Er wusste weder wie weit er schon gegangen war, noch wie lange er schon ging. Tage vermutlich… Eine Woche… ? Hätte er so lange überhaupt überlebt? Selbst sein Name war nunmehr ein fernes Echo, während er seinem Ruf folgte.
Um ihn herum erstreckte sich nichts als brennender Sand. Die Luft über den weitläufigen Dünen flirrte und manchmal erzeugte sie sogar die Illusion von sich bewegenden Wasser. Doch so von der Sonne verbrannt und verzweifelt war er noch nicht, dass er sich ihnen hingab… Er hatte die See bereits vor einer Gefühlten Ewigkeit hinter sich gelassen, die blauen Gestade, die gegen die Mauern einer großen Stadt brandeten… Wie war ihr Name? Er hatte sein leben dort verbracht, er müsste es doch wissen… Doch mit jedem Schritt den er weiter in die Wüste tat, schien seine Vergangenheit mehr und mehr zu nichts zu schwinden, schmolz in der Sonne und rann davon wie der Schweiß der ihm auf der Stirn stand.
Der namenlose Wanderer blieb einen Moment stehen und suchte den Horizont ab. Kein Zeichen von dem, den er suchte. Eine Briese, die jedoch nur Flugsand und keine Kühlung brachte, trieb ihm die zerschlissene Robe um den Körper. Einst hatte sie im Blau der Archivare gestrahlt… der Archivare von Helike. Ja, das war der Name an den er sich kaum erinnern konnte. In der Hitze war das einst strahlende Blau jedoch ausgebleicht und siegelte nun eher die Farbe des Himmels wieder. Trocken, warm wie alles hier.
Unter der Kapuze und dem Schal, den er sich als Schutz vor den häufigen Stürmen tief ins Gesicht gezogen hatte schienen seine sanften, grauen Augen zu leuchten und die ganze Gestalt des Mannes war so dürr, das sie mit dem Flimmern in der Luft zu verschwinden schien. Schwerfällig tat er einen weiteren Schritt und griff nach dem Wasserschlauch, der um seine Mitte hing.
Als er ihn zum Mund hob um zu trinken war es warm, fast ungenießbar, trotzdem trank er. Und er würde weitergehen, denn er war gerufen worden.
Die Visionen hatten ihn fast einen Monat gequält und jetzt wo er ihnen folgte, da wurden sie nur intensiver, trieben ihn Vorwärts, wie die Peitsche eines missgünstigen Herrn. Selbst jetzt am Tag konnte er sie sehen, wenn er die Augen schloss. Die Träume vom roten Heiligen. Und doch der Sinn des Ganzen, das Ziel das ihm versprochen wurde…
Er hatte immer lebhaft geträumt, ja, daran konnte er sich erinnern. Und Visionen… Ja manchmal waren seine Träume auch wahr geworden. Doch meist waren sie Banal gewesen. Und erträglich.
Nicht so wie diese hier, die nicht mehr von ihm ablassen wollte.
Der Träumer überwand sich zu einem weiteren Schritt. Angst den Whaid zu begegnen hatte er keine. Die Vision hatte ihm viel verraten. Auf seinem Weg würde ihm kein Leid geschehen. Selbst die handtellergroßen Skorpione wichen vor ihm zurück, wenn er auf ihre Nester trat und keine Schlange biss ihn obwohl er barfuß ging. Seine Schuhe waren schon viele Meilen zuvor zerfallen. Nur sein eigener Wille war sein Feind. Das war die große Prüfung. Ob er bis zum Schluss gehen oder vorher umkehren würde…
Seine Füße sanken in den kochend heißen Sand. Die Sonne brannte unerbittlich. Und als er wieder aufsah, war er nicht mehr alleine.
Die Hitze schien dem Mann der dort vor ihm am Fuß einer Düne stand nichts zu bedeuten. Obwohl sie sich zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht begegneten, erkannte er sein gegenüber. Aus den Träumen… Selbst seine Kleidung war dieselbe. Ein dunkles mit Pelz besetztes Wams von dem mehrere Goldketten hinab hingen. In das Ende jeder einzelnen war, fast wie ein blutendes Auge, ein Rubin eingelassen. Es kostete den Träumer Überwindung aufzusehen und in das Gesicht seines Gegenübers zu blicken, wusste er doch schon, was er dort finden würde. Die Haare waren von einem dunklen rotbraun, fast wie geronnenes Blut und quer über das Gesicht zog sich das Mal. Es war rot, im Vergleich zur restlichen eher bleichen Haut des Mannes stach es hervor wie Feuer. Über den Hals und das Kinn bis hinüber über ein Auge erstreckte sich die Zeichnung. Ob es eine Narbe war oder einen anderen Ursprung hatte, das wusste er nicht zu sagen. Nur das er es überall erkennen würde. Ein Finger nur , der diesem Mann aufgelegt worden war und sich für immer eingebrannt hatte.
In der Hand hielt der Mann eine Sense, doch war diese mehr Symbol als Waffe. Auch das hatten ihm die Visionen gezeigt. Der rote Heilige war gekommen um zu Ernten…
,,Hallo Kind…“ Er trat auf ihn zu wie ein Freund, mit ausgebreiteten Armen, wie jemand, den er seit Jahren kannte und nicht nur durch quälende Träume. ,, Ich habe lange nach jemanden wie dir gesucht. Wir haben viel zu bereden und ich dir viel zu zeigen…“
Der Träumer versuchte etwas zu sagen, doch die Worte wollten nicht kommen. Seine Kehle fühlte sich an wie Staub und vielleicht hatte er in der Einöde sogar das Sprechen verlernt. Doch der Heilige sagte nichts, kein Wort der Schande, sondern reichte ihm nur einen Wasserschlauch.
Fasziniert und erschreckt zugleich stellte er fest, dass das Wasser Eiskalt war, als stamme es grade erst aus den Tiefen eines Brunnens. Aber sie waren mitten im Nirgendwo… Er hatte zuvor nicht daran gezweifelt, dass dieser Mann etwas Besonderes war, wenn er ihn so Rufen konnte. Doch wie es aussah konnte er geradezu Wunder vollbringen…
Zitternd ergriff der Träumer seine Hand und sank auf die Knie. ,, Dann lehre mich Herr…“
Wie zur Antwort legte der rote Heilige ihm eine Hand auf den Kopf. ,, Wie ich schon sagte. Vor uns liegt viel Arbeit. Also erhebe dich mein erster Diener…“
Mit den Worten kam das Feuer, das durch seine Adern zu fließen schien bis jede Faser brannte. Die Hitze der Wüste erschien ihm plötzlich wie die Kälteste Nacht, als noch seine letzten Gedanken verschwanden. Aber er hieß den Schmerz willkommen. Dieser Mann war hier um zu Ernten. Und er würde es sein, der ihm vorausging und die Saat ausbrachte…
,, Erhebe dich Träumer…“
Das Holz war zu nass. Flackernd und zischend leckten die Flammen daran, brachten das Wasser darin zum Kochen, das als kleine Blasen aus den Schnittstellen aufstieg. Das Feuer brannte in einer kleinen Grube, die sie mühsam im Erdreich ausgehoben hatten. Galrens Stiefel klebten noch voll Schlamm. Auch wenn der Sommer langsam im Land Einzug hielt, hier auf Hamad war es nach wie vor kühl und die Regenschauer hielten seit Tagen an. Wenigstens jetzt hatten sie jedoch einmal ausgesetzt und die Wolken sich zum Großteil verzogen. Tautropfen glitzerten nach wie vor im Gras.
Sie standen auf dem Gipfel eines kleinen, bewaldeten Hügels. Ein guter Ort, dachte Galren Lias hatte ihn gemocht und mehr als einmal hatte er den alten Gejarn hier oben gefunden, wenn er nicht in seiner Schmiede war. Man konnte ganz Maillac überblicken.
Schweigend sah er zu, wie die Flammen höher loderten und den in leinen gehüllten Körper verzehrten, der oben auf dem Scheiterhaufen lag. Und eigentlich, dachte er, war es ein Begräbnis für drei Männer, auch wenn ihnen nur ein Körper geblieben war. Vielleicht hatte Armell genau deshalb auch dabei sein wollen. Er hatte es ihr nicht ausschlagen wollen. Merl, Varan, Lias… Drei Leben die innerhalb von so kurzer Zeit hintereinander erloschen waren. Von Merl, dem jungen Magier war nichts geblieben als Staub und die Leiche seines Vaters trieb irgendwo auf dem Meer, genauso verloren, wie er den Mann einst geglaubt hatte.
Glut stob von dem Scheiterhaufen auf und zwang ihn, einen Schritt zurück zu machen. Die roten Funken verloschen irgendwo über ihm im Blätterdach, konkurrierten in ihrem Farbton mit der einsetzenden Dämmerung. Irgendwo unter ihnen, am Fuß des Hügels, leuchtete Maillac. Das kleine Fischerdorf an der südlichen Küste Hamads war kaum mehr als eine Ansammlung von Hütten und kleineren Steinbauten. Es gab ein paar größere Wiesen, auf denen die Dorfbewohner ihre Tiere hielten und ein paar Lebten auch vom Holz, das die umliegenden Wälder lieferten. Ansonsten jedoch gab es hier nichts. Der Hafen, wenn man diesen denn als solchen bezeichnen konnte war bestand lediglich aus einigen Pfählen und einem morschen Steg an dem die Boote der Fischer ankerten. Größere Segler kamen schon lange nicht mehr hierher, spätestens seit man auf der Insel nicht mehr fand, was sie einst berühmt gemacht hatte. Sterneneisen. Abseits der Siedlung gab es einige Stollen und Gruben, die sich um einen gewaltigen Krater gruppierten, doch waren diese seit mittlerweile über zwei Jahrhunderten verlassen. Galren hatte sich jedoch oft als Kind dorthin gewagt und einmal sogar tief in eine der alten Minen hinein. Genau bei diesem Ausflug hatte er auch Lias kennengelernt…
Der Gedanke schmerzte nach wie vor… Und das ihm die Augen tränten konnte er nicht länger nur auf den Rauch des Feuers schieben. Lias hatte ihm einmal erzählt, wie gefallene Krieger in seiner Heimatstadt, Helike bestattet wurden. Das hier kam dem hoffentlich so nah, wie es der alte Löwe gewollt hätte. Es war das einzige, was Galren angemessen schien.
Er spürte, wie sich eine Hand auf seinen Arm legte. Armell sah ausdruckslos in die Flammen, die von dem Körper seines alten Freunds kaum mehr als Asche übrig ließen. Galren war nicht der einzige, der jemanden verloren hatte…
Armell D'Ambois war normalerweise nicht die Art Frau von der man erwartete, dass sie weinte. Die schwarzen Haare, die ihr bis über den Rücken fielen unterstrichen nur den ernsten Ausdruck auf ihrem Gesicht. Obwohl ihre Augen verräterisch glitzerten, blieb sie so gefasst, wie man es von einer Adeligen nur erwarten konnte. Ihre Hände jedoch verkrampften sich zu Fäusten, bis sie sie schließlich vor der Brust faltete und wegsah. Ein Ring aus buntem Glas schimmerte an Ringfinger ihrer rechten Hand.
Selbst Sentine, das seltsame kleine Wesen, das sie auf Schritt und Tritt zu begleiten schien, hielt sich dezent zurück. In Gestalt eines Vogels mit dunkelblauem Gefieder saß es auf ihrer Schulter und ließ den Kopf hängen. Die Farbe der Federn passte fast genau zu dem Ton von Armells Kleidung. Die junge Adelige war erst gestern Abend aus Freybreak eingetroffen, der größten Stadt der Insel, die sich weiter nördlich befand. Noch vor einigen Monaten war der Ort fast ruiniert gewesen, doch offenbar änderte sich das nun. Die kostbaren Stoffe, die sie trug sprachen Bände davon. Und doch, sie würde wohl alles hinwerfen, wenn dies nur das Schicksal ändern würde… Genau wie er selbst.
,, Ich werde nie zurückzahlen können, was ich Lias verdanke.“ , meinte Galren. ,, Aber eines Tages… ich will dafür sorgen, das man in Helike Nachricht über ihn bekommt, Armell. Sie sollen wissen wer er war… was er getan hat.“
Armell rang sich ein schwaches Lächeln ab. ,, Ich glaube, das hätte ihm gefallen. Es ist nur Schade… wir hätten die anderen dazu rufen sollen. Zumindest Naria…“
Aber die war seines Wissens bereits wieder auf Maras, der Insel der Magier, fast eine halbe Welt entfernt. Trotzdem… Galren musste ihr Recht geben. Er begann seine Gefährten zu vermissen, die ihm während der letzten Wochen und Monate zur Seite gestanden hatten. Gemeinsam hatten sie das Meer bezwungen. Und den Tod nach Canton gebracht…
Naria, Hedan… Elin. Vor allem vermisste er die junge Gejarn, ihre schelmische Art und Lächeln. Nach dem Tod seines Vaters hatte er die fliegende Stad Hals über Kopf verlassen. Im Nachhinein tat es ihm jetzt Leid. Er hatte sich nicht von den anderen Verabschiedet und ob er noch einmal dorthin zurückkehren würde wusste er nicht. Er hatte seinen eigenen Vater getötet und LIAs verloren. Als die zerbrochene Klinge Varans sich dann auch noch weiß gefärbt hatte, weiß wie in einer lange vergessenen Warnung… War er nichts als eine Spielfigur bei dem ganzen gewesen? Galren hatte einmal geglaubt, darüber hinweggekommen zu sein. In der Stadt der Zwerge, weit jenseits der Küste. Er hatte die Veränderung gespürt, die ihn damals befallen hatte. Das schleichende Böse, dem er bereitwillig erlaubt hatte für ihn zu entscheiden, selbst wenn dadurch alle anderen in Gefahr gerieten… Und er hatte gedacht, es bezwungen zu haben. Jetzt jedoch sah es so aus, als hätte er nie eine Chance gehabt bei diesem Spiel als Sieger hervorzugehen. Irgendwie war immer noch alles genau so abgelaufen, wie es Parlor scheinbar befürchtet hatte.
Galren hatte für ein Leben genug von Prophezeiungen und Ränkeschmieden. Und ohnehin hatte er jegliche Führung verloren. Einst hatte er die Gabe besessen, seinen Weg klar vorauszusehen, doch auch diese war mit dem Tod seines Vaters erloschen. Manchmal ertappte er sich trotzdem dabei, wie er danach suchte, wie nach einem lange verlorenen Freund, nach jenem goldenen Faden, der ihm bisher immer die Richtung gewiesen hatte. Wenn er ehrlich war, kam er sich verloren vor.
Mittlerweile war das euer fast heruntergebrannt und nur noch einige Glutstücke glommen in der Asche und den halb verkohlten Zweigen. Mit dem schwindenden Feuer jedoch tauchte die Sonne langsam am Horizont auf, zusammen mit den Nebelfetzen, die von der See her landeinwärts trieben.
Galrens Umhang war völlig durchgeweicht und wie die Stiefle mit Schlammflecken übersäht. Als die letzten Glutfunken verloschen und er begann, die erloschene Feuerstelle zuzuschaufeln war es bereits Taghell. Von Lias war trotz des schlecht brennenden Holzes nichts als Asche geblieben, wofür er dankbar war. Er wusste nicht ob er es über sich gebracht hätte, die verkohlten Knochen seines alten Freunds zusammen zu suchen und erneut zu verbrennen.
Als schließlich nur noch lockere Erde zu sehen war, wo einst Flammen gebrannt hatten, kniete Galren sich hin. An seinem Gürtel hingen zwei Schwerter, eines, das Lias für ihn geschmiedet hatte, das andere, dass welches der Löwe sein Leben lang selbst geführt hatte. Als er diese Klinge nun zog, war sie von einem kaum sichtbaren Schicht umgeben, welche die Luft zum Flimmern brachte. Auf dem Knauf der Waffe lag ein schlichter, weißer Kristall, grade so groß wie Galrens Fingernagel. Während er den Stein mit einer Hand festhielt, rammte er die Klinge am Kopfende des Grabs in die Erde Im gleichen Moment in dem die Waffe die Erde durchbohrte, zerbrach der Kristall. Innerhalb weniger Herzschläge liefen graue Adern über das Schwert und breiteten sich rasch aus. Wie Wurzeln eines Baumes griffen sie nach dem Grund und gruben sich hinein, bis die ganze Waffe in einem steinernen Sockel saß. Und auch der Stahl war zu Fels geworden, wie Galren zufrieden feststellte. Dunkelgrauer Granit, dem Wind und Wetter so schnell nichts würden anhaben können.
Der Zauber war ein Geschenk Narias gewesen. Sie hatte Galren den Kristall gegeben, noch bevor er die fliegende Stadt verlassen konnte… beinahe als hätte sie geahnt, dass er nicht vorhatte zurück zu kommen. Aber die Magierin schien sowieso immer mehr zu Wissen, als sie sollte.
Lias hatte Magie nie gemocht und doch hatte er sich mit ihr angefreundet. Vermutlich hätte er Galren da widersprochen… Götter vermutlich hätte Naria selbst ihm da widersprochen…
irgendwie waren die beiden während der Reise über ihre Differenzen hinweg gekommen.
Armell hatte Schweigend zugesehen, wie das kleine Denkmal Form annahm.
,, Kommt ihr noch mit rein ?“ , fragte er und nickte in Richtung eines Hauses, das etwas abseits der restlichen Siedlung lag. Eigentlich war es das Haus seines Vaters gewesen… und irgendwie war es das für ihn auch immer geblieben, seit er vor zwanzig Jahren verschwunden war. Jetzt jedoch gehörte es wohl wirklich ihm. Und es war leer, dachte Galren. Furchtbar leer und doch angefüllt mit Erinnerungen.
Armell schüttelte den Kopf, schien es sich dann doch noch anders zu überlegen.
,, Freybreak kann auch noch etwas länger warten.“ , erklärte sie. Diese Worte währen ihr früher wohl nie über die Lippen gekommen, da war Galren sich sicher. Aber es hatte sich einiges verändert.
Gemeinsam traten sie den Rückweg ins Dorf an. Galren blickte noch ein paar Mal zum Grab zurück. Wenn es richtig warm wurde, würde hoffentlich auch der grau-braune Fleck verschwinden unter dem Gras verschwinden, der jetzt noch die Umrisse der Grube zeigte. Er fühlte sich nicht besser… aber immerhin hatte er es hinter sich.
,, Liegt euer Onkel euch immer noch wegen dem Geld in den Ohren ?“ , fragte er Armell, hauptsächlich m das drückende Schweigen zu brechen. Offenbar jedoch hatte er damit genau das falsche gesagt.
,, Wir hatten eine Abmachung.“ , erklärte sie nur kalt und ihre Augen blitzten. ,, Er hat keine Ansprüche mehr auf irgendetwas, aber mach ihm jemand das mal klar. Er hat mir gedroht er würde schon einen Weg finden mich zu…überzeugen… ihm das Geld zu überlassen. Ich hab ihm erklärt, das kann er sich bei den Zwergen holen. Etwas anderes haben wir nicht mitgebracht. Galren, wäre er nicht nach wie vor der einflussreichste Händler ich würde ihn aus der Stadt werfen. Ins Hafenbecken. Im Winter. Und glaubt mir ich weiß, dass er nicht schwimmen kann.“
Galren schüttelte den Kopf, während sie vom Hauptweg abbogen und in den kleinen Garten vor dem Haus gelangten. Nach den Monaten, die er auf See verbracht hatte, wucherte hier alles Wild und der einstmals gut sichtbare Pfad, der zur Tür führte war kaum mehr zu erkennen. Sonst jedoch war alles genau so wie er es zurück gelassen hatte. Die Tür schwang in einen kurzen Flur auf, in dem einige Vitrinen mit nautischen Instrumenten standen und eine Treppe führte seitlich ab ins Obergeschoss des Hauses. Galren jedoch trat durch einen Durchgang in einen Raum, der von mehreren hohen Bücherregalen und einem Kamin beherrscht wurde. In letzterem glommen noch Glutreste und er machte sich rasch daran, neues Holz aufzulegen, bevor er seinen Mantel darüber hängte.
Armell tat es ihm gleich und trat an eines der großen Fenster, von denen man zum Waldrand hinauf sehen konnte. Jetzt am Morgen brachen sich Lichtbalken zwischen den Blättern und sprenkelten den Waldboden in ein Muster aus Hellen und dunklen Flecken. Später jedoch, wenn die Sonne höher Stand würden die dichten Zweige der Tannen alles in Dunkelheit hüllen.
So jedoch bemerkte Galren die Bewegung. Ein Schatten, der kurz ins Licht geriet, als er sich bewegte. Dort oben war jemand. Zuerst dachte er, es wäre sicher nur einer der Dörfler die Holz oder Zapfen sammelten, aber irgendwie passte das nicht. Und dann sah er etwas, das ihm das Blut in den Andern gefrieren ließ.
,,Armell, Vorsicht…“ Die Warnung kam grade noch rechtzeitig. Die junge Adelige wich vom Fenster zurück zur sicheren Wand und keinen Herzschlag später zersprang das Glas in tausend Stücke, als es von einem Pfeil durchschlagen wurde. Der hölzerne Schaft brannte und Flammen griffen nach den Teppichen auf dem Boden. Galren fluchte laut, während er sich unter dem Regen scharfkantiger Splitter wegduckte, die über ihn niedergingen. Sah fast so aus, als hätte das Schicksal dem er entkommen wollte jetzt ihn gefunden…
Das Feuer breitete sich mit rasender Geschwindigkeit über den Teppich im Zimmer aus. Mit was immer der mit Tüchern umhüllte Pfeil durchtränkt war, es machte ein Inferno aus diesem Ort. Er hatte schon einmal von Drachenfeuer gehört, aber nie gedacht, es einmal damit zu tun zu bekommen. Eine flüssige Substanz, die bei Kontakt mit der Luft sofort Feuer fing und selbst mit Wasser kaum zu löschen war, brannte sie einmal.
Galren konnte einen Moment nur fassungslos zusehen, wie die Flammen vom Boden auf die Holzgetäfelten Wände und die Möbel übersprangen. Dann jedoch fing er sich, packte Armell und stieß sie zur Tür hinaus.
,, Raus hier !“ , schrie er und endlich schien auch die Adelige den Schock abzuschütteln und rannte los. Sein Verstand raste. Wenn das ein geplanter Angriff war, dann würde man draußen sicher schon auf sie warten. Aber hier drinnen zu bleiben bedeutete zu verbrennen…
Er stolperte in den Flur und bedeutete Armell an der Haustür inne zu halten. Dichter Qual quoll mittlerweile aus dem brennenden Zimmer und machte das Atmen schwer. Hustend drehte Armell sich zu ihm um.
,, Wir laufen in eine Falle.“ , erklärte er hastig. ,, Die warten draußen bestimmt schon auf uns. Wenn diese Tür aufgeht, sind wir tot.“
,, Hier drinnen können wir auch nicht bleiben.“
Galren nickte. Seine Augen tränten und Ho9tze und Rauch taten ihr Übriges. Irgendwie mussten sie hier raus, ohne dabei ihren Angreifern in die Arme zu laufen. Fieberhaft überlegte er. Die Treppe nach oben…
,, Hoch. Wir gehen übers Dach, schnell.“ , entschied er und packte Armell am Arm, bevor er die Stufen hinauf hastete.
,, Habt ihr eine Ahnung, wer diese Kerle sind ?“ Die junge Adelige hatte keine Probleme mit ihm Schritt zu halten
,, Nein.“ Und das war das Problem, dachte er. Warum sollte es jemand auf ihn abgesehen haben? Oder auf Armell ? Es war alles vorbei, selbst Kasran konnte kaum mehr etwas von ihnen wollen.
Am Ende der Treppe stolperten sie in das geräumige Dachgeschoss des Hauses. Hier oben schien noch alles in Ordnung zu sein und nur das Knistern der Flammen unter ihnen verriet, dass etwas nicht stimmte. In mehreren schweren Schränken stapelten sich Karten, Dokumente und Messinstrumente, zusammen mit allerlei Kleinkram, der sich dort in den Jahren angesammelt hatte. Ein großer, hölzerner Schreibtisch direkt an einem der Fenster war mit losen Papieren und Pergamenten überladen. Das war einst das Arbeitszimmer seines Vater gewesen….
Götter, wenn das Feuer bis hier herauf Vordrang würde das trockene Papier brennen wie Zunder, dachte Galren, als er zum Schreibtisch hastete und die Zettel darauf achtlos zu Boden stieß. Mit einem Satz war er auf der Holzplatte und am Fenster.
Armell folgte ihm nach wie vor dicht auf. Warum waren diese Männer hinter ihnen her? , fragte sie sich. An Galren waren sie doch sicher nicht interessiert, oder? Und die Antwort, die sie darauf erhielt
Gefiel ihr gar nicht. Wenn diese Männer nicht hinter Galren her waren, waren sie hinter ihr her und ihr fiel nur ein Mann ein, der einen guten Grund dazu hatte, ihr Schaden zu wollen.
Galren hatte sich unterdessen daran gemacht, das Fenster zu öffnen und kletterte hinaus auf das leicht abschüssige Dach. Sie folgte ihm nach kurzem Zögern hinaus. Unter ihnen lag der verwilderte Garten des Hauses und zwischen den wuchernden Pflanzen bewegten sich mehrere Gestalten. Offenbar hatten sie sich tatsächlich um die Tür herum postiert, Musketen und Bögen im Anschlag. Wären sie da unten herausgekommen, sie wären sofort umstellt gewesen…
Dahinter wiederum lag Maillac. Aus der Ortschaft waren bereits Rufe laut geworden, als man den dichten Qualm entdeckte, der mittlerweile aus dem Untergeschoss des Hauses schlug.
Und offenbar hatten die Angreifer noch nicht bemerkt, dass sie nach oben entkommen waren. Mit etwas Glück konnten sie tatsächlich entkommen und wenn dir Dorfbewohner erst herbeikamen um nachzusehen, was los war…
,, Weiter, hier lang.“ , riss Galren sie aus ihren Gedanken. Die Schindeln unter ihren Füßen waren rutschig und das Dach bot kaum Möglichkeiten sich festzuhalten. So balancierten sie vorsichtig hin zur Rückseite des Hauses. Wenn es ihnen gelang um die Ecke des Dachs zu kommen, konnten die Männer unten sie nicht mehr so leicht entdecken, das wusste Galren. Aber wenn jetzt auch nur einer von ihnen aufsehen würde…
Er schüttelte den Gedanken ab und ging weiter. Auf der anderen Seite des Hauses gab es eine Leiter, wenn sie die erreichten, konnten sie sich einfach durch die Gärten davon stehlen und mittlerweile hatten sie auch die kritische Ecke hinter sich gebracht. Er warf einen Blick nach unten und stellte fest, dass ihre Angreifer nach wie vor blieben, wo sie waren. Offenbar gingen sie immer noch davon aus, das er und Armell durch die Haustür gehen würden, wenn der Rauch sie dazu zwang.
Langsam jedoch wurden sie Unruhig. Galren zählte vier Männer, die in dunkles Leder gekleidet waren. Krägen und Ärmel waren mit weißem Pelz verbrämt und in das Material ihrer Kleidung war ein Zeichen gebrannt worden. Galren konnte es nicht genau erkennen, aber für ihn sah es aus wie drei Finger einer Hand. Daumen, Zeige und Mittelfinger, wobei die letzten beiden zusammengelegt worden waren und nach oben deuteten. Zwei von ihnen waren mit Musketen bewaffnet, währen die anderen beiden Bögen und Pfeile bereithielte. An ihren Gürteln konnte er mehrere große Gefäße erkennen, die wohl das Drachenfeuer enthielten, mit dem sie das Haus angezündet hatten.
Bevor er jedoch mehr erkennen konnte, kam er plötzlich ins Rutschen. Einer der Dachziegel zerbrach, als er darauf trat. Galren schwankte, sah nach unten auf den kalten Erdboden, der ihn erwartete. Gedanken an den Absturz seines eigenen Vaters überkamen ihn. Armell streckte eine Hand nach ihm aus, jedoch einen Moment zu spät.
Er wollte Aufschreien, als er spürte wie seine Füße endgültig den Halt verloren. Aber dann hätte er sie gleich mit verraten. Und so schloss er nur die Augen, während der Boden plötzlich rasend schnell auf ihn zukam.
Der tödliche, tiefe Sturz jedoch blieb aus. Stattdessen raste Schmerz durch ihn, als er in einer der wild wuchernden Hecken landete. Kleinere Äste brachen, größere Bohrten sich ihm in den Körper, bremsten aber seinen Aufprall. Etwas traf ihn am Kopf, ein Zweig bohrte sich ihm in die Nieren…. Dann war alles vorbei.
Schwer atmend lag Galren einen Moment wie betäubt inmitten der Blätter. Alles tat ihm weh, aber weder schien er sich etwas gebrochen zu haben, noch Blutete er sonderlich stark. Ein paar Schürfwunden und tiefere Schnitte… sonst nichts. Ein kleines Wunder, dachte er, als er sich aufrappelte.
Armell war oben auf dem Dach stehengeblieben und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Nur langsam schien sie zu verstehen, dass ihm tatsächlich nichts passiert war. Galren glaubte es ja selbst noch nicht ganz.
Hastig bedeutete er ihr, weiterzugehen. Er würde sich von hier unten aus auf den Weg zur Leiter machen. Die Adelige blieb noch einen Augenblick stehen wo sie war, als wollte sie sich versichern,
dass es ihm wirklich gut ging.
,, Jetzt geht schon.“ , rief er so laut wie er es wagte. Endlich setzte sie sich in Bewegung. Galren atmete erleichtert auf und klopfte sich einige Blätter aus der Kleidung. Sah so aus als hätte es sich ausgezahlt den Garten so verkommen zu lassen, dachte er und lächelte kurz. Das Lächeln gefror jedoch, als er Schritte hörte, die auf ihn zukamen. Wenige Augenblicke später rannte auch schon einer ihrer Angreifer um die Ecke des Hauses.
Offenbar war sein Absturz doch nicht so unbemerkt geblieben, wie er gehofft hatte. Dem ersten Mann folgten rasch drei weitere, allesamt die Waffen im Anschlag. Einer der Männer blieb sofort stehen, als er ihn sah, spannte bereits den Bogen und ließ einen Pfeil fliegen.
Galren spürte den Luftzug, als das Projektil knapp an ihm vorbeijagte und irgendwo hinter ihm in den Büschen verschwand. Ein kurzer Blick hinauf zum Dach zeigte ihm, das Armell mittlerweile die Rückseite des Hauses erreicht haben musste. Immerhin, sie war in Sicherheit. Relativ gesehen.
Er wappnete sich bereits für den nächsten Pfeil, der unweigerlich folgen musste. Stattdessen jedoch trat einer der drei verbleibenden Männer dem Bogenschützen in die Schussbahn.
,, Er will ihn lebend. Was ihr mit der Frau macht ist mir egal, aber Lahaye gehört dem Herrn der Ordnung. Wenn ihm etwas geschieht, können wir unsere Weihe vergessen.“
,, Ich enttäusche euch ja nur ungern, aber ich habe nicht vor einfach so mitzukommen.“ , rief Galren. Herr der Ordnung ? Er konnte nicht sagen, dass er den Namen schon einmal gehört hatte. Genau so wenig, wie ihm das Symbol auf ihrer Kleidung etwas sagte. Weder bei den Zwergen noch hier in Canton hatte er je so etwas gesehen…
Seine Hand wanderte zum Griff des verbliebenen Schwerts an seiner Seite. Die Waffe, die Lias ihm einst gefertigt hatte. Der mit schwarzem Leder umwickelte Griff war ihm mittlerweile nur zu gut vertraut. Mit einem Ruck zog er die Klinge blank. Die Luft hallte einen Moment mit einem seltsamen, melancholischen Gesang wieder. Die Waffe selbst wirkte wie eingefrorenes Mondlicht, durchscheinend und weiß silbrig, als bestünde sie aus Kristall. In Wahrheit war Atrun aus einem Stück Sterneneisen geschmiedet worden, das sich lange Jahre in Galrens Besitz befunden hatte. Eines der letzten, die wohl jemals gefertigt werden würde…
Seine vier Gegner warfen nun ebenfalls Bögen und Gewehre weg. Zwei zogen schwere Keulen, geeignet Knochen zu brechen während die anderen ebenfalls mit Schwertern bewaffnet waren.
Galren wich zurück, während die vier ausfächerten und einen Halbkreis bildeten.
Erinnere dich an alles was dir beigebracht wurde, meinte er Lias Stimme zu hören. Du bist in der Unterzahl, also lass nicht zu, das sie dich geschlossen Angreifen.
Galren packte den Schwertgriff mit beiden Händen. Die Männer waren genau so nervös wie er selbst, aber trotzdem entschlossen genug. Reden würde ihn nicht hier heraus bringen. Und wenn er wartete, bis sie zuerst Angriffen, wäre er sofort verloren.
Bevor der erste Gegner ihn erreichte, schlug er los. Mit einem Satz war er beim äußersten linken Mann des Halbkreises und trieb ihn mit einer Reihe wuchtiger ungezielter Schläge zurück. Sein gegenüber war offenbar überrascht, zuerst attackiert zu werden und kam kaum dazu, viel Gegenwehr zu leisten. Die Schwerter trafen ein paar Mal aufeinander, dann fand Galren eine Lücke, tauchte unter dem nächsten Streich seines Gegners Weg und stieß ihm das Schwert in die Brust.
Er hatte nicht genug Wucht in den Angriff hineinlegen können und so war die Wunde nicht sofort tödlich. Trotzdem keuchte der Mann vor Schmerzen und ließ die Waffe fallen, während er zurückstolperte. Die verbleibenden drei waren nun dichter zusammengerückt und machten es Galren damit unmöglich, seinen Erfolg zu wiederholen. Langsam wich er vor ihnen zurück. Mit zwei hätte er eine kleine, aber vorhandene Chance. Drei Männer jedoch waren aussichtslos.
Er wich immer weiter zurück um den Angriff hinaus zu zögern, den er nicht mehr würde abwehren können. Dann jedoch erstarrte einer der Drei. Etwas Silbernes Raste an Galren vorbei und bohrte sich ihm in den Hals.
Blut sprudelte aus der Wunde um den Griff des Messers, bevor der Mann schließlich in sich zusammen brach. Die anderen beiden jedoch reagierten sofort. Während einer Galren erneut Angriff, rollte der andere sich ab und hob seinen zurückgelassenen Bogen wieder auf.
Armell war hinter Galren aufgetaucht, Offenbar hatte sie ihren Weg vom Dach hinunter gefunden um ihm zur Hilfe zu kommen.
Nun jedoch zielte der Mann mit dem Bogen direkt auf sie. Zwischen ihnen lagen keine zwanzig Schritte mehr. Er konnte sie nicht verfehlen…
,, Armell Vorsicht…“ Zu mehr kam er nicht mehr, als der Pfeil von der Sehne schnellte. Galren fand sich plötzlich im Zweikampf mit dem verbliebenen Mitglied der Gruppe wieder. Dieses wiederum erwies sich als ein weitaus geschickterer Gegner als sein Vorgänger. Nun jedoch war es blanke Wut, die Galren antrieb. Er parierte einen Hieb gegen seinen Hals. Funken schlugen, als das Sterneneisen eine Kerbe in die Waffe seines Gegners trieb. Galren riss die Waffe zurück und schlug erneut zu. Genau in die bereits vorhandene Scharte. Diesmal zersplitterte Das Schwert seines Gegners wie Glas. Metall segelte durch die Luft, während Galrens eigene Waffe sich in seinen Schädel grub.
Scher amtend zog er die Klinge aus dem toten Körper und drehte sich zu Armell um.
Diese stand wie erstarrt da. Ihr Blick ging ins Leere, schien ihn einen Moment gar nicht wahrzunehmen. Langsam nur schien sie zu begreifen. Und auch Galren brauchte einen Moment, bis er Verstand. Sie war unverletzt…
,,Armell, Vorsicht….“
Die Warnung kam zu spät. Armell sah den Pfeil unwirtlich langsam von der Sehne schnellen, unfähig sich zu bewegen oder auch nur den Versuch zu unternehmen, auszuweichen. Niemand konnte ihr helfen. Galren war selber damit beschäftigt, sein Leben zu verteidigen und aus dem Dorf war bisher niemand aufgetaucht…
Dann jedoch geschah etwas, von dem sie später nicht mehr sagen konnte, ob es wirklich passiert oder nur ihrer Einbildung entsprungen war. Der Pfeil begann zu schwanken und neigte sich , als hätte ihn eine unsichtbare Windböe erfasst und zur Seite gedrückt. Tatsächlich änderte sich sein Flugwinkel fast vollkommen, so dass er sie verfehlte und stattdessen im Unterholz der Gärten verschwand.
Selbst das Klirren der Schwerter schien plötzlich von weit her zu kommen, als sie dem Projektil nachsah. Von diesem jedoch war nichts mehr zu erkennen. Doch etwas anderes zog ihre Aufmerksamkeit auf sich.
Für einen kurzen Moment nur meinte Armell irgendwo hinter den Zweigen von Sträuchern und Gräsern eine Gestalt zu erkennen. Ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen. Auch wenn sie sein Gesicht nicht sehen konnte, der braune Umhang, den er trug und der mit markanten, roten Nähten versehen war ließ kaum einen Zweifel. Er lächelte traurig, als sich ihr Blick traf. Selbst die Augen waren dieselben, von einem dunklen, sanften Grün, das so gar nicht in die eisigen Weiten um Silberstedt hatte passen wollen
,, Merl ?“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, und bevor sie auch nur dazu kam, einen Schritt in Richtung des Schemens zu machen, war er bereits verschwunden. Im einen Moment war er noch da, als könnte sie danach greifen und in einem einzigen Wimpernschlag…Nichts mehr. Nur noch Luft und die Zweige, die sich im aufkommenden Wind wiegten und vielleicht die Illusion einer Gestalt erzeugen könnten. Armell spürte wie ihre Beine unter ihr nachgeben wollten. Er war doch da gewesen, oder? Sie hatte ihn sehen können…
Er ist tot, schalt sie sich selber. Hör auf damit dir irgendwelche Hoffnungen zu machen. Am Ende macht es das nur schlimmer. Der Pfeil war nur ungünstig gezielt gewesen, das ist alles. Oder vielleicht wurde sie wirklich nur verrückt.
Die letzten Tage waren furchtbar gewesen, angefangen von ihrer Rückkehr nach Freybreak bis zu diesem Moment… Sie hatte sich noch nicht dazu überwinden können, Zachary unter die Augen zu treten. Merl war sein Schüler gewesen… und der Mann den sie liebte. Fast so lange wie sie ihn kannte und dann, als sie es sich endlich gegenseitig eingestehen konnte… Es war zu kurz gewesen, dachte sie. Es war nicht fair. Aber das Leben ist nicht fair, das weißt du, sagte sie sich selbst.
Oh ja, das wusste sie. Seit sehr langer Zeit. Freybreak war eine Ruine gewesen, als sie es von ihren Eltern übernommen hatte. Zugrunde gerichtet und gleichermaßen durch das Stigma der Verräter zerstört. Ihre Eltern hatten gegen den Kaiser gekämpft…. In einem Krieg in dem es um nichts anderes ging, als Macht. Ein einzelner Mann hatte das Kaiserreich in einen blutigen Mahlstrom gestürzt, der es über ein Jahr lang erschüttert und dessen Nachwirkungen auch zwanzig Jahre später noch spürbar waren. Die wirklichen schuldigen waren ihre Eltern gewesen. Aber den Preis, den hatte sie gezahlt.
,, Alles in Ordnung ?“ Erst Galrens Stimme zerrte sie zurück in die Wirklichkeit. Mittlerweile brannte das gesamte Haus hinter ihnen und die Rauchwolke stieg als bedrohliche, dunkle Säule zum Himmel auf. ,, Wir müssen immer noch hier weg…“
,, Euer Haus…“
,, Ich weiß.“ , erklärte er und sah mit einem gequälten Blick zu dem brennenden Gebäude auf. Das war seine Heimat gewesen. Krachend stürzte der Dachstuhl in sich zusammen, als die Flammen höher Schlugen. ,, Vergesst das Haus, da ist nichts mehr zu retten.“
Ihn interessierte mehr, was hier vor sich ging. Rasch wischte er die Waffe an der Kleidung eines der Toten sauber, bevor er sie zurück in die Scheide schob und auf den letzten Überlebenden der Angreifer zutrat.
Der Mann lehnte schwer atmend an der Hauswand und hielt sich die Brust. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor, aber immerhin lebte er noch. Als er sah, wie Galren näher kam wanderte eine seiner Hände zu einem Messer an seinem Gürtel, das zwischen den Krügen mit Drachenfeuer hing. Galren war schneller, verdrehte ihm die Hand und warf das Messer weg.
Erneut sah er zu Armell, dann zu seinem brennenden Haus. Mittlerweile waren auch die ersten Dorfbewohner eingetroffen, die sich sofort daran machten, dem Feuer Einhalt zu gebieten. Galren hätte ihnen am liebsten gesagt, das es sowieso vergeblich sein würde. Drachenfeuer war nicht zu löschen und das Gebäude so gut wie zerstört. Eimerketten wurden gebildet, während einige andere zu ihnen gelaufen kamen.
,, Was ist hier passiert ?“ Galren erkannte die stämmige Gestalt eines der Fischer, der sich einen Angelhaken mit geschärfter Spitze gepackt hatte. Orson, das war der Name des Mannes saß sich mit großen Augen um und wich vor den drei toten zurück.
,, Das Versuche ich grade herauszufinden.“ Erneut beugte er sich über den Überlebenden des Angriffs, packte ihn und zerrte ihn auf die Füße. ,, Wer bei allen Göttern seid ihr und was habt ihr von mir gewollt ?“
,, Ruft nur eure Götter an.“ Der Mann spuckte Blut. ,, Retten wird es euch doch nicht. Euer Schicksal ist beschlossene Sache. Wir sind nur die Vorhut seines Willens.“
Galren schlug zu und traf genau die Wunde in der Brust des Mannes. Wut und Panik vermischten sich in ihm. Am liebsten hätte er geglaubt, sein Gegenüber spräche schon im Delirium aber dafür war die Wunde bei weitem nicht groß genug.
Statt Aufzuschreien lachte er jedoch nur und als Galren ihm in die Augen sah… Er sah nur Feuer, ein seltsames, krankes Fieber, das er von irgendwo zu kennen schien und den Blick des Mannes kaum merklich trübte. Er ließ ihn los, stolperte zurück.
,, Lasst ihn… Galren.“ Armell hatte ihm eine Hand auf den Arm gelegt, als befürchte sie, er könnte erneut zuschlagen. Im Nachhinein hätte er überhaupt nicht derart die Kontrolle verlieren dürfen… So viel war so schnell aus dem Ruder gelaufen. Das hier erschien ihm nur wie der letzte Tropfen. Und er hatte nichts, an dem er sich festhalten konnte. Und doch zwang er sich zur Ruhe. Er hatte schon einmal zugelassen, dass ihn etwas kontrollierte. Und Elin hatte dafür bezahlt. Wut war im Vergleich dazu ein geringeres Übel, aber das war schlicht nicht seine Art. Nicht die Art des Mannes zumindest, der die fliegende Stadt betreten hatte… Hoffentlich war es auch nicht die desjenigen, der sie verlassen hatte. Trotz allem hatte Elin gemeint er sei ein guter Mensch. Hoffentlich war er das noch…
Er wendete sich wieder seinem Gegenüber zu. Seine Schuldgefühle verblassten, wenn er diesem Menschen in die Augen sah. Es war, als starre er direkt in die Augen eines Toten. In die seines Vaters…
,, Ich will wissen, wer euch geschickt hat ! Und woher ihr wusstet wo ihr mich findet.“
Der Mann war erneut gegen die Wand zurück gesunken.
,, Ihr werdet euren Herrn erkennen, wenn ihr ihn seht.“ , murmelte er und erneut wanderte seine Hand zu seinem Gürtel. Diesmal jedoch zu einem der Korken, der die Drachenfeuerbehälter an seinem Gürtel geschlossen hielt. ,, Aber von mir werdet ihr nichts erfahren.“
,, Nein…“ Galren war bei weitem nicht schnell genug. Noch ehe er die Hand des Mannes packen konnte, war der Korken aus dem Behälter. Der Inhalt fing sofort Feuer und kochte über und so nach wie der Fremde ihn am Körper trug, griffen die Flammen sofort auf ihn über.
Galren wich vor der Hitze zurück, als der Mann lichterloh anfing zu brennen. Er gab keinen Laut von sich, nicht das geringste Zeichen von Schmerz oder Unsicherheit…. Nur seine Beine gaben langsam unter ihm nach. Der Geruch von brennendem Fleisch, der ihnen entgegenschlug war bestialisch und Galren wendete sich angewidert ab. Wahnsinnig, dieser Mann war absolut Wahnsinnig gewesen.
,, Galren, was ist hier passiert ?“ , wollte Orson erneut wissen. Mittlerweile hatten sich auch einige weitere Dörfler eingefunden und gesellten sich zu dem Fischer. ,, Wir hatten hier noch nie so ein… Durcheinander.“
,, Wir wurden angegriffen.“ , erklärte er nur. ,, Mehr weiß ich auch nicht.“ Schon ehe er den Satz ganz beendet hatte, bereute er ihn bereits. Das Geflüster wurde praktisch sofort Laut und die Nachricht würde sich vermutlich wie ein Lauffeuer verbreiten, nicht nur unter der Dorfbevölkerung.
Spätestens seit ihrer Rückkehr waren sein und Armells Name in ganz Canton bekannt. So eine Neuigkeit würde nicht lange auf Hamad bleiben. Allerdings war weitere Aufmerksamkeit wohl grade das letzte was sie gebrauchen konnten…
Er bedeutete Orson und den andere zu bleiben wo sie waren, während er Armell ein Zeichen gab ihm zu folgen. Galren führte sie Weg von der brennenden Hausruine, die zunehmend mehr an Form verlor. Krachend stürzte ein Teil der Fassade ein, als die Flammen einen Stützbalken verzehrten. Zum Glück hatten die Bewohner Maillacs mittlerweile ebenfalls eingesehen, dass das Gebäude nicht mehr zu retten war, so dass sich niemand in direkter Nähe befand.
,, Ihr seht aus, als hättet ihr einen Geist gesehen.“ , stellte die Fürstin fest.
,, Das trifft es vielleicht ganz gut.“ Er blickte einen Moment zu dem brennenden Haus zurück. Die Stelle wo der letzte Angreifer sich das Leben genommen hatte, glomm immer noch und die Dörfler, die sich nach wie vor mit Löschen bemühten machten einen großen Bogen darum. ,, Und ich habe nach wie vor keine Ahnung, wer diese Kerle sind. Oder woher sie überhaupt gewusst haben, das ich hier bin.“
,, Euer Haus dürfte immer noch der erste Ort sein, an dem man euch erwartet…“
,, Sicher aber ich war die letzten Monate nicht hier und außer euch und den anderen von der Immerwind habe ich niemanden gesagt wohin ich gehe.“ Genauer, er hatte nicht mal jeden seiner alten Gefährte wissen lassen, dass er sofort nach Hamad zurückkehren würde. ,, Und von denen würde euch oder mir keiner eine Bande fanatischer Meuchelmörder auf den Hals hetzen. Habt ihr irgendjemanden verraten wo ich bin?“
Armell überlegte kurz. Gedankenverloren holte sie Sentine von ihrer Schulter und strich dem blauen Vogel durch das angesengte Gefieder. Diese wiederum begrüßte die Streicheleinheiten mit leisem pfeifen. Es gab nicht viele Menschen mit denen sie in den vergangenen Tagen gesprochen hatte. Dazu war alles einfach noch zu frisch, obwohl sich seit ihrer Rückkehr Bittsteller und Besucher die Klinke in die Hand gaben, auch andere Adelsfamilien, die ihr früher ausgewichen waren wie einem Leprakranken…. Letztere versuchten plötzlich ihr Söhne oder Enkel anzudrehen und reagierten alles andere als höflich wenn man sie abblitzen ließ. Aber von denen wusste niemand dass sie hier sein würde, geschweige denn interessierten sie sich für Galren, oder Merl oder irgendetwas anderes, außer ihrer eigenen Geschäfte.
Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Der Verdacht war ihr zwar bereits gekommen, aber diese Männer schienen eher an Galren den an ihr interessiert zu sein. Auch wenn sie kein Problem damit hatten, sie dabei ebenfalls zu töten. Ja es gab einen Mann, den Armell gezwungenermaßen von ihrer Reise und allem anderen berichtet hatte. Aber er konnte doch unmöglich so dumm sein. Oder so absolut hinterhältig es wie einen Angriff auf Galren aussehen zu lassen, damit ihr Tod noch wie ein Unfall wirkte. Auf der anderen Seite, war ihr Onkel eben wer er war. Der Mann hatte Freybreak fast zu Grunde gerichtet für seinen eigenen Profit und die wenigen Händler die sich nach dem Verrat ihrer Eltern noch in die Stadt wagten fast alle vertrieben. Am Ende war nur er geblieben um sämtliche Gewinne einzustreichen und den gesamten Warenverkehr auf der Insel zu kontrollieren. ,, Wenn ich diesen Bastard erwische…“
,, Armell ?“ Galren sah sie besorgt an. ,, Es gab als jemanden, der weiß, dass ich erst seit ein paar Tagen wieder hier bin ?“ Auch wenn die Reise selbst ihn ein paar Wochen gekostet hatte, die Nachricht konnte ihn ja unmöglich überholt haben. Und diese Kerle waren sicher nicht von hier.
,, Und ob es den gibt….“ Armell schloss die Augen. Sie traute ihm viel zu, sicher, aber das schien selbst für seine Verhältnisse einfach… zu viel. ,, Obarst…“
Freybreak war kaum wiederzuerkennen, als Galren mit Armell durch die Tore trat. Als er das letzte Mal hier gewesen war, lag die Stadt im Sterben, die meisten Gebäude waren vernagelt und die Geschäfte geschlossen gewesen. Jetzt jedoch erblühte der Ort geradezu und er hatte nichts mehr mit der Ruine gemein, die Galren vor einigen Monaten betreten hatte. Alleine in den letzten zwei Wochen waren über ein Dutzend neue Händler mit ihren Schiffen in die Stadt gekommen und mehr als einer davon hatte am Hafen auch gleich Einzug gehalten. Schänken, die seit Jahren kaum Besucher hatten kämpften plötzlich um Platz und setzten die Leute wenn es das Wetter zuließ sogar an Tische auf der Gasse.
Die Straßen quollen mit Leben und Leuten über, die geschäftig von einem Ort zum anderen strömten. Nur einige wenige hielten einmal inne um Armell respektvoll zu grüßen und ein paar Stadtwachen fragten ob sie eine Eskorte brauchte. Die Fürstin lehnte lediglich ab und ihr Tonfall schien dabei zu einer völlig anderen Person zu gehören als die, die er kannte. Höflich, aufgeschlossen, mi einem Lächeln, das er nur schwer als falsch erkennen konnte. Ganz die junge Fürstin, die ihr Volk begrüßte. Dennoch wirkliche Freude an dem ganzen Trouble schien sie nicht zu haben.
. Der Weg hinauf in den Norde von Hamad hatte sie mehrere Tage gekostet und die meiste Zeit hatte Armell dabei schweigend verbracht. Galren kannte den Grund nicht, ob es an dem Angriff oder ihrem Verdacht lag, das ihr eigener Onkel ihr erneut nach dem leben trachtete… oder an etwas völlig anderem. Darüber sprechen jedenfalls wollte sie anscheinend nicht, genau so wenig wie sie auf seine Fragen antwortete.
,, Was ist mit dem Pfeil gewesen ?“ , hatte er sie am ersten Abend gefragt. Sie hatten in einer kleinen Gaststätte übernachtet, die entlang des Wegs lag. Das Haus war nicht grade geräumig gewesen, dafür waren sie jedoch so gut wie alleine und die Frau des Wirts hatte ihnen persönlich Eintopf und Brot serviert, nachdem man Armell erkannt hatte. ,, Er hat euch auf die kurze Entfernung verfehlt?“
,, Ja.“ , hatte Armell nur kurz angebunden erwidert und sich dann wieder ihrem Abendesse zugewandt. Und dabei war es auch bis jetzt geblieben…
Galren jedenfalls war sich sicher, dass sie log, nur nicht warum. Die vier die sie Angegriffen hatten waren keine Anfänger gewesen sondern hatten ihr Vorgehen genau geplant. Dass sie einen Bogenschützen dabei hätten der auf die kurze Entfernung sein Ziel verfehlen konnte… das glaubte er einfach nicht. Irgendetwas war passiert über das sie einfach nicht reden wollte.
,, Gehen wir direkt zu eurem Onkel ?“ , fragte er , während sie am Anwesen der D'Ambois vorbeikamen. Die Anlage war als kleine Burg errichtet worden, eigentlich mehr eine ummauerte Ansammlung von Wirtschaftsgebäuden und einem größeren Wohnhaus. Zwei Wachen standen im Tor und salutierten kurz, als sie Armell erkannten. Diese zeigte erneut ihr einstudiertes Lächeln und bedeutete den Männern weiterzumachen.
Erst als sie sich zu Galren umdrehte, verschwand das Lächeln wieder. Für ihn wirkte sie nur erschöpft und überspannt. ,, Was glaubt ihr ?“ , fragte sie. ,, Obarst sitzt immer noch wie eine Zecke im Nacken dieser Stadt. Aber jetzt wo die übrigen Händler zurückkommen wird sein Anteil langsam kleiner. Wenn er etwas hiermit zu tun hat Galren….“ Sie blieb stehen und schloss einen Moment die Augen. Als Armell diesmal aufsah, war ihr Lächeln ehrlich und traurig. ,, Nach Merl und Lias auch noch euch zu verlieren wäre zu viel.“
,, Glaubt mir so schnell werdet ihr mich nicht los.“ Er versuchte zuversichtlicher zu klingen, als er war. Im Augenblick wusste er genau so wenig wie Armell, wie es weitergehen sollte.
Die Adelige ging ihm voran durch die Straßen am Hafen und führte ihn eine kleine Anhöhe hinauf in die besseren Viertel der Stadt. Hier oben bestanden die Gebäude nicht aus Holz sondern aus massivem Stein. Prunkbauten und Anwesen, die wohl leicht Platz genug für einen halben Straßenzug der Unterstadt einnahmen reihten sich aneinander.
,, Wisst ihr… „ , setzte die Fürstin an, während sie weitergingen. ,, An diesem Tag im Garten, während des Überfalls… Ich habe kurz Gedacht ich hätte Merl gesehen, Galren.“
Sie rechnete damit, dass er sie ansehen würde, wie eine verrückte. Stattdessen jedoch nickte er verständnisvoll. ,, Ihr habt die Hoffnung noch nicht aufgegeben, oder ?“
,, Ich… Ich will nicht glauben, dass er einfach so fort ist, Galren. Aber wenn er noch lebt, dann hätte er sich doch auch längst gezeigt. Man kann sich nicht selbst täuschen, so gerne ich das tun würde.“
,, Wer weiß.“ Galren hielt einen Moment inne. ,, Wir beide haben so einiges Gesehen, das Unmöglich sein sollte Armell. Und ich glaube nicht, dass ihr jemand seid, der sich Illusionen hingibt. Wenn ihr meint er lebt noch, dann glaube ich euch das. Wenn das hier geklärt ist… wir könnten ihn suchen…“
,,Danke.“ Sie hatte gar nicht gemerkt, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Rasch wischte sie sie weg und bedeutete Galren ihr wieder zu Folgen. ,, Aber ihr habt wichtigeres zu tun als eure Zeit mit einer sinnlosen Suche zu verschwenden.“
Beim letzten Mal als Armell diese Straße entlang gegangen war, waren viele davon verlassen gewesen. Doch mit der Rückkehr der Händler fanden auch diese verfallenen Paläste wieder Liebhaber und an mehr als einem davon wurde gearbeitet. Steinmetzte, Dachdecker, Zimmerleute… Am Ende hatten nicht nur die Menschen die ihr Geld mit dem Hafen verdienten etwas vom Wiederaufstieg Freybreaks.
Der einzige, der darunter Litt war ihr Onkel, der sein Monopol über den Handel Stück für Stück aufgeben musste, so viele neue Geschäftsleute strömten in die Stadt.
Armell wurde langsamer, als sie schließlich das Anwesen ihres Onkels erreichte. Eine brusthohe Mauer umlief das komplette Grundstück, die von in Stein gehauenen Raken verziert wurde. Die beinahe lebendig wirkenden Blätter verliefen in kleinen Hohlbögen, was dem grauen Gestein wohl etwas von seiner Unnahbarkeit genommen hätte, wären da nicht die Eisernen Dornen gewesen. Auf der Spitze jedes Bogens ragte einer in die Höhe, scharf geschliffen wie ein Schwert. Jeder der versuchen würde, über die Mauer zu klettern, so niedrig sie auch war, würde unweigerlich einige Finger einbüßen.
Sentine ließ sich jedoch kaum davon abschrecken. Das Wesen, das sich bisher in Armells Wintermantel verborgen hatte, flog auf und setzte sich auf eine Lücke in der Mauer. Mit den Augen einer Eule spähte es zu dem Anwesen herüber, während Galren und Armell weiter zum einzigen Tor in der Mauer gingen. Es war aus dem gleichen Metall gefertigt, wie auch die Dornen und ragte hoch genug auf, das niemand würde hinüberklettern können.
Dahinter lag ein gepflasterter Pfad, der durch einen gepflegten Garten und weiter bis hin zu einem kleinen Teich führte. Dort wiederum ging er in eine Brücke über, die das Wasser überspannte und am Eingang des Hauptanwesens mündete. Etwas abseits der Teiche ragten auch einige Wirtschaftsgebäude auf.
Armell machte sich gar nicht erst die Mühe jemanden zu rufen, der ihr das Tor öffnete, sondern stieß es lediglich auf. Mit leisem Quietschen schwang es zur Seite. Sie wartete erst gar nicht, ob Galren ihr folgte, sondern lief ohne zu zögern über das Grundstück und die kurze Brücke bis zur Tür. Erneut fand sie den Eingang unverschlossen. Entweder, Obarst ließ in seiner Abschottung nach oder seine Angestellten.
Eine Dienerin sprang erschrocken zurück, als Armell auch diese einfach ohne sich Bemerkbar zu machen öffnete. Die junge Frau kam wohl grade aus dem hinteren Teil des Hauses und trug ein kleines Tablett mit Geschirr, einer leeren Kanne und Tassen. Das Porzellan klirrte, als sie es grade noch schaffte, das schlimmste zu verhindern.
,, Wer… wie…“
,, Wo ist euer Herr ?“ , fragte Armell lediglich ohne der Dienerin Gelegenheit zu lassen.
,, Ich glaube nicht das er Besuch erwartet, Lady Armell. Aber ich kann fragen ob er sich Zeit nehmen…“
,, ich habe nicht gefragt ob ich erwartet werde. Ich bin seine Nichte und er wird sich Zeit nehmen. Ihr könnt Obarst sonst gerne ausrichten wen ich nicht jetzt mit ihm spreche, dann in einer Stunde. Und diesmal bringe ich die Stadtwache mit.“
,,Stadtwache…“ Die junge Frau schien immer noch nicht zu verstehen, trat aber bei Seite. Sie nickte den Flur hinab zu einer geschlossenen Tür. ,, Der Herr ist in seinem Kaminzimmer.“
Armell seufzte dann trat sie , Galren im Schlepptau, an der Dienerin vorbei und in das Kaminzimmer hinein.
Durch ein großes Fenster konnte man einen Blick hinaus in die blühenden Gärten werfen. Kerzen und Öllampen sorgten zusammen mit einem großen Kamin für ausreichend Licht. Weiße Marmorfließen reflektierten den Schein noch zusätzlich und der große Holztisch in der Raummitte glänzte. Das Holz war derart aufwendig geschliffen und poliert worden, das man sich fast darin Spiegeln konnte.
Und in einem breiten Lehnstuhl saß schließlich Obarst selbst. Der Mann ließ den Stuhl auf dem er saß fast winzig wirken und der verzierte Mantel den er trug tat sein Übriges, seine Erscheinung noch massiger erscheinen zu lassen. Wache, intelligente Augen sahen aus dem kahlen Kopf hervor. Augen, die sich vor Schrecken weiteten, als er sie erkannte. Einige Papiere, die er wohl grade noch studiert hatte, fielen ihm aus der Hand und segelten zu Boden, gefährlich nach an die Öffnung des Kamins heran. Weitere Dokumente stapelten sich auf dem Tisch vor ihm, offenbar war er grade dabei einige Verträge durchzugehen.
,, Armell ? Ich… Ihr solltet doch…“ Die Züge des Mannes entgleisten endgültig und sein Tonfall sprach von nackter Angst.
,, Was Obarst ? Sollte ich Tod sein?“
,, Eigentlich meinte ich ihr solltet mir mein Geld zurück bringen.“ So schnell er die Fassung verloren hatte, so schnell gewann er sie auch wieder zurück.
Armell jedoch hatte genug. ,, Diese Kerle haben sein Haus niedergebrannt und mich beinahe getötet. Wie wäre es wenn ich das gleiche hier wiederhole?“ , fragte sie.
,, ich habe keine Ahnung wovon du redest.“ Obarst gab sich offenbar alle Mühe gelangweilt zu klingen. ,,Wenn du nicht sofort verschwindest, Nichte, , rufe ich die Wache… Meine Diener werden euch rauswerfen…“
,, Ich glaube nicht.“ Galren war vorgetreten. Demonstrativ legte er die Hand an den Schwertgriff und stellte sich in die Tür. Bisher hatte er nicht glauben wollen, das Obarst wirklich etwas mit der Sache zu tun hatte. Das passte einfach nicht. Aber er wusste etwas. Er hatte sein Gesicht gesehen, als sie zur Tür hereingekommen waren. ,, Ich weiß nach wie vor nicht ob oder was er hiermit zu tun hat Armell. Aber eines ist klar. Er hat sich erschreckt, als er euch gesehen hat.“
,, Ihr seid in mein Haus eingebrochen !“ , begehrte Obarst auf. Das waren sie . Und doch war das was Galren bei diesem Mann gesehen hatte ganz sicher nicht der Ausdruck eines Menschen, der Angst vor einem Fremden in seinem Haus hatte. Götter, die Sache wurde mit jedem Augenblick seltsamer.
,, Wie schon gesagt, vielleicht brauchst du eine Erinnerungsstütze. Ich habe nichts gesagt, als du mir deine Schläger in Silberstedt auf den Hals gehetzt hast. Ich bin nie davon ausgegangen, dass sie mich wirklich töten sollten. Aber das hier geht ein Stück weiter. Du hast nicht nur mich sondern auch einen sehr guten Freund in Lebensgefahr gebracht.“
Während Armell sprach, war sie noch weiter auf Obarst zugetreten und nahm dabei eine Handvoll Papiere vom Tisch. Bevor ihr Onkel noch dazu kam, ein Wort zu sagen, hatte sie die Dokumente bereits in die Flammen geworfen.
,, Ihr seid ja beide Wahnsinnig.“ Obarst wollte aufspringen, doch Galren in der Tür schüttelte lediglich den Kopf. Er hatte Armell noch nie so außer sich gesehen. Andererseits war sie seit Merls Tod ohnehin nicht mehr ganz dieselbe. Sämtliche angestaute Frustration, Trauer und Wut schien sich in diesem einen Moment Bahn zu brechen und sie kannte nur ein Ziel.
,, Im Gegenteil…“ Armell griff sich erneut einen Stapel Dokumente und überantwortete sie sofort dem Feuer. ,, Sag mal Obarst, wie viel ist jedes dieser Papiere wert, was meinst du ? Ich kann den ganzen Tag so weitermachen und wenn mir die Papiere hier ausgehen schick ich Galren damit er neue holt. Ich weiß wo du deine wirklich wichtigen Dokumente verwahrst. Die Truhe brennt bestimmt gut…“
Wie um ihre Worte zu unterstreichen nahm Sentine neben ihr die Gestalt eines Pudelgroßen fauchenden Drachens an. Schon hatte Armell sich einen weiteren Arm voll Papier geschnappt und trat demonstrativ langsam an den Kamin heran.
,,Armell…“ Galren ging das langsam etwas zu weit.
,, Halt dich da bloß raus. Das hier ist eine Sache zwischen ihm und mir.“
Die junge Adelige sah demonstrativ zu Obarst, während sie die ersten Blätter fallen ließ.
,, Woher hätte ich den Wissen sollen, das sie euch gleich töten wollen ?“ , platzte der Mann endlich heraus.“
,, Du hast einer Gruppe schwer bewaffneter Fremder gesagt, wo wir zu finden sind. Und du erwartest, die Fragen nur um guten Tag zu wünschen? Das glaubt dir niemand… Jetzt rede endlich. Wer sind diese Kerle gewesen…“
,, Ich weiß es nicht. Ja ich habe ihnen verraten wo ihr zu finden seid, aber sie arbeiten nicht für mich.
,,Sprecht weiter.“
,, Sie haben sich lediglich bei mir nach euch beiden erkundigt. Und ziemlich seltsam benommen. Ich glaube wirklich nicht, dass sie von der Insel stammten. Haben ständig irgendetwas von einem Herrn der Ordnung erzählt… das er nach euch suchen würde… Ich glaube beinahe die gehörten zu einer Art Kult.“
,, Und da habt ihr ihnen trotzdem verraten wo wir zu finden sind ?“ , fragte Galren entsetzt. Entweder Obarst war naiver als er je gedacht hätte oder der Mann war einfach nur böswillig. Er glaubte die Antwort zu wissen.
,, Ich sage er verschweigt uns etwas.“ , meinte Armell.
,, So seltsam es klingt, aber… das ist zu verrückt, als das er es sich einfach Ausdenken würde. Ich glaube ihm. Aber ihr habt noch nie zuvor von diesem Kult gehört, oder?“
Die Frau schüttelte den Kopf. ,, Nein. Ich habe auch keine Ahnung, was sie von uns wollen könnten. Ihr Obarst ?“
,, Nun… also…“
,, Zwingt mich nicht meine Drohung wahr zu machen. Spuckt es einfach aus und wir sind weg…“
,, Also, sie haben mir eine Botschaft dagelassen die ich übermitteln soll wenn ihr…“
,, Wenn wir Tod sind.“ , stellte Armell fest.
,, Ja. Das war ihnen offenbar wichtig. Aber die Nachricht ist nicht für euch oder sonst jemand bestimmt… Sie war für den Kaiser. Ich glaube ihr solltet eine Warnung werden.“
,, Wie lautet diese Nachricht ?“
Obarst räusperte sich. ,, Also… so schnell vergesse ich das nicht mehr. Der Kerl der sie mir vorgetragen hat… ihr hättet seine Augen sehen sollen.“
,, Habe ich.“ , stellte Galren trocken fest.
,, Also die Nachricht… ich habe Alpträume davon bekommen, das kann ich euch sagen.“
,,Natürlich…“ Armell war anzuhören, dass sie ihm kein Wort glaubte.
,, Der Kaiser soll wissen, dass der wahre und rechtmäßige Herrscher dieser Welt balz rückkehren wird. Und er wird entweder beiseitetreten und ihm bereitwillig weichen… oder vernichtet. Lasst ihm das Schicksal jener, die sich dem Herrn der Ordnung in den Weg stellen eine Warnung sein.“
,, Ich glaube langsam, hier geht es um einiges mehr als nur unser Leben.“ Galren wusste nicht wieso, aber die Worte machten ihm mehr Angst wie das irre Gebrabbel nach dem sie sich anhörten. Irgendetwas… hatte mit diesen Leuten nicht gestimmt, die ihn angegriffen hatten. Irgendjemand oder etwas hatte ihren Geist so weit verdreht, das sie lieber starben als Aufzugeben. Und wenn sich das Ganze auch gegen den Kaiser richtete, wenn ihr Tod oder seine Gefangennahme als Warnung gedacht war… Ihm kam ein Schrecklicher Gedanke. Wenn er Recht hatte waren sie bei weitem nicht die einzigen, die in Gefahr waren. Am Ende könnten sie sich gegen jeden seiner alten Gefährte richten. Naria war auf Maras wohl hoffentlich in Sicherheit und mit ihr Hedan, aber Elin… Hoffentlich war sie noch in der fliegenden Stadt. Und blieb auch dort, bis sie sie warnen konnten. Und den Kaiser…
,, Wir müssen sofort los….“ Vielleicht konnte der Kaiser ihm auch helfen mehr über diese Angreifer herauszufinden. Wenn etwas in Canton vorging, wusste man in der fliegenden Stadt gewöhnlich eher davon als auf einer abgelegenen Insel. Galrens Hand wanderte in seine Tasche und fand dort einen Stoffstreifen, den er aus der Kleidung eines der toten Kultisten geschnitten hatte. Das Symbol der Dreifingrigen Hand…
Elin wusste, dass sie auffiel. In ihren einfachen Kleidern wirkte sie in den Straßen der fliegenden Stadt wie eine Ratte zwischen herausgeputzten Pudeln. Oder besser, ein Luchs, mit weißem Fell aus dem ein schwarzes und ein helles Ohr ragten. Gejarn waren in der fliegenden Stadt auch nicht grade häufig anzutreffen, sah man von Syle, dem Hochgeneral Cantons einmal ab. Allerdings würde es sich bei dem riesigen Bären auch niemand wagen ihn auch nur schräg anzusehen. Sie hingegen musste zu den meisten Leuten erst einmal Aufsehen und auf ihrer Schläfe prangte eine kaum verheilte Narbe, wo die blanke Haut durch ihr Fell schimmerte.
Dennoch kümmerte sie sich nicht um die Blicke, die man ihr zuwarf. Sicher, der Kaiser hätte ihr alles an Garderobe zur Verfügung gestellt, was sie wollte, aber das ausgebleichte Leinenhemd und die verwaschenen Hosen waren bequem und hatten sie schon die letzten Monate begleitet.
Als Hauptstadt des Kaiserreichs unterhielt fast jede wichtige Adelsfamilie einen eigenen Sitz in der fliegenden Stadt und meist befand sich auch mindestens ein Mitglied jeder Familie innerhalb der Mauern. Nicht nur um als Sprecher für seine Leute zu dienen, sondern auch als Rückversicherung für den Kaiser. Man könnte es wohl Geiselnahme nennen, dachte Elin. Einmal hatte sie es auch fertig gebracht, genau das Kellvian Belfare an den Kopf zu werfen, nur um sich gleich darauf für ihr loses Mundwerk zu verfluchen. Der Mann, der die halbe bekannte Welt beherrschte hatte jedoch nur gelacht.
,, Es mag euch komisch erscheinen, aber ich habe einmal versucht , die Leute freizugeben. Ihre Häuser sind beinahe wahnsinnig geworden. Vermutlich haben sie geglaubt, dass ich ihre Vertreter rauswerfe bedeutet, dass ich sie gänzlich aushebeln will. So ironisch das klingt, aber ich muss sie tatsächlich hier behalten, ob ich will oder nicht. Der Adel kann nicht gut damit umgehen wenn die Dinge nicht in gewohnten Bahnen laufen. Politik ist manchmal eine verrückte Sache…“
Für die meisten einfachen Leute hingegen, fand sich jedoch kaum Platz. Zwar gab es einige wenige Gasthäuser, aber auch diese waren eher darauf spezialisiert den wenigen Fürsten, die keine eigenen Anwesen in der Hauptstadt unterhielten, eine Bleibe zu bieten. Und damit entsprechend Teuer.
Der weitaus größere Teil an Dienern, Arbeitern und auch Soldaten folgte daher in einem endlosen Strom hinter der Stadt, auf Wagen, zu Pferd und die Ärmsten gingen auch zu Fuß. Hier oben jedenfalls konnte man leicht vergessen, dass es die Welt unten überhaupt gab. Alles hier schien zu strahlen, die aus poliertem Marmor gefertigten Prunkbauten, die Wasserfontänen und kleinen Parks, die sich auf eigenen schwebenden Inseln um die Hauptbezirke verteilten… und natürlich die Bewohner. Elin kam sich fehl am Platz vor, auch wenn sie nun schon Wochenlang hier war und das schlimmste dabei war, das sie nicht einmal wusste, was sie noch hier hielt. Es war vorbei, sagte sie sich, der Prophet war tot, die anderen längst auf den Weg nach Hause und Galren fort…
Die fliegende Stadt war kein Ort an dem sie sich je heimisch fühlen würde, das wusste sie mittlerweile. Und das wollte sie auch gar nicht. Jetzt jedoch war alles doch ganz anders gekommen. Heute Morgen war ein Bote in den Palast gekommen. Elin hatte ihren Eltern schon kurz nach ihrer Rückkehr eine Nachricht zukommen lassen um sie zumindest wissen zu lassen, dass es ihr gut ging. Offenbar hatte sie die Geduld der beiden mittlerweile Überspannt und als Elin gehört hatte, dass sie in der Stadt waren, hatte sie sich sofort auf den Weg gemacht.
Elin wusste nicht, was sie zu erwarten hatte. Sie hatte beide seit Monaten nicht gesehen… und ihnen vor ihrer Abreise auch nicht wirklich verraten, wohin sie ging.
Die Gejarn überquerte eine der silbernen Brücken der Stadt um zur nächsten schwebenden Insel zu gelangen. Das Metallische Geflecht unter ihren Füßen wirkte beinahe wie aus Stoff gewebt, dich gab er nicht im Geringsten nach. Elin konnte das vertraute kribbeln in ihren Füßen spüren, das hier in der fliegenden Stadt zu ihrem ständigen Begleiter geworden war. Dieser ganze Ort war durchtränkt mit so viel Magie, das selbst jene ohne eine Begabung dafür sie schon wahrnehmen konnten. Ein gewaltiges Netz aus Zaubern, älter als das Kaiserreich selbst, das die Stadt einerseits in der Luft hielt und sie andererseits auch schützte und sogar reparieren konnte. Elin hatte einmal gesehen, wie eine Masche in den silbernen Brücken gerissen war und auch, wie sich diese wie von Geisterhand wieder mit den losen Metallstücken verbunden hatte, als sei nichts geschehen.
Mittlerweile kamen ihr nicht mehr nur Menschen entgegen, sondern auch einige Zwerge. Diese unterschieden sich schon alleine in ihrer Kleidung deutlich von den übrigen Bewohnern der Stadt. Ihre Mäntel waren mit einem dichten Geflecht aus farbigen Runen bemalt, die Zeichen und Symbole ihrer jeweiligen Häuser. Soweit Elin wusste befanden sich momentan etwas mehr als zweitausend von ihnen in der Stadt, aber weitere würden bald folgen, wenn der Rest ihrer Flotte das Meer überquert hatte.
Ihr Volk war erst mit Ihr, Galren und den anderen hier angekommen. Jedes Haus hatte nur hundert seiner Leute nach Canton eingeschifft, zusammen mit ihrem König. Doch dieser war tot und die Zukunft der Zwerge damit mehr als ungewiss. Der Kaiser hatte ihnen zwar einen eigenen Bezirk zur Verfügung gestellt, aber die Entscheidung was mit ihnen geschehen sollte stand nach wie vor offen. Ihre Häuser waren uneins und gespalten und der Versuchte Anschlag ihres Königs und des Propheten auf Kellvian hatte die Zwist wohl nur noch vertieft.
Elin beschleunigte ihre Schritte etwas. Wo die Adeligen mit geschlossener Herablassung zu ihr sahen, waren die Blicke der Zwerge deutlich differenzierter. Viele wussten vermutlich genau wer sie war und bei weitem nicht alle waren den Fremden, die die Ordnung ihres Volkes derart durcheinander gebracht hatten wohlgesonnen. Das Elin und die anderen ohne eigenes Zutun in diesen Konflikt hinein gezogen worden waren, schien sie dabei nicht zu interessieren.
Eigentlich wollte sie nur so schnell wie möglich hier durch, dann jedoch zog etwas ihre Aufmerksamkeit auf sich. Unter den dutzenden von Wappen und Runen stach eines hervor, das sie wohl überall wiedererkannt hätte. Das in Purpur gehaltene Emblem eines Stützbalkens, neben dem eine Hacke lehnte wehte auf einem Schal aufgedruckt im Wind.
Der Zwerg zu dem das Kleidungsstück gehörte, ging zielstrebig mitten auf der Straße. Von der Kleidung her war er wohl kein hohes Mitglied seines Hauses, aber die schwere Tasche an seiner Seite machte Elin stutzig. Papiere und Briefe quollen fast daraus hervor. Vermutlich war der Mann also ein Bote… fragte sich nur, woher die ganzen Nachrichten stammten… und wohin er damit wollte. So schnell wie seine Schritte waren, musste es wohl wichtig sein.
Elin war instinktiv an einer Häuserecke in Deckung gegangen, für den Fall, das der Zwerg sich umdrehte, der Mann schien jedoch so in Eile, dass er sich kaum für seine Umgebung interessierte. Vermutlich hätte sie auch direkt vor ihm stehen können und er hätte sie nicht weiter beachtet…
Stirnrunzelnd sah Elin ihm nach. Einen Moment war sie hin und her gerissen. Auf der einen Seite ging es sie nichts an. Sie wollte nur ihre Eltern sehen… gleichzeitig jedoch kannte sie die Mardar und ganz besonders ihren Thanen. Wen hier etwas vor sich ging von dem sie besser wissen sollten, dann war jetzt die Gelegenheit es herauszufinden. Aber sie war alleine… inmitten des Zwergenbezirks.
Am Ende siegte ihre Neugier.
Elin folgte dem Mann mit einigem Abstand zwischen den Villen und Palästen hindurch, immer darauf bedacht, sich möglichst verborgen zu halten. Schließlich hielt er auf ein größeres Anwesen mit weiß getünchten Außenmauern zu. Dichte Hecken umliefen einen Hof vor einer Freitreppe die hinauf zum Eingang des Hauses führte und aus einem Springbrunnen flossen beständig Wasserströme zwischen Beeten und gepflasterten Wegen hindurch.
Während der Bote bereits die Stufen zur Tür hinauf ging beeilte Elin sich, von den Hecken bis zur Fontäne im Zentrum des Platzes zu gelangen. Es gab hier kaum Deckung, aber wenn sie hören und sehen wollte, welche Nachricht der Mann hatte, dann musste sie schlicht näher herankommen.
Mittlerweile war auch die Tür geöffnet worden und ein weiterer Zwerg trat heraus. Seine Kleidung war fast vollständig in roten Tönen gehalten, über den hellroten Mantel, der ihm über die Schultern fiel , die weinroten Beinkleider und das Samtene Hemd darunter bis hin zu dem rubinbesetzten Stab auf den er sich stützte. Leicht vornübergebeugt wirkte er gebrechlich und alt, doch Elin wusste gut genug, das man ihn deshalb auf keinen Fall unterschätzen durfte. Unter den schlohweißen Haaren Kasran Mardars blitzten wache, dunkle Augen, die alles um ihn herum mit völliger Klarheit wahrnahmen.
Der Bote verbeugte sich kurz, während der Thane zu ihm hinaus auf die Treppe trat.
,, Lord Kasran, es wird euch freuen, das die meisten Häuser eurem Ruf gefolgt sind. Und die Karn lassen euch wissen, dass sie euer Anliegen unterstützen werden.“
,, Da bin ich mir sicher. Sie waren schon immer Dankbar dafür wenn man ihnen die schweren Entscheidungen abnahm. Und die übrigen ?“ Kasran bedeutete dem Boten schlicht ihm zu Folgen während er hinab auf den Platz und weiter in die umliegenden Blumengärten ging.
,, Sie lassen sich mit ihrer Entscheidung Zeit, Herr.“
,, Natürlich.“ Er ließ den Blick über die große Freifläche vor dem Anwesen schweifen und Elin gelang es grade noch rechtzeitig wieder hinter dem Brunnen in Deckung zu gehen. ,, Bringt die Briefe der übrigen Häuser nach drinnen. Ich werde sie später lesen. Das heißt wenn ich einen Tisch auftreibe, an dem ich bequem sitzen kann. Alles in diesem Land ist mir zu groß…“
Der Bote verneigte sich, bevor er Kasan alleine ließ und sich auf den Weg zum Anwesen machte. Elin blieb wo sie war. Der Thane hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt, während er langsam auf den Brunnen zutrat.
,, Ihr könnt rauskommen, wisst ihr ? Diesen Tölpel mögt ihr täuschen können, aber ihr solltet euch wirklich besser Verstecken lernen…“
Elin blieb wo sie war. Ihr war klar, dass sie entdeckt war, dennoch zögerten sie, sich einfach zu zeigen. Kasran war nicht grade schnell und Wachen gab es keine, soweit sie sehen konnte. Wenn sie jetzt einfach loslief, wäre sie fort, bevor der Thane etwas dagegen tun könnte. Erneut siegte ihre Neugier. Im Zweifelsfall kannst du nach wie vor weglaufen, sagte sie sich. Doch so sicher konnte sie sich da nicht sein. Im Augenblick hatte sie das Überraschungsmoment noch auf ihrer Seite…
Als sie schließlich Aufstand, nickte Kasran ihr freundlich zu. ,, Elin, wie schön euch zu sehen.“
Sein Lächeln wirkte echt, dennoch sah sie zu, das sie ihm auf keinem Fall zu nahe kam. Was den Thanen anging, war Elin sich bestenfalls Unsicher ob man ihn trauen konnte. Er hatte oft genug unter Beweis gestellt, das man ihn nicht unterschätzen durfte. Auf der einen Seite war er ernsthaft um sein Volk bemüht, das sich grad ein einem ihm völlig fremden Land wiederfand… auf der anderen Seite war ihm dazu aber auch jedes Mittel recht. Ein Zwiespältiger Mann.
,, Warum senden ihr Nachrichten an alle Häuser ?“ , fragte die Gejarn und behielt Kasran dabei genau im Auge. Dieser jedoch lächelte nur, als hätte er genau mit dieser Frage gerechnet.
,, Keine Begrüßung ? Ihr fragt nicht einmal wie es mir geht? Ehrlich ich bin enttäuscht. War ich ein derart schlechter Gastgeber?“ Der Thane tat entsetzt. Elin reagierte auf seinen Spott nur mit einem grimmigen Blick. ,, Auf der anderen Seite kann ich es euch wohl nicht verübeln. Ihr befürchtet, ich könnte etwas Planen?“
,, Wenn ich mir bei einem sicher bin, dann das ihr immer etwas plant, Kasran.“
,, Dann befürchtet ihr wohl eher, es könnte gegen euch gerichtet sein. Oder besser gegen Canton. Mir ist durchaus klar, dass weder ich noch mein Volk uns Freunde hier gemacht haben, Elin. Dennoch etwas mehr Verstand hätte ich euch zugetraut. Was habe ich davon mich gegen euch zu stellen?“
,, Was habt ihr davon es nicht zu tun ?“
,, Ein Volk, das Überlebt.“ , erklärte der Thane ruhig. ,, Im Augenblick sind wir wenige, aber es werden mehr, die ersten Schiffe werden uns bald folgen. Wenn das geschieht brauchen meine Leute einen Herrscher, der ihnen geneigt ist. Trotz der Taten unseres Königs hat sich euer Kaiser bisher als äußerst großzügig erwiese, bedenkt man die Umstände. Ich bezweifle das ich an seiner Stelle so viel Verständnis aufbringen würde. Dennoch, im Augenblick sind wir Führungslos, etwas, das ich ändern muss. Mein Volk braucht einen neuen König und die Wahl wird bald Erfolgen müssen. Das sind wichtige Dinge, die besprochen werden wollen. Mein Volk ist es nicht gewohnt, schnelle Entscheidungen zu treffen, doch hier werden sie uns aufgezwungen. Es wird schwer werden, das allen klar zu machen.“
,, Wieso ?“ Elin trat ein wenig näher. Kasran schien ehrlich besorgt und seine spöttischen Worte von eben waren vergessen. Manchmal war sie tatsächlich davon überzeug, diesen Mann mögen zu können wäre er nur ein wenig… durchsichtiger in seinem Handeln. So konnte man nie wissen ob er einem nicht bloß die Hand hinstreckte um einen später besser ein Messer in den Rücken rammen zu können oder ob er es ernst meinte.
,,Bedenkt wie lange wir im Vergleich zu euch Leben. Wir sind selten…schnell.“ Das wiederum stimmte Allerdings. Kasran selber hatte beinahe ein Jahrtausend lang gelegt und stellte damit den ältesten noch lebenden Vertreter seiner Art. ,, Aber diesmal muss unsere Entscheidung für einen neuen König innerhalb weniger Tage fallen.“
,, Und ich nehme an ihr wollt diesen Titel natürlich für euch beanspruchen ?“
Kasran lachte, als wäre ihre Frage ein Witz gewesen. ,, Oh Mädchen, glaubt mir, damit will ich nichts zu tun haben. Ich bin viel zu alt für die hohe Politik. Nein… ich habe da jemand ganz anderen im Visier.“ Der Tonfall in dem er sprach jagte Elin einen Schauer über den Rücken. Wenn konnte er bitte sonst meinen? Warum wollte Kasran jemand anderen zum Thron verhelfen? Und viel wichtiger… wem ? ,, Ich würde vorschlagen, ihr geht jetzt. Es sei denn ihr habt es euch mittlerweile anders überlegt. Wisst ihr, mein Angebot steht noch. Ich könnte jemanden wie euch gebrauchen…“
Die Dreistigkeit des Mannes war erschütternd. ,, Das könnt ihr vergessen, Kasran…“
Alleine bei dem Gedanken an die Leibgarde des Thanen wurde ihr kalt. Jeder einzelne seiner Gefährten, wie er sie selbst nannte, war stumm, jedoch waren sie weder so geboren noch durch einen Unfall oder Krankheit dazu geworden. Vielmehr hatte jeder von ihnen sich selbst mit einem rituellen trank die Stimmbänder verätzt, ein Zeichen absoluter Loyalität gegenüber ihrem Thanen…
Und sie selber war beinahe dumm genug gewesen genau dieses Schicksal auf sich zu nehmen, aus verletztem Stolz und der fernen Hoffnung damit etwas zu bewirken.
Kasran zuckte mit den Schultern. ,, Ihr könnt mir nicht vorwerfen, es zumindest zu versuchen.“ Ein freundliches, warmes Lächeln huschte über seine Züge. ,, Ich wünschte wirklich, ich hätte ein paar Dinge früher gewusst. Es hätte viele Dinge geändert. Ich weiß ihr traut mir nicht, aber ich sage was ich euch bereits einmal gesagt habe: Hätten die Dinge anders gestanden, wir hätten Verbündete sein können. Vielleicht wird die Zeit kommen, in der ich das unter Beweis stellen kann. Bis dahin…“
Er verneigte sich kurz und die Flinkheit mit der er die Geste vollzog strafte sein Alter und seinen gebrechlichen Körper Lügen. Dann erst machte er sich auf den Weg zurück zum Haus und lies Elin mit gemischten Gefühlen und ratlos zurück.
Das Gasthaus war von außen eigentlich nur durch das große Schild über der Tür als solches zu erkennen. Ansonsten erinnerte das hohe, mehrstöckige Gebäude eher an einen gewaltigen Palast, der einen ganzen Straßenzug für sich beanspruchte. Drinnen jedoch war es überraschend ruhig und die meisten Plätze in der weitläufigen Halle, die als Schankraum diente, verlassen. Offenbar waren momentan nur wenige nicht ortsansässige Adelige in der Stadt und die wenigen, die es waren, brüteten ungehalten auf ihren Plätzen vor sich hin. Nur ein, zwei drehten sich nach ihr um, als sie den Raum betrat, verloren jedoch sofort wieder das Interesse, als sie das Gejarn-Mädchen in seinen einfachen Kleidern bemerkten.
Sonnenlicht viel durch die aus halbdurchsichtigem Glas bestehenden Fenster in den Raum und brachte die weiß gestrichenen Wände und roten Vorhänge zum Leuchten.
Der Raum hatte den Grundriss eines zusammengestauchten Hackens wobei der vordere Bogen eine breite Bar enthielt, während hinter dem Knick dutzende von Tischen aus schwerem, dunklem Holz standen. Auch der Boden war aus massiven Planken, die mit teuer wirkenden Teppichen bedeckt waren.
Holz war vor einem breiten Kamin im hinteren Teil des Gasthauses aufgestapelt, der jetzt im Sommer jedoch erloschen war. Lediglich einige schon lange erkaltete Kohlen lagen zwischen der Asche.
Und in der hintersten Ecke des Langgezogenen Hauptraumes saßen schließlich die zwei Gestalten, die sie nicht mehr aus den Augen ließen, seit sie durch die Tür gekommen war.
,,Elin…“
Ihre Mutter war aufgesprungen bevor sie Gelegenheit hatte, etwas zu erwidern fiel sie ihr auch schon um den Hals. Die hochgewachsene Luchsin war eine kräftige Frau und riss Elin beinahe von den Füßen, während sie fast in dem roten Mantel und dem schimmernden, weißen Pelz versank.
Auf ihre raue, eigene Art war sie schlicht wunderschön, das hatte Elin immer gedacht.
Neben Eden wirkte Elins Vater wie ein lebender Schatten. Ein Wolf fast genau so groß wie ihre Mutter, mit tiefschwarzem Pelz und dunklen Haaren in denen sich trotz seiner annähernd vierzig Jahre noch keine Spur von grau zeigte. Seine Kleidung war fast genau so dunkel und wäre nicht das eine, gelbliche Auge gewesen, man hätte ihn wohl wirklich für einen Schatten halten können. Das andere Auge wiederum verschwand unter einer simplen Binde, die Narbengewebe und die leere Augenhöhle darunter verbarg.
Cyrus lachte laut auf, während ihre Mutter Elin mehr mit sich zum Tisch schleifte, als das sie selbst ging. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt lächelte er nur, während er die beiden beobachtete. Dieses Lächeln hätte wohl gereicht um den meisten Männern das Fürchten zu lehren. Scharfe Zähne blitzten im Sonnenlicht. Elin jedoch hatte diese Geste nie mit Angst in Verbindung gebracht. Im Gegenteil… sie konnte sich noch gut erinnern, dass sie als Kind nicht selten darüber gelacht hatte… So bedrohlich ihr Vater auf jene wirken konnte, die ihn nicht kannten, am Ende war er vielleicht einer der sanftesten Männer die sie sich vorstellen konnte. Trotzdem, Elin war irgendwie froh, dass zumindest nicht geerbt zu haben. Dafür verzichtete sie auch gerne auf die hochgewachsene Statur der beiden.
,, Hast du eine Ahnung wie viel Sorgen wir uns um dich gemacht haben ?“ , wollte ihre Mutter wissen, während sie sich neben ihr auf eine Sitzbank fallen ließ. ,, Ich weiß das du gerne mal ausreißt, aber das…. Ohne ein Wort so lange zu verschwinden…“ Sie schüttelte den Kopf, dann zog sie Elin jedoch nur wieder fest an sich. ,, Wo warst du nur ? Wir haben schon gedacht, wir sehen dich nie wieder.“
,, Also ich nicht.“ , bemerkte ihr Vater grinsend. ,, Ich habe dir immerhin beigebracht auf dich aufzupassen.“ Die Füße auf den Tisch hochgelegt lehnte er sich entspannt zurück. Der Wirt , der mittlerweile an der Theke aufgetaucht war,w arf ihm dabei einen misstrauischen Blick zu, sagte aber nichts. Vermutlich hatte er Angst, der Wolf könnte ihm die Möbel zerkratzen. Die wenigsten Gejarn trugen Schuhe und wenn gewöhnten sie sich nur schwer daran. Bei der kaiserlichen Garde war das zwar verpflichtend, aber ihr Vater war schon lange nicht mehr beim Militär. Und selbst damals hatte er sich wenig aus Regeln gemacht.
,, Cyrus ! , rief ihre Mutter entsetzt. ,, Glaub ihm ja kein Wort, Elin. Ich weiß dass er bei jeder Gelegenheit in Lasanta war um nach dir Ausschau zu halten.“
Der angesprochene Wolf machte eine wegwerfende Handbewegung, nahm jedoch die Füße vom Tisch und beugte sich verschwörerisch vor. ,, Also, was ist passiert? Erzähl mal.“
,, Das letzte was ich gehört habe ist, das du mit einer ganzen Bande dieser… Zwerge zurückgekommen bist.“ , bemerkte ihre Mutter, während sie dem sichtlich erleichterten Wirt ein Zeichen gab. Der Mann verschwand einen Moment im hinteren Teil des Gasthauses, kehrte bald darauf jedoch mit drei vollen Gläsern zurück. In zwei davon schwappte goldenes Bier. Im dritten hingegen lediglich Wasser.
,, Das stimmt auch.“ , erklärte Elin, die das Glas vor sich kaum beachtete. Langsam begann sie zu erzählen, von dem Moment in dem sie zum ersten Mal von der Expedition gehört hatte, wie sie sich an Bord geschlichen, bis zu dem Moment, an dem sich in der fliegenden Stadt alles entschieden hatte. Als sie schließlich von Galren berichtete, lies sie sich vielleicht etwas zu viel Zeit. Allerdings war es auch nicht einfach, diesen Mann zu beschreiben, dachte Elin. Auf der einen Seite hatte er sie fast alle ins Verderben geführt… auf der anderen aber auch alles gegeben um sie wieder Lebend nach Hause zu bringen. Und sie vermisste ihn, wenn sie ehrlich zu sich war…
Die Stimme ihres Vaters riss sie schließlich aus ihren Gedanken. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie aufgehört hatte, zu sprechen. ,, Ich glaube die Kleine ist verliebt.“ , bemerkte er.
,,Was… nein… wie…“ Elin war zum ersten Mal wirklich dankbar für das blickdichte Fell auf ihrem Körper. Wäre sie ein Mensch sie wäre vermutlich für alle sichtbar rot angelaufen wie die Flusskrebse, die man im Sommer von den örtlichen Fischern bekommen konnte. Wenn es wenigstens nicht stimmen würde, dachte sie. Aber wer konnte den eigenen Eltern schon lange etwas vormachen? Und das sie ihn vielleicht nie wiedersehen würde, jetzt wo er ohne ein Wort verschwunden war… Sicher vermutlich war er einfach nur in seine Heimat zurückgekehrt, aber trotzdem…
Sie hatte sich ganz ohne es zu merken in ihn verliebt, vielleicht schon seit jenem Abend, an dem er endlich wieder zur Vernunft gekommen war. Vielleicht schon früher. Doch wirklich gewusst hatte sie es erst, als er fort war. Sie waren alle irgendwie Freunde geworden auf dieser seltsamen Reise, die sie hinter sich hatten. Selbst Hedan, der mürrische Kapitän der Immerwind… selbst er war nicht mehr hier, sondern irgendwo auf dem Weg nach Maras um Naria nach Hause zu bringen.
Aber Galren war eben ein Stück…mehr für sie geworden.
,, Das ist ziemlich offensichtlich.“ Ihre Mutter nahm einen Schluck Bier und legte den Kopf auf die Seite.
,, Na ja…“
,, Er ist ein Mensch ?“ , fragte Cyrus. ELin nickte lediglich. ,, Na ja, könnte schlimmer sein.“ Der Wolf zuckte mit den Schultern. ,, Also, wie ist er sonst so ?“
,, Es spielt keine Rolle.“ Elin sah aus dem Fenster. Zwar konnte man die Straße draußen nur verschwommen erkennen, aber offenbar ging es direkt auf den kaiserlichen Palast im Herzen der Stadt hinaus. ,, Er interessiert sich vermutlich nicht einmal für mich. Nicht genug jedenfalls. Sonst wäre er nicht so schnell verschwunden, wie er es getan hat.“ Und ohne ein Wort des Abschieds. Sicher, er hatte Lias verloren. Sie alle hatten den Paladin gemocht, selbst Naria. Die Trauer mochte ihn aus der Stadt getrieben haben, aber so ohne jeden Abschied? Sie waren fast ein halbes Jahr zusammen gereist….
,, Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollte aber… ich würde nicht so einfach aufgeben, Elin. Manchmal braucht so etwas Zeit.“
,, Und viel Alkohol.“ , warf ihr Vater ein.
,, Willst du damit auf irgendetwas hinaus ?“ Ihre Mutter verschränkte die Arme vor der Brust und sah den Wolf säuerlich an. Dieser jedoch grinste nur und gab der Gejarn einen schnellen Kuss.
Elin entkam ein verzweifeltes Stöhnen und sie drehte den Kopf weg.
Cyrus lachte angesichts ihrer Reaktion lediglich und griff nach seinem Bier. Erst als er bereits einen Schluck genommen hatte, stutzte er schließlich und setzte das Glas mit einem skeptischen Ausdruck auf dem Gesicht ab. Statt Bier schwappte lediglich Wasser darin, während Elin sich mit dem entwendeten Getränk zurücklehnte.
,, Du musst wirklich aufhören, ihr so etwas beizubringen.“ , bemerkte der Wolf nun seinerseits ungehalten.
,, Das hat sie ganz sicher nicht von mir.“ , erwiderte ihre Mutter konnte aber ein verschmitztes Lächeln nicht unterdrücken.
,, Ach ß Wer von uns hat sein Leben denn damit verbracht, allem hinterherzulaufen, das glänzt ?“
,, Ich will gar nicht wissen, was oder wem du alles so hinterhergelaufen bist. Also, du hast uns noch nicht alles erzählt, oder?“
Elin schüttelte den Kopf. Und es würde noch eine Weile dauern, dachte sie, während sie mit ihrem Bericht fortfuhr. Als sie endlich auf die Ereignisse in der fliegenden Stadt und dem Tod von Galrens verrückten Vater zu sprechen kam wurde es draußen schon langsam dunkel und die drei Gläser standen leer auf dem Tisch.
Erst jetzt, wo sie alles noch einmal durchging wurde Elin wirklich bewusst, wie sehr sich ihr Leben in den letzten Wochen wirklich verändert hatte. Und doch war sie irgendwie hier gestrandet, dachte sie. Eigentlich hielt sie nach wie vor nichts mehr in der fliegenden Stadt, wenn sie nicht Kasran hinterherspionieren wollte um wirklich sicher zu gehen. Und so seltsam es schien, sie traute ihm zumindest darin, dass er nichts versuchen würde, was sich gegen den Kaiser oder sie richtete.
,, Was hast du jetzt vor ?“ , fragte ihre Mutter, als hätte sie ihre Gedanken gelesen.
,, Ich weiß es nicht, ehrlich gesagt.“
,, Vielleicht willst du ja mitkommen ? Weißt du, Erik plant im Augenblick eine Expedition zu einer Ausgrabung im roten Tal. Offenbar gibt es dort einige Ruinen des alten Volkes und wir haben uns breitschlagen lassen, den Alten zu begleiten. Ehrlich gesagt, er ist noch ziemlich fit für sein Alter…“
,, Lass ihn das bloß nicht hören.“ , warf ihr Vater ein. ,, Er hat mir bis heute nicht verraten, wie alt er wirklich ist. Aber er hatte schon schlohweiße Haare als ich ihm das erste Mal begegnet bin. Und das war vor über zwanzig Jahren.“
Die Luchsin überging die Bemerkung einfach. ,, Und uns fällt schlicht die Decke auf den Kopf, wenn wir nicht mal wieder raus kommen. Also, was meinst du? Es würde dich zumindest auf andere Gedanken bringen… Wir wollten noch heute aufbrechen…“
Erik… sie hatte den alten Mann tatsächlich eine Weile nicht gesehen, dachte Elin. Und vielleicht hatte ihre Mutter ja Recht. Es würde sie auf andere Gedanken bringen… und ihr etwas zu tun geben. Dennoch hielt sie etwas zurück. Sie konnte hier immer noch Hadrir unterstützen, sagte sie sich, auch wenn es wie eine Ausrede klang. Der Mann hatte es auch nicht einfach. Sein Volk war führungslos und nun trieben dutzende Schiffe über das Meer, deren Besatzung noch gar nicht wusste, was ihnen hier bevorstand oder das ihr König tot war…
,,Nein… Nein ich bleibe hier. Zumindest noch eine Weile.“ Elin sah zu ihren Eltern auf, die sich beide einen Moment vielsagende Blicke zuwarfen, die sie jedoch nicht zu deuten wusste.
,, Es ist deine Entscheidung. Aber du kannst immer noch jederzeit nachkommen.“ , erklärte ihr Vater und erhob sich. ,, Du wirst uns doch zumindest noch bis zur Gondel begleiten, oder ?“
Elin nickte und stand ebenfalls auf. Irgendwie behagte ihr das Gefühl nicht, ihren Eltern schon wieder Lebewohl zu sagen. Gleichzeitig wollte sie noch nicht gehen. Einen Moment trat sie hin und her gerissen von einem Fuß auf den anderen. Erneut sahen sich ihre Eltern einen Moment stumm an, dann hockte sich Cyrus vor sie auf den Boden.
,,Hey…“ Er wuschelte ihr einen Moment durch die Haare. ,, Egal wie du dich entscheidest, es macht für uns keinen Unterschied, ja ? Sobald der Alte damit ist uns durch die Hitze zu scheuchen, sind wir zurück. Und wenn dein Freund da nicht vernünftig ist, kann ich auch jederzeit etwas nachhelf…“
,, Cyrus !“
,, Das war ein Scherz…“ , murmelte der Wolf und stand auf. ,, Du siehst ja, es kann immer schlimmer kommen. Darauf haben wir keinen Einfluss. Am Ende jedoch, ist es wichtig, das wir wenigstens die Entscheidungen die dazu führen nicht bereuen.“
Gemeinsam machten sie sich schließlich auf dem Weg aus dem Gasthaus und traten auf die im Dunkeln liegenden Straßen hinaus.
Kalter Wind wehte durch die dunkler werdenden Straßen der fliegenden Stadt, als sie ins Freie traten. Zwar hatte der Sommer das Land bereits im Griff, aber in dieser Höhe konnte es nach wie vor empfindlich kalt werden. Elin fröstelte, während sie ihren Eltern durch die menschenleeren Straßen folgte. Die fliegende Stadt war kein Ort, den man einfach zu Fuß betreten konnte, schwebte sie doch ständig höher als jeder Baum über dem Land. Ein Umstand, der sie allerdings wohl auch zu einem der sichersten Plätze im gesamten Kaiserreich Cantons machte. In den Jahrhunderten, in denen die Herrscher der Menschen nun schon von hier aus regierten war es nur einer Hand voll Angreifern jemals gelungen, einen Fuß in die Stadt selbst zu setzen, darunter die Gejarn unter Beroe und schließlich auch Simon Belfare am Ende seines Kriegs gegen die alten Kaiser.
Der einzige Weg hinein und hinaus aus der Stadt bestand in Gondeln, die von gewaltigen mit Magie oder per Hand betriebenen Winden vom Boden betrieben wurden und sich an den Rändern der einzelnen schwebenden Inseln befanden. Manche allerdings wurden seit neuestem auch mit von Kohle befeuerten Öfen betrieben, die große Mengen Wasser zum Kochen verdampfen brachten. Günstiger als die Magie des Sangius-Ordens waren sie alle mal. Das Geräusch, das diese seltsamen Maschinen machten jedoch, klang Elin jetzt noch in den Ohren.
An den Ankerplätzen für die Gondeln wichen die von Palästen und Prunkbauten überschatteten Straßen großen, offenen Plätzen, die meist nur von Gärten und einigen, kleineren Bauten begrenzt wurden. Und von dem Abgrund, der sich vor Elin auftat. Das Land unter der fliegenden Stadt war bereits völlig in Dunkelheit gehüllt, nur durchbrochen vom silbrigen glänzen des Mondes, der sich auf einigen Seen spiegelte und dem stetigen Strom aus Lichtern, welcher der Stadt folgte. Die Karawane rastete selten und bestand aus all jenen, die oben in der Stadt keinen Platz fanden. Kleine Adelige, die sich weder einen repräsentativen Sitz noch ein Gasthaus leisten konnten, Glücksritter und fahrende Händler, die sich eine Weile lang dem Zug anschlossen, Arbeiter, die beständig neue Aufträge zum Erhalt der Stadt erhielten, von Steinmetzen über Schreiner bis hin zu Holzfällern und Architekten und natürlich einige tausend Mann aus den Teilen der kaiserlichen Garde, die dem Kaiser nicht als Leibwache dienten. Hinzu kam eine unvorstellbare Menge an Versorgungswagen, die Vorräte transportieren und weitere Fahrzeuge, die teilweise die Funktion von Gebäuden übernahmen, von fahrenden Schänken bis zu Wagen für die Kranken und Schlafkutschen. Es war ein gewaltiger Mahlstrom in dem sich Menschen aus allen Teilen des Imperiums vermischten, manche von ihnen kamen wohl sogar von jenseits der Grenzen aus der eisigen Ödnis hoch im Norden oder aus den glühenden Steppen und Wüsten um Helike.
Am Ende war es eine eigene Metropole auf Rädern, Hufen und Stiefeln, allerdings eine, die sich im Gegensatz zur ruhigen und uralten fliegenden Stadt im beständigen Umbruch befand und nie auch nur einen Herzschlag lang gleich aussah.
Elin folgte dem Lichtermeer einen Moment mit den Augen. Am Ende schlief es nie wirklich und vermutlich hielt unten bereits jemand Pferde oder eine Kutsche für ihre Eltern bereit.
Dort, wo die schwebenden Inseln endeten, hingen vier große, hölzerne Konstruktionen an schweren Armen aus Metall oder dunklem, harten Holz, das mit armdicken Bolzen verschraubt worden war.
Die Gondeln schaukelten leicht im Wind und die Seile an denen sie hingen und die sich über Elins Kopf hin zu einigen kleinen Gebäuden spannten, knarrten leise. Irgendwo in diesen Häuschen verbarg sich die Maschinerie bestehend aus Zahnrädern, Getrieben und Bolzen, welche die schweren Ketten oder Seile langsam herabließ oder hinaufzog.
Ihr Vater stellte demonstrativ einen Fuß in die schwankende Gondel, die ihnen am nächsten war und hielt sie damit an. Das dunkle Holz war über und über mit Schnitzereien bedeckt. Blumen, die Symbolik des Kaiserreichs oder Darstellungen von wichtigen Ereignissen.
,, Und du bist sicher, dass du nicht mit willst ?“ , fragte er. Um seine Züge spielte ein trauriges Lächeln. Es missfiel ihm sie jetzt schon wieder hier zurückzulassen, egal was er vorhin gesagt haben mochte. Es war schön, ihn wiederzusehen, dachte Elin. Eigentlich hielt sie nichts hier, sagte sie sich. Einen Moment war sie wirklich versucht, einfach mitzugehen.
,, Ich komme nach.“ , erklärte sie schließlich.
Der Wolf nickte lediglich, dann drehe er sich schwungvoll um und setzte sich auf eine hölzerne Sitzbank im inneren des hölzernen Kastens.
Ihre Mutter schloss sie noch einmal in die Arme. ,, Pass auf dich auf, ja ? Was immer du tust…“
Elin rang sich ein unsicheres Lächeln ab. Auf sich aufpassen das war… genau das Gegenteil von dem was sie in den letzten Monaten getan hatte, wenn sie ehrlich war. Sie wünschte wirklich, sie könnte dieses Versprechen noch mit gutem Gewissen geben. Vor dieser Reise war alles einfacher gewesen. Keine Politik, keine Verrückten , keine kryptischen Prophezeiungen… Aber das war vorbei, vielleicht für immer. Elin war sich nicht sicher, wie sie sich dabei fühlen sollte. Sonst immer so schlagfertig, fehlten ihr schlicht die Worte ihren Gedanken Ausdruck zu geben.
,, Das mach ich.“ , sagte sie schließlich nur. Ihre Mutter schien sie nur wiederwillig loszulassen, dann jedoch drehte auch sie sich um und trat zu Elins Vater in die Gondel. Sobald sich die Tür hinter ihnen schloss, begann das Gefährt langsam in die Tiefe zu sinken. Knirschend sprangen die Halterungen der Zahnräder in den Windenhäusern heraus, während die Seile über ihre Rollen flossen.
Elin sah der Gondel nach, bis sie schließlich von der Nacht verschluckt wurde und selbst dann rührte sie sich nicht von der Stelle. Irgendwie war das kein richtiger Abschied gewesen… Nach wie vor war sie ihn und her gerissen. Was wollte sie den wirklich noch hier? Glaubst du Galren kommt zurück? Und was dann, hm ?
,, Das weiß ich doch auch nicht.“ , antwortete sie sich. Großartig jetzt rede ich schon mit mir selbst…
Schnaubend drehte sie sich um und wollte sich auf den Weg zurück zum Palast machen. Erst da viel ihr die Gestalt auf, die bei einem der Windenhäuschen stand und auf den Platz hinaus sah.
Offenbar kümmerte es den Mann nicht, dass er entdeckt war, den er trat unbekümmert hinaus ins Mondlicht. Erst jetzt erkannte Elin ihn auch, auch wenn sie sich wunderte, was der Kaiser hier suchen mochte.
Kellvian Belfare war ein Mann, der auf den ersten Blick als recht gewöhnlich durchgehen konnte. Nicht übermäßig groß mit blonden Haaren, die bereits stellenweise ergrauten und einer Figur, die eher dünn als muskulös war. Der Kaiser wäre wohl am ehesten in einer Bibliothek aufgehoben, den auf dem Schlachtfeld. Doch dies war nur der erste Eindruck. In den grün-blauen Augen Kellvians lagen der ganze Ernst und die Entschlossenheit eines Geschlechts, das sich aus dem Nichts erhoben und das seit mehr als zweihundert Jahren über ein stetig wachsendes Imperium herrschte. Das Lächeln, das den Bart und die Lippen des Kaisers teilte schien diese Strenge jedoch hin wegzuwaschen, als sei sie nie dagewesen.
Ein langer, blauer Mantel wehte hinter ihm und der Wind zerrte an seinem weißen Hemd und brachte das Schwertgeschirr an seiner Seite zum Klirren.
,, Herr…“Auch wenn sie noch nie gesehen hatte, wie der Kaiser von jemandem eine förmliche Ansprache verlangt hatte, irgendwie konnte sie sich nicht dazu überwinden, ihn irgendwie anders anzusprechen. ,, Ich bin überrascht, euch hier draußen zu begegnen.“
,, Ihr meint ehr, überrascht mir ohne ein Bataillon Leibwächter zu begegnen. Glaubt mir es wird nicht einfacher für mich, den Palast unbemerkt zu verlassen. Vielleicht hätte ich Syle doch nie zu meinem Hochgeneral machen sollen. Er nimmt seine Stellung manchmal etwas… zu ernst, glaube ich. Nicht dass ich mich beschwere. Er hält Janis auf Trapp. Ich habe mich nie überwinden können ihm viel auszuschlagen.“
,, Und die Kaiserin ?“
Statt sofort auf ihre Frage zu antworten, brach der Kaiser in Lachen aus. ,, Oh ja, Jiy ist in den Jungen vernarrt. Ich glaube, bevor der Tag kommt, an dem sie die Stimme gegen ihn erhebt, sind wir alle alt und grau. Aber ich habe eure Frage nicht beantwortet scheint mir.“ Kellvian sah zu der Stelle, an der die Gondel vor wenigen Augenblicken verschwunden war. Einen Moment schien er weit weg zu sein.
,, Ich schule euren Eltern viel. Wisst ihr ich war mir nicht sicher wer ihr seid, auch wenn ich es mir irgendwie denken konnte… Ich bin Cyrus und Eden lange nicht mehr begegnet. Und das letzte Mal als ich euch sah, Elin, könnt ihr keine zwei gewesen sein. Es ist schön zu wissen, dass sich manche Dinge nie ändern. Aber ich wollte auch mit euch sprechen.“
Er ging zu einem der Häuschen und setzte sich auf die Stufen vor dem Eingang. Elin tat es ihm gleich.
,,Mit mir ?“ Sie legte den Kopf auf die Seite und musterte den Kaiser eindringlich. Was sollte sie erfahren? Irgendwie war ihr plötzlich unwohl…
,, Heute Nachmittag kam ein Bote in die Stadt, der Nachricht von Hamad gebracht hat. Galren wurde angegriffen. Syle meinte ich sollte das für mich behalten, aber ich dachte ihr solltet es zumindest wissen.“
Nur langsam verstand sie wirklich, was Kellvian gesagt hatte. Wieso sie ? Galren angegriffen? Sie hatten es doch geschafft, oder? Von wem also ? Kasran ? Sie fühlte einen plötzlichen Stich der Wut. Wenn der alte Zwerg damit etwas zu tun hatte… Aber warum sollte er? Ihre Gedanken rasten, schienen sich einfach nicht auf etwas fokussieren zu wollen, aber Elin zögerte, die Frage zu stellen, die ihr vor allen anderen auf der Zunge brannte.
