freund… Nein… Und hier hat mich bisher niemand gefunden. Außer euch.“

Syle verstand langsam, an wen diese Worte gerichtet sein würden. Jiy. Natürlich Jiy. ,, Verzeiht, Herr, aber das ist nicht sehr kaiserlich von euch.“

Kellvian lächelte dünn. Wie er so am Boden saß, beide Beine von sich gestreckt, erinnerte er Syle wieder an den Jungen den er einst durch die halben Herzlande gejagt hatte. Ein naiverer, jüngerer… aber wohl auch glücklicherer Kellvian.

,, Und wer wäre hier um es zu sehen ? Nur ihr.“ , meinte er, während er die Feder wieder ins Tintenfass tauchte und dem Brief noch ein paar Zeilen hinzu fügte. Syle wagte nicht sie sich näher anzusehen. Dieser Brief war nicht für ihn oder sonst jemanden bestimmt. Er wusste durchaus was Kellvian da schrieb und wie es gemeint war. Seine letzten Worte, ein Testament… aber nur für die Augen der einzigen Person bestimmt, die er je geliebt hatte… Und er hatte sie fortgeschickt. Genau wie der Hauptmann. ,, Ich kenne euch seit meiner Kindheit Syle. Wenn ich nicht vor euch ein Mensch sein kann, vor wem dann? Die Leute da draußen glauben, ich sei ein Gott oder so etwas. Jemand der die Macht hätte, sie noch zu schützen. Aber das bin ich nicht, nicht wahr?“ Er faltete das Blatt Papier zusammen und ließ etwas Wachs aus einer kleinen Kanne auf die Faltung tropfen, bevor er das Siegel hinein drückte. ,, Ich bezweifle allerdings ohnehin, das dieser Brief je sein Ziel erreicht. Wir sind jetzt nicht mehr weit vom Ende entfernt.“
,, Nein, Herr…“ Syle räusperte sich. ,, Kellvian. Es war eine Ehre…“

In diesem Moment flogen die Türen des Thronsaals erneut auf und ein Mann in der Kleidung eines Boten der kaiserlichen Garde stolperte in den Raum. Seine Kleidung war verschwitzt und die Haare fielen ihm feucht und wirr ins Gesicht.

,, Hochgeneral, Syle, Herr… sie sind hier. Soeben sind unsere Späher auf die ersten Ausläufer der Armee des Herrn der Ordnung gestoßen. Sie haben sich zur Stadt zurückgezogen, aber der Feind ist direkt hinter ihnen. Wir müssen den Kaiser informieren…“
,, Der Kaiser ist genau hier.“ , rief Kellvian hinter dem Thron hervor. ,, Geht, ruft alle Männer zusammen , sie sollen sich am der Armee zugewandten Ende der fliegenden Stadt sammeln.“

Der Bote zögerte einen Moment, wohl verwirrt darüber, warum er seinen Herrscher nicht einmal zu sehen bekam, zuckte dann jedoch nur mit den Schultern und machte auf dem Absatz kehrt. Syle sah ihm einen Moment nach, während Kellvian gegen die Rückenlehne des Throns sackte.

,, So viel also dazu.“ , meinte er und drehte den versiegelten Brief einen Moment in der Hand. Er würde unterwegs einen Boten finden müssen oder jemanden, der eine Brieftaube losschicken konnte. Und dann sah er zu Syle auf. ,, Helft mir auf und dann… bringen wir das hier zu Ende.“

Syle nickte und ergriff seine Hand als Kellvian sie ihm entgegen streckte. Mit einem Ruck zog er seinen Kaiser auf die Füße.

,, Wir kommen hier nicht mehr raus.“ , meinte er. ,, Und sie kommen irgendwann hier hoch.“

,, Und wir werden sie erwarten. Ich habe unserem Feind einen Sturm versprochen, Syle. Was meint ihr, wollen wir dieses Versprechen einlösen?“

 

 

 

 

Kapitel 58 Die Belagerung

 

 

 

Eisiger Wind schlug Kellvian entgegen, als er auf die Plattform am Rand der fliegenden Stadt hinaus trat. Die einzelnen Bezirke und schwebenden Inseln waren durch ein Netz aus silbernen Brücken miteinander verbunden, so dass das Ganze von unten die Silhouette eines großen , unförmigen Spinnennetzes zu besitzen schien, doch die wenigsten Gebäude standen direkt am Rand der einzelnen Inseln. Lediglich die Winden und die Räume, die die großen Seilzüge für die Gondeln beherbergten lagen direkt am Abgrund. Ansonsten jedoch gab es nur  eine große, mit Marmor gepflasterte Fläche, deren Ende ohne Geländer in die Tiefe abfiel. Normalerweise meiden diemeisten Einwohner der Stadt  die Ränder, wenn sie die Stadt nicht verlassen wollten. Nun jedoch waren die meisten von ihnen längst geflohen und fast zweitausend Mann im Blau der kaiserlichen Garde hatten mit etwas Abstand zum Abgrund Aufstellung genommen. Kanonen und Salvengeschütze waren in Regelmäßigen Abständen entlang der Kante aufgestellt geworden, jedes einzelne bemannt und feuerbereit  und Abseits der kaiserlichen Truppen hatten sich auch Hadrir umgeben von einer Leibgarde aus Zwergen in schweren Vollpanzern und Quinn eingefunden. Der alte Ordensmeister wurde unterdessen nur von einer Handvoll Zauberer in den türkisfarbenen Roben des Ordens begleitet. Mehr hatten sie nicht… und Kellvian wusste, dass es nicht reichen würde.

Das Land vor der Stadt war fast vollständig unter den Körpern von tausenden bewaffneter Männer verschwunden. Manche trugen schwere Panzer, andere einfache Kleidung und manche Uniformen die zeigten das sie wohl einst zur Garde gehört hatten. Nun jedoch prangte auf den weißen Bannern, die über ihren Köpfen wehten die entstellte, rote Hand der Ordnung, das Wappen des roten Heiligen. Und Abseits der Menschen konnte Kellvian die Erwählten sehen. Manche waren entstellte Monstrositäten auf zwei, vier  oder sechs Beinen, geflügelte Schrecken und tobende Kreaturen. Andere verhüllten ihre zerstörten Körper mit schweren, dunklen Roben, die kaum verbergen konnten, wie verdreht die Wesen darunter waren. Rote Augen, deren Leuchten selbst auf die Entfernung wie kleine Glutpartikel zu erkennen war sahen zu ihnen herauf. Das Grasland war fast vollständig unter ihnen verschwunden, der Schnee zu schmelzen begonnen und den Weg der Armee als eine breite Linie aus aufgewühltem Schlamm verwandelt, die sich wie eine Narbe durch die Landschaft zog.

Zu viele, dachte Kellvian als e rüber das Heer hinweg sah. Viel zu viele…

Die Männer schauderten bei dem Anblick, manche schreckten zurück. Die fliegende Stadt war riesig, doch selbst sie konnte einem Ansturm dieser Größe nicht standhalten. Aber das hatten sie alle gewusst. Und doch es jetzt vor sich zu sehen… Kellvian schüttelte die Verzweiflung ab, die auch nach ihm greifen wollte. Die verängstigten Soldaten wichen zurück um ihrem Kaiser Platz zu machen als er entschlossen vortrat. Er hatte die Rüstung von Simon Belfare angelegt… wie jeder Kaiser seiner Linie vor ihm.  Der Stahl blitzte in der Farbe von antikem, angelaufenem Gold und Silber und die mit türkisfarbenen Kristallen eingelegten Runen darauf schienen von selbst zu glühen. Ein Umhang   aus rein, weißem Stoff wehte hinter ihm und als er das Schwert zog und sich wieder zu seinen Männern umdrehte, konnte er einen Moment lang wieder so etwas wie Hoffnung in ihren Augen sehen. Er war nur ein Mann… Aber das waren seine Vorfahren ebenfalls gewesen. Und manchmal, dachte er, reichte ein Mann aus… Er hoffte es zutiefst.

Die Klinge blitzte im Licht der Sonne, als er sie in die Höhe reckte, blendete einen Moment lang sowohl seine wartenden Männer wie auch die Armee, die sich in der Tiefe formierte.

,, Dieser Kampf wird nicht um der Ehre willen geschlagen. Es wird für euch weder Ruhm noch Glorie zu gewinnen geben.  Wir sind wandelnde Tote!  Wir haben keine Zukunft mehr! Aber ich habe unseren Feinden einen Sturm versprochen und einen Sturm sollen sie bekommen. Seht sie euch gut an, seht sie an, die Dunkelheit die uns herausgefordert hat steht vor unseren Toren. Und heute ist unser Moment gekommen. Der Moment zurückzuschlagen, der Moment sie mit allen zu Strafen was uns geblieben ist! Die Zeit des Zögerns ist vorbei, der Moment der Angst vergangen.  Und jetzt seid Sturm, seid Feuer und wenn wir fallen, dann werden wir dies  als letzter Lichtfunke der alten Welt tun! Ein Funke der noch Brennen wird wenn man in tausend Jahren an uns zurück denken wird. Das schwöre ich euch. Hier und jetzt. Keinen Schritt zurück !“

Und zweitausend Kehlen, Menschen, Zwerge, Gejarn griffen den gleichen Ruf auf, der die Steine der Stadt einen Moment erzittern ließ. Vierhundert Streithämmer , Äxte , Musketen und Schwerter wurden in die Höhe gerissen, als Hadrir seine Zwerge in Richtung Abgrund führte und sofort folgten die Kanoniere der kaiserlichen Garde , kehrten an ihre Posten an den Geschützen zurück. Kaum war der Ruf verklungen da brandete auch schon der Donner der ersten Kanonensalve über sie. Drei Dutzend Geschütze, die gleichzeitig feuerten und Tod auf die Armee hinab regnen ließ, die unten vor der Stadt wartete. Ihre Reihen wurden zerrissen und Männer durch die Luft gewirbelt und so gering der Schaden bei der Masse an Kriegern war, die man ihnen entgegenschickte… Kellvian konnte ein grimmiges Lächeln nicht unterdrücken. Solange ihre Gegner dort unten waren, würden sie für jeden Moment den sie in Reichweite bleiben mit ihrem Blut zahlen. Und während die Kanonen noch nachgeladen wurden und die Zwerge mit den abgefeuerten Musketen zurück traten, dirigierte Syle bereits die erste Reihe Gardisten nach vorne. Kaum eine halbe Minute nach der ersten Salve folgte die zweite, riss blutige Schneisen in die Reihen ihrer Gegner, die auseinandersprangen um weniger leichte Ziele abzugeben. Das hieß bis auf die Geweihten und die Erwählten des roten Heiligen…

Kellvian stand am Rand des Abgrunds und spähte neben einer Kanone in die Tiefe,  hinab zu den verhüllten gestalten, die von den größeren Monstrositäten vor dem Beschuss abgeschirmt wurden. Die Dämonen des Herrn der Ordnung schüttelten Musketen und Kanonenkugeln gleichermaßen wie lästige Fliegen ab. Irgendetwas ging da unten vor, dachte er.

Eine Kugel von unten jagte knapp an seiner Schulter vorbei. Auch die Männer des roten heiligen erwiderten das Feuer nun, doch wo Kellvian und seine Männer eine breite Auswahl an Zielen hatten, konnten sie nur auf diejenigen Zielen, die direkt am Rand der Stadt standen und mussten nach oben feuern. Die meisten Geschosse erreichten die fliegende Stadt erst gar nicht. Und wo sie es doch taten sirrten sie meist harmlos und weit an ihrem Ziel vorbei. Ein Mann direkt neben Syle wurde von einer Kugel gestreift und rasch von den anderen zurückgerissen damit er nicht in die Tiefe taumelte. Der Bär seinerseits hatte derweil den Befehl über die Salvengeschütze übernommen, die ebenfalls wieder geraden waren und konzentrierte deren Feuer nun auf die Geweihten, die sich abseits der Hauptstreitmacht sammelten. Er hätte genauso gut auch auf das offene Land zielen können, dachte Kellvian. Eine einzelne der verhüllten Gestalten reckte die Hand in die Höhe, als sie das Aufblitzen des Mündungsfeuers sah.

Eine schimmernde Barriere nahm in der Luft Gestalt an und die Bleikugeln zerplatzten daran wie an einer massiven Steinmauer. Feuerblumen erblühten auf der Oberfläche des Schilds, glommen einen Moment in grellen Farben, bevor sie zu goldenen Funken zerfielen. Und dann geschah etwas, das Kellvian für unmöglich gehalten hatte. Bis zu diesem Moment.

Die fliegende Stadt war wenn man es genau betrachtete kaum etwas anderes, als ein einziger, gewaltiger Zauber des alten Volkes. Steine und Mauern, Brücken und Tore, alles wurde genau sos ehr von Mörtel wie von Magie zusammen gehalten. Abgebrochene Steine fügten sich nach einigen Tagen von selbst wieder zusammen, Kratzer und die Spuren von hunderttausend Füßen täglich verblassten in wenigen Herzschlägen. Und selbst die mächtigsten Zauberer fanden sich unter den Schutzbannen, die über der Stadt lagen hilflos. Ein Kommunikationszauber war unstet, ihre Magie geschwächt und Teleportation nicht möglich. So  hatte er geglaubt. Doch in dem Moment, wo der Schild verblasste und die Gewehten erneut ihr Ritual begannen, zerbrach die Welt selbst, so schien es.

Ein gewaltiger Blitz bahnte sich seinen Weg durch die Schutzzauber der Stadt, ließ bunte Lichtbögen über den Himmel zucken, als er den Rand der äußersten schwebenden Inseln erreichte und schlug mitten in die Reihen von Kellvians Männern ein. Gardisten und Zwerge gleichermaßen wurden zurückgeschleudert während im gleißenden Licht die ersten krieger Gestalt annahmen. Unten auf der Ebene, wo immer noch die Geweihten des Herrn der Ordnung standen glühte ein ähnliches Portal, um zuckt  von gleißenden Lichtern.

Das war doch unmöglich, dachte Kellvian. Einen Moment blieb er wie erstarrt stehen, sah zu wie der erste Kämpfer aus dem Portal auf den Boden der fliegenden Stadt trat.

,, Treibt sie zurück“ Sein Ruf schien auch die übrigen Männer wieder aus ihrer Erstarrung zu schrecken, denn als er durch ihre Reihen rannte, schlossen sich ihm sofort die ersten an, stellten sich dem halben Dutzend Kämpfern entgegen, die mittlerweile das Portal verlassen hatten.  Das hier war seine Heimat, ein letzter sicherer Hafen in dem Chaos das die Welt befallen hatte. Und er würde keinen Fuß davon  an den Herrn der Ordnung preisgeben, solange er noch auf selbigen stand.

Kellvian streckte den ersten Mann mit einem Hieb nieder, während ihm Kugeln um die Ohren sirrten, er  ging durch ihre Reihen wie ein Messer durch Butter und nur noch angespornt durch den Zorn ihres Kaisers, trieben die Gardisten die übrigen Kultisten immer weiter zurück.  Bald schon mussten sie über tote Körper hinweg setzen. Eine Kugel  prallte von Kellvians Panzerung ab. Die Runen die in den Stahl getrieben waren leuchteten auf, während das Projektil in hohem Bogen abgelenkt wurde. Die Kristalle darin waren angeblich noch von Simon Belfare selbst eingesetzt worden, doch ursprünglich waren sie noch älter. Magie des alten Volkes, die sich nie ganz erschöpfte und ihren Träger beschützte. Er verließ sich ganz auf den Schutz von Stahl und Magie, während er mit seinen Männern in vorderster Reihe kämpfte. Eine Klinge zerbrach zischend  an den Schutzzaubern und er streckte ihren Besitzer keinen Moment später nieder. Ein Portal war ein Problem, dachte er. Aber es stellte für ihre Gegner auch einen Engpass dar. Noch konnten, noch würden sie die Stadt halten…

Und dann schlug das zweite Portal ein, pflügte durch die Reihen der Verteidiger und schleuderte einige über die Kante der Stadt hinaus in die Tiefe. Kellvian ließ das Schwert sinken und fiel zurück, während Gardisten und Hadrirs Männer an ihm vorbei nach vorne drängten. Diesmal war es kein Mensch der durch das Portal hinaus trat. Die vermummten Gestalten, zwölf an der Zahl, mochten so wirken doch in ihren Augen lag nichts menschliches mehr und ihre verzerrten Körper schleppten sich mehr vorwärts als das sie gingen.  Monstrositäten, dachte er. Aber trotz ihres zerstörten Körpers und verdrehten Geistes verfügten sie über  Macht…

Eine Feuerwalze fegte über die ersten der Verteidiger hinweg die ihnen zu nahe kamen, ließ viele Schreiend zu Boden gehen. Andernorts am ersten Portal prallten nun Schwerter und Bajonette aufeinander. Männer auf beiden Seiten stürzten über den Rand der Klippe, während Syle damit beschäftigt war die Schützenmannschaften an den Kanonen zu sammeln, damit sie den Beschuss wieder aufnahmen und den Strom ihrer Feinde, der durch das Portal drängte auf diese Weise zu unterbrechen.

Und dann entdeckte Kellvian Quinn.

Der Magier stand als einziger noch als die Flammen verloschen, welche die Geweihten entfacht hatten, inmitten von Asche die um ihn herum zu Boden rieselte und den toten Körpern von kaiserlichen Gardisten und  Kultisten gleichermaßen. Die entstellten Magier hatten bei ihrem Angriff keinen Unterschied gemacht…

,, Quinn !“ Kellvian drängte sich an den wie erstarrt dastehenden Gardisten vorbei, während in seinem Rücken die Schlacht weiter tobte. Der alte Ordensmeister drehte sich nur einmal kurz zu ihm um. Und lächelte. Ein dunkles, bösartiges Grinsen. Dann hob er die Hände. Inmitten der Schneise aus Tod und Vernichtung stehend, welche die Geweihten hinterlassen hatten wirkte Quinns Gestalt verloren, beinahe winzig, während die zwölf Magier auf ihn zutraten.  Doch da täuschten sie sich…

Kellvian hatte nur einmal zuvor gesehen zu was Quinn in der Lage war. Was er mit den Toten tun konnte. Und im Augenblick war das Schlachtfeld übersäht mit Leichen… Einige der Körper zuckten, so als wäre noch leben in ihnen, andere wurden scheinbar wie von einer unsichtbaren Macht in Richtung des alten, gebeugten dastehenden Magiers gezogen. Dunkle Bänder sprossen aus ihren Körpern hervor, verbanden sich mit einander und flossen um Quinn herum wie pechschwarze  Banner die im Wind peitschten. Der dunkle, tropfenförmige Stein der an einer Kette auf der Brust des Zauberers ruhte, glühte ebenfalls auf, Licht das kaum Helligkeit zu verbreiten schien drang daraus hervor. Einen Herzschlag lang schien die Welt still zu stehen. Kellvian konnte die Magie die Quinn umgab nicht nur als leichtes Kribbeln spüren, der Stein unter seinen Füßen selbst schien zu zittern. Für einen einzigen Augenblick gab es nichts hier, das es noch mit ihm aufnehmen könnte. Die Geweihten waren Staub… mehr nicht. Und Staub waren sie als Quinn die gesammelte Magie der Toten und eine eigene Macht gegen sie richtete. Die Welt verschwand hinter einem Vorhang aus tosenden Schatten, der die zwölf gestalten mit sich riss, ihre Körper zusammenstauchte, als  hätte die Finsternis das Gewicht der Stadt selbst und als das Licht zurückkehrte, waren sie fort. Verweht. Verschwunden für alle Ewigkeit. Quinn schwankte vor dem Portal, seine Gestalt wirkte noch ausgezehrter als zuvor, kaum mehr lebendig…

,, Quinn !“ Kellvian versuchte zu ihm zu gelangen, während weitere Männer aus beiden Portalen traten, an dem Magier vorbei  strömten um sich den Gardisten entgegen zu werfen. Kellvian schlug eine blutige Schneise durch sie, schneller als ihm die Gardisten folgen konnte. Er sah nur noch blitzenden Stahl und Blut, wenn die Klinge ein weiteres Ziel fand, , spürte wie Knochen und Fleisch unter jedem Hieb nachgaben, sprang über die Leichen hinweg um sich seinem nächsten Gegner zu stellen. Schwerter und Kugeln prallten von seiner Rüstung ab, bis spürte wie die Zauber flackernd verloschen und selbst dann wich er nicht zurück. Bis zu dem Moment, wo er einen plötzlichen Druck spürte, der ihn zurück warf. Er sah die Mündungsfeuer und spürte die Wucht des Einschlags noch ehe er irgendwelche Schmerzen wahrnehmen konnte. Nur das Gefühl, als er zurückgerissen wurde, als die Beine unter ihm verschwanden und er auf dem Rücken im Staub landete, mehr war da nicht…

Das letzte was er sah, war wie Quinns Körper langsam in sich zusammen sackte und in der Horde verschwand, die immer noch aus dem Portal drängte. Dann schloss sich bereits ein Ring aus Gardisten um ihn, bereit ihren verletzten Kaiser zu schützen. Jemand  zog an seinem Arm ein anderer half ihm auf die Füße. Er sah das Blut, sah die drei Einschläge, wo Bleikugeln seine Rüstung durchschlagen hatten, aber er spürte nichts dabei.  Nur Leere, als die Männer ihren verwundeten Kaiser  durch ihre Reihen eskortierten. Fort von der immer noch tobenden Schlacht und zurück zum Palast, der noch unberührt in der Mitte der Stadt aufragte…

 

Kapitel 59 Fieber

 

Sie hatten Naria verloren. Der Gedanke schien sie jeden Tag  ihrer Reise zu verfolgen. Fast noch mehr als die ewige Kälte an die sie sich schon fast gewöhnt hatte. Fast. Vielleicht war es auch einfach nur das sie ihre Füße nicht mehr spürte und gar nicht wissen wollte, wie diese unter Lumpen und auseinanderfallenden Schuhwerk aussahen. Der Weg über die Berge war beschwerlich gewesen, doch nichts hatte sie auf die gefrorenen Einöden vorbereitet, die jenseits von Silberstedt lagen. Schnee erstreckte sich in alle Richtungen soweit das Auge reichte, eine rein weiße Schicht deren gefrorene Oberfläche unter ihren Füßen einbrach, so dass man sich für jeden weiteren Schritt erst wieder frei kämpfen musste. Blaue Eissäulen, die wie uralte Ruinen aus der Landschaft hinaus ragten stellten neben vereinzelten Hügeln und Bergen aus dunklem, schwarzem Granit die einzigen Orientierungspunkte da. Dörfer oder gar Städte hingegen gab es hier draußen nicht mehr und das einzige Zeichen von Leben, das sie sahen waren vereinzelte Vögel oder Herden von ausgezehrten Rentieren, die jedoch bereits vor ihnen davon liefen, wenn sie sich nur etwas näherten. Nur einmal waren sie auf einen einzelnen Jäger gestoßen, einen Mann  der in schwere Pelze gehüllt gewesen war und ein Gewehr über der Schulter trug.  Auch wenn er die zwei Fremden zuerst skeptisch beäugt hatte, hatte  er sich doch schließlich mit ihnen unterhalten, auch wenn sein Akzent verriet, dass er die Amtssprache wohl nicht sehr oft sprach. Hier draußen hatten die alten Dialekte der Stammesfürsten und Nomadenclans noch überlebt, doch auf die Frage nach den Eisnomaden hatte auch der Jäger nur mit dem Kopf geschüttelt. ,, Nie gesehen. Und wenn man sie sieht ist man meist ohnehin tot.“ , erklärte er. ,, Sind wie Geister da draußen. Sie frieren nicht in Schnee wie wir, sie schlafen sogar darin und bauen ihre Häuser daraus.  Und wenn ihr mir alles Gold anbietet das es in Canton gibt, ich würde nicht zu solchen Leuten wollen. Sind gefährlich…“

Das war allerdings auch alles, was er ihnen dazu sagen konnte. Letztlich konnten sie jedoch  einen Teil ihrer knapper werdenden Vorräte gegen ein paar Felle eingetauscht, die Wärmer hielten als ihre bereits deutlich mitgenommenen Umhänge. Und das war bald auch bitter nötig. Es gab hier draußen nur wenige Wälder oder Bäume und manchmal vergingen zwei oder drei Tage ohne, das sie Holz fanden. Und so fanden sie sich des Nachts oft ohne Feuer wieder und konnten sich in der Kälte und Dunkelheit ihres Zelts nur aneinander schmiegen und auf den Morgen warten, der keine Wärme brachte.

Hinzu kam noch, das Galren wieder begonnen hatte zu Träumen, dessen war Elin sich sicher. Manchmal schien er im Schlaf mit sich selbst zu reden und seit einigen Tagen scheinbar auch wenn er wach war, sein Blick war oft glasig und schien in die Ferne zu gehen. Irgendwo weit weg…

Und hier draußen gab es nichts, was ihn von ihrem Einfluss ablenken konnte und ohne Naria waren ihre Vorräte an Tinktur schon vor einem halben Mond zu Ende gegangen. Es zehrte an seinen Kräften und obwohl sie kleiner war, ihre Füße erfroren und ihr genau so kalt, fiel er bald auf ihrem Weg immer wieder hinter sie zurück. Und dann kam schließlich der Tag an dem sie nicht weiter konnten.

Elin blinzelte ins trübe Licht das ins Innere ihres Zelts fiel. Eigentlich war es kaum mehr als eine simple , große Decke, die den Wind nur notdürftig abhielt und auf einer Reihe von Stöcken ruhte. Und manchmal hatte sie schon darüber nachgedacht auch diese einfach zu verbrennen und sei es nur um es noch etwas länger warm zu haben. Vorsichtig setzte sie sie auch und sah sich im Halbdunkel um. Ganz aufzustehen war nicht möglich, davor hing die Plane über ihrem Kopf zu niedrig. Stattdessen kroch sie ein Stück von ihrem Lager fort in Richtung Ausgang und spähte nach draußen. Gestern Abend hatte noch ein Schneesturm getobt. Oder vielleicht war es auch erst Nachmittag gewesen, dachte sie. Hier oben wurde es zu schnell dunkel. Jedenfalls hatten sie ihr Lager in völliger Dunkelheit aufgeschlagen. Nun jedoch konnte sie Bäume sehen. Nur vereinzelt stehende knochige, tote Dinger, aber immerhin Feuerholz…  Und noch etwas anderes, aber sie wagte ihren Augen nich zu trauen.

Mauern…

Ihr Zelt lag am Rand des Wäldchens auf einer Anhöhe. An deren Fuß jedoch erstreckten sich die Grundmauern dutzender Gebäude, bis hin zu einer hohen Felswand aus dunklem Gestein. Die Umrisse eines hohen Eingangs waren in den Stein geschlagen worden, doch dahinter schien nichts als Finsternis zu liegen. So fasziniert Elin von dem Anblick vor ihr war, dieser Ort stieß sie auf eine nicht gekannte Art ab. Mehr als die Katakomben unter der Stadt der Zwerge oder die Dunkelheit in den Archiven im roten Tal. Nein. Damals war es ihr leicht gefallen unbekümmert an das ganze heran zu gehen doch irgendetwas an dieser Stadt war anders. Bösartig… Wie ein Schatten, der sich nicht heben wollte.

Sie würden sich den Ort später ansehen, dachte sie. Oder besser einen großen Bogen darum machen. Elin wich zurück ins Zelt und drehte sich nach Galren um, der immer noch unter den Decken lag und sich bisher nicht gerührt hatte. In einem Anflug ihrer alten Fröhlichkeit setzte sie sich auf ihn und rüttelte ihn an den Schultern.

,,Aufwachen, Schlafmütze, sieh dir das…“ Ihr Lächeln gefror und verschwand. Galren glühte… Sie konnte die Hitze selbst durch den  Stoff der Decken hindurch spüren.  ,, Galren ?“

Es schien ihn unglaubliche Mühe zu kosten, auch nur die Augen zu öffnen und als er es schließlich tat, blickten sie müde und glasig, seine Haut war verschwitzt.

,, Hey….“ Er versuchte zu Lächeln auch wenn es eher wie eine Grimasse wirkte. ,, Ich glaube nicht, das ich aufstehen kann.“ Trotz des Fiebers waren seine Worte vollkommen klar, vollkommen deutlich. ,, Tut mir leid.“

,, Geister, hör bloß auf dich zu entschuldigen.“ So schnell sie konnte, kletterte sie wieder aus dem Lager, suchte alles, was sie noch an Brennmaterial finden konnte zusammen. Sie konnte so nicht weiter, das war auch ihr klar. ,, Ich mache Feuer und… „ Ihre Gedanken rasten. Wir haben keine Medizin.“ Nicht ohne Naria. ,, Aber ich kann Wasser heiß machen und…“

,,Elin…“ Galren setzte sich langsam auf, auch wenn selbst diese simple Tätigkeit ihn gewaltige Anstrengung zu kosten schien.  Selbst sitzend schwankte er und sie konnte sehen, dass er zitterte. ,, Du musst weiter suchen.“

,, Ich bezweifle, dass dieser Seher hier in der Nähe ist, Galren.“ Sie wusste was er eigentlich sagen wollte. Doch gleichzeitig weigerte sie sich auch nur einen Moment darüber nachzudenken. As wäre weder fair noch… würde sie es tun. Ganz einfach. ,, Eigentlich wäre zu erwarten, dass jemand der die Zukunft kennt zu uns kommt, oder ?“

,, Ich glaube nicht das es so funktioniert, Elin.“ Er versuchte sich an einem Lächeln das schlicht nicht echt wirken wollte. ,, Hör zu, ich kann nicht…“ Galren hustete. Sie hatten beide hier draußen schon damit zu kämpfen gehabt, Elin selbst hatte sich ein paar Tage fiebrig gefühlt, bis es wieder verflogen war. Doch dieses Mal klang sein Husten wie der eines scheinbar viel älteren Menschen und er barg den Kopf in der Armbeuge. Trotzdem reichte es nicht, damit er die dunklen, rötlichen Sprenkel vor ihr verbergen konnte, die nun auf seinen Lippen und seiner Haut glänzten.  ,, Ich komme nicht mehr weiter. Aber du.“

,, Galren, du wirst schon wieder gesund.“ Sie wusste, wie unwahrscheinlich das hier draußen war, dennoch wollte sie es nicht zugeben. Nicht so schnell, nicht so… einfach. ,, Ein paar Tage Ruhe nur. Wir haben noch Vorräte…“
,, Für eine Woche. Elin, sehe ich aus wie jemand der in einer Woche wieder laufen wird?“ Nein, dachte sie. ,, Hör zu… es gibt die Möglichkeiten. Du bleibst und ich stecke dich an. Dann sterben wir wirklich beide. Oder du bleibst du ich erhole mich wieder. Dann haben wir keine Vorrätemehr und sterben auch. Oder du gehst alleine weiter.“  Obwohl er derjenige war, der vom Fieber heimgesucht wurde, waren seine Worte selten klarer gewesen. ,, Ich sage das nicht nur weil ich will das du hier weg kommst, Elin. Das ist auch meine einzige Chance. Bitte. Finde den Seher und vielleicht findest du auch andere Leute. Jemanden der auch mir helfen kann.“

Aber er glaubte nicht daran, das konnte Elin  ihm anhören. Und wie lange würde er hier draußen überleben, wenn sie jetzt aus dem Zelt trat? Eine Nacht ? Zwei ? Und vielleicht wollte er das auch gar nicht. Es hing unausgesprochen zwischen ihnen, doch Galren klammerte sich nicht ans Leben. Nicht mehr. Nicht seit dem sie aus der fliegenden Sta6td aufgebrochen waren.

Elin wusste, er würde sie nicht bleiben lassen. Und sie wusste auch, dass er recht hatte Ihre beste Chance wäre es, jemanden zu finden, Seher oder nicht, der ihnen vielleicht Unterschlupf gewähren konnte.

,, Wenn ich gehe… versprichst du  mir das du alles tun wirst um am Leben zu bleiben ?“ Einen Moment lang gab es zwischen ihnen nur betretenes Schweigen. Sie wussten es beide, aber das war das erste Mal, das Elin es offen aussprach. Sie fürchtete um ihn, nicht nur wegen der Krankheit.
Und dann schließlich nickte Galren. ,, Du weißt nicht worum du bittest… aber gut. Solange ich kann. Aber nur wenn du jetzt auf brichst…“

Sie wusste nicht worum sie bat? Doch, hätte sie ihm am liebsten gesagt. Doch. Sie verlangte von ihm, dass er sich den Dämonen stellte, die ihn schon bei klarem Verstand heimsuchten und die nun im Fieberwahn noch mehr nach ihm griffen.  Und am liebsten hätte sie ihn in die Arme genommen und an sich gedrückt und alles wieder vergessen. Und vielleicht hätte das wirklich etwas geändert, vielleicht wären sie dann beide hier geblieben. Elin zwang sich nichts dergleichen zu tun. Stattdessen entfachte sie mit den Überresten der letzten Nacht ein kleines Feuer und trat ohne ein weiteres Wort nach draußen. Einfach so zurück lassen würde sie ihn auch nicht. So schnell sie konnte, klaubte sie Holzstücke und Äste von den Bäumen in der Nähe zusammen und brachte alles zurück zum Zelt. So würde er zumindest für ein paar Stunden nicht erfrieren, vielleicht auch einen Tag. Ein Tag war viel Zeit sagte sie sich. Vielleicht konnte sie bis dahin auch wieder zurück sein. Als Elin schließlich ihren Rucksack mit den restlichen Vorräten schulterte, war Galren bereits wieder in die Felle gesunken, warf sich murmelnd hin und her, träumte, schief… oder starb. Elin  verbot sich darüber nachzudenken, was davon zutreffen mochte. Sie würde die nähere Umgebung und die Ruinenstadt absuchen und dann zurückkommen, schwor sie sich. Schweren Herzens trat sie schließlich von dem Zelt zurück und machte sich auf den Weg den Hügel hinab in Richtung der Überreste. Eine verfallene Straße schlängelte sich durch den Schnee den Berg hinab, nur noch erkennbar an vereinzelten, behauenen schwarzen  Steinen die aus dem Weiß hinaus ragten. Und die ganze Zeit über wehte der Wind in ihren Rücken und trieb Schneeschleier mit sich, die sowohl das Zelt als auch die Wälder bald außer Sicht geraten ließen. Hoffentlich gäbe es keinen zweiten Sturm. Nicht nur das sie ihre Suche dann aufgeben müsste um Schutz zu finden, Galren hätte keine Möglichkeit das Zelt irgendwie zu befestigen.  Und auch die Häuser und Bauwerke der alten Stadt boten keinen Schutz. Der Luftzug zwischen den zerfallenen Gemäuern erzeugte einen hohen Pfeifton, der bald begann in ihren Ohren zu schmerzen. Geborstene Säulen lagen quer auf der Straße, die hier unten in besseren Zustand war und direkt in Richtung der dunklen Felswand zu verlaufen schien. Egal was geschah, Elin hatte nicht vor herauszufinden, was  in den Schatten hinter dem in den Stein geschlagenen Tor lag. Stattdessen bog sie von ihrem bisherigen Pfad ab und folgte einem Quer verlaufendem Weg der aus der Stadt hinaus und zurück in die weiße Einöde führte. Soweit sie sehen konnte gab es kein Zeichen von Leben  und der Wind, der beständig Schnee aufwirbelte machte die Sache nicht besser. Wenn das so weiter ging würde sie bald kaum die Hand vor Augen erkennen können. Einen Moment war sie versucht zum Zelt zurück zu laufen solange das überhaupt noch möglich war. Aber Galren hatte auch Recht, das wusste sie. Den Seher zu finden war ihre einzige Chance und mit ihm vielleicht auch andere Menschen. So klein diese Hoffnung auch war, sie hatte nicht vor sie aufzugeben…

Halt mir nur durch, sonst verzeih ich dir das nie, dachte sie als sie über die Stadt in die Richtung zurück sah in der ihr Zelt liegen musste. Die ganze Sinnlosigkeit und Absurdität  dieses Gedankens brachte sie zum Lachen, aber vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben klang es nicht echt…

 

Kapitel 60 Der Seher

 

 

 

Der Sturm hatte sich von neuem erhoben und trieb Schneeschleier und Eisregen vor sich her und verschluckte die Ruinen in ihrem Rücken. Innerhalb eines Herzschlages schien es um Elin herum nichts mehr zu geben außer einer weißen Wand und es dauerte kaum länger, bis sie nicht mehr sicher sagen konnte, wo sie sich überhaupt befand. Die Kälte war selbst durch mehrere Schichten Kleidung deutlich für sie zu spüren. Der Schnee, der ihr bereits weit über die Knie ging, wurde noch höher und bald kam sie nur noch umständlich voran und musste sich für jeden weiteren Schritt erst frei kämpfen. Es dauerte nicht lange, bis sie das erste Mal stürzte. Energisch rappelte sie sich wieder auf und klopfte sich so gut es ging das Eis aus den Kleidern. Ein paar weiße Flocken waren jedoch auch darunter gewandert, schmolzen jetzt langsam und rannen als eiskalte Finger an ihrem Körper herab.

Wie lange sie danach noch weiter durch die tosende Einöde stapfte, konnte sie später nicht mehr genau sagen. Vielleicht war es bereits dunkel geworden oder doch nur der Schneesturm, der das Licht der Sonne fast völlig schluckte, so dass sie sich ihren Weg durch graues Zwielicht suchen musste. Aus dem bloßen Gefühl von Kälte war längst Erschöpfung geworden und der Schnee klebte an ihren Stiefel und ihrer Kleidung, schmolz und durchnässte sie langsam aber sicher bis auf die Haut. Selbst das Denken fiel ihr mittlerweile schwer, ihr eigener Geist schien träge, zu beschäftigt damit sich darauf zu konzentrieren nur weiter einen Fuß vor den anderen zu setzen obwohl sie keine Ahnung hatte wohin. Vielleicht hätte sie nicht gehen sollen, dachte sie. Vielleicht wäre alles besser gewesen als hier draußen alleine herum zu irren, denn nun schien ihr Verstand ihr sogar Streiche spielen zu wollen. Sie sah Schatten die durch das Weiß huschten, dunkel und groß wie Bäume oder vielleicht war das nur dem diffusen Licht geschuldet… Und als sie sich schließlich eingestehen musste, dass sie nicht weiter konnte sehnte sie sich nur zurück. Selbst wenn es das Ende bedeutete Galren hätte es verstanden, dachte sie. Irgendwie. Hätte irgendwo ein paar tröstende Worte gefunden, etwas Wärme. Sie war verloren, genau so sehr wie er, das war ihr klar und trotzdem weigerte sie sich noch immer aufzugeben. Wenn sie jetzt stehen blieb und auf den Tod wartete… dann war wirklich alles vorbei. So schwer es sie fiel, irgendwie schaffte sie es, erneut den Fuß zu heben, noch einen schwankenden Schritt über den Schnee zu machen. Und dann gaben ihre Beine einfach unter ihr nach. Als sie im Schnee aufschlug spürte sie die Kälte kaum noch. Es wäre so einfach jetzt schlicht einzuschlafen, dachte sie und schaffte es doch irgendwie die Augen offen zu halten, während die Schatten um sie herum größer zu werden schienen. Vielleicht waren es ja Geister. Geister die einander irgendetwas in einer Sprache zuflüsterten die sie nicht verstand . Ob welche davon zu ihren Ahnen gehörten? Oder waren sie schlicht hier draußen verloren, genauso wie sie? Hier draußen gab es keine alten Bäume, keine Plätze an denen sie sich sammeln konnten und wie wollten sie je wiedergeboren werden wenn es auch kein Leben gab?  Vielleicht hatte Kellvian sie genau deshalb hier raus geschickt?  Gab es den Seher den sie suchen sollten überhaupt?

All das schien ohnehin keine Rolle mehr zu spielen, dachte Elin. Der Wind trieb Schnee über sie hinweg, ließ ihre Kleidung frieren während sie langsam unter einer weißen Decke versank. Und dann sah sie wie einer der Schatten sich aus dem Schneetreiben löste und auf sie zukam. Kein Geist, dachte Elin, aber er bewegte sich fast so leise. Und das er wie ein Schatten wirkte kam wohl vor allem von den Lagen aus schwarzen Pelzen die er trug und an denen der Schnee abzuperlen schien statt hängen zu bleiben wie in ihren. Tatsächlich schien die Kälte selbst ihn überhaupt nicht zu kümmern, prallten Sturm und Eis scheinbar einfach von ihm ab. Magie, dachte sie. Er rief irgendetwas über die Schulter, sie erkannte keines der Worte. Lediglich einmal meinte sie ,,Melchior“ heraus zu hören, doch vielleicht hatte sie sich das auch nur eingebildet. Die übrigen Schatten bewegten sich, verschwanden im weißen Dunst. Wo wollten sie hin? Elin wusste es nicht, wusste nur das ihr kalt war und ihre Augen zufielen. Als der erste Schatten dann auf sie zutrat, war sie zu schwach etwas zu sagen oder sich zu wehren, als er sie scheinbar ohne jede Mühe hochhob. Und dann versank alles endgültig in Dunkelheit.

Als Elin erwachte  war ihr warm. Das war das erste was ihr auffiel. Und nicht nur warum, ihr war geradezu heiß. Vorsichtig öffnete sie die Augen, blinzelte ins Licht einer Laterne, die direkt über ihr brannte und sie blendete. Dabei war die Kerze darin bereits so gut wie heruntergebrannt. Irgendjemand hatte ein halbes Dutzend schwere Decken und Felle über sie gebreitet, manche davon grob genäht, andere aus edlem Stoff, den man eher in einem Palast erwartete. Und sie konnte ihre Zehen spüren. Probeweise bewegte sie sie. Keine Schmerzen, keine Erfrierungen. Was von ihren Stiefeln geblieben war stand am Fußende ihres Lagers . Wirklich trauern tat sie um die zusammengenieteten Streifen aus Leder und Fell allerdings nicht. Sie hatte sich nie wirklich damit angefreundet… auch wenn sie für den Rückweg jetzt neue brauchen würde, wollte sie nicht doch noch ein paar Zehen einbüßen und… er Rückweg. Wo war sie? Und wichtiger wie lange war sie weg gewesen? Und Galren ? Hatte man ihn auch gefunden? Oder war er immer noch irgendwo dort draußen?

Sofort war sie hellwach und setzte sich auf. Sie befand sich in einem Zelt. Allerdings nicht ihrem eigenen. Die Wände bestanden aus bahnen dichten, roten Stoffs der mit bunten Verzierungen versehen war. Der Rückwärtig liegende Teil der Unterkunft bestand allerdings aus Holz und Stein aus dem man einen kleinen Kamin gezimmert hatte. Der Schein des Feuers darin spiegelte sich auf einer Reihe Gestelle aus Metall über die man Felle gespannt hatte und auf einem Topf über den Flammen in dem irgendetwas vor sich hin kochte. Suppe ?  Aber von Galren war nach wie vor nichts zu sehen.

Elin schlug die Decken bei Seite und stellte fest, dass sie nicht bloß die Stiefle verloren hatte. Statt ihrer alten Mäntel trug sie ein Kleid aus dicht gewebten, dunkelgrünen, fast schwarzem  Stoff. Im Gegensatz zu den Stiefeln waren die Pelze allerdings nirgends zu entdecken.  Großartig. So würde sie das Zelt nicht einmal verlassen können, dachte sie. Zumindest würde sie nicht weit kommen. Und vielleicht war das ja auch der Zweck des Ganzen. Wenn man sie hier festhalten wollte brauchte man in der Eiswüste keine Gitter und Schlösser. Man musste nur sichergehen, dass sie keinen Zugang zu warmer Kleidung hatte. Aber dann hätte man hier keine Felle zum Trocknen aufgehängt, oder?

Elin versuchte Probehalber aufzustehen. Ihre Beine trugen sie wenn auch eher wiederwillig.

Einen Moment blieb sie unschlüssig in der Mitte des Zelts stehen und sah sich um. Etwas Klirrte hinter ihr und als sie sich umdrehte sah sie einen zerzausten Vogel, der auf einer Metallstange saß und sein Gefieder putzte. Offenbar war das Tier irgendwo durch eine Klappe hereingeflogen, denn mit ihm kam auch ein Hauch von Kälte… Der Vogel war alt, uralt sogar, dache Elin. Das Gefieder des Steinadlers mochte einst braun und glatt gewesen sein, nun war nur grau mit einigen verwaschenen braunen Federn geblieben , ein Auge war blind und das andere schimmerte mit einem beunruhigenden grün-blauen Farbton. Solche Augen  sollte kein  Vogel haben. Er schenkte ihr allerdings keine große Beachtung, sondern hackte munter auf ein Stück Trockenfleisch ein, das direkt vor seiner Stange von der Decke hing.

Elin überlegte kurz, ob sie rufen oder doch den Versuch wagen solle, nach draußen zu treten um jemanden zu suchen. Das Feuer im Kamin und die darüber kochende Suppe hießen, dass jemand noch vor kurzem hier gewesen sein musste. Bevor sie jedoch dazu kam, eine Entscheidung zu treffen, wurde die Plane vor dem Eingang des Zelts bereits zurück geschlagen. Eis, Wind und Kälte wehten herein nd sie erhaschte draußen einen Blick auf Bauten, die halb im Schnee versunken waren und sich scheinbar um einen zusammengefallenen Steinbau gruppierten. Es sah beinahe aus wie die Ruine einer Burg, doch bevor sie mehr erkennen konnte, fiel die Klappe bereits wieder zu. Drei Männer waren hereingekommen. Wobei sie sich bei zwei davon nicht einmal sicher sein konnte. Jeder der beiden trug schwere Pelze, die ihre Gestalt unförmig wirken ließ und hatte die Kapuze seines Mantels tief ins Gesicht und einen schweren Schal um den Kopf gewickelt. Nur ihre Augen starrten unter all dem Stoff heraus, ein helles braun, wie gefrorener Schlamm. Bewaffnet war ein jeder mit einem simplen Speer, dessen Spitze aus Kristalle zu bestehen schien. Oder vielleicht war es ja auch wirklich Eis.

Und der dritte Mann der sie begleitete war Galren… Sie fragte nicht erst wie das möglich war oder was geschehen sein mochte. Mit einem Satz war sie bei ihm und fiel ihm um den Hals, zog ihn fest an sich. Kein Fieber mehr, dachte sie. Keine Krankheit. Er war zittrig auf den Beinen, hatte Mühe sie aufzufangen, trotzdem lächelte er, küsste sie auf die Stirn. Auch er hatte sich Sorgen gemacht. Elin konnte es unter den Fellhauben nicht sehen, aber ihre beiden Wächter schmunzelten scheinbar über die ganze Situation und schienen sich einen Moment stumm mit Blicken zu unterhalten.

,, Ich hatte gedacht ich sehe dich nie wieder.“ , murmelte Galren . ,, Ich glaube das habe ich ihnen vielleicht etwas zu deutlich gemacht… Auch wenn ich mir nicht sicher bin ob sie ein Wort von dem verstanden habe was ich ihnen an den  Kopf geworfen habe… Oder vielleicht wollen sie mir auch bloß nicht antworten.

,, Was soll ich da erst sagen ?“ , fragte sie ihn. Das letzte Mal als sie Galren gesehen hatte,  hatte sie ihn allein und todkrank in der Ödnis zurück gelassen.

,, Danke ?“ Ihr Gesichtsausdruck brachte ihn zum Lachen. Ein Teil von ihr wollte ihn küssen, der andere ihm einen Klaps versetzen.

,, Ich glaube du verbringst zu viel Zeit mit mir…“, murmelte sie schließlich säuerlich… und küsste ihn dann doch. Es schien ihm besser als seit Monaten zu gehen. Keine Spur mehr von der ständigen Erschöpfung welche die träume bei ihm verursachten.

,,  Sie haben mich vor dir gefunden. Beinahe so als hätten sie gewusst, wo wir Lagern. Ich habe erst gedacht ich habe Halluzinationen, aber… Nun nachdem ihnen aufgefallen ist, dass ich alleine war sind sie scheinbar nervös geworden und ein paar von ihnen sind wieder losgezogen. Der Rest hat mich hierher gebracht. Und dann kamen die anderen mit dir zurück… Ich würde sagen, wir haben die Eisnomaden gesucht. Und jetzt haben sie uns gefunden.“

Und gerettet, dachte Elin. Daran bestand wohl kein Zweifel mehr. ,,  Auch wenn ich keine Ahnung habe was sie von uns wollen… oder wo wir sind.“
,, In Sicherheit möchte ich meinen.“

Die Stimme kam nicht von einem der Wächter, die sich nun rasch verbeugten und das Zelt verließen, so als wären die Worte ein Befehl an sie gewesen. Der Mann, der sie gesprochen hatte saß auf einem niedrigen Lehnstuhl am Feuer. Elin bemerkte ihn erst jetzt obwohl er schon die ganze Zeit da gewesen sein musste.  Oder ? Sicher hatte in das Zwielicht und das unstete Licht des Feuers vor ihr verborgen…

Er sah seinem Vogel ziemlich ähnlich, stellte sie fest. Zumindest vermutete sie einmal, das der zerzauste Adler zu ihm gehörte. Er war alt, mit ergrauten Haaren die wohl schon eine Weile nicht mehr geschnitten worden waren und einem Bart der zwar gestutzt war, ansonsten jedoch nicht viel gepflegter wirkte. Und seine Augen wirkten  noch älter, dachte Elin. Blind und milchig starrten sie in ihre Richtung und fokussierten sie obwohl der Alte damit unmöglich noch etwas sehen konnte. Seine Kleidung bestand aus den gleichen schweren Pelzen, die die übrigen Männer trugen. Darunter jedoch schimmerte Stoff in kaiserlichem Blau und an seiner linken Hand blitzte ein Saphirring in einer silbernen Fassung. Zwischen den Händen drehte er einen schwarzen Gehstock mit Kristallknauf von dem Knochen und Talismanen herab hingen.  ,, Ihr müsst verzeihen. Ich wäre beinahe nicht rechtzeitig da gewesen. Ihr seid früher gekommen als ich erwartet habe. Es scheint selbst für mich  gibt es noch so etwas wie Überraschungen. Zumindest kleine. Mir war klar, das ihr in Gefahr geraten würdet, ich dachte jedoch es wäre möglich vorher zu euch zu gelangen…

,, Ihr wusstet…“ Elin musterte den Alten auf seinem Stuhl, wie er sie beide langsam mit diesen blinden Augen ansah. ,, Ihr seid der Seher, oder ?“

 

Kapitel 61 Schicksal

 

 

 

,, Vielleicht bin ich das.“ Der Alte lehnte sich langsam auf seinem Platz zurück und drehte den Stab in den Händen. Die Knochen daran schlugen dabei aneinander, erzeugten in der nur vom Geräusch brennenden Holzes durchbrochenen Stille einen leisen, schauerlichen Ton. ,, Ich weiß zumindest, warum ihr hier seid, wenn ihr das meint.“

Damit hatte er es praktisch zugeben, dachte Elin. Auch wenn er es nicht klar sagen wollte, dieser Mann war Melchior. Oder zumindest ein Seher. Blieb nur die Frage warum er dieses Spiel für nötig hielt. Sie hatten keine Zeit, auch das musste ihm doch klar sein?

,, Und jetzt ?“ , fragte sie vorsichtig. Kellvian hatte gezögert, sie zu ihm zu schicken, das hatte sie nicht vergessen. Und das bedeutete das dieser Mann gefährlich sein konnte, trotz seines Alters und dem freundlichen Lächeln, das um seine Lippen spielte. Und obwohl er blind war schien er genau zu wissen, wo sie waren und  drehte den Kopf abwechselnd zu ihr und dann wieder zu Galren.

,, Jetzt ?“ Seine Augen schienen aufzuleuchten. ,, Jetzt essen wir erst einmal. Danach können wir reden.“ Mit diesen Worten erhob er sich von seinem Stuhl, der knarrte, als das Gewicht von ihm Verschwand und wendete sich dem Topf zu, der noch immer im Kamin hing. Mit einem Schürhacken stocherte der alte Mann in den Flammen und verteilte die verbleibenden Kohlen weiter, so dass das Feuer etwas herunter brannte. Dann erst wickelte er zwei Stoffstreifen um seine Hände und zog den Topf aus den Flammen. ,, Also wer hat Hunger ?“

Elin wusste nicht, wann sie das letzte Mal etwas gegessen hatte. Geschweige denn etwas, das warm war. Der Hunger war ihr längst so vertraut, dass sie ihn kaum mehr beachtete. Bis zu diesem Moment. Der Topf, den Melchior auf einem kleinen Tisch abstellte enthielt eine ungewürzte Fleischbrühe, vermutlich Rentier, den etwas anderes überlebte hier draußen wohl auch nicht lange. Eigentlich hatte sie ihn auffordern wollen, sie zuerst anzuhören, doch bei dem Geruch der jetzt durch das Zelt schwebte, vergaß sie ihr Vorhaben fürs erste wieder. Der Hunger war stärker und auch Galren nahm nur zu bereitwillig an dem Tisch Platz.

Der Seher zog derweil den Lehnstuhl vom Feuer heran bevor er drei Schalen verteilte und die Brühe darauf verteilte. Dazu schenkte er ihnen  einen dunklen, rötlichen  Tee aus einem Samowar  ein, bevor er sich schließlich selbst setzte. Einen Moment saßen sie nur schweigend voreinander, die zwei Reisenden und der Seher. Niemand schien etwas sagen oder zuerst mit dem Essen anfangen zu wollen. Elin wärmte ihre Finger an dem Dampf der von dem Tee und der Suppenschale aufstieg

Dann schließlich war es Melchior selbst, der das Eis brach. Mit den Fingern fischte er ein Stück Fleisch aus seiner eigenen Schale und warf sie ohne Vorwarnung über ihre Köpfe. Und in Richtung des Adlers, der immer noch auf seiner Stange hockte. ,,Simon.“

Der Vogel war schnell, obwohl er so uralt wirkte. Flatternd stob er von seinem Platz auf Mit einem Hieb seines Schnabels hatte er das Fleisch aus der Luft gepickt und verschlungen, bevor er sich schließlich auf der Schulter des alten Mannes niederließ und dessen Gäste mit dem einen blinden und dem anderen grün-blauen Auge musterte.  Elin erwiderte den Blick des Vogels unbewusst. Sollte der Name bei, dem der Seher ihn eben gerufen hatte, ein Scherz sein?  Langsam beugte sie sich wieder über ihre Suppenschale und trank. Es war nur heißes Wasser und aus Knochen und Fleisch ausgelöstes Fett aber zumindest für den Moment konnte sie sich nicht erinnern, je etwas besseres gekostet zu haben. Galren hingegen hatte sein Essen nach wie vor nicht angerührt und sah Ernst dem Seher zu, während dieser betont langsam weiter Fleisch an den Adler verfütterte, bevor er die leere Schale schließlich bei Seite stellte. Wusste er etwas, das sie nicht wusste? , fragte Elin sich. Er war offenbar schon länger wieder auf den Beinen als sie. Oder war es nur eine Ahnung oder gar missfallen das der Seher sich absichtlich Zeit ließ?

,, Ihr habt gesagt, ihr wüsstet warum wir hier sind.“  Der Seher sah auf und sein Blick begegnete dem Galrens. ,, Dann wisst ihr auch, das wir Hilfe brauchen. Der Herr der Ordnung ist frei, der rote Heilige steht vor der fliegenden Stadt. Euer Kaiser… euer Freund wenn stimmt was euch angeht ist in Gefahr.“

,, Ja… ja das ist er.“ Melchiors  Gesicht bekam einen traurigen Ausdruck. ,, Ihr ahnt gar nicht wie sehr. Und so sehr es mich Schmerzt das sagen zu müssen: Dann fürchte ich habt ihr den Weg umsonst gemacht. Es gibt hier keine Hilfe für euch. Nicht auf die Art wie ihr sie wünscht jedenfalls…“

Elin konnte nicht glauben was sie da hörte. Mit einem Satz war sie auf den Füßen. ,, Meint ihr das ernst ? Melchior, wenn das ein Rätsle ist, dann haben wir keine Zeit dafür. Wenn der rote Heilige gewinnt dann seid doch auch ihr verloren. Also erklärt mir nicht ihr könntet uns nicht helfen, während die Welt brennt!“ Sie stand zitternd  da, ihre Arme auf dem Tisch abgestützt. Eine der Teetassen war umgestürzt und ihr Inhalt ergoss sich über das Holz, färbte es rötlich, fast wie vergossenes Blut. ,, Es geht hier auch um eure Zukunft.“

Melchiors Mine wandelte sich von traurig zu wütend. ,, Wagt es nicht mir erklären zu wollen, was sein Sieg für unsere Zukunft bedeuten würde… Junges. Ich habe es gesehen. Oder besser, ich habe nichts davon gesehen. Das Ende der Zukunft steht am Ende seines Wegs. Glaubt mir also das ich den Preis kenne, den wir alle zahlen würden.“

Elin setzte sich langsam wieder. Der Ausbrach tat ihr plötzlich leid, aber Geister… er hatte sich wirklich so angehört als ob es ihm schlicht egal wäre.  Wieder sah sie zu Galren, der nur schweigend da saß und grübelte. Was war nur los mit ihm?

,, Verzeiht.“  Ihre Stimme war kaum ein Flüstern. An diesem Gespräch hier hing ihre ganze Zukunft. Die Zukunft aller… ,, Ich… ich verstehe nicht. Wenn euch klar ist, was das bedeutet, warum wollt ihr uns dann nicht helfen? Gibt es keinen Weg mehr zu Siegen? Wollt ihr das sagen?“

,,Nein und ja.“ Melchior klang nun wieder so ruhig wie eh und je.  ,, Das Schicksal ist nichts vor dem man davon laufen kann, Galren. Vielleicht liegt das Geheimnis also darin, es nicht mehr länger zu versuchen…“

,, Soll ich mich etwa ergeben ?“ Galren runzelte die Stirn und schüttelte dann lediglich den Kopf.

,, Eigentlich wollte ich vorschlagen, das ihr die Regeln ändert.“

Galren antwortete ihm nicht mehr und erneut senkte sich schweigen über den Tisch. Warum sagte er den nichts? , fragte Elin sich nur erneut. Sie hätte erwartet dass er den Mann anschrie, dass er antwortet verlangte, stattdessen war da nur… nichts. Als hätte er geahnt was bevor stand. Dann musste sie das Eben für ihn übernehmen, entschied Elin.

,, Und was soll das heißen ? Melchior hier stehen tausende von Leben auf dem Spiel…“

,, Und ich habe das Leid von ihnen allen gesehen, Mädchen. Glaubt nicht das ließe mich kalt. Macht nicht den Fehler mich mit einem euer Götter oder Unsterblichen zu verwechseln die nur zusehen. Und doch so gerne ich es tun würde, ich kann euch nicht einfach verraten was zu tun wäre. Das Schicksal ist ein fragiles Ding. Ein Spinnennetz das auseinander fällt wenn man am falschen Faden zieht und alle, die darauf fest hängen  ins Nichts schleudert. Würde ich euch einfach sagen was ihr zu tun habt, könnte dieses Wissen  die Möglichkeit das ihr erfolgt habt bereits zu Nichte machen. Wissen das nicht bekannt sein darf damit gewisse Dinge geschehen kann sie verhindern. Ich denke da dürftet ihr mir zustimmen. Und damit würde es auch nicht mehr funktionieren. Und selbst wenn nicht, gibt es mehr zu bedenken. Nur weil ihr einen Feind vernichten könnt, heißt das nicht dass sich aus seiner Asche nicht noch ein größerer Schrecken erheben könnte. Die Zeit bleibe durch einen Sieg nicht stehen, das Rad der Geschichte würde sich weiterdrehen und alles hat Folgen. Besonders Ereignisse wie diese. Und das ist meine Aufgabe und meine Bürde. Es geht nicht darum dafür zu sorgen das diese oder jene Seite siegt. Nur weil es für den Augenblick wie das richtige aussieht. Es geht darum Entscheidungen zu treffen die alles beeinflussen können, alles verändern und zerstören. Sieg und Niederlage zum richtigen Zeitpunkt im richtigen Maß. Und so etwas gibt es nicht. Irgendwo werden immer Opfer von Nöten sein. Und wenn sie nicht jetzt gebracht werden dann in der Zukunft. Wie ich euch bereits sagte,  fort zu laufen ist nicht möglich.“

,, Dann haben wir die Reise also  umsonst gemacht.“ Elin ließ die Schultern hängen. Das konnte doch nicht sein. Das durfte schlicht nicht sein. Einen Moment wagte sie es nicht, sich nach Galren umzudrehen. Wie konnte er bei dem ganzen noch so ruhig bleiben?

,, Nicht ganz.“  Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass der Seher aufgestanden war. Erst als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte, sah sie schließlich auf und blickte in ein paar blinder Augen. Es lag Mitleid darin, das sah sie, aber trotz seiner Gefühle, dieser Mann würde hart bleiben. Und wenn sie ehrlich war… sie konnte es nicht verstehen. Vielleicht konnte das niemand, der nicht auch wusste, was es bedeutete ein Seher zu sein.  Aber sie konnte es verzeihen. Irgendwie. Da war keine Wut mehr. Nur Enttäuschung. ,, Ich kann euch nicht sagen was ihr zu tun habt. Aber eine Sache gibt es, die ihr beide wissen müsst. Es gibt einen Ausweg. Es gibt immer einen. Nichts ist endgültig oder in Stein geschrieben.“ Er sah zu Galren. ,, Es nur euch alleine überlassen, ihn zu finden, Galren. Und ich glaube damit kennt ihr euch aus, oder nicht? Darin einen Weg zu finden?“ Er lächelte, freundlich und warm und Elin konnte nicht anders als es ihm gleich zu tun. Nur Galren nicht. Galren stand lediglich langsam auf.

,, Wenn das alles war, dann müssen wir aufbrechen.“ , meinte er kalt. ,, Es ist ein langer Weg zurück. Und ich würde es vorziehen wenn dann noch etwas übrig ist, wohin wir zurückkehren können.“

,, Wohin denn ?“ Elin stand ebenfalls auf. ,, Galren wohin können wir den überhaupt noch gehen ?“

,, Ich schätze Vara.“ Galren schien mehr mit sich selbst zu reden als mit ihr, sah sie nicht einmal an. ,, Das heißt falls man uns dort dann noch willkommen heißt.“

Sie blieben nur noch einige Stunden bei den Eisnomaden. Melchior veranlasste, das man ihnen neue Kleidung und fast mehr Vorräte gab, als sie tragen konnten. Zusätzlich begleiteten sie einige der Männer noch mehrere Tage, nachdem sie die Hütten und Zelte die um die verfallene Burg herum lagen schon lange hinter sich gelassen hatten. Am Ende verabschiedeten sich jedoch auch diese von ihnen und überließen es ihnen, sich ihren Weg durch die Wildnis zu suchen. Auch wenn es noch ein weiter Weg wäre, meinte Elin bereits die erste Silhouette der Berge am Horizont ausmachen zu können. Es ging nach Hause, dachte sie. Und doch lag in diesem Gedanken kaum etwas Aufmunterndes. Was sie ihr Zuhause hätten nennen können brannte, ganze Städte waren nur noch Ruinen und ob die fliegende Stadt noch stand konnten sie nicht wissen. Sie konnten nicht einmal wissen, ob Vara standhalten würde, bis sie seine Mauern erreichten.  Immerhin wären ihre Eltern dort, dachte sie. Und selbst darin fand sie keinen Trost. Und Galren ? Er ging ihr einfach nur mit großen Schritten voraus, so dass sie zeitweise Mühe hatte ihm zu folgen und immer wieder hinter ihm zurück fiel. Falls ihm das Fieber noch zu schaffen machte, so zeigte er es jedenfalls nicht, sondern hielt nur weiter wie getrieben auf die fernen Berggipfel zu. Irgendetwas ging in ihm vor, das spürte sie doch, aber auf ihre Fragen antwortete er meist nur kurz angebunden, wenn sie denn überhaupt Sprachen. Was hätte sie dafür gegeben zu wissen, was er dachte… Sie war genau so hilflos wie er und doch hätte sie alles gegeben um nur zu Wissen was sich grade in seinem Kopf abspielte. Nichts Gutes in jedem Fall…

 

Kapitel 62 Kein Ausweg

 

 

 

Mit den neuen Vorräten und warmer Kleidung gestaltete sich ihr Rückweg fast langweilig. Die Kälte der Eiswüsten machte ihnen nach wie vor zu schaffen, aber sie waren längst nicht mehr davon bedroht zu erfrieren und die neuen zelte, die ihnen Melchior mit auf den Weg gegeben hatte, hielten sogar die stärksten Winde ab und erlaubten es sogar, ein kleines Feuer in ihrem Inneren zu entfachen ohne das ihnen von dem Rauch bald die Augen tränten.

Und wenn es nur das gewesen wäre, was Elin zu denken gab, hätte sie vielleicht sogar froh sein können. Vielleicht. Doch da war nach wie vor Galren und je näher sie den Bergen und damit Vara zu kommen schienen, desto schweigsamer schien er zu werden. Die Worte des Sehers hatten ihm zugesetzt, das spürte sie. Mehr als ihr… Und warum auch nicht. Melchior hatte ihr Todesurteil gesprochen, dachte Elin. Wie sollten sie den einen Ausweg finden, wenn es ihnen zuvor nicht gelungen war? Der einzige Grund aus dem sie diese Reise unternommen hatten war, dass es keine Lösung gab und dass die Dunkelheit die Galren so unbeabsichtigt entfesselt hatte drohte, sie alle zu verschlingen. Selbst das alte Volk hatte keinen Ausweg gefunden… Aber noch weigerte sie sich aufzugeben. In Vara würden sie zumindest erst einmal Zuflucht finden können und dann… dann würden sie sehen, wie es weiter ging.

Elin wusste nicht mehr, wie lange sie für den hinweg gebraucht hatten, doch die Berge schienen dieses Mal schneller näher zu kommen, als sie sie hinter sich gelassen hatten und die endlosen Schneefelder wichen zurück und wurden zu vereinzelten, gefrorenen Eisbrettern die über dem gelben, toten Gras lagen, das die Ebenen zwischen Gruppen aus Tannen und Fichtenwäldern bewuchs. Und sie trafen zum ersten Mal wieder auf Menschen. Ein paar Schäfer, die ihre Tiere in den felsigen Hängen an den Pässen weideten,  wo der Winter das Gras noch nicht ganz abgetötet hatte und einigen Förstern und Jägern, die ihnen frische Vorräte verkauften. Weiter die Berge hinauf wurde jedoch auch die Besiedlung wieder spärlicher und sie bald wieder alleine zwischen den hoch aufragenden Gipfeln und den Schluchten, die sich abseits der mit Eis und Schnee überkrusteten Pfade auftaten. Nachts schlugen sie ihr Lager schließlich im Schutz einer Felswand auf, die zumindest den ständigen Flugschnee und Wind etwas abhielt und der Pfad zumindest etwas an breite zunahm, so dass man nicht mehr ständig damit rechnen musste bei einem falschen Schritt sofort in den Abgrund zu stürzen.

,, Elin…“ Die Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen und zuerst konnte die Gejarn sie nicht zuordnen. Auch wenn sie sie ganz sicher kannte. Jemand rüttelte sie am Arm. Die Stimme gehörte nicht Galren… ,, Elin… seht nach ihm.“

Melchior ? Mit einem Schlag war sie hellwach und setzte sich auf. Sie war verschwitzt, obwohl es im Zelt selbst längst eiskalt war. Hatte sie geträumt ? Von dem Seher jedenfalls war weit und breit nichts zu sehen. Was von dem Feuer, das Galren am Abend entfacht hatte geblieben war, glomm als kleiner Haufen Glut vor sich hin und gab kaum mehr Licht ab. Doch trotzdem wusste Elin sofort, dass etwas nicht stimmte. Die Lucke des Zelts stand weit offen und kalte Bergluft sowie vereinzelte Schneeflocken fanden ihren Weg ins Innere, so dass sich bereits eine kleine Pfütze davor gebildet hatte. Aber nicht nur Melchior, ob sie sich die Stimme nun nur eingebildet hatte oder nicht, war nicht hier. Galrens Schlafsachen, eine schwere Decke und Felle neben ihren, war verlassen, der Stoff bei Seite geschlagen. Das konnte alles Mögliche heißen, sagte sie sich, doch ein Teil von ihr wusste es bereits besser. So schnell sie konnte warf sie sich ihren schweren Umhang über  und kletterte dann in Richtung Zelteingang.  Draußen war alles dunkel, der Himmel mit Wolken bedeckt, so dass man nicht einmal mehr die Sterne sehen konnte. Selbst der Schnee, der unter ihren Stiefeln knirschte schien genau so dunkel wie die grauen Felswände die um sie herum aufragten. Und so hätte sie ihn zuerst fast übersehen. Galren war nur ein weiterer Schatten unter Schatten wie er da an einem Felsen unweit ihres Zelts lehnte. Direkt neben ihm neigte sich der Boden hin zum Abgrund wo die Felsen glatt bis in die Täler zwischen den einzelnen Berggipfeln abfielen. Er sah nicht auf, obwohl er sie doch längst gehört haben musste, stattdessen blieb er nur in seinen Mantel gehüllt sitzen und betrachtete irgendetwas in seiner Hand.

Elin trat näher und konnte das Glitzern von Metall und den Lauf der Waffe erkennen. Hatte er die Pistole schon die ganze Zeit mit sich getragen oder von einem der Jäger erstanden denen sie begegnet waren, als sie nicht aufgepasst hatte?

,, Galren ?“ Sie blieb ein Stück von ihm entfernt stehen. Er hielt keine Wache… und hier in den Bergen gab es nichts, das man Jagen könnte. ,, Was tust du da ?“

Erst jetzt schien er sie überhaupt zu bemerken und sah auf. Auch sein Gesicht war nur ein Schatten, seine Züge nur undeutlich zu erkennen. ,, Geh wieder rein Elin.“

Stattdessen trat sie nur weiter auf ihn zu, nun vorsichtiger geworden. Das ungute Gefühl, das sie schon beim Aufwachen beschlichen hatte verstärkte sich noch und ohne dass sie es selbst merkte, schüttelte sie den Kopf. Nein…

,, Galren ?“ Elin ließ sich neben ihm nieder, ohne ihn auch nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen. Nicht das sie schnell genug gewesen wäre, irgendetwas zu unternehmen. Ihr war kalt und das nicht wegen der Witterung.

,, Der Seher hat gemeint es gäbe einen Ausweg, Elin. Was wenn er das hier ist?“ Aus der Nähe konnte sie erkennen, das er lächelte, aber es war kein glückliches Lächeln. Wie um seine Worte zu unterstreichen, hielt er die Pistole hoch, bis vor seine Brust. Zu nah, dachte Elin. Zu nah an seinem Herzen und auf ihn gerichtet…  ,, Wenn ich tot bin…,kann der Herr der Ordnung auch nicht zurück kehren, oder ? Und was wäre schon dabei….“ Er ließ die Waffe nicht sinken und vermied es ihr in die Augen zu sehen. ,, Ich habe nie etwas richtig gemacht, Ein. Vielleicht ist das die Gelegenheit.“

,, Galren… das ist nicht der Weg.“ Er dachte nicht nur darüber nach. Dazu würde er sich nicht nachts aus dem Zelt schleichen. Und was wenn es stimmte ? Wenn das wirklich war, was der Seher gemeint hatte? ,, Leg die Waffe weg. Wir… wir gehen nach Vara. Und wenn es wirklich…“
,, Wir wissen nicht einmal ob Vara noch steht wenn wir da ankommen, Elin. Und ohne mich bist du vielleicht ohnehin schneller. Du hast mich einmal zurück gelassen. Das ist nichts anderes… Es ist vorbei.“

,, Warum ?“Galren sah ihr zum ersten Mal in die Augen, als er ihren Tonfall hörte. Nicht entsetzen. Sondern verwundert, nur getrieben von dem  ehrlichen Wunsch nach einer Erklärung. Sie konnte nicht glauben, was sie sah. , So etwas von ihm zu hören tat weh. Von ihm, der sonst nie aufgab. Ja vielleicht hatte er damit Recht. Aber sie war noch lange nicht bereit, sich das einzugestehen. ,,Galren , warum ?“

,, Warum ? Weil es keinen Weg mehr für mich gibt, Elin. Ich habe die Leute immer nur verletzt und enttäuscht. Lias. Armell. Kellvian. Merl. Dich. Und selbst jetzt tue ich dir weh. Den ganzen Weg hierher. Kein Wunder das der Herr der Ordnung mich als passende Hülle sieht. Aber das hört hier auf.“

,,Feigling.“ Er hatte wohl mit viel gerechnet. Dass sie ihn bitten würde, das sie ihm sagen würde, das nichts davon stimmte…vielleicht ja auch, dass sie es zulassen würde. Aber Elin spürte keine Angst mehr. Kein Mitleid. Nur Wut. ,, Glaubst du wirklich das macht irgendetwas besser ? Wenn ja bist du wirklich nichts anderes als ein verdammter Feigling.“ Ihre Worte hallten als Echo von den Bergen wieder. ,,Wenn du das jetzt tust ist Naria umsonst gestorben. Und Lias. Und Janis. Alle. Und wenn du schon aufgibst welche Chance hat dann überhaupt noch einer von uns? Er tötet uns sowieso alle, Galren. Es spielt längst keine Rolle mehr ob er dich bekommt oder nicht. Aber nur zu. Ich jedenfalls werde weiterkämpfe, bis es wirklich keine Hoffnung mehr gibt, wenn das das Ende ist…“  Ihre Stimme begann zu zittern und gegen ihren Willen stiegen ihr die Tränen in die Augen. ,, Du  kannst nicht einfach aufgeben… Ich will nicht alleine sterben, Galren.“ Sie würde niemals zugeben wie viel Überwindung sie diese letzten Worte kosteten. Sie wollte ihn schütteln, ihm sagen dass er gefälligst wieder zur Vernunft kommen und seine eigenen Worte Lügen strafen sollte. Worte, die nur zu sehr ihren eigenen Ängsten Ausdruck verliehen. Stattdessen nahm sie nur sein Gesicht in beide Hände, ignorierte die Waffe zwischen ihnen. ,, Du bist kein Feigling. Das glaube ich nicht.  Das bist du schlicht nicht…“

,, Und ich bin auch kein Held, Elin. Und das wäre es wohl, was es bräuchte um das alles hier noch zu einem guten Ende zu führen. Ich fürchte jedoch die sind alle tot… oder ihre Träume vor langem zerbrochen.“ Er sah wieder zu Boden, fort von ihr. Bisher hatte er immer zugelassen, dass sie ihm half. Nun jedoch ? Irgendwie hatte er sich in diese Idee verrannt, dass der Seher seinen Tod als Lösung ansehen könnte. Vielleicht hatte Melchior für ihn auch nur bestätigt, was er bereits befürchtet hatte? Geister, was  Melchior ihnen gesagt hatte war nichtssagend gewesen, bestenfalls. Sie würde nicht zulasse, das er nur deswegen jetzt zerbrach. Und sie würde es weder ihm noch ihr verzeihen…

,, Aber du nicht… Galren, schau mich an. Er hat dich nicht gebrochen. Und das wird er  auch nicht. Es gibt einen Weg und wir werden ihn auch finden. Du hast auch das von Melchior gehört. Das ist was du tust, das ist was dich ausmacht. Du findest einen Weg. Aber das hier ? Das ist keiner. Du hast noch eine Wahl.“ Eine Weile lang hielt sie ihn nur fest, hinderte ihn daran sich wieder in seine eigenen, düsteren Gedanken zu flüchten.  Sie war sein Anker in diesem ganzen Wahnsinn. Das war sie immer gewesen. Und sie würde es bleiben so lange es nötig war. Sie akzeptierte seine Zweifel, seine Angst die letztlich auch nur ihre war.  Aber das er Aufgab, nein… das konnte sie nicht akzeptieren. Das war nicht Galren, nicht der Mann den sie liebte, sondern nur was der Herr der Ordnung aus ihm machen wollte. Eine ausgebrannte Hülle, die keinen Ausweg mehr sah… und vergessen hatte sich auf das zu besinnen, was er eigentlich war.

Langsam hob er den Kopf. Sie konnte nicht sagen was er denken mochte. Jeden Moment erwartet sie einen Knall zu hören, der alles beenden mochte. Und was würde sie dann tun? Den anderen sagen dass sie zugesehen hatte wie er aufgab und starb? Minuten mochten vergangen sein oder auch Stunden.

,, Dann sag  mir , was kann ich noch  tun ?“ War da nicht das leichte Aufschimmern von Hoffnung in seinen Augen? Schwach aber da.  Irgendwie hatte sie ihn dazu gebracht ein Stück von dem Abgrund zurück zu taumeln an dem er stand.  Und Elin hatte nicht vor abzuwarten ob er den Rest des Weges von selbst gehen würde. Sie küsste ihn, schloss eine Hand um die Waffe. Und tatsächlich lockerte sich sein Griff, grade genug, das er zuließ, dass sie ihm die Pistole entwand und sie fort über den Rand der Klippe schob. Wenn er es wirklich hier beenden wollte, brauchte er keine Kugeln… Das war ihr genau so klar wie ihm.

,, Liebe mich.“ , hauchte sie, hielt sich an ihm fest wie eine Ertrinkende. Die Erwartung war quälend. Eine Ewigkeit schien zu vergehen in der er sie nur still betrachtete. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie nahm kaum wahr wie er ihr durch die Haare strich, bevor er eine Hand auf ihre Wange legte. Er lächelte.  Für den Augenblick war es genug.

,, Wie oft wirst du mich noch vor mir selbst retten müssen ?“ , fragte er schließlich in die Stille hinein. Langsam stand er auf, hielt sie dabei fest und zog sie mit sich nach oben. ,, Gehen wir  wieder rein. Morgen ist ein neuer Tag. Und ich werde da sein. Das ist ein Versprechen…“

 

 

Kapitel 63  Ankunft

 

 

 

 

,, Habe ich euer Wort, das ihr nicht versuchen werdet, weg zu laufen ? Dann würde ich zumindest eure Fesseln lösen. “ Es war das erste Mal seit drei Tagen, das er mit ihr sprach und Naria zuckte beim Klang von Träumers Stimme tatsächlich kurz zusammen. Eine Woche lang irrten sie jetzt durch die Wildnis in Richtung rotes Tal und fast genauso lange sprachen sie nur das nötigste. Sie weil Träumer sie schlicht zu überhören schien, egal wie sehr sie auf ihn einredete und er, weil es nichts zu sagen gab. Was wollte er ihr auch noch sagen? Das er sie nicht wissentlich zur Schlachtbank führte? So verblendet konnte er nicht sein.

,, Wenn ihr mir wirklich einen Gefallen tun wollt, Träumer, dann beendet es einfach.  Das ist besser als alles, was mir euer Meister antun wird.“

Sie rasteten am Rand eines kleinen Waldes aus verkrüppelten und verdrehten Kiefern, die mit ihren Wurzeln in der aufgeweichten  Erde nach halt suchten. Am Mittag hatte es geschneit und  die Sümpfe in diesem Teil von Hasparen waren längst gefroren, so dass man sie halbwegs sicher überqueren konnte. Für Naria allerdings bedeutete dies nur, dass sie schneller vorankamen. Und das, dachte sie, war das letzte was sie wollte. Über einem kleinen Feuer drehten sich einige Spieße mit Rentier-Fleisch, die Träumer einem Viehtreiber abgekauft hatte, dem sie zufällig begegnet waren. Der Wiederschein der Flammen spiegelte sich auf ihrem Gesichtern auf denen sich fast der selbe, unnachgiebig Ausdruck zeigte. Schließlich seufzte Träumer schwer und machte eine kurze Handbewegung. Im selben Augenblick wich der unsichtbare Druck von ihren Handgelenken. Zum ersten Mal seit Tagen konnte sie ihre Finger wieder richtig bewegen. Naria streckte jeden einzeln und rieb sich die Gelenke. Die magischen fesseln hatten keine Schürfwunden hinterlassen, doch die Krämpfe die die gezwungene Haltung in ihren Armmuskeln verursacht hatten waren bereits jenseits des erträglichen. Trotzdem sah sie Träumer nur Schweigend über die Flammen hinweg an. Wenn er glaubte, dass das etwas änderte oder dass sie ihm danken würde hatte er sich getäuscht.

Sie spielten dieses Spiel jetzt seit ihrem Aufbruch aus der Höhle am Pass. Naria hatte sich von Anfang an wenige Illusionen gemacht, was ihr entkommen anging, doch Träumer schlief nicht einmal und machte scheinbar ohnehin nur Rast, wenn sie kaum mehr weiter laufen konnte, zumal mit zusammengebunden Händen. Und selbst wenn das nicht gewesen wäre,  so umgab der Erwählte ihr Lager Nachts zusätzlich mit Zaubern, die zwar auch jedem Eindringling das Fleisch von den Knochen reißen würden… auf Naria allerdings den gleichen Effekt haben würden, sollte sie versuchen sich zu weit zu entfernen. Manchmal konnte sie die Barriere aus den Augenwinkeln erkennen, ein Schimmern in der Luft, wie das Aufblitzen einer Klinge. Und wo Träumer nur schweigend am Feuer saß und in die Flammen starrte oder manchmal ein paar ihrer Vorräte zubereitete ohne selbst davon zu essen, machte sie sich an den Zaubern zu schaffen. Naria war klar, wie vergeblich diese Versuche waren. Träumers Macht reichte fast an die seines Meisters heran und ihre kläglichen Bemühungen reichten grade einmal, ein paar Breschen in die Magischen Schilde zu schlagen, groß genug das vielleicht eine Maus hätte entkommen können… aber nicht sie. Meist fielen ihr irgendwann von der Anstrengung des Tages und der zusätzlichen mentale Erschöpfung durch ihre Versuche, die Magie zu lösen, die Augen zu. Sie war müde, sie war erschöpft und am nächsten Abend errichtete Träumer die Zauber schlicht von neuem. Es war ein endloser Kreislauf. Trotzdem machte sie weiter und sei es nur weil es ihr zumindest etwas zu tun gab und sie davon ablenkte, zu sehr über ihre Lage nachzudenken. Träumer musste merken, was sie Nachts tat, doch falls er sich über die Schwächungen seiner Zauber wunderte, verlor er kein Wort darüber. Genau so wenig wie sie. Wenigstens, dachte Naria, konnte er so Elin und Galren nicht Verfolgen, selbst wenn es ihm in den Sinn gekommen wäre. Nicht mit ihr im Schlepptau.  Leider, war das auch der einzige Lichtblick in ihrer Situation. Anders als Träumer machte sie sich keine Illusionen darüber was geschehen würde, wenn sie das rote Tal erreichten. Ihr Leben würde enden. Das einzige, was auf sie wartete, war der Tod und den würde ihr der rote Heilige nicht gewähren, bevor er nicht alles von ihr gehört hatte. Über die Pläne des Kaisers, über Melchior, das die Flüchtlinge sich nach Vara zurück gezogen hatten… Alles. Und sie machte sich keine Illusionen das dieses… Ding das Träumers Meister darstellte sie brechen konnte, wenn er es wollte. Sie war stark. Das hatte sie zumindest immer von sich gedacht. Ein Kind ihrer Eltern, die es beide mehr als Verstanden ihren Willen durchzusetzen. Und sie war stolz darauf gewesen, auf ihre Unabhängigkeit auf ihre Fähigkeiten. Aber nicht stark genug sich gegen einen Gott zu behaupten. Und diese Gewissheit machte ihrer Angst. Mehr als alles andere in ihrem Leben fürchtete sie sich davor. Und der einzige, der ihr jetzt Gnade gewähren konnte, auf dessen Hilfe sie jetzt angewiesen war ob es ihr gefiel oder nicht,  saß schweigend vor ihr in der Dunkelheit und schien direkt durch sie hindurch zu blicken. Sie glaubte nicht das er sie befreien würde, selbst wenn sie irgendwie an ihn herankommen würde. Dazu war Träumer zu loyal zu sehr auf seinen Herrn eingeschworen. Aber war es den zu viel verlangt, die Sache wenigstens schnell und sauber zu beenden? Er würde sie nicht leiden lassen, das wusste sie.

,, Ich hasse euch, ist euch das klar ?“ , fragte sie schließlich. Eigentlich ging ihre Wut mehr in Richtung seines Meisters, aber Träumer hatte zugelassen, dass man aus ihm wenig mehr als ein Werkzeug machte. Ihre Gefühle Träumer gegenüber waren bestenfalls ein Wirrwarr aus Verachtung und Mitleid.

,, Ich kann es euch nicht einmal verübeln.“ , meinte der Erwählte nur. Und er klang tatsächlich verständnisvoll. Naria schloss die Augen. ,, Aber ich habe auch mein Wort gegeben.“

 ,, Ich bitte euch nur darum. Zwingt mich nicht dazu ihm gegenüber zu treten…“ Die Worte kosteten sie Überwindung. Wie tief war sie gefallen, das sie jetzt schon um ihren Tod bat?

,, Vielleicht wenn ihr mir verratet, wer dieser Melchior ist ? Mein Meister wird antworten wollen. Ich kann sie genauso gut überbringen wie ihr…“

Naria schüttelte den Kopf. Das war mehr als sie in einer Woche miteinander gesprochen hatten, aber es lief wieder auf dasselbe hinaus wie sonst. ,, Das kann ich nicht.“ Damit würde sie alles verraten. Und so gering die Chance war, das es noch  etwas brachte, es war die einzige, die sie noch hatten. Und das hieß, dass der rote Heilige auf keinem Fall davon erfahren durfte. Oder solange wie möglich zumindest nichts davon wissen durfte. Und das war ihre Aufgabe, dachte Naria bitter. Ihre Letzte. Er durfte es nicht erfahren….

,, Und genau so wenig kann ich euch gehen lassen.“ , erwiderte Träumer und klang dabei wie immer fast entschuldigend. ,, Es tut mir leid.“ Und das tat es wirklich, das konnte sie ihm ansehen. Träumer war das genaue Gegenteil seines Herrn.  Er war nicht bösartig, nicht verdorben an Körper und Geist wie so viele andere seines Glaubens. Aber er konnte sich auch nicht gegen sie stellen. ,, Aber wenn ihr sprecht kann ich ein Wort für euch einlegen. Es ist noch nicht zu spät, Naria. Ich bin sicher man kann einen Platz für euch finden.“

Träumers versuche sie zu bekehren entlockten ihr nur ein trockenes Lachen. ,, Ich bin nicht wahnsinnig.“

,, Ihr lasst euch genau so wenig überzeugen wie sie.“ Träumer musste nicht sagen wen er meinte. ,, Ich habe sie geliebt und doch…“

,, Erlaubt das man sie tötet.“ , beendete Naria den Satz für ihn.

,, Unsere Mission ist zu wichtig.“

,, Wichtiger als alles, was euch sonst noch  etwas bedeutet ?“

,, Wenn nicht würde ich euch die Gnade gewähren um die ihr bittet.“ Er wusste, dass er sie verdammte. Irgendwo in seinem inneren kannte er die Wahrheit schon. Ob er sich das eingestehen konnte war egal. Er wusste es… ,, Aber er hat mir geschworen euer Leben zu schonen, bevor ich aufgebrochen bin.“

Aber auch nichts sonst… ,, Wie kommt ihr darauf, das ihn sein Wort etwas kümmern würde ? Ihr wisst genauso gut wie ich, dass dem nicht so ist. Träumer. Ihr wisst, dass er lügt, ihr wisst dass ihr ihm nicht trauen könnt und ich weiß es.“

Träumer antwortete ihr nicht, sondern drehte ihr schlicht den Rücken zu und damit schien für ihn das Gespräch beendet. Naria konnte tun was sie wollte, sie kam nicht an ihn heran. Und so versanken sie erneut beide in Schweigen, während sie ihren Weg in Richtung Südosten fortsetzten.  Tage wurden zu Wochen, in denen die Berge langsam aber sicher am Horizont verschwanden und die gefrorenen Sümpfe und Nadelwälder erst durch Laubbäume und schließlich durch endlose Grassteppen abgelöst wurden, die das Land in ein Meer aus goldenen im Wind wogenden Halmen verwandelten. Und je weiter sie nach Süden gelangten desto wärmer wurde es schließlich bis auch die letzten Schneebretter hinter ihnen zurück blieben, genauso wie es bald ihre Wintermäntel taten. Und  als schließlich die ersten Ausläufer des roten Tals in Sicht kamen, schien Träumer zum ersten Mal wirklich langsamer zu werden. Das Tal lag vor ihnen wie eine Narbe in der Landschaft, breit genug, das man es nicht an einem Tag durchqueren konnte und an seiner längsten Stelle so weitläufig, das man das andere Ende nur mehr erahnen konnte. Roter Staub wurde mit dem Wind über die Ebenen gepeitscht und färbte die Blätter der Bäume, sowie das Wasser des Flusses, der sich als leuchtendes Band durch die Schlucht zog rötlich. Und rot waren auch die Felsen der Klippen, welche das Tal in alle Himmelsrichtungen begrenzten und die Senke noch mehr wie eine Wunde wirken ließen. Ruinen aus rosafarbenem Marmor, der einst weiß gewesen sein mochte zogen sich entlang verfallener Straßen bis zum Horizont. Und dahinter, jenseits des Flusses erhaschte Naria zum ersten Mal einen Blick auf das, was sie erwartete. Die Tempelanlage war riesig selbst wenn man sie mit dem Palast der fliegenden Stadt verglichen hätte. Auf einem künstlich angelegten Hügel  ragten Mauern aus schwarzem, rotem und grauem Stein in die Höhe. Säulen in unterschiedlicher Größe, manche so breit, das sie sie nicht mit den Armen hätte umfassen können, andere so filigran das sie fast organisch und wie Rippen aus Stein wirkten zogen sich an der Außenseite des Gebäudes entlang und waren über Steinbögen mit dessen Mauern verbunden. Es sah beinahe so aus, als würde die Erde selbst Finger ausstrecken um den von hohen, vergoldeten Kuppel gekrönten Bau damit zu umschließen. Doch so viel Kunst in das Monument geflossen war, für Naria strahlte es Grobheit ab. Ganz anders als die fliegende Stadt. Die Wände waren mit Reliefs voller Inschriften verziert, hoch genug, das man sie selbst auf die Entfernung erkennen konnte. Manche enthielten ganz offenbar religiöse Texte andere jedoch zeigten Darstellungen von Geweihten Männern und Frauen. Manche mit verklärtem Blick nach oben sehend, andere am Boden kniend, während ihren Körpern Engelsflügel sprossen oder von Licht eingehüllt wurden. Und hoch über ihren Köpfen, dort wo die Reliefwand in die Kuppeldächer überging thronte eine schwarze Sinne, die offenbar aus einem einzigen Block Obsidian so groß wie ein ausgewachsener Mann geschnitten worden war.  Mit der Sonne im Rücken leuchteten rote, violette und goldene Einschlüsse in dem schwarzen Stein und schienen ihn in Feuer zu tauchen. Naria wusste, was die Sonne darstellen sollte auch ohne Träumer noch einmal danach zu Fragen. Der Herr der Ordnung selbst der auf seine Erwählten Schafe hinab blickte. Wie viele dieser Schafe wohl wussten dass am Ende ihres Pfads zur Erleuchtung nicht Verklärung sondern Verdrehung nicht Erlösung sondern Mutation und Zerstörung standen?

Einen Moment konnte sie sich schlicht nicht dazu überwinden, weiterzugehen. Sie wusste nur zu gut, was sie hier erwarten würde,  hatte einen Monat Zeit gehabt ihre Angst davor zu nähren… und sich so gut es eben ging mit dem Gedanken anzufreunden, das es für sie nur noch das Ende gab. Träumer verharrte wo er war, als er merkte wie sie zögerte. Eigentlich hatte sie erwartet, dass er darauf drängen würde, das sie weitergingen. Aber das tat er nicht. Aber er ging auch nicht fort sondern behielt sie ganz genau im Auge. Immer noch keine Chance weg zu kommen. Oder den Versuch zu wagen sich über die Klippe zu stürzen. Naria schloss einen Moment die Augen. Was immer auch geschieht, du wirst ihm nichts sagen. Solange es eben geht. Was immer auch geschieht du wirst ihm nicht erlauben dich so einfach zu brechen.  Und was immer auch geschieht du wirst nicht schreien und um Gnade winseln.  Und wenn es nur eine Chance gibt… nur eine, egal wie klein  den roten Heiligen mit dir zu nehmen. Ergreif sie. Dein Stolz ist was du noch hast. Nutz ihn auch…

Naria amtete tief durch und öffnete die Augen wieder. ,, Gehen wir weiter…“ , meinte sie und trat an Träumer vorbei… und auf den Pfad hinaus der an der Steilwand entlang hinab ins Tal führte. 

 

 

Kapitel 64 Glück

 

 

 

Der Wind trug Staub durch die Gassen zwischen dem Zeltlager, das den Tempelkomplex umgab. Obwohl das Bauwerk leicht die Ausmaße einer kleinen Stadt hatte, schien es tatsächlich nur als Ort der Anbetung. Kultisten und Arbeiter hingegen drängten sich dicht an dicht in einem Gewirr aus aufgespannten Sonnensegeln, einfachen Holzhütten und Zelten zwischen denen es fast so geschäftig zuging, wie in einer richtigen Stadt.  Naria entdeckte sogar einige Händler die ihre Waren anboten. Töpfer die alles von Geschirr, bis zu Ziervasen und Schmuck aus kleinen, bemalten Tonplatten anboten, Steinmetze die wohl für den Bau des Tempels hierher gebracht worden waren und nun wo die Arbeiten so gut wie beendet waren, kleine Ikonen und Statuen verkauften , Männer und Frauen die große Wasserkrüge balancierten und jedem Vorbeikommenden für eine Kupfermünze ein Glas anboten. Irgendwie ging das Leben auch hier weiter, dachte Naria und fand tatsächlich etwas Trost darin. Allerdings nur, bis die ersten Leute Träumer erkannten und begannen sich zu ihnen umzudrehen. Mit einem Mal war es in den eben noch von Stimmen summenden Zeltgassen totenstill geworden. Mütter wichen mit ihren Kindern in die Schatten unter den Sonnensegeln zurück und selbst die Händler und die übrigen Männer verstummten plötzlich und sahen zu Boden, als wollten sie vermeiden ihm aus Versehen in die Augen zu sehen. Die Geste drückte genau so sehr Respekt aus wie Angst. Sie fürchtete Träumer. Oder vielleicht auch nur seinen Meister. Einige wenige musterten auch sie, doch immerhin lag in diesen Blicken mehr Neugier als Furcht. Naria hatte bisher noch keinen anderen Gejarn hier entdeckt… was allerdings bei der Haltung die die Kultisten des Herrn der Ordnung gegenüber ihrem Volk hatten wohl auch kein Wunder war. Und deshalb fragten sie sich wohl umso mehr, was sie hier zu suchen hatte. Bis jetzt war sie Träumer vorausgegangen nun jedoch ließ sie zu das der Erwählte wieder die Führung übernahm. Wenigstens gab ihr das noch etwas Zeit, dachte Naria, denn Träumer ging betont langsam an den Menschen vorbei, begann hier und da sogar ein kurzes Gespräch. Die meisten Leute antworteten ihm höflich aber kurz angebunden und schienen mehr aus Pflichtgefühl und Angst auf seine Fragen einzugehen denn aus eigenem Willen. Ein Träger bot ihm etwas Wasser an, das er dankend annahm, dann aber an Naria weiterreichte. Als er die Hand allerdings nach einem kleinen Kind ausstreckte, das nicht mit den anderen in die Zelte geflüchtet war, kam plötzlich Unruhe in die Menge. Eine Frau, wohl  die Mutter des Kleinen , bahnte sich einen Weg zwischen den Leuten hindurch , zog das Kind so schnell es ging an sich und drehte Träumer dabei den Rücken zu , als wollte sie es vor ihm abschirmen.

Der hagere Erwählte stand einen Moment wie vor den Kopf geschlagen da, eine Hand nach wie vor ausgestreckt. Es war ein seltsamer Anblick, dachte Naria. Und wenn sie je einen Moment gehabt hätte, in dem sie entkommen konnte, dann wohl jetzt. Doch ihre Beine wollten sich nicht bewegen. Sie war  genauso erstarrt wie alle anderen in der Gasse. Die Weltschien endgültig den Atem angehalten zu haben. Lediglich etwas Sand trieb durch die Straße, glitzerte rot und golden in der Sonne, die durch Schilfmatten und Zeltstoff ein verwirrendes Muster aus Licht und Schatten auf den fest gestampften Lehmboden malte.

,,Verzeiht. Ich wollte euch nicht erschrecken.“ Träumers Stimme klang belegt, während er langsam den Arm sinken ließ. ,, Es tut mir leid…“

Er wendete sich um und machte einen Schritt nach vorne und Naria rechnete kurz tatsächlich damit, dass er einfach loslaufen und sie hier zurück lassen würde. Nicht einmal Galren hatte je so verloren ausgesehen, nicht mit seinen Visionen und nicht als er in der Stadt der Zwerge schließlich seine eigenen Fehler einsehen musste.  Doch bevor Träumer dazu kam hatte die Frau plötzlich seine Hand berührt.

,, Wartet Herr, bitte. Einen Moment  nur.“ Träumer drehte sich langsam wieder zu ihr, zog sie auf die Füße, als sie scheinbar nicht wagte seine Hand loszulassen und vor ihm auf die Knie ging. ,, Ihr seid nicht wie… er. Oder ? Nicht wie die anderen ?“

Träumers Mine bekam etwas Gequältes. Sie sagte genau das was er hören musste und doch nicht was er hören wollte.  ,, Vielleicht. Und vielleicht macht mich das nur schlimmer.“

Sie schüttelte den Kopf. ,, Das glaube ich nicht. Verzeiht… Ihr seid ein wahrer Diener. Ihr habt euch keinen Titel angemaßt wie sie. Würdet ihr… würdet ihr mein Kind segnen? Im Namen eures Glaubens ?“

,, Mein Glaube ist der gleiche wie der aller hier. Geht zu einem der Prediger.“ Träumer schien wie vor den Kopf gestoßen. Und trotz seiner Worte, streckte er erneut die Hand nach dem Jungen aus und diesmal ließ die Mutter ihn tatsächlich los

,, Nein… Da irrt ihr euch. Oder irre ich mich? Ich weiß es nicht.“

Und diesmal schien auch Träumer keine Erwiderung für sie zu haben. Stattdessen legte er dem Kind nur die Hand auf den Kopf und murmelte ein paar Worte des Segens. Von Wachstum, von Wahrheit von Zukunft. Nicht von Zerstörung und Leid und gigantischen Götzenbildern die wie Stein gewordene Drohungen in den Himmel ragten.… Und was Naria nie für möglich gehalten hätte geschah. Träumer lächelte. Ein glückliches Lächeln, ein zufriedenes Lächeln und so schnell es wieder verschwand es war da gewesen. Es war da gewesen… Egal wie schnell er sich plötzlich umdrehte und davon stapfte ohne darauf zu achten ob sie ihm noch folgte. Einen Herzschlag lang war Träumer glücklich gewesen. Und erst jetzt wo sie es einmal gesehen hatte, wie sehr sich dieser Mann dabei veränderte, wurde ihr klar, dass sie in nie zuvor wahrhaft glücklich erlebt hatte. Naria fragte sich  erneut, wessen Schicksal hier eigentlich schwerer wog. Ihres ? Oder Träumers ? Sie konnte immerhin noch hoffen, dass das hier alles bald zu Ende sein würde… Aber er ? Er würde dienen. Bis zum bitteren Ende. Irgendwann, irgendwie kam er dann wieder zurück. Er sagte nichts, nickte nur kurz mit dem Kopf in Richtung des Tempels. Sie mussten weiter. Ein jeder von ihnen auf seine Art seinem Schicksal entgegen.

Der Aufgang zum Tempel wand sich von einer Wendelmauer eingerahmt in einer Spirale  die Flanke des Hügels hinauf. Der Boden zwischen den Mauern war mit schweren Steinplatten ausgelegt worden, doch dort, wo die Mauern das Land einmal frei gaben konnte Naria nackte Erde und festgestampften Lehm erkennen auf dem noch nichts wuchs. Offenbar hatte man die Erhebung teilweise künstlich aufgeschüttet und das vor noch nicht allzu langer Zeit. Die Mauern, die den Weg auf beiden Seiten blockierten hielten sie jedoch davon ab mehr zu erkennen, als sie Träumer nach oben folgte. Die  Wände waren hoch genug, dass sie die Sonne aus den Augen verlor und dämpften den Lärm aus dem den Tempel umgebenden Lager, bis er kaum mehr zu hören war. Dafür war es nun dunkel, dachte Naria. Und kühl.  Selbst am Mittag erreichte die Sonne wohl nur für wenige Stunden den Boden zwischen den Mauern, so dass sich die Kälte der Nacht hier bestens hielt und sie nach der brütenden Hitze im Tal frösteln ließ.  Dabei konnte sie sich nicht davon abhalten ab und an den Kopf zu heben. Allein schon der Tempelzugang hatte etwas Beklemmendes. So breit die Straße auch war, mit kaltem Stein auf allen Seiten kam sie sich eingezwängt vor.  Der Himmel war nur als blasser, blauer Streifen irgendwo hoch über ihnen auszumachen und ab und an konnte sie die Silhouette einzelner Männer erkennen, die auf den Mauern Patrouille gingen. Je höher sie jedoch kamen, desto näher kamen schließlich auch die oberen Ränder der Mauern, bis sie und Träumer schließlich den Gipfel des Hügels erreichten. Hier verliefen sich die Enden des Walls, die unten noch höher als ein Haus aufragten schlicht in der Erde links und rechts von ihnen und mündeten in je einem kleinen Wachhaus, das jedoch verlassen dalag. Und dahinter schließlich wartete der Tempel selbst. Aus der Nähe wurde Naria noch einmal bewusst, wie weitläufig das Gebäude tatsächlich war. Sie musste den Kopf in den Nacken legen um die vergoldeten Kuppeldächer zu erkennen. Mit Inschriften und wunderschönen Steinmetzarbeiten verzierte  Marmorplatten verzierten die Außenseite des Gebäudes und die Säulen, welche das Gebäude von außen Stützten warne in ihrem unteren Teil zu einer Vielzahl von Figuren geschnitzt. Engel, deren Schwingen weitere, kleinere Bögen zwischen den einzelnen Stützenpaaren bildeten, verhüllte Gestalten die wohl Prediger und Erwählte darstellen sollten… aber auch kniende Menschen, das Gesicht zum Himmel erhoben und die Säulen mit den bloßen Händen tragend.  In diesen Ort war mehr Arbeit und Kunst geflossen als in irgendeinen anderen, den sie je gesehen hatte. Und das hier war nur eine Seite des Tempels. Und noch dazu die Außenmauern. Unter normalen Umständen hätte es Jahre oder Jahrzehnte gedauert etwas Derartiges zu schaffen. Aber natürlich war dieser Bau nicht unter normalen Umständen entstanden. Naria bezweifelte das die Welt seit dem Verschwinden des alten Volkes je etwas vergleichbares gesehen hatte.  Einen Moment vergaß sie sogar, weshalb sie überhaupt hier war und ging unter Träumers wachsamen Augen an der Fassade entlang, sah zu der gewaltigen Sonne aus Obsidian hinauf, die über dem Eingangstor prangte.  Die Tore selbst standen offen und gaben den Blick auf eine gewaltige Eingangshalle frei  Fackeln, deren Feuer von aus bläulich schimmernden Bergkristall gefertigten Schirmen umgeben wurden erleuchteten den ganzen Raum und den Boden auf dem sich die gleiche Darstellung wie auf der Außenwand des Tempels fand, dieses Mal jedoch in schwarzem statt roten Stein auf weißem Grund und dort wo am Tor die Sonne stand war hier der Mond aus hellem, honigfarbenem Stein genau in der Mitte des Saals eingelassen.

Zwei große Gänge zweigten von der Kammer ab, die jedoch in komplette Finsternis gehüllt waren. Und auch in der Eingangshalle war es zu dunkel, dachte Naria. Im Licht der Fackeln konnte sie den Boden erkennen doch die Decke des Raums verschwand bereits wieder in den Schatten. Es war beinahe, als wollte jemand die Schönheit die in diesen Ort geflossen war verbergen. Oder vielleicht auch eher, was sich darin verbarg. Sobald Naria über die Schwelle des Saals trat holte sie die Realität wieder ein. Sie konnte sie spüren. Die Erwählten und Schlimmeres. Die Kreaturen des Herrn der Ordnung die dort irgendwo in den Schatten lauerten. Monster, gänzlich entgegengesetzt zu den Darstellungen, die man draußen von ihnen fand….  Sie wussten ebenfalls das Naria hier war, wurden scheinbar unruhig als sie die fremde Quelle magischer Kraft bemerkten. Naria konnte ihre Aufmerksamkeit wie kleine Nadelstiche und kalte Finger spüren .Sie trat an den großen, goldenen Stein in der Raummitte heran, der das Licht der Fackeln wiederspeigelte. Wie eine Insel in der Finsternis jenseits davon. Einen Moment sah sie zu Träumer. Wenn er mich da hindurch bringen will reißen sie mich in Stücke. Das muss auch ihm klar sein. Diese Kreaturen dort draußen waren nicht mehr menschlich. Und nicht einmal mehr tierisch.

Ob Träumer nun ihre Zweifel spürte oder dies von Anfang an geplant hatte, er trat ohne ein Wort an den rechten Gang heran und hob die Hand. Zeitgleich mit der Bewegung leuchteten Fackeln entlang der Wände auf und Naria konnte ein lautes Heulen hören. Ein Laut, aber aus tausend Kehlen und wie etwas in der Dunkelheit davon huschte. Etwas Großes… Oder sehr viele einzelne Wesen…

Und mit dem Kreischen, das sich den Gang hinab entfernte, verschwand auch die erstickende Gegenwart. Zrotzdem zögerte sie als Träumer ihr bedeutete, ihm zu Folgen. Tiefer in die Tempelanlage hinein an Gebets-Kammern, manche erleuchtet, andere Dunkel und verschlossenen Rumen vorbei. Ikonendarstellungen und Lobeshymnen verzierten die Wände und auch die Decken an denen immer wieder das Symbol einer roten Hand oder auch einer schwarzen Sonne auftauchte. Schließlich hielt Träumer auf eine Tür zu, die am Ende eines weiteren beleuchteten Gangs lag, der von  dem, den sie bisher folgten abzweigte. Zwei Wächter standen davor, ein jeder in eine wohl von der Garde erbeutete und umgefärbte Uniform gekleidet.  Statt Blau waren ihre Kleider schwarz gefärbt worden und die Hüte die sie trugen waren mit jeweils einer roten, breiten  Feder geschmückt, die fast wie eine Hand aussah.  Sobald sie Träumer sahen, kamen sie ihm entgegen… und stellten sich ihm in den Weg. Träumer zog misstrauisch die  Augenbrauen hoch, als die beiden Männer vor ihm die Bajonette kreuzten.

,, Was hat das zu bedeuten ?“

 

 

 

Kapitel 65 Verdammt

 

 

 

 

Keiner der beiden Posten machte Anstalten, bei Seite zu treten, ließen allerdings wenigstens die Gewehre sinken.

,,Der Heilige erwartet mich.“ , erklärte Träumer ruhig. ,, Ich denke das wisst ihr genau so gut wie ich. Trete bei Seite.“

,, Er erwartet eure Rückkehr, seid ihr das Tal betreten habt, das stimmt. Und er weiß, wen ihr dabei habt. Und wie gefährlich sie ist.“

,,Gefährlich ?“ Träumer schien genau das gleiche zu denken wie sie selbst. Für einen Menschen sicher ja. Aber im Vergleich zu ihm oder seinem Herrn sah die Sache leider bereits völlig anders aus. Das war ein Vorwand. Nur für was ? Naria spannte sich innerlich erneut an obwohl sie versuchte nach außen eine ruhige Mine zu bewahren. Sie war nicht hier um sich bereits von diesen Zwei einschüchtern zu lassen, wenn sie darauf abzielten.

,, Wir haben unsere Anweisungen.“ , erwiderte der erste Posten lediglich und schien nun zum ersten Mal einen Hauch von Unsicherheit zu zeigen. Träumer  stand weit über ihm, sowohl im Rang als auch was seine Fähigkeiten anging. ,, Keine Kleidung. Das war sein Befehl.  Niemand soll dort Waffen hineinschmuggeln.“ Er nickte in Richtung Tür wohl schon alleine um Naria dabei nicht ansehen zu müssen. Immerhin wusste sie jetzt woran sie war, dachte die Gejarn. Der rote Heilige hatte die Absicht sie zu beschämen bevor sie sich überhaupt gegenüberstanden.  Oder vielleicht ging es dabei auch nur nebensächlich um sie selbst.  Träumer setzte zu einem Protest an, doch eher er dazu kam, die Stimme ganz zu heben, begann sie schlicht so schnell wie möglich ihre Sachen abzulegen und drückte den ganzen Stapel schließlich schlicht einem der verdutzten Wächter in die Hand, bevor sie mit hoch erhobenem Kopf an ihnen vorbei trat. Keiner wagte es noch sie aufzuhalten und Träumer folgte ihr nur, murmelte irgendeine Entschuldigung, während Naria bereits die Tür aufzog. Sie würde frühe genug sterben. Dann hätte ohnehin nichts hiervon noch eine Bedeutung…  So leicht ließ sie sich sicher nicht beugen.

Der Raum den sie betrat war fast genau so düster wie die Gänge  um die Eingangshall des Tempels herum. Nur ein halbes Dutzend Kerzen flackerten im Luftzug, als sie eintrat und tauchten die Kammer in einen dunklen, rötlichen Schein. Die Möbel warfen lange Schatten die über die Wände hinauf zur Decke zu kriechen schienen und wann immer die Kerzenflammen sich verschoben schienen sie kurz zum Leben zu erwachen.  Träumer folgte ihr langsam und hielt den Blick starr geradeaus gerichtet. Sie hätte ihn am liebsten gefragt ob er etwa nicht damit gerechnet hatte, ob er nicht darüber nachgedacht hatte, was sie ihm zu sagen versucht. Dass er sie wenigstens ansehen könnte. Und doch wollte ihr nichts davon über die Lippen kommen. War es seine Schuld? Ja.  Aber schuld sein und Schuldig sein… waren das am Ende doch zwei verschiedene Dinge?

Die Einrichtung des Raums war erstaunlich schlicht gehalten. Die Möbel, ein großer Esstisch, Stühle ein paar Schränke und Anrichten auf denen die Kerzen standen waren allesamt aus grobem Holz gefertigt. Es gab eine Schale mit Obst und eine einzelne, halb leere Weinkaraffe, deren Inhalt bereits einen Geruch nach Essig verströmte.  Einige Bücher standen oder Lagen in halb leeren Regalen, die sich an der Wand mit der Tür befanden. Ansonsten gab es weder Schlaf noch weitere Sitz-Gelegenheiten wie sie feststellte. Und es führte ihr nur vor Augen, mit wem sie es hier zu tun hatte. Der rote Heilige wurde nicht von der Gier nach Macht getrieben. Nicht wie  ein Andre de Immerson. Nicht wie so viele andere. Nein. Das einzige, was diesem Mann etwas bedeutete, war sein Wunsch nach Rache. Und vielleicht hatte er sich mittlerweile tatsächlich selbst davon überzeugt, dass sein Kreuzzug ein gerechter war, das alles was er tat irgendwie einem höheren Wohl diente… Der Gedanke allein jagte ihr einen Schauer über den Rücken.  Was war gefährlicher als ein Mann, der vollkommen davon überzeugt war, im Recht zu sein?

,, Ich sehe ihr seit zurück.“ Die Stimme kam aus der Dunkelheit, irgendwo vom anderen Ende des Tisches. Das einzige was Naria von ihm außer Umrissen erkennen konnte, waren ein paar glühende, rote Augen. Das Feuer darin jedoch strahlte weder Wärme noch Licht ab, wenn dann ließ es seine Umgebung eher noch düsterer wirken. Der rote Heilige erhob sich langsam. Der Stuhl auf dem er gesessen hatte, knarzte, während er schließlich ins Licht der Kerzen trat. Es war lange her, das sie sich zum letzten Mal Persönlich gegenüber gestanden hatten. Und doch hatte sich seit dem scheinbar nichts verändert. Und dann sah sie es. An der Wand hinter ihm, wo er zuvor noch gesessen hatte, lehnte das Schwert. Atruns Kline glitzerte wie Mondlicht selbst in der Dunkelheit, hell weiß und kristallin und was sie in diesem Moment darum geben würde, ihre Finger um das Heft zu schließen um es dem roten heiligen in die Brust zu rammen. Wenn es eine Waffe gab, die dieses… Ding vernichten konnte, dann war es diese. Und doch behielt er sie hier in seiner Nähe? Obwohl er sie erwartete? War er schlicht zu  selbstsicher oder steckte mehr dahinter?

Naria sah hilfesuchend zu Träumer. Dieser jedoch schüttelte nur unmerklich den Kopf. Wollte er seinen Herrn immer noch schützen oder glaubte er schlicht nicht, dass sie Erfolg haben könnte?

Immerhin war die Waffe sowieso außer Reichweite. Der rote Heilige stand ihr im Weg und selbst wenn sie es wagen würde über den Tisch zu springen wäre sie wohl tot, bevor sie zwei Schritte gemacht hätte.

  ,, Ihr seid entlassen, Träumer.“ , sagte der Heilige schließlich. Naria rechnete einen Moment fest damit, dass er protestieren würde, doch Träumer drehte sich lediglich um. Nicht jedoch ohne ihr einen letzten, stummen Blick zuzuwerfen. Aber es brauchte auch keine Worte, damit sie wusste was er ihr sagen wollte. Tu einfach was er sagt, halt den Kopf unten und mach nichts Dummes. Überleb das hier einfach nur… Bitte…

Und wieso sollte ich das tun? , dachte Naria. Ihr Schicksal war so oder so besiegelt. Der einzige der das nicht einsehen wollte, war Träumer. Und deshalb hatte er sie überhaupt erst hierher gebracht. Für ihn war es zu spät für Zweifel. Und wäre die Tür nicht in diesem Moment hinter ihm ins Schloss gefallen, sie hätte es ihm auch hinterher gerufen. Er hatte seine Wahl getroffen, als er sie hierher brachte.

,, Wollt ihr euch nicht setzen ?“ Die Stimme des roten Heiligen holte sie zurück in die Realität. Träumer konnte immerhin gehen wenn er wollte. Sie… hatte diese Freiheit nicht. Langsam drehte sie sich um. Betont langsam musterte ihr Gegenüber sie . Naria konnte seinen Blick beinahe physisch auf ihrem Körper spüren, trotzdem blieb sie stehen wo sie war, verschränkte lediglich die Arme vor der Brust und wartete ab.

,, Können wir gleich zu dem Teil übergehen wo ihr mich verhört oder tötet ? Ich habe wirklich noch anderes zu tun, heute… “ Sie gab sich alle Mühe möglichst gelangweilt zu klingen. Vielleicht gelang es ihr ihn zu provozieren. Wenn dieser Mann eines nicht hatte, dann Geduld. Seltsam, wie klar ihr Verstand bei all dem blieb, dachte Naria und fühlte zumindest einen entfernten Anflug von Stolz dabei. Sie stand hier vor dem vielleicht gefährlichsten Wesen das die Welt je gesehen hatte. Nackt und ohne auf Hilfe hoffen zu können. Aber sie strauchelte nicht. Vielleicht konnte sie ihn wirklich irgendwie zu einem unbedachten Schritt provozieren. Irgendwie,  irgendwann würde er alles erfahren, was er von ihr wissen wollte, da hatte sie sich nie Illusionen gemacht. Es sei denn er tötete sie bevor es so weit kam…

,, Aber, aber…“ Seine Stimme klang fast freundlich. So freundlich wie dieser Mann eben sein konnte, den so etwas wie wirkliche Zuneigung hatte er wohl schon vor langer Zeit verlernt. Und wenn nicht hatte sein Gott  die letzten Überreste davon ausgebrannt.  ,, Ihr wisst das nichts davon nötig ist. Also warum tut ihr so, als sei das meine Wahl? Euch muss klar sein, das ich bekomme was ich will. Die Frage ist nur, wie lange es dauert. Also warum wollt ihr euch das antun? Die Wahl liegt doch bei euch. Sagt mir was ich wissen will und ich könnte sogar darüber nachdenken euch gehen zu lassen.“

,, Man könnte erwarten ihr wärt geübter darin zu Lügen.“

,, Nun ich gebe zu, frei lassen kann ich euch nicht. Aber Träumer scheint irgendwie einen Narren an euch gefressen zu haben und er hat mich mehr als einmal um euer Leben gebeten. Und ich habe es ihm gewährt. Ich bin demnach nicht derjenige der darüber entschieden wird ob ihr lebt oder sterbt. Nichts hiervon ist nötig.“

Leider doch. Galren brauchte so viel Zeit, wie sie ihm verschaffen konnte, dachte Naria. Zeit, die sie ihm nur durch Schweigen erkaufen konnte.  Und sie ließ sich sicher nicht von einigen freundlichen Worten täuschen. Sie wusste genau wer dieser Mensch  war, falls man ihn überhaupt noch als solchen bezeichnen durfte. Und er hatte Sine getötet. Und Wys… Und zu viele andere. Naria hätte ihm ins Gesicht gespuckt, aber ihr Mund war trocken, ihre Kehle wie Sandpapier. Dieses Spiel strapazierte ihre Nerven.

Der rote Heilige interpretierte ihr Schweigen offenbar als Zustimmung. ,, Seht ihr ? Ihr mögt mich verachten. Was ich tue. Wofür ich stehe und möglicherweise habt ihr Recht dazu. Und doch gleichzeitig ist es nichts gegen das Unrecht das mir zuteilwurde.“

,, Ihr habt meine Heimat vernichtet…“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein tiefes Knurren.

,, Sicher. Und wenn es euch eure Insel zurückbringen könnte, alle die Toten, jeden einzelnen, das Unrecht ungeschehen machen würde… würdet ihr nicht genau das Gleiche tun? Ihr verachtet mich, aber sagt mir… wo liegt der Unterschied zwischen mir und dem Kaiser? Wir würden beide den anderen vernichten um zu retten und wieder her zu stellen was uns genommen wurde.“

,, Ihr seid der Aggressor hier . Ihr verteidigt nichts und bewahrt die Asche die euer Kreuzzug hinterlässt. Sonst nichts.“ Naria spukte die Worte mehr aus, als das sie sie sprach.

,, Ist das so ?“ Der rote Heilige trat zurück an den Tisch und nahm sich einen Apfel aus der Schale darauf. Naria sah nicht, woher das Messer kam, doch in dem Moment wo er es in die Hand nahm und begann das Obst zu schälen, musste sie sich zwingen den Blick wieder davon abzuwenden. ,, Sagt mir hat euch euer Kaiser je erzählt, woher er mich kennt ? Hat er euch je seine eigenen Verbrechen gebeichtet? Ich war einst Soldat im Herr von Andre de Immerson. Nur ein einfacher Söldner, ich habe mich nicht einmal dafür interessiert, welche Seite gewinnt. Solange ich dabei mein Brot verdienen und meine Familie ernähren konnte. Und doch hielt es euer Kaiser für nötig, sie mir zu nehmen. Hätte er mir damals mehr als Andre geboten ich hätte ihm sogar gedient, ist das nicht Ironie? Und doch hielt er es für nötig mich zu Strafen…“
Naria zögerte einen Moment. Er log nicht, dachte sie. Mochte sein das jedes andere Wort, das je seinen Mund verlassen hatte Täuschung und Falschheit war, doch was seine Beweggründe anging… nein. Er sprach die Wahrheit. Oder zumindest die Wahrheit aus seiner Sicht. Kellvian war kein Mann, der sich an Unschuldigen vergriff. Niemals. Er hatte die Reste von Andres Streitmacht über den ganzen Kontinent gejagt, aber das galt nur denen, die nach wie vor nicht bereit waren, die Waffen zu strecken.