,, Wie geht es ihm ?“ , fragte sie schließlich, als sie wieder zu sprechen wagte.
,, Man weiß nichts genaues und Gerüchte verbreiten sich schnell. Ich sage das, damit ihr keine voreiligen Schlüsse zieht. Einige sagen er sei bei dem Angriff umgekommen und in seinem Haus verbrannt. Andere meinen, er sei verletzt, aber nicht tödlich…. Aber wenn ich nach dem gehe, was die meisten Leute sagen dann lebt er, Elin. Vielleicht ist er auch schon auf dem Weg hierher. Ich habe jedenfalls sofort einige Männer ausgesandt die ihn finden sollen, falls möglich.“
,, Ich werde sie begleiten.“ , erklärte Elin sofort und sprang auf. ,, Ich kenne Galren und ich weiß wie man nach Spuren sucht. Wenn ihr meinen Vater kennt, dann wisst ihr was er mir alles beigebr…“
Kellvian hob abwehrend eine Hand und schüttelte den Kopf. ,, Ich schätze euren Einsatz für eure Freunde , Elin. Aber solange ich nicht mehr weiß, muss ich davon ausgehen, dass dieser Angriff etwas mit euch zu tun hat. Mit euch allen. Naria ist außerhalb meiner Reichweite und Armell und Galren noch nicht hier. Ihr jedoch schon. Hier kann ich für eure Sicherheit Sorgen. Da draußen… nicht.“
,, Das ist meine Entscheidung.“
,, Und wenn Galren wirklich tot ist ? Und Armell ? Wenn Naria in diesem Augenblick ebenfalls attackiert wird? Was dann ? Soll ich euch auch noch in euren Tod laufen lassen ? Hier geht es nicht nur um euch, sondern auch um die Sicherheit des Kaiserreichs selbst. Wenn gedungene Mörder in meinen Land frei herumlaufen ohne das ich etwas davon weiß, ist das keine geringe Gefahr.“ Der Blick des Kaisers war hart und kalt geworden, während er sprach, berechnend. Einen Moment schloss er die Augen und als er weitersprach, war seine Stimme wieder sanfter. ,, Bleibt, ich bitte euch darum.“
,, Und wenn nicht ? Wollt ihr mich aufhalten? Alleine ?“ Sie deutete auf die Gondeln, die keine hundert Schritte entfernt waren. Sie müsste nur losrennen und könnte vor dem Morgen bereits einige Meilen zwischen sich und die fliegende Stadt gebracht haben.
,, Glaubt mir Syle kann ziemlich schnell laufen.“ , erklärte der Kaiser mit einem gequälten grinsen.
Einen Moment war alles stumm. Der Kaiser auf den Stufen wie erstarrt. Und auch Elin wagte es nicht, sich zu bewegen oder eine Entscheidung zu treffen. Dann jedoch lachte sie.
,, Sprecht ihr aus persönlicher Erfahrung ?“
,, Ob ihr es mir glaubt oder nicht, aber ja.“ Er seufzte. ,, Ich kann und will euch zu nichts zwingen, aber an eure Vernunft appellieren kann ich durchaus. Bitte, bleibt. Nur bis meine Leute zurückkommen und wir mehr wissen. Dann lasse ich euch ziehen. Vielleicht ist Galren auch vor ihnen hier, er hätte immerhin einige Tage Vorsprung, bevor sie Hamad erreichen. Wenn er lebt kann er sicher genauso gut eins und eins zusammenzählen. Der sicherste Ort vor den Leuten die ihn und vielleicht euch Verfolgen ist hier. „
,, Könnt ihr mir vielleicht verraten, wieso er überhaupt so schnell gegangen ist. Nach der Ankunft der Zwerge ist er keinen Tag mehr geblieben… Hat er euch etwas verraten?“ Die Vorstellung das Galren dem Kaiser mehr vertraut haben könnte als ihr lies in ihr ein unbestimmtes Gefühl aufsteigen. Neid ? Aber dazu hatte sie nicht das geringste Recht, sagte Elin sich.
,, Nicht das ich wüsste.“ Irgendwie war diese Antwort erleichternder als wenn Kellvian eine Antwort gehabt hätte. ,, Aber ich kann es mir denken. Ich glaube er läuft vor seinem Schicksal davon.“
,, Woher wollt ihr das wissen ?“
Statt einer Antwort zog der Kaiser einen in schwarzen Samt eingeschlagenen Gegenstand aus der Tasche und reichte ihn Elin. Diese nahm das Päckchen vorsichtig entgegen und schlug es auf.
Einen Moment verstand Elin nicht, was sie vor sich sah. Ein Kristall, dachte sie, von Rissen durchzogen und gesplittert. Weiß wie Mondlicht schien er auf ihrer Hand zu Leuchten, als sie ihn hochhob. Die nicht gebrochenen Kanten waren scharf wie eine Rasierklinge und entsprechend vorsichtig ging sie damit um. Das war nicht einfach nur ein Stein. Das war ein Bruchstück von Varan Lahayes Waffe…. Und es war weiß.
,, Ich habe sie nach dem Kampf aufgesammelt.“ , erklärte der Kaiser. ,, Sie sind alle weiß geworden, Elin.“
Die Gejarn wog den Splitter nur wortlos in der Hand. Parlors Worte kamen ihr in den Sinn. Wenn die schwarze Klinge weiß wurde… Aber das war doch nur das Gebrabbel eines halb verrückten Einsiedlers gewesen, oder? Und wenn nicht ? Götter, das hätte sie an Galrens Stelle auch zu Tode erschreckt.
Langsam begann sie dem Kaiser von ihrer Begegnung mit Parlor und dessen Prophezeiung zu berichten. ,, Aber es ist nichts passiert.“ , stellte sie fest. ,, Ich meine, wir sind alle noch hier, die Zwerge gerettet und Canton sicher…“
,, Und hoffen wir, dass das auch so bleibt. Und nichts mit diesen Angriffen zu tun hat. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache, ehrlich gesagt. Aber wenn Galren davor wegläuft hat er etwas nicht verstanden. Ein weiser Mann, einer der Menschen die ich am meisten respektiere auch nach all den Jahren, sagte mir einmal, das Schicksal sei wie ein Spinnennetz. Von außen betrachtet man es solide erscheinen und für die Fliege darin keinen Ausweg geben, aber alles was es braucht um das ganze Gespinst zusammenbrechen zu lassen, ist ein einziger, gerissener Faden. Das Schicksal ist keine Fessel außer man lässt es zu… aber man kann auch nicht mal eben davor weglaufen. Glaubt mir ich habe es versucht.“ Mit diesen Worten stand der Kaiser auf. ,, Also, ich muss wieder zurück zum Palast, bevor Syle merkt das ich weg bin und anfängt die Stadt zu durchkämmen. Er hat da schlechte Erfahrungen gemacht.“
Kellvian kicherte in sich hinein, während er seinen Mantel glatt strich und in der Nacht verschwand.
Elin saß noch eine Weile dort und starrte auf das Schwertbruchstück in ihren Händen…
Maras erhob sich wie ein grüner Berg inmitten des grau-blauen Ozeans. Zwar waren die Wälder um die Küste der Insel längst Siedlungen und Häusern gewichen, doch ihr Zentrum war in den Jahren seit die ersten Siedler angekommen waren, so gut wie unberührt geblieben. Graue Berggipfel ragten zwischen den Baumkronen in den Himmel und warfen ihre Schatten in Richtung der größten Ansiedlung von Maras. Etwa eintausend hölzerne Bauten, die sich um eine Landzunge gruppierten, welche in einem Bogen verlief und so eine kleine Bucht , geschützte Bucht erschuf. In der Bucht wiederum ankerten dutzende von kleineren und größeren Schiffen aller Bauarten und mehrere Landungsstege ragten ins Wasser hinaus. Fischer und auch einige Händler hatten ihre Stände entlang des Hafen aufgebaut, boten ihren Fang oder Waren vom Festland an, welche die Inselbewohner nicht selber herstellen konnten. Hinter dem Hafen wiederum ragten die Wohnbezirke an Terrassenartig angelegten Straßen auf, die sich bis hin zu den großen Feldern am Waldrand zogen. Bunte Wimpel wehten in der Briese und erloschene Fackeln bewachten einen Kies-Pfad, der von den Wohngebäuden weg zu einem mit Bäumen bestandenen Hügel führte. Versteckt zwischen den grünen Zweigen und Blättern befand sich einer der wenigen Steinbauten der Insel, die Versammlungshalle der Zauberer, die auch gleichzeitig als Stadthalle, Gerichtssaal und einem guten Dutzend weiterer Zwecke diente. Es war ein großes, zweistöckiges Haus, dessen Dach mit grauem Schiefer gedeckt war. Die Fenster waren mit u Rauten geschnittenen Glasplättchen bedeckt, die beinahe wie Schuppen wirkten und wo die meisten klar Waren, gab es in jedem Fenster ein paar, die man mit Farbe versehen hatte. Kobaltblau, Rot, oder Gelb. Von außen übersah man es leicht, aber stand man erst einmal im inneren der hohen Halle, war der aus poliertem Granit gefertigte Boden mit leuchtenden Sprenkeln übersäht. Mehrere hundert kristallene Windspiele, eines für jeden Magier der Insel, reflektierten das Licht zusätzlich und ließen Lichtfunken über die dunklen Holzsäulen tanzen, welche das Dach trugen.
Es war schön wieder daheim zu sein, dachte Naria, als sie in die Halle trat. Sie hatte Maras vermisst, so viele Großartige Orte sie auch in den letzten Monaten gesehen haben mochte, angefangen bei der fliegenden Stadt bis hin zu den Monumentalbauten der Zwerge an der Nebelküste. Aber die Insel war ihre eigentliche Heimat. Vielleicht hätte sie trotzdem noch etwas warten sollen. Sie hätte es Lias geschuldet, dachte die Gejarn. Dieser Mann hatte ihr mehr Dinge klar gemacht, als er wohl selbst je geglaubt hätte. Viele hier sahen Helike und seine Bewohner auch nach zwei Jahrzehnten nur als die Leute, die sie vertrieben und gejagt hatten. Sie jedoch hatte diese Vorstellung schnell aufgeben müssen, nachdem sie den ehemaligen Paladin einmal kennen gelernt hatte. Vielleicht hatte sie ja eines Tages die Gelegenheit sich ein eigenes Bild von Helike zu machen
Naria blieb einen Moment stehen und betrachtete abwesend das Lichterspiel. Irgendwo dort oben befand sich auch das Windspiel, das sie einst angefertigt hatte, so wie es jeder Magier tat, der seine Ausbildung auf Maras abschloss. Mit seiner eigenen Magie geformt und zusammengehalten, zersprangen diese zerbrechlichen Konstrukte nicht selten, sollte ihrem Erschaffer etwas zustoßen. Heute jedoch waren die Windspiele ruhig und drehten sich nur Träge im Luftzug, der entstanden war, als Naria eintrat. Einige weitere Bewohner von Maras waren Anwesend, saßen auf den Bänken, die sich in den Nischen unter den Fenstern befanden oder warteten vor einer der Türen, die zur Kammer des Meisterrats führte, die eigentliche Regierung von Maras. Dieser Rat setzte sich aus gewählten Vertretern der wichtigsten Handwerkszweige sowie der Schulen der Magier zusammen und wurde nur selten zu einer vollständigen Versammlung einberufen. Meist waren es einzelne Mitglieder, die sich damit abwechselten, Fragen und Anliegen von Bürgern anzuhören. Narias Mutter war fast zwei Jahrzehnte als oberste Rätin für die Magier tätig gewesen, hatte ihr Amt jedoch vor der letzten Wahl niedergelegt. Und was sie selbst anging, dachte Naria, so würde alles tun außer sich in die ermüdende Politik einer Insel voller Zauberer hineinziehen zu lassen. Mit raschen Schritten durchquerte sie die Halle und trat am Ende des Raumes durch eine der zahlreichen Türen. Die Stadthalle besaß einige Anbauten, die im Gegensatz zum Kerngebäude größtenteils aus Holz gehalten waren. So auch die Bibliothek in der sie sich nun wiederfand.
Warmes Licht ging von einigen hundert Öllampen aus, die im Raum verteilt waren. Kunstvolle geometrische Muster aus unterschiedlich hellem Holz waren in den Boden eingelassen worden auf deren Außenlinien man Regale und Tische aneinander gereiht hatte. Über Naria wiederum verlief ein zweites, offenes Stockwerk, das mit verschließbaren Schränken besetzt war, in dem sich die wertvolleren Dokumente und Bücher befanden.
Die Magier trugen schon seit Jahren alles an Schriften und arkanen Arbeiten zusammen, dem sie habhaft werden konnten und was bei ihrer Ankunft hier alles in einige wenige Truhen gepasst hatte nahm mittlerweile drei große Bibliotheken wie diese hier und dutzende kleinerer Bauten ein.
Naria atmete den vertrauten Geruch von altem und neuem Papier und zerbröselnden Pergamenten tief ein. Schon als Kind, noch bevor ihre Gabe überhaupt voll zum Tragen kam, hatte sie sich in den weitläufigen und verwinkelten Sälen mit ihrem verborgenen Wissen und unzähligen geheimnissen seltsam wohl gefühlt.
Naria schlug die Kapuze ihres grauen, bodenlangen Mantels zurück. Darunter tauchten ein paar spitze Ohren auf, die einen Moment nach Geräuschen lauschten.
Außer ihr war kaum jemand zu sehen, nur drei junge Magier, die Naria noch nicht kannte. Vielleicht waren sie auch erst in die Lehre geschickt worden, nachdem sie die Insel verlassen hatte.
Die drei hatten in einer Ecke zusammengedrängt und unterhielten sich über einen Stapel Bücher hinweg. Einer von ihnen, ein Junge von vielleicht zehn Jahren ließ gelangweilt ein paar Funken aufsteigen, während die anderen beiden, ein Mädchen mit einem Kopf voll roter Locken und ein weiterer Junge der vielleicht ein paar Jahre jünger als der erste war, ihm entsetzt dabei zusahen.
,, Du weißt wir sollen hier drin kein Feuer machen.“ , protestierte das Mädchen.
,, Sindor lässt uns nie ohne Aufsicht üben. Und er weigert sich mir Neues beizubringen.“ , erklärte der Junge. ,, Ich bin längst weiter als ihr alle, also warum muss ich mich noch an seine Regeln halten ? Die sind für Kinder….“
Wie um seinen Punkt zu unterstreich, verdichtete er die Funken zu einem Murmelgroßen Feuerball und ließ das glühende Projektil von einer Hand in die andere Wechseln, als würde es jedem anderen nicht das Fleisch von den Knochen sengen.
Die beiden anderen Schüler sahen ihm nur weiter stumm dabei zu. Naria überlegte kurz, ob sie sich einmischen sollte, aber irgendetwas hielt sie noch zurück. Ihr Blick wanderte zwischen den Mädchen, dem Jungen und dem übermütigen Zauberer hin und her. Eigentlich gab es klare Anweisungen , das jede Art von Feuermagie in Gebäuden verboten war.
Stein war teuer wenn man ihn über die See heranschaffte und die kleinen Steinbrüche in den Bergen waren nur schwer zu erreichen und die gewonnenen Blöcke noch schwerer durch die dichten Wälder zu schaffen, selbst mit Magie. Deshalb waren die meisten Häuser hier aus Holz… und Feuer damit eine ständige Gefahr. Besonders an einem Ort an dem so viele Zauberer zusammenlebten, Erfahrene, wie Junge. Grade letztere bereiteten ihre Probleme mit der gewöhnlichen Bevölkerung
Naria konnte sich noch gut erinnern, selbst so gewesen zu sein. Ein junges Ding, das ihre Begabung nur Oberflächlich Begriff und einsetzte ohne über die Folgen nachzudenken. Magie war mehr als nur die Macht, die damit einherging. Und wer das nicht Verstand würde überrascht sein, wenn sie plötzlich ihren Preis forderte.
Das Mädchen mit den roten Locken schien das eher zu verstehen, als der Junge mit seinem Geprahle.
Einem Magier beizubringen seine Gabe zu nutzen war einfach. Ihm beizubringen sie zur richtigen Zeit zu nutzen und wichtiger, wann nicht, etwas ganz anderes.
Naria wich etwas hinter ein Regal zurück und sah, um eine ernste Miene bemüht, zu, wie das Mädchen heimlich eine kleine Wolke heraufbeschwor, die sich über dem angeberischen Zauberer sammelte. Dieser lies nur weiter das Feuer spielen und bemerkte weder, was über ihm geschah, noch wie einige Funken schließlich auf seine Kleidung übersprangen und dort kleine Glutnester bildeten. Erst als bereits Flammen daraus hervorschlugen, sprang er schließlich kreischend auf. Im nächsten Augenblick ging auch schon ein Sturzregen über ihn nieder. Seine zwei Gefährten brachen in schallendes Lachen aus, während der Arme bis auf die Knochen durchnässt wurde.
Naria versuchte selbst, sich ein grinsen zu verkneifen, während sie den Regenzauber mitsamt der entstehenden Wasserpfütze auflöste und dann auf die drei zutrat.
,, Ich schätze, die kein Feuer in Gebäuden Regel muss man euch ab jetzt nicht mehr erläutern ?“ , fragte sie, worauf der angesprochene junge Magier nur beschämt den Kopf hängen ließ. ,, Lass dir das von Sindor nochmal erläutern. Du könntest wirklich etwas dabei lernen. Das nächste Mal wenn ich so etwas sehe warte ich nicht bis deine Gefährten dich löschen, ich werde Sindor gleich empfehlen dir nur noch Feuerstein und Stahl zu geben statt dich Magie anwenden zu lassen.“
Sie sah den drei nach, bis sie aus der Tür verschwunden waren, dann fing sie selber an zu lachen. Hatte sie eben noch gedacht, sie war auch mal so gewesen? Nun sie konnte sich gut genug erinnern, fast genau dieselbe Predigt von einem ihrer Lehrer bekommen zu haben. Der Junge würde ein guter Zauberer werden, wenn er erstmal lernte etwas Bescheidener damit zu sein. Und die anderen beiden auch, da war sie sich sicher.
Auch hinter ihr erklang nun schallendes Lachen und als sie sich umdrehte, erkannte sie Hedan, der mit einem ganzen Stapel Karten unter dem Arm aus einem der Gänge kam. Der grauhaarige Kapitän hatte sie von Canton aus zurück gebracht und so rau er sein konnte, Naria hatte ihn während der zurückliegenden Reise auch anders erlebt. Ein Mann, der sich kümmerte, auch wenn er es ungern zeigte. Und wenn man sah wie er sich trotz seines anfänglichen Wiederwillens um Elin gekümmert hatte… Naria fragte sich kurz ob er wohl Familie hatte.
,, Ihr seid noch nicht wieder auf dem Heimweg ?“ , fragte sie überrascht, während Hedan sich an den Tisch setzte, den eben noch die drei Kinder in Beschlag genommen hatten. ,, Wolltet ihr nicht sofort wieder aufbrechen ?“
,, Nun ich werde mir noch etwas Zeit nehmen. Die Karten die ihr hier habt sind besser als alles, was man in Canton über diese Gewässer bekommt. Die Gelegenheit lasse ich mir nicht entgehen. “ , erklärte der Kapitän und setzte die Papiere vor sich auf dem Tisch ab. ,, Und meine Crew hat sich etwas Ruhe verdient, nach allem was sie in den letzten Wochen durchgemacht haben… und hier ist es friedlich.“
,, Das ist es wirklich. „ Manche mochten sogar sagen nach fast zwei Jahrzehnten die der Aufbau von Maras gedauert hatte, war es sogar langweilig. Auch mit einer der größten Ausbildungsstätten für Zauberer jenseits von Cantons Festland und allem was das mit sich brachte. ,,Und eure Leute fürchten sich nicht vor Zauberern?“
,, Einige sicher. Aber wir stammen aus einem Land das zum Großteil vom Sangius-Orden kontrolliert wird. Das sind alles Magier. Und ehrlich gesagt seit ihr mir zehnmal lieber als diese kinderentführenden Vogelscheuchen. Mag sein das ihr momentaner Großmeister einige Dinge geändert hat, aber der Orden kann nach wie vor in den meisten Orten tun und lassen was er will. Das schließt auch ein, junge Magier aus ihren Familien zu reißen und zur Ausbildung zu zwingen. Ordensoberster Quinn kann ja verbieten wie er will, das hält seine Untergebenen nicht davon ab die Regeln zuweilen sehr… großzügig auszulegen.“
,, Klingt als hättet ihr schlechte Erfahrungen gemacht…“
Der Kapitän hustete ein ersticktes, bitteres Lachen. ,, Zwei Töchter . Der Orden hat die Jüngste geholt da war sie fünf… Als ich sie nach zehn Jahren das erste Mal wieder sehen durfte, hat sie mich nicht einmal mehr erkannt. Geschweige denn ihre Schwester. Sie holen sie so jung weil sie beeinflussbar sind, nicht weil es leichter ist, ihnen etwas beizubringen.“
,, Und ihre Mutter…“
,, Reden wir besser nicht darüber. Sagen wir einfach, sie nahm es schlechter auf als ich…“ Er starrte einen Moment vor sich auf den Tisch und folgte der Maserung im Holz mit den Augen. ,, Götte ich weiß ja nicht mal, warum ich euch von allen davon erzähle. Habt ihr jemanden?“
Überrascht von der Frage antwortete Naria nicht sofort. Wie machte man so etwas jemanden wie Hedan am besten begreiflich?
,, Das kommt ein wenig darauf an, was ihr darunter versteht.“ , sagte sie zögerlich. ,, Männer interessieren mich eigentlich weniger. Also, nicht auf diese Art zumindest Was heißen soll...ich ziehe Frauen vor.“
Einen Moment lang sagte Hedan gar nichts. Es dauerte offenbar, bis er ganz Verstanden hatte, was sie grade gesagt hatte. ,, Aber wie… was… Das ist wirklich merkwürdig.“
,, Tut mir wirklich leid wenn das euer Weltbild ins Wanken bringt.“ , erwiderte sie sarkastisch. Was hatte sie auch sonst erwartet? Vielleicht hätte sie auch schlicht Lügen sollen…
,,Ach was.“ Hedan lachte und machte eine wegwerfende Handbewegung. ,, Glaubt mir, da müsst ihr schon größere Geschütze auffahren. Ich habe einen geteilten Sturm gesehen, fliegende Städte, die letzte Ruhestädte von Simon Belfare… Ein wenig Merkwürdigkeit kann mir glaube ich nicht mehr viel anhaben.“ Er zuckte mit den Schultern. ,, Kann nicht sagen das ich das nachvollziehen kann aber mir soll es egal sein. Aber ich brauch jetzt was zu trinken….“ Mit diesen Worten stand der Kapitän auf , blieb jedoch auf halbem Weg zur Tür noch einmal stehen. ,, Eine Sache würde mich dann aber doch noch interessieren… Wissen eure Eltern eigentlich davon?“
Naria grinste. ,, Ich schätze , sie wissen es seit sie mich einmal mit einer Magierin aus dem Nachbarort erwischt haben.“
Hedan schüttelte lediglich den Kopf nun offenbar endgültig Perplex und schlurfte mit einem Ausdruck völliger Verwirrung aus der Bibliothek.
Naria hatte begonnen einige junge Zauberer zu auszubilden, die gleichzeitig auch von ihrem Vater unterwiesen wurden. Nicht in der Magie, sondern mit dem Schwert.
Zwar war Maras einer der friedlichsten Orte, die sie kannte, aber auch hier musste man zuweilen für Ordnung sorgen. Eine simple Stadtwache reichte jedoch bei einer derart mit Magiern durchsetzen Bevölkerung bei weitem nicht aus und so suchte man sich unter den Zauberern jene aus, deren Gabe zwar stark genug war, um die meisten Zauber zu beherrschen , jedoch kein übermäßiges Talent darin bewiesen um als Ordnungshüter zu dienen.
Zyle Carmine hatte einst den Archonten Helikes als Schwertmeister gedient und auch wenn dies nun fast zwei Jahrzehnte zurücklag, war er nach wie vor ein Kämpfer mit dem man rechnen musste. Und das Wissen, das er sich angeeignet hatte, gab er weiter.
Naria fand ihn auf einer Lichtung hinter den großen Feldern der Stadt, wo sich ein gutes Dutzend Männer und Frauen um ihn gescharrt hatten. Alle bis auf einen trugen sie leichte Kleidung aus weißem Leinen und hatten sich in einem Halbkreis um den Schwertmeister versammelt. Ihre Roben hingegen lagen ordentlich zusammengefaltet am Rand der Lichtung. Einzelne Baumsprösslinge ragten aus dem grünen, mit Laub bedeckten Gras und irgendwo in der Ferne huschte etwas durch das Unterholz. Vermutlich nur ein Vogel oder eines der fast verschwundenen Rehe der Insel. Durch die Besiedlung von Maras und die Jagd war das ohnehin eher seltene Wild hier schnell knapp geworden.
Dämmriges Sonnenlicht viel durch die Zweige über ihnen, während Zyle jedem eine Waffe in die Hand drückte und dann kurz Naria zunickte, die sich neben ihn stellte.
Er war ein Fuchs und ein Stück kleiner, als die meisten seiner Schüler. Graues Fell bedeckte seinen Körper und die hellen, bernsteinfarbenen Augen musterten jeden und alles mit ruhigem, gefasstem Blick. Auch wenn er doppelt so alt war, wie sie selbst, verrieten seine Bewegungen keinerlei Unsicherheit. Im Gegenteil, geschmeidig wie ein Tänzer trat er vorwärts. Grau und die Farbe von ausgewaschenen, braunen Leinen das er trug verschmolzen zu einer Einheit, während er den Männern eine Schrittfolge demonstrierte und dabei die Klinge in einem Bogen führte. Verwischtes Silber zerteilte einen etwa drei Armlängen hohen Schössling, der eben noch auf der Lichtung gestanden hatte. Seine Schüler sahen nur wortlos dabei zu, wie der abgetrennte Ast auf dem Boden Aufschlug.
,, Habt ihr auf meine Füße geachtet ?“ , fragte Zyle die Umstehenden, während er das Schwert zurück in die Scheide schob. ,, Beinarbeit ist das wichtigste, wenn ihr eure Waffe meistern wollt. Jeder kann ein Schwert in die Hand nehmen und damit einen Schnitt machen. Aber wenn ihr dabei über eure eigenen Beine stolpert, seid ihr Tod. Da gibt es nichts schön zu reden. Ich sage das, damit euch klar ist, warum wir das hier tun. Lernt eure Füße und eure Arme gleichzeitig zu benutzen, bis ihr nicht einmal mehr darüber nachdenken müsst. Ihr nehmt eure Kraft aus eurem Stand und aus eurer Bewegung, nicht aus eurem Arm.“
,, Ich will euch sicher glauben.“ , meldete sich ein junger Mann zu Wort, der im Gegensatz zu allen anderen nach wie vor die Robe eines Magiers trug. Nicht grade geeignet für einen Tag im Wald oder hartes, körperliches Training. ,, Aber wir sind Zauberer. Ich verstehe nicht ganz, wieso ihr darauf besteht uns mit dem Schwert zu unterweisen. Unser Geist ist schneller als jede Klinge.“
,,Ist er das Rethan ?“ Zyle trat auf den Mann zu, der plötzlich Nervös wirkte. ,, Ich habe mehr Magier durch ein Stahl sterben sehen, als ihr euch vorstellen könnt. Nicht wenige davon durch meine Hand. Glaubt mir einfach wenn ich sage, dass ihr aller größter Fehler war, genauso zu denken wie ihr. Wenn ihr kein Schwert führen wollt, zwingt euch keiner dazu. Aber ihr solltet zumindest verstehen, zu was euer Gegner wirklich in der Lage ist. Ihr bleibt heute bei mir. Jorick, Erin und Aaron ihr geht ans andere Ende der Lichtung und wartet auf Naria.“
Die Männer nickten und auch Rethan fügte sich mit einem entnervten Seufzten in sein Schicksal, heute der Gruppe anzugehören, die ihre Unterweisung im Schwertkampf erhalten würde. Und während Zyle darauf wartete, das seine Schüler zu ihm kamen, beugte er sich verschwörerisch zu Naria herüber. ,, Gib ihnen ruhig was zu tun. Besonders Aaron. Der Junge kann besser mit einer Klinge umgehen als der Rest zusammen, aber ich glaube er ist alt und grau bevor wir sein Windspiel in der Lichterhalle sehen.“
Die Stimme ihres Vaters klang bitter und Naria konnte sich auch denken warum. Er konnte das Talent des jungen sehen, aber nichts tun um es auch einzusetzen, solange er nicht als vollwertiger Zauberer anerkannt wurde.
,, Du kümmerst dich gut um sie.“ , antwortete sie lediglich. ,, Und du weißt wie es läuft. Am Ende bestimmen die Lehrer jedes einzelnen Magiers zusammen ob er so weit ist, seine Ausbildung abzuschließen.“
,, Es gibt solche und solche.“ , erwiderte Zyle. ,, Ihr versucht allen den gleichen Weg aufzuzwingen. Ich weiß, ich habe schon versucht, den Meisterrat davon zu überzeugen eine individuellere Ausbildung anzustreben aber… ihnen gefällt ihre schöne Ordnung offenbar zu sehr. Mit Fairness jedoch hat das wenig zu tun. Würde man mich fragen ich würde ihn und die Hälfte dieser Leute sofort der Wache zuteilen, Ausbildung als Zauberer hin oder her.“
Naria kannte die kritische Einstellung ihres Vaters nur zu gut. Sie selbst hatte die gleiche Ausbildung erhalten wie alle Magier. Sicher, bis sie feierlich daraus entlassen wurden, mussten sich alle den Regeln und Erwartungen ihrer Lehrer beugen danach jedoch stand es ihnen durchaus frei, eigene Wege zu gehen. Sie selber hatte ja die Pfade der Magie verlassen und sich Jahrelang mit der Heilkunst beschäftigt und was hielt Aaron oder sonst jemanden davon ab, es ihr gleich zu tun? Auf der anderen Seite…Konnte man versuchen alle in eine Form zu pressen und dann noch erwarten das der Großteil schon seinen eigenen Weg finden würde?
Zyle klopfte ihr beruhigend auf die Schulter. ,, Ach gib nicht so viel auf das Gerede eines alten Mannes.“ , meinte er lächelnd. Er konnte ihre Unsicherheit sehen. Vielleicht hätte er dagegen sein sollen, als Relina darauf bestand, sie die gleiche Ausbildung wie alle Magier durchgehen zu lassen. Es prägte einen doch und das er es in Frage stellte… Nein das war sicher nicht leicht für sie.
Selbst Relina schalt ihn ja dafür… und mit dem Meiserrat war in manchen Dingen scheinbar genau so wenig zu reden wie mit den Archonten.
Vielleicht war er auch manchmal bloß nachdenklicher und kritischer als gut für ihn war. Und wenn es etwas gab das Naria von ihm und nicht von ihrer Mutter geerbt hatte, dann war es wohl das.
Das war aber nicht immer so gewesen, nicht? In seinem Fall zumindest. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er jedes Wort der Archonten geglaubt und es automatisch für das beste Befunden. Vielleicht konnte er jetzt nicht mehr damit aufhören, Dinge zu hinterfragen. Und er hatte seinen Preis für diese Lektion gezahlt, nicht?
Unwillkürlich wanderte seine Hand zu seiner Brust. Kein Herzschlag war darunter zu spüren, kein Atem… Manchmal fragte er sich auch ob er überhaupt noch sterblich war. Und der Gedanke machte ihm Angst. Er alterte, aber er fühlte es nicht. Sein Körper blieb genau so beweglich wie immer, sein Verstand scharf…
Zyle schüttelte die beunruhigenden Gedanken ab und wendete sich wieder Naria zu. Sie spürte offenbar, dass ihn irgendetwas beschäftigte, sagte aber nichts. Er zwang sich zu einem Lächeln, das bald auch in ein echtes Überging. Das waren Dinge über die er sich im Zweifelsfall wohl noch Jahrzehnte Gedanken machen konnte. Seine Tochter jedoch stand grade vor ihm.
,, Also dann, wollen wir ?“ Er deutete in Richtung der wartenden Schüler und Naria nickte, bevor sie sich auf in Richtung ihrer Gruppe machte. Zyle sah ihr einen Moment nach und konnte nichts gegen das Lächeln tun, das weiterhin auf seinem Gesicht blieb. Er konnte sich noch zu gut erinnern, wie er sie das erste Mal im Arm gehalten hatte. Ein schreiendes, kleines Fellbündel, das kein Wort sprechen, geschweige denn laufen, konnte… und er konnte sich bis heute nicht erklären wie so etwas sein Herz im Sturm erobern konnte, nur dass es so war. Es war vielleicht eine andere Art der Liebe als die, Relina gegenüber aber mindestens genauso stark. Er musste sie nicht mit seinen Gedanken belasten.
Zyle wendete sich wiederwillig ab und trat auf seine Schüler zu, allen voran Rethan, der missmutig die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Der Junge war nicht dumm, aber Hochmütig. Und das würde nochmal sein Untergang sein, da war Zyle sich so sicher, dass er den Mann schon fast tot vor sich liegen sah. Irgendwie musste er diesem Sturkopf klar machen, dass allein seine Gabe ihm im Zweifelsfall nicht retten würde. Und das er das ganz sicher nicht tat um ihn zu schikanieren. Das war auch noch so eine Sache. Als Magier mochte er sich anderen vielleicht Überlegen fühlen… aber wenn er glaubte wegen einer einzigen Fähigkeit besser als jeder zu sein, der diese nicht besaß, hatte er etwas Wichtiges vergessen… Es gab noch mehr als genug andere Fertigkeiten, die jeder erlernen konnte. Und einige davon waren genauso tödlich, wie jeder Zauber.
Erneut ging Zyle dazu über, seinen Schülern Schrittfolgen und Schnitte zu demonstrieren, doch diesmal ließ er sie die Bewegungen wiederholen. Die meisten stellten sich genauso an, wie er selbst bei seinen ersten Versuchen mit dem Schwert. Manche unter oder Überschätzten das Gewicht der Waffen in ihren Händen schlicht und taumelten, andere schienen schlicht nicht bedacht zu haben,
was er ihnen zuvor erklärt hatte. Aber immerhin, sie versuchten es, dachte er mit etwas Stolz. Selbst Rethan gab sich schließlich einen Ruck und auch wenn er dabei das Gesicht zu einem mürrischen Ausdruck verzog, schaffte er es fast perfekt, die Übung nachzumachen.
Von der anderen Seite der Lichtung drang mittlerweile ein seltsames Gefühl zu ihnen herüber. Es war nicht direkt wahrnehmbar, sondern schien mehr aus dem Erdboden zu kommen, ein leichtes Kribbeln, das von den Füßen aufwärts am ganzen Körper zu spüren war. Für einen außenstehenden Beobachter hätte es nur so ausgesehen, als Stünde Naria mit ihren drei Schützlingen nur völlig still da. Die Magie war jedoch deutlich spürbar und Zyle konnte sehen, wie sich die drei Zauberer anstrengten. Schweißtropfen traten ihnen auf die Stirn, während sie versuchten die Barriere, die Naria für sie erschaffen hatte, zu brechen.
Zauber im Zweifelsfall aufzulösen oder zu brechen war bei weitem die wichtigste Aufgabe, welche die Wächter von Maras übernehmen mussten und Naria machte es ihnen nicht einfach.
Den ganzen Mittag lang erschuf sie Zauber und Barrieren, gegen die ihre drei Schüler anrannten, in den meisten Fällen vergeblich. Auch wenn sie schon zu den Älteren und Erfahreneren Magiern gehörten, war ihre Ausbildung bei weitem noch nicht abgeschlossen wohingegen Naria bereits seit Jahren ihre Kunst frei ausübte. Aber das durfte später keinen Unterschied mehr für die zukünftige Wache machen und langsam kamen sie scheinbar auch dahinter, was sie zu tun hatten.
Die drei hörten auf sich auf jeder für sich zu arbeiten und begannen, sich abzusprechen und ihre Fähigkeiten zu Konzentrieren.
Nun war es Naria, für die die Sache langsam anstrengend wurde. Zusammen waren Jorick, Erin und Aaron , so unerfahren sie sein mochten , ihr mehr als ebenbürtig und während die Stunden vergingen zerbrach mehr als einer ihrer schwächeren Zauber. Als die Sonne bereits begann, sich dem Horizont zuzuneigen, rief Zyle schließlich zum Aufbruch und sie machten sich gemeinsam zurück auf den Weg in die Siedlung.
Seine Schüler warfen sich ihre Roben über und trugen ihre Sachen zusammen, während der alte Schwertmeister die Waffen einsammelte und in einer großen Ledertasche verstaute. Als wögen die dutzend Schwerter so gut wie nichts, wuchtete er sich das Paket auf die Schulter.
Unter dem dichten Blätterdach wurde es rasch dunkel und nur in der Ferne konnten sie den rötlichen Schimmer des Sonnenuntergangs noch zwischen den Baumstämmen hindurch sehen. Naria entzündete ein magisches Licht und die übrigen Zauberer taten es ihr gleich.
Sie war erst seit wenigen Tagen wieder auf der Insel und doch war erstaunlich leicht, wieder in den alltäglichen Trott zurück zu finden, dachte die Gejarn. Immerhin, sie konnte sich daran gewöhnen…
Die Sonne war bereits zur Hälfte hinter dem Horizont verschwunden, bis endlich die Siedlung in Sicht kam. Naria atmete erleichtert auf. Sie hatte den ganzen Tag Zauber erschaffen um die Schüler ihres Vaters auf Trapp zu halten und das forderte auch von ihr seinen Tribut, grade wenn sie es dabei mit drei Magiern gleichzeitig zu tun bekam. Am Ende forderte Magie immer einen Tribut vom Körper ihres Anwenders und jene, die zu unvorsichtig oder verschwenderisch damit umgingen, fanden einen frühen Tod. Ihre Körper alterten rasend schnell und verfielen innerhalb weniger Jahre , wie es sonst erst nach Jahrzehnten geschehen wäre.
Zyle führte seine Schüler weiter, während sie sich von ihm verabschiedete und auf den Weg in Richtung Hafen machte. Nach dem Tag im Wald war verschwitzt und müde. Alles was ihr im Augenblick vorschwebte, war ein heißes Bad, frische Kleider und ein paar Stunden Ruhe. In dieser Reihenfolge. Immerhin hatte die Ruhe auf Maras auch ihre Vorteile, dachte Naria, während sie auf eines der Bäder am Hafen zusteuerte. Dieses bestand aus einer Reihe einfacher Holzhütten, die vor einer hohen Felswand lagen, die einen Teil der Bucht mit einschloss. Irgendwo in den Tiefen des Felsens musste es wohl eine Wärmequelle geben, den aus den Poren im grau-gelben Gestein sprudelten dünne Ströme aus kochend heißem Wasser und fielen bis zu einem großen Sammelbecken bei den Badehütten hinab. Kalk bedeckte den mit grob behauenen Steinen besetzten Platz um das große Becken, das jenen zur Verfügung stand, die nicht für ein privates Bad zahlen konnten oder wollten. Naria jedoch drückte dem Besitzer einige Münzen in die Hand und zog sich dann in eine der umstehenden Hütten zurück.
Drinnen gab es einen in den Boden eingelassenen Kupferkessel, der über eine simple Klappe Wasser aus einer eigenen Rinne bezog und einige Bänke und Haken für Kleidung. Während Naria Wasser einströmen ließ und darauf wartete, das die Wanne voll wurde zog sie sich aus und klopfte den gröbsten Dreck so gut es ging heraus. Ihr Umhang war bevor sie aus Canton aufgebrochen war noch Hellgrau gewesen, mittlerweile jedoch war die Farbe um einiges dunkler und mit schwarzen Flecken besetzt. Vielleicht noch das Blut der Kreaturen die sie in den Katakomben unter der Zwergenstadt angegriffen hatten. Wie hatte Hadrir sie genannt? Tunnelschleicher. Riesigen Blutegeln ähnliche Monster, die es scheinbar auf das Blut ihrer Opfer abgesehen hatten. Auf der einen Seite wäre sie froh wenn sie ihr Leben lang nie mehr einem dieser Dinger begegnete auf der anderen hätte sie vielleicht auch versuchen können, mehr über sie zu erfahren. Irgendwie bezweifelte sie, dass solche Kreaturen einfach ein Missgeschick der Natur waren. Dazu waren sie viel zu aggressiv und wenn der Zwerg mit seiner Aussage Recht hatte, dass sie in Schwärmen von hunderten von Tieren auftraten…
Aber wozu bräuchte man schon gewaltige Blutsagende… Wachhunde ? Der Gedanke war beunruhigend, so wie alles, was mit Varan Lahaye zusammenhing. Sie hatte das Böse in diesem Mann gespürt… oder besser, das was von ihm Besitz ergriffen hatte. Nach wie vor konnte sie nicht wirklich beschreiben was sie gefühlt hatte. Eine so vollkommene Dunkelheit, hinter der sich etwas Verbarg, das ihr einen Schauer über den Rücken jagte obwohl sie es nicht einmal sehen konnte… und das mit klebrigen Giftfingern nach ihr griff, sie rief, sogar…
Naria schüttelte den Kopf. Am Ende spielte es keine Rolle. Varan Lahaye war tot, oder nicht? Sie ließ sich mit einem seufzen ins arme Wasser gleiten und tauchte einen Moment ganz unter, ließ die Hitze sowohl Schmutz als auch ihre Sorgen wegspülen.
Dreckig und Müde wie sie war, schlief sie fast ein und vielleicht dämmerte sie tatsächlich kurz weg, doch schließlich fing sie damit an Knoten und Schmutz aus Haaren und Fell zu kämmen. Mehrere Monate auf See hinterließen ihre Spuren. Wenn es nach ihr ging, würde sie erst einmal ein paar Wochen hier bleiben, bevor sie sich vielleicht erneut nach Canton aufmachte. Mittlerweile bekamen sie sogar Zulauf von dort. Magier , die sich nicht dem Orden unterwerfen wollten, genauso wie jene, die aus irgendeinem Grund enttäuscht vom Kaiserreich waren für sie alle war Maras die erste Anlaufstelle. Zwar sah grade der Sangius-Orden das nicht gerne, aber es war auch nicht so, dass sie etwas dagegen tun konnten. Und Kellvian hatte Maras schon vor seiner Gründung Schutz zugesichert, etwas zu dem der Kaiser seither immer gestanden hatte. Vermutlich auch grade wegen der langjährigen Freundschaft, die ihn mit ihrem Vater verband. Am Ende wäre es sonst sowohl für Canton als auch für Laos ein leichtes, den kleinen Inselstaat auszulöschen, Magier hin oder her. Mit den Zusicherungen des Kaisers jedoch war es hier so ruhig wie nirgendwo sonst und Naria war mehr als Dankbar dafür. Hier gab es keine halb irren Zwerge, Propheten oder gewisse Menschen…
Noch ehe sie den Gedanken beendet hatte, wurde draußen jedoch plötzlich Lärm und Stimmengewirr laut und das Geräusch eiliger Schritte, die aus den Bädern hasteten war unüberhörbar.
,, Schiffe am Horizont…“ , konnte sie eine Stimme über den Lärm hinweg hören, bevor auch diese davongetragen wurde und die Bäder plötzlich still zurück blieben. Schiffe ? Es kamen jeden Tag Schiffe hier an, Händler aus Canton, Neuankömmlinge und ab und an auch mal ein politischer Gesandter des Kaisers und einmal sogar einer aus Helike. Aber das war normalerweise kein Grund für eine derartige Aufregung…
Naria seufzte und ließ sich ein Stück tiefer ins Wasser sinken. Manchmal sollte man die Dinge eben nicht beschwören, dachte sie, bevor sie missmutig aus dem Wasser stieg.
Sie knöpfte ihren Mantle noch im Laufen zu, während sie durch die Straßen in Richtung Hafenbecken hastete. Wasser troff aus ihren Haaren und ihrer Kleidung und ihr war durchaus klar, dass sie ein paar komische Blicke auf sich zog, aber die meisten waren wie sie ohnehin zu Beschäftigt, in die gleiche Richtung zu laufen wie sie.
Am Hafen selber hatten sich bereits hunderte von Menschen versammelt, darunter auch mehr genug Wachen, die nervös aufs Meer hinaus spähten, die Schwerter bereits in den Händen. Und dann sah Naria sie ebenfalls. Schiffe ja, aber ganz sicher nicht aus Canton…
Es waren drei. Schwerfällige, langgezogene Galeeren deren Segel sich im Wind blähten und durch mehrere Reihen Ruder noch zusätzlich beschleunigt wurden. An den Masten wehten keine Flaggen oder Symbole, aber das war auch nicht nötig. Ihre Form verriet bereits von woher sie kamen. Helike…
Noch waren sie zu weit weg um viele Einzelheiten erkennen zu können, aber an Deck bewegten sich dutzende von Gestalten, deren Panzer wie Feuer im letzten Sonnenlicht leuchteten. Das war kein Handelsschiff und auch ganz sicher kein Bote, dachte sie.
Naria kam mit wehendem Umhang zum Stehen, als sie den Rand der Menge erreichte und schaffte sich mit den Armen Platz, während immer mehr Menschen zum Hafen strömten. Irgendwo meinte sie kurz ihren Vater zu sehen, aber im Gedränge verlor sie ihn sofort wieder aus den Augen. Als sie endlich die Reihe aus Stadtwachen erreicht hatte, die ganz am Anfang der Masse standen, waren die drei Schiffe bereits erheblich näher gekommen. Jetzt konnte sie sehen, dass jedes einzelne mit mindestens drei wen nicht vierhundert Mann Besetzt war, alle Bewaffnet mit Bögen oder einer Armbrust, die sie bereits gespannt in der Hand hielten.
Was dann jedoch geschah, lies Naria stutzen. Zwei der drei Schiffe machten kehrt und wurden langsamer. Nur eines rieb weiterhin auf den Hafen zu, während nun zum ersten Mal eine Flagge am Mast auftauchte. Leuchtend weiß…
Statt dadurch beruhigt zu sein, wurden die Leute am Hafen eher noch nervöser und auch Naria begann sich zu fragen, was hier vor sich ging. Letzten Endes waren drei Schiffe auch ganz sicher nicht ausreichend für einen ernstzunehmenden Angriff, überlegte sie. Wenn Helike sich dazu entschieden haben sollte, sie wirklich zu attackieren, wäre das Meer soweit das Auge reichte bedeckt mit den Rümpfen der Galeeren… Irgendetwas war hier definitiv nicht, wie es sein sollte.
Langsam trieb das einzelne Schiff in den Hafen während die Männer an der Reling die Waffen sinken ließen und auch die Wachen von Maras ließen die Schwerter wieder in den Scheiden verschwinden, blieben aber nach wie vor angespannt. Im Zweifelsfall brauchten sie auch keinen Stahl um ihre Gegner abzuwehren. Jetzt wo das Schiff noch so weit draußen war, könnten sie es in Flammen aufgehen lassen und keiner der Männer an Bord würde je das Ufer erreichen.
Grade deshalb mahnte Naria sie zur Ruhe. Sollte das geschehen wäre das Gleichzusetzen mit einer Kriegserklärung ihrerseits. Bisher war noch kein einziger Bolzen oder Pfeil geflogen. Die Männer da drüben waren offensichtlich genau so nervös, wie sie selbst. Naria konnte das Klirren von Panzern und das Rascheln von Kettenhemden hören, wenn sie sich bewegten, so still war es geworden.
,, Was ist hier los ?“ , zerschnitt eine Stimme hinter ihr die Stille. Bevor sie sich noch ganz umdrehen konnte, trat auch schon ihre Mutter aus der Menge hervor, die der Schakalin respektvoll Platz machte. Braunes, von grauen Strähnen durchsetztes Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Teilweise hatte sie es sich ins Gesicht gekämmt, um die große, schwingenförmige Narbe darauf zu verdecken und unter einem Umhang aus federn schimmerte eine schlichte, grüne Robe. Auch wenn sie keinen Platz mehr im Meisterrat innehatte hatte Relina die Geschicke von Maras für fast zwanzig Jahre maßgeblich gelenkt und schon zuvor in Helike war sie es gewesen, welche den Exodus der Magier maßgeblich vorangetrieben hatte. Als sie Naria entdeckte, war ihre Mutter auch schon mit wenigen Schritten bei ihr.
,,Naria…“ Relina sah mit einem seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht zu den näher kommenden Schiffen. Eine Mischung aus unterdrückter Wut… und Angst. Wenn es jemanden auf dieser Insel gab, der den Archonten noch lange nicht verzeihen würde, dann war das ihre Mutter. Dafür hatten diese fünf Männer, auch wenn viele von ihnen mittlerweile längst tot waren, zu viel für sie zerstört. Naria spürte, wie Relina ihr eine Hand auf die Schulter legte.
,, Ich habe keine Ahnung was sie hier wollen, aber sie kommen unter einer weißen Flagge.“ , meinte sie beschwichtigend. ,, Und es sind wenige, Mutter. Es wird nicht passieren.“
Auch wenn Naria sich da längst nicht so sicher war, wie sie zu klingen versuchte. Im Augenblick schien nichts sicher zu sein. Schweigend sahen sie zu, wie das Schiff näher kam und wenig später tauchte auch endlich Narias Vater auf, der dem Schiff nicht weniger Finster entgegensah.
,, Hast du eine Ahnung was die hier wollen ?“ , fragte Relina ihn, worauf er jedoch nur den Kopf schüttelte.
,, Es ist…Jahre her, das der letzte Gesandte aus Helike hier war. Und sie würden so jemandem keine derartige Eskorte mitgeben. Ich…“ Zyle stockte einen Moment, als würde ihm plötzlich etwas klar werden. Es gab einen Mann aus Helike , der sich hier her wagen würde und eine Eskorte mitbringen würde. Nur was wollte er hier? , fragte Zyle sich. Es war jetzt drei Jahre her, das er ihn das letzte Mal gesehen hatte und dann auch nur kurz, in Kalenchor, einem Außenposten des Kaiserreichs unweit von Helike. In die Stadt der Archonten selbst hingegen hatte er sich über ein Jahrzehnt nicht mehr gewagt. Auf der einen Seite, weil ihm nach wie vor nicht alle dort besonders wohl gesonnen waren… und auf der anderen Seite, weil Wys es ihm verboten hatte. Wys Carmine, der immer emsige Archont, der noch nicht Aufgegeben hatte, das zerbrochene System Helikes irgendwie zu reformieren. Vielleicht hatte er schlicht gefürchtet, Zyles wiederauftauchen könnte seine Bemühungen untergraben. Jedenfalls hatten sie sich seitdem nicht mehr gesehen.
,,Es ist lange her… Bruder.“ , flüsterte Zyle in die Nacht, während er den Schiffen zusah. ,, Aber warum kommst du grade jetzt hierher ?“
Nun sie würden es bald herausfinden, dachte er, während das Schiff schließlich längsseits zum Ufer ging und die ersten Taue hinübergeworfen wurden. Nach einem kurzen Nicken von Relina fingen die Männer schließlich auch an, das Schiff zu vertäuen, während eine Laufplanke von Bord herabgelassen wurde. Der Mann, der schließlich auf die Planke hinaus trat, war Zyle wie aus dem Gesicht geschnitten und hätten die beiden Nebeneinander gestanden, Naria war sich nicht sicher, ob sie sie wirklich hätte auseinanderhalten können. Bis auf ihren Gesichtsausdruck und ihre Kleidung.
Wys Züge wirkten hart und angespannt. Um seine Schultern fiel ein kurzer, brauner Umhang, der über der Brust von einer Silberkette gehalten wurde. Darunter wiederum schimmerte ein Kettenhemd über das sich ein Hemd aus reinem, weißem Stoff spannte. Die Farbe der Archonten…
Nur ein einzelner, goldener Fleck zeichnete sich auf dem beinahe leuchtenden Gewebe ab, ein goldenes Zahnrad, das an einer weiteren Kette um den Hals des Archonten hing. An seinem Gürtel blitzten die griffe zweier Rapiere auf, die überkreuzt daran hingen. Graue Haare umrahmten sein Kinn und der Haaransatz nahm ebenfalls bereits eine hellere Farbe an.
Seine ganze Statur, war die eines Kriegers und eines Mannes, der den Schädel eines Wyverns im Zweifelsfall mit der bloßen Hand zertrümmern konnte. Dennoch strahlte er eine seltsame Ruhe und Beherrschung aus, die Naria auch schon bei ihrem Vater gesehen hatte.
Naria wusste wenig über den Bruder ihres Vaters, nur das, was dieser ihr über ihn erzählt hatte. Soweit sie wusste hatte er keine Frau oder Kinder und Zyle hatte ihr einmal anvertraut, Wys lebe für Helike… und sonst nicht viel außer vielleicht noch für seinen Bruder.
Zyle und er standen sich einen Moment sprachlos gegenüber, eine Spur von Unsicherheit in ihrem Blick. Dann jedoch brach Zyle das Schweigen.
,,Wys…“ Mit einem Satz war er bei diesem und nahm den Mann in die Arme, der die Umarmung genau so heftig erwiderte.
,, Zyle… Es ist so lange her.“ Ein Lächeln nahm dem Archonten etwas von seiner Strengen Art. Aus der Geste sprach die ganze Zuneigung, die die beiden Brüder nach wie vor und trotz ihrer gewaltigen Differenzen verband. Der eine im Prunkpanzer eines Archonten und mit der ganzen Macht Helikes in seinem Rücken, der andere in der simplen Kleidung eines Farmers und ein Ausgestoßener für seine eigene Art. Und doch schienen sie dem Schicksal, das sie derart entzweit hatte irgendwie zu trotzen…
,, Zu lange.“ , erwiderte Zyle.
Relina jedoch sah dem Bruder ihres Mannes finster entgegen, während dieser den Stadtwachen versicherte, das alles in Ordnung sei, worauf sich diese zurückzogen. Auch die meisten Schaulustigen machten alsbald Platz oder gingen wieder, nachdem sich herausstellte, dass scheinbar doch alles in Ordnung war.
,, Was wollt ihr hier ?“ , verlangte Relina z wissen. Ihre Stimme war kühl und verriet nicht, was sie wirklich über diesen Mann dachte, der ihr bestenfalls ein fremder, schlimmstenfalls nach wie vor ein Feind war.
Wys sah sich einen Moment um und musterte dabei die Menge am Hafen. ,, Könnten wir das vielleicht irgendwo besprechen, wo wir unbeobachtet sind ?“
Klirrend trafen die Federschwerter aufeinander und brachten das Metall aus dem sie gefertigt waren zum Zittern. In den Pranken des Bären wirkte die große Waffe fast zwergenhaft. Jedes Aufeinandertreffen der Klingen ging ihm durch Mark und Bein, und er musste all seine Konzentration aufbringen um nicht zu straucheln. Syle trieb ihn mit einer Reihe wuchtiger Schläge immer weiter zurück und Janis fand kaum eine Gelegenheit selber an ihn heranzukommen. Trotz seiner enormen Größe, er überragte seinen Gegner um mindestens einen Kopf, war der Bär schnell wie ein Pfeil und wenn Janis einmal geglaubt hatte, der Mann würde gnädig mit ihm sein, dann hatte er sich dabei getäuscht. Syle war vielleicht der einzige hier im Palast, der jeden unnötigen Respekt für ihn vermissen ließ.
Erneut trafen die Schwerter aufeinander und verhakten sich einen Moment ineinander, bevor es schließlich der Hochgeneral war, der die Klinge mit einem Ruck befreite. Zum ersten Mal sah Janis so etwas wie eine Lücke in seiner Verteidigung. Während der Bär zurückwich, senkte er die Klinge und entblößte damit den ungeschützten Hals und seine rechte Schulter. Jetzt hatte er ihn…
Die Schwerter, die sie benutzten warne zwar stumpft, trotzdem wollte er das Risiko lieber nicht eingehen, es dem Mann in die Kehle zu stoßen. Blieb die Schulter. Aber wenn er ihn schon endlich einmal schlug, dann wolle er ihn auch von den Füßen holen. Janis legte all sein Gewicht in den nächsten Stoß und warf sich nach vorne.
Doch Syle war sofort wieder da und brachte das Schwert zwischen sich und seinen Anstürmenden Gegner. Die schwungvolle Parade brachte Janis aus dem Gleichgewicht und noch ehe er dazu kam, zu reagieren, hatte der Bär ihm das Standbein weggezogen und er landete im Dreck des Exerzierplatzes.
Der Platz lag am Ostende des Palastes, eine große Freifläche, die vor allem der Garde als Trainingsgelände diente. Büschel von Gras wucherten dort, wo die Erde noch nicht von tausenden Füßen zertrampelt worden war und ein kleines Vordach, das vom Zugang zum Palast wegging bot bei Regen Schutz.
Ganz am anderen Ende, weit weg von Janis und Syle war eine Abteilung Gardisten in den blauen, mit Gold verzierten Uniformen der kaiserlichen Leibwache mit Zielübungen beschäftigt. Alle paar Minuten hallte die Stimme eines Offiziers, kurz darauf gefolgt vom Krachen der Musketen über den Platz.
Das Geräusch, das nun jedoch die Stille zerriss, war kein Gewehrfeuer sondern Lachen, als Janis im Schlamm landete und sich kopfschüttelnd wieder aufsetzte. Nach wie vor lachend sah er zu Syle auf. ,, Woher verdammt noch mal habt ihr gewusst, was ich tun würde ?“
,, Das ist kein Spiel hier. Janis .“ , erwiderte der Hochgeneral, statt auf seine Frage zu antworten. ,,Wäre ich wirklich dein Feind, wärst du jetzt tot. Hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen.“ Syle streckte ihm eine Hand hin um ihn aufzuhelfen.
Janis schlug sie weg. ,, Ich komme schon alleine hoch.“ , erklärte er säuerlich. Mit dem Stoß, dem ihn der Gejarn versetzt hatte, kam er klar. Die Vorstellung, als Kind bezeichnet zu werden, schlug ihm deutlich mehr auf den Magen. Syle hatte grade geschafft, was alle seine Niederlagen nicht erreichen konnten, seinen Stolz zu verletzen…
Janis raffte sich auf und klopfe sich Schmutz aus der Kleidung und den schwarzen Haaren, während er auf das Vordach zu schlurfte. Syle sah ihm kopfschüttelnd nach, bevor er die im Gras vergessenen Waffen aufhob und mi sich nahm.
Unter dem Dach holte der Bär ihn schließlich wieder ein. ,, Du weißt wie ich das gemeint habe.“ , erklärte er versöhnlich, während er die Schwerter in eine Halterung an der Wand gleiten ließ. ,, Wir machen später weiter.“
Mit diesen Worten verschwand er durch eine Tür ins Innere des Palastes und ließ Janis damit alleine auf dem Platz zurück, sah man von den Gardisten in der Ferne einmal ab. Er machte eine wegwerfende Handbewegung in die Richtung in die der Bär soeben verschwunden war und warf sich einen leichten Mantel über die durchnässte und schmutzige Kleidung. Auch wenn es schon wärmer wurde, nach mehreren Stunden körperlicher Anstrengung war die Kälte, die danach einsetzte nach wie vor unangenehm.
,, Du hast wieder mit Syle geübt , oder ?“ Seine Mutter war unter das Vordach getreten. Oder vielleicht besser, seine Ziehmutter, aber für ihn gab es da keinen Unterschied. Seine wirklichen Eltern hatte er nie kennen gelernt und… vielleicht war das auch besser so.
Jiy hatte die Arme vor dem Körper gefaltet und lächelte ihm sanft zu. Schwarzes, mit nur wenigen Spuren von Grau durchsetztes Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Das Kleid das sie trug, wirkte wie aus Silber gewebt und verschmolz dabei fast mit der Farbe ihres Fells. Grüne Augen in denen nach wie vor Lebenslust und ein nicht zu unterschätzendes Gemüt schimmerten sahen ihm entgegen.
,, Ich glaube , der gemeine Alte Bär genießt es einfach, mich fertig zu machen.“ , grummelte er.
Als Antwort darauf lachte seine Mutter nur. ,, Ich denke eigentlich magst du ihn.“ Eine ihrer Hände zerzauste ihm die Haare . ,, Ich kann mich noch gut erinnern, wie du ihm nie von der Seite gewichen bist. Manchmal habe ich geglaubt du fühlst dich bei ihm noch sicherer als bei uns. Dabei ist er kein Mann, den man zutraut das er einmal…sanft sein könnte. Als du das erste Mal im Palast warst… Geister es ist so lange her…“
Janis konnte nicht sagen, dass er sich daran erinnern konnte, aber er war auch nicht einmal drei gewesen. Zumindest aber eines Stimmte. Irgendwie war der strenge Hochgeneral immer Teil seines Lebens gewesen, soweit er zurückdenken konnte.
,,Ja , ich mag ihn.“ , erklärte er schließlich. ,, Allerdings nur wenn er grade nicht dabei ist, mir das Fell über die Ohren zu ziehen. Ich wünschte nur er wär ein wenig… Respektvoller glaube ich.“
,, Glaubst du den du hast ein Anrecht darauf ?“
,, Am Ende bin ich der Sohn des Kaisers… und dir.“ Janis sah sie fragend an.
Jiy lächelte sanft. ,, Das mag sein. Und das wird sich auch nicht ändern. Aber weder ich noch du waren immer hier, oder? Ich bin eine Clan- Gejarn, Janis. Ich stamme aus den Wäldern der Herzlande, nicht aus einem Palast. Und auch daran wird sich nie etwas ändern. Vielleicht tuen wir gut daran, unsere Wurzeln nie zu vergessen. Respekt ist etwas, das Leute erwarten, die ihn sich nie verdient haben.“
,,Und wie soll ich mir Syles verdienen, wenn er mir keine Chance gibt ?“ Er deutete auf den Platz hinaus. ,, Ich war erst ein paar Mal außerhalb der fliegenden Stadt. Und ich hatte dabei nie die Gelegenheit… ich weiß nicht… je etwas zu tun. Die Leute erwarten doch etwas von mir. Wenn ich Kaiser sein soll, wenn ich mir meinen Platz verdienen will, dann gehöre ich da raus. Ich habe doch gehört was die Leute reden. Irgendwo zeihen Mörder durch unser Land. Ich könnte diese Bastarde jagen und zur Strecke bringen. Nicht hier herumsitzen.“ Seine Worte klangen wütender als Beabsichtigt. Aber... es war frustrierend, dachte Janis. Er könnte jetzt wirklich etwas bewirken, grade jetzt. Ihm war genau so klar wie allen anderen, das die Ankunft der Zwerge Veränderungen mit sich bringen würde und im Rest von Canton schien es ebenfalls unruhig zu werden. Doch statt dabei zu sein, verbrachte er seine Tage damit dem Adel Cantons die Hand zu reichen, ein falsches Lächeln auf den Lippen und darum bemüht sich ihre Töchter vom Leib zu halten. Mit den einfachen Mädchen konnte man noch seinen Spaß haben. Aber fasste er die falsche an, hatte er vermutlich gleich einen Berg aus Verpflichtungen am Hals. Nein danke…
Seine Mutter schüttelte den Kopf und legte ihm eine Hand auf den Arm. ,, Ist es wirklich das was du willst ? Ich glaube du hast mich nicht verstanden. Es ist nicht wichtig, was man von dir erwartet. Es ist wichtig, dass du weißt wer du sein willst. Ich habe mich nicht verändert, weil ich deinen Vater geheiratet habe, Janis. Genau so wenig musst du das, nur weil du einmal seinen Platz einnehmen könntest. Hör auf dich zu etwas zwingen zu wollen.“
,,Wie du wünschst.“ Sie ließ ihn schließlich los und ging in Richtung Tür.
Janis folgte ihr jedoch nicht sofort, sondern blieb noch eine Weile einfach regungslos stehen. Mochte sein, dass sie Recht hatte. Das änderte aber nichts daran, dass er sich hier einfach eingeengt vorkam. Ignoriert. Wenn ihm nur jemand eine Chance geben würde…
Jiy wurde schwer ums Herz, während sie ihn beobachtete. Aber eigentlich hatte sie doch gewusst, dass dieser Tag kommen würde, nicht? Seit dem Zeitpunkt, an dem sie das damals noch kleine, tapsige Kind zum ersten Mal in die Arme geschlossen hatte, das jetzt als fast erwachsener Mann dort draußen stand. Es kostete sie mehr Überwindung als sie zugeben wollte, sich schließlich abzuwenden und endgültig in den Palast zurück zu kehren. Was sie ihm gesagt hatte war wahr. Für sie. Aber konnte es auch für ihn zutreffen? Vielleicht nicht. Im Gegensatz zu ihr, war er fast völlig hier aufgewachsen.
,, Ewig beschützen kann ihn keiner von uns.“ Kellvian war unbemerkt zu ihr getreten, ebenfalls einen besorgten Ausdruck auf dem Gesicht. Irgendetwas war nicht in Ordnung, das konnte sie ihm ansehen. Und dabei ging es nicht nur um Janis…
,,Ich weiß… aber solange ich es noch kann, kann ich es zumindest versuchen, oder ?“
Statt einer Antwort, zog er sie nur mit einem Lächeln an sich. Jiy schloss einen Moment die Augen, als sie seine Lippen auf ihrer Stirn spürte. ,, Und ich würde das Gleiche tun. Manchmal bin ich dankbar dafür, dass wenigstens Syle dem Jungen nicht alles durchgehen lässt.“
Eine Weile lehnte Jiy sich einfach nur in seinen Armen zurück. Sie konnte ihn riechen, die Wärme seiner Haut an ihrer Spüren und fragte sich erneut, was für ein seltsames Schicksal sie eigentlich zusammengeführt hatte.
,, Kell… was ist los ?“ , wagte sie schließlich zu fragen. ,, Dich beschäftigt doch irgendetwas…“
,, Galren ist hier.“ Kellvian ließ sie mit einem seufzen los und wich an eines der Fenster zurück, die auf die fliegende Stadt hinausgingen. ,, Ein paar meiner Späher haben ihn und Armell kurz vor der Stadt aufgegriffen und was sie bisher berichtet haben ist bestenfalls beunruhigend. Der Junge wird noch hergebracht, aber wenn die Hälfte davon wahr ist… Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren fürchte ich ernsthaft, was geschehen mag.
,, Du sagst das, als wüsstest du schon mehr, als du zugibst.“
,, Wissen tue ich es nicht, aber es ist ein Gefühl. Kein gutes um ganz ehrlich zu sein. Dieses Reich wurde mit nicht wenig Blut erschaffen, Jiy. Und daran kann ich nichts ändern. Aber ich dachte eigentlich ich könnte darunter einen Schlussstrich ziehen, verhindern, dass seine Erhaltung noch mehr Opfer fordert. Das hat zwei Jahrzehnte funktioniert… Und so lange hat das Land gebraucht um sich auch nur von den Narben des letzten großen Konfliktes zu erholen. Jetzt jedoch scheint es plötzlich, das mir dieser Frieden doppelt heimgezahlt wird. Irgendjemand greift die Leute an, die eben noch einen weiteren großen Krieg im Keim erstickt haben, die Zwerge machen sich bereit einen neuen König zu wählen… und ich werde das Gefühl nicht los, das das alles irgendwie zusammenhängt. Ohne das ich sehen kann wieso. Ich kann vielleicht verhindern, dass aus den Zwergen ein neuer Konflikt entsteht aber irgendetwas sagt mir, dass sie das kleinere Problem sein werden.“
,, Und was ist dann die eigentliche Bedrohung ?
,, Genau das will ich herausfinden. Wenn ich die Gelegenheit dazu bekomme, heißt das. Ich bin in dieser Stadt praktisch Gefangen, Jiy. Am Ende wird jemand für mich gehen müssen, wenn ich wirklich mehr erfahren will…“
,, Nicht ihn. Du hast genug Leute, das weißt du.“
,, Die habe ich.“ Kellvian zögert einen Moment und legte ihr eine Hand auf die Wange. ,, Aber wenn es so weit ist, weißt du genau so gut wie ich, das Janis gehen wollen wird. Und wenn nicht er , wird Syle darauf bestehen.“
,, Das ist zu früh… Kell… Nicht jetzt.“ Sie sah ihn flehend an.
,, Wir haben ihm alles gegeben, Jiy. Keiner von uns wird ihn hier halten können. Und ich würde ihn lieber mit unserem Segen losschicken als zusehen, wie er sich eines Tages davonstiehlt.“
,, Du redest von dir selbst…“ Jiy misslang das Lächeln, als er sich zu ihr umdrehte. Sie hatte Kellvian selten so Todernst erlebt, wie in diesem Augenblick. Seine Züge hatten alles weiche verloren.
,, Ich rede nur von dem was ich in ihm sehe. Und auf eine seltsame Art erinnerte es mich zu ehr an mich selbst.“
Galren hatte nicht gedacht, so bald hierher zurück zu kehren. Der Platz vor dem Zugang zum Palast im Herzen der fliegenden Stadt war so weitläufig, das man trotz der hunderten von Menschen, die hier unterwegs waren, bequem gehen konnte. Ja man hätte beinahe meinen können, der Ort wäre so verlassen, so leer wie alles wirkte. In einem Kreis angeordnet befanden sich an der Außenseite des Platzes die Wappen und Symbole lange vergangener Königreiche und Länder, die im Laufe der Jahrhunderte im stetig wachsenden Kaiserreich Canton aufgegangen waren, von den unzähligen Stadtstaaten ganz zu schweigen. Von Vara über die freien Königreiche bis zu den letzten unabhängigen Fürsten alle waren hier mit ihren Symboliken versammelt und ganz im Zentrum des Platzes prangte schließlich das Wappen des Kaiserhauses, der Adler und der Löwe.
Eine kurze Brücke führte am anderen Ende des Platzes durch ein Tor in der Außenmauer des Palastes, das aus Brettern breiter als Galren selbst gezimmert war. Blattgold überzog die eisernen Beschläge, die dieses gigantische Hindernis zusammenhielten. Im Augenblick jedoch, genauso wie all die Jahrhunderte zuvor, stand es weit offen und dahinter schließlich, lag der Innenhof, der die gewaltige Zitadelle umgab. Das ganze hatte die Gestalt einer Parkanlage mit großen Alleen aus Birken, die sich bis zum Aufgang vor den eigentlichen Palasttoren zogen. Dutzende von Gardisten der kaiserlichen Garde in blauen Uniformen patrouillierten beständig auf den mit Marmor ausgelegten Wegen.
Galren jedoch hatte heute keine Augen für die Betäubende Schönheit und Pracht dieses Ortes. Ihn trieb etwas ganz anderes vorwärts. Nach wie vor hatte er keine Ahnung wer und wie viele seiner alten Gefährten in Sicherheit waren oder was es mit diesem Angriff auf sich hatte. Und die Nachricht für den Kaiser, welche die Angreifer Obarst mitgegeben hatten klang alles andere als freundlich.
Auch Armell schenkte dem ganzen Prunk um sie herum kaum Beachtung, doch hatte das bei ihr andere Gründe, wie Galren fürchtete. Selbst Sentiene schien sie nur gelegentlich in die Wirklichkeit zurück zu holen , die meiste Zeit jedoch ignorierte sie den Vogel völlig, der daraufhin nur eine Reihe trauriger Chirplaute von sich gab. Galren konnte nicht anders, als sich Sorgen um sie zu machen.
Ihr Ausbruch Obarst gegenüber war bestenfalls erschreckend gewesen und was von der sonst eher beherrschten, Frau geblieben war, die er einst in Freybreak kennengelernt hatte, wusste er nicht. Glaubte sie immer noch, wirklich Merl gesehen zu haben? So gerne er das glauben würde, je länger sie unterwegs waren und je länger er darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher wurde es. Der junge Zauberer war auch sein Freund gewesen aber sie hatten ihn sterben sehen… Und wenn nicht, warum sollte er sich dann kurz zeigen nur um sofort wieder zu verschwinden? Noch ergab einfach nichts einen Sinn.
,,Galren ?“ Elins Stimme holte ihn zurück in die Gegenwart. Einen Moment konnte er es noch nicht ganz glauben, als die Gejarn über den Platz auf ihn zugeeilt kam. Im nächsten blieb ihm jedoch schon nichts mehr übrig als sie aufzufangen, während sie die Arme um ihn schlang. Galren ertappte sich dabei, wie er die Umarmung erwiderte. Der Gedanke an Armell verschwand und vielleicht hätte er sich deshalb Schuldig gefühlt, aber auch dafür war er kurz einfach zu erleichtert zu wissen, dass es Elin gut ging. Wenigstens war sie in Sicherheit…
,, Geister es geht dir gut. Ich dachte wirklich… ich habe gehört was passiert ist.“ Elins Stimme zitterte leicht, während sie sprach.
,,Aber woher…“ Und wieso war sie überhaupt noch hier? , fragte er sich. Die anderen hatten die fliegende Stadt vor Wochen verlassen. Die Antwort fiel ihm wie Schuppen von den Augen. ,, Du hast nicht auf uns gewartet, oder ?“
Die Gejarn antwortete nicht, sondern schlug einen Moment nur die Augen nieder. Ihre Umarmung lockerte sich ein Stück, jedoch ohne ihn ganz freizugeben. Für einen kurzen Augenblick wirkte sie unsicher, dann jedoch beugte sie sich wortlos vor und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen.
Galren spürte ihren warmen Atem auf seinem Gesicht, das süße Gefühl ihrer Lippen auf seinen und ohne nachzudenken, erwiderte er ihn.
Viel zu schnell lösten sie sich wieder voneinander. Keiner von ihnen sagte etwas. Galren suchte nach Worten, um die Stille zu brechen, irgendetwas… Elin von allen… Aber du hast es gewusst, oder nicht?, fragte er sich selbst. Vielleicht länger als er zugeben wollte. Es gab einen Grund warum dieses Mädchen tapfer alles auf sich genommen hatte, auch als er dabei war den Verstand zu verlieren.
Es war Armell, die schließlich das Schweigen brach. ,, Wir sollten den Kaiser nicht warten lassen. Ich schlage also vor wir beeilen uns besser.“ , erklärte sie, doch das wissende Grinsen auf ihrem Gesicht kam endlich einmal wieder der Frau Nahe, die Galren eigentlich kannte. Er räusperte sich einen Moment. ,, Geht voraus.“
So schnell der Kuss vorbei gewesen war, Galren spürte ihn immer noch und auch den ganzen Weg durch die Korridore des Palastes….
Nur langsam wurde sein Verstand wieder klarer. Er musste sich jetzt konzentrieren, sagte er sich. Trotzdem konnte er nicht verhindern, sich auf dem ganzen Weg immer wieder zu ihr umzudrehen… und mehr als einmal traf sich ihr Blick.
Im Thronsaal wurden sie bereits erwartet. Die Kammer im Herzen des kaiserlichen Palastes war groß genug um hunderten von Leuten Problemlos Platz zu bieten, momentan jedoch waren nur eine Hand voll Personen anwesend.
Große, mit leuchtende Kristallen besetzt, Säulen trugen die mit einem Gemälde verzierte Decke. Die Darstellung des Abendhimmels war beinahe so lebensecht, dass man der Illusion erliegen konnte, sich unter freiem Himmel zu befinden. Im Zentrum des Saals wiederum erhob sich der Bernsteinthron Cantons. Der aus honigfarbenen, durchscheinenden Stein errichtete Sitz lag auf einem niedrigen Podest, das von etwa einem halben Dutzend in Gold und blau gehaltener Kleidung flankiert wurde. Kellvian Belfare sah ihnen bereits entgegen, als die großen Flügeltüren zum Thronsaal aufschwangen. Der Kaiser trug ein weites, weißes Gewand, das mit Goldnähten verziert war. Das künstliche Licht der Kristalle spiegelte sich auf dem schlichten Goldreif auf seinem Kopf, in dem lediglich ein einziger, uralter Diamant eingelassen worden war. Die Krone des Kaiserreichs war vielleicht das Älteste Ding hier neben der Stadt selbst.
Neben dem Kaiser am Fuß des Throns stand zuerst Jiy, die ihnen mit einem Ausdruck der Sorgen entgegensah, der weniger ihnen, als dem jungen Mann an ihrer Seite zu gelten schien. Janis Belfare, der Adoptivsohn der Kaiserfamilie hatte eine ernste Miene aufgesetzt. Ein blaue Umhang der von einer weißen Schärpe gehalten wurde, fiel ihm über die Schultern und irgendwo hinter einem Vorhang aus zerzausten, schwarzen Haare, verfolgten ein paar grün-blaue Augen alles aufgeregt. Syle, der sich direkt hinter ihm hielt, war die Wachsamkeit hingegen anzusehen. Der Hochgeneral hatte die Hände hinter dem Rücken gefaltet und nichts, weder seine Mimik noch seine Augen wollten verraten, was er dachte. Der Mann hätte genauso gut auch aus Stein sein können.
Neben diesen vier, die Galren bereits kannte, stand noch eine fünfte Gestalt, gekleidet in schwarze Roben. Graue Haare umrahmten ein Gesicht, das kaum alt genug für sie wirkte. Auch wenn die Augen eingefallen und müde Blickten, war es nach wie vor ebenmäßig und nicht vom Alter gezeichnet, wie der restliche Körper des Mannes.
Leicht vornübergebeugt bauschten sich seine Gewänder auf und ließen das Türkis unter dem dunklen Reiseumhang erkennen, den er trug. Die Farbe des Sangius-Ordens. Und um seinen Hals schließlich baumelte etwas, das aussah, wie ein tiefschwarzer Stein, in den jemand das Symbol eines offenen, vergoldeten Auges geritzt hatte. Eine ferne Erinnerung regte sich in ihm, als der Mann aufsah und sich ihr Blick einen Moment traf. Er hatte ihn doch schon einmal irgendwo gesehen, wenn auch nur flüchtig.
,, Galren… Armell.“ Der Kaiser begrüßte sie ohne große Form, während er Aufstand und die kurzen Stufen vor dem Thron hinabgeeilt kam. ,, Ich hatte das schlimmste befürchtet. Es ist schön zu sehen, das es euch gut geht.“
,, In der Tat, vor allem wenn man bedenkt, welche Kunde ihr uns bringt.“ , bemerkte die dunkle Gestalt und trat vor. Seine Stimme war dünn, alt, wie er es eigentlich nicht war. Trotz seiner eher schaurigen Erscheinung wirkte sein Lächeln warm, als er auf sie zutrat.
,, Das ist Quinn, seines Zeichens oberster Magier des Sangius-Ordens.“ , stellte Kellvian ihn ohne abzuwarten vor. ,, Er ist eine gute Stunde vor euch hier eingetroffen, auf meinen Wunsch.“
,, Ihr meint, wegen des Angriffs ?“ , fragte Elin.
,,Auch , aber ich brauche genau so jemanden, der mit den Zwergen verhandeln wird, sobald sie einen neuen König ernennen. Quinn ist ein… alter Freund von mir. Und ich vertraue ihm im Zweifelsfall die Stimme der Vernunft zu sein.“
,, Euer Vertrauen ehrt mich Herr.“ Quinn neigte den Kopf. ,, Und ich hoffe es nicht zu enttäuschen. Aber ich fürchte, es gibt weitaus wichtigere Dinge, für uns zu besprechen.“
,, In der Tat…“ Der Kaiser nicke, bevor er sich an Armell wendete. ,, Die Nachricht die ihr uns brachtet ist äußerst beunruhigend. Jedoch würde mich interessieren, wie ernst diese Drohung eurer Meinung nach zu nehmen ist…“
,, Sie haben uns angegriffen.“ , erklärte die junge Adelige tonlos. ,, Und Galren behauptet steif und fest, niemand hätte so schnell wissen können, das wir wieder auf Hamad sind. Diese Leute sidn entweder völlig verrückt… oder sie sind sich absolut sicher ihre Drohung wie ihr es nennt auch umsetzen zu können. Eines ist klar, sie wollen unseren tot, genauso wie den euren.“
,, Sie haben versucht euch Lebend gefangen zu nehmen.“ , bemerkte Quinn da. Der alte Magier hatte den Kopf auf die Seite gelegt und musterte sie. Das Lächeln war verschwunden, stattdessen war da nur noch der kalte, brennende Blick seiner Augen. ,, Könnt ihr euch vorstellen warum ?“
Weil ich eine verdammte Schachfigur bin, dachte Galren, sprach seine Befürchtungen jedoch nicht aus. Und selbst sich nach Hamad zurückzuziehen hatte nicht das Geringste daran geändert, wie es schien. Wenn er eine Chance haben wollte, musste er unbedingt herausfinden, was hier eigentlich vor sich ging.
,,Nein“ , antwortete er schließlich nur. ,, Aber ich habe das hier einem von ihnen Abgenommen. Ich kenne das Symbol nicht, aber vielleicht sagt es einem von euch etwas.“ Galren zog den Stoffstreifen aus der Tasche, den er aus der Kleidung eines der toten Angreifer geschnitten hatte. Das Symbol der drei Finger, die nach beinahe nach einem zu greifen schienen, wenn man zu lange hinsah. Nach den Tagen und Wochen, die es in Galrens Kleidung verbracht hatte, war die Farbe zwar etwas verwaschen, doch das Symbol selbst hatte nichts von seiner Ausstrahlung verloren.
Kellvian nahm es vorsichtig an sich. ,, Ich kann nicht behaupten, dass ich so etwas schon einmal gesehen habe.“ Der Kaiser drehte den Stoffstreifen in der Hand und reichte ihn schließlich an Jiy weiter, die ihn rasch ebenfalls weitergab.
,, Mir ist es einmal untergekommen.“ Quinn reichte es an den Hochgeneral weiter. ,, Vor einigen Wochen. Ein Wanderer hat bei uns Schutz gesucht und er hat die ganze Zeit irgendetwas von einem Herrn der Ordnung geredet. Von Macht und Sühne ,das ganze Gerede von Pech und Schwefel, das ihr von einem Irren eben erwarten würdet. Als er jedoch ging nahm er vier unserer Schüler mit sich. Sie folgten ihm einfach in der Nacht… Wisst ihr mehr darüber Syle?
,, Zumindest nichts von irgendeinem Kult der damit in Verbindung stehen würde.“ , erklärte Syle irritiert. ,, Aber vielleicht… kenne ich jemanden, der es könnte.“
,, An wen denkt ihr ?“ , wollte der Zauberer wissen.
Der Bär lächelte und flüsterte ein Wort, das den Ordensmagier mit den Kopf schütteln ließ. Ich habe den verdammten Halunken Jahre nicht gesehen.“ Ein breites Grinsen huschte über seine Züge. ,, Schade das ich hier beschäftigt bin, sollte ihn jemand aufsuchen.“
,, Oh glaubt mir, das werde ich.“ , erklärte Syle. ,, Mit euer Erlaubnis natürlich mein Herr. Ich glaube ich weiß, wer uns die Informationen beschaffen könnte, die uns fehlen. Und ich bitte darum, mich persönlich darum kümmern zu dürfen.“ Er verneigte sich einen Moment, als wäre er sich nicht sicher, ob er mit seinen nächsten Worten nicht zu weit ginge. ,, Ich bitte außerdem darum, das Janis mich begleiten wird.“
Einen Moment wurde es still im Saal. Galren sah, wie die Kaiserin ihren Mann beinahe flehend ansah. Kellvian schien mit sich selbst zu kämpfen. ,, Janis… was willst du ?“ , fragte er schließlich und noch während er sprach wusste Jiy, das sie verloren hatte. Galren meinte ein schweres Seufzten zu hören, während sie die Augen niederschlug.
,, Ich werde den Hochgeneral begleiten, Vater. Wie kann ich ruhig hier herumsitzen, während diese Leute frei durch unser Land ziehen? Wir werden sie zur Strecke bringen!“ Vielleicht lag etwas zu viel Begeisterung in der Stimme des jungen Mannes, wenn er von der Aussicht sprach, jemanden zu töten. Syle jedoch verpasste ihm direkt einen Dämpfer.
,, Wir bringen nichts und niemanden zur Strecke, bevor wir nicht wissen, womit wir es zu tun haben, Junge. Oder willst du einfach loslaufen bis du dem ersten Menschen begegnest, der so ein Finger-Symbol trägt?“
,,Ich…“ Janis sah säuerlich zu Boden. ,, Nein.“
,,Gut. Ich denke wir werden als erstes nur einen alten Freund von mir aufsuchen… Er ist ein wenig kauzig, aber glaub mir, Janis, wenn er uns nicht weiterhelfen kann, können wir auch gleich zurück in die fliegende Stadt.“
Jiy schwieg zu all dem lediglich, allerdings war sich Galren ziemlich sicher ein wütendes Funkeln in ihren Augen zu sehen. Es war seltsam wie menschlich diese beiden einfach miteinander umgingen, dachte er. Trotz allem, trotz der Position in der sie sich wiederfanden. Und vermutlich würde Kellvian, Kaiser hin oder her, die nächsten Tage alleine schlafen.
Quinn, der offenbar die Reaktion der Kaiserin bemerkt hatte, meldete sich erneut zu Wort. ,, Bevor ihr geht… ich denke es ist das Beste wenn ich euch für dieses Unterfangen alles an Schutz anbiete, das ich entbehren kann.“ Er zog einen Ring aus seiner Tasche und drückte ihn Janis in die Hand. Das Bronzefarbene Material aus dem er Bestand war mit einer dunklen Patina überzogen und in seiner Fassung glänzte ein undurchsichtiger, tiefgrüner Stein. ,, Er hat mir viele Jahre gute Dienste geleistet. Vielleicht hilft er jetzt euch.“
,, Was ist das ?“ Janis betrachtete das Artefakt von allen Seiten.
,, Ein Schildring des alten Volkes , einer der wenigen, die die Jahrhunderte überlebt haben. Ihre Magie ist nicht beschaffen, wie die des Ordens. Sie kann sich erneuern und wenn du ihn geschickt einsetzt kannst du damit fast alles abwehren, Junge. Sei es ein Pfeil, ein Schwert oder sogar ein Zauber, für einen kurzen Zeitraum wird dir nichts mehr etwas anhaben können. Nutze ihn weise…
,, Danke… das werde ich.“ Aus Janis Stimme sprach echtes erstaunen und er lächelte, als er den Ring an sich nahm. Auch ihm schien die Sorge seiner Mutter klar zu sein. ,, Und ich komme sicher zurück, das verspreche ich.“
,, Da wäre noch etwas.“ , meinte Galren schließlich. Er hatte bisher gezögert, das Thema zur Sprache zu bringen. Im Vergleich zu den letzten Ereignissen schien es unwichtig zu sein… Aber Galren wusste, dass es das nicht war. ,, Eine Sache, die mir keine Ruhe lässt. Das Schwert…“
,, Ihr meint die Waffe eures Vaters, oder ?“ Kellvian schloss einen Moment die Augen. ,, Ich habe schon damit gerechnet, dass es euch aufgefallen ist. Die Klinge wurde weiß, nachdem sie zerbrach.“
,, Und ich habe nach wie vor keine Ahnung ob oder was es bedeutet. Aber wenn es einen Zusammenhang zwischen dem was jetzt geschieht, diesem Kult und dem gibt, was mit meinem Vater geschah, dann ist das Schwert meine einzige Spur. Es stammte vom alte Volk…“
,,Und das können wir nicht mehr fragen. Ihr bräuchtet jemanden, der euch weiterhelfen kann und zufällig kenne ich genau wie Syle jemand anderen, der mehr über diese Dinge weiß, als irgendjemand sonst. Sein Name ist Erik Flemming. Im Augenblick leitet er meines Wissens eine Ausgrabung im roten Tal und selbst ich war nie in der Lage diesen Mann herbeizuzitieren. Ich bezweifle also, dass euch etwas anderes übrig bleiben wird, als euch zu ihm zu begeben. Ich denke, Elin, ihr kennt den Weg?“
,,Meine Eltern sind dort…“ Die Luchsin grinste bis über beide Ohren. ,, Ihr habt das geplant…“
,, Eigentlich ist es lediglich eine gute Gelegenheit.“ , erwiderte der Kaiser.
,, Ich werde euch ebenfalls begleiten, Galren.“ Armell war vorgetreten. ,, Was immer hier vorgeht es betrifft uns alle… und ich habe nicht vor euch jetzt hier im Stich zu lassen.“ Für ihre Verhältnisse klangen diese Worte schon fast enthusiastisch. Aber sie konnte sich auch nicht ewig hinter ihrer Trauer verstecken. Hier ging es darum, das ihre Freunde sie brauchten, genauso wie der Kaiser. Zumindest für sie würde sie sich zusammen nehmen können. Und für Merls Andenken… Er war gestorben um ihnen allen noch eine Chance zu geben. Das durfte nicht umsonst gewesen sein, dafür würde sie Sorgen…
,, Ich würde ja selber mitgehen, aber meine Pflichten halten mich leider hier.“ , fuhr der Kaiser derweil fort. ,, Ich muss ein Auge auf die Zwerge haben und die Leute beruhigen. Die Nachricht über den Angriff hat sich schnell verbreitet und es gibt noch mehr Gerüchte. Angeblich hat der Fürst von Erindal sogar die Tore seiner Stadt verriegelt und verbietet jetzt der Garde-Garnison dort, die Mauern zu verlassen. Irgendwie muss ich den guten Mann auch wieder zur Vernunft bringen… Ich würde euch jedoch bitten, euren Aufbruch noch etwas zu verschieben. Heute Abend werden sich einige Vertreter der Zwerge einfinden, die ich zum Essen geladen habe. Ich hoffe einfach ein paar von ihnen besser kennen zu lernen. Wenn ihr ebenfalls dabei sein könntet… “
Nachdem alle anderen gegangen waren, blieb Kellvian alleine im Thronsaal zurück. Er konnte nach wie vor Jiys Blick spüren, den sie ihm zugeworfen hatte, als sie aus der Halle ging. Aber was hätte er den tun sollen? Er liebte den Jungen genauso wie sie, aber Janis würde innerhalb dieser Mauern nicht alles lernen können, was er eines Tages wissen musste. Und er konnte ihn auch schlecht hier einsperren, wenn er denn aus eigenem bestreben mit Syle gehen wollte. Janis war zu einem bedauern, zu eingenommen von sich selbst. Je früher er erfuhr, was diese Welt wirklich für ihn bereithalten würde, desto besser. Und Kellvian konnte sich dabei keinen passenderen Lehrer vorstellen, als Syle. Der Mann mochte mit den Jahren rauer geworden sein, aber wenn es jemanden gab, der den Jungen mehr bedeutete als ihm und Jiy, dann war das er. Vielleicht war das grade der Grund aus dem der Hochgeneral Janis gegenüber mehr Härte als üblich an den Tag legte. Wenn Janis bei irgendjemanden sicher aufgehoben war, dann bei ihm. Wenn es so etwas noch gab.
Mit einem seufzen ließ Kellvian sich auf den Thron sinken und massierte mit der rechten Hand seine Schläfen. Ein Lichtstrahl, der von einem der Kristalle im Raum stammte fiel genau auf seinen Kopf und brachte die grauen Strähnen in seinem Haar zum schimmern. Zum ersten Mal fühlte er sich… alt. Und Hilflos. Er war der Herrscher der bekannten Welt und konnte doch nicht einmal seinem eigenen Sohn helfen. Geschweige denn mehr für diejenigen tun, die noch mehr auf ihn angewesen waren.
Kellvian konnte die Bedrohung spüren, die fast greifbar im Raum stand. Das Gefühl, dass hier etwas sehr viel größeres vorging, als er bereits erkennen konnte. Und doch wusste er weder, wie er ihr begegnen sollte, noch woher sie kam. Oder ob seine Kräfte ausreichen würden, sich ihr zu stellen.
Windböen trieben Ströme aus Regen durch die Straßen, die sich in Sturzbäche verwandelten. Wasser troff von den Dächern herab und sammelte sich in den Kuhlen im Pflaster oder verschwand in den Zisternen der großen Stadt, die sich zu Füßen der Berge ausbreitete. Dort oben, auf den hohen Granitgipfeln lag nach wie vor Schnee, der bis in den Hochsommer hinein nicht tauen würde und einige weiße Flecken hatten sich auch um das große Anwesen gehalten, das am Hang über Silberstedt thronte. Rauch stieg aus allen Schornsteinen auf und die meisten Bewohner der Siedlung hielten sich bei diesem Wetter lieber in ihren Geschützen Stuben auf. Unterwegs waren heute nur jene, die keine Wahl hatten. Dienstboten, die Ärmsten der Armen, die keine Bleibe hatten… und ein Mann, der nicht in das Bild der verlassenen Straßen passen wollte.
Zachary de Immerson hasste die Sommer hier. Sie waren grausam, aber nicht auf eine ergreifend schöne Art, wie das Meer, an das er sich aus seiner Jugend erinnerte. Ein Sturm auf See hatte etwas Erhabenes. Sommerregen in Silberstedt hingegen war einfach nur nass und kalt. Den Winter konnte er schon jetzt kaum mehr erwarten, wenn sich die Welt endlich wieder in Kristall verwandelte und die weiten braunen Ebenen und dichten Tannenwälder vor der Stadt unter weißem Schnee verschwanden.
Zachary schlang die dunklen, mit Silberfäden durchwirkten Roben enger um sich und zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht, als der Wind sich drehte und die Regenschleier direkt in seine Richtung trieb. Die Augen hielt er dabei geradeaus gerichtet, immer nach dem Mann suchend, von dem er wusste das er sich auch von diesem Wetter nicht würde abhalten lassen.
Und tatsächlich stand er auch dort, auf einem der großen offenen Plätze der Stadt, die bei besserer Witterung vor allem den Schmuck und Edelmetallhändlern vorbehalten blieben, denen die Stadt, neben ihren Minen, ihren gewaltigen Reichtum verdankte. Heute jedoch blieben die Buden und Häuser der ansässigen Händler geschlossen und der große, mit Kupfer eingefasste Brunnen in der Mitte des Markts lief fast über. Kleiner Ströme schwappten bereits an den Kanten der hellgrünen Metallwände.
Dr Prediger hatte sich direkt davor aufgebaut, die Arme zum Himmel geregt, als wolle er die Wolken auffordern, ihn doch zu stoppen, wenn sie konnten. Vermutlich fühlte er sich auch noch wie ein Märtyrer dabei, in diesem Unwetter draußen zu stehen.
Wasser troff aus seiner Kleidung und der Kapuze, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Das braune, unförmige Sackleinen lies kaum etwas von seiner Gestalt erkennen und war ihm viel zu groß. Lediglich einige Schnüre hielten den Stoff um seine Mitte etwas zusammen. Die vier Männer, die sich hinter ihm postiert hatten sahen im Vergleich zu ihm dabei schon fast aus wie Fürsten. Jeder trug ein dunkles Wams und dazu passende, schwarze Hosen. Die Umhänge, die ihnen um die Schultern fielen waren von ebensolcher Farbe, sah man von dem Symbol ab, das auf den Schultern jedes Mantels prangte. Es war eine rote Hand….
Trotz der widrigen Umstände hatten sich fast zwei Dutzend Menschen eingefunden um ihn anzuhören. Leicht schief stand er da, durchnässt wie er war und trotzdem hallte seine Stimme über den ganzen Platz.
,, Ergebt euch nicht länger Fürsten und düsteren Hexern, die euch so lange schon euren Segen verwehren. Bald wird es für sie zu spät sein und all jene, die sich dem Willen ihres Herrn wiedersetzen. Die Zeit der Gnade ist so gut wie vorüber, hört ihr und wenn erst Schluss ist mit allen Kaisern und Göttern, dann heißt den wahren einen Fürsten dieser Welt willkommen. Der Herr der Ordnung hat einfache Worte für euch, wo alle Diener des Alten euch nur mit schweren Lügen daherkommen. Ihr könnt nur ihm vertrauen. Alle anderen sind Lügner, sie haben euch Jahrhundertelang Belogen von Simon Belfare bis zum heutigen Tag. Ein Mann, der nur nach einem Strebte und das war Macht. Sie alle schulden ihrem wahren Herrn viel. Sie sind die Verräter. Glaubt ihr wirklich ein Mensch mit dieser Macht sei zu mehr als Bösen imstande? Und nur jene die weise genug sein werden, dies zu erkennen, werden in seinem Licht neu Leben. Sehet diese vier….“ Der Prediger trat zurück und deutete auf seine Begleiter, die sich zum ersten Mal regten. ,, Einst waren sie so fehlgeleitet wie ihr. Einst waren sie Hexer des Ordens, doch nun stehen sie treu im Dienst ihres neuen Gottes. Sie können euch von eurem Leid erlösen, wenn ihr es zulasst…“
Die Augen des Mannes bekamen unter seiner Kapuze einen beinahe rötlichen Schimmer, während er sprach. Einige Strähnen grauen Haares ragten darunter hervor. Zachary schob sich mühelos durch die kleine Gruppe Schaulustiger, die ihm wie gebannt lauschte.
,,Sei vorsichtig.“ , hörte er eine leise Stimme am Rand seines Verstandes, die nicht seine eigene war. Aus den Augenwinkeln meinte er kurz eine Gestalt in schwarzen Roben zu sehen, die ein Stück neben ihm herlief. ,, Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht, du kannst es spüren, oder ?“
Zachary nickte stumm, während er den prediget musterte. Er stand leicht schief da, so als könnte ihn bereits eine Windböe umwerfen, doch seine Worte waren von einer Kraft, die die Leute anzuziehen schien.
Der Mann war vor einer guten Woche aus den Bergen gekommen, seine vier Begleiter im Schlepptau, die damals noch die Roben des Sangius-Ordens trugen. Und anfangs hatten sich weder die Einwohner Silberstedts noch er groß um ihn geschert. Mochte dieser Kerl reden was er wollte, Zachary hatte es noch nie für nötig befunden, jemanden den Mund zu verbieten. Aber je länger er hier blieb, desto aggressiver war sein Tonfall geworden. Anfangs hatte er nur von den Segnungen seines Herrn gesprochen, eines Gottes, den Zachary nicht kannte. Dem Herrn der Ordnung. Doch langsam aber sicher war ihm die Sache nicht mehr geheuer...
,, Ich habe gehört, das ihr unter einem Magier leidet.“ , fuhr der Prediger derweil fort. Einem bösartigen Hexenmeister, der eure Stadt aussaugt für seine schauerlichen Kräfte. Ich bin gekommen um diesen Makel auszutreiben! Wenn ihr nur die Wahrheit anerkennt die mein Herr euch zeigt.“
,,Nun ich bin hier !“ , rief Zachary laut genug, das einige Männer in seiner Umgebung zusammenzuckten. Er strich sich trotz des stärker werdenden Regens die Kapuze aus dem Gesicht, damit ihn auch alle erkennen würden. Innerhalb weniger Augenblicke waren seine Haare völlig durchnässt. ,, Und eigentlich bin ich gar nicht so furchtbar, wisst ihr ?“
Zachary versuchte sich an einem verkrampften Lächeln. Er wollte dem Mann nicht wehtun, ihn zur Vernunft bringen wenn möglich, aber irgendwie erfüllte alleine seine Gegenwart ihn mit einem Gefühl, das eher Panik gleichkam.
Die Leute wichen vor ihm zurück und bildeten eine Gasse, als er auf den Prediger zutrat. Dieser schien seine letzten Worte dezent überhört zu haben… oder vielleicht wollte er es auch schlicht nicht hören, dachte Zachary.
,, Sehet eure Geißel…“ Mit hoher Stimme richtete er anklagend einen Finger auf den Magier. ,, Seit ihr gekommen um eure Sünden einzugestehen ? Oder um mich aufzuhalten? Ich bin der Erwählte meines Herrn. Hebt eure Hand gegen mich und ihr werdet seine volle Macht zu spüren bekommen!“
,, Ich bezweifle es. Und wenn ihr eure Stimme einmal senken würdet, dann könnten wir vielleicht in Ruhe…“
Sein gegenüber ließ ihm keine Gelegenheit auszusprechen. ,, Ruhe ? Das käme euch so recht. Die Wahrheit kennt kein Schweigen. Ihr…“
Zachary stieß ein tiefes seufzten aus, dann sammelte er sich kurz. Als er das nächste mal sprach, hallte seine magisch verstärkte Stimme wie Donnerschläge über den Platz. Allein die Schockwelle seiner Worte trieb Schnee und Eis um ihn herum davon, während die Leute mit einem Aufschrei zurückwichen. Lediglich der Prediger blieb unbeeindruckt stehen, wo selbst seine vier Gefährten sich hinter ihm duckten.
,, Wenn wir das hier zu einem Wettbewerb darüber machen wolle, wer am lautesten brüllen kann, bitte ! Aber wenn ihr vernünftig seid, dann haltet jetzt mal einen Moment die Luft an und hört mir zu!“ Langsam sank seine Stimme wieder zu ihrer normalen Lautstärke ab. ,, Also, was sagt ihr ? Ich habe nichts gegen euch und euresgleichen. Aber wenn ihr anfangt, mein Leben zu bedrohen, obwohl ich euch nie einen Grund dazu gegeben habe, fürchte ich, kann ich euch hier nicht mehr willkommen heißen. Sprecht zu ihnen von euren Göttern wenn ihr dies wünscht. Aber hebt euch euren Hass für eine andere Stadt auf.“
,,Hass ? Seit nicht ihr es, der diesen Leuten Angst macht, Zauberer? Ich zeige ihnen nur einen Ausweg. Der Herr der Ordnung ist die Erlösung für sie, von der Tyrannei des Kaisers und auch der durch die Magie. Alle, die sich ihm unterwerfen, werden frei sein von jeglicher Angst…“
Zachary schüttelte den Kopf. War dem Mann eigentlich selbst klar, was er da sagte? So wie er sprach, könnte man meinen, die Kaiser der alten Zeit seien wieder auferstanden. Mochte sein, dass diese Männer Tyrannen gewesen waren, doch Kellvian? Und die ehemaligen Kaiser seiner Linie ? Keiner von ihnen war perfekt, Zachary hatte die Geschichten über jeden einzelnen von ihnen gehört, aber vielleicht auf ihre Art das Beste was diesem Land bisher passiert war. Und die Macht des Ordens, die er mit der Magie meinen musste hatte seit zwei Jahrzehnten begonnen zu zerfallen, zuerst mit dem Aufstieg von Maras und auch durch Zacharys eigenes Zutun als erster freier Magier seit Jahrzehnten. Doch die Leute schien das wenig zu interessieren, oder vielleicht fehlten ihnen schlicht die Einblicke, die Zachary über die langen Jahre seines Studiums gewonnen hatte. Allerdings bezweifle ich, dachte er, dass sie diesem Prediger fehlen. Der Mann wusste ohne Zweifel was er tat. Und er war intelligent… das laute Schreien selbst war Strategie, eine Möglichkeit seine Gegner jeglicher Wiederworte zu berauben.
,, Also sollen sie nur eine vermeintliche Sklaverei gegen eine andere eintauschen ?“ Zachary konnte nur dünn lächeln, bei dieser Vorstellung.
,, Wenn der wahre Fürst dieser Welt etwas fordert, gehört es ihm dann nicht schon längst ? Es ist nur rechtens, das alle ihm Dienen. Hingegen ist es ein Verbrechen, dies nicht zu tun. Noch mehr als Magier, wo eure Kräfte doch alleine ihm dienen sollten.“
,, Das sagt ihr…“
,, Ihr werdet die Wahrheit ebenfalls noch erkennen…“
,, Wahrheit… Ihr benutzt dieses Wort so leichtfertigt, als ob ihr mir schon irgendetwas anderes gegeben hättet, als Drohungen.“ Zachary verschränkte die Arme vor der Brust. ,, Wie wäre es, wenn ihr den Leuten die Wahrheit zeigt, anstatt eure Worte schlicht dazu zu erklären. Ehrlich gesagt wäre diese Art von Wahrheit etwas, das sogar mein Interesse erregen würde. Ich habe in meinem Leben viele Dinge gesehen und erfahren, doch eine absolute Wahrheit war nie darunter.“
Er war sogar weiter gegangen, als die meisten Menschen je begreifen würden, dachte Zachary. Seine ganze Arbeit, über die Jahre hinweg hatte ihn zu Wissen geführt, das manche andere in den Wahnsinn hätte treiben können. Er hatte die Grenze des Todes berührt und mehr als einmal hindurchgegriffen… wortwörtlich. Ein silberner Spiegel, tief in den steinernen Eingeweiden unter dem Rabenkopf.
,,Stellt ihr die Macht meines Herrn in Frage ?“ Der Prediger hatte sich vorgebeugt. Zum ersten Mal war seine Stimme ruhig, fast leise, doch die Drohung darin war unüberhörbar.
Zachary lächelte dem Mann nur ins Gesicht. Götter, das alles lief einfach nur aus dem Ruder. Eigentlich hatte er den Mann nur auffordern wollen sich ein paar seiner Worte zu sparen. Aber langsam kam Zachary an den Punkt an dem er diesen Mann nicht mehr dulden wollte. Nicht einmal dulden konnte. War er einfach nur Irre, oder stur oder legte er es tatsächlich darauf an, dass man ihn der Stadt verwies…
,, Tatsächlich tue ich das ebenfalls , Vater Malachi.“ , meldete sich eine Stimme aus der Menge. Eine kleine Gruppe Leute wendete sich tatsächlich zum Gehen, nachdem sie dem Gespräch zwischen Zachary und dem Prediger, Malachi, lange genug gelauscht hatten. Andere blieben jedoch nach wie vor stehen… und hingen scheinbar nach wie vor an den Lippen dieses seltsamen Mannes. Viel zu viele sogar, für Zachary Geschmack.
Bevor die Gruppe die sich zum Gehen wendete den Marktplatz jedoch ganz verlassen konnte, begehrte Malachi auf. ,, Dann sehet eben an jenen Narren, wie es jenen ergeht, die sich gegen eine Hand ihres Gottes auflehnen. Ich bin ein Geweihter nun seht welche Kräfte mein Herr mir vermacht hat!“
Erneut hob der Prediger die Hand, doch diesmal umfing ihn dabei eine Aura, die Zachary einen Schauer über den Rücken jagte. Es war, als wäre die Luft um ihn herum plötzlich schwerer geworden, drückender, wie kurz vor einem Gewitter. Seine Füße kribbelten und die feinen Härchen auf seinen Armen stellten sich auf. Magie. War dieser Mann, der so viel Hass für ihn aufzubringen schien am Ende selber ein Magier? Oder ging hier noch etwas ganz anderes vor sich? Sein Blick wanderte zu den vier ehemaligen Ordensmitgliedern in Malachis Rücken. Ein jeder hatte die Hand gehoben und sie dem vermummten Prediger auf die Schulter gelegt. Er benutzt sie, dachte Zachary fasziniert und entsetzt gleichzeitig. War das überhaupt möglich? Oder wirkten sie den Zauber bloß irgendwie… durch ihn?
Ihm blieb keine Zeit länger darüber nachzudenken. Mit einem Satz war er zwischen dem Prediger und den Schaulustigen, die scheinbar genug gehört hatten. Keinen Herzschlag später schlug ein einziger, grellroter Blitz aus den Fingern Malachis.
Zachary rief sofort eine Barriere herbei, die den Zauber hoffentlich abfangen würde. Ein goldener Schimmer bildete sich vor ihm. Rote Lichter zuckten, als der Blitz den Schild mühelos durchschlug und ihm grade noch Zeit ließ, einen zweiten zu erschaffen. Erneut brach der Zauber nach wenigen Augenblicken… Aber es gab Zachary genau so viel Zeit, wie er brauchte. Die vier Ordensmagier mussten ihre Fähigkeiten irgendwie gebündelt haben, überlegte er kühl. Mit einer Hand zog er eine kurze Silberkette unter seinem Gewand hervor. Ein tropfenförmiger Kristall baumelte daran, blau wie das Meer und vielleicht genauso alt. Die Träne Falamirs glomm schwach im Halbdunkel des Unwetters, das um sie herum tobte. Und ein Sturm war es nun auch, der durch Zacharys Venen floss.
Er legte alles was er hatte in seinen nächsten Zauber und streckte die Hand aus. Der Blitz wurde von seiner Bahn gelenkt und traf direkt zwischen seine ausgestreckten Finger. Rote Lichtbögen tanzten über seine Haut, als Zachary einen Schritt zurückmachen musste. Doch zu dem rot gesellten sich nun goldene und silberne Funken, verbanden sich mit dem Strang aus Energie, der nun zwischen dem Magier und seinem Gegner stand. Wie Ranken einer Würgepflanze wanden sich die Lichter umeinander und wanderte unaufhaltsam zurück zu Malachi. Der eben noch ruhige Ausdruck des Predigers bekam Risse, als ihm Schweißperlen auf die Stirn traten.
Einer der Magier hinter ihm stieß einen erstickten Schrei aus, bevor er einfach in sich zusammensank, sein Haar völlig ergraut, sein Gesicht eingefallen und Aschfahl. In dem Augenblick in dem der erste seiner Magier fiel, war das Schicksal der anderen besiegelt. In Windeseile sprang Zacharys Zauber nun zu ihnen über und ein goldener und silberner Bolzen traf jeden von ihnen in die Brust. Lediglich um Malachi bildete sich ein letzter Schutzzauber, an dem der Gegenangriff verpuffte. Doch seine drei Gefährten sanken Leblos und ohne einen weiteren Laut zu Boden.
Zitternd sank der Prediger auf die Knie, während Zachary mit weiten Schritten zu ihm eilte und ihn mühelos auf die Beine riss. Er musste sich davon abhalten, den Mann schlicht zu schütteln. Nach wie vor strömte die Magie der Träne durch ihn, nährte seinen Zorn noch und gab ihm die Kraft, diesen Mann der für sich göttliche Kräfte beanspruchte wie ein Kind zappeln zu lassen. Wut war alles was er bei dem Gedanken an das empfand, was Malachi eben hatte tun wollen.
,, Ihr nutzt die gleiche Macht, die ich nutze.“ , erklärte er schwer atmend. ,, Und das, ist die Wahrheit, wie ihr so gerne sagt. Versteht ihr das nur nicht, oder seid ihr ein gewaltiger Lügner?“ Zachary erlangte nur langsam die Kontrolle über sich zurück. Als er den Mann schließlich losließ sank er wie eine Marionette zu Boden. ,, Ich will dass ihr hier verschwindet, hört ihr mich? Jetzt. Und lasst mein Volk in Ruhe….“
,,Euer Volk ?“ Der Prediger sah mit großen Augen zu ihm auf, jedoch offenbar immer noch nicht bereit, aufzuhören. Erneut meinte Zachary einen kam sichtbaren Schimmer in seinen Augen wahrzunehmen. ,, Alles hier gehört meinem Herren…. Am Ende werdet ihr es auch erkennen…“
Mühsam und zitternd erhob sich der Mann wieder und breitete die Arme aus. Zachary ließ ihn gewähren. Er war es langsam müde… ,, Dies sind die Worte meines Gottes an all jene, die sich gegen ihn stellen : Dieses Land gehört mir. Eure Söhne werden mir dienen oder sterben und meine Anhänger, meine treuen Schwerter, werden eure Töchter rauben. Dieses Land wird brennen in reinigendem Feuer….
,, Seit ihr endlich fertig , ja ?“ Zachary hatte sich demonstrativ vor die Schaulustige gestellt. Und immer noch waren genug darunter, die an den Lippen dieses… Dings hingen. ,, Meinem Volk mit Feuer zu Drohen ist keine gute Idee. Es ist verflucht kalt hier, wisst ihr? Und jetzt verspreche ich euch etwas: Wenn ihr mir nicht sofort aus den Augen geht, werdet ihr tatsächlich herausfinden ob euer Gott euch gnädig gewogen ist. “
Auch nach dem Tot seiner vier Vasallen ging von diesem Mann etwas aus, das ihm eine Gänsehaut bescherte. Oder vielleicht weniger ihm, als dem stummen Schatten, der ohne ein Wort neben ihm erschienen war, unsichtbar für die anderen. Zachary hätte zu gerne gewusst, was Ismaiel dachte, so seltsam, wie er den verrückten Prediger ansah. Malachi erhob sich, zum ersten Mal stumm.