,, Ich suche nur , das Unrecht wieder gut zu machen, das ich erlitten habe. Es… auszugleichen vielleicht. Das ist, was der Herr der Ordnung mir versprochen hat.  Die Dinge richtig zu stellen. Euren Kaiser gegen meine Familie. Sagt mir, würdet ihr nicht den gleichen Tausch machen? Und alles, was noch zwischen diesem Ziel und mir steht, seid ihr. Ich werde von der Gerechtigkeit selbst geleitet.“

Er ließ Apfel und Messer liegen und trat von dem Tisch zurück, sah einen Moment an ihr vorbei ins Nichts, als würde er sie überhaupt nicht wahrnehmen.

,, Vielleicht wart ihr das wirklich einst.“ Naria wagte es einen Schritt auf den Tisch und das Messer zuzumachen. Das Schwert war unerreichbar, der Dolch jedoch nur einen Handgriff entfernt. ,, Aber dann habt ihr euch von der neuen Macht über die ihr jetzt verfügt verzehren lassen.“

,, Vermutlich habt ihr damit sogar recht.“ Er schien nach wie vor an ihr vorbei zu sehen, als wäre er in Gedanken weit fort. Irgendwo in der Vergangenheit, vor diesem ganzen Wahnsinn. ,, Und wieso auch nicht. Ich glaube nicht, dass ich das alles hier noch einmal Aufgeben werde. Wenn, dann ist es ein gerechter Ausgleich für alles, was ich erlitten habe.“

Narias Hände näherte sich dem Messer, ihre Finger berührten das Heft. Ohne groß nachzudenken, schwang sie die scharfe Klinge in einem Bogen auf den Hals des roten heiligen zu. Ein gleißender Lichtblitz folgte und sie konnte hören, wie irgendetwas krachend zersplitterte. Etwas Heißes Streifte ihre Wange und entsetzt stellte sie fest, dass es ein glühender Splitter Metall war. Von dem Messer war nur ein abgebrochener Stumpf geblieben. Wie hatte sie das Schild nicht bemerken können? Oder war es zuvor überhaupt da gewesen? Er konnte nicht gesehen haben, wie sie das Messer nahm… Wer… oder was hatte ihn also geschützt? Konnte sein Herr bereits derart direkten Einfluss nehmen?

Der rote Heilige drehte sich langsam zu ihr um.

,,Töricht.“ War alles was er sagte, bevor er ihr das Messer aus der Hand schlug. Der Hieb war heftiger, als alles was sie erwartet hatte und traf ihren Arm mit der Wucht eines Hammers. Naria konnte hören wie ihre Knochen unter der Belastung knackten und schließlich nachgaben. Heißer Schmerz schoss ihren Arm hinauf, ihre Finger ließen das nutzlose Messer los.

,, Also… verratet mir nur eines. Wer ist Melchior. Der Schmerz raubte ihr den Atem, sie schwankte, wollte etwas sagen. ,, Ich…“

Bevor sie dazu kam den Satz zu beenden, oder nur Atem zu schöpfen, traf sie der nächste Hieb vor die Brust, warf sie rückwärts.

,, Das habe ich nicht gefragt. Ich fragte, wer ist Melchior ?“

 Was folgte war eine dumpfe Abfolge von Schmerz und Schreien als sie schließlich ihre Vorsätze vergaß. Bis die Dunkelheit sie gnädiger Weise verschlang…

 

Als Naria die Augen wieder aufschlug, war es um sie herum Dunkel. Alles tat weh, jede Bewegung schien ihr unmöglich. Und kurz fragte sie sich, ob sie Blind geworden war oder ob ihr der rote Heilige ihr nicht die Augen genommen hatte. Ihr Gesicht war geschwollen und schmerzte genauso wie der Rest ihres Körpers, machte es ihr unmöglich auch nur festzustellen, woher der Schmerz eigentlich kam. Und so konnte sie nur in der Finsternis kauern und den Kopf gegen die Steinwand lehnen. Zumindest vermutete sie, dass es eine Wand war. Erkennen konnte sie nichts und um sich weiter zu bewegen oder auch nur zu tasten fehlte ihr die Kraft. Immerhin linderte der kühle Stein ein wenig dir dröhnenden Schmerzen in ihrem Schädel. Dafür war ihr immer noch übel und sie konnte nichts sehen, außer grauen Umrissen. Jede unbedachte Bewegung wurde von Nadeln begleitet, die sich in ihr Fleisch bohrten. Knochen. Splitter. Was auch immer davon übrig war. Selbst das Atmen bereitete ihr Schmerzen und Mühe.
Wie war sie hierhergekommen? Sie wusste es nicht, genau so wenig wie sie wusste, wo hier eigentlich war. Das sie noch nicht Tod war, grenzte an ein Wunder. Sie war mit Blut bedeckt, fast jeder Knochen in ihrem Körper war gebrochen oder zumindest kurz davor…  Warmes Blut sickerte aus einer Unzahl kleiner und großer Wunden.  Sie war hier zum Sterben abgelegt worden. Naria wusste nicht ob sie darüber erleichtert sein sollte. Und hatte sie dem roten heiligen etwas verraten? Das war alles worauf es jetzt noch ankam. Und sie wusste die Antwort nicht. Ihre Gedanken waren zu Träge für Erinnerungen… Es wäre leicht jetzt die Augen zu schließen und einfach alles vorüber sein zu lassen. Dann jedoch hörte sie Stimmen. Und obwohl sie einfach nur wegdämmern wollte, hörte sie zu, lauschte einen Moment als sie die Sprecher erkannte. Sie mussten sich irgendwo hinter der Wand befinden, vermutete sie, denn die Worte klangen gedämpft und verzerrt…

,, Was habt ihr getan ?“ Das war Träumers Stimme. ,, Ihr habt es mir versprochen. Versprochen ! Warum ?“

,, Was ist mein Wort gegen das eines Gottes. Träumer ? So oder so, ich habe mein Wort nicht gebrochen. Ihr Leben gehört euch. Heilt sie wenn ihr das wünscht. Rettet sie. Ich werde euch nicht davon abhalten.“

,, Damit ihr sie erneut foltern könnt ? Was habt ihr ihr angetan?“

Träumers Frage blieb unbeantwortet   ,, Tut es. Wenn nicht ist das Mädchen bis zum Sonnenaufgang Tod. Und ich weiß, dass ihr sie nicht sterben lasst. Ihr seid berechenbar, ihr und euer großes Herz…. Ihr Leben liegt jetzt in eurer Hand… wie abgemacht war. Oder etwa nicht ? Und ihr Leben… bindet euch an mich. Ich erlaube euch es zu erhalten.  Das ist mehr als ihr verdient. Seht es als eure letzte Lektion wenn ihr noch einmal darüber nachdenken solltet mich für irgendjemanden zu hintergehen.“ Die letzten Worte wurden vom Geräusch sich langsam entfernender Schritte begleitet. Dann wurde es erneut totenstill.

Irgendwo in ihrer Nähe schwang eine Tür auf, auch wenn es nach wie vor stockfinster um sie herum blieb. Sie spürte den Luftzug, hörte Schritte und wie sich jemand neben sie kniete.

,, Bedauerlicherweise… hat er recht.“ , flüsterte Träumers Stimme, bevor die Dunkelheit von einem blassen, blauen Schimmer durchdrungen wurde. Naria musste die Augen wegen der ungewohnten Helligkeit zusammenkneifen. Allein diese kleine Anstrengung ließ jeden Muskel in ihrem Gesicht schmerzen. Träumer kniete neben ihr. Seine Fingerspitzen waren von blauem Feuer umkränzt, während er sie langsam über ihre Haut und Fell gleiten ließ, Wunde und gebrochene Knochen ertastete die sich unter der Berührung langsam wieder zusammen fügten.  Seltsamer weiße spürte sie keine weiteren Schmerzen. Im Gegenteil. Naria konnte fühlen, wie sich der Nebel um ihren Geist langsam klärte. Träumer jedoch stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben und als er die letzten Wunden zusammenfügte, zitterten seine Hände sogar. Mit einem seufzten ließ er sich neben sie gegen die Wand sacken.

,, Es tut mir leid.“ Er schien mehr mit sich selbst zu reden, den mit ihr. Oder vielleicht hatte er nicht einmal gemerkt, dass sie wach war. ,, So Leid…  Das ist meine Schuld.“

,, Warum lasst ihr mich dann nicht einfach sterben…“

,, Das kann ich einfach nicht… Ich kann überhaupt nichts tun Naria.“

Sie lachte bitter, auch wenn ihre Rippen nach wie vor davon schmerzten. Das stimmte nicht. Aber er hatte sie beide verdammt, in dem er hierher zurückkehrte. Er hatte es nur jetzt erst erkannt. Wo es zu spät war noch etwas daran zu ändern… Und in diesem einen Moment hasste sie ihn aufrichtig.

 

 

 

 

Kapitel 66 Verrat

 

 

Kellvian zuckte zusammen, als er das Brennen des Alkohols spürte.  Was von Simon Belfares  Rüstung geblieben war lehnte am Fuß des kleinen Schemels auf dem er saß, zusammen mit seinem blutdurchtränkten Hemd und dem Schwert . Die Anweisungen der Heilerin zu der ihn seine Männer geschleppt hatten, sich hinzulegen, hatte er gekonnt ignoriert. Er fühlte sich müde. Und das nicht nur wegen der Wunden. Und wenn er sich jetzt hinlegte würde er einschlafen… Aber er musste zurück. So schnell es ging. Das war er seinen Leuten schuldig. Niemand hatte ihm sagen wollen wie die Schlacht verlief. Aber er konnte den Lärm hören, das ferne Gewitter von Kanonen und Musketen, die in den Straßen der fliegenden Stadt aufflammten. Ansonsten jedoch durchbrach nur das Plätschern des Wassers, als die Heilerin den Lappen auswusch die Stille. Kellvian hatte die Augen geschlossen und lauschte darauf. Vor einer halben Stunde, als man ihn herein gebracht hatte, war das Chaos noch vollkommen gewesen.

Nun jedoch wirkte der Raum gespenstisch leer. Es war  wohl einst eines der Gästezimmer des Palastes gewesen, doch hatte man die meisten Möbel an die Wände gerückt um Platz zu schaffen. Teppiche und Wandbehänge lagen zusammengerollt in den Ecken und stapelten sich. Leere Liegen zeigten wo vor einiger Zeit noch ein dutzend weiterer Verwundeter gelegen hatten, die man jedoch in einen der angrenzenden Räume umquartiert hatte. Eines der Fenster war eingeschlagen worden. Glasscherben lagen noch immer darunter verteilt und ein schwacher Luftzug wehte von draußen herein. Kellvian konnte die Feuer reichen die in der Stadt tobten.

Ein dutzend seiner Leibgarde hatten ihn nach seiner Verwundung vom Schlachtfeld und hierher eskortier. Kämpfer, Boten, ein paar Zwerge und ein jeder schien wissen zu wollen, wie es seinem Kaiser ging. Kellvian hatte diese Zeit nur als ein Gewirr aus Stimmen und Schmerz erlebt, bis die Heilerin, die man für ihn herbeirief, sie alle fortgejagt hatte.  Rotblondes Haar, das sie zu einem einfachen Zopf geflochten hatte hing ihr über den Rücken. Ihre Kleidung bestand aus einem schwarzen Kleid, auf dem man trotzdem die eingetrockneten Blutflecke sehen konnte und sie wirkte erschöpft. Müde und gezeichnet obwohl die Schlacht grade erst begonnen hatte. Und noch war sie nicht entschieden… Aber Quinn war fort.  Genauso wie die meisten Magier auf ihrer Seite. Hinweg geweht von der unvorstellbaren Magie, die ihre Gegner gegen sie entfesselt hatten. Die Schutzzauber der fliegenden Stadt selbst waren zerbrochen, die Magie die diesen Ort einst durchströmt hatte gestört. Kellvian sah immer wieder wie einige der kristallenen Leuchter flackerten, wenn ihre Magie zu versagen drohte.

Erneutes riss ihn der Schmerz  aus seinen Gedanken. Er musste die Zähne zusammen beißen um keinen Laut von sich zu geben, als  die Heilerin erneut Alkohol über die Wunden fließen lies und Blut und Ruß fortwusch. Die Rüstung  hatte das schlimmste verhindert, auch wenn ihre Schutzzauber noch lange nicht alle wiederhergestellt waren. Zwei Kugeln hatten das Metall lediglich eingedellt und zwei Oberflächlich Kratzer in seiner Haut hinterlassen. Die dritte jedoch hatte die Rüstung durchschlagen und war tief in seine Brust eingedrungen. Kellvian ballte seine Finger um das mittlerweile entfernte Projektil zur Faust. Er musste wieder da raus, dachte er. Verletzungen hin oder her. Er würde nicht daran sterben. Noch nicht. Seine Leute brauchten ihn. Wenn das hier ihr Ende war, dann würde er sich dabei sicher nicht hier verkriechen. Kellvian ließ die verbogene  Bleikugel zu Boden fallen.

,, Wie heißt ihr ?“ , fragte er an die Heilerin gerichtet, die soeben damit begann  einen Verband über die Wunden zu spannen. Sie war erstaunlich jung, das war das erste was Kellvian aufgefallen war, als er wieder klar denken konnte. Jung aber die Entbehrungen der letzten Stunden ließen sie älter wirken. Die Säle jenseits von Kellvians Quartier quollen vor Verwundeten und Sterbenden über und die Gänge, die zu ihnen  führten waren rutschig gewesen von Blut. Es roch nach Tod. Verbranntes Fleisch, Alkohol und Verzweiflung. Und Angst.

Ein paar lose Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht als sie aufsah. ,, Symia,Her…“ Ihre Stimme zitterte nur leicht, als sie sprach. Auch sie fürchtete sich, wurde ihm klar. 

,,Symia, Helft mir auf.“

,, Herr ?“ Die Heilerin zog die Verbände fest und musterte ihn einen Moment mit dunklen Augen. Sie machte keine Anstalten dem Befehl folge zu leisten.

Kellvian fehlte der Nerv sich zu wiederholen. Seufzend sammelte er sich einen Moment Als er versuchte aufzustehen, protestierten seine Wunden erneut, aber es ging erstaunlich gut. Es würde ihn in seiner Bewegungsfreiheit einschränken, aber er konnte stehen und laufen. Und kämpfen… Er zog sich das blutdurchtränkte Hemd über und hob die beschädigte Rüstung und sein Schwert auf, bevor er Anstalten machte zur Tür zu laufen.

,, Ihr solltet… sitzen bleiben.“ Ihre Stimme war leise, aber klang ernsthaft besorgt.

,, Ich sollte da draußen sein.“ , erwiderte er und blieb dann doch stehen.  Nach wie vor schwangen Angst und Aufregung in ihrer Stimme mit und das machte ihn stutzig. Sich fürchtete sich nicht vor dem was kam. Nicht davor, ihm zu wiedersprechen. Aber wovor dann ?  ,, Eure Familie ist in Sicherheit und ihr auch, solange ich stehe. Das verspreche ich euch.“

Seltsamerweise hatten seine Worte nicht den erhoffen Effekt. Stattdessen entlockten sie der jungen frau ein bitteres Lachen.

,, Verzeiht , Herr… Ihr wisst nicht, wer ich bin, oder?“

,, Wer ihr seid ?“ Kellvian zögerte. ,, Sagt mir, wie lautet euer voller Name ?“

,, Symia Tibaris. Aber einst… nannte man mich Symia Garin“ Etwas regte sich im hintersten Winkel seines Verstandes. Einst hätte er die wichtigen Familien Cantons der Reihe nach aufzählen können, aber das war gewesen, bevor sich über die Hälfte gegen ihn gewendet und der darauf folgende Krieg eine Schneise der Verwüstung sowohl durch das Land als auch durch den Adel getrieben hatte.

,, Ich glaube ich kannte eure…“

,, Tante.“ , beendete Symia den Satz. Sie zeigte ein schiefes Lächeln. ,, Ja. Als Andres Aufstand gegen euch begann folgte ihr ein Großteil meiner Familie unter dem Banner des Aristokratenbunds. Die die sich für euch erklärten  flohen und fanden sich bald mittelos und verlassen in den Wirren des Krieges wieder. Und was von denen blieb die Andre de Immerson folgten… wisst ihr besser als ich.“

,, Und doch seit ihr heute hie und helft mir. Ich glaube das nennt man Ironie.“

Symia schüttelte den Kopf. ,, Ich würde das nicht so nennen. Ich war damals bereits alt genug um zu verstehen, was die Wahl meiner Familie bedeutete. Und später haben ich und die anderen Überlebenden ihren Namen geändert. Ich glaube diejenigen die noch den Namen Garin trugen haben uns nur allzu gerne vergessen. Aber als es hieß, das jeder der nicht kämpfen wollte die Stadt verlassen soll… Herr, ich habe nichts mehr zu verlieren außer meinem Leben.  Und euch.“

In ihrer Stimme lag aufrichtige Sorge. Kellvian wusste nicht womit er sich die Loyalität einer völlig fremden verdient hatte. Jemanden der genauso gut sein Feind hätte werden können.

,, Eure bedenken ehren euch.“ , meinte er und wendete sich doch zum Gehen. ,, Aber wir werden alle hier sterben. Die Frage ist nicht länger ob. Nur wann. Und ich habe nicht vor…“

Er kam nicht dazu den Satz zu beenden, oder sich völlig umzudrehen. Ihre Finger schlossen sich um sein Handgelenk und hielten ihn zurück. ,, Bitte nicht. Ich weiß ihr wollt es nicht hören. Aber manche Leben sind wertvoller als andere.“

Nein, dachte Kellvian. Und trotzdem wendete er sich erneut zu ihr um. Die Hand die ihn nicht fest hielt, wanderte zu seiner Brust, legte sich auf den Verband über der Schusswunde. Einen Moment standen sie sich gegenüber, schweigend, ein jeder unsicher, was er erwidern sollte. Und dann küsste sie ihn. Einen Moment war er zu überrascht, irgendetwas zu tun, selbst als ihre Hand von der Wunde über seine Brust hinab wanderte und den Bund seiner Hose fand. Dann schob er sie entschieden von sich.

,, Ihr geht jetzt besser.“ , erklärte er gezwungen kühl. Sie hatte ihn überrascht. Und ihre Berührung hatte ihn erregt, mehr als er zugeben wollte. Sie zurückzuweisen hatte Überwindung gekostet. Ein Teil von ihm sehnte sich regelrecht danach. Nach nur etwas Geborgenheit und Nähe in dem ganzen Chaos das die Welt verschlungen hatte.

,, Ihr…“ Sie trat zurück, sah ihn mit großen Augen an, verwundet und gleichzeitig verwundert über die Zurückweisung wie es schien. Was wäre falsch daran? Die Frage blitzte in seinem Verstand auf, ehe er etwas dagegen tun konnte. Und sie wollte ihn, dachte er. Ganz offensichtlich. Oder vielleicht wollte sie auch nur das Bild von ihm, das sie sich in all den Jahren gemacht hatte?  Alles wäre falsch daran,  antwortete er und wusste doch bereits irgendwo, dass er verloren hatte. Und Jiy…

Du wirst sie nie wiedersehen, antwortete ihm seine eigene Stimme. Niemand hier wird irgendjemanden der ihm etwas bedeutet je wiedersehen. Sich das selbst endgültig einzugestehen tat weh…

Und so wehrte er sie nicht ab, als sie wieder auf ihn zutrat und sich ihre Lippen erneut fanden. Ihr Kuss schmeckte bitter für ihn. Es spielte keine Rolle, sagte er sich. Er konnte sie fort schicken.  Und tat es wieder nicht. Seine Arme legten sich um sie, zogen sie an sich.

,,Herr ?“ Symia sah ihn an, offenbar nach wie vor unsicher.

,, Ihr könntet zumindest aufhören mich so zu nennen.“ Kellvian entrang sich ein unechtes Lächeln. Seine Hände wanderten unter ihre Kleidung, streiften die dunkle Weste ab die sie trug. Dieses Mal war er es der sie küsste. Ganz sanft ließ er seine Lippen von den ihren Gleiten, ihren Hals hinab und bis zum Ansatz ihrer Brüste.  Seine Finger fuhren die Konturen ihrer Wirbelsäule nach, ertasteten jede kleine Erhebung. Jiy hatte er mit solchen simplen Berührungen schier in den Wahnsinn treiben können. Das langsame Aufbauen von Erregung ohne sie ganz zu gewähren, doch Symia ließ es scheinbar so gut wie   kalt. Sie war eben jemand anderes, dachte er und fragte sich dabei erneut was er hier eigentlich tat. Für ihn war es immer noch nur ein Gedankenspiel. Er würde sie fortschicken sagte er sich zum wiederholten Mal um es dann doch nicht zu tun. Vielleicht wünschte er sich ja einfach, das es Jiy sein könnte, egal wie unglaublich töricht dieser Gedanke war. Dass er sie nicht fort geschickt hätte, damit sie doch nur getrennt starben… Er kannte keine andere Frau. Nicht so zumindest, wurde ihm bewusst.

Symia schien sein erneutes zögern zu spüren, ergriff seine Hände, legte sie auf ihre Brüste, während sie ihn so mit sich zog, hin zu einer der verlassenen Liegen.  Sie übernahm die Führung, drückte ihn sanft hinab auf das Polster, während sie seine Hosen hinab zog und sich auf seinen Schoß schwang. Ihre Bewegungen waren hart und schnell, ihr Rhythmus als er wieder und wieder in sie eindrang beschleunigte sich zunehmend.  Jiy war immer sanft gewesen, hatte sich bei ihrem Spiel alle Zeit genommen, die sie bekommen konnte, dass es schon fast  schmerzhaft wurde…

Erneut fragte er sich was er eigentlich hier tat. Er machte Anstalten aufzustehen, doch offenbar missverstand Symia  was er vorhatte oder es kümmerte sie nicht. Ihr Gewicht auf ihm drückte ihn zurück während sie noch einmal schneller wurde. Er empfand nur einen winzigen Augenblick der Erlösung, als er sich schließlich in sie ergoss. Aber keine Befriedigung, außer vielleicht die darüber, dass es vorbei war. Er wusste nicht einmal mehr, was ihn getrieben hatte, als er schließlich Aufstand, er verspürte nichts bei dem Gedanken an sie… Er hatte sie benutzt um zu vergessen und sie schien zufrieden damit gewesen zu sein.  Und nun war es zu spät für Reue. Er könnte nicht einmal mehr um Verzeihung dafür bitten, dachte Kellvian bitter.  Er hatte Jiys Vertrauen auf eine Art missbraucht mit der sie wohl nie gerechnet hätte. Und er bis vor wenigen Augenblicken wohl selbst nicht.  Spielte es wirklich eine Rolle, dass sie es nie erfahren würde? Nein… Wenn dann machte es alles schlimmer. Vielleicht wäre es jetzt  gnädiger wenn sie den Brief nie erhielt, den er abgeschickt hatte….

Symia sah ihm nur Schweigend zu wie er sich anzog und die beschädigte Rüstung wieder anlegte. Er floh vor ihr, hinaus aus den Hallen die vom Blut der Toten und Verwundeten gezeichnet waren, hinaus aus dem Palast und zum Tor das zurück in die fliegende Stadt selbst führte. Der Lärm der Kämpfe brandete zu ihm als er nach draußen trat. Asche trieb durch die Luft, und der wiederschein der Feuer verlieh dem Himmel ein unheilvolles, orange-rotes Glühen.  Fast wirkte es wie die Dämmerung. Doch diese Dämmerung brachte keinen Tag, dachte Kellvian. Sie brachte das Ende von allem. Sie würden hier sterben. Und jedes Geheimnis mit sich nehmen das es gab…

 

Kapitel 67 Erstes Duell

 

 

 

Trübes Sonnenlicht fiel durch die glaslosen Fenster der Ruinen. Staubflocken tanzten darin, golden und weiß und vermischten sich mit dem Schnee, der sich als dünne pulvrige Schicht auf alles gelegt hatte. Einst war er weiß gewesen, nun jedoch schmutzgrau, rot und schwarz, zertrampelt von tausenden Füßen, vermischt mit Schwarzpulver… und Blut. Blut, das auf den Marmorplatten mit denen die Straße ausgelegt war gefror und hell leuchtende Lachen bildete.

 Vor einigen Tagen noch hatte dieser Ort den ganzen Glanz und die Macht des Kaiserreichs repräsentiert. Nun jedoch waren davon nur Geröll und geborstene Säulen geblieben. Schuttberge türmten sich auf den Straßen, die Überreste ganzer Straßenzüge, die durch Magie und Feuer zerschmettert worden waren. Janis sah zu einem Haus empor, dessen Fassade auf dieser Seite komplett fehlte. Nicht weggesprengt wie bei einem der anderen, sondern schlicht verschwunden. Die Kanten der Wände waren glatt und so scharfkantig geschnitten, das sie funkelten. Magie, dachte Janis.

Er  konnte zerfetzte Teppiche und Banner erkennen, die von den Wänden gerissen worden waren. Gemälde, geschwärzt durch Witterung und Feuer. Die Decke des Hauses war ohne eine ihrer Stützen teilweise eingebrochen, die Haustür hing schief in den Angeln und schwang in einer Windböe hin und her, die durch die Gärten um das Anwesen herum wehten. Tote Pflanzen ragten unter der Schneedecke auf. Und doch so verwüstet dieser Ort war. Irgendwie kam er Janis bekannt vor. War er schon einmal hier gewesen? Es musste wohl so sein.

Die Straße vor ihm war durch Schutt und Trümmer blockiert, aber an ihrem Ende, das wusste er, gab es einen kleinen Platz mit einem Springbrunnen, der einst ein Standbild von Simon Belfare getragen hatte. Er bezweifelte allerdings das es die letzten Tage überlebt hatte. Seit einer Woche kämpften sie sich jetzt  durch die fliegende Stadt, von den äußeren Bezirken immer näher an den Palast heran , der in ihrem Zentrum aufragte und von jeder Stelle aus zu sehen war. Obwohl die kaiserlichen Gardisten ihnen zahlenmäßig weit unterlegen waren, hatten sie ihnen bereits schwere Verluste zugefügt. Und sie kannten das Gelände wie ihre Westentasche, dachte Janis. Zusammen mit den Zwergen die damit begonnen hatten ganze Häuserzeilen niederzureißen um ihnen den Weg zu versperren hatten sie es immer wieder geschafft die Kultisten in Fallen und Kessel zu locken, so dass sie sich den Weg frei kämpfen mussten. Und hinter jeder Straßenbiegung an jedem eingestürzten Anwesen oder einem öffentlichen Platz konnte ein weiterer Hinterhalt warten.  Und während seine Männer hier draußen sinnlos starben, versteckte sich der Kaiser wohl irgendwo in seinem Palast, dachte Janis grimmig. Ihm musste doch klar sein, das er sich nur Zeit erkaufte. Und das mit dem Blut seiner Männer.

Die Marmorpaläste die zu beiden Seiten des Wegs aufragten konnten für sie jeden Augenblick zur tödlichen Falle werden. Janis führte seine Gruppe aus etwa eintausend  Kultisten fort von  der blockierten Prunkstraße und in eine der kleineren Gassen, die hoffentlich noch passierbar waren. Was in der fliegenden Stadt allerdings als Gasse galt, hätte andernorts wohl als Hauptstraße gegolten.  Zehn seiner Männer konnten hier Seite an Seite gehen ohne sich auch nur annähernd zu berühren und die zu beiden Seiten aufragenden Häuser schienen von der Mitte der Straße aus gesehen weit fort. Sie standen zu offen, dachte Janis immer wieder. Die zur Straße hin glatt abschließenden Hauswände boten keine Deckung und wer wusste schon was oder wer hinter den dunklen Fenstern warten und sie in diesem Moment beobachten konnte. Vielleicht hätte er doch einen der Geweihten mitnehmen sollen, dachte er. Aber er traute den vermummten Magiern des roten Heiligen nicht mehr, als diesem selbst. Nein… Er hatte zugestimmt, die Belagerung zu führen, aber das hieß nicht dass er sich mit Monstern abgeben musste. Den Befehl über diese und die übrigen Truppen überließ er nur allzu gern den übrigen Befehlshabern. In seinen Reihen und in seiner Nähe brauchte er Menschen. Leute die klar denken konnten und kontrollierbar waren.

Vor ihnen tauchte nun langsam tatsächlich ein offener  Platz auf, wie Janis bereits vermutet hatte. Und nicht nur das. Das Wasser in dem großen Brunnen, der das Zentrum der Freifläche einnahm war gefroren und in den Fontänen zu glitzernden Kristallen erstarrt. Und tatsächlich lagen darum herum die Trümmer einer Statue verteilt. Ihre Füße standen noch immer auf dem höchsten Punkt des Springbrunnens, der Rest jedoch war zu tausend Teilen zersprungen, von denen kaum mehr zu erkennen war, was sie einst dargestellt hatten. Aber Janis kannte die Wahrheit natürlich.

Mit langsamen Schritten stieg er über den zerborstenen Marmor hinweg und umrundete den Brunnen langsam. Warum kannte er diesen Ort? Und warum stimmte es ihn traurig ihn nun in so einem Zustand vorzufinden? Einst hatten sich hier jeden Tag hunderte von Menschen eingefunden um zu plaudern, Wasser zu holen oder schlicht um sich im Sommer etwas im Schatten der großen Fontänen abzukühlen.  Und einst hatte auch er hier gestanden. Vor all dem, als er noch wusste wer er war.  Und wem er in diesem ganzen Chaos zu dienen hätte. Einst ja… Die Antwort schien ihm zum Greifen nahe, als müsste er nur die Hand danach ausstrecken und zugreifen. Gesichter, Namen, Sinneseindrücke, alles flutete gleichzeitig und ohne besondere Reihenfolge auf ihn ein…

,, Herr, Vorsicht !“ Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und keinen Augenblick zu spät. Irgendwo blitzte das Mündungsfeuer einer Muskete auf. Janis ließ sich fallen und zog im gleichen Augenblick das Schwert. Die Kugel schlug gegen die Ummauerung des Brunnens und jagte jaulend als Querschläger davon. Die Fenster eines dem Brunnen gegenüberliegenden Hauses wurden aufgestoßen und dutzende von Gewehrläufen schoben sich heraus, legten an… Einen Moment verschwand das Gebäude im Pulverdampf, während der Platz vom Sirren der Kugeln wiederhallte. Ein Mann direkt neben Janis wurde in die Brust getroffen und ging mit einem Schrei zu Boden. Weitere stürzten oder warfen sich hin. Einigen gelang es, hinter dem Brunnen Deckung zu suchen, andere knieten sich hin und erwiderten das Feuer. Die Türen eines weiteren Hauses direkt in ihrem Rücken  flogen auf und eine unübersichtliche Zahl blau uniformierter Gestalten und Zwerge in glänzenden Panzerungen die mit den Intarsien ihrer Häuser versehen waren, brachen daraus hervor.

Das war eine Falle, erkannte Janis mit wachsendem entsetzte. Und er war direkt hinein gelaufen, weil er sich hatte hinreißen lassen. Die Erinnerungen die der Anblick des Brunnens wach gerufen hatte, hatten ihn jede Vorsicht vergessen lassen… Und seine Männer waren ihm blind gefolgt. Er sprang auf um sich den Angreifer in ihrem Rücken zu stellen. Weitere Kugeln sirrten durch die Luft. Männer fielen auf beiden Seiten. Dann erreichten die ersten Nahkämpfer ihre Reihen. Bajonette bohrten sich in Leiber, Hämmer und Schwerter sirrten herab und durchtrennten Körperteile und ungeschützte Leiber. Janis fand sich plötzlich genau einem Zwerg gegenüber der sich mit hoch erhobener Waffe auf ihn stürzte. Auf den ersten Blick erinnerte sie ihn an eine Muskete, aber die Waffe war klobiger, mehr für die stämmige Statur des Zwergs geschaffen und statt einem einfachen Bajonett befand sich am Ende des Laufs das Klingenblatt einer Axt. Janis parierte den Hieb mit dem Schwert und wollte bereits nachsetzten, als sein Gegner von einer Kugel getroffen zusammen sackte. Das Projektil durchschlug die Rüstung des Zwergs knapp unter dem Kinn und trat in einem Schwall aus Blut wieder aus. Janis wendete sich sofort um, um sich seinem nächsten Gegner zu stellen. Das Chaos um ihn herum war perfekt.

Von Haus auf der anderen Seite des Platzes aus wurden sie nach wie vor beschossen und die Gardisten in ihrem Rücken verhinderten, das sie sich Deckung suchten oder sich zurückziehen konnten. Aber es waren nicht so viele, wie er anfangs gedacht hatte, stellte Janis erleichtert fest. Wenn sie nicht die Nerven verloren würden sie die Angreifer zurück schlagen können…

Ein weiterer seiner Männer ging direkt neben Janis zu Boden, als ihn eine Pistolenkugel aus der Waffe eines Garde-offiziers traf. Der Mann verschwendete keine Zeit damit die Waffe nachzuladen  als er ihn entdeckte, sondern zog direkt den Säbel und stürzte sich auf ihn.

Janis parierte die ersten Hiebe gekonnt und wo sein Gegner einen Treffer anbringen konnte, glitt dieser Wirkungslos von der schwarzen Panzerung ab, die ihm der rote Heilige geschenkt hatte. Sein gegenüber hingegen trug nur Stoff und einen leichten Harnisch, der lediglich seine Brust schützte. Janis erwischte sein Bein und schlitzte es mit einem Hieb vom Oberschenkel bis fast zur Ferse auf. Der Mann kippte mit einem schmerzerfüllten Schrei rückwärts, der Säbel entglitt seinen Händen. Janis stieß mit dem Schwert nach seinem ungeschützten Hals. Doch der erwartete Aufprall von Stahl auf Fleisch blieb aus. Stattdessen traf er auf unnachgiebigen Stahl. Kreischend trafen die beiden Schwerter aufeinander, schlugen Funken die  Nachbilder in  Augen hinterließen.  Ein einzelner Mann hatte sich zwischen ihn und den gestürzten Offizier gestellt und hielt sein Schwert mit dem eigenen gefangen. Er war etwas kleiner als Janis selbst,  seine Züge grimmig und entschlossen, während er Janis Waffe zurückstieß und dann über den verletzten Offizier hinwegsetzte um ihn noch weiter zurück zu treiben. Janis war einen Moment zu verwirrt um mehr zu tun, als sich zu verteidigen und die Hiebe seines Gegner s zu blockieren. Der Helm den er trug schränkte seine Sicht ein, doch der Mann schien ihm Älter zu sein. Blondes Haar, das von vielen grauen Strähnen durchzogen war floss mit jeder Bewegung um seinen Kopf und auch in seinem Bart glitzerten silberne Fäden. Und er trug keine Uniform der Garde.  Über seinen Schultern wehte ein Umhang, der wohl einst weiß gewesen war, nun jedoch durch Schmutz mehr grau erschien und mit so vielen Schnitten und Einschusslöchern versehen war, das kaum mehr als lose Fetzen davon geblieben waren.  Darunter jedoch schimmerten Gold und Silber und Intarsien, die in magischem Licht glühten und mit bläulich schimmernden Kristallen ausgelegt waren. So Edel die Rüstung  allerding auf den ersten Blick wirkte, auf den zweiten wurde deutlich, dass sie genauso mitgenommen war, wie der Umhang. Tiefe Kratzer zogen sich über den Stahl, das Gold blätterte vielerorts ab und an einer Stelle meinte er sogar Einschusslöcher zu erkennen. Trotzdem kämpfte sein Gegner mit absoluter Entschlossenheit ohne ein Anzeichen von Erschöpfung und drängte Janis bald in die Defensive.  Der Mann war ihm überlegen, dachte Janis mit wachsendem entsetzten. Ein paar Mal rettete ihn nur seine Panzerung vor einem tödlichen Streich, das Schwert seines Gegner hinterließ tiefe Dellen auf der Brustplatte seiner Rüstung, durchtrennte die Halterung die einen seiner Armschützer hielt…

Janis blockiert nur mit knapper Not einen Hieb der auf die schwache Verbindungsstellte zwischen Helm und Harnisch an seinem Hals abzielte. Er wirbelt herum, wollte den kurzen Moment nutzen um seinen Gegner das Schwert in die ungeschützte Seite zu treiben… als ihm die Füße weg gezogen wurden. Janis ruderte mit den Armen, das Schwert entglitt seiner Hand und er landete scheppernd auf dem mit Blut und Trümmern bedeckten Boden. Sein Gegner hob das Schwert über den Kopf und wollte nachsetzen, während Janis wenig mehr tun konnte, als irgendwie fort zu kriechen und nach seinem Schwert zu taste.

,, Herr, wir müssen hier weg! „ Die Stimme ließ sowohl ihn als auch den Fremden innehalten. Ein Gejarn, ein Bär wenn Janis je einen gesehen hatte, drängte sich zwischen den Reihen der Kämpfenden hindurch und packte den Mann im weißen Umhang an der Schulter. Und tatsächlich schienen Janis Leute die Gardisten mittlerweile zurück zu treiben, wie er erleichtert feststellte. Einen Moment rechnete er noch fest damit, dass der Fremde ihn trotzdem töten würde. Dann jedoch ließ dieser nur das Schwert sinken und ließ sich von dem Bären mitziehen.

,, Ihr habt recht.“

Der Gejarn nickte lediglich und formte mit den Händen einen Trichter. ,, Rückzug. Zurück zum Gebäude auf der anderen Platzseite. Folgt dem Kaiser !“

Jnais rappelte sich umständlich wieder auf und sah ihnen einen Moment nach. Überall lösten sich die Gardisten jetzt aus den Kämpfen, stürzten haltlos dem Bären und dem anderen Mann nach. Ihrem Kaiser… Das war also der Mann gewesen, den der rote Heilige so verachtete? Janis konnte ihm nur einen Moment regungslos nachsehen. Das war nicht, was er erwartet hatte, dachte er. Dieser Mann war kein Feigling. Er hatte sein Leben riskiert um einen seiner Männer zu retten und kämpfte mit seinen Leuten an vorderster Front, inspirierte und motivierte sie… Und die Leute folgten ihm, kämpfen noch über das Ende hinaus weiter. Und das seltsamste war, das Janis erneut dieses unbestimmte Gefühl hatte ihn zu kennen. Er war ihm schon einmal begegnet. Und es nagte an seinem Verstand, wo und wie… Wenn er ihn nur länger gesehen hätte… Aber eines schien ihm nun umso klarer. Der Kaiser war der Schlüssel zu all dem. Und er musste an ihn heran kommen.

 

 

 

Kapitel 68 Rückzug

 

 

Hadrir warf die Tür hinter ihnen zu, sobald die letzten Überlebenden des Kampfes auf dem Platz hindurch rannten. Sofort stürmte ein halbes Dutzend Männer herbei und stapelten  Bänke, Tische und alles, was sie an Möbeln finden konnten vor Türen und Fenstern im untersten Stockwerk des Anwesens auf.  Aus den höher gelegenen Stockwerken hallte noch immer das Donnern von Gewehren und einer Kanonen, die sie unter Mühen nach oben geschafft hatten. Der Platz war abgeriegelt worden, nicht zuletzt dank Hadrir und seiner Zwerge, welche die Straßen die von dort wegführten unter Schutt begraben hatten als sie Häuser und Villen sprengten. Der einzige weg weiter führte durch das Gebäude das sie jetzt besetzt hielten, dachte Kellvian, als er sich schwer atmend gegen eine der mit Schnitzereien verzierten Holzsäulen lehnte, welche die Decke über ihnen trugen. Der Kampf auf dem Platz hatte ihm mehr abverlangt als er Syle gegenüber zugeben würde. Der Bär musterte ihn auch so schon besorgt genug, während draußen das Gewehrfeuer einen neuen Höhepunkt erreichte. Warum hatte er eben auf dem Platz gezögert, anstatt das Leben des Mannes den er zuvor gestellt hatte zu beenden? Sicher er wollte keinen hilflos am Boden liegenden Menschen töten.  Aber diese Leute würden ihnen nicht dieselbe Gnade gewähren, das wusste er. Es hatte also keinen Sinn welche zu zeigen. Jeder tote hier war einer weniger, der es nach Vara schaffen könnte. Und doch hatte etwas seine Hand zurück gehalten…

Die Kultisten, die ihnen zum Haus gefolgt waren, schlugen jetzt von draußen gegen die blockierten Türen und versuchten ins Innere zu gelangen, während die Garde von oben den Tod auf sie herabregnen ließ. Irgendwo wurde ein Fenster eingeschlagen. Sofort zielten ein halbes Dutzend Gardisten darauf und feuerten. Dichter Pulverdampf füllte die Stube in der sie standen und brachte die Männer zum Husten, aber das Pochen gegen die Fenster stoppte mit einem erstickten Aufschrei. Trotzdem wäre es wohl nur eine Frage, wie lange sie sich hier halten konnten und nicht ob, dachte Kellvian. Er winkte Hadrir und Syle zu sich, während er sich aus dem Weg aus dem Raum und in ein angrenzendes Zimmer machte, dessen Wände den Lärm der Schlacht jedoch nur unzureichend ausblendeten. Ein paar Kerzen und schummriges Licht, das von der anderen Hausseite durch ein verbarrikadiertes Fenster fielen beleuchteten einen Tisch und Bücherregale, auf denen sich abgebröckelter Putz gesammelt hatte.

,, Also, wie sieht es aus ?“ , fragte er ohne jede Form.

,, Nicht gut.“ Hadrir war der erste der Sprach. Der König der Zwerge wirkte Müde, der silberne Panzer den er trug war in noch schlechterem Zustand als Kellvians eigene Ausrüstung. Tiefe Kerben verliefen durch das Metall. Den Hammer, den er auf die Schulter gestützt trug schien ihm zu schwer zu sein und selbst das Schwert an seiner Hüfte wirkte so, als könnte es ihn zu Boden ziehen.

  ,, Kellvian ich  habe fast die Hälfte meiner Männer ,bei dem Versuch die wichtigsten Straßen zu blockieren , verloren. Und von denen die mir bleiben ist eine Hälfte bereits verwundet. Wir haben bei weitem nicht genug Heiler geschweige denn von irgendetwas genug. Und wir haben den Großteil unserer Pulvervorräte hochgejagt um diese Barrikaden zu schaffen. Wenn das so weitergeht kämpfen hier bald nur noch Krüppel mit Bajonetten ohne Munition.“ 

Es gab einen weiteren Donnerschlag als die Kanone im Obergeschoss feuerte. Weiterer Putz rieselte von den Wänden und brachte die Kerzenflammen zum Flackern. Syle musste sich unter der Tür des Raums hindurch ducken. Die Uniform des großen Gejarn war mit Schmutz und Blut verkrustet und die meisten Knöpfe abgesprungen, so das man mehrere Verbände darunter erkennen konnte. Sie hatten alle bereits ihre eigenen Wunden davon getragen. Immerhin, dachte Kellvian. Hadrirs Krüppel würden von ihresgleichen in den Kampf geführt werden. Die Vorstellung entlockte ihm ein bitteres Lächeln.

,, Ich fürchte das wird unser geringstes Problem sein, wenn wir uns hier nicht halten können.“  , erklärte der Bär. ,, Wenn wir hier versagen müssen wir uns zum Palast zurück ziehen, wenn wir uns ihnen nicht offen in den Straßen stellen wollen. Wir haben keine weitere Verteidigungslinie und wenn sie uns dort einschließen auch keine Bewegungsfreiheit mehr.“

Das stimme, dachte Kellvian.  Der Palast selbst wäre ihr letzter Rückzugsort. Zwar war er leicht zu verteidigen, aber es würde auch bedeuten, dass sie endgültig in der Falle saßen. Und sie waren Zahlenmäßig zu wenige, als das sie sich das erlauben konnten. Die Kultisten könnten sie einfach überrennen. Sicher sie würden einen Großteil von ihnen mitnehmen, aber Kellvian bezweifelte, das den roten Heiligen dieser Umstand wirklich kümmerte. Sah so aus, als würde sich die Sache langsam ihrem Ende nähern, dachte er. Einen Moment starrte er nur vor sich auf die Tischplatte, als könnte das zerkratzte Holz ihm irgendeine Antwort liefern. Falls dem jedoch so wahr, erhielt er keine Gelegenheit mehr sie zu finden.

,, Herr… die Kultisten bekommen Verstärkung....“ Mit einem Ruck richtete Kellvian sich auf und lief mit Syle und Hadrir im Schlepptau zurück in den Hauptraum. Draußen hatte das hämmern aufgehört, doch noch immer trieben dichte Schwaden aus Pulverdampf durch die Luft und ab und an  sirrte ein Querschläger durch die Lücken zwischen den Barrikaden an Fenstern und Türen und blieb irgendwo hinter ihm in der Wand stecken. Das wenige, was er vom Brunnenplatz erkennen konnte, verschwand fast unter der Masse aus Kultisten, die aus den noch offenen Straßen strömten. Und mit ihnen kam noch etwas anderes. Kellvian konnte es spüren, bevor er es sah, eine leichte Vibration im Boden, das Kribbeln von Magie, das sich unerträglich wie kleine Nadelstiche in seinen Fußsohlen bemerkbar machte. Erneut erzitterte das ganze Gebäude, doch diesmal folgte nicht der nahe Donner einer Kanone… sondern das Krachen von brechendem Holz. Eines der Fenster wurde nach innen eingedrückt und etwas dunkles, ein Arm, eine Kralle oder auch nur eine unförmige Masse aus beinernen Dolchen griff herein, schlug um sich. Männer wurden von den scharfkantigen Dornen die die Haut des Wesens bedeckten aufgespießt, andere bei Seite geschleudert. Und dann erkannte er seinen Fehler. Das Ding, das Möbel und Fenster zersplittert hatte war ein Stachel. Ein Skorpionstachel, der sich in den hölzernen Boden gegraben hatte, als bestünde er aus Stahl und nicht aus Fleisch… Und tatsächlich schimmerte an seinem Ende keine dünne Giftnadel sondern eine schwarz glänzenden Klinge. Schwarz so wie auch der restliche Körper der Kreatur…

Eine gewaltige Schwere fuhr durch die Fassade Kellvian gegenüber, packte zu und riss fast die Hälfte davon weg. Ohne Stützte kam das obere Stockwerk ins Rutschen, Männer und Geschützte stürzten nach draußen in die Tiefe oder direkt in die wartenden Fänge des Ungeheuers  Kellvian sprang zurück, als das Wesen seine Scheren gegen das was jetzt noch von den Außenmauern des Hauses übrig war hämmerte. Die Fassade wurde mit unglaublicher Gewalt nach innen gedrückt. Marmor und Holz gaben nach als bestünden sie aus Papier. Balken regneten herab, Splitter wurden durch die Gegend gewirbelt und pfählten Männer. Kellvian wurde von einem Holzstück vor die Brust getroffen und Rückwärts geschleudert. Der Atem wurde ihm beim Aufprall aus dem Körper  gepresst und einen Moment konnte er wenig mehr tun, als betäubt daliegen und irgendwie gegen die Schmerzen in seiner Lunge anzukämpfen. Die Einschusswunden waren wieder aufgerissen. Er konnte spüren wie warmes Blut die Verbände durchtränkte und seinen Körper hinab lief. Irgendwie schaffte er es, sich an einem losen Dachbalken hochzuziehen, der von Schutt und Trümmern gehalten quer nach oben ragte. Das obere Stockwerk fehlte fast komplett. Sonnenlicht und Schneefocken fielen von oben herein, schmolzen auf den dicken Teppichen mit denen der Boden ausgelegt war. Nur um dann von dem Schatten ausgeblockt zu werden, der sich durch die zerstörte Hausfassade hinein schob.

Es war tatsächlich ein Skorpion. Aber einer der den tiefsten Abgründen entsprungen war. Oder dem Alptraum eines Wahnsinnigen. Der schwarze  Panzer der Kreatur war in sich verdreht, dunkle Muskelstränge glänzten darunter. Stahl blitzte in den großen Scheren auf die es klickend zuschnappen ließ. Stahl, der einfach in den Chitinpanzer getrieben worden und mit dunklem Blut verkrustet war, das sowohl von ihren Opfern als auch von der Kreatur selbst stammen musste. Hinter ihm schleiften schwere Ketten, die an Haken im Rücken der Kreatur befestigt waren. Hatten die meisten Ungeheuer des Herrn der Ordnung nicht etwas entfernt menschliches a sich, so war auch dieser letzte Funke bei diesem… Ding lange erloschen. Ein erstarrtes Gesicht starrte sie vom Rücken des Skorpions heran , eine Zeichnung im Panzer des Ungeheuers nur. In den rötlich glühende Augen glänzte keine Intelligenz mehr nur… Hunger. Die Fänge troffen von Gift und Säure, die den Boden schwarz färbte, wo sie damit in Berührung kam

. Eine Schere ergriff einen Gardisten der ihr zu nahe kam. Der Mann schrie als die Klingen sich in seinen Körper gruben du die Schreie wurden zu einem hohen Jaulen als er  sich in den scharfkantigen Kiefern des Ungeheuers wiederfand. Dann verstummte sie ganz. Selbst die Kultisten schienen nicht zu wagen der Kreatur zu dicht zu folgen , sondern hielten sich nach wie vor zurück, während das Monster die Reihen von Kellvians Männern rasch lichtete…

Und dann trat Hadrir vor, den Hammer in der Hand. Eine Schere griff nach ihm, doch der Zwerg wich schneller aus, als man bei seiner Statur je vermutet hätte und ließ di Waffe herabsausen. Der Panzer des Monsters gab mit einem Knacken nach und wenn es hätte Schreien können, so hätte es dies wohl getan. So jedoch entkam dem Skorpion nur ein hohes Keifen, während er sich rückwärts Wand. Zuckten Peitschte sein Stachel durch die Luft, schnappte die gesunde Klaue nach dem König der Zwerge. Die andere jedoch, die die Hadrir erwischt hatte zog die Kreatur nur noch leblos nach.

Der Stachel verfehlte Hadrir knapp und schoss über seinen Kopf hinweg zu Boden. Es war beinahe als könnte das Wesen ihn nicht richtig sehen, dachte Kellvian. Als wäre Hadrir für es so gut wie unsichtbar… Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Zwerge reagierten kaum auf Magie. Und der Körper eines Geweihten war nichts anderes als Zauberei. Für die Augen des Skorpions war der Zwerg also tatsächlich nicht vorhanden…  Die Kralle jedoch hätte sich trotzdem fast  um ihn geschlossen, wenn der Zwerg nicht im letzten Moment den Hammer mit beiden Händen hochgenommen und ihn zwischen die Klingen gerammt hätte. Funken stoben auf, als sich Metall auf Metall verkeilte und die schiere Kraft ihrer eigenen Scheren der Kreatur die Klingen tiefer in die Haut trieb.

,, Ich habe diese Stadt als Grabstätte oder Ruhmeshalle auserkoren.“ Hadrir riss den Hammer mit aller Kraft zurück, worauf das Monster ein weiteres hohes Heulen von sich gab. ,, Und ich glaube ich habe genau die richtige Trophäe dafür gefunden.“ Der Zwergenkönig tauchte unter der nun ebenfalls verwundeten Kralle hindurch und an dem fest hängenden Stachel vorbei, die Waffe hoch über den Kopf erhoben. Mit einem Aufschrei ließ er die Waffe direkt auf den Kopf des Skorpions niedergehen. Es gab ein widerliches Geräusch, als der Chitinpanzer mit einem knacken zersprang und schwarzes Blut darunter austrat… und dann löste sich die Form des Skorpions wie Ruß auf, wurde von einer Windböe davon geweht und ließ nur die verkümmerte Gestalt eines Mannes zurück, der die Arme um den Oberkörper geschlungen hatte.

Einen Moment standen alle wie erstarrt da. ,, So langsam fange ich an diese Kerle zu mögen.“ , meinte Syle, der  sich als erster wieder in Bewegung setzte. ,, Aber wir können uns so nicht mehr halten. Wir ziehen uns zurück, los.“

Mit diesen Worten stürzte der Bär bereits durch den Zertrümmerten Raum und stieß die Hintertür des Hauses auf, die auf die noch freien Straßen führte. Kellvian und die anderen folgten ihm rasch nach draußen, bevor die Kultisten sich ebenfalls wieder fangen und sie verfolgen konnten. Zu ihrer rechten ragten die Trümmerberge auf, welche die Straße zurück zum Brunnenplatz blockierten, zu ihrer linken jedoch war der Weg frei. Die Mauern des Palastest schienen Kellvian zum Greifen nahe. Ihnen würde nichts anderes mehr übrig bleiben, als sich dorthin zurück zu ziehen…

Rasch winkte er die Leute weiter und a sich vorbei in Richtung der hoffentlich sicheren Mauern, bevor er sich ihnen selbst mit Syle und Hadrir anschloss.  Noch war ihnen niemand gefolgt, dachte er irritiert. Normalerweise sollten ihnen die Gardisten längst auf den Fersen sein und doch blieben die Ruinen hinter ihnen zurück, ohne dass sich etwas tat. Dann jedoch erzitterte das Bauwerk erneut. Kellvian und Syle wurden langsamer, während das ganze Haus sich plötzlich zur Seite zu neigen schien. Staubwolken stiegen auf, als Steine von ihrem Platz rutschten und auf den Straßen zerschellten und aus dem Dunst erhob sich nur ein weiterer Schrecken. Dieser jedoch war kleiner als der letzte, doch nicht weniger furchtbar. Ein Mann oder vielleicht war er es einst gewesen, von den Makeln gezeichnet die ihm sein Gott aufgebürdet hatte. Dunkle Schuppen hatten den Großteil seines Körpers verzehrt, die Gliedmaßen wirkten unnatürlich lang und liefen in Krallen aus.  Nur das Gesicht war so gut wie unberührt geblieben, sah ihnen grimmig und intelligent entgegen. Das war keines der geistlosen Wesen die man zuvor auf sie gehetzt hatte, das wusste Kellvian sofort…

Sein Hand wanderte zum Schwertgriff, legte sich darum. Bevor er jedoch etwas tun konnte, war es Syle der vortrat.

,, Ich habe langsam wirklich genug.“ In einer fließenden Bewegung ließ er die Muskete vom Rücken in seine Hand gleiten und legte an. ,, Geht mal mit der Zeit.“

Ein einziger Schuss hallte durch die Straße und traf den Geweihten direkt ins Auge. Der Kopf des Wesens verschwand in einer Wolke aus Blut und Knochen, während der Gejarn langsam die Waffe sinken ließ. Einen Moment schwankte die Kreatur noch, dann sackte sie langsam in sich zusammen. Erneut verschwand der Körper des Wesens und wurde auseinandergeweht wie Staub oder Asche nur um einen toten Menschen zurück zu lassen.

,, Wenn alle fertig sind mit starren, wir müssen zum Palast.“ , erinnerte Syle sie alle, bevor er ihnen voraus  die Straße entlang lief.

 

Kapitel  69 Der Brief

 

 

 

 

 

Jiy erwachte in der Dunkelheit und wusste einen Moment nicht, wo sie sich befand. Kurz wollte sie nach Kellvian rufen, bis ihr wieder schmerzhaft bewusst wurde, das sie alleine war. Vorsichtig setzte sie sich auf und drehte den Docht einer kleinen Lampe höher, die neben ihrem Bett stand. Der sanfte Lichtschein viel auf die Einrichtung eines der Gästezimmer in Varas Patriziervilla. Die großen Räume die einst einem Mann namens Marcus Cynric gehört hatten, waren ihr zu leer vorgekommen um sich länger darin aufzuhalten. 

Die Fenster standen offen und kalte Nachtluft wehte durch die Vorhänge hindurch herein.

 Jiy fröstelte, als sie aufstand und sie schloss. Das Feuer im Kamin war zu Glut heruntergebrannt, die kaum mehr Wärme abstrahlte. Sie hatte geträumt, dachte sie. Geträumt, das sie genau wie jetzt aufwachen könnte, nur mit Kellvian in ihren Armen. Und dem Wissen, das Janis irgendwo dort draußen war. Aber beides waren törichte Gedanken nicht? Und doch was war so schlimm an dem Wunsch, dass alles wieder wie früher werden könnte? Stattdessen stand sie hier, alleine in ihrer kalten Kammer. Draußen zeichnete sich bereits der erste, gräuliche  Schimmer Morgenlicht über der Stadt ab. Nebel trieb über den Dächern Varas und durch die graden, sauberen Straßen. Jetzt im Winter konnte man leicht den Eindruck gewinnen, die ganze Stadt sei weiß, wenn die Dächer und Mauern von Eis überkrustet waren und im Licht der Sonne so weiß glitzerten wie die Mauern der Häuser, die sich entlang der Kanäle und Straßen der Stadt aneinander Reihten. Die einzige Ausnahme dabei bildeten die grünen Kupferdächer der Universität, die auf einem Hügel über der Stadt thronte. Direkt unter dem Fenster konnte Jiy einen Blick in die Gärten werfen, welche das Anwesen umliefen. Selbst unter Eis und Schnee begraben hatten die Parkanlagen noch etwas Schönes. Erfrorene Blüten, die noch ihre Farbe bewahrt hatten, leuchteten an den Rosenhecken, welche sich um den schmiedeeisernen Zaun wanden, der das Grundstück begrenzte. Marcus hatte seine Rosen geliebt, das war etwas, von dem sie sich sicher sein konnte, obwohl sie ihn nur kurz gekannt hatte. Vor so vielen Jahren, vor einem Leben…

Langsam trat sie von den Fenstern zurück und an einen kleinen Schreibtisch, der gegenüber dem Bett stand. Obwohl klein waren die Gasträume des Anwesens genau so großzügig  eingerichtet wie der Rest des Gebäudes. Die schweren Eichenholzmöbel waren mit Beschlägen aus Silber versehen, genauso wie der Brieföffner, der auf dem einzigen Stück Papier auf dem Tisch lag. Jiy wusste nicht, wie oft sie die Zeilen jetzt gelesen hatte. Trotzdem setzte sie sich erneut an den Tisch und zog den Brief vorsichtig aus seiner aufgetrennten Hülle. Die Buchstaben  waren  vom Regen leicht verwaschen und ganz offenbar mit zittriger Hand geschrieben, das Papier schmutzig und an einer Stelle von einem Blutfleck verunziert. Es hatte viel gekostet, auch nur dieses eine Stück Papier aus der fliegenden Stadt hinaus und bis hierher zu bringen, daran zweifelte sie nicht. Der Bote, der sie schließlich überbracht hatte, war verletzt und völlig erschöpft gewesen, als man ihn am Stadttor anhielt.

Langsam begann sie die Zeilen erneut zu lesen, murmelte sie leise vor sich hin, vor allem um die erdrückende Stille zu vertreiben, die sich so kurz vor Morgengrauen über alles gelegt hatte.

,, Jiy, ich weiß du wirst nicht verstehen, wieso ich geblieben bin. Ich weiß nicht einmal ob du es mir je verzeihen kannst. Und wenn ich die Wahl hätte, ich hätte mich tausend Mal dagegen entschieden. Wenn es nur um das Leben meiner Männer ginge, ich hätte mich dagegen entschieden. Wenn es nur um die Stadt ginge… “

Jiy  hielt einen Moment inne.  Sie hatte einen Kloß im Hals, wünschte sich nichts mehr, als ihm in diesem Moment irgendwie antworten zu können. Das waren keine Worte, die er jemals  mit irgendjemand anderem Teilen würde. Gedanken die er niemals gegenüber irgendjemandem äußern würde… Nur ihr gegenüber. Und vielleicht war sie auch die einzige die sie verstand…

,, Ich habe es bereut diese Krone zu tragen. Ich habe es bereut gnädig gewesen zu sein. Ich habe es bereut Janis mit mir zu nehmen. Ich hätte damals vielleicht nicht zurückkommen sollen, ich hätte Andre das Feld überlassen sollen, ich hätte die Zwerge abweisen sollen,  ich hätte diesen Kult vernichten sollen als noch Zeit war. Jede Entscheidung meines Lebens ist mir bitter geworden. Es gibt nur eine Wahl von all dem, die ich nie bereut habe, Jiy. Und das bist du. Das einzige, was ich mir wünschen würde wäre mehr Zeit. Aber die Götter geben uns nur selten was wir wollen, nicht?

Und so bleibt mir nur einen verlorenen Kampf zu führen in der Hoffnung dass wenigstens du dadurch in Sicherheit bleibst.

Für immer dein, was auch geschieht. In diesem oder im nächsten Leben.

Kell.“

Jiy drückte den Brief einen Moment an sich. Es war nicht fair, dachte sie nicht zum ersten Mal. Nichts hiervon. Ihr Herz flog ihm zu. Was hatten sie, was hatte er sein Leben lang getan als zu versuchen, das richtige zu tun? Und doch konnte er zum Dank für all dies jetzt nur zusehen, wie alles zerfiel, für das er so viele Jahre geopfert hatte. Und es ihr zu überlassen, es noch irgendwie zusammen zu halten. Als ob das möglich wäre. Sie schloss die Augen.

Nicht einmal die Zwerge konnte sie wirklich kontrollieren… Jiy schlug die Augen wieder auf und starrte aus dem Fenster hinaus auf die Stadt. Das erste Morgenlicht sickerte golden und Rot über den Horizont und färbte die schneebedeckten Dächer bunt. Das da draußen war genauso ihr Volk wie es Kellvians war. Und es verließ sich auf sie. Wenn es nur etwas gäbe, das sie tun könnte.

Jiy hielt es nicht länger in der kleinen Kammer aus. Stattdessen legte sie den Brief vorsichtig wieder zurück und warf sich ihren Mantel über, der über der Stuhllehne hing, bevor sie sich auf den Weg in die Gärten machte.

 

 

,,Verzeiht… Verzeihung…“ Armell drehte sich zu der Frau um, die ihr durch die Menge folgte, die sich am Platz vor dem Aufgang zur Universität versammelt hatte. Manchmal wünschte sie sich, sie könnte mehr tun, als beim Anblick der vielen Bilder und Handgeschriebenen Zettel den Kopf zu schütteln. Überall hier befanden sich Nachrichten, Beschreibungen, jene die es sich leisten konnten verteilten auch Zeichnungen. Manche waren von Hand geschrieben, andere entstammten den Druckerpressen der Stadt. Doch die Nachrichten waren alle gleich. Hatte jemand vielleicht jene Frau, jenen Mann oder jenes Kind gesehen? Wusste jemand was mit ihnen geschehen war oder ob sie noch lebten?  Die losen Zettel wurden verteilt, hingen an Hauswänden oder bedeckten den Boden in einer Schicht höher als der Schnee, der um diese Zeit längst unter tausenden Füßen geschmolzen war. Selbst an den Füßen der Statue Simon Belfares, die in der Mitte des Platzes aufragte hatte man Flugblätter aufgehängt. Verzweifelte Leute, die ihre Angehörigen und Verwandten suchten. Flüchtlinge aus der fliegenden Stadt und dem Umland und noch weiter her, die sich irgendwie bis hierhin gerettet hatten. Alle schien es genau hierher zu ziehen. In diesen Zeiten suchten die Leute auch untereinander Schutz, unterhielten sich um die neusten Neuigkeiten auszutauschen oder  auch nur um einander Mut zu machen. Es waren so viele, dachte Armell nur, als sie sich ihren Weg durch die Menge suchte. Adelige und zerlumpte Bauern standen nebeneinander, zusammen mit verwundeten Gardisten oder Stadtwachen. Niemand der es bis nach Vara geschafft hatte, hatte das ohne Verluste getan. Und wie lange sie hier sicher sein würden, darüber wagte wohl niemand zu spekulieren. Wenigstens konnten sie die Leute ernähren, dachte Armell. Vara war reich und als eine der Kernstädte des Herzlandes waren die Speicher der Stadt bis zum Rand mit Korn gefüllt. Solange sie die Rationen einhielten würde man die Leute bis zum Frühjahr durchbringen können, selbst wenn noch einmal die gleiche Menge ankam. Was Unterkünfte anging jedoch, sah die Sache schon anders aus. Die Stadt war nicht groß und schon vor ihrer Ankunft mit Leuten aus dem näheren Umland überfüllt gewesen. Die meisten Leute quetschten sich zu fünft noch in den kleinsten Quartieren zusammen. Eintönige Nahrung, die Kälte und die Enge boten idealen Nährboden für Krankheiten. Erst letzte Woche hatte die Stadtwache ein Haus niedergebrannt nachdem sich mehrere Leute irgendwo mit rotem Fieber nagesteckt hatten. Das letzte, was sie gebrauchen konnten, wäre eine Seuche Die  Heiler und Ärzte der Universität waren ohnehin bereits überfordert nur alle Erfrierungen zu behandeln. Obwohl es kaum mehr Platz gab, wollte niemand draußen vor den Stadtmauern sein Lager aufschlagen und so nächtigten manche Leute in den Straßen, egal wie gefährlich das bei dieser Witterung war.

Erik hatte in den letzten Wochen vermutlich mehr erfrorene Finger und Zehen gesehen als Wunden und das obwohl sie die meisten Verwundeten aus der fliegenden Stadt mitgenommen hatten. Der alte Arzt hatte sich mit Zachary zusammen an der Universität einquartiert, doch wo dieser sich mit den Kranken der Stadt beschäftigte, hatte der Magier begonnen die Bibliotheken der Stadt zu durchforsten. Es war nur der Griff nach einem Strohhalm, dachte Armell. Und doch half sie ihm und Merl dabei die schiere Masse an Büchern durchzusehen, welche die Gelehrten der Universität in mehr als fünfhundert Jahren zusammen getragen hatten zu durchforsten. Nach irgendetwas, das ihnen einen Ausweg aufzeigen könnte. Oder vielleicht auch nur um nicht mit den Händen im Schoß abzuwarten, welche Nachrichten sie aus der fliegenden Stadt erreichen mochten. Merl war bei seinem Meister geblieben um ihm weiter zur Seite zu stehen, sie jedoch hatte sich nach einer durchwachten Nacht die Beine vertreten müssen. Und vermutlich würde sie die anderen  beiden später schlafend über einem Bücherstapel wiederfinden, wenn sie zurückkehrte, dachte Armell bei sich. Niemand von ihnen gönnte sich viel Ruhe oder war auch nur in der Lage sie zu finden.

Armell lenkte ihre Schritte fort vom Platz mit seinen Menschenmassen und Flugblättern und in den leereren Straßen entdeckte sie schließlich auch die ersten Zwerge. Anders als die Menschen suchten sie nicht Schutz in der Masse, sondern standen oder saßen stattdessen nur in kleinen Gruppen zusammen. Die meisten dieser Banden trugen auch lediglich das Wappen eines einzigen Hauses zur Schau. Kasran gab sich alle Mühe, sein Volk für ihre Sache zu gewinnen, doch Armell musste nicht erst Fragen um zu wissen, das ihnen die wenigstens hier wirklich wohl gesonnen waren. Die meisten Loyalisten waren mit ihrem König in der fliegenden Stadt zurück geblieben und ob Hadrir je zurückkehren würde, blieb abzuwarten. Bis dahin begannen die Zwerge offenbar schon einmal sich um seine Nachfolge zu streiten. Und nicht nur darum… Die meisten Gruppen denen sie auf ihrem Weg begegnete waren bewaffnet. Armell sah Äxte und Schwerter und gelegentlich auch Musketen. Es hatte deshalb schon des Öfteren Zusammenstöße mit der Stadtwache gegeben und es blieb wohl fraglich, auf welche Seite sich die Zwerge schlagen würden, wenn die Kultisten des roten heiligen die Stadt erreichten. Oder ob sie sich auf eine Seite schlagen würden. Sollte die Zwerge sich entscheiden ihren Bürgerkrieg hier in den Straßen auszutragen würden sie sie nicht mehr daran hindern können. Zyle und seine Paladine erhielten mit der Stadtwache zwar die Ordnung aufrecht, aber das war auch schon alles, was sie tun konnten. Für einen wirklichen Kampf fehlten ihnen die Männer.

Mittlerweile waren die Rufe vom Platz verstummt und auch die gelegentlichen Gruppen aus Zwergen wurden seltener. Morgennebel wallte durch die Straßen der Stadt und machte alles klamm, ließ sie noch stärker spüren, das der Winter sie mittlerweile erreicht hatte. Zwar hielt sich die kalte Jahreszeit in den Herzlanden gnädig kurz, doch bis sie darauf hoffen konnten, dass das Eis schmolz würden auch hier noch mehrere Wochen vergehen. Die sich einander so ähnlichen Fassaden der Häuser zogen an ihr vorbei wie geisterhafte Schemen, halb im Nebel verborgen. Und dann hatte sie ihr Ziel erreicht. Das Patrizier-Anwesen ragte hinter einem von erfrorenen Rosen eingerahmten Zaun auf. Die Gärten erstreckten sich weitläufig um das Gebäude herum und waren von mit Sand ausgestreuten Wegen durchzogen. Vier Gardisten die am Tor Wache hielten Armell  kurz an, ließen sie dann jedoch passieren, als man sie erkannte. Vielleicht könnte sie mit Jiy reden. Die Kaiserin war eine der wenigen, die sich trotz des allgemeinen Zusammenbruchs so etwas wie Ruhe bewahrt hatte. Wie sie das fertig brachte oder ob es nicht nur gespielt war, war Armell ein Rätsel, aber ohne Kellvian war sie es, die ihnen einen Weg weißen musste. Irgendwie. Und wenn es nur der letzte wäre.

 

 

Kapitel 70 Hilflos

 

 

 

 

Die Blüten waren zu Eis erstarrt. Die Regenfälle des Herbstes hatten sie mit einer dünnen Wasserschicht überzogen, die jetzt gefroren und Farbe und Form der Rosen in kaltem Kristall bewahrt hatte.  Gefrorene Blätter und Blüten lagen auf den Sandwegen verstreut und zersprangen wie Glas unter Armells Schuhen. Nachdem sie drinnen im Anwesen nach der Kaiserin gefragt hatte , hatte man sie schließlich auf die Gärten verwiesen. Auch wenn sie sich fragte, was jemand bei diesen Temperaturen hier draußen machte. Das Gras auf den Wiesen hatte längst das gleiche Schicksal ereilt wie die Blumen.

Armell folgte einem der Sandgestreuten Pfade einen kleinen Hügel hinauf auf dessen Spitze sich ein Pavillon erhob. Das Gebäude war aus Marmor errichtet, der in der kalten Wintersonne selbst wie Eis glitzerte. Fünf Säulen trugen das Dach, aber nur an einer Seite hatte man die Zwischenräume offen gelassen. Die anderen Seiten waren mit Flechtwerk und Planen verhängt, so dass zumindest der Wind draußen blieb. Eine gusseiserne Kohlenpfanne brannte auf dem runden Tisch in der Mitte des Bauwerks und auf einer Bank daran fand Armell schließlich Jiy. Die Kaiserin trug einen schweren Wintermantel aus dunklem Stoff. Das Material war fein, wies aber keine besonderen Verzierungen auf und auch ansonsten wirkte die Gejarn im Augenblick alles andere als Kaiserlich.

Die Tinte in dem Fässchen das vor ihr auf dem Tisch stand war wohl längst gefroren, die Feder mit Eis überkrustet. Die Kohlen gaben kaum genug Wärme ab. Die ältere Frau sah auf, als sie Armells Schritte hörte, die auf dem Sand knirschten.

,,Verzeiht die Störung…“ Sie blieb zwischen den zwei offenen Säulen stehen und verneigte sich kurz.

Jiy lächelte. Es wirkte traurig. Aber ehrlich. ,, Kommt rein. Ich glaube ohnehin nicht, das ich viel zu Papier bringen werde.“ Sie gestikulierte mit der Hand in Richtung eines Stapels unbeschriebener Blätter, die sich auf dem Tisch stapelten. Ein zweiter, und deutlich kleinerer Stapel enthielt beschriebene Seiten.

,, Darf ich fragen, was ihr hier draußen tut ?“ Armell trat vorsichtig ein und streckte die Hände einen Moment nach dem Kohlenbecken aus. Die Wärme drang durch ihre Handschuhe bis auf ihre kalten Finger.

,, Es gefällt mir hier.“ , erwiderte die Kaiserin ruhig. Obwohl sie weit jenseits ihrer Blüte stand, obwohl alles um sie herum zerbrach, irgendwie schaffte diese Frau es immer noch eine gewisse Anmut auszustrahlen.  Es fiel nicht schwer sich vorzustellen, wie sie es geschafft hatte, das Herz eines Kaisers für sich zu gewinnen.  Armell konnte einen Moment stummer Bewunderung nicht leugnen. Irgendwie schaffte Jiy es, trotz allem weiterzumachen. Und doch sah doch jeder, dass es ihr dabei nicht gut ging. Erneut lächelte sie, doch diesmal wirkte es unecht, wie so oft in den letzten Tagen und wie schon auf der ganzen Reise hierher. Es war nur aus reiner Pflicht aufgesetzt und mit ihren Gedanken war die Gejarn woanders. Bei Kellvian,. Bei ihrem toten Ziehsohn. Überall. Nur nicht hier bei ihnen. Und doch dauerten diese Aussetzer meist nur einen kleinen Moment, bevor sie sich einen Ruck gab und sich der nächsten Aufgabe zuwendete. So wie jetzt. Ohne Armell aus den Augen zu lassen, zog sie ein weiteres leeres Blatt heran und zerdrückte mit der Schreibfeder hörbar die Eisschicht, die sich im Tintenfass gebildet hatte.

,, Ich kann nicht nichts tun, Armell.“ , meinte sie leise, während sie die Feder auf das Papier setzte nur um dann doch inne zu halten. Der blaue Fleck unter der Metallspitze der Schreibfeder wurde langsam größer. ,, Aber gleichzeitig sind mir die Hände gebunden. Ich kann Nachrichten an alles und jeden Fürsten schicken, der sie noch erhalten kann. Aber was bringt das… Die meisten werden uns nicht zur Hilfe kommen oder können es schlicht nicht.“

,, Wir sind alle Hilflos,  Herrin…“ Armell wusste nicht, was sie sonst erwidern konnte.

,, Aber eine Kaiserin sollte es nicht sein. Kell verlässt sich auf mich. Selbst wenn mir alles andere egal wäre…“ Ihre Han die die Feder hielt zitterte leicht. ,, Ihn kann ich nicht enttäuschen.“

Jiy hatte Recht, so einfach war das. Der Großteil des Landes lag längst nicht mehr unter ihrer Kontrolle. Und ihre Hilferufe verstummten. Nur einmal war eine kleine Garnison unter Führung eines lokalen Adeligen eingetroffen. Fünfzig Männer aus seiner Leibgarde und ein Mann in schweren, für die Witterung gänzlich ungeeigneten Samtkleidern, den man erklären musste, dass er sich mit einem Gästequartier im Patrizierhaus zufrieden geben musste.

,, Ihr vermisst ihn ?“

Armell rechnete nicht damit eine Antwort zu bekommen. Und einen Moment schwieg die Kaiserin tatsächlich nur und warf das ruinierte Blatt in die Kohlenpfanne, wo es aufflammte und zu Asche verbrannte.

,, Ich bin stolz auf ihn.“ , erwiderte sie schließlich. Einen Moment wirkte sie nur verloren, blinzelte eine Träne fort, die sich in ihrem Augenwinkel bildete. ,, Er tut was er glaubt tun zu müssen. Als Kaiser, als Mensch…  Ich weiß es nicht. Und doch würde ich alles dafür geben, wenn er nur hier sein könnte.“

 

Die Bibliotheken Varas bestanden aus einer Reihe großer, von einer Galerie umlaufener Räume. Sowohl an den Wänden als auch in der Mitte der Säle zogen sich Regale mit Büchern und Schriftrollen  in die Höhe. Manche davon waren sortiert, andere stellten ein wildes Sammelsurium aus Texten der verschiedensten Epochen und Sprachen zusammen.  Neben Schriften von berühmtem gelehrten verwahrten die Bibliotheken auch Urkunden und Verträge, die teilweise noch aus der Gründungszeit des Kaiserreichs stammten und die im Laufe von fast zweitausend Jahren immer wieder kopiert und erneuert worden waren. Die originale waren längst irgendwo in den Licht geschützten Kammern unter den Universitätsgebäuden untergebracht worden und mittlerweile vermutlich so empfindlich, das sie bei einer bloßen Berührung zu Staub zerfallen würden.

Nicht, das viele der Schriften hier oben in besserem Zustand wären, dachte Merl, als er einen weiteren Wälzer zuschlug, dessen Seiten vergilbt und kreuz und quer unter dem Buchdeckel hervor quollen. Auf dem Tisch zwischen ihm und Zachary stapelten sich dutzende ähnlicher Bücher in verschiedensten Sprachen und Versionen. Allein ein halbes Dutzend Abschriften von ,,Wehklagen der Steine.“ Hatten ihren Weg zu ihnen gefunden aber das war leider auch nötig. Die Antwort die sie suchte, wenn es denn eine gab, war so exotisch das wohl nur das alte Volk Aufzeichnungen darüber hinterlassen haben dürfte. Doch die meisten originalen Inschriften die das Volk seines Vaters ihnen hinterlassen hatte waren lange zerfallen oder Räubern zum Opfer gefallen oder in den Archiven des Ordens verschwunden. Und so bleiben ihnen nur die Abschriften die ein dutzend verschiedenster Gelehrter eins gemacht hatten. Oder die Übersetzungen was die Sache noch mühsamer machte. Drei Gelehrte mochten der gleichen Inschrift drei unterschiedliche Bedeutungen zuweisen…

Er streckte sich Müde und ließ den Blick weiter über den Tisch schweifen. Nicht nur Bücher hatten sie hier gesammelt. Die Bibliotheken Varas verfügten auch über eine Sammlung von Artefakten aus allen Teilen der Welt , von steinernen  Knochen die Expeditionen in die Eiswüsten mitgebracht hatten und die zu keinem bekannten Wesen zu gehören schienen über die Überreste eines kleinen Drachen, dessen kristalliner  Schädel sie von einem  Podest herab anfunkelte. Dazu kam ein unübersichtliches Sammelsurium aus Artefakten, seltsame Geräte aus Gold und Kristall deren Zweck niemand verstand, magische Gegenstände und sogar einen Dolch der angeblich aus Sterneneisen geschaffen wurde. Merl hatte allerdings nur einen Blick gebraucht um zu wissen, dass er nicht echt war.  Die Klinge war aus einem Bergkristall gefertigt und von Rissen durchzogen. Schön und von unglaublicher Kunstfertigkeit… aber nutzlos. Oder vielleicht war der echte Dolch auch längst irgendwo verloren gegangen, dachte er. Wundern würde es ihn nicht. Selbst wenn sich unter diesen Schätzen hier eine der Tränen Falamirs befände, wäre sie wohl unmöglich aufzuspüren unter all den anderen Zaubern die über jedem zweiten Objekt lagen.

Und wenn die Jünger des Herrn der Ordnung sie hier erreichten, würde dieser Ort brennen. Da brauchten sie sich keine Illusionen zu machen. Sie hatten Geschichten gehört, von den Paladinen aus Helike, die Drachenfeuer die Stufen der großen Archive hinab gegossen hatten  bis zu dem wenigen was die Palastbibliothek in Erindal hergegeben hatte. Der rote Heilige hatte diese Orte geplündert, an sich genommen was er brauchte oder wollte und sie dann vernichten lassen. Was in ihrer Abwesenheit mit dem Rabenkopf in Silberstedt geschehen sein mochte, darüber wollte er erst gar nicht nachdenken. Jahrzehnte an Forschung und Arbeit die man vielleicht den Flammen übergeben hatte… Es war hoffnungslos…

,, Du glaubst nicht mehr, das wir noch etwas finden, oder ?“ Zachary sah ihn zwischen zwei Bücherstapeln hindurch an.  Er wirkte müde, fand Merl. Selbst wenn das noch von der Zeit stammte, die er seinen Geist mit Ismaiel hatte teilen müssen…

,, Ich glaube wenn es eine Lösung gäbe, hätte das alte Volk sie gefunden.“ , erwiderte Merl. Und es hatte eine gegeben. Als Ismaiel noch lebte. Als sie das Schwert noch hatten. Jetzt… jagten sie Gespenster. Aber Aufgeben war keine Option. Alles andere als weitermachen bedeutete nur, sich die Niederlage einzugestehen. Und so hatte er auch Armell nicht begleitet, als diese vor einigen Stunden aufgebrochen war. Seine eigenen Beine waren verkrampft und er nicht weniger Müde als Zachary. Aber sie wussten schlicht nicht, wie viel Zeit ihnen noch blieb. Und vielleicht hoffte er auch nur, irgendwie einen Teil des Wissens hier retten zu können. Fort schaffen konnten sie nichts, wohin auch? Vara war ihre letzte Zuflucht. Irgendwo fiel ein Buch aus einem Regal und landete krachend auf dem Steinernen Boden. Merl sah nicht einmal mehr auf. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt. Manche behaupteten, es würde hier spucken, aber wahrscheinlicher war doch, das die uralten Holzregale schlicht nicht mehr so grade waren wie einst und ab und an ein Buch herausrutschte.

,, Ja vielleicht.“ Zachary wirkte einen Augenblick weit fort. ,, Da sind immer noch so viele Fragmente in meinem Kopf, Merl. Eindrücke, Erinnerungen Gedanken… Die nicht mir gehören. Und doch keine Antworten. Außer vielleicht einer. Ich glaube er ist nie dazu gekommen, dir die Wahrheit zu sagen, oder?“

,, Ihr redet von Ismaiel.“ Es war eine Feststellung keine Frage. ,, Ich glaube er hat mir alles gesagt was er zu sagen hatte.“ Merls Stimme klang kühl. Nach wie vor war er was den alten Zauberer… seinen Vater… anging bestenfalls geteilter Meinung. Am Ende hatte er ihn gerettet. Doch wog das alles andere auf?

,, Ich glaube auf seine eigene Art, war er stolz auf dich.“ Zachary versuchte sich an einem Lächeln. ,, Ich kann es natürlich nicht genau sagen. Und ich glaube nicht, dass er das jemals zugegeben hätte. Aber vielleicht kann ich es für ihn tun. Ich zumindest bin stolz auf dich, Merl. Wie immer das alles hier ausgeht. Du bist bereits mehr geworden, als ich mir je erhofft habe. Und lass dir von niemandem etwas anderes sagen. Schon gar nicht von Ismaiel. Er mag dein Vater gewesen sein, aber er war auch ein intrigantes, bösartiges Ding. Und du bist es nicht. Vielleicht ist es das, was du in Erinnerung behalten solltest. Und das brauchst du auch niemandem zu beweisen.“

,, Ich habe nicht…“ Merl stockte. Er war doch nicht nur hier um irgendjemanden etwas zu beweisen. Er würde nicht mit Ismaiel abschließen können. Nicht so bald, aber… Er würde sich auch nicht davon beherrschen lassen.

,, Ich weiß.“ Zachary legte ihm eine Hand auf die Schulter. ,, Trotzdem will ich nicht, das du deine Zeit hier drinnen verschwendest. Nicht wenn das wirklich unsere letzten Tage sind. Der Staub und die vergilbten Seiten laufen nicht weg. Also geh. Such Armell. Ich mache hier weiter…“

In diesem Moment erinnerte er Merl zu sehr an seine ersten Monate auf dem Rabenkopf. An den Meister, der ihn anfangs so viel Angst gemacht hatte, das er nicht einmal  gewagt hatte, die bitte zu stellen nach draußen zu gehen. Bis der Zauberer ihn schließlich von selbst fort geschickt hatte.  Der kleine Junge von damals hatte sich wohl viel für seine Zukunft vorstellen können… aber sicher nicht das alles hier. Merl nickte nur und flüsterte ein ,,Danke.“ , bevor er aufstand und sich auf dem Weg durch die Bibliothek machte.  Es tat gut sich einmal die Beine zu vertreten. Zachary hatte Recht. Die Bücher rannten fürs erste noch nicht fort. Oder gingen in Flammen auf. Wobei das bei manchen wohl durchaus passieren konnte, wenn man sie unachtsam aufschlug. Er lächelte. Wenn er Armell fand konnte er sie vielleicht überreden ihn vor die Stadtmauern zu begleiten. Er hatte ohnehin vorgehabt, sich die Runensteine anzusehen und wer wusste schon ob er noch einmal die Gelegenheit bekam. Und sie wären alleine…

 

 

Kapitel 71 Träume und Dunkelheit

 

 

Sie träumte. Sie musste träumen, den Sine war da, bei ihr. Um sie herum schien es nur Finsternis zu geben, doch war diese nicht drückend wie die ständige Dunkelheit in ihrem Gefängnis. Dunkelheit, die nur durchbrochen wurde, wenn sie wieder jemand nach draußen schleifte und das war schlimmer als die Finsternis. Sie wusste nicht wie sie hierher gekommen war, ob es real war. Und dennoch stellte sie es nicht in Frage . Es war besser als die Realität.

Die rothaarige Whaid saß ihr nur stumm gegenüber, lächelte sie sanft an. Die goldenen Runen auf ihrer Hand waren verschwunden, ließen nur makellose, von der Sonne ihrer Heimat dunkel gebrannte Haut zurück. Und auch der Rest ihres Körpers war unversehrt, nicht durchbohrt von der Sense des roten heiligen. Ungläubig streckte Naria eine Hand aus. Sine war nackt und dennoch schreckt sie nicht zurück, als ihre Finger über ihre Brust waren und schließlich über ihrem Herz  zum Ruhen kamen. Sines Haut war warm. Lebendig...

Naria zog sie an sich, küsste sie auf die Stirn und das ihr im Vergleich zu  ihr einst so Schüchtern vorkommende Mädchen schenkte ihr nur ein wissendes Lächeln . Naria hielt sie einen Moment nur fest obwohl ein Teil von ihr sich nach wie vor nur zu schmerzlich bewusst war, das nichts hiervon real sein konnte. Aber alles war besser, als aufzuwachen und in diesen Alptraum zurück zu kehren der jetzt ihr Leben darstellte. Oder was davon übrig war... Und so küsste sie Sine nur erneut, spürte ihre Lippen , schwer und voll, auf den ihren, streichelte sanft über ihre Schultern und zog sie mit sich zu Boden. Sie konnte Sines Gewicht auf sich spüren, ihre Brüste, die sich an ihren Körper drückten. Narias rechte schloss sich um ihren Busen. Ihre Finger strichen über die Brustwarze , die sich unter der sanften Berührung rasch aufrichtete und empfindlich wurde, bis sich Sines Atem mit jeder Berührung etwas zu beschleunigen schien. Sines küsse wanderten unterdessen wie von selbst tiefer, über ihren Hals hinab über ihre Brüste, bis ihr roter Haarschopf für Naria außer Sicht verschwand. Süße Wärme breitete sich von ihrer Mitte her aus, Sines Finger gruben sich in ihre Schenkel, drückten zu. Naria versuchte etwas zu sagen , doch ihre Stimme versagte, die Wärme steigerte sich zu brennen, wo Sines Finger sie berührten schien ihre Haut zu verbrennen. Naria streckte die Hände nach ihr aus, wollte sie fort stoßen, doch auch diese gingen bei der Berührung scheinbar in Flammen auf. Blut quoll daraus hervor, sie schrie... und kam in vollkommener Finsternis zu sich.

An die Steinwand ihres Gefängnisses gekauert, wagte Naria es eine Weile lang nicht einmal, sich zu rühren. Sie konnte nicht sicher sagen, wie lange sie so dasaß. Ihr Kopf dröhnte und trotz Träumers ständiger Heilungen tat ihr alles weh. Getrocknetes Blut bedeckte ihren Körper von oben bis unten und sie war sich sicher, das eines ihrer Augen blind war. Auch wenn es schwer war das sicher zu sagen. Doch wenn sie wieder einmal nach draußen gebracht wurde, schien ihr Gesichtsfeld ihr seltsam eingeschränkt. Und was das geschleift werden anging war sie mittlerweile sogar dankbar dafür, bezweifelte sie doch ob ihre Beine sie noch trugen. Sie konnte sich hier unten kaum Bewegen, selbst ohne die ständigen Verletzungen. Vielleicht hatte der rote Heilige ihr auch schon einmal die Wirbelsäule gebrochen und Träumer die Heilung zu hastig vollzogen. Es spielte keine Rolle mehr...

Schließlich hörte sie , wie sich von draußen Schritte näherten. Einen Moment spannte sie sich an, aber das waren nicht die schweren, gleichmäßigen Schritte ihrer Wärter. Nein diese waren leichter. Sie spitzte die Ohren, lauschte.  Naria versuchte sich so gut es ging aufzurichten und spähte in die Richtung, in der sie die Tür vermutete

 Nach der ganzen Zeit die sie hier verbracht hatte,  hatte sie von ihrem Gefängnis nicht mehr gesehen, als sie mit den Fingern ertasten konnte. Die Boden bestand aus dem gleichen, grob behauenem Stein wie die Wände, die grade so weit voneinander entfernt waren, das sie die Beine ausstrecken konnte. Es gab eine kleine Treppe vor der einzigen Tür ihrer Zelle, die den Raum nur noch klaustrophobischer machte. Das Gefühl begraben zu sein hatte sie Anfangs noch geplagt. Das war bevor der Schmerz und die ängstliche Erwartung alles andere nebensächlich gemacht hatten. Mittlerweile war dieser Ort ihre einzige Zuflucht, bedeutete hier zu sein doch zumindest nicht dem roten heiligen ausgesetzt zu werden. Es wäre ihr sogar egal, wenn man sie wirklich in einen Sarg stecken würde, solange das bedeuten würde, das niemand mehr kommen würde um sie aus ihren Zellen heraus und vor den roten Heiligen zu bringen.

Die Schritte, die sie zuvor vernommen hatte waren mittlerweile verstummt. Irgendwo in der Nähe der Tür. Naria hörte wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte und wie die Tür aufschwang. Draußen auf dem Gang war es genau so Finster, wie hier drinnen so das sie kaum erkennen konnte wer zu ihr herein kam. Und er sagte kein Wort. Nur der Luftzug, den seine Bewegungen mit sich brachten, verrieten seine Anwesenheit. Knirschend schloss sich die Tür wieder hinter ihm und fiel ins Schloss.

,, Es tut mir leid. So leid.“ Eine  klägliche, blaue Flamme entstand in seiner Hand, beleuchtete Träumers Gesicht, das durch das Spiel von Licht und Schatten noch ausgezehrter als ihr eigenes wirkte. Aber alles andere hätte sie vermutlich geblendet und das wusste er. Wie oft hatte sie diese vier Worte jetzt schon von ihm gehört ? Das es ihm leid tat ? Fünfzehn mal , jeden Tag aufs neue ? Das kam wohl darauf a wie oft sie an einem Tag gefoltert wurde. Für sie war die einzige Möglichkeit überhaupt noch das verstreichen der Zeit zu messen, wie oft sich die Tür ihrer Zelle öffnete um sie nach draußen zu bringen. Essen bekam sie dafür zu unregelmäßig . Wenn man sie wirklich einmal am Tag holte,  ja dann war sie jetzt zwei Wochen hier aber spielte das wirklich noch eine Rolle ? So seltsam es klang, zumindest die Stunden zählen zu können,  zu wissen wie lange ihre Pein dauerte, half ihr irgendwie es zu relativieren. Und nicht den Verstand zu verlieren... Noch.

,, Lasst mich gehen. Oder tötet mich. Oder hört wenigstens auf zu lügen.“ Ihre eigene Stimme erschreckte sie. Zu dünn, alt, es war die Stimme einer Fremden. ,, Aber sagt mir nicht das es euch leid tut...“

,, Was soll ich sonst sagen ?“

Naria schloss die Augen. Selbst das blassblaue Feuer in Träumers Händen überanstrengte ihre Augen. Immerhin gewöhnte sie sich langsam daran nur eingeschränkt sehen zu können.

,, Ich schwöre Träumer wenn das nicht diesmal ein Ende findet sage ich ihm alles. Heilt mich das nächste mal nicht. Bitte. Oder bringt es selbst zu Ende aber lasst nicht zu, das ich ihm noch einmal gegenübertreten muss.“ Sie bettelte um ihren Tod. Und doch auf was konnte sie sonst noch hoffen. ,, Bitte...“

,, Das kann ich nicht.“

,, Doch. Es wäre so einfach...“ Naria öffnete die Augen wieder einen Spalt, starrte direkt in das Feuer. Gedankenverloren streckte sie eine Hand aus hielt sie mitten in die Flammen. Sie konnte nicht einmal sagen, was sie dazu trieb. Vielleicht die irre Eingebung sie könnte tatsächlich verbrennen. Und Träumer könnte das zulassen. Es war wie in ihrem Traum. Sie konnte das Brennen spüren, wie ich Fell und die Haut darunter versengt wurden... und dann riss Träumer auch schon mit einem Aufschrei die Hand zurück, löschte die Flammen mit einem Gedanken.

,, Seid ihr Wahnsinnig ?“  Narias Antwort bestand nur aus einem bitteren Lachen. Noch nicht. Aber so kurz davor, wie es nur irgend jemand sein konnte. Er umfasste ihre Hand. Seltsam das sie kaum etwas davon spürte, dachte Naria, während Träumer bereits begann die Verbrennungen zu heilen. Vielleicht weil sie sich mittlerweile schon an die ständigen Schmerzen gewöhnt hatte.

,, Wollt ihr nicht wissen, was er getan hat ?“ Naria registrierte kaum, das sie die Worte laut aussprach.  Träumer antwortete nicht, sondern besah sich nur weiter ihre Hand, als wären die paar Verbrennungen irgendetwas verglichen mit ihren restlichen Wunden.

,, Soll ich euch erzählen, woher die Verletzungen stammen die ihr jeden Tag heilt ?“ Naria wusste nicht, was sie antrieb. Aber schlimmer konnte ihre Situation ohnehin nicht mehr werden. ,, Oder wisst ihr es ? Euer Herr ist ein Monster muss ich es noch aufzeichnen und ihr... ihr seid es der mich ihm überlassen hat. Der mich ihm immer wieder überlässt. Warum ? Antwortet mir wenigstens...“

,,Weil ich euch nicht sterben lassen kann...“ Er ließ ihre Hand los. ,, Ich kann es nicht. Es ist meine Schuld das ihr hier seid. Alles hiervon ist meine Schuld. Und irgendwie muss ich das wieder gut machen.“

Aber er würde dabei nicht seinen Meister hintergehen, dachte Naria. Und er würde ihr auch nicht erlauben ihre eigene Entscheidung zu treffen, was das anging. ,

,, Träumer, glaubt ihr etwa, mein Leben bedeutet mir noch irgendetwas ? Ich kann nicht warten bis ihr euch irgendetwas ausgedacht habt. Und ich bin sicher nicht daran interessiert euch irgendeine Vergebung zu gewähren. Ihr habt eure Wahl getroffen. Lernt wenigstens damit zu Leben... Macht dem hier ein Ende.“

,,Nein.“ Sie spürte den Luftzug, als er aufstand und sich in Richtung Tür umwendete. Hätte sie gekonnt, sie wäre aufgesprungen um sich auf ihn zu stürzen.

,, Ihr seid ein Feigling, Träumer. Ein Monster das nicht den Mut hat sich einzugestehen das es eines ist. Glaubt ihr wirklich eure Taten seien Nobel ? Nein... ihr seid erbärmlicher als euer Meister.  Immerhin... der steht zu dem was er ist.“ Obwohl sie die Worte nur flüsterte musste Träumer sie wohl gehört haben. Eine Schritte auf den Stufen der kleinen Treppe wurde langsamer, als er sich erneut zu ihr umdrehte.

,, Das ist nicht wahr.“ War das eine Spur von Wut in seiner Stimme ? Naria wusste es nicht. Sie hatte nicht einmal erwartet, das Träumer dazu fähig war, zornig zu sein.

,, Ihr meint ihr wollt es nicht hören. Geht. Verschwindet. Aber wenn euch wirklich noch irgendetwas an mir liegt... lasst es einfach endlich zu Ende gehen.

,, Ich...“

Naria ließ ihm erst gar keine Gelegenheit, weiter zu sprechen. Ihre Stimme war das einzige was sie noch hatte und so schwach und brüchig diese jetzt war, sie hielt nichts zurück. Es hatte keinen Sinn mehr diesem Mann irgendetwas sagen zu wollen. Sie konnte ihn nur ein letztes mal bitten. Ein letztes mal den Versuch wagen, ihm vor  Augen zu führen, zu was er sich machen ließ. Der Mann der die Kinder segnete und jener der sie verschreckte. Träumer wollte ersteres sein. Aber er ließ zu, das man ihn zwang letzteres zu werden. Und er wusste das. ,,Vergesst mich einfach hier... Oder macht weiter. Wie ein gutes Ungeheuer...“
,, Schweigt. Kein Wort mehr !“ Träumers Stimme hallte durch das dunkel, gefolgt von einem weiteren Luftzug und dem Geräusch, der Tür, die krachend hinter ihm zugeworfen wurde.

Naria lachte bitter, als sie ihm nachsah. Die Knochen in ihrer Brust protestierten allesamt und dennoch konnte sie sich nicht davon abhalten. Wer von ihnen war nun eigentlich mehr zu bemitleiden ? Halb taten ihr ihre Worte schon wieder Leid. Er war nur ein armer Narr, der irgendwie versucht aus Falsch richtig zu machen. Und gleichzeitig war er zu blind um zu erkennen, das er sich an einer Unmöglichen Aufgabe versuchte. Blinder als sie noch hier in ihrer Zelle. Und mindestens genau so verloren... Langsam verstand sie warum man ihn Träumer getauft hatte. Es lag kein Spott in diesem Namen und auch kein Mitleid. Es war schlicht wer er war. Sein ganzes Wesen ine inem simplen Wort. Ihr Lachen verhallte langsam und ließ sie erneut in Dunkelheit und Stille zurück. Dieses mal jedoch war sie ihr nicht willkommen. Träumer war immerhin Gesellschaft gewesen. Und sie bezweifelte, das sie ihn wieder sehen würde. Nicht wenn er ihr zumindest diesen letzten Gefallen tat. Und jetzt musste sie warten. Warten auf ihren letzten Gang und den Tod. Alleine mit ihren Gedanken. Wenn Galren und Elin keinen Erfolg haben würde wohl niemand je erfahren, was aus ihr geworden war. Auch nicht ihre Eltern. Sie wäre nur eine weitere von tausend Seelen die dieser unheilige Krieg hinweg gefegt hätte. Aber immerhin... sie hatte durchgehalten. Sie hatte nichts verraten.

 

Kapitel 72 Licht und Träume

 

 

 

Träumer ließ sich gegen die düsteren, kalten Steinwände sinken, sobald die Zellentür hinter ihm ins Schloss gefallen war. Er konnte Narias Lachen hören, während er den Kopf in die Hände sinken ließ. Ein Teil von ihm wollte weinen, doch seine Augen blieben trocken, sein Blick klar. Vielleicht hatte er die Fähigkeit zu Weinen verloren. Irgendwo zwischen Helike und hier.

Hatte Naria also nicht recht ?  Seine Hände waren nur Schemenhaft für ihn in der Dunkelheit sichtbar, als er wieder aufsaß und den Kopf gegen die Mauer sinken ließ. War er besser als sein Herr ? Der rote heilige mochte Naria für verdammenswert halten. Aber damit belog er sich bestenfalls selbst. Und er ? Belog er sich nicht auch ? Warum hältst du sie wirklich am Leben, Träumer ? Ihre Stimme schien ihn zu verfolgen, ihre bitte ihn zu töten. Tust du das wirklich für sie oder weil es die einzige Möglichkeit für dich ist noch länger in den Spiegel zu sehen ? Solange sie lebt kannst du weiterhin so tun, als ob das alles hier noch irgendwie ein gutes Ende nehmen könnte. Das einzige, was ihm noch Hoffnung gab war dieser Glaube. Sein Herr hatte ihn bereits enttäuscht und sein Gott... sein Gott schwieg weiterhin zu den Gräueltaten seines höchsten Dieners. Und genau deshalb konnte er sie nicht gehen lassen.

Das Lachen aus der Zelle war mittlerweile verstummt und Stille hatte sich über alles gelegt. Nur gelegentlich konnte er ferne Schritte aus dem Tempel über ihm vernehmen. Vielleicht hätte er gehen sollen, aber wohin ? Es gab keine Zuflucht hier. Oben erwartete ihn der rote Heilige und hier unten Narias Vorwürfe. Ein paar Stunden noch, dann würde draußen die Sonne aufgehen. Und damit würde man die Gejarn erneut nach oben bringen und dann... dann müsste seine Entscheidung fallen. Träumer schloss die Augen. Selbst so etwas wie Schlaf war ihm mittlerweile fremd. Er konnte Ruhe finden wenn er das wollte, doch abdriften und in Träumen zu  versinken, das blieb ihm verwehrt. Und so begann er stattdessen zu beten. Um Führung. Um Hilfe. Um irgendetwas, das nicht aus ohrenbetäubendem Schweigen bestand. Er wusste nicht einmal an wen oder was er seine Worte richtete. Der Herr der Ordnung hatte ihn ignoriert und die alten Götter ihrem Ende ohne ein Wort beigewohnt. Aber er betete. Und vielleicht konnte er doch noch träumen. Er wusste nicht wie lange er so dasaß und stumm vor sich hin murmelte und zuerst bemerkte er die Veränderung nicht einmal. Aber hinter seinen geschlossenen Augenliedern wurde es Heller. Anfangs nur ein schwacher, goldener Schein, der vielleicht von einer Fackel stammen mochte, doch mit jedem Augenblick wurde er heller, bis Träumer das Gefühl hatte, er müsste sich unter freiem Himmel in der Sonne befinden. Und immer noch wurde das Strahlen greller, zwang ihn dazu die Augen geschlossen zu halten und mit dem Licht kam noch etwas anderes. Eine Präsenz die er nicht einordnen konnte, so gewaltig wie der Himmel und doch auf sich selbst beschränkt, gleißend und unbestimmt und wenn er die Augen öffnen würde, er wäre sich sicher nicht einen Blick auf dieses etwas erhaschen zu können ohne zu erblinden. Der Schemen strahlte so sehr, das Träumer seine Umrisse selbst durch geschlossene Augenlieder wahrnehmen konnte. Er wollte den Mund öffnen um etwas zu sagen doch wollten ihm keine Worte einfallen und nach wie vor wagte er es nicht, hinzusehen. Und so gewaltig so unfassbar dieses Wesen schien, Träumer fühlte sich zu keinem Zeitpunkt davon bedroht. Im Gegenteil. Das Licht das von ihr ausging war wärmend und beruhigend, brachte seine unruhigen Gedanken dazu nur durch seine bloße Anwesenheit in den Hintergrund zu treten. Träumer wusste, länger in der Gegenwart dieses Wesens zu verbringen würde wohl bedeuten sich selbst zu verlieren. Sein Bewusstsein für sich für seine Sorgen und selbst seine Persönlichkeit entglitt ihm zunehmend . Neben dieser Entität  fühlte er sich winzig, unbedeutend, geradezu unzureichend, nur ein Staubkorn das durch die Unendlichkeit irrte und nicht wichtiger erschienen ihm seine Gedanken oder das Wohlergehen seines Körpers. Vielleicht hatte er tatsächlich aufgehört zu Atmen.  Und trotz dieser Gefahr fühlte er sich nicht davon bedroht. Es wäre Erlösung. Ein Ende. War dieses Wesen... der Tod ? Sollte er dann nicht Angst verspüren ?  Und dann stand es genau vor ihm und streckte die Hände aus. Träumer wagte es die Augen nur einen Spalt breit zu öffnen. Die Hände, die sich auf seine Schultern legten schienen nicht aus Fleisch  sondern waren weiß wie Milch und wirkten ätherisch. Das gleiche Glühen das auch den Rest dieses Wesens einhüllte umgab sie und darunter und unter der durchscheinend, weißen Haut schimmerten Sterne wie es ihm schien. Sterne und unendliche Dunkelheit und Inseln aus Licht die sich zu gewaltigen Strukturen vereinigten. Er wollte auf die Knie sinken um sich vor diesem seltsamen Wesen zu verbeugen, den Händen auszuweichen. Doch sie hielten ihn fest wo er war. Ihr Griff war erstaunlich kräftig , ihr Gewicht schwer und ihre Textur rau, wie die eines Mannes, der viel mit den Händen arbeitete. Wie die eines Bergarbeiters. Oder eines Schmieds. Das überraschte ihn mehr als alles andere. Was immer dieses Wesen war es verlangte keine Kniefälle von ihm, aber warum war es dann hier ? Nach wie vor wagte Träumer es nicht zu sprechen und auch der Fremde antwortete nicht, sondern zog ihn nur erstaunlich sanft auf die Füße. Doch selbst hinter dieser simplen Berührung lag eine unendliche Kraft und Gewalt und hätte es gewollt, es hätte Träumer wohl mit einem Finger zermalmen können. Doch es tat nichts davon, versetzte ihm nur einen simplen Stoß nach vorne, weg von ihr. Träumer konnte den warmen Schein der  Präsenz auf seinem Rücken spüren und wagte es zum ersten mal wieder, die Augen zu öffnen. ^

Er war nicht mehr in den Verließen. Vor ihm erstreckte sich ein langer Säulengang scheinbar ins endlose. Vergoldete Decken schimmerten irgendwo über ihm in einem Licht, das von nirgendwo und überall zu kommen schien und Nebel trieb zwischen den großen Säulen umher. Pflanzen rankten sich an einer Stelle einen der Kolosse hinab, ihre Blüten kaum auszumachende Farbtupfer. Der Tempel des Herrn der Ordnung hätte wohl zehnmal hier herein gepasst, dachte Träumer, als er einen zögerlichen Schritt vorwärts trat. Und das war nur der Teil der Halle, die er sehen konnte. Altes Gold und Marmor schimmerten überall, doch Pflanzen und die sich immer verändernde Form der Steinbögen die sich in alle Richtungen zu weiteren Hallen und Korridoren erstreckten verhinderten das , das Auge dieses Anblicks überdrüssig wurde. Im Gegenteil. Träumer hatte das Gefühl das man an diesem Ort die Ewigkeit hätte verbringen können und doch immer wieder neue Wunder entdecken würde. Und das Licht hier schien die gleiche Wirkung zu haben wie die Gegenwart des Wesens in seinem Rücken. Beruhigend, einladend,  aber gleichzeitig  nicht so bedrohlich übermächtig, das es einen zerstören würde.

Und dann sah er sie. Zum zweiten mal an diesem Tag fand Träumer sich unfähig, sich zu bewegen. Er hatte die Schatten schon in der Ferne gesehen, die durch die Nebelverhangenen Hallen wanderten, doch die Gestalt die nun vor ihn trat war kein bloßer Schemen. Es war Sine.

,, Es tut mir so leid.“ Die Worte hörten sich hohl an und doch waren sie alles, was er über die Lippen bringen konnte, als sie vor ihm stehen blieb.

Doch sie schien nicht zornig nur verwirrt und bestürzt ihn zu sehen. ,, Wie kommst du hier her ?“

Träumer wusste ja nicht einmal wo hier eigentlich war. Er drehte sich nach dem Wesen um, fand in seinem Rücken jedoch nur einen unendlichen Korridor vor, der sich nur unmerklich von dem vor ihm unterschied.

,, Ich weiß es nicht.“ , antwortete er schließlich ehrlich. ,, Nur das es wohl einen Grund hat.“ Dessen war er sich ganz sicher. Träumer stellte keine Fragen. Er war zu verwundert, zu hingerissen von dem was hier geschah. Und auch Sine sagte nichts mehr, lächelte nur als sie ihm bedeutete, ihr zu folgen. Und das tat er schließlich auch, durch die goldenen Hallen hindurch vorbei an tausenden Schatten die alleine oder in kleinen Gruppen durch die Nebel wanderten. Manche hatten bekannte Gesichter die meisten jedoch nicht. Er erhaschte Blicke auf gewaltige Gärten und wilde Landschaften die sich jenseits der Säulengesäumten Hallen erstreckten. Er sah eine große Banketthalle an deren Tafel zehntausend Männer und Frauen in Rüstungen saßen und tranken, eine Halle mit einer großen Tür die scheinbar ins Nichts führte und eine mit einem gewaltigen, toten Baum dessen weiße Rinde von innen zu glühen schien und von dessen Zweigen eine Unzahl gläserner Talismane herab hingen.

  Einmal passierten sie eine Berglandschaft, die sich rechts und links des Korridors auftürmte. Schneeflocken wehten durch die hohen, offenen Fensterbögen und er fröstelte, während Sine die Kälte nicht zu spüren schien. Zwei große Wendeltreppen führten hinab in das atemberaubende Land aus Eis und Schnee und Fels, doch Sine führte ihn weiter, bis sie erneut auf beiden Seiten von weiteren, in die Unendlichkeit führenden Korridoren umgeben waren. Doch dieser Teil war anders als alles, was er bisher gesehen hatte. Wüst und leer lagen die Wege vor ihm. Das tröstliche Licht das alles eingehüllt hatte, war verloschen und die goldene Decke an einer stelle eingebrochen. Die Trümmer lagen halb eingegraben auf dem Marmorboden. Risse zogen sich über die einstmals glatte und nun von Staub bedeckte Oberfläche. Die Pflanzen waren gestorben . Und in der Dunkelheit, dort wo der Schein der Hallen hinter ihm nicht mehr hin reichte, wucherte etwas. Träumer konnte sehen, wie es in der Finsternis pulsierte, ein großes, unbewegliches etwas, das seine Wurzeln, entstellten Adern gleich, in die Böden und Decken der Halle gegraben hatte. Rotes Feuer glühte irgendwo in diesem schwarzen Kern ohne dabei echtes Licht oder Wärme abzugeben.

,, Ich glaube das ist was du sehen solltest.“ , meinte Sine leise.

,, Was ist das ?“

,, Euer Gott.“ Die Stimme veranlasste sowohl ihn als auch Sine sich umzudrehen. Träumer fand sich Auge in Auge mit einem großen Gejarn wieder. Der Mann trug eine schwere, silberne Rüstung und einen dunkelroten Umhang wie es die Paladine Helikes tun mochten. Eine graue Mähne zog sich um den Kopf des Löwen und seine Augen schienen keinen Augenblick still zu stehen sondern musterten Träumer von oben nach unten.

,, Wer seid ihr ?“ Träumer wagte es zum ersten mal seit seiner Ankunft hier wieder laut zu sprechen. Irgendetwas an diesem Mann kam ihm bekannt vor. Und gleichzeitig auch nicht. Träumer hatte nicht das Gefühl es nur mit einem einzigen Wesen zu tun zu haben, die Mine des Gejarn schien sich beständig zu wandeln und ein duzend Gefühlsregungen wiederzuspiegeln bis sich nach einigen Augenblicken eine einzige heraus kristallisierte.

,, Einst nannte man mich Lias. Zumindest war es der unter den man mich in meinem letzten Leben kannte. Und gleichzeitig bin ich es nicht. Ich habe diese Welt schon unter vielen Namen durchwandert und werde dies wohl wieder tun. Wie alle meiner Art unterliege ich dem ewigen Strom unserer Seelen. Und somit habe ich schon viele Leben gelebt.  Zu viele möglicherweise. Manche schrecklich und kur, manche mit unverzeihlichen Taten durchsetzt. Und andere, die sie vielleicht irgendwie wieder aufwiegen. Und solange ich hier bin ist es mir auch vergönnt sie zu kennen.“

,, Und wie komme ich hierher ?“ Die Lichtgestalt von zuvor erschien ihm mittlerweile wie ein Traum. Innerhalb eines noch viel verrückteren Traumes. Ja er wusste, wo er sich befand.

,, Ich weiß es nicht. Oder nicht genau. Euer Geist kann in Sphären eindringen, die anderen normalerweise verwehrt bleiben. So war es dem Herrn der Ordnung wohl möglich euch zu kontaktieren.“ Bei diesen Worten sah der Gejarn, Lias, hinüber zu der brodelnden Finsternis am anderen Ende der Halle. Irrte Träumer sich oder war sie ein unmerkliches Stück näher gekommen. Wuchs dieses Ding langsam ? Wenn ja würde es irgendwann diesen ganzen Ort überwuchern und mit ihm alle Seelen die sich hier befanden.

,, Ich weiß also nicht genau wer oder was es uns erlaubt miteinander zu sprechen.  Vielleicht ist es auch meine Sorge um jene die ihr Naria nennt. Vielleicht haben euch eure eigenen Fähigkeiten hierher gebracht. Und vielleicht träumt ihr auch grade nur ?“ Bei diesen Worten grinste der Gejarn und schenkte ihm ein wissendes nicken. ,, Und vielleicht seid ihr hier um eine Entscheidung zu treffen, Träumer.“

Lias und Sine sahen ihn beide an. Erneut hatte er den Eindruck, es bei dem Gejarn nicht mit einem einzigen Geist zu tun zu haben und wenn stimmte was er sagte, dann kam dies der Wahrheit sehr nahe. Tausende unterschiedliche Persönlichkeiten und leben, die ihn allesamt durch ein einziges paar Augen betrachteten und einschätzten und doch irgendwie als Einheit agierten.

 ,, Ich hatte immer nur die besten Absichten...“ , erklärte er unfähig unter dem forschenden Blick des Gejarn nicht einzuknicken und die Augen nieder zu schlagen.

,, Deine Taten machen dich zu dem was du bist. Nicht deine Absichten.“ Es war Sine die sprach.

,, Und wenn dem nicht so wäre, müsste man die größten Monster Helden nennen.“ , fügte Lias hinzu.

,, Jeder Mensch hat gute Absichten. Hätte er die nicht und sähe er sich selbst als böse an, würde er seine Wege ändern wollen. Niemand hält sich für den Bösen. Aber nicht jeder der sich für Gut handelt auch gut. Das sind zwei unterschiedliche Dinge.“

Eine Weile lang stand Träumer unschlüssig da. Sein Blick wanderten zwischen dem Löwen, Sine und der Dunkelheit in den weiter hinten liegenden Hallen hin und her. War das dort hinten wirklich der Herr der Ordnung ? Eine Wucherung die sich hier fest gesetzt hatte, ein Kokon der Licht und Hoffnung und Seelen verschlang um sich selbst zu nähren... Und wenn er Aufbrach, was dann ?

Träumer wendete sich ab und erst da bemerkte er den Faden. Er war dünn und vollkommen schwarz und spann sich von seinem Herzen bis irgendwo in die Dunkelheit. Träumer umfasste ihn mit einer Hand... und brach ihn ab. Der Faden riss nicht, sondern zersplitterte  wie Eis und ein Ohrenbetäubendes Brüllen drang an sein Ohr , das die Hallen zum zittern brachte und ihn zu Boden warf. Doch da war kein Boden mehr und er fiel, fiel... und schlug die Augen auf.

Träumer fand sich in der Dunkelheit wieder, spürte die Kälte des Steins in seinem Rücken. Hatte er geträumt ? Geschlafen ? Es schien unmöglich aber vielleicht war er tatsächlich weggedöst. Oder war das alles echt gewesen. Er öffnet die Hand, die er nach wie vor zur Faust geballt hatte, als er den Faden zerriss. Doch natürlich lag nichts darin als er sie öffnete.

Aber Traum oder nicht... er wusste jetzt was er zu tun hatte. Selbst wenn das sein eigenes Ende bedeuten mochte. Langsam erhob er sich und ging den Gang hinab, nicht jedoch ohne an Narias Zelle noch einmal inne zu halten. Halt nur noch etwas durch, dachte er. Es gab eine andere Möglichkeit neben Tod und Leben. Er würde sie hier heraus bringen. Doch zuvor brauchte er noch etwas... Etwas auf das sein Herr kein Recht hatte.

 

Kapitel 73 In die Freiheit

 

 

 

 

Träumer wusste das er schnell sein musste. Sein Verrat würde nicht lange unbemerkt bleiben. Und um so erleichterter war er, als er den Raum dunkel und verlassen vorfand. Auf einem Wink seiner Hand hin entzündete sich ein halbes duzend Kerzen, die überall verteilt standen. Der flackernde Schein ihrer dünnen Flammen warf lange Schatten an die Wände und auf die Möbel. Doch so bedrohlich diese Phantome auch wirkten, sie waren das einzige, was sich im Augenblick hier aufhielt.

Träumer atmete erleichtert auf, während die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Wenn sein Herr noch hier gewesen wäre, hätte er sicher eine Erklärung dafür verlangt, was er hier wollte. Und egal was geschehen war, Träumer wusste nicht ob er ihm ins Gesicht lügen konnte. Doch der rote Heilige schlief so wenig wie er und so verbrachte er die Nacht meist damit, die Tempelanlage zu durchwandern. Träumer wusste daher nicht wie viel Zeit ihm blieb, bis er wieder hier wäre... Er würde schnell sein müssen.

Mit eiligen Schritten trat er in den Raum und sah sich um. Die schlichte Einrichtung täuschte über das eigentliche Wesen des Mannes hinweg, der diese Kammern bewohnte. Alles bestand aus groben, ungeschliffenen Holz, von einem einfachen Esstisch über das Bett bis hin zu einem kleinen Bücherregal. Und dann sah er es. Das Schwert hing in einer einfachen Halterung aus Eisen an der Wand hinter dem Esstisch. Die Klinge schimmerte selbst im Halbdunkel wie gefrorenes Mondlicht während das mit schwarzem Stoff umwickelte Heft kaum zu erkennen war.

Träumer fühlte sich unwohl, als er die Hand danach ausstreckte. Etwas an dieser Waffe machte ihn unruhig und sorgte dafür, das sich seine Nackenhaare sträubten. Und warum auch nicht. Genau so eine Waffe war einst genutzt worden um den Herrn der Ordnung selbst zu verletzen. Es gab kaum etwas, das Sterneneisen stand halten konnte, selbst magischer Schutz verpuffte einfach an der kristallinen Schneide. Doch als er das Heft packte gab es keinen Lichtblitz, keine bösen Überraschungen. Er fühlte nur kalten Stahl unter seinen Fingern. Ungewohnt. Er hatte selten Waffen getragen, obwohl er in Helike aufgewachsen war. Deshalb war er ja überhaupt erst ein Gelehrter der Archive geworden. Er war nie ein Krieger. Damals, als er noch einen Namen hatte. Warum suchten ihn diese Erinnerungen jetzt heim, wo sie vorher fast vergessen schienen ? Sein altes Leben lag weit hinter ihm. Er konnte nicht hoffen noch einmal wieder daran an zu knüpfen.

Nach einem kurzen Moment des Wiederstands löste sich das Schwert schließlich aus seiner Halterung. Es war leichter, als er erwartet hatte, wog fast nichts, obwohl die Klinge aussah, als bestünde sie aus Stein und nicht Metall. Träumer ließ die Waffe sinken und schlug schnell ein mitgebrachtes, schwarzes Tuch darum um das glühen zu dämpfen.  Eigentlich wollte er sofort gehen, doch direkt unter der Schwerthalterung war ihm noch etwas ins Auge gefallen. Eine Tasche aus geschmeidigem , hellem Leder. Die gehörte nicht dem roten Heiligen, dachte er, als er sie aufhob. Ein Geruch nach getrockneten Kräutern und Alkohol schlug ihm entgegen. Die gehörte Naria. Ohne lange nachzudenken, warf er sie sich über die Schulter. Dann lief er mit eiligen Schritten zurück zur Tür und spähte nach draußen. Der Flur lag im dunkeln. Alle Fackeln waren erloschen und bis auf zwei zusammen gesunkene Gestalten in rot-schwarzen Uniformen befand sich scheinbar niemand mehr hier. Träumer hatte die beiden Wachen nicht einmal bekämpfen müssen. Ein geflüsterter Zauber, der sie einschliefen ließ war alles, was es gebraucht hatte. Das die Männer heute allerdings sterben würden, darüber machte er sich keine Illusionen. Spätestens wenn jemand entdeckte was er getan hatte. Der rote Heilige duldete kein versagen. So schnell wie er es wagte trat er den Rückweg durch die Flure und Korridore des Tempels an, das Schwert fest umklammert und darauf bedacht, es verborgen zu halten. Auch die übrigen Gänge, die er passierte waren dunkel, doch bei weitem nicht verlassen. Er konnte die Geweihten spüren und hören wie sie sich in der Dunkelheit bewegten. Ab und an erhaschte er einen Blick auf unruhige , sich bewegende Schatten und rötlich schimmernde Augen, die ihn beobachteten. Sie wussten es, dachte er. Irgendwie.