,, So sei es, Zauberer….“ , erklärte er, als er sich schließlich umdrehte. ,, Auch ihr werdet euren Tribut noch zahlen.“
,,Das mag sein, aber nicht an euch….“
Galren konnte sich nicht erinnern je so viel Essen und überbordenden Prunk gesehen zu haben. Die langen Tische ächzten unter dem Gewicht der Platten, die mit Köstlichkeiten überladen waren. Wild, Geflügel, halbe geröstete Schweine, die noch vom Feuer vor sich hin brutzelten. Dazu kamen Körbe, so groß, dass ein einzelner Mann sie wohl kaum heben konnte, die gefüllt waren mit Äpfeln, Trauben und weiterem Obst aus allen Winkeln des Reichs. Kristallkaraffen voll Wein glänzten im Licht der Kerzen und Kristalle, Roter aus den Weinbergen von Risara, Weißwein aus den Herzlanden Met und Bier das wohl aus Hasparen oder sogar Silberstedt herangeschafft worden war. Hinzu kamen weitere Platten mit Brot und gebackenen Obst und von irgendwie hatte man sogar Eis in die fliegende Stadt gebracht, das nun langsam zwischen Weinflaschen und Obst schmolz.
Allein vom Duft, der die gesamte Halle füllte, konnte man Hunger bekommen. Musik und leises Stimmengewirr umgaben ihn, als Galren von seinem Platz aufsah.
Es mussten wohl an die drei wenn nicht vierhundert Menschen und Zwerge anwesend sein. Jede einzelne Adelsfamilie, die einen Vertreter in der Stadt hatte, hatte ihn heute Abend hierher geschickt wie es schien und auch von den Häusern der Zwerge, die er noch kannte, schien jeweils mindestens ein Vertreter Anwesend zu sein. In den meisten Fällen auch mehr. Und auch wenn sie ihre Waffen beim Eintreten in den Palast zurücklassen musste, wurde ein jeder von zwei oder mehr in Stahl gewandeten Männern begleitet. Vielleicht hatte ihr toter König sie lange genug zusammenschweißen können um sie unbeschadet über das Meer zu führen, aber Galren wusste nur zu gut, wie zerworfen die einzelnen Familien untereinander waren. Der Kaiser war weise, heute Abend keine Waffen zuzulassen, auch wenn Galren sich ohne das Schwert ein wenig nackt vorkam. Ohnehin fühlte er sich fehl am Platz in seiner einfachen Kleidung und inmitten der Musik und der Gespräche, die sich um alles und nichts drehten. Ein Lord aus den Herzlanden , der dem Wein zu stark zugesprochen hatte, redete lautstark auf einen weiteren Mann ein, der das Widderwappen Erindals zur Schau trug.
,, Ich sags euch, wie ihr euch da hinter euern Mauern versteckt, könnte man meinen, ihr erwartet das euch eine Armee heimsucht. Wovor habt ihr denn so viel Angst, hm? Vor ein paar Händlern aus dem Süden ?“
,, Ihr redet besser von Dingen, die euch etwas angehen.“ , erwiderte sein gegenüber scharf . ,, Mein Herr weis was er tut was man von eurem nicht grade behaupten kann. Wie lange hat Cynric jetzt Zeit gehabt einen neuen Stadthalter für Vara zu finden?“
Galren wendete sich ab und sah die Tafel entlang. Mittlerweile mussten fast alle Gäste anwesend sein, dachte er, der einzige jedoch, der sich bisher noch nicht hatte sehen lassen, war der Kaiser selbst. Er sah einen Moment auf und sein Blick traf sich mit dem von Elin.
Wenn es jemanden gab, den er sich eigentlich nie in einem Kleid hätte vorstellen können, dann war das wohl sie. Heute Abend jedoch trug sie eines, gefertigt aus schlichtem, grünem Stoff, der ihr bis zu den Knöcheln fiel. Ihre Haare waren zu kleinen Locken gewickelt worden und auch sonst erinnerte kaum etwas an ihr an den Wildfang, den Galren eigentlich kannte. Sah man von dem leichten Funkeln in ihren grün-gelben Augen ab, das nie wirklich zu verschwinden schien.
Er glaubte noch immer, den Kuss spüren zu können, den sie ihm am Morgen gegeben hatte. Gerne wäre er zu ihr herübergegangen, doch solange der Kaiser nicht eintraf um das fest offiziell zu eröffnen, wurde von ihnen erwartet, sitzen zu bleiben, wo sie waren und auch das Essen blieb unangerührt. Trotzdem konnte er sich nicht davon abhalten, immer wieder kurz zu Elin hinüber zu schielen und mehr als einmal kreuzten sich ihre Blicke dabei kurz.
In den letzten Stunden hatte Galren keine Gelegenheit gehabt mir ich zu sprechen. Hadrir war bereits einer der ersten in der Halle gewesen und hatte ihn sofort zu sich gerufen, als er den Raum betrat.
,,Galren…“ Der Zwerg trug wie so oft seine schlichte Rüstung ohne jegliche Wappen oder Verzierungen. Der grüne Schulterumhang, der ihm über den linken Arm fiel wies ebenfalls keinerlei Runen oder irgendeinen Hinweis darauf auf, zu welchem Haus er gehörte. Hadrir Silberstein war für einen Zwerg zwar groß zu nennen, ging Galren jedoch trotzdem grade bis zur Brust. Was von seinem Gesicht nicht unter dunkelbraunen Haare oder einem langen Bart verschwand, wirkte heute jedoch angespannt und ernst. Auch wenn er für seine Art ein junger Mann war, war er wohl leicht dreimal so alt wie Galren und seine braunen Augen blickten müde und sorgenvoll, wie die eines viel älteren Menschen.
,, Hadrir… schön euch wiederzusehen…“ , begrüßte Galren ihn, als er sich neben ihm niederließ. Der Mann war einer der wenigen gewesen, der sie die ganze Zeit über unterstützt hatte und tatsächlich war er froh, ihn wiederzusehen. Das ganze konnte auch für ihn nicht leicht sein, überlegte Galren. Brunar Silberstein war sein Vater gewesen und auch wenn der Mann letztlich manipuliert worden war… Es war der König gewesen, der die Zwerge in die Situation gebracht hatte, in der sie jetzt waren. Verloren in einem fremden Land, dessen Herrscher sie zu ermorden versucht hatten. Jemand anderes als Kellvian wäre niemals so gnädig gewesen darüber hinwegzusehen und wie das für die Zwerge selbst aussah… ,, Wie ist es euch ergangen ?“
Hadrir zuckte mit den Schultern. ,, Was glaubt ihr ? Ich versuche mich aus dem allen raus zu halten und gleichzeitig die Stimme der Vernunft zu sein. Wer immer die kommende Königswahl gewinnt, wird darüber entschieden, was aus meinem Volk wird, Galren. Und es gibt genug die nach dem Tod meines… des Königs aufgebracht sind. Selbst der Prophet hat nach wie vor seine Anhänger und wenn tatsächlich eines der Häuser einen König stellen könnte, die eurem Vater dienten, ´will ich mir die Folgen gar nicht vorstellen. Aber im Augenblick habe ich vor allem Kasran im Verdacht.“ Er nickte in Richtung des Thanen, der ein Stück weiter den Tisch hinab saß, in seinem typischen roten Mantel und sich scheinbar entspannt mit einigen weiteren Zwergen unterhielt. Nicht weit von ihm saß auch Quinn, der schweigsame Großmagier des Ordens, die Arme vor der Brust verschränkt und die Augen geschlossen, als würde er schlafen.
Armell hatte sich, jetzt wo die Halle langsam voll wurde, ebenfalls einen Platz in der Nähe Kasrans Gesucht. Die junge Adelige begrüßte den Thanen reserviert und misstrauisch. Weder sie noch Galren hatten vergessen, was der Mann getan hatte und ob er etwas mit Merls Tod zu tun hatte war nach wie vor unklar. Vermutlich war es für ihn auch besser, wenn das so blieb. Sollte Galren je erfahren, das Algim noch auf Anweisung Kasrans gehandelt hatte würde sich Hadrir plötzlich keine Sorgen mehr wegen des Zwergs machen müssen. Und was Armell tun würde… Obarst war wohl noch glimpflich davon gekommen.
,, Er hat bereits begonnen Unterstützer zu sammeln.“ , fuhr Hadrir derweil fort ,, Und leider hat er auch gute Chancen genug zu finden.“
,, Warum ? Ich meine… wir sind weit weg von eurer Heimat. Jedes Haus hat genau gleich viele Männer zur Verfügung. Man könnte meinen das alte Gefüge würde hier nicht mehr viel zählen.“
Hadrir seufzte. ,, Ihr kennt uns nach wie vor schlecht, fürchte ich. Kasrans Familie führt sich direkt auf den Herrn des Feuers zurück. Und ob das nun stimmt oder nicht, für einige wird alleine das ausreichen um ihn zu unterstützen. Vorausgesetzt, er will wirklich den Thron. Die Unsterblichen haben einen hohen Stellenwert bei meinem Volk und keiner wird so hoch geschätzt wie der, der uns einst über das Meer führte. Es gibt niemanden der im Augenblick einen größeren Anspruch hätte, als Kasran. Und unterschätzt nicht, wie viele Häuser ihm ohnehin bereits Loyalität schulden.“
Galren konnte nicht sagen, das ihm die Aussicht, Kasran als neuen König der Zwerge zu sehen gefiel. Es war vielleicht besser, als die Alternative, das ein ehemaliger Anhänger seines Vaters es auf den Thron schaffte, aber nichts desto trotz beunruhigend. Der Thane der Mardar mochte Vernünftiger als der Großteil seines Volkes sein, aber er war auch verschlagen genug um ihn besser keinen Schritt weit über den Weg zu trauen wenn man seinen Kopf auf den Schultern behalten wollte.
,, Und was ist mit euch ?“ , fragte Galren schließlich.
,, Was soll sein ?“ Hadrir sah ihn nur mit einem Schulterzucken an und stocherte mit einem Besteckmesser auf der Tischdecke herum.
,, Ihr sagt niemand hätte einen größeren Anspruch auf den Thron als Kasran. Aber ihr seid Brunars Sohn.
,, Ich habe euch schon erklärt, wie wenig das bedeutet.“
,, Politisch ja, aber ich bezweifle, dass es hier um Politik geht, wenn euer Volk bereit ist, einen Mann zu seinem König zu machen weil er angeblich von einem Gott abstammt.“
,,Nein.“ Hadrir lachte und zum ersten Mal wich der erste Ton aus seiner Stimme. ,, Aber das könnt ihr vergessen, Galren. Ich habe gesehen was dieser Titel aus meinem Vater gemacht hat. Vorher sehe ich lieber Kasran auf dem Thron, glaubt mir. Da helfe ich ihm eher noch bei. Und…“ Hadrir verstummte als sein Blick zur Tür der Halle wanderte. Die großen Flügeltüren, die eben noch geschlossen waren, schwangen mit leisem Knarren auf. Als ihr Gastgeber schließlich eintrat, war es totenstill in der Halle geworden. Selbst die Instrumente der Musiker waren verstummt.
Galren konnte nicht umhin festzustellen, wie müde der Kaiser wirkte. Trotzdem lächelte er freundlich.
Kellvian Belfare trug nach wie vor das gleiche weiße, mit Gold durchwirkte, Hemd wie am Morgen. Ein blauer Schulterumhang auf den in Gold und Silber das Wappen des Kaiserreichs prangte viel über seine rechte Schulter, darunter zeichnete sich ein leeres Waffengeschirr ab. Auch der Kaiser beugte sich scheinbar seinen eigenen Regeln. Heute würde niemand in diesem Saal Waffen tragen.
Mit langsamen Schritten trat Kellvian ans Kopfende der langen Tafel, wo ein Diener bereits einen Stuhl für ihn zurückzog. Statt sich jedoch direkt zu setzen blieb er stehen, wo er war. Und auch die übrigen Anwesenden erhoben sich einer nach dem anderen. Kurz hallte das Geräusch von Scharrenden Stuhlbeinen und Kleidern durch den Raum. Galren selbst zögerte einen Moment entschied dann jedoch, es einfach den anderen gleich zu tun. Fast wünschte er jetzt, er hätte sich doch zumindest etwas über die Gebräuche bei Hof informiert.
Der Kaiser hielt mittlerweile feierlich einen vollen Weinkelch in die Höhe und die meisten Adeligen und anwesenden Zwerge taten es ihm gleich. Galren, der nur einen leeren Krug vor sich stehen hatte zögerte erneut kurz, tat es ihnen dann aber erneut gleich. Hadrir warf ihm einen Amüsierten Blick zu, als er bemerkte, dass der Becher leer war, während der des Zwergs noch bis zum Rand mit Bier gefüllt war.
,, Ihr wisst das, könnte der Kaiser das sehen, das durchaus als Beleidigung auffassen könnte ?“ , flüsterte der Zwerg ihm zu. ,, Ich habe mich ein wenig informiert was eure Gebräuche angeht…“
,, Na wie gut, dass er mich nicht sehen kann.“ , erwiderte Galren ebenso leise. Und vermutlich wäre Kellvian auch der letzte, den es kümmern würde was sich in den Krügen seiner Untergebenen befand.
Als Kellvian schließlich zu sprechen begann, war es erneut vollkommen still in der Halle geworden.
,, Dieser Abend, soll einer des guten Willens werden. Ich habe euch alle hier zusammengerufen damit wir gemeinsam das Geschehene vergessen können. Und auch, damit dies einen Neuanfang für uns darstellen möge. In diesem Sinne heiße ich euch alle hier in Frieden willkommen. Lasst diesen Abend die Schatten vertreiben, die so unglücklich zwischen unseren Völkern aufgezogen sind. Seit also meine Gäste. Esst und trinkt wie es euch beliebt und wenn der Tag kommt, will ich kein Wort darüber hören, dass meine Gastfreundschaft zu wünschen übrig ließe.“
Seine letzten Worte gingen bereits in ausgelassenen Rufen und Lachen unter, vor allem von Seiten der Zwerge. Der menschliche Adel hingegen stand einen Moment noch stocksteif da, bevor einige von ihnen sich ebenfalls mit Verhaltenem Lächeln über das Festmahl hermachten.
,, Euer Kaiser scheint wirklich zu verstehen, wie er mit meinem Volk umgehen muss.“ Hadrir leerte den Bierkrug den er eben noch in der Hand gehalten hatte, noch ehe er sich wieder setzte.
Galren nickte lediglich abwesend.
Schon bald war die ganze Halle erfüllt von Gesprächen und fröhlichem Gelächter. Die eher gedrückte Stimmung, die eben noch geherrscht hatte schien vergessen und vor allem die Zwerge nahmen die Einladung des Kaisers mehr als wörtlich. Die Musiker taten ihr bestes, den allgemeinen Trouble noch halbwegs zu übertönen, doch je später die Stunde wurde, desto vergeblicher wurden ihre Mühen.
Kellvian war mal hier mal dort und hatte sich offenbar vorgenommen, mit jedem eine Weile zu sprechen. Trotz der Erschöpfung schien es ihm nicht an einem offenen Ohr zu mangeln, während er den Fürsten und den Zwergen zuhörte, ab und an eine Bemerkung fallen ließ und ohne das es unhöflich gewirkt hätte zum nächsten weiterging.
Viel später jedoch, als Tische, Stühle und Bänke zur Seite geschafft wurden um Platz zum Tanzen zu schaffen, schien die Müdigkeit endgültig die Überhand zu gewinnen. Kellvian hielt sich nur noch am Rand der Veranstaltung unter den Zuschauern und wich bis zur Rückwand des Saals zurück.
Die jüngeren Adeligen und auch einige der Zwerge jedoch machten sich daran zu der erneut erklingenden Musik zu Tanzen und es dauerte nicht lange, bis sich die ersten Paare bilden. Der Mann jedoch, der schließlich als letztes auf die freigewordene Fläche hinaustrat, versetzte nicht nur Galren in erstaunen.
,,Wer hätte gedacht, dass der Mann noch tanzen kann ?“ , fragte Hadrir verwundert.
Kasran Mardar führte eine ältere Zwergin am Arm, die wohl trotzdem noch einige Jahrhunderte Jünger sein dürfte als er selbst. Breit grinsend nickte er einen Moment in ihre Richtung, bevor er sich ganz seiner Tanzpartnerin zuwendete. Einige Leute in der Menge fingen tatsächlich verhalten an zu klatschen, während der alte Thane sein gegenüber geschickt über die Tanzfläche führte und sich tatsächlich kurz verbeugte, bevor er wieder unter die Zuschauer trat.
Der Abend verging wie im Flug. Die hellen Lichter, die hinaus in die Nacht schienen ,waren in der nun dunkel gewordenen Stadt wohl fast von überall zu sehen und hätte die ewige Karawane, die ihr folgte einmal innegehalten, hätte sie wohl auch die Musik hören können.
Galren hatte sich gegen einen umgekippten und bei Seite gestellten Tisch gelehnt und suchte die Hallen mit den Augen ab. Gerne hätte er Elin zum Tanz aufgefordert, auch wenn er sich dabei vermutlich blamieren würde, aber die Gejarn war nirgendwo zu entdecken. Hadrir , Kasran und einige andere Zwerge, darunter die Frau, mit der der Thane zuvor getanzt hatte, standen etwas Abseits beisammen und unterhielten sich gedämpft. Auch wenn Galren einige Worte ihrer Sprache aufgeschnappt hatte, es reichte nicht, um zu verstehen, was dort besprochen wurde. Hadrirs Anwesenheit jedoch beruhigte ihn. Von allen Zwergen war er vielleicht der einzige, dem Galren voll und ganz trauen konnte. Und weder Kasran noch sonst jemand wäre wohl so dumm, mit ihm in Hörweite irgendetwas zu planen. Manchmal wünschte er sich fast, seine Reise nie gemacht zu haben. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er sich nicht fragen müssen, aus welcher Richtung das nächste Messer kommen könnte, weil es keine gegeben hatte. Jetzt jedoch schien es wurde er von Männern gejagt, die er nicht einmal kannte.. sein Vater war durch seine Hand gestorben und was der nächste König der Zwerge tun würde, stand in den Sternen.
Galren entdeckte Armell, die sich abseits der gruppen hielt und gedankenverloren in die Nacht hinaus sah. Die großen Fenster an der Rückwand der Halle gingen in einen kleinen Park hinaus, der diesen Teil des Palastes umlief. Trotz der allgemein frohen Stimmung blieb ihr Ausdruck so verschlossen und abweisend, wie lange nicht mehr…
Selbst Sentine auf ihrer Schulter machte keinen besseren Eindruck. Statt in den üblichen bunten Farben hatte das Wesen die Gestalt einer schmutzgrauen Taube angenommen, die alles und jedem im Saal mit vollkommener Gleichgültigkeit zu mustern schien
Während ihrer Audienz mit dem Kaiser hatte Galren noch geglaubt, Armell hätte sich wieder gefangen, hatte gehofft, sie würde zumindest beginnen, über das geschehene hinwegzukommen.
Die sonst so grenzenlos entschlossene Frau so zu sehen tat ihm weh und wie Armell sich fühlen musste wollte er sich nicht vorstellen. Galren fühlte die Lücke, die Lias tot hinterlassen hatte und dennoch wog es nicht so schwer wie Armells Verlust oder ? Er hatte den Mann wenigsten die Jahre lang gekannt, die sie hatten, als Freund Lehrer und Mentor. Und was er ihm beigebracht hatte würde ihn zumindest für den Rest seines Lebens begleiten. Aber Merl und die junge Adelige hatten grade erst zueinander gefunden.
Sie zwang sich dazu, trotzdem mitzukommen, irgendwie schritt zu halten das war ihm klar. Leise trat er schließlich zu ihr.
,, Ihr müsst uns nicht begleiten, das wisst ihr ? Ich verstehe wenn ihr nach Hamad zurück wollt, oder vielleicht auch nach Silberstedt. Habt ihr schon mit Zachary gesprochen, seit wir wieder hier sind?“
,, Ich wage es nicht, ihm unter die Augen zu treten, Galren.“ , flüsterte sie.,,Ich… ich hätte auf ihn achten müssen. Mir war doch klar, das Merl etwas vorhat, wenn… „
,, Das ist nicht eure Schuld. Wenn ihr jemanden wirklich die Schuld geben wollt, dann mir.“
,, Euch ?“ Sie blinzelte ihn verwirrt an. ,, Galren ihr hattet keine Kontrolle darüber.“
Das, dachte er, stimmte leider nur teilweise. Mochte sein, das die Nähe zu seinem Vater und dem Ding, das an seine Stelle getreten war auch auf ihn abgefärbt hatte... aber er hatte es bekämpfen können, er war nie ein willenloser Sklave gewesen. Im Gegenteil... er hatte sich erlaubt, manipuliert zu werden. Aus Bequemlichkeit.
,, Dann Algim. „ , erklärte er. ,,Aber nicht euch.“
,,Es war meine Schuld.“ , beharrte Armell. ,,Ich habe diese ganze Expedition erst möglich gemacht. Und ich habe nicht darauf bestanden, zugehen, als wir noch die Chance hatten unbeschadet aus der Sache raus zu kommen.“
,, Das Gefühl kenne ich.“ Er rang sich ein schwaches Lächeln ab. ,, Aber Zachary könnte euch vielleicht helfen. Ich meine… wenn Merl wie ihr glaubt noch lebt, wer sonst könnte wissen, wie wir ihn finden?“
,, Ich weiß das es verrückt klingt Galren. Sagt ihr das nur, weil ihr glaubt ich würde euch im Weg sein? Euch jetzt im Stich zu lassen kommt nicht in Frage.“ Das war schon eher wieder die Armell, die er kannte. Erbost über die reine Vorstellung, man könnte sie aus Rücksicht zurücklassen… ,, Wenn das alles vorbei ist, dann vielleicht.“
Die junge Adelige drehte ihm wieder den Rücken zu. Für sie war damit wohl alles gesagt, dachte Galren. Und dennoch hoffte er, dass sie nicht nur darauf bestand sie zum roten Tal zu begleiten um keine Schwäche zu zeigen. Das wäre nicht nur ein Fehler, es wäre geradezu enttäuschend. Jeder der Armell kannte wusste, dass sie alles andere als Nachgiebig war. Im Gegenteil, sie war vielleicht eine der tatkräftigsten Frauen, die Galren kannte. Aber sie konnte sich nicht verbieten zu trauern, egal wie. Und vielleicht, ganz vielleicht hatte sie ja recht mit ihrem Glauben. Galren wünschte nur er könnte so überzeugt davon sein wie sie, das Merl nicht schlicht und ergreifend…fort war.
Nach wie vor in Gedanken kehrte er den Fenstern den Rücken und mischte sich wieder unter die Gäste. Erneut hob er den Kopf um nach Elin zu suchen. Galren musste mit ihr reden und wenn möglich, wollte er das nicht auf morgen früh verschieben. Wie lange hast du es schon irgendwie gewusst? , fragte er sich wieder. Oder interpretierst du nicht einfach zu viel? Das Mädchen ist eben sprunghaft wie ein Orkan. Und wenn er ehrlich war, war es das nicht grade, was ihm an ihr so gefiel?
Nur noch ein Grund, die Sache klarzustellen. Klarstellen, wenn das so einfach wäre.
Seine eigenen Gefühle spielten hierbei auch eine Rolle und was die anging… hatte er sie bisher so gut es ging in den Hintergrund gestellt. Götter, es war nicht so, dass er wirklich Zeit gehabt hätte, darüber nachzudenken. Er wurde gejagt und war beinahe verrückt geworden. Davon abgesehen, was er Elin zugemutet hatte... ihr hier zu begegnen und dann der Kuss auf den ihn nichts vorbereitet hatte… es gab Dinge, die er nicht mehr Leugnen konnte.
Er schloss einen Moment die Augen und lächelte. Es tat irgendwie gut es sich einfach einzugestehen. Das Mädchen mit seiner vorlauten überdrehten, aber mutigen Art hatte sein Herz erobert.
Schließlich entdeckte er Elin auf der anderen Seite des Saals in der Nähe des Kaisers und einigen der wenigen Gejarn, die heute hier waren.
Galren wollte nicht zwischen die Tänzer treten um zu ihr herüber zu gelangen und so blieb ihm nichts anderes übrig, wie die Halle einmal zu umrunden. So schnell er konnte, ohne das es ungewöhnlich wirkte, drängte er sich an den leise redenden Adeligen und Fürsten vorbei.
,,Entschuldigt mich.“ , konnte er grade noch Elins Stimme hören, als er sie fast erreicht hatte.,,Aber es war… ein ziemlich langer Tag.“ Galren sah grade noch, wie sie sich erhob und Kellvian zunickte, bevor sie sich auf den Weg Richtung Tür machte. Dabei schien sie einmal direkt in seine Richtung zu sehen, doch wenn Elin ihn wirklich bemerkte, so zeigte sie es jedenfalls nicht. Ein schelmisches Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie schließlich ohne langsamer zu werden, aus der Halle verschwand. Es gab eine Zeit, da hatte er geglaubt, genau dieses Lächeln nie wieder zu sehen...
Galren brauchte eine ganze Weile, sich durch die restliche Menge zu kämpfen. Elin schien einfach durch Lücken zu schlüpfen, die er nicht einmal sah und als er schließlich die Tür erreichte, war diese längst wieder ins Schloss gefallen.
Draußen auf dem Gang standen ein halbes Dutzend Posten und hielten Wache. Die Männer in ihren blau-goldenen Uniformen schenkten ihm jedoch keine große Aufmerksamkeit, als er an ihnen vorbeiging. Im Zweifelsfall waren sie hier um Unbefugte am Reingehen zu hindern. Nicht am Rausgehen. Es war kalt hier draußen, dachte Galren. Kalt und ruhig im Vergleich zu der überfüllten, lauten Halle, die er soeben verlassen hatte.
Silbernes Mondlicht fiel durch die hohen Buntglasfenster und erleuchtete den Gang, der sich links und rechts von ihm endlos in alle Richtungen zu erstrecken schien. Von Elin jedenfalls gab es keine Spur mehr und nach dem grellen Licht im Saal, war er hier draußen m Halbdunkel ohnehin so gut wie Blind. Nur sporadisch brannte entlang der Säulengesäumten Flure mal eine Fackel, der Großteil des Wegs war jedoch in Finsternis gehüllt. Dann jedoch sah er sie, ein Schemen unter Schatten, der den Gang hinab lief und nur ein paar sanft glimmender Augen erkennen ließ. Erneut war er sich absolut sicher, das Elin ihn gesehen haben musste, während sie sich umdrehte, trotzdem lief sie weiter.
Seine Schritte hallten von den Fließen wieder, als er ihr schließlich folgte. Für Elin musste das ganze etwas von einem Spiel habe, dachte er, für ihn jedoch... Er wollte Klarheit. Manchmal konnte das Mädchen wirklich anstrengend sein, dachte Galren lachte aber dabei leise in sich hinein, während er seine Schritte beschleunigte.
Er bekam grade noch mit, wie die Gestalt der Gejarn um eine Ecke verschwand. Im gleichen Moment, wo Galren sie erreichte, fiel Elin ihm jedoch auch schon in die Arme. Überrascht stolperte er zurück bis zur nächsten Wand. Ihre Lippen fanden sich schneller, als er darüber nachdenken konnte. Galren ließ sich einfach gegen die kalte Wand zurücksinken, während er sie festhielt. Götter, er hatte sie vermisst, dachte er und Elin jetzt einfach nur zu halten, sie so nah bei sich zu wissen... In diesem einen Moment vergaß er kurz alles. Es gab keine Kultisten die ihn jagten, keine Unsicherheit über den Thron der Zwerge... nur sie und ihre Lippen, den süßen Geschmack in seinem Mund
Später war er sich nicht mehr sicher, wer von ihnen es zuerst über sich brachte, die Küsse lang genug zu unterbrechen um etwas zu sagen. Dennoch glaubte er, das es Elins Stimme war, die das Schweigen brach.
,, Ich liebe dich.“ Sie klang atemlos, ihre Augen glänzten. ,, Ich dachte ich hätte vielleicht nie mehr Gelegenheit es zu sagen... also muss ich es jetzt tun.“ Elin drängte sich ohne jede Scheu oder Zurückhaltung gegen ihn. Für ihn schien in diesem Augenblick nichts anderes mehr zu existieren. Dann schien doch so etwas wie Scheu in ihren Augen aufzublitzen. ,,Bitte sag mir, das ich mich grade nicht bloß lächerlich gemacht habe...“
Er konnte spüren, wie ihre Brust sich mit jedem schweren Atemzug hob und senkte.
Statt zu Antworten küsste Galren sie schlicht. ,, Ich hätte dich beinahe zurück gelassen.“ , murmelte er. Und er hatte auf Vergebung dafür gehofft. Liebe hingegen... war mehr als er je zu hoffen gewagt hatte. ,, Ich liebe dich... und ich wünschte ich wüsste womit ich dich verdient hätte.“ Erneut fanden sich ihre Lippen. Was auch immer geschah, davon würde er wohl nie genug bekommen, dachte Galren. Je mehr Küsse er ihr stahl, desto mehr schien er zu wollen, als wäre er ein Ertrinkender... und sie das einzige, das ihm Luft zum atmen gab.
,, Aber was zählt ist... du hast es nicht getan, du hast uns alle Heim gebracht... Du bist immer noch du.“
Und das hatte er nicht zuletzt auch ihr zu verdanken. Elin ergriff seine Hand und zog ihn sanft mit sich. Galren folgte ihr nur all zu willig. Er hatte ohnehin längst alle Beherrschung aufgegeben und überließ ihr die Führung von hier. Sie rannte mittlerweile fast, so als hätte Elin Angst, er könnte es sich anders überlegen, die süßen Worte, die sie hatte hören wollen irgendwie wieder zurücknehmen...
Galren achtete gar nicht mehr darauf, wohin sie gingen, er sah lediglich Gänge und Räume an sich vorüberziehen. Schließlich jedoch, wurde Elin langsamer und hielt vor einer Tür an, die aufschwang, sobald sie dagegen drückte. Zum ersten mal ließ sie ihn wieder los, während sie im inneren verschwand. Das musste wohl ihr Zimmer hier im Palast sein, dachte Galren , als er über die Schwelle trat und sich kurz umsah. Im schummrigen Licht konnte er nicht viel erkennen. Elin hatte sich nur die Mühe gemacht, eine einzelne Kerze zu entzünden, deren flackerndes Licht auf ein paar Möbelstücke fiel, die jedoch Größtenteils im dunkeln blieben.
Elin war vor dem Bet stehen geblieben und sah erwartungsvoll zu ihm. Langsam setzte sie sich auf die Kante, als Galren zu ihr trat. Es brauchte keine Worte mehr...
Erneut beugte er sich vor und Elin kam ihm entgegen. Seine Lippen blieben auf den ihren, während seine Hände nach kurzem zögern zu ihren Brüsten wanderten. Dem sanften Druck folgend, ließ Elin sich langsam zurücksinken. Sie hob die Arme, als er ihr schließlich aus dem Kleid half und auch sein Hemd und die Hosen flogen rasch beiseite.
Seine Hände wanderten ihren Körper hinab, strichen über ihre Schenkel und wanderten schließlich bis zu ihrem Geschlecht. So sanft die Berührung auch war, Elin erschauerte darunter . Galren zog sich erneut zurück und beugte sich über sie. Erneut liebkosten seine Hände ihre Brüste, während er sich zwischen ihre Beine legte. Er konnte spüren wie ihre Brustwarzen sich aufrichteten und sich durch das seidige Fell drückten. Elin entfuhr ein leises Stöhnen als er die Linke in den Mund nahm und mit der Zunge umspielte. Sie verschränkte die Beine hinter seinem Rücken, ihre Hände drängten ihn in sie... Galren hielt inne als er einen kurzen Wiederstand spürte. Elin holte scharf Luft . Dann jedoch begann sie sich unter ihm zu Bewegen, drängte sich gegen ihn und gab ihm zu verstehen, das scheinbar alles in Ordnung war. Er konnte ihren Warmen Atem an seinen Ohr spüren, während er sich langsam mit ihr bewegte. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sie beide nach mehr verlangten. Seine Stöße, anfangs noch unsicher, wurden schneller und Elin passte sich seinem Rhythmus an, ihre Körper bewegten sich im Einklang miteinander... Elin schrie leise auf, als sie ihren Höhepunkt erreichte. Alles an ihr schien sich einen Moment zu verkrampfen und wenige Augenblicke später wurde er selbst übermannt.
Elin lächelte sanft, als er sich schließlich neben sie sinken ließ. Ihre Körper waren schweißbedeckt und erschöpft, trotzdem kämpfte Galren dagegen an, einzuschlafen. Sie bettete den Kopf auf seiner Brust und er konnte spüren, wie sich ihre Brüst gegen seinen Arm drückten.
,, Was jetzt ?“ , fragte sie müde und er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
,, Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.“ Dazu war alles noch ein wenig zu frisch. Aber eines war ihm ganz sicher klar. Er wollte sie nicht mehr missen, solange sie sich dazu entschied, bei ihm zu bleiben. Ein wenig machte ihm der Gedanke tatsächlich Angst. Sprunghaft, meinte eine Stimme in seinem Kopf. Du weißt wie sie ist. Das wusste er... und das war einer der Gründe aus dem er sie liebte... so wie sie war. ,, Aber ich werde mich immer noch ins rote Tal aufmachen, zu diesem Erik. Ich hoffe nur er kann mir wirklich weiterhelfen. Du kommst doch immer noch mit ?“
Elin kicherte in sich hinein, als sie die Unsicherheit in seiner Stimme hörte. Bevor er Zeit hatte zu reagieren, hatte sie ihm die Arme um den Hals geschlungen, sich auf ihn gerollt und ihm einen Kuss auf die Nase gegeben.
,, Ich glaube ich habe dir bisher nicht erzählt, das meine Eltern dort sind...“
Naria beobachtete das Gesicht des Archonten, jetzt wo er an einem Tisch im Haus ihrer Eltern saß und sich umsah. Doch seiner Mine war nicht zu entnehmen, was er dachte und falls er überrascht war, wie schlicht sein Bruder hier lebte, dann zeigte er es zumindest nicht. Das gesamte Gebäude hatte nur ein Stockwerk und bestand grade aus vier Räumen und den umliegenden Gärten in denen ein wildes durcheinander aus Pflanzen Spross. Etwas Gemüse hier und da, aber vor allem Heilkräuter und Pflanzen, die Naria auf ihren Streifzügen über Maras gesammelt hatte. Zwar besaß sie auch ein eigenes Haus, aber da sie alleine lebte war es kaum mehr als eine Hütte mit einem Bett und einer Feuerstelle. Der Platz auf Maras war begrenzt und die meisten Leute, die ihre Häuser in den Siedlungen bauten mussten sich damit arrangieren.
Ihr Vater war mittlerweile mit einem Krug Wein an den Tisch zurückgekehrt und Wys nahm dankend ein Glas an, wenn auch mehr aus Höfflichkeit, wie Naria schien. Nach wie vor blieb seine Mine angespannt und undurchsichtig und das lag wohl nicht nur daran, das Relina ihn noch weniger aus den Augen ließ als Naria.
Der kleine Raum schien noch heute geradezu beklemmend und düster. Draußen jedoch schien die Sonne und die Lichtbalken, die zwischen weißen Gardinen auf den Tisch fielen brachten den Staub in der Luft als goldene Funken zum Tanzen.
Wys hatte sich auf die eine Seite des Tisches gesetzt, Zyle auf die andere und Relina war gleich stehen geblieben, die Arme vor der Brust verschränkt und lehnte an der Holzvertäfelten Wand.
Naria selbst saß genau zwischen ihnen.
Zyle schien der einzige zu sein, der die Anspannung nicht spürte, oder zumindest nichts darauf gab. Nach wie vor freudenstrahlend goss er ihrem Onkel Wein ein. ,, Also, sag schon, was führt dich her ? Und wie war die Reise ?“
,, Lang und Langweilig.“ , erklärte Wys gestelzt als wüsste er nicht, wie er beginnen sollte. In seiner Prunkrüstung und dem Seidenumhang wirkte er einfach nur völlig fehl am Platz. Seine Hände wanderten zu der Kette um seinen Hals und seine Finger begannen Gedankenverloren oder vielleicht auch Nervös damit zu spielen. Das goldene Zahnrad, das daran hing wirkte matt und abgegriffen, so als trüge er es schon viele Jahre mit sich und hätte es zu oft in den Fingern gehabt. ,, Ich wünschte nur ich könnte das selbe im Augenblick über Helike sagen.“
Zyle sah ihn besorgt an. ,, Was ist passiert ?“
,, Und was haben wir damit zu tun ?“ , fügte Relina kalt hinzu.
,, Verzeiht... „ Wys senkte den Kopf beim Klang ihrer Stimme. ,,Ich weiß das ich nicht erwarten kann, das man schon vergessen hat, welches Leid mein Volk einst über euch brachte. Aber ich bin nicht hier um euch zu Schaden,. Im Gegenteil. Ich bin hier weil ich eure Hilfe ersuche.“ Bevor Relina noch etwas darauf erwidern konnte sprach er bereits weiter : ,, Wie auch immer ihr euch entscheidet, hört mich wenigstens erst an. Ihr mögt Helike nicht in bester Erinnerung haben, aber es war auch eure Heimat, Relina...“
Die Schakalin schien einen Moment ernsthaft mit sich zu kämpfen. Ein rasches Wechselspiel der Emotionen ging über ihr Gesicht, Wut, Hass, Gleichgültigkeit, Unsicherheit und Angst... schließlich nickte sie.
,, Sprecht. Ich höre zu.“
,, Die ganze Stadt in Aufruhr, Relina. Zyle. Ich glaube keiner von euch würde sie noch wiedererkennen. Überall in Helike sind in den letzten Monaten Prediger aufgetaucht. Anfangs waren es nur eine handvoll, aber mittlerweile begegnet man ihnen an jeder Straßenecke. Sie sprechen von dem Herrn der Ordnung und wie dieser gekommen sei um die Leute von ihrer Bosheit zu befreien.“
,,Habt ihr Angst, die Leute könnten auf die Idee kommen, Laos Gesetze seien vielleicht nicht der einzige Weg zu Leben ?“ , fragte Relina spöttisch.
Wys funkelte sie einen Moment böse an, schüttelte dann jedoch den Kopf. ,, Ihr wart lange fort. Es hat sich viel geändert, Relina. Ob ihr es mir glaubt oder nicht aber ich habe die letzten zwei Jahrzehnte meines Lebens darauf verwendet, dieser Stadt und all ihren Bewohnern eine Zukunft zu geben. Das schließt auch die verbliebenen Magier ein. Und es schließt auch jene ein, die sich nicht Laos Gesetz unterstellen wollen. Nein die Prediger sind nur ein Symptom. Das alles wäre halb so schlimm, aber seit diese Männer aufgetaucht sind... verschwinden Nachts Leute auf den Straßen. Ich und meine Leute haben schon alles versucht, wir haben Nachts Ausgangssperren verhängt und die Paladine aus der inneren Stadt patrouillieren jetzt auch in den Straßen der äußeren Bezirke. Geändert hat sich bisher jedoch nichts. Die Leute haben Angst.... Und die Prediger nutzen diese Angst zunehmend aus um sie auf ihre Seite zu ziehen. Ich habe keine Beweise... aber ich fürchte, das es kein Zufall ist. Und ich glaube auch zu Wissen, wer dahinter stecken könnte.“
,, Und wozu braucht ihr dann uns ?“ Relina hatte sich mittlerweile auf dem letzten freien Stuhl niedergelassen. Auch wenn ihre Stimme mittlerweile nicht mehr völlig abweisend klang, blieb sie vorsichtig.
,, Weil ich befürchte, das die Whaid dahinterstecken könnten.“ Whaid... Das war allerdings ein Name, den Naria noch nicht oft gehört hatte und wenn dann nur als Flüstern, so wie manche über den Tod oder eine düstere Legende sprechen mochten. Die Drachenanbeter waren die Ureinwohner der kargen Lade und Wüsten um Helike herum. Einst, vor Laos, da hatten sie ein eigenes Imperium unter ihrer Kontrolle gehabt... bis der große Lehrer kam und die Drachen vernichtete und die Überlebenden in die Wüste trieb. Und sie hatten seinen Anhängern ihr Exil wohl bis heute nicht verziehen...
,, Wie kommst du darauf ?“ , fragte Zyle. ,, Sie haben sich seit Jahren nicht mehr in größerer Zahl aus ihren Wüsten gewagt, Bruder... Und ich kenne einen ihrer Drachen. Ich bezweifle das Feryakin der Sinn nach Eroberung steht.“
,, Das mag sein, aber der erste Prediger kam aus der Wüste. Ihr Anführer wie es scheint, ein Mann, den sie nur den Träumer nennen. Und die übrigen Archonten teilen diese Ansicht. Was auch immer ich davon halten mag, wenn nicht bald etwas geschieht werden die anderen darauf bestehen, eine Strafexpedition in Whaid-Territorium zu entsenden. Das würde einem offenen Krieg gleich kommen. Das will ich um jeden preis verhindern. Sie sollen nur aufhören, vielleicht können wir auch ein Abkommen treffen... aber uns langsam zu unterwandern wird nicht geduldet werden. Ich habe zu lange dafür gearbeitet um jetzt zuzusehen wie jemand ruiniert, was wir erreicht haben.“ Wys schloss dabei die Augen und seine Rechte klammerte sich um den oberen Schwertgriff an seinem Gürtel.
,, Ihr braucht einen Vermittler.“ , stellte Relina misstrauisch fest. ,, An wen von uns habt ihr gedacht ? Ich habe früher schon mit den Whaid verhandelt, aber wenn ihr glaubt....“
,, Keinen von euch beiden.“ Der Archont hob beschwichtigend eine Hand und seufzte tief. ,, In Helike kennt man euch noch gut und nicht alle würden die Rückkehr von Phönix oder des abtrünnigen Schwertmeisters willkommen heißen. Ich brauche jemanden, der Unbekannt ist, der aber trotzdem mit eurer Autorität sprechen kann...
Relinas Augen wurden weit, als sie verstand, worauf Wys anspielte. ,, Oh nein, das könnt ihr vergessen .“ , knurrte sie den Archonten an
,,Ich weiß worum ich euch bitte. Aber ich sehe keine andere Möglichkeit, die Sache friedlich zu lösen.“
,, Schickt irgendjemand anderen.“ , rief die Magierin aufgebracht. Sie war aufgesprungen und stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch. Hätten sie beide gestanden, Wys hätte sie wohl um ein Stück überragt, so jedoch sah Naria mit glühenden Augen zu ihm herab.
,, Ich bezweifle, das die Drachen sich mit irgendjemanden arrangieren würden.“ , Wys stimme klang gepresst und er erwiderte den Blick der Magierin ohne eine Spur von Angst. ,, Meine letzten drei Boten kehrten nicht mehr zurück, aber die Whaid kennen euren Namen sicher nicht... und Phönix dürfte bei allen, die sich nicht dem Gesetz beugen nach wie vor einiges zu sagen haben.“
,, Wozu sie auch jedes Recht haben.“ , grummelte die Magierin. ,, Ihr werdet von mir jedenfalls nicht mehr bekommen, als ohnehin schon. Haltet meine Tochter aus eurer Politik heraus.“
,,Relina...“ Zyle legte ihr beruhigend eine Hand auf den Arm. Hin und hergerissen sah er zuerst zu ihr, dann wieder zu seinem Bruder. Sie schüttelte seine Hand ab .
,, Du wirst dieser Bande von verrückten alten Narren jedenfalls nicht unsere Tochter anvertrauen.“ , rief sie aufgebracht.
,, Das tue ich auch nicht, wenn vertraue ich sie Wys an...“ Er sah zu Naria. ,, Und auch nur dann, wenn sie das wünscht.“
Narias sonst so gelassene Mine bekam zum ersten mal so etwas wie Risse. Was sollte sie tun ? Was ihre Mutter als Antwort von ihr hören wollte, war klar. Ein Nein in das Gesicht eines Mannes geschmettert, den sie grade erst kennen gelernt hatte. Relina hatte ihre Wut auf die Archonten nie ganz abgelegt... aber konnte sie sich hier allein auf deren Urteil verlassen ?
Ihre Vater sah weiterhin zu ihr, sichtlich angespannt, hin und her gerissen zwischen seiner Liebe zu ihnen und der zu seinem Bruder, der ihn um Hilfe bat. Helike war seine Heimat gewesen... und wie Wys gesagt hatte, es war auch die ihrer Mutter gewesen ob sie diese in guter Erinnerung behalten hatte oder nicht. Naria bereute es erneut, sich nie zuvor selbst ein Bild der Stadt und vor allem seiner Bewohner gemacht zu haben. Vielleicht war das auch grade die Gelegenheit auf die sie gewartet hatte. So oder so, sie konnte ihrem Onkel die Hilfe nicht einfach nur eines Vorurteils wegen verwehren. Schon gar nicht wegen einem, das sie nicht selbst hielt.
,, Ich mache es.“ , erklärte Naria kühl. Die Sache war für sie in dem Moment erledigt, in dem sie die Worte sprach. Selbst wenn ihre Mutter weiter protestieren würde, sie hatte die Sache abgewogen... und ihren Weg gewählt.
Eine Weile verharrten alle schweigend wo sie waren. Relina zitterte sichtlich setzte sich dann jedoch langsam wieder. ,, Nur damit wir uns verstehen, Archont, sollte ihr irgendetwas geschehen, mache ich euch dafür verantwortlich... und das würde euch nicht gefallen.“
,, Ich schwöre euch, sie mit meinem Leben zu beschützen, Relina. Ich weiß, mein Schwur mag euch nicht fiel Wert sein... aber er bedeutet mir etwas. Ich hoffe ihr werdet das eines Tages verstehen. Euer Vater verstand es, auch wenn es ihm einiges gekostet hat. Was Ehre wirklich bedeutet...“
,,Mein V...“ Relina sah den Archonten einen Moment mit großen Augen an. ,, Ihr wisst es ? Zyle ?“
,, Mein Bruder hat nichts verraten.“ , antwortete Wys. ,, Ich mag nicht euren Segen für mein Vorhaben bekommen... aber ich würde mir wenigstens euer Verständnis wünschen. Ich fürchte um mein Volk, fürchte das es zurückfallen könnte in die alten , dunklen Zeiten.“
,, Ihr meint in die ach so dunklen Zeiten vor Laos ?“
,, Nein. Ich meine die Zeiten von denen nicht zuletzt ihr uns erlöst habt.“
Relina erwiderte nicht sofort etwas. Erneut spiegelte sich ein Wechselbad aus Gefühlen auf ihrem Gesicht, bis sie schließlich den Kopf senkte.
,,Verzeiht mir, ich fürchte ich habe mich wie ein wütendes Kind verhalten.“ Naria konnte hören, wie schwer ihr die Worte fielen. ,, Ich werde euch niemals völlig trauen, Wys. Nicht euch, nicht irgendeinem anderen Archonten und wenn noch zehn Dekaden ins Land ziehen. Das kann ich nicht. Nie wieder. Aber ich weiß das eure Absichten Gut sind. Euer Eid soll mir genügen , denn ich weiß wenn ihr sagt nur durch euren Tod könne meiner Tochter Schaden geschehen... dann wird es so sein, egal was sich euch in den Weg stellen mag. Mit meinem Segen kann ich euch nicht ziehen lassen. Aber ich wünsche euch ehrlich Glück und nicht nur Narias wegen.“
Wys nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis. ,, Und ich weiß das es euch nicht leicht fällt. Es fällt mir auch nicht leicht euch um Hilfe zu ersuchen. Doch haben wir wohl beide keine Wahl. Ich will so bald wie möglich wieder aufbrechen. Naria... glaubt ihr, ihr seid morgen früh zur Abreise bereit ?“
Naria nickte. Sie hatte nicht viel, das sich mitzunehmen lohnen würde. Etwas Kleidung vielleicht und genug Heilkräuter um einige Wochen unabhängig zu sein. Es ging nach Süden...
Der Morgen kam und brachte Nebel mit sich, der vom Meer aus über die Insel wallte. Weiße Schleier trieben auf den Straßen und über dem Wasser im Hafen, als Naria einen Beutel über der Schulter die Straße hinab ging. Sie hatte nur eingepackt, was sie sich im Zweifelsfall nicht in Helike besorgen konnte, darunter einen Großteil ihrer Kräutervorräte, die sich in mehreren Beuteln und Gläsern am Boden der Tasche befanden. Grade bei ihrem vorhaben, war es wichtig, das sie auch ohne Magie zurechtkäme... und ein Heilzauber war immer noch alles andere als unauffällig, wenn er nötig wurde.
Die Schreie wenn sich Organe und Knochen dem Strom der Magie folgend wieder an ihre angestammten Plätze zurückzogen und zerstörtes Gewebe innerhalb weniger Herzschläge nachwuchs klangen ihr meist noch Tage in den Ohren nach. Nur noch ein Grund auf Magie zu verzichten, solange man andere Optionen hatte.
Feine Wassertropfen verfingen sich in ihrer Kleidung und die kalte Luft, von der See ließ sie kurz frösteln. Mit einer Hand kramte sie in ihrem Beutel bis sie fand was sie suchte und eine Hand voll getrockneter und zermahlender Tabakblätter zusammen mit einer kurzen Pfeife. Auf ihrer letzten Reise war ihr der Tabak sehr zu ihrem Leidwesen schon lange vorher ausgegangen. Nun diesmal hatte sie ja vorgesorgt. Sobald die Pfeife gestopft war und brannte, was bei dem Wetter gar nicht so einfach war, wenn man keine Magie dafür aufwenden wollte, machte sie sich wieder auf den Weg.
Wys wartete bereits vor den Schiffen auf sie , zusammen mit ihrem Vater und ihrer Mutter, die genau so ernst drein sah wie der Archont. Als sie jedoch Naria bemerkte, die den Pfad zwischen den Häusern hinab kam, lächelte sie endlich wieder und lief ihr entgegen.
,, Ich schätze du wirst es dir nicht noch einmal überlegen, oder ?“
Naria hätte gerne etwas geantwortete, das ihre Sorge beschwichtigen könnte... das einzige jedoch was dazu in der Lage gewesen wäre, wäre wohl, hier zu bleiben.
,, Ich werde auf mich aufpassen.“ , versprach sie daher nur und die ältere Gejarn zog sie einen Moment heftig an sich.
,, Wenn ich dir das nur glauben könnte...“ , murmelte sie und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor sie sich auf den Weg machten.
Wys wartete bereits und war ungeduldig aufzubrechen. Er war der Heimat jetzt schon zu lange fern geblieben, dachte er, während er die Grauen Wolken beobachtete, die über ihnen am Himmel aufzogen. Das Wetter wurde vielleicht schlechter, aber der schwache Wind kam aus der richtigen Richtung und wenn er auffrischte, würde er sie hoffentlich innerhalb einiger Tage nach Helike bringen.
,, Es war schön dich wiederzusehen.“ , meinte Zyle. ,, So kurz es auch war... Und du bist sicher, das ich daheim nichts tun kann ?“
,, Daheim...“ Er schüttelte den Kopf. ,, Ich dachte das hier ist deine Heimat ?“
,, Genau so wie es Helike ist, Bruder. Und das wird sich nie ändern. “ Zyle und er waren genau auf Augenhöhe miteinander und egal wie sehr er es versuchte, dem bestimmten Blick seines Bruders auszuweichen war ihm in diesem Augenblick schlicht unmöglich. ,, Ich weiß du wirst tun, was du kannst, aber... achte auf sie, ja ? Die Sache gefällt mir nicht .“
,,Glaub mir, mir auch nicht.“ , erwiderte Wys.
,, Wissen die übrigen Archonten, was du vorhast ?“
,,Sie werden es jedenfalls bald erfahren.“ , erklärte er und zögerte einen Moment. Zyle wusste nicht, wie viel sich wirklich geändert hatte, seit er die Stadt zum letzten mal betrat. Und vielleicht war es unnötig, ihn und Relina noch weiter zu beunruhigen... aber er würde auch nicht lügen. ,, Jona ist tot, Zyle...“
Wys konnte sehen, wie sich die Augen seines Bruders erschrocken weiteten. Der Händlerkönig war neben Wys selbst der einzige gewesen, der noch vor dem Exodus der Magier als Archont gedient hatte. Der Rest war nach dem Tod des damaligen Konzils erst nach und nach ernannt worden.
,, Wie ?“
,, Wenn ich das wüsste, wäre mir ebenfalls sehr viel wohler.“ Auch wenn Wys so seine Befürchtungen hatte. Die anderen Archonten jedenfalls hatten ihre Finger nicht im Spiel gehabt, das wusste er. Jona hatte den Rat immer unter Kontrolle gehabt und zwei Archonten waren nur durch seine Empfehlungen zu ihren Posten gekommen. ,,Er starb keine Woche, nachdem das alles anfing. Gift war keines im Spiel, ich habe jeden zweiten Heiler in der Stadt angewiesen seine Leiche zu überprüfen. Ich hoffe.. nein ich bete zu allen alten und neuen Göttern, das es nur Zufall ist. Am Ende... er war alt.“
Alt. Und eine Stimme der Vernunft, so verschlagen er sein konnte, dachte Wys bei sich. Sie waren nicht immer einer Meinung gewesen aber wenn es jemanden gab, der die Reformen, die er so lange angestrebt hatte wirklich vorangebracht hatte, dann der Händlerkönig.
,, Wie ist er gestorben ?“
,, Er erschien eines Morgens nicht mehr zur Versammlung der Archonten im Turm und als man ihn fand... man könnte meinen er sei im Schlaf gestorben, Zyle. Ich habe dann persönlich veranlasst, das man ihn bei seiner Familie beisetzt. Den Friedhof der Verlorenen gibt es nicht mehr.“
,, Das ist wenigstens eine gute Nachricht.“ , bemerkte Relina, die unbemerkt zu ihnen zurückgekehrt war. Wys hatte sich mit der Frau seines Bruders nie wirklich anfreunden können. Dennoch hatte er eine Art stummer Bewunderung für sie übrig. Diese ganze Insel war eine Wildnis ohne jede Zivilisation gewesen, als sie hier angekommen war. Aber immerhin, was hätte er von Samiels Tochter auch anderes erwartet ? Es war schwer gewesen, die Puzzlestücke nach seinem Tod zusammenzusetzen, aber der alte Archont hatte einige Aufzeichnungen hinterlassen. Nichts, das direkt auf ihr Überleben hinwies... aber doch genug, das Wys sich den Rest denken konnte. Welche Laune der Natur dahinter stecken mochte, das eine Gejarn als Magierin geboren wurde, konnte er sich nach wie vor nicht erklären... und welches boshafte Schicksal sie dann zur Tochter des Mannes machte, der die Magierverfolgungen in seiner Jugend erst auf die Spitze getrieben hatte...
,, Ist alles bereit ?“ , wollte Naria wissen. Wys konnte nicht umhin festzustellen, das sie ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten wirkte. Nur sehr viel ruhiger , gefasster als diese. Darin wiederum schien sie mehr Zyle ähnlich, die stoische Ruhe eines Kriegers, der die Schule von Helike durchlaufen hatte. Und im Laufe der Prüfungen bis zum Schwertmeister aufgestiegen war. Wäre sie in Helike geboren, vielleicht unter anderen Umständen, vermutlich hätte sie den gleichen Weg wie ihr Vater eingeschlagen. Vielleicht wäre sogar er es gewesen, der ihre Ausbildung übernommen hätte. So jedoch hatte das Schicksal sie zu Fremden gemacht, dachte Wys. Einer Fremden, die er so sehr trauen musste, wie seinem eigenen Bruder.
,, Wir können aufbrechen.“ , erklärte er und wendete sich ein letztes mal Relina und Zyle zu. ,, Ich weiß wie schwer euch das fällt...“
,,Bringt sie mir nur sicher zurück, Archont.“ Die Magierin hielt den Kopf gesenkt, während sie sprach.
Wys nickte, dann jedoch wendete er sich rasch ab und nahm die Laufplanke zum Deck der Galeere, die nach wie vor im Hafen vor Anker lag. Ein gebellter Befehl genügte und die eben noch an der Reling versammelte Mannschaft geriet in Bewegung. Ruderer hasteten unter Deck, Messer kappten Taue und das Schiff wurde mit Stangen von der Hafenkante weggestoßen.
Naria folgte Wys auf dem Fuß und sah sich neugierig an Bord um. Die Galeere war nicht sehr groß im vergleich zu den Schiffen der kaiserlichen Marine, die sie kannte geradezu winzig, war aber um einiges schneller und wo andere Segler auf Grund liefen, konnten die wendigen Schiffe aus Helike nach wie vor bequem manövrieren.
Was ihr jedoch vor allem auffiel war, das es keinerlei Geschütze an Bord gab. Auch ein kleines Schiff wie dieses hätte wohl ohne Probleme eine Batterie Kanonen an Bord nehmen können, doch fand sie nichts, das an eine Feuerwaffe erinnerte. Selbst die Männer an Bord waren wenn mit Bögen oder einer Armbrust bewaffnet.
,,Laos Gesetze verbieten Schwarzpulver.“ Erklärte Wys beiläufig, dem ihr fragender Blick wohl aufgefallen war. ,, Zwar ist es nicht verpflichtend, aber kein Krieger Helikes würde offen zugeben, je eine Pistole oder ein Gewehr in der Hand gehalten zu haben.“
Ein seltsames Gesetz, dachte Naria bei sich. Während der Archont weiter Anweisungen erteilte und um sie herum Matrosen und Männer in schweren Rüstungen hin und her eilten, trat sie an die Reling und sah zu, wie der Hafen von Maras langsam verschwand.
Ihre Eltern standen nach wie vor am Dock und verschwanden nicht, ehe sie vom Nebel verschluckt wurden. Die ganze Insel wirkte heute Morgen wie ein Phantom. Weiße Schleier bedeckten das Land bis hin zu den Berggipfeln im Zentrum , die wie graue Zähne aus dem Dunst ragten. Das würde für eine Weile vielleicht das letzte sein, was sie von ihrer Heimat sah, dachte Naria. Sie war immer viel gereist und doch fühlte sie jetzt zum ersten mal eine Beklommenheit, die sie nicht ganz in Worte fassen konnte. In Helike wäre sie völlig auf sich Gestellt, sah man von Wys einmal ab... Und ihr Onkel war für sie ein Fremder über den sie nur wusste, was ihr Vater ihr erzählt hatte. Und ihre Mutter. In wie weit sie ihm trauen konnte würde sich ebenfalls erst noch zeigen müssen.
Mit unbewegter Mine sah sie zu, wie die letzten Konturen von Maras im Nebel versanken. Sobald sie etwas Abstand zwischen sich und die Insel gebracht hatten, frischte der Wind auf und sorgte wieder für klare Sicht. Zwar war das Wasser unruhig und warf die Galeere und ihre Begleitschiffe, die sich ihnen wieder anschlossen sobald sie den Hafen verließen, hin und her, doch sie hatte bereits deutlich schlimmeres erlebt. Bald hatte Naria sich an das ständige schwanken unter ihren Füßen gewöhnt, als hätte sie die Immerwind nie verlassen. Ob Hedan wohl noch auf Maras wäre, wenn sie zurückkam ? Vielleicht hätte sie sich auch von dem mürrischen Kapitän verabschieden sollen, wer wusste schon wann sie sich das nächste mal wiedersahen ? Und vielleicht hätte er sich auch nach den anderen erkundigen können, nach Armell, Galren, Elin... Immerhin waren die drei zumindest sicher.
Am Abend des siebten Tages ihrer Reise schließlich konnte sie zum ersten mal wieder etwas anderes sehen, als graues Wasser. Die Küste konnte nicht mehr weit sein, den der warme Wind, der ihnen entgegenkam brachte Sand und den Geruch von etwas mit sich, an das Naria sich kaum erinnern konnte. Oder vielleicht glaubte sie auch nur, sich daran zu erinnern. Und irgendwo am dunkler werdenden Horizont glommen Hunderte von Lichtern in einer lang gezogenen Kette. Das musste eine Siedlung sein, dachte Naria auch wenn sie sich fragte, welche. Für eine richtige Stadt war sie zu klein und zu groß für eines der Fischerdörfer, die sich wohl zu Dutzenden entlang der Küste fanden.
,, Kalenchor.“ , meinte Wys neben ihr und deutete auf die Lichter ,, Dieser Außenposten markiert die äußere Grenze des Canton-Imperiums. Wir werden uns ihm allerdings nicht nähern... ich will nicht erklären müssen, was eines unserer Schiffe in kaiserlichen Gewässern zu suchen hat. Jetzt kann es nicht mehr weit sein. Vielleicht noch einen Tag die Küste entlang und wir erreichen Helike.“
,, Wie ist es dort eigentlich ? In Helike meine ich ?“
,, Sie ist wunderschön. Die innere Stadt im Zentrum liegt auf einem Hügel und wenn man einmal oben ist kann man fast das ganze Umland und die unteren Bezirke überblicke, bis weit in die Wüste hinein. Und wenn die Sonne erst untergeht... Das ganze Land scheint in hundert Farben zu brennen, Naria. Aber das werdet ihr bald selber sehen.“
Aus Wys orten sprach so viel Begeisterung... Naria konnte nicht anders als zu Lächeln. Es war beinahe ansteckend, wenn man hörte, wie er von seiner Heimat sprach. Eine Verbundenheit mit dieser Stadt... die sie so noch nicht erlebt hatte. Oder vielleicht doch. Bei ihrer Mutter, wenn sie von Maras erzählte und dem was sie dort erreicht hatten. Vielleicht waren sie und ihr Onkel am Ende gar nicht so verschieden. Selbst ihre Standpunkte waren eigentlich gar nicht so Gegensätzlich...
Als Jiy die Augen aufschlug war es um sie herum dunkel. Sie zitterte, während sie darauf wartete, das sich ihre Augen an die Finsternis gewöhnten. Zwar konnte die Gejarn um einiges besser sehen als ein Mensch, aber auch sie brauchte einen Moment um ihre Umgebung zu erkennen. Schwaches Mondlicht fiel durch die geöffneten Fenster von denen auch die Kälte im Raum herrührte. Gebäude der Stadt draußen schimmerten . Die silbrige Sichel, die scheinbar regungslos am Himmel hing war halb hinter Wolken verborgen.
Mit einer Hand raffte Jiy die Decke, die ihr von den Schultern gerutscht war wieder um sich. Der Marmor aus dem die Paläste der fliegenden Stadt bestanden, hielt keine Wärme und auch jetzt im Sommer konnte die Luft hier oben empfindlich abkühlen. So ganz anders, als Holz und Laub aus dem die Hütten in den Wäldern und Siedlungen bestanden, die ihre eigentliche Heimat gewesen waren.
Bei den Clans und auch in ihrem Heimatort hatte es keine großen Hallen oder Paläste gegeben. Wohl schon alleine, weil die meisten nomadisch lebten und selbst jene, die es nicht taten, hatten wenig Verwendung gehabt für Prunk. Die kleine Sielungen und Ortschaften waren mehr damit beschäftigt gewesen, ihr Überleben sicher zu stellen, Vorräte für die kalten Tage und schlechte Jahre anzulegen...
Wenn sie ehrlich zu sich war, hatte sie sich nie ganz an ihr Leben hier gewöhnt.
Die Räume im Palast waren zu groß um wirklich gemütlich zu sein. Prächtig ja, aber ihnen fehlte die schlichte Behaglichkeit eines echten Heims, dachte sie. Darüber konnte sie leider nichts hinwegtäuschen. Oder jedenfalls fast nichts. Selbst das Bett in dem sie lag kam ihr leer vor. Und tatsächlich war neben ihr niemand mehr. Die Seite auf der Kellvian gelegen hatte war verlassen. Mit einem Seufzen streckte sie eine Hand nach den Kissen aus, die noch warm von ihm waren.
Wenn es einen Mann gab, der sie all das vergessen lassen konnte, dann war er das. Sie hatte sich immer aus freien Stücken für ihn entschieden, wenn man bei so etwas denn von freiem Willen reden konnte... und würde jemand Jiy für die Wahl stellen, sie würde nichts ändern. Und warum denkst du dann so sehr darüber nach ? , fragte sie sich selbst. Weil neben ihrem Mann noch jemand in diesen Hallen fehlte, der ihr mehr als alles andere bedeutete.
Am Ende war sie noch nicht bereit, Kellvian einfach so ganz zu verzeihen... aber es fiel ihm auch nicht leichter, den Jungen loszuschicken, wie ihr und er machte sich nicht weniger Sorgen. Sein erneutes Fehlen sprach Bände darüber.
Jiy sah sich im Raum um und entdeckte ihn schließlich auf einem Stuhl am anderen Ende des Raumes sitzend. Direkt neben einem der Fenster war seine Gestalt kaum mehr als ein Schatten neben der silbrigen Bahn aus Mondlicht zu seinen Füßen. Kellvian trug lediglich ein schlichtes Nachthemd und sah hinab auf die glitzernde Stadt und die Palastanlagen. Vielleicht hing er genau den gleichen Gedanken wie sie nach. Es gab so viele Dinge, die hätten anders laufen können, die sich ihnen in den Weg gestellt hatten... und doch irgendwie hatten sie alles gemeistert, nicht ?
Jiy stand geräuschlos auf und zog die Decke dabei mit sich, während sie hinter ihn trat.
,,Woran denkst du grade ?“ Sie legte ihm die Hände auf die Schultern und lies sie über verkrampfte Muskeln und Narben wandern, die sie alle nur zu gut kannte. Nach den Jahren war ihr Kellvians Körper so vertraut wie ihr eigener, seine Gedanken manchmal wirklich die ihren. Und dann wieder gab es Momente, in denen sie glaubte es mit einem Fremden zu tun zu haben, wie in dem Moment in dem er Janis hatte ziehen lassen. Das war der Teil von ihm, der voll und ganz der Kaiser war, der egal wie schwer es ihm fiel, über Gefühle und persönliche Vorlieben hinwegsah um seine Ziele zu erreichen. Aber auch das war nur mit ein Grund aus dem sie ihn liebte. Diese absoluten Gegensätze... und doch fragte sie sich, wie dieser Mann wohl wäre, ohne jene kühle Menschlichkeit, die er sich in jeder Situation zu bewahren schien.
,, Zu viele Dinge, schätze ich.“ , erwiderte er Träge, entspannte sich jedoch sichtlich unter ihrer Berührung. ,, Aber bevor ich weder von Galren noch Janis Nachricht bekomme, kann ich nur abwarten.“
,, Und das hasst du.“ , stellte Jiy fest und ließ sich auf seinen Schoß gleiten. Seine Hände wanderten zu ihren Hüften um sie zu stützen und ihr Schweif legte sich um seine Hüften.,, Abwarten. Und nichts tun.“
,, Ich glaube nur ich sollte selber da draußen sein, Jiy. Nicht nur Syle und Janis. Wenigstens wird der Bär ein Auge auf ihn haben... „ Er seufzte. ,,Ich habe auch kein gutes Gefühl, sie so ziehen zu lassen.“
,, Ich weiß.“ Sie beugte sich vor und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn, knapp unterhalb des ergrauenden Haaransatzes. ,, Und ich verstehe es. Warum du glaubst wir müssen ihn ziehen lassen...“ Sie ergriff seine Hand, führte sie höher, zu ihren Brüsten. ,, Aber vielleicht weiß ich etwas, das dich auf andere Gedanken bringt“
,, Ach und was könnte das sein ?“ Er stahl erneut einen Kuss von ihr und seine Hände ertasteten die kleine Narbe über ihrer linken Brust. Eine Erinnerung daran, das auch sie ihre Opfer gebracht hatte, ein Makel, den er jedoch so sehr wie alles andere an ihr liebte.
,,Komm ins Bett.“ , flüsterte Jiy ihm ins Ohr. Sie würde Kellvian nie eigene Kinder schenken können. etwas, das sie Beide vor langer Zeit akzeptiert hatten. Janis würde immer das bleiben, was für sie einem Kind am nächsten kam. Und doch waren es Momente wie diese wo Jiy sich wieder danach sehnte.
Das Land um sie herum schien sich je nach Stand der Sonne einmal golden, violett und dann wieder in leuchtendes Feuerrot zu färben. Wogendes Gras so hoch, das Janis selbst vom Pferd aus kaum
darüber hinwegblicken konnte umschloss sie auf allen Seiten. Wäre die Händlerstraße jicht gewesen, die das Land wie eine Wunde durchschnitt, es hätte wohl Wochen gedauert um sich durch diese Wildnis zu kämpfen. Nur hier und dort hatte sich mal ein Baum gegen das gelbbraune Dickicht behauptet und stand wie ein Mahnmal auf einem der kleinen Hügel, welche die Landschaft in alle Richtungen durchzogen und wie ein erstarrtes Meer wirkten ließen. In jede Himmelsrichtung bot sich ihnen das gleiche Bild, seit sie die Keel überquert hatten. Endloses wogendes Gras und verstreute Bäume. Es war unmöglich sich an etwas anderem als dem Stand der Sonne zu orientieren , ansonsten hätte man Janis Einschätzung nach wohl endlos durch die Graslande irren können, ohne irgendwo anzukommen... Und doch war dieses Land so Eintönig es wirkte keineswegs verlassen.
Tausende von Insekten tanzten in der Abenddämmerung über den wogenden Halmen und kleinere und größere Tiere, die Janis jedoch nur ein paar mal zu Gesicht bekommen hatte, raschelten durch sie hindurch.
Einmal war eines davon direkt vor ihnen auf die Straße gesprungen, ein Tier, das er zuerst für ein Pferd gehalten hätte, wäre es nicht von einer völlig irren Farbe gewesen. Weiß und Schwarz, doch nicht gescheckt, wie bei seinem eigenen Reittier sondern mit sauber abgetrennten Streifen... Ein Wesen, das eher der Fantasie eines Malers, als der Realität zu entspringen schien. Als er Syle danach fragte, hatte der Bär nur mit den Schultern gezuckt und gemeint, vielleicht hätte sich jemand einen Scherz erlaubt.
,,Hier draußen ist doch gar niemand.“ , erwiderte Janis darauf. Vor allen könnte er sich nicht vorstellen, wieso jemand seine Zeit damit verschwenden sollte, ein Pferd anzumalen. Oder ,das dass Tier sich so etwas bereitwillig gefallen ließ.
,, Da wäre ich mir nicht so sicher.“ , erwiderte Syle und ließ sein eigenes Tier etwas langsamer gehen, während Janis zu ihm Aufschloss. ,, Das Land hier ist recht leer, aber ich weiß von mindestens drei Clans, die hier leben. Und vergiss nicht wo wir sind. Die Handelsstraßen verbinden Erindal mit den Herzlanden. Und darüber hinaus. Die meisten Reisenden und Handelskarawanen neben eben jenen Weg auf dem wir uns befinden. Während des Kriegs war dieses Gebiet mehr als einmal umkämpft von verschiedenen Seiten. Und es hat sich seit dem auch nie wieder wirklich beruhigt fürchte ich...“
,, Wir sind in Gefahr ?“ Janis sah sich beunruhigt um. Plötzlich hatte das hohe Gras etwas beunruhigendes. Man konnte hier draußen unmöglich erkennen, ob sich jemand näherte und das stetige Rascheln im gras konnte sowohl von einer Maus als auch einem ausgewachsenen Menschen stammen...
,, Ich glaube nicht.“ , erwiderte der Bär. ,, Banditen hätten es eher auf ein lohnendes Ziel abgesehen, wir sind nur zu Zweit, haben keine Waren und sind noch dazu bewaffnet. Und ich denke jetzt verstehst du auch warum ich gesagt habe, du sollst dir etwas... unauffälligere Kleidung zulegen.“
Janis gab nur ein Missfälliges grummeln von sich. Es stimmte, kurz nachdem sie die fliegende Stadt verlassen hatten, war Syle eines Tages einfach mit einem ganzen Stapel Lumpen zurück gekommen, die er einem vorbeifahrenden Händler abgekauft hatte und hatte Janis befohlen , seine Kleidung zu wechseln. Mittlerweile trug er einen schmucklosen braunen Umhang und darunter ein simples Leinenhemd, Schnürhosen und Stiefel, die zwar hielten aber durchaus schon bessere Tage gesehen hatten. Das einzige, was er von seinen alten Sachen behalten hatte, waren der Rapier und eine Pistole, deren Griff aus einer der Satteltaschen hing.
Der Bär wiederum trug notdürftig einen Mantel, der anderen Leuten wohl eher als Zelt gedient hätte und weil es ohnehin schwer war für ihn passende Kleider zu finden, nach wie vor die Uniform der kaiserlichen Garde auch wenn er sämtliche Ziernähte und Rangabzeichen davon entfernt hatte, sah man von dem Bajonett an seinem Gürtel einmal ab, auf dem deutlich das Wappen des Kaiserhauses prangte. Über seiner Schulter hing der Gurt einer Muskete, sowie ein weiterer, an dem sich etwa ein halbes duzend zeigefingergroßer Phiolen befanden. Jede einzelne war sorgfältig in mehrere Lagen Stoff eingeschlagen worden , damit sie gegen Stöße geschützt war und der Korken war mit mehreren Schichten Wachs in verschiedenen Farben versiegelt worden. Wohl um sicherzugehen, das wirklich jede einzelne davon dicht war.
,, Und das ist wirklich der einzige Grund, aus dem wir alles zurücklassen mussten ? Ich durfte die Sachen nicht mal mitnehmen...“
,, Dann kommst du erst gar nicht in Versuchung sie wieder zu tragen, Junge. Ich will ehrlich sein, wenn wir so herumlaufen würden, könnten wir uns auch gleich beide das kaiserliche Wappen auf die Stirn malen. Das wäre vermutlich unauffälliger. Wir wollen wenn möglich etwas herausfinden... und wenn jemand etwas zu verbergen hat, wird er es kaum jemanden erzählen, der wie ein kaiserlicher Gesandter gekleidet ist. Noch mehr wenn sich herumspricht, das der Kaiser seinen Sohn und den Hochgeneral ausgeschickt hat. Wenn wir unsere Nachforschungen anstellen , ist es das wichtigste, dabei unerkannt zu bleiben.“
Das leuchtete Janis zwar ein, besserte seine Laune jedoch trotzdem nicht. Er hatte gedacht, sich hier draußen beweisen zu können... jetzt sah es so aus, als würden sie sich auch noch Verstecken müssen. Die Aussicht gefiel ihm nicht. ,, Ihr habt mir noch immer nicht verraten, zu wem wir eigentlich wollen. Euer Freund lebt doch nicht etwa irgendwo hier...“
Er sah erneut über die mit goldenem gras bestandene Ebene. Bisher hatte er nicht einmal die Spur einer Siedlung entdeckt, geschweige denn irgendetwas, das auf andere Menschen hinwies. Selbst die Radspuren auf der staubigen Pflastersteinstraße wirkten alt, doch in der warmen Witterung und ohne Regen ließ sich das schwer sagen.
Syle lachte. ,, Nein, tut er auch nicht. Er hat ein kleines Anwesen in der Nähe von Risara. Sein Name ist Lucien. Er mag nicht grade der umgänglichste Mensch sein, wenn man ihn kennen lernt, aber glaub mir, man gewöhnt sich an ihn. Und wenn es jemanden gibt, der es versteht, sich Informationen zu verschaffen, dann er. Auch wenn man das nicht glauben mag, aber er war mal einer der höchstrangigen kaiserlichen Agenten. Und nun... einmal kaiserlicher Agent...“
,, Immer kaiserlicher Agent ?“ , fragte Janis und überlegte, was für eine Art Mann, sie da eigentlich treffen sollten.
,, Ich habe jedenfalls vor Lucien noch von keinem gehört, der seine Arbeit ganz aufgeben würde.“
Der Tag verlief so ruhig wie die davor. Gegen Abend schlugen die beiden Reisenden ihr Lager unter einem der wenigen Bäume auf, der auf der Spitze eines kleinen Hügels wuchs. Syle schlug einen kleinen Pfad durch das Dickicht, bis sie den höchsten Punkt erreicht hatten.
Die Händlerstraße verlief direkt zu Füßen der kleinen Anhöhe und er stellte zufrieden fest, das sie von hier oben bis weit ins Grasland hinein sehen konnten. Er war Janis gegenüber nicht ganz ehrlich gewesen. Zwar bezweifelte er wirklich, das man es auf sie abgesehen hatte... aber dieser Teil des Imperiums war ein wildes Land und wenn sich doch jemand näherte, wäre er gerne vorgewarnt.
Erschöpft überließ er es dem Jungen sich um das Abendessen zu kümmern, während er sich vor dem Feuer niederließ und begann, das Gewehr zu zerlegen. Zwar hatte er die Waffe bisher nur zweimal gebraucht und dann auch nur, als sie Jagd auf etwas Wild gemacht hatten um ihre Vorräte aufzufrischen, aber was einem einmal beigebracht wurde, ließ sich nur schwer wieder abgewöhnen.
Lange bevor er zum Hochgeneral geworden war, hatte er als einfacher Fußsoldat gedient und nachdem man ihn in die Leibwache des damaligen Kaisers, Konstantin Belfare , Kellvians Vater , berufen hatte, war der Drill nur härter geworden. Und dennoch gab es eine Grundregel, die überall gleich blieb, vom höchsten Offizier, bis zum einfachen Feldboten der Garde, dem man nicht einmal eine Waffe anvertrauen wollte... Ein Kämpfer, der nicht auf seine Waffen acht gab, war ein toter Mann. Jeder einzelne Soldat der Garde war selber dafür verantwortlich die Ausrüstung die man ihm gab auch Funktionsfähig zu halten.
Janis hatte sich unterdessen daran gemacht, die Pferde abzusatteln. Die Mühe, sie irgend wo anzuleinen, machte sich keiner von ihnen. Die Tiere fürchteten sich vor dem hohen Gras und weideten meist am Rand der Straße und würden so nicht weit kommen. Mit einigen Handgriffen förderte Janis etwas Geschirr aus den Satteltaschen hervor und setzte Wasser über dem Feuer auf.
Trotz des mürrischen Ausdrucks, den er dabei aufgesetzt hatte, entging Syle das schwache Lächeln auf seinem Gesicht nicht , das jedes mal dann aufblitzte, wenn er sich unbeobachtet glaubte. So wenig der Junge es zugeben wollte, dachte der Bär, ihm gefiel das hier doch irgendwie, auch wenn es nicht das große Abenteuer werden würde, das Janis sich vielleicht erhoffte. Dafür würde er schon Sorge tragen. Wenn möglich würde das hier laufen wie eine ganz normale Spähmission der Garde. Herumsitzen, abwarten, zuhören. Und die Waffen würden hoffentlich Schweigen, bis sie sich wieder auf den Rückweg zur fliegenden Stadt machten. Syle mochte Janis aber wenn es etwas gab, das er dringend lernen musste, dann waren das Rücksicht... und Geduld. Hoffentlich würden die nächsten Tage ihm eine Lektion darin sein. Und grade Lucien... Syle grinst ein sich hinein. Oh ja es gab genug andere kaiserliche Agenten, die er um Hilfe fragen könnte. Aber Lucien war eine besondere Art Mensch, die Art, die eine Wandelnde Geduldsprobe darstellten.
Er sah zum klaren Himmel empor, der sich bereits samtschwarz färbte. Am Horizont glomm die Sonne als grell orange Streifen, als würde die Welt jenseits der Steppe in Flammen stehen.
Mit Regen würden sie hier draußen wohl so bald nicht zu rechnen haben. Das ersparte ihnen wenigstens, das Zelt aufzubauen.
Syle legte das wieder zusammengesetzte Gewehr mit einem seufzen beiseite und machte sich daran, Janis beim zubereiten des Abendessens zu helfen. Sie hatten noch einige grobe Streifen Wild übrig, das er in den Wäldern jenseits des Grenzflusses erlegt hatte. Zwar war das Fleisch mittlerweile zäh und ledrig, nachdem sie es getrocknet hatten, aber um eine Schüssel Eintopf etwas weniger fad zu machen eignete es sich immer noch. Mit dem Messer Schnitt er rasch einige Streifen davon ab und gab sie ins Wasser, während Janis begann , Kartoffeln zu schälen.
Ihre Vorräte waren in den letzten Tagen bestätig karger geworden, besonders, nachdem sie sich von Galren, Armell und Elin getrennt hatten, sobald sie den Fluss hinter sich hatten. Die drei hatten ihren Teil der Vorräte mitgenommen, als sie gingen. Das rote Tal lag unterhalb Erindals, während er und Janis sich weiter nach Nordosten aufmachen würden, bis hinauf zu den Weinbergen Risaras.
Stumm nahmen sie ihr Abendessen zu sich , während der Himmel über ihnen endgültig schwarz wurde und nur das flackern des Lagerfeuers noch einen kleinen Lichtkreis um sie herum bildete.
Die gesamte Ebene versank dagegen ebenfalls in Finsternis, sah man vom gelegentlichen Aufblitzen eines Glühwürmchens ab. Wäre sonst noch jemand in der Nähe, so hätten sie ihn spätestens jetzt bemerkt, dachte Syle beruhigt. Nachts hier draußen kein Feuer zu machen wäre närrisch, auch für eine Gruppe Banditen. Nicht nur, das es empfindlich kühl werden konnte... sie waren auch bei weitem nicht die einzigen Gefahren hier draußen. Syle konnte das Gras draußen in der Dunkelheit rascheln hören. Und was wichtiger war, er konnte riechen, was sich dort draußen bewegte. Manche Wesen dort draußen waren winzig. Mäuse. Ratten, ein Feldhamster... andere jedoch... andere rochen nach Tod. Doch zwei wie bewaffneten Reisenden würde sie sich genau so wenig nähern, wie die Räuber . Nicht, solange das Licht brannte...
Am nächsten Morgen brachen sie bereits früh wieder auf. Es versprach kein besonders aufregender Tag zu werden. Erneut erstreckten sich so weit Janis sehen konnte nur Gras und Hügel über denen sich der blaue Himmel auftat. Lediglich einzelne weiße Wolkenfetzen trieben über ihnen dahin, die keinen Schatten spendeten. Doch während die Stunden dahinzogen, begann die Ebene sich zum
ersten mal zu verändern. Das Gras blieb genau das selbe und auch die vereinzelten Bäume wurden nicht dichter, aber das Land wurde steiler. Statt sanfter Hügel schlängelte sich die Händlerstraße nun zwischen großen Schutthalden dahin, die aus grobem Geröll bestanden und den Pferdehufen kaum Halt boten. Zwischen den Felsen wuchs das Gras nur spärlich und gaben diesen Gebilden aus der ferne beinahe den Eindruck etwas künstliches zu sein.
Doch das schien es nicht zu sein, das Syle zunehmend beunruhigte. Der Bär ritt ihm ein Stück voraus und sah immer wieder misstrauisch hinauf zu den steilen Hängen, als erwarte er, das sich ein Erdrutsch löste. Aber so lose die Steine auch wirkten, bisher war nichts das geringste passiert. Und Syle war nicht der Typ Mann, der sich unnötig Sorgen würde. Und wenn sie sich weiter jede Erhebung erst lang und breit ansahen, bevor sie daran vorbei ritten, wären sie in ein paar Wochen noch hier draußen.
Janis schloss zu ihm auf und stellte ihn zur Reden. ,, Was ist los ? So wie ihr die Berge anseht, könnte man meinen die Geister euer Ahnen verstecken sich darin...“
,, Wenn will ich mich noch nicht zu ihnen gesellen.“ , erwiderte Syle düster. ,, Und unsere Ahnen sammeln sich an den Geisterbäumen, Junge. Nur die Menschen meinen, ihre Toten und ihre Götter einsperren zu müssen.“
Es war seltsam, den Bär einmal so sprechen zu hören. Sicher, er war ein Gejarn aber in all den Jahren die Janis ihn kannte, hatte er nie viel über sein Volk gesprochen. Allgemein war Syle eher verschlossen, was das Thema anging, so weit, das die meisten ihn ohnehin längst eher wie einen Menschen behandelten. Ein haariges, mürrisches, bösartiges Exemplar von einem Menschen freilich,
dachte Janis und war nur froh darüber, das Syle diese Gedanken niemals erfahren würde.
,, Also was beunruhigt euch ?“ , fragte er schmunzelnd. Eigentlich mochte er den Hochgeneral. Wenn es jemanden gab, der in den letzten Jahren so etwas wie sein Mentor gewesen war, dann er.. dennoch manchmal verstand er ihn einfach nicht.
,, Ich rieche etwas.“ , erklärte der Bär ruhig und zügelte die Schritte des Pferds etwas. ,, Und ich überlege schon die ganze Zeit , was damit nicht stimmt. Fällt es dir auch auf ?“
Janis zuckte mit den Schultern und sog prüfend die Luft ein. ,, Meine Nase ist nicht so gut wie deine. Ich rieche nur trockenes Gras, Staub... Harz... Fichtennadeln...“
,, Eben. Sag mir Janis, siehst du hier irgendwelche Tannen ? Und die Bäume hier draußen sondern kaum Harz ab, ich habe den unter dem wir gelagert haben letzte Nacht angeritzt.“
,,Ihr meint...“
,, Es gibt wenige Dinge, die den Geruch eines Menschen völlig verdecken können. Tannenpech zum Beispiel.“ Janis nickte. Tannenpech bestand aus dem eingekochten Saft und dem Harz einiger Baumarten, die im Norden des Landes wuchsen. Neben der Tatsache, das es einfach überall kleben blieb, roch bereits ein Fingerhut voll von dem Zeug, als befände man sich mitten im Wald. Auch wenn man gegen den Wind stand. Bereits ein keiner Topf davon reichte um es einem Gejarn unmöglich zu machen, einen zu wittern. Das hieß wenn man es nicht grade mitten in der Steppe verwendete, wo der Geruch nach Tannenholz und Nadeln noch auffälliger war, als der eines menschlichen Körpers.
,, Warum hast du nichts gesagt ? Jemand verfolgt uns hier draußen und du hast gewartet, bis ich selbst darauf komme ?“
Syle nickte. ,, Und es ist dir aufgefallen. Auch wenn du ein wenig Hilfe gebraucht hast.“ Der alte Bär klang tatsächlich einmal fast Stolz und Janis konnte nicht anders, als darüber zu grinsen. ,, Wer immer diese Kerle sind, sie haben genug Tannepech aufgetragen das selbst du sie bemerkst. Sie warten bestimmt irgendwo da vorne.“ Der Gejarn deutete auf die Stelle wo die Straße im Schatten eines weiteren Geröllhügels verschwand und einen kleinen Bogen um die Anhöhe herum beschrieb.,, Perfekt für einen Hinterhalt. Aber das sie es auf uns abgesehen haben würde bedeuten, das sie entweder gezielt nach uns suchen...“
,, Und so stümperhaft würde sich eine Bande Meuchelmörder, die ihr Geld wert ist nicht anstellen...“
Syle nickte. ,, Oder sie sind ziemlich verzweifelt, das sie sich mit zwei mageren noch dazu bewaffneten Reisenden anlegen wollen. Es kann auch keine besonders große Gruppe sein. Ich habe letzte Nacht keine Feuer gesehen... Trotzdem wir werden uns mit ihnen anlegen müssen. Oder wir lassen die Pferde zurück und schlagen uns durchs Gras.“
Janis schüttelte entschieden den Kopf. Wegen einer Gruppe dilettantischer Wegelagerer würde er ganz sicher nicht zu Fuß gehen.
,, Dann scheuchen wir sie eben auf.“ , erklärte er und gab dem Tier unter sich die Sporen. Mit der anderen Hand griff er bereits nach dem Pistolengriff . Sobald er die Waffe in der Hand hatte, preschte das Pferd auch schon vor, bevor Syle noch etwas dagegen unternehmen konnte.
,, Warte, du Narr...“ Einen Moment versuchte der Bär noch, nach Janis Zügeln zu greifen, dann war diese Chance jedoch ebenfalls vertan und er konnte nur zusehen, wie er um die Kurve verschwand. Stumm verfluchte er die Rücksichtslosigkeit des jungen Mannes, dann folgte er ihm trotz besseren Wissens. Mittlerweile konnte er ihre Gegner deutlicher wittern.
,, Drei auf der linken Seite.“ , rief er Janis zu, während er bereits die Muskete hochriss und nach rechts zielte. Auf der Anhöhe dort mussten sich mindestens zwei weitere Männer befinden. Völlig überrascht, tauchten ihre Köpfe unter Geröll und zwischen dem Gras auf und bevor sie sich noch wieder sammeln konnten, hallte der erste Schuss zwischen den Hügeln wieder. Die Kugel traf einen der Banditen in den Kopf, während der Rest noch auf die Füße stolperte. Gekleidet waren sie in zerrissene Westen, die nicht mehr erkennen ließen, welche Farbe sie ursprünglich einmal gehabt haben mochten. Ihre Haut war von der Sonne so verbrannt, das sie fast wie die Hummer aussahen, die man an den nördlichen Küsten fing und kochte. Wer immer diese Leute waren, sie stammten definitiv nicht von hier und so heruntergekommen wie sie wirkten konnten sie mit ihren Überfallen bisher kaum Erfolg gehabt haben.
Janis tat es Syle derweil gleich und feuerte mit der Pistole auf den ersten der drei, der ihm zu Nahe kam. Ohne langsamer zu werden, ritt er am Rest vorbei, warf die nutzlose Pistole weg und Griff zum Schwert.
Syle hatte derweil eine der kleinen Phiolen, die er mit sich trug gelöst und warf sie den Hang hinauf. Das Glas zerbarst, sobald es auf den Felsen auftraf und was daraus hervordrang war nicht etwas die wasserklare Flüssigkeit, die Janis schon zuvor gesehen hatte, sondern loderndes Feuer, das sofort auf das Gras übergriff und die verbliebenen Banditen dazu brachte, einen Moment zu zaudern.
Drachenfeuer...
Syle sprang inmitten des ganzen Chaos das er verursacht hatte vom Pferderücken und duckte sich unter der wenigen Deckung, die der Hang bot, an dem sie kämpften. Der Überlebende Bandit zur linken Seite des Wegs hatte sich mittlerweile vom Tod seines Gefährten erholt und hatte nun ebenfalls ein Gewehr aus dem Staub gezogen. Die Waffe war alt und verrostet, trotzdem schien sie ihre Aufgabe nach wie vor zu erfüllen. Syle hörte den Knall. Steinsplitter spritzten auf, als die Kugel weit von ihm entfernt gegen einen Felsen schlug.
Jetzt hatten sie beide keine Munition mehr, dachte Syle und sprang aus der Deckung. Mit wenigen Schritten hatte er die Felswand erklommen, während der Mann panisch zu fliehen versuchte.
Als er den Bär sah, der fast doppelt so groß war, wie er selbst, ließ er das Gewehr einfach fallen und gab Fersengeld. Syle jagte ihm noch ein Stück hinterher, bis er sichergehen konnte, das der Mann nicht wiederkommen würde, dann hastete er zurück zu Janis.
Dieser bekam es mittlerweile mit den letzten zwei verbliebenen Banditen zu tun. Den dritten hatte er mit der Pistole erledigt, doch die beiden schienen in ihm dafür jetzt eine leichte Beute zu sehen.
Wenn sie sich da nicht einmal geirrt hatten, dachte er. Das Schwert erhoben preschte er einfach mitten unter sie und trieb die Männer auseinander. Sein rster Hieb brachte den Mann zu seiner rechten ins Straucheln , der zweite riss ihm den Rücken auf, so das er mit dem Gesicht voran in den Staub fiel. Der letzte Überlebende schien seine Chance nun jedoch zu sehen und packte Janis um ihm vom Pferd zu zerren. Er kam nicht mehr dazu, sich zu verteidigen, bevor er das Gleichgewicht verlor.
Sowohl Janis als auch der Bandit stürzten sich überschlagend zu Boden .
Janis rollte sich sofort ab und hatte das Schwert bereits wieder fest in der Hand, als er auf die Füße kam. Der Rapier blitzte in der Sonne, während er auf den gefallenen Banditen zutrat.
Dieser rappelte sich mühsam wieder auf und das Schwert, das er zog, war genau so verrostet und zerfallen wie der Rest seiner Ausrüstung. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, sich mit der Waffe, die aus mehr Braun den Silber bestand auf ihn zu stürzen. Die Hiebe des Mannes waren grob und ungezielt und bei jedem Schwung entblößte er seinen kompletten Oberkörper. Janis hätte ihn schon nach der ersten Parade niederstrecken können. Wer immer dieser Kerl war, er hatte nicht die geringste Chance. Janis trieb ihn vor sich her und nahm dabei sogar noch eine Hand auf den Rücken. Das wenige das der Mann an tatsächlicher Technik besaß war so erbärmlich, das Janis sogar absichtlich auf seine Finten einging und trotzdem noch an Boden gewann. Das ganze war nur noch ein Spiel...
Schließlich hatte er jedoch genug. Janis parierte einen weiteren vorhersehbaren Schlag , dann schlug er dem Mann die Waffe aus der Hand und trieb ihm das Schwert zwischen die Rippen. Die Klinge trat ihm am Rücken wieder aus und Janis drehte den Griff in seiner Hand einmal, worauf der Bandit endgültig Tod zusammensank.
Bevor er jedoch noch Zeit hatte, sich über seinen Sieg zu freuen, wurde er auch schon an den Schultern gepackt und herumgewirbelt. Die Waffe fiel ihm aus der Hand und ehe er wusste, wie ihm geschah, starrte er mitten in die wütenden Augen von Syle...
,, Was sollte das ?! „ Die Stimme des Bären war wie ein Unwetter und grollte über die gesamte Ebene.
,, Es ist doch alles gut gegangen.“ , meinte er achselzuckend und versuchte sich aus dem Griff des Hochgenerals zu befreien. Die Krallen des Gejarn drückten sich Schmerzhaft in seine Schultern.
,, Das meine ich auch nicht. Aber ja, wären sie mehr gewesen, hätten sie geahnt das du kommst oder wären sie etwas disziplinierter gewesen, hätte das ganz anders ausgehen können, Janis. Du wärst tot gewesen, sobald du zwischen den Felsen hervorgekommen wärst... und ich mit dir. Alleine hätte ich es mit fünf Mann nicht aufnehmen können. Du hast unser Leben gefährdet, bevor du wirklich über die Situation nachgedacht hast, Kind !“ Syle wusste wenn es eine Sache gab, die Janis nicht leiden konnte, dann wenn man ihn als Kind bezeichnete. ,, Eines Tages wird sehr viel mehr als dein und mein Leben von deinen Entscheidungen abhängen... „ Er sah zu der Stelle, an der der letzte Bandit zusammengebrochen war. ,, Du hättest ihn auch auf der Stelle töten können... Ich habe alles gesehen.“
,, Wo wäre da der Spaß geblieben ?“
Syle erwiderte auf diese Antwort hin gar nichts mehr. Lediglich sein Blick änderte sich noch einmal, von rasender Wut zu wachsender Enttäuschung. Mit einem seufzen ließ er Janis los und wendete sich ab um die Pferde zurück zu holen. Dieser wiederum sah ihm nur ratlos nach. Hatte er etwas falsches gesagt ? Schließlich zuckte er nur mit den Schultern und machte sich daran, dem Bär zu helfen.
Janis atmete erleichtert auf, als sie endlich die letzten Stufen genommen hatten. Risara lag inmitten einer Senke am Meer und die Berge um die Stadt herum waren auf beiden Seiten zu großen Terrassen erweitert worden, auf denen sich neben endlosen Reihen aus Weinstöcken auch Teiche und kleine Felder mit Getreide und Olivenbäumen erstreckten. Dazwischen wiederum verliefen duzende von größeren oder kleineren Treppen und Rampen, die es den einzelnen Bauern ermöglichten, ihre Felder und Hütten zu erreichen. Oder eben auch einer Gruppe Reisender, die Terrassen zu überqueren.
Der Weg nach oben war eine einzige Tortur, selbst wenn Janis in der Lage gewesen wäre, die Sonne zu ignorieren, die vom strahlend blauen Himmel auf sie herabbrannte. In den Steppen war es bereits warm gewesen, aber wenigstens hatten sie da noch die Pferde gehabt, nun jedoch blieb ihnen nur, die Tiere zurückzulassen und den Weg zu Fuß fortzusetzen.
Risara selbst erstreckte sich unter ihnen als ein Gewirr aus größtenteils aus Holz erbauten Hütten und Häusern, die sich etwa in einem Halbkreis zwischen den Terrassen und der Küste anordneten.
Eine hohe Palisade aus dicken, angespitzten Pfosten umgab die gesamte Metropole. Überreste eines lange toten Waldes. Angeblich hatten die ersten Siedler hier sämtliche Bäume auf den umliegenden Hügel gefällt um Ackerland zu gewinnen und aus dem anfallenden Holz schließlich nach und nach ihre Stadt errichtet. Spätestens beim Anblick der Palisade war Janis mehr als geneigt, das auch zu Glauben.
An einem anderen Ort hätten diese verteidigungsanlagen fehl am Platz gewirkt, aber Risara musste wenn überhaupt nur einen Feind von der See her fürchten. Jeder, der den Versuch wagen sollte, ein Heer die Terrassen hinauf zu führen, würde auf die gleichen Schwierigkeiten stoßen wie Janis und Syle. Davon angesehen dass ihm dann zusätzlich noch Kanonensalven und Gewehrfeuer entgegenschlagen würden.
Im Hafen der Stadt ankerten mehr Schiffe, als er zu Zählen vermocht hätte. Die bunten Wimpel und Flaggen, die an dem Gewirr aus Masten ragten flatterten im Wind und weiter draußen auf See tauchten bereits weitere Rümpfe auf. Ein ständiges Kommen und Gehen von Händlern, Reisenden und Glücksrittern, das man so sonst nur in Lasante fand. Auch wenn die beiden Häfen fast eine Welt voneinander entfernt lagen, es verwunderte nicht, dass manche sie als Schwesterstädte bezeichneten. Selbst das Klima hier war ähnlich Obwohl die Berge, die das Land zu den endlosen Schneefeldern dahinter abgrenzten nur wenige Tagesreisen entfernt lagen.
Janis konnte die Schneebedeckten Gipfel in der Ferne sehen, während er den Hut, den er einem Farmer abgekauft hatte in die Stirn zurück, schob. Das Geflecht aus Stroh und Bast bot zumindest etwas Schutz vor der Sonne.
Die der Stadt zugewandte Seite der Terrassen unterschied sich in keiner Weise von der , die sie eben erklommen hatten. Kleine Gärten und Teiche bildeten die obersten Ränge und aus dutzenden tiefer Zisternen sprudelte Wasser die darunter liegenden Hänge hinab. Einige kleine Hütten verteilten sich zwischen üppigen Weinbergen und Feldern und weiter unten im Tal konnte Janis einige Karren ausmachen, die Getreide , Trauben und Menschen in die Stadt brachten.
Syle führte sie zielstrebig die Treppenstufen hinab. Scheinbar hatte der Bär genug davon die Aussicht zu bewundern und Janis blieb nur übrig, hinter ihm herzuhasten oder zurück zu bleiben.
Der Abstieg fiel immerhin etwas leichter als die Kletterei bis zum Scheitelpunkt von Risaras Bergen .
,,Also, wo lebt euer Freund eigentlich genau ?“ , wollte Janis wissen um wenigstens so etwas, wie eine Unterhaltung anzufangen. Seit dem Überfall in der Steppe hatte er kaum mehr ein Wort mit ihm gewechselt und wenn der Bär dann doch einmal etwas sagte, war es kurz angebunden und auf den Punkt. Jetzt jedoch lächelte er zum ersten mal wieder. Oder zumindest glaubte Janis, dass seine Mine nicht mehr ganz so düster war, wie noch am Morgen.
,, Da vorne.“ Syle deutete zwischen einer Olivenpflanzung hindurch, die sich etwa auf halbem Weg zum Talboden befand. Und ehe Janis sich versah. Von dort aus führte ihr Weg nicht mehr stetig Bergab, stattdessen begann der Bär einem ausgetretenen Pfad zu folgen, der zwischen den Olivenbäumen hindurch führte.
Die dicht belaubten Bäume boten zumindest etwas Schatten, für Janis eine willkommene Abwechslung von der ungewohnten Wärme. Schwarze Früchte wuchsen zwischen und an den Zweigen links und rechts des Wegs, trotzdem schien sich bisher noch kein Arbeiter hierher verirrt zu haben um mit der Ernte zu beginnen. Zwischen ein Bäumen schlängelte sich ein kleiner Bachlauf hindurch, der wohl ebenso wie die Bewässerungsgräben der Felder von den Teichen weiter oben gespeist wurde. Weg und Bach hatten in etwa die gleiche Richtung und langsam kam hinter den Bäumen etwas zum Vorschein. Als Syle gesagt hatte, sein Freund hätte ein kleines Anwesen bei Risara hatte Janis mit etwas größerem Gerechnet, doch das Haus, das schließlich am Rand des Olivenhains auftauchte war kaum groß genug um als solches zu gelten. Trotzdem, dachte er, wirkte es nicht ungemütlich. Rote Schindeln bedeckten das zu einer Seite hin abgeflachtes Dach.
Gelber Sandstein bildete die Wände, die zwei Stockwerke hoch aufragten und die darin eingelassenen Fenster schienen tatsächlich verglast. Das ließ sich jedoch schwer sagen, da die meisten der Fensterläden geschlossen waren, vermutlich als Schutz vor der Hitze. Lediglich einer im Obergeschoss des Hauses stand offen, erlaubte aber auch nur einen Blick auf zugezogene, weiße Vorhänge.
Der Bach, dem sie bisher gefolgt waren, mündete etwas abseits des Hauses in einem kleinen, gemauerten Brunnen und vor dem Eingang des Hauses erstreckte sich eine aus Holz gezimmerte Veranda. Ein Schaukelstuhl knarzte leise im Wind vor sich hin, sonst war jedoch alles ruhig. Es wirkte alles ziemlich verlassen, stellte Janis fest. Aber die Haustür war nur angelehnt.
Syle bedeutete ihm, vorsichtig zu sein, bevor er sich daran machte, die Stufen zur Veranda hinauf zu steigen. Janis blieb dabei etwas zurück und beäugte misstrauisch die geschlossenen Fenster über ihm.
,,Lucien ?“ , rief Syle laut genug, das man es wohl auch noch auf den Feldern weiter unten hören musste. ,, Bist du da ?“ Einen Moment lang tat sich nichts und Janis war schon bereit, sich damit abzufinden, das der Mann den sie suchten schlicht nicht hier war. Mit einem schulterzucken wendete der Bär sich ab .
,, Ich schätze euer Freund ist ausgeflogen…“ Janis hatte den Satz kaum beendet, da schlug auch schon ein Bolzen wie aus dem Nichts direkt vor seine Füße. Ein zweiter verfehlte Syle knapp und traf einen der Pfosten, die das Geländer der Veranda bildeten. Holzsplitter wirbelten auf und Janis und der Bär sprangen gleichzeitig zurück.
,,Verdammt Lucien.“ , rief der Hochgeneral aufgebracht, während er sich hinter dem niedrigen Geländer in Deckung brachte. ,, Willst du uns umbringen ? Ich bin es doch nur.“
Die Stimme, die ihm Antwortete kam aus dem Inneren des Hauses. Sie klang ziemlich amüsiert und viel zu locker für Janis Geschmack, dafür das er sie grade angegriffen hatte.,, Was genau der Grund sein könnte, aus dem ich auf dich Schieße, Meister Petz.“ Die Tür, die eben grade weit genug offen gestanden hatte um den Mann im inneren das Zielen zu erlauben, schwang auf. ,, Und glaub mir wenn ich dich hätte treffen wollen, hätte ich das auch getan.“
Die Gestalt die ins Licht trat, war in einen grauen Mantel gekleidet, der ihr bis über die Knie fiel. Die Füße steckten in schlichen Lederstiefeln, von der gleichen Farbe wie seine Handschuhe und unter dem Mantel wurde ein schwarzes Hemd sichtbar. Locker über die rechte Schulter gelegt, hielt sie eine leichte Armbrust, auf die bereits wieder ein Bolzen gespannt war. Ein Beutel mit weiteren stählernen Bolzen hing an seinem Gürtel, zusammen mit einem langen Degenbrecher.
Janis musterte den Mann kopfschüttelnd, der demonstrativ langsam die Stufen hinab kam. Er war dünn und grade wie ein Pfeil. Hellblondes, von einigen grauen Strähnen durchzogenes Haar klebte ihm am Kopf und ein paar blauer Augen blitzte seine Gäste so strahlend an wie das Lächeln auf seinen Lippen. ,, Das du hier auftauchst, mein Freund kann nur bedeuten, dass meine Chance in diesem Schaukelstuhl da zu sterben grade erheblich kleiner geworden ist.“ Beinahe anklagend deutete er über die Schulter auf den verlassenen Sitzplatz neben der Tür. ,, Also, Syle. Warum kommst du nicht rein, stellst mir deinen Freund da vor… und erklärst mir dann wen du diesmal töten willst und warum?“
,, Lucien… „ Syle ergriff den Unterarm des blonden Mannes und dieser tat es ihm gleich. ,, Es tut gut dich zu sehen. Und ich hoffe wirklich das wir und das Töten diesmal sparen.“
,,Ja, das sagst du jedes mal.“ , erwiderte Lucien grinsend. ,, Aber wer ist dein Freund ?“
,, Mein Name ist Janis Belfare.“ , erklärte Janis scharf. ,, Und ihr seid der kaiserliche Spion ?“
,, War.“ , korrigierte Lucien ihn und musterte Janis dann von Kopf bis Fuß, als hätte er noch nie zuvor einen anderen Menschen gesehen. ,, Also… das ist neu.“ , meinte er und wendete sich mit einem irritierten Tonfall an Syle. ,, Hatte unser Kaiser einen Ausrutscher, oder…“
Syle unterdrückte ein Lachen. Es war vielleicht das erste Mal überhaupt, das er den Mann tatsächlich …fröhlich erlebte.
Als Janis klar wurde, worauf der Agent anspielte, wies er ihn brüskiert zurück. ,, Ich bin sein Adoptivsohn. Wenn ihr glaubt mein Vater würde sich dazu herab…“ Bevor er den Satz zu Ende brachte, wurde ihm klar, dass der Mann nichts davon ernst gemeint hatte.
Breit grinsend starrte Lucien ihn an. ,, Ich weiß. Es ist tatsächlich meine Aufgabe solche Dinge zu wissen, junger Herr. Bis grade eben war ich mir jedoch nicht sicher. Kommt rein. Wir haben sicher einiges zu besprechen, wenn ihr hier seid, weshalb ich vermute.“
,, Und weshalb sind wir hier ?“ Janis verschränkte die Arme vor der Brust und sah den Mann misstrauisch an. Dieser jedoch bedeutete ihnen nur erneut ihnen zu folgen, während er erneut die Stufen hinaufstieg. Kurz vor dem Eingang drehte er sich noch einmal um.
,, Ich glaube das hängt mit einem gewissen Angriff auf einer gewissen Insel zusammen. Richtig ?“ Erneut zeigte sich das Janis jetzt schon vertraute Lächeln auf Luciens Gesicht. Es hatte etwas von Überheblichkeit, wie dieser Mann sie ansah und mit ihnen sprach. Trotzdem war sein Lächeln nicht kalt, sondern im Gegenteil einladend und freundlich.
,,Gibt es eigentlich etwas, das ihr noch nicht wisst ?“ , fragte Janis säuerlich.
,, Ihr wärt überrascht, was ich alles weiß. Ich bin eben gerne informiert.“
Syle schüttelte lediglich den Kopf. ,, Warum nur überrascht mich das nicht ?“
,, Du kennst mich doch. Einmal kaiserlicher Spion, immer kaiserlicher Spion. Ich habe immer noch einige Kontakte und nun… lebe von dem was die Oliven abwerfen.“ Na klar, dachte Janis und sein misstrauen dem Mann gegenüber wuchs noch ein Stück weit.
Unwillkürlich versicherte er sich, das der Ring, den Quinn ihm geschenkt hatte noch da war. Selbst währen des Überfalls hatte er kaum daran gedacht. Jetzt jedoch war er plötzlich froh darüber.
Sie hatten auf den ganzen Weg hierher keinen einzigen Arbeiter gesehen und so wie es aussah hatte die Ernte nicht einmal begonnen. Wenn Lucien von etwas lebte, dann sicher nicht von Oliven, die an ihren Bäumen verfaulten…
Als hätte er erraten, woran Janis dachte, fuhr der Agent fort. ,, Und vielleicht ist der ein oder andere Mann in dieser Stadt auch bereit mir einen Gefallen zu tun. Für die richtigen Informationen.“
Das schien der Wahrheit allerdings schon näher zu kommen, dachte Janis. Aber ein Mann, der Informationen verkaufte konnte sich genauso gut gegen sie wenden, oder nicht? Es wäre nichts anderes, als mit einem Söldner zusammenzuarbeiten. Solange man am meisten bot, war alles in Ordnung… aber im Augenblick boten sie diesem Mann gar nichts.
Trotzdem, Syle schien ihm vollauf zu vertrauen. Der Hochgeneral war niemand, der eine solche Reise unternehmen würde, nur um im Zweifelsfall mit leeren Händen abzuziehen. Oder schlimmeres. Vielleicht sollte er einfach das gleiche versuchen. Aber… Luciens Art ging ihm bereits jetzt gegen den Strich und das er auch nur andeutete Janis könnte ein unwillkommener Bastard sein…
Wiederwillig folgte er dem Mann ins Innere des Hauses. Hoffentlich würden sie ihre Antworten schnell bekommen und dann wieder von hier verschwinden.
Das Innere des Hauses war überraschend geräumig. Hatte es von außen noch winzig gewirkt, legte sich dieser Eindruck, sobald Janis den ersten Schritt durch die Tür machte. Ein Flur mit grob verputzten Wänden führte zu drei Türen und einer wackeligen Treppe, die ins Obergeschoss führte.
An sich nichts besonders, wären da nicht die Schädel gewesen. Es waren zwei, beide so groß, das er wohl bequem zwischen den weit aufgerissenen Kiefern Platz gefunden hätte. Scharfe Zähne ragten daraus hervor wie Dolche . Die Knochen des rechten Schädels waren dunkel, als hätte man sie direkt aus einem Feuer geborgen und tatsächlich hing hier und dort Ruß zwischen den klaffenden Lücken, wo einst die Augen gewesen waren. Der linke war hingegen etwas kleiner, unversehrt und weiß wie Schnee.
Syle, der die Knochen ebenfalls bemerkt hatte, stieß einen leisen Pfiff aus, während sie Lucien durch den Eingangsbereich folgten.
,, Stammen der hier von wo ich glaube ?“ , fragte er und deutete auf den Rußgeschwärzten Schädel.
,, Was denn ?“ Ihr Gastgeber sah sich unschuldig grinsend zu dem Bären um. ,, Ist ja nicht so, als hätte ich ihn bei den Mönchen lassen können. Die hätten Wochen gebaucht um den Kadaver wegzuschaffen. Die Biester sind schwer.“
,,Etwas, das ich wissen sollte ?“ , fragte Janis verwirrt und sah zwischen dem kaiserlichen Agenten, Syle und den Schädeln hin und her. Das waren Wyvernknochen. Aber was für ein Exemplar das gewesen sein musste… Normalerweise wurden Wyvern, die kleinen Drachen der nördlichen Berge, kaum größer als ein Pferd. Dieses hier jedoch hätte ein solches wohl mühelos verspeisen können. Kurz dachte er sogar an einen Drachen, aber das war Blödsinn. Drachen waren in diesem Teil des Landes seit langem ausgestorben… und dieser Geck hätte eine Begegnung mit einem solchen ja wohl kaum überlebt, oder?
,, Eine lange Geschichte.“ , antwortete Syle lediglich. ,, Wie hast du die überhaupt hier her geschafft ?“
,, Es war nicht einfach, so viel verrat ich dir. Aber jetzt kommt. Ihr seid sicher nicht nur hier um meine Sammlung zu bewundern.“
,, Sammlung ? Ich zähle nur zwei Wyvern.“
,, Noch. Und eigentlich sind es drei, aber bei dem ersten den ich erlegt habe… halten wir einfach mal fest von dessen Schädel ist nicht viel übrig geblieben.“ , erklärte der kaiserliche Agent und klang tatsächlich niedergeschlagen deswegen. Mit gesenkten Schultern trat er zu Syle. ,, Wisst ihr wie schlimm es ist, so ein Biest zu erledigen und dann nachher nichts zu haben um damit zu prahlen ?“
,, Ich weiß, dass es dich fast gefressen hätte.“ , bemerkte der Hochgeneral trocken. ,, Und das du ein wenig Hilfe dabei gebraucht hast.“
Der kaiserliche Agent nickte grinsend und bevor der Bär etwas dagegen tun konnte, hatte er ihm eine der Glasphiolen entwendet, die er am Gürtel trug. ,, Drachenfeuer, ja ? Ich weiß noch gut, was du damit anrichten kannst, mein großer Freund. Trotzdem, nicht so beeindruckend wie damals, als wir Lord Andres Luftflotte zerstört haben. Du erinnerst dich?“
,, Wie könnte ich das vergessen. Und an was ich mich vor allem erinnere ist, das wir fast mit abgefackelt wären, Lucien. Das nicht zuletzt dank dir…“ Syle stockte. Lucien hatte begonnen, die mit klarer Flüssigkeit gefüllte Phiole zwischen den Fingern zu wirbeln, als befände sich darin nichts weiter als Wasser. In Wahrheit würde vermutlich gleich das halbe Gebäude in Flammen stehen, wenn er sie fallen ließ oder das Siegel darauf auch nur ankratzte.
,, Kann ich die bitte wieder haben ?“ Syle versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie Nervös ihn die Situation machte. Lucien jedoch ließ das Glasröhrchen lediglich in der Tasche seines eigenen Umhangs verschwinden.
,, Ich passe darauf auf.“ , erklärte der Spion, bevor er sich wieder umwendete und durch eine niedrige Tür verschwand. Janis und Syle folgten ihm langsam. Das musste wohl die Küche des Hauses sein, die gleichzeitig auch als Esszimmer diente. In einer Ecke befand sich eine kleine Kochstelle, mit einem gemauerten Ofen und einem Kamin. Dahinter wiederum führte eine Treppe abwärts in den Keller, wo wohl die Vorräte lagerten und ein kleiner Tisch im hinteren Teil des Raumes bot wiederum bis zu vier Leuten Platz. Ein großer, angeschnittener Schinken stand darauf. Vielleicht hatten sie Lucien ja beim Mittagessen erwischt. Aber von der Art her, wie der Mann auf sie gewartet zu haben schien, war das wohl unwahrscheinlich…
Durch das Küchenfenster konnte Janis einen Blick auf die Gärten hinter dem Haus werfen. Diese lagen bereits im Schatten, den das Gebäude warf und teilten sich in einen Bereich mit ungepflegten Beeten und einen Umzäunten Bereich, in dem ein halbes Dutzend Hühner umherstaksten.
Von ihrem Gastgeber jedoch war nichts mehr zu sehen, bis Luciens Stimme von der Kellertreppe hinauf drang. ,, Wartet kurz da oben. Ich bin gleich wieder da. Wie geht es eigentlich Quinn? Ich habe Jahre nichts von ihm gehört.“
,, Er nennt dich einen alten Halunken.“ , rief Syle zu ihm herab. Irgendwo klirrte etwas und Lucien Fluchte laut. Janis begann sich langsam ernsthaft Sorgen zu machen, was der Mann da unten eigentlich trieb.
,, Sieht ihm ähnlich.“ , rief er zurück und seiner Stimme war anzuhören, das er das Ganze nicht ernst nahm. ,, Er hat mich nie leiden können. Außer wenn er es doch konnte. Weißt du ich hab nie verstanden, was sein Problem war.“ Die Stufen knarrten, als der ehemalige Spion endlich wieder zu ihnen heraufkam. Die Armbrust baumelte hingegen mittlerweile von einem einfachen Holster an seinem Gürtel. Stattdessen hielt er nun ein großes Tablett in der Hand, auf welchem Gläser und eine große Karaffe balancierten, die bis zum Rand mit leuchtendem Rotwein gefüllt war.
Behände setzte Lucien die Gefäße auf dem Tisch ab und bedeutete ihnen sich dann zu ihm zu setzen, während er Gläser verteilte und seinen eigenen Kelch bereits bis zum Rand gefüllt, bevor Janis oder Syle nur ihre Stühle berührt hatten.
,, Risara-Wein nehme ich an ?“ , fragte Syle, während er sich setzte und sich ebenfalls ein Glas nahm.
,, Und ich sitze direkt an der Quelle.“ Lucien prostete ihm kurz und nun wagte auch Janis, nach der Karaffe zu greifen. Vielleicht hatte er sich in dem Mann ja getäuscht. Oder täuschen wollen. Lucien war… überdreht, dachte er bei sich. Aber daraus konnte er ihm dann keinen Vorwurf machen. Trotzdem fragte er sich, wieso Syle es für nötig hielt, diesen Clown aufzusuchen.
,, Jetzt erzähl schon, was führt dich hierher ?“ Lucien lehnte sich entspannt auf seinem Platz zurück, den nur noch halb vollen Weinkelch in der Hand. Mit der freien Hand zupfte er ein paar Schinkenstreifen von der Schinkenkeule während er auf eine Antwort wartete.
,, Ein Auftrag des Kaisers.“ , erklärte Syle schwerfällig. Offenbar zögerte er nun auch schon zu viel preiszugeben. Lucien schien zwar bereits einiges zu wissen, doch die Frage blieb, wie viel.
,, Ja ? Und wie hält sich der Junge? Habe in letzter Zeit wieder so einiges über ihn gehört. Beispielsweise das er sich mittlerweile mit einer Bande Zwerge herumschlagen darf… und damit meine ich nicht den Nachwuchs. Aber bis in den Thronsaal die fliegende Stadt reichen meine Ohren dann doch nicht.“
,, Du kennst ihn genau so gut wie ich. Ich glaube er wäre am liebsten selber mitgekommen.“
,, Das kann ich mir vorstellen.“ Lucien grinste in sich hinein, während er den Weinkelch nachfüllte und sich dann erneut dem Bären zuwendete. Eben noch ausgelassen wirkte er mit einem mal ernst und nachdenklich. ,, Wie kann ich helfen ?“
,, Du kannst dir das hier ansehen.“ Syle förderte einen zerrissenen Stoffstreifen zu Tage, den er dem Agenten hinhielt. Dieser nahm das Tuch vorsichtig an sich und entfaltete es. Das Symbol der roten Hand darauf war zwar nach all der Zeit etwas abgegriffen, doch nach wie vor deutlich zu erkennen. Falls Luciens Mine noch finsterer werden könnte, so wäre sie es wohl spätestens jetzt geschehen, da war Janis sich sicher. Eine Weile starrte er einfach nur stumm auf das Emblem vor ihm, bevor er es mit einem Seufzten wieder zusammenfaltete und an Syle zurück reichte.
,, Ihr kennt es ?“ , fragte Janis düster.
,, Ja ich kenne dieses Symbol. Oder zumindest weiß ich, wer es verwendet. Es gibt hier im Süden einen Kult, ziemlich seltsame Leute wenn ihr mich fragt… und ich beobachte sie schon eine Weile.“
,, Eine Weile ?“ Das gab es doch wohl nicht. Dieser Mann wusste genau wovon sie sprachen. Und wenn er sie wirklich beobachtet hatte… ,, Und ihr habt nie etwas gesagt? Diese Leute haben versucht jemanden zu ermorden!“ Janis hieb mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser klirrten. ,, Ist es wirklich nötig, das wir uns mit diesem Clown abgeben ?“
Hilfesuchend sah er zu Syle, der genau so düster dreinblickte wie der Agent. Doch für ihn war das wenigstens normal… und Lucien ließ sich dadurch scheinbar nicht irritierend.
,, Etwas, das mir leider zu spät zu Ohren gekommen ist… Junge. Hätte ich früher erfahren, was sie vorhaben, hätte ich es verhindert, das könnt ihr mir glauben.“ Er faltete die Hände zusammen und stützte den Kopf daran ab. ,, Bis dahin hatten sie sich immer ruhig verhalten. So verrückt sie sich manchmal gebärden mögen, das steht nicht unter Strafe…“
,, Was wohl ganz gut für euch ist.“ , murmelte Janis.
,, Ihr habt keine Ahnung… Der Kult von dem ihr sprecht betet ein Wesen an, das sie nur den Herrn der Ordnung nennenUnd offenbar sehen sie alle anderen Götter als falsch oder zumindest, ihrem Herrn unterlegen an… das Problem ist, das sie das auch Beweisen möchten. Es gibt Geschichten, dass ihre Prediger die reinsten Wunder vollbringen können, Syle. Dinge, die selbst die Magier des Ordens in den Schatten stellen. Tote, die wieder wandeln und gesunde Männer, die sich ihnen in den Weg stellen und tot zusammenbrechen. Wie viel davon der Wahrheit entspricht… vermag selbst ich nicht zu sagen. Aber ich habe Ohren und Augen und mir läuft ein Schauer über den Rücken, wann immer ich einen davon über den Weg laufe. Bei manchen mehr, bei manchen weniger. Dann gibt es noch zwei Namen, die mir immer wieder untergekommen sind . Der Träumer und der rote Heilige. Aber von der Art wie über sie gesprochen wird… ich glaube es sind zwei wirkliche Personen, keine Götter. Aber ich nehme an ihr wollt selbst mehr über diese Männer herausfinden. Zufällig gehört das auch zu meinen Zielen. Und zufälliger weise weiß ich auch schon, wie wir das anstellen…“
,, Wie ?“ Syle hatte sich neugierig vorgebeugt und auch Janis schluckte seinen Ärger hinunter, als der kaiserliche Agent wieder zu sprechen begann.
,, Offenbar haben sie ein großes Treffen einberufen. Es gibt kleinere Enklaven und Gefolgschaft die gesamte Ostküste hinab bis nach Erindal, aber wie es scheint wollen diese sich nun zusammenschließen. Wie mir zu Ohren kam, sollen dort auch einige neue Anhänger und Führer geweiht werden. Keine Ahnung, was damit genau gemeint ist, keiner meiner Informanten wollte mir mehr dazu sagen. Ich schätze, ich will es also gar nicht wissen. Punkt ist, wenn wir irgendwo sicher erfahren, was diese Leute noch planen… dann dort. Und wir werden bei diesem treffen dabei sein.“
,, Wir mischen uns also einfach direkt unter sie ?“ Janis schüttelte den Kopf. ,, Das funktioniert doch niemals. Man würde uns sofort entdecken.“
,, Wird man nicht, keine Sorge.“ , beschwichtigte Lucien ihn und klang plötzlich wieder um einiges aufgeweckter und fröhlicher. Wie um seine Worte zu unterstreichen, griff er erneut nach dem Weinkrug und goss sich nach. ,, Nur ein weiterer Grund, aus dem ihr mich dabei haben solltet. Wie ich schon sagte… diese Leute beten en Herrn der Ordnung an… und ich habe mir sagen lassen, ich sei das personifizierte Chaos. Haltet euch also an mich und ihr solltet in Sicherheit sein. Aber wir sollten bald aufbrechen… es gibt noch ein paar Vorbereitungen zu treffen, bevor wir loskönnen.“
,, Die da wären ?“ Janis war die Verzögerungen jetzt schon leid. Immerhin hatte Syle sich nicht getäuscht. Sie hatten tatsächlich eine Spur, der sie folgen konnten… nur ob es eine gute Idee war, Lucien dabei mitzunehmen… Wir werden das noch beide bereuen, dachte er.
Der Agent schien jedoch nichts von seinen Gedanken mitzubekommen, denn er erhob sich schlicht und begann, das Geschirr wegzuräumen.
,, Nun mein Plan sieht folgendes vor, junger Herr. Wir machen jetzt einen kleinen Ausflug.“ , erklärte er gut gelaunt. ,, Und gehen dabei etwas trinken…“
Zwei einsame Lichter waren alles, das Janis durch die Regenschleier hindurch erkennen konnte. Zwei Tage waren sie jetzt unterwegs… und das Wetter war mit jedem Schritt schlechter geworden. Was Lucien einen kleinen Ausflug genannt hatte, wurde für ihn immer mehr zur Geduldsprobe, hatte der Mann ihnen doch nach wie vor nur das nötigste verraten. Syle jedoch schien sich darüber keine Gedanken zu machen. Vielleicht war es auch schlicht seine Art… aber wenn sie nicht bald ins trockene kamen schwor Janis sich, dem Mann noch eine Lektion zu erteilen…
Lucien schien trotz des Wetters nach wie vor strahlender Laune und führte sie schnurstracks auf die Lichter zu. Langsam schälten sich auch mehr Details aus dem Halbdunkel. Die Lichter waren zwei Fenster, die zu einem großen, düsteren Gebäude gehörten, das am Rande der Straße aufragte. Die aus Holz gezimmerten Wände ragten hoch über sie auf und ein großes Schild, das im Wind über der Tür schwankte, wies den Ort als Gaststätte aus. Immerhin kamen sie so ins trockene, dachte Janis. Auch wenn Lucien sie nur zu einer verdammten Taverne geführt hatte.
Der Schlamm stand ihnen fast bis zu den Knien, während sie dem Agenten über den Weg folgten, der mittlerweile kaum mehr als eine aufgewühlte Schlammwüste inmitten von regennassem Grün war.
Hier und da ragten einige Bäume auf und gruppierten sich zu kleineren Wäldchen, ansonsten jedoch war das Land hier flach.
Wasser rann in Strömen vom Dach des Hauses und sammelte sich in den tiefen Furchen im aufgeweichten Erdboden, die wohl von einem paar Räder stammten. Janis trat erleichtert darunter, froh nun wenigstens etwas Schutz zu haben. Er war nass bis auf die Haut und sowohl seine Kleidung als auch die Haare klebten an ihm. Während Lucien an der Tür klopfte, sah er sich rasch um.
Das Dach unter dem sie standen erstreckte sich ein Stück weit über den Rand des Gebäudes hinaus und wurde am hinteren Ende des Gebäudes noch breiter. Große Holzbalken stützten die Schieferplatten dort ab und bildeten so einen bequemen Unterstand. Janis zählte drei Kutschen, die nebeneinander darunter standen, zwei davon kaum mehr als zusammengezimmerte Karren und eine, die wohl einem örtlichen Fürsten gehören musste, so ausstaffiert wie das Gefährt war. Die Pferde standen ein Stück weiter in einem kleinen Gehege im Regen und ließen den Kopf hängen.
Heute hatte wohl jeder, der das Pech hatte, die Straße von Riara hinauf zukommen hier Zuflucht gesucht, vermutete er. Eine Taverne mitten im Nirgendwo… Offenbar meinte er es ernst, mit dem trinken gehen.
Mittlerweile wurde auch die Tür geöffnet und ein Mann, groß wie ein Fass, musterte die drei ungleichen Gefährten einen Moment. Seine roten Haare wirkten im Schein, der von hinten aus dem Haus drang wie Flammen und im Zusammenhang mit dem Bart könnte man beinahe meinen, sein gesamter Kopf brennen. Offenbar versuchte er einzuschätzen, ob sie Schwierigkeiten machen würden und besonders Syle zog seine Aufmerksamkeit auf sich.
Lucien jedoch schien bereits zu wissen, was er zu tun hatte und drückte dem Mann wortlos einen kleinen Beutel in die Hand.
,, Das sind meine Freunde.“ , erklärte er eindringlich. ,, Ihr kennt mich Merdin. Ich bringe keinen Ärger ins Haus. Das sind Syle von den Gejarn und Janis B… „ Ihm schien grade noch echtzeitig einzufallen, nicht den vollen Namen seines neusten Schützlings zu verraten. ,, Nun einfach Janis.“
,, Dann komm halt rein, Lucien. Aber ich warne dich, das Haus ist ziemlich voll. Wenn du heut Abend noch ein Zimmer willst, wirst du nochmal das Doppelte drauflegen müssen, damit ich jemanden vor die Tür setze. Der Alte ist heut wieder hier und so gerne ich diese Schauergestalt und seine Jünger los wäre, ich kann sie auch nicht einfach rauswerfen. Ich häng an meinem Leben…“
,, Er ist also hier , ja ? Ich hatte darauf gehofft…“ Luciens Ausdruck bekam mit einem mal etwas Verschlagenes. Sie waren also wirklich nicht zufällig hier, dachte Janis. Stellte sich die Frage, wer ,,Er“ war…
,, Wissen die Götter, warum du dich mit dem alten Saufkopf unterhältst.“ , meinte der Mann den Lucien als Merdin angesprochen hatte. Vermutlich der Wirt, überlegte Janis. ,, Ich würd dem freiwillig keine Sekunde zuhören, wenn er nicht so gut zahlen würde.“
Mit diesen Worten trat er beiseite und ließ sie endlich ins Innere des Hauses. So wie es aussah hatte der Mann nicht gelogen, als er behauptete, die Gaststätte wäre voll. Soweit er sehen konnte, war jeder Tisch im inneren des Schankraums besetzt und stellenweise saßen sogar bereits Leute auf dem Fußboden. Nur in der hintersten Ecke nicht, wo ein großes Feuer in einem Kamin brannte. Dort saßen lediglich vier in braunes Sackleinen gekleidete Gestalten an einem runden Tisch und unterhielten sich gedämpft. Als wage es niemand sich näher zu ihnen zu setzen stand um sie herum ein ganzer Ring freier Stühle und Tische…
Selbst Lucien machte einen großen Bogen um sie, während sie sich einen der wenigen unbesetzten Tische in der Mitte des Raumes aussuchten.
,, Was genau machen wir hier ?“ , verlangte nun auch Syle zu wissen. Unruhig sah er zu Lucien, der sich in aller Seelenruhe setzte und nach einem Dienstmädchen rief.
,, Sagte ich das nicht bereits ? Wir gehen etwas trinken…“
,, Bitte ? ich dachte du wolltest uns zu diesem Kult bringen…“
,, Nein.“ , erklärte Lucien eindringlich.,, Wir trinken nur einen.“ Er zwinkerte.
Janis konnte nicht sagen, was genau der Mann eigentlich vorhatte und auch Syle zuckte nur ratlos mit den Schultern. Wie weit würde er seine Geduld den noch strapazieren? Lucien hatte mehr als klar gemacht, dass sie nicht zufällig hier waren…
Mittlerweile kam auch endlich die Bedienung, ein Mädchen mit ebenso roten Haaren wie Merdin. Vielleicht ja seine Tochter. Seine Frau würde sie jedenfalls kaum sein, dachte Janis. Das Mädchen hatte vermutlich kaum siebzehn Sommer gesehen. Trotzdem war sie ohne Zweifel eine Schönheit.
Einen Moment traf sich ihr Blick mit dem von Janis. Nun vielleicht würde er heute Abend zumindest nicht alleine schlafen, dachte er.
,, Die Herren ?“ , fragte sie höflich und machte sogar eine kurze Verbeugung, obwohl sie ihre Palastkleidung schon vor Wochen zurück gelassen hatten. Allerdings, mit dem Geld das Lucien ihrem Vater zugesteckt hatte war das wohl das mindeste…
,, Für den Anfang, bringt dem Herrn hier Bier. Syle ?“
Der Bär nickte lediglich abwesend. Vielleicht versuchte er nach wie vor zu erraten, wieso Lucien sie hierher gelotst hatte… Aber solange der Agent sie darüber nicht selbst aufklärte, war die Sache wohl ohnehin zwecklos.
,, Ich nehme was immer ich von euch bekomme, meine Dame.“ , meinte Janis und versuchte sich an einem gewinnenden grinsen. ,, Ich kann nur dabei gewinnen und wenn ihr mir euren Namen verraten…“ Weiter kam er nicht, den Syle versetzte ihm unter dem Tisch einen groben Stoß in die Rippen, so dass ihm einen Moment die Luft weg blieb. Der verdutzte Ausdruck auf seinem Gesicht brachte das Mädchen zum Lachen, das sich mit einer erneuten Verbeugung verabschiedete, dieses Mal jedoch von kichern geschüttelt.
,, Wie ihr wünscht… ich werde sehen was sich für euch findet.“
,,Wofür war das dann ?“ , verlangte Janis zu wissen, sobald sie außer Hörweite war.
,, Wir sind nicht zum Spaß hier.“ , flüsterte Syle zurück. ,, Erinnere dich bitte daran. Wir haben eine Aufgabe zu erledigen…“
Lucien nickte und deutete dabei in unübersehbar in Richtung der Gestalten am Feuer. ,, Siehst du den Kerl mit dem grauen Bart hinter mir? Und seine drei Begleiter ?“ Er sprach leise, als hätte er Angst, dass man sie selbst über den Lärm in der Schenke noch hören könnte.
,, Die sehe ich sehr wohl…“ Janis hatte sie bisher nur flüchtig beachtet. Drei der Männer schienen recht Jung, auch wenn das unter den schweren, braunen Kutten kaum ersichtlich war. Der vierte jedoch war deutlich älter, mit grauen Haaren und einem Bart, der ihm bis auf die Brust fiel… und einem unheimlichen roten Schimmer in den braunen Augen. Janis hoffte, dass es nur vom Feuer kam.
,, Das ist einer ihrer Prediger.“ , erklärte Lucien gedämpft. ,, Und die drei bei ihm sind. Neue Anhänger der roten Hand, die ihn auf seinem Weg begleiten. Die vier stammen ursprünglich aus Erindal, machen aber Rundreisen die ganze Küste hinauf. Ich wusste, er würde heute hier sein.“
,,Ihr kennt ihn also ?“
,, Was glaubt ihr, wo ich all meine Informationen her bekomme ? Er ist ziemlich redselig wenn er getrunken hat und er trinkt gerne und viel… wenn jemand anderes dafür bezahlt freilich. Man muss nur aufpassen so zu tun, als sei man dabei seiner Meinung. Heute jedoch will ich einen Schritt weiter gehen. Wir können nicht einfach so bei diesem treffen auftauchen… Ich will seine Robe und die seiner Begleiter haben.“
,,Egal wie betrunken er ist, die wird er dir kaum freiwillig überlassen.“ , stellte Syle fest.
,, Nein. Nicht wenn er noch bei Bewusstsein ist. Ich hoffe, du bist noch so trinkfest wie früher?“
Syle grinste plötzlich. ,, Das ist verrückt. Aber verrückt genug um zu funktionieren.“
,, Und ihr Junge ?“ Lucien erhob sich und bedeutete ihnen, ihm zu folgen.
,, Ich bin dabei…“ Janis stand ebenfalls mit einem Ruck auf und folgte dem Agenten und Syle zum Tisch der vier Männer des Kults herüber. Diese sahen einen Moment misstrauisch auf, bis der ältere Mann Lucien erkannte.
,, Mein Freund.“ , erklärte er dann strahlend. ,, Setzt euch zu mir. Der Gott ist wirklich gütig euch heute hierher zu führen, als Mann wahren Glaubens.“ Der Prediger schlug die Kapuze zurück und enthüllte einen kahlen Kopf und einen rot angelaufenen Hals. Vielleicht, dachte Janis, mussten sie ihm gar nicht so viel zu trinken geben, wie sie fürchteten. Doch irgendetwas an dem Mann jagte ihm trotzdem einen Schauer über den Rücken. Nicht er selbst… nicht einmal das rote Schimmern seiner Augen… Es war, als läge ein Schatten über ihn, auch wenn er direkt im Licht des Feuers saß. Und an seinem Hals prangte ein großer, schwarzer Fleck, der beinahe wie totes Gewebe aussah. Doch eine solche verheerende Wunde hätte kein Mann überlebt…
,, Und Männer waren Glaubens sollten nicht durstig bleiben.“ , erklärte Lucien und setzte sich. Mit einem Arm gab er der Wirtstochter ein Zeichen, die mittlerweile mit den Getränken zu ihrem alten Platz zurückgekehrt war und sich suchend nach ihnen umsah. ,, Die Krüge könnt ihr gleich unseren Freunden hier geben, meine Gute. Und seht dies als Anzahlung für den gesamten restlichen Abend.“
Lucien griff erneut in eine Tische und warf ihr eine weitere Münze zu. Diese jedoch war aus purem Gold und so groß, dass sie die Handfläche des Mädchens fast völlig verdeckte. Ein Vermögen in einer einzigen Scheibe Kaisergold…
,, Behaltet den Rest.“ , erklärte Lucien zwinkernd. ,, Euer Anblick alleine ist Entschädigung genug für das Gold… und ich fürchte es ist noch ein zu geringer Lohn für eure Schönheit.“
Das Mädchen errötete, sagte aber nichts mehr, während sie sich umdrehte um weitere Krüge zu holen.
,, Warum darf er das ?“ , verlangte Janis zu wissen, während er zwischen dem Agenten und Syle hin und her sah.
,, Nun im Gegensatz zu dir, hat er noch was gut bei mir…“ , erwiderte der Gejarn. Der Prediger musterte den Bären derweil unverhohlen.
,, Es ist zu Schade, das den Gejarn die Gnade unseres Herrn verwehrt bleibt.“ , meinte er nachdenklich. ,, Bruder Lucien hat euch sicher von den Wundern erzählt, die unser Gott für uns bereit hält. Doch leider sind eure Seelen anderer Natur, als die der Menschen…“
,, Was meint ihr damit ?“ Janis wusste natürlich, dass die Gejarn des Herzlandes nicht den Glauben der Menschen teilten. Für sie war der Tot nur ein Schritt einer Reise, nicht deren Ende. Ihre Ältesten glaubten, dass die Seelen ihrer Ahnen nicht für immer Einzug in den goldenen Hallen hielten, sondern immer wieder in neuer Form zurückkehrten. Und manchmal verkündeten sie sogar, eine solche alte Seele gefunden zu haben… Aber der Prediger tat so, als sei dies etwas Furchtbares…
,, Wir Gläubigen werden von unseren Herrn nicht den kalten Hallen überlassen. Unsere Seelen werden hingegen eins mit ihm, für immer aufgelöst in seiner Herrlichkeit und Macht… “
,, Klingt für mich eher, als würde euer Herr Seelen verschlingen….“ Nach wie vor gefiel ihm allein die Gegenwart dieses Mannes nicht.
,, Unwissende Worte…“ Der Mann griff nach dem Bierkrug, den die Wirtstochter vor ihm hingestellt hatte und leerte ihn fast vollständig, bevor er weitersprach. ,, Es gibt keine größere Glorie. Und wenn erst alle eins sind in ihm, dann soll diese Welt wahren Frieden kennen…“
,, Danke, aber meine Seele gefällt mir da wo sie jetzt ist einfach am besten.“ , murmelte Janis mehr zu sich selbst,.
,,Verzeiht ihm seine Unbedachtheit.“ , mischte sich Lucien rasch ein, noch bevor der Prediger darauf etwas erwidern konnte. ,, Ich hoffe eine weitere Runde auf meine Kosten kann euch dafür entschädigen. Er ist ein Narr , darüber könnt ihr hoffentlich hinwegsehen…“
,, Für den Moment will ich das. Aber irgendwann müssen auch die Narren die Wahrheit anerkennen. Die Zeit, die mein Herr gnadenvoll abwartete nähert sich dem Ende…“
Das rote Tal erstreckte sich wie eine Wunde inmitten der Steppe. Eine gewaltige Grube, die das Land von Horizont zu Horizont Durchschnitt, als wäre einfach ein Stück der Welt selbst weggebrochen worden. Steile Klippen fielen tief ab und legten dabei das Gestein in der Tiefe frei. Galren hatte sich schon gefragt, warum man diesen Ort rot nannte. Nun wusste er es.
Die Felswände sahen aus wie mit frischem Blut übergossen. Eine Farbe, die er noch nirgendwo sonst gesehen hatte… schon gar nicht bei einem Stein. Und hier war sie einfach überall. Der Boden war mit Staub bedeckt, der aussah wie Rost und selbst die Blätter der Bäume unten im Tal waren damit überzogen und auch die Ruinen weiter unten davon eingehüllt. Die einstmals aus blendend hellem Marmor errichteten Gebäude waren lange schon zu nichts mehr als Ansammlungen aus losem Stein zerfallen, durch die der Wind heulte.
Zersprungene Säulen säumten die von hier oben noch erkennbaren einstigen Straßen und verlassenen Prunkbauten reihten sich zwischen Tempelanlagen und ummauerten Parks, die einstmals wohl voller Leben gewesen waren, heute jedoch nur noch roten Staub beherbergten.
Das dort unten war einmal eine ganze Stadt gewesen, dachte er. Eine Siedlung von den Ausmaßen der fliegenden Stadt, vielleicht sogar größer, die sich durch das ganze Tal hindurch zog. Und jetzt… war dort unten nichts mehr.
Trotzdem hatte es etwas seltsam erhabenes, am Rand der Klippen zu stehen und einfach nur zuzusehen, wie der Wind Sand und Staub durch die Ruinen trug. Auch wenn dort unten alles zerstört war, dieser Ort strahlte nach wie vor etwas aus. Etwas friedliches, willkommenes…
Das einzige, das nicht pink oder rot schimmerte, war der Fluss, der sich etwa in der Talmitte durch eine weitere Reihe von Ruinen schlängelte. Zwischen den halb zerfallenen Mauern ragten die Spitzen mehrere Zelte auf, die aus weißem Leinen gefertigt noch nicht unter einer Staubschicht verschwunden waren. Das musste wohl die Expedition sein, überlegte Galren. Die Hand auf den Schwertgriff gestützt blieb er einen Moment einfach am Rand der Klippen stehen und genoss die Aussicht. Die Reise war zwar ruhig verlaufen, aber nach der ganzen Zeit auf der Straße hatte er es schon fast nicht mehr erwarten können, endlich ihr Ziel zu erreichen. Und jetzt wo er hier war, hatte es ihm tatsächlich die Sprache verschlagen…
,,, Hey bist du da angewachsen ?“ Zwei Arme schlangen sich von hinten um seinen Hals und brachten ihn fast ins Straucheln. Nun wenigstens einer von ihnen war nach wie vor genau wie immer, dachte er grinsend. Die Frage wurde in Elins typischen Tonfall gestellt, der nie etwas völlig ernst zu nehmen schien. Mit einem Ruck wirbelte Galren sie herum und schloss sie in die Arme. Elin ließ es lachend geschehen und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen.
Währen den Wochen auf der Straße hatte sich ihre Verbindung nur gestärkt und was er anfangs noch an Unsicherheit gehabt haben mochte, war verschwunden. Er liebte sie… und daran gab es nichts zu rütteln. Der Rest würde sich ergeben, wenn dieser Wahnsinn erst einmal vorbei war. Galren zog sie an sich und sah erneut hinab ins Tal. Vielleicht sollte er doch traurig sein, das zumindest diese Zeit zu Ende ging…
,, Dieser Ort ist schön.“ , meinte Elin und lehnte sich einen Moment verträumt gegen ihn.
,, Stellt sich nur die Frage, wie wir da runter kommen. Sieht jemand einen Weg ?“ Er drehte sich zu Armell um, die, Sentine auf ihrer Schulter, etwas Abseits stand und ebenfalls die Umgebung begutachtete. Auch wenn sie nach wie vor in sich gekehrt war, schien es ihr mittlerweile ebenfalls besser zu gehen. Es war nicht mehr dieses brütende, gefährliche Schweigen, das er während ihrem Weg zur fliegenden Stadt und in den Tagen zuvor an ihr bemerkt hatte. Vielleicht tat es auch ihr gut, einfach wieder unterwegs zu sein… Doch was es auch war, Galren war froh, sie dabei zu haben. Mit einem hatte sie wohl recht gehabt, ob es ihr damals bewusst war oder nicht… ohne Beschäftigung in der fliegenden Stadt… schien unsicher, was aus ihr geworden wäre.
Armell deutete über die Schlucht hinweg zur gegenüberliegenden Talwand, die im Licht der Mittagssonne wie ein gewaltiges Relief glitzerte, das ein verrückter Künstler mit roter Farbe überzogen hatte. Ein kleiner Pfad, kaum sichtbar vor den zerklüfteten Felsen schlängelte sich davor hinab in Richtung Boden.
Sie mussten die äußere Spitze des Tals einmal umrunden um dorthin zu gelangen und dennoch war der schmale Ziegenpfad, den sie schließlich erreichten, alles andere als ein sicherer Abstieg. Reiten war jedenfalls keine Option mehr und so führten sie die Pferde zu Fuß nach unten. Armell und er nahmen jeweils einen Zügel in die Hand und begannen den Abstieg. Die Expedition würde wohl einen anderen Weg genommen haben, dachte er, den Ausrüstung und Zelte würde man wohl kaum über einen Felsüberhang schaffen, der grade einmal drei Schritte breit war. Aber nach diesem anderen Weg zu suchen, dazu fehlte ihm jetzt, wo er das Lager schon vor Augen hatte, schlicht die Geduld. Wenn er noch über seine Gabe verfügen würde, wäre es wohl ein leichtes gewesen, so jedoch blieb ihnen nur der Beschwerliche Abstieg.
An einer Stelle des Wegs klammerte sich ein verkümmerter Baum an einen Felsvorsprung, rot vom Staub des Tals. Selbst in die Rinde hatte er sich gefressen und gab dem Holz den Ton von getrocknetem Blut und als Galren mit den Fingern darüber strich, färbte sich seine Haut ebenfalls rot.
Ein Schauer überlief ihm bei dem Anblick. Seine eigene Hand erinnerte ihn plötzlich viel zu sehr an das Symbol, das sie bei den Angreifern auf Hamad entdeckt hatten. Rasch wischte er den Staub an seiner Hose ab und beeilte sich, den restlichen Weg hinter sich zu bringen. Unten ,am Grund der Schlucht konnten sie endlich wieder reiten , auch wenn Elin davor zurückschreckte. Oder vielleicht beunruhigte sie auch die Tiere nur, das war eine der wenigen Dinge, über die sie beharrlich schwieg. Armell hatte dazu nur gemeint, das viele Gejarn eine Abneigung gegen die Vorstellung hatten, sich auf irgendein Tier und nicht ihre eigenen Füße zu verlassen. Das Ergebnis war jedenfalls, das sich die Luchsin lieber hinter Galren in den Sattel schwang und alles weitere ihm überließ.
Armell übernahm alsbald die Führung der kleinen gruppe, während sie ihre Pferde weg von den Klippen und hin zu der halb verschwundenen Prachtstraße wendeten, die das Tal scheinbar auf ganzer Länge Durchschnitt. Wälder voller roten Laubs säumten die Schattigen Tiefen, als herrsche hier immer Herbst und ab und an blitzte auch ein uraltes Bauwerk zwischen den Zweigen auf. Die Steine auf denen sie hier wandelten waren vermutlich um vieles Älter, als die meisten Bäume hier, da war Armell sich sicher. Die eigentümliche Schönheit dieses Ortes rührte selbst sie an, wie sie sich fasziniert zwischen den Ruinen umsah.
Es hatte eine Zeit gegeben, die noch nicht allzu weit zurück lag, da hätte sie all dem keine Beachtung geschenkt. Ein Teil von ihr war mit Merl gestorben, einer den sie vielleicht nie zurückbekommen würde und die Stelle, wo er gewesen war, schmerzte nach wie vor, würde es vielleicht immer tun... Aber sie war nicht tot und das war nur ein weiterer Beweis dafür. Sie hatte nur eine Weile vergessen, wie es war, zu Leben. Und seltsamerweise waren es Elin und Galren, die sie wieder daran erinnert hatten.
Anfangs hatte sie nichts verspürt, wenn sie die beiden beobachtete… außer vielleicht einen leichten Stich bitteren Neids. Wie konnten andere um sie herum lachen und weinen und sich lieben, wenn ihr das alles scheinbar für immer versagt bleiben sollte. Allein die Vorstellung, wie überhaupt noch jemand lachen konnte war ihr unbegreiflich und grade Galren… war Merl nicht auch sein Freund gewesen? Hatte er etwa alles vergessen? Und doch hatte sie nicht zugelassen, dass daraus mehr wurde, im Gegenteil. Mit den Wochen hatten sich die bitteren Gedanken gelegt. Das Leben ging weiter, hatte sie sich eines Tages gesagt. Und so bitter diese Worte auch in ihr klangen, sie hatte nicht zugelassen, das ihre Zweifel und Trauer sie erstickten. Es tat schlicht gut zu sehen, dass wenigstens irgendjemand glücklich war. Und auch wenn es noch so schwer werden würde… das Leben ging nach wie vor weiter. Diese Worte waren ihr in den letzten Tagen fast zu einer Art Mantra geworden. Und sie würde es schaffen. Diese simple Erkenntnis, so gerne sie sie auch geleugnet hätte, hatten ihr vielleicht sogar das Leben gerettet. Sie fühlte sich nicht gut dabei, es so deutlich zu denken aber.. Ja. Sie lebte noch. Sie lebte wieder auf. Wenn auch nur ein wenig.
Jetzt, wo sie zwischen den Ruinen hindurchritt, lächelte sie sogar. Und doch blieb da ein Zweifel, den sie nicht ausräumen konnte, dachte Armell. Einer, an den sie sich nach wie vor klammerte, weil sie nicht glauben wollte, sich so getäuscht zu haben. Der kurze Moment im Garten von Galrens Haus, in dem sie Merl gesehen hatte….
Mittlerweile näherten sie sich bereits den ersten Zelten, die direkt am Ufer des Flusslaufs in der Talmitte standen. Um die weißen Bahnen aus Leinen herum herrschte reges Treiben. Ein gutes Dutzend Gardisten, die aufgrund der Hitze nur schlichte Hemden mit einem aufgenähten Wappen trugen, standen um das Lager herum verteilt oder patrouillierten zwischen den zerfallenen Häusern.
Dazu kamen noch eine unschätzbare Zahl an Arbeitern, die sich durch die Ruinen suchten, kleine Gruben an scheinbar leeren Stellen anlegten oder Bergeweise an Schutt und aufgewühlter Erde durchsiebten oder am Fluss in großen Pfannen auswuschen. Das ganze schien tatsächlich eine gewaltige Grabung zu sein, dachte Galren, dennoch war das Land bisher so gut wie unberührt geblieben. Offenbar gingen die Arbeiter außerordentlich vorsichtig vor, auch wenn sie unglaubliche Mengen an Erde bewegten…
Auf langen Tischen und Bänken reihten sich zerbrochene Scherben und Vasen aneinander, kleine Glassplitter, die von Fenstern aber auch von Kunstgegenständen stammen konnten, glitzerte in der Sonne und hier und dort fand sich auch einmal ein Schmuckstück aus Bronze, Silber oder mit Smaragden verziertem Gold. Die Überreste die das einstige Leben in dieser Stadt hinterlassen hatte, nun fein säuberlich aufgebahrt.
Viele der Arbeiter waren Gejarn, wie Galren im Vorbeireiten feststellte. Und die meisten davon waren Löwen, vielleicht ja von einem Clan aus der Nähe. Trotzdem musste er unwillkürlich soort an Lias denken… Götter, er wünschte, er könnte das hier sehen.
Trotzdem musste er unwillkürlich soort an Lias denken… Götter, er wünschte, er könnte das hier sehen.
Jedenfalls schenkten die Arbeiter den drei Reisenden kaum Beachtung, außer einem Nicken oder einer gerufenen Begrüßung hier und da und auch die Gardisten ließen sie passieren, bis Galren fragte, wo sie Erik finden würden.
,, Der Alte ist vermutlich in der Mitte des Lagers. Aber ich würde ihn wirklich nur stören, wenn es wichtig ist. Er kann etwas…exzentrisch sein, Herr. “ , erklärte der Posten, den er angesprochen hatte und deutete zu einem großen Zelt , das über einem halb zerfallenen Rundbau gespannt war. Davor hatten sich weitere Männer versammelt, die mit großen Sieben Sand und den Aushub aus den gruben um die Ruinen filterten und eine lange Reihe Spaten und Schaufeln lehnte an der Außenmauer des Rundbaus, den man mit dem Zeltdach wieder bewohnbar gemacht hatte und weitere Tische, dieses Mal mit Karten und Zeichnungen überladen, waren davor aufgestellt worden.
Und an einem dieser Tische schließlich, stand ein hochgewachsener Mann, dürr wie ein Pfahl. Seine Schlohweißen Haare und der Backenbart, der wild in alle Richtungen zu wuchern schein, gaben ihm tatsächlich etwas verschrobenes, doch die Augen, die ihnen entgegen blickten wirkten wach und intelligent. Trotz seines Alters bewegte er sich ohne sichtliche Anstrengung und der blaue Mantel den er trug, wehte hinter ihm her, als er den drei Reisenden mit raschen Schritten entgegen kam. Eine braune Ledertasche klimperte an seiner Seite, als wäre sie bis zum Rand voll mit Metall.
,, Ich schätze, ihr sucht nach mir ?“ , fragte er und fuhr ohne auf die Antwort zu warten fort. ,, Wenn ich mich also vorstellen darf : Erik Flemming. Arzt der Universität zu Vara und der kaiserlichen Garde und seit einigen Tagen auch Herr über diesen Haufen Schutt hier. Ich hoffe ihr erwartet nicht zu viel. Außer Sonnenbrand haben wir bisher nicht viel gefunden…“
Elin sprang aus dem Sattel, noch bevor Galren Gelegenheit hatte, etwas auf die Begrüßung des alten zu erwidern. Sobald Erik die Gejarn erkannte teilte ein breites Lächeln sein Gesicht.
,, Elin, Mädchen !“ , rief er begeistert. ,,. Ich hatte schon befürchtet du kommst nicht mehr. Als Edne gemeint hat, du hättest sie nicht begleitet habe ich mir schon Sorgen gemacht.“
,, Erik. Schön zu sehen, das du nicht einrostest.“ , erwiderte die Gejarn und fügte mit einem schelmischen Grinsen hinzu : ,, Solltest du in deinem Alter wirklich noch hier draußen sein? Aber wenn du deine Knochen hier herausschleppst bleibt mir doch gar keine Wahl, als auch zu kommen.“
Sofort wandelte sich der Ausdruck des alten Mannes von Fröhlichkeit in gespielte Betroffenheit.
,, Ich hätte darauf bestehen sollen, das deine Eltern dir ein mehr Respekt beibringen…“ , seufzte er und lachte gleichzeitig. ,, Aber wer sind deine Freunde ?“
Neugierig sah er zu Galren und Armell, die mittlerweile ebenfalls von den Pferden gestiegen waren
Besonders die junge Adelige schien seine Aufmerksamkeit geweckt zu haben.
,, Ihr kennt euch ?“ , fragte er, während er zu den beiden trat.
,, Natürlich. Erik ist seit Jahren ein guter Freund meiner Familie.“ , erwiderte Elin. ,, Ich… hätte das vermutlich erwähnen sollen, oder ?“
Erik lachte nur erneut, dass ein weißer Bart zitterte. Dabei blieben seine Augen jedoch seltsam unberührt und fokussiert und erst langsam wurde Galren klar, dass er sich getäuscht hatte. Die Aufmerksamkeit des Mannes galt nicht etwa Armell, sondern dem Wesen auf ihrer Schulter. Als hätte er nur darauf gewartet, das bei ihm der Groschen fiel, streckte der Arzt eine Hand aus und tatsächlich erhob sich Sentine mit ein paar Flügelschlägen und landete in Gestalt einer weißen Taube auf seinem Arm.
Erik besah sich den Vogel neugierig, als hätte er noch nie zu vor einen gesehen, zeigte sich aber in keiner weiße überrascht, als das Wesen direkt vor ihm die Gestalt wechselte. Sentines Gefieder wurde mit einem Schlag schwarz und ihre ganze Gestalt wuchs zu der eins Raben heran.
,,Sentine…“ Armells Stimme klang leicht besorg. Auf ihren Ruf kam der Vogel jedoch sofort zurück und ließ sich wieder auf seinem angestammten Platz auf ihrer Schulter nieder.
,, Darf ich fragen, woher ihr sie habt , meine Dame ?“ Erik starrte nach wie vor wie gebannt auf die Stelle, an der Eben noch das Wesen gesessen hatte. Als könnte er ihr Gewicht noch immer spüren, drehte er die Hand vorsichtig hin und her.
,, Sie… war ein Geschenk. Von Zachary de Immerson.“
,, Lasst das bloß nicht Eden hören. Der Junge sollte wirklich besser aufpassen was er tut. Ich hätte ihm diesen verdammten Brunnen schon vor Jahren abnehmen sollten.“ , grummelte der Arzt. ,, Aber was solls… Ihr habt den weiten Weg doch sicher nicht nur gemacht um die Kleine sicher hierher zu bringen. Elin, willst du mir deine Freunde nicht vorstellen?“
Bevor es jedoch dazu kam, wurde der Vorhang des großen Zelts hinter dem alten Mann zurückgeschlagen und zwei weitere Gestalten traten hinaus.
,, Erik ? Wer ist das?“ , setzte eine von ihnen an, eine Gejarn mit blendend weißem Pelz, die in einen roten Mantel gekleidet war, der sogar das Tal um sie herum überstrahlte. Dunkle Haare hingen ihr ins Gesicht und an ihrem Gürtel glänzte der Griff eines Schwerts. Die Klinge war leicht gebogen und der Griff mit einem teilweise durchgescheuerten Lederband umwickelt, als wäre die Waffe bereits sehr alt. Ihr auf dem Fuß folgte ein pechschwarzer Wolf, in ebensolcher Kleidung. Ein einzelnes gelbes Auge musterte die drei Fremden in rascher Folge. Das andere verschwand unter einer Augenklappe, die nur unzureichend, das darum liegende Narbengewebe verbarg. Eine Axt mit schartiger Klinge hing von einem Gürtel und die Silhouette einer Pistole zeichnete sich auf der anderen Seite seines Körpers ab.
,, Ich bin Armell D'Ambois.“ , erklärte Armell , als sie nun endlich einmal zum Sprechen kamen und trat vor. ,, Das ist Galren Lahaye.“ Bei der Erwähnung seines Namens grinste die Gejarn plötzlich, als würde sie ihn kennen. Galren versuchte noch sich darauf einen Rein zu machen, während Armell bereits fortfuhr. ,, Und das ist…“
,, Elin…“ Die weiße Gejarn war bei ihr, bevor noch jemand Zeit hatte zu reagieren und schloss das Mädchen in die Arme. ,, Ich dachte schon du kommst nicht mehr.“
Plötzlich viel Galren die Antwort wie Schuppen von den Augen. Elin hatte doch erwähnt, das ihre Eltern hier seien. Und demzufolge war die Gejarn dort ihre Mutter… Und der Wolf neben ihr… Elins Vater ? Er hätte nicht damit gerechnet, dass die beiden so… groß sein würden. Nun wenn er ehrlich war, hatte er noch überhaupt nicht darüber nachgedacht, was er tun sollte, wenn er ihnen begegnete…
,, Ich bin Eden.“ , stellte die Luchsin sich vor und deutete dann auf den Wolf. ,, Und der hier heißt Cyrus. Keine Sorge, er ist nur halb so böse, wie er aussieht.“
Cyrus Antwort bestand aus einem ungehaltenen grummeln, während er seine Augenklappe grade rückte und die Neuankömmlinge weitermusterte. ,, Immer noch böse genug.“ , meinte er und sah zu Erik.
Dieser klatschte einmal in die Hände, wie um die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. ,, Schön, Schön. Jetzt wo wir uns alle vorgestellt haben… Was führt euch zu uns, Galren und Armell ? Mit Elin habe ich gerechnet, ihr jedoch seit mir, verzeiht, Fremd.“
,, Das ist eine längere Geschichte.“, erklärte Galren zögerlich. Elin schien dem alten Mann zu vertrauen, dennoch war er sich unsicher, ob er so einfach alles erzählen könnte. Schließlich jedoch gab er sich einen Ruck. Es war nicht so, dass die Vorgänge in der fliegenden Stadt ein Geheimnis wären. Und über seine Reise wusste mittlerweile das halbe Land Bescheid. Also fing er an zu erzählen, von ihrer Entdeckung in der Zwergenstadt, seinem Vater, dem Angriff und seinem Wunsch mehr über das geschehene herauszufinden. ,, Ich suche daher nach Informationen über das alte Volk. Genauer gesagt über eine schwarze Klinge, die mein Vater in einem ihrer Bauwerke fand, während er sich in der Zwergenstadt aufhielt.“
,,Hmm... Und ihr seid euch sicher, dass dieses…Schwert nicht auch von den Zwergen hätte stammen können?“ Die Sache schien tatsächlich Eriks Neugier geweckt zu haben, denn während Galren sprach, war der Mann zusehends hellhöriger geworden.
,, Das bezweifle ich. Ihre Runen waren überall zu finden. Und es war in einen Marmorblock eingeschlossen, der seit jeher unverrückt in diesem Tempel stand. Ich hoffe einfach mehr darüber herauszufinden, was dahinter steckte. Und der Kaiser meinte, ihr könntet mir dabei vielleicht weiterhelfen.“
Erik schien eine Weile stumm nachzudenken. Langsam ging der alte Arzt auf und ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. ,, Das ist wirklich seltsam. Ich kann nicht behaupten, schon einmal davon gehört zu haben. Aber vielleicht gibt es einen Weg, wie ich euch trotzdem weiterhelfen könnte. Oder besser, wir würde uns gegenseitig einen Gefallen tun.“
,,Wie ?“ Galren hatte schon aufgeben wollen, als der Mann behauptete, von nichts zu wissen. Nun jedoch hielt er ihnen scheinbar doch einen Strohhalm hin. Und er war gewillt, danach zu greifen…
,, Nun, das hängt mit dem zusammen, was ich hier suche. Kommt mit, ich erkläre es euch…“
Mit der Hand winkte er ihnen, ihm zu folgen und so machte sich die kleine Truppe, angeführt von Erik, Cyrus und Eden, auf den Weg durch das Zeltlager.
Der Arzt grüßte einige Arbeiter, denen sie Unterwegs begegneten und manche der Wachen salutierten sogar vor ihm, auch wenn es eher aus Respekt denn Disziplin zu geschehen schien.
Die Männer trugen Schaufeln und schafften Karren voller Erde aus den Gruben, die sich rings um die Zelte erstreckten. In einem dieser Löcher, das kaum tiefer als zwei Handbreit reichte, bemühten sich grade einige Gejarn darum, einen verbrannten und halb vergrabenen Balken aus dem Erdboden zu lösen. Irgendetwas an dem Anblick war seltsam, dachte Galren, aber es dauerte einen Moment bis ihm klar wurde, was genau. Das hier war eine Stadt des alten Volkes. Davon abgesehen, das er hier noch gar keine Holzbauten gesehen hatte, hätten sie die Jahrhunderte wohl auch kaum Überstanden, aber dieses Holz hier war kaum verwittert, sah man von den Schäden einmal ab, die das Feuer hinterlassen hatte. Es konnte kaum so alt wie die Steinbauten sein oder es wäre längst verrottet…
Erik bemerkte offenbar seinen fragenden Blick.
,, Vor knapp dreihundert Jahren, lebten hier noch die Gejarn. Das war lange vor Simons Aufstand gegen die alten Kaiser. Aber sie wurden vertrieben, nachdem ihre Siedlung niederbrannte… seitdem ist kaum noch jemand hier gewesen. Sieht man von den üblichen Raubgräbern einmal ab. Aber dieser Ort ist schlicht zu groß, als das sie alles gefunden hätten.“
Der Arzt trat auf einen der zahlreichen Tische zu, auf denen die Fundstücke trockneten, die seine Männer am Fluss geborgen hatten.
Elin besah sich die Splitter zerbrochenen Tons und vernichteter Artefakte skeptisch. ,, Hier gibt es doch nur Schutt…“
,, Für dich mag es wie Schutt wirken, Mädchen. Aber man kann viel daraus lernen. Glaub mir das. Aber ich bin mir auch sicher, das sich hier einst noch eine größere Anlage befunden haben muss. Etwas, das die kleinen Tempel und Paläste hier rundum bei weiten in den Schatten gestellt hätte. Und genau danach suche ich.“
,, Müsste man die Überreste eines solchen Gebäudes nicht von überall her sehen ?“, fragte Armell. ,, Auch nach all den Jahrhunderten wären doch zumindest noch die Grundmauern zu erkennen…“
,,Genau.“ Erik grinste. ,, Aber das alte Volk verstand es gut seine Geheimnisse zu wahren. Auch und grade voreinander. Ihre Zaubererkaste lag in ständigen Wettstreit untereinander. Als ihr Volk unterging, bemühten sie sich umso mehr ihre größten Geheimnisse und Schätze in Sicherheit zu bringen…“
,, Ich habe so einen Ort schein gesehen.“ , bemerkte Eden wie beiläufig. ,, Und ihr vermutete genau so etwas hier im Tal ?“
,, Eine Kammer… oder vielleicht auch ihre Überreste. Irgendwo hier unter dem Sand und dem Talboden. Ja.“
,, Ich glaube, falls wir beide von der gleichen Sache reden, einer Schatzkammer, dann müssen wir uns nochmal dringend über meinen Anteil unterhalten, alter Freund.“ Die Gejarn lachte zwar dabei, aber ihre Stimme blieb todernst.
,, Eden…“ Cyrus sah seine Frau nur vorwurfsvoll an, was diese jedoch nicht großartig zu kümmern schien.
,, Ihr macht nichts umsonst, oder ?“ Erik ran sich ein gequältes Grinsen ab.
,, Nicht wenn ich die Wahl habe. Dem Prinzip bleibe ich treu…“
,, Aber wie kommt ihr darauf, das sich hier etwas befindet ?“ , wollte Galren wissen.
,, Zum einen, sind wir nicht die Ersten, die hier graben. Die alten Kaiser waren schon vor uns hier und haben diesen ort erforscht. Wenn man das denn so nennen kann. Wisst ihr, bevor die Ordeal-Kaiser kamen, war dieser Ort noch teilweise intakt. Ich will gar nicht wissen, was diese Narren in ihrer Gier nach mehr Macht und Magie alles für immer zerstört haben. Aber sie haben immerhin eine Träne aus den Ruinen geborgen…“
,, Eine Träne ?“ Armell wusste, was er meinte. Und doch führte dieses Wissen nur zu unangenehmen Erinnerungen und Schmerz. ,, Ihr meint eine Träne Falamirs, oder ?“
Der Arzt nickte. ,, Aber ich habe gute Gründe zu glauben, dass sie längst nicht alles fanden, was hier verborgen lag. Und ich habe auch andere Quellen als sie. Doch dazu vielleicht später mehr Was zählt ist, unter diesem Land liegt mehr als Scherben und Trümmer, Galren. Und wer weiß, was wir finden können. Vielleicht auch Antworten auf eure fragen. Das alte Volk hat viele Aufzeichnungen hinterlassen, den ihr Wissen war es , was sie vor allen anderen Schützen wollten, weniger ihrer Schätze. Doch die meisten sind der Zeit und der Witterung zum Opfer gefallen. Finden wir jedoch eine Archivkammer, eine intakte Bibliothek… Das Wissen darin alleine wäre ein Königreich wert…“
,, Und könnte vielleicht erklären, wie ein Schwert in einem Tempel des alten Volkes gelangte, der weit jenseits unserer Küsten steht…“ , stellte Galren fest.
,, Ich sehe ihr versteht. „ Erik grinste breit. Es gab einen Haken an der Sache, das wusste Galren seit dem Moment in dem der alte gemeint hatte, sie müssten sich gegenseitig helfen… ,,Da gibt es nur ein Problem… wir müssen sie erst finden.“
Als die Sonne am Abend über dem roten Tal unterging, wandelten sich die steilen Felswände von dunklem Purpur in hell leuchtendes Feuer. Einzelne Lichtbalken fielen durch leere Fenster und halb zerfallenen Säulengänge und zeichneten scharfe Schatten auf den Erdboden.
Galren beobachtete das Schauspiel fasziniert, während Elin an seiner Schulter lehnte. Gedankenverloren legte er einen Arm um sie. An Schlaf war für ihn nach dem heutigen Tag nicht zu denken. Nicht nach dem, was sie erfahren hatten… und was die Rätsel nur verworrener gemacht hatte, die ihn beschäftigten.
Galren und die anderen hatten den ganzen Tag damit zugebracht, mit Eriks Arbeitern zusammen das Tal zu durchkämmen. Wie sich herausstellte, suchte der Mann nicht nur in der Nähe des Zeltlager sondern hatte mittlerweile kleine Gruppen über die gesamte Länge des Tals verteilt.
Die Ruinenstadt war gewaltig und wenn er sich vorstellte, wie dieser Ort zu seinen Glanzzeiten ausgesehen haben musste… Hier hatten einst Tausenden gelebt, wenn nicht mehr und doch war alles was von ihnen geblieben war der Staub. Staub, der mit dem Wind durch jede Steinfuge und selbst durch ihre Kleider drang, während sie sich durch die Sonne schleppten.
Nachdem Galren zugestimmt hatte, Erik bei seiner Suche zu helfen, hatte der Mann nicht lange gebraucht um seine erste Aufgabe für sie zu finden. Zusammen mit dem Arzt, Cyrus und Eden machten sie sich zu einer der Gruppen auf, die sich an einem alten Tempel im Tal einquartiert hatte um dort nach möglichen Spuren zu suchen. Schon von weitem konnte man den eingefallenen Bau erkenne, der unter einem Felsvorsprung aufragte. Das einstmals breite Kuppeldach war wohl schon vor Jahrhunderten eingefallen und hatte nur einen Rundbogen aus ineinander greifenden Säulen hinterlassen, zwischen denen Halbhohe Mauern aufragten.
Im Schutz der Tempelanlage standen ein halbes Dutzend Zelte, die sich nicht groß von jenen am Fluss unterschieden. Genau wie dort arbeiteten eine Handvoll Gejarn und Menschen im Schatten der Felsen,, siebten den Grund durch und schafften Beiseite, was sie fanden, seien das Scherben, Schmuck oder Gegenstände, die bereits so verrostet waren, das man ihre ursprüngliche Form und Funktion kaum mehr erraten konnte.
Einen Hinweis auf irgendeine Kammer jedoch fand sich nicht darunter. Und wieso sollte es auch?, dachte Galren. Wenn es in diesem Tal ein Versteck gab, das bisher niemand gefunden hatte, würde es nicht irgendwo auf einer alten Tafel ausgeschildert sein.
Wenn er nur noch über seine Gabe verfügen könnte, dann wäre das wenigstens kein Problem. Er könnte vermutlich sofort herausfinden ob und vor allem wo sich hier etwas befand. So jedoch blieb ihnen nur, Mühsam alles zu durchkämmen. Und das taten sie…
Den ganzen restlichen Tag brachten Galren und die anderen damit zu, den übrigen Arbeitern beim Graben zu helfen. Der Boden, der von oben so staubig und locker wirkte, wurde bereits nach wenigen Spatenstichen lehmig und schwer wie Blei, so dass die Arbeit nur langsam voranging. Aufgewirbelter Staub und Dreck legten sich als Schleier über alles und färbten sogar ihre Haut dunkel. Noch vor dem Nachmittag sahen Galren, Armell , Erik und auch alle anderen von dessen menschlichen Helfern aus wie die Leute weiter aus dem Süden, wo die westliche und östliche Sonnensee durch dutzende von unberechenbaren Gezeitenkanälen miteinander verbunden waren.
Was die Gejarn anging, so nahm vor allen Elins Pelz langsam einen mehr und mehr rötlichen Ton an und färbte sich langsam von ehemals weiß über rosa zu etwas, das wirkte, als wäre sie in einen Eimer mit Schlachtabfällen gestürzt. Der einzige, der davon unberührt blieb, war Cyrus. Doch der schwarze Wolf hatte sichtlich andere Probleme. Wenn jemanden die Temperaturen im Tal zu schaffen machten, dann wohl ihm.
Es war eine ermüdende Arbeit und so viel Erdreich sie auch bei Seite schafften und das Gefühl wirklich voranzukommen, wollte sich nicht einstellen. Der brüchige Boden am Rand der Gruben brach immer wieder ein, füllte die grade erst ausgehobenen Bereiche und außer Bergeweise Scherben, die Erik alle fein säuberlich bei Seite bringen ließ, hatten sie bisher nichts zu Tage gefördert. Dieser schien auch der einzige zu sein, der an der Arbeit durchgehend Spaß zu finden schien.
,, Wenn er im Dreck wühlen kann ist er glücklich.“ , meinte Cyrus mit einem nicken in Richtung des weißhaarigen Arztes. Dieser hatte sich über eine kleine Aushöhlung inmitten der großflächigeren grabungsstelle gebeugt, scheinbar um dort etwas zu begutachten. Mit Feingefühl, dünnen Metallstiften und einer Bürste machte er sich daran, Schicht um Schicht den Dreck von irgendetwas etwas zu entfernen, das sein Interesse geweckt hatte.
,, Du bist ein zu groß geratener Hund.“ , blaffte Erik zurück ohne sich dabei von seiner Arbeit ablenken zu lassen. ,, Dir sollte das Spaß machen.“
Cyrus antwortete mit einem ärgerlichen Grummeln. ,, Egal.. es könnte schlimmer sein.“ , meinte er schließlich, fügte aber an Eden gerichtet leise hinzu : ,,Manchmal, wenn ich ihm nicht etwa dreißig Mal mein Leben schulden würde….“
,, Zweiundfünfzig mal !“ , kam prompt die Antwort, des mit dem Kopf halb in der Grube hängenden Arztes.
,, Ich war mir sicher, es wäre weniger.“
,, Ich zähle sehr genau mit, Herr Wolf.“ Erik hatte sich mittlerweile auf Hände und Knie niedergelassen und begutachtete nach wie vor seinen Fund. Armell, die zu ihm getreten war, sah ihm dabei zu, konnte jedoch nicht richtig erkennen, was die Aufmerksamkeit des Mannes eigentlich so fesselte. Mit einem knarzenden Geräusch löste sich jedoch endlich etwas aus dem Boden und Erik hielt seinen Fund triumphierend hoch. ,, Hab ich dich…“
,,Und noch eine Scherbe.“ , stellte die junge Adelige enttäuscht fest. Etwas anderes schien es hier auch nicht zu geben, dachte sie frustriert. Aber was hatte sie erwartet? Das sie sofort fanden was dieser Mann und seine Leute seit Wochen vergeblich suchten? Sie hatte kein Problem damit sich die Hände schmutzig zu machen. Die Anstrengung war eine willkommene Abwechslung. Nach den Wochen, die sie in sich gekehrt in Freybreak oder auf der Straße verbracht hatte, tat es sogar gut, sich wieder einmal wirklich zu verausgaben. Aber es gab wichtigeres, als Vasenüberreste. ,, Wir haben den ganzen Tag welche ausgegraben, Erik. Verratet ihr mir, was ihr damit wollt? Dadurch erfahren wir sicher nichts…“
,, Und genau da irrt ihr euch, meine Liebe.“ Der alte Mann erhob sich erstaunlich geschickt wieder auf die Füße und winkte ihnen allen zu, ihm zu folgen. Die ausgegrabene Scherbe reichte er lediglich a einen Gejarn weiter, der sie entgegennahm und zurück ins Lager am Tempel brachte, wo man sie sich näher ansehen würde. Erik jedoch führte sie an den Rand der Grube und setzte sich auf die Grasnarbe am Rand derselben, während sie sich um ihn versammelten.
,, Nichts an einem Ort wie diesen ist wertlos oder Schrott. Lasst mich euch einmal zeigen, was wir durch allein diese Scherben schon erfahren haben. Ich sagte ja, ich habe Grund zur Annahme, dass dieser Ort weit mehr verbirgt, als die alten Kaiser je glaubten. Und das hier ist der Grund dafür…“
Beinahe ehrfürchtig nahm der Mann seine schwere Tasche auf den Schoß und zog etwas daraus hervor, das in mehrere lagen schweren Samt eingeschlagen war. Doch was sich darunter befand war nicht etwa ein wertvolles Kleinod, sondern eine weitere Scherbe. Die Farbpigmente, die sie einmal verziert hatten waren im Laufe der Jahrhunderte zwar verblasst, aber die Szene darauf war nach wie vor deutlich zu erkennen.
Zwölf Figuren waren darauf gezeichnet, alle durch ein gleichförmiges Schemen ohne Individuelle Züge dargestellt. Das einzige, was sie voneinander unterschied waren die von Flammen gekrönten Häupter. Der Künstler hatte dem Feuer eines jedem eine eigene Farbe gegeben. Die Hände vorgestreckt, wie um ihm Einhalt zu gebieten, hatten sich die zwölf vor einer formlosen Schwärze aufgebaut, die den gesamten Rest der Scherbe einnahm. Mehr war jedoch nicht zu erkennen, weder, welche Gestalt die Dunkelheit hatte, noch was sonst noch vorgehen mochte…
,, Dieses Feuer ?“ , fragte Galren. Vorsichtig nahm er Erik die Scherbe ab, als dieser sie ihm hinhielt.
,, So stellte das alte Volk Magie da.“ , erklärte sein gegenüber. ,, Der Kuss der Sternengötter, die ihr Volk gesegnet hatten…“
,, Und das hier ?“ Elin deutete auf den Schatten. Die Pigmente lösten sich unter ihren Fingern einfach auf, so alt wie sie waren.
,, Ehrlich gesagt weiß ich das selbst nicht. Das Bild ist zu unvollständig und wenn diese Scherbe einmal zu einem größeren Relief gehörte, so haben wir bisher keine weiteren Überbleibsel davon gefunden. Aber ich glaube, ich weiß, wer die zwölf im Vordergrund sind. Ich glaube hier an diesem Ort wurden die Unsterblichen erschaffen…“
Armell schien skeptisch. ,, Niemand hat seit Jahrtausenden etwas von ihnen gehört. Ich dachte die seien nur eine Legende. „ Sie dachte einen Moment nach. ,, Allerdings… es gibt wohl auch Leute, die Falamirs Tränen für Legenden hielten, bis sie wieder auftauchten.“
,, Ich weiß nicht.“ , bemerkte Galren. Er hatte bereits einmal von den Unsterblichen gehört. Nicht in den Geschichten, die sich die Leute erzählten. Nicht in einer Legende… doch es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde wo. Bei den Zwergen. Der Tempel im Herzen der Stadt war ihnen geweiht gewesen. Aber wo war da die Verbindung… was hatten Wesen, die das alte Volk einst erschaffen hatte mit den Zwergen zu tun? Und ein ihnen geweihter Tempel wiederum mit dem Schwert, das sein Vater gefunden hatte?,, Wenn ihr sagt, das alte Volk hätte sie erschaffen, dann doch zu einem Grund ? Wozu also ?“
Erik zuckte mit den Achseln. ,, Als Waffen ? Wächter ? Weil sie es eben konnten? Ich weiß es nicht.“
,, Die Zwerge beten die Unsterblichen sogar an.“ , bemerkte Galren nachdenklich. Irgendwie wollte das ganze schlicht keinen Sinn ergeben. ,, Uns insbesondere einen. Den Herrn des Feuers, wie sie ihn nennen.“
Erik nickte. ,, Interessant. Ich schätze, das ist einer der Namen, der ihnen direkt vom alten Volk gegeben wurde. Aber würdet ihr mir erklären, warum sie ihn als Gott verehren sollten?“ Wenn Galren es nicht besser wüsste, er würde beinahe sagen, dass der Arzt erbost darüber war.
,, Wenn ich mich richtig an das erinnere, was Hadrir darüber erzählt hat dann hat er sein Volk einst über das Meer geführt…“ Elin schien mittlerweile genauso ratlos wie er, dachte Galren.
,, Und er hat nichts Besseres zu tun, als sich erstmal anbeten zu lassen.“ Erik klang tatsächlich wütend. ,, Was für ein Narr. Stellt sich nur die Frage, was er damit bezweckt hat…“
,,Bezweckt ?“
,, Nicht… so wichtig.“
,, Aber so wie ihr sprecht, scheint ihr euch ziemlich sicher zu sein, das sie keine bloße Legende sind.“
,, Ich vermute, das mindestens zwei Unsterbliche direkt in den Bürgerkrieg involviert waren, in dessen Folge die Ordeal-Kaiser Falamirs Tränen überhaupt erst verloren.“ , erklärte der Alte prompt.
,,Und der Rest ? Sind sie tot?“
,, Ich bezweifle es. Auch wenn seine physische Form sehr wohl noch sterben kann, wer immer einen Unsterblichen vernichtet, müsste unweigerlich seinen Platz einnehmen. Das ist die Unsterblichkeit, die das alte Volk für sie vorgesehen hat. Der Körper des Unglücklichen mag sterben, aber seine Aufgaben, seine Macht würden einfach weitergegeben. Ich denke mal der einzige, der einen Unsterblichen wirklich vernichten könnte… wäre ein anderer Unsterblicher. Und das dürfte für keinen der Beteiligten gut ausgehen. Aber, vielleicht sind das auch alles nur Geschichten. “
,, Ihr wisst eine Menge über etwas, das ich bis vor einigen Augenblicken noch für eine Legende gehalten habe.“ , bemerkte Armell.
,,Tue ich das ?“ Eriks Züge bekamen einen Augenblick etwas Düsteres. ,, Vielleicht habt ihr recht. Aber ich bin alt, meine Liebe. Ihr könnt es einem alten Narren nicht verübeln, wenn er sich in seine Geschichten flüchtet. Doch wie ihr schon sagtet. Auch die Tränen hielten manche für Legenden. Und hinter den meisten Legenden lauert irgendwo ein Funken Wahrheit. Und manchmal wäre es besser, wenn er nie ans Licht kommt.“
Das vielleicht, dachte Galren. Er hatte so seine Erfahrungen gemacht, was Dinge anging, die man lieber nie in Erfahrung gebracht hätte. Aber blieb ihm den eine Wahl? Aber das Puzzle, das ihn beschäftigte war grade nur größer geworden, nicht kleiner. Nach wie vor schien er von einer Antwort weiter entfernt als jemals während seiner Zeit bei den Zwergen. Und seine einzige Hoffnung lag irgendwo hier unter Schutt, Sand und Dreck begraben…
,, Ich habe ehrlich gesagt genug von trocken Brot und gepökelten Fleisch.“ , erklärte Erik. Der Mann trug eine Angel auf der Schulter, während sie ihm am Fluss entlang folgten. Das Wasser floss träge dahin, war jedoch tief genug, das man mit etwas Glück Fische im Strom beobachten konnte. Nur hatte der Arzt etwas ganz anderes vor, als sie nur zu beobachten.
Elin lief bei dem Gedanken das Wasser im Mund zusammen. Er war nicht der einzige, der das Lageressen langsam nicht mehr sehen konnte. Frischer Fisch klang im Vergleich dazu nach einem Festmahl und wenn sie schon einmal am Wasser waren, fand sie vielleicht auch Gelegenheit zum Baden. Der Staub färbte nicht nur ihre Kleidung sondern auch ihre Haare rot und blieb einfach überall hängen. Selbst in die Zelte fanden die feinen Körner irgendwie ihren Weg…
So schön dieser Ort von weitem wirkte, sich länger hier aufzuhalten konnte tatsächlich zu einer Tortur werden, dachte die Gejarn. Am liebsten hätte sie sich jeden Tag ins Wasser gestürzt, aber Erik hatte seine Rundreise durch das Tal erst vor Vorgestern beendet und manche der Grabungsstädten waren weit vom Flussufer entfernt.
Als der Mann nun jedoch aufbrach, ließ es sich keiner von ihnen zweimal sagen, ihn zu begleiten. Schon alleine um nicht die Chance auf etwas Abwechslung bei ihrem Speiseplan zu verpassen.
Galren, Elin, Erik, Armell, Cyrus und Eden suchten sich eine geschützte Stelle, etwas Abseits des Lagers, wo der Fluss nicht mehr zwischen den Ruinen hindurchfloss. Stattdessen wurde das Ufer hier steiniger und große Felsen, die vielleicht einst von den Klippen herabgestürzt waren, ragten aus dem Wasser. Sorgen mussten sie sich deswegen wohl nicht, denn was auch immer hier geschehen war, die hohen Felswände des Tals waren hier bereits glatt geschmirgelt und wirkten nicht so, als könnte sie je etwas erschüttern. Doch selbst wenn, hätte sie sich im Augenblick ganz sicher nicht davon abschrecken lassen. Das Wasser war schlicht zu verlockend um unschlüssig am Ufer herumzustehen und überraschenderweise eiskalt, als sie den ersten Fuß hinein setzte. Vielleicht entsprang der Fluss hier irgendwo aus einer Höhle, ansonsten hätte die Sonne ihn sicher bereits aufgewärmt. Doch was auch immer der Grund war, Elin würde sich sicher nicht beklagen. Einen Moment blieb sie nur im knöchelhohen Wasser stehen und genoss die Kälte. Ihre Zehen gruben sich in den Schlamm des Flussbetts , während sie ihre schmutzigen Kleider auszog und am Ufer zurückließ. Vielleicht käme sie auch noch dazu, zumindest den gröbsten Schmutz herauszuwaschen.
Die Männer um Erik hatten sich etwas weiter oben am Fluss versammelt und versuchten weiter ihr Glück beim Angeln, so dass die Frauen ihre Ruhe haben würden. Armell war bereits zwischen dem Schilf verschwunden, der das gesamte Ufer überwucherte und nur noch als Schemen irgendwo weiter draußen auf dem Fluss auszumachen. Elins Mutter war hingegen bereits bis in die Mitte des Flusses geschwommen, wo das Wasser ruhiger floss.
Mit einem zufriedenen seufzen ließ Elin sich ganz ins Wasser gleiten und schwamm ein Stück weit vom Ufer fort, bis sie grade noch bequem stehen konnte. Der Staub, der sich in ihr Fell gemischt hatte, hatte dessen Farbe mehr zu rostrot gewandelt und ließ sich nicht einmal herausbürsten. Sie hatte den Versuch gewagt, doch mehr als eine Staubwolke und eine ruinierte Bürste war nicht dabei herausgekommen. So ließ sie sich einfach eine Weile treiben und einweichen. Das Wasser hier war seicht und der Strom floss so träge, das sie nicht einmal groß dagegen anschwimmen müsste. Auf der anderen Seite des Flusses wiederum erhob sich ein einzelner, hoher Baum, dessen rote Blätter zusätzlich Schatten spendeten und sich sanft im Wind wiegten.
Von hier aus betrachtet, verlor das Tal um sie herum seine Rauheit, die sie in den letzten Tagen mehr als deutlich zu spüren bekommen hatten. Auch nach all der Anstrengung, die er ihnen bescherte, war dieser Ort schlicht atemberaubend…
Und es war besser als so einiges, was ihnen im letzten Jahr wiederfahren war, dachte sie. Beinahe idyllisch. Für den Augenblick zumindest, war einfach einmal alles In Ordnung. Und sie hatte Galren. Allein der Gedanke ließ ein wohliges Kribbeln in ihr Aufsteigen. Wussten die Ahnen was sie zu diesem Mann gebracht hatte, aber… es würde schon einiges brauchen, damit sie ihn wieder hergab.
Nach einer Weile sah sie sich nach Armel und ihrer Mutter um. Die junge Adelige hielt sich etwas abseits von ihnen und Eden hatte ihr den Rücken zugewandt.
,, Ich glaube ich bin noch nicht dazu gekommen, dir das zu sagen, aber… ich freue mich wirklich, das du hier bist.“ , meinte die ältere Gejarn und hielt einen Augenblick mit Waschen inne. Auch wenn Elin ebenfalls mit dem Rücken zu ihr stand, konnte sie sich das Gesicht ihrer Mutter nur zu deutlich vorstellen. Und den Ton in ihrer Stimme. Unverhohlene Neugier. Elin war klar, dass sie über irgendetwas reden wollte. ,, Ich weiß wir hatten in der fliegenden Stadt nicht wirklich viel Zeit…“
,, Ma… raus mit der Sprache, was ist los ?“ Auch wenn Elin fürchtete, es sich denken zu können. Das Gespräch hätte sie sich dann wirklich gerne erspart. Aber wenn ihre Mutter neugierig wurde, hielt sie auch nichts davon ab, eine Antwort zu bekommen.
,, Dieser Mann, Galren, ist das der von dem du so viel erzählt hast ?“
,,Ja…“ , antwortete Elin gedehnt und drehte sich schließlich doch zu ihrer Mutter um. Nein ihr gefiel jetzt schon nicht, welche Richtung dieses Gespräch nahm.
,, Und ?“ Die Neugier stand ihr ins Gesicht geschrieben.
,, Was und ?“
,, Ich sehe doch, wie du ihn ansiehst… und er dich, wenn er glaubt ich… oder vor allem Cyrus sehen grade nicht hin. Ich glaube fest, er hat ein wenig Angst vor deinem Vater.“
,, Nur bis er ihn kennen lernt.“ Zumindest hoffte sie das. Der Wolf konnte einem sicher Angst machen… aber doch nicht Galren. Und er konnte einer der sanftesten und fürsorglichsten Leue sein, die sie kannte. Ein extrem fürsorglicher Wolf, der einem auch mühelos alle Knochen brechen könnte. Und manchmal auch so aussah. Vielleicht verstand sie doch, warum manchen Respekt vor ihm habe könnten.
,, Ich glaube Cyrus mag ihn.“ , erklärte ihre Mutter nur, als hätte sie erraten, wohin ihre Gedanken gingen. ,, Also, jetzt erzähl schon.“
,,. Da gibt es nicht viel zu erzählen. Wir… stehen noch ganz am Anfang Wir… ich habe es ihm in der fliegenden Stadt gesagt. Bevor wir hierhergekommen sind.“
,, Also habt ihr schon..“
,, Das geht dich gar nichts an.“ , fuhr Elin ihr dazwischen, als ihr klar wurde, worauf ihre Mutter hinaus wollte. Wäre das Fell nicht, sie hätte sich die Mühe sparen können, den roten Staub wegzuwaschen.
Eden jedoch lachte nur lauthals, während Elin am liebsten im Fluss versunken wäre. Vielleicht wäre das gar keine so schlechte Idee. Sie könnte bestimmt, bis zum Ufer tauchen. ,, Das war ein ja.“
,, Ma… könnten wir jetzt bitte über was anderes reden ?“ Im Augenblick wäre ihr wirklich alles lieber, als sich mit ihrer Mutter über Galren zu unterhalten. Oder was sie im Bett taten…
Eden schüttelte immer noch kichern den Kopf. ,, Er scheint ja ganz nett zu sein. Sag mir nur wenn ich mich da jemals täusche, dann sorg ich dafür, das Cyrus sich mal mit ihm unterhält, ja?“
Das wäre so ziemlich das letzte was sie wollte. Elin schüttelte hastig den Kopf. ,, Ich… liebe ihn wirklich. Also bitte…“
Zu spät wurde ihr klar, dass ihre Mutter sich lediglich einen Scherz erlaubt hatte. ,, Da hat es jemanden aber schwerer erwischt, als mir klar war.“
Elin antwortete, indem sie der älteren Gejarn einen Schwall Wasser ins Gesicht spritzte und sich dann schleunigst in Richtung Ufer aufmachte. Immerhin entkam sie so weiteren Fragen. Und jetzt könnte sie wirklich etwas zu essen vertragen. Hoffentlich hatten di anderen auch etwas Gefangen…
Der Duft von bratendem Fisch breitete sich rasch an ihrem kleinen Lagerplatz aus. Der Fang des alten Arztes aus Vara lag in einer großen Pfanne über dem Feuer und wurde langsam braun. Galren hatte es anfangs nicht glauben wollen, aber der Mann hatte tatsächlich innerhalb weniger Augenblicke die ersten drei Fische aus dem Strom gezogen und weitere waren so bald gefolgt, das sie nicht alle auf einmal zubereiten konnten. Ihr restlicher Fang landete in einem Eimer und Sentiene tat sich bereits an einem davon gütlich. Das Wesen hatte sich geschickt einen der Fische in den Schnabel gepackt und wachte nun eifersüchtig darüber. Eigentlich überraschte es Galren, das ein aus Magie geschaffenes Lebewesen überhaupt etwas aß. Aber der seltsame Vogel hatte ja ohnehin mehr als nur einen eigenen Kopf bewiesen, dachte er. Vielleicht hatte es einfach Spaß daran.
Etwas abseits der Feuerstelle hatten Erik und Cyrus mittlerweile eine Reihe von Steinen zu Tischen und Bänken umfunktioniert und brüteten darüber, während der Arzt sich seine Pfeife stopfte. Der dichte Tabakdunst vermischte sich mit dem Geruch des Fischs und ließ in Galren die Erinnerung an lange Abende am Strand von Hamad aufkommen. Damals war noch alles in Ordnung gewesen, dachte er. Lias und die übrigen Bewohner des Dorfs hatten sich am Strand versammelt, Tang und Treibholz verbrannt… während Bier und Fisch vom einzigen Gasthaus herangekarrt worden waren…
Insgeheim fragte er sich, ob er je wieder so einen Tag erleben würde, oder ob seine Zukunft daraus bestehen würde, weiter getrieben zu sein. In dem Moment, in dem er die Kiste geöffnet hatte, die Hedan ihm brachte, war eine Kette von Ereignissen ins Rollen gekommen… und er hatte keine Ahnung ob sie irgendwo auch wieder halten oder ihn schlicht mit sich reißen würden.
,, Sieht so aus, als hättet ihr verloren , Herr Wolf.“ , hörte er Eriks Stimme von den improvisierten Tischen her. Er und Cyrus waren in ein Spiel Königsstein vertieft, ein Spiel, das letztlich aus dem simplen Umstand heraus entstanden war, das man nichts dafür brauchte, als ein paar Steine mit Einkerbungen darauf. Damit war es für manche ein willkommener Ersatz für Würfelspiele und dergleichen geworden, das von den Offizieren der Garde nicht oft geduldet wurde. Würfel konnte man konfiszieren. Steine waren immer zur Hand und schnell mit ein paar Symbolen versehen.
Insgesamt gab es fünf Figuren, den Bauer, den Ritter, den Lord , den König und den Narren, wobei jede die vorangegangenen schlagen konnte, außer dem Narren. Dieser konnte zwar jeden anderen Stein übertrumpfen, wenn er gesetzt wurde, danach aber von jedem weiteren Stein des Gegners geschlagen werden.
Die Steine wiederum wurden zu je zwanzig Stück in einen Beutel gemischt , aus dem jeder Spieler zufällig sieben bekam und mit jeder Runde einen auswählen musste, den er auf den Spieltisch brachte. War er dazu nicht mehr in der Lage schied er aus und das Spiel wurde unter den verbleibenden Kontrahenten fortgesetzt bis nur noch einer übrig blieb. Da Erik und Cyrus jedoch alleine spielten, war es eine kurze Angelegenheit, bis einer von ihnen aufgeben musste. Und bisher war das nur einer von ihnen gewesen…
,, Wie macht ihr das bloß, alter Mann ?“ , fragte der Wolf lachend. ,, Ihr habt mich dreimal hintereinander geschlagen. Euer Glück ist unheimlich…“
Erik grinste nur stumm in sich hinein und zog an seiner Pfeife, während er die Steine zusammenräumte und in einem einfachen Lederbeutel verschwinden ließ. ,, Und will vielleicht noch jemand sein Glück versuchen ?“
Eine Rauchwolke drang aus den Mundwinkeln des Mannes. Herausfordernd sah er in Richtung Galren, der sich über die Pfanne gebeugt hatte und den Fisch wendete.
,, Nein danke. Ich halte mich lieber ans Essen.“ , erklärte er. ,, Ich schätze, die Chance, das mit das eins Auswischt als deutlich geringer ein.“
,, Kommt drauf an, wie lebendig der Fisch ist.“ , stellte der Arzt lachend fest. ,, Und ihr Cyrus ?“
,, Ich gebe auf.“ Der Wolf hob mit einem resignierten Lächeln die Hände in die Luft. ,, Sind wir ehrlich ich habe euch in all den Jahren, die wir uns kennen kein einziges mal geschlagen.“
,, Und was ist mit mir ?“ , fragte da eine Stimme hinter Galren. Elin kam mit Armell und Eden grade die kleine Anhöhe hinauf, die zwischen ihnen und dem Flussufer lag.
,, Ihr kommt grade richtig zum Essen.“ Der Arzt erhob sich halb von seinem Platz auf den Steinen und warf Elin den Beutel zu.
Diese erwiderte erst gar nichts, sondern setzte sich ihm gegenüber hin und begann, Spielsteine zu verteilen.
,,Spielen wir um euren Anteil ?“ , fragte sie schließlich grinsend.
,, Also gut. Ich gebe auf…“
Sie waren längst alle mit dem Essen fertig, bis Erik endlich zugab, dass er geschlagen war. Eine halbe Ewigkeit hatte er über seinen verbliebenen Steinen gebrütet, nun jedoch legte er sie schließlich Beiseite. Er bedachte die restlichen Fische mit einem bedauernden Blick, während Elin mit einem kleinen Jauchzen aufsprang.
Mit einem Satz war sie bei dem verbliebenen Teller und machte sich darüber her. Eriks Mine hatte mittlerweile wirklich etwas wehleidiges, während er dabei zusah und begann, die Steine zusammen zu räumen. Mit einem Seufzten erhob er sich schließlich ebenfalls und setzte sich zu ihnen an das mittlerweile heruntergebrannte Feuer. Nur noch vereinzelte Glutnester glommen zwischen der Asche und den verbrannten Balken und ein dünner Rauchfaden zog sich hinauf zum dunkler werdenden Himmel.
Cyrus hatte mittlerweile damit begonnen, einen Weinschlauch herumgehen zu lassen, den er wohl irgendwo aufgetrieben hatte und Erik nahm ihm den Beutel ohne ein Wort ab und nahm erst einmal einen tiefen Schluck.
Der Tag war mittlerweile bereits fortgeschritten und die Schatten im Tal wurden langsam länger. Besonders die hohen Felswände tauchten bereits einen großen Teil des Landes in Dunkelheit, doch hier oben auf der kleinen Anhöhe über dem Fluss blieb es wohl noch etwas länger hell. Trotzdem wurde die Luft bereits kühler und die Steine begannen die Wärme des Tages abzustrahlen.
,,Keine Spiele mehr.“ , meinte der Arzt seufzend, als er den Weinschlauch weitergab. Elin hatte mittlerweile bereits einen der Fische verschlungen und kaum mehr als ein paar Gräten übrig gelassen. ,, In meinem Alter kann man nicht mehr so einfach auf eine Mahlzeit verzichten…
,, Also gut.“ , seufzte die Gejarn schließlich. ,, Heute will ich mal Gnade vor Recht ergehen lassen.“ Elin hatte sich dem Alten genau gegenüber gesetzt und reichte ihm schließlich zumindest einen der Fische weiter. ,, Aber nur weil ich mir euer Gejammer nicht den ganzen Abend anhören will. Normalerweise hält man sich an Abmachungen. Alles andere ist nur schlecht fürs Geschäft.“
,, Götter ,Mädchen, ich wäre sonst auch verhungert, bis wir das Lager wieder erreicht hätten.“ , meinte der Alte lachend und schlug auch schon die Zähne in den Fisch, als hätte er sei Tagen nichts gegessen, dabei konnte es eigentlich höchstens ein paar Stunden her sein. Galren bekam nicht einmal mehr mit, ob er sich die Mühe machte, die Gräten zu entfernen. ,, Aber es ist viel zu lange her, das mich jemand geschlagen hat.“ , meinte der Arzt bewundernd und misstrauisch zugleich.
,, Wann war den das letzte mal ? Oder besser, gegen wen ?“ , wollte Cyrus wissen. Der Wolf hatte wohl immer noch nicht ganz überwunden, das Erik ihn zuvor dreimal geschlagen hatte… nur um dann sofort von seiner Tochter übertrumpft zu werden.
,,Nun. Eine ganze Weile. Ich bezweifle wirklich, dass einer von euch auch nur geboren war.“ , antwortete der Arzt zwischen zwei Bissen. ,, Und wenn sich der Herr des Feuers jetzt als Gott anbeten lässt…dann wohl genau gegen einen solchen.“
,, Deshalb wisst ihr also so viel über die Unsterblichen ? Und das sie keine Legende sind ?“Armell schien ihm nicht ganz zu glauben. Und wenn Galren ehrlich zu sich war, tat er das auch nicht. Irgendetwas an diesem Mann war schlicht seltsam, so freundlich er war.
,, Unter anderem.“ Erik hatte mittlerweile den Fisch bis auf die Gräten abgenagt und begann selbst diese noch sauber zu kratzen. Sein Tonfall machte deutlich, dass er nicht weiter darüber sprechen würde. Irgendetwas verschwieg dieser Mann ihnen, dachte Armell. Nun, sie würden es entweder erfahren oder nicht. Es gab bereits genug Rätsel, mit denen sie sich herumplagen durften. Und immerhin half ihnen der Alte wenigstens.
,, Eine Sache müsst ihr mir allerdings verraten.“ Der Weinschlauch war mittlerweile zu ihr gewandert und sie nahm einen kleinen Schluck. ,, Was hat einen Arzt aus Vara dazu gebracht eine Ausgrabung mitten im Nirgendwo anzuführen?“
,, Abwechslung, vor allem. Oder die Suche danach. Wart ihr schon einmal in Vara ?“
,, Vor einigen Jahren.“ , antwortete sie. Die Stadt, in mitten der Herzlande gelegen, war vor allem für ihre Universität bekannt. Wo andernorts der Palast oder die Burg eines Fürsten aufragte, befand sich dort nur der weitläufige Komplex aus Bibliotheken, Sälen und Gärten, der tausenden von Menschen aus dem ganzen Land anzog. Der Patrizier der Stadt hingegen lebte lediglich in einem kleinen Herrenhaus und vermutlich waren die Magister der Universität ohnehin längst die eigentlichen Herrn Varas. Doch zu politischen Spannungen war es deshalb nie gekommen, stattdessen herrschte zwischen eigentlichem Stadtherr und der Universität ein schweigendes Übereinkommen, sich aus den Angelegenheiten des jeweils anderen herauszuhalten.
,, Dann wisst ihr ja, wie es dort ist. Da wäre ich nur eingerostet. Ruhig ist eine Untertreibung wenn man von Vara spricht. Es ist kein Ort für jemanden wie mich.“
,, Also sucht ihr das Abenteuer ?“ Armell konnte sich tatsächlich nicht vorstellen, dass dieser Mann ruhig in einer Bibliothek saß oder gar Stunden damit zubrachte, andere zu unterrichten. Doch hier draußen schien er sich trotz seines Alters seltsam wohl zu fühlen.
,, Ein wenig.“ Der Arzt grinste und zu ihrer eigenen Überraschung lächelte Armell ebenfalls. Es war schwach und sie bezweifelte, das es jemanden auffiel, aber… es war ein Anfang nicht?
,, Zeitweise habe ich sogar in der Garde gedient.“ , fuhr Erik derweil fort. ,, Als Feldarzt ist man bei den Truppen eigentlich immer gerne gesehen und ich bin gleichzeitig herumgekommen. Sonst hätte ich Cyrus hier wohl auch nie kennengelernt.“
,, Erinnert mich nicht.“ , erwiderte der Wolf. ,, Wir hatten grade einen Angriff aus Laos überstanden, ich hatte einen fehlgegangene Kugle zwischen den Rippen und eigentlich schon halb mit meinem Leben abgeschlossen…“
,, Tja unser Freund hier ist eben der reinste Kugelfänger.“ Der Arzt legte das Fischgerippe bei Seite und begann seine Taschen nach pfeife und Tabak zu durchsuchen, die er auch bald fand. ,, Nur gut, das ich meist in der Nähe war um ihn wieder zusammen zu flicken. Und als die Universität jemanden suchte, der eine Expedition hierher anführen wollte, habe ich mich sofort freiwillig gemeldet. Ehrlich gesagt… ich war einer der einzigen. Keiner dieser piekfeinen Gelehrten war wild drauf die nächsten Monate bei Brütender Hitze im Schutt zu wühlen.“
,, Und euch viel natürlich nichts Besseres ein, als uns gleich mitzuschleppen.“ , erwiderte Eden.
,, Ich habe nur gefragt. Und es ist nicht so, das ihr Beide euch wirklich beklagt hätte. Ich meine, was macht ihr denn ohne mich…“
Statt einer Antwort warfen die beiden Gejarn sich nur einen vielsagenden Blick zu.
,, Wisst ihr was , vergesst es, ich will es gar nicht wissen.“
,, Und die Gejarn ?“ , wollte Armell nun wissen. ,, Ich dachte ja eigentlich, die Clans leben eher zurückgezogen. Wie habt ihr es geschafft, sie dazu zu bringen, für euch zu arbeiten?“
,, Sagen wir doch einfach, eine ihrer Ältesten ist eine gute Freundin von mir und schuldet mir noch den ein oder anderen gefallen.“ Offenbar war es dem Mann unangenehm, weiter darüber zu reden.
Stattdessen zündete er lediglich die Pfeife an und lehnte sich gegen einen Felsen.
Eden jedoch schien zu wissen, von wem Erik sprach. ,, Mhari ?“ , fragte sie lediglich und ihre Stimme klang dabei so, als müsste sie sich ein grinsen verkneifen.
Die Erwähnung des Namens sorgte dafür, dass Eriks Züge einen säuerlichen Ausdruck annahmen. Wütend zog er an seiner Pfeife und blies den Rauch absichtlich in ihre Richtung. Offenbar war das ein Wunder Punkt. ,, Wen ihr wüsstet. Diese Frau macht mehr Ärger, als ihr und das will was heißen. Euch habe ich mindestens so oft wieder auf die Beine bringen dürfen, wie den Wolf. Manchmal verfluche ich sie mehr als ihr euch vorstellen könnte… und dann wieder… ich brauche sie schlicht.“
Er seufzte und das Eingeständnis schien ihm schwer zu fallen.
,,Sagt bloß ihr beide liegt euch immer noch in den Haaren ?“ Cyrus sah Erik nur ungläubig an. Offenbar wusste auch er, von wem gesprochen wurde. Armell jedoch blieb nur übrig, ratlos zuzuhören.
,, Herr Wolf, wenn ihr auch nur die leiseste Ahnung hättet, wie tief dieser Streit geht, würdet ihr nicht von noch sprechen.“
,, Wer ist diese Mhari eigentlich ?“
,,Sie ist nicht zuletzt der andere Grund…“ , erwiderte der Arzt düster.
Viel später dann, als das Feuer völlig erloschen und sowohl Wien als auch Fisch nur noch eine ferne Erinnerung waren, machten sie sich schließlich an den Rückweg ins Hauptlager der Expedition. Der Fluss schimmerte wie ein Band aus Silber und reflektierte Sterne und Mondlicht. Ansonsten jedoch war das gesamte Tal in Dunkelheit versunken, während sie sich ihren Weg am Ufer entlang suchten. Die Ruinen ragten als düstere Schatten um sie herum auf und in der Dunkelheit, wo man die Schäden und den Verfall nicht sehen konnte, war es fast, als könnte man einen Blick darauf erhaschen, wie diese Stadt einst gewesen sein mochte. Bögen und Säulen, die wie Finger zum Himmel zeigten und verfallene Straßen genauso wie Hauseingänge überspannten. Erneut fragte Galren sich, wie viele einst hier gelebt haben mochten. Es machte keinen Unterschied, gab es doch auch in den Herzlanden und im restlichen Canton ähnliche Orte. Nur waren diese meist um einiges kleiner oder bereits so verfallen, das man ihre einstige Ausdehnung nicht mehr abschätzen konnte. Das alte Volk war bereits vor Jahrtausenden verschwunden und was von ihnen geblieben war, zerfiel mehr und mehr zu dem gleichen Staub, der das gesamte Tal hier bedeckte.
Hoffentlich hatte die Antworten, die er suchte nicht das gleiche Schicksal ereilt. Bisher gab es keinen Hinweis darauf, dass sie auch nur auf der richtigen Spur waren. Hoffentlich verschwendeten sie nicht nur Zeit. Wenn Erik nicht fand, was er suchte…
Vor ihnen tauchten nun langsam die ersten Zelte auf und Galren ließ sich etwas zurückfallen, bis er auf gleicher Höhe mit Elin war, die das Schlusslicht der Gruppe bildete.
,, Jetzt sei ehrlich… wie hast du das gemacht ?“ , fragte er. Auch wenn in der Dunkelheit von ihr nur ein Schemen zu sehen war, bemerkte er doch das weiße Aufblitzen ihrer Zähne, als siegrinsend verstand, was er meinte . ,, Das Glück dieses Mannes ist nicht normal…“
,, Mag sein, aber er überlässt es immer noch dem Zufall. Ich sorge lieber für mein eigenes.“ Mit diesen Worten holte sie vor Galrens staunenden Augen eine Handvoll Steine hervor, die eben noch in ihrem Ärmel oder den Taschen verborgen gewesen waren. Jeder davon trug die gleichen Markierungen wie die, die Erk verwendet hatte. Vermutlich waren es sogar seine… Hatte sie tatsächlich vor ihrer aller Augen ein paar Steine an sich gebracht und dann mit jenen, die ihr der Arzt gegeben hatte vertauscht? Er hatte nicht einmal mitbekommen, dass welche Gefehlt hätten, oder wann sie Gelegenheit dafür hatte. Manchmal waren Elins Fähigkeiten tatsächlich unheimlich.
,, So etwas macht dir Spaß.“ , stellte er fest.
,,Und ob…“ Das war genau die Antwort, mit der er gerechnet hatte. ,, Aber du kennst Erik nicht so lange wie ich. Manchmal muss ihm jemand einen Dämpfer verpassen, sonst wird er zu selbstsicher. Und wie meine Mutter einmal erzählt hat, wenn er zu selbstsicher wird, fängt er an verrückte Sachen zu tun.“
,, Verrückter als das hier ? Du bist einfach unverbesserlich, oder ?“ , fragte Galren lachend. Erik hatte verloren, weil sie es schlicht nicht konnte.
,, Ich hasse es zu verlieren. Und manche Dinge überlasse ich eben ungern dem Zufall.“ , erklärte sie.
,, Und du wirst dich nie ändern.“. Er warf einen raschen Blick nach vorne, wo die anderen bereits zwischen den ersten Zelten verschwanden, dann legte er einen Arm um sie und zog sie an sich.
,, Sollte ich denn ?“ , fragte Elin und klang dabei so unschuldig , als könnte sie kein Wässerchen trüben.
Statt sofort zu antworten, zog er sie lediglich an sich und hauche ihr einen Kuss auf die Lippen. ,, Bloß nicht.“, flüsterte er und meinte es auch so. Es gab sonst niemanden wie sie, dachte er. Nicht für ihn. Und er hatte sie genau so lieben gelernt, wie sie war, dieses verwilderte Mädchen, das sich niemanden so leicht beugen würde. Und sei es nur eines Spieles wegen.
Die nächsten Tage begrüßten sie mit sengender Hitze, die ihnen kaum Gelegenheit zum Arbeiten ließ. Bereits morgens, wenn Galren die Augen aufschlug, war ihm, als hätte ihn jemand in heißes Wasser getaucht und die Luft im Zelt war so stickig, das man kaum atmen konnte.
Von Elin jedenfalls, fehlte bereits jede Spur, als er sich nach ihr umsah. Vielleicht war sie auch bereits draußen, so oder so, er rappelte sich auf und trat wiederwillig durch den halb offenen Zelteingang ins Licht. Die Sonne draußen war kaum bis über die Ränder der Felsen gestiegen, trotzdem sengte sie das Land bereits, das die Luft über den fernen Klippen zu flimmern begann. Weit kamen sie nicht. Einige wenige von Eriks Helfern wagten trotzdem den Versuch, sich wieder an die Arbeit zu machen, doch bereits nach wenigen Stunden, mussten die meisten aufgeben. Galren war nach ein paar Stunden bereits klatschnass geschwitzt und wäre es nicht für die paar Freiwilligen gewesen, die ständig Wasser vom Fluss heranschaffen, vermutlich wär er nicht einmal auf den Beinen geblieben.
Schließlich sah auch Erik ein, das unter diesen Bedingungen schlicht nicht ans Graben zu denken war und er rief die Leute zurück in den behelfsmäßigen Schutz der Zelte. Was jedoch im Laufe des Tages noch folgen sollte, war um einiges schlimmer. Die Hitze war nur Teil des Problems, doch die Luft war feucht und im Laufe des Mittags zeigten sich bereits die ersten Wolken am Horizont.
Erik betrachtete die dunklen, hoch aufragenden Gebilde mit wachsender Besorgnis.
,, Was ist das ?“ , fragte Galren ihn träge. Wie der Rest hatte er sich in den Schatten einer Zeltplane geflüchtet.
,, Ein Sturm, fürchte ich.“ , antwortete der alte Mann, der nach wie vor in der Sonne stand und die Augen mit der Hand abschirmte. ,, Wenn es nicht vorbei zieht, wird das schlimm. Besser, die Leute bleiben am Lager, bis es vorbei ist. Aber ich mache mir mehr Sorgen um die Gruben.“
Nach der selbst für diesen Ort außerordentlichen Hitze der letzten Tage war der Grund noch spröder geworden als ohnehin schon und auch die tieferen Schichten, welche die Arbeiter freigelegt hatten, waren mittlerweile staubtrocken. Galren konnte sich nur zu gut ausmalen, was ein starker Regenguss mit den Stützen und Rändern der Aushebungen anrichten würde. Und das Tal wäre dann sicher nicht mehr der sicherste Ort…
,, Habt ihr Elin heute schon irgendwo gesehen ?“ Sie war weder an der Grabung gewesen, noch war sie ihm bisher irgendwo im Lager begegnet, aber bis zu Erks Bemerkung hatte er sich noch keine allzu große Sorgen gemacht. Es war durchaus nichts Ungewöhnliches für sie, einfach zu verschwinden und auch mal ihre eigenen Wege zu gehen. Aber wenn sie irgendwo im Tal war, wenn der Sturm sie erreichte…
,, Heute Morgen. Noch ehe ihr aufgewacht seid.“ , meinte der Arzt nachdenklich. ,, Ich habe sie nach Süden geschickt, zu einem der kleineren Lager. Es liegt direkt an einer Passage an der Felswand und wir sollten schon vor ein paar Tagen neue Vorräte aus Erindal bekommen. …Die Kleine kann schneller laufen als selbst die meisten anderen Gejarn. Eigentlich sollte sie längst wieder da sein…“
Galren sprang auf. Die Hitze war sofort vergessen. ,, Ich suche nach ihr.“
Erik schüttelte den Kopf. ,, Nichts für ungut, aber das mache ich schon. Ich habe sie daraus geschickt, als bringe ich das auch wieder in Ordnung. Und außerdem kenne ich das Tal um einiges besser, als Ihr. Euch hingegen brauche ich um hier alles sturmfest zu machen.“
,, Und wenn ihr sie nicht rechtzeitig findet, seid ihr beide irgendwo da draußen im Regen verloren.“
,, Ein bisschen Wasser hat noch keinen Umgebracht…“
,, Ihr seid auch nicht mehr der Jüngste…“ , gab Galren zu bedenken.
Eriks Reaktion darauf bestand darin, ihn mit drohend erhobenem Finger zu ermahnen. ,, Merkt euch eines Junge, der Tag a dem ich mich von irgendjemanden alt nennen lasse, ist der, an dem ich einen Jungspund meine Arbeit überlasse. Also Herr Lahaye, ihr habt eine Aufgabe, lasst mich nur meinen Teil erledigen.“
Mit diesen Worten wendete sich der Arzt um und rief irgendjemanden zu, ihm seine Tasche zu bringen, bevor er sich auf den Weg aus dem Lager machte. Galren wäre ihm am liebsten gefolgt, aber… eigentlich hatte er recht. Das Tal war groß und er hatte längst nicht alles davon gesehen. Wenn jemand Elin hier aufspüren konnte war es wohl tatsächlich Erik. Einen Moment sah er noch zu der Sturmfront, die am Himmel zu verharren schien, dann stapfte er los.
Es dauerte nicht lange und das Lager war wieder auf den Beinen um wenigstens die nötigsten Arbeiten zu verrichten. Herumliegende Werkzeuge wurden in Sicherheit gebracht, während einige damit anfingen, die Zelte mit weiteren Haken zu sichern. Galren selber fand sich alsbald mit Eden und Cyrus an einer der Gruben wieder um wenigstens den Versuch zu wagen, die Erdwände etwas abzusichern.
Während Er und der Wolf die Balken befestigten, schaffte Eden zusammen mit einigen von Eriks Arbeitern immer wieder neues Holz heran, das aus den Wäldern des Tals stammte. Es waren lange, nur grob behauene Stämme, die eigentlich vorgesehen waren um sie zu Feuerholz zu spalten. Nun jedoch würden sie hoffentlich verhindern, dass die Arbeit von ein paar Wochen umsonst war…
,, Nur damit wir uns da gleich verstehen.“ , meinte der Wolf da. ,, Ich hoffe wirklich sehr, dass ihr auf Elin achtest…“
Galren hatte schon damit gerechnet, dass ihren Eltern das offensichtliche nicht ewig entgehen würde. Doch dass der Mann diesen Moment wählte um mit ihm zu reden beunruhigte ihn dann doch. Elin war grade jetzt zum ersten Mal nirgendwo zu sehen.
,, Nichts anderes habe ich vor.“
,, Gut.“ Cyrus versetzte ihm einen Schlag auf den Rücken, der wohl freundschaftlich werden sollte, ihm jedoch die Luft aus den Lungen trieb. Und das Grinsen des Mannes wirkte auch nicht völlig… freundlich. Viel zu viele scharfe Zähne für Galrens Geschmack. ,, Und wenn ihr das je vergessen solltet… ihr verletzt sie und ich tue euch auch weh. Und dann nehme ich eure Rippen als Zahnstocher, mein Freund. Wisst ihr, bei der schwarzen Garde wurden die Rationen manchmal einfach… vergessen. Wochenlang…“
,, Erzählst du dem armen Jungen etwa Schauergeschichten ?“ , fragte Eden, die mit einem Stapel Bretter zurück kam. ,, Hör auf ihm Angst zu machen.“ Wir beide wissen, dass es bei der Garde regelmäßig zu Essen gibt und ich habe auch gehört, das die schwarze Garde regelmäßig die Vorräte der ganzen Armee geplündert hat.“ Sie setzte die Bretter ab und versetzte dem Wolf einen leichten Klaps auf den Arm. ,, Glaub ihm bloß kein Wort, eigentlich ist er ganz nett.“
,, Nett oder nicht, ihr braucht mich nur ganz sicher nicht einschüchtern.“ , erklärte Galren. Er würde sich ganz sicher keine Angst machen lassen, dachte er, Ob Scherz oder nicht. ,, Ich liebe sie. Wenn euch das nicht genügt… kann ich euch auch nicht helfen.“
Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ die beiden stehen. Das letzte jedoch, was er hörte, während er aus der Grube kletterte, war Cyrus Stimme: ,, Der Junge gefällt mir… fast.
Elin hielt sich wo möglich im Schatten der großen Bäume, die diesen Teil des roten Tals säumten. Als sie am frühen Morgen aufgebrochen war, waren die Temperaturen noch erträglich gewesen, doch je heller es wurde, desto weniger konnte man es in der prallen Sonne aushalten. Mittlerweile brannten sich die heißen Steine regelrecht in ihre Fußsohlen, wenn sie darauf trat und so zog sie das ungewöhnliche rote Laub und die gesprenkelten Schatten vor. Zwar bedeutete das einen Umweg, aber sie hatte ohnehin nichts zu berichten. Die Vorräte, auf die Erik so dringend wartete, würden sich vermutlich noch weiter verspäten. Nach allem, was man ihr gesagt hatte, hatte der Fürst Erindals die Stadt so gut wie abgeriegelt und ließ nur noch vereinzelt Leute aus den Mauern… oder hinein. Und damit saßen die Lebensmittel für die Expedition fest…
Galren hatte noch geschlafen, als sie aufgebrochen war. Bevor Erik sie gerufen hatte, hatte sie einfach nur eine Weile stumm neben ihm gelegen. Normalerweise war es ungewöhnlich für sie so…still zu sein, aber Elin hatte ihn um nichts in der Welt aufwecken wollen. Im Schlaf schien der einzige Moment zu sein, in dem einmal alle Spannung von ihm abzufallen und die Getriebenheit, die ihn auch nach dem Tod seines Vaters nie ganz losgelassen hatte zu verschwinden schien… Und wenn sie zusammen waren… Sie mochte seinen Geruch, eine ganz eigene Note, die eine menschliche Nase vermutlich nicht einmal wahrnehmen würde. Der Duft von Nadelwäldern und Salz, der selbst hier nicht ganz verschwand. Sie waren nie auf Hamad gewesen, aber er schien den Geruch dieser Insel mit sich zu tragen.
Sie schüttelte die Erinnerung ab und lächelte einen Moment in sich hinein. Vor ihr schälten sich die abgestumpften Mauern einer Ruine aus dem Wald. Die hohen Wälle reichten fast bis an die Baumwipfel heran und zwischen den Blättern konnte sie eine halb eingestürzte Kuppel erkennen. Säulen, halb verborgen unter Laub und bereits zur Hälft ein die Erde eingesunken, säumten einen kleinen Vorplatz, dessen Steine von einem großen Baum durchbrochen wurden. Die Wurzeln hatten das Pflaster einfach bei Seite gedrückt.
Vor langer Zeit war es vermutlich mal ein beeindruckender Bau gewesen, nun jedoch lag die Trepe, die zum Kuppelbau hinauf führte in Trümmern und wo einmal hohe Flügeltüren gewesen sein mochten gab es nur noch eine klaffende Lücke, durch die man das innere der Ruine erkennen konnte. Blätter und Scherben bedeckten den Boden dort fast kniehoch.
Elin warf einen Blick in Richtung Horizont, wo mittlerweile dunkle Wolken aufgezogen waren. Eigentlich sollte sie sich ja beeilen und zu den andere zurückkehren, aber bisher hatte sie noch keine Gelegenheit gehabt, sich einmal alleine hier umzusehen. Vermutlich hätte sie genug Zeit…
Sie trat über die leere Türschwelle ins Innere des Kuppelbaus. Die Decke über ihr hatte einst wohl aus zwei Segmenten bestanden, wobei das zweite von einem Ring aus Prisma-Glas eingefasst wurde, von dem nun jedoch nur noch einzelne Scherben übrig waren. Das Licht brach sich an diesen Überresten und warf bunte Schatten auf den Boden. Einzelne Streben aus Marmor, von denen fast jede zweite gebrochen war, waren das einzige, das das zweite Deckensegment überhaupt noch an Ort und Stelle hielt.
Der Boden unter ihren Füßen war zum Zentrum des Rundbaus hin abgeflacht und endete an einen kleinen Becken. Einst hatte es wohl Wasser geführt, heute jedoch war es wie alles hier drinnen mit Trümmern und Steinbruchstücken bedeckt. Elin trat vorsichtig um sich nicht zu Schneiden an das Becken heran und räumte einige der Splitter bei Seite. Eine davon jedoch, zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Oder besser, es war der Farbfleck darauf. Bis auf das Stück gebrannten Ton, das Erik ihnen vor einigen Tagen gezeigt hatte, waren ihnen nur Schmucklose Überreste untergekommen. Über ihr an der Decke gab es weitere Farbreste, die jedoch von den Äonen so gut wie ausgewaschen waren. Vielleicht hatte dort oben einst ein ganzes Wandgemälde gehangen, das jedoch irgendwann in den vergangenen Jahrhunderten zu Boden gestürzt und zerschellt war
Einen Moment überlegte sie, ob sie besser erst die anderen Rufen sollte, doch dann hob sie das Bruchstück vorsichtig auf. Wie sie schon gedacht hatte, war es nicht Blank wie die anderen, sondern tief schwarz eingefärbt. Es war wohl wirklich nur ein Überrest eines größeren Kunstwerks… und doch reichte das was sie sah mehr als aus. Gegen das Schwarz Zeichnete sich eine Hand ab, die den Griff eines Schwerts umklammerte und die Klinge der Waffe war rein weiß. Trotz des Alters der Darstellung, Elin konnte genau erkennen, wo ihr Erschaffer kleine Details eingearbeitet hatte, bis die Zeichnung fast lebendig wirkte und der Schwertklinge eine kristalline Struktur verlief. Geister… das konnte doch nicht sein…
,, Elin ?“ Eriks Stimme, die vom Eingang der Ruine heraufdrang ließ sie kurz zusammenzucken. Seit ihr hier ?“ Aus irgendeinem Grund ließ sie die Scherbe schlicht in der Tasche verschwinden. Ganz sicher nicht um sie vor dem Arzt zu verstecken… Sie kannte Erik seit ihrer Kindheit… aber was immer er hier suchte, er hatte ihnen sicher nicht alles darüber erzählt, dachte sie. Galren musste das hier sehen…
,, Ich bin hier.“ , rief sie. Aus Neugier hob sie noch einige weitere Scherben auf, doch entweder waren sie nicht Teil des gleichen Gemäldes oder was immer auch einst darauf zu sehen gewesen war, war von der Zeit zerstört worden.