Die meisten dieser armen Kreaturen hatten ihren Verstand lange verloren und doch wussten sie es. Was er getan hatte, das er nicht länger einer der ihren war. Falls er das je wirklich war. Irgendwo schrie eine der Monstrositäten. Ein Kopf mit vier Augen, der von dunklen Wucherungen übersäht war, tauchte genau vor Träumer auf. Zerfetzte Roben wehten um den skelettartigen Körper der Gestalt die sich auf einen einfachen Holzstab stützte. Ihr Schädel schien verformt , nach vorne gezogne und länglich fast wie der Schnabel eines Raubvogels. Und nahmen die dunklen Wucherungen an seinem Hals nicht stellenweise tatsächlich die Form von Federn an ?

Träumer trat achtlos an ihm vorbei, fegte es bei Seite, als es eine klauenartige Hand nach ihm ausstreckte und einen kreischenden Ton von sich gab. Weitere traten vor, begleiteten ihn , grade so sichtbar im Halbdunkeln. Doch keines kam ihm zu nahe, keines attackierte. Aber sie wusste es. Träumer konnte spüren, wie seine linke Hand, die, die das Mal trug, zu Jucken begann, wie sich seine Finger wie von selbst von dem Schwert lösen wollten, das er unter dem Arm trug. Nein.

Er beschleunigte seine Schritte, als sich vor ihm endlich der Durchgang in die Katakomben unter dem Tempel abzeichnete. So schnell er konnte huschte er hindurch und warf noch einen letzten Blick über die Schulter. Endlich hatten die Geweihten angehalten. Jetzt jedoch sammelten sie sich vor dem Eingang in die Verließe, fast wie eine hungrige Meute Füchse  sich um den Eingang eines Hasenbaus scharen mochte... Blieb nur zu hoffen, das er nicht der Hase war...

Seine Schritte flogen nur so die Stufen hinab, während er mit einem Zauber eine Fackeln entzündete und aus ihrer Halterung nahm. Ohne großartig langsamer zu werden , öffnete er die Tür zu Narias Zelle und trat ein.  Es war das erste mal, das er diesen Ort überhaupt bei vollem Licht sah... und vielleicht war das auch besser so. Naria hatte sich in eine Ecke der Zelle gekauert, die auch so kaum vier Schritte groß war. Geblendet blinzelte sie gegen das Licht der Fackeln in Träumers Hand und versuchte scheinbar noch weiter zurück zu weichen. Trockenes Blut und verklebtes Fell waren alles, was er einen Moment erkennen konnte. Sie war entsetzlich abgemagert und für einen Moment war da nur Angst in ihren Augen. Nackte Furcht. Vor ihm, vor dem was geschehen würde... Sie konnte ihn gegen das Licht der Fackel nicht erkennen wurde ihm klar und so ließ er sie sinken, trat ruhig auf sie zu, bevor er sich auf ein Knie niederließ.

,, Alles in Ordnung.“ Natürlich war nichts in Ordnung, aber was konnte er sonst sagen. ,, Ich bin es nur.“

Naria blinzelte ihn einen Moment verständnislos an. Ihre Stimme war dünn, als sie schließlich sprach, aber wenigsten wich die Furcht aus ihren Zügen. ,, Seit ihr hier um es zu Ende zu bringen ?“ Sie lächelte bei diesen Worten. Wie weit hatte er es kommen lassen, das diese einst so willensstarke Frau ihn nur noch um ihren Tod bitten konnte.

,, Ja. Ich habe immerhin vor euch hier raus zu bringen.“ Er schlug den schwarzen Umhang von Atrun zurück und einen Moment weiteten sich Narias Augen ungläubig. ,, Ich weiß es ist zu spät erneut um Verzeihung zu bitten. Ich weiß nicht einmal ob man mich Leben lassen wird, wenn wir entkommen. Aber ihr werdet frei sein. Das habe ich mir geschworen.“ Während er sprach, legte er ihr den Umhang um die Schultern. Es war nicht viel, aber immerhin etwas. ,, Ich konnte eure Sachen nicht finden.“ , erklärte er. ,, Vermutlich hat man sie verbrannt, aber das hier...“ Erneut leuchteten Narias Züge auf, als sie die Tasche erkannte. Ihre Finger zitterten, während  sie den Beutel an sich nahm, nach wie vor an der Wand lehnend.

,, Das ist keine Falle.“ Es war eine Feststellung keine Frage.

,, Nein. Aber ich weiß nicht wie viel zeit wir haben bis jemanden auffällt, was ich getan habe. Kommt.“ Er streckte ihr eine Hand hin. Einen Moment  geschah gar nichts. Und dann lachte Naria. Ein bitterer Ton ohne jede Freude, der Träumer einen Schauer über den Rücken jagte.

,,Träumer...“ Dieses mal brach ihre Stimme beinahe. ,, Ich glaube nicht, das ich aufstehen kann.“

Die Worte mussten sie unglaublich viel Überwindung kosten. Träumer schloss die Augen. Was hatten sie... was hatte er dieser einstmals so stolzen Frau angetan ? Wortlos beugte er sich wieder zu ihr herab. Einen Arm um ihre Schulter gelegt und den anderen um ihre Hüfte, zog er sie langsam hoch. Naria verzog gequält das Gesicht als sie das erste mal nach Wochen wieder auf eigenen Füßen stand. Sie zitterte bereits von der Anstrengung, auch nur das Gleichgewicht halten zu müssen. Für ihren ersten Schritt musste sie sich an ihn klammern. Und für den nächsten. Und den übernächsten. Die Treppenstufen zur Zellentür hinauf zog er sie mehr als das sie ging. Und das war nur der Beginn ihres Wegs, dachte Träumer, als er die Treppe zum Tempel hinauf spähte. Das Schwert, Atrun, hatte er mittlerweile in seinen Gürtel geklemmt, damit es ihm nicht im Weg war. Naria war aufs äußerste geschwächt durch ständige Folter und Blutverlust gleichermaßen und seine Magie, egal wie mächtig, hatte nur so viel ausrichten können. Er konnte jeden ihrer Knochen spüren, während er sie irgendwie die Stufen hinauf führte. Doch eine Pause kam nicht in Frage. Draußen musste bald der Morgen anbrechen und ihnen lief die Zeit davon. Und dann hatten sie schließlich das obere Ende der Treppe erreicht . Noch jedoch konnte Träumer nicht erleichtert aufatmen, als er sah, was ihn dort bereits erwartete. Tausend glühende Augen und sich windende und verformende Körper aus Schatten und Dunkelheit, die in der Finsternis des Tempels lauerten. Es mussten duzende, wenn nicht hunderte sein. Jeder einzelne Geweihte im Tempel schien sich vor den kleinen Durchgang gedrängt zu haben und auch wenn sie nach wie vor nicht angriffen... Er konnte Naria da nicht hindurch bringen. Träumer konnte sehen wie die Kreaturen unruhiger wurden, je näher er ihnen mit ihr kam.  Es waren Monstrositäten, die alles Menschliche verloren hatten. Ihre Seelen fort und verschlungen von einem Ding, das irgendwo in der Dunkelheit wucherte und sich einen Gott nannte...

Jeder einzelne der Männer und Frauen dort draußen hatte sein leben der ultimativen Perversion vermacht, dachte er. Jeder einzelne hatte Seele und Leib einem Ding geopfert, das auch ihn beinahe verschlungen hätte. Es war Zeit, das alles zu beenden.

,, Warte hier.“ , meinte er an Naria gewandt und half ihr, sich an einer der Wände des Ganges abzustützen. Er zog Atrun, rammte die Klinge vor ihr in den Boden. Wenn ihm etwas geschah , dann würde sie vielleicht damit entkommen. Mit wenigen großen Schritten war er unter den sich windenden Schatten. Manche griffen nach ihm, zögerlich zuerst wie es schien. Andere umkreisten Träumer langsam, stießen düstere Rufe aus, die längst nicht mehr an menschliche Stimmen erinnerten. Und ihre Stimmen hörte er. ,,Verräter. Lügner. Gefallener“ , flüsterte es in der Luft um ihn herum. Träumer gab nichts darauf, sondern hob die Hand, konzentrierte sich ganz auf den Zauber den er wirken musste. ,, Mörder. Narr. Träumer.“ Mehr Stimmen, mehr Geflüster. Er lächelte.

Eine einzelne, goldene Flamme , kaum so groß wie sein Daumen loderte in seiner Hand auf, glomm dort einen Moment... dann breitete sich das Licht in einer Welle um ihn herum aus, strahlender als tausend Sonnen, so strahlend wie es das Wesen aus seiner Vision gewesen war. Doch dieses Licht war nicht sanft, es war Tod und gerechter Zorn und Feuer, das alles hinweg fegte, was ihm in die Quere kam. Der Schleier der Dunkelheit der über den Hallen des Tempels lag wurde zerrissen , Geweihte wichen heulend vor dem Schimmer zurück, bevor sie davon verzehrt wurden und nur Asche blieb, die langsam zu Boden rieselte. Die Lichtwelle jagte durch die Korridore davon, verschob Steine und brachte Fenster zum bersten. Glas, Stein und Staub rieselten um Träumer herum zu Boden, als er zu Naria zurück kehrte.

,, Beeilen wir uns.“ , meinte er und die Gejarn stimmte ihm lediglich mit einem Nicken zu. Noch immer wirkte sein Zauber in den Hallen nach, in denen es nun Taghell war. Und so hatten sie keine Probleme, den Ausgang zu finden. Der Himmel jenseits der Mauern, die den Tempel umgaben, färbte sich bereits rot, als sie schließlich ins freie traten. Träumer atmete die frische Luft tief ein, ohne sich dabei jedoch zu erlauben, langsamer zu werden. Im Gegenteil. Noch mussten sie das Lager durchqueren und das Tal verlassen, bevor sie sich eine Pause erlauben konnten. Doch ehe sie den Platz vor dem Tempel auch nur zur Hälfte überquert hatten, hörte er hinter sich eine Stimme, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.

,, Man hätte meinen können ihr hättet eure Lektion gelernt.“ Der rote Heilige stand im Eingang des Tempels. ,, Hatte ich euch nicht davor gewarnt, was geschehen würde, wenn ihr mich erneut hintergeht ?“

,, Ich glaube nicht, das ihr mich schlimmer Strafen könnte.“ , erwiderte Träumer kalt. ,, Ich lebe den Rest meines Lebens mit dem Wissen wie weit ihr mich fast gebracht hättet. Wüsste ich, das man euch trauen kann ich würde eure Strafe vielleicht trotzdem auf mich nehmen, wenn es bedeutet, das Naria gehen darf. Aber ihr habt bewiesen, das dem nicht so ist.“

Langsam zog er Atrun, richtete die Klinge auf den Heiligen. Und einen kurzen Moment flackerte tatsächlich Sorge in den Augen seines ehemaligen Meisters auf.  Er könnte ihn vielleicht tatsächlich vernichten, das war ihm klar. Die Wahrscheinlichkeit war nach wie vor gering. Aber Träumer war bei weitem stärker als es selbst Ismaiel gewesen war. Und er hatte die eine Waffe, die ein Gegner  fürchten musste.

,, Ihr würdet mir nie etwas antun, Träumer. Das wissen wir beide.“ Die Stimme des Heiligen klang gefährlich freundlich. Träumer hielt weiterhin die Waffe auf ihn gerichtet, während er näher trat.

,,Vielleicht. Vielleicht glaube ich nach wie vor, das ihr die Fähigkeit hättet, eines Tages euer Schicksal zu ändern. Und uns wahrhaft ins Licht zu führen. Aber ich  weiß auch zu was ihr fähig seit. Ihr habt mich enttäuscht, Herr. Und getäuscht wie ich fürchte. Aber das hat nun ein Ende. Ich gehe nun. Und ihr werdet mich nicht daran hindern. Lebt wohl.“

Mit diesen Worten wendete Träumer sich um und zog Naria mit sich, fort vom Tempel und hin zur Rampe, die zwischen den Wendelmauern ins Tal führte.

,,Träumer!“ Die Stimme des roten heiligen drang wie Donner an sein Ohr. Feuer loderte in seinen Händen auf. Träumer wirbelte herum und hob das Schwert. Die Flammen rasten auf sie zu und hüllten ihn und Naria ein, brachen sich jedoch an der gleißendweißen Schneide Atruns.Das Feuer erlosch ohne ihnen zu Schaden.

,, Ihr seid nichts ohne mich ! Und doch habt ihr euch dem bösen überantwortet.“

Träumer machte sich nicht einmal die Mühe sich wieder zu ihm umzudrehen, sondern stütze Naria nur weiter, als sie den Abhang erreichten. ,, Ich fürchte da irrt ihr euch, Herr. Und ich bete, das ihr vor dem Ende noch erkennen könnt, wie sehr. Und das einzige Böse hier seid ihr selbst. Ich erkläre mich frei von euch. Ich habt alles verraten wofür ich zu kämpfen hoffte.  Mein Name ist nicht länger Träumer. Das war der Name eines Narren. Mein Name ist Aetos Sideris. Ich bin Archivar Helikes. Der Stadt die ihr zerstört und deren Wunder ihr geraubt habt. In dessen Mauern ihr Männer  und Frauen erschlagen habt die jeder einzelne mehr Wert waren als ihr selbst. Darunter die Frau die ich liebte. Und ganz sicher bin ich nicht länger euer Diener.“

Der rote Heilige sah ihnen nur nach, wie sie die Rampe hinab verschwanden. Er bemerkte nicht einmal wie hinter ihm einige weitere Männer aus dem Dunkel des Tempels heraus traten.

,, Herr eure Befehle ?“

Träumer war fort. Ein seltsames Gefühl beschlich ihn. Eines das er so nur einmal in seinem Leben gekannt hatte. Das etwas oder jemand wichtigen verloren zu haben.

,, Herr ?“

,, Folgt ihnen, aber tut ihnen nichts. Und seid unauffällig.“ , meinte er leise. ,, Wenn sie mir entkommen wollen, werden sie dorthin gehen wohin auch immer sich die restlichen Anhänger des Kaisers geflüchtet haben. Und wenn wir etwas Glück haben wird das auch der Ort sein an dem wir Galren Lahaye finden. Sie werden uns  genau zu ihm führen. Und dann müssen wir die Schlinge nur noch zu ziehen...“

Kapitel 74 Wiedervereint

 

 

 

 

 

Galren spähte durch die Zweige auf die Straße hinab. Sie hatten ihr Lager an einem Hang in den Wäldern aufgeschlagen und nun war er dankbar dafür. Seit sie die Berge erreicht hatten, hatten sie begonnen Nachtwachen einzuteilen und nun schien sich ihre Vorsicht zum ersten Mal als Begründet zu erweisen. Ungern dachte an die Zeit kurz nach seinem… Zusammenbruch zurück, als Elin sich schlicht geweigert hatte ihn aus den Augen zu lassen und sei es nur für ein paar Stunden. Keiner von ihnen hatte damals viel geschlafen es sei denn sie waren während ihrer Wache abwechselnd eingenickt. Er hatte ihr mehr Angst gemacht als sie zugeben würde, das wusste er. Und wieder einmal verletzt. Es hatte gedauert ihr Vertrauen zurück zu gewinnen. Und vermutlich hatte sie ihn tatsächlich gerettet. Vor ihm selbst…

Noch immer wusste Galren nicht, wie es überhaupt weitergehen sollte, doch die dunkle Verzweiflung die ihn zuvor eingehüllt hatte hielt er sich so gut es ging vom Leib. Und immerhin zumindest im Augenblick sah es gar nicht so düster aus. Sie hatten genug zu essen, warme Kleider… Noch waren sie unterwegs. Noch lag zumindest ein Ziel vor ihnen. Vara. Was dort sein würde, stand jedoch auf einem anderen Blatt.

Der Lichtschimmer einer Fackel hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die vom Schmelzwasser feuchten Blätter spiegelten die unsteten Flammen wieder und malten lange Schatten auf dem Boden vor den beiden Reisenden.

Totes, nasses  Laub raschelte unter ihren Füßen, während sie sich ihren Weg den kleinen Pfad entlang suchten. Ohne die beiden Gestalten aus den Augen zulassen deckte Galren mehr Erde über die Überreste des Feuers, das neben ihm schon Stunden zuvor herab gebrannt war. Die letzten Glutfunken verschwanden und ließen ihn endgültig in Dunkelheit zurück. Dann erst wich er so leise wie er konnte zurück zu ihrem Zelt, das noch weiter abseits der Straße in einer kleinen Senke in der Seite des Hügels  lag. Zwar bezweifelte er, das man sie entdeckt hatte, aber zwei Reisende um diese Zeit waren ungewöhnlich genug um sich Sorgen zu machen.

,, Elin.“ Er wagte nur zu flüstern, als er die Plane vor dem Eingang des Zelts zurück schlug. Die Häute die die Nomaden vernäht hatten waren dunkel und mit den letzten Blättern bedeckt, die sich während des Frostes an den Bäumen gehalten hatten. Nein, man würde sie nicht entdecken, sagte Galren sich erneut. Zumindest nicht mit dem bloßen Auge.

Elin war trotz seiner leisen Worte fast augenblicklich wach und blinzelte. Ihre Augen schimmerten kaum wahrnehmbar in der Dunkelheit, waren so viel feiner als seine. Sie stellte keine Fragen. Sie wussten beide, es gab nur einen Grund aus dem er sie so früh wecken würde. Kaum zwei Minuten später kniete sie neben ihm am Rand ihres Lagers und spähte auf die Straße hinab. Ihre nackten Füße erzeugten kaum einen Laut auf dem feuchten Waldboden. Zumindest war er nur noch stellenweise  mehr gefroren, dachte Galren. Der Winter in den Herzlanden war kurz und neigte sich seinem Ende entgegen auch wenn das Eis das Land noch für den Moment im Griff hatte. Der Atem stand ihnen in kleinen Eiswolken vor den Mündern und den beiden Reisenden die unten auf der Straße noch immer langsam voranschritten ging es scheinbar nicht besser. Beide trugen schwere Mäntel aus dicht gewebter Wolle als Schutz vor der Kälte. Die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen war nicht viel von ihren Gesichtern zu erkennen.  Zuerst hatte Galren sie deshalb für Prediger des Herrn der Ordnung gehalten oder schlimmer Geweihte. Doch keiner der beiden trug irgendwelche Insignien. Was nicht hieß, das die Gefahr geringer wurde, dachte er. Es konnten immer noch Späher sein oder schlimmeres. Auch wenn das Kaiserreich die Herzlande noch hielt, ihnen waren kaum genug Männer geblieben um alles zu überwachen und wie sie von einigen Reisenden erfahren hatten, waren die Dörfer in den entlegeneren Teilen des Landes bereits unter die Herrschaft der Kultisten gefallen. Und auch die Siedlungen nahe Vara wurden bereits von ihren Predigern besucht.  Der Einfluss des Herrn der Ordnung wuchs wie ein Geschwür, breitete sich entlang der Straßen aus und näherte sich Vara. Genauso wie sie. Galren fragte sich ob dies Zufall sein mochte oder doch eher ein Zeichen dafür, dass man ihnen bereits auf den Fersen war, doch solange sie die Stadt vor ihnen erreichten, spielte es keine Rolle. Die zwei Gestalten auf dem Pfad jedoch sehr wohl.

Seine Hand legte sich um den Schwertgriff. Die Waffe lag neben ihm, versteckt unter etwas Laub, damit kein Lichtreflex sie verraten konnte.

,, Vielleicht sind es wirklich nur Reisende.“ , meinte Elin leise, aber auch ihre Stimme verriet, das sie daran Zweifelte. Blieb die Frage ob sie es riskieren konnten sich zu zeigen oder nicht. Wenn man nach ihnen suchte mussten sie das wissen. Und ihr Lager hier abbrechen um so schnell wie möglich weiter zu reisen.

Die Entscheidung jedoch wurde ihm abgenommen. Als sie etwa auf einer Höhe mit ihnen waren, wurden die beiden Gestalten plötzlich langsamer. Galren konnte nur Bruchstücke verstehen, doch offenbar sprachen sie miteinander… und dann sah einer von ihnen auf. Direkt in seine Richtung. Galren konnte ein paar glühender Augen erkennen und wusste sofort, das sie entdeckt waren. Aber einer der beiden war kein Mensch. Sondern ein Gejarn. Also keine Kultanhänger. Oder zumindest hoffte er das. Hinzu kam, das keiner der zwei Anstalten machte zu ihnen herauf zu kommen oder sie anzugreifen, nein sie blieben einfach am Rand der Straße stehen. Das Licht der Fackel  bildete einen schwankenden Lichtkreis um sie, der sie deutlich aus der umgebenden Dunkelheit hervor hob.

Galren wechselte einen kurzen Blick mit Elin, die schließlich mit einem Schulterzucken Aufstand, als wolle sie sagen ,, Was kann schon noch schief gehen ?“

Eine Menge, hätte Galren am liebsten erwidert. Aber der Schaden war ohnehin angerichtet. Trotzdem zog er das Schwert unter dem Laub hervor und hielt die Waffe so, dass die zwei Reisenden sie nicht übersehen konnten. Dann erst folgte er Elin den Hang hinab.

,, Wer seid ihr ?“ Elin stellte die Frage, die ihm schon die ganze Zeit im Kopf herumspukte, noch ehe sie die Straße erreicht hatten. Sowohl er als auch die Gejarn wurden abermals langsamer, warteten auf eine Antwort.  Er hatte in diesem Augenblick mit viel gerichtet, das man sie doch noch attackierte, das es Fremde sein würden, das die zwei sich nicht zu erkennen geben würden. Doch nicht mit der Stimme, die ihm schließlich Antwortete.

,, Galren ? Bei allem… Seit ihr das wirklich?“ Obwohl die Stimme brüchig klang, alt, wie bei jemanden der zu viele Entbehrungen hinter sich hatte um sich je ganz davon zu erholen, erkannte Galren sie. Ja er kannte diese Stimme.

,, Naria.“ Einen Moment war er zu geschockt um weiterzugehen, während die Schakalin die Kapuze ihres Mantels zurück schlug. Sie sah nicht einmal länger so aus, wie er sie in Erinnerung hatte. Ihr Haar war geschnitten worden, kurz, ihre Züge wirkten verhärmt.  Narben zeichneten sich unter dem Fell ab, vom Gesicht hinab über ihrem Hals wo sie unter ihrer Kleidung verschwanden. Und doch breitete sich ein warmes Lächeln aus, als sie ihren eigenen Namen hörte. ,, Wie ist das möglich ?“

 ,, Ich fürchte ihr müsstet eher fragen warum es nicht eher geschehen ist.“ Die Stimme ihres Begleiters war dünn, klang wie Wind. Und doch schwang eine gewisse Stärke darin. Irgendetwas, das Galren erneut innehalten ließ. ,, Und ich fürchte dies ist meine alleinige Schuld.“

Der Mann schlug die Kapuze zurück, doch noch ehe er sein Gesicht sah, gefror Galren bereits das Blut in den Adern. Die Hand mit der er nach oben griff war schwarz, von dunklen Malen und Wucherungen die einander wie Schuppen überlappten verunstaltet. Rote Linien, in denen Feuer statt Blut zu pulsieren schien glühten zwischen den Lücken der Schuppen ohne dabei wirklich Licht abzugeben. Ein Erwählter. Eine Falle. Ein…

In Galrens Kopf arbeitete es. Das war ein Geweihter des Herrn der Ordnung. Hatte Naria ihnen eine Falle gestellt? War es das? Aber beim besten Willen er konnte nicht glauben, dass sie sich für so etwas hergeben würde, egal was man ihr auch antat. Und wenn dem so wäre, wären sie längst umstellt. Man hätte nicht nur einen Mann geschickt um sie aufzugreifen. Einen Mann, der ihm ebenfalls bekannt vorkam. Lange, graue Haare umgaben ein Gesicht, das man als unauffällig oder harmlos hätte bezeichnen können. Harmlos, wäre da nicht das Wissen um das gewesen, was dieser Mann war… Galren konnte das Blut in seinen Adern rauschen hören, seine Nerven waren aufs äußerste gespannt…

,, Was macht er hier ?“ Erneut war es Elin die Aussprach, was er dachte. Die Hände in die Hüften gestemmt musterte sie sowohl Naria als auch ihren Begleiter langsam von oben bis unten.  Träumer, erinnerte Galren sich. Das war der Name des Fremden.

Naria schien mit der Antwort zu zögern. Einen Moment sah sie tatsächlich zu Boden, fort von ihnen, als wäre sie kurz woanders. Erst hier wurde Galren klar, dass sie sich zum Gehen auf einen gegabelten Ast stützte.

,, Er hat mich gerettet.“

Galren wusste nach wie vor nicht, was er davon halten sollte. Sprach sie die Wahrheit. Oder war das ganze doch nur eine List?

,, Ich… dachte wir sehen euch nie wieder.“ Er zwang sich zu einem halbherzigen Lächeln. ,,Und ich möchte euch gerne glauben, aber wie… und vor allem warum? Naria, ihr wisst so gut wie ich was dieser Mann ist. Träumer…“

In diesem Moment hob  dieser selbst eine Hand und unterbrach ihn damit. ,, Träumer ist tot. Mein Name ist  Aetos Sideris. Und wenn ihr an mir Zweifelt, habe ich vielleicht etwas, das meine Absichten untermauert.“ Mit diesen Worten schlug der Mann seinen Umhang zurück. Galren spannte sich erneut an, als er den Griff eines Schwerts darunter erkannte. Aber dieser Mann brauchte keinen Stahl um ihn zu töten und irgendetwas daran kam ihm vertraut vor. Als die Klinge aus der Scheide glitt schien es auf der Straße einen Augenblick heller zu werden. Kristallklares Singen füllte die Luft als die weiße Schneide sie zerteilte und schließlich in Träumers rechter Hand zum Liegen kam. Oder Aetos rechter Hand oder wer immer dieser Mann nun auch war.

Atrun… Galren streckte wie in Trance die Hand nach der so vertrauten Waffe aus. Seine Finger schlossen sich um das Heft. Das Schwert war echt, das wusste er einfach. Die Waffe war mittlerweile so etwas wie ein Teil von ihm geworden. Lias letztes Geschenk an ihn. Und ein Fluch wenn man bedachte, was er damit angerichtet hatte. In seiner Hand war diese Waffe so nützlich wie gefährlich. Es kostete ihn Überwindung, die Hand zurück zu ziehen, doch eines wusste er nun. Ob er ihm schon vertraute oder nicht, Träumer hätte ihm diese Waffe niemals angeboten wenn er es nicht ehrlich meinte.

,, Ich glaube nicht das ich das Schwert  länger verdiene.“ , meinte er und war überrascht wie sicher seine eigene Stimme dabei klang. ,, Behaltet es  fürs erste.“

,,Wie es aussieht haben wir einander einiges zu erzählen.“ , bemerkte Naria. ,, Sagt mir, habt ihr es geschafft ? Habt ihr Melchior gefunden? Wenn ihr wieder hier seid kann das doch nur heißen das eure Suche Erfolg hatte.“

Galren zögerte. Er hatte es vermieden weiter über die Worte des Sehers nachzudenken. Auch wenn Melchior etwas anderes behaupten mochte, für ihn schein alles nach wie vor so hoffnungslos…

,, Nicht hier.“ , meinte er schließlich und nickte in Richtung ihres Zelts. ,, Ihr seht aus, als hättet ihr einiges hinter euch. Oben haben wir Vorräte und können Feuer machen. Vielleicht könnt ihr ja etwas mit den Worten des Sehers anfangen.“

Naria nickte lediglich und so machten sie sich zu viert auf dem Weg zurück in ihr Lager. Niemand drehte sich noch um, die Gefahr schein fürs erste Verflogen und sie so sicher wie seit Monaten nicht mehr. Und so bemerkte auch niemand den einzelnen Schatten der unter einem Baum in der Nähe hervortrat. Auf seinem dunklen Umhang prangte in rot eingestickt die Hand des Heiligen. Langsam verfolgte er wie die vier Reisenden den Hügel hinauf verschwanden. Dann wich er erneut in die Schatten zurück. Er würde sehen wo sie hin wollten. Und dann seinem Herrn Bericht erstatten. Bisher war er nur ein einfacher Anhänger seines Herrn gewesen doch dafür, da war er sich sicher würde man ihn zu den Rängen der Geweihten erheben. Er hatte Galren Lahaye gefunden.

 

Kapitel 75 In Sicherheit

 

 

 

 

Vara. Galren konnte einen Moment kaum glauben, dass sie es tatsächlich bis hierher geschafft hatten.  Und nicht nur das, irgendwie hatten sie alle überlebt. Und sie hatten Naria wiedergefunden.

Sie standen im Schatten eines der großen Runensteine, die sich auf den Hügeln um die Stadt herum erhoben.  Noch immer hielten sich vereinzelte Schneebretter auf den Straßen, in schattigen  Senken und unter den dichten zweigen der angrenzenden Wälder. Doch der Wind der ihnen entgegenschlug trug nicht länger die grimmige Kälte mit sich wie in den letzten Tagen.  Der Winter näherte sich unaufhaltsam seinem Ende und unter Eis und Schnee trat totes, gelbes Gras zutage. Und doch war es für Galren in diesem Moment der schönste Anblick seit langem.  Einen Augenblick lang lies Galren den Blick lediglich über die Stadt schweifen die in der Morgensonne geradezu friedlich wirkte. Vara glitzerte unter ihnen in der Sonne wie ein kleines Wunder. Noch unberührt von der Zerstörung die die restliche Welt verschlungen hatte leuchteten die Fassaden der weiß getünchten Häuser und die Kupferdächer der Universität. Sie hatten es tatsächlich geschafft, zumindest bis hier.

Naria und Träumer waren etwas hinter ihnen zurück geblieben. Noch war die Gejarn auf eine Stützte angewiesen um sich zu bewegen und auch wenn sie ihnen nach wie vor nicht erzählt hatte, was genau geschehen war… ihre angestrengten Bewegungen und die Narben erzählten genug. Und trotzdem war es ein gutes Gefühl zu wissen, dass sie wieder da war. Selbst sein Misstrauen gegenüber Träumer hatte sich in den letzten Tagen gelegt. Er würde den Mann, der sich nun Aetos nannte, nicht länger aus den Augen lassen, als er musste. Aber wenn er sie hintergehen wollte, wäre das wohl geschehen, bevor sie in Sichtweite Varas waren. Nach wie vor trug Träumer Atrun über der Schulter auch wenn er Galren die Waffe jetzt wiederholt angeboten hatten. Der Mann war groß und dürr wie ein Skelett, so dass die Klinge in seinen Händen  unelegant breit und gestaucht  wirkte.   Auch das Schwert wieder zu haben war gut. Selbst wenn Galren noch nicht wusste ob er sich noch einmal dazu überwinden könnte, es in die Hand zu nehmen. Zu viel war geschehen, weil er es einmal zum falschen Zeitpunkt geschwungen hatte. Aber das Schwert bedeutete Hoffnung, so klein diese auch war.

Sie hatten wieder etwas, mit dem sie dem Herrn der Ordnung begegnen konnten. Selbst wenn sie noch nicht wussten, wie sie es einsetzen mussten.  Aber vielleicht konnte ihnen Träumer damit weiterhelfen. Wenn jemand wissen musste, wie seinem ehemaligen Herrn beizukommen war, dann hoffentlich er. Es sei denn dieses Wissen war mit Ismaiel endgültig gestorben…

Darüber jedoch wollte er nicht nachdenken. Dieser Moment hier… gehörte der Hoffnung. Galren zog Elin an sich, als sie den letzten Rest des Hügels erklomm und wirbelte mit ihr herum. Zum ersten Mal seit langem glaubte er wieder, das es noch so etwas wie eine Chance geben könnte. Er küsste Elin, bevor er sie wieder absetzte und sich zu den anderen umdrehte.

Auch Träumer und Naria hatten nun den Gipfel des Hügels erreicht und sahen stumm auf die Stadt zu ihren Füßen hinab. Die Gejarn stützte sich mit einer Hand an den großen Runenstein unter dem sie standen. Symbole in einer toten Sprache prangten auf dem Monolithen.

Naria lächelte schwach, während sie sich gegen den Felsen lehnte und einen Moment die Augen schloss. Obwohl es ihr jeden Tag besser ging, war sie immer noch schnell erschöpft und zwang sie dazu, öfter Pausen zu machen. Doch auch wenn ihre Reise dadurch ein paar Tage länger in Anspruch genommen hatte… es war ein geringer Preis um zu wissen, dass sie wieder in Sicherheit war. Oder so sicher, wie es in diesen Zeiten eben jemand sein konnte.

Träumer schlug die Kapuze seines Mantels zurück, als er neben Naria trat und besah sich die steinerne Stehle langsam.

,, Sagt bloß ihr könnt  das lesen ?“ , fragte Elin , nachdem sie sich aus Galrens Umarmung befreit hatte.

,,Nein. Aber einige Zeichen kommen mir bekannt vor. Ich denke ich habe sie während meiner Zeit als Archivar in Helike gesehen. Aber fragt mich nicht, was sie bedeuten.“  Seine Stimme war fast so leise wie Narias aber längst nicht so brüchig. Gedankenverloren streckte er eine Hand, die mit dem Mal, nach dem Felsen aus. Doch berührte er die Oberfläche nie. Als hätte er es sich in der Bewegung anders überlegt, ließ er den Arm wieder sinken und legte stattdessen die gesunde Hand auf den Stein.

,, Stört euch das eigentlich nicht ?“ , fragte Elin und Galren meinte eine Spur Spott darin zu hören. Bisher hatte sich die Gejarn Träumer gegenüber mit ihren Eskapaden noch zurück gehalten. Vielleicht vertraute sie ihm entwischen schlicht mehr. Oder vermutlich war es ihr schlicht egal ob sie Träumer mit Worten verletzte.

,, Es erinnert mich daran, wer ich war.“ Träumer reagierte auf die Frage weder brüskiert noch angegriffen. ,, Und was ich nicht sein will. Ich könnte Handschuhe tragen, falls euch das lieber wäre.“

,, Und ihr könnte es nicht irgendwie loswerden ?“ Naria stieß sich von dem Felsen ab und kam, auf ihre improvisierte Krücke gestützt, zurück zu ihnen.

,, Würd ich versuchen es zu entfernen, würde ich nur unter Qualen sterben.  Ich habe Männer gesehen die… in ihrem Glauben schwankten und die es gewagt haben. Keiner hat Überlebt.“

,, Also ich an eurer Stelle würde das Risiko ja eingehen.“ Elins Bemerkung war wohl als Stichelei gemeint, doch Träumer hielt tatsächlich inne, als müsste er darüber nachdenken. Manchmal war Galren sich nicht sicher, das überhaupt im Kopf dieses Mannes vorging. Er war die rechte Hand des roten Heiligen selbst gewesen und doch stand er jetzt mit ihnen hier…

,, Vielleicht wäre das ja tatsächlich das Beste.“ , meinte Träumer schließlich als er sich zu Elin umdrehte. Einen Moment lang standen er und die Gejarn sich gegenüber, Elin mit den Händen in die Hüften gestemmt. Dann jedoch ließ sie die Arme sinken. Schweigend und sprachlos. Galren hatte bisher nur wenige Male zuvor erlebt, das ihr die Worte fehlten.

,, Ich denke wir sollten uns besser auf den Weg machen.“ , meinte er schließlich und nickte in Richtung Vara. Niemand widersprach ihm und so setzten sie ihren Weg schließlich in Richtung der Tore fort. Das Land um die Stadt selbst war so gut wie verlassen. Lediglich einige wenige, zerlumpte Männer und Frauen hatten sich in Zelten auf dem Weg oder vor den Stadtmauern niedergelassen. Niemand von ihnen schien sich groß für die ungleiche Gruppe Reisender zu interessieren, nur gelegentlich warf ihnen jemand einen kurzen Blick nach, bevor er sich wieder abwandte. Diese Leute waren Flüchtlinge, jene, die sich aus  der fliegenden Stadt oder aus anderen Teilen des Imperiums hierher hatten retten können.  Galren erkannte manche, die unter ihren schweren Pelzmänteln die luftigeren Kleider trugen, die man in Erindal bevorzugte, andere waren aufgrund ihrer dunkleren Hautfarbe wohl  Bewohner der Gegenden um Lasanta.

 Rauch schwebte über der Stadt, drang aus Kaminen und stieg auch aus den Straßen auf, wo manche der Flüchtlinge wohl im freien Feuer entfacht hatten. Die Tore waren geschlossen, als sie sich näherten. Keine Wachen standen davor, doch von den Mauerkronen aus wurden sie bereits misstrauisch beäugt. Ein dutzend oder mehr Gardisten hatten sich auf den Zinnen positioniert und genauso viele Musketenmündungen sahen ihnen entgegen. Und auf einem Stein  in der Nähe saß Pfeife rauchend  eine Gestalt, die Galren erkannte,  flankiert von zwei weiteren.

,,Elin.“ Eden und Cyrus sprachen fast gleichzeitig und genauso schnell waren die beiden Gejarn auch schon bei ihrer Tochter um sie in die Arme zu schließen. Elin ließ die Prozedur gezwungenermaßen über sich ergehen und Galren musste ein Grinsen unterdrücken, als er ihren gequälten Gesichtsausdruck sah.

,, Sieh mal einer an.“ Erik Flemming erhob sich von seinem Platz  auf dem Stein und nahm die Pfeife aus dem Mundwinkel. ,, Ich hatte wirklich nicht gedacht, das wir uns nochmal wiedersehen.“

Warum nur hatte Galren das Gefühl, das dass eine Lüge war? Der alte Arzt war sicher nicht hier, weil er Wache schob. Und er bewegte sich vorsichtig auf sie zu, musterte zuerst ihn, dann Naria und als letztes Träumer, wobei sich seine Züge verdunkelten.

,, Es tut auch gut euch wiederzusehen.“ , meinte Galren.

,, Sicher…“ Bevor Galren überhaupt wusste was geschah hatte der Mann urplötzlich eine Pistole auf ihn gerichtet. Alle erstarrten wo sie waren.

,, Erik, was soll das ?“ Eden ließ ihre Tochter endlich los und wendete sich zu dem Arzt um.

,, Ich muss sicher gehen.“ , erklärte dieser kühl. ,, Vor allem wenn ihr in seiner Begleitung unterwegs seid.“ Er musste nicht erklären, wen er meinte. Vielleicht wusste keiner von ihnen, wer Träumer war, aber das Mal an seiner Hand sprach für sich. Und es war kaum zu übersehen.

,, Sicher gehen ? Erik… das ist Galren.“ Auch Cyrus konnte nur mehr verwirrt zwischen ihnen hin und her sehen. ,, Ihr könnt ihn gerne erschießen wenn ich euch die Erlaubnis dazu gebe, aber solange er Elin…“

Erik lachte leise, doch sein Gesicht blieb ernst und die Waffe weiter ohne zu zittern auf Galrens Brust gerichtet. ,,  Tut mir leid, aber hier geht es nicht um Elin. Sagt mir Galren, seid ihr das wirklich noch? Ihr selbst ?“

,, Ja. So sicher wie ich mir da sein kann. Erik denkt nach, hätte der Herr der Ordnung mich übernommen… würde ich wirklich hier mit euch diskutieren?“

,, ich weiß es nicht. Ich weiß nicht wie die Pläne dieses Monsters aussehen,  aber so wahr mir die Götter helfen, ich werde kein Risiko eingehen. Wenn ihr wirklich Galren seid, wie lautet mein zweiter Vorname. Ich habe ihn euch im roten Tal genannt. Galren sollte sich daran erinnern.“

,, Erik ? Cyrus sah den Arzt noch verwirrter als zuvor an. ,, Ihr habt gar k…“

,, Ruhe. Galren ? Ihr solltet die Antwort kennen.“

War der Mann verrückt geworden? Galren konnte nur auf die Waffenmündung vor ihm starren, während er sich das Hirn zermarterte. Was  wollte er von ihm hören?

,,Tatsächlich weiß ich sie.“ , meinte er schließlich. ,, Ihr lügt. Ihr habt mir nie verraten ob oder das ihr einen zweiten Vornamen habt. Ich kenne euch nur als Erik Flemming.“

Einen Moment lang geschah nichts. Dann ließ der alte Arzt die Waffe sinken. ,, Sehr gut. Irgendwie wusste ich dass ihr es seid. Kommt rein.“ Erik gab den Wachen auf der Mauer ein Zeichen und die Tore wurden aufgezogen. Weitere Gardisten warteten bereits auf dem von einem leeren Springbrunnen gekrönten Torplatz und nicht nur das…

,,Naria.“ Galren sah grade noch einen wehenden Federmantel und ein rotes Kleid, bevor Naria auch schon von ihrer Mutter begrüßt. Die ältere Gejarn schien sichtlich mit sich zu kämpfen, als sie sah wie geschwächt ihre Tochter war.

,, Hallo.“ Nach wie vor klang Narias Stimme hohl und brüchig, diesmal jedoch nicht nur wegen der Entbehrungen der letzten Monate. Vorsichtig nahm sie Relina in den Arm… und weinte. Galren konnte das erstickte Schluchzen zuerst gar nicht einordnen. Es schien so vollkommen gegen das Bild zu gehen, das er sich bisher von Naria gemacht hatte. Und doch da stand sie, oder hing mehr in den Armen ihrer Mutter und ließ den Tränen freien Lauf. Erst hier wurde ihm klar, wie sehr die letzte Zeit sie tatsächlich verändert hatte. Sie alle vielleicht. Aber niemanden so sehr wie Naria. Und zum ersten Mal seit langer Zeit konnten sie sich wieder so etwas wie sicher fühlen. Er wendete sich ab. Ein dünnes Lächeln spielt um seine Lippen.

,, Ihr hättet mich nicht wirklich erschossen, wenn ich eure Frage falsch beantwortet hätte, oder ?“ , fragte er an Erik gerichtet.

,, Um ehrlich zu sein, ich bezweifle, das euch dann noch eine Kugel aufhalten würde. Wie ihr schon sagtet. Der Herr der Ordnung würde nicht mit uns diskutieren.“

,,Nein…“

,, Was ist dir nur  passiert ? Und wer seid ihr?“ Relina schien sich endlich lange genug von ihrer Tochter lösen zu können um sich umzusehen und ihre übrigen Begleiter zu mustern. Insbesondere Träumer, der von Narias Zusammenbruch sichtlich geschockt war und versuchte, dem Blick der älteren Gejarn auszuweichen. Es war seltsam anzusehen, wie sich dieser Mann, der über eine Macht gebot die sonst wenige ihr eigen nennen konnte unter den stummen Anschuldigungen einer Mutter wand.

,, Das ist… eine lange Geschichte.“ , meinte Naria, nach wie vor leise.

 

 

Kapitel 76 Zorn und Flammen

 

 

,,Fallt zurück !“ Kellvian zog die Klinge aus einem weiteren toten Körper. Seine Armen waren mittlerweile schwer und bis zu den Ellbogen rot von Blut. Der einst weiße Mantel war mit Tropfen davon gesprenkelt und die Leichen auf dem Platz lagen mittlerweile dicht und hoch genug, das man aufpassen musste, nicht über sie zu stolpern.

Sie waren eingeholt worden. Ihr Rückzug war gescheitert. Und nun tobte auf dem Platz vor den Palasttoren eine ausgewachsene Schlacht. Gardisten und Kultisten gleichermaßen fielen überall, wohin Kellvian auch sah,  sah er Tod und Sterben. Auch auf den Stufen vor den Toren lagen Tote, wenn auch weit weniger. Nur einige seiner Männer hatten sich bis jetzt in die Sicherheit hinter den dicken Mauern des Palastes retten können. Andere hielten das Torhaus oder feuerten aus der Deckung heraus die ihnen die gewaltigen, halb geschlossenen Torflügel boten. Einzeln und in kleinen Gruppen strömten Gardisten hindurch, wurden von den anderen ermutigt sich zu beeilen. Kaum einer war unverletzt, manche trugen Tote und Sterbende. Und wo ihre Kräfte lange verbraucht waren, kannte der Strom aus Kultisten scheinbar kein Ende.

Einst hatte dieser Ort die Macht des Kaiserreichs symbolisiert. Nun war alles, was davon geblieben war ein blutüberströmtes Schlachtfeld. Einige wenige, verbrannte und zerfetzte Banner standen noch auf ihren Podesten über den in Marmor eingelassenen Symbolen, die den Platz in einem Halbkreis umgaben. Ein jedes zeigte ein altes Wappen oder die Insignien eines lange vergessenen Herrschers, einer Stadt oder eines Staats den sich das Imperium während seines langsamen Wachstums einverleibt hatte. Nun waren viele der Marmorwappen gesprungen. Blut zeichnete die Risse nach und befleckte die gefallenen Banner, die Leichen und Verwüstung unter sich begruben. Ein passendes Leichentuch für sie alle… Dieser Ort würde für viele zum Totenacker werden…

Verzweifelt versuchten sich die auf dem Platz gefangenen Gardisten einen weg in Richtung des vermeintlich sicheren Torhauses frei zu kämpfen. Die Luft war erfüllt vom Schreien der Sterbenden und vom Donner der Musketen. Eine Kanonenkugel schlug wenige Schritte entfernt von Kellvian auf, verwandelte den Mosaikboden in tödliche Schrapnelle die an den Schutzzaubern seiner Rüstung abprallten. Andere hatten nicht so viel Glück und wurden von den Scherben durchbohrt. Er sah Männer stürzten, denen sich Marmorsplitter in die Beine bohrten, andere wurden von der Druckwelle des Aufschlags schlicht von den Füßen gefegt während der Schrapnellregen über sie hinweg ging. Asche und aufgewirbeltes Erdreich erfüllten die Luft, so dass jeder Atemzug einen bitteren Nachgeschmack bekam  Kellvian streckte einen weiteren Mann nieder, der ihm zu Nahe kam, doch mittlerweile kostete ihn bereits das simple Heben der Waffe unendliche Anstrengung.

Langsam wich er mit den verbliebenen Gardisten zurück. Weitere Kugeln jagten durch die Luft, fällten Männer auf beiden Seiten.  Aber irgendwie schaffte sie es, einer nach dem anderen, durch die Tore. Kellvian blieb mit den letzten in der Mitte des Platzes zurück, während die geretteten Gardisten die Mauern erklommen und ihnen von den Zinnen aus unter Syles Anweisung Feuerschutz gaben. Langsam aber sicher leerte sich der Platz um Kellvian. Das einzige, was zurück blieb waren tote Körper und Zerstörung. Das… und die wartende Masse aus Kultisten, die sich nicht weiter in die Todeszone vor dem Tor wagten, die die Garde erschaffen hatte. Zumindest so lange bis ihnen die Munition ausging, dachte Kellvian bitter. Er wollte sich grade mit den letzten Gardisten abwendeten, als sich die Reihen ihrer Gegner teilten.

Eine einzige Kreatur, fast zwei Köpfe größer als er selbst trat aus ihrer Mitte hervor. Breit gebaut wie ein Ochse mit dunkler, lederartiger Haut auf der Brandmalen gleich die Insignien des roten heiligen prangten. Glühende, rote Augen begegneten dem Blick von Kellvians eigenen. Dampf stieg aus den Nüstern des Monsters auf als es sich in Bewegung setzte, ein Schwert,  so groß wie ein ausgewachsener Mann, schwingend.  Flügel, zerfetzt, dunkel  und Fledermausartig, bauschten sich hinter ihm auf, als wäre der Schatten des Biests lebendig geworden und folge ihm nun bei jedem Schritt. Und es war schnell, trotz seiner Größe und scheinbaren Trägheit.  Kellvian sah kaum mehr als einen dunklen Schatten, der auf sie herniederfuhr, und dabei Kugeln und Projektile abschüttelte, als seien sie nur lästige Insekten.

Er wirbelte herum um der Kreatur zu begegnen, das Schwert bereits zu einem Bogen erhoben. Doch so weit kam es nie. Kellvian spürte nur einen plötzlichen Druck, als eine der Pranken des Wesens herabfuhr und ihn vor die Brust traf. Erneut rissen seine alten Wunden auf und er konnte Metall ächzten hören. Seine Füße verloren einen Herzschlag lang den Kontakt zum Boden . Ungebremst schlug er auf dem Boden auf und überschlug sich. Der eingedellte Stahl seiner Panzerung machte ihm das Atmen schwer und alles um ihn herum verschwamm. Er konnte Männer sehen die herbeieilten, nur um von dem großen Schatten bei Seite gefegt zu werden als er langsam auf Kellvian zu trat. Der Kaiser hielt nach wie vor den Schwertgriff umklammert während er auf die Füße stolperte.  Grade noch rechtzeitig brachte er die Waffe zwischen sich und das Monster, als es seine eigene nachtschwarze Klinge in einem Hieb nach unten führte. Kreischend traf Stahl auf Stahl, als die Waffen aneinander vorbei schrammten. Kellvians eigenes Schwert stoppte schließlich, doch der Dämon dachte gar nicht daran sich aus dem kurzen Kräftemessen zu lösen. Stattdessen riss er die Klinge abwärts. Erneut war das krachen von Metall zu hören, als die Waffe mit ungeheurer Wucht  auf die Parier Stange von Kellvians Schwert traf. Einen Moment verharrten sie so. Und dann geschah es. Das Metall der Parier-Stange brach wurde sauber zerteilt, als das Schwert des Dämons herabfuhr. Kellvian schrie auf, als der kalte Stahl in sein Fleisch schnitt, seine Finger… Irgendwie schaffte er es, zurück zu weichen. Blut strömte aus den Stümpfen hervor wo einstmals der Zeige und Mittelfinger seiner rechten Hand gewesen waren. Er hatte noch nicht einmal verstanden, was grade geschehen war, als das Ungeheure auch schon erneut über ihm war und mit einer Kralle nach ihm schlug. Die langen Hornklauen troffen vor getrocknetem  Blut und Krankheit. Seine zerfetzte Rüstung bot kaum mehr Schutz, als sich die Krallen in seinen Körper bohrten. Kellvian spürte, wie sie sich in seine Rippen bohrten, wie die Knochen unter der Gewalt brechen wollten.  Der Dämon schleuderte ihn von sich, wie eine kaputte Spielzeugfigur.   Erneut überschlug er sich. Das Schwert entglitt seinen von Blut glitschigen Fingern und landete irgendwo auf dem Pflaster des Platzes. Genau wie seine verlorenen Finger…

Ein entsetztes Aufatmen ging durch die Gardisten auf den Mauern. Niemand wagte es mehr auf das Ungeheuer zu schießen, dafür waren sie sich zu nahe. Und auch die Kultisten hatten inne gehalten, sammelten sich jenseits des Platzes und sahen nur zu…

Kellvian wusste nicht, woher er die Kraft nahm, überhaupt noch einmal auf die Füße zu kommen.  Oder sein verlorenes Schwert wieder aufzuheben. Die Klinge schien ihm viel zu schwer. Eine Seite der Parierstange war vollkommen zerstört, das Metall verbogen und zerbrochen. Seine Beine zitterten unter ihm und er musste sich auf den Schwertgriff stützen um überhaupt noch grade stehen zu können. Blut sickerte aus den Lücken in seinem Panzer, während das Monster näher kam. Und sprach.

,, Kleiner Narr… seht euch um Kaiser. Seht was euch geblieben ist.“ Der Schatten umkreiste ihn, kam langsam näher. Kellvian konnte Blut schmecken.. ,, Euer Männer sterben umsonst. Euer Imperium ist gefallen.“

Um ihn drehte sich alles, er konnte den Spott des Dämons kaum hören.

,, Ihr habt versagt, Kaiser. Und euer Volk enttäuscht. Ihr habt einen Kampf gegen das unausweichliche geführt und nun wo ihr die Wahrheit vor euch seht ist es zu spät für reue…“

Die Schreie seiner Männer klangen in seinen Ohren nach, sah die Leichen die dicht an dicht über den ganzen Platz verstreut lagen. Blut floss in dünnen Rinnsalen über den Marmor und bildete kleine Teiche, wo immer sich eine Senke fand. Noch immer umkreiste ihn dieses Ding, verspottete ihn.

Kellvians Beine gaben unter ihm nach und er sank erneut auf die Knie. Das alles hier war seine Schuld. Sein Versagen. Hätte er es kommen sehen können? Früher handeln müssen?  Aber was hätte er tun sollen? Immer hatte er versucht, irgendwie den Frieden zu erhalten, jeden so leben zu lassen wie er es wünschte. Und was war der dank? Das hier. Kalte Wut machte sich in seinem Verstand breit. Er lachte bitter, als er die Schritte der Kreatur schließlich neben sich spürte. Der Dämon ragte neben ihm auf wie eine dunkle, schwarze Säule, während er langsam das Schwert hob.

,,Nein.“ Dieses eine simple Wort schien das Monster aus dem Konzept zu bringen. ,, Nein. Nichts hiervon ist meine Schuld Monster.“ Mit purer Willenskraft zwang er sich wieder auf die Füße. ,, Es ist eure.“

Mit einem Aufschrei warf er sich herum, schwang das Schwert, die Klinge seines Ahnen herum. Die am Knauf eingelassenen Runen pulsierten im Rhythmus mit seinem eigenen, von Zorn und Wut genährtem Puls. Feuer loderte entlang der Ränder der Klinge auf, hellgrüne und blaue und rote Flammen, die sich verdichteten zu einem Feuersturm, der bald die gesamte Waffe einhüllte. Kellvian fragte nicht was da grade geschah. Er akzeptierte es nur, schwang die Klinge aufwärts mit aller Kraft, die ihm geblieben war.

Die roten Augen des Dämons wurden weit, als er zurücksprang um den Angriff zu entgehen. Es gelang ihm nicht ganz. Das sengend heiße Schwert fuhr durch seine Seite, schlug eine klaffende Wunde und verbrannte Fleisch so wie Blut. Heulend wich das Monster zurück während Kellvian sofort nachsetzte. Der Feuersturm um das Schwert in seinen Händen schien  nur dichter zu werden, während er seinen Gegner zurück trieb. Er konnte die Hitze auf seinem Gesicht spüren und die magisch angefachten Flammen blendeten den Dämon.

,, Ich habe endlich etwas verstanden.“ Sein Gegner versuchte einen Hieb zu parieren. Kellvian tauchte unter dem Ausgestreckten Arm und der schwarzen Klinge hinweg und stieß ihm das Schwert bis zum Heft in die noch unverletzte Seite. Sofort zog er die Waffe wieder zurück, die sich widerstandslos durch Fleisch und Knochen brannte und fügte der Kreatur einen tiefen Schnitt über dem Bein zu. Der Dämon knickte ein. Kellvian trennte einen seiner Flügel ab. ,, Ich habe verstanden, dass man Kreaturen wie euch nicht erlauben kann weiter zu existieren.  Und ich habe zu lange gebraucht um diese Wahrheit zu erkennen. Vielleicht sollte ich euch also dankbar sein, das ihr mir die Augen geöffnet habt. Koexistenz, Monster. Mein Leben lang habe ich daran geglaubt. Das endet hier. Das habt ihr zerstört. Und deshalb habt ihr das hier auch selbst über euch gebracht.“

Erneut riss Kellvian das Schwert empor, während der Dämon heulend zurück stolperte. Rauch stieg aus den Wunden auf, die Kellvian ihm geschlagen hatte, doch wenn er auf Gnade hoffte, dann nicht von ihm. Kellvian setzte ihm nach, was von seinem weißen Umhang geblieben war bauschte sich einen Moment hinter ihm wie Schwingen, bevor er das Schwert in die Brust der Kreatur stieß. Mit einem letzten, röchelnden Laut ging das Ungeheuer auf die Knie. Kellvian drehte die Klinge herum und zog sie aus dem erschlaffenden Leib, während sein Gegner langsam vorne über kippte.

Das Feuer erlosch fast im selben Moment wo seine Wut verrauchte. Einen Moment schwankte er, dann jedoch fing ihn jemand auf. Syle. Er hörte wie ihm der Gejarn irgendetwas zurief, während irgendwo hinter ihm erneut Gewehrfeuer aufflammte.  Und doch brauchte er eine Weile biss die Worte für ihn Sinn ergaben.

,, Was war das eben ?“ Der Bär sah in Richtung der toten Kreatur, deren Form bereits begann, sich aufzulösen wie Asche im Wind

,, Ich weiß es nicht.“ Kellvian sah an seiner Schwerthand hinab, sah die fehlenden Finger und die übrigen, die sich nach wie vor um das Heft klammerten, während Syle ihn in Richtung Torhaus eskortierte. Aber was immer es auch war, es war schon einmal geschehen. So flüchtig es damals auch gewesen war. Im roten Tal. In einem Moment voll Wut und Verzweiflung… Und das Schwert hatte darauf reagiert, hatte seinem namenlosen Zorn Ausdruck verliehen. Irgendein uralter Zauber, vielleicht ein letztes Vermächtnis von Simon Belfare. Ein letzter Rest der Macht des ersten Kaisers, das hier wie ein gefallener Stern brannte.

Es war ein Rätsle, das warten musste. Und eines, das vielleicht nie gelöst werden würde. Sobald sie die Palasttore passiert hatten, wurden die großen Holzflügel vollständig geschlossen und trennten sie somit von dem Schlachtfeld draußen.  Kellvian konnte hören, wie die Kultisten von draußen gegen die Tore schlugen, während jemand, vielleicht war es Symia, ihm half die Überreste seiner Rüstung loszuwerden und seine Wunden zu versorgen. Die Balken des Tores zitterten unter dem Ansturm und es wäre wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Kultisten einen Weg hier herein fanden. Spätestens wenn sie eine Kanone herbei schaffen konnten um entweder das Tor aufzusprengen oder die Palastmauern einzureißen.

Die kläglichen Überreste seiner Leibgarde, alles in allem weniger als 500 Gardisten und nicht einmal annähernd so viele Zwerge, hatten sich im Innenhofs zusammen gekauert, schichteten Barrikaden vor den Stufen zum eigentlichen Palast auf um alles für ihr letztes Gefecht vorzubereiten. Sie wussten alle, dass das hier das Ende war. Es gab keine Fluchtmöglichkeit mehr, kein Entkommen oder einen Weg es noch weiter hinaus zu zögern.  Kellvian stand auf, ging zu ihnen. Manche nickten ihm zu, salutierten kurz vor ihm. Er erwiderte den Gruß, als er seinen Platz auf den Barrikaden einnahm. Er würde sich nicht mit einer letzten Garde in den Palast zurückziehen nur um das unausweichliche hinaus zu zögern.

Alle lauschten sie nur gespannt auf das Holz und auf den Moment, in dem es nachgeben würde und dann… verstummte das Hämmern plötzlich. Eine Weile wagte es niemand sich zu Rühren. Die Zeit verging. Minuten verstrichen in denen nichts geschah. Männer wurden nervös, einige scharrten mit den Füßen im Dreck andere hielten die Waffen stur grade auf das Tor gerichtet und warteten, Schweißtropfen auf der Stirn. Und noch immer tat sich nichts.

Irgendwann schickte Syle einen seiner Männer hinauf auf die Mauern um nachzusehen, was geschah. Der Mann blieb einen Moment an den zinnen stehen, bevor er schließlich ein Zeichen gab, das sie besser zu ihm kommen sollten. Kellvian hastete die Stufen zur Mauer hinauf, so gut dass seine Verletzungen eben zuließen. Und er verstand plötzlich, wieso der Gardist sie gerufen hatte.

Der Platz vor den Toren des Palastes war verlassen. Bis zu den ersten Häusern der Stadt waren keine Kultisten mehr zu sehen und selbst dort nur vereinzelt. Nachzügler, die der Hauptmasse an Männer folgten, die sich in die Stadt zurückzog. Wollten sie sie Belagern und Aushungern, war es das? Aber dann würden sie trotzdem weiter die Tore blockieren um zu verhindern dass jemand entkam. Nein…

Die gesamte Kultistenarmee zog sich aus irgendeinem unerklärlichen Grund zurück. Warum ? Was wollte der rote heilige mehr als ihn und die fliegende Stadt? Ein kalter Schauer lief ihm über dem Rücken.

,, Herr ? Was hat das zu bedeuten?“ Syle sah genauso verwirrt wie er zuvor den Kultisten nach.

,, Was glaubt ihr was es bedeutet ? Es gibt nur eine Person die der rote Heilige mehr um jeden Preis in seine Gewalt bringen will als mich.“

,,Galren…“ Syle verstand. ,, Was… was tun wir jetzt ?“

Kellvian wusste die Antwort. Egal wie wenig sie ausrichten konnten… sie durften nicht erlauben das Galren dem roten heiligen in die Hände fiel.

,, Wir folgen ihnen…“

 

Kapitel 77 Letzte Prophezeiung

 

 

,,Herr…“ Die Plane vor dem Eingang seines Zelts wurde zurück geschlagen und kalte Luft sowie Mondlicht drangen herein. Kellvian sah von dem kleinen Schemel auf an dem er saß. Symia hielt ihm eine kleine Schale an die Lippen. Irgendein Mohnauszug, der die Schmerzen betäubte. Kellvian wusste, das mehr zu tun nicht mehr in ihrer Macht stand. Er trank und erhob sich dann um seine Jacke zuzuknöpfen. Verbände und Stoff würden zumindest äußerlich verbergen, wie schlimm es wirklich um ihn stand. Das Fieber jedoch, das ihm den Schweiß auf die Stirn trieb konnten sie nicht verheimlichen. Die Wunden, die alten und die neuen, die er den vergifteten Krallen des Dämons zu verdanken hatten, hatten sich entzündet. Dunkle Linien hatten sich darum gebildet und weitere, rötlich verfärbte folgten dem Verlauf seiner Adern. Die Infektion steckte mittlerweile in seinem Blut. Das war nichts mehr, das eine Heilerin, wie talentiert sie auch sein mochte, kurieren konnte. Nur die Symptome konnte sie ihm nehmen. Noch. Kurz fröstelte er und ihm wurde schwindlig, als er sich zu Syle umwendete. Er hätte einen Magier gebraucht aber die wenigen, die sie gehabt hatten, waren sämtliche währen der Schlacht um die fliegende Stadt gefallen.

Symia wich schweigend zurück und nahm die leere Schale mit sich, als der Gejarn näher trat. Kellvian entließ sie mit einem kurzen wink und fühlte sich seltsam erleichtert, als sie schließlich durch die Zeltklappe nach draußen verschwand. Er hatte einen Fehler gemacht… und er gab nicht Symia die Schuld dafür, aber seit jenem Tag hatte er jeden Annäherungsversuch ihrerseits abblitzen lassen. Dass sie in letzter Zeit trotzdem beständig wieder in seiner Nähe war, zehrte zusätzlich an seinen Kräften.

,, Was gibt es denn ?“ , fragte Kellvian.

,, Die Berichte der Späher Herr. Ich dachte ihr wolltet sie sicher sofort hören.“

Kellvian nickte geistesabwesend. Sie wussten alle längst, wohin die Armee des roten heiligen unterwegs war. Nur wagte es noch keiner auszusprechen. Eine Woche lang verfolgten sie sie jetzt ohne jemals länger als ein paar Stunden Rast gemacht zu haben. Das hieß bis jetzt. Die Männer waren bereits nach den Kämpfen in der fliegenden Stadt zu Tode erschöpft gewesen, genauso wie Kellvian selbst. Trotzdem hatte niemand aufbegehrt, als sie aufgebrochen waren. Sie wussten alle um was es hier ging. Und das war schon lange nicht mehr bloß Galren. Die Berichte der Späher würden bloß bestätigen, was sie alle vermuteten.

Kellvian trat an einen kleinen Kartentisch in der Mitte des Zelts heran. Neben einem einfachen Feldbett und ein paar Stühlen war  es das einzige Möbelstück hier drinnen. Sie hatten keine Zeit sich groß damit abzumühen. Lediglich der Boden war grob mit einigen Holzplanken ausgelegt worden, damit man nicht mit den Füßen auf der kalten Erde stand und bot so zumindest diese Annehmlichkeit. Und trotzdem kamen sie zu langsam voran wie Kellvian fürchtete. Um ihre geringe Zahl wenigstens etwas auszugleichen hatten sie fast jedes Geschütz mitgenommen, dessen sie habhaft werden konnten. Aber die Zugpferde blieben jetzt im Frühjahr alle paar Meter im Schlamm stecken und bremsten sie zusätzlich aus. Und doch murrte niemand, dachte Kellvian, während er die zerfurchte Oberfläche des Kartentischs betrachtete.

Die Balken unter seinen Füßen  knarrten leise, als Syle ihm schließlich  folgte und eine Karte der Herzlande ausrollte, die er zuvor noch unter dem Arm getragen hatte. Die größeren Siedlungen waren allesamt als große, schwarze Kreise hervorgehoben werden, allen voran Vara. Weitere rote und blaue Punkte markierten ihre eigene Position und die der Kultisten, die die Späher bei ihrem Vormarsch verfolgt hatten.

,, Es ist wie wir dachten.“ , erklärte Syle. Auch ihm war klar, was das bedeutete. ,, Sie ziehen genau auf die Stadt zu.“ Er deutete auf Vara, ein dunkler Punkt mitten im Kielwasser der rot eingezeichneten Kult-Armee. ,, Und sie werden sie in jedem Fall einige Stunden vor uns erreichen, Herr. Egal wie sehr wir uns beeilen.  Und wenn ihr die Bemerkung erlaubt…“ Der große Bär zögerte. Unsicherheit zeichnete sich auf den Zügen des Hochgenerals ab. ,, Ihr wisst, das wir nicht gewinnen können, wenn wir uns ihnen direkt stellen. Wir haben fünfhundert Mann unter Waffen und… vielleicht halb so viele Zwerge von Hadrir, wenn wir die Verwundeten dazu zählen. Aber selbst von denen ist nur jeder zweite wirklich kampftauglich.“

,, Und dennoch müssen wir es versuchen, oder ?“ Kellvian starrte hinab auf den schwarzen Punkt der Vara markierte. Wenn Galren dort war… dann waren alle die sich dorthin gerettet hatten in Gefahr. Jede Familie, jede Frau, jeder Mann, jedes Kind… Und Jiy. Die Männer waren längst über dem Punkt hinaus, wo sie ihm folgten, dachte Kellvian. Egal wie Loyal sie sein mochten. Aber sie alle hatten Familien, Freunde, Bekannte, die sich alle im Augenblick in Vara befanden. Selbst wenn er es ihnen befahl würden sie sich nicht davon abbringen lassen, die Kultisten weiter zu verfolgen.

Ein Schauer überlief ihm, der nur teilweise vom Fieber stammte. Syle sah ihn einen Moment besorgt an, während sich seine Hände um das Holz des Tisches schlossen um ihn aufrecht zu halten. Sie marschierten zur Schlachtbank. Oder ?

Syle warf ihm einen besorgten Blick zu sagte aber nichts. Der Gejarn hatte längst gemerkt, dass es um ihn nicht gut stand, aber zumindest für den Moment konnte er das wohl noch auf die Erschöpfung schieben.

Immer noch starrte er auf Vara. Seine Gedanken drehten sich um sich selbst. Es musste doch einen weg geben, die Stadt zu retten. Egal wie klein die Chance war… Vara lag in einer Talsenke. Wenn die Kultisten einmal darüber herfielen mussten sie nur die umgebenden Hügel besetzen und konnten die Stadt aus sicherer Entfernung in Grund und Boden schießen. Wenn… Sie wollten die Stadt nicht erobern oder zerstören, sie wollten nur Galren. Und das hieß sie würden niemals riskieren ihn aus Versehen zu töten…  Also mussten sie in die Stadt hinein und durch die Tore ohne dabei Belagerungswaffen oder Kanonen einzusetzen. Sie würden im Tal sein. Mit dem Rücken zu den Hügeln. Ein leichtes Ziel und noch gab es keine Anzeichen dafür, das ihnen aufgefallen wäre, das sie verfolgt wurden.  Ein vager Plan begann in seinen fieberschweren Kopf Gestalt anzunehmen. Vielleicht gab es eine Chance. So gering sie auch war. Ein dünnes, grimmiges Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus.

,, Herr ?“

,, Vielleicht gibt es einen Weg, Vara zu retten.“ Oder den Verteidigern zumindest etwas Zeit zu verschaffen. Er musste darüber nachdenken. Und er hatte nur diesen Abend dazu. Am nächsten Morgen würden sie wieder aufbrechen und ob sie noch einmal länger Rast machen würden, ehe sie Vara erreichten schien fraglich.  ,, Geht. Auch ihr solltet euch ausruhen. Wir haben in letzter Zeit alle nicht viel Schlaf bekommen.“

,, Und ihr , Herr ?“

Ich ? Kellvian hätte am liebsten laut gelacht. Er hatte Glück wenn er die Augen noch einmal öffnete, wenn er sie jetzt schloss. Die Infektion tat nur sein Übriges seine Müdigkeit zu verstärken. Zusammen mit den Schmerzmitteln. Ein dicker Verband zog sich über die Fingerstümpfe an seiner Rechten. Immerhin die waren sauber geblieben auch wenn seine Hand bei jeder Bewegung schmerzte. Er würde seinen Schwertarm noch brauchen…

Kellvian bemerkt erst, das Syle gegangen war, als er schließlich wieder aufsah und feststellte, dass er alleine war.  Mit einem seufzten zog er sich einen Stuhl heran und goss etwas von den Schmerzstillenden Tinkturen, die Symia ihm dagelassen hatte in einen Becher. Tee, Kräuterauszüge, Opium… es machte kaum mehr Unterschiede für ihn, solange es bedeutete, dass er auf den Beinen blieb. Er war ein toter Mann, so oder so, dachte er. Fieber und Schmerzen konnte er betäuben aber auf Dauer würde es die Vergiftung auch nicht aufhalten. Aber das musste er auch nicht. Er brauchte nur noch etwas Zeit. Wenigstens bis die Stadt in Sicherheit wäre…

Eine Weile brütete er nur über den Karten. Vielleicht hätte er Syle doch nicht fort schicken sollen. Eine zweite Meinung hätte ihm helfen können. Aber er wollte auch bei niemand Hoffnungen wecken, die sich wieder in Wind zerstreuen könnten, noch ehe die Sonne aufging.

Erneut konnte er einen kalten Luftzug spüren, als die Klappe vor dem Zelteingang aufgeschlagen wurde und jemand eintrat. Vielleicht Syle. Oder Symia. Er wusste nicht, ob er im Augenblick überhaut in der Lage war, sich mit einem der beiden auseinander zu setzen. Als er jedoch aufsah, erwartete ihn keiner der beiden.

Die Gestalt, die im Zelteingang erschienen war, gehörte einem Geist. Lange, grau melierte Haare rahmten ein wettergegerbtes Gesicht ein. Blinde, weiße Augen sahen ihm daraus entgegen. Der blaue Mantel, den der Fremde trug war ihm nur noch allzu vertraut, genau wie der Saphirring, der an seinen Fingern glitzerte. Finger, die auf dem Edelsteinknauf eines Gehstocks ruhten.

,, Melchior…“ Vielleicht sollte er nicht einmal überrascht sein, ihn hier zu sehen. Und doch… ,, Es ist lange her.“

,, Und ich fürchte nach all diesen Jahren bin ich doch nur hier um eine schwere Botschaft zu überbringen, mein Kaiser.“

Natürlich. Hatte dieser Mann je etwas anderes getan, wann immer sie sich begegnet waren? Kellvian lächelte. Nein . Und seine Aufgabe war ihm nicht leichter geworden, so wenig wie Kellvian seine eigenen.

,, Wenn ihr hier seit, heißt das, das Galren zu euch gefunden hat ?“

,, Ich habe mit ihm gesprochen. Ihm und seiner Begleiterin. Und als ich ihnen das letzte Mal begegnete ging es ihnen gut.“

,, Und habt ihr ihnen helfen können ?“ Eine Weile senkte sich schweigen über das Zelt. Das war die Frage auf die es ankam, dachte Kellvian. Die Schlacht war nebensächlich wenn es trotzdem keine Hoffnung mehr gab.

,, Ich habe ihm gesagt, was er wissen muss. Der Rest ist seine Sache. Aber wenn er seine Sache gut macht ja. Ja dann habe ich ihm helfen können. Und das alles hier wird sein Ende finden. Aber es ist euer eigenes Schicksal das euch Sorgen machen sollte, Kellvian. Das hier wird wie ich fürchte unsere letzte Begegnung sein.“

,, Sagt mir etwas, das ich noch nicht weiß.“ Kellvian rechnete nicht wirklich mit einer klaren Antwort. Die gab einem dieser Mann nie, das hatte er gelernt.

,,  Ich habe den Adler und den toten Baum fallen sehen. Und nur einer von ihnen hat sich wieder erhoben. Aber welcher das sein wird, das wird euch überlassen sein.  Vergebt mir alter Freund…“

,, Ich glaube nicht das ich verstehe. Sagt ihr mir ich habe die Wahl ob ich fallen werde oder jemand anderes?“ Kellvian wusste, dass er selber der Adler war. Der letzte. Auch das war ihm Prophezeit worden und er hatte sich damit abgefunden, geglaubt mit Janis sogar einen Weg darum herum gefunden zu haben. Und nun ? ,, Wer ist der tote Baum ?“

,, Jemand von eurem Geist und dem Blut des Feindes.“ Melchior lächelte. Janis… Das war nicht möglich und doch schien es nur diese eine Möglichkeit zu geben. ,, Es ist eure Wahl, Kellvian. Aber ihr beide könnt nicht mehr Leben. Er wartet auf euch. Vor Vara. Und ich kann euch nicht sagen, welche Wahl die schwerere ist. Oder die richtige.“

Aber Kellvian wusste es. Ja… eine schwere Entscheidung war nicht einmal annähernd das richtige Wort dafür.  Und doch stand seine Wahl fest in dem Moment in dem er erfuhr, dass es noch eine gab. Melchior belog ihn nicht. Das hatte er nicht nötig. Das Spiel des Schicksals das dieser Mann spielte war größer als sie alle und komplexer als Kellvian sich vorstellen wollte. Aber dieses eine Mal ließ er ihm die Wahl.  Und er war nicht bereit Janis aufzugeben… So klein die Chance auch war.  Aber in letzter Zeit schien er sich ja nur von kleiner Chance zu Chance zu hangeln. Sie ernährten sich eben  von en Brotkrumen die ihnen geblieben waren. Wenn er auf diesem Schlachtfeld war, wenn er noch lebte, würde Kellvian ihn finden. Und dann… dann würde er weiter sehen.

,, Ich danke euch.“ Und er meinte es so. Kellvian konnte Melchor ansehen, welche Wahl er für die richtige halten würde. Dieses eine Mal verstand er ihn. Aber das war nicht die Entscheidung, die er treffen konnte. Er war nicht bereit dazu. Und so leise, wie der Seher gekommen war verschwand er schließlich auch wieder, hinaus in die Kälte und hinterließ nur einen letzten Windhauch. Kellvian jedoch wartete. Auf den Morgen. Auf die Sonne. Und auf den Moment in dem er in seine letzte Schlacht ziehen würde.  Ihre Hoffnung hing nach wie vor an einem dünnen Strang. Und er würde nicht mehr da sein um zu sehen, ob er hielt…

 

 

 

Kapitel 78 Letzte Versammlung

 

 

 

Der Saal den sich die Zwergenhäuser als neue Versammlungskammer auserkoren hatten,  war um einiges kleiner als die Hallen in der fliegenden Stadt. Um nicht zu sagen winzig. Aber sie waren auch weniger geworden, dachte Kasran, als er auf den Stufen die zur großen Flügeltür hinauf führten inne hielt. Wachen sämtlicher Vertretener Häuser flankierten die Treppen, alle in schwere Panzerungen gekleidet, die das Wappen ihrer Familien zeigten. Und doch waren diese Männer mehr eine Geste. Die Zeiten der Waffenruhe, wo kein Thane Klingen zu den Versammlungen trug, waren vorbei seit sie die fliegende Stadt verlassen hatten.

Der Bau der nun ihre Versammlungshalle darstellte gehörte zur Universität Varas, ein großes Gebäude aus honigfarbenem Stein, das sich am Rand der Gärten erhob, welche das Gelände umgaben. Und doch hatten einige seiner Brüder es nur all zu leicht als Beleidigung aufgefasst, dass man ihnen keine angemessenen Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hatte.  Kasran  war versucht gewesen, ihnen an den Kopf zu werfen, dass sie sich glücklich schätzen sollten, überhaupt einen Raum zu bekommen. Grade jetzt, wo die Stadt aus allen Nähten zu platzen drohte. Aber das, so dachte er, wäre etwas gewesen, das Hadrir tun würde. Und nichts dass man von Kasran Mardar, dem ältesten Thanen der Zwerge erwarten würde. Seltsam. Vielleicht begann er ja auf seine tausend Jahre doch noch einmal seine Überzeugungen zu überdenken. Und all dies wegen eines jungen Heißsporns von einem Zwerg, der in ihre Mitte eingeschlagen war wie ein Komet. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Hadrir zum König zu machen. Aber er bereute es nicht. Hadrir hatte etwas getan, das Kasran für Unmöglich gehalten hatte.  Er hatte die Häuser zerbrochen… Er wusste was er sehen würde, sobald er die Hallen betrat. Lücken in ihren Reihen. Lücken selbst bei den konservativsten Häusern. Der alte Mardar bezweifelte manchmal, das der König selbst verstanden hatte, was er bewirkt hatte. Alle die noch hier waren, waren diejenigen die sich nach wie vor an das alte Vorrecht klammerten, das ein Thane alleine über den Weg seines ganzen Hauses zu entscheiden habe. Hadrir hatte darunter einen Schlussstrich gezogen, als er nicht die Häuser aufforderte ihm zu folgen… sondern von jedem einzelnen eine Entscheidung fordere. Und vielleicht war das sogar das einzig richtige gewesen. Eine Ordnung, älter als Kasran selbst, zerschlagen.

Und nun war es ihm überlassen, zu retten, was davon noch übrig war. Vielleicht lebte Hadrir ja nicht einmal mehr und würde seinen Erfolg oder Misserfolg nie sehen. So oder so. Kasran bezweifelte tief in seinem Inneren, o sie sich je wiedersehen würden. Der Ton der restlichen Häuser war in den letzten Wochen nur aggressiver geworden und mit einem abwesenden Kaiser und einer Kaiserin, die sich lieber in ihren Gärten versteckte… es gab nur noch ihn um die Wogen zu glätten. Und das musste er, oder nicht? Ihm blieb keine andere Wahl. Geschweige denn eine andere Hoffnung für diese Stadt. Kasran fühlte sich alt, während er an die Herausforderung dachte, die vor ihm lag. Einer seiner  Gefährten musste ihn stützen, als er die Stufen zur großen Tür der Halle hinauf trat. Bisher hatte er seine alten Knochen kaum gespürt in den letzten Wochen jedoch begann sich allmählich das Alter bemerkbar zu machen. Es war das Wetter in diesem verfluchten Land, dachte er. Die Kälte und die Nässe die jetzt mit dem Ende des Winters in jeden Winkel kroch. In ihrer alten Heimat war es immer warm gewesen, warm und trocken. Der einzige Regen den es in der Zwillingsstadt gegeben hatte, stammte von der Brandung, wenn sich das Meer während eines Sturms aufbäumte und vergeblich gegen den von Zwergenhand behauenen Stein bretterte.

Nicht hiervon war je Teil seines Plans gewesen. Nicht ihre Heimat zu verlassen, nicht hierher zu kommen, nicht einen neuen König zu ernennen. Und doch war es geschehen. Irgendwie, irgendwo hatte er die Kontrolle über alles verloren. Es war seltsam sich das einzugestehen.

Erneut hielt Kasran inne und seine Gefährten, drei an der Zahl blieben hinter und neben ihm stehen, schirmten ihn etwas vor dem kalten Wind ab. Aber nicht vor seinen Gedanken. Er wusste, dass dies hier sein letzter Gang sein mochte, wenn es ihm nicht gelang, die Häuser für die Verteidigung Varas zu gewinnen. Er spürte wie sich eine Hand auf seine Schulter legte und sah auf in das Gesicht eines seiner stummen Begleiter. Aber es brauchte auch keine Worte um Sorge auszudrücken. Hatte es je treuere Seelen gegeben als diese?

,, Ab hier gehe ich alleine weiter.“ , erklärte er  und drehte einen Augenblick den schweren Gehstock in der Hand. Der Rubin auf der Spitze war abgegriffen und blind und fast so alt wie er. ,, Wer immer damit zu euch kommt, dem wird eure Treue gehören, so wie sie einst mir gehörte.“

Diese Leute lebten nur für ihn. Er wollte nicht, das ihr Lebenssinn mit ihm Endete, falls es so weit kommen sollte. Ohne sich umzudrehen erklomm er die letzten Stufen und trat durch die Türen der Halle nach drinnen.

Drei Dutzend und mehr Köpfe drehten sich sofort in seine Richtung, sobald er eintrat. Der schwere Teppich den man Quer durch den Saal verlegt hatte, dämpfte das Geräusch seiner Schritte. Die verbliebenen Thanen saßen in langen Reihen an zwei großen, rechteckigen Tischen. An deren Kopfende prasselte jeweils ein großer Kamin, dessen Flammen die winterliche Kälte aus dem Raum vertrieben. Große, halb in den Wänden versenkte Holzsäulen, die mit gerankten Mustern geschnitzt waren, trugen die Decke des Saals.

Obwohl die wenigsten Blicke denen Kasran begegnete freundlich waren, hieß er doch zumindest die Wäre willkommen, die etwas die Steifheit aus seinen Gelenken vertrieb und seine Lebensgeister weckte. Er war als letzter eingetroffen. Früher wäre ihm so etwas nicht passiert. Nun jedoch warten alle. Auf ihn, das war klar. Dies hier also sollten die letzten Verteidiger dieser Stadt werden? Er belächelte diesen Gedanken und sah wie sich Irritation auf einigen Gesichtern breit machte, als er kopfschüttelnd an ihnen vorbei trat. In Richtung des Kamins und der wärmenden Flammen.

Am Morgen waren ein halbes Dutzend Späher in die Stadt zurückgekehrt und hatten von der Streitmacht berichtet, die sich nun auf dem Weg hierher befand. Und von den Bannern, die sie trugen. Rote Hände. Blutige Hände… Und sie würden in wenigen Stunden hier sein. Und es gab nur zwei Gründe aus denen der Herr der Ordnung seine Aufmerksamkeit plötzlich ihnen zuwenden sollte. Der Kaiser war besiegt und geschlagen und die fliegende Stadt gefallen. Oder sie wussten von Galren. Dann musste sich entschieden haben ob die Zwerge sich an der Verteidigung der Stadt beteiligen würden. Kasran wusste, dass er eine Entscheidung von seinen Brüdern fordern musste. Es würde keine Debatten hierüber geben und keine Ränkespiele. Nur eine simple Aufforderung. Und doch wusste er nicht, ob er es Hadrir gleichtun konnte.

Ein Teil von ihm bewunderte den jungen König mittlerweile. Zumindest ein wenig. Er war nach wie vor ein Narr. Aber vielleicht hatten sie einen Narren gebraucht, um ihnen zu zeigen wie närrisch sie selbst mit den Jahrhunderten geworden waren.

,, Sagt was ihr zu sagen habt.“ Der Blick aller Anwesenden ruhte einzig und allein auf ihm. Sie wussten es bereits, wurde ihm klar. Vermutlich hatte sich die Nachricht mittlerweile in der ganzen Stadt verbreitet. Es war töricht gewesen zu hoffen, sie damit unvorbereitet zu treffen.

,, Ich glaube nicht, das ich euch noch klar machen muss, wie die Situation ist.“ , meinte er kühl.

,, Was soll die Situation den sein ? Die Menschen zerreißen sich gegenseitig, ihr Kaiser ist vermutlich tot. Genauso wie der König, weil er ihm gefolgt ist. Was betrifft das uns noch?“ , fragte einer und erntete zustimmendes Nicken von zu vielen Köpfen.

,, Uns  wird das gleiche Schicksal ereilen, wenn diese Stadt fällt.“ Kasran wendete sich mit einem seufzten vom Kamin ab und ließ die wärmende Glut hinter sich. Langsam Schritt er zwischen den Tischen hindurch und sah sich um.  ,, Glaubt ihr wirklich, der Herr der Ordnung wird einen Unterschied zwischen uns und den Männern des Kaisers machen? Wir kämpfen oder gehen mit ihnen unter.“

,, Und warum sollten wir für sie die Waffen erheben ?“ Diesmal sprach ein weiterer Zwerg, ein Mann in einem dunklen Talar, der das Wappen seines Hauses in goldenen Fäden zeigte. ,, Was hat dieser Kaiser je für uns getan, das wir für ihn sterben sollen ?“

Man hat euch aufgenommen, hätte Kasran am liebsten erwidert. Man hat euch Obdach und Sicherheit und sogar neue Länder gewährt und gedankt habt ihr es mit Spott und Drohungen und Verachtung. Der alte Zwerg  schloss die Augen. Wollten sie nicht sehen oder konnten sie nicht sehen? Hadrir hatte sie bereits einmal aufgefordert ihm zu folgen oder es bleiben zu lassen.  Und ob von jenen, die ihm gefolgt waren noch welche am Leben waren, stand in den Sternen. Geblieben waren die Narren. Aber es musste doch auch hier noch welche geben, die  die Wahrheit erkannten. Alles andere würde bedeuten, dass sein Volk verloren war, ob sie heute zu den Waffen griffen oder nicht. Kasran weigerte sich etwas anderes zu glauben. Und an die musste er appellieren.

,, Ich habe es euch bereits erklärt.“ , sagte er deshalb. ,, Es wird für uns keine Gnade geben, wenn wir still bleiben und abwarten.“

,, Dann sage ich wir tun das nicht.“ Ein weiterer Zwerg erhob sich, diesmal einer in einer silbernen Rüstung, mit dem Wappen einer untergehenden Sonne darauf. Auch wenn Häuser und Zugehörigkeiten mittlerweile kaum mehr etwas zu bedeuten hatten. Endlich jemand vernünftiges. Kasran nickte.

,, Nichts tun bedeutet den tot.“

,, Eben. Ich sage also beweisen wir unsere Loyalität. Wenn wir schon kämpfen… dann sollten wir auf der Seite des Siegers stehen. Auf der des Herrn der Ordnung.“

Kasrans Mimik gefror, während sich ein eiskalter Dorn in seine Seite zu bohren schien. Er blieb stehen, direkt vor dem letzten Sprecher.

,, Seit ihr wahnsinnig ?“

,, Seht es ein, alter Mann. Es gibt keinen Weg mehr diesen Kampf zu gewinnen. Also sollten wir herausschlagen was wir können. Übernehmen wir diese Stadt und bieten sie dem Herrn der Ordnung an.“ Der Zwerg schlug mit einer Faust auf den Tisch und riss eine Axt empor. Einige folgten seinem Beispiel, andere nicht. Stimmengewirr wurde laut, während Kasran kopfschüttelnd von ihm zurück wich. Er hatte vieles erwartet. Das sie stur sein würden. Oder vielleicht auch das ein kleines Wunder geschah. Aber nicht so etwas. Das war mehr als bloßer Verrat, was dieser Mann hier forderte.

,, Hadrir Silberstein hat mich als seinen Nachfolger benannt. Ihr werdet nichts dergleichen tun.“ , ermahnte Kasran sie doch seine Worte gingen im allgemeinen Aufruhr unter. Er bekam mit , wie die Türen der Halle aufflogen. Er sah ein paar seiner Gefährten und Männer der übrigen Häuser, Waffen in den Händen. Die Spannung in der Luft war mit Händen greifbar…

,, Stellt ihr die Entscheidungen eures Königs etwa in Frage ?“ Diesmal sprach Kasran so laut, das zumindest einige sich wieder zu ihm umdrehten.

,, Er hätte diese Entscheidung überhaupt nie treffen dürfen, ohne vorher den Rat der Häuser einzuholen. Wir haben keinen König mehr “  Es war der Zwerg in der Rüstung. Immerhin hatte er mittlerweile die Axt fortgelegt

,, Und was ist der Rat von Narren bitte  wert ?“ Die Worte waren heraus, bevor er über die Konsequenzen nachdachte. Im gleichen Moment stürzte sich sein deutlich jüngeres gegenüber auch schon auf ihm. Kasran  versetzte ihm einen harten Stoß mit seinem Stab, der ihn in die Stuhlreihen entlang der Tafel zurücktaumeln lies. Blut troff von einer großen Platzwunde von seiner Stirn, während er  den alten Mardar mit hasserfüllten Augen ansah. Es war, als hätte er in ein Wespennest gestochen. Von allen Seiten liefen weitere Männer herbei. Hadrir konnte das Klirren von Stahl hören, als die Männer an der Tür die Waffen zogen um sich einen Weg zu den Thanen ihrer Häuser zu bahnen und sie zu schützen. Manche von ihnen hatten bereits selbst Waffen in der Hand und gingen aufeinander los. Kasran versuchte den Handgemengen im Saal auszuweichen, so gut es eben ging. Ein weiterer Mann stürzte sich auf ihn. Der alte Thane bemerkte ihn zu spät und wurde von ihrem Zusammenprall zurück geschleudert.  Mit aller Kraft die er hatte versetzte Kasran ihm einen Schlag, hörte wie die Nase seines Gegners brach und diese zurückstolperte. Doch auch er blieb nicht unverletzt. Er hatte das Messer nicht gesehen, bemerkte es erst jetzt, als Blut seine weinroten Kleider noch dunkler färbte. Mittlerweile tobte auf ganzer Länge des Saals eine ausgewachsene Schlacht. Thanen und ihre Wächter gleichermaßen gingen aufeinander los, mancherorts stellten sie sich sogar gegeneinander und an den Türen, die nun weit offen standen lieferten sich die Nachströmenden Männer kleinere Gefechte. Kalte Luft wehte herein und ließ Kasran frösteln. Das… und der schnelle Blutverlust. Er stolperte zurück gegen eine der geschnitzten Säulen und rutschte daran herab. Seine Beine wollten ihn nicht mehr tragen. Sein Rubinstab fiel neben ihm zu Boden, das Juwel splitterte, als es ungebremst auf dem Boden aufschlug. Fassungslos und schwer atmend  sah Kasran zu, wie seine Bemühungen zu Staub zerfielen. Aber  noch war es nicht entschieden, dachte er. Und er konnte nur hoffen, dass jene, die sich lieber dem Herrn der Ordnung anschließen würden in der Unterzahl waren. Es durfte nicht so weit kommen. Er musste hier raus, musste sicherstellen, dass er die Häuser sammelte, die sich lieber ihm anschließen und die Stadt verteidigen würden. Nun auch gegen ihre eigenen Brüder. Aber er konnte sich nicht bewegen und insgeheim wusste er auch, dass er diese Hallen nicht mehr verlassen würde. Eine kleine Blutpfütze hatte sich um ihn gebildet, durchtränkte nun auch die Hosenbeine. Er würde keine Antwort mehr auf seine Frage erhalten. Aber noch waren sie nicht verloren. Nicht ganz… Aber er? Am Ende seines Lebens hatte er mit allem versagt was er hatte erreichen wollen.  Kasran bekam nur am Rande mit, wie das Dach über ihnen splitterte. Eine Kanone ? Aber sie hatten keine hier und auch keine Magier. War die Armee des Herrn der Ordnung schon hier?  Sein Volk war im Begriff sich selbst zu zerfleischen während die wahren Wölfe vor ihren Toren lauerten…

 

Kapitel 79 Eine Entscheidung

 

 

 

 

,,Herr… wie lauten eure Befehle ?“

Kellvian fand sich einen Moment unfähig zu antworten, während er auf die Szenerie unter ihm starrte. Sie hatten Vara erreicht. Grade eben  ging die Sonne über der Stadt auf und ließ die weiß getünchten Häuserreihen und die Dächer der Universität darüber leuchten. Und wie es schien waren sie grade rechtzeitig eingetroffen. Unter ihnen am Fuß der Hügel die die Stadt umgaben sammelte sich die Armee aus Kultisten und Geweihten, wie ein Meer aus Leibern. Und noch waren nicht einmal alle angekommen. Was aus der Ferne wie eine dünne Nabelschnur wirkte, die sich zwischen den Hügeln hindurch ins Hinterland der Stadt Wand, waren immer noch hundert Mann starke Reihen aus bewaffneten Männern. Die Nachhut ihres Feindes.

Kellvian und seine verbleibenden Männer hatten sich hingegen auf den Kuppen der Hügel verteilt, dort wo der Wald sie noch verbarg. Hartgefrorene Schneebretter, die unter den Hufen seines Pferdes krachend zerbrachen,  hielten sich in den Schatten unter den Bäumen, doch an ihren Zweigen schimmerten bereits die ersten, grünen Knospen. Das Frühjahr war nicht mehr fern.

 Noch hatte man sie nicht entdeckt, dachte er. Aber was änderte das. Es waren zu viele, dachte er. Viel zu viele. Das hier würde ihr Ende werden, wenn sie sich ihnen im direkten Kampf stellten. Sie waren zu wenige, würden verschlungen werden wie eine Motte von den Flammen eines Feuers, wenn sie ihnen zu nahe kam. Aber das war eigentlich auch nicht der Plan gewesen. Noch standen die Geschütze, die sie mit sich gebracht hatten im Schutz der Bäume verborgen. Einhundertfünfzig geschmiedete Läufe, genug, das ihnen kaum die Männer blieben auch alle Kanonen zu besetzen. Und noch wirkte es nicht so, als hätte die Armee im Tal sie bemerkt. Würden sie jetzt angreifen wäre das Chaos vollkommen. Die Geschütze würden ihnen den Großteil der Arbeit abnehmen und während ihre Gegner noch versuchten herauszufinden, woher der Angriff kam, könnten sie bereits unter ihnen sein. Sie konnten siegen. Aber nur wenn sie bereit waren, alles auszulöschen, was sich zwischen der Stadt und ihnen befand.  Ein Schrapnell unterschied nicht zwischen Freund und Feind, dachte Kellvian bitter. Und wenn Janis dort unten war, würde auch er sterben. Hatte Melchior das gemeint? Kellvian wusste es nicht genau aber er konnte sich auch keine Zweifel erlauben nicht jetzt. Aber wenn es nur die geringste Chance gab, dann musste er ihn vorher finden und in Sicherheit bringen…

,, Herr ?“ Erneut drang Syles Stimme wie aus weiter Ferne zu ihm heran. Der Hochgeneral ging zu Fuß neben ihm, dennoch musste er sich kaum strecken um Kellvian an der Schulter zu rütteln. ,, Eure Befehle ?“ Die Stimme des Bärs war eindringlich. Er konnte die Nervosität darin spüren und auch die Furcht der Männer um sich herum. Was sollte er tun?

Wenn Janis noch lebte,  war er dort unten, das wusste Kellvian einfach. Vermutlich als Gefangener, sonst wäre er doch längst zu ihnen zurückgekehrt.  Melchior hatte gemeint er müsse sich entscheiden. Aber er würde sterben wenn er sich an einer Befreiung versuchte. Und viele würden mit ihm fallen, wenn es nicht sogar das Ende Varas bedeuten würde. Einen Moment schwankte er im Sattel, als ihn ein Fieberschauer überlief. Kurz wurde ihm schwarz vor Augen und mit zittrigen Händen entkorkte er ein kleines Fläschchen das Symia ihm gegeben hatte. Achtlos schluckte er den gesamten Inhalt und zumindest für den Moment wich der Nebel, der sich über ihn legen wollte wieder zurück. Es war ein übelriechendes Gebräu und schmeckte noch schlimmer. Aber bald würde das alles keine Rolle mehr spielen. So oder so, Kellvian bezweifelte, das ihm noch viel Zeit blieb.

Nur hieß das auch, dass er seine restlichen Männer opfern musste? Er konnte Jiy ohnehin nicht mehr unter die Augen treten. Und nun Janis zu opfern… Seine Entscheidung viel. Das kam nicht in Frage,
Rasch wendete er das Pferd und drehte sich zu seinen wartenden Männern um. Gefasste Gesichter sahen ihm entgegen. Andere waren nervös, manche schienen nur mehr ins Leere zu starren

Irgendwie war er in das gleiche Dilemma geraten in das er ihren Feind geglaubt hatte. Er wagte es nicht das Feuer zu eröffnen aus Angst, etwas Wertvolles zu verlieren…

,, Wir greifen an und stellen uns ihnen direkt. Alle Männer die nicht an den Kanonen gebraucht werden, folgen mir ins Tal.“

,, Kellvian ?“ Syles Stimme war nur ein Flüstern. Es war das erste Mal seit langem, dass er ihn beim Namen nannte.  Der Gejarn sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren und vielleicht hatte er das ja auch. Aber es gab kein Zurück mehr.

,, Ich muss das tun, alter Freund.“ , erklärte er nur ebenso leise, bevor er sich wieder an die wartenden Gardisten wendete. ,, Einen Kanonensalve über ihre Köpfe hinweg direkt in ihre Reihen sollte uns einen Weg bahnen . Aber ich will dass die Geschütze sparsam eingesetzt werden. Schneidet ihrer Nachhut den Weg ab, aber  feuert nur wenn es sein muss.“

Die Männer nickten, stellten keine Fragen mehr. Noch immer vertrauten sie ihm, hofften sie auf ihn…  Und doch hatte er grade beschlossen viele von ihnen in den tot zu führen.

,, Hadrir.“ Der Zwerg hielt sich mit seinen verbliebenen Getreuen etwas abseits der Hauptstreitmacht. Schwer auf sein Schwert und den Hammer gestützt sah er auf, als er Kellvians Stimme hörte. ,, Ich will das ihr und eure Leute versucht euch einen Weg in Richtung Stadt frei zu kämpfen. Vielleicht können die übrigen Zwerge uns helfen. Und versucht auch Zyle zu finden. Wir werden jedes Schwert brauchen das wir bekommen können, wenn wir diesen Tag überleben wollen. Bereitet mit ihnen einen Ausfall vor. Wenn wir sie in die Zange nehmen und in unsere Geschütze treiben können, haben wir eine Chance.“ Und bis dahin musste er Janis gefunden haben.

,, Und ihr, Herr ?“ , fragte der Zwerg.

,, Ich habe eine andere Aufgabe zu erfüllen. Die restlichen Männer folgen mir. Syle…“

Der alte Bär brummte ungehalten. ,, Wagt es erst gar nicht mich irgendwo anders hinschicken zu wollen. Ich bleibe an eurer Seite… und stelle sicher dass wir beide aus diesem Irrsinn wieder rauskommen.“

Kellvian lächelte unbewusst und traurig. Nicht heute, dachte er. Heute würde ihn nichts retten können.

,, Dann bringen wir das zu Ende.“

Syle nickte. ,, Meine Herren, ihr habt den Kaiser gehört.“ Der Gejarn winkte einen Mann heran, der ein Pferd hielt,  und schwang sich umständlich auf den Rücken des Tiers. Es war ihm anzusehen das ihm nicht ganz wohl in seiner Haut war, mit den Füßen über dem Boden. Mit einem Aufschrei, der von hunderten Kehlen aufgegriffen wurde, gab er das Signal zum Angriff und die kleine Armee setzte sich den Hang hinab in Bewegung. Ein letztes Mal warf Kellvian einen Blick zu der Stadt hinab, die im Augenblick noch so friedlich wirkte, dann beugte er sich über den Hals seines Pferds und bemühte sich nur noch darum, im Sattel zu bleiben und das Schwert nicht zu verlieren. Er war nicht in der Lage groß Wut oder Angst zu empfinden, als sich die ersten Kultisten nach ihnen umdrehten. Einige Dragoner preschten vor und feuerten Blind in ihre Reihen. Einige Männer unter dem Banner der Hand des Heiligen schwankten oder brachen zusammen. Nun trennten nur noch wenige Schritte ihre Reihen und die ersten Männer erwiderten das Feuer. Eine Kugel jagte an Kellvian vorbei und traf den Mann direkt hinter ihm. Der Reiter sackte im  Sattel zusammen und rutschte vom Pferd, geriet unter die Hufe der folgenden Tiere. Immer mehr Blei füllte die Luft, auf beiden Seiten. Männer stürzten, Pferde rutschten aus… Wenn sie Pech hatten würde ihr Angriff bereits im Keim erstickt werden.

Dann jedoch übertönte der Donner von hundertfünfzig Kanonen alles andere. Schlachtlärm und Schreie und Gewehrfeuer verklangen und gingen endgültig unter, als die ersten Projektile in die Reihen ihrer Gegner krachten. Männer wurden meterweit geschleudert, Schlamm und Dreck spritzten hoch. Ein Geweihter von der Größe eines Baumes wurde am Kopf getroffen, der in einer Fontäne aus schwarzem, teerartigem Blut verschwand. Schrapnelle und Erdstücke regneten immer noch auf die Reiter hinab, als sie schließlich durch das brachen,  was von den vorderen Reihen der Kultistenarmee geblieben war. Kellvian streckte einen Mann nieder, der von einem Krater zurück stolperte , fand sich plötzlich auf offenem Feld zwischen einem kleinen Wäldchen und der Stadt.

Er sah sich um, sah Hadrir, der sich ihnen zu Fuß angeschlossen hatte und mit seinen Männern einen Keil in die verbliebenen Kultisten vor der Stadt schlug. Der Rest der Armee jedoch strömte nun auf sie zu, drohte sie schlicht zu umschließen, wenn sie nicht in Bewegung blieben.

Syle erkannte die Gefahr offenbar ebenfalls, denn er winkte den Männern zu, sich zurückfallen zu lassen und sich in Richtung der Bäume zurück zu ziehen.

,, Mir nach.“

Wenn sie es bis dorthin schafften konnten sie sich hoffentlich neu formieren und zumindest etwas Wiederstand leisten. Hier auf offener Fläche jedenfalls würde die Übermacht ihrer Gegner in jedem Fall den Ausschlag geben. Weitere Kanonenkugeln segelten vom Himmel herab, rissen erneut Lücken in die näher rückenden Reihen ihrer Gegner und verschafften ihnen so zumindest kurz eine Atempause. Genug Zeit, damit die ersten im Schatten des Waldes verschwinden konnten. Kellvian stieg vom Pferd und ließ das Tier zurück, während er sich hastig weiter umsah. Kein Zechen von Janis oder einen Hinweis darauf, dass er überhaupt hier war. Das war nicht gut. War es am Ende doch ein Fehler gewesen, die Gelegenheit nicht beim Schopf zu packen und die Kultistenarmee aus der Ferne anzugreifen? 

Kellvian wich mit den anderen unter die Bäume zurück. Er konnte sehen wie die Gardisten sich zerstreuten und über die verstreuten Überreste dessen herfielen, was einst die vorderen Schlachtreihen ihrer Gegner gewesen waren. Der Schnee, der sich im Schatten unter den Zweigen gehalten hatte, färbte sich rot. Überall um ihn herum wurde gekämpft, fielen Männer. Er konnte nicht einmal genau sagen, welche Seite im Augenblick die Oberhand haben mochte.

Ein schwarzer Schatten stürzte sich mit erhobenem Schwert auf ihn. Rubine glitzerten im Sonnenlicht am Knauf der Waffe. Kellvian wurde zu Boden gerissen, rollte sich ab und kam, das Schwert in der Hand auf die Füße. Mit einem Hieb trieb er seinem unbekannten Gegner die Klinge in die Seite, dort wo dessen Kürass nicht ganz abschloss. Syle erledigte den Rest. Der Bär war plötzlich wieder an seiner Seite, legte mit der Muskete an…  doch der Schuss, der schließlich durch den Wald hallte, kam nicht aus der Mündung seiner Waffe.

Der verletzte Fremde war wieder auf die Füße gekommen und hielt nun eine rauchende Pistole in der freien Hand. Syle schwankte getroffen. Blut sickerte aus einer, für seine Körpergröße geradezu lächerlich klein wirkenden, Wunde in seiner Brust und färbte die blaue Uniform violett. Kellvian hatte nicht die Kraft ihn aufzufangen, als er stürzte, konnte seinen Fall nur etwas bremsen, während das Gewicht des Bärs ihn zu Boden zog. Einen Moment traf sich sein Blick mit dem des Fremden.

Dieser sah scheinbar ungerührt zu, während er die Pistole wegwarf und erneut das Schwert hob. Aber er griff noch nicht an, schien unsicher. Kellvian fand es schwer einzuschätzen, was in dem Mann vorging. Der Helm den er trug ließ kaum mehr als seine Augen erkennen. Der dunkle Panzer den er trug wirkte altmodisch, mit dem Symbol einer roten Hand darauf. Und in das Metall geritzt  war noch ein anderes Symbol… Ein toter, schwarzer Baum. Ein kalter Schauer lief seinen Rücken hinab, eine düstere Vorahnung auf das was folgen mochte. Er wusste, dass er soeben seinem Schicksal in die Augen sah, doch nicht, welche Form dieses haben würde.

Vorsichtig legte Kellvian Syle eine Hand auf die Brust. Der Bär amtete noch. So schnell brachte ihn nichts um, dachte er, während er sich langsam erhob. Aber Syle würde warten müssen. Kellvian hob das Schwert wieder auf, das er zuvor hatte fallen lassen und trat dem Unbekannten entgegen. Seine Beine waren schwer, seine Glieder lahm und das Fieber brannte weiter in ihm. Aber noch war es nicht vorbei. Noch hatte er eine Aufgabe zu erfüllen… Und aus diesem Wissen zog er genug Kraft sich weiter auf den Füßen zu halten.

 

 

Kapitel 80 Kellvians Ende

 

 

 

 

Janis hielt sich die verletzte Seite. Blut quoll unter seinen Fingern hervor und lief die Außenseite seiner Rüstung herab.  Abwartend sah er zu, wie der Kaiser sich von der Seite des gefallenen Gejarn erhob und ihm entgegentrat. Einen Moment schwankte der Mann, so als hätte er Probleme, das Gleichgewicht zu halten, dann jedoch trat er ihm entschlossen entgegen.

Das war worauf er gewartet hatte. Eine Gelegenheit, Kellvian Belfare zu stellen und ein paar Antworten zu erhalten. Aber es sah nicht so aus, als würde dieser Mann ihn ohne einen Kampf begleiten oder hatte auch nur sonderlich Lust sich mit ihm zu unterhalten.

,, Wisst ihr, wer ich bin ?“ , fragte er, ohne das er wirklich eine Antwort erwartet hätte.

,, Ein weiteres Werkzeug eures dunklen Gottes.“ Kellvians Stimme war düster und von Wut gezeichnet. Um sie herum waren die Wälder mittlerweile trügerisch Still geworden. Nur in der Ferne hallten noch Schüsse und Rufe doch unter den Zweigen war es still, bis auf den Schnee der unter ihren Stiefeln knirschte. Offenbar hatte die Schlacht sich wieder auf die Ebene hinaus verlagert, obwohl Janis sich insgeheim fragte, wie ein paar Gardisten ihre Streitmacht so lange aufhalten konnten. Er hatte den Angriff kommen sehen und wie die knapp fünfhundert Mann die Hügel um die Stadt herab gekommen waren. Welcher Wahnsinn hatte en Kaiser denn geritten einen solchen Angriff zu wagen?   Langsam umkreisten sie sich, zogen furchen durch den gefrorenen Untergrund. Der Kaiser griff zuerst an und obwohl seine Bewegungen zuvor noch strauchelnd und unsicher gewirkt hatten, blieb Janis grade genug Zeit den Schlag zu parieren. Als er die Arme hob bohrten sich glühende Nadeln in seine Seite und Blut quoll aus dem Schnitt hervor. Sie waren sich immer noch mehr als ebenbürtig. Janis stieß die Waffe seines Gegners beiseite und ging nun seinerseits zum Angriff über. Stahl traf klirrend in rascher Folge auf Stahl, bis er seinem Gegner endlich selbst eine Wunde beibrachte, ein kleiner Schnitt nur am Arm, aber er würde den Kaiser langsamer machen. Janis wollte ihn nicht töten, nicht bis er ein paar Antworten hatte, aber er würde auch nicht stehen bleiben und sich von diesem Mann in Stücke hacken lassen. Und das würde unweigerlich geschehen wenn er seine Konzentration auch nur für einen Moment verlor. Selbst für diese kurze Ablenkung zahlte er sofort mit seinem Blut,  als sein Gegner unbeirrt der Verletzung nachsetzte und ihm eine Wunde über den Rippen beibrachte. Janis traf ihn seinerseits am Bein, fand eine Lücke in der Panzerung und trieb seine Waffe hinein, so dass der Kaiser einen Moment in die Knie ging. Endlich bot sich eine Lücke, dachte Janis, als er die Waffe erneut hob um sie auf die Schwerthand seines Gegners herabsausen zu lassen. Doch erneut reagierte Kellvian scheinbar ohne die Wunden die Janis ihm beibrachte überhaupt zu spüren, parierte den Hieb und kam wieder auf die Füße. Angeschlagen wankten sie beide einen Moment  zurück. Kellvian atmete schwer. Der Schnee war von roten Flecken gesprenkelt und aufgewühlt. Erde und totes Laub hatten sich hinein gemischt. Ein Ring aus Farbsplitter in Gold und schwarz umgab sie, ihre Rüstungen waren von Kratzern und dellen übersäht. Und die  Wunden machten sie beide langsamer, ungelenk. Kellvian konnte die Klinge nur noch mit einer Hand führen als er erneut zum Angriff überging.

,, Wer seid ihr ?“ , verlangte er zu wissen, ohne auch nur einen Moment in seinen Bemühungen nachzulassen.  Janis parierte einen Hieb, wirbelte herum nur um erneut nur das Klirren von Stahl auf Stahl zu hören. Ausdauer würd ein diesem Kampf den Ausschlag geben und er fürchtete zunehmend, das der Kaiser sich als der Sieger erweisen könnte.

,,Das wollte ich euch fragen.“  Janis eigener Atem ging schwer und er erkannte seine eigene Stimme kaum wieder. Angespannt bis aufs äußerste und doch erschöpft. Das hier war mehr als er erwartet hatte und er wusste, dieses Mal sah er dem Tod ins Auge. Dieser Mann würde ihm keine Gnade gewähren. Der Blutverlust ließ Janis schwindeln und er hatte Mühe, die Hiebe seines Gegners weiterhin zu parieren. Er stolperte über eine Baumwurzel, schlug in den Schnee und warf sich herum um der herabsausenden Klinge seines Gegners noch zu entgehen. Das Schwert bohrte sich neben ihm ins Erdreich, während er sich umständlich wieder aufrichtete

,, Wollt ihr mich verspotten ?“ , fragte der Kaiser, der träge die Waffe wieder aus dem Boden zog. Blut lief nun auch die zwischen den Gelenken  seiner Rüstung hinab, schien von einer Wunde zu stammen, die Janis ihm nicht geschlagen hatte. Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er erneut zum Angriff über. Ihre Hiebe waren nur noch halbherzig geführt. Dennoch gelang es dem Kaiser immer wieder, ihm tiefe Schnittwunden beizufügen. Janis hingegen blieb kaum mehr, als zurück zu weichen und seinem Gegner hier und da eine bestenfalls Oberflächliche Verletzung zuzufügen. Und doch schwankte der Kaiser mittlerweile bedrohlich, als würden ihm die vielen kleinen mehr zusetzen, als sie sollten. Alle beide waren sie am Ende ihrer Kräfte angelangt und Janis musste jedes Mal wenn er das Schwert  hob die Zähne zusammenbeißen. Ein weiterer Hieb und der Griff der Klinge entglitt seinen Händen, landete zu seinen Füßen im Schnee.

Er sah Stahl über sich aufblitzen, als seine Beine endgültig unter ihm nachgaben. Und doch war es nicht sein nahender Tod, der ihn in diesem Augenblick beunruhigte. Noch immer hatte er keine Antwort und er würde keine mehr bekommen. Sollte er wirklich sterben ohne je die Wahrheit zu erfahren?

,, Wer bin ich ?!“ Er schrie dem Kaiser die Worte entgegen, hoffte nicht mehr, das sie etwas bewirken würden. Aber er wollte sie loswerden.  Es war diese eine Frage, die in seinem Verstand brannte, seit er im roten Tal erwacht war, die ihn seit Monaten quälte. Es war die Frage für die Amatheris  gestorben war, es war die Frage die Träumer ihm nie beantworten konnte und die der rote Heilige nicht beantworten wollte. Und der letzte Mann, der die Wahrheit wissen könnte stand hier vor ihm und sollte sein Henker sein?  Doch der tödliche Schlag blieb aus. Verwundert sah er auf und stellte fest, dass das Schwert über ihm verschwunden war. Der Kaiser trat langsam einen Schritt von ihm zurück, sah ihn verwundert an.

,, Warum fragt ihr mich das ? Woher soll ich das wissen?“

,, Ihr wollt also sagen, das ihr mich nicht kennt ?“  Mit zittriger Hand löste Janis das Visier seines Helms. Selbst das dünne Stück Eisen schien ihm viel zu schwer. Resignation wollte sich breit machen. Er würde hier sterben und seine letzte Hoffnung sich als Täuschung erweisen.  Einen Moment war da nur Verwirrung auf dem Gesicht seines Gegenübers zu sehen. Verwirrung und Unglaube.

Janis nutzte den Moment um zumindest wieder auf die Füße zu kommen. Das verlorene Schwert war vergessen, der Kampf vorbei. Das wusste er, noch ehe der Kaiser das Schwert fallen ließ und einen wankenden Schritt auf ihn zumachte.

,, Janis ?“ Er hatte selten so viel Schmerzhaftes Wissen, so viel Trauer, Angst und auch unterschwellige Wut in einem einzigen Wort gehört. ,, Götter was machst du nur hier ?“

Janis wich nicht zurück, als der Mann eine Hand ausstreckte und seine Wange berührte. Er ließ es zu, obwohl er es nicht verstand. Liebe und vielleicht auch eine stumme bitte um Verzeihung sprachen aus dieser Geste, ließen ihn nur mit immer mehr Fragen zurück, die er nicht aussprechen konnte. Und das wachsende Gefühl, betrogen worden zu sein. Um alles von allem. Bis zu diesem einen Moment hier, war alles eine  Lüge gewesen? Der rote Heilige hatte ihn belogen was den Kaiser anging, das schien klar. Dieser Mann war kein Monster, kein Tyrann. Der einzige Fehler dem er diesem Mann vorwerfen konnte war, dass er nicht an seinen Gott glaubte. Und dies alles hier, dieser ganze Irrsinn.

,, Ihr kennt meinen Namen…“ Seine eigene Stimme war nur ein Flüstern doch der Mann ihm gegenüber, der Kaiser, Kellvian lächelte nur. Ein trauriges Lächeln, aber echt.

,, Götter was hat man dir angetan . Erinnerst du dich nicht an mich… Sohn ? Janis ?“ Kellvian packe ihn an der Schulter, schüttelte ihn als könnte er so irgendwie die Wahrheit begreiflicher machen. Janis spürte, wie seine Beine erneut unter ihm nachgeben wollten. Nein… nein, nein. Das konnte nicht sein und doch… Er kannte diesen Mann, dachte er, er kannte ihn und einst hatte er ihn mit Stolz Vater genannt obwohl sie nicht vom selben Blut waren. Alles schien weit fort zu sein, während die Erkenntnis ihn überrollte. Jetzt  wo der Damm seiner Erinnerungen einmal gebrochen war stürzte alles in rascher Folge auf ihn ein. Die fliegende Stadt, Kellvian, Syle, Lucien, Galren, der rote Heilige…  was in seinem Kopf zuvor nur unzusammenhängende Puzzlestücke gewesen waren, fiel an seinem Platz , er gab endlich Sinn und als er verstand wie sehr er betrogen worden war, wünschte er sich fast das Vergessen zurück. Es war einfacher, besser, als mit dem hier zu leben…

,, Es tut mir leid.“

,, Ich weiß.“ Er wusste nicht, wie lange sie so dastanden, nur eine Armlänge voneinander entfernt. Es konnte nicht lange gewesen sein doch Janis kam es wie eine Ewigkeit vor. Eine Ewigkeit in der er sein ganzes Leben erneut durchlebte, alle glücklichen Stunden… und jeden fatalen Fehler, jeden Augenblick der Schwäche… Doch am Ende lächelte Kellvian nur. Janis wollte etwas sagen, wusste aber nicht was. Ihm blieb nur den Kaiser aufzufangen, als  dieser plötzlich nach vorne kippte, gegen Janis, der ihn kaum halten konnte. Und jetzt spürte er auch die Hitze die vom Körper dieses Mannes ausging und ihm wurde klar, dass er sich eben wohl nur noch durch bloßen Willen auf den Beinen gehalten hatte.  Kellvian glühte vor Fieber und doch blieb Janis nur, ihn  vorsichtig auf dem schneebedeckten Boden zu betten, als er ihn nicht mehr halten konnte und zuzusehen, wie die letzten Atemzüge des Kaisers verronnen. Es dauerte nicht lange. Janis fühlte nichts dabei, kein Gefühl, das er festmachen konnte.  Nur leere. Er hatte diesen Mann eben erst kennen gelernt wie es schien und nun war er bereits fort. Danach wankte er schlicht zurück, eine Blutspur hinter sich herziehend. Nach wie vor strömten die Erinnerungen auf ihn ein, sorgten dafür, dass sich alles um ihn zu drehen schien. Und mit den Erinnerungen kam auch immer mehr die Trauer.  Er hatte den Kaiser getötet. Seinen Vater. Hatte er überhaupt noch das Recht von diesem Mann als Vater zu denken?  Und Syle ? Lebte der Gejarn noch?  Götter, was hatte er getan… Er fühlte sich elend, floh, stolperte von der Leiche des Kaisers fort. Er kam nicht besonders weit, bevor er im Schnee zusammen brach und sich mit letzter Kraft auf den Rücken drehe. Die Sonne schien zwischen den Blättern der Bäume hindurch und auf ihn herab. Einzelne Schneeflocken lösten sich von ihren Zweigen und sanken um ihn herum zu Boden während sich eine Blutlache um ihn herum ausbreitete. Er bekam es kaum mit. Dazu schien ihm der Anblick über ihm zu schön. Der blaue Himmel, die ersten grünen Knospen die sich unter dem Schnee abzeichneten. Und es war still, ruhig bis auf das Zwitschern einiger Vögel, die sie um das Drama zu kümmern schienen, das sich hier abgespielt hatte. Er lächelte. Auch der Schlachtlärm war verklungen. War Vara also gefallen? Wenn, dann waren sie verloren. Aber das war er zumindest so oder so. Ob wissentlich oder nicht, er hatte alles verraten, für das er eigentlich hatte eintreten wollen. Die fliegende Stadt lag in Trümmern und wenn nun auch noch die Herzlande fielen, wäre der Sieg des roten heiligen vollkommen. Genauso wie sein Versagen. Vielleicht war sein tot hier die bessere Möglichkeit. Er konnte ohnehin niemandem mehr unter die Augen treten, nicht Galren und dessen Gefährten, nicht Syle... nicht seiner Mutter.