Mittlerweile war auch Erik in den Raum getreten und sah fasziniert zur Decke auf. ,, Bisher ist mir hier noch nirgendwo intaktes Glas untergekommen.“ , meinte er. ,, Ein beeindruckender Ort…“
,, Aber es ist alles Tod.“ , bemerkte Elin, als sie sich erhob und ein letztes Trümmerstück wieder zu Bode fallen ließ. Die Überreste knirschten unter ihren Füßen, während sie sich kurz vergewisserte das die Scherbe mit dem Gemälde noch da war.
Erik nickte. ,, Vom alten Volk ist nichts geblieben. Sieht man von der Katastrophe ab, die einer der wenigen Überlebenden vor einigen Jahren verursacht hat. Ich war hergekommen um euch zu suchen. Es sieht ganz so aus, als würde ein Sturm aufziehen, also besser, wir gelangen zurück ins Lager, bevor er losbricht…“
Als der Sturm schließlich kam verließ er glimpflicher, als Galren zuerst gedacht hatte. Die schwarzen Wolken zogen nicht weiter als bis knapp zum Rand des Tales, bis das Unwetter losbrach. Wind und Regen peitschten Zeltplanen auf und ganze Sturzbäche ergossen sich die roten Klippen hinab. Der Strom wurde rotbraun gefärbt von Schlamm und Dreck, den die Wassermassen mit sich trugen und schwoll auf beinahe die doppelte Breite an, dich zum Glück hatte Erik das Lager weit genug davon errichtet. Nur die Gruben, die näher am Ufer lagen, waren nicht zu retten. Es gab nicht einmal den Versuch, das Wasser irgendwie herauszuschöpfen. Als der Fluss den Rand der Ausgrabungen erreichte schwappte er einfach darüber hinweg und es dauerte keine zwanzig Herzschläge, bis die Arbeit der letzten Tage unter den dunklen Fluten verschwand. Dennoch blieben sie offenbar von der Hauptwucht des Unwetters verschont. In der Ferne konnte Galren immer wieder Blitze zucken sehen. Wetterleuchten, irgendwo aus der Mitte der dunklen Wolken. Trotzdem machte er sich Sorgen. Weder Elin noch Erik waren bisher zurückgekehrt und es regnete in Strömen. Der Wind war nochmal eine ganz andere Sache. Er riss an den Zeltleinen, machte die Pferde unter ihrem notdürftig errichteten Unterstand unruhig und wirbelte dunkelrote Blätter durch die Luft. Und auch die Planen seines Zelts unter dem er sich vor den Regen in Sicherheit gebracht hatte, flatterten beunruhigend.
Wenn sich nicht bald etwas tat, würde er selber losgehen und die Beiden suchen, egal was der Alte gesagt hatte, Elin könnte vielleicht sogar noch eher auf sich aufpassen als er. Wenn der Mann sich da draußen zu Tode brachte, würden Galrens ohnehin schwache Hoffnungen endgültig vergeblich sein. Und Elin hätte vor Stunden zurück sein müssen….
Endlich jedoch konnte er gegen die Regenschleier zwei Gestalten ausmachen, die sich über die aufgeweichte Straße kämpften. Galren warf sich rasch einen Kapuzenmantel über um sich vor dem gröbsten zu schützen und eilte ihnen entgegen. Das unverkennbare Blau von Eriks Mantel schimmerte ihm bereits entgegen und die Gestalt neben ihm…
,, Elin.“ Ausnahmsweise war er es, der die junge Gejarn in eine stürmische Umarmung schloss. ,, Götter, ich habe mir Sorgen gemacht.“
,, Alles bestens.“ , meinte Erik grinsend. ,, ich habe sie dabei erwischt, wie sie in ein paar Ruinen herumgestöbert hat. Und das Essen können wir für die nächsten paar Wochen vergessen… Also heißt es weiter, Trockenfleisch, Salz und altes Brot. Ich werde noch verhungern…“ Darüber wiederum klang der Alte gar nicht mehr so glücklich, während er sich an Galren und Elin vorbeischob und in Richtung Lager aufmachte.
,, Ist wirklich alles in Ordnung ?“
Elin nickte, während sie zusah wie Erik sich entfernte. ,, Aber ich muss dir unbedingt etwas zeigen. Komm…“
Sie packte seine Hand und zog ihn mit sich zurück zu den Zelten. Wasser troff aus ihrer Kleidung, als sie endlich unter das halbwegs sichere Vordach traten. Galren entzündete eine Laterne um im Zeltinneren wenigstens für etwas Licht zu Sorgen. Die Dunklen Wolken bedeckten mittlerweile den gesamten Himmel und ließen kaum Sonnenlicht hindurch, so dass es fast Nachtschwarz wurde.
,, Ist dein Vater eigentlich immer so… freundlich ?“ , fragte er. Er hatte das kurze Gespräch mit dem Wolf noch gut in Erinnerung…
,, Oh nein, was hat er gemacht ?“ , fragte Elin lachend. ,, Nimm es nur nicht zu ernst, das macht er mit jedem so. Aber ich glaube ich habe etwas, das dich wieder etwas versöhnt. Schau dir das an.“
Die Gejarn zog einen etwa Handtellergroßen Gegenstand aus ihrer Tasche und erst nach einer Weile wurde ihm klar, dass es sich um eine Tonscherbe handelte. Diese hier jedoch unterschied sich deutlich von allen, die sie bisher gefunden hatten. Die Oberfläche war schwarz, die Farbschicht nur stellenweise beschädigt. Und über dem Schwarz lag die Darstellung eines Schwerts mit weißer, kristalliner Klinge… Galren drehte die Scherbe einen Moment unsicher in der Hand, als könnte sie jeden Moment verschwinden… oder das Bild darauf sich verändern. Doch nichts dergleichen geschah…
,, Was bedeutet das ?“
,, Das wir auf der richtigen Spur sind.“ , erklärte Elin grinsend und schlang die Arme um ihn. Ihre Lippen fanden sich wie von selbst… Sie hatte Recht, dachte Galren. Auch wenn es wohl länger dauern würde, zu finden, was sie suchten, zum ersten Mal gab es ein Zeichen dafür, dass sie am Richtigen ort waren. Auch wenn er nicht mit seiner Gabe danach suchen könnte… dafür hatte er Elin. Und er würde seine Fähigkeiten jederzeit wieder gegen sie eintauschen wenn man ihn vor die Wahl stellten würde. Keiner von ihnen wollte den Kuss zuerst beenden, schien es. Seine Hände wanderten über ihren Körper, eine massierte sanft ihre Brust, während die andere in ihre Hose wanderte. Er konnte ihre Hitze dort spüren, während er vorsichtig einen Finger in sie gleiten ließ.
Fordernd drückte Elin sich gegen ihn. Ihr warmer Atem streifte ihn im Gesicht, während ihre Hände seinen Nacken hinab strichen und über seine Brust tiefer griffen. Elin half ihm die Hose aufzuschnüren und das Hemd loszuwerden, während sie sich ihre Tunika über den Kopf zog.
Erneut küsste sie ihn tief, während sie sich an ihn schmiegte und er unter ihrem sanften Druck zu Boden sank. Sein Glied ragte bereits voll aufgerichtet nach oben und Elin umspielte es einen Moment mit den Händen. Die kühle Berührung ihrer Hände jagte ihm Schauer über den Rücken.
Eilig wurde die Gejarn nun auch noch ihre Hose los, bevor sie sich auf ihm niederließ und bevor Galren es ganz registriert hatte, hatte sie seinen Penis auch schon in sich aufgenommen. Geschmeidig und wild begann sie sich auf ihm zu bewegen. Was Elin an Zurückhaltung gehabt haben mochte, es war vergessen und er passte sich ihren Bewegungen an. Seine Hände umschlossen wieder ihre Brüste, während sie den Rücken durchbog. Beide atmeten sie mittlerweile schwer. Galren spürte, dass er das nicht mehr lange aushalten würde. Elin war das offenbar ebenso klar, den kurz bevor er kam, hielt sie plötzlich inne und blieb auf ihm hocken.
Galren stöhnte enttäuscht auf und versuchte sich zu bewegen, doch Elin hielt ihn mit sanftem Schenkeldruck davon ab. Stattdessen begann sie sich wieder langsam zu rühren. Die quälenden, kreisenden Bewegungen brachten ihn halb um den Verstand. Es war nicht genug…
,,Das ist Folter weißt du das ?“ , keuchte er. Hätte er gewollt, er hätte dem ein Ende machen können, aber gleichzeitig… wollte er genau das gar nicht mehr. Götter, diese Frau hatte ihn längst um den Verstand gebracht, dachte er.
Sanft beugte sie sich über ihn, ihre Brüste strichen kitzelnd über seine Brust. ,, Soll ich aufhören ?“ , fragte sie mit einem Grinsen, doch auch ihrer Stimme war anzuhören, wie erregt sie war. Statt einer Antwort drückte er ihr lediglich einen Kuss auf die Lippen. Im gleichen Moment wurde ihre Bewegungen wieder hektischer, fordernder. Elin presste ihr Becken gegen seines, schrie leise auf, als sie ihren Höhepunkt erreichte. Galren folgte ihr nur wenige Momente später. Ihr ganzer Körper zitterte immer noch, während er sich in sie ergoss.
Gegen Abend ließ der Regen endlich nach und auch die Wolken lichteten sich. Rötliches Sonnenlicht fiel durch die entstandenen Lücken und über Armells Gesicht. Mit dem Regen war es erstaunlich kühl geworden und so genoss sie das bisschen Wärme, das die Dämmerung noch brachte. Sie saßen um ein Feuer herum, das sie gezwungenermaßen nur mit feuchtem Holz und einigen Kienspänen, die weitestgehend vom Regen verschont geblieben waren, entfacht hatten. Der aufsteigende Qualm biss in den Augen und so versuchte Armell möglichst von den Flammen weg zu sehen. Das Lager war nach dem Sturm noch nicht völlig wieder her gerichtet worden. Der Wind hatte die Leinen einiger Zelte durchtrennt und Werkzeug so wie alles, was nicht rechtzeitig irgendwo untergebracht worden war über den Boden verteilt. Und die Gruben, die Eriks Leute ausgehoben hatten standen nach wie vor unter Wasser, auch wenn der Wasserstand im Fluss bereits etwas zurückgegangen war. Morgen würden sie vermutlich alle im Schlamm warten und Eimer schleppen, bevor sie sehen würden, ob noch etwas zu retten war.
In einem kleinen Topf über den Flammen hatten sie einige ihrer letzten Vorräte zu einem Haferbrei zusammengeführt, der zumindest etwas Abwechslung bot… wenn auch nicht die schmackhafteste. Hoffentlich klärte sich die Sache mit Erindal bald, sonst würde es hier draußen tatsächlich knapp werden. Vielleicht sollte sie Erik bitten, ihr das Fischen beizubringen? Die Arbeit tat ihr gut und sie hatte kein Problem damit, sich weiter die Hände schmutzig zu machen… und es würde zumindest ihren Speiseplan etwas erweitern. Seitdem ihr das Essen wieder schmeckte, war ihr auch nicht mehr egal, ob sie jeden Tag das gleiche bekamen. Und langsam begann ihr das Leben hier sogar Spaß zu machen. Es war hart ja, aber nach dem was sie hinter sich hatten immer noch die reinste Erholung. Hier war das schlimmste was einen Passiere konnte ein Sonnenbrand und ein Muskelkater.
Armells Blick wanderte zum einem kleinen Wäldchen etwas abseits des Lagers. Ein paar Bäume waren umgestürzt oder hatten einen Großteil ihrer Blätter verloren, so dass das Unterholz ein einziges Gewirr bildete. Deshalb war sie sich auch einen Moment nicht sicher, ob ihre Augen ihr nicht nur einen Streich spielten. Der Rauch des Feuers brachte zusätzlich ihre Augen zum Tränen…
Und dennoch verschwand die Gestalt nicht, die sie zuerst nur aus den Augenwinkeln bemerkt hatte. Die kurzgeschorenen braunen Haare bewegten sich im Wind, genau wie der lange braune Mantel mit den auffälligen roten Nähten darauf. Und doch wirkte sein Gesicht ernst und angestrengt, als sich ihr Blick einen Moment traf.
,,Merl…“, flüsterte sie. Das war nicht möglich, das… wurde sie verrückt. Hilfesuchend drehte sie sich zu den anderen um, wollte fragen ob sie ihn auch sahen…
,, Armell ? Geht es euch gut?“ Eden musterte sie besorgt. ,, Ihr seid kreidebleich.“
,, Da…“ Armell warf einen Blick zurück zum Waldrand, doch wo eben noch Merl gestanden hatte, waren nur noch Zweige. ,, Es geht mir gut. Ich habe nur keinen Hunger.“ , erklärte sie leise. Ob das stimmte jedoch, war eine ganz andere Frage. Sie ließ die halb volle Schale mit Haferbrei stehen und erhob sich schwankend. Bevor noch jemand etwas sagen konnte, lief sie auch schon in Richtung Wald. Du bist nicht verrückt, sagte sie sich, als sie die ersten Bäume erreichte. Sentine blieb dicht neben ihr, ein weißer Schatten zwischen den rotbraunen Stämmen. Aber das konnte auch unmöglich Merl gewesen sein. Dennoch, etwas hatte sie gesehen…
Es gab keine Fußspuren als sie die Stelle schließlich erreichte, nichts, dass darauf Hinweis, das überhaupt jemand hier gewesen war. Dabei war die Erde unter ihren Füßen vom Regen so aufgeweicht, das ihre Stiefel bei jedem Schritt ein gutes Stück einsackten. Götter, das gab es doch nicht… war wer immer hier gewesen war geflogen?
Beunruhigt sah sie zu Sentine, die sich auf einem Zweig in ihrer Nähe niedergelassen hatte. Unter dem Blätterdach war es bis auf das gelegentliche Tropfe von Wasser still. Zu still… Und außer ihrer alten Gefährtin sah sie nirgendwo auch nur einen einzigen Vogel. Unheimlich. Und verlassen. Und Merl war immer noch Tod. Hier gab es nichts, nur den Wind, der durch die Blätter rauschte.
Plötzlich war ihr unvorstellbar kalt und sie hatte das Bedürfnis sich zu setzen. Ohne groß darüber nachzudenken sank sie gegen einen der Bäume und schlang die Arme um sich. Armell konnte spüren, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, aber das war keine Trauer… Sie hatte getrauert, lange und bitter. Da war nur mehr leere. Und das Gefühl betrogen worden zu sein. Warum jetzt , wo sie anfing wieder ein wenigstens ansatzweise normales Leben zu führen ? Es war beinahe, als wollte Merl nicht, das sie so einfach Ruhe fand, aber das war doch Blödsinn… Selbst wenn sie an Geister glauben würde, Merl hatte sie geliebt. Und sie ihn…
Als sie spürte, wie sich ihr etwas auf die Schulter legte, zuckte sie zusammen, meinte aus den Augenwinkeln kurz erneut eine, seine, Gestalt zu sehen.
,, Was willst du nur ?“ Ihre Worte hallten leise durch den toten Wald, ohne dass sie je eine Antwort darauf erhalten sollte. Er ist weg, das weißt du doch, sagte sie sich. Tod… oder zumindest verschollen. Vielleicht verlor sie ja wirklich langsam den Verstand…
Hadrir fühlte sich wie ein Opfertier auf dem Weg zum Altar. Oder der Schlachtbank, für ihn lief es jedenfalls auf das gleiche hinaus. Mit einem mulmigen Gefühl sah er zu der hohen Tür, die am Ende der Halle lag. Sie hatten einen der Säle im Kaiserpalast zur Verfügung gestellt bekommen um ihre Versammlung abzuhalten, die mittlerweile wohl bereits im vollen Gang wäre. Trotzdem zögerte er, sich seinen Brüdern anzuschließen. Sonnenlicht fiel durch die hohen Fenster in die Kammer, in dem neben ihm noch ein gutes Dutzend weiterer Zwerge warteten. Männer und Frauen, deren Häuser zu unbedeutend waren, als das ihre Anwesenheit erforderlich wäre oder die schlicht darauf warteten, zu erfahren, was drinnen vor sich ging. Statuen früher Kaiser säumten die Nischen des Raums und zum ersten Mal kam Hadrir sich tatsächlich klein vor. Die Menschen mochten ihn und den Rest seines Volkes körperlich überragen, aber dem hatte er bisher nie Beachtung geschenkt. Das hier jedoch, war etwas anderes. Hinter dieser Tür würde er es mit seinem eigenen Volk zu tun haben… und das kannte er leider nur zu gut.
Jeden Tag kamen neue Schiffe an, die mehr und mehr Zwerge mit sich brachten. Sie brauchten eine Führung… und damit einen König und zwar schnell. Und schnell war ein Wort, das sein Volk nur äußerst selten benutzte. Die Menschen mochten im Vergleich zu ihnen unvorstellbar kurze Leben haben… aber sie waren auch um einiges Anpassungsfähiger, dachte Hadrir betrübt. Ein Mensch, der wie ein Zwerg dachte, würde wohl nie sein eigenes Lebenswerk vollendet sehen. Sie hatten Jahrhunderte, wo einem Menschen ein paar Jahrzehnte blieben. Unter normalen Umständen könnte es Monate wenn nicht Jahre dauern, bis die Versammlung einen Kandidaten fand und das würde bei ihrem Volk schon als eine übereilte Entscheidung gelten.
Jedes Haus würde einen König vorschlagen… und man konnte darauf wetten, dass jedes einzelne nur einen Kandidaten aus den eigenen Reihen benennen würde. Anfangs würde wohl auch jedes Haus für den eigenen König Stimmen, dachte Hadrir, aber langsam aber sicher würden sie damit anfangen müssen, sich abzusprechen… und dann musste das einflussreichste Haus sich zwangsläufig durchsetzen. Und das war im Augenblick Mardar. Wen Kasran wollt, brauchte es nur ein Wort und er könnte sich auch gleich die Krone aufsetzen. Sollte der Thane sich als Kandidat nennen, wäre die Wahl danach nur eine Farce…
Hadrir hatte die letzten Wochen damit zugebracht, nach einer Lösung zu suchen, ohne dass dabei Kasran am auf dem Thron enden würde. Aber dafür fehlte ihm schlicht der Einfluss und selbst wenn… Kasran war vielleicht ihre einzige Chance auf eine schnelle Entscheidung. Nur konnte er ihm auch zutrauen, das richtige zu tun? Wen auch immer die Zwerge zu ihrem König ernennen würden, er müsste mit dem Kaiser über das Schicksals seines ganzen Volkes verhandeln…
Vielleicht sollte er dem alten Thanen am Ende sogar besser unterstützen? Zum Wohle aller ?
Unruhig lief er vor der Tür auf und ab. War er ist drinnen, gäbe es kein Zurück mehr für ihn oder irgendeinen der anderen. Die Kandidaten, die heute festgelegt würden, wären beschlossene Sache. Entweder er unterstützte Kasran… oder enthielt sich. Dem Rest der Häuser traute er sogar noch weniger über den Weg. Ein Teil von ihnen waren Anhänger des Propheten gewesen und der Rest…
Hadrir atmete tief durch und blieb endlich direkt vor der Tür stehen. Es hatte ja keinen Zweck hier herumzustehen und sich Gedanken zu machen. Mit einem Ruck stieß er die großen Flügeltüren auf und trat in die lichtdurchflutete Halle dahinter. Der Raum erstreckte sich über mehrere Ebenen mit Rängen und Balkonen und so gut wie jeder Platz war Besetzt. Die Zwerge drängten sich an den Holzgeländern und auf dem Parkett weiter unten und der ganze Saal war von Stimmengemurmel und Wortfetzen erfüllt. Viele trugen die Farben ihrer jeweiligen Häuser, doch da es nirgendwo genug Platz gab, das sich eine komplette Familie sammeln konnte, glich die Halle einem bunten Flickenteppich. Wappen und Banner hingen von der Decke herab, und wehten im Luftzug, der durch eine Reihe geöffneter Fenster an der Rückwand des Raumes hereinwehte. Hinter dem Glas lag nur der blaue Himmel und ein Stück weiter dahinter, die erste der Inseln, aus denen die fliegende Stadt bestand.
Hadrir konnte die Blicke spüren, die ihn von den Rängen her verfolgten. Wie hungrige Aaskrähen, dachte er bitter. Vielleicht gab es einige dort oben, die befürchteten, er könnte die Nachfolge seines Vaters antreten wollen. Das wäre so weit nicht einmal etwas ungewöhnliches… zumindest der Versuch nicht… aber da könnte er sie beruhigen. So wie die Dinge momentan standen, blieb ihm nur zuzusehen. Woher kam nur diese Bitterkeit? , fragte er sich und er kannte die Antwort nur zu gut. Sie stammte von Brunar. Von der Frustration, belogen worden zu sein, der Verzweiflung, das sein Volk selbst jetzt noch seine Ränke schmieden konnte, statt sich einmal zusammenzunehmen…
In gewisser Weise hatten ihm die vergangenen Monate die Augen geöffnet. Und in gewisser Weise hatte er es doch auch schon immer gewusst, oder nicht?
Dunkles Holz knarzte unter seinen Füßen, als er mitten unter die versammelten Zwerge trat. Genau in der Mitte der Ratshalle hatte die Menge einen kleinen Platz mit einem Podest freigelassen, falls jemand das Wort an die Versammlung richten wollte. Im Augenblick stand dort jedoch kein Zwerg, sondern ein Mann in schwarzen Roben, mit langen, ergrauten Haaren. Der Magier sah ernst in die Menge. Offenbar war auch ihm das Gemurmel und die gefährlichen Blicke nicht entgangen. Mit einer einzigen Geste, sorgte er jedoch bereits für Ruhe. Auch wenn Hadrir jedes Gespür für Magie fehlte, was dieser Mann ausstrahlte, konnte nur einem Narren entgehen. Quinn war der Ordensmeister der Zauberer Cantons und in diesen Hallen damit die Stimme des Kaisers. Wenigstens wäre damit jemand hier, der ein Auge auf alles haben würde... und zu keinem der Häuser gehörte.
,, Ihr müsst verzeihen, ich bin mit den Gebräuchen eures Volkes nicht vertraut.“ , begann der Magier zu sprechen. Seine Stimme war leise und brüchig, doch die Autorität darin war deutlich zu spüren. ,, Heute bin ich nur hier um meinen Herrn in dieser Versammlung zu vertreten, sollte es nötig sein. Damit will ich euch das Wort überlassen. Doch lasst mich euch um Weisheit bitten. Ihr werdet jemanden brauchen, der mit dem Kaiser für euer ganzes Volk sprechen kann, nicht nur für ein Haus. Und mit jedem Tag, der vergeht, werden mehr von euch hier stranden, ohne Ausweg oder Zukunft.“
Mit diesen Worten trat Quinn zurück und trat zur Rückwand des Raumes ans Fenster. Nun konnte die Versammlung auch offiziell beginnen. Die Thanen der einzelnen Häuser traten der Reihe nach vor um die Namen derjenigen zu nennen, die sich zur Wahl stellen würden. Und in viel zu vielen Fällen war es ihr eigener Name, der fiel. Wie Hadrir bereits befürchtet hatte, das ganze könnte sich lange hinziehen, bis die schwächeren Häuser nachgaben um jemand anderen zu unterstützen…
Fast den ganzen Nachmittag lang reihten sich Thanen und weitere Sprecher aneinander und mit jedem einzelnen Namen wurden Proteste oder Rufe der Zustimmung laut, manche traten nach vorne um jemanden aus ihrem Haus zu unterstützen, andere beschimpften lediglich die Kandidaten eines anderen Thanen… der im meisten Fall ohnehin er selbst war. Für einige schien genau das der ganze Sinn dieser Veranstaltung zu sein, dachte Hadrir säuerlich. Den über Jahre und Jahrhunderte aufgestauten Hass auf die anderen Häuser einmal Ausdruck zu verleihen, ohne dass jemand später sagen könnte, es sei ungebührlich gewesen… Auch Quinn schien mit jedem Moment frustrierter zu werden. Fassungslos sah der Magier über das Chaos, das sich in der Halle breit machte, schüttelte den Kopf über die Rufe und Schimpfreden… Hadrir hätte ihn warnen können… das war eben Zwergenpolitik.
Einen Augenblick lang traf sich ihr Blick. Vielleicht hätte er zumindest in dem Magier einen Verbündeten gefunden, dachte Hadrir bedauernd. Aber dessen Stimme hatte hier kein Gewicht.
,,Ruhe!“ Die Stimme, die von einem der Balkone über ihnen kam, war wie ein Donnerschlag. ,, ich sagte Ruhe !“ Kasran Mardar war an das Geländer getreten und stieß den Rubinstab in seiner Hand auf den Boden, das Hadrir befürchtete, er würde Splitter. Bisher hatte der Thane sich als einziger zurückgehalten und noch keinen eigenen Kandidaten benannt. Mit einem mal war es Totenstill im Saal. Mit einem seufzen, das in der ganzen Halle zu hören war, wendete sich der in rot gewandete Mann ab und machte sich auf den Weg eine kurze Wendeltreppe hinab um in den großen Saal zu gelangen. Niemand wagte es, auch nur zu flüstern, während er sich die Stufen hinab schleppte.
Kasran war das Zünglein an der Waage in dieser verfahrenen Situation, das wussten sie alle. Ein Wort von ihm würde die Angelegenheit entscheiden und wie immer sie ausfiel… er wäre es, der sie beherrschte.
Hadrir konnte ein kleines Kontingent seiner Gefährten erkennen, die dem Thanen unauffällig wie Schatten durch die Menge folgten. Beim Anblick dieser schweigenden gestalten lief ihm nach wie vor ein Schauer über den Rücken. Auch wenn im Palast niemand Waffen tragen würde, diese Leute brauchten auch nicht unbedingt eine Klinge um tödlich zu sein. Und das Kasran sie einer Ehrengarde aus Mitgliedern seines eigenen Hauses Vorzog sprach Bände. Mit einem siegessicheren Grinsen stieg er auf das Podest und sah sich in der Menge um, als wollte er sicherstellen, die Aufmerksamkeit aller zu haben. Darum jedenfalls musste er sich wohl keine Sorgen machen. Die Leute rückten unter seinem Blick enger zusammen. Die Augen des Thanen schimmerten fast wie Rubine, wenn das Licht richtig fiel Kasran war vielleicht der älteste noch lebende Zwerg und er hatte ein Leben gelebt, das selbst für die Maßstäbe seines eigenen Volkes als unnatürlich lang gelten konnte. Er hatte die Flucht seines Volkes über das Meer erlebt und nun war er hier um seine Rückkehr zu bezeugen. Ein Jahrtausend Exil , das letztendlich nur in einem Kreis zum Ursprung zurückgeführt hatte. Angeblich war einer seiner Vorfahren sogar ein Unsterblicher gewesen…
Als Quinns Stimme schließlich das Schweigen brach, tönte sie ungewohnt laut durch den Saal. ,, Die übrigen Thanen haben ihre Wahl getroffen, Lord Kasran… dürfen wir nun von euch erfahren, wen ihr für die Nachfolge des Königs vorschlagen würdet ?“
,, Deshalb bin ich hier. Und ich habe lange darüber nachgedacht.“ Natürlich hast du das, dachte Hadrir bitter. Vermutlich nicht länger als er gebraucht hatte um das Podest zu erreichen. Sein Blick traf sich mit dem des Thanen , der nach wie vor gewinnend in die Menge lächelte. Für einen Augenblick jedoch wurden seine Gesichtszüge düsterer, doch nicht etwa, als fürchte er Hadrir… Er wirkte beinahe… bedauernd?
,,Nein !“ Er verstand zu spät, was vor sich ging, was der Mann tatsächlich plante. Sein Ruf verhallte ungehört und selbst wenn es jemand mitbekommen hätte… was hätte es noch geändert.
,, Ich schlage Hadrir Silberstein für die Nachfolge seines Vaters vor.“ Und leise, so das es fast im beginnenden Aufruhr unterging, der die Halle erfasste, flüsterte er : ,, Mögen die Unsterblichen mir verzeihen…“
Das Chaos war innerhalb weniger Herzschläge vollkommen. Empörte Rufe wurde von den Balkonen aber auch aus der Menge laut, Leute drängten nach vorne, andere versuchten aus der Halle zu gelangen oder blieben schlicht Fassungslos stehen wo sie waren. Damit hatte niemand von ihnen gerechnet, dachte Hadrir… und am allerwenigsten noch er selbst. Das… änderte alles. Statt das zu tun, was von ihm erwartet wurde, sich an den Tisch zu setzen und seine Karten zu spielen, hatte Kasran ihn so eben umgeworfen. Hasserfüllte, bewundernde, unsichere Blicke trafen Harir von überall her. Hatte Kasran denn den Verstand verloren?
,, Das ist nicht hinnehmbar…“
,, Er von allen ?“ Die Stimmen überschlugen sich und die ersten LEute kletterten bereits über die Absperrung um Rednerpult, wo Kasran nach wie vor wie versteinert stand. Seine Leibgarde sorgte jedoch rasch dafür, dass sie nicht weit kamen…
Wohl durch den Aufruhr alarmiert, strömten nun auch die ersten Gardisten durch die Türen der Halle und bedeuteten den Leuten, den Raum zu verlassen. Andere schwärmten aus und zogen die Leute von Kasran weg, der ohne sichtliche Eile vom Podest trat und sich von seinen Gefährten hinaus eskortieren ließ. Hadrir blieb nur, ihm entsetzt nachzusehen, während er mit dem Strom der übrigen Zwerge aus der Halle getrieben wurde.
Sobald Hadrir die Versammlungshalle verlassen hatte, wurde er sofort von den übrigen Mitgliedern der Häuser umringt. Thanen der kleineren sowie Unterhändler der größeren Familien stürzte gleichzeitig auf ihn ein und löcherten ihn mit Fragen, die er nicht beantworten konnte. Einige boten auch sofort ihre Unterstützung an, jammerten darüber, dass er sie nicht darüber Eingeweiht hätte, Kasran Mardar auf seiner Seite zu haben… andere verfluchten ihn für alle Hörbar und schworen ihm bereits ewige Feindschaft, bevor er auch nur den Mund öffnen konnte.
An Hadrir selbst ging das alles nur in einem undeutlichen Strom aus Sinneseindrücken vorbei. Er erinnerte sich, dass jemand seine Hand packen wollte, irgendwo blitzte ein Messer auf und zwei der Zwerge, die ihn umringten verschwanden. Er musste wohl ziemlich nah dran gewesen sein, denn später fand er einige Blutspritzer auf seiner Kleidung…
Der ganze Flügel des Plastes um die Versammlungshalle herum glich einem Hexenkessel, durch den er sich erst hindurchkämpfen musste, während er Fragen und Verwünschungen ignorierte.
Für ihn gab es im Augenblick nur ein Ziel… er musste Kasran finden… und ihn dazu bringen, seine Nominierung sofort zurückzuziehen. Das war doch Irrsinn… Wie kam der alte Thane bloß auch nur auf die Idee, aus ihm einen König machen zu wollen? Noch schlimmer… es würde ihm vermutlich sogar gelingen. Auch wenn Kasran die übrigen Häuser mit seiner Entscheidung vor den Kopf gestoßen hatte, die meisten würden am Ende wohl nach wie vor ihn unterstützen… Ihnen blieb auch keine große Wahl. Am Ende waren die Mardar nach wie vor das Haus mit dem meisten Einfluss.
Im Palast selbst war der Thane jedenfalls nirgendwo mehr zu finden und bis HAdrir schließlich die Tore erreichte, war es bereits früher Abend. Die letzten Verfolger verliefen sich erst, als er in die Straßen der fliegenden Stadt hinaus trat.
Dieser Ort war von einer betäubenden Schönheit, dachte er, während er durch die Straßen wanderte, immer in Richtung des Bezirks, den der Kaiser den Zwergen vermacht hatte. Die weißen Marmorfassaden der Paläste und Villen leuchteten im Schein der untergehenden Sonne wie Gold und das Plätschern von hunderten Springbrunnen erfüllte die Luft. Ein wenig erinnerte ihn dieser Ort immer an den großen Tempel in seiner Heimat. Der Baustil des allen Volkes war unübersehbar, auch wenn die Menschen vielerorts ihre eigenen Bauwerke über den alten oder gänzlich neue errichtet hatten.
Er musste unbedingt mit Kasran sprechen. Nach dem Aufruhr, den der Thane verursacht hatte, würde es Hadrir nicht wundern, wenn er sich schnellstmögliches wieder in sein Anwesen zurückgezogen hatte. Wenn jemand durch diese Entscheidung noch mehr in Gefahr geriet, als er selbst, dann Kasran…
Er war mächtig sicher, aber, als er Hadrirs Namen nannte… hatte er die Spielregeln dieser Wahl geändert und zwar offenbar ohne sich dabei mit irgendjemand abzusprechen. Die Reaktion der gesamten Versammlung war Beweis genug dafür. Niemand hatte damit gerechnet. Selbst für ihn war das ein selbstmörderisches Unterfangen. Was bei allen Unsterblichen hatte ihn nur zu so einem Entschluss treiben können?
Mit schnellen Schritten näherte er sich dem Anwesen des Thanen, das hinter einer großen Hecke aufragte. Ein weiterer Brunnen stand im Zentrum eines weitläufigen Vorplatzes, von dem aus eine kurze Treppe zum Eingang des Hauses hinauf führte. Beete, die mit Blumen überladen waren blühten Abseits der gepflasterten Fläche, doch auf den ersten Blick wirkte alles verlassen. Das heißt wenn man von den vier Gestalten absah, die bereits auf der Treppe auf ihn warteten.
Hadrir kannte ihre Namen nicht, dennoch wusste er, das sie ebenfalls zu den Gefährten Kasrans gehörten. Etwas, das sich spätestens bestätigte, als sie ihm sich wortlos in den Weg stellten.
,, Ich muss sofort mit eurem Thanen sprechen.“ , erklärte er wütend, doch die Männer taten grade so, als würden sie ihn nicht einmal hören. ,, Hat euer Herr euch jetzt auch das Trommelfell genommen ? Ihr wisst weshalb ich hier bin! Entweder, ihr ruft Kasran heraus oder ich gehe zu ihm.“
Einen Moment verfluchte er sich, das er sich nicht die Mühe gemacht hatte, seine Waffen zu holen, die er im Palast hatte ablegen müssen. Allerdings, gegen vier hatte er wohl ohnehin keine Chance…
,, Hadrir…“ Die Stimme vom oberen Ende der Treppe klang in keiner Weise überrascht. Kasran Mardar trat ohne sichtliche Eile aus dem inneren des Hauses und nickte ihm kurz zu. ,, Ihr müsst verzeihen aber nach den Unruhen im Ratssaal sind meine Gefährten noch besorgter als sonst, was meine Sicherheit angeht. Ihr wolltet mit mir sprechen?“
,, Ihr wisst ganz genau, worüber.“ Vor allem, dachte Hardrir, ob er nicht den Verstand verloren hatte.
,, Ich hatte schon erwartet, das ihr hier auftaucht… eigentlich hatte ich euch sogar um einiges früher erwartet.“ Wenn man keine Leibwache hat, die einem den Weg frei räumt braucht man eben etwas länger um sich die ganzen Messer und Ohrenbläser vom Leib zu halten. ,, Ich denke… ihr verdient tatsächlich ein paar Antworten.“
Und sie sind besser verdammt gut, dachte Hadrir. Er hatte tatsächlich angefangen zu Glauben, das er Kasran von der ganzen Versammlung der Häuser noch am ehesten Trauen konnte. Was immer noch nicht viel war. Das hatte sich jetzt jedoch mit einem Schlag wieder erledigt.
Der alte Thane gab seinen Männern ein Zeichen, die daraufhin endlich den Weg freigaben und wartete darauf, das Hadrir zu ihm kam. Sobald er jedoch die ersten Stufen genommen hatte, postierten sich die Gefährten wieder am Fuß der Treppe. Und so wie sie aussahen, würden sie ihn nicht einfach wieder hinunterlassen, bevor der Thane es ihnen gebot…
Mit einem flauen Gefühl im Magen sah er zu Kasran. Irgendwie bezweifelte er plötzlich, das es eine gute Idee gewesen war, so überstürzt hierher zu eilen. Gleichzeitig jedoch flammte in ihm immer noch die gleiche Wut, die ihn erst hierher getrieben hatte. Was dieser Mann sich herausnahm war mit nichts mehr zu erklären. Kasran konnte sich doch nicht einfach so zum Meister über ihr aller Schicksal aufschwingen und dabei wie ein Marionettenspieler seine Fäden ziehen…
Hadrir war sich ziemlich sicher, dass man ihm seine Wut deutlich ansehen konnte während er seinem unfreiwilligen Gastgeber ins Innere des Anwesens folgte. Gemeinsam mit Kasran betrat er die weitläufige Eingangshalle, in der eine breite Treppe in die oberen Stockwerke führte. Das erste was ihm jedoch auffiel, waren die Kristalle. Mineralien aller Art zierten die Wände oder waren auf kleinen Regalen abgestellt worden und auf einem kleinen Marmorpodest stand sogar eine Detailgetreue Nachbildung des Tempels ihrer Heimatstadt aus reinem Bergkristall. Der Thane musste diese Schätze mit sich gebracht haben, als sie vor einer gefühlten Ewigkeit aufgebrochen waren. Hadrir jedoch konnte sich bei dieser Enthüllung kaum mehr am Anblick der ganzen Juwelen erfreuen. Den Platz im Laderaum hätte man auch für Vorräte und damit weitere Zwerge verwenden können. In Kristallenen Vasen waren Rosen und schwer duftende Begonien zwischen den Edelsteinen verteilt. Entweder einer von Kasrans Gefährten oder er selbst schien eine Leidenschaft für die Gärtnerei zu haben.
Vorbei an der Mineraliengalerie führte Kasran ihn schließlich in ein großes Esszimmer, in dem wohl leicht dreißig Leute Platz gefunden hätten. Der große Tisch, der Parallel zu einer Reihe hoher Fenster stand war wohl extra für den Gebrauch durch Zwerge angepasst worden, den die Beine waren ohne jeden Zweifle gekürzt worden. Genauso wie die Stühle, die dadurch einen unproportionierten Eindruck machten. Die Lehne war viel zu hoch für einen Zwerg , während der Sitz zu niedrig für einen Menschen war.
Kasran setzte sich ohne ein Wort an den hintersten Platz des Tisches und Hadrir nahm, nach wie vor mit Wut und einem unguten Gefühl im Bauch, ihm gegenüber Platz. Mit einem Wink gab er einer wartenden Dienerin ein Zeichen und diese verschwand nur um kurz darauf mit einer Karaffe voll goldenen Weins und zwei Gläsern zurück zu kehren. Die Frau goss ihnen beiden ein und verschwand dann wieder und Hadrir fragte sich bereits ob sie ebenfalls eine der Gefährten des Thanen war.
,,Trinkt.“ , forderte dieser ihn nun auf und hob bereits selbst das Glas an die Lippen.
Hadrir jedoch tat nichts dergleichen, sondern drehte lediglich den Kelch in den Händn und schüttete den Wein auf die Tischplatte. ,, Ich bin nicht hier um euren Wein zu trinken. Ich bin hier weil ich Antworten will Kasran.“
,, JA… das habe ich mir Gedacht.“ Der Thane sah betrübt zu, wie der Wein vom Tisch floss. ,, Vielleicht hätte der Wein alles einfacher gemacht.“
,, Ihr seid ein manipulativer Bastard, Kasran, aber so viel Anstand hätte ich euch zugetraut, wenigstens mit mir zu sprechen, bevor ihr die ganze Versammlung in heilloses Chaos stürzt !“
,, Das muss ich mir wirklich nicht anhören… Kind. Ich tue das, was für unser Volk das Beste ist. Ihr jedoch weigert euch offenbar zu verstehen… oder denkt grade nur an euch.“
,, Ich denke vor allen daran das die halbe Versammlung uns lynchen wird. Dafür, das ihr angeblich da sbeste für alle wollt, sieht es mir aber verdammt danach aus, als wolltet ihr uns umbringen… Ich will eure verdammte Nominierung nicht Kasran, was immer ihr damit zu bezwecken gedenkt, ich werde die Krone ablehnen, versteht ihr mich? Ich will nichts damit zu tun haben…“
Er hatte seinen Vater noch zu gut in Erinnerung… und was dieses Amt aus diesem für ihn einst so bewundernswerten Mann schlussendlich gemacht hatte…
,, Ehrlich gesagt Hadrir, mir ist gleich was ihr wollt.“ , meinte Kasran tödlich leise. Die Hände hatte er locker auf den Rubinstab gestützt und lächelte Hadrir gewinnend an. ,, Hier geht es um Notwendigkeit, nicht um eure Bequemlichkeit.“ Die Stimme des alten Thanen jagte ihm einen Schauer über den Rücken.
,, Und wenn ich mit eurer Hilfe König werden würde… würdet ihr natürlich alle Fäden in der Hand haben, nicht ? Ihr wollt einen König, den ihr kontrollieren könnt?
,, Ich sehe ihr versteht schnell, Hadrir. Ihr würdet den Titel des Königs tragen, ja, wir wären sogar eure stärksten Unterstützer. Aber ihr wärt nur den Namen nach ein Herrscher. Mein Haus würde stärkste Kraft im Rat bleiben und ich müsste nicht einmal die Kontrolle darüber aufgeben.“ Langsam wurde Hadrir klar, warum Kasran nicht einfach selber den Thron bestieg. Natürlich, als König könnte er nicht länger als Thane fungieren… und so schön der Titel war, seine Macht wäre dadurch doch erheblich eingeschränkt. ,, Ich werde also nicht leugnen, dass ihr mir, als von meinem Haus gestützter König, gewisse Vorteile bringen würdet. Allerdings habe ich auch keine andere Wahl…“
,, Keine Wahl , ja ?“ Hadrir spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Dieser Mann gab sogar offen zu, dass er ihn benutzen wollte. ,,Und warum bitte sollte ich nach eurer Pfeife tanzen, Mardar ?“
,, Wie ich schon sagte, wir haben beide keine Wahl was das angeht. Und wir würden auch beide etwas gewinnen. Wenn ihr mein Angebot ausschlagt, geht ihr das Risiko ein, das keiner von uns beiden am Ende Herrschen würde. Es wäre plötzlich dem reinen Zufall überlassen, ob nicht ein Anhänger des Propheten oder ein radikaler Isolationist den Thron besteigt. Das könnte alles ruinieren. Ihr seid Brunars Sohn, Hadrir. Es gibt viele, die euch mögen ob euch das klar ist oder nicht. Und mit meiner Unterstützung wäre euch der Thron sicher. Ohne sie… Wir können uns keine Fehltritte erlauben, gleichgültig ob ihr mir nun glaubt oder nicht. Am Ende ist nur wichtig, das unsere Ziele sich decken: Unser Volk muss diese Epoche überleben… Ihr vertraut mir nicht und das beruht auf Gegenseitigkeit… Fakt ist jedoch, dass wir einander brauchen.“
,,Warum ich ?“
,, Weil ihr zu dumm seid euch zu verstellen… oder vielleicht zu ehrenhaft wenn euch dieses Wort besser gefällt. Für mich bedeutet beides das gleiche.“ Die unverblümte Ehrlichkeit dieses Mannes war wie ein Schlag ins Gesicht. ,, Ich kann mir sicher sein, das ihr wirklich der Mann seid, der ihr seid. Ihr würdet mir nicht in den Rücken fallen, wenn ich einmal euer Wort habe. Und ihr seid weder ein versteckter Isolationist, noch habt ihr je viel für den Propheten übrig gehabt.“
Hadrir seufzte. Jetzt hätte er doch gerne den Wein, dachte er, aber um Kasran nach einem zweiten Glas zu Fragen, war er zu Stolz. ,,Und doch könntet ihr einfach ein anderes Mitglied eures Hauses ernennen, nicht ?“
,,Nein.“ Kasran lachte bitter. ,, Was das angeht hat mir Algim die Augen geöffnet. Ich kann meiner eigenen Familie so wenig trauen wie jedem anderen. Nicht wenn unser Volk überleben soll. Ihr seid der einzige, bei dem ich mir sicher sein kann, das er nicht zur Gefahr wird.“
Die Erinnerung an den brutalen Marschall steigerte Hadrirs Wut nur noch. Der Mann hatte nicht nur alle Regeln der Gastfreundschaft über Bord geworfen und ohne Provokation jemanden entführt… er hatte auch Hinterhältig getötet… und war immerhin dafür gestraft worden. Was von ihm übrig war verrottete jetzt irgendwo an der Nebelküste. Hoffte Hadrir zumindest. Und doch war der Mann wohl immer noch harmlos verglichen mit Kasran selbst…
,, Und wenn ich entscheide, das ich euch immer noch nicht traue ? Würdet ihr wirklich dem Zufall überlassen, wer herrscht ?“
,, Vielleicht.“ Kasrans Augen schimmerten rötlich, während er sich vorbeugte. ,, Und vielleicht blockiere ich die Versammlung auch und zögere alles ins endlose hinaus. Ihr wisst, das ich dazu in der Lage bin… Also was sagt ihr?“
Hadrir hätte den Mann am liebsten wieder angeschrien, ihn beschimpft, ihn ein arrogantes Monster genannt… Stattdessen sank er lediglich auf seinen Platz zusammen. Ihm war völlig klar, dass dieser Mann keine leeren Drohungen aussprach. Ihnen war beiden klar, das ihnen nicht so viel Zeit blieb um auszutesten, wer von ihnen den längeren Atem hätte. Und doch würde Kasran genau das tun, wenn Hadrir ihn herausforderte…
Einen Moment atmete er tief durch, dann gab er sich geschlagen… Es hatte keinen Sinn mehr.
Hadrir stolperte mehr aus dem Anwesen, als das er lief. Kasrans Männer machten ihm wortlos den Weg frei, als er die Treppe hinab kam. Er wollte nur noch so schnell wie möglich hier weg. Und doch würde auch das laufen nichts bringen, dachte er bitter. Kasran hatte genau gewusst, was er tat, als er ihn unfreiwillig als Nachfolger für seinen Vater ins Spiel brachte. Diese Sache war noch lange nicht vorbei… und sie würde nur damit Enden, das er entweder auf dem Thron saß, oder ein Wunder geschah. Etwa, das der alte Thane sterben könnte… Er schämte sich bereits für den Gedanken, aber im Augenblick schien das tatsächlich der einzige mögliche Ausweg aus seiner Misere. Und doch würde er niemals selbst Hand an den Mann legen, trotz allem, was er getan hatte… tun wollte… und vielleicht noch tun würde. Eine Sache glaubte er ihm letzten Endes leider: Kasran war wirklich davon überzeugt, das zu tun, was für alle das Beste war. Und Hadrir hätte ihm dabei vielleicht sogar zugestimmt, wäre da nicht der Umstand, dass er der Leidtragende dabei sein würde. Er hatte sich geschworen, seinem Vater nicht nachzufolgen und nun blieb ihm keine Wahl…
Strahlender Sonnenschein begrüßte ihn, als er am Fuß der Treppe einen Moment aufsah. Die Türen des Anwesens waren bereits hinter ihm geschlossen worden und auch Kasrans Gefährten, die bis eben noch so stur den Aufgang bewacht hatten, waren verschwunden. Für den Thanen der Mardar schien die Sache erledigt zu sein. Der Rest würde sich entscheiden, wenn die übrigen Häuser die Versammlung wieder eröffneten. Vielleicht Morgen schon. Nein, dachte Hadrir, sicher nicht Morgen. Dafür war das Chaos, das Kasran verursacht hatte zu groß. So kurz würde seine Gnadenfrist dann doch nicht sein.
Im Augenblick wünschte er sich fast, er hätte Galren damals einfach begleitet. Seine Pflicht mochte ihm bei seinem Volk halten, aber er mochte den Menschen und seine Begleiter… und was hatte er eigentlich geglaubt ausrichten zu können? Etwas Gutes hatte das ganze wenigstens. Kasran hatte ihm deutlich klar gemacht, wo sein Platz in diesem Spiel zwischen den Häusern war… Er hatte nie eine Chance gehabt, während Kasran ein wahrer Meister darin war.
Seine Hände ballten sich zu Fäusten, während er das Grundstück verließ. Wohin wusste er selber nicht. Man hatte ihm zwar ein , für die Verhältnisse der fliegenden Stadt kleines, Haus zur Verfügung gestellt, doch dort würde ihn ohnehin nur leere erwarten. Das Haus Silberstein war nie sonderlich groß gewesen und sein Vater hatte die meisten Überlebt… und außer Hadrir keine Kinder hinterlassen. Seine Familie war tot, dachte Hadrir, auf mehr als eine Weise.
Während sich seine Gedanken im Kreis drehten, bemerkte er kaum, wie ein Schatten auf ihn fiel. Ein Mann in einem bodenlangen, türkisfarbenen Umhang hatte zu ihm aufgeschlossen und war offenbar darum bemüht, mit ihm Schritt zu halten.
,, Hadrir Silberstein ?“ , fragte er verschüchtert, während der Zwerg seinen Begleiter nun zum ersten Mal wirklich wahrnahm. Der Junge konnte noch keine fünfzehn sein, dachte er irritiert. Der Umhang den er trug, war ihm viel zu groß und schleifte hinter ihm im Dreck der Straße und franste bereits aus. Das Symbol darauf jedoch, erkannte Hadrir sofort. Ein goldener Tropfen, ein Wappen, das man in Canton besser schnell versteht lernte. So unscheinbar der Junge wirken mochte, er war ein Zauberer, ein Mitglied des Sangius-Ordens…
,, Was wollt ihr ?“ , fragte Hadrir wirsch. Es war nicht seine Art, die Leute so anzufahren vor allem wenn er sie nicht einmal kannte, aber dieser Tag konnte kaum schlimmer werden. Und er war müde und verunsichert… Vielleicht sollte er doch nach Hause gehen, sich hinlegen… und am besten nicht wieder aufstehen.
,, Verzeiht, Herr, aber mein Meister hat nach euch verlangt.“
,,Euer Meister…“ Hadrir rieb sich die Schläfen. Quinn. Natürlich. Der Kaiser hatte ihn beauftragt, ein Auge auf die Versammlung der Zwerge zu haben. Nach dem ganzen Irrsinn heute wusste der Ordensmeister wohl selber nicht mehr, was eigentlich vor sich ging. Hadrir war sich da ja selber nicht sicher. Nur das Kasran es sich ganz offenbar zur Aufgabe gemacht hatte, sein Leben über den Haufen zu werfen. Wenn er zu den Bedingungen des alten Thanen zum König wurde, würde er nur wie sein Vater enden, oder? Machtlos etwas zu tun, eine Puppe in den Händen der übrigen Häuser… die dazu verdammt war tatenlos allem zuzuschauen.
,, Dann bringt mich zu ihm.“ , meinte er an den jungen Zauberer gerichtet. Dieser verbeugte sich lediglich kurz und begann dann, ihm voraus der Straße zurück zum Palast zu folgen. Durch die Tore hindurch ging es durch die endlosen Flure und einige Treppen hinauf, bis sein Begleiter Hadrir schließlich vor einer Flügeltür zurück ließ.
,, Die Zimmer meines Herrn liegen dahinter.“ , erklärte der Ordensmagier. ,, Man wird euch erwarten…“
,, Und ihr kommt nicht mit ?“ , fragte Hadrir verwirrt. In diesem Teil des Palastes schien es nicht einmal mehr Wachen zu geben. Zumindest waren sie keiner davon begegnet. Wollte Quinn sich etwa völlig alleine mit ihm treffen? Das schien ungewöhnlich… Hadrir hatte nie erlebt, das sich eine ranghohe Persönlichkeit seines Volkes ohne Geleitschutz mit einer anderen getroffen hätte. Das war praktisch eine Einladung dazu, hinterrücks erstochen zu werden. Und es war dumm gewesen, alleine zu Kasran zu gehen…
,,Warum sollte ich , Herr ?“ , fragte der junge Mann überrascht.
,, Habt ihr keine Angst… Ach vergesst es.“ Hadrir zuckte nur mit den Schultern und der Junge entfernte sich mit einer weiteren Verbeugung. Höflich war er ja, das musste er ihm lassen. Aber entweder war Quinn nicht über die Gepflogenheiten seines Volkes informiert, das er ihn so offen empfing, oder… es kümmerte ihn schlicht nicht.
Ohne Anzuklopfen öffnete er die Flügeltür ein Stück weit und trat in einen hell erleuchteten Vorraum. Zimmer war wahrlich nicht das richtige Wort für die Quartiere die der Ordensmeister im Palast bezogen hatte. Die Räumlichkeiten hätten einige der Villen draußen in der Stadt leicht in den Schatten gestellt und erstreckten sich über zwei Stockwerke. Hadrir durchquerte eine eigene Bibliothek eine Schreibstube mit mehreren Kaminen und ein Speisezimmer. Sogar eine eigene Küche gab es, in der eine Handvoll Diener arbeitete, die ihn nicht groß beachteten, während er weiterging. Weder stellte sich ihm jemand in den Weg um nachzufragen was er wollte, noch war der Zauberer irgendwo zu sehen. Große Fenster in den Holzgetäfelten Wänden erlaubten einen Blick auf einen Garten, der ein Stück vom Haus abgelegen auf einer eigenen schwebenden Insel lag. Sie war nicht besonders groß, doch das mitten im Blau schwebende Grün hatte etwas entspannendes, dachte Hadrir. Ranken hingen von den mit brusthohen Geländern gesicherten Kanten des Gartens bis weit hinab in die Tiefe und Wasser floss aus einem kleinen Teich hinab ins Nichts.
Eine Bogenförmige Brücke führte durch eine nur angelehnte Tür hinüber und Hadrir überquerte sie schließlich mit einem mulmigen Gefühl im Magen. Der Stein unter seinen Füßen mochte fest sein, aber darunter lag nichts mehr. Nur der Boden und ein Aufprall der von seinem Körper kaum etwas übrig lassen würde.
Eine große, ausladende Weide markierte den Mittelpunkt des fliegenden Gartens unter der r schließlich fand, was er suchte. Quinn saß auf einer Bank und hatte die Augen halb geschlossen, bis er den Zwerg kommen hörte. Ein halb leeres Glas Weinbrand und ein Buch lagen nicht weit von ihm entfernt auf einem Stein, der von den Wurzeln des Baumes umschlungen wurde.
,, Ich hatte euch schon erwartet.“ , meinte er, während er sich schwerfällig aufsetzte und die langen, dunklen Roben glatt strich. Seine grauen Haare, die nur noch von wenigen schwarzen Strähnen durchzogen wurden, fielen ihm lose ins Gesicht. Wache Augen, die nicht so wirkten als hätte er grad noch geschlafen musterten Hadrir interessiert.
,, Ihr wolltet mich sprechen.“ , stellte der Zwerg reserviert fest. Bisher hatte er kaum ein Wort mit dem Magier gewechselt… und war froh darum gewesen. Die Erscheinung des Mannes hatte etwas Düsteres an sich.
,, Das ist wahr.“ Quinn betrachtete einen Moment den Weinbrand in seinem Glas, als hoffte er darauf, darin eine Antwort zu finden. ,, Ihr seid kreidebleich geworden, als euer Name heute in der Versammlung fiel... Ich denke ihr wart nicht allzu erfreut darüber?“
Er stand auf und bedeutete Hadrir, ihm zurück zum Palast zu folgen.
,, Nein. Ich glaube allerdings auch, das ihr unterschätzt, wie kompliziert unsere Politik sein kann. Im Augenblick habe ich nur die Wahl zwischen einer schlechten Entscheidung… und einer schlimmeren.“ Was genau wolle Quinn von ihm? Er hatte ihn sicher nicht nur rufen lassen, um sich nach seinem Befinden zu erkunden.
,, Das bezweifle ich nicht. Nicht, nachdem ich euch gesehen habe. Es gibt viele, die sich auf die Gelegenheit der Macht stürzen würden… ihr gehört offenbar nicht dazu. Ich wünschte ich könnte behaupten, das würde für mich ebenfalls stimmen.“
,, Was meint ihr damit ?“
,, Das ich gut weiß wie es ist, nur schwere Entscheidungen treffen zu können. In meiner Jugend war ich ein rücksichtsloser Mann, Zwerg. Dumm und Impulsiv, würden andere es wohl nennen. Ich ging sogar so weit zu versuchen, den Rang den ich heute inne habe mit Gewalt und Drohungen an mich reißen zu wollen. Es erübrigt sich zu sagen, dass ich geschlagen wurde. Vernichtet, alles wonach ich strebte anscheinend endgültig außer Reichweite gerückt. Und am Ende stand ich vor nur einer einzigen Entscheidung. Ich hätte alles zurückhaben können. Das einzige, was ich zu tun hatte, war jene zu verraten, mit denen ich überhaupt so weit gekommen war. Leute… die ohne dass ich es wollte zu Freunden geworden waren…“
,, Ihr habt sie hintergangen ?“ Hadrir sah den Mann entsetzte an.
,, Ich habe die Entscheidung getroffen, nach der ich noch in den Spiegel sehen konnte… Egal was das bedeuten mochte. Nein… sie Leben noch. Syle, Lucien... Nur Tamyra konnte ich nicht retten. Dennoch hatte ich mich damit für immer der Möglichkeit beraubt, jemals wieder meinen Rang im Orden wiederherzustellen… das glaubte ich jedenfalls…“
Der Zauberer schien einen Moment weit weg zu sein, während er sprach. Mitten auf der Brücke hatte er angehalten, während sein Blick in die Ferne wanderte.
,, Und dennoch seit ihr heute der Meister eures Ordens.“
,, Und als solcher hat mich der Kaiser beauftragt, die Versammlung der Zwerge zu leiten. Es sieht jedoch so aus, als habe Kasran vor, die Spielregeln ein wenig zu ändern. Was hat er mit euch vor?“
,, Er will im Grunde herrschen, ohne auf dem Thron zu sitzen. Die Versammlung bestimmt den König, das wisst ihr und im Prinzip hätten alle Häuser darin eine Stimme und damit das gleiche Gewicht. Aber natürlich haben die verschiedenen Familien auch Einfluss aufeinander. Ein Haus stützt ein anderes wegen irgendeines Bündnisses, das nächste wird hingegen jeden Vorschlag eines anderen wegen einer jahrelangen Fehde blockieren. Und in diesem Gewirr sind und bleiben die Mardar leider bei weitem die Stärkste Kraft. Fast sämtliche anderen Häuser werden ihre Entscheidung nach der Kasrans ausrichten. Er könnte jederzeit selbst zum König werden, aber genau das will er eben verhindern. Als König könnte er nicht gleichzeitig als Thane fungieren… und sein Haus würde seine Stimme im Rat verlieren. Der König ist nur ein Vermittler zwischen den Familien, ein manchmal notwendiger Schlichter, nicht ihr Vorstand.“ Und was für ein Schlichter, dachte Hadrir betrübt. Das Wort des Königs war keinesfalls Gesetz und selbst wenn es einen Streit gab, der drohte zu einem offenen Krieg zu werden konnte er kaum mehr tun, als eine Meinung zu äußern. Eine , die durchaus Gewicht hatte, sicher, aber niemand wäre wirklich gezwungen ihr auch Folge zu leisten. Nicht wenn die Versammlung ihr nicht Macht verlieh. ,, Daher soll ich für ihn die Krone tragen. Ich habe kein Haus, kaum Einfluss… und wäre demnach völlig von ihm Abhängig.“
,, In wirklich allem ?“
Hadrir lachte. ,, Fast. Der König könnte vielleicht noch einen Krieg erklären… aber das ist das genaue Gegenteil von dem was wir hier zu tun versuchen, nicht?“
Der alte Magier grinse ebenfalls. Mit einem Mal schien ein guter Teil der strenge und Distanziertheit, die er ausstrahlte, von ihm abzufallen. ,, Wenn nicht wäre das alles hier auch eine gewaltige Zeitverschwendung. Und Zeit ist, was wir beide nicht haben, wie es scheint. Wenn die Versammlung die Verhandlungen wieder aufnimmt, wird eine Entscheidung fallen müsse. Und nach dem was ihr erzählt habt, seid ihr der wahrscheinlichste Kandidat… und wir können Kasran nicht trauen. Also muss ich entweder verhindern, das ihr zum König werdet, oder wir müsste Kasrans Macht über euch dabei einschränken.“
Hadrir nickte. Der Zauberer hatte das Problem auf den Punkt gebracht… und auch eine mögliche Lösung. Darüber jedoch hatte er sich bereits lang und breit Gedanken gemacht. ,, Ich wüsste nur nicht wie. Selbst wenn ich ablehne, wird Kasran die Versammlung entweder nötigen jemanden zu wählen, den er genauso gut benutzen kann, oder alles so lange hinauszögern, bis mir keine Wahl mehr bleibt. Auch wenn das bedeutet, Kasran zu vertrauen, so lange kann mein Volk nicht mehr warten. Ohne einen Ausweg… werde ich die Wahl annehmen.“
,, Ich könnte euch zumindest den Rücken stärken.“ , meinte Quinn nachdenklich. ,, Ihr versteht, sehr gut, was hierbei auf dem Spiel steht . Ich habe mich über die übrigen Häuser informiert. Ich dachte manchmal die Großmagier des Ordens könnten machtbesessenen Narren sein. Nun ich muss mich wohl bei einigen von ihnen entschuldigen. Ehrlich gesagt ihr oder Kasran erscheint mir die einzige Möglichkeiten zu sein, die wir haben, Junge.“
Vermutlich war Hadrir sogar Älter, als der Magier, er korrigierte ihn jedoch nicht. Irgendwie… er fing vielleicht doch an, den Mann zu mögen. Er schien das Spiel der Häuser schnell verstanden zu haben und ließ sich augenscheinlich auch nicht davon einschüchtern.
,, Ich fürchte jedoch euer Wort wird bei meinem Volk wenig Gewicht haben. Ihr könnt euch für mich einsetzet, wie ihr wollt, aber das verschafft mir keinen Einfluss auf die übrigen Häuser.“
,, Wenn, dann bräuchtet ihr also ein wirkliches Druckmittel…“ Mittlerweile hatten sie die Tür zurück in die Quartiere des Ordensmeisters erreicht. Quinn schien einen Moment darüber nachzusinnen, dann jedoch bekam sein Gesicht auf einmal einen verschlagenen Ausdruck. ,, Ich habe nicht Jahrelang über eine Gruppe machthungriger Zauberer gewacht ohne ein paar Kniffe zu lernen. Vielleicht habe ich eine Idee…“
,, Eine Idee ?“ Hadrir war mittlerweile bereit nach jedem Strohhalm zu greifen.
,, Wie gesagt es ist nur ein Einfall… Vielleicht wird auch nichts daraus, ich muss vorher mit einigen Leuten sprechen. Ich schlage also vor, ihr vergesst erst einmal,
,, Und euer Plan ?“
,, Das würde doch die Überraschung verderben.“ Eine Art diabolischer Freude schwang in der Stimme des Mannes mit. Einen Moment konnte er sich nur zu gut vorstellen, wie Quinn in seiner Jugend gewesen sein mochte. Hadrir war nur froh, dass er sich nicht gegen ihn richtete. Aber ich glaube Kasran könnte bald um einiges verdutzter Aussehen als ihr heute.“
Hadrir hatte das Gefühl, zu seiner eigenen Hinrichtung zu erscheinen. Erneut konnte er die Blicke aller Anwesenden auf sich spüren, doch wo dies zuvor nur Einbildung gewesen sein mochte, gab es dieses Mal niemanden, der nicht genau auf ihn achtete. Und nur die wenigsten sahen Freundlich auf ihn hinab. Auf ihren hohen Plätzen auf den Ränge und Balkonen der Versammlungshalle würden sie +über ihn urteilen… und Hadrir wusste genau, wie dieses aussah. Egal ob es den übrigen Häusern gefiel oder nicht, wenn Kasran es wünschte, würden sie ihn zu ihrem König machen und was danach geschehen mochte…
Hilfesuchend sah er sich nach Quinn um, der bereits seinen Platz am Podium eingenommen hatte. Nichts an dem Magier verriet ihm, ob er wirklich einen Plan hatte. Seit jenem Moment vor drei Tagen, als er gemeint hatte, vielleicht einen Ausweg zu kennen, hatte er Hadrir nicht mehr rufen lassen. Und auch im Palast hatte man ihn nur selten gesehen hieß es. Stattdessen war er für einige Tage aus der Stadt verschwunden, Gerüchten zur Folge zurück zur Burg seines Ordens, was nicht grade für wenig Geflüster gesorgt hatte. Sowohl unter dem Adel der fliegenden Stadt als auch unter den Häusern der Zwerge. Die Burg war mehrere Wochen entfernt… doch für einen Magier war eine solche Entfernung kein Hindernis. Vielleicht gab es also tatsächlich einen Plan. Es war seine einzige Hoffnung, dachte Hadrir.
Schlurfend suchte er sich seinen Weg zwischen den versammelten Zwergen hindurch. Die übrigen Kandidaten der verschiedenen Häuser standen bereits hinter dem wartenden Ordensmagier. Sobald er dort ankäme, würde es nicht mehr lange dauern, das war ihm klar. Vielleicht noch eine Stunde oder sogar weniger…
Hadrir holte tief Luft und blieb einen Moment stehen. So wollte er nicht in Erinnerung bleiben. Der König, der zu seiner Krönung kroch. Nein. Aber er konnte auch nichts gegen das Gefühl der Verzweiflung ausrichten, das sich seiner Bemächtigt hatte. Mit Hammer und Schwert konnte er vielleicht umgehen, aber von dem politischen Schlachtfeld, auf das er plötzlich gezwungen wurde, hatte er sich bisher immer soweit es ging ferngehalten. Vielleicht hätte er wirklich mit Galren und den anderen gehen sollen. Hier jedenfalls hatte er bisher nur Fehler gemacht… Er hätte also sowieso nichts ändern können...
Trotzdem, er würde nicht auf Knien vor Kasran kriechen. Er würde dem Thanen nicht zeigen, dass er bereits gewonnen hatte… Hadrir richtete sich auf. Wenigstens das konnte er tun. Wenn er schon in die Fußstapfen seines Vaters trat, dann würde er dabei den Kopf hoch tragen.
Eine feierliche Stille hatte sich über die ganze Halle gesenkt. Im Gegensatz zur ersten Versammlung erfüllte nicht einmal mehr leises Gemurmel die Luft. Nur das Klacken seiner eigenen Stiefel auf dem plierten Holzboden war zu hören, während Hadrir schließlich seinen Platz an Quinns Seite einnahm.
Man hätte eine Stecknadel fallen hören können und so wagte er nicht einmal, ihm etwas zuzuflüstern. Die ganze Versammlung hätte sie vermutlich gehört, wenn er jetzt wissen wollte, ob der Plan des Zauberers Gestalt angenommen hatte. Und so blieb ihm nur, stumm zu warten, während Quinn auf das Podest kletterte. Er ging leicht gebeugt und schien eine Weile nicht geschlafen zu haben, doch das feine Lächeln, das die Falten in seinem Gesicht hervorstehen ließ jagte Hadrir einen Schauer über den Rücken. Er musste nicht mehr fragen. Irgendetwas hatte dieser Mann ganz sicher vor…
,, Verehrte Gesandte der Häuser, Thanen, Marschalls, Zwerge… die Zeit ist gekommen, euren Herrscher zu wählen. Die Kandidaten stehen fest und ich bin mir sicher, viele von euch werden die letzten Tage genutzt haben um gut darüber nachzudenken, wer euer Vertrauen verdient. Bevor ich euch nun jedoch das Feld überlasse, gibt es eine Kleinigkeit, die diese erlauchte Versammlung wissen sollte. Niemand von uns hat vor, sich in eure Politik einzumischen. Der Kaiser hat von Anfang an darauf bestanden, dass wir uns aus allem heraushalten, dass ich nur als Beobachter fungiere. Dennoch muss ich mich ihm in diesem Punkt leider wiedersetzen.“
Die Stille schlug in aufgeregtes Getuschel um. Hadrir konnte das scharren von Stahl hören, als mehr als einer der Anwesenden nach einer versteckten Klinge griff. Offiziell sollten hier vielleicht keine Waffen getragen werden, das würde die meisten jedoch nicht daran gehindert haben, zumindest ein Messer an den Wachen vorbei zu schmuggeln.
Die Abgesandten auf dem Parkett rutschten fast instinktiv näher zusammen, während von den oberen Rängen nun bereits die ersten Empörten Rufe zu hören waren.
,, Ruhe !“ Kasrans Stimme hallte wie ein Peitschenhieb durch den Saal. Auch wenn Hadrir ihn von seiner Position aus nur als roten Punkt auf einem der Balkone ausmachen konnte, konnte er sich nur zu gut das Gesicht des Mannes vorstellen. Kalt, ruhig, ohne einen Anflug von Besorgnis nach außen dringen zu lassen. ,, Erklärt euch Zauberer. Was hat das zu bedeuten?“
,, Es bedeutet, verehrter Thane, das auch ich es mir herausnehme, heute einen Kandidaten zu unterstützen. Und auch wenn meine Stimme in dieser Versammlung kein Gewicht haben mag, so wird es vielleicht dies: Der Zwerg, der meinen Segen erhält, erhält damit auch die uneingeschränkte Unterstützung des Ordens. Sämtliche Großmagier haben diesem Beschluss zugestimmt… und er gilt ohne Bedingungen. Auch wenn diese Versammlung heute jemand anderem die Krone geben mag, stehe ich zu meinem Wort, diesem Mann gegenüber. Der Sangius-Orden unterstützt hiermit Hadrir Silberstein, für die Nachfolge von König Brunar Silberstein. Sein Haus kann sich ab diesem Tag unserer Hilfe gewiss sein.“
Kasrans Züge entgleisten nun doch. Aus der eben noch ruhigen Mine wurde erst ein skeptischer Ausdruck… der zunehmend wachsendem entsetzen wich. Hadrir fand nicht einmal die Worte, dem alten Ordensmagier zu danken. Unsterbliche, was hatte Quinn da grade getan? Er hatte mit wenigen Worten klar gemacht, dass der Orden bereit war, Partei zu ergreifen… für ihn. Für das Haus Silberstein. Mit einem einzigen Schlag hatte er Hadrir plötzlich Luft verschafft, ihm Macht unabhängig der übrigen Häuser gegeben. Und Kasran verstand das wohl ebenso. Der alte Thane mochte die Häuser in uns auswendig kennen, aber Quinn war für ihn eine unbekannte gewesen. Das hier hatte er niemals kommen sehen und selbst Hadrir hatte bis grade eben nicht damit gerechnet.
,, Das ist ein Skandal. Diese Versammlung wird es nicht hinnehmen, das sich ein Fremder…“
,, In eure Angelegenheiten einmischt ?“ , rief Quinn ihm entgegen. ,, Vielleicht ist es sogar höchste Zeit dafür, Kasran. Doch ich beabsichtige dies nicht. Ich habe lediglich klar gemacht, wen ich und der Orden als neuen König begrüßen würden. Die Entscheidung liegt immer noch ganz bei euch.“
Mit diesen Worten trat der Zauberer endgültig vom Podest zurück und überließ damit wieder den Zwergen das Feld.
Hadrir atmete erleichtert auf. Dieser Mann hatte ihn grade gerettet wurde ihm mehr und mehr bewusst. Und das ohne jede Gegenleistung dafür zu fordern. Im Gegenteil, Quinn hatte klar gemacht, das er nichts für seine Hilfe verlangen würde, das es keine Absprachen gab. So etwas kannten die übrigen Häuser vermutlich nicht einmal…
Erneut wurde es Totenstill in der Halle. Es dauerte eine Weile, bis selbst Kasran sich wieder gefangen hatte, dann jedoch räusperte er sich hörbar und kam die Treppen hinab in den Hauptsaal.
,, Dann… schreiten wir zur Wahl.“ , meinte er schwerfällig, während er sich zu Quinn, Hadrir und den übrigen Kandidaten gesellte. Am liebsten hätte er die ganze Versammlung wohl noch um ein paar Tage verzögert um sich neu zu sortieren, aber ihm war wohl auch klar, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Jetzt alle wieder unverrichteter Dinge wegzuschicken würde einen Aufstand auslösen, so gespannt wie die Situation war. Nacheinander richtete der Thane das Wort an jeden einzelnen Kandidaten um zu fragen, ob er sich zur Wahl stelle.
,,Hadrir Silberstein,. Stellt ihr euch zur Wahl?“
Hadrir zögerte einen Moment, als sein eigener Name fiel. Noch konnte er zurück. Aber das wollte er gar nicht mehr, dachte er und einen Moment traf sich sein Blick mit dem Kasrans. Nein, darauf würde der Mardard-Thane jetzt nur warten. Er hatte sich als gefährlicher erwiesen, als Kasran zu glauben gemocht hatte… und jetzt würde der alte Zwerg seinen Fehler auch büßen…
,, Ja.“ , erklärte er laut und trat vor.
,, Der Kandidat des Hauses Mardar… und des Sangius-Ordens stellt sich der Entscheidung der Versammlung.“ , erklärte Kasran feierlich. ,, Wer für Hadrir Silberstein ist, hebt die Hand.“
Und zu Hadrirs Verblüffung war es tatsächlich der Mardar, der zuerst die Hand hob. Er konnte den alten Zwerg einen Moment nur verblüfft ansehen, während in der Halle immer mehr Hände nach oben schnellten, zehn, fünfzehn… Hadrir gab das zählen auf.
Kasran seinerseits lächelte kurz und nickte dem jungen Zwerg fast anerkennend zu. Immerhin… er schien seine Niederlage wenigstens nicht allzu bitter zu nehmen.
,, Ich hatte euch unterschätzt.“ , gestand er flüsternd. ,, Allerdings hatte ich auch nicht mit dem Orden gerechnet… Gut gemacht.“
,, Ihr scheint seltsam unbesorgt über eure Niederlage.“
Mittlerweile waren fast alle Hände in der Halle erhoben und die wenigen, die bis jetzt gezögert hatten, gesellten sich ebenfalls einer nach dem anderen dazu.
,, Um ehrlich zu sein… es ist eine ganze Weile her, das mich jemand übertölpelt hat, Junge. Und noch länger, dass jemand in diesem Spiel eine wirkliche Herausforderung für mich war. Ihr habt eine Schlacht gewonnen, Hadrir. Aber was ihr euch hier aufhalst, ist ein lebenslanger Krieg. Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen…“
Und dann waren auch die letzten Arme oben. Alle, dachte Hadrir mit einem flauen Gefühl im Magen. Jeder einzelne der Anwesenden hatte sein Handzeichen für ihn gegeben. Wie erstarrt stand er da, während auch schon der Jubel der Menge losbrach. Wie eine Welle brandeten Rufe durch den Saal. Hadrir bekam kaum mit, wie Kasran seine Hand ergriff und nach oben riss.
,, Heißt euren König willkommen.“ , rief der alte Thane mit einem triumphierenden lächeln.
Und tatsächlich begann die Menge sogar seinen Namen zu skandieren.
,,Silberstein ! Heil dem neuen König!“ Es war ein infernalisches Grölen das die Wände zum Zittern brachte. Der Lärm verebbte nicht einmal, als schließlich eine kleine Gruppe Zwerge in den traditionellen, schweren Panzern der Wache hereinkam und vor ihm niederknieten. Jeder von ihnen trug das Symbol eines anderen Hauses auf seiner Brust und einen Umhang in den entsprechenden Farben. In ihrer Mitte ging ein kleines Zwergenmädchen mit der Krone, die einst Brunar Silberstein getragen hatte. Blumen regneten mittlerweile von den oberen Rängen hinab und einige der bunten Blätter verfingen sich in Hadrirs Kleidung und seinen Haaren Er begriff nur noch am Rande, was eigentlich vor sich ging. Das flaue Gefühl in seinem Magen war zurück. Auf was hatte er sich da bloß eingelassen? Kasran musste ihm sogar einen leichten Schubs geben, damit er ebenfalls auf die Knie sank und dann spürte er auch schon das kühle Metall auf seiner Stirn.
Er war kein Herrscher, hätte er am liebsten erklärt, als Kasran ihn wieder auf die Füße zog, doch sein Mund weigerte sich schlicht die Worte zu formen, während er in tausende, wartenden Gesichter starrte. Manche lächelten, andere schienen ihn bestenfalls zu dulden, doch keiner hob die Stimme um ihn noch einen Emporkömmling zu schimpfen oder seinen Anspruch jetzt noch in Frage zu stellen. Stattdessen warteten sie begierig auf die ersten Worte ihres neuen Königs. Und dieser schweig lediglich, während seine Beine unter ihm nachgeben wollten. Die Krone auf seinem Kopf fühlte sich zu schwer an, seine Kleider waren die eines Hauslosen… und doch stand er plötzlich hier. Als Herrscher über ein Volk, das vor allem jemanden brauchte, der ihm den Weg wies.
,, Die Zeit der Dunkelheit ist vorbei.“ Der Klang seiner eigenen, kraftvollen Stimme überraschte ihn, als er schließlich wankend auf die Füße kam. Er wusste nicht woher die Worte kamen, aber sie erfüllten ihren Zweck. Erneut brandete Jubel los , der wie eine Welle über ihm zusammenschlug und es sollte noch Stunden dauern, bis die Körnungszeremonien abgeschlossen waren. Häuser wollten ihre Loyalität bekunden, die ersten Bittsteller eine Antwort hören… und über allem stand nach wie vor Kasran. Der Zwerg war mittlerweile vom Podest getreten und sah mit ruhiger Mine zu ihm herauf. Es war unmöglich zu wissen, was dieser Mann als nächstes Plante…
Hadrir wusste innerlich bereits, das seine Worte eine Lüge gewesen waren. Nein. Sie waren noch lange nicht durch die Dunkelheit hindurch. Wenn dann hatten sie grade vielleicht den ersten Schimmer des Morgens erblickt…. Als er schließlich Stunden später halb betäubt endlich aus der Halle wankte, regneten noch immer Blumen von den Balkonen herab und landeten vor seinen Füßen.
Helike bot bei Sonnenaufgang einen beeindruckenden Anblick. Die Wälle der inneren Stadt ragten wie ein künstlicher Berg über den unteren Bezirken auf, die sich innerhalb der kreisförmigen Mauern anordneten. Aus der Ferne und durch Schleier aus treibendem Nebel hindurch betrachtet, wirkte die Stadt auf Naria beinahe verlassen, doch die Geräusche, die vom Hafen zu ihnen aufs Wasser hinausdrangen, sprachen eine andere Sprache. Der Lärm der Stadt war unmissverständlich. Das Hämmern von Schmieden, die verzerrten Rufe von Fischern, die in ihren Booten in die Bucht hinaus ruderten und das ferne Stimmengewirr von tausenden Menschen, die ihrem täglichen Handwerk nachgingen…
Naria sah zu dem Leuchtturm an der Hafeneinfahrt, den sie soeben passierten. Das Bauwerk stand auf einer zerklüfteten Landzunge und auf seiner Spitze brannte eine einzelne, hell lodernde Flamme. Und wenn sie sich nicht irrte, war der Turm grade so lang, wie die Rinne für die Schiffe breit war. Vermutlich ließ sich das Gebäude bei einem Angriff einfach zum Einsturz bringen und der Hafen wäre damit blockiert.
Wys, der mittlerweile neben ihr an Deck getreten war, überwachte grade noch die letzten Vorbereitungen, bevor die Ruder eingezogen wurden und die Galeere die letzten Meter bis zur Kante des Hafenbeckens trieb. Sobald sie nahe genug heranwaren, sprangen auch schon die ersten Matrosen von Bord um das Schiff zu vertäuen, während der Archont Anweisungen gab, eine Laufplanke herabzulassen.
Der Hafen war auch um diese Tageszeit bereit Überlaufen und es dauerte nicht lange, bis die ersten Schaulustigen anhielten um zu sehen, wer da zurückgekehrt war. Als man jedoch Wys erkannte, beeilten sich die meisten sofort, weiterzugehen. Es war leicht für Naria während der Seereise zu vergessen, wer ihr Onkel eigentlich war. Hier jedoch war es nicht zu leugnen.
Der Archont jedoch winkte den Leuten freundlich zu, während er Naria eine Hand hinhielt, um ihr von Bord zu helfen.
,, Wollen wir dann ?“ , fragte er.
Die Gejarn zögerte noch einen Augenblick, dann jedoch schulterte sie ihren Beutel mit den Kräutern und einigen Büchern. Das war also Helike, dachte sie verwundert, während sie Wys folgte.
Auf ihren Stab gestützt und die Kapuze ihres Mantels als Schutz vor der Sonne ins Gesicht gezogen, schenkte ihr wenigstens kaum jemand Beachtung. Wys war es, der die Aufmerksamkeit aller gefangen hielt. Immerhin, er kehrte grade von einer Reise zurück, von der bisher nicht einmal die übrigen Archonten etwas gewusst hatten. Ihm war durchaus klar, wie gefährlich es sein könnte, Naria ohne den vorherigen Segen des gesamten Rats hierher zu bringen… auf der anderen Seite, welche andere Wahl hatten sie den schon ?
Am Hafen herrschte ein einziges durcheinander, das durch seine Ankunft nur noch vergrößert wurde. Töpfer boten ihre Waren feil, Schneider die scher mit Stoffballen Beladene Stände hüteten, Metzger, Gaukler, fliegende Händler, die alles von Wasser über alkoholische Getränke bis hin zu Magie, ob nun echt oder nicht, verkauften. Fischer zogen schwere Körbe und Netze hinter sich her oder versuchten ihre Beute gleich an Ort und Stelle an den Mann zu bringen. Der Duft von Gewürzen vermischte sich mit Tabakdunst, dem Geruch von toten Fischen und Blut zu einer alles überlagernden Wolke. Hinzu kamen dutzende Reisende und weitere Händler mit ihren Schiffen, die teilweise die Banner sämtlicher größeren Städte Cantons trugen. Früher etwas, das undenkbar gewesen wäre, dachte Wys, doch Helike hatte sich geöffnet. Nicht zuletzt dank Jona. Jetzt wo der Mann nicht mehr war, würde Wys sich vorsehen müssen. Auch wenn ihre Zahl abnahm, es gab immer noch jene, die am liebsten alles wieder Rückgängig machen und Helike zu der Zeit zurückführen würden, als Laos Gesetz über allem gestanden hatte. Ein Gesetz, das er niemals selberverfasste , wie ihm der Geist des alten Lehrers einst gestanden hatte.
Wys Hand umklammerte den Schwertgriff, während er seine Schritte beschleunigte. Allein der Gedanke daran wühlte ihn auf. Sie hatten Jahrhundertelang einer Lüge nachgetrauert, dachte er bitter und jetzt, wo sie endlich so weit wären, sich davon zu befreien stand wieder alles auf der Kippe. Und nicht nur wegen der Archonten. Nein, wo ein Kult zu Ende ging, tauchte ein neuer auf.
Er sah sich einen Moment misstrauisch um, konnte jedoch niemanden entdecken, der das Zeichen der blutigen Hand trug. Immerhin war das etwas.
,, Stimmt etwas nicht ?“ Naria musste sich beeilen um noch mit ihm Schritt zu halten und offenbar war ihr nicht entgangen, wie sein Blick hastig die Menge absuchte.
,, Nein… Alles in Ordnung. Wir sollten uns nur beeilen.“
,, Ihr seid ein schlechter Lügner, Archont.“ , stellte Naria kühl fest, folgte ihm jedoch ohne zu zögern weiter die Straße entlang, fort vom belebten Hafen und in die schattigen Gassen zwischen den Wohnhäusern der Stadt. Helike war ein heißer Ort und aus der Wüste, die sich nur wenige Meilen vor den Toren erstreckte, wehten beständig Sand und heiße, trockene Luft heran. Wenn das Wetter der Zauberin jedoch zu schaffen machte, so zeigte sie es zumindest nicht. Während der Reise hatten sie zwar genug Zeit gehabt sich zu unterhalten, trotzdem wusste Wys nach wie vor viel weniger über sie, als er wollte. Am Ende war sie seine Nichte… könnte jedoch auch eine Fremde sein. Vielleicht hatte sie auch einfach viel mehr von Relina als von seinem Bruder…
Als die Rampe hinauf zur inneren Stadt in Sicht kam, begrüßten ihn die Wachen davor bereits. Fast einhundert Paladine hatten sich den gesamten Weg hinauf postiert, Speere in der Hand. Ihre roten Umhänge und die schweren Panzerungen strahlten in der Sonne. Wys fragte sich manchmal wirklich, wie diese Männer es aushielten, stundelang in voller Montur in der Sonne zu stehen. Zyle hatte einmal vor ihrer Prüfung zum Schwertmeister gescherzt, dass wenn einer von ihnen dabei versagte, sie einfach nur die leere Rüstung aufzustellen brauchten um den Tag über frei zu haben. Nun, diese Rüstungen hier waren definitiv von Leben erfüllt, denn jeder der Männer nahm Haltung an, sobald er Wys erkannte.
,, Der Archont ist zurück.“ , hallte es bereits den Weg die Rampe hinauf und von den Türmen, die alle hundert Schritte darin eingelassen waren. Der Aufgang war der einzige Weg, in die innere Stadt und entsprechend stark gesichert, trotzdem waren die Wachen hier vor allem Symbolisch. Ihr Volk versteckte sich nicht hinter Mauern, wenn es eine Alternative gab, dachte Wys. Das war schon immer so gewesen und war wohl auch etwas, das sich nicht würde ändern lassen. Stattdessen schützten sie sich mit schweren Platten aus Metall, das aus den Mythrilminen am Rand der Wüste stammte. Richtig aufbereitet, war das raffinierte Mythril sogar stark genug, einer Kugel mühelos standzuhalten.
Lediglich ein aufgesetzter Schuss hätte überhaupt eine Chance, Schaden anzurichten. Die einzigen wirklich verwundbaren Stellen waren die Gelenke, wo die Panzerung durch dünnere Metall und Lederstreifen ersetzt wurde. Einer der Gründe, aus denen die kaiserliche Garde einst gelernt hatte, die Krieger Helikes zu fürchten. Vor ihnen war es niemanden gelungen, der stetigen Expansion des Canton-Imperiums ein Ende zu machen.
Naria sah fasziniert hinauf zu den Mauer, die das Herz von Helike einschlossen und dann hinaus auf die Stadt selbst. Auf halbem Weg die Rampe hinauf, konnte man fast ganz Helike überblicken, bis hin zu dem Punkt, wo die äußeren Stadtmauern begannen und das Land in Felder und kleine Obstplantagen überging. Und weiter dahinter, grade noch zu erahnen, lagen die ersten Sanddünen, die sich endlos bis zum Horizont erstreckten.
Wys ging ihr voraus und noch ehe sie schließlich ihren Aufstieg beendeten, tauchten bereits die ersten Paladine vor den offen stehenden Tor auf um sie in Empfang zu nehmen. Die Männer schlossen sich ihren Archonten wortlos an ohne auch nur zu fragen, wer ihn da eigentlich noch begleitete.
Der große Torbogen bot ihnen einen Moment Schatten, während Naria staunend einen ersten Blick auf die innere Stadt warf. Die Bauwerke hier oben standen in scharfem Kontrast zu den einfacheren Hütten und den aus Sandstein und Holz errichteten Bauten der unteren Bezirke. Säulenspaliere säumten alle Straßen und auch die Außenwände der meisten Gebäude, die sich symmetrisch entlang des mit schweren Marmorplatten ausgelegten Wegs aneinanderreihten. Naria erkannte den Baustil sofort wieder. Selbst wenn sie ihn noch nie zuvor selbst gesehen hätte, die Architektur des alten Volkes war einzigartig und jeder Magier, der etwas auf sich hielt, wusste sie zu erkennen. Alles hier oben war in absoluter Symmetrie gehalten, Gebäude, Wege… alles strebte auf einen einzigen Punkt in der Mitte der inneren Stadt zu, hinter dem auch der einzige Makel inmitten der Perfektion aufragte.
Ein grauer Turm warf seinen Schatten auf den Platz, an dem ihre Straße schließlich endete. Buntglasfenster zogen sich die Wände hinauf und die meisten davon trugen das Profil eines Menschen oder eines Gejarn. Helden der Stadt, dachte Naria bei sich. So viel hatte Wys ihr erzählt. Doch jetzt selber hier zu stehen war noch einmal etwas anderes.
Der Platz vor dem Turm wiederum, der das eigentliche Zentrum der inneren Stadt bildete, wurde von einem großen Sockel aus Marmor eingenommen. Dieser war jedoch vollkommen leer, wie Naria erstaunt feststellte. Lediglich einige Risse zogen sich durch den Stein, als wäre er einmal einem großen Gewicht ausgesetzt gewesen, das nun jedoch fehlte. Die Wege , die sich hier trafen, wurden zum Sockel hin dünner und verliefen in konzentrischen Kreisen, die sich schließlich am Stein verloren. Säulen umschlossen die einzelnen Kreise und waren mit Querverlaufenden Linien aus dunkleren Pflastersteinen ebenfalls mit dem Sockel verbunden, so dass der gesamte Komplex beinahe wie ein riesiges, schwarz-weißes Spinnennetz aussah.
Narai runzelte einen Moment die Stirn. ,, War dieser Sockel schon immer leer ?“ , fragte sie nachdenklich. Wys , der den Platz bereits halb überquert hatte wurde langsamer und blieb dann stehen.
,, Eine lange Geschichte. Aber nein. Einst stand an diesem Ort der Kristallsarg des Laos, aber er wurde vor mehr als zwanzig Jahren zerstört.“ Gedankenverloren berührte der Archont das Amulett um seinen Hals. Das goldene Zahnrad hatte sich in der Schließe seines Umhangs verfangen und so brauchte er einen Moment um es wieder daraus zu befreien. ,, Damals wurden wir von Kreaturen aus Stahl bedroht. Monster, erweckt von einem Zauberer, der sich an den Katakomben in den Mythrilminen zu schaffen machte. Doch letztlich haben wir sie vernichtet…“
,, Und dieses Fragment, das ihr tragt, stammt von einer davon ?“
,, Ja und nein.“ Wys blick wanderte zu dem leeren Sockel. ,, Aber das ist wie schon gesagt eine lange Geschichte. Mich wundert es nicht, das Zyle sie euch nie erzählt hat.“
Und warum sollte er das nicht? , fragte Naria sich einen Moment. Doch Wys blieb die Antwort darauf schuldig. Vielleicht gab es Dinge, die auch sie nicht wissen musste… dennoch, wenn der Archont beabsichtigt hatte, ihre Neugier in die Schranken zu weisen hatte er damit das genaue Gegenteil erreicht. Wenn Wys es ihr nicht erzählen würde, würde sie eben ihren Vater bei ihrer Rückkehr fragen.
,, Ich denke, wir sollten die Archonten nicht warten lassen.“ Wys nickte in Richtung des dunklen Turmbaus, der am anderen Ende des Platzes aufragte. Hoch genug, das er sämtliche anderen Gebäude der inneren Stadt und damit ganz Helikes überragte. Die bunten Fenster schienen im Licht der aufgehenden Sonne zu glühen, während Naria schließlich dem Archonten folgte. Die Darstellungen im Glas wirkten fast Lebensecht und auch wenn manche davon Jahrhunderte alt waren, hatte keines davon auch nur das Geringste von seiner Pracht eingebüßt. Beinahe war es, als würden alle diese kleinen Kunstwerke aus ein und derselben Hand stammen, so wenig unterschieden sie sich voneinander. Eines der Glasbilder jedoch zog sofort ihre Aufmerksamkeit auf sich. Selbst wenn die Darstellungen nicht so lebendig gewirkt hätten, hätte sie ihn wohl noch erkannt. Es war ein jüngeres Abbild ihres Vaters, das aus der mittleren Reihe Fenster zu ihr hinab zu sehen schien.
,, Ihr habt es also bemerkt.“ , stellte Wys neben ihr fest. ,, Das ist…Teil der Geschichte, wisst ihr, Naria.“
,, Ihr werdet sie mir noch erzählen müssen.“
Der Archont schüttelte den Kopf. ,, Sie ist lang und nimmt kein besonders schönes Ende. Ihr wisst, was euer Vater… ist?“
Was er war ? ,, Ich glaube das weiß er selber nicht genau. Er lebt, das ist was zählt, schätze ich.“
,, Aber es war meine Schuld, das er so wurde, wie er ist.“
Die Ratskammer im inneren des Archontenturms war gewaltig. Naria hatte das Gefühl sich in einer Kathedrale zu befinden. Die Decke wölbte sich über ihnen, scheinbar von nichts als den sechseckigen Wänden der Kammer getragen, an denen sich die Buntglasfenster in einer Spirale nach oben anordneten. Einzelne Lichtstrahlen malten bunte Flecken auf die aus schwarzem Stein gefertigten Böden und Wände. Ab und an blendete sie ein Reflex fast, wenn die Lichter über ihre Kleidung und ihr Gesicht tanzten. Davon abgesehen jedoch war die Halle ernüchternd schmucklos und Karg. Es gab keinerlei Verzierungen an den Steinen, keine Teppiche, die einem vor den kalten Fließen schützten. Trotzdem strahlte dieser Ort etwas Feierliches aus, dachte Naria , ähnlich der Lichterhalle auf Maras, doch um vieles Älter, ehrwürdiger… Der Turm war nicht Teil der restlichen Struktur der inneren Stadt, das wusste sie, dazu unterschied er sich zu sehr vom üblichen Baustil des alten Volkes, der hier vorherrschte… dennoch ließ er sich auch mit nichts vergleichen, das sie bisher in der Unterstadt gesehen hatte. Waren es nicht die Drachenanbeter gewesen, die Helike einst beherrschten? Das würde vielleicht sogar den fehlenden Schmuck erklären, überlegte sie. Vermutlich hatten Laos Anhänger nach seinem Sieg gegen den Drachenkönig alles vernichtet, was noch an ihre alten Unterdrücker erinnerte oder die Whaid hatten es bei ihrer Flucht mitgenommen. Was sie wieder zum Grund ihres Hierseins brachte…
Dem Eingang der Halle genau gegenüber erhob sich ein steinernes Podest mit fünf Thronen darauf. Vier davon waren im Augenblick besetzt und damit nur derjenige verlassen, der Wys gehörte. Sie mussten in seiner Abwesenheit bereits einen Nachfolger für Jona ernannt haben. Etwas, das auch dem Archonten nicht entgangen war.
,, Was hat das zu bedeuten ?“ , verlangte er zu wissen. ,, Ihr habt über Jonas Nachfolge während meiner Abwesenheit bestimmt ?“
,, Ich wollte sie aufhalten.“ , klang eine Stimme vom Thron ganz außen entschuldigend.,, Leider hat man mich überstimmt. Wys… es tut mir Leid.“ Die Stimme gehörte zu einer hochgewachsenen Frau mit langen, rotblonden Haaren. Sie konnte wohl noch keine vierzig sein, und ihre hellgrünen Augen waren im Halbdunkel der Archontenkammer wie zwei Funken. Ein blauweißes Kleid, das an der Schulter von einer goldenen Schnalle gehalten wurde fiel um ihren schlanken Körper.
,, Schon gut.“ Wys seufzte schwer. ,, Dich trifft keine Schuld Tira.“ In der Stimme des Archonten schwang eine seltsame Vertrautheit mit und Naria entging nicht, wie sich sein Blick mit dem der Archontin kreuzte. Ein schwaches Lächeln huschte über Wys Gesicht, bevor er sich wieder den übrigen Anwesenden zuwendete
,, Nun was hätten wir eurer Meinung nach tun sollen ?“ fragte der Archont auf dem mittleren Thron und die Frau neben ihm stimmte mit einem Nicken zu. ,, Ihr müsst das verstehen, Wys. Ihr könnt nicht einfach ohne ein Wort verschwinden und erwarten, dass wir ruhig eure Rückkehr erwarten. Und außerdem hat Paladin Larth lange schon unsere Aufmerksamkeit verdient. Es war nur gerechtfertigt, ihn zum Archonten zu machen.“
,, Das mag sein, Helios. Es stand euch trotzdem nicht zu, diese Entscheidung alleine zu treffen.“ , warf Tira ein.
Der angesprochene, vierte Archont, regte sich daraufhin, ebenfalls ein Mensch, jedoch deutlich jünger als Wys. Er trug eine leichte Rüstung, die bei jeder Bewegung leise schepperte und hatte die Beine über der Lehne des Throns hängen, als würde ihn die ganze Angelegenheit eher langweilen. Sein Kopf war nur von einigen braunen Stoppeln bedeckt, die sich auch über sein Kinn zogen und nur den Anflug eines Barts verrieten. Nun jedoch setzte er sich endlich Grade hin, während er zu Wys herab sah. ,, ich habe mich schon lange darauf gefreut euch einmal kennen zu lernen, Herr.“ , meinte er freundlich. ,, Man hört diese Tage so viel von euch, größtenteils gutes… Ich hoffe also, das wir uns darauf konzentrieren können, zusammen für unser Volk das Beste zu erreichen, ob ich nun eure Wahl wäre oder nicht.“
Der Mann klang beinahe bewundernd, dachte Naria. Immerhin, das war besser, als die Alternative. Ob die übrigen Archonten nun versucht hatten, Wys zu übertölpeln oder nicht, sie waren wohl in jedem Fall damit gescheitert, wenn dieser Mann so große Stücke auf ihren Onkel hielt.
Wys jedoch blieb anscheinend misstrauisch. ,, Nun ich bin jedenfalls wieder da. Und damit möchte ich ab jetzt wieder informiert werden, wenn dieser Rat irgendwelche Entscheidungen trifft.“
,, Wir hatten nie etwas anderes vor.“ , meinte der Archont, der eben Larth vorgestellt hatte entschuldigend.
,, Aber Wys… wer ist das eigentlich dort bei euch ?“ Tira klang nicht unfreundlich, sondern sah lediglich neugierig in ihre Richtung. . Für den Moment war sie ganz froh gewesen, das die allgemeine Aufmerksamkeit eher auf Wys lag, denn auf ihr. So wie die Dinge standen, würde man sie nicht mehr unbedingt willkommen heißen, dachte die Gejarn besorgt.
,, Mein Name ist Naria.“ , erklärte sie, bevor Wys für sie sprechen konnte. ,, Naria Carmine um genau zu sein.“
Nachdem ihre Worte verklungen waren, wurde es einen Moment totenstill in der Halle. Natürlich kannten sie ihren Namen, dachte Naria. Auch wenn sie nicht wussten, wer genau sie war, Wys hatte keine Kinder. Und wie der Archont sie bereits gewarnt hatte, es gab viele in dieser Stadt, die sich noch gut genug an ihre Eltern erinnerten.
,, Was hast das zu bedeuten ?“ , verlangte Helios zu wissen. Er beugte sich etwas vor und zum ersten Mal konnte Naria seine Züge klar erkennen. Lange weiße Haare umspielten seinen Kopf, dessen Züge noch gar nicht so alt wirkten. Seine Augen waren graue Flecken, die jeden der Anwesenden misstrauisch musterten.
,, Ich habe sie hierhergebracht um uns zu helfen.“ , erklärte Wys. ,, Ich weiß, ihr alle hegt den Verdacht, das die Whaid für die Situation in unserer Stadt Verantwortung tragen… Aber ich hoffe, dass wir trotzdem noch mit ihnen reden können. Genau dazu habe ich Naria gebeten, mich zu begleiten. Mit dem Segen meines Bruders und seiner Frau. Wir können nicht mehr nur zusehen, wie sich die Anhänger der Ordnung in unserer Stadt breit machen.“
,,Damit mögt ihr recht haben.“ , bemerkte Larth nachdenklich. ,, Aber warum brauchen wir dazu die Unterstützung einer Hexe aus Maras ? Verzeiht mir, Wys, aber bevor ich zu den Zauberern krieche, hol ich lieber die Riesen zurück… Seit dem Frieden mit Canton haben sich die meisten von ihnen in die Wüste zurückgezogen… und die haben Leute gefressen.“
So höflich er sprach, die Feindseligkeit in Larths Stimme war unüberhörbar, wenn sie sich auch nicht gegen den Archonten richtete. Naria nahm sofort alles zurück, was sie eben noch über diesem Mann gedacht hatte. Ganz offenbar würde er doch Schwierigkeiten machen.
,, Larth…“ Seltsamerweise war es Helios, der den jungen Krieger in seine Schraken wies. ,, Auch wenn Schwertmeister Wys uns über diesen Schritt hätte informieren müssen, bin ich geneigt ihm zuzustimmen. Wenn es die Möglichkeit gibt, mit den Whaid zu verhandeln, will ich sie ergreifen.“
,, Ich bin dagegen.“ Larth klang beinahe gelangweilt. Erneut hatte er ein Bein hochgelegt, als unterhielten sie sich über Lappalien und nicht das weitere Schicksal ihrer Stadt. ,,Warum brauche wir eine Zauberin um mit ein paar Abtrünnigen in der Wüste fertig zu werden? Was ist aus der einstigen Macht Helikes geworden, Archonten, das wir jetzt für jedes unsere Probleme anscheinend Fremde in diese Stadt holen müssen? Wir haben uns bisher immer alleine bewährt.“
,, Vielleicht habt ihr recht.“ , gab Tira ihm recht. Sie wechselte einen schnellen Blick mit Wys, der schlicht den Kopf schüttelte. ,, Und vielleicht sollte und dies auch einmal ohne Blutvergießen gelingen… Wenn Wys ihr vertraut, bin ich ebenfalls dazu bereit. Ich sage gebt ihr eine Gelegenheit, sich zu beweisen, lasst sie mit diesen Leuten reden, die in unsere Stadt kommen.“
,, Das hatte ich ohnehin vor.“ , warf Naria ein. Für ihren Geschmack fällten die Archonten ihr Urteil etwas zu schnell. Wys hatte ihr alles erzählt, was er über das Wüstenvolk wusste und auch die Geschichten ihres Vaters über sie… es passte nicht zu ihnen. Wenn wirklich die Drachenanbeter dahinter steckten, würde sie das herausfinden. Aber sie würde sich nicht auf das Wort dieser vier verlassen. Nein. ,, Ich werde persönlich mit ihnen sprechen, bevor ich mir ein Bild über sie mache.“
Larth zuckte mit den Schultern. ,, Nun gut… wenn der Rest dieses Rates ebenfalls dafür ist, ihr eine Chance zu geben… dann sei es so. Ich werde mich eurer Weisheit beugen. Aber ich bezweifle, das ihr Erfolg haben werdet, Magierin. Uns haben ihre Prediger nichts verraten außer dem üblichen Gebrabbel. Ich wünsche euch also Glück…“
Naria war überrascht, das sich sonst niemand mehr gegen sie aussprach. Auch Helios stimmte nochmals zu, ihr zumindest die Gelegenheit zu geben und Tiras und Wys Antwort stand wohl sowieso fest. Das war allerdings nicht, was sie erwartet hatte, dachte sie. Nicht nach dem, was ihre Mutter über die Archonten zu sagen hatte. Und auch Larth hatte sich letztendlich zwar gegen sie ausgesprochen, aber am Ende klein bei gegeben.
,, Er ist noch vom alten Schlag.“ , meinte Wys später, als sie die Halle verließen und sie ihn danach fragte. ,, Nicht alle sind begeistert darüber, wie sich diese Stadt verändert. Deshalb war ich auch so entsetzt zu sehen, dass sie ausgerechnet ihn zum Archonten gemacht haben. Der Junge ist fähig, das will ich nicht leugnen… aber ich hätte niemals zugelassen, das er zu so einem Rang aufsteigt. Immerhin, seine Art wird immer seltener… und manche von ihnen haben nach dem Unglück mit den Magiern tatsächlich etwas dazugelernt…“
,, Das sehe ich.“ , meinte Naria, während sie durch die dunklen Steinflure des Archontenturms Schritten. Fenster gab es hier keine und nur einige Kerzen erhellten ihren Weg. Dafür jedoch war es angenehm kühl, fast schon kalt, wie Narias bloße Füße feststellen mussten. ,, Helike ist wohl… anders als ich erwartet habe. Ich hätte mir nicht träumen lassen, das sich ein Archont für mich einsetzt… der nicht ihr seid.“
,, Vieles hat sich zum Besseren gewendet.“ , stimmte Wys ihr zu und klang dabei mehr als nur Stolz. Tatsächlich schien der Mann den Kopf plötzlich ein ganzes Stück höher zu tragen. ,, Aber es gibt auch noch viel zu tun. Deshalb warne ich euch auch gleich. Seht euch vor, wenn ihr in der Stadt unterwegs seid. Wie gesagt… es gibt noch jene vom alten Schlag, mitsamt ihren Vorbehalten gegen Magie und Fremde… und eure Anwesenheit wird sich herumsprechen, dafür wird Largh sicher sorgen. Ich würde euch ja bitten eine Garde mitzunehmen, aber…“
,, Ihr wisst das ich die nicht brauche.“ , stellte Naria fest. ,, Selbst wenn, ich will möglichst unauffällig bleiben. Sonst erfahre ich vermutlich auch nicht mehr als ihr.“
,, Und Relina bringt mich wahrscheinlich um, wenn euch etwas geschieht.“ Wys grinste, aber es wirkte nicht ganz überzeugend. So wie Naria ihre Mutter kannte war diese Drohung tatsächlich keine leere gewesen. Ob sie ihn jedoch wirklich töten würde… Das war nicht die Frau die sie kannte. Relina mochte impulsiv sein bis zu dem Punkt wo selbst ihr Vater nicht mehr zu ihr durchkam, aber sie war nicht bösartig.
,, Ich passe auf mich auf.“ Schon alleine , damit Wys nicht als Aschehaufen enden würde. ,, Allerdings nur wenn ihr mir noch etwas verratet.“
Wys wurde langsamer und blieb dann stehen. Fragend zog er die Augenbrauen hoch. ,, Verraten ?“
,, Diese Archontin… diese Tira… ihr habt sie die ganze Zeit praktisch nicht aus den Augen gelassen. Also, was ist mit ihr?“
,,Da ist gar nichts.“ , erklärte Wys und wirkte tatsächlich einmal um Worte verlegen. ,, Da… Das geht euch überhaupt nichts an !“
,,Natürlich.“ Naria wusste, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.
Wys räuspere sich verlegen, während sie weitergingen. ,, Also… vielleicht ist da was. Vielleicht haben wir uns ein paar Mal getroffen. Aber das geht dich nicht nur nichts an, du vergisst es am besten gleich wieder.“ , erklärte er ernst. ,, Das ist… Beziehungen zwischen Archonten sind nicht wirklich gerne gesehen. Weder von den anderen Archonten noch von sonst irgendwem..“
Das hat dich aber nicht davon abgehalten, dachte Naria grinsend. Vielleicht war ihr Onkel doch weniger in seine Arbeit vernarrt, als in eine gewisse Archontin. Schön zu wissen, dass der Mann eben doch nicht nur aus reiner Pflichterfüllung bestand.
Narai wusste, dass sie sich bedeckt halten musste, trotzdem konnte sie sich nicht davon abhalten, diesen Ort stumm zu bewundern. Die Leute die ihr begegneten hätten wohl kaum zu deuten gemocht, was hinter ihrer Verschlossenen Mine vorging. Helike stand in totalem Gegensatz zu Maras, nicht nur, was die blutige Vorgeschichte der beiden anging. Hier war einfach alles anderes. Auf Maras war es zwar ebenfalls fast das ganze Jahr über warm, aber die Luft war lange nicht so ausgetrocknet wie hier. Naria meinte den Staub auf ihrer Zunge schmecken zu können, den der Wind mit sich brachte und auch den fernen Duft von Gewürzen, der von einem der Marktplätze der Stadt hinüberwehte. Kinderlachen hallte in den schattigen, teilweise mit Stoffen überspannten Gassen und an einem der zahlreichen, tiefen Brunnen, welche die Stadt mit Wasser versorgten, unterhielten sich die Frauen. Es wirkte beinahe zu friedlich, dachte Naria. Nein, diese Stadt war wirklich ganz und gar nicht, was sie erwartet hatte. Aber war sie nicht deshalb hier? Um sich selbst ein Bild zu machen? Nur ihre Mutter müsste das hier auch sehen können, dachte sie. Eine Weile überlegte sie, wie sie das anstellen sollte, bis ihr schließlich eine Idee kam.
Eigentlich wollte sie nach diesen Predigern der Ordnung suchen, von denen Wys ihr erzählt hatte, aber bisher hatte sie keinen davon zu Gesicht bekommen und der Tag war noch lang. Die Sonne hatte grade erst den halben Weg zu ihrem Scheitelpunkt absolviert, trotzdem war es in den Straßen bereits unangenehm heißt.
Im Schutz eines der Stoffdächer hielt Naria schließlich einen der zahlreichen Straßenhändler an. Einheimische, nicht etwa Händler aus dem Hafen, wie sie bald feststellte. Vielleicht hielte sich die Fremden lieber am Hafen auf und schickten lieber andere los um für sie die Märkte weiter im Stadtinneren zu besuchen. Jedenfalls, bekam sie, was sie brauchte. Einige Bögen losen Papiers und eine einfache Mappe aus Leder, in der sie alles aufbewahren konnte. Die Sachen mussten, dem eingebrannten Zeichen des Kürschners nach, wohl aus Canton stammen und bestätigten damit nur ihre Vermutung was die Händler am Hafen anbelangte.
Was sie vorhatte, war an sich einfach, dennoch hatte Naria den dazu nötigen Zauber noch nie selbst ausprobiert. Jetzt hatte sie wenigstens einen guten Grund dazu, dachte sie zufrieden. Es gab Berichte darüber und auch Aufzeichnungen, die sich in den Bibliotheken von Maras fanden. Angeblich gab es sogar eine kleine Gruppierung innerhalb des Sangius-Ordens, die diese Methode spezialisiert und auch einst Simon Belfare auf seinem Feldzug begleitet hatte. Vermutlich der einzige Grund, aus dem heute noch jemand wusste, wie der Mann einst aussah. Kur musste sie daran denken, was am Ende von ihm geblieben war und ein Schauer lief ihr über den Rücken. Nach wie vor rätselte sie, was den ehemaligen Kaiser bloß zu einer solchen Tat getrieben haben mochte. Pure Verzweiflung schien die einzige Antwort zu sein. Verzweiflung und Angst jenseits allem Beschreibbaren.
Narai trat etwas von dem Brunnen und de überdachten Straßen zurück und zog eines der Blätter aus der Mappe, die sie sich unter den Gürtel klemmte. Unsicher, wie sie anfangen sollte. Das Papier zwischen ihren Händen ausgebreitet hielt sie es etwas höher, bis die Umrisse des Platzes grade noch als schwache Schemen zu erahnen waren. Der Zauber den sie webte war filigran, wurde er zu stark verbrannte das Papier zwischen ihren Händen vermutlich einfach, zu schwach und es würde lediglich etwas Asche vom Wind davongetragen werden. Knisternd fraßen sich Blitze über das zuvor Blütenweiße Papier, hinterließen schwarze Linien, die zunehmend grobe, dann immer feinere Umrisse bildeten. Schattierungen entstanden, verdichteten sich zu Mauer, Fenster, dem Brunnen vor dem Naria stand und bildeten schließlich sogar die Umrisse der Leute nach.
Niemanden schien aufzufallen, was geschah und nach einigen weiteren Augenblicken, in denen sie die rußigen Linien mit einem weiteren Zauber endgültig fixierte ließ Naria das fertige Bild zufrieden zurück in die Mappe wandern.
Für einen ersten Versuch gar nicht so schlecht, dachte sie grinsend. Das hatte sie schon lange einmal ausprobieren wollen. Zufrieden setzte sie ihren Weg durch die Straßen der Unterstadt fort.
Naria sollte jedoch nicht mehr allzu weit kommen, bis sie endlich fand, was sie eigentlich suchte. Den Lärm hörte sie zuerst, verzerrte Worte und Gemurmel, das Getrappel von Füßen. Die Gejarn beschleunigte ihre Schritte in die Richtung aus der die Geräusche kamen und fand sich schließlich am Rand einer reiseigen Menschenmasse wieder, die sich auf einem weiteren brunnenplatz versammelt hatte. Doch diese Leute waren sicher nicht hier um Wasser zu holen. Es musste mindestens zweihundert wenn nicht mehr sein, die ihre Kleidung nach zu urteilen wohl aus allen Schichten der Stadt stammten, von ärmlichen Bauern bis hin zu Großhändlern und sogar einigen Paladinen, die in ihren schweren Panzerungen regungslos in der Sonne standen.