Die Zeit schien zäh geworden zu sein wie Honig und als seine Augen schließlich zufielen, war es ihm als seien bereits Stunden vergangen, das Licht über den Zweigen verloschen. Oder vielleicht war es auch nur ein Schatten, der über ihm auftauchte, ein großer, unheilvoller Schatten, der sich neben ihn hockte. Er war so groß, das die Sonne gänzlich aus seinem Blickfeld verschwand. Das letzte was Janis  spürte war, wie er den Kontakt zum Boden verlor und scheinbar flog. Danach waren da nur noch Dunkelheit und düstere Träume.

 

 

 

 

Kapitel 81 Verlorengeglaubter König

 

 

 

Hadrir rannte durch die Stadttore, während seine verbliebenen Männer ihm auf den Fersen folgten. Zum Glück hatten die Wachen die Tore geöffnet, sobald sie gesehen hatten, wer sich ihnen da näherte. Zwar hatten sie und die Gardisten eine Schneise der Verwüstung durch die Reihen der Kultisten getrieben, aber wo immer einer fiel, schienen bald zwei nachzurücken. Von seinen Zwergen blieb bald jeder zehnte auf den Feldern vor Vara zurück und die Gardisten, die noch verbissener Kämpften hatten noch einen deutlich höheren Blutzoll entrichtet. Schwer atmend lehnte er sich gegen das Holz, als die schweren Flügeltore wieder hinter ihnen zu fielen und damit eine Barriere zwischen der immer noch tobenden Schlacht und  ihnen schufen. Aber lange Zeit auszuruhen blieb ihm nicht. Ungläubig starrte er auf das Bild das sich ihm bot.Der gesamte Platz vor ihm war in Aufruhr und das nicht wegen der Armee vor ihren Toren.  Stadtwachen , Zwerge und auch einige Paladine lieferten sich überall kleine Gefechte. Manche kämpften gegen, andere miteinander .Aus einer Seitenstraße tauchten einige Zwerge verschiedenster Häuser auf, die den Stadtwachen in den Rücken fallen wollten, welche den Torplatz hielten, andere stellten sich ihnen entgegen. Teilweise konnte Hadrir beobachten wie Zwerge aus ein und derselben Familie die Klingen kreuzten. Der große Brunnen auf der Mitte des Platzes war zerbrochen und Wasser ergoss sich über die Pflastersteine und versickerte dort, vermischte sich mit Blut.  Niemand schien wirklich Augen für ihn und seine Männer zu haben, während er sich mit wachsendem entsetzten umsah. Entsetzen… und Wut.

,, Was bei allen Unsterblichen ist den eigentlich los hier ?“ Seine Stimme hallten wie Donnergrollen über den Platz, veranlasste endlich einige der Kämpfenden, sich zu ihm umzudrehen. Immer mehr senkten die Waffen, starrten ihn wortlos an und auch die Stadtwachen hielten zumindest inne und nutzten die kurze Pause um sich wieder zu sammeln und den Platz abzuriegeln. Hadrir drängte sich achtlos durch ihre Reihen hindurch, gefolgt von einem Dutzend Zwerge die sich ihm als Leibwächter Angeboten hatten. Ihre Panzer klirrten, während sie Stadtwachen achtlos bei Seite schoben. Im Gegensatz zu den kaum gepanzerten Wachen und den nur improvisiert bewaffneten Zwergen  hinterließe sie einen bedrohlichen Eindruck, der durch die einsetzende Stille nur verstärkt wurde. Hadrir hingegen griff sich den ersten Zwerg, der nicht zurückwich und riss ihn zu sich herum.

,, Ich habe gefragt, was hier vor sich geht !“

Der Mann sah ihn immer noch an, als hätte er einen Geist vor sich. ,, Wir… wir dachten alle ihr seid tot.“ , stammelte er . Hadrir ließ ihn endlich los, bezwang die hochkochende Wut etwas. Er hatte mit vielem Gerechnet, das sie sich weigern würde zu helfe, das sie ihn nicht mehr anerkennen würden… Aber das hier ? War sein gesamtes Volk wirklich verrückt geworden?

,, Das habe ich nicht gefragt. Und hört auf mich anzustarren. Erklärt mir lieber, wieso ihr euch hier gegenseitig bekämpft, während der eigentliche Feind vor unseren Toren steht.“ Schweigen war die einzige Antwort die er erhielt. Sie hatten tatsächlich nicht damit gerechnet, dass er zurückkehren würde, wurde ihm klar. Nun er hatte es ja selber nicht geglaubt. Und jetzt wurde ihnen offenbar plötzlich selbst klar, welcher Wahnsinn sie da eigentlich geritten hatte.  Hadrir seufzte schwer. ,, Nun da euch meine Rückkehr offenbar alle in Gefährten verwandelt hat, sagt mir wenigstens wo euer Herr ist. Wo ist Kasran ?“

,, Ich… ich glaube noch in der Versammlungshalle. An der Universität.“ , meldete sich schließlich einer der Zwerge zu Wort, während er betreten zu Boden sah. ,, Aber die Paladine halten den Eingang des Gebäudes und… wir wissen alle nicht was vor sich geht. Plötzlich haben ein paar Häuser einfach angegriffen und…“

,, Wenn ich Ausreden hören will, frage ich danach. Also gut. Ich gehe ihn suchen.“ Er gab seinen zehn Begleitern ein Zeichen. ,, Ihr kommt mit. Der Rest bleibt hier und hält die Mauern. Und zwar ohne sich dabei gegenseitig umzubringen…“

Damit trat er ohne ein weiteres Wort an den erstarrten Zwergen vorbei und machte sich auf den Weg durch die Stadt. Überall tobten weitere kleine Kämpfe, die sich jedoch bald auflösten, je weiter sich die Nachricht von seiner Rückkehr verbreitete. Einige Narren schienen die Waffen trotzdem nicht niederlegen zu wollen, bis sie schließlich das dutzend schwer gerüsteter Kämpfer sahen, das ihn begleitete. Unsterbliche, er hätte nie gedacht, das es einmal so weit kommen würde. Oder vielleicht hatte er es auch einfach nicht wahrhaben wollen? , fragte er sich, als er durch die verwüsteten Straßen Schritt. So oder so. Seine Geduld mit seinem Volk war an jenem Tag zu Ende gewesen in dem sie aus der fliegenden Stadt geflohen waren.

Eine bekannte Gestalt, die aus einer Seitenstraße rannte, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er erkannte Elin und auch die Handvoll Zwerge die ihr folgten, Waffen in den Händen. Die meisten jedoch wichen sofort zurück als sie Hadrir sahen. Und auch das Gejarn-Mädchen blieb stehen, selbst ein Messer in der Hand. Hadrir machte sich gar nicht erst die Mühe, lange mit ihnen zu reden.

,, Zum Tor mit euch.“ , rief er nur. ,, Sammeln und haltet euch für einen Ausfall bereit. Und betet, das ich euch nachher auch noch dort finde.“

Die Zwerge sahen sich einen Moment nur unsicher an, dann rannten sie endlich los und ließen nur Elin zurück. Zumindest sah es einen Moment so aus , doch ehe Hadrir dazu kam, sie zu fragen was  sie hier machte, tauchten Galren und zwei weitere Gejarn hinter ihr auf, einer ein schwarzer Wolf mit einer Augenklappe und die andere eine Luchsin mit schneeweißem Fell. Ihre Eltern, meinte er sich zu erinnern auch wenn er den beiden bisher bestenfalls nur flüchtig über den Weg gelaufen war

Aber immerhin, wenn die vier noch hier waren, dann waren sie nicht zu spät. Und der rote Heilige würde Galren nicht bekommen solange noch ein Zwerg auf den Füßen stand und wenn er die Thanen der anderen Häuser erst persönlich aufs Schlachtfeld zerren musste, dann sei dem ebenso. Sie konnten in diesem Kampf das Zünglein an der Waage sein, besonders seit dem er wusste, wie die Geweihten auf sie reagierten.

,, Alles in Ordnung ?“ , fragte er nur ohne großartig langsamer zu werden. Die vier schlossen sich ihnen ohne ein Wort an.

,, Nur dank euch. Die waren uns dicht auf den Fersen.“ , meinte Galren.

,, Euer Volk ist ziemlich verrückt.“ Elin schenkte ihm ein düsteres Grinsen, das zeigte, dass sie das alles gar nicht so witzig fand.

,,Ich weiß.“ Und eigentlich hätte er sich das schon vor einem Jahr eingestehen können, dachte Hadrir. Aber für Reue blieb jetzt keine Zeit. ,, Hört zu ich muss Kasran und die übrigen Thanen finden.“

,, Die sind vermutlich noch in der Versammlungshalle.“ , bemerkte Cyrus. ,,  Aber die Universität ist immer noch umkämpft. Wir…“

,, Ich bringe ihn hin.“ Elin ließ ihren Vater erst gar nicht aussprechen.

,, Das ist…“

,, Ich sagte ich bringe ihn hin. Und außerdem haben Kasran und ich noch ein Hühnchen zu rupfen. Vor allem wenn er für das alles hier verantwortlich ist. Ihr findet besser die Kaiserin und sorgt dafür das Galren nicht wegläuft.“ Für die kleine Gejarn schien die Sache damit entschieden, denn sie lief einfach weiter, während ihre Eltern und Galren am Rand der Straße stehen blieben und ihnen nachblickten. Galren dabei wohl mehr verdutzt als die letzten beiden, die sich eher einen amüsierten Blick zuwarfen.

,, Und deshalb kann es immer schlimmer kommen.“ , meinte Hadrir den schwarzen Wolf noch  murmeln zu hören.

Vor ihnen kamen mittlerweile die Stufen in Sicht die durch Gärten und kleine Baumbestände hinauf zur Universität Varas führten. Der Platz davor war wie ausgestorben, aber offenbar hatten auch hier bis vor kurzem noch Kämpfe getobt. Die große Statue die den Platz einst Überblickt hatte, war von ihrem Sockel gestürzt und zersplittert. Einzelne Trümmerstücke hatten sich bis vor die ersten Stufen verteilt. Einige tote Zwerge und Stadtwachen lagen um und auf der Treppe verteilt, aber Hadrir schenkte ihnen keine Beachtung während er und der Rest seiner Männer Elin die Stufen hinauf folgten.  Bereits auf halbem Weg konnte Hadrir den Lärm von Stahl hören, der krachend auf Stahl traf. Rufe und Stimmengewirr drangen zu ihnen herab und sowohl er als auch Elin beschleunigten ihre Schritte. Die Gejarn schwang sich ohne ein Wort über den Rand der Treppe in die Gärten hinab und rannte durch diese hindurch auf eine Halle am westlichen Ende der Bibliothek zu. Hadrir blieb damit nur sich ebenfalls, allerdings in voller Rüstung, irgendwie über die kleine Mauer zu quälen und ihr, so schnell es eben ging zu Folgen. Als der Eingang des Gebäudes schließlich in Sicht kam, schnaufte er bereits merklich, doch war das sofort vergessen, als die Männer vor dem Eingang bemerkten. Es waren Paladine, etwa zwei Dutzend Männer in roten Umhängen und glänzenden Stahlpanzern, die einen Kreise um die Tür gebildet hatten und sie scheinbar so gut es ging geschlossen hielten. Ein weiterer Mann, ein Gejarn mit sandfarbenem Fell und weißem Mantel warf sich  mit ihnen gegen die Tore. Zyle. Also lebte der Archont noch.  Einige verwundete Zwerge saßen oder standen im Gras um das Bauwerk herum, andere halfen den Männern aus Helike so gut es eben ging. Zumindest, bis sie Hadrir und Elin bemerkten. Manche starrten ihn erneut an, als hätten sie einen Geist gesehen. Andere wiederum  sanken auf die Knie oder wichen vor ihm zurück. Er kümmerte sich nicht groß darum, sondern wartete lieber, bis Zyle seinen Männern einige letzte Anweisungen gegeben hatte und zu ihnen herab kam.

,, Ich hätte nicht gedacht, das wir uns noch mal wieder sehen.“ . Der Gejarn klang erschöpft und müde. Angesichts dessen was sich hier abspielte wohl nur zu verständlich. Die Armee draußen vor dem Tor war irgendwie plötzlich zu ihrem geringsten Problem geworden…

,, Glaubt mir das oder ähnliches häre ich heute nicht zum ersten mal. Aber ich fürchte Kellvian fehlt die Zeit für Förmlichkeiten. Wir…“

,, Kellvian ist hier ?“ Von einem Moment auf den anderen schien sich die gesamte Mimik des Mannes . Die Erschöpfung blieb, aber jetzt grinste er breit. ,, Laos und alle Götter… dann gibt es wirklich noch Hoffnung ? Er lebt und ist hier?“

,, Aber nicht mehr lange, wenn wir hier weiter herumsitzen. Hört zu, er wird jede Hilfe brauchen, die er kriegen kann du das heißt auch die Zwerge. Lasst mich mit ihnen reden.“

,, Ich versteh ja… Also gut. Nachdem der Aufstand begann, haben wir die meisten zur Halle zurück treiben können. Ich schätze die Thane sind ebenfalls noch drinnen. Aber wenn ihr es riskieren wollt, rufe ich meine Leute zurück.“

,, Keine Sorge ich glaube die werden noch überraschter sein als ihr, wenn sie mich sehen.“ Zumindest hoffte Hadrir das, als die übrigen Paladine schließlich von den Türen zurück wichen. Fast im gleichen Moment flogen diese auf und ein dutzend Zwerge stürzten, Schwerter, Äxte und weitere Waffen in der Hand nach draußen. Ihr Vorstoß kam jedoch beinahe sofort ins Stocken als sie Hadrir und seine Begleiter bemerkten. Die ersten wurden langsamer, bevor die nachrückenden Männer verstanden was vor sich ging. Einige stolperten die kurze Treppe vor den Türen herab, andere schwankten kurz, als langsam alle zu einem Stopp kamen.

Hadrir sagte gar nichts, suchte nur die Menge nach Kasran ab und als er sie nicht fand bahnte er sich, mit Elin im Schlepptau nur einen Weg durch ihre Reihen, während die ersten die Waffen niederlegten.

,, Zum Tor.“ , rief er ihnen nur zu, bevor er in die Halle eintrat. Zwei große Langtische, von denen einer jedoch in der Mitte zerbrochen war. Splitter und Staub lagen überall verteilt, eine Säule war scheinbar eingeknickt und durch eine Lücke in der Decke fiel Sonnenlicht in den Saal. Doch das war es nicht, was ihn schließlich stehen bleiben ließ. Elin drängte sich an ihm vorbei. Im Gegensatz zu ihm, wurde sie nicht langsamer als sie Kasran schließlich fand.

Er lag fast auf der anderen Seite der Halle, in der Nähe zweier großer Kamine, deren Glut mittlerweile jedoch erloschen war. Hadrir hatte selten gedacht, dass dieser Mann jemals gebrechlich wirken könnte, doch in diesem Augenblick tat er es. Blut sickerte aus einer Wunde in seinem Bauch und dennoch klärte sich sein Blick sofort, als er Elin und den anderen Zwerg bemerkte.

,, Ihr müsst verzeihen.“ Ein bitteres Grinsen  trat auf sein Gesicht. ,, Hätte ich gewusst, das uns heute die Toten besuchen kommen, hätte ich die Versammlung sicherlich verlegt.“

 ,,  War das euer Werk ?“ , wollte Elin wissen, als sie sich neben ihm Nieder  ließ.

,, Ich schätze, ich trage eine Teilschuld daran.“ Kasrans Atem ging nur mehr rasselnd und klang angestrengt, als Hadrir ebenfalls zu ihm trat und sich zu ihm herab beugte. ,, Es tut mir leid, Hadrir. Ich dachte wirklich ich könnte sie für uns gewinnen…“ Er tastet mit den Händen und hielt schließlich seinen zersplitterten Stab hoch. ,, Ich möchte das ihr das hier nehmt. Meine Gefährten… werden euch folgen. Und dann…“

,, Ich verstehe.“ Hadrir nahm den Angebotenen Stab respektvoll entgegen. ,, Und ich danke euch. Wir waren selten einer Meinung aber…“

,, Geht schon.“ , erwiderte der alte Thane. ,, Geht und… bringt das hier zu Ende.“

,, Ich schicke euch Hilfe so schnell ich kann.“ Hadrir erhob sich und zwang sich, zu gehen, ohne sich noch einmal umzudrehen. Erst als er die Türen erreicht hatte, wurde ihm jedoch klar, das Elin ihm nicht folgte.

,, Ich bleibe bei ihm.“ , erklärte die Gejarn leise und Hadrir nickte nur, bevor er die Versammlungshalle endgültig verließ. Er konnte nur hoffen, dass die übrigen Zwerge seinen Anweisungen gefolgt waren und sich am Stadttor sammelten. Ansonsten musste er den Ausfall eben mit dem wagen, was ihm blieb…

 

 

Kapitel 82 eine letzte  Hoffnung

 

 

 

Staub tanzte in den Lichtstrahlen die durch die eingebrochene Decke hinein drangen und glänzte dabei wie Gold . Elin sah den langsam zu Boden sinkenden Partikeln eine Weile zu, während sie über dem verletzten Kasran wachte. Eine Lache aus getrocknetem Blut hatte sich um ihn herum gebildet und als sie die Wunde abgetastet hatte war ihr zum ersten Mal klar geworden, wie alt dieser Mann wirklich war. Kasran war kaum mehr als ein Skelett, sie hatte die Knochen unter seiner Haut spüren können.

In der verwüsteten Halle war es Still geworden, nachdem sowohl Zwerge als auch Paladine sich zurückgezogen hatten. Lediglich der rasselnde Atem des alten Mardar war noch zu hören. Das… und das leise Singen von Stahl, als sie das Messer zog. Gedankenverloren drehten sie die Klinge in der Hand. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte sie die Gelegenheit diesen Mann zu töten wohl am Schopf gepackt. Aber Kasran starb bereits. Daran gab es für sie keinen Zweifel. Und sie hasste ihn nicht, nicht wie Algim. Kasran Mardar mochte vieles sein. Kalt . berechnend. Manipulativ. Aber er hatte wohl immer geglaubt, dass alles davon nötig war. Für ein gutes Ende. Nicht dass es im Augenblick danach aussah.  Eine weitere Staubflocke sank herab und verschwand, sobald sie den Lichtbalken verließ.

,, Vielleicht hätte ich euch  eher meine Gefährten anvertrauen sollen.“

Elin sah ihn einen Moment an. Ein Teil von ihr wollte ihn fragen ob er Fieber  oder wirklich schon so viel Blut verloren hatte. Aber Kasran schien seine Worte todernst zu meinen.  Also lachte sie stattdessen über ihn, über sich, über diese ganze Situation. Und zu ihrer Überraschung lachte Kasran mit ihr. Es war ein angestrengter Laut und bald verstummte der Thane wieder. Und auch Elin ließ sich gegen die Wand des Saals zurück sinken. Der Putz bröckelte ab, war irgendwann bei den Kämpfen gerissen.

,, Sagt mir jetzt nicht ihr hab es noch immer nicht aufgegeben ?“

,, Ihr könnt mir zumindest nicht böse sein es zu versuchen.“ , meinte er vom Lachen erschöpft.

Genau dieses Gespräch hatten sie schon einmal geführt. Vor einer Ewigkeit wie es schien. Als ihr größtes Problem darin bestand, was nun aus den in Canton gestrandeten Zwergen werden sollte.

Eine Weile saßen sie so da, schweigend nebeneinander mit einem Schmunzeln auf den Lippen.

,, Macht ein Ende.“ Elin gab sich beste Mühe so zu tun, als hätte sie den sterbenden Zwerg überhört. Stattdessen sah sie zu dem gebrochenen Tisch in der Saalmitte, als wäre dort irgendetwas Interessantes. Doch das einzige was es dort gab waren gebrochene Steine aus dem Dach und Kasran wusste das ebenso gut.  Er lachte erneut. Ein dunkler, schwerer Laut.

Schließlich gab es Elin auf ihn einfach anschweigen zu wollen. ,, Wenn ihr sterben wollt, warum habt ihr dann Hadrir fort geschickt ?“ Und warum überlasst ihr es dann mir? , ließ sie ihre eigentliche Frage unausgesprochen.

,, Vielleicht weil ich euch eher zutraue zu tun, was getan werden muss. Er hat ein zu gutes Herz. Ich an seiner Stelle hätte alle Verräter hinrichten lassen statt ihnen eine Chance zu geben.“ Der alte Zwerg hustete Blut.

,, Was soll das heißen ?“

,, Ich sagte es euch schon einmal. Ihr und ich… wir könnten uns sehr ähnlich sein. Und ich sterbe. Daran lässt sich nichts mehr ändern, Elin. Aber ich würde es wirklich vorziehen, wenn es wenigstens schnell gehen würde.“

,, Aber fürchtet ihr den Tod nicht ?“  Elin waren alle bitteren Bemerkungen und jeder Spott vergangen. Hasste sie Kasran ? Nein… zumindest nicht mehr. Und sie wollte ihn ganz sicher nicht sterben sehen oder  daran Teil  haben.

,, Wenn man so lange lebt wie ich, verliert der Tod irgendwann seinen Schrecken. Ich habe ihm Jahrhunderte jeden Tag ins Auge gesehen, Kindchen. Ein Fehltritt als eines der führenden Häuser kann das Ende bedeuten. Aber das muss ich euch nicht erklären. Den Beweis seht ihr hier vor euch. Nein… Ich habe lange genug gelebt Kindchen. Vielleicht auch zu lange. Hadrir hatte Recht, wo ich mich scheinbar nur verrannt habe. Meine Zeit ist um. So oder so. Und ich habe nur noch diese eine bitte.“

Stille senkte sich erneut über die Halle. Elin legte das Messer bei Seite, wagte es weder, die Klinge noch Kasran anzusehen. Er bat sie hier rum. Nicht aus Gehässigkeit, nicht weil es ihm egal war… sondern weil er sie dazu fähig hielt. Sie konnte aufstehen und gehen, er wäre nicht in der Lage ihr zu Folgen. Aber sie tat es nicht. Stattdessen hob sie langsam das Messer wieder auf und setzte es dem alten Zwerg auf die Brust. Mit einer Drehung drang der Stahl durch Stoff und Fleisch und bohrte sich in Kasrans Herz. Der Thane gab keinen Laut mehr von sich, sackte nur schwer in sich zusammen, bevor er für immer schwieg. Elin ließ den Messergriff los, sobald sie merkte, dass Kasran nicht mehr atmete. Langsam erhob sie sich und ging auf den Ausgang der Halle zu. Kasrans Körper hingegen blieb hinter ihr zurück, immer noch an die Wand gelehnt und die Augen geschlossen, als würde er schlafen. Und vielleicht tat er das auch, dachte Elin bei sich. Angeblich Floss in den Adern der Mardar das Blut eines Unsterblichen. Und in keinem so stark wie in Kasran, war der Mann doch selbst für einen Zwerg beinahe antik gewesen, hatte Aufstieg und Fall seiner Stadt von Anfang bis Ende beobachtete. Wer  wusste schon ob so jemand überhaupt je wirklich sterben würde. Nicht für seine Anhänger zumindest…

 

Als Syle erwachte war er alleine. Im Wald war Stille eingekehrt, lediglich durchbrochen vom leisen Rieseln des Schnees, der auf den Zweigen über ihm antaute und zu Boden rieselte. Ihm war kalt, von der langen Zeit, die er auf dem bloße Untergrund gelegen hatte und als er versuchte, sich aufzurichten, schienen sich feine, kribbelnde Nadeln in seinen Körper zu bohren. Zusammen mit einem größeren Bolzen, der irgendwo in seiner Brust zu stecken schien. Die Sonne über ihm war bereits im Begriff, ihren Weg Richtung Horizont anzutreten. Als der Angriff begonnen hatte, hatte sie noch nicht ganz den Zenit erreicht gehabt. Nebelschleier trieben von den offenen Feldern vor Vara heran und machten es schwer für ihn weiter als ein paar Schritte zu sehen. Umständlich kam der Bär wieder auf die Füße. Was war geschehen? Das letzte an das er sich erinnern konnte, war wie er getroffen worden war. Das erklärte zumindest die Schmerzen, dachte er. Kellvian war bei ihm gewesen, das wusste er noch. Und auch der Mann, der sie angegriffen hatte. Doch von keinem der beiden gab es eine Spur außer aufgewühltem Laub.  Kellvian hätte ihn nicht hier liegen lassen, selbst wenn er sich sicher gewesen wäre, dass er tot war. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn, als er den Spuren in Schnee und Laub durch den Nebel folgte. Der Geruch von Blut  lag in der Luft, noch ehe er den ersten Körper fand.

Kellvian lag am Boden. Rote Flecken hatten den Schnee um ihn herum getränkt und stücke seines zerschmetterten Panzers lagen über den ganzen Boden verteilt und glitzerten golden und silbern in der Sonne. Sein weißer Mantel hatte sich um ihn herum aufgebauscht, fast wie ein Leichentuch.  Das Schwert war ihm aus der Hand geglitten und lag ein paar Schritte entfernt halb im weißen Untergrund verborgen. Das sollte nicht sein, dachte Syle. Er hob es auf, als er vor dem Toten auf die Knie ging und bettete die Waffe vorsichtig auf dessen Brust.  Blut war aus einem Mundwinkel gesickert, die Augen sahen starr zum Himmel. Und doch konnte Syle sich des Eindrucks nicht erwehren, das der Mann irgendwie…friedlich wirkte.

,, Verzeiht mir Herr….“ Er flüsterte die Worte nur, wusste das er keine Antwort mehr bekommen würde es seiden den Blick lebloser Augen. Sie hatten alle gewusst, dass es heute so weit kommen könnte. Aber nicht, das er zurückbleiben würde, dachte Syle. Nicht das er noch einen Kaiser zu Grabe tragen musste… ,, Ich habe euch enttäuscht.“ Es wäre seine Aufgabe gewesen Kellvian zu schützen. Und nicht einmal dazu war er in der Lage gewesen. Syle konnte nicht sagen, wie lange er an der Seite seines toten Kaisers Wache hielt und Lauschte, ob vielleicht jemand kommen mochte. Doch die Wälder blieben still und der einzige Geruch der ihm in die Nase stieg war der von gefrorenem Blut. Er müsste ihn in die Stadt bringen, dachte er und bei dem Gedanken daran wurde ihm übel. Selbst wenn Vara noch nicht gefallen war, wenn er mit einem toten Kaiser auf den Armen zurückkehrte, würde sich die Stadt ergeben.  Die Leute würden den Mut verlieren. Und das wäre gleich doppelter Verrat an seinem Herrn. Aber was konnte er sonst schon tun? Mit einem seufzen erhob er sich in die Hocke und wollte bereits die Hände nach dem gefrorenen Körper seines Herrn ausstrecken, als ihm ein zweiter Schatten ins Auge fiel. Eine Blutspur zog sich von Kellvians Körper weg durch das Unterholz, wenn auch nicht sonderlich weit. An ihrem Ende lag eine zweie Gestalt in schwarzer Rüstung. Der Mann war fast noch schlimmer zugerichtet als Kellvian. Aber mit einem entscheidenden Unterschied… Er lebte noch. Syle konnte die Wärme spüren die von ihm ausging, das frische Blut aus seinen Wunden riechen. So gut es seine eigenen Verletzungen zuließen, schob er sich auf den fremden zu. Den Angreifer. Zumindest Kellvians Mörder würde Gerechtigkeit erfahren, dachte der Bär, als er den Dolch aus der Scheide zog. Aber etwas stimmte nicht. Eigentlich hatte er vorgehabt, dem Mann die Waffe in die Kehle zu stoßen und dem Ganzen ein Ende zu machen, doch als Syle  sich zu ihm herab beugte, gefror er in der Bewegung. Das Gesicht des Mannes gehörte keinem Unbekannten. Aber ja, auch diese Züge gehörten eigentlich einem Toten. Janis… Und doch gab es keinen Zweifel daran, wen er vor sich hatte, genau so wenig daran, dass er noch Atmete und  sich seine Brust hob und senkte…

Syle fragte nicht lange, wie so etwas möglich war oder was bloß hier geschehen sein mochte. Das würde ihm Janis am ehesten selbst erzählen können. Aber dazu musste er Leben. Seine Wunden waren tief und der Schnee um ihn komplett rot verfärbt. Es schein ein Wunder, das er noch lebte. Und wenn er nicht bald Hilfe bekam würde ihn kein zweites Wunder zurückholen, dachte Syle. Einen Moment sah er zurück zu Kellvians leblosen Körper. ,, Verzeiht mir erneut. Ich komme zurück, das schwäre ich…“

Es missfiel ihm seinen Herrn hier draußen zurück zu lassen, wo die Plünderer des Herrn der Ordnung ihn finden mochten. Aber ihm blieb keine andere Wahl. Vielleicht ganz vielleicht, gab es noch Hoffnung. Hoffnung, die an dem Atem des selbst mit der Rüstung viel zu leichten Bündels hing, das er schließlich so sanft wie möglich aufhob . Er brauchte eine Weile um den Waldrand im Nebel zu finden und als er schließlich auf die Ebene vor Vara hinaus trat, hätte ihn beinahe auch sein restlicher Mut verlassen. Nach wie vor stand der Großteil der Armee des roten heiligen zwischen ihm und den Toren. Was von den Gardisten geblieben war konnte kaum noch Wiederstand leisten und nach wie vor rührte sich in der Stadt selbst nichts. Dann jedoch geschah etwas, das die Kultisten plötzlich dazu veranlasste, sich umzuwenden. Syle konnte nur aus der Ferne zusehen, wie die Tore Varas Aufschwangen und etwas wie ein silberner Keil sich einen Weg nach draußen bahnte und erst später wurde ihm klar, dass es sich bei dem Silber um Rüstungen handelte. Die Zwerge… Und auch einige rote Umhänge und blaue Uniformen tauchten zwischen ihren Reihen auf, warfen sich mit ihnen zusammen den Kultisten entgegen, die scheinbar nicht mit einem Ausfall gerechnet hatten. Die Wirkung war verheerend. Männer fielen wie Weizen unter Schwertern, Hämmern und Musketen, wurden zurück gedrängt fort von der Stadt und hin zu den Hügeln davor. Und dann schienen diese plötzlich in Feuer aufzugehen, als erneut hunderte Geschütze gleichzeitig feuerten, Lücken in die Nachhut ihrer Gegner rissen und sie wieder den Zwergen in die Arme trieben. Das ganze dauerte nur noch wenige Minuten, bis die Armee zwischen Zwergen und Geschützstellungen aufgerieben war. Einigen gelang die Flucht, andere ergaben sich. Die meisten jedoch blieben regungslos auf der Ebene zurück. Der Kampf war gewonnen. Doch nicht ohne Preis für sie, dachte Syle, als er sich über das Schlachtfeld zur Stadt schleppte.

 

 

Kapitel 83 Vergebung

 

 

 

 

Funken lösten sich von dem lodernden Holzstoß und siegen auf zu den Sternen, als wollten sie sich ihnen Anschließen. Das Licht des Feuers beleuchtete den großen Platz vor dem Universitätsaufgang und verliehen den Gesichtern der Anwesenden einen roten Schein. Fast die ganze Stadt schien sich um den Sockel der ehemaligen Statue herum  versammelt zu haben. Man hatte die Trümmer noch am Vortag beiseite geschafft um den Scheiterhaufen schließlich darauf zu errichten. Trotz ihres vermeintlichen Sieges waren die wenigsten in Feierlaune, während der Körper ihres Kaisers von den Flammen verzehrt wurde. Weitere Feuer brannten in der Nacht überall in und um die Stadt verteilt. Trauerlieder und unbeantwortete Gebete wurden vom Wind heran geweht und erfüllten die Luft mit vielschichtigen Stimmen. Es war ein trauriger Klang, dachte Janis, als er aus dem Fenster starrte Er konnte den Wiederschein des Feuers sehen, der sich auf dem Glas spiegelte. Und auch die Stimmen hörte er, leises angsterfülltes Gemurmel und Gesprächsfetzten drangen bis zu ihm herauf.

,,Schlaft lang mein alter Freund… bis wir uns wiedersehen.“

Eine Moment meinte er Syles Stimme zu hören oder vielleicht war das auch nur ein Fiebertraum.

,, Ein Sieg ? Wenn das ein Sieg war, dann wird uns unser nächster Erfolg vermutlich das Kaiserreich kosten.“

Vielleicht waren es auch nur Fiberträume und dunkle Erinnerungen. Janis schwebte irgendwo zwischen Wachen und Schlafen, doch obwohl es einfach für ihn gewesen wäre, die Augen zu schließen und weg zu dämmern, klammerte er sich ans Bewusstsein. Warum wusste er selber nicht. Seine Gedanken waren ein unzusammenhängender Strudel aus Sinneseindrücken. Das Klirren von Schwertern hallte in seinen Ohren, zusammen mit den letzten Worten seines Vaters.  Doch selbst in seinem Dämmerzustand bekam er genug mit. Vara war gerettet und doch schien sich niemand darüber freuen zu können. Trauer und Schmerz herrschten überall. Das hier war ihr letzter Sieg gewesen, das wussten sie alle.

Er wusste nicht genau, wie er hierhergekommen war. Dumpf erinnerte er sich daran, das ihn jemand oder etwas im Wald aufgehoben hatte. Danach war er erst wieder in diesem Zimmer zu sich gekommen. Janis kämpfte sich weiter an die Oberfläche seines Bewusstseins und zumindest für den Moment klärte sich sein Blick. Die Kammer in der er lag war schlicht eingerichtet. Kalte Luft strömte durch das geöffnete Fenster herein und nach wie vor glommen die Glasscheiben orange vom Totenfeuer, das nicht weit abseits des kleinen Hauses brannte. Langsam setzte er sich auf und wäre doch fast wieder hingefallen, als er den Kopf hob. Alles um ihn herum drehte sich, ihm war schlecht und seine Kehle so trocken, das er einen bitteren Geschmack auf der Zunge hatte. Dicke Verbände hüllten fast seinen kompletten Oberkörper ein und waren bereits an mehreren Stellen wieder durchgeblutet. Immerhin, viel Blut konnte er ohnehin nicht mehr haben, dachte er. Naria und eine Frau Namens Symia hatten seine Wunden versorgt. Zumindest wenn er sich richtig daran erinnerte. Alles was in den letzten Stunden geschehen war, erschien ihm wie ein unzusammenhängender Flickenteppich aus Bildern und Sinneseindrücken. Mal glaubte er dass jemand mit oder zumindest zu ihm gesprochen hatte, dann waren da nur lange Perioden der Stille und ferne Stimmen so wie jetzt.

Zitternd streckte er die Hand nach einem Glas Wasser aus, das auf einem kleinen Beistelltisch neben dem Bett stand. Er trank einen Schluck und zwang sich, trotz seines Dursts vorsichtig dabei zu sein. Immerhin weckte es seine Lebensgeister noch etwas mehr und er sah sich langsam im Zimmer um.  Ein verschlissener Teppich bedeckte den Boden fast vollständig vom Fenster bis zur gegenüberliegenden Tür.  Es gab einen einfachen Schreibtisch und einen Kleiderschrank, dessen Türen nur angelehnt waren und der sich als leer erwies, als Janis durch den Spalt spähte. Ganz aufzustehen und herüberzugehen wagte er noch nicht, während er das Glas langsam abstellte.  Er war jetzt fast vollständig wach. . Das Wasserglas entglitt seinen Fingern und er machte nicht einmal mehr den Versuch es aufzufangen. Klirrend schlug es auf der Kante des Beistelltischs auf und tanzte einen Moment auf der Kante, bevor es sich doch stabilisierte und stehen blieb.  Und als wäre dies ein Weckruf gewesen, kehrten auch Janis  Erinnerungen langsam  zurück. An Alles. Das Leben, das er gelebt und verloren hatte, das zweite, das er im roten Tal geführt und das er ebenfalls in jenem Moment verloren hatte, als er die Wahrheit in jenem Wald erfahren hatte. Es spielte keine Rolle, dass er getäuscht worden war, dachte Janis. Genau so wenig ob er die Klinge geführt hatte die seinen Vater fällte oder nicht. Er musste hier fort. Das war der einzige klare  Gedanke, zu dem er in diesem Augenblick in der Lage war. Ohne Überlegung schwang er die Beine über den Rand des Bettes und stand auf. Er kam nicht weit. Zwei Schritte, dann knickten Janis Beine wie Streichhölzer unter ihm ein und selbst seine Arme wollten sich nicht rühren, als er ungebremst zu Boden stürzte. Noch im Fallen streifte er den Beistelltisch und das Glas viel endgültig herab, zerschellte in tausend Stücke. Es war wohl ein Wunder, das er nicht direkt in eine davon stürzte. So wurde er lediglich nass und musste beschämt zum Bett zurück kriechen. Und doch war das nichts über das Entsetzen das sich nur langsam einstellte. Darüber was er getan, darüber wie leicht er sich hatte benutzen lassen. Seine Wunden waren nichts im Vergleich zu dem Wissen, das er versagt hatte. Endgültig… Alles was bisher geschehen war und alles was er getan hatte war ein Fehlschlag gewesen. Und das hier nur der letztendliche Grund eines gähnenden Abgrunds. Janis wusste nicht, wie lange er so dasaß, an einen der Bettpfosten gelehnt ohne die Kraft sich wieder nach oben zu ziehen.  Von draußen drang immer noch der Klang der Trauerlieder herein auch wenn der Schein der Feuer langsam zu verlöschen begann. Und während der orangene Schimmer langsam verschwand und das Zimmer immer mehr in Dunkelheit zurück ließ, klopfte es plötzlich an der Tür. Janis ignorierte das Geräusch zuerst. Ohnehin wusste wohl niemand, dass er wach war, also hatte sich vermutlich nur jemand in der Tür geirrt. Doch als er nicht reagierte, wurde die Türklinge schließlich langsam nach unten gedrückt.  Er wusste nicht, wen er erwartet hatte. Nur sicher nicht sie. Wenn es eine Person gab die ihn hassen musste, dann sie… Janis senkte den Blick, als Jiy langsam eintrat und die Tür hinter sich zu fallen ließ. In den Händen hielt sie irgendetwas, verdeckt von einem grauen Stofftuch.  Sie hatte geweint. Bitterlich. Ihre Augen waren gerötet und blickten müde. Und doch lächelte sie, als sie ihn sah. Wieso ? , fragte Janis sich. Und vor allem wie ? Sie hatte alles verloren in diesem Krieg. Und ihr war nichts geblieben, nicht einmal Janis selbst. Und doch war es ihr nicht einmal erlaubt wie ihm, wenigstens aufzugeben. Nein… Sie hatte dieses Leben so gewählt mit allen Konsequenzen. Aber nicht ohne Kellvian… Und jetzt war auch er fort. Und Janis war sich nicht sicher, ob er sich noch als ihr Sohn sehen durfte.

Doch Jiy setzte sich nur neben ihn, ohne ein Wort. Eine Weile, lange genug, dass der restliche Lichtschimmer draußen schwand, wagte es keiner von ihnen zu Sprechen. Jiy wartete vielleicht das er sich erklärte, aber was konnte er schon sagen? s gab nur eine Frage, die ihn die ganzen letzten Monate beschäftigt hatte. Selbst jetzt war die Antwort darauf nur eine halbe.  Und so stellte er sie erneut.

,, Wer bin ich ?“ Er wusste nicht, wieso er grade jetzt wieder danach Frage. Vielleicht weil er überzeugt war, hier nicht mehr willkommen zu sein. Dann wollte er doch wenigstens wissen, wie es um seine wahre Familie stand.

Jiy schien zu spüren, was in ihm vorging. Anstatt sofort zu antworten, legte sie ihm eine Hand auf den Arm. ,, Du hast Kell nicht…“ Sie stockte nur um neu anzufangen. ,, Du trägst keine Schuld daran. Das wissen wir alle.“

Nein… aber er hatte seinen Beitrag dazu geleistet. Ohne nachzudenken ohne zu zögern. Er hätte längst misstrauisch werden müssen und doch hatte er immer weiter gemacht. Bis es schließlich zu spät gewesen war. ,, Ich will die Wahrheit trotzdem wissen. Genug der Geheimnisse. Bitte…“

,, Du bist mein Sohn.“ Jiy lächele und nahm ihn einen Moment in die Arme und zumindest für diesen einen Augenblick lang schien alles etwas weniger schwer. Seltsam wie viel eine derart simple Geste bewirken konnte. Aber wenn sie nicht bereit war ihn verloren zu geben… vielleicht hatte sie dann damit recht. ,, Und ich bin deine Mutter und gleichzeitig auch nicht. Du bist Janis Belfare, wenn du es sein willst, das ist dir klar? Das kann dir niemand nehmen.“

Er nickte obwohl er nichts verstand.

,, Aber wenn die Dinge anders gekommen wären, hätte dein Name wohl Janis Lothaera gelautet. Was du daraus machst ist dir überlassen. Auch wenn ich das nie wahrhaben wollte.“

,, Und warum habt ihr das bis jetzt vor mir geheim gehalten ?“

,, Es erschien nie wichtig. Und als es wichtig wurde, fehlte uns die Gelegenheit. Ich glaube Kellvian hätte es dir früher sagen wollen. Aber ich… ich hatte wohl Angst wie du reagieren könntest. Wir dachten beide du wärst der einzige Überlebende aus deiner Familie. Sie lebten in der Nähe Silberstetds und während des Krieges mit Andre de Immerson wurden sie von diesem als Verräter gebrandmarkt. Er wollte wohl ein Exempel an ihnen statuieren…“

,, Ich habe als einziger Überlebt ?“

,, Zumindest dachten wir das.“ Jiy zögerte sichtlich weiter zu sprechen. ,, Aber auch das stimmt nicht. Kellvian… erfuhr vor einigen Monaten das dein Vater noch lebt. Ein Mann, der sich einst Padion Lothaera nannte.“

,, Was soll das heißen, er nannte sich so ?“ Janis gefiel nicht, wie seine Mutter immer noch versuchte, dem Thema auszuweichen. Aber er brauchte diese Antworten. Jetzt wäre vielleicht die letzte Gelegenheit.

,, Er legte diesen Namen ab, Janis. Und wählte einen anderen. Der Mann der einst so hieß nennt sich heute wohl nur noch der rote Heilige.“

Stille senkte sich über den Raum. Hatte sie erwartet, dass er es nicht ertragen könnte, fragte Janis sich? Die Enthüllung traf ich  ja. Aber nichts konnte ihn schwerer treffen als seine eigenen Fehler. Was bedeutete seine Herkunft verglichen mit seinem Verrat. Er hatte sich nie als jemand anderes als Janis Belfare gesehen Und er würde sich so bald sicher nicht als Janis Lothaera sehen. Vielleicht nur Janis, da ihn beide Familien verstießen. Oder ? Der rote Heilige kannte vielleicht auch die Wahrheit einfach nicht. Es änderte nichts. Er merkte nicht wie Jiy Aufstand, doch er sah die Hand, die sie ihm schließlich entgegen streckte. Janis griff danach und ließ sich von ihr auf die Füße ziehen. Sie war ein Stück kleiner wie er und doch kam es ihm in diesem Augenblick so vor, als müsste er zu ihr Aufsehen. Wussten die Götter, woher diese Frau die Kraft nahm scheinbar einfach weiter zu machen, egal was auch geschah. Sie liebte ihn noch immer, sah ihn nach wie vor als Sohn. Trotz allem, was er getan hatte. Und wenn sie ihm verzeihen konnte, vielleicht durfte er tatsächlich hoffen, sich auch eines Tages selbst vergeben zu können. Und doch musste er diese Liebe auf eine weitere probe stellen.

,, Ich will die Dinge richtig stellen.“  Draußen zeigte sich der erste Schimmer Morgenlicht über der Stadt, grau und trüb. Durch das offene Fenster wehte der Geruch von Asche. ,, Mutter.. lass mich kämpfen.“

,, Ich hatte befürchtet, dass du darum bitten würdest.“ Erneut trat ein trauriges Lächeln auf ihr Gesicht. ,, Und ich bin niemand der es dir verbieten könnte. Ob du willst oder nicht… du bist Kellvians Erbe. Und ich gebe einem Kaiser keine Befehle.  Aber ich habe noch etwas für dich, das dir helfen könnte.“

Sie hob den eingehüllten Gegenstand, den sie nach wie vor in einer Hand trug und zog das Tuch davon zurück. Es war ein Schwert, wie Janis überrascht feststellte. Aber nicht irgend eines. Seine Hände zitterten als er sie nach dem griff ausstreckte. Er fuhr mit dem Daumen über die goldenen Intarsienarbeiten und die mit glühenden Kristallen ausgelegten Runen darauf. Die Waffe war erstaunlich schwer, als er sie a sich nahm. Er wagte nicht die Klinge aus der Scheide zu ziehen sondern lehnte sie nur gegen sein Bein.

,, Ich danke dir…“ Er  musste die Tränen fort blinzeln.

,, Dank mir, wenn du das alles hier beendet hast.“ Jiys Stimme klang entschlossen und grimmig. Draußen glühte der Himmel mittlerweile erneut in Orange und rot und gelb. ,, Geh…  Man wird dich nicht erwarten, aber heute soll es eine Versammlung an der Universität geben. Und du wirst dabei sein. Als ihr Kaiser.“ Sie schob ihn geradezu zur Tür heraus und hin zu einer schmalen Treppe, die hinab in die Straßen Varas führte. ,, Geh…“

Und das tat er, nicht jedoch ohne sich ein letztes Mal umzudrehen. Und als er dies tat, stellte er fest, das Jiy weinte.

 

 

Kapitel 84 Kaiser

 

 

 

Der ganze Saal war in Aufruhr. Galren hatte selten so viele Leute auf einmal gesehen, nicht einmal in der fliegenden Stadt. Fast sämtliche Adelige die es nach Vara geschafft hatten waren Anwesend während der Großteil der Stadtbevölkerung sich über ihnen auf großen Balkonen verteilte. Die Universitätshalle war ihm am frühen Morgen noch riesig erschienen, als er das erste Mal eingetreten war. Die großen, mit Gold und Ebenholz vertäfelten Wände zogen sich so hoch wie zwei Häuser nach oben, zu einer Decke aus massivem Marmor. Goldenes Morgenlicht sickerte durch die großen Fenster, trotzdem war die Stimmung alles andere als berauschend. Noch immer stieg Rauch in den Straßen und auf den Feldern um Vara auf, wo die Überreste der Totenfeuer langsam erkalteten. Niemand von ihnen hatte in dieser Nacht viel geschlafen. Zu viel war innerhalb von zu kurzer Zeit geschehen. Sie hatten Vara gehalten, aber der Preis dafür war gewaltig gewesen. Und ob es ihnen gelingen würde die Stadt gegen einen zweiten Angriff zu verteidigen war ungewiss. Kasran war tot, genauso wie Kellvian und was vom einstigen Imperium des Kaisers geblieben war, passte wortwörtlich in diese vier Wände. So beeindruckend der Saal auch war, im Vergleich zu dem was sie verloren hatten, war es ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie hatten nicht mehr die Kraft diesen krieg länger zu führen. Er konnte es in den mürrischen Gesichtern der Adeligen,  in den erschöpften der Gardisten sehen und den verweinten ihrer Angehörigen. Und Galren wollte nur ein Weg einfallen, das alles zu beenden. Seine Hand schloss sich um den Griff des grauen Schwerts an seiner Hüfte. Auch wenn Träumer nach wie vor Atrun für ihn verwahrte, änderte das nichts an seinem Plan. Falls man das überhaupt so nennen konnte. Irrsinn traf wohl eher zu. Er und Elin standen am Rand der Menge, während die Anführer sich stritten. Oder wohl eher, jene, die es sein wollten. In bunten Schärpen und Uniformen, manche bewaffnet, andere in staatsmännischer Aufmachung. Gardeoffiziere, Adelige, Bürger mit Einfluss.  Fahnen und Banner flatterten von den Balkonen über ihren Köpfen, doch wollte die Pracht nicht wirklich schön wirken. Eher wie ein letztes Aufflackern dessen, was sie einst gehabt hatten.   Sie hatten keine wirklichen Führer mehr, dachte Galren düster. Und Jiy, die einzige, die diesen Titel vielleicht noch rechtmäßig in Anspruch nehmen durfte, war nicht aufgetaucht.  Träumer hätte die Anwesenden vielleicht überstimmen können, hätte er es gewollt. Die Macht dazu besaß er, daran zweifelte Galren nicht. Aber er sah nur weiter zu und wartete ab und wenn Galren ehrlich war, war ihm das Lieber. Er zweifelte zwar nicht mehr an der Loyalität des Mannes, nicht nachdem er in der zurückliegenden Schlacht an ihrer Seite gekämpft hatte, aber wer wäre schon bereit ihm zu folgen? Wenn würde er sie Anwesenden nur mehr erzürnen. Hadrir hingegen hätte etwas sagen können. Doch hatte er erst grade die Kontrolle über sein eigenes Volk zurück erlangt. Und dieses war zahlenmäßig bereits stark geschwächt. Galren erinnerte sich an das, was ihm der Zwerg einst anvertraut hatte. Ihr Volk lebte lange… sehr lange, Kasran war der beste Beweis dafür gewesen. Doch gleichzeitig wurden in jeder Generation nur wenige Kinder geboren. Es würde wohl Jahrhunderte dauern, bis sie sich von den Verlusten erholten, die sie in wenigen Wochen erlitten hatten.

Syle hingegen stand nur an der großen Tür des Saals und ließ den Blick über die Menge schweifen ohne jemand bestimmtes anzusehen. Er hätte neben Jiy und nach Quinns Tod wohl  noch das meiste Recht sie zu führen. Aber der große Bär mischte sich erst gar nicht ein, sondern wartete nur ab. Insgeheim gab er sich vielleicht die Schuld an Kellvians Tod, wer wusste das schon zu sagen. Klar blieb nur, dass er seinen Herrn nicht ersetzen wollte.

Die Diskussionen an dem großen, polierten Holztisch, der die Saalmitte durchlief wurden zunehmend hitziger. Manche empörten sich lautstark über einzelne Vorschläge oder schimpften auf Kellvian oder den roten Heiligen und generell  jeden, der nicht sie selbst waren.

,, Wir brauchen einen Kaiser.“ Meinte jemand.

An anderer Stelle schallte es sofort: ,, Wir haben keinen Kaiser.“ Zurück.

Das hier sollte also ihr letztes Aufgebot werden? Galren schüttelte den Kopf. Ein Haufen zerstrittener Narren. Eins mochten sie Mut gehabt haben, aber das war, bevor ihre Hoffnung auf den Feldern vor Vara endgültig zerbrochen war. Mit Kellvian war das einzige gestorben, das diese Männer wirklich hätte zusammenhalten können. Und deshalb wagte er es nicht zu sprechen und seinen Vorschlag vor zu bringen. Ohne jemanden, der sie einte, war sein Plan von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Er wollte Elin bereits ein Zeichen geben ihm aus der Halle zu folgen, als die großen Flügeltüren langsam nach innen aufschwangen. Hatte sich jemand verspätet? , fragte er sich und hoffte einen Moment, das es Jiy sein mochte. Sie war jetzt ihre Kaiserin. Sie könnte zumindest den Versuch wagen, wieder Ordnung zu schaffen. Doch der Mann der eintrat war nicht Jiy.  Es hätte allerdings auch Simon Belfares Geist sein können, der da durch die Tür Schritt, so still wie es auf einmal geworden war.

Janis… Er kam nicht in einem Ornat wie die übrigen, nur in einem einfachen weißen Hemd und dunklen Hosen. Unter dem Stoff zeichneten sich seine Verbände ab und der dünne rote Hauch von Blut, das langsam durch diese hindurch sickerte. Er war blass, doch sein Blick klar und fest und obwohl seine Schritte wackelig wirkten, ging er ohne Angst oder Stütze.

,, Verzeiht, aber den habt ihr sehr wohl.“ , meinte er leise, als er zu einem freien Stuhl am Tisch trat und sich schwer darauf niederließ. Janis versuchte wohl so zu wirken, als würden ihm seine Wunden nicht zu schaffen machen, aber die Art, wie sich seine Gesichtszüge entspannten als er endlich saß , verriet, dass er sich nur unter Schmerzen rühren konnte. Galren bezweifelte allerdings, dass jemand darauf achtete. Nach wie vor war es totenstill im Saal. Seine Gebete waren auf eine seltsame Art erhört worden, dachte Galren bei sich. Er hatte auf Jiy gehofft. Und jemand bekommen mit dem er nie gerechnet hätte. Niemand wusste genau, was vor der Stadt vorgefallen war. Und nur er und seine Gefährten hatten erfahren, dass Janis damit zu tun hatte. Aber falls jemand von ihnen geglaubt hatte,  dass er die Schuld an Kellvians Tod trug, so mussten sie spätestens jetzt ihren Irrtum erkennen. Janis wirkte trotz seiner Entschlossenheit… gebeugt, dachte Galren.  Nicht wie jemand, der sein Ziel erreicht und zu ihren Feinden übergelaufen war…  Sein Auftauchen musste den Adeligen und Gardisten vorkommen wie ein Wunder und eine Weile ließ er scheinbar nur seine letzten Worte auf sie wirken. ,, Ich bin Janis Belfare. Ich bin der Sohn eures Kaisers und sein erwählter Erbe. Aber ich bin auch Janis Lothaera . Und ich habe nicht vor den Namen meines Vaters weiter zu führen. Ich trage Sünden mit mir, die nicht den Belfare zur Last fallen sollen.“

,, Ihr… Ihr seid nicht in der Position irgendwelche Bestimmungen zu erlassen . Nicht solange ihr nicht von einer Vollversammlung des Adels als Kaiser bestätigt werdet und angesichts eures…Verschwindens in den letzten Monaten dürfte das wohl sehr unwahrscheinlich…“
,, Und vielleicht ist euch nicht klar, wie die Lage ist.“ Janis Augen schienen einen Moment aufzuleuchten. Der Adelige der gesprochen hatte sank langsam, ganz langsam auf seinen Platz zurück während Janis sich erhob. ,, Wenn der Herr der Ordnung besiegt ist, werde ich mich gerne dem Urteil eurer Versammlung stellen.  Ihr könnt natürlich gerne jeden Fürst Cantons hierher rufen. Ich bin mir sicher, sie werden sich freuen über unsere verbrannten Knochen zu Gericht zu sitzen denn dies ist alles, was sie hier finden werden, wenn wir nicht jetzt handeln.“

,, Und was wollt ihr tun ?“ , fragte erneut jemand an Janis gerichtet. ,, Wir haben keine Truppen mehr, keine Chance… Was ihr sagt ist, das wir so oder so sterben werden.“

Janis antwortete nicht. Vielleicht hatte er auch keine Lösung für sie. Doch Galren schöpfte wieder Mut. Das war worauf er gehofft hatte. Auch wenn Janis sicher der letzte mit dem er gerechnet hatte.

Und er kannte vielleicht einen Weg. Das war immerhin schlicht, was er meistens tat, damit hatte Elin Recht behalten.  Er fand eine Möglichkeit. Oder zumindest konnte er ihnen wieder ein Ziel geben.

,, Es gibt vielleicht noch einen Weg, das alles zu beenden.“

,, Wie meint ihr das ?“

Er sah zu Träumer. In den letzten Tagen hatte er viel mit dem ehemaligen Erwählten gesprochen, der sich nun wieder einen Namen gab. Zwar konnte er nicht nachvollziehen, wie die Magie beschaffen war mit der Ismaiel vorgehabt hatte, den Herrn der Ordnung zu bannen. Aber es gab andere Wege sich das Schwert zu Nutze zu machen. Wenn auch gefährlichere. Die Waffe direkt gegen den Herrn der Ordnung einzusetzen, wie sie es planten war ein reines Glücksspiel. Und es würde sehr viel von ihm abhängen, dachte Galren. Allein bei dem Gedanken wurde ihm flau im Magen.

,, Ich muss mich dem roten heiligen stellen.“ , erklärte er schlicht. ,, Es gibt einen Weg ihn und den Herrn der Ordnung zu vernichten, aber dafür müssen wir ihn überraschen. Und ihn von seinen übrigen Männern trennen.“ Einen Gott herauszufordern war schon ohne eine Armee im Nacken gefährlich genug. ,, Aber.. es gibt eine Chance.“

,, Eine Kleine.“ , meine Träumer. ,, Selbst wenn wir Erfolg haben , werden höchstwahrscheinlich alle in diesem Saal sterben, das muss euch klar sein. Aber eine Trumpfkarte haben wir vielleicht noch… etwas mit dem der rote Heilige nicht rechnet.“

,, Und die wäre ?“ , fragte Janis.

,, Ihr selbst. Die Wahrheit über euch . Wenn er euch den überhaupt anhört. Ich fürchte, was von seiner… Rationalität geblieben ist, ist vor langer Zeit bereits verschwunden.“ Träumer musste nicht erklären, was er damit meinte. Janis kannte die Wahrheit. Die, welche Träumer bisher nur vermutet hatte. ,, Jemand wird seine Anhänger ablenken müssen, während wir ihm gegenüber treten.“ , fuhr Träumer fort. ,, Ihr und eure Gardisten werden diesen Teil  übernehmen müssen.“

,, Und warum sollten wir euch trauen ?“ Syle hatte sich von seinem Platz an der Tür gelöst und war nun ebenfalls an den Tisch getreten. ,, Wer garantiert uns, dass dies nicht alles nur euer Plan ist um euren Herrn Galren in die Hände zu spielen ?“

Galren sah wie Naria sich regte, bereit etwas zu sagen, doch bevor die Gejarn dazu kam, den Mund zu öffnen, hatte Träumer ihr die Arbeit abgenommen.

,, Niemand.“ , meinte er nur. ,, Ich weiß wie wenig mein Wort euch bedeuten würde. Aber seht euch um. Ich hätte es nicht mehr nötig mit euch zu spielen, Hochgeneral. Ein, zwei Wochen dann wird der rote Heilige selbst hierher kommen und sich holen was er will. Und wenn ihr noch eine Chance haben wollt, dann müsst ihr jetzt schnell handeln.“

,,Herr…“ Syle zögerte.,, Ich kann euch nur noch einmal bitten, nicht auf diesen besessenen Verräter zu hören.“

,, Ich glaube ihm Syle. Ich weiß ihr verseht das nicht aber… Ich kenne Träumer. Er hat immer versucht mich irgendwie zu warnen. Und zu schützen, so schwer das teilweise war. Und er hat Recht. Das hier ist vermutlich unsere letzte Chance.“ Erneut stand er schwankend auf und sah die gesamte Versammlung einen Mann nach dem anderen an. ,, Ich sage wir ergreifen sie. Das wird die Stunde in der sich unser aller Schicksal entscheiden wird. Lasst Dunkelheit vor dem Morgen sein und falsche Propheten die vor dem Ende zittern. Heute werden wir uns sammeln ihre Lügen zu verbrennen. Der Heilige glaubt unser Ende sei gekommen, ich sage es wird nur der Anbruch eines neuen Zeitalters. Der Preis für das letzte Stück Weg dahin wird hoch sein, darüber möchte ich niemanden belüge.  Aber wenn wir noch einmal vereint kämpfen, unter einem Banner,  können wir siegen. Der Wahn abergläubischer Narren wird für immer vergessen sein.  Die ruhmreichen Tage wiederkehren. Aber nur wenn wir diese Chance heute ergreifen.  Als Brüder und Schwestern. Seite an Seite. Öffnen wir unserem Feind die Augen sage ich. Mit Feuer und Stahl, mit einer Faust auf dem Herzen… Und was sagt ihr?“

Galren glaubte den Mann kaum wieder zu erkennen. Als er Janis kennen gelernt hatte, war er ein Kind gewesen. Verzogen, uneinsichtig. Als sie sich das zweite Mal begegneten war er gedemütigt und mit seiner eigenen Arroganz konfrontiert. Doch dieser Mann hier vor ihm war nichts von beidem. Janis war geworden was er sein wollte. Sein Stolz war nicht mehr von Hochmut gezeichnet, seine Worte nicht von Verachtung durchzogen sondern mit Respekt… Ein Mann, der mit sich im Reinen war, ausgeglichen zwischen seinen eigenen Extremen.