Naria drängte sich so gut es ging durch die Lücken in der Masse, um mehr zu erkennen. Die Leute hatten einen dichten Kreis um den Brunnen gebildet, vor dem ein einzelner Mann stand. Zumindest ging Naria davon aus, das es sich um einen Mann handelte, denn die formlose, braune Robe und die Kapuze die er trug ließen selbst seine Gesichtszüge bestenfalls erahnen. Was jedoch sofort ihre Aufmerksamkeit gefangen nahm, war der einzige Farbfleck den der Fremde an sich hatte. Das Symbol einer roten Hand , die direkt auf seiner Brust prangte. Der Saum seiner Robe schleifte hinter ihm im Staub, während er sich langsam im Kreis drehte, als wollte er sichergehen, das ihn auch jeder Ansah. Neben sich, direkt am Brunnen hatte der Mann eine große Glutschale aufgebaut, in der mehrere Eisen lagen und bereits weiß glühten.
Naria war es mittlerweile gelungen, sich bis fast nach ganz vorne durchzudrängeln. Im gleichen Moment hatte der Fremde auch schon eines der Eisen aus dem Feuer gezogen und wedelte damit in der Luft, als wolle er eine Fliege verscheuchen. Funken stoben knisternd davon auf und sanken zu Boden oder brannten zischend kleine Flecken in die Kleidung des Mannes.
,, Kommt.“ , rief er so laut, das Naria die Worte in den Ohren nachklangen. ,, Lasst euch Zeichnen, meine Kinder. Nur er kann euch schützen, vor den Schrecken, die diese Stadt heimsuchen.“
Nach wie vor Schwang der Mann sein Eisen. Naria fürchtete bereits zu wissen, welchem Zweck es diente. Aber vor welchem Schrecken wollten sich diese Leute den Schützen? Helike wirkte fast so friedlich wie Mara,s nur eben etwas geschäftiger. Dann jedoch viel ihr wieder ein, was Wys bei seiner Ankunft auf der Insel erzählt hätte… das Leute verschwunden waren.
,, Ich habe es selbst gesehen.“ , rief eine Frau aus der Menge. ,, Nur kurz, aber es war da. Ein Schatten mit rot glühenden Augen. Es raubt Nachts unsere Kinder, die Leute die draußen unterwegs sind verschwinden…“
,, Und die Paladine unternehmen nichts.“ , warf ein weiterer der Umstehenden ein, ein Mann in der fleckigen Schürze eines Schmieds.
,, Aber ich hingegen biete euch Schutz.“ Der Prediger ließ das mittlerweile nur noch schwach rot glimmende Eisen erneut in die Glut sinken. ,, Diese Kreatur ist eine Ausgeburt des Bösen, des Wiederstands, doch mein Herr hat Macht über alle Dinge. Kommt zu mir. Lasst euch reinigen, lasst euch schützen! Der Herr der Ordnung achtet auf seine Kinder, nicht wie diese ignoranten Narren oben in ihre Türmen.“
Naria schüttelte den Kopf. Was zog die Leute nur so an? , fragte sie sich unwillkürlich. Für sie war klar, was dieser Mann dort für ein Spiel trieb. Er nutzte die Angst der Leute aus und ob sein komisches Symbol wirklich irgendeine Wirkung hätte…
Mehr um sich zu bestätigen, den aus Neugier suchte sie nach einem Zauber, fand aber keinen. Das waren nur heiße Eisen, von denen jedes im Symbol einer flachen Hand mit drei erhobenen Fingern auslief. Dieser Irre konnte die Leute doch kaum Brandmarken wollen wie Vieh.
Zu ihrem wachsenden entsetzten, enthüllten tatsächlich mehrere der Umstehenden die eingebrannten Symbole auf ihren Armen oder dem Handrücken. Manche der Zeichen wirkten frisch und wiesen sogar Spuren von Wundbrand auf, andere jedoch sahen älter aus. Ihr wurde schlecht. Wie lange ging dieser Irrsinn schon, ohne dass jemand etwas dagegen unternahm? Sie hatte beim besten Willen keine Lust, sich auf ein Wortgefecht mit dem Mann verwickeln zu lassen. Schon gar nicht wenn dieser einen fiebrigen Mob um sich geschart hatte. Eines jedoch war ihr jetzt schon klar. Wenn das Whaid waren, dann verhielten sie sich anders, als alles, was Wys ihr über sie erzählt hätte. Und vor allem betete das Wüstenvolk die Drachen an und unter den bekannten Drachennamen, die Wys ihr genannt hatte, gab es keinen Herrn der Ordnung. Noch wichtiger, den Whaid war klar, dass diese Kreaturen, egal wie mächtig, keine wirklichen Götter waren, sie sahen in ihnen lediglich die Ältesten Kinder der selbigen.
Naria hatte eigentlich genug gesehen. Aber warum ließe die Paladine in der Menge ihn einfach gewähren? Dann jedoch sah Naria genauer hin. Unter dem Stahl konnte sie keine Brandzeichen erkennen, aber drei oder vier der roten Umhänge von Helikes Elitegarde wiesen das gleiche Symbol auf, mit goldenen Fäden in den Stoff genäht. Also gab es selbst unter der Stadtwache und den hochrangigen Kriegern Helikes schon Anhänger dieser Bewegung.
Maria wendete sich mit einem seufzen zum Gehen. Einige der umstehenden warfen ihr böse Blicke zu, als sie sich durch die Menge drängte und den Worten des Predigers keine Beachtung mehr Schenkte. Doch immerhin ließen sie sie passieren, dachte die Gejarn erleichtert. Wenn diese Leute schon verrückt genug wären, sich ihr in den Weg zu stellen… Das würde kein gutes Ende nehmen.
Dann jedoch geschah etwas, das Naria im Schritt inne halten ließ. Irgendwo Schrie ein Kind und die Menge teilte sich um eine Mann und einen Frau durchzulassen, die das kleine Bündel hinter sich her zerrten.
,, Herr.“ , rief der Mann. ,, Wir haben schon zwei Söhne an diesen Schrecken verloren von dem ihr sprecht. Bitte gewährt dem dritten eure Gnade…“ Mühelos hob er das sich mit Tritten und Schreien wehrende Kind hoch. Es konnte noch keine drei sein, dachte Naria während sie innehielt. Sie hatte Wys versprochen vorsichtig zu sein. Jetzt hier einzugreifen wäre alles andere als vorsichtig…
Wenigstens hatte sich die Aufmerksamkeit der Menge jetzt wieder dem Prediger zugewandt, der das Kind ohne ein Wort in Empfang nahm. Als wäre es nur ein Stück Vieh, hielt er es an nur einem Fuß hoch, reckte die Arme zur Sonne empor, als wollte er den Kleinen als Opfergabe darbringen.
Naria wollte sich zwingen weiterzugehen. Sicher, schön war das nicht, aber der Kleine würde es überleben. Ach ja ? Bist du dir da auch ganz sicher? , fragte eine quälende, leise Stimme in ihr. Ein Schauer überließ sie, während sie an die brandigen Wunden der übrigen Umstehenden zurückdachte. Ein Erwachsener mochte so eine Tortur überwinden… Und hoffentlich würde sich was auch immer die Straßen dieser Stadt unsicher machte, sich den Prediger holen. Sie sollte zurück zu Wys und ihm sagen, das auf keinen Fall die Whaid hinter diesem Irrsinn steckten. Aber vielleicht wussten die Wüstenbewohner etwas, das ihnen entgangen war. Wenn ihr Onkel informiert war, würde sie sich auf den Weg zu ihnen machen können…
Der Prediger jedoch hatte mittlerweile angefangen, die Eisen die er bei sich hatte im Feuer zu wenden. Das wenige, was von seiner Mimik unter der weiten Kapuze zu erkennen war, wollte Naria jedoch überhaupt nicht gefallen. Ein seltsam selbstzufriedenes Grinsen, während er eines der Brandeisen gezielt aus den Flammen zog. In Naria zog sich alles zusammen. Das glühende Symbol der Hand am Ende des glühenden Stabs war fast so groß wie ihre eigene Hand und für das Kind…
Leg es weg, bat sie innerlich. Wollte dieser Mann den Kleinen einfach nur töten oder war er selber so gefangen in seinem Fieberwahn, das er nicht einmal mitbekam, was er da tat? Letzteres wäre entschuldbar gewesen… doch was der Prediger da tat wirkte nicht überstürzt, im Gegenteil. Das Kind, das sich immer noch nach Kräften wehrte schien er gar nicht mehr zu beachten, während er das Eisen auf seinen Fuß richtete.
,, Möge euch das reinigende Feuer, als sein Diener markieren.“ , murmelte er, bevor er das Eisen senkte. Naria blieb keine Zeit mehr, lange nachzudenken. Ihre Entscheidung fiel m Bruchteil einer Sekunde…
Sie war mit einem Satz neben dem Prediger, der erschrocken aufsah, als Naria neben ihm auftauchte. Unter der Kapuze schimmerten ihr zwei, plötzlich von Panik erfüllte, graue Augen entgegen. Erschrocken hieb er mit den Eisen nach ihr, doch noch bevor der Mann den Arm ganz gehoben hatte, hatte Naria schon einen Zauber gewirkt, der ihm das glühende Stück Metall in hohem Bogen aus der Hand schleuderte.. und vermutlich gleich die Knochen darin zermalmte. Naria hielt eigentlich viel darauf, dass sie in fast allen Situationen die Ruhe bewahren konnte. Nun jedoch, wo sie sich einmal entschieden hatte, spürte sie nur rasende Wut. Wut und Zorn, die ihren Ausdruck in rasender Magie fanden.
Zischend und Flammen schlagend segelte das Eisen mitten in die Menge hinein. Die Leute sprangen mit einem hohen Kreischen auseinander, als Glutfunken und geborstenes Metall auf sie niedergingen. Der Prediger seinerseits wich mit weit aufgerissenen Augen vor ihr zurück und ließ das Kind achtlos fallen. Geistesgegenwärtig erschuf Naria rasch einen zweiten Zauber, der den Fall des Kleinen so weit wie möglich bremsen würde.
,, Seit ihr eigentlich völlig verrückt ?“ , fragte sie tonlos. In der einsetzenden Stille waren ihre Worte für alle Anwesenden klar verständlich, auch wenn sie nicht Schrie wie der Prediger zuvor. Ihre eigene Stimme bebte und nur ein kühler Rest Menschlichkeit hielt sie davon ab, diesem Mann hier und jetzt ein Ende zu machen.
Das Kind war derweil aufgesprungen und klammerte sich mit verweintem Gesicht an ihre Rockschöße. Naria hätte ihn gerne getröstet, aber im Augenblick gehörte ihre ganze Aufmerksamkeit diesem irren Prediger und den entsetzten Eltern des kleinen, die zu ihr aufsahen, als sei sie ein Dämon, der eben in ihre Mitte getreten war. Was konnte Leute nur zu so einer Verzweiflungstat treiben? , fragte Naria sich. Ihr eigenes Fleisch und Blut in kopfloser Panik Brandmarken zu lassen.
,, Da seht ihr es.“ Anklagend richtete der Prediger einen Finger auf sie. Offenbar hatte er seinen Mut wiedergefunden, dachte Naria grimmig. ,, Sie ist es, der ihr die Bestie zu verdanken habt, die eure Lieben raubt. Dunkle Magie und Schatten, die euch eure Erlösung versagen wollen !“
Zu Narias wachsendem entsetzen schrie die Menge bejahend auf, einige folgten sogar der Geste des Predigers, deuteten auf sie wie manche auf ein Monster in einem Kuriositätenkabinett deuten mochten. Sie seufzen tief. Konnten Menschen so dumm sein? Einen Moment kam ihr der Gedanke, dass diese Leute unter einem Zauber stehen mussten. Irgendein Trick der ihren Willen beherrschte. Doch da war natürlich nichts. Keine Magie außer ihrer eigenen.
Da draußen waren nur Leute, die wie im Fieberwahn Schrien und diesen seltsamen fremden bejahten, der sie nun auf seine ganz eigene Art zu brandmarken suchte.
,, Ihre verderbte Art wird jeden Schutz zerstören.“ , rief dieser erneut.
,, Schutz vor was denn ?“ Naria schüttelte nur sprachlos den Kopf. Ein Teil von ihr wollte diesen Mann bemitleiden, diese Leute, die nicht Verstanden mit welch einfachen Mitteln sie hier grade manipuliert wurden. Angst... Menschen die Angst haben tuen leider sehr oft sehr dumme Dinge.
Tröstend strich sie dem Kleinen der sich immer noch an sie klammerte durch die Haare, dann schickte sie ihn vorsichtshalber mit einer Geste fort. Hoffentlich würde sich das Gemüt der Masse in ein paar Stunden wieder abgekühlt haben. Vor allem das seiner Eltern…
Erneut kopfschüttelnd wendete sie sich zum Gehen und die Leute wichen fast panisch vor ihr zurück, schneller noch als sie dem zerbrochenen Brandeisen ausgewichen waren. Der Prediger in ihrem Rücken keifte und schrie weiter, doch das interessierte sie schon nicht mehr. Sie musste zu Wys. So etwas wie das hier konnten die Archonten unmöglich länger zulassen. In Gedanken war sie bereits wieder in der inneren Stadt. Das war auch der einzige Grund, aus dem sie den Stein erst viel zu spät kommen sah. Einer der umstehenden, eine ältere Frau , hatte den ersten aufgehoben. Hätte sie Naria verfehlt oder nicht so getroffen wie sie es tat, vermutlich wäre sie die einzige geblieben. Doch der Stein traf sie direkt am Kopf. Stechender Schmerz blendete Naria einen Moment und sie ging in die Knie, während sie noch zu verstehen versuchte, was passiert war. Sie schwankte, kam nicht mehr dazu einen Zauber zu sprechen. Ihr Kopf war plötzlich leer, der Boden zu weit weg…
Naria versuchte erneut auf die Füße zu kommen, als sie auch schon etwas im Rücken traf. Der dritte Stein schlug gegen ihr Knie und sie schrie auf, als sie endgültig zu Boden sank. Wieder traf sie etwas mit Wucht am Kopf und Blut lief ihr in die Augen. Halb betäubt wie sie war schien sich die Welt um sie herum zu drehen und wohin sie auch sah, aus jeder Richtung starrten sie wütende Gesichter an, flogen Steine, trat man nach ihr… Und über allem hörte sie ein schrilles Lachen, das direkt vom Brunnen zu kommen schien . Einmal versuchte sie noch wenigstens davonzukriechen, doch ein weiterer Stein traf ihre Finger, die hörbar Brachen. Die Mappe mit den losen Blättern fiel vor ihr zu Boden, ohne dass sie verstanden hätte wieso und die Blätter flatterten davon.
Am Ende brachte sie grade noch die kraft auf, sich zusammenzurollen, während Steine und Schläge sie trafen. Am Ende konnte sie nicht mehr sagen, wie lange alles dauerte. Es hätten Stunden sein können oder auch nur einige Minuten. Vielleicht hatte sie zwischenzeitlich auch das Bewusstsein verloren.
,,Hört auf.“ , drang eine leise, unscheinbare Stimme durch das Chaos und den Lärm aus hasserfüllten Schreien.
Und tatsächlich schienen die Leute auf sie zu hören. Neue Steine blieben aus man ließ sie halb tot im Staub zurück. Blut sickerte aus einem halben Dutzend kleinerer und größere Wunden und wenn Naria unter den Schmerzen noch einen klaren Gedanken fassen konnte, dann das es vermutlich keinen Knochen in ihrem Körper gab, der nicht gebrochen war. Alles um sie herum war verschwommen, als sie mühsam die Augen öffnete. Selbst das Licht tat weh, als sie blinzelnd versuchte, etwas zu erkennen. Blut lief ihr in die Augen.
,,Ich sagte hört auf. Seit ihr Tiere oder was ?“ , hörte sie da wieder die leise Stimme und endlich konnte sie auch erkennen zu wem sie gehörte. Obwohl die Worte leise gesprochen wurden, drehten sich alle Anwesenden sofort in Richtung des Neuankömmlings, der mit langsamen Schritten auf Naria zutrat. Sie schaffte es kaum den Kopf zu heben um mehr als seine Stiefel erkennen zu können. Der Mann war spindeldürr, ein Umstand, den selbst die blauen Roben die er trug nicht verheimlichen konnten. Er konnte wohl kaum mehr Wiegen als die Säcke voll Baumwolle, die am Hafen gehandelt wurden. Doch so schmächtig seine physische Gestalt wirkte, so unscheinbar seine Stimme war, Naria konnte spüren, was die Leute dazu veranlasste, ihm so rasch Platz zu machen. Das bedrückende Gefühl der Magie das von ihm ausging war wie ein Gewicht auf ihrer Brust, das das Atmen zusätzlich erschwerte. Das war keine gewöhnliche Magie, dachte sie. Es war etwas anderes, etwas, das ihr entfernt vertraut vorkam, wenn sie sich bloß erinnern könnte. Etwas kaltes, schwarzes, das wie Teer nach ihr griff… Und dann war es auch schon wieder fort, als der Fremde sich neben sie hockte und mit einer Geste den Prediger heranwinkte. Ein paar sanfte, graue Augen musterten sie skeptisch, während er stumm wartete.
,, Träumer, verzeiht mir.“ Der Prediger verneigte sich tief vor dem am Boden hockenden Mann. ,, Aber was führt euch hierher ?“
,, Nun zum einen möchte ich gerne wissen , was ihr glaubt hier zu tun.“ Die Stimme des Mannes blieb leise, beherrscht, unscheinbar. Dennoch traten dem Prediger plötzlich Schweißperlen auf die Stirn. Der Mann den er als Träumer angesprochen hatte, deutete jedoch nur neben sich. ,, Kommt setzt euch.“
Es musste einen wahrhaft seltsamen Anblick bieten, die zwei Männer inmitten der Menge auf der Straße sitzen zu sehen, dachte Naria. Selbst wenn man nicht mit gebrochenen Knochen direkt daneben lag. Immerhin ließen die Schmerzen nach solange sie sich nicht bewegte… und das Atmen auf das Minimum reduzierte.
Der Mann der sich offenbar Träumer nannte saß dem Predige im Schneidersitz gegenüber, während er darauf wartete, dass dieser sich erklärte. De Mann war durchaus anzusehen, wie unwohl er sich unter dem seltsam unbeteiligten Blick fühlte.
,, Ich will nur jene Strafen, die sich uns wiedersetzen, Herr.“ , erklärte der Prediger abwehrend.
,, Strafen ja ?“ Der Träumer wirkte nicht grade so, als ob ihm diese Antwort gefiel. ,,Und wann habe ich so etwas befohlen? Ihr seid hier um diese Leute zu retten. Hier geht es um Läuterung nicht um Vernichtung… nicht bis unser Herr eintrifft. Bis dahin ist es unsere Aufgabe das Leben dieser Leute zu schützen.“
,, Etwa auch das jener, die sich uns offen wiedersetzen ? Ihr seid zu weich, Träumer.“
,, Und ihr wiedersetzt euch mir ?“ So dünn und leise die Stimme des Fremden war, so sehr zuckte der Prediger davor zurück. ,, Sprecht nur frei heraus. Wiedersetzt ihr euch mir? Ich bin seine Stimme…“
,, Eben. Nur seine Stimme. Ihr seid nicht er…. Ihm würde ich nicht trotzen. Doch glaubt ihr, ihr erreicht mit Samthandschuhen etwas?“
,, Es ist trotz allem nicht eure Aufgabe zu richten. Das ist Aufgabe unseres Herrn… und des roten Heiligen. Wenn ihr dieses Amt für euch beansprucht bitte, fordert mich heraus. Er hat mich zu seiner rechten Hand gemacht, ich bin es der für unseren Herrn spricht, nicht ihr. Ihr, Prediger, verschwindet jetzt… und bittet um Vergebung.“
Der Prediger erwiderte nichts mehr, außer einer raschen Verbeugung und einer gemurmelten Bitte um Verzeihung. Die Angst des Mannes war für Naria fast greifbar, während er sich hastig erhob und sich daran machte, in der Menge zu verschwinden.
Der Träumer jedoch blieb sitzen wo er war und plötzlich richteten sich seine grauen Augen direkt auf Naria. ,, Was mache ich jetzt mit euch ?“ , fragte er , wohl ohne eine Antwort zu erwarten. Seufzend erhob er sich und kam mit langsamen Schritten auf sie zu. ,, Es ist auch nicht meine Aufgabe zu richten, Gejarn. Und es war ganz sicher nicht seine Aufgabe. Dennoch, Dinge ungeschehen machen liegt nicht einmal in meiner Macht.“
Naria versuchte, wenigstens auf die Knie zu kommen, auch wenn jede Faser ihres Körpers dabei protestierte. Sie musste hier weg, jetzt, das war ihr klar. Erneut konnte sie die durch nichts verschleierte Macht spüren, die von diesem Mann ausging, wie eine dunkle Wolke, die seine Gestalt und alles um ihn herum einhüllte. Unter unsäglichen Mühen kam sie zumindest auf die Ellenbogen hoch. Nach wie vor war ihr Kopf wie leergefegt, alleine die Vorstellung sich in ihrem Zustand auf einen Zauber konzentrieren zu wollen Wahnsinn… Und dann flog von irgendwo her ein weiterer Stein. Naria sah nicht woher, sie spürte nur den Schlag, der sie am Rücken traf und ihr die Luft aus den Lungen presste.
,, Ich sagte hört auf !“ Schneller als sie je für möglich gehalten hätte, wirbelte der Fremde herum. Ein greller Lichtblitz blendete Naria sowie die Menge einen Moment und irgendwo könnte sie jemanden aufschreien hören. Dann erstarben die Rufe jäh, als der Werfer in sich zusammenbrach, die Hand nach wie vor erhoben. Im gleichen Moment wo die leblose Gestalt des Mannes zu Boden fiel, brach Chaos unter den umstehende aus. Die Leute rannten davon wie aufgescheuchte Hühner, warfen Karren und verlassene Marktstände um, nur um von der schmächtigen Gestalt des fremden Magiers dort wegzukommen. Den das war er, dachte Naria . Ein Zauberer, wenn sie noch nie so etwas Seltsames Gespürt hatte. Die Gabe schien nicht von ihm selbst zu stammen, sondern ihn mehr wie ein Mantel zu umgeben. Ein dunkler Umhang, der die Luft um ihn herum merklich kühler werden ließ, oder vielleicht war das auch nur ihre Einbildung. Naria spürte, wie sie das Bewusstsein verlor, während die letzten Menschen vom Platz verschwanden und sie und den regungslos dastehenden Mann alleine ließen.
Als sie wieder zu sich kam, war der Platz nach wie vor verlassen und zuerst glaubte sie auch, der seltsame Fremde, der den Prediger verjagt hatte, wäre ebenfalls gegangen. Dann jedoch spürte sie ein paar Hände das langsam ihren Körper hinabwanderte. Einen Moment lang wollte sie aufspringen, sich wehren… bevor sie jedoch dazu kam sich zu rühren oder sich auch nur an ihren ohnehin zerschundenen Leib zu erinnern, blendete sie blaues Licht. Zu spät wurde ihr klar, was der Mann, der ruhig und ohne ein Wort neben ihr kniete tat. Der scharfe Schmerz, als sich ihre Wunden unter Zwang schlossen und Blut und Knochen ruckartig wieder an ihre angestammten Plätze zurückkehrten ließ sie fast erneut Ohnmächtig werden. Der Mann jedoch, Träumer, ließ sich scheinbar nicht von ihrem erstickten Schrei ablenken. Mit einer letzten Geste ließ er eine glühende Hand über ihren Kopf wandern, dann verschwand es und ließ sowohl den Magier als auch die Gejarn zu Tode erschöpft zurück. Erschöpft… aber geheilt.
Warum ? , wollte Naria fragen, doch die Worte wollten nicht kommen. Ihr Mund war rocken, ihre Lippen gefühllos. Doch offenbar bemerkte der Mann ihren fragenden Blick.
,, Die Macht meines Herren hat euer Leben bewahrt.“ , erklärte er in seinem üblichen, kühlen Ton, der keine Emotionen verriet. ,, Ich schlage vor, ihr wisst das zu schätzen.“ Während er sich erhob zog er die Hände dicht an den Körper, als wäre ihm kalt. Dabei viel Naria auch zum ersten Mal auf, das eine seiner Hände, die linke, nicht wie die andere war. Wenn man nicht wusste, worauf man achten musste viel es wohl kaum auf, doch hier im Sonnenlicht und direkt nebeneinander war es nicht zu übersehen. Seine linke Hand war vom Ringfinger bis zum Gelenk von einem schwarzen Mal überzogen, als wäre das Gewebe dort erfroren und tot. Doch was dort zwischen den toten Hautschuppen leuchtete sah beinahe aus wie Glut. Als würde der Mann von innen verbrennen… oder als hätte auch ihm jemand ein glühendes Eisen auf die Haut gedrückt. Ein Eisen, das eine Spur aus nie verlöschendem Feuer hinterließ… Ohne noch etwas zu sagen, wendete sich der Träumer um und ließ Naria alleine und verwundert zurück.
Naria war noch nie erleichterter gewesen, den kleinen Beutel mit Kräutern zu sehen wie jetzt. Sie musste ihn wohl während des Durcheinanders auf dem Brunnenplatz oder auch schon vorher verloren haben, glücklicherweise jedoch hatte ihn keiner der Zuhörer mitgenommen. Zuhörer… das Wort bekam einen bitteren Beigeschmack je länger sie darüber nachdachte. Diese Leute hatten sie Angegriffen, auf einen einzigen Fingerzeig dieses Predigers hin, scheinbar von purem Wahnsinn getrieben.
Der Beutel lag direkt neben dem gemauerten Brunnen, fast, als hätte ihn jemand dort zurück gelassen. Naria hob ihn mit einem seufzten auf. Schon von der kurzen Bewegung brannte jeder Muskel in ihrem Körper und erneut wurde ihr kurz schwindlig. Ihre Verletzungen mochten fort sein, die Nachwirkungen ihrer Heilung jedoch spürte sie nach wie vor. Auch wenn ihr dieser Träumer das Leben gerettet hatte, dankbar war sie ihm dafür grade nicht. Ihr lief nach wie vor ein kalter Schauer über den Rücken bei dem Gedanken an diesen Mann. So seltsam ruhig er gewesen war, so schnell hatte er getötet, als der Prediger und die Massen sein Missfallen erregten. Nicht das sie Mitleid hätte, dachte Naria. Hätte der erste Stein sie nicht ausgerechnet am Kopf erwischt, vermutlich hätte es heute deutlich mehr als einen Toten gegeben… Diese Leute waren durch scheinbar nichts wieder zur Vernunft zu bringen gewesen. Selbst das Auftauchen des Fremden hatte sie nicht davon abgehalten wieder anzufangen… Träumer… hatte Wys ihn nicht ebenfalls auf Maras erwähnt? Das die Prediger in der Stadt von ihm sprechen würden? Nun offenbar sprachen sie nicht mehr nur von ihm, er war hier. Und der rote Heilige ? Das seltsame Brandmal auf der Hand des Träumers ? Oder diese seltsam vertraute Ausstrahlung ? Geister, sie hatte zehnmal mehr Fragen als Antworten. Das einzige was ihr klar war, war , das diese Leute keine Whaid sein konnten.
Sie schüttelte die Gedanken ab, während sie sich mit schmerzenden Muskeln wieder erhob und sich den Rucksack über die Schulter warf. Dann jedoch erstarrte sie. Genau hinter der Stelle, an der eben noch ihr Rucksack gestanden hatte, lag die Ledermappe. Die Mappe, die sie ebenfalls verloren hatte, als die Leute anfingen Steine zu werfen. Misstrauisch hob sie sie auf und öffnete den Verschluss. Sämtliche Papiere waren fein säuberlich wieder hinein geräumt worden. Sogar die magische Zeichnung war noch da. Irgendjemand musste den ganzen Platz abgesucht haben um das hier wieder zu finden… War das auch der Träumer gewesen? Warum ? Den Beutel konnte sie verstehen, vielleicht hatte die Fliehende der Menge ihn einfach bis zum Brunnen getragen. Die Mappe aber war hier platziert worden. Seltsamerweise kam ihr nicht einmal der Gedanke, dass dahinter eine Bosheit stecken mochte. So ungern sie es zugab, der Mann hatte sie gerettet und auch wenn ihn etwas begleitete, das ihr ernsthaft Sorgen machte… er selber hatte zu keinem Zeitpunkt wirklich Bösartig gewirkt.
Gedankenverloren machte sie sich auf den Rückweg in Richtung innere Stadt. Nach wie vor tat jeder Schritt weh. Rasch suchte Naria einige mit dünnen Dornen besetzte Blätter aus ihrem Beutel und begann eines zu kauen. Windklee fand man an den Küsten von Maras zwar fast überall, doch die wenigsten Heiler trugen gern mehr als einige lose Blätter davon mit sich herum oder verwendeten es auch nur. Schon alleine weil seine Wirkung leicht unberechenbar sein konnte. Ein Blatt war eigentlich nicht gefährlich, solange man es langsam kaute, doch schon zwei konnten Leute das Bewusstsein verlieren lassen. Und spätestens bei drei wäre man wohl für ein paar Stunden ruhig gestellt. Die Schäfer auf Maras mieden die Salzweisen und die umliegenden Weiden deshalb.. und weil ihre Schafe mit der Zeit offenbar sogar angefangen hatten gezielt nach der Pflanze zu suchen. Für die Tiere war es nicht gefährlich, für die Menschen die auf sie achteten hingegen lästig. Ein paar Hundert wie Tod im Gras liegende Schafe waren ein Anblick den man so schnell nicht vergaß.
Naria spürte bereits nach wenigen Minuten wie die pochenden Schmerzen in ihrem Körper einem sanften Taubheitsgefühl wichen. Zwar war sie noch wacklig auf den Beinen, aber langsam begann sie sich wieder besser zu fühlen. Wenigstens auf sich selbst konnte sie sich verlassen, dachte die Gejarn zufrieden, während sie die restlichen Blätter wieder in ihrer Tasche verschwinden ließ.
Den gesamten Weg die große Rampe zum Tor der inneren Stadt hinauf, meinte sie die Blicke der Paladine in ihrem Rücken zu spüren. Das die Männer einer Magierin gegenüber misstrauisch waren hatte sie ja bereits erwartet… aber das war es nicht, was sie vorsichtiger werden ließ. Auch auf dem brunnenplatz waren einige der Elitekämpfer Helikes gewesen… und entweder waren sie bereits Anhänger dieses Predigers und eines Herrn der Ordnung, oder es hatte sie schlicht nicht interessiert, was mit ihr geschah. So oder so, sie würde besser nicht darauf vertrauen, das ihr diese Leute den Rücken frei hielten wenn es darauf ankam. In der inneren Stadt angekommen, schenkte sie dem Prunk und der Schönheit kaum mehr Beachtung, sondern lief Schnurstracks die Straße entlang in Richtung des Archontenturms.
Zwei Paladine, die am Eingangstor Wache hielten machten kurz Anstalten, sich ihr in den Weg zu stellen, weichen jedoch sofort wieder zur Seite, als sie Naria erkannten. Wenigstens schien Wys dafür gesorgt zu haben, das man siedurchließ, dachte sie erleichtert. Im Augenblick war Naria sich nicht sicher ob sie die Nerven hatte sich mit einer Wache zu streiten, weil ihr Onkel vergessen hatte, einen Befehl zu geben.
,, Wenn ihr den Archonten sucht, er befindet sich im Augenblick in einen Gemächern.“ , erklärte einer der Posten ungefragt. ,, Ich muss euch jedoch bitten in der Halle zu warten. Lord Carmine möchte nicht gestört werden, Herrin.“
,, Ich glaube, das entscheidet er besser nachdem ich mit ihm gesprochen habe.“ Ihr fehlte auch die Geduld, sich mit einer Wache auseinanderzusetzen, der ihr Onkel einen Befehl gegeben hatte. Wys musste unbedingt erfahren, was geschehen war, nicht nur weil diese Irren Leute Brandmarkten… Wenn der Archontenrat noch immer dachte, es mit den Whaid zu tun zu haben waren sie auf der völlig falschen Spur und wenn die Anhänger des Herrn der Ordnung jetzt schon die Stadtwache von Helike unterwanderten… Wer wusste was noch geschehen konnte. Naria ignorierte den Paladin schlicht, während sie durch die offenen Türen ins Innere des Turms trat. Die große Ratshalle im Zentrum nahm zwar den Großteil des Innenraums ein, doch gab es weiter oben auch noch einige kleinere Zimmer und Kammern, die vor allem den Archonten als Unterschlupf dienten. Die meisten davon hatte momentan Wys für sich in Beschlag genommen, da die übrigen Archonten entweder eigene Häuser in der Stadt besaßen oder es vorzogen außerhalb der Mauern zu leben. So brauchte sie auch nicht lange zu suchen um das Zimmer ihres Onkels zu finden. Einen Moment lang überlegte sie tatsächlich einfach einzutreten, überlegte es sich dann jedoch anders. Vielleicht war der Mann wirklich beschäftigt… sie schuldete Wys wohl zumindest anzuklopfen.
Im ersten Moment tat sich gar nichts und Naria war schon drauf und dran, doch einfach die Tür zu öffnen, als sie endlich Schritte hörte.
Wys öffnete die Tür nur einen Spaltbreit und spähte zu ihr auf den Gang hinaus. ,, Naria ? Was ist mit euch passiert?“ Vermutlich hatte sie immer noch mehr als genug blaue Flecken, die auch Kräuter und Heilzauber nicht ganz hatten abklingen lassen. Allerdings, dachte die Gejarn könnte sie Wys sicher die gleiche Frage stellen. Die Haare des Archonten standen ihm wirr vom Kopf ab und seine Kleidung war unordentlich und zerknittert, als hätte er sie beim Schlafen getragen… oder grade erst hastig wieder angezogen. Das wenige was Naria vom Raum hinter der Tür erkennen konnte war ausnehmend schlicht eingerichtet. Es gab einen kleinen Tisch mit einer Waschschüssel, einige Regale in denen Bücher und Schriftrollen verstaubten und das Bett.
,, Wys ?“ Die Decken gerieten in Bewegung und Naria erkannte sowohl die Gestalt als auch die Stimme von Tira. ,, Wer ist da ?“
,, Alles in Ordnung.“ , erwiderte der Archont nur ohne dabei wirklich ihre Frage zu beantworten. Von wegen da wäre nichts. Soviel also dazu, dachte Naria grinsend.
,, Sagen wir einfach, ich hatte eine ziemlich interessante Begegnung.“ , erklärte sie. ,, Wie ihr offenbar auch…“
Wys räusperte sich und sah tatsächlich weg, als wäre ihm die Sache peinlich. Was sie vermutlich sogar für ihn war, dachte Naria nach wie vor grinsend. Nun jedenfalls wusste sie jetzt warum er nicht gestört werden wollte. Leider gab es im Augenblick wichtigeres…
Wenige Stunden später standen sie alle drei wieder in der Ratshalle des Archontenturms. Tira und Wys hatten ihre Plätze neben den anderen Archonten eingenommen und taten offenbar ihr Möglichstes um einander zu ignorieren. Was nicht grade viel hieß, dachte Naria, so wie die beiden sich trotzdem immer wieder ansahen.. Das den übrigen Archonten noch nicht aufgefallen war, was vor ging, hieß entweder, das die diese noch fixierter auf ihre Arbeit waren als Wys… oder sich so etwas schlicht nicht einmal vorstellen konnten.
Naria brauchte nicht lange um von ihrer Begegnung in der Stadt zu berichten und mit jedem Wort schienen die Minen der Anwesenden düsterer zu werden. Besonders als sie von den Paladinen erzählte, die während der Rede des Predigers und auch später als man Naria attackierte schlicht zugesehen hatten.
,, Unsere eigenen Wachen folgen nun schon diesen irren ?“ , fragte Larth irritiert. ,, Wie lange geht das schon so ohne dass wir etwas davon wisse ?“
Wys schüttelte den Kopf. ,, Mir macht eher Sorgen, dass sie die Angst der Leute derartig ausnutzen können.Wir haben die Patrouillen in den Straßen zwar auch Nachts verstärkt, trotzdem war das bis jetzt Erfolglos. Ehrlich gesagt wenn das nicht aufhört, verstehe ich, dass die Leute sich anderswo Schutz suchen.“ , gab der Archont zu.
,, Und wenn dieser Träumer dahinter steckt ?“ , fragte Tira. ,, Ich kann nicht behaupten das ich mich mit Magie auskennen, aber so wie ihr über ihn gesprochen habt Naria, wäre es sicher ein leichtes für ihn ein paar Leute verschwinden zu lassen und Gerüchte zu streuen.“
,, Das kann ich mir nicht vorstellen. So seltsam es klingt, aber ich verdanke es ihm, das ich überhaupt noch hier stehe.“ Verteidigte sie den Mann grade wirklich? Offenbar… aber es stimmte. Sie konnte sich schlicht nicht vorstellen, dass jemand der seine Untergebenen wegen ihrer Brutalität schalt gleichzeitig Leute entführen… und vermutlich töten lassen würde. Da steckte noch etwas anderes dahinter und sie würde nicht ehrausfinden was in dem sie hier diskutierten…
,, Ihr sagtet, diese Männer seien ursprünglich aus der Wüste gekommen ?“ , fragte sie.
,, Zumindest die ersten von ihnen, der Träumer und ein halbes Dutzend andere. Deshalb hatte ich auch zuerst die Whaid im Verdacht.“ , meinte nun Helios, der nachdenklich das Kinn in die Hand stützte. ,,Mittlerweile sind es jedoch hunderte. Ich bezweifle langsam das wir auf der richtigen Spur sind und ihr habt dies ja ebenfalls angezweifelt.“
,, Trotzdem, wenn sie ursprünglich aus Richtung Süden kamen, könnten die Whaid etwas wissen. Wir tappen im Augenblick nur völlig im Dunkeln, Archont. Eure eigenen Truppen wenden sich teilweise von euch ab eure Bürger verstümmeln sich aus Angst… und alles was wir haben sind jede Menge unbeantworteter Fragen. Und ich bezweifle, dass mir die Prediger freiwillig erzählen werden, wie ihre Pläne aussehen. Genau deshalb muss ich mich mit den Wüstenbewohnern treffen.“
,, Und ihr wollt alleine gehen, schätze ich ?“ Wys sah sie besorgt an. Ihr war klar, dass er sie nach dem Angriff in der Stadt nur ungern erneut einfach ziehen lassen würde. Aber er hatte auch keine Wahl, dachte Naria.
,, Wenn ich mit Truppen aus Helike in ihrem Gebiet auftauche, was glaubt ihr, würde wohl passieren ? Entweder sie zeigen sich erst gar nicht, oder sie greifen uns an. So oder so, wir würden dabei nichts gewinnen. Wys, ihr habt mich genau deshalb hergeholt. Damit ich mit den Whaid spreche.“
,, Damals habe ich auch noch vermutet, dass sie hinter allem stecken könnten.“ Der Archont zögerte sichtlich. Schließlich jedoch nickte er. ,, Ich kann euch ja sowieso nicht aufhalten, oder ?“
Nein, dachte Naria. Und schon gar nicht wenn er es nicht wollte. Sie alle brauchten Antworten und Naria… sie wollte wissen was hier eigentlich gespielt wurde. Wenn die Anhänger dieses neuen Gottes ihnen feindlich gesinnt waren hatten sie definitiv genug Einfluss um zuzuschlagen. Warum aber taten sie es dann nicht? Der Träumer hatte gemeint, sie warteten auf jemanden… blieb die Frage, auf wen und warum…
,, Ihr entsendet sie also alleine in die Wüste ?“ , fragte Larth skeptisch. Der Mann klang abwesend, so als hätte er den Rest des Gespräches nur am Rande verfolgt und sei erst jetzt aufmerksam geworden. ,, Verzeiht, aber wer versichert uns, das sie wiederkommt und sich nicht einfach auf Seiten der Whaid schlägt ? Ob sie dahinter stecken oder nicht, ich halte es für keine gute Idee, sie wissen zu lassen wie… geschwächt wir womöglich sind.“
,, Wie wer es damit : Ich tue das.“ Wys Stimme bebte vor unterdrückter Wut. ,, Ich habe sie hierher gebracht und ich vertraue ihr. Was ihr an Rückversicherungen braucht, bekommt ihr von mir. Wenn ihr das allerdings nicht akzeptieren könnt, Larth… dürft ihr mich jederzeit herausfordern.“
Der jüngere Archont lachte nervös. ,, Oh nein. Abwehrend hob er die Hände. ,, Nein… ich hatte nicht vor euer Urteil in Frage zu stellen Wys… ich hege nur gewisse Bedenken, das ist alles.“
Und würdest die Sache am liebsten mit dem Schwert austragen, dachte Naria bei sich. Nur nicht gegen Wys selbst. So seltsam es schien, Larth hatte offenbar einen gesunden Respekt vor ihrem Onkel… nun wenigstens hieß das, er würde keine Probleme machen. Und damit war die Sache entschieden. Ihr Weg würde sie weiter nach Süden führen. Bis in die endlosen Wüsten hinein.
Hunderte von Fackeln erhellten die sternlose Nacht. Zwar war der Himmel klar, doch über ihren Köpfen erstreckte sich nur leere, als hätte jemand die Sterne ausgelöscht. Nicht einmal der Mond schien, so das jenseits der Feuer alles in völlige Dunkelheit getaucht war Janis sah von ihrem Versteck am Waldrand hinab in die kleine Senke, die sich unter ihnen erstreckte. Abschüssige Fels und Erdwände umgaben das gesamte Tal und machten es fast unmöglich ungesehen, weiter voranzukommen. Unten gab es kaum Bäume und was einst eine große Wiese gewesen war, verschwand unter einer Unzahl Zelte zwischen denen Leute hin und her eilten, Feuer entfachte oder schlicht stumm vor den Flammen saßen. Der Geruch von Essen und das Gemurmel einer Unzahl an Stimmen drangen bis zu ihrem Versteck hinauf. Die zahllosen Lager waren scheinbar völlig planlos aufgeschlagen worden und Leinen spannten sich Spinnweben gleich in alle Richtungen.
Das waren tausende da unten, dachte Janis und sein Blick wanderte weiter den von Fackeln beleuchteten Pfad entlang. Der einzige Zugang, wenn man nicht klettern wollte, bestand darin diesem ausgetretenen Weg zu folgen, der zwischen zwei schweren Felsblöcken hindurch führte. Die Steine bildeten fast so etwas wie ein natürliches Tor und waren anscheinend von Regenwasser und den Jahrhunderten in der Mitte gespalten worden. Und er brauchte nicht die Augen eines Gejarn um zu wissen, dass dort unten Wachen auf sie warteten. Als Lucien meinte, er führe sie zu einem Treffen dieses Kults hatte er vielleicht an ein paar dutzend Anhänger gedacht. Das hier jedoch war um einiges mehr, als er je erwartet hatte. Wie konnte dieser Herr der Ordnung nur so viele Anhänger gewonnen haben ohne dass sie davon erfuhren? Das seltsame Schweigen des Fürsten von Erindal viel ihm ein. Dieses treffen fand praktisch direkt vor seiner Haustür statt, bis zur Stadt wären es vielleicht noch zwei Tagesmärsche… War das der Grund aus dem der Mann sich immer mehr abgeschottet hatte bis selbst der Kaiser nicht mehr zu ihm durchkam? Wenn dann war der Mann entweder ein Verräter oder ein Feigling, dachte Jans grimmig.
Sein Blick suchte weiter das Kultlager ab. Der von hunderten Stiefeln ausgetretene Pfad führte mitten durch die kleine Zeltstadt hindurch und an einem Wäldchen entlang. Hinter dem Wald wiederum ragte von einigen Stümpfen umgeben ein toter Baum auf. Die blätterlosen zweie wiegten sich sanft im Abendwind. Die Rinde hatte sich lange schon vom Stamm gefärbt, der die Farbe alter Knochen angenommen hatte. Es war nur ein toter Baum, trotzdem lief Janis ein Schauer über den Rücken. Syle hatte ihm von den Geisterbäumen der Gejarn erzählt. Orte, an denen sich die Seelen ihrer Ahnen sammelten um auf ihre Wiedergeburt zu warten… wenn man an so etwas glaubte. Aber was bitte suchte die Anhänger des Herrn der Ordnung an einem solchen Ort ? Noch wichtiger, wenn es in der Nähe einen Clan gab würden die Gejarn doch niemals zulassen, das Fremde, noch dazu derart viele, ihre heiligste Städte entweihten.
Syle gab ein missfälliges Schnauben von sich. Offenbar hatte der Bär den Baum jetzt auch bemerkt. Doch etwas anderes schien ihm mehr Sorgen zu machen.
,, Das sind ziemlich viele. Sicher das das eine gute Idee ist, Lucien?“
Er und der kaiserliche Agent, Lucien, hockten halb hinter Büschen und Blätterwerk verborgen und beobachteten ebenfalls das Lager.
,, Was kann schon schief gehen ?“ , fragte der Agent seinerseits und das breite Grinsen war das einzige was Janis von ihm in der Dunkelheit ausmachen konnte.
,, Ich wünschte wirklich du hättest nicht gefragt.“ , brummte Syle.
,, Warum den mein Großer ? Du wirst da unten nicht deinen Hals riskieren, das haben wir schon besprochen. Ich und Janis schaffen das auch alleine.“
Janis war sich da gar nicht so sicher. Zumindest nicht, wenn er dieses Plappermaul von einem Agenten dabei hätte. Ihm gefiel diese ganze Nacht und Nebel Aktion ohnehin nicht. Jetzt wo sie die Leute gefunden hatten, die sie suchten könnten sie auch einfach die Garde rufen und Schluss mit dieser Geschichte machen. Allein das er bereits wusste, was Syle von dieser Idee halten würde, hielt ihn davon ab, etwas zu sagen.
,, Ich lasse euch beide aber auch nur ungern alleine ziehen.“
,, Nun, du könntest dir das Fell abrasieren. Wenn ich dann die Wachen noch davon überzeuge, das du kein nackter Bär sondern lediglich mein leicht zurückgebliebener großer Bruder bist… Ansonsten jedoch bleibst du besser hier. Du hast unseren Freund in der Taverne doch gehört. Deine Seele ist schon verloren. Ich beneide dich wirklich darum…“ Zum ersten Mal klang Lucien wirklich nervös, während sein Blick in Richtung des gespaltenen Steins wanderte, welcher den Eingang des Tals markierte. ,, Wenn sie einen Gejarn bei uns sehen fliegen wir sofort auf. Und ich habe so schon kein gutes Gefühl bei der Sache, wenn ich ehrlich bin. Mit einem hast du recht Syle… es sind verflucht viele.“
Mit diesen Worten erhob sich Lucien und wollte bereits zwischen den Büschen verschwinden, als Syle ihn noch einmal an der Schulter zurück hielt. Außer den glimmenden Augen des Bären, Luciens Zähnen und dem fernen Schimmer der Feuer war praktisch nichts zu erkennen.
,, Achtet mir da draußen aufeinander.“ Syle hatte selten ernster geklungen wie in diesem Moment.
,, Ach komm, als hätte ich dich schon mal enttäuscht ?“ , fragte Lucien gespielt verletzt.
,, Von dir spreche ich gar nicht so sehr.“ Die glühenden Punkte, die Syles Augen darstellten wanderten zu Janis, der im Dunkeln die Hand zur Faust ballte. Was sollte das den jetzt heißen? War der Mann immer noch wegen der Sache in der Steppe beleidigt? Sie waren Angegriffen worden, er hatte sich verteidigt. Warum speilte das wie dabei eine Rolle ?
,, Ich weiß. Keine Sorge, ich achte auf den Jungen.“ Mit diesen Worten schnappte Lucien sich einen schweren Kleidersack, der neben ihm auf dem Bode stand und verschwand endgültig im Unterholz.
Janis folgte ihm alsbald und während sie noch nach einem sicheren Abstieg hinab zum natürlichen Torhaus der Senke suchten, warf ihm der Agent bereits ein schweres Bündel zu. Der schwere, raue Stoff kratzte, als er ihn sich überzog. Wenigstens ließ das weite Gewand ihre Waffen völlig verschwinden, auch wenn er ab jetzt aufpassen musste, nicht zu stolpern. Vor ihnen tauchten nun langsam die ersten Lichtpunkte auf, welche den Weg hin zu den Steinen markierten. Fackeln unter deren Licht sich eine kleine Prozession dahinschob. Die Leute mussten das Tor einzeln passieren, so schmal war der Felsspalt und wie Janis bereits erwartet hatte, hielt ein gutes Dutzend Männer genau davor Wache. Sie trugen die gleichen Roben wie Janis und Lucien oder auch der Rest dieser seltsamen Pilgerfahrt. Den das war es wohl um was es sich hier handelte, dachte Janis. Doch während die übrigen Männer und Frauen unbewaffnet waren, trugen die Wächter glänzende Speere, deren Spitzen in gefährlich wirkenden Wiederhaken ausliefen. Hinzu kamen mehrere Musketen, die manche locker über dem Rücken trugen oder als Stütze verwendeten, während sie die Leute beobachten.
Janis war überzeugt, ihre Blicke im Rücken spüren zu können, während er und Lucien sich dem Durchgang näherten.
,, Ungesehen rein und raus zu kommen wird schwierig werden. Wir können noch umdrehen.“ , meinte der Agent leise, als spüre er wie nervös Janis war. Dieser jedoch schüttelte das beklemmende Gefühl ab, das von ihm Besitz ergreifen wollte. Vor diesem Gecken würde er sicher nicht klein bei geben. Schon gar nicht so nahe vor dem Ziel.
Stattdessen beschleunigte er seine Schritte noch und hätte Lucien sogar abgehängt, hätte dieser sich nicht ebenfalls beeilt.
,, Sich eigentlich alle Belfare verrückt ?“ , fragte er und beantwortete sich die Frage gleich darauf selbst. ,, Ich würde ja behaupten, das liegt in der Familie, aber das kann auf euch leider nicht zutreffen.“
Lucien zog die Roben enger um sich, die sie seinem Kontakt abgenommen hatten. Der Mann selbst war halb bewusstlos in der Taverne zurück geblieben und lag vermutlich jetzt noch in dem Zimmer, in das Lucien ihn hatte bringen lassen. Genau wie seine Jünger. Janis bezweifelte wirklich, dass der Mann seinen Kater in weniger als drei Tagen auskuriert haben könnte. Und mit den Roben hatte der Agent dem Prediger noch einige andere Informationen entlocken können.
Als sie schon fast am Durchgang waren, trat ihnen einer der Posten in den Weg. ,, Die Herren... ihr seid spät dran wie mir scheint, genau wie die anderen Nachzügler. Verzeiht, wenn ich mich nicht an eure Namen erinnere…“
Das war eine Falle. Der Mann konnte sich nicht nur nicht an ihre Namen erinnern, er erkannte sie einfach nicht. Wenn sie jetzt die falsche Antwort gaben würde sich innerhalb weniger Sekunden die ganze Meute hier auf sie stürzen, dachte Janis panisch.
Seine Hand wandere instinktiv zum Schwertgriff. Die Waffe unter der schweren Robe hervorzuholen würde Zeit kosten. Wenn sie entdeckt waren, dann schlugen sie besser jetzt zu, wenn sie die Hoffnung haben wollten, eine Schneise zu schlagen.
Doch Lucien blieb erstaunlich ruhig. Nur sein Gesicht bekam plötzlich einen zutiefst bestürzten Ausdruck. ,, Gott, nein, der Herr der Ordnung prüft uns wirklich. Wir sind zu spät? Und wir hatten so sehr gehofft Bruder Malachi sprechen zu können. Wie ich hörte ist er erst vor kurzem aus Silberstedt zurückgekommen? Und ich hatte so gehofft, mich vor der Versammlung noch mit ihm zu treffen…“
Janis musste zugeben, dass es Bewundernswert war, wie galant Lucien log und den verschüchterten Pilger spielte. Götter, wüsste er nicht, dass jedes einzelne seiner Worte nur den Zweck hatte von ihnen abzulenken, er hätte ihm seine Bestürzung vermutlich ohne nachzudenken abgekauft.
Und tatsächlich schien es zu funktionieren. Der Wachmann hatte schon vergessen, was er eigentlich wollte, sobald er den vertrauten Namen hörte.
,, Kein Grund zur Sorge, Freund. Ihr werdet noch Gelegenheit haben ihn zu sehen. Ich sehe die Nachricht hat euch noch nicht erreicht, aber Malachi ist erwählt worden, den geweihten beizutreten. Der Herr der Ordnung gönnt nur wenigen seinen direkten Segen, aber wir können heute alle Zeugen davon werden.“
,, Das ist ja… großartig.“ Luciens Mine bekam einen Moment risse, er fing sich jedoch scheinbar sofort wieder. ,, Danke. Das sind wirklich wunderbare Neuigkeiten…“ Lucien nickte dem Posten rasch zu, dann gab er Janis einen Schups und zog ihn mit sich durch den Felseingang.
,, Wisst ihr, was er gemeint hat ?“ , fragte Janis sobald sie außer Hörweite der Wächter waren.
,, Nein und ich will verflucht sein, wenn es etwas Gutes ist. Aber was immer auch heute hier passiert, Janis, ihr bleibt bei mir? Verstehen wir uns? Keine Alleingänge. Wenn wir uns verlieren gehen wir zurück und treffen uns am Tor wieder. Sollte der andere nicht innerhalb einer Stunde wieder auftauchen gehen wir sofort zu Syle zurück und sehen zu, das wir hier wegkommen.“
Er nickte lediglich stumm, während sie in das Gewirr aus Zelten eintauchten, das sich links und rechts des Pfads erstreckte. Janis konnte nicht erkennen, wo die dunklen Planen endeten, doch wenn er die Masse an Menschen hier bedachte… das ganze Tal musste wohl längst aus allen Nähten platzen. Hoffentlich verirrte sich nicht jemand in die höher gelegenen Wälder, wo Syle sich verbarg. Offenbar kamen sie wirklich grade noch rechtzeitig zu was immer heute hier geschehen sollte, denn die Leute strömten aus jeder Richtung auf den Weg und zogen Fackeln haltend in Richtung Geisterbaum. Und dabei waren sie nicht still. Gemurmelte Worte und Gebete füllten die Luft und sorgten dafür, dass sich die feinen Härchen auf ihren Armen aufstellten. Spätestens jetzt gab es weder für ihn noch Lucien ein zurück, den der Strom riss sie schlicht mit sich. Der Versuch sich jetzt umzudrehen und davon zugehen wäre in jedem Fall vergeblich und noch dazu auffällig. So blieb ihnen nur, sich der Prozession anzuschließen, die träge dahinströmte. Die meisten Leute hier trugen die gleichen , braunen Roben wie sie auch, auf denen als einziger Farbfleck die rote Hand prangte. Doch Janis sah auch mehr als genug normale Menschen, die schlicht in ihrer Alltagskleidung gekommen waren, Bauern sowie reiche Händler, Söldner wie wandernde Tagelöhner. Es waren hunderte aus allen Schichten du sie alle folgten dem Ruf eines Gottes, der ganz offenbar über Leichen ging.
Jetzt würde sich zeigen, wie gut Lucien diese Leute wirklich kannte.
Der Baum bot einen gespenstischen Anblick. So wie Syle sie beschrieben hatte, sollten Geisterbäume eigentlich erhabene Orte sein… dieser hier war jedoch nur erschreckend.
Die völlig erbleichten Zweige hoben sich im unsteten Fackellicht wie Knochenfinger gegen den schwarzen Himmel ab, jeglicher Schmuck war von ihnen heruntergerissen worden. Normalerweise würde eine Unzahl an Windspielen und Talismanen zwischen den Ästen der Geisterbäume im Wind klingen. Fast jeder Gejarn eines Clans würde im Laufe seines Lebens irgendeine Art von Gabe hier zurücklassen, manchmal bunte Glasartefakte, genauso wie simple Spruchbänder und in den Fällen von Ältesten auch Haarlocken oder Knochen der Verstorbenen. Hier jedoch türmte sich der einstige Zierrat um die Wurzeln des Baumes herum auf, Bunte Glassplitter glitzerten auf dem Weg, genauso wie zerrissene Schleifen und zersplitterte Gebeine. Für Janis bot sich ein trostloser Anblick. Der Baum, so bar jeden Schmucks, schien gleichzeitig seiner Seele beraubt. Es war nur noch totes Holz, dachte er. Was immer auch für eine Macht diesem Ort einst innegewohnt haben mochte, sie war vergangen, als die Fremden kamen und die Opfergaben hunderter Generationen vernichteten.
Die Prozession aus in Roben gewandeten gestalten jedoch schien der Zerstörung kaum Aufmerksamkeit zu schenken. Knirschend zersprangen die Gläser und Knochen noch weiter unter ihren Stiefeln und auch Janis und Lucien blieb nichts weiter übrig, als mitzugehen, wenn sie nicht erkannt werden wollten. Die Aufmerksamkeit aller hing ohnehin nicht an dem geschändeten Baum sondern an den beiden gestalten, die unter seinen Zweigen standen. Beide trugen sie die gleichen Umhänge wie der Rest, grobes Sackleinen, das jedoch mit einem roten Farbfleck in Gestalt einer Hand mit drei Fingern verziert war.
Einer der beiden hatte die Robe eng um sich geschlungen, als wolle er sich vor der Kälte der Nacht schützen. Auch die Kapuze hatte er sich tief ins Gesicht gezogen und die Ärmel ineinander gefaltet. Er wirkte mehr wie ein Schatten, als das man viel erkennen konnte, sah man von den Augen einmal ab, in denen ein eigenes Feuer zu brennen schien.
Die zweite Gestalt kniete vor ihm, die Kapuze ihres Mantels zurück geschlagen unter der grau-schwarze Haare zum Vorschein kamen. Was immer hier vorging, es war offenbar von großer Wichtigkeit für diese Leute, den die Menge um Janus und Lucien warum war totenstill. So wie es aussah, sollte der Posten Recht behalten. Sie waren grade noch rechtzeitig gekommen… um Zeuge von was auch immer zu werden. Der kniende Mann hatte die Hände von sich wegestreckt und den Kopf gesenkt, wie ein verurteilter, der den tödlichen Streich des Henkers erwartete. Trotzdem spielte ein schauriges Lächeln über seine Züge.
,,Malachi.“ Die Gestalt des vermummten Mannes beugte sich über ihn. Auch wenn man es unter der Robe nicht genau erkennen konnte, seine ganze Statur wirkte auf Janis irgendwie unnatürlich…verdreht, wie ein Mensch dessen Rückgrat gebrochen war und der trotzdem noch aufrecht stand. ,, Seit ihr bereit, den Segen unseres Herrn zu empfangen ?“
Selbst die Stimme des Mannes klang verzerrt, als bereite ihm das Sprechen Mühe, kaum menschlich.
Janis würde näher ran müssen um mehr zu erkennen. Und gleichzeitig wollte er genau das um keinen Preis der Welt. Das war nahe genug. Und was immer dort vorging, jagte ihm jetzt schon einen Schauer über den Rücken. Doch eine morbide Neugier trieb ihn vorwärts. Janis spürte, wie Lucien ihm eine Hand auf die Schulter legte, als er versuchte, näher heranzukommen. Stumm schüttelte der kaiserliche Agent den Kopf.
Der als Malachi angesprochene Mann, kniete mittlerweile immer noch am Boden, hob jedoch langsam den Kopf und sah seinem gegenüber offenbar direkt in die brennenden Augen. Auch er sagte kein Wort, sondern nickte lediglich.
,, Dann zeigt uns das euch die Hand unseres Gottes berührt hat.“ , meinte der vermummte Mann mit dieser seltsam entstellten Stimme.
Malachi erhob sich langsam und zog auch die Arme wieder an den Körper. Seine Finger krallten sich in den Stoff der schlichten Robe die er trug und einen Moment schien tatsächlich ein Hauch Unsicherheit in seinen Bewegungen zu liegen. Dann jedoch riss er den Stoff der Robe bis zur Burst auf und trat zurück. In der Menge wurde leises Gemurmel laut und Janis musste sich zusammenreißen um nicht schlicht laut zu fluchen.
Wie konnte dieser Mann noch leben? Malachis Oberkörper war dürr, so dass man die Rippen sehen konnte, doch auch wenn der Mann wohl schon länger nichts mehr gegessen hatte… das eigentlich erschreckende war das Mal. Das gleiche Geschwulst aus schwarzer, toter Haut hatte er auch schon bei dem Prediger gesehen, zu dem Lucien sie geführt hatte. Dieses hier jedoch war ungleich größer.
Vom Halsansatz bis knapp zum Bauchnabel zog sich eine Spur zerstörten Gewebes in dem noch Glut zu glimmen schien, von was immer diese Verletzungen hervorgerufen hatte. Und was das beunruhigende war, dachte Janis, es erinnerte ungewöhnlich stark an eine Hand. Ein brennender Handabdruck mit drei Fingern…
,, Ich bin gezeichnet von seiner Gegenwart.“ , murmelte der tote, lebende Mann während er erneut auf die Knie sank.
,, Und nun erfahrt ihr den Wahren Segen den unser Herr für jene bereithält, die ihm treu gedient haben. Danach werdet ihr bereit sein euer Werk in Silberstedt zu vollenden… und wir mit unseren Plänen zu beginnen. Von diesem Moment an gehört euer Leben dem Herrn der Ordnung. Und euch gehört im Austausch seine wahre Gabe. Die Macht über Leben und Tod sei nun euer…“
Mit diesen Worten streckte die vermummte Gestalt die Hand aus. Dabei glitt auch der Ärmel ihrer Robe etwas zurück. Was darunter hervorkam hatte kaum mehr etwas mit einer menschlichen Hand gemein. Die Fingernägel waren zu schwarzen Kralen verwachsen, die selbst noch vor dem dunklen Nachthimmel finster wirkten. Hautplatten, die beinahe wie Schuppen wirkten wucherten über dem gesamten Handrücken und die Fingerkuppen hinweg und ließen nur stellenweise noch etwas vom normalen Gewebe darunter erkennen. Weitere Entstellenden Male und unnatürlichen Knochenplatten zogen sich scheinbar den gesamten Arm hinauf… Langsam wurde Janis klar, warum dieser Mann sich komplett verhüllte.
Trotzdem wirkte seine Berührung beinahe sanft, als er dem vor ihm knienden Malachi die Hand auf den Kopf legte. Im gleichen Moment meinte Janis eine Art seufzen zu hören, später jedoch war er davon überzeugt, dass das sicher nur der Wind in den Zweigen des Geisterbaumes gewesen war…keine wirkliche Stimme.
,, Empfangt also den Segen unseres Herrn… und erwacht erneuert, als sein wahrer Diener.“
Mit diesen Worten begann sich der Körper des knienden Mannes zu verändern. Zuerst war es nur subtil, doch langsam begann sich das schwarze Mal auf seiner Brust zu verändern. Ausläufer zogen sich durch seine Haut und wanderten über seinen Körper. Beinahe bekam JAnsi den Eindruck, die komplette Gestalt des Mannes würde sich verflüssigen. Ein Übelkeit erregender Gedanke, untermalt von dem Geräusch brechender Knochen, die sich mit Gewalt verschoben du an neue Plätze wanderten. Gleichzeitig loderte Feuer in den Augen Malachis auf. Schweißperlen tropften von dem wenigen was von seiner normalen Haut geblieben war und verdampften gleich darauf. Der Rest verschwand unter Wucherungen und Knochenkämmen, die ihn unnatürlich und asymmetrisch wirken ließen. Statt Blut war es Feuer, das aus den dünnen Rissen und Wunden hervortropfte, die seine Verwandlung hinterlassen hatte. Und auch wenn der Prozess unglaublich schmerzhaft sein musste, dessen war Janis sich sicher, je länger er zusah, gab Malachi die ganze Zeit über keinen Laut von sich. Nur langsam schien sich der Körper des Mannes, oder das was davon übrig war, wieder zu stabilisieren. Gebeugt stand er da, seine Robe zerrissen und unförmig. Seine Hände, unförmig, zu scharfen Krallen verkrümmt, schlugen die Kapuze wieder hoch unter deren Schatten seine Augen nach wie vor brannten.
Götter, was waren das für Kreaturen? Janis war Angesichts der Transformation des Mannes wie gelähmt gewesen, doch langsam, kriechend schlich sich das Entsetzen in seinen Verstand ein. Lucien schien es nicht besser zu gehen. Er konnte sehen, wie der kaiserliche Agent nach seiner Armbrust tastete. Die Waffe , unter dem Mantel verborgen, würde sie allerdings kaum vor diesen… Dingern schützen. Wenn das ein Segen war, wie es die Anhänger des Herrn der Ordnung nannten, dann war Janis sich bereits sicher, dass er darauf verzichten würde. Sie mussten hier fort und Syle Bericht erstatten.. möglichst jetzt. Janis zwang sich dazu tief durchzuatmen. Zum ersten Mal wusste er, was es hieß, Todesangst zu haben.
Malachi trat derweil etwas in den Hintergrund, während sich der vermummte Mann wieder an die Menge wendete.
,, Unserem Bruder wurde die volle Gnade unseres Herrn gewährt . Mit ihr, wird er sich nach Silberstedt aufmachen und die Stadt von ihrem ketzerischen Magier befreien. Doch heute habe ich noch eine freudige Nachricht für euch. Unser Meister, der erste seiner Erwählten, der rote Heilige wird bald persönlich bei uns sein um unserem Triumph beizuwohnen. Das ist der Zeitpunkt auf dem wir alle Monatelang hingearbeitet haben… auf das ganz Canton, ja die Welt, die Wahrheit unserer Sache erkennt… oder unseren Zorn. Doch noch gibt es einiges an Vorbereitungen zu treffen. Nach dieser Nacht werden wir gemeinsam zum roten Tal ziehen, Kinder. Dort soll sich einst der große Tempel unseres Herrn erheben, doch vorher muss der Ort von jenen gesäubert werden, die ihn entweihen. Der rote Heilige soll zeuge sein, wie wir den Grundstein an diesem heiligen Ort legen!“
Janis lief ein Schauer über den Rücken. Er kannte den Ort, von dem dieser Mann, oder besser, dieses Ding das einst mal ein Mensch gewesen war, Sprach. Waren nicht Galren und die anderen genau dorthin unterwegs gewesen? Götter, er wollte sich gar nicht vorstellen, was das zu bedeuten hatte. Aber wenn Galren und Eriks Expedition noch dort waren, dann mussten sie sie warnen. Sie mussten sofort hier weg, dachte er und Syle Bericht erstatten. Vielleicht hatte der Hochgeneral einen Plan. Aber noch konnten sie nicht gehen, die Menge umgab ihn und Lucien auf allen Seiten und sich jetzt abzuwenden… Er brauchte nur kurz den fiebrigen Blick in den Augen der meisten zu sehen um zu wissen, dass man nicht einfach zusehen würde, wenn sie versuchten irgendwie aus der Senke zu gelangen. Im Augenblick saßen sie fest, bis diese seltsame Zeremonie hier abgeschlossen war. So gebannt, wie die Leute an den Lippen dieses Predigers hingen, fürchtete er bereits, was als nächstes folgen mochte. Unbewusst wanderte seine Hand zu dem Ring, den Quinn ihm geschenkt hatte. Der Zauber darauf würde ihn kurzzeitig schützen… aber sicher nicht lange genug um zu entkommen, sollte es ernst werden.
Lucien klopfte ihm Aufmunternd auf die Schulter und lächelte. Den braunen Umhang hatte er mittlerweile halb geöffnet und Janis konnte die gespannte Armbrust in seinen Händen ausmachen. Zum ersten Mal war er froh, den Mann an seiner Seite zu haben, auch wenn sein Grinsen etwas Gequältes hatte. Auch Lucien spürte, was Janis in die Knochen kroch. Dieser ganze Ort hatte eine unheilvolle Atmosphäre und es war noch nicht vorbei…
Der Mann, der Malachi gewandelt hatte riss einen Arm empor und deutete auf den großen, toten Baum hinter sich.
,,Zuallererst jedoch ist es an der Zeit diesen heidnischen Ort endgültig zu vernichten, meine Brüder und Schwestern. Das soll unser erstes Zeichen sein an alle, die sich uns in den Weg zu stellen gedenken. Niemand wird uns aufhalten. Nicht der Kaiser. Nicht seine Armeen… und ganz sicher keine Clans. Unsere Sache ist eine Gerechte und hier zünden wir die Fackel, die uns zum Sieg führen wird… und zur Erlösung!“
Und wie Janis alsbald feststellen musste, meinte der Mann das mit der Fackel wörtlich. Aus der Menge kamen bejahende Jubelrufe und ehe er sich versah, stürmten bereits die ersten Kultanhänger, mit Fackeln in den Händen, in Richtung Baum. Die ohnehin bereits herabgerissenen Totems und Windspiele zerbrachen knirschend unter ihren Füßen. Manche liefen tatsächlich Barfuß und bald zogen die ersten auch kleine Blutspuren hinter sich her, doch das schien sie nicht zu stören. Im Gegenteil. In ihrer Rage schiene n diese Leute keine Schmerzen zu kennen. Janis erschauerte, als er und Lucien von der Menge mitgerissen wurden. Die ersten Fackeln flogen bereits durch die Luft, blieben jedoch meist harmlos in den Zweigen hängen, wo sie nur kleinere Feuer entfachen oder landeten sogar weit hinter dem Baum. Dennoch war es nur eine Frage der Zeit, bis nur noch Asche bleiben würde, dachte Janis. Und im Augenblick blieb ihnen nur hilflos Zuzusehen…
Einen Moment fragte er sich, was wohl aus dem Clan geworden war, der einst über diesen Baum gewacht hatte, als eine laute Stimme das tosen der Menge übertönte.
,,Nein!“
Zumindest für einen kurzen Moment ebbte die entfesselte Wut der Menge ab. Keine weiteren Fackeln landeten mehr in den Kronen des Geisterbaums. Sogar Malachi und der andere geweihte Prediger drehten sich in die Richtung des Neuankömmlings, der sich soeben durch den Ring aus Kultisten schob, die den Baum umgaben. Oder besser, er wurde gezogen. Zwei Männer, in denen Janis die Wachen vom Steintor wiedererkannte, zogen einen Gejarn hinter sich her. Jeder der beiden hielt jeweils ein Ende einer schweren Ketten in der Hand, die dem Bären um di Handgelenke gebunden waren.
Einen Moment befürchtete Janis tatsächlich, es wäre Syle, doch der Gejarn, den die Männer gefangen hatten war ungleich Älter und längst nicht so groß wie der Hochgeneral. Trotzdem überragte er seine Wächter jeweils um einen halben Kopf . Der ergraute Pelz den er trug spiegelte das Licht der Fackeln wieder, welche die erstarrten Anhänger des Herrn der Ordnung langsam sinken ließen.
,,Das könnt ihr nicht tun.“ , erklärte der Bär ohne ein Zeichen der Angst, während er seine beiden Bewacher überholte. Scheinbar spürte er die Ketten nicht einmal und Janis bezweifelte, das die zwei Männer alleine auch nur in der Lage wären ihn zu halten, sollte er sich befreien wollen.
Die Leute beeilten sich jedenfalls, ihm auszuweichen, während er auf den entweihten Geisterbaum zutrat und einen Moment tatsächlich davor auf die Knie sank. Sowohl Malachi als auch der vermummte Prediger sahen nur stumm dabei zu.
,,Herr. Wir haben ihn aufgegriffen, als er versucht hat, in die Senke zu gelangen.“ , erklärte einer der Bewacher des alten Bären hastig und verneigte sich ebenfalls, wenn auch nicht vor dem Baum. Die wenigen Feuer, welche noch zwischen den toten Zweigen glommen waren mittlerweile erloschen und hatten das Holz nur Oberflächlich Verbrannt. Dabei müsste es eigentlich brennen wie Zunder, dachte Janis bei sich. So lange wie der Baum schon tot sein musste, war das Holz sicher Knochentrocken.
,, Ihr steht auf heiligem Boden, Mensch.“ , erwiderte der Gejarn ohne ein Zeichen von Angst. ,, Und ich werde euch nicht weiter erlauben ihn zu Schänden. Geht, dieser Ort ist nicht für euch.“
Seine beiden Bewacher hielten ihn kaum auf, als er auf die zwei wartenden Männer unter dem Baum zutrat. Eine silbergraue Haarmähne fiel ihm über den Rücken und der hellgrüne Mantel den er trug war mit blauen Ziernähten durchsetzt. Für die oft nomadisch lebenden Clans, die ohnehin nur das nötigste mit sich trugen schon fast Luxuriös… und ein Zeichen dafür, das der Bär wohl mehr war, als ein einfaches Clanmitglied. Vielleicht sogar ein Ältester.
,, Heilig ja ?“ Es war Malachi, der nun an Stelle des vermummten Predigers sprach. ,, Mein Herr sieht das anders, Gejarn. Dieser Ort ist eine Abscheulichkeit, er spukt ins Gesicht des Herrn der Ordnung. Seine Vernichtung wird die Welt der Wahrheit einen Schritt näher bringen und wenn ihr klug seid, stellt ihr euch uns dabei nicht in den Weg! Ich dachte eigentlich es hätte gereicht euch die Körper euer närrischen Wächter zurück zu senden!“
,, Also wart ihr es, der sie getötet hat ?“ In den gelblichen Augen des Bären flackerte nun stumpfe Wut auf. ,, Geht Narr. Glaubt ihr wir werden nur zusehen, wie ihr unsere Wälder verbrennt, unsere Clanbrüder tötet? Ich bin alleine gekommen um euch friedlich zur Abreise zu bewegen. Aber wenn es sein muss… kämpfen wir.“
,, Wollt ihr mir drohen, alter Mann ?“ , fragte Malachi gehässig. Auch seine Stimme klang längst nicht mehr Menschlich. ,, Mir ? Einem Erwählten ?“
,,Mich kümmert wenig, welche Titel ihr euch gebt. Ich bin der Hüter dieses Ortes. Ihr jedoch seid ein fremder, ihr kamt ungeladen hierher und als Eindringlinge. Ihr habt kein Recht, hier zu sein.“
,, Ich habe alles recht, das ich brauche.“, erwiderte der Prediger aufbrausend. ,, Seht ihr Kinder ? Die Uneinsichtigen kommen bereits zu uns um unsere Rechtschaffene Sache in Zweifle zu ziehen. Bedeutet euch eure Ahnen so viel, alter Mann? Ihr seid ein Gejarn, eure Seele für meinen Herrn verloren… wenn euch so viel an diesem gottlosen Baum liegt… dann brennt ihr eben mit.“
Mit diesen Worten packten eine zwei Bewacher jeweils einen Arm des Mannes, der jedoch nicht einmal Anstalten machte, sich zu wehren. Entsetzt sah Janis zu, wie man den Ältesten zum Baum schleifte und die Ketten, die ihn fesselten um den Stamm band. Das konnten sie doch nicht tun…
Was bei allen Göttern sollte das werden? Und warum bitte tat niemand etwas? Janis sah sich hilfesuchend in der Menge um, die jedoch nur stumm zusah, wie man den Gejarn an den Baum bannt… den sie verbrennen wollten. Er sah aus den Augenwinkeln, wie Lucien sich anspannte, offenbar bereit, mit der Armbrust in der Hand zwischen die zwei Prediger und ihr Opfer zu springen.
Aber dann würden sie nur mit ihm sterben.
Diesmal war es Janis, der ihm eine Hand auf den Arm legte. ,, Ihr könnt nichts tun. Wir können nichts tun… Nur Syle Bericht erstatten.“
Mit einem seufzen ließ der kaiserliche Agent die Waffe sinken. Alles Freundliche war aus seinen Zügen gewichen, das ewige Lächeln erstorben.
Malachi hatte sich mittlerweile vor dem hilflosen Ältesten aufgebaut, wirkte im Gegensatz zu ihm jedoch immer noch aberwitzig klein und in seiner verkümmerten Gestalt verletzlich. ,, Vielleicht retten euch eure Ahnen ja, alter Mann. Oder ihr werdet erkennen, dass es nur einen wahren Gott gibt, bevor das Ende kommt… Und nun werdet Zeuge der Macht, die er mir verliehen hat“
Mit diesen Worten riss Malachi eine Hand hoch und richtet sie auf die Krone des Geisterbaumes. Tiefrote Flammen schlugen daraus hervor und hüllten die dürren Zweige ein, die nun nichts mehr vor dem Feuer schützte. Knisternd verpuffte das tote Holz einfach und rieselte als Glutfunken zur Erde.
Auf schauerliche Art erinnerte das Geräusch, das das Holz beim Brennen machte Janis an menschliche Schreie… Sicher nur das Wasser, das in den feinen Kapillaren des Baumes verbrannte, sagte er sich.
Selbst der bisher so unerschrockene Älteste duckte sich unter dem Höllenfeuer weg, das alles und jeden versengte, der das Pech hatte zu nahe am Baum zu stehen. Selbst Janis konnte die Hitze unangenehm auf seinem Gesicht spüren. Das war Magie gewesen, dachte er entsetzt…
Diese seltsam verdrehte Gestalt beherrschte Zauberei… Die Macht, die plötzlich von ihr ausging, schien die Luft selbst schwerer zu machen, wie vor einem Gewitter.
,,Verbrennt ihn.“ , erklärte Malachi kalt, bevor er von dem lodernden Baum zurück trat. Und wie eine Welle aus Feuer und Fleisch folgten seine wartenden Anhänger dem Befehl. Die ersten warfen bereits Fackeln über die Köpfe der anderen hinweg, während einige ohne jede Regung bis an den Baum herantraten und ihre Feuer dem verängstigten Gejarn zu Füßen warfen. Bald griffen die ersten Flammen nach dem Holz sowie nach Kleidung und Fell des Ältesten.
,,Ich werde das nicht mit ansehen.“ , erklärte Lucien. Seine Stimme war todernst, keine Spur der Leichtigkeit oder des unterschwelligen Humors die sonst immer darin lagen. Es schien Janis beinahe, als sei das ein völlig anderer Mensch, der da vor ihm stand, seinen Arm abschüttelte und langsam die Armbrust hob. Schließlich jedoch nickte er nur.
Niemand bekam mit, wie der kaiserliche Agent die Waffe endgültig hob, zielte… und den Abzug betätigte. Der erste Bolzen galt dem Ältesten. Die Flammen verbrannten bereits seinen Kleidersaum, bevor sie ihn jedoch ganz erreichten, traf ihn das Projektil zielsicher mitten ins Herz. Er war sofort Tod, da war Janis sich sicher. Retten konnten sie ihn nicht. Alleine ihm die Qualen zu ersparen langsam zu verbrennen, war ein unglaubliches Risiko… Immerhin musste er nicht leiden.
Im gleichen Moment jedoch wo die Gestalt des Gejarn regungslos am Baum zusammensank, drehten sich plötzlich alle Köpfe zu ihnen um. Erste Rufe wurden laut, Leute deuteten auf sie… oder vor allem auf Lucien, der seelenruhig bereits die Armbrust wieder gespannt hatte. Der Ausdruck jedoch, der dabei auf seinem Gesicht lag, sorgte dafür, dass es Janis eiskalt den Rücken herunterlief. Noch ehe jemand dazu kam zu reagieren, segelte bereits das zweite Projektil durch die Luft.
Der Bolzen traf diesmal den Mann, der Malachi zuvor seinen Segen geben hatte. Der Aufprall warf den Prediger rückwärts in Richtung des brennenden Baums. Der Treffer tötete ihn nicht, aber darauf hatte es Lucien auch nicht abgesehen. Stolpernd kam er ein Stück zu nahe an die lodernden Flammen, die daraufhin seinen Mantel erfassten. Kreischend und um sich schlagend versuchte diese Kreatur, die einmal ein Mensch gewesen war, das Feuer zu ersticken, was jedoch nur dafür sorgte, dass es sich noch schneller ausbreitete. Beinahe schien es, der Körper des Mannes bestünde aus Zunder oder vielleicht richteten sich nun auch seine eigenen,, magischen Flammen gegen ihn.. Kreischend wie ein Tier und um sich schlagend ging er zu Boden. Bevor Lucien jedoch dazu kam, die Armbrust erneut zu spannen und auch Malachi auszuschalten, waren die ersten Kultisten bereits heran.
,,Weg hier.“ , erklärte Lucien kalt und ließ die Armbrust fallen, die sie ab jetzt nur noch behindern würde. Geschwindigkeit war alles. Wenn man sie einholte, würden ihnen alle Waffen nichts mehr nützen. Janis hätte das gleiche gerne mit seinem Schwert gemacht, doch dazu fehlte ihm die Zeit und so blieb ihm nur, hinter Lucien herzusetzen, der mit einem Satz bereits den Pfad zurück zu den Zelten rannte. Rasch rissen sich sowohl der Agent als auch er die schweren Roben herab, die sie nur beim Laufen behindern würden.
Hinter ihnen beleuchtete der brennende Geisterbaum die ganze Szenerie und die wütenden und aufgebrachten Rufe knapp hinter ihnen sorgten dafür, das Janis sich kein einziges Mal umdrehte.
Das Feuer würde bestimmt schon Syle alarmiert haben, aber jetzt noch auf den gleichen Weg zurück zu gehen, den sie gekommen waren, wäre keine gute Idee. Bestimmt waren noch weitere Wachen am Tor verblieben…
Lucien schien das ebenfalls klar, denn statt weiter in Richtung der gespaltenen Steine zu laufen, tauchte er vor Janis in das Gewirr aus Zelten ein, welche die gesamte Senke bis zu den abfallenden Hängen am Waldrand bedeckten. Vielleicht konnten sie dort irgendwo hinauf gelangen, dachte Janis. Vorausgesetzte, sie kamen so weit. Etwas jagte dicht an seinem Gesicht vorbei und hinterließ ein großes Loch in einer der Zeltplanen vor ihm. Schusswaffen….
Er warf einen raschen Blick zurück und konnte dutzende wenn nicht hunderte von in Roben gehüllter gestalten ausmachen, die durch das Zeltlager ausschwärmten. Lucien war derweil jedoch stehen geblieben und bewegte sich auch nicht, als Janis schließlich an ihm vorbeihastete. Stattdessen zog er lediglich eine kleine Phiole aus seiner Tasche, die Janis nur allzu gut kannte. Blieb die Frage, wie viel Drachenfeuer der Agent Syle mittlerweile entwendet hatte. Wenn es etwas gab, das ihm mehr Angst machte als das hier, dann die Vorstellung von Lucien mit einer zerbrechlichen Bombe in der Hand.
Noch eher Janis viel Abstand zwischen sich und den Agenten gebracht hatte, erhellte plötzlich eine zweite Feuerwolke die Nacht. Er konnte die Schreie hören, als die nichts ahnenden Kultisten mitten in das Infrno stolperten und kurz darauf war auch Lucien wieder an seiner Seite.
,, Ein paar weniger, die uns an den Haxen hängen.“ , meinte er, doch seine Stimme klang dabei nach wie vor kalt und tödlich. Und dann waren sie plötzlich draußen. Die endlosen Zeltreihen endeten und vor ihnen schälte sich ein breiter Erdhang aus der Nacht. Es war nicht zu steil, dachte Janis erleichtert, aber die Vorstellung dort hinauf zu klettern gefiel ihm gar nicht. Sie würden ewig brauchen und wenn sie abrutschten oder ihre Verfolger noch mehr Feuerwaffen besaßen…
Alle diese Gedanken wurden jedoch hin fortgespült, als eine ihm nur zu gut bekannte Gestalt am oberen Ende der Klippe auftauchte.
,, Ich will gar nicht wissen, was ihr angestellt habt.“ , rief Syle grinsend,. Während er ihnen zwei Seile herabwarf. ,, Das Feuer sieht man bestimmt bis nach Erindal.“
,, Ich habe nur etwas zurück gezahlt.“ , erwiderte Lucien und auch er schien zumindest wieder etwas zu seinem alten Selbst zurück zu finden. Er packte eines der Seile und hielt es Janis hin. ,, Die Damen zuerst.“
,, Irrer, verrückter, alter Spion.“ , murmelte er in sich hinein , zog sich jedoch missmutig nach Oben. Tatsächlich war es gar nicht so einfach, die Erdwand zu erklimmen. Zwar gab es immer wieder kleinere Vorsprünge und schmutzige Felsen, die seinen Füßen halt boten, doch der Boden war ausgetrocknet und brüchig. Mehrmals rutschte er beinahe ab und löste kleine Erdlawinen aus, die nach unten stürzten. Lucien , der dicht hinter ihm war, schien es da leichter zu haben. Es war beinahe unheimlich, wo seine Füße überall halt fanden, wo für Janis nur glatte Wände zu erkennen waren. Und dann flog die erste Kugel. Die Feuer im Lager der Kultisten waren mittlerweile erloschen und versperrten diesen nun nicht länger den Weg oder die Sicht.
Syle hatte sich derweil oben auf der Klippe niedergelassen und gab ihnen Feuerschutz. Zwar war er nur ein Mann mit einer Waffe, aber er war auch um einiges geübter damit, als die Männer unten in der Talsenke. Jede Kugel des Bären fand ein Ziel. Ruhig und gefasst visierte er die Männer an, die der Klippe zu nahe kamen oder jene, die sich bereits auf die zwei Kletternden eingeschossen hatten.
Mittlerweile waren es jedoch nicht mehr nur Kugeln, die Janis und Lucien zu schaffen machten. Manche ihrer Verfolger warfen sogar Steine und einige schossen Pfeile, die klirrend von den Felsen abprallten oder in den Erdwänden stecken blieben.
Janis war immer wieder gezwungen, sich halb hinter einigen Steinen weg zu ducken und mehr als einmal streifte ihn ein Wurfgeschoss. Seine Finger schienen keinen richtigen Halt mehr zu finden, seine Füße zitterten… Er konnte schlicht nicht weiter. Pfeile, Kugeln, alles schlug links und rechts von ihm ein. Und dabei war er nicht einmal das Hauptziel des Mobs. Die meisten hatte es offenbar auf Lucien abgesehen, vermutlich weil sie in ihm den Mörder ihres Predigers sahen, der den Projektilen jedoch meist elegant auswich. Nur einmal nicht, als ihn ein Pfeil an der Schulter streifte und einen langen Schnitt hinterließ, der ihn noch mehr verlangsamte…
Janis fingerte einen Moment unsicher an dem Ring herum, den Quinn ihm geschenkt hatte. Vielleicht würde es ausreichen, Lucien zu schützen. Zumindest bis dieser hoch genug käme um außer Reichweite zu gelangen. Aber er war selber längst nicht außer Gefahr… Es war noch ein gutes Stück bis nach Oben. Ein weitere Kugel schlug dicht neben seinem Kopf in die Erde. Nackte Panik hatte von ihm Besitz ergriffen. Er dachte nicht mehr nach. Seine Entscheidung fiel und im selben Moment wusste er, dass es ein Fehler gewesen war. Er aktivierte den Zauber, der auf dem Ring lag und noch während sich eine kaum sichtbare, schimmernde Barriere um ihn schloss, strauchelte Lucien plötzlich. Der Mann schrie auf, als ihn eine Kugel ins Bein traf, das daraufhin seinen Halt verlor.
,,Lucien !“ Syle sah mit vor Entsetzen geweiteten Augen zu ihnen herab, zu Janis, der sicher in einen Schild gehüllt da stand, während der Agent langsam abrutschte. Wie ein Zeitlupe konnte Janis alles verfolgen, den Moment in dem die Schwerkraft endgültig die Oberhand gewann, wie Lucien rückwärts stolperte und gegen die Erdwand prallte.
Götter, das hatte er nicht gewollt. Janis erstarrte wo er war. Nein… Das war doch nicht geplant gewesen…
Dreck und Blut spritzten auf, als Lucien sich überschlagend den Hang hinab rollte. Mittlerweile war der Sturm aus Projektilen völlig zum Erliegen gekommen, als die Kultisten sahen, dass sie ihr Ziel erwischt hatten. Unten kam Lucien zitternd zum Liegen. Seine Kleidung war zerfetzt, Blut tropfte aus einer Unzahl Schürfwunden und das Bein, das nicht von der Kugel zerfetzt worden war, stand in einem unnatürlichen Winkle ab.
Janis war drauf und dran die Felswand wieder hinab zu steigen, während der Agent regungslos gegen die Klippe gelehnt liegen blieb. Mittlerweile waren auch die ersten Anhänger Malachis heran und strömen auf die Freifläche zwischen Zelten und Abhang. Dann jedoch regte sich die Gestalt des kaiserlichen Agenten wieder und was er dann tat, ließ Janis das Blut in den Andern gefrieren.
Er lachte, während er zu ihm und Syle aufsah. Lachte, als wäre die ganze Sache der größte Witz der Welt. Er schüttelte lediglich den Kopf, als er sah, wie Janis sich daran machte, den Erdhang wieder hinab zu klettern.
,, Irgendwann musste meine Glückssträhne ja einmal enden.“, murmelte er. Die ersten Kultisten hatten ihn mittlerweile so gut wie erreicht und selbst Syles Kugeln hielten sie nun nicht mehr zurück. Janis sah nicht, was der Agent als nächstes tat, doch er wusste es trotzdem. Irgendwo, irgendwie hatte eine weitere von Syles Drachenfeuerphiolen den Absturz überlebt. Als die gesamte Wiese zwischen Zelten und Klippe in Feuer gebadet wurde, musste er den Blick abwenden. Gleißend Hell loderten die Flammen auf, verzerrten sowohl Malachis Anhänger als auch den kaiserlichen Agenten und brachten das Gestein der Wand zum Glühen.
Janis hingegen blieb völlig unverletzt, bis er schließlich den Rand der Klippe erreichte und sich hinauf zog. Die Kultisten würden nicht so dumm sein ihnen auf diesem Weg zu folgen. Schon gar nicht wenn Syle sie von oben aus mit dem Gewehr in Schach hielt. Der Wald um sie herum war dunkel und still. Es würde vermutlich eine ganze Weile dauern, bis man sie einholte.
Der Bär sagte kein Wort, während er auf ihn zutrat. Er schlug lediglich zu und die bloße Wucht fegte Janis glatt von den Füßen. Er wusste zu gut wieso. Janis machte nicht einmal den Versuch sich zu wehren, sondern blieb lediglich mit gesenktem Kopf im Gras sitzen. Seine Wangen brannten, weniger von dem Schlag als aus bloßer Scham vor sich selbst. Er hatte Lucien schutzlos zurück gelassen, obwohl es anders hätte kommen müssen. Er hingegen hatte den Schild ja nicht einmal gebraucht er hatte… Er hatte Angst gehabt. Er hatte wie ein verfluchter Feigling gehandelt. Alles Großspurigkeit war mit einmal mal vergessen gewesen…
,,Du hast grade einen meiner besten Freunde sterben lassen , du verdammtes Schwein.“ Janis wappnete sich für den zweiten Hieb, der ohne Zweifel folgen musste, doch dieser blieb aus.
,,Ich hatte Angst.“ , erklärte er zitternd und als er aufsah, starrte er nicht etwa in das wütend verzerrte Gesicht des Bären, sondern in den Lauf eines Gewehrs.
,,Glaubst du, Lucien hatte keine ?“ Syle sah ihn nur fassungslos an. Es war nicht so sehr seine Wut, die Janis zu schaffen machte, sondern die grenzenlose Enttäuschung in seinen Augen. Aller Zorn schien mit einem Mal verflogen. Langsam ließ er die Muskete sinken. ,, Und jetzt steh auf. Wir müssen hier weg. Oder du bleibst eben hier und stirbst. Ehrlich gesagt… mir ist es gleich. Der einzige Grund aus dem ich dich nicht töte ist, weil es deinem Vater und deiner Mutter das Herz brechen würde.“
Mit diesen Worten drehte sich Syle um und verschwand mit raschen Schritten im Wald. Janis sah ihm lediglich nach, unfähig sich zu bewegen. Götter… was hatte er getan? Was… Wie… Langsam nur verstand er es. Verstand so vieles, was der alte Bär ihm gesagt und er immer in den Wind geschlagen hatte, Begriff den gleichen, enttäuschten Ausdruck, den Syle in der Steppe für ihn übrig gehabt hatte. Und doch war es zu spät, nicht? Viel zu spät…
Trotzdem kam er irgendwie auf die Füße und trottete mit gesenktem Kopf hinter dem Bären her.
,, Was machen wir jetzt ?“ , wagte er tonlos zu fragen.
,, Das hier beenden.“ , erklärte Syle kalt. ,, Wir holen die Garde. Diese Irren werden nicht weiter machen, das schwöre ich dir… Und ich weiß auch schon woher wir am schnellsten die nötigen Truppen bekommen…“
Seit ihrem Aufbruch aus Helike musste nun fast eine Woche vergangen. Naria konnte jedoch nicht genau sagen ob das auch wirklich Stimmte. Hier draußen war es schwer, den Verlauf der Zeit an irgendetwas festzumachen, sah man vom Wechsel von Tag und Nacht einmal ab. Die Wüste sah in alle Richtungen gleich aus. Hatte am Anfang zumindest noch die Silhouette von Helike und später die des Meeres in der Ferne ihr einen orientierungspunkt geboten, so gab es hier nur noch endlose Dünen aus weichem Sand, der sich bis zum Horizont erstreckte. Ihre Füße sanken bei jedem Schritt ein Stück ein und machten selbst das gehen Schwierig. Hinzu kam die Sonne, die Tagsüber unerbittlich brannte, nur um das Land Nachts in eisiger Kälte zurück zu lassen.
Zwar hatte Wys ihr alles an Vorräten mitgegeben, das sie brauchen würde, trotzdem war die Reise alles andere als einfach. Schon alleine, weil sie sich mittlerweile nur noch schwer davon abhalten konnte, ständig zum Wasserschlauch zu greifen. Der Weg wäre noch weit und wenn ihr hier draußen das Wasser ausging, wäre sie verloren.
Lediglich die Abende und der Morgen, der auf die Nacht folgte, entschädigten sie etwas für die Strapazen. Dann konnte man diesem Land seine Grausamkeit fast verzeihen, wenn das Licht der untergehenden Sonne, sich in allen Schattierungen von Rot auf den Kämmen der Dünen brach. Wirkte m grelles Mittagslicht alles hier draußen grell und steril so erfüllten die Sonnenaufgänge das Land mit Farbe. Von den tiefsten Blau und Silbertönen wenn nur noch die Sterne das endlose Sandmeer beleuchteten bis zu gleißendem Gold und rot, als wäre die ganze Wüste in das Gewand eines Königs gekleidet. Vielleicht würde sie dieses Land nie lieben lernen, dachte Naria. Die milden Küsten von Maras waren ihr schlicht lieber. Aber ihm Respekt zollen, das tat sie bereits nach wenigen Tagen.
Niemand hatte ihr sagen können, wo genau sich die Whaid verbergen mochten, nur das sich die Drachenabeter weit nach Süden zurückgezogen hatte, weiter, als die gelegentlichen Patrouillen aus Helike oder selbst die wenigen Menschen, die gewöhnlich mit ihnen Handel trieben, sich wagten. Nur einige ihrer Späher wagten sich noch näher an die großen Städte wie Kalenchor oder Helike selbst heran. Ihr blieb also nur übrig, sich auf den Weg nach Süden zu machen und das Beste zu hoffen. Bemerken würde man sie, das hatte Wys ihr versichert. Die Whaid ließen das von ihnen kontrollierte Gebiet nicht aus den Augen. Nut stellte sich die Frage ob das etwas Gutes war. Vermutlich nicht.
Naria ertappte sich dabei, wie sie immer wieder die umgebenden Dünen absuchte, konnte jedoch nichts entdecken. Soweit es sie betraf war sie nach wie vor alleine hier draußen. Trotzdem konnte einem die in der Hitze flimmernde Luft böse Streiche spielen, wie die Gejarn alsbald hatte feststellen müssen. Manchmal ließen sie sogar die Illusion von Wasser entstehen, das sich in den Senken zwischen den Dünen sammelte, doch sobald Naria näher kam, entpuppte sich das ganze jedes Mal schnell als Täuschung.
Deshalb schenkte Naria den Knochen auch zuerst keine wirkliche Beachtung, als sie den Gipfle einer weiteren Düne erreichte. Die großen am Horizont aufragenden Silhouetten konnten schlicht nicht real sein. Und doch verschwanden sie nicht, wie das Wasser es tat. Im Gegenteil. Mehr und mehr von ihnen schälten sich aus der Ödnis heraus, bis Naria langsam anfing sich zu fragen, ob sie nicht träumte.
Vor ihr erstreckte sich, soweit das Auge reichte, eine Landschaft aus Gebeinen. Und es waren keine menschlichen oder tierischen Überreste, die diese Ebene bedeckte.
Rippenbögen ragten wie Säulen einer gefallenen Kathedrale zum Himmel auf und warfen scharfe Schatten in den weißen Sand. An einer anderen Stelle waren Zähne halb im Sand vergraben worden, größer als eine Hellebarde. Und dann sah sie den ersten Schädel. Die gewaltigen Kiefer hätten einem ärmliches Haus Platz bieten können und um von der Schnauze bis zu den leicht gebogenen Hörnern der Kreatur hätte man wohl eine kleine Villa unterbringen können. Naria hatte zwar Berichte über die alten Drachen gelegen und die Jagd, die die Ordeal-Kaiser auf sie veranstalteten aber keine dieser Kreaturen war jemals als so riesig beschrieben worden, wie diese hier. Die Knochen waren von den Jahren und Jahrhunderten, die sie schon hier liegen mochten ausgebleicht und porös, trotzdem waren sie kalt, als Naria vorsichtig eine Hand darauf legte. Sie wäre die letzte die sich so schnell dem Aberglauben hingab, aber hätte sie in diesem Moment schwören müssen, sie hätte behauptet, die Knochen hätten sich bewegt. Leicht nur, aber irgendetwas war noch in ihnen. In Funke Leben vielleicht, der nicht ganz leben war. Magie… Rohe, magische Kraft, die auch nach all der Zeit noch aus den Überresten des Drachen in den umgebenden Sand blutete. Knisternd entlud sich ein kleiner Funke, als sie schließlich die Hand zurückzog. Das hier war ein Drachenfriedhof, dachte sie ehrfürchtig.
Diejenigen die es im Kaiserreich einst gegeben hatte, waren schon seit Ewigkeiten ausgeplündert, doch dieser hier war völlig intakt und von seiner Größe her… Geister, es mussten tausende sein. Generationen von Drachen, die hierhergekommen waren um ihr Ende zu finden, wenn sie es schließlich kommen sahen. Zwar waren diese ehrfurchtgebietenden Echsen fast genauso unsterblich wie ihr Ruf… doch auch ein Unsterblicher konnte Müde werden, dachte Naria bei sich.
Sie wanderte zwischen den Knochenbergen umher, ohne noch groß darauf zu achten, wohin sie ging. Schaurig war der Anblick allemal, trotzdem fühlte sie sich irgendwie zu keinem Augenblick bedroht. Im Gegenteil. Dieser Ort hatte etwas unglaublich friedliches. Auf Maras hatte es einen geisterbaum gegeben, den die wenigen ihres Volkes verehrten, die sich wieder den alten Traditionen der Clans zugewendet hatten. Naria war nur ein paar Mal dort gewesen aber das Gefühl war ähnlich gewesen. Hier jedoch war es ungleich stärker, fast betäubend.
Sie musste sich tatsächlich zum Weitergehen zwingen um sich nicht einfach in den Schatten einer verwitterten Kralle zu legen und eine Weile nur dazusitzen. Dann jedoch hörte sie plötzlich etwas. Etwas anderes, als das leise Heulen des Windes zwischen den Rippen der toten Drachen. Es war Gesang, der zwischen den monumentalen Gebeinen wiederhallte wie von einer Klippe. Ein feiner, melodischer Klang, der mehr ein Summen war, den wirkliche Worte. Naria zögerte einen Moment, dann machte sie sich jedoch tatsächlich auf, dem Klang zu folgen. Es war das erste Mal sei einer Gefühlten Ewigkeit, das sie auch nur ein anderes Lebewesen hörte..
Sie kletterte zwischen einigen Krallenknochen hindurch und musste über eilige Wirbel steigen, die wie eine kleine Mauer durch den Sand ragten.. und dann sah sie schließlich, woher der Gesang stammte.
Vor ihr lag eine kleine Fläche, die vom Wind von Sand und Geröll befreit worden war, so dass nur der nackte Stein darunter zurück blieb. Und darauf lagen weitere Gerippe. Diesmal nicht weit auseinander, wie noch auf dem Teil des Friedhofes, der nun hinter ihr lag, sondern in einem wilden durcheinander, das kaum mehr erkennen ließ, welcher Teil zu welchem Drachen gehörte, oder wie viele es eigentlich waren. Es war ein Wald aus Knochen und in diesem Wald, der das Plateau in ein durcheinander aus Schatten und Licht tauchte, kniete eine Frau. In ihrer Hand hielt sie ein Messer, das ohne Zweifel aus einem Drachenzahn gefertigt worden war. Das Material war fast genauso Hart wie Stahl und um einiges weniger Spröde. Denn was die fremde dort tat, hätte eine Klinge aus egal welchem Metall vermutlich einfach zerspringen lassen.
Unter weiteren, leisen Gesängen hob sie Respektvoll einen kleinen Knochen auf und begann langsam die weißliche, äußere Schicht abzutragen, die ihn fast wie Lack überzog. Lack, der einem Schwert standhalten konnte. Dennoch war es das einzige, was an den Überresten eines Drachen an die anderer Tiere erinnerte. Darunter schimmerte bläulicher Kristall, durchscheinend und ohne jegliche Verunreinigungen oder Einschlüsse… und für einen Magier um einiges wertvoller als Diamanten, wie Naria wusste. Der Orden und auch einige der Magier für Maras, nutzten Drachenknochen als Rohmaterial für Speicherkristalle, mit denen sich ein einmal eingebetteter Zauber auch für jene wirken ließ, die nicht über die entsprechende Gabe verfügten. Oder die entstehenden Juwelen wurden von Magiern genutzt um ihre eigenen Fertigkeiten zu steigern. So oder so… grade weil Drachen sonst überall so gut wie ausgestorben waren und es nur wenig Ersatz gab, waren ihre Knochen umso wertvoller und die daraus gefertigten Zauber beinahe unbezahlbar.
Die einzigen anderen Dinge, die neben Drachenknochen Magie speichern konnten, waren irrlichtstaub… und je länger Naria darüber nachdachte, vermutlich auch Sterneneisen. Es würde zumindest einige der Eigenschaften erklären, die Galrens Schwert aufwies. Auch nicht grade Dinge, über die man durch Zufall stolpern würde.
Die Frau hatte mittlerweile den Knochen komplett frei gelegt und ließ ihn mit weiteren leisen Gebeten und Gesängen in eine Tasche an ihrem Gürtel wandern. Auch wenn sie scheinbar nicht über Magie verfügte, ihre Worte schienen ihre ganz eigene Macht zu haben. Naria konnte spüren, wie die uralte, in den Knochen gefangene Magie darauf reagierte, die ganze Ebene leicht zu zittern schien…
Mit einem letzten gebet ließ sie schließlich das Messer sinken und sah zu Naria , die regungslos am Rand des kleinen Plateaus stand. Langsam erhob sie sich. Ihre Kleidung bestand aus grobem, ungefärbtem Leinenstoff, der ihr locker um den Körper fiel. Ihre Füße steckten in einfachen Sandalen, die bereits kurz davor standen auseinanderzufallen und an ihrer Hüfte hin der Beutel mit den Drachenknochen, sowie eine Scheide für den Dolch. Hinzu kamen ein Wasserschlauch und ein langer Mantel, die zusammen mit einem einfachen Stab an einem der Knochenberge in ihrer Nähe lehnten. Halblange dunkelrote Haare fielen ihr ins Gesicht, das von der Sonne braun gebrannt war und ein paar ebenso dunkler Augen sahen abschätzend zu der Gejarn hinauf. Vielleicht, dachte Naria, hatte sie auch noch nie eine Gejarn gesehen. Abseits von Helike gab es in der Wüste wohl nur noch Whaid und nach allem was Wys ihr über sie erzählt hatte, waren das alles Menschen. Was die Frage aufkommen ließ, was das Mädchen war.
Naria bezweifelte, dass sie schon ihren zwanzigsten Sommer erlebt hatte, auch wenn ihre leicht heruntergekommene Kleidung und der Schmutz auf ihrer Haut von mehr als genug Strapazen sprachen. Und sie hatte Macht… Ob es ihr bewusst war oder nicht, aber die Knochen selber hatten auf ihre Gesänge reagiert. Auch wenn sie keine eigene Magie besaß, das hätte Naria gespürt, sie wusste sich die anderer zu Nutze zu machen. Das konnte durchaus gefährlich sein.
Die Arme erhoben, so dass die junge Frau sehen konnte, das sie unbewaffnet war, trat sie näher.
,, Ich will euch nichts böses.“ , erklärte sie laut, als das Mädchen tatsächlich Anstalten machte, zu ihrer Tasche zu springen und davonzulaufen. ,, Bitte.. Aber ich suche die Whaid.“
Die junge Frau erstarrte wo sie war. Misstrauisch und ängstlich zugleich funkelten ihre Augen Naria an.
,, Ihr seid kein Knochendieb ?“ Die Frage wurde fast hoffnungsvoll gestellt. ,, Alle die hierher kommen wollen gewöhnlich nur die Überreste unserer Ahnen stehlen.“
,, Ah… und wie würdet ihr nennen, was ihr hier tut ?“ Naria nickte in Richtung des Messers und des Beutels voller freigelegter Drachenknochen an ihrer Hüfte.
,, Das... Das ist doch etwas völlig anderes.“ Trotzdem wurde sie rot. Offenbar war es für sie schon peinlich nur daran zu denken, mit einem dieser Grabräuber verglichen zu werden. ,, Aber ich bezweifle auch, das ihr das verstehen würdet. Die Fremden kommen hierher, ohne jeden Respekt und reißen an sich, was sie können. Deshalb seid ihr doch hier…“ Ihre Hand wanderte zum Messer, zitterte dabei sichtlich.
,,Mädchen, mich könnten eure Knochen nicht weniger interessieren.“ , seufzte Naria. Das fing ja gut an. Immerhin schien sie wirklich zu den Whaid zu gehören, sowie sie reagierte. ,, Ich will nur mit euch reden. Zu euren Bedingungen wenn es sein muss. Aber ich brauche ein paar Antworten von eurem Volk. Und ich komme auch nicht von den Archonten oder von Helike. Ich bin Naria Carmine. Meine Mutter ist Relina von Maras…“
Wenn das Mädchen etwas mit dem Namen anfangen konnte, so zeigte sie es zumindest nicht. Wenigstens ließ sie das Messer los. ,, mein Name ist Sine von den Whaid. Also…ihr… wenn ihr mich freiwillig begleitet, solle unser Anführer entscheiden, ob man euch Glauben schenkt.“
Sie verschluckte sich fast an ihren Worten. Da ist aber jemand nervös, dachte Naria und musste ein grinsen unterdrücken. Also gut, sie war ihrem Ziel offenbar ein Stück näher gekommen…
Sie waren fast den ganzen restlichen Tag unterwegs. Sine ging Naria voraus und versuchte offenbar alles, um ein Gespräch zu vermeiden. Ein paar Mal fragte die Gejarn sie etwas, erhielt aber entweder nur eine gestotterte oder unsichere Antwort. So fügte sie sich schließlich in ihr Schicksal und trottete der Whaid hinterher durch den brennenden Sand. Als es langsam dunkel zu werden begann, veränderte sich die Landschaft vor ihnen schließlich. Der Anblick von Wasser und sogar grünem Gras hier draußen inmitten der Einöde war für Narias Augen schon fast ungewohnt. Eben stolperten sie noch durch den Sand und plötzlich tat sich vor ihnen ein See auf. Im Abendlicht schimmerte das Wasser violett, dort, wo sich die Sonne auf den tieferen Stellen spiegelte. Ein Ufer war völlig verlassen, sah man davon ab, das es völlig von Bäumen und Büschen überwuchert wurde, die sogar bis in das Wasser hinein wuchsen. Grillen zirpten irgendwo im hohen Gras, das sich weiter weg vom Seeufer langsam ausdünnte, bis nur noch braune, kurze Halme die Ausläufer der ersten Sanddünen erreichten. Eine Oase inmitten der lebensfeindlichen Wüste.
Das gegenüberliegenden Ufer, dem Naria und Sine am nächsten wahren wurde von mehreren Feuern erhellt, die vor einer Ansammlung von Zelten brannten. Die meisten waren klein und unscheinbar, andere jedoch über den Resten ehemaliger Häuser aufgespannt, von denen nur noch einige Mauern standen. Weitere Ruinen lagen hinter der kleinen Siedlung und verloren sich zur Wüste hin im Sand und einige der Häuser schienen sogar noch so weit intakt, dass sie bewohnt wurden. Jedenfalls sah Narai Licht aus einigen der leeren Fenster dringen und der Rauch, der aus den eingefallenen Schornsteinen aufstieg roch nach brandendem Fleisch und Gemüse.
Ein kleines Schafgatter lag direkt auf ihrem Weg, als Sina Naria schließlich die letzte Düne vor der Siedlung herabführte. Die Tiere dösten träge vor sich hin und ließen sich scheinbar auch von den zwei Neuankömmlingen nicht stören. Andere jedoch bemerkten sie bereits. Einige Felder auf denen neben Getreide hauptsächlich einige wilde Sträucher wuchsen, lagen direkt am schlammigen Seeufer . Auch wenn es kurz vor Sonnenuntergang war, arbeiteten noch immer Leute darauf, die jedoch allesamt innehielten, als sie bemerkten, das Sine nicht alleine war. Man hatte sie bereits eingeholt, noch bevor sie den Rand der Siedlung erreichten.
,, Mädchen, wen hast du da bloß mitgebracht ?“ , fragte der Mann, der sie als erstes erreichte. Die Hacke, die er eben noch auf dem Feld genutzt hatte, hielt er dabei wie eine Waffe mit beiden Händen. Er trug die gleiche Kleidung wie die Whaid und auch seine übrigen Begleiter, die bald herbeikamen, waren eher schlicht gekleidet.
Er klang nicht unfreundlich, hatte einen dichten Bart, der fast seine Brust berührte, langsam ausgehende, braune Haare . Zwar blickte er misstrauisch in Narias Richtung, schien aber beruhigt, sobald er feststellte, dass sie keine Waffen mit sich trug.
,, Das.. weiß ich selbst noch nicht so genau.“ , gestand Sina unsicher. ,, Sie sagt ihr Name sei Naria, Belin. Ich wollte sie zum Ältesten bringen, damit er sie anhört…“
,, Aha.“ Der als Belin angesprochene Mann wendete sich nun wieder der Gejarn zu. ,, Große Drachen, wo hat sie euch bloß aufgelesen ? „, fragte er seufzend, grinste aber dabei. Die Drachenfriedhöfe, das wette ich… Sina, du warst wieder auf den Knochenfelder, oder?“
Das Mädchen senkte lediglich den Blick und nickte.
,, Wie oft habe ich dir schon gesagt du sollst dich da nicht alleine herumtreiben ?“
Sine schien sichtlich in sich zusammenzusinken. Belin schüttelte den Kopf und für den Moment schien Naria schlicht vergessen worden zu sein. Immerhin schienen diese Leute nichts gegen sie zu haben, aber dieses Mädchen begann tatsächlich an ihren Nerven zu zehren…
War ich auch mal so? , fragte sie sich und die Antwort war ein klares Nein. Steh halt zu deinen Fehlern, wie auch immer die aussehen. Geister, wie alt war sie? Sechzehn ? In deinem Alter hab ich längst als Magier in der Lichterhalle gestanden. Reiß dich halt mal zusammen.
,,Mir gefällt es dort.“ , brachte Sine schließlich hervor. Erneut sah sie zu Boden und versuchte tatsächlich, den Knochenbeutel an ihrer Hüfte irgendwie aus dem Blickfeld von Belin und den übrigen Whaid zu schieben. Ein Aussichtsloses Unterfangen, das ohnehin erst dafür Sorgte, das die Tasche auffiel.
,, Du hast wieder Knochen gesammelt ?“ Diesmal klang Belin tatsächlich wütend. ,, Abran wird ausrasten. Mädchen, du kannst nicht einfach zu den Knochenfeldern gehen und tun was dir gefällt.“
,, Aber…“ Zum ersten Mal hatte Naria das Gefühl, das Mädchen wolle aufbegehren, den Mann irgendwie korrigieren. Doch sie kam nicht dazu
,, Nichts aber.“ Erneut seufzte der Mann diesmal sichtlich verzweifelter. ,, Ich glaube du solltest unseren Gast besser endlich zu ihm bringen. Vielleicht längt es Abran genug ab, das er vergisst, nachzufragen wo du dich wieder herumgetrieben hast. Na los.“
Sine tat schließlich wie ihr geheißen. Zumindest schien die Aussicht dem Zorn dieses Abran zu entgehen, sie endlich aus ihrer Unsicherheit zu reißen, während sie Naria bedeutete, ihr zu folgen.
Die Siedlung war aus der Nähe betrachtet winzig. Von den Dünen aus hatte es noch gewirkt, als würden sie die verfallenen Häuser bis weit in die Wüste hinein ziehen, doch die meisten davon waren offensichtlich Unbewohnt, oder zu nichts mehr als ihren Grundmauern zerfallen.
Kinder tollten zwischen den Zelten umher, während Männer und Frauen um mehrere Feuer verteilt saßen. Sie unterhielten sich leise, doch wann immer Naria und Sine ihnen zu nahe kamen, verstummten die Gespräche und die Aufmerksamkeit aller richtete sich wieder auf die Gejarn. Naria war die unnötige Aufmerksamkeit zwar mehr als unangenehm, aber das ließ sich im Augenblick eben nicht ändern. Doch während sich die Leute zu ihnen umdrehten, viel ihr noch etwas anderes auf. Fast jeder einzelne von ihnen trug eine Tätowierung in Form eines Drachenkopfes, entweder am Hals, den Händen oder auf den Armen. Bei manchen war das Symbol schlicht gehalten, bei anderen wiederum ausgeschmückt und ausladend und mit geometrischen Symbolen verziert, die wohl die Schriftzeichen der Whaid darstellten.
Die Häuser die sie passierten bestanden größtenteils aus ungebrannten Lehmziegeln. Die Strohgedeckten Dächer wirkten genauso alt und verfallen wie alles hier, doch Naria bezweifelte, dass die Lücken wirklich einen unterschied machten. Hier draußen regnete es wohl ohnehin nicht. Kamele und Pferde standen neben den besser erhaltenen Gebäuden in kleinen Stallungen, die während der schlimmsten Hitze des Tages wohl zumindest etwas Schatten spendeten. Die meisten der Tiere lagen oder standen einfach nur Träge im Stroh, während einige Whaid sich darum kümmerten sie zu füttern.
Sine führte sie mittlerweile weiter weg von dem dichter bewohnten Teil der verfallenen Siedlung und hinein in das Ruinenfeld dahinter. Hier gab es kaum noch intakte Bauten, nur noch Zelte. Irgendwo hörte sie einen Hund bellen… Wenigstens jedoch wurden sie nicht mehr angestarrt. Hier draußen gab es nur noch vereinzelte kleine Gruppen von Whaid, die sich dicht um die Feuer drängten. Die Nächte hier draußen konnten überraschend kalt werden und auch jetzt am Abend wurde es bereits merklich kühler.
,, Also… diese Knochen…“ , setzte Naria an, hauptsächlich um überhaupt etwas zu sagen. ,, Was macht ihr damit ?“ Nach dem wie die übrigen Whaid reagierten, verkauften sie die Überreste ihrer Drachen bestimmt nicht an die Magier. Und das Sine alleine so etwas zu Wege brachte… das glaubte sie schlicht nicht. Dafür war sie viel zu unsicher. Also was hatte sie in den Knochenfeldern gesucht?
Eine Weile bezweifelte sie, dass das Mädchen ihr Antworten würde.
,, Ich mache das nicht für mich.“ , erklärte sie schließlich abwehrend. ,, Ich bringe sie lediglich zu Kareths Höhle. Ich weiß nicht wieso, nur das er es so wünscht. Und das die Knochen verschwinden. Er hat mich auch die Gesänge gelehrt, damit die Geister der Drachen mir nichts tun.“
Naria zog eine Augenbraue hoch. Hatte sie überhaupt eine Ahnung, was diese Gesänge eigentlich taten? Die Gejarn war sich selbst nicht ganz sicher… aber es war definitiv um einiges mehr als ein simpler Schutzzauber. Das was dieser Kareth diesem Mädchen beibrachte war… ungleich mächtiger.
,,Wer ist dieser Kareth ?“
,, Ein Drache.“ Sine flüsterte die Worte fast. ,, Er macht mir Angst….“
,, Aber wenn er euch befiehlt, die Knochen zu holen, warum sollten die übrigen Whaid dann etwas dagegen haben ? ich dachte das Wort eines Drachen wäre für euch Gesetz.“
,, Das gesprochene Wort vielleicht. Aber ich bin ihm nie persönlich begegnet. Und ich wage es nicht seinen Hort zu betreten.“
,, Wie hat er euch dann den Auftrag gegeben ? ich meine die Knochen zu holen?“
,, In meinen Träumen.“ In diesem einen Moment klang Sine in keiner weiße Unsicher. Ganz im Gegenteil. Naria runzelte lediglich die Stirn. Warum sollte ein Drache es nötig haben auf diese Art mit jenen zu sprechen, die ihm ohnehin dienten? Auf der anderen Seite, musste sie eine jahrtausendealte Echse verstehen? Nach allem was sie wusste hatten einige der alten Drachen sogar über die ersten Bewohner Helikes geherrscht… obwohl eine Kreatur von der Macht eines echten Drachen niemals einen Diener nötig hätte. Nur um schließlich von Laos und der von ihm angeführten Rebellion vernichtend geschlagen zu werden.
,, Und er hat euch nicht gesagt, wozu er diese Knochen braucht ?“
,, Nein. Aber ich glaube er braucht sie gar nicht. Er verbrennt sie. Ich glaube es ging ihm nur darum herauszufinden ob ich sie holen kann… und ob ich von ihm lerne.“
Nun jedenfalls brachte er ihr ganz sicher etwas bei, dachte Naria. Und das Mädchen schien es auch zu kontrollieren. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie das Knochenfeld auf die leisen Gebete der Whaid reagiert hatte. Wenn diese Überreste noch immer Macht enthielten… dann wäre das ganze Land dort damit durchtränkt. Selbst jenen, die nicht über eigene Magie verfügten würden dort draußen gewisse Fähigkeiten offen stehen. Eine primitive Form der Magie vielleicht sogar. Aber worauf sollte das ganze hinausführen? Egal wie talentiert, aus einem normalen Menschen machte man keinen Magier. Selbst wenn Sine meisterte, was sie dort draußen in der Wüste zu wecken versuchte, an jedem anderen Ort auf dieser Welt wäre es nutzlos. Einem Nichtmagier fehlte schlicht die Fähigkeit, die eigene Lebensenergie für Magie aufzuwenden.
,, Wie lange macht ihr das jetzt schon ? Ich meine, den Drachenfriedhof aufsuchen und für Kareth Knochen zu stehlen?“
,, Ich… ich stehle sie nicht.“ , erklärte Sine hektisch. ,, Ich verkaufe sie nicht, ich zerstöre sie nicht… ich…Ihr…“
,,Schon gut. Ich verstehe. Wie lange also ?“
Das Mädchen sah sie einen Moment misstrauisch an. Hatte sie etwas Falsches gefragt? Über alles andere hatte Sine bereitwillige gesprochen.
,,Seit… nun eigentlich seit ich laufen kann. Ich glaube das erste Mal kann ich noch kaum fünf gewesen sein.“
,, Und man hat euch alleine in die Wüste laufen lassen ?“
,,Ich… Meine Eltern sind tot. Das restliche Dorf hat mich praktisch gemeinsam aufgezogen. Aber es hatten eben nicht immer alle die Zeit ein Auge auf mich zu haben. Also bin ich davongeschlichen… Ich war fast den ganzen Tag dort, bis die anderen kamen um mich zu suchen. Belin hat mir danach eingebläut wie dumm das war…. “
,,Und trotzdem geht ihr immer wieder zurück.“
,, Ich… Ich kann mich doch einem Drachen nicht wiedersetzen.“ , erwiderte Selin. Offenbar war ihr selber klar, dass es wie eine Ausrede klang. Natürlich konnte sie das, dachte Naria. Erst recht wenn das besagte Wesen es scheinbar nicht einmal für nötig hielt, ihr persönlich gegenüber zu treten. Drache oder nicht, sie bekam offenbar mehr als genug Ärger dafür, seinen Anordnungen nachzukommen, dabei würde ein Wort von ihm wohl reichen um die Sache zu klären. Wenn was das Mädchen ihr erzählte den überhaupt der Wahrheit entsprach. Allerdings ist sie wohl auch zu ängstlich um die ins Gesicht zu Lügen, dachte sie. Und so verrückt es klang, es erklärte einiges.
Bevor sie jedoch noch viel länger darüber nachdenken konnte, hielt Sine schließlich vor dem Eingang eines mit Zeltleinen wieder Bewohnbar gemachten Hauses an. Von dem ehemals zweistöckigen Gebäude war nur die erste Ebene geblieben und die westliche Fassade war so weit eingefallen, das dort grade noch die Grundmauern standen. Zwischen den losen Steinen hatte man die Leinen für die Zeltwände verankert, so dass der Bau auch von dieser Seite wieder geschlossen war. Seltsamerweise waren sie jedoch gar nicht so weit von der Siedlung entfernt, wie Naria gedacht hätte. Hatte Sine sie etwa im Kreis geführt , während sie sprachen ?
,, Ich denke Abran wird uns schon erwarten.“ , meinte das Mädchen zögernd. ,, Belin wird ihm sicher schon einen Boten geschickt haben…“
Das war jetzt nicht ihr ernst. Naria war sprachlos. Belin war hinter ihnen bei den Feldern zurück geblieben. Hatte Sine sie also wirklich nur über einen längeren Weg geführt, damit dieser ihrem Anführer Bericht erstatten konnte… bevor sie es tun musste? Mädchen, irgendjemand wird sich mit dir einmal über Selbstvertrauen unterhalten müssen, dachte sie kopfschüttelnd, während sie an ihr vorbei und in den Eingangsbereich des Hauses trat.
Das Innere des Hauses war fast stockdunkel. Das einzige Licht stammte von den Lücken zwischen der zertrümmerten Fassade und dem darüber gespannten Zelt. Sand beschwerte diese zusätzlich auf der Innenseite, so das sich selbst mit dem aufkommenden Abendwind kaum bewegte. Einzelne Körner wurdne jedoch durch die Spalten im Stein hindurch geweht und sammelten sich in dem kleinen Vorraum, in dem Naria sich wiederfand. Hinter ihr fiel der Vorhang grade wieder zu, welcher den Eingang des Hauses bedeckte, ein schweres Stück Stoff, das mit einem geometrischen Muster bestickt war, da Naria an die Tätowierungen der übrigen Whaid erinnerte. Rasch gewöhnten sich ihre Augen an das Halbdunkel, während Sine zu einem der Fenster trat und den Teppich davor zurückschlug. Es roch seltsam in diesem Haus. Nach Tabak, dem Alter der Steine und dem geflochtenen Stroh aus dem die Decke bestand. Es gab nur einige wenige Möbelstücke, einige Sitzschemel und Kissen, geflochtene Körbe, in denen wohl Vorräte lagerten… Ansonsten jedoch war der Raum verlassen.
Langsam setzte sie sich wieder in Bewegung, als Sine keine Anstalten machte, ihren Platz am Fenster zu verlassen und folgte ihr erst, als Naria bereits Anstalten machte, durch einen weiteren Durchgang am anderen Ende des kleinen Flurs zu verschwinden. Beinahe schien das Mädchen Angst vor diesem Abran zu haben, der hier auf sie wartete.
Hinter dem zweiten Durchgang lag ein Raum nicht viel größer als der erste. Für die Verhältnisse hier draußen war es wohl allerdings ein kleiner Palast, dachte sie. In hohen Regalen lagerten dutzende vertrockneter Schriftrollen, fein säuberlich in lederne Schonbezüge gehüllt. Hinzu kamen einige Wandteppiche, die so alt waren, dass die einzigen Farben des Stoffes nur mehr zu erahnen waren. Was einst leuchtendes Grün gewesen sein mochte, war nun mehr grau, Blautöne waren zu der Farbe des ausgebrannten Wüstenhimmels verblasst. Trotzdem vielen Naria sofort die gleichen Symbole auf, wie schon auf dem Vorhang an der Tür. Hinzu kamen die Darstellungen und Bilder, welche die Tätowierungen der Whaid wiederspeigelten. Drachen, die hoch über den Wällen einer Stadt kreisten, deren Silhouette nur zu vertrau war. Geister, das musste wirklich uralt sein dachte sie. Vielleicht stammten manche davon sogar noch aus der Zeit, als die Whaid und ihre Drachen Helike beherrschten.
,, Gefallen sie euch ?“ , fragte eine Stimme vom anderen Ende des Raumes. Weitere Regale standen kreuz und quer verteilt und verbargen die Gestalt, die dort auf einigen Sitzkissen hockte fast vollkomme. Abran war selbst für Narias Augen nur ein Schatten, seine Stimme schneidend wie ein Schwert. Irgendwie klang er verbittert…
,, Das tuen sie, Herr.“ Naria beschloss, die Sache vorsichtig anzugehen, während sie einen unsicheren Blick zu Sine warf. Abran war für sein Volk zweifelsohne eine Respektsperson. Gab es irgendetwas, das sie beachten musste, wenn sie sich diesem Mann näherte? Das Mädchen jedoch war ihr in dieser Hisncith definitiv keine Hilfe. Sie stand schlicht wie erstarrt im Durchgang und versuchte wohl möglichst nicht aufzufallen.
Abran lachte, wobei Rauch aus seinen Nüstern trat, als wäre er selber ein Drache. Doch dieser stammte wohl lediglich von der Wasserpfeife die vor ihm auf dem Boden stand. Mit einer Geste bedeutete er Naria nur, sich zu ihm zu setzen. ,, Ihr auch , Mädchen. Ich weiß dass ihr da seid. Aber ich habe heute keine Zeit mich um eure Flausen zu Sorgen. Wie mir scheint haben wir einen Gast… den ich nicht erwartet hätte. Ich dachte eigentlich, eher sehe ich einen Archonten hier vor mir.“
,, Ihr wisst wer ich bin ?“
,, Ich kannte eure Mutter.“ , erwiderte Abran kühl und hob den Kopf. Er war ein bulliger Mann, der wohl bereits auf die fünfzig zuging. Das breite Gesicht, auf dem sich eine Tätowierung von der Wange bis zum Ohr zog war wurde bereits von den ersten, tiefen Falten gezeichnet. Der kahle Schädel und der sauber gestutzte, von grauen Strähnen durchsetzter Bart verliehen ihm trotz seines Alters etwas Kriegerisches, genau wie das Kurzschwert, das an seinem Gürtel glitzerte. Der breite Streifen weißen Leinenstoffs wirkte im Vergleich zu den Gewändern der übrigen Whaid die Naria bisher gesehen hatte überraschend edel, genau wie die bronzenen Armreife, die mit weiteren Drachendarstellungen verziert waren. Ansonsten jedoch war seine Kleidung genau so unauffällig und zweckmäßig, ein braunes Hemd, beigefarbene Hosen und leichte, offene Stiefel.
,, Ich ersuche euch um Hilfe.“ , erklärte Naria vorsichtig. Nach wie vor wusste sie nicht woran sie war, ließ sich jedoch auf einem Kissen in der Nähe des alten Whaid nieder. Sine tat es ihr, nach anfänglichem Zögern, gleich.
,, Und was glaubt ihr berechtigt euch dazu, diese in Anspruch zu nehmen ?“
,, Relina. Meine Mutter. Ihr sagtet ihr würdet sie kennen…“
,, Das tue ich..“ Der Mann zog Gedankenverloren an seiner Pfeife. Er schien nicht wirklich mit ihr zu sprechen, sondern lediglich in die Luft zu starren. ,, Relina… Es ist lange her, dass ich diesen Namen hörte. Und ihr seid ihre Tochter… Ich frage mich nur, was das für mich ändern sollte? Ich habe eure Mutter einst unterstützt, wisst ihr. Als sie noch einen anderen Namen trug.“
,, Ihr redet von Phönix, oder ? Vom Exodus der Magier ?“
,, Exodus.“ Abran spuckte ohne Vorwarnung aus. ,, Ich habe ihr geholfen, weil wir ein gemeinsames Ziel hatten. Zumindest glaubte ich das Anfangs. Die Archonten zu bezwingen. Nun, sie hatte andere Pläne. Nur verraten hat sie die keinem von uns, bis es zu spät war, bis wir ihr schon längst alles an Unterstützung gegeben hatten, das sie brauchte… Danach konnten wir alle nur noch mitziehen oder sehen wo wir bleiben.“
Naria Begriff langsam. Sie genau wie Wys hatte geglaubt, der Name ihrer Mutter sei bei den Whaid in guter Erinnerung geblieben. Nun so wie es aussah, war das nicht der Fall. Zumindest nicht, was Abran anging. Geister, das könnte schwieriger werden, als sie dachte.
,, Und deshalb seid ihr ihr immer noch böse ? Ich… Ich weiß dass es nicht an mir liegt, darüber zu urteilen, aber das ist mehr als zwanzig Jahre her. Ich war nicht einmal geboren.“
,, Und wenn es nur das wäre, Naria, ich hätte ihr wohl vergeben.“ , erwiderte der Whaid grimmig. ,, Wenn die Magier nicht kämpfen wollen… schön. Sollen sie uns allen eben aus den Weg gehen, das ist ihre Sache. Immerhin, so können die Archonten sie auch nicht mehr gegen uns einsetzen, sollten sie je so verzweifelt sein. Aber viele unseres Volkes gingen damals mit Relina. Viel zu viele. Sie hat sie vergessen lassen, dass dieses Land immer noch von Rechts wegen uns gehören sollte und doch hat eure Mutter, sie davon überzeugt, ihren Kampf aufzugeben…. Wir sind so schon wenige. Und sie hat uns um hunderte unseres Volkes betrogen. Wir haben mit Maras nichts mehr zu schaffen… und wir wollen es auch nicht. Am Ende haben wir zu viel an es und dieses leere Versprechen von Freiheit verloren. Eure Mutter, Naria, hat am Ende alles erreicht was sie wollte. Wir jedoch haben nichts davon. Sogar weniger als vorher. Und nun kommt ihr und verlangt nach mehr. Also sagt mir, warum genau sollte ich euch helfen wollen? Und wie würdet ihr an meiner Stelle reagieren?“
Naria hätte gerne etwas erwidert, doch bei der kalten Wut, die aus Arbans Stimme sprach fehlten selbst ihr einen Moment die Worte. Gerne hätte sie seine Vorwürfe zerstreut aber… dazu wusste sie schlicht zu wenig über das, was damals in Helike vorgefallen war. Vielleicht sollte sie Wys wirklich bitten ihr die ganze Geschichte zu erzählen. Und sie konnte nicht einmal behaupten dass die Vorwürfe des Whaid aus der Luft gegriffen wären. Naria kannte ihre Mutter. Wenn es um ihre Zeit in Helike ging, die Jahre, die sie im Untergrund verbracht hatte… Sie schwieg sich wohl nicht ohne Grund darüber aus. Maras war ihr Lebenswerk, sie hätte es sicher durch nichts gefährdet, selbst wenn das bedeutete, einen potentiellen Verbündeten anzulügen.
,, Weil ich nicht meine Mutter bin. Ich ersuche euch um Hilfe, weil ich Antworten brauche, Abran. In Helike gehen Dinge vor sich, die weder ich noch die Archonten ganz verstehen. Die ganze Stadt ist in Aufruhr…“ Und schien langsam aber sicher dem Wahnsinn zu verfallen, dachte sie stumm. Auch wenn von dem Angriff kaum mehr eine Schramme zu sehen war, sie erinnerte sich noch zu gut daran. Was konnte Leute von normalen Menschen in… so etwas verwandeln?
,, Lasst die Archonten sich doch gegenseitig umbringen. Das haben sie immer getan, egal wie Noel sie sich geben mögen… Fragt euren Vater, wenn ihr mir nicht glaubt. Und ihr habt meine Frage nicht beantwortete.“, stellte Abran fest. ,, Also beantwortet mir eine andere. Warum sollte mich kümmern, was in Helike geschieht? „
,, Weil es nicht um die Archonten geht. Tatsächlich macht der Archontenrat euer Volk für die Vorkommnisse verantwortlich, Abran. Vielleicht entscheiden sie schon in diesem Moment darüber eine Strafexpedition gegen euch zu entsenden. Denkt nach, wenn ihr so wenige seid, seid ihr erst recht verwundbar. Hier steht das Leben eures Volkes auf dem Spiel, das müsst ihr doch erkennen… Je eher ich mit Antworten nach Helike zurückkehren kann, desto eher kann ich sie davon abhalten. Und wenn ihr mir nicht dabei helft, werdet ihr euch vermutlich bald vor der Klinge eines Paladins wiederfinden.“
Zwar würde Wys wohl sicherlich zu verhindern wissen, dass es so weit kam, besonders jetzt wo Naria ihre Zweifel über die Identität der Prediger in Helike geäußert hatte… Aber das musste sie Abran ja auch nicht auf die Nase binden. Wenn er Angst hätte, würde er sich auch leichter überzeugen lassen. Mit Freundlichkeit würde sie bei diesem Dickschädel kaum weiterkommen, so wie er sich in seine Wut auf alles und jeden flüchtete.
Abran jedoch zeigte sich unbeeindruckt. Lediglich sein zögern verriet, dass er über ihre Worte nachdachte, seine Mine jedoch blieb starr, ausdruckslos. Der Whaid nahm einen weiteren Zug an der Pfeife und schloss kurz die Augen.
,, Ihr wisst nicht einmal, ob ich euch überhaupt helfen kann.“ , stellte er schließlich mit einem seufzen fest. Für Naria jedenfalls, war das genug. Sie hatte ihn da, wo sie ihn haben wollte.
,, Die Männer, die in Helike für Schwierigkeiten sorgen, kamen angeblich aus der Wüste. Zumindest der erste von ihnen. Ich kenne zwar nicht seinen richtigen Namen, aber er nennt sich selbst Träumer. Und er sprach auch von einem roten heiligen, der ihm Nachfolgen würde. Sagt euch das etwas?“
,, Ja, ich weiß von wem ihr sprecht. Diese beiden Namen machen hier draußen seit einer Weile die Runde. Und der Sand flüstert von noch ganz anderen Dingen. Er und sein Meister wandelten lange durch diese Wüste und wo sie gingen spürt man noch immer ihre Schatten. Wir sind keine Freunde dieser Wesen, das könnt ihr mir glauben. Dennoch weiß ich wenig über sie, was euch eine Hilfe wäre. Und genau so wenig sind wir Freunde der Archonten. Es könnte jedoch jemanden geben, der mehr weiß als ich. Zumindest wird er entscheiden können, ob ihr die Wahrheit sprecht… und Hilfe verdient.“
Jemand, der über Abran stand ? So wie die Leute sich ihm gegenüber verhielten schien er für die ganze Siedlung so etwas wie ein Ältester zu sein. Und unter den Whaid gab es keine Fürsten oder Könige außerhalb der einzelnen, kleinen Gemeinschaften.
,,Ihr sprecht von einem Drachen.“ , stellte Naria fest und nun war es an ihr, einen Anflug von Nervosität zu unterdrücken. Bisher hatte sie lediglich einige Tote gesehen, aber ein lebender, atmender Drache war dann doch etwas anderes.
,, Sein Name ist Kareth.“ Naria konnte sehen wie Sine bei der Erwähnung des Namens zum ersten Mal hellhörig wurde. Bis jetzt hatte sie es vermieden irgendwie aufzufallen, oder Abran oder Naria auch nur ins Gesicht zu sehen, während sie sich unterhielten. ,, Aber ich werde euch nicht mehr Heute zu ihm bringen. Er lebt nicht hier… und manchmal vergehen Jahre bis uns einer der Alten mit seiner Gegenwart beehrt. Wenn ihr unsere Hilfe wollt, werden wir uns auf dem Weg zu ihm machen müssen.“
Das hieß, sie würde wohl oder übel die Nacht über hier bleiben müssen… und dabei einen Tag verlieren. Aber es hieß das, oder mit leeren Händen abziehen. Da gab es nur ein Problem.
,, Ich stelle mich eurem Drachen, wenn es sein muss. Aber ich habe keine Unterkunft hier…“
,, Und ist das mein Problem ? Wie euch vielleicht aufgefallen sein sollte, wir haben nicht viel. Ihr könnt so lange hier bleiben wie ihr wollt, aber in der Zwischenzeit sorgt ihr besser selbst für euch. Das gilt auch für eure Vorräte, allen voran Wasser.“
,,Na danke auch.“ Naria unterdrückte einen Fluch. Sie hatte nach der Reise praktisch nichts mehr. Und wie sie so den Rückweg schaffen wollte, stand in den Sternen…
Zu ihrer Überraschung, war es jedoch Sine, die schließlich sprach. ,, Ihr… Sie kann bei mir bleiben.“ , erklärte sie und der vernichtende Blick, den Abran ihr dabei zuwarf sagte mehr als genug. Er hatte ganz sicher nicht von ihr erwartet, dass sie Naria irgendwie unterstützen würde.
Nun, vielleicht war das Mädchen doch kein Hoffnungsloser Fall, dachte sie.
Es war bereits dunkel, als sie Abrans Haus schließlich verließen. Der Whaid machte sich nicht einmal die Mühe, sie bis zur Tür zu begleiten und wenn Naria ehrlich war… er warf sie praktisch hinaus. Nach Sines Einmischung schien die Laune des Mannes sich nur noch verdüstert zu haben, bis er sie schließlich zum Gehen aufforderte. Und während Naria noch einen Moment sitzen blieb, war das Mädchen bereits fluchtartig zur Tür hinaus, ehe sie sich nur umdrehen konnte…
Sine wartete schließlich vor den verfallenen Stufen zum Hauseingang auf sie.
,, Was für ein Bastard.“ Naria schüttelte lediglich den Kopf , während sie den Teppich vor der Tür bei Seite wischte und an der wartenden Frau vorbeistapfte. Immerhin, er war nicht dumm genug gewesen, sie einfach wieder fortzuschicken, aber wenn die Drachen der Whaid auch nur annähernd so stur waren, hätten sie ein Problem. Und vielleicht nicht so viel Geduld.
Sine, die ihr schweigend folgte schien tatsächlich etwas in sich zusammenzusinken. ,, Abran… ist kein schlechter Mensch.“ , meinte sie zögerlich. ,, Wirklich nicht. Aber sein eigenes Volk steht bei ihm über allem anderen.“
,, Ja… das hab ich gemerkt.“ Oder vor allem, Abrans eigene Gefühle standen bei ihm über allem. Naria wusste nicht, ob Sine ihn nur aus Pflichtgefühl verteidigte, oder ob sie nach wie vor Angst vor diesem Mann hatte, aber.. es spielte wohl auch keine Rolle. ,, Danke übrigens. Ohne euch hätte ich wirklich ein Problem.“
,, Ich kann doch nicht zusehen, wie er jemanden so behandelt. Wir… Ich habe euch als Gast hergeführt, oder? Also habe ich auch darauf zu achten, dass man euch wie einen behandelt.“
Nun zumindest an Pflichtgefühl schien es ihr wirklich nicht zu mangeln, dachte Naria.
Die Siedlung und die verfallenen Ruinen, durch die Sine sie führte, waren mittlerweile so gut wie verlassen, die Vorhänge und Türen der Zelte und wenigen bewohnbaren Häuser längst geschlossen. Nur hier und da flackerte noch ein ersterbendes Feuer in der Nacht.
Das Zelt das schließlich vor ihnen aus der Dunkelheit auftauchte war kaum größer als einer der Verschläge, welche die Whaid für ihre Pferde nutzten und als Sine schließlich die Decke vor dem Eingang zurückschlug und Naria ihr ins Innere folgte, wirkte alles sogar noch kleiner. Das Zelt war hoffnungslos überfüllt. In einer Ecke stapelten sich Säcke und gewebte Körbe aufeinander, in einer anderen mehrere Decken, die wohl sowohl als Sitzgelegenheiten wie auch zum Schlafen dienten und direkt hinter dem Eingang gab es schließlich ein kleines Regal, in dem neben verwitterten Schriftrollen auch einige bauchige Tongefäße standen.
in der Mitte des ganzen Durcheinanders befand sich eine kleine Feuerstelle, in der noch Glut glomm und deren Rauch über eine Lücke in der Zeltdecke abziehen konnte. Getrocknete Pflanzen hingen zusammen mit etwas, das nur weitere Drachenknochen sein konnten, von der Decke. Naria musste leicht geduckt gehen um nirgendwo anzustoßen. Sine hingegen hatte dieses Problem nicht und wich auch dem tiefer hängenden Sammelsurium aus Gegenständen zielsicher aus. Vermutlich hing das ganze schon so lange dort, das die Whaid bereits genau wusste, wann sie den Kopf einziehen musste.
Mit einer Geste bedeutete sie Naria lediglich, sich einer der Decken zu nehmen und sich ans Feuer zu setzen.
,, Es ist nicht viel. Aber es wird euch für die Nacht reichen.“ Sine klang fast entschuldigend, während sie einige Holzstücke aus einem der Körbe holte und sich daran machte, die Glut in der Feuerstelle neu zu entfachen. Das Mädchen schien jeden Blickkontakt mit Naria zu vermieden, auch als die ersten Flammen schließlich hoch aufloderten und sie schweigend am Feuer saßen. Entweder hatte sie nach wie vor Angst, diesmal vor ihr, oder fürchtete sich schlicht auch nur etwas zu sagen.
Schließlich jedoch wurde es Naria zu Bunt. ,, Ich fresse schon niemanden.“ , erklärte sie entnervt und Sine zuckte bei den Worten zusammen, als hätte die Gejarn soeben ihre Gedanken erraten.
,,Ich…“ , setzte die Whaid an.
,, Glaubt mir, das habe ich mir frühzeitig abgewöhnt. Menschen sind zu zäh…“
Das Mädchen sah sie lediglich völlig entgeistert an. Soviel also zu Sarkasmus, dachte Naria. Offenbar überhörte Sine den spöttischen Ton in ihrer Stimme einfach. Sie würde aber auch nicht den Rest des Abends hier herumsitzen, während Sine sich vor Angst oder Unsicherheit in eine Ecke verkroch.
,, Hört zu“ , begann Naria . ,, Es tut mir leid wenn ich euch Schwierigkeiten mache. Ich kann mir auch draußen irgendwo einen Platz suchen.“ Zwar würde die Nacht empfindlich kalt werden, aber das war besser, als angestarrt zu werden, als sei man ein Monster. Teilweise konnte sie es Sine wohl nicht verübeln. Das Mädchen war auch so schon schreckhaft genug und dieser Tag hatte wohl mehr Aufregung mit sich gebracht, als die Siedlung im restlichen Jahr erleben würde. Das hieß natürlich nur, wenn sie Erfolg hatte, dachte Naria.
,,Nein. Bleibt. Das ist das mindeste. Ehrlich gesagt…ich glaube ihr habt mich heute vor mehr Ärger bewahrt als ich wieder gut machen kann. Wenn er ohne euch erfahren hätte, das ich am Drachenfriedhof war… Abran reagiert normalerweise… nicht so ruhig wie Belin.“
Naria würde gar nicht erst fragen, aber der verängstigte Ton des Mädchens verriet ihr genug. Du meinst dass er dich schlägt, dachte sie grimmig. Sprich es doch wenigstens aus.
Abran hatte bereits mehr als bewiesen, dass er einen Groll über lange Zeit hegen konnte. Und wen man ihm dabei nicht einmal entfliehen konnte… Seine Wut auf ihre Mutter konnte Naria verstehen. Wenn seine Geschichte der Wahrheit entsprach war seinem Volk übel mitgespielt worden. Oder zumindest dem Teil, der sein ,,Recht“ auf Helike noch nicht aufgeben wollte. Aber Sine war weder eine Bedrohung für ihn, noch tat sie etwas Schlimmes, sah man davon ab, das sie vielleicht ein paar grundlegende magische Rituale kannte. Vielleicht waren die Whaid und die Anhänger von Laos sich in manchen Dingen ähnlicher, als sie einsehen wollten.
Und trotzdem hatte das Mädchen scheinbar nicht aufgegeben. Immerhin, vielleicht tue ich ihr Unrecht, dachte Naria. Sie hatte zumindest nicht den Kopf in den Sand gesteckt, sondern weitergemacht, wo andere wohl einfach aufgegeben hätten.
,, Wollt ihr vielleicht etwas essen ?“ , fragte Sine leise und riss Naria damit aus ihren Gedanken. Erst bei der Frage wurde ihr klar, wie hungrig sie eigentlich war. Seit sie das Mädchen am Morgen in den Knochenfeldern gefunden hatte, hatte sie nichts mehr gegessen.
,,Bitte.“
Sine, offenbar froh, etwas tun zu können, zog einige der Körbe zu sich heran und förderte nach kurzer Suche einige Streifen Trockenfleisch und einen altbackenden Brotlaib zu Tage.
,, Es ist nicht viel.“ , erklärte sie, während sie das Brot in zwei Teile brach und einen davon der Gejarn reichte.
,, Es ist mehr als ich erwarten kann.“ Und hör auf dich ständig zu entschuldigen, fügte sie in Gedanken hinzu. Es war nicht ihre Art, aber die ständige Unsicherheit des Mädchens zehrte bereits jetzt an ihren Nerven. ,, Also… wie ist dieser Kareth so ? Wie es aussieht, werde ich mich morgen mit ihm auseinandersetzen müssen. Sind eure Drachen schlimmer als Abran oder weniger stur?“
,,Ich… bin ihm nie persönlich begegnet.“ , antwortete Sine. ,, Wie gesagt… ich weiß nur, was er mir in meinen Visionen aufgetragen hat. Und die Höhle eines Drachen ohne dessen Erlaubnis oder einen guten Grund zu betreten… das wage ich nicht.“
Aber du lässt trotzdem zu, dass man dich wegen seiner Befehle ächtet. Naria war sich nach wie vor nicht ganz sicher, was sie von ihrer Geschichte halten sollte. Auf der anderen Seite, sie hatte mittlerweile verrücktere Dinge als Visionen gesehen und gehört. Und Drachen verfügten über Magie, deren Ursprünge mindestens so weit zurückreichten, wie die des alten Volkes.
Nachdenklich kaute Naria auf einem Streifen Trockenfleisch. Hoffentlich waren die Götter der Whaid weniger stur, als ihre mehr weltlichen Herren.
Sine hatte derweil eine der Flaschen vom Zelteingang geholt und zwei kleine Gefäße aus gebranntem Ton damit gefüllt. Naria roch einen Moment skeptisch an der dunklen, Flüssigkeit. Die Konsistenz erinnerte sie an Sirup und selbst der Geruch war fast ungenießbar süßlich. Um das Mädchen jedoch nicht noch mehr zu verunsichern, nippte sie trotzdem kurz daran. Erneut dachte sie lediglich an irgendeinen Sirup aus eingekochten Früchten, gleichzeitig jedoch machte sich das leichte brennen von Alkohol bemerkbar.
,, Was ist das ?“ , fragte sie vorsichtiger geworden und stellte das Gefäß bei Seite.
,, Ich… verzeiht, wenn es euch nicht schmeckt dann…“
Naria seufzte resigniert. ,, Ich wollte nur wissen, was es ist.“ , erklärte sie und nahm nun gezwungenermaßen noch einen Schluck.
,, Also… es wird aus vergorenen Feigen gemacht. Meisten aus denen, Wir haben hier draußen nicht viel und das ist eine Möglichkeit auch die Früchte zu verwenden, die eigentlich schon verdorben sind. Sie werden einfach wie sie sind gepresst, zwar gewinnt man dabei nicht viel, aber man braucht auch kein zusätzliches Wasser. Und wir können es vor allem selbst herstellen. Bier hält sich hier draußen nicht gut… mal davon abgesehen, was wir es uns kaum leisten können, die wenigen Händler, die sich zu uns wagen, auch noch dafür zu bezahlen.“
Für ein Volk, das wie die Whaid auf jeden tropfen Wasser und wohl auch jede Münze angewiesen war, schien das tatsächlich Sinn zu machen, dachte Naria. Trotzdem lehnte sie ankend ab, nachdem das Gefäß einmal leer war und bat Sine, ob sie etwas Wasser heiß machen könnte.
Einen Moment sah die Whaid sie lediglich komisch an, als verstünde sie nicht, was die Gejarn vorhatte. ,, Wollt ihr jetzt noch etwas kochen ?“
,, Eigentlich ist das zum Trinken gedacht.“ , erwiderte Naria schmunzelnd. Wenigstens zeigte das Mädchen mal eine andere Reaktion als Angst.
,, Warum sollte jemand heißes Wasser trinken wollen ?“ Sine runzelte die Stirn, tat aber, worum die Gejarn sie gebeten hatte und setzte einen kleinen Kessel über dem Feuer auf. Es dauerte auch nicht lange, bis das Wasser zu kochen begann und Naria rasch begann, ihre Tasche nach einigen Kräutern zu durchsuchen. Als sie schließlich die Teeblätter und einige andere Pflanzenteile vor den Augen der Whaid ins Wasser fallen ließ, schien diese tatsächlich kurz zusammenzuzucken.
,, Was.. was macht ihr?“ Für Sine sah es vermutlich so aus, als hätte sie grade einfach eine Kessel Trinkwasser vergeudet, in dem sie wahllos ein paar Blätter hinein geworfen hatte. Blätter, die es zu allem Überfluss auch noch dunkel färbten, als sei es mit irgendetwas verschmutzt.
,, Tee.“ , erklärte Naria ruhig, während sie den Inhalt des Kessels einen Moment ziehen ließ. Von Sine ließ sie sich zwei weitere Becher geben, die sie vorsichtig auffüllte, bis nur noch einige Kräuter am Boden des Topfes schwammen.
,, Was ist Tee ?“ Vorsichtig nahm Sine den Becher entgegen, den Naria ihr hinhielt. Vermutlich hatte sie in ihrem Leben noch nie etwas anderes, als Wasser getrunken, dachte Naria bei sich. Von dem seltsamen Feigenschnaps einmal abgesehen und von dem würde sie sich wiederum so gut es ging fernhalten.
Langsam jedoch wurden auch diese Becher gelehrt. Sine rollte sich schließlich in einer Ecke des Zelts mit einer Decke zusammen, während Naria noch lange am langsam ersterbenden Feuer saß und beobachtete, die wie letzten Holzspäne zu Glut zerfielen. Der morgige Tag würde womöglich über das weitere Schicksal der Whaid entscheiden. Und über das von Helike und auch ihr selbst. Hoffentlich konnte sie das auch diesem Drachen klar machen, wenn schon nicht Abran. Sie wusste nicht, was sie zu erwarten hatte, wenn sie einmal vor dieser Kreatur stand. Und das machte ihr Sorgen. Es gab wenige Dinge, die sie verunsichern konnten. Und wenn dann hatte sie sich wenigstens darauf vorbereiten können. Doch einem lebenden Drachen war sie nie begegnet, geschweige denn wusste sie mehr, als die Berichte der Großen Drachenjagd der Ordeal-Kaiser hergaben. Und die waren schon fast mythologisch…
Naria kramte weiter in ihrer Tasche und förderte schließlich eine Pfeife zutage, doch als sie nach dem kleinen Tabakbeutel griff, den sie ganz am Boden aufbewahrte, fühlte dieser sich bereits enttäuschend leicht an. Lediglich einige Krümel fielen noch heraus, als Naria den Beutel drehte und in ihrer Hand ausklopfte. Großartig… Vermutlich ein Loch irgendwo im feinen Gewebe des Beutels. Ihr Tabak jedenfalls wehte jetzt irgendwo im Sand der Wüste umher… So viel dazu, dass sie diesmal einen kleinen Vorrat mitnehmen wollte. Enttäuscht warf sie den leeren Beutel einfach in die Flammen und sah zu, wie diese kurz aufloderten. Erst kurz vor der Dämmerung breitete sie schließlich ebenfalls eine Decke über sich und schlief, an eine Kiste gelehnt, ein.
Noch im Morgengrauen wurde Naria schließlich wieder aus dem Schlaf gerissen. Sine war offenbar bereits wach und rüttelte sie einen Moment an der Schulter, bevor sie auch schon aus dem Zelt stürzte. Die Gejarn fluchte leise, während sie sich langsam aufsetzte und gegen das dämmrige Licht blinzelte, das durch den offenen Zelteingang fiel.
Draußen warte Abran bereits auf sie. Der Mann hatte jeglichen Schmuck abgelegt, das war das erste was ihr auffiel. Genau genommen, schien sich seine ganze Erscheinung geändert zu haben. Statt der leichten Kleidung vom Vortag, trug er nun einen langen Mantel, aus weinrotem Stoff und schwere Stiefel, die eher für einen langen Marsch durch schweres Gelände geeignet schienen, denn für die Hitze der Wüste. Hinzu kamen ein Rucksack und ein schwerer Holzstab, auf den er sich stützte.
Er erklärte nicht, wohin sie gingen, sondern bedeutete ihnen nur, ihm zu Folgen. Der Rest des Dorfes schlief scheinbar noch, während Abran sie an den Ruinen und dem großen See vorbei führte.
Sine nutzte die Gelegenheit, um noch rasch ein paar Wasserschläuche aufzufüllen, während der ältere Whaid einfach stoisch weiter ging. Er selber hatte sein Wasser und seine Vorräte… und er würde offenbar nicht auf sie warten, dachte Naria grimmig. Einen Moment war sie unsicher, ob sie bei Sine bleiben oder besser dem beharrlich schweigenden Abran folgen sollte. Der Mann schien es beinahe darauf anzulegen, sie abzuschütteln. Schließlich jedoch, erhob sich das Mädchen wieder und eilte ihrem Führer hinterher.
Der Weg aus der Siedlung der Whaid hinaus führte sie stetig weiter nach Süden. Bald befanden sie sich wieder inmitten der endlosen Dünen und die grüne Oase, die sie keine Stunde zuvor verlassen hatten, verblasste bereits zu einer bloßen Erinnerung. Rotes Morgenlicht flutete über die gewaltigen Sandhügel und brachte auch die erste Wärme des Tages mit sich. Noch knirschte stellenweise eine kaum sichtbare Eisschicht über den Sandkörnern, doch wenn die Sonne erst ganz aufging, würden sie sich bald die Nacht zurück wünschen. Und Naria hatte keine Ahnung, wie weit der Weg werden würde.
,, Ihr habt doch gesagt ihr wärt schon bei Kareths Höhle gewesen, wisst ihr wie weit es bis dorthin ist ?“ , fragte sie schließlich an Sine gerichtet.
Die junge Whaid antwortete nicht sofort, sondern sah einen Moment unsicher zu Abran.,, Genau weiß ich es nicht.“ Erst als sie sicher war, das der Mann sich außer Hörweite befand fuhr sie schließlich fort. ,, Normalerweise dürfen nur die Vorsteher einer Siedlung die Drachen alleine aufsuchen. Und selbst das… geschieht sehr selten. In manchen Dörfern nur einmal pro Generation, wenn überhaupt.“
,, Was hat das mit dem Weg zu tun, der vor uns liegt ?“ Zumindest erklärte es, wieso Sine sichergehen wollte, das Abran nichts davon mitbekam. Wenn sie schon dafür geächtet wurde, die toten Drachen der Whaid zu stören… wie sah das dann erst mit den Lebenden aus?
,, Einiges… ich… Normalerweise wissen wir auch nicht, wo die Höhle eines bestimmten Drachen liegt. Ich bin nur meinen Visionen gefolgt. Und ich weiß nicht, wie lange ich unterwegs war. Vielleicht habe ich auch einfach das Zeitgefühl dabei verloren. Manchmal scheint der Weg mich Tage zu kosten, manchmal nur wenige Stunden. Und ein paar Mal habe ich mich wohl auch verlaufen. Die Träume sind nicht immer ganz klar. “
,, Euer Drache lässt euch also einfach blind rauf loslaufen und hofft, dann das ihr euch schon nicht verlaufen werdet ?“ Naria schüttelte den Kopf. ,, Dieser Kareht scheint sich einen Dreck darum zu kümmern, was mit euch geschieht. Wisst ihr, ich bin ihm bisher noch nicht einmal begegnet und fange trotzdem schon an zu zweifeln, ob er mir zuhören wird.“
,,Nein das… Er ist nicht so, Naria. Das müsst ihr mir glauben.“
,, Ihr sagt auch, das ihr ihm nie persönlich begegnet seid. Woher wollt ihr das also wissen?“
,, Ich weiß es einfach.“ Zum ersten Mal klang Sine nicht unsicher oder abwehrend. ,, Mir ist klar, das ihr das nicht versteht aber… ein Drache sieht die Dinge unmöglich so, wie ein Mensch es tut. Oder ein Gejarn. Ich glaube es fällt ihnen sogar schwer, Menschen differenzierter zu betrachten, wisst ihr? Im Vergleich zu ihnen sind unsere Leben nur ein Wimpernschlag, wir nichts weiter als unterschiedliche Stimmen, die doch zu ein und derselben Sache gehören.“
,, Das spricht nicht grade für Kareth.“
,, Nun… er scheint es zumindest zu versuchen.“ , entgegnete Sine. ,, Sonst hätten sicher alle Whaid Visionen, meint ihr nicht ?“
Vielleicht… oder aber es war ihm schlicht egal, wer ihm diente, solange er eben ein nützliches Werkzeug bekam, dachte Naria. Sine war naiv zu glauben, dass ein Wesen, das sich nach ihren eigenen Worten kaum für Menschen, ihre Konflikte und Gefühle , interessierte, nicht einfach ohne guten Grund auch ihr Leben auf den Kopf stellen würde. Und das hatte dieser Kareth ganz offenbar getan…
Mittlerweile hatte die Landschaft begonnen, sich zu verändern. Die Sanddünen wurden zunehmend flacher und leichter zu erklimmen, je weiter Abran sie nach Süden führte. Gegen Mittag schließlich war das Sandmeer fast komplett verschwunden. Lediglich einzelne Ausläufer der größeren Dünen ragten noch in die raue Ebene hinein, die sich nun vor Naria und den anderen erstreckte. Statt Sand ragten hier Steine und große Felsen aus der Erde hervor,, zwischen denen braunes Gras wuchs. Echsen huschten über die warmen Steine und versteckten sich in den Schatten darunter, sobald sich die kleine Gruppe näherte. Grillen und kleinere Insekten stoben in Wolken vom toten Gras oder den kleinen Pfützen Wassers auf, die sich in den Mulden im Boden sammelten. Es roch nach Schwefel und Fäulnis und selbst wenn Naria kurz vorm verdursten gewesen wäre… davon zu trinken hätte wohl genauso sicher den Tot bedeutet.
Sie hatte nicht gedacht, dass es neben der Wüste einen trostloseren Ort geben konnte, doch diese hatte wenigstens noch ihre eigene, raue Schönheit gehabt. Das hier jedoch… war nur noch Ödland, wie sie mit einem Schaudern feststellte. Die Felsen boten nicht einmal dem Gras einen richtigen Halt. Bis zum Horizont gab es nichts als grau-braune Einöde, aus der in einiger Entfernung mehrere Berggipfel hinausragten. Angeordnet in einem Halbkreis wirkten sie fast wie die Finger einer Hand.
Undurchsichtiger, schwarzer Rauch schwebte über zwei der forderten Gipfel wie eine dunkle Wolke. In der unbewegten, warmen Luft schienen sie fast Teil des Bergs zu sein.
Jetzt wurde Naria auch langsam klar, wieso Abran seine Schuhe getauscht hatte. Für den Weg durch die Wüste waren die leichten Sandalen sicher angebracht, hier draußen jedoch wurde damit jeder Schritt schnell zu einer Qual. Besonders für Sine, die nicht das Glück des älteren Whaid hatte, den Weg wirklich bewusst zu kennen. Das dünne offene Schuhwerk bot kaum Schutz vor den Spitzen Steinen und der Untergrund war auch so bereits tückisch. Es dauerte keine Stunde, bis sie schließlich immer weiter hinter Abran zurückfielen, der seinen Weg stumm fortsetzte. Eigentlich müssten sie eine Rast einlegen , dachte Naria… sie bezweifelte jedoch, dass der Whaid dann auf sie warten würde. Dem Mädchen war das offenbar ebenso klar, denn sie biss lediglich die Zähne zusammen und versuchte, weiter mit ihnen Schritt zu halten.
Naria verfluchte Abran innerlich. Er hätte sie wenigstens warnen können, wie schwierig der Weg werden würde… Aber sie würde dem Mann definitiv nicht den Triumph gönnen, nach einer Pause zu fragen. Sie ließ sich lediglich ebenfalls etwas zurückfalle um ein Auge auf das Mädchen zu haben und bot ihr schließlich auch eine Handvoll schmerzstillender Kräuter an, die Sine dankend annahm. Es würde ihnen etwas Zeit verschaffen, dachte Naria, aber lange konnte vor allem das Mädchen nicht mehr so weiter machen.
Und schließlich kam es, wie es kommen musste. Sine hatte es mittlerweile geschafft, fast wieder zu Abran aufzuschließen, trotz der Schmerzen die ihr mittlerweile jeder Schritt bereiten musste. Der Whaid nahm es lediglich mit einem kurzen Blick über die Schulter zur Kenntnis und schien seine Schritte tatsächlich noch einmal etwas zu beschleunigen. Es war beinahe unheimlich, wie zielsicher, er seinen Weg durch das Geröll fand, beinahe, als wäre es gar nicht da. Sine jedoch hatte dieses Glück nicht und strauchelte mehrmals, wenn ihre Füße in einem Spalt oder zwischen einem Felsen hängen blieben.
Naria war langsam tatsächlich so weit, den Spott des alten Mannes auf sich zu nehmen. Das war doch Wahnsinn. Bevor sie jedoch dazu kam, Sine zuzurufen, stehenzubleiben, stolperte das Mädchen endgültig. Naria sah nur noch, wie ihr Fuß sich zwischen zwei Felsen verhakte und sie das Gleichgewicht verlor. Im selben Moment jedoch, wirbelte Abran herum, schneller als sie es für einen Mann seines Alters je für möglich gehalten hätte. Wie der Blitz fing er Sine auf und half ihr mit einem Ruck zurück auf die Füße.
Einen Moment starrte er das Mädchen nur grimmig an. ,, Geht gefälligst langsamer, wenn ihr müsst.“ , erklärte er dann. ,, Wenn ihr euch den Hals brecht nützt das niemanden etwas. Ich lasse euch schon nicht zurück…“ Sein Blick traf Naria, als hätte er ihre Gedanken von zuvor erraten.. Aus seiner Stimme sprach zwar Abenigung über die Vorstellung, auf sie warten zu müssen, gleichzeitig jedoch, wirkte die Geste, mit der er Sine wieder aufhalf geradezu fürsorglich. Wie hatte das Mädchen gesagt, seine erste Sorge galt seinem eigenen Volk. Und offenbar schien es da keinen Unterschied mehr für ihn zu machen, was sie sonst noch sein oder getan haben mochte.
,, Es geht schon.. verzeiht.“ , murmelte Sine und versuchte bereits weiterzugehen. Abran jedoch hielt sie an den Schultern fest.
,, Es geht eben nicht.“ Suchend blickte er über die Ebene hin zu demjenigen der Berge, der ihnen am nächsten war. ,, Aber es ist nicht mehr weit. Wir gehen ab jetzt langsamer… und achtete darauf, wo ihr eure Füße hinsetzt, Mädchen.“ Abran lächelte zum ersten Mal, während er sich kopfschüttelnd umdrehte und seinen Weg fortsetzte, langsamer diesmal, so das sowohl Sine als auch Naria wieder mit ihm mithalten konnten. Und dann erreichten sie schließlich die ersten Ausläufer der Berge.
Abran führte sie zielsicher einen Pfad hinauf, der sich in schmalen Serpentinen die Felswände hinauf Wand und teilweise mit primitiven Werkzeugen in den Stein geschlagen worden war. An einer besonders steilen Stellen wurde aus dem Pfad schließlich eine Treppe , die sich nach wie vor endlos nach oben zu ziehen schien. Die Stufen waren abgenutzt, brüchig und von Regen und Flugsand gleichermaßen glatt geschliffen, dennoch, wurde ihr Weg langsam angenehmer, je höher sie kamen. Die Luft kühlte sich merklich ab . Erste Spuren von Vegetation tauchten an den Hängen auf, Anfangs nur einige grüne Moose und Flechten, die bald von verkrüppelten Bäumen abgelöst wurden. Kleine Bäche sprudelten aus den Felswänden hervor und überspülten stellenweise auch ihren Weg.
Das Wasser war eiskalt, wie Naria feststellte, als sie während einer kurzen Pause Wasser schöpften und in den tieferen Tümpeln, wo die Bäche von Felsen und Erde gestaut wurden, entdeckte sie sogar Fische. Ihr Aufstieg führte sie schließlich bis knapp unterhalb des Gipfels, wo der Pfad auf einer großen Felsterrasse endete. Im Sten des Berges klaffte eine gewaltige Öffnung, groß genug, das manche Tore im Vergleich dazu winzig gewirkt hätte. Abran trat demonstrativ auf den Höhleneingang zu.
,, Das ist es.“ , erklärte er lediglich. Mittlerweile war es empfindlich kühl geworden und auf dem Teich, der sich in einer Nische der Terrasse befand, schwamm tatsächlich Eis.
Bäume, nicht halb so groß wie Naria selbst und mit verdrehten Ästen wuchsen in den flachen Mulden im Stein, wo sich im Laufe der Zeit Erde gesammelt hatte. Zwischen den ebenfalls verkümmerten Wurzeln wuchsen Gräser und Farne. Man konnte das brennende Ödland hier beinahe vergessen, zumindest solange man nicht nach unten sah. Aus dieser Höhe konnte man Meilenweit in alle Richtungen sehen und alles, was Naria sah, waren weitere Felsen und Berge. Nur ganz am Horizont, noch weiter im Süden meinte sie einen Streifen Grün auszumachen. Auch wenn dieser Ort vielleicht so aussah, es war doch noch nicht das Ende der Welt, dachte sie schmunzelnd. Der Felsdurchgang, vor dem Abran auf sie wartete, wirkte allerdings auch nicht grade einladender. Allerdings… welche Wahl blieb ihnen? Umdrehen war sicher keine Option. Allerdings klang das, was sie bisher über diesen Drachen gehört hatte auch nicht sonderlich ermutigend.
Die Gejarn gab sich einen Ruck. Mehr als ihr seine Hilfe zu verweigern konnte auch er nicht. Hoffentlich…
Das innere der der Höhle war nicht so stockdunkel, wie Naria zuerst befürchtet hatte. Schächte durchzogen den Fels über ihren Köpfen, durch die schummriges Licht hereinfiel. Wasser tropfte beständig von der Decke herab und bildete Tropfsteinsäulen und Vorhänge. Das wenige Sonnenlicht brachte die filigranen Gebilde zum Glitzern als wären Wände und Böden der Höhle mit Diamanten überkrustet. Einige der Kristalle zersprangen mit leisem Knacken unter ihren Füßen, während Abran sie langsam tiefer in das Halbdunkel führte. Schwefeldunst stieg von den kleinen Becken am Höhlenboden auf in denen sich das Wasser sammelte. Flammen spiegelten sich auf der ruhigen, unbewegten Oberfläche wieder. Abran hatte eine Fackel entzündet, die er aus seinem Gepäck geholt hatte und übernahm erneut die Führung über die kleine Gruppe.
Von einem Drachen war bis jetzt nichts zu sehen, auch wenn es langsam wieder wärmer wurde. Auf dem Felsplateau hatte Naria noch gefroren, hier jedoch erinnerten die Temperaturen zunehmend wieder an die Wüste der Whaid. Und noch immer war kein Ende ihres Wegs in Sicht. Im Gegenteil, es ging beständig weiter in die Tiefe. Der Boden wurde leicht abschüssig, so dass das Tropfwasser sich in zwei kleinen Rinnen links und rechts von ihnen sammelte und abwärts floss. Anfangs waren es nur kleine Ströme, die jedoch beständig breiter und wilder wurden, je weiter sie kamen. Auch wenn das Gestein dort mittlerweile ebenfalls von Kristallen und Tropfstein überkrustet war, wirkten diese Gräben nicht natürlich… , dazu waren sie zu symmetrisch und perfekt zueinander und auch der Abstieg war klar von Menschenhand bearbeitet worden. Kleinere Stufen führten in seiner Mitte entlang, während sich direkt neben den Wasserrinnenbreitere Absätze in den Stein gehauen worden waren, viel zu groß, als das ein Mensch sie einfach so erklimmen könnte. Aber ein Drache… Alles hier war überdimensioniert und definitiv nicht für Menschen gemacht.
Naria warf einen Blick zur Decke, die sich mittlerweile in schwindelerregender Höhe über ihnen befand. Nur noch vereinzelt fanden Lichtbalken ihren Weg in die Tiefe und sprenkelten die Stufen in ein tückisches Muster aus Schatten. Selbst die Kohlenbecken, die in regelmäßigen Abständen in die Wände eingelassen waren, trugen wenig dazu bei, ihren Weg zu erhellen. Zwar entzündete Abran sie der Reihe nach, aber das stetig herabtropfende Wasser brachte die hochzüngelnden Flammen rasch wieder zum Erlöschen. Mittlerweile war sie sich sicher, dass dieser Ort nicht ganz natürlichen Ursprungs sein konnte. Vielleicht die Höhle weiter oben, aber das hier… Sie betrachtete die Felswände links und rechts von ihr. Auch diese waren mit einer neuen Gesteinsschicht aus durchscheinendem Kristall überzogen worden, doch dahinter meinte sie noch Fugen und glatte Mauern zu erahnen.
Auf halbem Weg die Treppe hinab wiederum erhob sich ein Altar, gefertigt aus einer schweren Granitplatte, so groß wie eine Hauswand. Dieser Ort war ganz sicher nicht dazu gedacht, von Menschen betreten zu werden, dachte sie erneut. Trotzdem fühlte Narai sich nicht bedroht, während sie zu Abran und Sein trat, die am Altar auf sie warteten. Im Gegenteil… Es schien dieser Ort hatte die gleiche Ausstrahlung wie der Drachenfriedhof… friedlich und doch keinesfalls zu Unterschätzen.
,, Hier habe ich immer die Knochen zurück gelassen.“ , erklärte Sine leise, während sie die große Steinplatte hinter sich ließen. Die Treppe führte auf beiden Seite darum herum und die Stufen wurden entsprechend schmaler und tückischer. Von den Drachenknochen die das Mädchen gesammelt hatte, fehlte zumindest jede Spur. Dafür jedoch bemerkte Naria etwas anderes…
Ein Luftzug, der ihnen entgegenschlug, je weiter sie hinab stiegen . Und wurde es nicht auch wieder heller?
Noch ehe sie lange darüber nachdenken konnte, endete die Treppe schließlich, vor einem großen, aus dem Stein gehauenen Rundbogen. Die beiden Wasserrinnen vereinigten sich davor und die kleinen Sturzbäche verschwanden rauschend durch ein Gitter in der Mitte des Durchgangs. Dahinter wiederum folgte ein kurzer Tunnel, an dessen Ende Naria Tageslicht erkennen konnte. Aber das war doch unmöglich… Hatten sie den Berg am Ende einmal durchquert?
Abran jedenfalls sagte nichts dazu, sondern bedeutete ihnen lediglich, dicht bei ihm zu bleiben, während sie hinaus ins Licht traten.
Einen Moment wurde Naria von der unerwarteten Helligkeit geblendet, als sie und die anderen ins Freie traten. Zumindest hatte sie das zuerst gedacht. Doch sie befanden sich keinesfalls bereits draußen. Auf allen Seiten umgaben sie nach wie vor hohe Felswände, die sich zu einem fast perfekten Kreis zusammenschlossen. Von oben jedoch fiel Licht in das steinerne Rund hinein und sorgte dafür, dass es fast Taghell wurde und sogar einige Pflanzen sich hier angesiedelt hatten. Kleine Bäume, Gräser und Blumen wuchsen um Quellen mit warmen, dampfenden Wasser herum…
Dieser Ort kam Naria fast wie ein Garten vor, während sie Abran weiter folgte. Der Mann schien selber nicht mehr genau zu wissen, wohin es ging, denn er führte sie auf einem wahllosen Pfad durch ein kleines Wäldchen hindurch. Einzelne Wassertropfen fielen von oben herab und perlten an den Blättern der Bäume ab, die sich über ihnen nun fast wie ein Dach zusammenschlossen. Tatsächlich regnete es und ab und an fand sogar eine Schneeflocke ihren Weg bis zum Boden der Höhle. Sie mussten direkt unter dem Gipfel sein, dachte die Gejarn fasziniert und der Schnee stammte irgendwo von dort oben…
,, Was sucht ihr hier ?“ Die Stimme, die aus dem nichts zu kommen schien, hallte von den Felswänden wieder. Ein fragender, forschender Ton, der Naria die Haare zu Berge stehen ließ. Oder vielleicht war es auch das, was sich dahinter verbergen mochte, das ihr Angst machte. ,, Wieso kommt ihr ungeladen an diesen Ort ? Ihr betretet heiligen Boden, Menschen.“
Das Gefühl des Friedens das Naria schon in der Höhle gespürt hatte, war nach wie vor da, doch nun war es deutlicher, spürbar fast… Und es schien sich zu bewegen, zu verschieben. Abran und Sine sanken rasch auf die Knie, während sie immer noch versuchte herauszufinden, woher die Stimme kam.
,, Kareth… wir sind gekommen, weil wir euren Rat suchen.“ , erklärte der Whaid rasch.
,, Und doch habe ich nicht nach euch gerufen.“ Der Sprecher war scheinbar überall und nirgendwo, seine Worte hallten von den Felsen wieder., verzerrten sich, wurden zu einem Chor. Trotzdem hatte Naria das Gefühl, das der Drache nicht weit sein konnte. Und dann öffnete sich ein einzelnes, goldenes Auge, direkt vor ihnen. Ein eigenes Feuer schien darin zu brennen, ein Mahlstrom aus, schwarz und Gold und einem eisigen Blau. ,, Noch habe ich danach verlangt, dass ihr auf die Knie sinkt. Steht auf Mädchen. Wir sind keine Fremden, nicht wie eure Begleiter…“
Sine erhob sich zögernd und nun kam auch Bewegung in die Gestalt des Drachen. Er hatte anscheinend hinter den Bäumen gelegen, im Schatten der Steinwände, wo er kaum zu sehen gewesen war. Nun jedoch erhob er sich und Narai wich unwillkürlich einige Schritte zurück. Die Bäume wirkten plötzlich unvorstellbar klein, während die Kreatur sich zu voller Größe aufrichtete. Doch trotz seiner Größe bewegte sich der Drache mit einer Anmut, die beinahe an einen Tänzer erinnerte. Ohne auch nur eine Blume oder einen Baum zu zertreten trat Kareth auf sie zu. Seine Augen blieben dabei fast die ganze Zeit auf Sine fokussiert. Weiße Schuppen bedeckten den Körper des Drachen vom dornenbewehrten Schweif über die vier Krallenbewehrten Füßen, von denen jeder so groß wie eine der Säulen in der inneren Stadt war, bis hin zum gehörnten Schädel, dessen Kiefer mit dutzenden schwertlanger Reißzähne besetzt waren. Selbst die Schwingen waren durchscheinende, weiße Membranen , durch die sich glänzende Adern zogen, als wäre es flüssiges Gold und nicht Blut, das in den Adern der gewaltigen Echse rann. Oder besser, eine der schwingen war es. Die andere fehlte. Dort wo der linke Flügel aus dem Körper des Drachen hervortrat, war nur noch ein Stumpf übrig. Narben zogen sich die gesamte Flanke entlang, tiefe Furchen, die der wilden Schönheit dieses Wesens jedoch wenig nahmen. Mit jeder Bewegung des Drachen irisierten seine Schuppen wie Perlmutt.
,, Kareth…“ Sine senkte den Kopf. ,, Ich bitte um Verzeihung. Wir wollten euch nicht stören.“ Auch wenn sie sich mittlerweile erhoben hatte, wich sie dem direkten Blickkontakt mit dem Drachen aus. Dieser war mittlerweile vor der kleinen Gruppe zum Stehen gekommen und setzte sich ihnen in den Weg. Der gesunde Flügel überschattete die Bäume und blockte fast das Sonnenlicht aus, das von oben durch den Schlund fiel, der den Berggipfle formte. Unter der abgetrennten Schwinge jedoch spiegelte sich das Licht auf etwas, das Naria nur zu bekannt vorkam. Knochen, aus bläulichem Kristall, die dort im Moose zwischen den Baumwurzeln verteilt lagen. Und nicht willkürlich, wie ihr klar wurde. Die größeren und kleinen Überreste formten tatsächlich die Umrisse eines Drachenflügels. Nur einige Lücken klafften noch hier und dort. Konnte es sein, das Sine genau danach gesucht hatte?
Sie konnte dem Mädchen ansehen, das es kurz davor stand, das Weite zu suchen. Besonders als sich die Schnauze des Drachen langsam ihren Kopf näherte. Dieses Wesen konnte sie alle mit einem einzigen Zuschnappen seiner Kiefer töten… Stattdessen jedoch stupste es Sine nur gegen die Stirn um dann im Gegenzug den Kopf vor ihr zu senken.
,, Ich fürchte ich bin es, der um Verzeihung bitten muss.“ Nach wie vor schien die Stimme des Drachen von überall und nirgends zu kommen. ,, Ich habe euch auf einen schweren Weg geschickt Kind. Und es wird nicht leichter werden, ihn weiterhin zu gehen.“
,,Warum ? Wozu die Knochen was…“ Sine sah endlich auf und nun schimmerte nicht mehr Unsicherheit in ihren Augen, sondern lange unterdrückte Wut. ,, Wozu das alles ? Antwortete mir !“
Sie hielt den Beutle mit der Ausbeute der letzten Tage hoch und schleuderte sie vor der Gestalt des Drachen zu Boden. Kristallknochen verteilten sich im niedrigen Gras vor Kareths Krallen.
,, Ich habe befürchtet, das ihr so reagieren würdet.“ Das große Wesen schloss einen Moment die Augen und der Garten um sie herum schien dabei tatsächlich düsterer zu werden. Als würden hinter diesen Liedern tatsächlich zweigoldene Feuer leuchten. Mit einem Seufzen packte der Drache die Knochen. Die Klauen dieser Kreatur schiene fast so beweglich und Geschickt, wie die eines Menschen, den zielsicher legte er nun die Überreste an ihrem Platz in dem großen Mosaik des Flügels, dann trat er beiseite und sah noch einmal in Sines Richtung.
,, Ich verstehe nach wie vor nicht.“ , erklärte das Mädchen zögerlich. Naria jedoch spürte, wie sie etwas veränderte. Es war nicht sofort wahrnehmbar, doch sobald der letzte Knochen an seinem Platz war, schien die Luft im inneren des Kraters plötzlich schwerer zu werden. Lichtfunken zuckten zwischen den einzelnen Segmenten hin und her, zuerst kaum sichtbar, dann jedoch beständig heller.
Naria und die anderen wichen instinktiv zurück, während der Drache blieb wo er war und seine verkrüppelten Schwingen ausstreckte, bis der Krater erneut in Dunkelheit verschwand. Diesmal jedoch war die Finsternis nicht vollkommen. Die Knochen glühten jetzt buchstäblich von innen heraus und erfüllten die Höhle mit einem bläulichen Schimmer. Zitternd bewegten sich die ersten Überreste , bevor sie schließlich , einer nach dem anderen in die Höhe stiegen, genau dorthin wo der verletzte Drachenflügel gewesen wäre. Erneut leuchteten die Knochen auf, während sich kurzerhand Gewebe und dünne Membranen neu formten und um sie legten. Muskeln und Adern zogen sich durch die neu entstehenden Flügel, bis die letzten Lichtfunken schließlich verloschen und nur noch Kareth zurück blieb, diesmal jedoch mit zwei Schwingen die ihre Schatten über die kleine Gruppe warfen.
,, Ich habe euch ausgesandt, meinen Flügel zu suchen, Kind. Und ich hatte nicht gedacht, das ihr es auch schaffen würdet.“
,, Aber… Ihr hättet jeden anderen darum bitten können. Ihr hättet Abran darum bitten können.“ Das Mädchen sah entsetzt zu dem Drachen auf.
,, Das hätte ich. Und doch war das Risiko zu groß. Ich verlange nicht, das ihr mir verzeihen könnte, ich habe lange versucht, diese Knochen wieder zu bekommen. Schon seit der Zeit, als wir aus Helike vertrieben wurden.“
,, Wer hat euch den verletzt ?“ , wollte Naria wissen. Jetzt wo sie einmal vor Kareth stand konnte sie sich nicht wirklich vorstellen, was einen Drachen jemals gefährlich werden könnte.
,, Der alte Widersacher des Laos.“
,, Ihr meint den letzten Drachenkönig… warum sollte er einem anderen Drachen so etwas antun ?“ Abran sah ebenfalls irritiert zu der gewaltigen Kreatur auf.
,, Wenn ihr glaubt, es hätte unter den Drachenherrschern keine Meinungsverschiedenheiten und keine Intrigen gegeben, kleiner Mensch, dann fürchte ich , kennt ihr unsere Art nicht wirklich. Ich habe mich in den letzten Tagen gegen ihn gestellt, habe darauf gedrängt, dass er seinen Zorn auf den Drachentöter besänftigt und eine gütliche Lösung sucht. Doch vergebens. Und am Ende war es diese Blindheit und diese Wut, die ihn vernichtet haben. Nicht jedoch, bevor er mir als Strafe für meinen Wiederspruch einen Flügel ausriss und die Knoche über den Friedhof unserer Ahnen verteilte auf das ich sie nie zurückerlangen würde.“
,, Und als ihr sie zurückhattet, konntet ihr sie wiederherstellen.“ , stellte Naria fest. ,, Warum nur so ?“
,,Ein Drache kann vieles überleben und sich von Wunden erholen, die andere Wesen das Leben kosten würden, doch unsere Magie wird in unseren Knochen gebunden und fokussiert. So wie ein Magier sie wiederum nutzen kann um seine eigene Macht zu steigern. Ohne sie, war ich geschwächt. Stellt es euch so vor, als würde man euch eure Schreibhand hinter den Rücken binden. Ihr würdet sicher noch schreiben können, aber es würde euch sehr viel mehr Mühe bereiten. Und ehrlich gesagt… ich brauchte eine ganze Weile um mich davon zu erholen. Und sie dann auch zu finden. Doch in meinem Zustand wagte ich es nicht, mich selber auf die Suche danach zu machen. Es gibt auch unter den wenigen Überlebenden Drachen noch jene, die ihren König nicht als das sehen was er war. Ich konnte nicht riskieren, dass sie irgendwie davon erfahren. Es tut mir leid, dass ich euch dafür benutzen musste, aber mir blieb kaum eine andere Wahl. Nun sagt mir, was ihr begehrt… und sofern es in meiner Macht steht, werde ich euren Wunsch auch erfüllen.“
Alle Augen ruhten auf Sine. Das Mädchen stand keinen halben Schritt von dem Drachen entfernt. Seine letzten Worte hallten noch immer gespenstisch von den Wänden wieder, während sie alle darauf warteten, das Sine etwas sagen würde. Es war ganz sicher nicht alltäglich, ein solches Angebot von einem Drachen zu bekommen. Plötzlich jedoch wirkte sie wieder so unsicher und verschüchtert wie eh und je, während sie zu der großen Kreatur aufsah. Kareth hatte den Kopf leicht schräg gelegt, während er auf eine Antwort wartete, die Flügel eng an den Körper gefaltet.
Das einzige Geräusch, das die Stille ab und an durchbrach, war das Topfen des Wassers, das vom Rand des Kraters hinab lief und das leise Flüstern des Windes zwischen den Bäumen.
,, Ich wüsste nicht, was ich verlangen könnte.“ , erklärte Sine schließlich leise. ,, Abran ist hier, er hat euch bereits gehört.“
,, Und ich werde nicht vergessen, was ihr getan habt.“ , meinte der ältere Whaid betreten. ,, Kareth ist nicht der einzige, der euch zu eine Entschuldigung verpflichtet ist. Es… Was immer ich in der Vergangenheit gesagt haben mag, es tut mir leid. Was immer ich getan haben mag… ich bitte um Vergebung.“ Naria konnte spüren, wie viel Überwindung ihn diese Worte kosteten. Trotzdem schreckte er nicht davor zurück, dachte sie. Nun, er mochte nicht grade der freundlichste Mann sein, den sie kannte, aber er stand zumindest zu seinen Fehlern. Naria musste zugeben, dass sie sich vielleicht in ihm getäuscht hatte.
,, Vergeben und vergessen.“ , meinte Sine und ihr war anzuhören, das sie es so meinte. Das Mädchen war nicht nachtragend, doch als sie sich wieder dem Drachen zuwendete, flackerte doch wieder etwas Wut in ihr auf. ,, Ihr habt mich gefragt ob es etwas gibt, das ihr für mich tun könnt. Wie gesagt gibt es nichts, das ich mir wünsche.“ Sie deutete auf Naria. ,, Aber diese frau kam zu uns um uns um Hilfe zu bitten. Gewährt ihr diese. Das soll mir Lohn genug sein.“
,, Und was ist euer Anliegen Gejarn ?“ Naria fühlte sich plötzlich selber unwohl, als sich die ganze Aufmerksamkeit des Drachen erstmals auf sie richtete. ,, Ihr seid nicht wie die anderen, die ihren Weg im Laufe der Jahrhunderte hierher fanden. Mir ist bisher nur einmal ein Gejarn mit einer Gabe wie eurer begegnet und das ist lange her. Er reiste sogar in Laos Gefolge, wenn mich nicht alles täuscht.“
Naria zog überrascht eine Augenbraue hoch. Wenn der Drache die Wahrheit sprach… und ihre Familie die einzige war, die bisher über die Gabe der Magie verfügte, dann… war einer ihrer Vorfahren ein Begleiter des Mannes gewesen, dessen Gesetze später die Verfolgung aller Magier anordnete? Das schien keinen Sinn zu ergeben. Und doch hatte Kareth sicher keinen Grund darüber zu lügen…
,, Was führt euch also hierher ?“ , fragte der Drache neugierig.
,, Ich komme zu euch, im Auftrag der Archonten von Helike. Um genauer zu sein im Auftrag meines Onkels. Wys Carmine. Die Stadt ist in Aufruhr, Kareth, vor allem durch die Anhänger eines Mannes, der sich selbst Träumer nennt… und selber offenbar jemanden untersteht, den ich bisher nur als den roten Heiligen kenne. Seine Anhänger kamen aus der Wüste, weshalb die Archonten euer Volk verdächtigen… ich glaube das jedoch nicht.“ Nicht in Helike und erst recht nicht, nachdem sie die Whaid einmal kennen gelernt hatte. Selbst Abran war vielleicht nachtragend und alles andere als freundlich… aber er hatte gezeigt, dass er nicht Ungerecht war. Und trotz seines Grolls bezweifelte sie, das er so dumm wäre, die Archonten zu provozieren, nicht wenn das Leben seines Volkes dabei auf den Spiel stand. ,, Um was ich euch also bitte ist, dass ihr mir sagt, was ihr über diese Leute wisst. Und jemanden zu den Archonten entsendet, damit er sie überzeugt, dass die Whaid nichts mit den Unruhen zu tun haben.“
Eine Weile lang folgte auf ihre Worte nur schweigen. Kareth musterte sie eingehend. Der große Drache wirkte plötzlich nicht mehr so überlegen wie zuvor. Im Gegenteil… Es war schwer seine Mimik zu lesen, aber wenn Naria es nicht besser gewusst hätte, würde sie behaupten, er fürchtete sich tatsächlich.
,, Ich kenne diese Namen und glaubt mir, wir haben nichts mit ihnen zu tun. Den, den ihr Träumer nennt kam auch zu unserem Volk , wie man mir berichtet hat. Zweimal. Das erste Mal ist viele Monde her, damals war er auf den Weg in die Wüste, aber ursprünglich kam er aus Helike. Ein Mann in den Roben eines Archivars. Dennoch hat er bei uns Unterschlupf gesucht und wir haben ihn ziehen lassen, vielleicht glaubten manche auch, er sei einfach verrückt geworden, mit kaum mehr als einem Wasserschlauch ins Sandmeer aufzubrechen… und viele waren sich wohl sicher ihn nie wiederzusehen. Doch er kehrte zurück und beim zweiten Mal hatte er sich verändert. Er sprach zu uns von einem neuen Gott… doch meine Kinder haben nicht Jahrtausende lang ausgehaart um sich so einfach von ihrem Weg abbringen zu lassen.“ Der Drache wirkte fast traurig, während er sprach. Wie hatte er sie gewarnt, nicht alle überlebenden Drachen sahen ihren einstigen König auch als das, was er wirklich war. Ein wahrhaftes Monster… Und diese würden wohl auch niemals Frieden mit den Männern schließen wollen, die sie für ihr Exil hier draußen verantwortlich machten. Bedauerte Kareth am Ende , dass sein Volk, genau wie die Whaid so viele Generationen verschwendet hatte, in seinen Groll auf Helike und seine neuen Herrscher? ,, Als ihm klar wurde, das ihm niemand zuhören würde, ging er und nahm die wenigen Anhänger, die er gewonnen hatte mit sich. Mehr jedoch weiß auch ich nicht über ihn. Nur dies: Er kam nicht aus der Wüste, nicht ursprünglich zumindest, sondern aus Helike selbst.“
,, Die Archonten werden sich freuen.“ , meinte Naria resigniert. Allen voran Larth. Sie konnten die Schuld an den Unruhen in der Stadt nicht mehr auf die Whaid schieben. Nicht wenn deren Ursprung aus ihren eigenen Reihen kam.
,, Und deshalb werde ich jemanden mit euch senden, der für mich mit ihnen sprechen kann.“ , erklärte der Drache ernst. ,, Dieser Konflikt dauert nun schon zu viele Generationen… und er wird nicht in einer einzigen beigelegt werden. Aber einen ersten Schritt kann ich tun. Wenn ihr mit einem der Unsrigen zurückkehrt, wird das hoffentlich Pfand genug sein, damit sie uns glauben schenken.“
Damit aber wäre der Bote am Ende kaum mehr als eine Geißel, dachte Naria. Vor allem, wenn die Archonten sich trotzdem entschieden, ihm nicht zu glauben. Ein Teil von ihr wollte protestieren. Sie konnte doch niemanden mitnehmen, wenn sie nicht einmal für dessen Leben garantieren könnte… So viele Veränderungen Wys auch bewirkt hatte, allein das die Archonten nach wie vor als erstes die Whaid verdächtigt hatten, zeigte ihr, das die Herrscher Helikes nach wie vor ihre ganz eigenen Vorbehalte gegen die Drachenanbeter hatten. Andererseits… welche Wahl hatte sie? Ohne jemanden, der ihren Bericht auch bestätigte… wie hoch standen die Chancen, das die Archonten stur blieben?
,, Ihr scheint nicht glücklich darüber zu sein.“ , stellte Kareth fest, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
,, Nun, sagt mir, wenn ich mich irre, aber mir erscheint das eher, als wolltet ihr ein Bauernopfer bringen.“ Naria war selber überrascht, wie bitter ihre Wirte klangen.
,, Nein. Ich habe nicht vor, das Leben eines meiner Kinder zu gefährden, Gejarn. Ihr werdet bald verstehen. Aber ich kann auch nicht zulassen, dass dieser Konflikt eskaliert. Es geht hier immerhin um das Schicksal meines ganzen Volkes. Man könnte also sagen, wir haben einen gemeinsamen Feind, in diesen Männern, die in Helike Unfrieden stiften. Und genau deshalb ist es umso wichtiger, das euch jemand begleitet, auch um den Archonten seine Hilfe anzubieten, sofern sie sie wünschen.“
Vielsagend Blickt der Drache in Richtung der zwei wartenden Whaid. Sine war praktisch hinter einem der Bäume verschwunden, während Naria mit ihm sprach. Der kurze Wutausbruch schien bereits wieder Vergangenheit, stattdessen sah sie nur mit ängstlichem Blick zu Kareth.
Abran hingegen schien einen Moment lang mit sich zu kämpfen. Es war klar, dass es einer von ihnen sein würde, den der Drache losschicken wollte. Und wenn der alte Whaid eines sicher nicht wollte, dann Helike seine Hilfe anbieten müssen. Und doch war es der Auftrag eines Drachen, dachte Naria. Es war ihm nicht möglich, sich dagegen zu sträuben. Trotzdem schwenkte der Blick des Drachen langsam in Richtung Sine. Das schien den Ausschlag zu geben.
,,Ich werde gehen, wenn ihr es wünscht.“ , erklärte Abran rasch und trat schützend vor das Mädchen.
Naria wurde mulmig zu mute. Keiner von beiden war geeignet, dachte sie. Sine war ein nervöses Wrack, wenn man sie unter Druck setzte und Abran… Geister, wenn dieser Sturkopf auf die Archonten traf, gäbe dass eine Katastrophe.
,,Nein.“ Die Stimme des Drachen hallte von den Wänden des Kraters wieder. Einige kleine Gesteinsbrocken rieselten herab und landeten auf den kleinen Schutthalden am Fuß der Felsen.
Sine wich noch weiter hinter ihren Baum zurück und sogar Abran machte einen Schritt zurück. Naria war sich unsicher, ob sie erleichtert sein sollte, oder nicht.
,, Aber…“ Abran trat wieder vor. ,, Bitte. Ich bin der Anführer meine Siedlung. Sie ist nur ein Mädchen. Wenn jemand im Namen der Whaid mit Helike sprechen sollte, dann…“
,, Seit ihr schwerhörig, Mensch ?“ Kareth legte den Kopf schief und seine Schnauze war plötzlich nur noch eine gute Armlänge von Abran entfernt. Naria musste ein grinsen unterdrücken, während der Whaid sichtlich um Fassung bemüht war. Der Drache fing langsam an, ihr zu gefallen. Auch wenn sie ihn nach wie vor nur schwer einschätzen konnte. ,, Euer Mut ehrt euch, aber ich glaube ihr habt eure Antwort bereits.“
Sine wirkte, als wäre sie am liebsten an Ort und Stelle im Boden versunken. Die Angst des Mädchens war nur zu offensichtlich… und diesmal wohl auch nur zu berechtigt, dachte Naria. Aber sie brauchte jemanden, das stand außer Frage.
,, Bitte, schickt Abran mit mir und ich bin damit zufrieden.“ , hörte die Gejarn sich selbst sagen. Auch wenn Sine nicht viel jünger war als sie, das Mädchen war zu unsicher. Für sie war das hier nur Folter. Und irgendetwas in Naria wollte sie beschützen, selbst wenn das hieß, dass sie sich eben mit Abran arrangieren müssten.
,, Sine hat mich selbst gebeten euch zu helfen.“ , entgegnete der Drache. ,, Und ich habe auch versprochen, diesem Wunsch gerecht zu werden. Würde ich Abran mit euch senden, wäre er euch keine Hilfe.“ Damit wendete er sich wieder an Sine. ,, Tretet vor, Mädchen.“
Zögerlich trat Sine hinter dem Baum hervor, die Arme an den Körper gepresst. Sie zitterte sichtlich, während sie auf Kareth zutrat. Einen Moment traf sich ihr Blick mit dem des Drachen, dann sah sie jedoch sofort wieder weg.
,, Ihr habt Angst.“ , stellte Kareth ruhig fest. ,, Und fürchtete ihr mich ?“
,, Nein…“
,, Versuch niemals einen Drachen anzulügen, Kindchen. Ihr habt Angst…“ Verständnisvoll trat der Drache etwas von ihr zurück. ,, Sagt mir wovor.“
,, Ich will… Wie soll ich das alleine schaffen? Ich… Ich bin mein ganzes Leben noch nicht weiter von meiner Heimat fortgewesen als ein paar Tagesreisen.Wenn ich Naria begleite… wie soll ich überhaupt von Nutzen sein?“ Das Mädchen schüttelte den Kopf. ,, Ich bin die falsche.“
,,Strecke deine Hand aus.“ Sine sah unsicher zu dem Drachen auf. Einen Moment bezweifelte Naria, das sie sich auch nur Bewegen würde, dann jedoch streckte sie vorsichtig den Arm nach vorne.
,, Ich habe nicht vor, dich schutzlos ziehen zu lassen.“ , erklärte der Drache. ,, Erschrick nicht…“
Trotz seiner Worte wich das Mädchen zurück, als der Drache Atem schöpfte. Feuer glühte in seinen Nüstern auf, während Blätter und sogar kleinere Zweige von den Blättern gerissen wurden.
Was sollte das werden? Naria machte sich insgeheim schon bereit zwischen den Drachen und Sine zu springen, sollte es nötig werden. Sie könnte das Feuer vielleicht abwehren, aber ein normaler Mensch? Wollte Kareth sie umbringen?
Das Mädchen machte jedoch keine Anstalten auszuweichen, sondern drehte lediglich den Kopf weg.
,, Sieh nicht weg.“ Nach wie vor klang die Stimme des Drachen beruhigend, beinahe fürsorglich. Tatsächlich zwang Sine sich , sich wieder Kareth zuzuwenden. Vielleicht war sie oftmals nervös und unsicher… aber an Mut mangelte es ihr sicher nicht, dachte Naria. Sie wäre bestimmt nicht einfach stehengeblieben und hätte dem Drachen vertraut. Sine jedoch schien in diesem Moment über ihren Schatten zu springen und hielt selbst dann noch den Blick aufrecht, als eine Feuerwolke aus dem Nüstern des Drachen schoss und ihren Arm einhüllte. Goldene-grüne Flammen deren Hitze sowohl Abran als auch Naria zurücktrieb. Sine musste tot sein, dachte sie entsetzt und fragte sich, welcher Wahnsinn eigentlich in Kareth gefahren war. Statt die Haut des Mädchens jedoch zu Asche zu verbrennen, schienen die goldenen Flammen fast wie Wasser darüber hinweg zu spülen und sogar darin einzusickern. Langsam aber sicher nahm das Feuer ein Muster an, das sich über die Finger und den Arm der Whaid hinauf zog. Langsam nur kam der Feuersturm schließlich zu einem Ende. Sine stolperte zurück, noch während die letzten Flammen verloschen und nur die Symbole zurück ließen, die sich in ihre Haut gebrannt hatten. Ein verschlungenes Rankenmuster, durchzogen von Darstellungen, die Naria bereits in der Siedlung der Whaid gesehen hatte. Drachenköpfe und die Ikonen einer toten Sprache, gezeichnet in goldenen Lettern.
,, Was bedeutet das ?“ , fragte Sine tonlos, während sie die Hand drehte, wohl selber verwundert, noch am Leben zu sein.
,, Ich habe euch gesagt, dass ich euch nicht schutzlos gehen lassen werde und so habe ich euch unter meinen Schutz gestellt. Etwas, das seit langer Zeit nicht mehr geschehen ist. Und vielleicht auch nicht mehr geschehen wird. Zu viele meiner Art haben sich von den alten Wegen abgewandt und glauben nach wie vor, sie Stünden zu weit über den Menschen um ihnen Schild und Stütze zu sein. Diese Symbole zeigen allen, dass wir ab diesen Moment eins sind, solange, bis ihr zu mir zurückkehren könnt. Eure Worte sind meine Worte. Wer euer Feind ist, sei mein Feind. Eure Freunde, die meinen. Und meine Macht… sei ebenfalls die eure. Ruft nach mir, wenn ihr mich braucht und ich bin da. Alles andere… werdet ihr bald verstehen. Und nun geht. Ihr habt einen Auftrag und ich erwarte, das ihr ihn erfüllt.“
Sine verneigte sich lediglich, während Abran nur sprachlos zwischen dem Drachen und dem Mädchen hin und her sah. Naria wusste nicht, was sich da grade abgespielt hatte, aber die Bedeutung dieses Augenblicks konnte selbst sie spüren. Auf den ersten Blick schien Sine sich nicht verändert zu haben, aber sie zitterte nicht mehr. Ohne ein Wort neigte sie den Kopf und der Drache tat noch einmal das selbe. Dann drehte sie sich langsam um und Abran folgte ihr mit einem ersten Ausdruck auf dem Gesicht. Naria jedoch zögerte noch einen Moment.
,, Was habt ihr getan ?“ , fragte sie lediglich. Es musste wohl seinen Grund haben, wenn nicht alle Drachen ihren menschlichen Dienern ein solches Geschenk machten.
,, Ich habe das Feuer ihres Lebens mit dem meinen verbunden.“ , erklärte Kareth. ,, Wie ich schon sagte… wir sind eins. Mein Schicksal liegt ab jetzt so sehr in euren Händen, wie in den ihren.“
,, Ihr habt mein Wport, das ich ein Auge auf sie haben werde. Ihr vertraut ihr sehr…“
,, Ich vertraue ihr genug um sie anzulügen. Ich kann ihr so viele Gaben zur Verfügung stellen wie ich will, Gejarn. Am Ende, ist sie immer noch alleine. Und ich fürchte, was auf uns zukommen mag…“
,,Ja…“ Naria sah hinauf zum Kraterrand, als erwarte sie dass der Himmel sich bedecken würde. Doch über ihr erstreckte sich nur Blau. Es regnete hier draußen nur sehr selten. Aber der Sturm, den sie sich gegenübersahen war auch von einer ganz anderen Art. ,, Ich ebenso.“
Als sie die Drachenhöhle schließlich wieder verließen, war es bereits dunkel geworden, trotzdem, bestand Abran darauf, dass sie sich möglichst sofort an den Abstieg machten. Und Naria stimmte ihm schließlich zu. Auch wenn sie den ganzen Tag unterwegs gewesen waren, fühlte sie sich nicht Müde und die einzige von ihnen, die tatsächlich mitgenommen wirkte, war Sine. Diese jedoch erwiderte erst gar nichts, auf die Frage nach einer Rast, sondern machte sich wortlos auf den Weg. Mit nur einer Fackel, die die tückischen Stufen beleuchtete, brauchten sie für den Weg hinab mindestens doppelt so lange, wie für den Hinweg und bevor sie den Fuß des Berges erreicht hatten, begann es bereits wieder hell zu werden.
Den Rückweg durch die steinerne Ebene und die Wüste brachten sie größtenteils schweigend hinter sich. Sowohl Abran als auch Sine schienen vor allem ihren eigenen Gedanken nachzuhängen und vor allem das Mädchen kaum auf mehr als ihre eigenen Füße zu achten schien. Der ältere Whaid hingegen musste nach wie vor verdauen, das man eben grade Sine und nicht ihn mit Narie geschickt… und nebenbei auch noch zur Erwählten eines Drachen gemacht hatte. Auch wenn er sich zuvor noch schützend vor sie gestellt hatte, schien sein Stolz daran einiges zu knabbern zu haben.
Sine hingegen tat ihr Möglichstes, die goldenen Ranken zu verbergen und hatte sich von Abran tatsächlich dessen Mantel geben lassen, der ihre Arme bedeckte.
Bis sie die Siedlung erreichten, war es bereits früher Nachmittag und die meisten Bewohner gingen längst wieder ihrer Arbeit in den Feldern nach , trieben die wenigen Tiere der Whaid auf die Wiesen um den See hinaus oder beschäftigten sich mit kleineren Tätigkeiten. Doch sobald man die kleine gruppe bestehend aus Naria, Abran und Sine erspähte, ließen fast alle die Arbeit stehen und liegen und kamen herbeigelaufen um zu erfahren, wie die Begegnung mit dem Drachen ausgegangen war.
Abran sah einen Moment zu Sine, die lediglich den Kopf schüttelte. Naria stimmte ihr insgeheim zu. Besser, sie behielten erst einmal für sich, was in der Höhle geschehen war. Nicht, weil sie die Whaid fürchtete, aber wenn sie Drachen als Götter sehen… was war dann das Mädchen für sie? Eine Gesegnete ? Eine Heilige ? Es spielte keine Rolle, aber je weniger aufsehen sie hier erregten, umso besser.
So erklärte Abran schließlich nur, das Sine Naria begleiten würde, um für Kareth mit den Archonten zu sprechen. Hatte Naria noch geglaubt, dies würde die Sache verkürzen, hatte sie sich jedoch getäuscht. Den ganzen Weg durch das Dorf kamen Leute zu ihnen um die junge Whaid zu verabschieden. Manche wechselten lediglich einige Worte mit ihr, die das Mädchen schüchtern erwiderte, andere brachten ihr Dinge für die Reise, von Wasserschläuchen und Vorräten bis hin zu einem Mann, der tatsächlich ein Zelt mit sich brachte. Sine wies keinen von ihnen ab, nahm jedoch nur das nötigste und auch wenn Naria gerne gesehen hätte, wie Abran oder das Mädchen dem ganzen Massenauflauf ein Ende machten… irgendwie freute sie sich auch für sie. Bisher war Sine immer so etwas wie eine Ausgestoßene gewesen, jetzt jedoch wurde sie mit offenen Armen empfangen. Wenn sie erst aus Helike zurück kehrte und ohne die Visionen des Drachen würde sie vielleicht auch ein normales Leben führen können…
Es wurde bereits wieder dunkel, bis sie endlich das Ende der Siedlung erreichten, dennoch drngte Naria zum Aufbruch. Wenn sie die Nacht über hier blieben würde sich das ganze Schauspiel am Morgen vermutlich nur wiederholen. Sie hätte es Sine gegönnt… aber die Zeit drängte und noch hatte sie keine Ahnung, was sie bei ihrer Rückkehr nach Helike erwartete. Es waren jetzt fast zwei Wochen seit sie die Mauern der Stadt das letzte Mal gesehen hatte.
Doch einen letzten Abschied konnte sie Sine dann dich nicht verwehren. Belin , der am Ausgang der Siedlung auf sie wartete war der einzige, der schließlich nichts hatte. Statt eines Geschenks oder guter Wünsche, zog er das Mädchen lediglich in eine kurze Umarmung.
,, Pass auf dich auf, Kleine .“, meinte er leise, bevor er sie schließlich losließ und sich zu den anderen gesellte, die ihnen bis zum Rand des Dorfs gefolgt waren. Naria konnte nicht sagen, wie lange sie dort standen und ihnen nachsahen. Lediglich Sine warf den ganzen Weg über die ersten Dünen immer wieder einen Blick zurück. Es fiel ihr sicher nicht leicht, alles zurückzulassen, dachte die Gejarn. Auch wenn es nur für kurze Zeit sein mochte. Trotzdem folgte Sine ihr ohne ein Wort oder einen Protest, während die Schatten langsam länger wurden. Als der Mond schließlich aufging, waren der See und die Siedlung schließlich hinter den Dünen verschwunden und erneut umgab sie in alle Himmelsrichtungen nichts als ein Meer aus Stille und Sand.
Mehrere Tage dauerte es, bis schließlich der erste, verwaschene Streifen Blau am Horizont auftauchte, der das echte Meer verriet. Und kaum eine Tagesreise später kamen auch die Mauern Helikes in Sicht.
Die Wachen am Tor ließen sie ohne eine Frage passieren, sobald sie Naria erkannten. Auf ihre bitte hin schickten sie lediglich einen Boten voraus, der Wys über das wichtigste Informieren würde. Das sie zurück war… und einen Gast dabei hatte. Ihm mehr anzuvertrauen wagte sie jedoch nicht. Nach wie vor war unsicher, welche und wie viele der Wachen und Kämpfer Helikes vielleicht bereits dem Herrn der Ordnung folgten. Während sie noch zwischen dem großen Steinbogen hindurch Schritten, sah Sine sich bereits staunend um. Allein das Tor der Stadt musste ihr wohl wie ein kleines Wunder vorkommen, Holzbalken mit dem Durchmesser von Bäumen, die mit gewaltigen Eisenbändern zusammengefügt waren.
Das Mädchen hatte vermutlich noch nie eine wirkliche Stadt gesehen und Helike war leicht die größte Metropole von hier bis hinauf nach Erindal. Ungläubig sah sie zu dem Berg aus Mauern und Marmor in der Stadtmitte auf, welcher die innere Stadt bildete, während Naria sie durch das Gedränge eines Markts führte. Hunderte von Händlern, manche als Dienstboten der Schiffer vom Hafen, andere alteingesessene Handwerker und Bauern, boten ihre Waren an und versuchten sich dabei scheinbar gegenseitig zu übertönen. Und ihre Kunden waren nicht weniger leise. Manche versuchten für sich einen besseren Preis herauszuholen oder beschwerten sich über die Qualität von Fleisch, Brot und Gewürzen. Fast hätte man vergessen können, das in Helike nach wie vor der Ausnahmezustand herrschte. Fast. Wären da nicht die Gestalten in ihren braunen Roben gewesen, die sich wie Geister durch die Menge schoben. Und mehr als einmal entdeckte Naria auch das Symbol der dreifingrigen roten Hand auf der Kleidung eines Passanten, manchmal aufgenäht, manchmal als Brosche aus Metall.
,,So viele Leute…“ Sine schien weder von den Predigern noch von ihren Anhängern groß Notiz zu nehmen. Oder von irgendetwas was das anging. Ihre Augen blieben nirgendwo lange hängen, sondern wanderten ständig weiter, entdeckten immer wieder etwas neues, das ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Es schien das Mädchen konnte sich gar nicht sattsehen, hielt sich jedoch nach wie vor dicht bei Naria. Das Symbol an ihrem Hand und dem Arm verbarg sie mittlerweile mit einem schlichten Schulterumhang aus weißem Stoff, den sie als eines der wenigen Geschenke der Whaid angenommen hatte und einem simplen Handschuh. Und der Umhang verbarg immerhin auch das Drachenzahn-Messer an ihrer Hüfte.
Nach den Wochen die sie in der absoluten Leere der Wüste verbracht hatte, musste die Gejarn sich selbst erst wieder an das Durcheinander und den Lärm einer lebenden Stadt gewöhnen.
,, Irgendwann bemerkt man es gar nicht mehr.“ , meinte Naria. Ihr Respekt für das Mädchen war mittlerweile ein gutes Stück gewachsen. Sie wollte nicht hier sein und die Gejarn konnte zumindest nur das nur zu gut verstehen. Für jemanden der nur die kleinen Siedlungen der Whaid kannte, war das hier ein einziges, tobendes Durcheinander. Trotzdem hatte sie nicht gezögert, nachdem die Stadt in Sicht kam. ,, Und ich bin so lange ja auch noch hier.“
Beruhigend legte sie Sine eine Hand auf die Schulter.
,, Nun, wenigstens kennt sich einer von uns hier aus.“ , meinte sie betreten und sah einen Moment zu Boden. ,, Zeigt den Weg…“
Das war für ihre Verhältnisse schon fast überschwänglich, dachte Naria und tatsächlich lächelte Sine, während die Gejarn sich zu erinnern versuchte, welche der Straßen sie am ehesten zum Aufgang der inneren Stadt brachte. Sines Frohmut schien genauso lange zu halten, wie es sie brauchte um die Rampe zu finden. Doch als sie erst einmal vor dem befestigten Erdwall standen, blieb sie erneut regungslos stehen.
Zwei Spaliere aus Paladinen, der Elite Helikes flankierten den Aufgang zu beiden Seiten und besetzten die in regelmäßigen Abständen erbauten Wachtürme. Sine kannte die blitzenden Panzerungen und die roten Umhänge wohl nur aus den Erzählungen ihres eigenen Volkes. Und was die Whaid über die Paladine Helikes zu erzählen hatten war sicherlich nicht grade ermutigend…
,,Euch passiert nichts.“ , erklärte Naria ruhig und wünschte, sie könnte sich dabei so sicher sein. Immerhin brachte sie grade eine Whaid zu den Archonten. Aber Wys würde sicher nicht zulassen, das ihr etwas geschah und sie hatte Kareth ein Versprechen gegeben… ,, Wenn der Bote vom Tor uns zuvorgekommen ist, hat mein Onkel sicher schon die Archonten zusammengerufen. Ich schätze, das wissen wir jedoch erst, wenn wir weitegehen…“
,, Aber ich habe keine Ahnung was ich ihnen sagen soll…“ Das Mädchen sah Naria fast flehend an, doch für sie zu sprechen. Aber die Archonten mussten das ganze von ihr hören. Dazu war sie hier und dafür hatte Kareht sein Leben an ihres gebunden. Selbst Larth würde einsehen müssen, das die Whaid niemals so ein Risiko eingehen würden, wenn es nicht wichtig war.
,,Versucht es einfach mit der Wahrheit. Das ist was sie hören müssen, auch wenn es nicht allen von ihnen gefallen mag.“ Und zugleich würde Sine dabei hoffentlich noch etwas lernen. Sie begann vielleicht das Mädchen zu mögen, aber es stand sich einfach zu oft selbst im Weg.
Sine setzte zögerlich einen Schritt vor den anderen, während sie die Rampe hinauf stiegen. Selbst Naria meinte, die Blicke der Paladine in ihrem Nacken zu spüren. Sicher würden einige davon sich längst zum Herrn der Ordnung bekennen… und vermutlich würden dessen Diener auch alsbald erfahren, dass sie zurück war. Und nicht alleine. Kein schöner Gedanke… aber auch nichts zu ändern.
Wys wartete bereits an den Toren auf sie. Der Archont wirkte erschöpft und übermüdet, aber sobald er Naria erkannte, begann er zu lächeln.
,, Laos, ich hatte das schlimmste befürchtet, als wir nichts mehr von euch hörten.“ , meinte er und kam strahlend auf sie zu. ,, Und wen habt ihr da mitgebracht ?“
,, Wys, das ist Sine von den Whaid.“ , Naria deutete auf ihre Begleiterin, die den Archonten unsicher musterte. Wys trug die typischen weißen Gewänder seines Amtes, darüber jedoch lag ein schweres Kettenhemd und an seinem Gürtel hingen zwei Schwerter. ,, Sine… Das ist Wys Carmine. Einer der Archonten Helikes und mein Onkel.“
,;Sehr erfreut.“ Wys machte eine angedeutete Verbeugung und schenkte auch der jungen frau ein herzhaftes Lächeln, das über seine Müdigkeit hinwegtäuschte. ,, Es ist vielleicht zu lange her, dass wir einen Vertreter eures Volkes hier begrüßen konnten. Ich hoffe in Zukunft wird das öfter der Fall sein. Die anderen warten sicher längst auf euch… wenn ihr mir also folgen würdet…“
Wys machte eine Geste in Richtung Tor und sowohl Naria als auch Sine folgten ihm schließlich hindurch. Hatte die Unterstadt das Mädchen bereits in ihren Bann geschlagen, so verschlug ihr die innere Stadt nun wohl endgültig die Sprache. Die Straßen hier oben waren praktisch leer und der Lärm von unten drang nur gedämpft bis hierher. Jemand der nicht um das ganz eigene Spiel der Macht wüsste, das in diesen Mauern gespielt wurde, konnte wohl glauben, hier sei es friedlich. Die aufragenden Marmorbauten glitzerten in der Sonne und bildeten einen scharfen Kontrast zum Turm der Archonten, der beinahe wie ein Schatten im Zentrum der inneren Stadt aufragte.
Naria jedoch hatte für den Prunk und die eigene Schönheit dieses Ortes heute keine Augen. Besorgt musterte sie Wys. Warum sollte der Mann hier Waffen tragen?
,, Ist etwas passiert ?“ , fragte sie , als sie Sine einmal außer Hörweite wähnte.
,,Noch nicht. Hier zumindest nicht. Aber die Sache gerät langsam völlig außer Kontrolle, Naria. Während ihr weg wart, hat sich die Anzahl an Predigern fast verdreifacht. Keine Ahnung ob das alles Konvertiten sind, aber… auch die Angriffe haben zugenommen. Mittlerweile verschwinden jede Nacht fünf Leute oder mehr. Ausgangssperren bringen nichts mehr, was immer da draußen umgeht, es schreckt offenbar auch nicht davor zurück, in Häuser einzudringen. Eine ganze Familie wurde in ihrem Heim überrascht. Ich habe es mir angesehen Naria. Keine Leichen… wir finden nie die Leichen, aber überall Blut. Die Tür wurde praktisch aus den Angeln gerissen, Möbel zu Spänen zertrümmert…“
,, Und das treibt unseren Freunden nur mehr Anhänger in die Arme, habe ich recht ?“
Wys nickte und schloss einen Moment die Augen. Es war klar, dass er schon länger nicht geschlafen hatte. Und wenn er dann doch einmal Ruhe fand, waren seine Träume unruhig. Tira hatte ihn mehrmals nachts geweckt, weil er sich im Schlaf hin und her geworfen hatte. ,, Das seltsames ist… sie haben Recht. Unter all den Vermissten war bisher kein einziger, der das Zeichen dieser Irren tragen würde. Und ich wette, das ist kein Zufall…“
,, Aber ohne das wir den Täter erwischen wissen wir nicht ob er wirklich zu ihnen gehört.“
,, Genau. Wenn wir ihn hätten, könnten die Leute sehen, wem sie da ihr Vertrauen schenken. Aber Naria…die Angriffe einer Nacht finden teilweise in unterschiedlichen Bezirken statt. Manchmal am anderen Ende der Stadt. Entweder haben wir es hier mit mehreren Personen zu tun… oder wir sollten wirklich anfangen zu beten.“ , meinte er bitter.
Wie Wys bereits vermutet hatte, warteten die übrigen Archonten schon auf sie. Die fünf Gestalten auf ihren Steinthronen blickten ernst auf sie und Sine herab, während Naria zuerst berichtete, wie sie zu den Whaid gelangt war. Ihr Onkel bildete dabei keinen Unterschied, auch wenn er ihr zumindest ab und an aufmunternd zulächelte. Ihr… und auch dem Mädchen, das sich an der Wand neben der Eingangstür der Versammlungskammer herumdrückte. Ihnen allen war mittlerweile klar, wie ernst die Situation war. Mit den neuerlichen Angriffen und dem Zustrom an Predigern war Helike alles andere als ein sicherer Ort. Wenn die Männer, die sich dem Herrn der Ordnung verschrieben hatten, sich gegen sie wenden wollten, dann waren sie jetzt, mehr als je zuvor, auch dazu in der Lage. Das die Stadtwache auch mit Hilfe der Paladine nicht in der Lage war, der Übergriffe her zu werden, zeigte der ganzen Bevölkerung nur, das ihre Herrscher sie nicht mehr schützen konnten. Eine Wahrheit, die allen fünf nur allzu deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Selbst Larth schien sein Desinteresse verloren zu haben. Statt sich auf seinen Thron zu fläzen, saß er starr da und spielte nervös am Griff eines Dolchs herum.
Und schließlich war es auch an Sine, ihren Teil der Geschichte zu erzählen, von Abrans Worten bis hin zu Kasrans Enthüllungen über den Träumer… und dessen Auftrag, den Archonten ihre Hilfe anzubieten. Das Mädchen blieb dabei überraschend ruhig, auch wenn sie mehrmals zu Naria sah und nach Bestätigung zu suchen schien. Die Gejarn nickte jedes Mal nur, worauf sie nur fortfuhr, bis schließlich alles erzählt war. Sichtlich erleichtert trat Sine von den Thronen zurück und nahm ihren alten Platz an der Wand wieder ein.
,, Wie ihr seht, die Whaid haben nichts mit den Vorkommnissen in Helike zu tun.“ , meinte Naria . Immerhin das mussten die jetzt alle verstehen.
,, Das mag sein.“ , schaltete sich Larth ein. Nach wie vor lies er die Finger nicht vom Dolch und fixierte dabei Sine. ,, Aber warum sollten wir auf eure Hilfe nagewiesen sein ? Euer Volk hat keinen Grund uns Erfolg zu wünschen, ganz im Gegenteil. Die Whaid stehen also nicht hinter diesen Attacken, schön. Ich will sie trotzdem nicht in unserer Stadt!“
,, Dabei hätten wir alle wohl ein Wort mitzureden. Nicht nur ihr.“ Larth hatte sich halb von seinem Platz erhoben. Sobald er jedoch Wys drohende Stimme hörte, sank er langsam wieder darauf zurück. Die Spannung im Raum war fast mit Händen greifbar. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, Sine hierher zu bringen, befürchtete Naria. Zusätzlich zu den ohnehin schon vorhandenen Problemen, würden die Archonten nun auch entschieden müssen, was aus ihr wurde.
,,Dem stimme ich zu.“ , meldete sich Helios zu Wort. ,, Und hier bin ich mit Larth einer Meinung. Nicht weil ich den Whaid nicht zutraue einen Schritt auf uns zu machen zu wollen… aber so wie die Dinge stehen ist das Risiko zu groß. Wenn diese Bedrohung beseitig ist, dann werden wir einen Botschafter der Whaid anhören, aber nicht früher.“
Naria hätte den Mann am liebsten gefragt, was sie den bitte tun würden, wenn diese Bedrohung nicht verschwinden würde. Aber wen sie jetzt noch zusätzliches Öl ins Feuer goss, würde das hier garantiert kein gutes Ende nehmen.
,, Ich sage, sie bleibt.“ , erklärte Tira nun. ,, Und ich glaube darin bin ich mit Wys einer Meinung…“
,, Oh natürlich seid ihr das…“
,, Was bitte möchtet ihr damit sagen, Helios ?“ Die Archontin fixierte den hellhaarigen Mann.
,, Oh bitte tut nicht so. Wir wissen beide, das ihr was Lord Wys Carmine angeht… ganz ohne Zweifel befangen seid.“
,, Wagt ihr es auch mir ins Gesicht zu sagen warum ?“ Tira war aufgestanden, genauso wie Larth, Wys und der Rest der Archonten. Naria meinte schon, das Kratzen von Stahl, der aus der Scheide gezogen wurde zu hören. Doch nichts dergleichen geschah.
,,Ruhe !“ Der Ruf ging mit einem kurzen aufflackern von goldenem Licht einher, das Sines Gestalt einhüllte. Wie eine Welle spülte es über die Steinfließen und die Throne der fünf Archonten hinweg. Naria und alle anderen waren einen Moment gänzlich darin eingehüllt und die Gejarn konnte das vertraute Kribbeln eines Zaubers spüren. Und doch konnte sie nichts dagegen tun um ihn abzuwehren. All die kleinen Abwehrmaßnahmen die jeder Magier ständig um sich und in seinem Geist errichtete, zerbrachen einfach, als wären sie gar nicht vorhanden.
Sie wollte Sine fragen, was das sollte, doch als sie den Mund öffnete, kam kein Ton heraus. Den Archonten erging es offenbar nicht besser und die fünf sahen sich nur verwirrt an. All ihre Wut schien verraucht, während Sine zitternd wieder vortrat.
Das Mädchen schien genau so überrascht über ihren Ausbruch wie alle anderen. Einen Moment schien sie nach Worten zu suchen und Naria fürchtete schon fast, ihr würde wieder die Stimme versagen. Das hier war vielleicht die einzige Gelegenheit, die sie bekommen würde, alle Archonten für sich zu gewinnen… jetzt wo sie ihr auch zuhören mussten.
,, Seit ihr alle zu blind zu erkennen, was wir in dieser Sache nur einen einzigen Feind haben ?“ Sines Stimme war leise doch in der Stille, die mittlerweile im Ratssaal herrschte, war sie unüberhörbar. Und sie war wütend, dachte Naria, etwas das sie nie erwartet hätte, noch einmal zu erleben. ,, Einen gemeinsamen ? Wenn nicht, dann kann ich wirklich wieder gehen. Ich… Ich wollte ohnehin nie hierher. Das hier ist mir aufgezwungen worden… und wenn ihr glaubt keine Hilfe zu brauchen, dann schön… Ich finde den Weg zurück…“
Mit diesen Worten und einem erneuten Aufblitzen von goldenem Licht, drehte die Whaid sich um und war drauf und dran aus der Halle zu stürmen.
,,Wartet , bitte…“ Wys Worte jedoch trafen auf taube Ohren. Das Mädchen war bereits auf den Gang hinaus verschwunden und die Türen schlugen hinter ihr wie von selbst mit solcher Wucht zu, das Naria meinte hören zu können, wie die steinernen Angeln knirschten. Nur nach und nach schien den Archonten klar zu werden, was sie grade fast getan hätten. Sie hatten mehr getan als sich nur ihren üblichen Zwist hinzugeben, sie hatten sich zerstritten. Grade jetzt wo sie mehr denn je gebraucht würden.