Kaiser Janis Lothaera  stützte sich schwer auf den Tisch, doch musste er nicht lange auf seine Antwort warten. Es gab nur eine, ein Satz, der aus tausend Kehlen wiederhallte und die Wände des Saals zum Wanken brachte. ,, Mit Feuer und Stahl !“ Und mit diesen vier Worten hatte eine neue Kaiserdynastie ihren Anfang genommen…

 

 

Kapitel 85 Träumers Worte

 

 

 

Der Weg ins rote Tal wurde Galren bald lang. Es blieb zu viel Zeit, sich Gedanken und Sorgen über das zu machen, was auf sie zukam. Die aufgeheizte Stimmung die bei ihrem Aufbruch aus Vara noch geherrscht hatte, war bald verflogen und hatte gedämpfter Resignation Platz gemacht. Vor allem wenn er an das dachte, was Träumer ihm gesagt hatte.

,, Wenn dieser Plan aufgehen soll, dann müsst ihr ihm wiederstehen, versteht ihr das ?“ , erinnerte er sich an die Worte des Mannes. Er musste nicht erklären, wer er war. Sie zogen in den Krieg gegen einen Gott. Und der Ausgang war mehr als ungewiss.  ,, Egal was wir tun, wir können nicht hoffen, ihn sofort zu vernichten.“

,, Ich bin bereit dazu.“ , hatte er damals noch geantwortet.

,, Und das grade bezweifle ich, Galren. Niemand ist bereit dafür. Ich habe einmal nur seine Hand gespürt, nicht als seinen Finger breit seiner Macht… und doch hat es meinen Verstand halb blind gemacht. Er wird abgelenkt sein, wenn er endlich einen Fluchtweg zurück in diese Welt sieht. Darauf müssen wir uns verlassen. Aber trotzdem muss der Zeitpunkt stimmen, Galren. Wir müssen warten, bis zum letzten Moment, bis er sich wirklich zeigt. Und ihr müsst ihm so lange stand halten…“

Es war ein gutes Stück Weg zum roten Tal und den meisten blieb nichts anderes zu tun, als einen Fuß vor den anderen zu setzen. Zwerge und Gardisten und Stadtwachen gleichermaßen hatten sich ihnen angeschlossen, alles in allem noch einmal zweitausend Mann. Ein beeindruckendes Aufgebot, hatte doch auch ihr Feind bereits schwere Verluste hinnehmen müssen … aber auch ihr letztes.

Und so waren sie schließlich fast alle gegangen. Lediglich Zyle, Relina, Zachary  und Jiy waren in Vara zurück geblieben um die Stadt im Falle ihres Versagens zu sichern. Genauso wie Eden und Cyrus, wenn auch nur unter Protest. Nicht, dass es viel zu retten gäbe, wenn das hier schief ging, dachte Galren.

Und an ihrer Spitze ritt Janis, in der schwarzen Rüstung in der Syle ihm nach Vara gebracht hatte. Damals hatten noch die Insignien des Herrn der Ordnung auf dem dunkel gefärbten Stahl geprangt. Mittlerweile jedoch, war davon nur noch mattes Metall übrig gewesen, wo man sie herausgebrochen und weggeschliffen hatte. Einzig auf der Brustplatte zeichneten sich die grob in den Stahl geschnittenen Umrisse eines toten, schwarzen Baumes ab. Und auch die Gardisten hatten, ohne dass es dazu einen Befehl gebraucht hätte, teilweise begonnen, das neue Siegel zu übernehmen. Schwarze Flaggen mit silbernen Bäumen darauf wehten neben dem Doppelwappen der Belfare im Wind. Und so schien es, dass ein Teil ihres kleinen Zugs Trauer trug. Ein letztes Zeichen des Respekts an ihren alten Kaiser und ein Symbol dafür, dass sie es jetzt unter ihrem neuen zu Ende bringen würden. Das Wetter hatte sich während ihres Marchs nach Osten stetig verschlechtert. Hatten in den Herzlanden bereits die ersten Vorboten des Frühlings Einzug gehalten, kämpften sie für den Großteil des Wegs zunehmend mit eisigem  Regen und dunklen Quellwolken, welche die Sonne verdeckten. Breite streifen Schatten wehten mit den Wolken über das Grasland der östlichen Provinzen, wie düstere Vorboten dessen, was noch vor ihnen lag. Und dann schließlich, kam das rote Tal in Sicht.

Galren konnte nicht anders, als sich einen Moment zu wünschen nicht hier zu sein. Ohne die Sonne hatten die Felsen und Klippen die Farbe von altem Blut, das grade begann zu gerinnen. Hatte ihn dieser Ort einst mit seiner rauen Schönheit in den Bann geschlagen, wirkte er nun nur schroff und Abweisend. Der Fluss war ein dunkles, glitzerndes Band, das sich zwischen verfallenen Ruinen und Straßen hindurch Wand, die Wälder versanken fast im Schatten der Klippen. Und über allem, so hoch,  das seine Türme noch über den Rand des Tals empor ragten, thronte der Tempel. Eine grobschlächtige Kathedrale, ein Monument in Stein gegossenen Hasses. Der rote und schwarze Stein türmte sich vor ihnen wie ein künstlicher Berg auf, die glatten, abweisenden Außenwände verziert mit Darstellungen und Zitaten in alten toten Sprachen aus den Lehren des Herrn der Ordnung. Eine Sonne aus Obsidian thronte hoch über dem Eingang, so groß, das man selbst aus der Entfernung glaubte, einfach hindurch treten zu können.

Die Zeltlager die nach Träumers Berichten die Ebene vor dem Tempel bedeckt hatten, waren jedoch verschwunden und ließen den Blick frei auf die Schutzwälle des Monuments. Ein einer Spirale zogen sie sich Aufwärts um den künstlichen Hügel herum auf dem es sich erhob. Galren konnte den Sog spüren, den die Nähe zu dem Bauwerk auf ihn ausübte, das leiste Flüstern längst verloschener Träume hallte in seinem Geist. Unwillkürlich machte er einen Schritt vorwärts. Der rote Heilige war dort, wartete… Seine Hand legte sich auf den griff des Steinschwerts das er trug. Lias alte Waffe. Er hatte dem heiligen ein Versprechen gegeben. Und er beabsichtigte es zu halten. Und doch war die Präsenz des Wesens dem sie sich stellen wollten hier schier übermächtig. Erneut machte er einen Schritt, war kaum mehr eine Handbreite vom Abgrund entfernt. Eine Hand legte sich mit sanftem Druck auf seine Brust. Er sah nach unten, sein Blick traf sich mit Elins. Es brauchte keine Worte zwischen ihnen. Nicht mehr jetzt. Und so nickte er einfach, bevor er sich zu ihr herabbeugte und ihr einen Kuss auf die Lippen hauchte.  Galren wusste nicht, ob er bereit war, das hier zu beenden. Nicht wirklich. Und das mulmige Gefühl das er es nicht war, wollte auch jetzt nicht weichen. Der Kuss änderte nichts, sie änderte nichts. Egal was sie für einander empfanden es würde nicht ausreichen um einen Gott zu besiegen.  Aber irgendwie… machte es alles leichter, sie an seiner Seite zu wissen…

Den Weg durch das Tal legten sie größtenteils schweigend zurück. Niemand stellte sich ihnen in den Weg oder hielt sie an. Die Ebene schien verlassen, genauso wie die staubigen Straßen denen sie folgten du die Ruinen. Äonen an Wind der roten Sand mit sich trug, hatten den einst weißen Marmor der Bauten rosa gefärbt, wie Knochen an denen noch die letzten Reste Fleisch hingen.

Galren konnte die Angst sehen, die viele ergriff, er sah Männer straucheln je weiter der Tempel vor ihnen in die Höhe wuchs. Manche hielten an oder wurden langsamer. Schwere Regentropfen fielen vom Himmel herab und durchtränkten den trockenen Staub des roten Tals. Träumer schien den Regen als einziger kaum zu spüren, der bald dafür sorgte, das die meisten Männer mit gesenktem Kopf gingen. Der ehemalige Erwählte hingegen hielt den Blick fest auf das Tor des Tempels gerichtet, selbst als sie schließlich in die Spirale aus Mauern eintraten, die hinauf zum Vorplatz führte. Und dort schließlich, als sich die Wolkendecke über ihnen vollkommen geschlossen hatte und das Tal in Finsternis zurück liegt, erwartete man sie bereits. Kultisten, wie viele konnte Galren nicht einmal schätzen, umringten den Aufgang zum Tempelplatz. Vielleicht nur ein paar hundert, vielleicht waren es aber auch tausende. Ihre Reihen standen so dicht, das er nicht durch sie hindurch sehen konnte. Aber er sah die hoch aufragenden Schemen er Geweihten und die verkümmerten Gestalten  der Magier.  In den  Händen der vorderen Männer brannten Fackeln. Doch sie griffen nicht an. Noch nicht. Ein Ring aus flackerndem Feuer bildete sich um sie, als die Kultisten vor den Männern Cantons zurück wichen. Sobald die letzten den Aufgang passiert hatten, schlossen sich ihre Reihen auch hinter ihnen, kreisten sie endgültig auf ihrem Weg zum Tor des Tempels ein. Galren  war, als könnte er die Spannung in der Luft mit Händen greifen, während die Gardisten ihrerseits Position bezogen, ohne ein Wort, das einzige Geräusch das prasseln des Regens und das Scharren ihrer Füße. Ein Kreis aus Musketen und Lanzen schloss sich um Janis und Galren und die anderen wurden ob sie wollten oder nicht in seine Mitte gedrängt. Mit einem Ruck zog der Kaiser das Schwert, zum ersten Mal seit er die Waffe erhalten hatte. Und statt mattem Stahl schimmerten Flammen auf der Klinge, blau und grün und gelb, ein greller Lichtschein, der vom regenfeuchten Marmorboden des Platzes reflektiert wurde und die Kultisten blendete, die für einen Moment schützend die Hände vors Gesicht hoben. Regentropfen verdampften  mit einem zischenden Geräusch, wenn sie mit der Klinge in Berührung kamen. Eine Insel aus Licht bildete sich ausgehend von Janis um die wartenden Gardisten.  Nur Träumer blieb stehen wo er war, mitten im Niemandsland zwischen den regungslosen Kultisten und den waffenstarrenden Männern der Garde. Und er war es auch, der sich als erstes zu der Gestalt umdrehte, die im Schutz des Tempeleingangs auftauchte. Janis konnte ihn spüren, bevor er ihn sah. Der rote Heilige schien es nicht eilig zu haben sich ihnen entgegen zu stellen. Mit gemäßigten Schritten trat er aus dem Schatten unter dem Tor heraus, blieb jedoch weiterhin unter der hohen Decke, die den Regen von ihm abhielt. Seine Augen schienen Glutpfützen im Dunkel zu sein.

,, Seit ihr gekommen um euch wieder in meine Dienste zu schleichen, Träumer ? Oder warum solltet ihr mir alle meine Feinde bringen? Und den letzten Schlüsse für die Rückkehr unseres Herrn…“

,, Ich bin hier weil ich die Wahrheit kenne.“ , meinte Träumer ruhig. ,, Janis…“

Falls der rote Heilige über seine Anwesenheit überrascht war, so zeigte er es jedenfalls nicht. Nicht einmal, als der junge Kaiser, nach wie vor das brennende Schwert führend, vortrat.

,, Ich bin Janis Belfare…“

,, Es scheint wohl so.“ Der rote Heilige ließ ihn erst gar nicht weiter sprechen. ,,  Ihr wart ein nützliches Werkzeug. Aber offenbar hat sich euer Nutzen mit euren Erinnerungen erschöpft.“

,, Ihr habt mich gegen den Mann den ich Vater nannte gehetzt.“ Janis Stimme klang beherrscht und weder seine Mimik noch seine Gestik verrieten, was in seinem Kopf vorgehen mochte. Nur das Schwert in seinen Händen, dessen Flammen zornig heller loderten. ,, Aber ihr wisst auch das Kellvian Belfare nicht mein Vater war. Ich bin nicht von seinem Blut. Doch wie ihr sehen könnt, spielt das keine Rolle. Genau so wenig wie mein wahrer Name für mich Bedeutung hat. Euer Verrat wiegt schwerer, als ihr glaubt. Padion Lothaera. Wüsste ich nicht bereits, wer ihr seid… ich wüsste nicht einmal ob ich euch hassen könnte. Nein. Aber ich bin enttäuscht… Vater.“

Eine Weile wurde es auf dem Platz erneut still. Dann jedoch lachte der rote Heilige. Ein unheilvoller, falsch klingender Laut. ,, Soll das ein Schlechter Scherz sein, Träumer ? Seid ihr so verzweifelt?“

,, Es ist nur die Wahrheit. Seit ihr so blind geworden, das ihr nicht einmal das sehen könnt?“

Ein Muskel im Gesicht des roten heiligen zuckte. Schatten tanzten über die handförmige Narbe auf seinem Gesicht und erwecken das Mal auf beunruhigende Weise zum  Leben.

,, Dann hat der Kaiser mir das Kind eben zweimal geraubt.“ Die Worte wurden leise gesprochen und doch waren sie laut wie ein Sargnagel, der eingeschlagen wurde. Ihre letzte Hoffnung, dies alles friedlich zu Ende zu führen. Er wollte es nicht sehen, dachte Galren. Oder vielleicht war es ihm auch schlicht egal geworden. Träumer hingegen wendete sich von seinem ehemaligen Herrn ab und den Kultisten zu.

,, Und ihr ? Seid ihr zu verblendet um das wahre Gesicht eures Meisters zu sehen  selbst wenn es sich offen zeigt?“ Seine Stimme war leise, aber eindringlich, jedes Wort ein Hammerschlag selbst über das prasseln des Regens hinweg. ,, Ich bin Aetos Sideris. Viele von euch kennen mich als Träumer. Doch meine Zeit der Träume ist vorbei. Und ich bin es nicht, der eure Herzen mit Lügen vergiftet hat.  Lügen mit denen sich ein blutiger Tyrann anmaßt euch führen zu dürfen. Aber ich weiß das in vielen von euch die Flammen der Wahrheit noch immer brennen. Ich kann sie immer noch sehen und heute werde ich ihr neue Nahrung geben. Heute ist euer Augenblick gekommen euch gegen ihn zu erheben. Ich weiß, dass ihr eure Ketten brechen könnt, dass die wahren Heiligen unter euch heute unter dem rechten Banner stehen werden… In euren Herzen wisst ihr, dass ihr betrogen wurdet nicht um irgendeinem höheren Ziel zu dienen sondern nur als Werkzeuge für seine eigenen Zwecke. Seine eigenen Worten  sind Ketzerei gegen alles. Er hat ein Imperium in Schutt und Asche gelegt und Nacht gebracht. Doch heute wird das Enden. Aus der Asche kann sich noch immer ein Phönix erheben.“

Anklagend deutete Träumer auf den Eingang des Tempels, wo der rote Heilige nach wie vor stand. Und als ob der Wind selbst seinen Worten Folge leisten würde, peitschte er den Sturm zu neuen Höhen an und trieb Regen und Wasser in die Vorhalle des Tempels. Der rote Heilige hob die Hände um sein Gesicht vor dem Wasser und dem peitschenden Wind zu schützen. Und das unglaubliche Geschah. Erst ein, dann zwei, dann immer mehr Kultisten ließen die Fackeln fallen, traten zu dem Ring aus Gardisten. Bei weitem nicht alle. Bei weitem nicht genug. Aber es war ein Anfang.

Der rote Heilige sah der kleinen Prozession nur mit stummem Zorn zu.

,, Eure Worte helfen mir nur, die Verräter auszusondern. Ihr wollt also wirklich gegen mich kämpfen, Träumer? Aber wieso lassen wir das nicht denjenigen entscheiden um den es hier wirklich geht, was meint ihr? Vielleicht erkennt Galren ja, das Aufgeben die weisere Entscheidung sein könnte…“

 

 

 

Kapitel 86 Der Herr der Ordnung

 

Jetzt war also der Moment gekommen, dachte Galren. Ab hier hinge alles von ihm ab. Wenn sie diese Schlacht gewinnen wollten, musste der Herr der Ordnung fallen. Nicht seine Diener. Und das hieß, er würde mit ihm gehen müssen… Erneut lief ihm ein Schauer über den Rücken, dieses Mal, als sich der Blick des roten Heiligen genau auf ihn richtete. Einen Moment lang konnte er nicht mehr zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden, während Visionen durch seinen Verstand blitzen. Er stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Tempelplatzes, konnte spüren wie der Regen ihn durchnässte und doch fand er sich plötzlich im inneren der Katehdrale wieder. Dunkler Stein umgab ihn auf allen Seiten, erhellt nur vom Schein vereinzelter Fackeln, während Regen über ihm durch eine kreisrunde Öffnung in der Decke herein fiel. Stimmen flüsterten und wisperten in seinem Verstand, vertraut und doch fremd, lockten ihn, forderten ihn auf zu folgen…

Dann war alles vorbei und Galren fand sich auf den Knien wieder. Ein großer, dünner Schatten hatte sich vor ihm aufgebaut, schirmte ihn vor dem Blick des roten heiligen ab. Träumer wankte nicht unter dem Blick der glühend roten Augen und auch wenn Galren nicht sehen konnte, was geschah, der  mentale Kampf, den die beiden Männer führten, war für jeden in ihrer Nähe spürbar. Ein Kribbeln überlief ihn am ganzen Körper. Er wusste später nicht zu sagen ob sie einige Minuten oder doch Stunden so dastanden und einander anstarrten, aber schließlich war es der rote Heilige, der kaum merklich zusammen zuckte.

,, Ich ergebe mich.“ , erklärte Galren schließlich und in diesem einen Moment wurde ihm alles klar. Melchiors Worte geisterten durch seinen Kopf und vertrieben die letzten Zweifel. Er konnte sich kein Zögern und kein Straucheln mehr erlauben. Es genügte nur ein Funke der alten Dunkelheit die immer wieder nach ihm griff und alles wäre umsonst. Und deshalb hatte er diese Erkenntnis auch alleine treffen müssen. Galren Lahaye verstand am Ende, ,, Ich bin es Müde, wegzulaufen. Und vielleicht hätte ich es nie versuchen sollen. Welchen Nutzen hat man davon  sich vor seinem Schicksal zu verstecken?“

 Langsam bahnte er sich einen Weg zwischen den wartenden Gardisten hindurch. Merl stellte sich ihm als erster in den Weg. Nicht Elin. Armell folgte ihm. Mit ihr hatte seine Reise begonnen, dachte er. Und ohne die beiden wäre er wohl nie so weit gekommen.

,, Ich hoffe ihr wisst was ihr tut.“

Galren konnte nur nicken. Seine Kehle war trocken, seine Haut klamm und das nicht nur vom Regen. Er fürchtete sich, vor dem was kommen mochte. Und doch rang er sich ein Lächeln und Worte ab.

,, Ich danke euch… Freund. Wenn das alles vorüber ist, und der Sturm sich gelegt hat…“ Galren zögerte. Er wollte keine Versprechungen machen. ,, Was auch geschieht ich wünsche euch alles Gute. Euch beiden…“

Er beeilte sich, weiter zu gehen, vorbei an Naria, Janis und Syle und allen anderen. Den Gesichtern, die ihm so vertraut waren und von denen er viele Freunde nannte. Würde er sich überhaupt noch an sie erinnern, wenn er scheiterte, oder würde der Herr der Ordnung schlicht alles auslöschen? , fragte er sich schließlich als er an das Ende der Reihe kam. Und würde er sich an sie erinnern? Elin wartete neben Träumer auf ihn. Es gab keine letzten Worte zwischen ihnen, als sie seine Hände umfasste. Ihr Blick sagte alles, was er wissen musste.  Lass mich nicht alleine hier zurück. Wenn er versagte würden sie getrennt sterben. Und doch konnte er sie nicht mitnehmen. Elbst wenn es hier draußen nicht weniger gefährlich wäre. Das Dunkel jenseits der hoch aufragenden Tempelpforte gehörte ihm alleine. Ihm und Träumer von dem so viel bei diesem Plan abhängen würde. Es fühlte sich seltsam an diesem Mann so vertrauen zu müssen. Und doch war es die einzige Wahl die ihnen blieb. Trotzdem konnte er sich fast nicht überwinden, Elin schließlich los zu lassen. Mit Träumer an seiner Seite überquerte er den Streifen leeren Marmors zwischen ihm und dem wartenden roten Heiligen. Mit jedem Schritt schien der unsichtbare Sog, den dieser Ort auf ihn ausübte stärker zu werden. Es kostete ihn Mühe nicht zu rennen, obwohl er sich davor fürchtete, mühe, die Stimmen nieder zu ringen, die ihm sagten, er solle vor dieser Gestalt auf die Knie fallen und sich wahrhaft ergeben. Stattdessen trat er nur stumm durch das hohe Tor, vorbei an dem roten Heiligen und in das Zwielicht dahinter. Die Kunstfertigkeit der Halle, die ein helles, freundlicheres Spiegelbild der Fresken draußen darzustellen schien, schenkte er kaum Beachtung. Doch die Worte des roten Heiligen, als er ihnen schließlich folgte, rissen ihn noch einmal zurück in die Wirklichkeit.

,, Ihr Träumer könnt mitkommen. Werdet zeuge gegen was ihr euch gestellt habt.  Vielleicht seid ihr auch nur deshalb hier? Um euch wieder vor mir auf die Knie zu werfen? Wir werden sehen. Was den Rest angeht… tötet sie.“

Er fuhr herum, wollte zurücklaufen. Träumer packte ihn an der Schulter und riss ihn zurück, während der Platz draußen im Chaos versank. Schreie und das Klirren von Stahl waren zu hören, der Klang einer Schlacht und einmal sah Galren eine Schneise aus Licht, die sich durch die Reihen der Kultisten fraß. Janis… Doch mehr konnte er nicht mehr erkennen, hatte der Ring aus Männern sich doch bereits vor dem Tempeleingang geschlossen. Träumer hielt ihn nach wie vor fest. Aber er musste nicht mehr fürchten, das Galren davon laufen konnte. Sie hatten alle um das Risiko gewusst. Jetzt lag es an ihnen, es auch zu Ende zu bringen.

Als er sich wieder umdrehte um den roten Heiligen zu folgen, der ihnen voraus durch die nachtschwarzen Korridore ging, konnte er den Sog noch stärker spüren als zuvor. Sein Verstand wurde unter dem beständigen Angriff gefährlich Träge, seine Schritte schienen von jemand anderen gesteuert. Und als sie schließlich die innerste Kammer erreichten, jenen Ort den er immer und immer wieder in seinen Visionen gesehen hatte, sank er auf die Knie. Es kostete ihn jeden letzten Rest Willen um nicht schlicht alles zu verleugnen was er war… und aufzugeben. Zu verlockend und zu überwältigend waren die fremden Gedanken in seinem Geist und beinahe war ihm, dass er hinter dem roten Heiligen eine weitere Gestalt sehen konnte. Ein unförmiger Schatten in dem ein rotes Herz pulsierte. Seine Form wandelte sich beständig, schien einmal wunderschön und strahlend vor blutrotem Licht und dann wieder düster und kaum von der Dunkelheit zu unterscheiden, die an diesem Ort herrschte. Galren kniete direkt unterhalb der Öffnung im Kuppeldach. Der Regen hatte die rauen Steinfließen unter ihm rutschig werden lasse. Er konnte sein eigenes Spiegelbild auf dem dünnen Wasserfilm sehen und starrte doch in die Augen eines Fremden…

Der rote Heilige hingegen hatte sich ihnen wieder zugewandt. ,, Seid ihr bereit eure wahre Rolle anzunehmen, Galren Lahaye ?“

Er nickte nur, wollte diesem Monster nicht mehr Worte gewähren. Und doch war da der leise Kern des Zweifels, der ihn nicht verlassen wollte. War er deshalb hierhergekommen? Ja. Nein… Es schien wichtig, dass er eine Antwort auf diese Frage fand. Und doch konnte er sich nicht erinnern. Was er einst gewesen war schien weit weg, Gefangen irgendwo im hintersten Winkel seines leergefegten Geistes.

Der Schatten de er zuvor schon gesehen hatte, nahm langsam hinter dem roten Heiligen Gestalt an. Galren konnte seine Präsenz spüren, noch ehe es ganz erschienen war. Wie ein physisches Gewicht, das nicht länger nur seinen Geist erdrückte sondern nun auch verhinderte, dass er sich von der Stelle rührte. Es umfloss ihn wie Nebel, wie eine Schlange aus flüssiger Finsternis. Es umkreiste und umfloss ihn, zog immer engere Kreise.

Warum war er hier? Er musste sich erinnern, aber alleine die Gegenwart dieses Wesen machte jedes denken fast unmöglich. Es war, als würde sein Geist ertrinken, während sein Körper noch bei vollem Bewusstsein war. Und dann floss der Schatten wieder zusammen, manifestierte sich zu einer Wand zwischen ihm und dem roten Heiligen, die langsam auf ihn zukam. Galren musste den Blick senken, sah erneut hinab auf die spiegelnde Wasserfläche, in die Augen des Fremden, der er war. Er… Und nicht dieses Wesen da vor ihm. Er kannte dieses Flüstern, dieses Gefühl zu verschwinden. Galren Lahaye sah auf, sah der Wand aus Dunkelheit und pulsierendem roten Licht entgegen.  Es hatte ihn Verfolgt, seit er den ersten Schritt in jene verfluchte Stadt auf der anderen Seite der Welt gesetzt hatte. Es hatte ihn dazu getrieben jene zu verraten die ihm vertraut hatten und hätte beinahe ihr Vertrauen in ihn für immer zerstört. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Es hatte ihm keinen Frieden gewährt, als er, so unwahrscheinlich das war, Liebe gefunden hatte, wo Hass hätte sein müssen. Und Vergebung. Sein Fuß wollte wegrutschen, als er sich halb aufrichtete, doch Galren wusste, wenn er jetzt fiel, würde er nicht wieder aufstehen. Mit allem was er hatte, was ihn ausmachte, sei das gut oder schlecht, warf er sich gegen seine unsichtbaren Ketten, er akzeptierte die Stimmen, ließ sie schlicht durch ihn hindurch wandern , akzeptierte was sie waren und was er war. Aber das hieß nicht, dass sie ein Schicksal teilen mussten. Der Schatten war fast über ihm und er kam auf die Füße, sah zu Träumer. Und in diesem Augenblick erkannte auch der rote Heilige, was vor sich ging.

Träumer zog das Schwert, die Waffe die er bisher mit aller Macht vor dem roten Heiligen abgeschirmt hatte. Die Klinge schimmerte weiß wie Mondlicht, ein gefrorener Lichtstrahl inmitten der Dunkelheit. Und als er Galren die Waffe zuwarf, schien sie einen Schimmer hinter sich her zu ziehen. Das Schwert erkannte sein Schicksal genauso wie Galren das tat. Der einzige, der es nicht verstand war scheinbar der rote Heilige. Er schrie auf, machte einen Schritt vorwärts, während der Nebel und Galren nur noch wenige Schritte auseinander waren.

,, Das wagt ihr nicht!“ Seine Stimme war ein bösartiges Kreischen, ein Laut so voll Zorn, Hass und Unglaube, das er Galren unter anderen Umständen bis ins Mark erschüttert hätte. Doch in diesem einen Augenblick gab es für ihn nichts mehr als den weißen Schatten in der Luft und den schwarzen vor ihm. Er streckte die Hand aus, seine Finger umschlossen den Griff der Klinge. Mit einer einzigen Bewegung brachte er sie zwischen sich und den Schatten, der grade im Begriff war sich auf ihn zu stürzen. Es gab keine Zweifle mehr. Nur noch eines von  zwei Schicksalen für ihn. Und eines würde hier sterben. Der Schatten war über ihm, stürzte sich mit einem unwirtlichen Kreischen auf ihn, ein Bolzen aus Dunkelheit. Er sollte Galren nie erreichen. Der Schatten prallte gegen das Schwert, kollidierte mit den magieverzehrenden und reflektierenden Sterneneisen. Unwirtliches Heulen drang an Galrens Ohren, als die Klinge begann mit der Energie des Herrn der Ordnung zu resonieren. Der Kristall färbte sich schwarz und wieder weiß, als seine eigene Macht auf ihn zurück geworfen wurde, Lücken in den Schleier riss. Und je mehr er versuchte Galren zu überwältigen desto mehr Macht floss durch die Klinge und wurde gegen ihn gerichtet. Seine eigene Macht begann ihn immer schneller zu verzehren. Doch ehe Galren zusehen konnte, wie der letzte Rest Finsternis verschwand, geschah etwas. Der Schatten wich vor ihm und der ausströmenden Energie des Schwerts zurück, floh, durch die Tempelhalle. Und fand schließlich die einzige Hülle, die es für ihn noch gab. Zerfetzt und zerfasert war das Wesen immer noch schnell. Und bei weitem schneller als der rote Heilige, als es sich zu ihm umwendete. Galren sah nur kurz seine weit aufgerissenen Augen, bevor die Dunkelheit ihn verschluckte. Und seine Schreie als sich der Herr der Ordnung in seinen Geist brannte und auslöschte, was immer dort  noch an Menschlichkeit geblieben sein mochte. Galren und Träumer sahen beide nur ungerührt zu, wie der rote Heilige verzehrt wurde. Im gleichen Moment schien die Realität selbst sich vor ihren Augen aufzulösen. Der gesamte Tempel erzitterte, risse bildeten sich in den Wänden, während Steintrümmer herabfielen nur um auf halbem Weg zum Boden zu erstarren. Blitze zuckten aus dem nirgendwo, schmolzen Stein zu Lava, die langsam zu Boden troff. Manche der Tropfen erstarrten einfach, hingen in der Luft wie unheimliche Lampen und tauchten die innerste Tempelkammer in rötliches Licht.  Staub tanzte in einem grellen Schein, das die Schatten vertrieb und enthüllte, was aus dem roten Heiligen geworden war. Galren und Träumer wichen zeitgleich zurück, gleichzeitig von Ehrfurcht und Abscheu erfüllt.

,, Das ist die Macht, die ihr hättet haben können, Galren.“ , tönte eine Stimme, die nichts menschliches mehr hatte. Sie klang tief und hoch zugleich, hatte einen unangenehmen Nachhall, der sich ihnen in die Köpfe brannte und jedes Wort zu einer Qual machte. Die letzten Überreste des Schattens verzogen sich. Der Herr der Ordnung war hier…

 

Kapitle 87 Der Fall eines Gottes

 

 

 

Das Wesen war groß, größer als Syle. Galren hätte ihm vermutlich grade bis zur Brust  gereicht hätten sie sich gegenüber gestanden. Und doch war es unverkennbar Humanoid. Der Kopf war groß und ganz und gar nicht menschlich, sondern abgeflacht, wie nach dem Willen eines verrückten Künstlers geformt. Zwei Augen in denen jeweils gelbes und rotes Feuer glühte musterten die zwei Sterblichen, liedlos und ohne eine sichtbare Iris. Ein greller Heiligenschein aus goldenem Feuer  glühte hinter dem Kopf, beleuchtete die graue, aschfahle Haut.  Licht und Dunkelheit hüllten den Körper des Herrn der Ordnung ein, gaben seiner Erscheinung etwas Ätherisches. Und dich war er ohne Zweifel hier, ragte vor ihnen auf. Allein seine Gegenwart schien das Gewebe der Realität selbst aufzulösen. Kleine Steine wurden vom Boden zur Decke geschleudert und blieben dort haften. Blitze zuckten aus seinen Händen und brannten schwarze Spuren in den Stein zu seinen Füßen. Vom roten Heiligen selbst jedoch war nichts geblieben. Lediglich Blutpfützen zeugten noch von der Wiedergeburt eines Gottes. Blut, das auch die langen, spinnenartigen Gliedmaßen bedeckte und aus dem Stoff der silbrigen Roben troff, die der Herr der Ordnung trug. Und doch wirkte das Wesen nicht so unbesiegbar, dachte Galren. Sonst wäre es längst geschehen. Es wand sich und zitterte, sichtlich geschwächt, sowohl von seiner Rückkehr als auch durch den Teil von ihm, der Galrens Schwert zum Opfer gefallen war. Sie mussten handeln. Jetzt. Erneut hob er Atrun mit einer Hand, während er mit der anderen Lias Schwert zog und stürzte auf das Wesen zu.  Bevor er es jedoch erreichen konnte, hob es eine Hand und Galren wurde rückwärts geschleudert und landete schwer auf den Steinfließe. Atrun entglitt seiner Hand und schlitterte über den Boden. Träumer jedoch konnte das Wesen nicht aufhalten. Mit einem Satz war der Geweihte vor ihm, während seine Form einen Moment in den Schatten zu verschwinden schien und sich verzehrte, hin zu einer skelettartigen Monstrosität, gehüllt in dunkle Schatten. Ohne langsamer zu werden, krachten die beiden Titanen ineinander und während das Wesen, das zuvor noch Träumer gewesen war, nach dem Herrn der Ordnung schlug und tiefe Wunden in dessen Körper riss, lies letzterer Blitze durch die Luft zucken, die den Leib des Geweihten versengten. Träumer sackte zu Boden, rote Glutwolken stiegen von ihm auf, während sein Gott sich über ihm aufbaute. Licht sammelte sich in den ausgestreckten Händen, grell wie die Sonne, bereit alles zu verbrennen, das sich ihm in den Weg stellte. Doch es kam nie dazu.

Galren kam hastig wieder auf die Füße und trieb der Kreatur das Steinschwert in den Rücken. Die Klinge zerteilte das aschfahle Fleisch, doch statt Blut drang nur Staub und Dunkelheit daraus hervor, als blute dieses Wesen Finsternis. Der Herr der Ordnung gab einen markerschütternden Schrei von sich, als er in die Knie ging und mit einer Hand die in knisterndes Licht getaucht war, nach Galren schlug. Rasch tauchte dieser unter dem Hieb durch und führte die Klinge in einer Aufwärtsbewegung. Die Hand des Wesens wurde sauber am Gelenk abgetrennt und das Licht erlosch. Aber nicht für lange, als sein unverletzter Arm urplötzlich in den grauen Körper gesogen wurde… nur um genau gegenüber Galren wieder hervorzubrechen, einer Lanzenspitze gleich, die sich durch Haut fraß.  Die Faust traf ihn erneut, warf ihn rückwärts, in einem Strom aus Feuer, der seine Haare versengte und seine Lungen als er entsetzt Luft holte. Ein Blitz traf ihn an der Schulter, biss sich tief in seine Haut und brachte ihn dazu, auch noch das zweite Schwert loszulassen.

Der Herr der Ordnung kam wieder auf die Füße, doch sichtlich mitgenommen. Staub und Asche, die aus seinem Körper austraten, formten sich anstelle der verlorenen zu einer neuen Hand. Doch die tiefe Wunde, aus der immer noch Schatten wie Blut hervorströmten heilte nicht. Und Träumer hatte sich ebenfalls erholt. Der Mann hatte wieder menschliche Form angenommen, rief einen Sturm aus nadelspitzen Eispfeilen herbei, die sich in den Leib ihres Gegners bohrten und ihn zurück drängten.

Galren kämpfte sich abermals hoch. Allein die Gegenwart dieses Wesens ließ ihm nach wie vor alle Haare zu Berge stehen. Und während es unter Träumers Angriffen verschwand nur um direkt über Galren wieder aufzutauchen, meinte er ein dünnes Lachen in seinem Verstand zu vernehmen. Staubig, uralt und triefend vor unvorstellbarer Bosheit…

,, Ihr könnt mich nicht einmal verletzen… Ich bin ein Gott.“

Aber einer den man durchaus verletzen kann, dachte Galren. Die Stimme seines Gegners troff vor Hohn, aber war da nicht auch eine Spur Unsicherheit? Und nach wie vor blutete er Schatten, war er ohne jeden Zweifel verletzt…

Er warf sich zur Seite, als der Herr der Ordnung einen Bolzen aus Licht auf ihn schleuderte, stolperte einige Schritte weit… und dann sah er es, schimmernd in der Dunkelheit der Tempelkammer. Atrun. Seine Hände schlossen sich um den Schwertgriff, während der Gott ihm nachsetzte. Galren blieb ganz ruhig stehen, wartete. Kurz bevor sein Gegner ihn erreichte, schwang er die Klinge in weitem Bogen und sprang vorwärts. Es gab kaum Wiederstand, als der Kristall sich durch den Körper des Herrn der Ordnung fraß und Asche und Dunkelheit in alle Richtungen verteilte. Die Wunde war tief und zog sich quer über seine Brust, zerfetzte das silbrige Gewebe seiner Roben und ließ nur klaffende Finsternis zurück, als das Ungeheuer schwer zu Boden stürzte. Jetzt, dachte Galren. Er musste es jetzt beenden, wenn es jemals eine Chance gegeben hatte. Mit raschen Schritten trat er auf den gefallenen Titanen zu und hob das Schwert um ihm die Waffe endgültig ins Herz zu stoßen. Doch etwas ließ ihn innehalten. Das Gefühl das etwas nicht stimmte. Noch immer konnte er dieses Wesen in seinem Kopf spüren. Und es hatte keine Angst vor ihm…  Er ließ die Waffe sinken und trat vor dem gebrochenen Gott zurück. Langsam schob er Atrun in die Scheide.

,, Galren, nicht !“ Träumer rannte so schnell es ihm mit seinen eigenen Verletzungen möglich war, zu ihnen herüber. ,, Ihr… Götter, wir waren solche Narren. Ihr dürft ihn nicht töten.“

Als Antwort auf seinen Ausruf ertönte wieder dieses feine Lachen, das sie alle zu verspotten schien.

,, Nur zu… vernichte mich nur einer von euch…“ Nach wie vor schmerzte die Stimme des Herrn der Ordnung in seinen Ohren, doch klang sie nun erschöpft und kaum mehr bedrohlich.

,, Er ist ein Unsterblicher.“ , erklärte Träumer leise.

,, Und ?“

,, Tötet mich und wer immer es tut wird meinen Platz einnehmen.“ Immer noch lag Hohn in seiner Stimme. Er wusste was er ihnen damit sagte. Er nahm ihnen die Wahl etwas zu tun… Galren konnte nur entsetzt zwischen dem sterbenden Gott und Träumer hin und her sehen.

,, Ich sehe das hat euch niemand verraten…“ Erneut lachte der Herr der Ordnung, verlachte ihre Hoffnung. ,, Ich gewinne in jedem Fall…“

,, Ach wirklich ?“ Galren trat zurück und hob seine zweite verlorene Waffe auf. Lias altes Schwert. Die steinerne Klinge wog schwer in seiner Hand. Er hatte en Versprechen gegeben und er beabsichtigte es zu halten. ,, Wenn ich nur die Wahl habe euren Platz einzunehmen und  ob ich mich selbst dabei Aufgebe oder nicht… dann bringe ich das hier lieber als ich selbst zu Ende.“

 Er hob das Schwert, doch ehe er zustoßen konnte, hatte Träumer seine Hand gepackt, hielt sie mit einer Macht fest, die man seinem dünnen Körper niemals zugetraut hätte.

,, Das ist nicht euer Schicksal mein Freund.“ Seine Stimme war leise, traurig, aber eindringlich. ,, Ich werde es tun.“

Galren konnte sich einen Moment nur zu ihm umdrehen und ihn eindringlich ansehen. Träumers Gesicht war eine Maske, die nicht verriet, was in ihm vorging. Aber er schien entschlossen, seine Hand zitterte nicht, als Galren ihm schließlich das Schwert übergab.

,, Seit ihr euch sicher ?“

Träumer nickte nur, während er sich über dem Herrn der Ordnung aufbaute. Er wendete den Blick nicht ab, sah der gebrochenen Kreatur direkt in die brennenden Augen, als er ihr die Waffe auf die Brust setzte… und zustieß.

 

Janis duckte sich unter einer Klinge weg, bevor er einen weiteren Gegner neiderstreckte. Das Schwert brannte sich durch seine Rüstung und steckte die Kleidung des Kultisten in Brand. Schreiend ging der Mann zu Boden und verschaffte Janis damit zumindest eine kurze Atempause. Der  gesamte Vorplatz des Tempels war in Blut getaucht. Tote Körper bedeckten fast jede freie Fläche. Pulverdampf trieb in Schaden durch das Halbdunkel, der Geruch von Blut und Schießpulver vermischte sich und der Regen reichte längst nicht mehr aus, ihn fort zu waschen. Noch konnten sie sich behaupten, doch die Kultisten drangen mittlerweile von allen Seiten auf sie ein, trieben den Ring aus Verteidigern, der Janis auf jedem Schritt folgte hin und her, ohne das es ihnen irgendwo gelungen wäre, durchzubrechen. Allein die eiserne Disziplin der Garde und das Wissen darum, das es keine Gnade für sie geben würde, hielten die Männer noch davon ab, ihre Posten zu verlassen. Die Kultisten selber hätten sie überwinden können, dachte Janis. Die meisten von ihnen waren bereits beim ersten Ansturm unter dem Feuer der Musketen und später den Bajonetten der Gardisten gefallen. Aber die Geweihten und ihre Monstrositäten schienen kaum durch normale Waffen aufzuhalten. Er selber hatte drei der Ungeheuer im Lauf der letzten Stunde niedergestreckt und doch waren da scheinbar immer neue Schrecken. Seine Arme waren schwer, sein Kopf fühlte sich an als sei er mit Watte ausgestopft und der Regen machte es schwer, etwas zu erkennen. Er wusste nicht einmal ob, oder wie viele seiner Gefährten überhaupt noch am Leben waren. Vielleicht war er der letzte, der noch auf den Beinen stand? Und spielte es eine Rolle? Nein… selbst wenn, sie hatten getan was sie  konnten. Jetzt hing es an Galren. Noch war nicht alles verloren, dessen war er sich sicher. Wenn hätten sie es gemerkt. Aber gewonnen hatten sie genau so wenig etwas. Er sah hinauf zur Silhouette des Tempels, die sich dunkel durch die Regenschleier hindurch abzeichnete. Was er dafür geben würde zu wissen, was da drinnen grade vorging.

Grade rechtzeitig bemerkte er noch eine Bewegung in seinem Augenwinkel und parierte einen Hieb der ihn andernfalls glatt enthauptet hätte. Das Wesen dem er in die Augen sah war nur noch entfernt menschlich zu nennen. Dunkle Wucherungen bedeckten seinen Körper wie unförmige Muskelberge und das Gesicht war eine Fratze mit scharfen, gelben Zähnen und glühenden Augen. Rasch wich er zurück und wehrte erneut die große, schwarze Klinge ab, die das Wesen gegen ihn führte. Knirschend trafen die Waffen aufeinander, die Flammen die sein eigenes Schwert umgaben loderten einen Moment heller… dann zerbrach die Waffe seines Gegners knirschend, das Metall gab nach, verformt von der Hitze. Janis setzte sofort nach und spaltete die Brust des Dämons. Und doch rückten sofort zwei weitere an seine Stelle. Langsam wich er zurück, in die Reihen seiner eigenen Männer, die nach wie vor irgendwie standhielten. Sie waren alle müde, erschöpft. Die letzten Monate hatten spuren bei allen hinterlassen, während ihre Gegner scheinbar immer wieder neue Reserven heranführen konnten…
Er sah sich in ihren Reihen um, sah die erschöpften, mit Dreck verschmierten Gesichter und die leeren Augen. Es ging dem Ende entgegen… Und doch konnte es für sie noch keine Ruhe geben. Nicht solange ihr Schicksal nicht entschieden war. Mit einem Aufschrei riss er die Klinge empor. Erneut schien das Feuer die Dunkelheit zurück zu treiben, bildete einen Lichtkreis um ihn und seine Männer und blendete ihre Gegner. Und ein letztes Mal folgten die Männer ihm, gegen die Reihen aus Kultisten und Monstern. Sie sollten sie nie erreichen. Noch ehe Janis zwei Schritte getan hatte, erzitterte der Boden unter seinen Füßen. Männer stürzten, als der Marmor in Stücke ging und die hohen Türme der düsteren Kathedrale zu wanken begannen. Und dann stieg eine Lichtsäule gen Himmel ein einzelner Ausbruch greller Helligkeit, die das Dach des Tempels durchschlug und die zentrale Kuppel in tausend Stücke gehen ließ.

Die Kultisten bedeckten angstvoll die Köpfe mit den Händen, während ihre Geweihten scheinbar an Ort und Stelle erstarrten auf das Licht starrten. Und schrien. Manche sanken auf die Knie oder wanden sich urplötzlich in Pein, während ihrer Körper von roten Flammen verzehrt wurden. Asche war alles was am Ende von ihnen blieb, während die menschlichen Kultisten nur mit wachsender Verwirrung zusehen konnten. Das Licht über dem Tempel zerstreute sich zu gleißenden Funken, welche die dunklen Wolken einen Moment von innen heraus erhellten und es Taghell werden ließen. Und in diesem letzten Ausbruch von Licht vergingen die letzten der Geweihten zu Staub. Über das rote Tal hinaus, von Maras bis Helike und zurück nach Silberstedt hoben die Anhänger des Herrn der Ordnung die Köpfe und sahen angstvoll zum gleißend, weißen Himmel, während die Geweihten in ihrer Nähe mit dem Tod rangen. Und die Erde zitterte, spaltete die Talwände und lies blutrotes Geröll hinabregnen, als sich ein Riss durch das Land fraß, direkt durch den Tempel hindurch. Die Verwerfung war selbst noch in Erindal zu spüren, wo das Meer auf einmal zu kochen begann, als die Welt sich wandelte. Und als sie sich wieder beruhigte war ein Stück des Ozeanjenseits der Stadt  verschwunden und hatte dunklem, dampfenden  schwarzen Stein Platz gemacht.….

Die hohen, kunstvollen Säulen des Tempels brachen auseinander und stürzten auf Gardisten und Anhänger gleichermaßen hinab, begruben sie unter sich, während Janis versuchte, Ordnung in ihre Reihen zu bringen. Was immer dort soeben geschah… es änderte alles. Das gesamte Tal schien sich aufzubäumen und sie alle dabei mitreißen zu wollen.

,, Wir müssen hier weg!“ , rief er über das tosen hinweg. Einen Moment sah er Syle, der den Männern das gleiche zurief.

,, Kommt schon, alle raus hier. Rückzug !“ Während die Gardisten sofort reagierten, bleiben die meisten Kultanhänger stehen, wo sie waren, bis der Bär schließlich Befahl, das sich jeder Gardist einen schnappen und mit sich zerren sollte. Alles um sie herum war in Auflösung begriffen.

,, Was ist mit Galren und Träumer ?“ , hörte er Elin und Naria fast gleichzeitig fragen. Immerhin blieb ihm eine lange Diskussion erspart, als die genannten wenige Augenblicke später unter dem gefährlich wankenden Torbogen des Tempels hindurch hasteten. Beide wirkten sichtlich mitgenommen. Galrens Haare waren angesengt und er blutete aus dutzenden kleinerer Schnitte und Träumer war nicht weniger angeschlagen. Blut hatte seine blauen Roben durchtränkt, trotzdem bewegte er sich schnell und entschieden. Und in den Händen hielt er ein graues Schwert, das mit  etwas besudelt war, das schwarzes But sein mochte…. Sie hatten es geschafft dachte er. Irgendwie hatten sie es überlebt. Das waren seine letzten Gedanken, bevor er sich von dem, dem Untergang geweihtem, Bauwerk abwendete und sich den fliehenden Männern anschloss.

 

 

Kapitel 88 Ende einer Ära

 

 

 

Die Sonne brach durch die Wolken und enthüllte die Ruinen dessen, was einst das große Heiligtum des Herrn der Ordnung hätte werden sollen. Geborstene Streben und Türme ragten wie die Finger einer Skelett-Hand gen Himmel. Der Staub hatte sich gesetzt und enthüllte die Zerstörung, die das Erdbeben angerichtet hatte. Die roten Felswände des Tals waren auf allen Seiten eingestürzt und hatten es vergrößert und gegen Osten war das Land selbst aufgerissen und formte nun eine natürliche Erweiterung zur Schlucht des roten Tals.

Seite an Seite standen sie über der von der Sonne erhellten Senke und sahen zu, wie ihre Strahlen wärmend und reinigend über das Land fielen. Die Luft roch nach den letzten Regenfällen sauber und kühl und brachte den Duft des Frühlings von ersten Blütenknospen und neuen Blättern mit sich. Es war, als wäre die Welt gereinigt worden, Asche und Schmutz waren hinweg gespült worden und nun glitzerten die letzten Tautropfen überall im Licht, verwandelte die Welt in ein Kaleidoskop aus Farben. Und über ihren Köpfen schwebte das Banner Cantons, das alte wie das neue.

Gardisten und die überlebenden Anhänger des Herrn der Ordnung hatten sich über die Ebene verteilt und ihre Zelte aufgeschlagen. Manche leckten ihre Wunden, andere tranken oder unterhielten sich. Die meisten der Kultisten jedoch hockten dicht an dicht, die Köpfe gesenkt, als wäre mit dem Tod ihres Meisters auch ihr Wille zu leben geschwunden. Naria konnte sich kaum vorstellen, was sie fühlen mochten, als sie zu ihnen zurück blickte. Und auch wenn ein Teil von ihr meinte, dass sie kein Mitleid mit ihnen haben sollte…  in ihrem tiefsten inneren wusste sie wie es war, wenn einem alles genommen wurde. Nach wie vor zog sie ein Bein leicht nach, während sie auf Träumer zutrat. Der ehemalige Geweihte wachte über seine verzweifelten Brüder und sprach leise zu ihnen und tatsächlich schienen seine Worte ihre Wirkung zu tun. Manche hoben den Bick, von Tränen verschleiert zwar, doch schien auch wieder so etwas wie Hoffnung darin zu glimmen.

Träumer bemerkte sie und wendete sich von seinen Anhängern ab. Und das waren sie nun, dachte Naria. Ob er es wollte oder nicht, er war wohl der einzige Führer den diese verlorenen Männer und Frauen noch hatten. Doch eine Frage brannte in ihrem Verstand, eine auf die sie nach wie vor keine Antwort erhalten hatte. Und so winkte sie Träumer mit sich, zum Rand der Klippen, etwas abseits der anderen.

,, Was ist in diesem Tempel wirklich passiert ? Galren meinte, der Herr der Ordnung wäre vernichtet, aber… Ich weiß wenn ich angelogen werde. Janis spürt es auch, aber er hinterfragt es nicht. Und ich glaube nicht, dass es überhaupt jemand möchte. Wir haben uns alle Ruhe verdient. Doch obwohl das hier alles nach einem Sieg aussieht, will mir der Gedanke keine Ruhe lassen… Ist er also wirklich fort? Ist es vorbei?“

Träumer antwortete nicht sofort, sondern ließ den Blick einen Moment über das rote Tal und die übrigen von Narias Gefährten schweifen. Noch immer lösten sich kleinere Lawinen von den instabilen Steilwänden unter ihnen. Armell und Merl lagen sich in den Armen, während sie dem Schauspiel zusahen. Zachary stand etwas abseits von ihnen und lächelte kaum merklich in sich hinein, während Janis mit Syle die nahegelegenen Zeltlager durchstreifte und bereits ganz wie ein Kaiser wirkte. Hadrir und seinesgleichen hatten währenddessen bereits wieder einen Rat einberufen, doch was immer dabei zu besprechen war, Naria war sich irgendwie sicher, dass der unfreiwillige Zwergenkönig sich behaupten würde.  Elin und Galren hingegen waren bereits dabei alles für ihren Aufbruch nach Vara vorzubereiten. Sie gönnte es ihnen. Die beiden konnten etwas Ruhe vertragen. Und sie selbst ? Naria wusste es nicht. Maras, dachte sie. Die Insel lag nach wie vor in Trümmern und man würde dort jede Hand für den Wiederaufbau brauchen. Und doch fiel es ihr nicht so leicht wie den anderen, frohen Muts in die Zukunft zu schauen. Nach wie vor lagen Schatten auf ihrer Seele und Narben auf ihrem Körper die sie nicht vergessen konnte. Vielleicht war sie es deshalb auch, die die entscheidende Frage stellte.

,, Das sind zwei unterschiedliche Fragen. Mit unterschiedlichen Antworten.“ , meinte Träumer nachdenklich. ,, Der Kampf ist jedenfalls entscheiden. Aber was den Herrn der Ordnung angeht… Er war ein Unsterblicher, vergesst das nicht. Und ein solches Wesen kann niemals wahrhaft sterben. Und doch habe ich ihn getötet.“

Narias Augen wurden weit, als sie verstand. ,, Heißt das…“ Sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden, als Träumer sich zu ihr umdrehte. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen als er ihr eine Hand auf die Stirn legte. Goldenes Licht umspielte seine Finger. Naria konnte die Wärme die davon ausging auf ihrem Gesicht spüren und in ihren Venen, als es durch ihre Haut zu dringen schien, in jeden Winkel ihres Körpers getragen wurde. Es war ein Gefühl wie… ihr wollten keine Worte einfallen. Wie Sommer. Wie frisches Heu und Lachen und alle Dinge die in sich irgendwie gut waren zusammen. Und irgendwie vollbrachte es, was die letzten Wochen nicht vermocht hatten und trieb die Schatten auf ihrem Geist zurück. Vernichten konnte es sie nicht. Das konnte wohl wirklich nur sie selbst. Aber es machte es erträglicher. Naria war überrascht keinen Schmerz zu spüren, als sich ihre Narben schlossen und unter unberührter Haut und dichtem Fell verschwanden. Und auch ihr Fuß richtete sich, als Knochen und Sehnen wieder normale Form annehmen, erneut ohne jedes Unwohlsein, abgesehen von der Wärme, die sie schon die ganze Zeit durchflutete. Und dann war auch das weg, als Träumer die Hand sinken ließ und sich ohne ein weiteres Wort abwendete. Langsam stieg er über die Felsen in Richtung Talgrund hinab. Und einer nach dem anderen erhoben sich seine Anhänger und folgten ihm. Naria konnte der Prozession nur eine Weile nachsehen. Vielleicht war es die Sonne oder nur die Nachwirkungen des Zaubers, aber einmal meinte sie über Träumers Silhouette noch eine andere Form zu erkennen. Ein Wesen in Weiß mit gleißenden  Schwingen statt dunklen Knochen und eingehüllt von Licht statt von Schatten… Träumer führte seine Schafe fort, ohne noch einmal stehen zu bleiben. Durch die Ruinen und hin zu dem geborstenen Tempel und darüber hinaus.

,, Wohin geht er ?“ Janis war neben sie getreten. Es lag keine Feindseligkeit in seiner Stimme und kein Misstrauen. Nur ernsthafte Neugier.

,, Ich weiß es nicht.“ , gestand Naria ihm. ,, Aber… Ich glaube er hat endlich gefunden, was er immer gesucht hat. Diese Leute werden einen Anführer brauchen. Und sie sind jetzt sein Volk…“

Gemeinsam sahen sie zu, wie die Reste von Träumers Schar endgültig außer Sicht im roten Tal verschwanden. Die Sonne brannte auf sie herab und brachte das Land in allen Farben zum Leuchten, vom Rot der Felsen über das Grün der Bäume und das Braun der ausgedörrten Ebenen bis hin zu den Ruinen des alten Volkes, weiß wie alte Knochen. Ein neues Zeitalter hatte begonnen. Eines des Wiederaufbaus. Die Linie  der Belfare hatte ihr Ende erreicht. Doch neben dem zerfetzten  Banner von Löwe und Adler wehte der silberne Baum im Wind. Naria lächelte.

 

 

Epilog

 

 

 

Am Ende scheint es, finden immer alle Dinge ihren Platz.

Nach der Vernichtung des Herrn der Ordnung und der Befreiung des roten Tals konnten die Zwerge unter König Hadrir Silberstein endlich eine neue Heimat finden. Aus den Ruinen des Tempels des dunklen Gottes entstanden bald ihre ersten Siedlungen und die uralten Ruinenstädte begannen alsbald sich wieder mit Leben zu füllen.

Träumer und seine verbliebenen Anhänger mussten sich letztlich wohl oder übel mit ihren neuen Nachbarn arrangieren, doch nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten, fanden beide Seiten ihren Frieden miteinander und in den Ruinen des alten Glaubens erhob sich bald die erste wahre  Kirche der Ordnung.

Armell reiste  einige Wochen nach dem Ende des Kriegs schließlich nach Hamad,  nur um in ihrer Heimat eine blühende Metropole vorzufinden. Die alten Sünden die man ihr zur Last legte, waren vergessen und umso mehr, nachdem sich herumsprach, das sie während der letzten Schlacht an der Seite des Kaisers gestanden hatte.

Merl kehrte fürs erste mit Zachary  nach Silberstetd zurück und half dort beim Wiederaufbau. Auch hatte Zachary begonnen, neue Schüler bei sich aufzunehmen und so gab es zum ersten Mal seit Jahrtausenden wieder so etwas wie wahrhaft freie Magier in Canton.  Lage jedoch konnte Merl  nichts von Armell trennen und so, nach einigen letzten Worten mit seinem alten Meister, brach er bald ebenfalls nach Hamad auf. Wenige Monate später heirateten die beiden schließlich unter dem Segen des Kaisers. Der einzige größere Schatten, der je wieder auf ihnen liegen sollte, war Merls Sorge darüber, ob ihre Kinder seine Fähigkeiten erben würden.

Obarst D'Ambois war inzwischen aus Freybreak geflohen, wohin genau wusste  niemand. Allerdings ließ er den Großteil seines Vermögens in der Stadt zurück, das schließlich von Lady Armell den Händlergilden zugesprochen wurde, die sich überall erhoben und den Handel erneut zum Florieren brachten.

Galren und Elin schließlich  machten sich kurz nach dem Fall des Tempels auf dem Weg nach Vara. Die Träume und Visionen die ihn geplagt hatten waren endlich verschwunden, zusammen mit seiner Gabe und so konnten die beiden schließlich einer ungestörten Zukunft entgegen sehen. Von Cyrus einmal abgesehen…

Naria kehrte schließlich zusammen mit Zyle und Relina nach Maras zurück. So viel von der Insel auch zerstört worden war, die Überlebenden waren willens genug, nun erst recht noch einmal von vorne anzufangen und so erstrahlten die alten Siedlungen bald wieder in neuen Glanz. Aus Helike gab es viele Stimmen, die forderten, das Zyle in die Stadt zurückkehren sollte um einen Platz als einer der neuen Archonten einzunehmen. Obwohl er letztlich ablehnte, schwand die alte Feindseligkeit zwischen Laos und den Magiern langsam dahin, so weit, das bald Zauberer aus den Städte nach Maras gesandt wurden um dort zu leben und ausgebildet zu werden, anstatt sie zu verfolgen.

Janis Lothaera wurde bereits wenige Tage nach dem Ende des Kriegs von der Adelsversammlung Cantons endgültig als Kaiser bestätigt und machte sich nun daran, die  entstandenen Schäden wieder gut zu machen. Langsam aber sicher erholte sich das Land und auch die Tränen über die Toten versiegten irgendwann.

Syle blieb, zusammen mit einem neuen Ordensmeister,  währenddessen die ganze Zeit an seiner Seite und diente einem neuen Herrn als Hochgeneral, wie er es schon zuvor getan hatte. Auch wenn sich in den folgenden Jahrzehnten des Friedens seine Tätigkeit meist darauf beschränkte, hier und da die Ordnung aufrecht zu erhalten. Und damit schien er zufrieden.

Jiy ihrerseits stand Janis während der ersten Jahre stets mit Rat und Tat zur Seite, zog sich jedoch auf ihre alten Tage immer mehr aus der Politik Cantons zurück. Wo andere die Toten bald überwanden schien es, konnte sie Kellvian nie ganz hinter sich lassen.

Und Symia Tibaris schließlich verschwand, ohne, dass jemand je erfahren hätte wohin…

Doch am Ende haben alle Dinge ihren Platz und ihre Zeit. Und Cantons Geschichte ist  noch lange nicht an ihrem Ende…

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 12.09.2016

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