Helios war der erste, der seine Stimme wiederfand. ,, Also..“ Er räusperte sich unbehaglich. ,, Ich wäre euch sehr Verbunden wenn ihr vergessen würdet, was ich gesagt habe.“ , meinte er an Tira gerichtet. ,, Und ich glaube wir können uns wohl alle darauf einigen, dass man die Whaid zurückruft. Ihre Hilfe ist… mehr als nur gewünscht, sondern sogar ausdrücklich erbeten.“
Niemand wiedersprach , auch nicht, als Wys und Naria sich schließlich aufmachten, Sine zu folgen. Wenn das Mädchen wollte, könnte es schon wieder halb am Stadttor sein. Doch so weit war sie gar nicht gekommen…
,, Habe ich das grade wirklich gesagt ?“ Sie lehnte sichtlich mitgenommen an der Wand des von Fackeln erhellten Flurs. Und daran waren nicht nur ihre Worte schuld. Naria konnte nicht sagen, was sie da eben getan hatte, aber es schien sie definitiv Kraft gekostet zu haben. Genau wie einen Zauberer. Offenbar hatte Kareth ihr weit mehr anvertraut, als nur sein Leben. Doch wie alle Magie, forderte diese ihren Preis… Der Wille konnte den Funken zünden, so wie eben, aber wenn man ihn nicht auch kontrollieren konnte, verzehrte er einen.
,,Offensichtlich.“ Naria konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Sine wankte ein wenig als sie sich von der Wand abstieß und die Gejarn fing sie rasch auf. ,, Auch wenn cih keine Ahnung habe, wie ihr das gemacht habt.“
Das Mädchen schien offenbar nicht zu verstehen, worauf Naria hinaus wollte. Oder hatte sie den Zauber am Ende gar nicht mitbekommen? ,, Eigentlich… habe ich nur daran gedacht, was ihr vielleicht tun würdet. Es war dann… irgendwie einfacher.“
Naria lachte. ,, Nun sie zusammenzuschreien wäre vielleicht nicht direkt , was ich getan hätte.“ Auch wenn ich schon mehrmals versucht war, dachte sie. Sine war jedenfalls zu Tode erschöpft. ,, Wys… können wir sie irgendwo hin bringen ?“
,, Ich denke schon. Sie hier im Turm unterzubringen wäre… keine gute Idee, aber es gibt ein paar leer stehende Gebäude in der inneren Stadt. Ich denke, euch können wir auch dort einquartieren.“ , meinte der Archont.
,,Danke.“ , murmelte das Mädchen lediglich.
,, Nichts zu danken, eure Hilfe wird noch gebraucht.“ , erklärte der Archont, während ei sich schließlich auf den Weg aus dem Turm machten, Sine nach wie vor auf Naria gestützt.
Wys war sicher nicht danach zumute, noch länger hier zu bleiben und so war er nur allzu erleichtert, als Naria nach einem Platz für das Whaid-Mädchen fragte. Sollten die anderen Archonten sich fragen wo er geblieben war, er hatte für einen Tag definitiv genug von den endlosen Besprechungen, die doch nur im Sande verliefen. Trotzdem konnte er nicht verhindern, Sine immer wieder misstrauisch zu mustern. Sie war ohne Zweifle zu Tode erschöpft, aber was sie in der Versammlungshalle getan hatte, war alles andere als harmlos gewesen. Magie mitten im Herzen der Stadt… Allerdings, dacht Wys, könnte er diesen Zauber selber manchmal gut gebrauchen.
,, Wys…“ Sie waren noch nicht weit gekommen, als sich die Tür zum Ratssaal erneut öffnete und Tira hinaus trat. ,, Du hattest nicht etwa vor, dich davon zu stehlen ?“
,, Weil du zufällig die gleiche Idee hattest ?“ , fragte er grinsend. ,, Wie sieht es da drinnen aus ?“
,, Sie schweigen. Immer noch. Ich glaube nicht, das ich das schon mal erlebt habe.“ Tira lachte leise in sich hinein, während die kleine Gruppe sich dem Ausgang des Turms näherte. Draußen war es mittlerweile schon dunkel und lediglich einige Fackeln erhellten den großen Platz mit dem leeren Sockel vor ihnen. Kühl wehte der Abendwind durch die Straßen, während Wys sich einen Moment umsah. Nachts machte Helike beinahe einen friedlichen Eindruck, wenn nur noch die fernen Lichter die Umrisse der Stadt erraten ließen. Und hier oben waren sie tatsächlich alleine, dachte er. Es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, was mit diesem Gedanken nicht stimmte, bis ihm auffiel, das es tatsächlich zu dunkel war. In den Straßen brannten die Fackeln noch, aber hier auf dem Platz waren sie allesamt gelöscht worden. Und wo waren die Wachen ?
Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Normalerweise sollten immer ein halbes Dutzend Paladine in der Nähe des Archontenturms sein, egal wie spät es war. Bevor er sich noch umdrehen und die anderen warnen konnte, dass etwas nicht stimmte, fiel die Tür hinter ihnen krachend ins Schloss. Ob es das Geräusch oder ihre Anwesenheit war, die es schließlich aufmerksam machte, Wys hätte fast zu spät reagiert. Er erahnte die Bewegung über sich mehr, als das er sie sah. Im nächsten Moment hatte er jedoch schon Tira gepackt und bei Seite gestoßen, als der Schatten von oben auf sie herabsprang. Zeit die anderen zu warnen blieb ihm nicht mehr und er konnte nur hoffen, dass sie zumindest außer Reichweite wären.
Wys verstand nicht ganz was er sah, ein rasendes Ding, das mit scharfen Kiefern nach ihm schnappte und mit mehr Beinen als es habe sollte nach ihm trat. Irgendwie wirkte der Körper seltsam unförmig, doch um genaueres zu erkennen, war er zu beschäftigt, Klauen und Krallen auszuweichen. Und dann bekam er endlich eines seiner Schwerter zu fassen und riss die Klinge empor. Das Biest jedoch war schnell, schneller als er und sprang sofort zurück, so dass die Klinge lediglich die Luft zerteilte.
Rot glühende Augen starrten ihn mit einem Hass an, der nicht ganz der eines Tieres zu sein schien, während der Archont einen Moment entsetzt stehen blieb. Nach wie vor konnte er die Form des Wesens in der Dunkelheit kaum ausmachen, aber wenigstens wurde ihm langsam klar, warum es so unförmig wirkte. In den Armen hielt es den verkrümmten Körper eines der Paladine die eigentlich hier draußen Wache halten sollten. Blut troff aus dem Aufgerissenen Panzer des Mannes und das Ding hatte die Kiefer in dessen Brust vergraben während es… fraß. Wys wurde übel. Das Ding schien keinen Unterschied zu machen ob es Knochen oder Organe zermalmte und das schlürfende Geräusch das es dabei von sich gab klang fast so, als würde es auch noch das Blut seines Opfers trinken. Langsam nur wurde Wys klar, warum sie nie irgendwelche Körper gefunden hatten…
Wys umklammerte den Schwertgriff fester, während Naria und Sine Tira wieder aufhalfen. Die Archontin hatte genau dort gestanden wo das Monster einige Augenblicke zuvor von der Fassade des Turms gesprungen war und wäre Wys nicht rechtzeitig da gewesen, wäre sie vermutlich einfach von den Krallen dieses… Dings aufgespießt worden.
Naria konnte die Umrisse des Wesens nur erahnen, das sie attackiert hatte und sich nun über die Überreste von etwas her machte, das nur noch entfernt als menschlich zu erkennen war.
Zwei paar rot glühender Augen musterten sie dabei voller Hass, während es mit einem Zischlaut vor ihnen zurückwich und immer noch seine Beute umklammert hielt. Vier Glutpunkte , die sich unabhängig voneinander auf die vier Anwesenden zu fokussieren schienen. Der Körper des Paladins war mittlerweile kaum mehr als eine ausgelaugte Hülle, doch dieses Ding schien auch noch die Knochen mühelos zu zermalmen.
Die Haut der Kreatur war pechschwarz und mit dunklen Knochenplatten überzogen, so dass sie selbst mit den Augen eines Gejarn bei Nacht kaum zu erkennen war Der Oberkörper hätte wohl noch als menschlich durchgehen können, wäre es nicht für die verzerrten Proportionen gewesen. Diese kamen wohl jedoch auch teilweise von den schwarzen Panzerplatten, die es fast wie eine Rüstung einschlossen. Die Armel waren viel zu lang und schleiften fast am Boden obwohl es leicht so groß wie ein Bär war. Hinzu kamen schwere, glänzende Klauen so lang wie Dolche. Der Kopf wiederum war kaum noch zu erkennen. Knochenplatten und Schuppen hatten sich darum geschoben wie eine Maske und nur tiefe Höhlen für Augen , Nase und den mit nadelspitzen Fängen bewährten Rachen gelassen. Und ab der Hüfte verlor diese Kreatur alles auch nur entfernt menschliche. So wie es sich bewegte hatte es Naria ohnehin schon an eine Spinne erinnert, doch mit dem aufgedunsenen Unterleib und der Vielzahl an Beinen, zum Zählen wurde ihr beim Anblick schon zu mulmig, bestätigte sich dieser Eindruck endgültig. Was sie jedoch am meisten beunruhigte, war die rote Zeichnung die sich den Hinterleib dieser Halbspinne entlang zog. Irgendwie erinnerte das Ganze zu sehr an eine rote Hand…
Wys hatte mittlerweile auch das zweite Schwert gezogen, während Naria Sine und Tira anwies sich beim Turm zu halten oder besser noch, wieder ins Innere zu fliehen. Sie selbst war beinahe genau so starr vor Angst wie die beiden anderen Frauen, dann jedoch gab sie sich einen Ruck.
Du hast schon weit aus schlimmeres überstanden, sagte sie sich. Wenn du einmal einer Horde Riesenblutegel entkommen bist, sollte dich das da eigentlich nicht mehr Schocken können.
Allerdings tat es das, dachte sie. Weil dieses Ding intelligent war. Nicht intelligent wie ein Raubtier sondern tatsächlich Vernünftig… So wie es die vier betrachtete schien es in ihnen nur schlicht keine Bedrohung zu sehen um seine Mahlzeit zu beenden.
Wys jedoch sah das anscheinend anders. Mit einem Aufschrei ging der Archont auf das Monster los, das daraufhin Blitzschnell den toten Körper fallen ließ und zurück sprang. Erneut trafen die Schwerter des Archonten nur Luft, doch diesmal lies Wys sich davon nicht entmutigen. Er folgte der Bewegung der Kreatur mit einem Sprung. Stahl prallte klirrend auf etwas festes, doch es waren lediglich die Krallen einer Hand, die ihr Gegner blitzschnell erhoben hatte. Woraus auch immer diese bestanden, der helikische Stahl konnte ihnen jedenfalls nichts anhaben, sondern prallte Funkensprühend davon ab. Mit der anderen Kralle hole es zeitgleich zu einem Schlag aus, der den Archonten von den Füßen fegte und ihn rückwärts fliegen ließ. Erneut sprühten Funken, als Wys Panzerung aufgeschlitzt wurde und lose Kettenfragmente durch die Luft wirbelten.
Nun wendete es seine Aufmerksamkeit Naria zu, die bereits begonnen hatte, einen Zauber vorzubereiten. Mit einem Gedanken gefror die Luft vor ihr zu tausenden scharfkantigen Kristallen, die wie von einem Bogen abgeschossen auf das Biest zu jagten. Die meisten zerplatzten wirkungslos, doch manche fanden ihren Weg zwischen den Schuppen und den Knochen hindurch. Die Verletzungen schienen es jedoch nicht wirklich zu beeinträchtigen, während es einen Satz auf Naria zumachte. Die Gejarn reif einen neuen Zauber herbei. Wenn Eis nichts brachte, musste sie eben etwas anderes versuchen. Durchdringen konnte sie die Schuppen dieses Dings nicht. Schmelzen würden sie aber sicherlich. Feuer sammelte sich in ihrer Handfläche, bereit, alles in seinem Weg zu verbrennen. Bevor sie jedoch dazu kam, den Zauber zu entfesseln, wurde ihre Hand von irgendetwas getroffen. Klebrige Fäden legten sich um ihre Finger und drückten diese mit knochenbrechender Gewalt zusammen. Naria schrie auf und die Flammen erloschen, während die Spinnenseite sofort erstarrte. Ihre linke Hand konnte sie jetzt kaum noch gebrauchen, geschweige den die Finger bewegen und um einen neuen Zauber anzubringen fehlte ihr die Zeit. Das Biest war fast bei ihr.
Ohne nachzudenken, warf sie sich zur Seite. Eine Kralle streifte sie am Rücken und zerfetzte aber zum Glück nur ihren Umhang, während sie wieder auf die Füße kam. Doch das Monster war schneller als jeder Mensch oder Gejarn. Sie hatte noch keinen festen Stand wiedererlangt, als es auch schon wieder über ihr war. Geifernd schnappten die Kiefer nach ihr. Naria blieb nur, erneut Boden zu verlieren um nicht kurzerhand von den Dolchartigen Zähnen aufgespießt zu werden. Dafür jedoch sah sie die Krallen nicht kommen, von denen sich eine Schmerzhaft in ihre Seite grub. Im Gegensatz zu Wys trug sie nicht einmal ein Kettenhemd und selbst das hatte kaum Schutz geboten.
Mit einem Schmerzensschrei wurde sie bei Seite gefegt und überschlug sich mehrmals auf dem Pflaster des Platzes. Blut strömte aus der klaffenden Wunde die das Biest gerissen hatte und durchtränkte Rasch, was von ihrem Mantel übrig geblieben war. Dann ging es auch schon erneut auf sie los.
Naria hatte schlicht keine Kraft mehr, noch länger auszuweichen, selbst wenn die Verletzung nicht jede Bewegung zur Qual gemacht hätte… Sie hatte schon halb mit ihrem Leben abgeschlossen, als plötzlich Sein da war. Narai wollte dem Mädchen zurufen, zu verschwinden, doch dieses schien sie gar nicht zu hören. Als würde sie das anstürmende Monster gar nicht bemerken, ließ sie Seelenruhig den Umhang über ihrer Schulter zu Boden gleiten und Streifte die Handschuhe ab. Die Runen auf ihrem Arm schienen von innen heraus zu glühen. Naria wollte es auf den Blutverlust schieben doch das Licht wurde beständig heller, verdichtete sich…
Die Kreatur prallte darauf, als wäre es das goldene Strahlen eine Mauer. Und das war es auch, dachte Naria. Sie konnte spüren, wie der Zauber Gestalt annahm, eine goldene Barriere, die sich um sie und Sine erstreckte und gegen die die Kreatur anrannte. Jede Berührung damit, verbrannte es und ließ es vor Schmerzen aufheulen, wenn die Knochenplatten aufglühten, mit denen es der Magie zu nahe kam.
Sein stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben und Naria begann langsam um ihr Leben zu fürchten. Sie war eben schon geschwächt gewesen und das war ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was sie jetzt tat. Ein Schild, der auch noch eine vernichtende Komponente hatte… Sie war sich nicht sicher auch nur schon einmal davon gehört zu haben.
Schweißperlen traten dem Mädchen auf die Stirn, während sie einen Schritt auf die Kreatur zumachte, die mit einem ängstlichen Aufheulen zurückwich.
Und dann war Wys plötzlich wieder da und schlug der Kreatur das Schwert in die Schulter. Blut tropfte aus einer langgezogenen Wunde auf seiner Brust, aber das Kettenhemd hatte wohl das schlimmste verhindert. Erneut wischte das Biest den Archonten mühelos weg, doch die Klinge blieb wo sie war und trieb es zur Raserei. Zum ersten Mal blutete es und was aus der Wunde hervorquoll erinnerte an nichts, das Naria schon einmal gesehen hätte. Rotschwarz, als stamme es von etwas, das längst tot war. Und dort, wo die Tropfen in einem Sprühregen zu Boden gingen, begann der Boden zu rauchen, als sie sich entzündeten und mit hellgrünen Flammen verbrannten.
Sine sackte derweil erschöpft in sich zusammen, während der goldenen Schild noch einen Moment flackerte und dann erlosch. Sofort wendete die Kreatur seine Aufmerksamkeit wieder ihr und Naria zu. Diese hatte sich jedoch endlich von den Fäden befreit, die ihre Finger zusammenbanden. Dieses Ding schien von innen zu brennen… Mal sehen ob man das nicht auf die Spitze treiben konnte.
Naria rief erneut Feuer herbei, das sich wie eine Flüssigkeit über en Boden ergoss und die Kreatur einhüllte. Das Ungeheurer schrie auf, als die Flammen nach den Härchen auf seinen Beinen griffen und diese in Brand setzten, dann jedoch zog es diese schlicht eng an den Körper und rollte sich zusammen. Naria lies das Feuer lediglich höher und heißer lodern, bis die Flammen sich bereits blau-weiß verfärbten und sie selber davor zurückweichen musste. Selbst der Stein fing langsam an zu Schmelzen. Die Kreatur machte jedoch lediglich einen Satz zwischen den Flammen heraus in Richtung Wys, der grade erst wieder auf die Füße kam. Blut lief ihm aus einem Mundwinkel und er bemerkte seinen Gegner grade noch rechtzeitig um das schlimmste zu verhindern. Statt das ihn die Kralen der Kreatur in die Brust trafen, erwischten sie lediglich seine Schulter und hinterließen tiefe Furchen in seinem Fleisch. Der Archont schrie auf. Naria wusste später nicht zu sagen , wie er es fertigbrachte unter all den Schmerzen noch klar zu denken, doch geistesgegenwärtig wechselte der das ihm verbliebene Schwert zum gesunden Arm und trennte die Kralle der Kreatur sauber am Gelenk ab.
Die Extremität rauchte und zerfloss wie Teer. Als sie auf den Boden auftraf und die Kreatur stolperte heulend zurück. Das Blut, das aus dem Stumpf hervorbrach war zähflüssig und dick wie Harz.
Verbluten würde es durch die Wunde also ganz sicher nicht, dachte Naria, egal wie grässlich sie war. Trotzdem wendete es sich zur Flucht und setzte heulend an der Gejarn vorbei, die sich über Sine gebeugt hatte. Blutstropfen regneten auf sie herab und Naria kam grade noch dazu, den Umhang zu heben um zu verhindern, dass sie sie ins Gesicht trafen. Der Stoff fing an zu dampfen und bald schon schlugen auch die ersten Flammen daraus hervor. Rasch riss sich Naria die Überreste des Mantels vom Hals und warf ihn bei Seite, während sie nur zusehen konnte, wie die Kreatur spinnengleich eine Häuserwand erklomm.
,, Wir müssen es verfolgen.“ , erklärte Wys, der derweil nach Tira sah, die sichtlich geschockt unter dem Eingangsbogen des Archontenturms hockte. Ihre Hände umklammerten den griff eines Dolchs, den sie jedoch sinken ließ, als sie sah, wie die Kreatur den Rückzug antrat.
,, Alles in Ordnung bei dir ?“ , fragte Wys besorgt, während er ihr auf die Füße half und eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich.
,, Mir geht’s gut… aber du siehst furchtbar aus.“ , erklärte sie und sah an dem blutenden und verdreckten Gejarn herab. ,, Wys, das muss sich jemand ansehen…“
,, Richtig und dann entkommt dieses Ding uns. Naria…“
Naria schüttelte den Kopf. Ihr Onkel war halb tot und sie selbst fühlte sich kaum besser. Nach wie vor strömte Blut aus der Wunde in ihrer Seite. Und Sine konnte kaum selbst stehen und klammerte sich hilfesuchend an sie. Aber Wys hatte auch recht, sie konnten jetzt nicht aufgeben. Bis man einen Suchtrupp zusammengestellt hatte, wäre dieses Biest über alle Berge.
Unter Schmerzen bückte sie sich um ihren beim Kampf verlorenen Beutel wieder aufzuheben. Sie hatte sich ganz sicher nicht darauf vorbereitet solche Wunden zu versorgen. Und für einen Heilzauber war sie selber zu geschwächt… ,, Gegen die Blutungen kann ich zumindest etwas tun.“ , erklärte sie und kramte eine kleine Phiole hervor, in der eingelegt lediglich einige Pflanzenfasern schwammen. Ins gesamt war das Gefäß nicht größer als ihr Fingernagel, aber wertvoller als so manches, was sie besaß. Rotgras… Die Pflanze war eigentlich schon lange ausgestorben und nur noch in einigen Sammlungen fanden sich einzelne Exemplare. Doch schon eine einzige Faser dieser Pflanze konnte Verletzungen heilen, bei denen ansonsten nur noch Magie weiterhalf. Ihre Hände zitternd vor Schmerzen und Blutverlust, als sie vorsichtig zwei der Fasern aus dem Glas fischte und eine davon in ihre eigene Wunde drückte, während sie die andere an Wys weiterreichte. Sofort begann das Blut das aus den Wunden des Archonten drang zu stocken, blasen zu werfen und schwarzen Schorf zu bilden. Sowohl Naria als auch er zuckten zusammen, als ihr eigenes Blut zu verkochen begann.
Für Sine hingegen konnte sie wenig tun. Das Mädchen hatte sich schlicht völlig verausgabt…
,,Tira.. bringt Sine in Sicherheit und informiert die anderen Archonten, damit sie uns die Stadtwache hinterherschicken können.“
,, Nein… es geht schon.“ , protestierte das Mädchen stur. ,, Ich soll euch helfen, und das tue ich auch.“
,, Ihr helft uns wenig wenn ihr euch umbringt.“ , erklärte Wys scharf. Aber welche Wahl blieb ihnen… Wenn sie noch lange diskutierten würden sie die Spur dieser Kreatur noch verlieren.
Naria seufzte und suchte erneut in ihrem Beutel, bis sie fand was sie suchte. Die Blätter sahen nicht besonders aus, länglich grün ohne sichtbare Adern und eher dünn. Überkrustet war jedes davon jedoch mit einer dünnen Schicht Kalk. Das würde hoffentlich das schlimmste verhindern, dachte Naria. Ausprobiert jedoch hatte sie es noch nie.
,, Kaut das, aber merkt euch eines… ihr werdet euch besser fühlen. Vorübergehend. Das heißt aber nicht, dass euer Körper sich auch schon erholt hat. Wenn ihr mit uns kommt, könnt ihr keine Zauber mehr wirken, oder ihr könnt euch schon einmal aussuchen, was auf eurem Grabstein stehen soll. Verstanden?“ Naria packte das Mädchen an den Schultern. ,, Verstanden ?“ Sie tat das nicht gerne, aber sie hatten auch keine Zeit darauf zu warten, dass das Mädchen sich erholte.
Sine nickte lediglich, während sie die Blätter entgegen nahm…
Wys holte tief Luft. Seine Wunden hatten aufgehört zu Bluten und seine Sinne waren jetzt aufs äußerste gespannt. Dann jedoch berührte ihn etwas an der Wange. Tira war zu ihm getreten.
,,Pass auf dich auf.“ , meinte sie bevor sich ihre Lippen zu einem tiefen Kuss fanden. ,, Und komm wieder, verdammt…“
,, Keine Sorge, ich habe nicht vor, dich mit Helios und den anderen alleine zu lassen.“ Wys zwang sich zu einem düsteren Grinsen. ,, Das hier endete heute…“
,,Bleibt nur die Frage, wie wir dieses Ding am besten verfolgen.“ , meinte Naria, während sie sich auf den Weg machten. Sine lief immer noch etwas unsicher, aber das Aufputschmittel tat offenbar seine Wirkung. Blieb nur die Frage für wie lange. Sie waren alle geschwächt und diese Kreatur hatte mehr als bewiesen, dass man sie nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte…
Nach wie vor stieg Qual vom Straßenpflaster auf, dort wo das Blut der Kreatur auf den Boden aufgekommen war und stellenweise loderten auch noch kleine grüne Flammen. Naria konnte es wittern. Dieses Wesen mochte schnell wie der Blitz sein, aber sein Geruch war verräterisch.. abscheulich ohne das Naria wirklich sagen konnte wieso. Es war da, ganz klar wahrzunehmen, aber gleichzeitig konnte sie ihm keinen Namen geben. Es roch nach kaltem Tod, obwohl es innerlich brannte. Nach Staub, nach Dingen, die vergraben sein sollten, nach einem lange erkalteten Leichnam… Alles in ihr sträubte sich danach, etwas zu verfolgen, das so roch. Und dennoch war das genau, was sie vorhatten.
Sie sah zu Wys, der sich eben der Überreste seines zerstörten Kettenhemds entledigte. Die Krallen der Kreatur hatten es glatt durchschlagen und die feinen Metallringe zerfetzt wie Papier. Trotzdem hatte der Stahl den Archonten wohl das Leben gerettet. Nun jedoch war es nur noch ein nutzloses Stück Gewicht.
,, Wir folgen dem Feuer.“ , erklärte er. ,, Ich weiß nicht wie Intelligent dieses Ding ist, aber sollte es versuchen uns in eine Falle zu locken, wird es sich wie eine Fackel verraten.“ Der Archont deutete auf die schwelenden Glutwolken auf dem Pflaster. Auch die Fassade, welche die Kreatur wenige Augenblicke zuvor erklommen hatte, brannte teilweise. Hoffentlich machte dieses Biest bei seiner Flucht keine Begegnung mit einem Holzgebäude, oder sie würden heute Nacht mehr Probleme haben als dieses Ding. In der Unterstadt standen die Häuser dicht an dicht und wenn irgendwo ein echtes Feuer ausbrach… Hoffentlich fanden sie es vorher.
Sine und Wys im Schlepptau setzte Naria sich an die Spitze ihrer kleinen Gruppe und ließ sich sowohl von den Flammen als auch von dem Geruch leiten, den diese Kreatur verströmte. Wenn das Wesen darum bemüht war, seine Spuren zu verbergen, dann hatte es damit jedenfalls nur wenig Erfolg. Trotzdem würde es nicht leicht sein, es auch einzuholen. Wo sie an den Boden gebunden waren, ging die Fährte der Kreatur über Dächer und Tore hinweg immer weiter in Richtung Mauer.
Und grade Sine stolpert ohnehin mehr, als das sie lief. Auch wenn sie darauf bestanden hatte mitzukommen, Naria wäre es lieber gewesen, sie wäre bei Tira geblieben. Das Mädchen wusste einfach nicht, was es tat. Und das konnte ihr eher gefährlicher werden, als alles andere. Die Macht eines Drachen, die durch einen menschlichen Körper gelenkt wurde. Sine würde ausbrennen wie eine Kerze und vermutlich genauso schnell, wenn sie nicht vorsichtig war.
Und dann fanden sie zum ersten Mal einen Hinweis darauf, dass sie auf der richtigen Spur waren. Mitten auf der Straße, in einer Pfützen aus qualmenden Blut lag Wys Schwert, das er der Kreatur in die Schulter geschlagen hatte. Die Schneide glühte regelrecht, dort wo sie mit dem Lebenssaft ihres Wiedersachers in Berührung gekommen war und Wys wischte sie angewidert sauber. Ohne langsamer zu werden, ließ er das Schwert wieder zu seinem Zwilling in die Scheide gleiten und folgte weiter Naria.
Warum nur griff dieses Ding grade jetzt an? , fragte die Gejarn sich. Es musste das gleiche sein, das auch die Stadt terrorisierte, das schien auch Wys klar zu sein. Und auch sie hatte die rote Hand gesehen, die auf dem Körper der Kreatur prangte. Aber wenn dem so war, hatte es sich bis zum heutigen Abend noch nie in die innere Stadt gewagt. Ihr wollte nur eine Sache einfallen, die sich geändert hatte… und das trug nicht grade dazu bei ihre Sorge um das Whaid-Mädchen zu verringern. Sine war hier. Geister ihre schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten. Entweder waren es die Paladine, welche die Anhänger des Herrn der Ordnung informiert hatten oder es hatte schon bei den Whaid einen Informanten gegeben. Aber dann hätten sie sich sicher vorbereitet, oder sie wären schon auf dem Weg zurück nach Helike attackiert worden. Das hier wirkte überstürzt, als wäre ihnen nicht viel Zeit geblieben, sich eine Strategie zu überlegen.
Die Spur, der sie folgten führte in Tornähe schließlich über die Mauer der inneren Stadt und in einer leuchtenden Spur die Felsen hinab. Der Geruch des Wesens sowie die Flammen verloren sich irgendwo in der Unterstadt, während Naria und die anderen über den Rand der Zinnen nach unten spähten. Das Ungeheuer hatte mittlerweile einen gewaltigen Vorsprung, aber noch war sie nicht bereit aufzugeben. Und Wys offenbar auch nicht. Der Archont war bereits wieder die Stufen zur Mauer hinabgestiegen, bevor sie sich ganz umgedreht hatte und war auch schon zum Tor hinaus.
Naria setzte ihm sofort die Rampe hinab nach. Einige Paladine, die auch um diese späte Stunden noch Wache standen, schlossen sich ohne zu fragen ihrem Archonten an. Einen Moment glaubte Naria tatsächlich, das sie wieder eine Chance hatten. Zerschlagen und geschwächt wie sie drei waren sehnte sie einer zweiten Begegnung mit dieser Spinnenkreatur nicht grade herbei. Doch die bewaffneten Männer blieben bald hinter ihnen zurück. Das Gewicht ihrer Panzer verhinderte, dass sie lange Rennen konnten und Wys schien nicht gewillt auf sie zu warten. Und Naria genau so wenig. Mit einem zumindest hatte ihr Onkel Recht, sie konnte es sich nicht erlauben, die Spur dieses Wesens zu verlieren. Taten sie es, würde das Morden schlicht weitergehen. Das hier war ihre eine und vielleicht einzige Chance.
Hier in der Bezirken war es um einiges schwerer, es weiter zu verfolgen. Feuer sahen sie kaum noch welch. und auch der Geruch war nur noch schwach wahrnehmbar, überdeckt von den Myriaden anderer Gerüche , die diese Stadt durchzogen, vom gestand der Gerberhütten und dem verbrannten Geruch der Eisenschmiede bis hin zu den Suren, die zehntausende Menschen und Gejarn hinterließen. Wenn dieses Wesen gewollt hätte, hätte es sie längst abgeschüttelt, dachte Naria besorgt. Es würde schon genügen, sich schlicht den Weg durch einen der Kanäle der Stadt zu suchen, damit sie seine Spur endgültig verlieren würden. Doch nichts dergleichen geschah. Es schien sich eher grade und zielstrebig wie ein Pfeil auf etwas zuzubewegen und das es dabei verfolgt wurde, war ihm offenbar völlig egal. Egal… oder Absicht. Naria wusste nicht, welche Möglichkeit ihr weniger gefiel.
Mittlerweile hatten sie die gut beleuchteten Händler und Handwerksviertel der Stadt passiert und fanden sich in einem der ärmeren Bezirke wieder. Hier waren die Hütten klein und gedrungen und manche bestanden aus kaum mehr als einigen grob zusammengezimmerten Brettern. Nur vereinzelt brannten Kerzen hinter den glaslosen Fenstern und die Straßen selber lagen in vollkommener Dunkelheit. Wenigstens schienen die Leute sich an die Ausgangssperre zu halten, dachte sie erleichtert. Wenn nicht hätte diese Kreatur wohl längst ein weiteres Opfer gefordert…
Naria konnte nicht anders, als sich nervös umzusehen. Ihre Augen sahen mehr, als die eines Menschen, aber das Wesen das sie jagten, war schwarz wie die Nacht und kaum von den Schatten zu unterschieden, die sie auf allen Seiten umgaben. Sie waren Mitte in einen Hinterhalt getappt, dessen war sie sich sicher. Doch noch führte die Spur ihres fliehenden Gegners weiter, an einer halb zusammengefallenen Häuserzeile vorbei und hin zum Eingang eines zweistöckigen Gebäudes, das vielleicht einmal ein Gasthaus gewesen sein mochte. Ein kleiner Pfosten, an dem einst ein Schild hing, war halb umgefallen und hing nur noch an einigen wenigen Holzspänen. Rostige Metallketten hingen davon herab und klackerten leise im Wind. Die Stufen vor dem Eingang des Gebäudes knarzten besorgniserregend unter Narias Füßen und nur die ständige Trockenheit hatte wohl verhindert, dass sie längst zu Staub zerfallen waren. Was einst an Glas in den Fenstern gewesen war, lag als Splitter über den Boden verteilt. Das alles waren jedoch schon alt und vor langer Zeit geschehen. Die Tür war einfach aus den Angeln gerissen worden und lag im Eingangsbereich des Hauses. Das frisch gesplitterte Holz wirkte noch deutlich heller, als die ergraute Fassade draußen und direkt über dem Tür Knauf flackerte ein einzelnes Flämmchen. Naria schien es beinahe, wie eine Herausforderung. Dieses Ding hatte sein Versteckt sogar für sie markiert, als wollte es ihnen zurufen : Hier bin ich… holt mich wenn ihr es wagt. Irgendwie erinnerte sie der Anblick zu sehr an das, was Wys über die Übergriffe erzählt hatte.
Hinter der Tür jedenfalls gab es keine weiteren Blutspuren mehr. Entweder hatte das Wesen die von ihm verursachten Feuer gelöscht… oder die Wunde hatte sich geschlossen. Naria sog prüfend die Luft ein, konnte es aber auch nicht mehr wittern. Oder besser, es schien überall zu sein. Dieser ganze Ort roch nach ihm, nach Staub und Tod…
Ihr lief ein Schauer über den Rücken, als Wys die Führung übernahm und durch den Eingang trat. Mit leisem klirren zog der Archont die Schwerter, glitzernde Silberstreifen im Dunkeln. Doch nichts Lebendes erwartete sie im inneren des Hauses. Naria flüsterte einen Zauber, der ein Licht entstehen ließ und sah sich um. Auf den ersten Blick bestätigte sich der Eindruck eines lange verlassenen Gasthauses. Zerbrochene Mobiliar lag über die Dielen verteilt, hinzu kamen eine umgekippte Theke und zerbrochene Flaschen und Gläser. Doch dann machte sie den Fehler, nach oben zu sehen. Das Haus hatte einst zwei Stockwerke gehabt, doch irgendwann im Laufe der Zeit war der Boden desselben wohl einfach weggebrochen und erlaubte so einen Blick direkt nach oben hin zum Dach. Oder hätte es erlaubt, wäre es nicht für die grauen und silbernen Fäden gewesen, die sich überall entlangzogen. Dazwischen hingen die Körper… oder besser, das was davon übrig war. Sie wüsste nicht einmal mehr zu sagen ob es Menschen oder Gejarn gewesen waren, alles was von ihnen blieb waren Mumien aus grauer Haut, die langsam zu Staub zerfielen. Staub, der sich auch hier drinnen überall niedergeschlagen hatte… Dieses Ding ließ tatsächlich nicht einmal mehr die Knochen übrig.
,,Geister.“ , flüsterte sie und konnte die Angst in ihrer Stimme nicht verbergen. Die Bretter des Bodens knarrten unter ihren Füßen. Dieses Wesen hatte sie nicht umsonst hierher geführt… also wo steckte es ?
Wys, Sine und sie stellte sich Rücken an Rücken während sie begannen sich weiter umzusehen. AM hinteren Ende des Raums führt eine halb zerfallene Treppe nach oben in die grausige Trophäen… oder Vorratskammer dieser Kreatur. Erneut wusste Naria nicht, welche Vorstellung ihr weniger gefiel.
,, Seit ihr gekommen um zu sterben, kleiner Archont ?“ Die Stimme, die zu ihnen sprach war dünn, wie Nebel und wie Nebel war sie nicht greifbar, schien über und unter ihnen gleichzeitig zu sein. Trotzdem wusste Naria, zu wem sie gehörte. Das dieses Monster ganz offenbar auch noch sprechen konnte, erschreckte sie mehr als alles andere. ,, Diese Stadt wird einen neuen Herren haben, sobald ihr und die anderen zermalmt seid. Den Herrn, in dessen Namen ich mich an euch Laben werde… Und wenn ihr erst vernichtet seid, wartet ein viel größeres Festmahl auf mich…“
Wys schien der Stimme keine Beachtung zu schenken. Seine Hände schlossen sich um die Schwertgriffe, während er langsam den Kopf drehte um herauszufinden, woher das Geräusch kam.
,, Zeigt euch Dämon… Ihr habt euch für vieles zu verantworten und ich beabsichtige nicht, euch viel Länger Gelegenheit dazu zu lassen.“
Die Antwort bestand aus einem schaurigen Laut, der gleichzeitig Lachen und kreischen zugleich war. Wys jedoch blieb scheinbar ganz ruhig. Nur das leichte zittern seiner Hände verriet, das er bis aufs äußerste Gespannt war. Kalte Wut glitzerte in seinen Augen. Und dann lächelte er. Naria verstand nicht wieso. Der grauhaarige, müde Archont, lächelte, lachte sogar, lachte scheinbar mit der Kreatur, die ihn verspottete… Dann ging alles ganz schnell. Wys bewegte sich wie ein Blitz und wirbelte herum, beide Schwerter erhoben. Das erste schleuderte er wie einen Wurfpfeil in Richtung eines der Schatten an der Decke. Dieser jedoch erwachte zum Leben, sobald er das Silber auf sich zu jagen sah. Doch für Wys Zorn war selbst dieses Wesen nicht mehr schnell genug. Das Schwert durchschlug die Brust des Monsters mit so viel Wucht, das es am Rücken wieder austrat. Die Schneide versank bis zum Heft im schwarzen Fleisch des Ungeheuers, das seinen Halt an der Decke verlor und krachend auf dem Boden landete. Die Dielen zersplitterten unter dem Gewicht. Brennendes Blut schoss aus der Wunde in der Brust des Monsters. So grässlich die Verletzung war, sie schien es nach wie vor nicht erledigt zu haben. Um sich tretend und beißend versuchte es wieder auf die Beine zu kommen, während der Archont erneut auf es eindrang. Wie der Wind wich Wys den Kiefern aus und stieß dem Monster auch noch die zweite Klinge ins Herz. Mit der anderen Hand packte er sein verlorenes Schwert und riss es mit einem grimmigen Aufschrei wieder hinaus. Im nächsten Moment hatte er die Klinge auch schon gedreht und trennte der Kreatur den Kopf von den Schultern.
Schwer atmend stand Wys danach über dem toten Monstrum. Blut troff von den Schwertern, lief ihm aus den Haaren und dem Mundwinkel. Die Wunden an seiner Schulter war wieder aufgerissen, während er die Klingen wegwarf und über den toten Körper zu seinen Füßen hinwegstieg. Mit einem tritt, drehte er das Monster dabei auf den Rücken, so dass das Symbol der roten Hand auf seinem Unterleib deutlich zu erkennen war.
,, Ich habe langsam genug.“ , erklärte er resigniert. ,, Seht euch das an. Das uns dieses Ding heute angegriffen hat ist kein Zufall… Das war eine Kriegerklärung, Naria. Und wenn diese Bastarde einen Krieg wollen… sollen sie ihn haben.“
,, Was habt ihr vor ?“ Sie hatte Wys noch nie so außer sich erlebt.
,, Ganz einfach… ich will endgültig wisse, was hier gespielt wird. Und wenn die Whaid uns nicht weiterhelfen können, werden es eben unsere neuen Freunde. Sobald sich diese Irren das nächste Mal treffen, nehmen wir uns einen davon vor…“
Noch während er sprach, begann sich der Körper des geköpften Monsters jedoch zu verändern. Knisternd begannen die Knochenplatten und Schuppen darauf zu zerfallen und sich zurück zu bilden. Sofort hatte der Archont wieder eines seiner Schwerter in der Hand, während Sine und Naria zurückwichen. Doch ihre Vorsicht war unangebracht. Die Kreatur blieb tot… doch sobald Naria bemerkte, was unter den Knochenplatten und dem verzerrten Körper zum Vorschein kam, war sie sich nicht mehr sicher, ob das wirklich die bessere Alternative war.
,, Ein Mensch…“ Von der einstmals gewaltigen Bestie war nur ein zerschundener, nackter Körper geblieben, dem die Hand und der Kopf fehlten. War das alles am Ende nur ein großer Zauber gewesen? , fragte Naria sich entsetzt. Wie ein Raubtier wie… ein Monster eben. Die ganze Kreatur, ihr verzerrter und mutiert Körper… Aber es hatte andere Menschen gefressen, verflucht… Naria wurde schlecht und selbst Wys schien einen Moment mit den Nerven zu kämpfen. Und um so eine Magie so lange aufrecht zu erhalten… da brauchte es in der Tat die Macht eines Gottes. Oder fast…
Sine wich zurück.
,, Das ist krank… einfach nur…“ Das Mädchen schien einem Nervenzusammenbruch nahe. Das Monster wäre einfacher zu akzeptieren gewesen als ein Mensch. Was für ein Wesen musste so jemand haben? Vermutlich hatte die Magie nur zum Vorschein gebracht was sich ohnehin von Anfang an in ihm verborgen hatte, dachte Naria schaudernd.
,,Warum ? Wieso tut jemand so etwas?“ Sines Augen füllten sich mit Tränen und bevor Naria selber wusste, was sie tat, hatte sie das aufgelöste Mädchen an sich gezogen.
,, Ich weiß es nicht.“ , gab Naria zu. Sine war vielleicht zwei Jahre jünger als sie, trotzdem um so vieles unerfahrener, unsicherer… Das seltsame Bedürfnis sie schützen zu wollen kam längst nicht mehr nur von ihrem Versprechen Kareth gegenüber. Naria mochte sie… vielleicht zu sehr. Doch das würde sie ihr sicher niemals sagen… und sicher nicht jetzt. Im Moment würde sie einfach nur da sein.
Armell hätte sich am liebsten für ihre eigene Dummheit verflucht. Dieser eine, kurze Moment hatte alles zurückgebracht, was sie eigentlich schon begraben glaubte. Sie hatte grade wieder begonnen, so etwas wie ein Leben zu führen, dachte sie. Und doch , in dem Augenblick wo sie Merl gesehen hatte, war der brüchige innere Frieden, den sie gefunden hatte in sich zusammengefallen, als hätte es ihn nie gegeben. Sie glaubte nicht, das sie verrückt wurde… aber das es tatsächlich Merl sein könnte, der sie so quälte und keine Ruhe finden ließ… sie weigerte sich, das zu glauben. Er hatte sie geliebt und sie liebte ihn, nach wie vor. Ein Teil von ihr würde das wohl immer tun, egal wie viele Jahre ins Land gehen mochten, oder wen sie vielleicht noch kennen lernen mochte. Wie der alte Mann, Erik ihr gegenüber einmal bemerkt hatte, die erste Liebe würde einen Verfolgen. Und offenbar wusste der Alte wovon er sprach, so seltsam wie er sie dabei ansah.
Dennoch trug das wenig dazu bei, sie zu beschwichtigen und immer öfter ertappte sie sich bei dem Gedanken, aufzubrechen. Wohin wusste sie nicht. Sie wusste ja nicht einmal, wie man einen toten finden sollte. Doch je länger sie hier waren und je öfter sie ohne voranzukommen aus den Gruben im Tal stiegen, desto überzeugter wurde sie davon.
Die anderen merkten natürlich, dass etwas nicht stimmte, aber was sollte sie ihnen sagen? Das sie Geister sah? Das sie langsam verrückt wurde?
Nachts lag sie meist einfach nur in ihre Decken gehüllt da und starrte in die Dunkelheit, ohne wirkliche Schlaf zu finden. Zu oft kehrten ihre Gedanken zu Merl zurück und wenn sie dann doch einmal die Augen schloss kamen die Träume. Manchmal erinnerte sie sich nicht daran, wenn sie aufwachte doch dann wieder waren sie so lebensecht… Sie träumte von dem Tag im Wald, als sie geglaubt hatte, Merl wieder gesehen zu haben. Doch diesmal fand sie ihn auch, er stand einfach da, in seinen typischen braun-roten Roben und einem unsicheren Ausdruck auf dem Gesicht. Und wenn er sie sah lächelte er traurig. ,, Ich hoffe du kannst mir verzeihen. “
Armell wollte etwas erwidern, doch der Kloß der plötzlich in ihrem Hals saß erlaubte keine Worte. Stattdessen liefe sie nur auf ihn zu, streckte die Arme aus… ,, Es tut mir so leid.“ und wachte auf, mit Tränen in den Augen und alleine.
Nun nicht ganz alleine. Sentine hockte auf einer einfachen Stange unter der Zeltdecke und betrachtete sie besorgt, wie sie so dalag. Mit einem seufzten drehte Armell den Docht einer Lampe hoch, die neben ihrem Bett brannte und blinzelte ins Licht. Draußen war noch alles dunkel. Einen Moment überlegte sie trotzdem einfach aufzustehen, sich anzuziehen und einen Spaziergang zu machen. Einschlafen würde sie jetzt ja sowieso nicht mehr. Ihre Stiefel standen auf einer kleinen Truhe neben dem Bett. Der rote Staub im Tal hatte sich bereits förmlich in das Leder gebrannt.
,, Es tut mir so leid.“ Einen Moment fragte sie sich, ob sie wieder eingeschlafen war, oder ob ihre übermüdeten Sinne ihr nicht einen Streich spielten. Armell wagte es nicht, sich zur anderen Seite des Bettes umzudrehen, auch nicht als sie ihren eigenen Namen hörte. ,, Armell…“
Selbst Sentine hatte mittlerweile den Kopf in Richtung der Stimme gedreht.
,,Ich bin verrückt.“ , erklärte sie bitter.
,, Nein… Ich… ich bin wirklich hier.“
,,Natürlich.“ Armell schnappte sich lediglich einen ihrer Schuhe und wirbelte herum. Das Projektil ging glatt durch die Gestalt durch, die dort auf der anderen Seite des Betts saß. Merl schüttelte traurig den Kopf, während er zusah, wie der Schuh zu Boden polterte und irgendwo in seinem Fuß zum Liegen kam. Armell zweifelte tatsächlich kurz an ihrem Verstand. Irgendwie schien das Trugbild aus ihren Träumen seinen Weg in die Realität gefunden zu haben. Doch diesmal weigerte es sich offenbar hartnäckig zu verschwinden.
,,Du glaubst mir nicht.“ , stellte der junge Magier fest. ,, Hasst du mich ?“ Es war dieser eine Satz, der den Ausschlag gab. Das klang so absolut so unverkennbar nach Merl… das…
,,Merl…“
,,Ich wünschte ich hätte früher kommen können.“ , meinte er, bevor er jedoch noch mehr sagen konnte, war Armell schon bei ihm und wollte die Arme um ihn schlingen. Ihre Finger jedoch griffen durch seine Gestalt wie Nebel. Sie spürte absolut nichts, nur einen leichten Kälteschauer wo ihre Haut durch die Erscheinung glitt. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Und genau wie sie zuvor versuchte Merl sie zu berühren, streckte eine Hand aus um die feinen Wasserperlen wegzuwischen. Sie spürte nur Kälte…
Merl starrte eben so traurig wie enttäuscht auf seine eigene Hand, bis er sie schließlich sinken ließ. Es gab keinen Luftzug, nichts. ,, Ich weiß.“ , meinte er leise.
,,Warum ?“ Armell verstand es nicht. Weder, was hier vorging, noch was ihn dazu bewegte sich grade jetzt zu zeigen nach… Monaten. Sie hasste ihn nicht… aber in diesem einen Moment spürte sie Wut in sich hochkrochen. ,, Warum verdammt ?“ Armell dachte keinen Moment darüber nach, ob die andere sie hören konnten, ob sie dann vielleicht eine verrückte Frau vorfanden, die scheinbar nichts anschrie. Das alles war ihr in diesem Moment vollkommen egal geworden. ,, Warum jetzt ? Ich habe gedacht du wärst weg. Und jetzt, nach Monaten, tauchst du plötzlich wieder auf und alles was du mir zu sagen ist du ,, weist“ ? Warum bei allen Göttern, warum tust du das? “
Der junge Magier ließ die Schelte protestlos über sich ergehe. Kaum waren die Worte verklungen taten sie ihr auch schon wieder leid. Wäre es möglich gewesen, sie hätte ihn in die Arme geschlossen und sich entschuldigt… so jedoch blieb ihr nur letzteres übrig. Er hatte es gewusst, dachte Armell. Von Anfang an hatte er gewusst, was passieren mochte, wenn er sich zeigte. Deshalb hatte er so oft um Vergebung gebeten.
,, Ich verzeihe dir.“ , murmelte sie. ,, Alles. Aber warum jetzt ?“
,, Ehrlich gesagt… ich habe schon vorher auf dich geachtet.“ , meinte er. ,, Und auch wenn es mir nicht leicht fällt ich musste dich zumindest ein paar Mal sehen. Ich… bin nicht mehr ganz der, den du kanntest. Neben dem offensichtlichen. Mein Körper ist tot, Armell. Aber meine Seele… Es ist wie Zachary immer gesagt hat. Sie kann unabhängig vom Rest existieren… Ich bin noch hier.“ Merl versuchte sich an einem zaghaften Lächeln. ,, Aber es fällt mir schwer mich auf diese Art zu zeigen. Ehrlich gesagt… es ist schwer für mich überhaupt etwas zu tun, außer zu verhindernd das das was von meinem Geist jetzt noch übrig ist, endgültig auseinanderdriftet. Und trotzdem habe ich auf dich geachtet. Es hat eine Weile gedauert, bis ich gelernt habe wie ich mich in dieser Form… ich schätze bewege wäre das richtige Wort. Zumindest ohne das meine Seele dabei zerspringt wie schlechtes Glas. Und den Pfeil damals abzuwehren hat mich fast alles gekostet. Ich wusste noch nicht wie ich mit diesem… Zustand umgehen muss. Es ist schwer, das alles in Worte zu fassen, die jemand versteht, der es nicht selbst erlebt hat.“
Er war es also wirklich gewesen, dachte Armell und schloss einen Moment die Augen. Von Anfang an, als dieses ganze Durcheinander begonnen hatte. Und jetzt verstand sie auch, warum er sich nicht oder nur flüchtig gezeigt hatte. Ihm war schlicht keine andere Wahl geblieben. Das war kein Trugbild, dachte die junge Frau. Und auch kein Traum. Merl war wirklich wieder hier. Auch wenn er nach wie vor so weit entfernt schien… Sie hatte ihn wieder. Irgendwie hatte sie ihn wieder. Aber warum sah er dabei dann so gequält aus?
,, Merl… Was stimmt nicht?“ Sie fürchtete die Frage zu stellen, doch vermeiden konnte sie sie auch nicht. Sie musste die Wahrheit wissen.
,, Wie gesagt ich bin Tod Armell. Meine Seele hat keinen Ankerpunkt mehr in dieser Welt. Es ist als würde ich bei schwerer See auf dem offenen Meer treiben ohne Land in Sicht oder wenigstens eine Planke, an der ich mich festhalten könnte. Und je länger dieser Zustand andauert, desto weniger wird von mir bleiben. Ich werde zwischen den Wogen hin und her geworfen und jedes Mal verliere ich mich ein Stückchen mehr. Wie ein Stein, der langsam abgeschliffen wird… irgendwann ist nur noch Sand da. Die Entropie nagt an meiner Seele und nach und nach fragmentiere diese immer mehr, löse ich mich auf… Es fällt mir jetzt bereits schwer, die einzelnen Teile zusammen zu halten.“
Wie um seine Worte zu unterstreichen hielt er eine Hand gegen das Licht der Laterne. Im Halbdunkeln war es ihr nicht aufgefallen, aber die Umrisse seiner Erscheinung wirkten verschwommen und zerfasert… als hätte jemand tatsächlich angefangen das Wesen seines seins langsam abzuschleifen.
,, Aber… Das alte Volk hat doch Jahrhunderte so überdauert. Wie kann es sein das du nicht dasselbe kannst?“ “ Armell weigerte sich, das so einfach zu akzeptieren. Hatte sie ihn wirklich nur wiedergefunden um ihn jetzt erneut zu verlieren? Dieses Mal endgültig? Sie schüttelte den Kopf.
,, Ich weiß es nicht, aber wen ich vermuten sollte…das alte Volk ist eben das alte Volk. Und ich gehöre nur halb zu ihnen. Meine Seele ist nach wie vor menschlich, Armell. Zumindest zu einem großen Teil. Aber trotzdem habe ich sie auf einen Weg geführt, den vor mir nur sehr viel stärkere Wesen beschritten haben. Das verträgt sich... nicht unbedingt gut fürchte ich. Wenn das worin ich mich wiedergefunden habe, das Meer ist, dann hatte das alte Volk Schiffe wo ich nur Schwimmen kann."
,, Das ist nicht fair.“ Armell wusste, wie leer diese Worte waren. Und eigentlich wäre ihr eine derartige Trotzreaktion fremd aber… Es war nicht fair. Was für ein grausamer Streich sollte das sein? Das merl von en Toten zurückkam nur um ihr zu sagen, dass sie ihn bald erneut verlieren würde?
,,Kann Zachary dir nicht helfen ? Irgendjemand ? Es muss doch etwas geben, was man tun kann..“
,, Selbst wenn, Armell, ist dieses Wissen mit dem alten Volk verschwunden. Und Zachary hat Jahrzehnte gebraucht um das einige Zusammenzutragen, dass er heute weiß. Wenn es eine Lösung gibt, dann keine, die mir noch etwas nützen würde. Ich wünschte es wäre anders.“ Seine Worte taten ihm genau so weh wie ihr… aber nicht weil er sich selbst sämtliche Hoffnung absprach. Merl wusste, was er ihr damit antat, aber er würde sie auch nicht Anlügen. Doch während er sprach keimte ein kleiner, winziger Hoffnungsfunke in ihr.
,, Wenn du das Wissen des alten Volkes brauchst, sind wir am richtigen Ort.“ , meinte sie. ,, Du… weißt du was wir hier tun ?“
,, Nicht genau… Es ist schwer für mich, den Ereignissen dieser Welt noch zu folgen. Aber ich habe versucht auch auf die anderen ein Auge zu haben. Aber dies war einst eine Stadt es alten Volkes…“ Er schien langsam zu begreifen worauf sie hinaus wollte. ,, Du glaubst, was immer ihr hier sucht könnte auch eine Antwort für mich bereit halten ?“
,, Ich weiß wie unwahrscheinlich das ist… aber möglich wäre es schließlich.“
Er schloss die Augen. ,, Du hast noch nie leicht aufgegeben.“ , meinte Merl seufzend. Er hatte sich verändert, dachte Armell. Das war nicht mehr der unsichere kleine Junge, den sie einmal in einer Winternacht auf dem Rabenkopf kennen gelernt hatte. ,, Das kleine Mädchen aus Freybreak hat es noch nicht aufgegeben, ein paar Schneebälle ins Dunkel zu werfen.“
,, Sagt der kleine Junge , der mich nie treffen konnte.“
,, Vielleicht wollte ich einfach nie.“ Merl lächelte zum ersten mal wieder. ,, Ich liebe dich… aber ich will nicht, das du dir Hoffnungen machst, die nur enttäuscht werden können. Ich…“ Er streckte eine Hand aus, wollte sie berühren, so vergeblich dieser Versuch auch war. Bevor er jedoch dazu kam, wurde die Klappe zum Eingang ihres Zelts aufgeschlagen und Eden sah mit einer Laterne in der Hand hinein.
,, Wir haben Stimmen gehört… ist alles in Ordnung ?“ Natürlich hatte man sie gehört, dachte Armell. Sie hatte sich nie bemüht, gedämpft zu sprechen und in der Stille der Nacht schallten ihre Stimmen vermutlich durch das halbe Tal.
Hinter der Gejarn stand bereits Erik, der lediglich eine Augenbraue hochzog, als er Merl erspähte. Er schien nicht im Geringsten überrascht, den Magier zu sehen. ,, Oh… wir haben offenbar Besuch.“ , meinte er lediglich.
,, Das sehe ich.“ , brummte Cyrus, kaum mehr als ein Schwarzer Schatten neben ihm. Und dann waren auch Galren und Elin da. Beide erstarrten, sobald sie Merl erkannte, der regungslos auf der Bettkante saß und ihnen einen Moment zunickte. Alle fünf sahen aus, als wären sie grade erst aus dem Bett gefallen und Galren hielt noch den Gürtel mit seinem Schwert in der Hand.
,, Merl ?“ Galren ließ vor Schreck fast den Gurt fallen. ,, Seit ihr das wirklich ?“
,,Hallo Galren…“ , meinte der Magier freundlich, sah sich jedoch um, als würde er jemanden vermissen. . ,, Schön euch alle zu sehen… Aber wo ist Lias?“
Betretenen Schweigen war alles, was Merl Antwortete, sobald seine Frage verklungen war. Wie konnte er das noch nicht wissen? , fragte Armell sich. Aber er hatte ja gesagt, das es ihm schwer fiel sich mit… dieser Welt auseinanderzusetzen.
Galren schien einen Moment sichtlich mit sich zu kämpfen, wie er so dastand, das Schwert in der Hand und unfähig etwas zu erwidern. Lias war vor allem sein Mentor gewesen… und sein Freund. Und Merl jetzt hier wiederzusehen… wären die anderen nicht genau so erschrocken darüber wie sie selbst, Armell würde vielleicht immer noch glauben, schlicht den Verstand zu verlieren.
Doch da saß er, vielleicht nicht in Fleisch und Blut doch ohne Zweifel da. Das spärliche Licht der Laternen spiegelte sich sogar in seinen grünen Augen und erhellte die blassen Züge etwas. Selbst seine Kleidung war einfach ganz und gar Merl. Der braune Umhang mit den roten Ziernähten gehörte schon fast zu ihm wie seine Haut.
,,Lias ist tot.“ , brachte Galren schließlich heraus. ,, Er… starb als wir die fliegende Stadt erreicht hatten.“
,, Ich hatte es befürchtet.“ Die Nachricht ging nicht spurenlos an Merl vorbei. Unsicher sah er zu Boden, als wüsste er nicht, wie er fortfahren sollte. Als er sprach klang seine Stimme traurig, noch niedergeschlagener als zuvor, während er Armell um Verzeihung bat. ,, Und dabei ich noch gehofft es gäbe eine andere Erklärung dafür, warum ich ihn nicht mehr finden kann. Ich habe zumindest nachsehen müssen ob es euch allen gut geht. Er war der einzige, der nirgendwo zu sehen war…“
,, Aber was ist mit euch ?“ , fragte Galren und blinzelte, als könnte er die Gestalt vor sich dadurch irgendwie verschwinden lassen.. ,, Wir haben euch sterben sehen…“
,, Das ist eine etwas längere Geschichte.“ Merl seufzte. ,, Ich bin den Weg des alten Volkes gegangen, Galren. Es gibt ihn wirklich, aber… er ist anders, als alles was ich mir vorstellen konnte.“
,, Ihr habt es also tatsächlich geschafft.“ Elin jauchzte und war auch schon aufgesprungen um den jungen Mann in eine Umarmung zu ziehen. Wie schon zuvor bei Armell glitten ihre Finger schlicht durch Merls Gestalt hindurch, als bestünde er nur aus Nebel. Enttäuscht ließ sie die Hände sinken und sah zu der ernsten Form des Magiers auf. ,, Also ich an eurer Stelle würde mir das mit der Seelenwanderung noch einmal überlegen.“ , erklärte sie säuerlich.
Und tatsächlich lachte Merl, ein seltsam hohler Laut, bevor er schließlich wieder ernst wurde. Er schien in der kurzen Zeit die er fortgewesen war um ein Vielfaches gealtert zu sein. Nicht körperlich vielleicht, aber Merl hatte sich ohne Zweifle verändert und selbst seine Augen blickten wie die eines sehr viel weiseren Mannes. Einen, der Dinge gesehen hatte, die besser verborgen geblieben wären. Doch in diesem einen Moment schimmerte wieder etwas von dem schüchternen kleinen Jungen durch, in den Armell sich verliebt hatte.
,, Die Götter wissen ich habe euch alle vermisst.“ Einen Moment hob er die Hand, als wollte er dem Gejarn-Mädchen die Haare zerzausen bis ihm wohl selbst wieder klar wurde, dass das unmöglich war. Er stand hier und war doch so weit von ihnen getrennt, als stünde er am anderen Ende der Welt. Gedankenverloren betrachtete er seine Finger, deren Umrisse genauso ausgefranst und verschwommen wirkten wie der Rest seiner Gestalt. ,, Zachary hat immer versucht, mich darauf vorzubereiten, aber… als ich den letzten Schritt dann tatsächlich gegangen bin… Es hat lange gedauert bis ich auch nur den Versuch wagen konnte, zu euch zurück zu kehren.“
,, Also da brat mir doch jemand einen Storch.“ Erik der trotz der späten Stunde eine brennende Pfeife im Mundwinkel hatte musterte den jungen Magier von oben bis unten. ,, Wenn mir einer gesagt hätte, das ich auf meine alten Tage noch eine Überraschung überleben kann…“
,, Und wie ist das… so zu existieren ?“ Galren schien sich unsicher ob er überhaupt fragen sollte. Merl war sein Freund gewesen, doch das schien ein Leben lang her.
,, Ich bin nicht Tod und nicht lebendig… und ohne einen Ankerpunkt für die Welt der Lebenden oder die goldenen Hallen der Toten werde ich langsam zwischen diesen beiden Reichen zermalmt. Könnt ihr euch vorstellen, wie es wäre, in einem epileptischen Anfall gefangen zu sein und dabei gleichzeitig gezwungen zu sein zu schwimmen?“
,,Ähm…“
,, Genau so.“ Merl brachte ein schwaches Grinsen zustande. ,, Aber das ist… ein Problem mit dem ich klar kommen muss.“ Er schien es vermeiden zu wollen über ihre Hoffnung auf eine Lösung zu sprechen. Vielleicht war das besser so, dachte Armell. Am Ende hatten sie nach wie vor nichts gefunden und mittlerweile jeden Stein im Tal umgedreht. Oder fast jeden. Eriks Grabungen zogen sich mittlerweile den ganzen Fluss entlang und außer Scherben und grob behauenen Steinen war ihre Suche Erfolglos geblieben. Vielleicht gab es hier ja keine Kammer, dachte sie niedergeschlagen. Aber sie war auch nicht bereit, so einfach aufzugeben. Jetzt noch weniger als zuvor. Zuvor hatte sie einem Freund helfen wollen… jetzt jedoch lief es vielleicht darauf hinaus, das sie Merl retten könnte.
,, Also was sucht ihr hier ?“ , fragte Merl. ,, Armell hat mir noch nicht alles erzählen können, aber ein paar Sachen kann ich mir denken.“
,, Um es kurz zu machen, ich vermute, dass es hier ein Archiv des alten Volkes geben könnte.“ , erklärte Erik, während er sich an Galren und den anderen vorbeidrängte und Merl eine Hand hinstreckte. ,, ich glaube wir wurden einander noch nicht vorgestellt, Herr…“
,, Merl.“ , erwiderte der Magier sah aber davon ab, dem weißhaarigen Mann die Hand zu geben.
,, Mein Name ist Erik Flemming, der da ist Cyrus, stellte er die anderen vor. ,, Und das ist…“
,, Ihr seit Zacharys Schüler, oder ?“ , fragte Eden ehe er den Satz beenden konnte.. ,, Ihr könnt euch vielleicht nicht mehr an mich erinnern. Geister ihr könnt noch keinen Monat bei Zachary gewesen sein als ich euch das letzte Mal gesehen habe. Aber es ist selbst für mich nicht immer leicht ihn zu besuchen.“
,, Dafür spricht er allerdings oft genug von euch…“ Merl musterte sie verschüchtert. ,, Ihr seid Eden, richtig ? Die Piratin bei der er aufgewachsen ist ?“
Vielleicht hatte Melr sich ja doch nicht so stark verändert, wie sie glaubte, dachte Armell. Vor der Ziehmutter seines Meisters jedenfalls schien er mehr als nur etwas Respekt zu haben, trotz seines Momentanen Zustands. Die weiße, durch den Staub im Tal eher rote, Gejarn lachte.
,, Richtig. Auch wenn ich zumindest das Piratentum an den Nagel gehängt habe. Ich glaube, sobald Erik hier damit fertig ist im Dreck zu wühlen, sollte ich ihm mal wieder einen Besuch abstatten. Der Junge vergisst mich sonst noch mal. Und wenn ich mir ansehe, was er mit euch angestellt hat, scheint mir fast, ich muss ihm ein paar Flausen austreiben.“
Wenn man sie so reden hörte, könnte man fast glauben, alles sei in Ordnung, dachte Armell. Und für einen Moment ließ sie sich sogar von dem Gefühl einlullen. Dann jedoch kam Merl wieder zu seiner ursprünglichen frage zurück.
,, Und ihr habt bisher nichts gefunden ?“ Einen Moment sah er in die Runde, während Erik schlicht den Kopf schüttelte.
,, Ein paar Scherben, ein paar Bilder… Aber ich bin mir sicher, das mehr dahinter steckt.“ Er betrachtete Merl einen Moment. ,, Sagt mal… ihr könntet nicht zufällig einfach… ich weiß nicht, durch den Boden gleiten und nachsehen ob ihr etwas findet ?“
,, Es… kostet mich schon genug Kraft, mich nur auf dieser Ebene zu halten.“ , erklärte Merl. ,, Ich wünschte ich könnte euch helfen aber…
,,Schon gut.“ Armell ertappte sich erneut dabei, wie sie ihn berühren wollte. Ihm einfach nur die Hand auf den Rücken zu legen und ihm ein wenig Rückhalt zu geben hätte schon gereicht.
Der junge Magier seufzte tief. Offenbar hatte er bemerkt, was sie vorhatte.
,, Was ist mit euch, Galren ?“ Merl sah zu dem Mann herüber, der etwas hinter Eden und Erik zurückgewichen war. ,, Eure Gabe ist fort, oder ?“
Er nickte. ,, Ich weiß nicht einmal wieso. Aber ich habe schon versucht, wieder darauf zuzugreifen, glaubt mir. Seit ich… meinen Vater in der fliegenden Stadt bekämpft habe oder kurze Zeit später ist einfach alles…weg.“
,,Und das Schwert zerbrach dabei.“ Merl schien einen Moment nachzudenken. ,, Ich kann nicht sagen, dass ich weiß wie eure Wegfindung funktioniert, aber… ich vermute einmal, das Schwert hat etwas damit zu tun. Das war mächtige Magie, Galren. Macht die frei wurde, als es zerschmettert wurde. Wenn man zu lange in die Sonne sieht, hat man danach Nachbilder. Ich vermute hier ist es ähnlich. Die Magie der Waffe hat eure Gabe schlicht…überlagert würde ich sagen. Aber es hat euch nicht völlig geblendet. Ich schätze in ein paar Jahren oder auch Monaten würde eure Gabe langsam zurückkehren.“
Nur sie hatten keine Jahre, dachte Armell. Vielleicht nicht einmal Monate. Wenn es nicht um Merl ginge… ,, Du hast einen Plan, oder ?“ Er würde das doch sicher nicht zur Sprache bringen nur um ihre Hoffnungen zu zerschlagen.
,,Vielleicht. Galren, ich glaube ich könnte eure Gabe wieder erwecken. Zumindest dafür sollten meine Kräfte noch ausreichen. Es wird… Wenn ich das tue werde ich mich nicht mehr auf dieser Ebene halten können. Zumindest fürs erste. Aber es würde euch erlauben zu finden, was es hier zu finden gibt.“
Alle Augen richteten sich auf Garlen. Während der Zauberer sprach hatte sich der Gesichtsausdruck des Mannes verändert, von freudiger Überraschung zu einer düstern, nachdenklichen Maske. Armell konnte sich nur zu gut vorstellen, was grade in ihm vorgehen mochte. Seine Gabe so mächtig sie war, hatte ihn beinahe ins Verderben gestürzt. Und ihn beinahe Elin gekostet. Aber es war vielleicht auch der einzige Weg, die Kammer zu finden, die Erik suchte.
Die kleine Gejarn an seiner Seite sah ihn besorgt an und Armell meinte einen Moment in ihr ihr Spiegelbild zu erkennen. Es war genau der gleiche Blick mit dem sie Merl bedacht hätte und er sprach von Sorge und Angst. Das Mädchen wusste selber gut genug, wie schnell Galrens Fähigkeiten zu einem Fluch werden konnten.
,, Wir finden einen anderen Weg.“ , meinte sie und legte dem Mann eine Hand auf die Schulter. ,, Bitte…“
,, Und wie lange werden wir dafür brauchen, Elin ?“ Armell schämte sich selbst dafür, doch sie hatte auf genau diese Antwort gehofft. Noch kämpfte er mit sich, aber sie wusste genau so gut wie die Gejarn, wofür er sich vermutlich entscheiden würde. Bitte nimm das Angebot an, dachte sie. Es war ihre einzige Hoffnung vielleicht auch Merl helfen zu können. Doch am Ende war es auch seine Entscheidung. Armell schloss einen Moment die Augen. Sie nannte Galren einen Freund und sie wusste, was beinahe aus ihm geworden wäre. Einen Moment war sie hin und her gerissen zwischen ihrer Angst um Merl und der um Galren. Und Elin… Götter konnte sie sie das gleiche durchmachen lassen wie sie selbst?
Nach wie vor schien Galren nicht sicher, was er tun sollte. Wenn sie ihm jetzt sagte, das auch Merls Leben davon abhängen würde, würde er zustimmen, das wusste sie. Es war zum verrückt werden, egal was sie tun würde, sie würde riskieren einen geliebten Menschen zu verlieren. Ihr Blick traf sich einen Moment mit Elins. Sie hatte noch nie gesehen, dass das Mädchen so offen Angst gezeigt hätte. Dennoch sagte es nichts, versuchte nicht, Galren zu irgendetwas zu bewegen. Es war seine Entscheidung, von ihnen würde sie ihm keiner abnehmen. Armell seufzte. Und sie auch nicht. Und so tat sie am Ende genau das gleiche wie Elin. Sie schwieg. Was immer Galren tat, sie würde dahinter stehen.
,,Tut es.“ , erklärte er schließlich.
,, Und ihr seid euch ganz sicher ? Ich bezweifle das ich es rückgängig machen kann.“ Oder dass er da sein würde um es zu tun, dachte Armell. Er sprach es nicht aus, aber er hatte sie gewarnt, wie viel Kraft ihn das kosten würde. Es würde die wenige Zeit die ihnen blieb noch weiter verkürzen. Einen Moment war sie kurz davor, Galren zu bitten es nicht zu tun. War sie bereit alles für eine schwache Hoffnung zu riskieren? Die Monate die ihr in jedem Fall noch mit Merl bleiben würden einzutauschen gegen… weniger als nichts?
,,Ich bin mir sicher.“ Merl nickt lediglich, bevor er die Hand ausstreckte. Wie schon zuvor berührte er Galren nicht, sondern die Hand glitt einfach durch die Stirn und die Schläfe des Mannes hindurch wie ein Windhauch. Und doch war die Wirkung diesmal völlig anders. Im ersten Moment geschah nichts, dann jedoch schrie Galren plötzlich auf. Ein abgehakter Laut, der sofort endete, als der Mann das Bewusstsein verlor. Sofort stürzten die anderen herbei um ihn aufzufangen.
,, Was ist passiert ?“ Sobald Elin sicher war, das er noch atmete, wirbelte sie zu Merl herum. Doch wo dieser grade noch gestanden hatte, war nur leere. Von einem Wimpernschlag auf den anderen war die Gestalt des Zauberers verschwunden. Armell konnte nur fassungslos dastehen. Er war einfach fort. Erneut… Und was mit Galren war konnte ihnen außer Merl niemand mehr verraten….
Er träumte. Dessen war er sich vollkommen sicher. Vor allem weil der Körper, den er bewohnte nicht sein eigener war und auch das Land um ihn… Er konnte die brennende Hitze auf seiner Haut spüren, der Haut die rotgebrannt war und nicht die seine. Er war zuvor noch an einem anderen Ort, das wusste er. Auch dieser war unsäglich Heiß gewesen, doch die Gegend um ihn hatte sich vollkommen verändert. Soweit er sehen konnte erstreckte sich um ihn herum nichts als Sand. Sand, der sich zu großen und kleineren Dünen aufschichtete, wie ein erstarrtes Meer. Langsam stieg er den Hang einer davon hinauf, während der Wind hinter ihm heulte und das stetige Spiel aus sich verschiebenden Sandmassen vorantrieb. Galren hob den Kopf, oder besser, der Mann durch dessen Augen er sah tat dies. Die Sonne stand noch hoch am Himmel und machte diese Gegend noch lebensfeindlicher, als ohnehin schon, doch verspürte er keinen Durst und keine Erschöpfung. Die Sandkörner die unter die Sohlen seiner Sandalen gerutscht waren scheuerten unangenehm, dich ihn als unfreiwilligen Besucher schein das mehr zu stören als den anderen. Den, dem dieser Körper tatsächlich gehörte. Entweder bemerkte der Fremde seine Anwesenheit nicht, oder sie war ihm schlicht egal. Jedenfalls setzte er stoisch seinen Weg bis zum Kamm der Düne fort. Stützen tat er sich dabei auf etwas, das Galren im ersten Moment für einen schlichten Stab hielt, doch bestand dieser nicht aus Holz sondern aus dunklem Metall. Der Stahl war grob und kaum bearbeitete und am oberen Ende bog sich eine lange Klinge nach vorne. Was der Mann da hielt, war eine Sense… Keine Waffe, da war Galren sich sicher, dazu wäre sie zu unpraktisch, aber ein grimmiges Symbol, das ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Er blickte an sich herab, sofern das die Bewegungen des Fremden auch zuließen. Offenbar trug der Mann ein schweres, mit Pelz besetztes Wams. Goldene Ketten hingen dort wo eigentlich die Knöpfe gewesen wären und in jeder davon schimmerten Rubine, rote Augen, die einem zu folgen schienen, egal wie man sie betrachtete. Und dann hatte er, hatten sie , den Scheitelpunkt der Düne erreicht und Galren konnte einen Blick über das Land zu seinen Füßen werfen. Hinter ihnen erstreckte sich nur die Wüste, karges, totes Land. Doch vor ihnen lag etwas völlig anderes. Die letzten Dünen liefen aus und gingen in eine flache Ebene über, in der vereinzelt grünes Gras Spross. Einzelne Gebäude und Felder hoben sich daraus hervor, genau wie einige kleine Plantagen in denen in der Mittagshitze jedoch niemand zu arbeiten schien. Galren konnte das Meer riechen, bevor er es als solches erkannte, ein blauer Streifen am Horizont, der sich mit dem hellen Blau des Himmels mischte.
Und dort am Wasser lag auch die Stadt. Sie war bestimmt noch einen Tagesmarsch entfernt, aber ihre Ausdehnungen waren so gewaltig, dass er glaubte, die ringförmigen Mauern bereits berühren zu können. Groß wie ein Berg ragte eine zweite Ansammlung aus Befestigungsanlagen in der Mitte der Stadt auf. Weißer Stein, der in der Sonne strahle krönte die Zitadelle, als wollte sie der Sonne Konkurrenz machen. Doch wo jeder andere Reisende doch erleichtert sein müsste, nach den Strapazen der Wüste wieder einen belebten Ort zu finden, empfand der Fremde, dessen Körper er unerklärlicherweise teilte, etwas völlig anderes. Galren konnte sein Gesicht nicht sehen, aber er spürte das Lächeln und es war kein freundliches. Und in diesem einen Moment wurde ihm klar, dass dieser Mann sein Ziel niemals erreichen durfte. Das er, sollte er den Mauern dieser Stadt noch näher kommen, ihr Schicksal besiegeln würde. Galren wusste nicht, woher er diese Gewissheit nahm, aber sie war da, ließ Panik in ihm aufkeimen.
Mit einem Ruck hatte der Fremde die Sense in den Boden gerammt und breitete die Arme aus. Fast schien es, er wollte die Stadt, das Land, das Meer und alles was dahinter lag mit der Geste einschließen. Doch hier war niemand, der ihn sehen könnte oder den er auf etwas Aufmerksam machen wollte. Niemand… außer Galren selbst. Er wusste dass er da war… hatte es die ganze Zeit gewusst. Und als er schließlich sprach war es nur Satz, ein Befehl… ,, Komm zu mir, Sohn des Propheten…“
Galren erwachte schweißgebadet und wusste einen Moment nicht wo er war oder wie er dorthin gelangt sein mochte. Seine letzten Erinnerungen endeten damit, wie er Erik gefolgt war um nach Armell zu sehen. Sie hatten laute Stimmen gehört, sogar Schreie, die zuerst den alten und dann nach und nach auch alle anderen aus dem Schlaf gerissen hatten. Und dann…
Er blinzelte ins Licht, das durch die Lücken im hellgrauen Gewebe über ihm hereinfiel. Ein Zelt, dachte Galren, während seine Erinnerungen langsam zurückkehrten. Merl war dagewesen… oder war das Teil des Traums? Er schüttelte den Kopf, während er probehalber versuchte den Kopf zu heben. Einen Moment war er sich nicht sicher ob er überhaupt schon wach war. Sein Schädel fühlte sich an, als hätte jemand mit einem Hammer darauf eingeschlagen… doch schien zumindest noch alles heil zu sein. Was nicht viel heißen musste. Langsam sah er sich um und erkannte nun auch, wo genau er sich befand. Das war sein eigenes Zelt im Hauptlager der Expedition. Durch den offen stehenden Eingang konnte er direkt auf den Fluss hinaus sehen, der sich durch die braunrote Erde zog. Das blaue Wasserband glitzerte im Sonnenlicht und vom Stand der Sonne her musste es bereits Mittag sein. Wie lange hatte er geschlafen? Eine kühle Brise fand ihren Weg durch die offenen Planen hinein und vertrieb etwas die Hitze, die sich unter dem Zelt staute.
,,Galren…“ Die Stimme brachte ihn dazu, sich zum ersten Mal umzudrehen. Am Kopfende der einfachen Liege , knapp außer Sicht saß Elin… Erneut fragte Galren sich, wie lange er geschlafen hatte. Er hatte die Gejarn nur einmal zuvor mit einem derart Ernsten Gesichtsausdruck gesehen und so wie sie aussah, hatte sie definitiv weniger Rast gehabt als er selbst. Sie saß auf einem einfachen geflochtenen Stuhl, die Knie an den Körper gezogen und beobachtete ihn, hoffnungsvoll uns misstrauisch zugleich.
,, Götter was ist passiert ?“ , fragte er. ,, Und wenn das wirklich Merl war kann ihm jemand sagen das nächste Mal soll er mich bitte vorwarnen.“ Er presste die Hände gegen die Schläfen.
,, Du erinnerst dich…“ Elin wagte ein zögerliches Lächeln. Kein Wunder. Hatte er das wirklich getan? Hatte er Merl erlaubt seine Fähigkeiten erneut zu erwecken ? Nun wenigstens spürte er noch nichts davon, dachte Galren unsicher ob er darüber erleichtert sein sollte oder nicht.
,, So ziemlich. Aber ich habe seltsam geträumt… Elin was ist los? Wie lange war ich weg?“
Er fühlte sich schwach und zittrig und langsam befürchtete er, dass er nicht bloß bis zum nächsten Mittag bewusstlos gewesen war. Oder war das überhaupt das richtige Wort? Er hatte immerhin geträumt. Elin jedoch schwieg lediglich und ehe er Fragen konnte, was los war, brach ihre ernste Mine in sich zusammen. Das Mädchen war mit einem Satz bei ihm im Bett und schlang ihm die Arme um den Hals und… irgendetwas Warmes drang durch den Stoff seines Hemds bis auf die Schulter.
,, Elin… warum weinst du ?“ Er hatte sie noch nie weinen sehen. Nicht so zumindest nicht… Aber alle Fragen konnten in diesem Moment erst einmal warten. Er zog sie lediglich an sich und stellte erneut fest, wie schwach sich seine Arme anfühlten. Und ob ihn seine Beine tragen wollten, sollte er versuchen aufzustehen…
,, Es geht dir wieder gut.“ , flüsterte Elin lediglich.
Das kam darauf an, dachte er. Er fühlte sich nicht anders, von der Schwäche einmal abgesehen und die musste von seinem Schlaf stammen. Doch da war auch etwas anderes, etwas, das er nicht beschreiben konnte. Ein Teil von ihm, den er lange vermisst und dessen Rückkehr er gleichzeitig gefürchtet hatte.
,,Nun ich bin immer noch ich.“ , meinte er. Und das würde er auch bleiben. Elin schien seine Gedanken zu erraten.
Sie lachte, gab ihm einen Kuss auf die Stirn. ,, Galren Lahaye , wenn du dir irgendetwas einflüstern lässt, ich schwöre bei all meinen Ahnen, diesmal überlasse ich es meinem Vater dich wieder zur Vernunft zu bringen.“
Das saß allerdings, dachte er. Und doch war es hoffentlich keine leere Drohung. Noch hatte er nicht versucht, seine Gabe erneut zu nutzen und was dann passieren mochte, wusste niemand. Aber er würde nicht noch einmal zulassen, dass es ihn zu jemanden werden ließ, der er nicht wahr.
,, Ich bestehe sogar darauf.“ , meinte er und rang sich ein Grinsen ab. Allein das reichte schon aus, dass sein Schädel erneut zu dröhnen anfing. Wiederwillig ließ er Elin schließlich los und sah ihr ins Gesicht. Nach wie vor waren Sorge und Müdigkeit nur zu deutlich darin zu erkennen. Von der eigentlich so lebenslustigen Gejarn schien unter all der Erschöpfung kaum etwas geblieben. ,, Elin jetzt sei ehrlich… wie lange war ich weg ?“
,, Fast zwei Wochen.“ Elin sah ihm direkt in die Augen. Es dauerte einen Moment, bis er wirklich begriff. Zwei Wochen das war… lang. Tödlich lang. Erneut schlang sie die Arme um ihn und zog ihn an sich. Sein ganzer Körper protestierte, aber sein Herz… War dieses törichte Mädchen wirklich die ganze Zeit über an seiner Seite geblieben? ,, Wir dachten du wachst vielleicht gar nicht mehr auf. Merl ist verschwunden nachdem du Ohnmächtig geworden bist und… Keiner wusste was dir überhaupt fehl. Selbst Erik hat nur dafür gesorgt dass du nicht verdurstest oder verhungerst. Honig und Wasser…“
,, Wir haben gar keine Vorräte…“ Zumindest hatten sie noch keine neuen Lieferungen aus Erindal bekommen, als er das letzte Mal bei Bewusstsein gewesen war.
Elin grinste ihn lediglich breit an und zum ersten Mal fiel ihm auf, das ihre Hände Arme und sogar die Beine bandagiert waren. Dort wo die Pflaster nicht so dicht saßen zeichneten sich entzündete Stiche unter ihrem Fell ab. ,, Wenn man etwas klettern kann gibt es auch andere Möglichkeiten an Honig zu kommen.“
Er lachte erneut und trotz der Schmerzen in seinem Schädel küsste er sie. Was würde er nur ohne sie machen? Eine Frage, die er sich seit er sie kannte schon oft genug heimlich gestellt hatte. Mehr als einmal war sie der einzige Ausweg für ihn gewesen. Und auch wenn er schon gänzlich ihr gehörte wusste er immer noch nicht, wie er das je zurückzahlen sollte. Oder wie er es verdient hatte. Einen Moment war er versucht, sie einfach zu sich herab aufs Bett zu ziehen. Die Anderen konnten auch noch später erfahren, das er wieder wach war und… er wollte es nicht bei dem Kuss belassen…
Schließlich jedoch ließ er Elin los und machte den Versuch, sich aufzusetzen. Dafür dass er sich zwei Wochen nicht bewegt hatte, ging es überraschend gut und mit etwas Hilfe von Elin kam er schließlich sogar auf die Beine. Wie erwartet trugen sie ihn nur wiederwillig und Galren hatte ständig das Gefühl, sich wie auf Stelzen zu bewegen. Die junge Frau jedoch stützte ihn, während er vorsichtig ein paar Mal auf und ab ging. Langsam kam das Gefühl in seine Beine zurück.
,, Was ist mit Merl passiert ?“ , wagte er schließlich zu fragen als er endlich etwas sicherer stand. ,, Er ist einfach fort ?“
,, Ich weiß es nicht. Er hat ja gesagt, das das passieren würde, aber wir haben ihn auch nicht mehr gesehen seit du das Bewusstsein verloren hast. Und Armell ? Ich glaube ich bin nicht die einzige, die Grund zur Sorge hat. Sie gibt sich die Schuld an all dem, Galren. Das Merl wieder fort ist, das.. was mit dir geschehen ist.“
Das sah ihr wieder einmal ähnlich, dachte Galren. Die junge Adelige nahm natürlich die Verantwortung für alles auf sich, aber das hier war seine Entscheidung gewesen. Nicht ihre. Auch wenn sie vielleicht gehofft hatte, das er zustimmen würde. Er war nicht dumm, er hatte gesehen wie sehr sie mit sich kämpfte. Und warum ? Weil es hier nicht mehr nur um Antworten für ihn ging, nicht? Nein… am Ende könnte sich auch Merls Schicksal entschieden, wenn sie Eriks Archive fanden. Und es war Merls Angebot gewesen, nicht ihres. Galren lächelte, während er sich von Elin aus dem Zelt führen ließ. Jetzt war er es, der sich weigerte zu glauben, dass sie den Magier zum letzten Mal gesehen hatten. Vielleicht kostete es ihn nur einfach mehr Zeit als er gedacht hatte um sich wieder manifestieren zu können? Ihn hatte es ja immerhin auch zwei Wochen gekostet… Und Merl war in einer völlig anderen Situation. Mit etwas Glück hatten sie schon eine Lösung für ihn Parat, bevor er sich das nächste Mal zeigte.
,, Na sieh mal einer an, wer da wieder unter den Lebenden weilt.“ Erik kam sofort auf sie zu, sobald er mit Elin aus dem Zelteingang trat. Hinter ihm im Lager hatte sich bereits eine kleine Gruppe aus Arbeitern und Gardisten versammelt, zwischen denen Galren schließlich auch Cyrus, Eden und Armell entdeckte. Die Männer hatten allen Anschein nach bereits ihre Werkzeuge und ihre Ausrüstung gepackt und standen in kleinen Gruppen beieinander. Und auch der Art hatte bereits seinen Rucksack geschultert. Was sollte das den? Hätte Galren es nicht besser gewusst hätte er vermutet, Erik würde zum Aufbruch rüsten aber zum Aufbruch wohin?
,, Ich habe anscheinend einiges verpasst.“ , meinte er verwirrt. ,, Was habt ihr vor ?“
,, Oh sagen wir einfach ich hatte so ein Gefühl, das ihr bald aufwachen könntet.“ , meinte Erik und zupfte irgendetwas aus seinem Bart.
,, Lass dir bloß nichts einreden.“ , rief Cyrus gereizt aus der Menge. Der Wolf trug ebenfalls bereits eine schwere Tasche. Seine typischen schwarzen Kleider hoben ihn wie einen Schatten aus der Menge ab. ,, Der alte Sklaventreiber hat uns in aller Frühe aus den Betten geworfen, damit wir alles vorbereiten. Er wusste also nicht so genau wann du aufwachst. Selbst unser Erik ist nicht allwissend auch wenn es ihm manchmal ziemlich schwer fällt sich das auch einzugestehen."
,, Ich hätte euch ausstopfen sollen.“ , war alles was der angesprochene darauf erwiderte. ,, Aber wenn wir Herrn Wolf hier einmal ignorieren… nach allem was mir eure Freunde über eure Begabung erzählt haben, hatte ich schlicht nicht vor noch mehr Zeit zu verlieren. Das heißt natürlich nur, wenn ihr euch gut genug fühlt um uns den Weg zu weisen… Und dazu in der Lage seid.“
Galren hatte seine Fähigkeiten zwar noch nicht auf die Probe gestellt, aber das brauchte er auch nicht. Er wusste, dass er dazu in der Lage wäre, so sicher wie er nach etwas greifen konnte. Und doch schreckte er auch zeitgleich davor zurück.
Trotzdem nickte er. ,, Gebt mir nur einen Moment.“ Einen Moment, der schlicht nicht ausreichen würde, das mulmige Gefühl abzuschütteln, das sich seiner bemächtigt hatte. Doch als er dann schließlich begann sich zu konzentrieren, rückte ohnehin alles in den Hintergrund. Galren kannte dieses Gefühl nur zu gut, wie die Welt um ihn herum an Konsistenz zu verlieren schien, an Farbe… Selbst die Geräusche schienen plötzlich von weiter her zu kommen. Er suchte nach etwas ganz bestimmten und auch wenn er nicht wusste, wo die Kammer lag, welche Erik hier vermutete oder wie diese beschaffen war. Die Magie jedoch würde ihren eigenen Weg finden, dachte er. Der Weg zu seinen Füßen schien sich plötzlich in Gold zu verwandeln, ein leuchtendes Band, das sich von ihm Weg über die Ebene und zwischen den Ruinen hindurch Wand.
,,Hier entlang.“ , hörte er sich selbst sagen ohne das er es Bewusst gewollt hätte. Alles schien so weit weg, abgesehen von dem Pfad aus Licht direkt vor ihm. Galren achtete nicht einmal darauf ob die anderen mit ihm Schritt hielten, als er schließlich begann ihm zu folgen. Gleichzeitig jedoch klammerte er sich an das wenige, was von seinem bewussten denken noch übrig blieb. Er spürte, dass er die Kontrolle verlor, aber im Moment gab es nichts, was er dagegen tun konnte. Und dann schien sich der Weg vor seinen Augen zu verschieben. Das Lichterband teilte sich, schien einen Moment in der Luft zu tanzen. Aus einem goldenen Pfad wurden zwei und während der eine in die Richtung führte, die er bestimmt hatte… hin zu was auch immer hier verborgen lag, bog der andere in einem großen Bogen nach Süden. Galren spürte, wie ihn etwas mit Gewalt auf diesen neuen Weg ziehen wollte, als wäre er die Nadel eines Kompasses und dort, irgendwo in der Ferne ein Magnet von unvorstellbarer Stärke. Etwas Kaltes und dunkles und obwohl er spüren konnte, das es noch weit weg war, war die Präsenz erdrückend. Beinahe schien es ein physisches Gewicht zu sein, das ihn davon abhielt, den Fuß weiter auf den von ihm erschaffenen Pfad zu setzen. Stattdessen blieb nur dieser neue Lichtbogen übrig, den Galren sich nicht erklären konnte. Das war noch nie zuvor passiert auch nicht als der Ruf seines Vaters… oder des Artefakts, das dieser gefunden hatte, ihn halb in den Wahnsinn trieb. Konnte jemand seine Gabe von außen derartig beeinflussen? Dass er einen Pfad öffnen konnte, von dem Galren nicht einmal wusste, auf den er sich nicht einmal konzentrieren musste? Allein die bloße Vorstellung jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Wenn ja, dann war er wirklich nur eine Spielfigur, eine Marionette, die an den Fäden von irgendjemand anderem hing. Nein.
Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, stemmte er sich gegen diesen seltsamen Sog und setzte wieder einen Schritt auf den Pfad den er sich selber ausgesucht hatte. Galren würde kein zweites Mal zulassen, das seine Gabe ihn kontrollierte, anstatt umgekehrt. Schwer atmend setzte er lediglich stur einen Fuß vor den anderen. Er war noch nicht wieder ganz auf den Beinen und zu der körperlichen Erschöpfung kam nun auch noch sein ganz eigener Kampf mit diesem… fremden Weg. Obwohl er sich davon entfernte, verschwand er nicht, sondern verformte sich nur, blieb beständig direkt neben dem Pfad durch das rote Tal. Fast meine Galren wieder die Stimme aus seinen Träumen zu hören. Komm Sohn des Propheten hatte sie gesagt. Und es hatte nichts Bedrohliches darin gelegen, dachte er. So sehr ihn die Erscheinung selbst erschreckt hatte, die Worte waren von einer seltsamen Anziehungskraft gewesen. Es war eine Einladung aber gleichzeitig auch ein Befehl.
,, Alles in Ordnung ?“Galren spürte wie sich ihm eine Hand auf den Rücken legte und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er zitterte. Seine Hände hatten sich unbewusst zu Fäusten geballt, das die Fingernägel sich Schmerzhaft in seine Haut drückten. Mit einem Mal waren die beiden Wege verschwunden und Farbe und Konturen kehrten in die Welt zurück. Galren fand sich auf einer felsigen Ebene wieder. Steine in allen Größen von kleinen Splittern bis hin zu Granitblöcken von der Größe von Häusern ragten aus dem rostfarbenen Staub, der alles hier bedeckte. Der Wind wehte den feinen Sand zu kleinen Wölkchen auf, die durch das Tal drifteten. Er war schon mehrmals hier gewesen, dachte er. Es war eine der breitesten Stellen des roten Tals und die steilen Felswände die es einschlossen nur als ferne Schemen am Horizont auszumachen. Halb vergrabene Mauern ragten zwischen den Felstrümmern auf, ansonsten jedoch gab es hier weit und breit nichts. Ein trostloser Anblick , die letzten Ausläufer der halb verschwundenen Ruinenstadt bei der Eriks Expedition ihre Zelte aufgeschlagen hatte. Doch irgendwie gefiel es ihm hier, auch wenn das Tal seine rauen Seiten hatte. Nach all den Wochen, die sie hier verbracht hatten, begann Galren langsam, die Faszination welche der alte Arzt für diesen Ort hegte zu verstehen. Manchmal ertappte er sich selbst dabei, wie er sich diesen Ort in seiner Blütezeit vorstellte... Tausende von aus Marmor, Gold und Glas errichteten Gebäuden und Straßen, die sich durch die vom Staub blutrot gefärbte Landschaft zogen.
Hier jedenfalls war nicht viel davon geblieben. Seltsam, das ihn seine Gabe ausgerechnet weg von der Stadt führte, dachte er. Wenn es hier einen Ort gab an dem das alte Volk dem Erhalt ihres Wissens und ihrer Reichtümer gewidmet hatte, sollte dieser nicht eher Zentral liegen ? Es sei den natürlich sie hatten ihn wirklich Verstecken wollen.
,, Ihr seht aus als hättet ihr einen Geist gesehen...“ , stellte Armell fest. Ihre Hand ruhte nach wie vor auf seiner Schulter während sie ihn besorgt musterte. Was hatte Elin gesagt ? Sie gab sich die Schuld an dem was passiert war... an seinem Zustand und an Merls Verschwinden.
Einen Geist... das traf es nicht ganz, dachte Galren. Einen Traum vielleicht, etwas von dem er immer noch nicht wusste ob es real gewesen war oder nur eine Eingebung seines zerstreuten Verstands. Vielleicht war es wirklich ein Fehler gewesen, Merl zu erlauben, seine Gabe wiederherzustellen. Aber wenn, dann war es sein Fehler gewesen.
,,Es ist nur.. ungewohnt.“ , log er. Es gab keinen Grund sie noch weiter zu beunruhigen. Oder vielleicht gab es den aber wenn, dann sicher nicht jetzt. Es gab genug andere Dinge um die sie sich Gedanken machen mussten.
Armell schien ihm die Lüge ohnehin nicht abzukaufen. ,, Das war keine gute Idee.“ , erklärte sie. ,, Es fängt wieder an, oder Galren ? Ich habe euch eben gesehen ihr... Götter, es sah so aus, als wärt ihr gänzlich woanders, als... Ihr seid einfach losgelaufen, wir haben nach euch gerufen... “
,, Ich habe alles unter Kontrolle.“ , erklärte er nur und diesmal wusste er nicht einmal ob es eine Lüge war oder nicht. Sein Verstand war frei... oder zumindest hoffte er das. Würde er es überhaupt merken wenn nicht ? Unwillkürlich Blickte er Richtung Süden, meinte beinahe immer noch den zweiten Pfad sehen zu können, der sich ohne sein zutun aufgetan hatte.
,, Das ist meine Schuld. Ich hätte das nie erlauben dürfen.“ Armell schüttelte den Kopf, während sie seinem Blick folgte , wohl irritiert, dort nichts als die von rotem Sand überkrustete Ebene zu entdecken.
,, Armell...“ Sie fühlte sich immer noch verantwortlich für sie alle, dachte er. So kannte er sie eben, aber sie konnte auch nicht immer alles auf sich nehmen, wenn einmal etwas schief ging. Oder wenn es gefährlich wurde. Keiner von ihnen war perfekt, Götter, er war zeitweise wortwörtlich Wahnsinnig geworden. Aber bis jetzt hatten sie immer alles irgendwie gemeistert. ,, Merl war mein Freund. Selbst wenn ihr nicht wert, ich hätte ihm helfen wollen. Wenn das hier also wirklich eine dumme Idee ist, dann meine und nicht eure.“
Er gab der jungen Adeligen erst gar nicht die Möglichkeit etwas zu erwidern, sonder versenkte sich wieder in Konzentration. Diesmal jedoch nicht so tief wie zuvor. Auch wenn er den Zuversichtlichen Spielte, wollte er diesmal lieber die Kontrolle behalten. Das goldene Band das sich vor seinen Füßen abzeichnete war dünn und schwach, aber es führte sie auch nicht mehr weit. Keine hundert Schritte von dem Punkt wo sie standen endete das Licht an einem der großen Felsen, der , groß wie eine Tischplatte, im Sand lag. Der Pfad führte in einem Wirbel um sie herum und schien dann im Stein zu versickern.
,, Dort.“ , erklärte er lediglich an Eriks Männer gerichtet. ,, Wir müssen den Stein bei Seite schaffen.“
Auf ein kurzes Nicken des Arztes hin, machte sich der kleine Trupp aus Löwen und kaiserlichen Gardisten an die Arbeit und begann damit, den Stein frei zu graben. Eimer voller Sand wurde bei Seite geschafft, bis schließlich die Unterkante des Klotzes Sichtbar wurde. Währendessen hatten einige der Männer schon damit begonnen, eine simple Winde aufzubauen und ein Seil unter jedem Ende des Felsens hindurchzuführen. Sobald diese verknotet waren, konnten sie sich an die eigentliche Aufgabe machen, das Hindernis bei Seite zu hieven. Mit vereinten Kräften dauerte es keine halbe Stunde mehr und der Stein bewegte sich, zuerst langsam, dann mit immer weniger Mühe von der Stelle. Als er schließlich gute zwei Handbreit über dem Boden schwebte, wurde er schließlich bei Seite geschoben und einige Schritte entfernt im Sand abgesetzt.
Galren wusste instinktiv, das sie sich nicht geirrt hatten. Seine Gabe hatte ihn bis jetzt noch nie fehlgeleitet und das tat sie auch diesmal nicht. Genau unter dem Felsen tat sich ein großer ummauerter Schacht auf, halb im Sand versunken. Doch seine äußeren Ränder ragten grade weit genug auf, das kein Schutt nach innen geraten war und der steinerne Deckel hatte wohl sein übriges getan. Wüsste Galren es nicht besser, er hätte es wohl einfach für einen tiefen Brunnenschacht gehalten. Doch das hier war um einiges mehr...
Erik trat mit einem leisen pfiff an den Abgrund heran und starrte in die Tiefe. Kein Licht erreichte den Boden und die gemauerten Wände selbst reichten nur ein Stück weit nach unten, bis sie zurückwichen um einem größeren Hohlraum Platz zu machen. Mehr jedoch war nicht zu erkennen.
Der alte Arzt hob wie beiläufig einen Stein auf und ließ ihn nach unten fallen. Es dauerte lange, bis sie schließlich einen Aufprall hörten, der in der Höhle unten wiederhallte.
Na wenigstens stand dort unten kein Wasser, dachte Galren. Das hier war tatsächlich ein Abstieg...
,, Also dann, sehen wir uns mal an, was ihr da gefunden habt.“ , meinte Erik strahlend, wie ein Kind , das man grade in einer Süßwarenbäckerei eingeschlossne hatte. Auf einen Wink brachten seine Leute die Winde wieder herbei.
Erik meldete sich freiwillig, als erster in die Tiefe zu steigen. Oder besser, es gab ohnehin niemanden, der ihm diese Zweifelhafte Ehre streitig machen wollte. Selbst Cyrus lehnte dankend ab.
,, Ach kommt schon, dich würde man dort unten sowieso nicht sehen können.“ , stichelte Eden.
,, Ja, richtig... dann seht ihr auch nicht ob ich von irgendwas gefressen werde. Ich glaube du bist damals einem Nest ziemlich übel gelaunter Wyvern begegnet ?“
,, Die waren auf der Insel, Cyrus. Nicht in der Schatzkammer.“
,, Ihr setzt schon ziemlich viel voraus.“ , meinte Erik grinsend, während er seine Ausrüstung schulterte. Ein kleiner Rucksack mit Seilen, Lampen und allem, was er sonst noch für nötig erachtet hatte. ,, Ich habe jedenfalls noch nichts glitzern gesehen.“
Mit diesen Worten hatte der Arzt sich bereits ein Seil um die Hüften gelegt und trat auf den Abgrund zu. Elin musste ein Lachen unterdrücken. Sie hatte ihren Vater selten sprachlos gesehen und das es ausgerechnet Erik war, der an seiner Stelle zuerst gehen wollte... Bis er seinen Stolz wiederfand würden vermutlich ein paar Wochen ins Land gehen, dachte sie.
Währendessen hatte Erik bereits Anweisungen gegeben, das andere Seilende auf eine der Winden zu spannen, mit dem sie zuvor den Felsen bei Seite geschafft hatten. Es dauerte nicht lange und der alte Mann ließ sich bereits in die Tiefe hinab. Die anderen folgten ihm schließlich in kurzen Abstand, jeder mit einem anderen Seil gesichert und kletterten die gemauerten Schachtwände hinab. Das erste Wegstück war einfach, dachte Elin. Auch wenn die Mauern einst glatt gewesen sein mochten, hatten die Äonen und Sand sowie Regenwasser tiefe Furchen in den Stein gegraben, in denen sie mit den Füßen leicht halt fanden. Das Licht das von oben herabschien sorgte außerdem dafür, das sie sich mühelos orientieren konnten. Doch weiter unten schwand ihr Glück. Die Mauern endeten einfach über einer gewaltigen Kammer, von der Elin weder Boden noch Wände erkennen konnte . Nur eine gewaltige, dunkle Leere, in der sich die schwachen Lichtstrahlen die durch den Brunnen fielen rasch verloren. Eine Weile hingen sie alle unsicher an den Felswänden. Es gab nur einen Weg weiter hinab, aber der bedeutete, die wenigstens geringfügige Sicherheit der Mauern zu verlassen... und sich ganz den dünnen Seilen anzuvertrauen. Elin fasste sich schließlich ein Herz und ließ sich blind ein Stück weit in die Finsternis hinab. Sie war bei weitem die leichteste. Wenn das Seil sie nicht hielt, wen dann ?
Erik entzündete eine Laterne, die er an einem Ring an seinem Rucksack befestigte , bevor er ihr ebenfalls folgte und dann einer nach dem anderen Galren, Armell, und ihre Eltern. Niemand wagte es, während ihres Abstiegs etwas zu sagen und nur das gelegentliche Stimmengewirr von oben hallte durch den Brunnenschacht bis zu ihnen. Es war beinahe, als würde es nichts mehr geben, außer der kompletten Dunkelheit um sie herum und des kleinen Lichtkreises irgendwo über ihnen.
Selbst Sentine, die in Gestalt einer weißen Taube um sie herum segelte, schien es nicht zu wagen, tiefer in die Dunkelheit zu tauchen und blieb immer in dem kleinen Lichtkegel, der sie von oben her beleuchtete.
Dieser Ort musste wirklich gigantische Ausmaße haben, dachte Elin.. und dann spürte sie plötzlich festen grund unter ihren Füßen. Es war ein kleiner Schock, als ihr Abstieg so rapide Endete, vor allem, da ihre Umgebung nach wie vor nur schwarz in schwarz getaucht war. Der einzige Lichtunken, den es hier unten noch gab, stammte von Eriks Laterne, die kaum eine Reflektion auf dem dunklen Untergrund erzeugte. Elin trat sicherheitshalber ein paar mal auf. Das war Stein unter ihren Füßen aber so glatt geschliffen, das er scheinbar keine Textur zu haben schien.
,, Das ist wirklich seltsam.“ , meinte Erik, der zusammen mit ihr als erster den Boden erreicht hatte. Stirnrunzelnd hielt er die Laterne höher, enthüllte damit jedoch nur eine Fläche aus glattem, schwarzen Stein, der sich endlos in alle Richtungen zu erstrecken schien. Einen Moment kam sie sich unvorstellbar klein vor, als nun endlich auch die anderen zu ihnen trafen und sich neugierig umsahen.
,, Hier ist zumindest alles leer.“ , stellte Eden fest.
,,Eben.“ Erik war bereits ein paar Schritte in die Höhle hinaus gewandert und stand vor etwas, das wie eine gewaltige Mauer aus Obsidian wirkte. Genau so schwarz und glatt wie der Boden. ,, Oben im Tal haben wir überall etwas gefunden, Scherben, Gefäße, Trümmer... aber hier... nichts. Dieser Ort sieht absolut leer aus. Es gibt nicht mal Inschriften...“ Wie um seine Worte zu betonen, hielt er die Laterne noch höher, o das sich ihr Licht auf der makellosen Oberfläche der Wand spiegelte.
,,Heißt das wir sind zu spät ?“ Armells Stimme zitterte kaum merklich bei diesen Worten. Sie hatte alles darauf gesetzt, das sich zumindest irgendetwas hier finden würde...
,, Sehen wir uns erst einmal um.“ , meinte Galren nachdenklich. ,, Ich glaube nicht, das dieser Ort schon geplündert wurde. Ein Grabräuber hätte sich wohl kaum die Mühe gemacht, den Schlussstein wieder an Ort und Stelle zu bringen.“
,, Nun es könnte zumindest deutlich schlimmer sein.“ Cyrus war, ohne eine eigene Laterne, nur ein Schatten unter Schatten.
,, Was ist bitte schlimmer als eine leere Schatzkammer ? , fragte Eden enttäuscht.
,, Es könnte eine bewachte, leere Schatzkammer sein.“ Der Wolf erntete für diese Bemerkung lediglich einen Knuff in die Seite, der ihn leise zum Lachen brachte. Das Geräusch brandete vor und zurück durch die Kaverne , bis es nur noch verzerrt und wie ein schauriges Heulen klang.
,,Wir teilen uns auf.“ , erklärte Erik schließlich. ,, Dieser Ort scheint riesig zu sein. Jeder geht los, bis er eine Wand findet, dann gehen wir daran entlang, bis wir wieder zueinander finden.“ Mit diesen Worten holte er weitere Laternen aus seinem Gepäck hervor und gab jedem davon eine. ,, Wenn irgendetwas ist, schreit. Bei dem Echo könnt ihr mit einem einfachen Ruf vermutlich Tote wecken.“
Damit war es schließlich entschieden. Elin sah eine Weile den sich entfernenden Lichtpunkten zu, bis sie sich selbst auf den Weg machte. Sobald die Wand, die Erik gefunden hatte einmal außer Sicht geriet, wurde der Brunnen über ihren Köpfen zum einzigen Orientierungspunkt. Ihre Schritte hallten durch den Raum und vermischten sich mit den Geräuschen, welche die Stiefeln der anderen verursachten zu einem stetigen Klopfen, das begann an ihren Nerven zu zehren. Das und noch ganz andere Dinge.
Irgendetwas war eben mit Galren gewesen, auch wenn er Armell gegenüber beteuerte, das alles in Ordnung sei. Sie hatten es alle gesehen. Es gab wenige Dinge, die ihr ernsthaft Angst machten, dachte Elin, aber der Gedanke daran, ihn erneut an seine eigenen Fähigkeiten zu verlieren... das er sich erneut so verändern könnte...
Am liebsten wäre ihr, er hätte Merls Angebot ausgeschlagen. Andererseits hätten sie diesen Ort ohne ihn wohl auch nie gefunden... Aber seine Fähigkeiten waren auch der Weg zu einem dunklen Ort. Elin hatte ihn einmal von dort zurück holen können... und sie wollte so etwas nie wieder erleben.
Langsam schälte sich vor ihr etwas aus der Dunkelheit, doch war es keine weitere Mauer, auch wenn sie es zuerst dafür hielt. Die Säule, vor der die Gejarn schließlich stehen blieb, war so breit, das wohl selbst dreißig Mann sie nicht hätten umfassen können. Ein gewaltiger Stützpfeiler, der zusammen mit anderen wohl das Gewicht der Höhlendecke über ihnen trug. Bläulich schimmernde Kristalle waren in den Stein eingelassen , die Elin durchaus bekannt vorkamen. Sie hatte so etwas schon einmal gesehen, im Thronsaal der fliegenden Stadt, wo die gleichen Steine als Lichtquellen dienten. Diese hier jedoch waren lange erloschen und ausgebrannt und als sie einend davon berührte, flackerte er mit einem kaum wahrnehmbaren Glimmen auf.
Langsam ging sie weiter und umrundete die Säule. Von den anderen waren mittlerweile nicht einmal mehr die Lichtpunkte ihrer Laternen zu erkennen. Es dauerte lange, bis Elin schließlich wieder etwas anderes sah, als den dunklen Marmor , der sie auf allen Seiten umgab und dieses mal war es tatsächlich das Ende ihres Wegs. Eine glatte Mauer aus dem gleichen Stein wie der Boden ohne erkennbare Textur oder auch nur Verzierungen. Es gab nicht einmal einen Hinweis, das die Wand aus mehreren Marmorplatten bestand, sie schien schlicht aus einem Guss gefertigt zu sein. Und vielleicht war sie das auch ? , überlegte Elin. Ein solches Stück herzustellen wäre wohl für jeden menschlichen Handwerker eine schier unlösbare Aufgabe, aber sie hatten es hier auch nicht mit Menschen zu tun. Wer wusste schon, was das alte Volk alles mit Magie erreichten konnte ?
Wie Erik sie angewiesen hatte, ging sie die Mauer einfach weiter entlang. Irgendwann musste sie so ja zwangsläufig wieder auf die anderen stoßen, oder zumindest auf die Stelle, von der aus sie aufgebrochen waren.
Elin ließ eine ihrer Hände an der Wand entlang streichen. Wie schon erwartet fühle es sich an, als hätte sie einen Spiegel unter ihren Fingern, vollkommen glatt, keine Unebenheiten oder rauen Stellen. Er Stein war makellos. Anders wäre ihr die Fuge wohl auch kaum aufgefallen. Es war kaum spürbar, nur eine winzige Erhebung, an der ihre Finger einen Herzschlag lang hängen blieben. AN jedem anderen Ort hätte Elin es wohl einfahl ignoriert, aber hier...
Sie blieb stehen und führte ihre Finger zurück und erneut über den glatten Stein. Da war etwas, wie eine dünne Naht oder eine Linie... Sie tastete weiter daran entlang und fand das die Unebenheit eine etwa Rechteckige Fläche einschloss. Ein Panel, etwa doppelt so groß wie ihre Handfläche , das etwas über den Rest der Wand hinausragte.
Einen Moment überlegte sie, ob sie die anderen Rufen sollte, zuckte dann jedoch mit den Schultern. Was konnte schon groß passieren ? Außerdem war sie jetzt wirklich neugierig, was das zu bedeuten hatte und auf Erik zu warten... Würde der Augen machen, wenn sie vor ihm das Rätsel dieses Orts aufklärte.
Vorsichtig rückte sie gegen das Panel, das auch tatsächlich nachgab und in die Wand einrastete. Und dann gab die Wand selbst unter ihren Fingern nach. Es war, als habe diese plötzlich jeglichen Wiederstand verloren und die völlig überraschte Gejarn stolperte mit einem kurzen Aufschrei hindurch. Ihr Ruf endete, als sie einen Moment mitten in die Mauer eintauchte, als wäre der Steine ein Flüssigkeit, durch die sie einfach hindurchtrat. Ihre Lampe hingegen blieb in dem flüssigen Stein hängen und wurde mit hörbarem Knirschen einfach zermalmt, grade als sie wieder daraus hervorkam. Die Wand hatte sich wieder verfestigt. Elin lehnte sich einen Moment schwer atmend dagegen.
Geister, wäre sie auch nur einen Herzschlag langsamer gewesen... Sie zitterte einen Moment bei dem Gedanke, während sie sich zu orientieren versuchte. Der Brunnen über ihr war verschwunden und um sie herum gab es nichts, als undurchdringliche Finsternis. Und hinter ihr nur kalten, glatten Stein, der sie nicht mehr hindurchlassen wollte...
Galren hörten den abgehakten Schrei und wirbelte herum.
,, Elin ?“ Nur Stille Antwortete ihm, während er sich hektisch nach den anderen umsah. Die schwachen Lichtpunkte in der Ferne blieben ebenfalls stehen, während er auf das ersterbende Echo lauschte. Ihre Stimme schien von überall her zu kommen, von den Felsen verzerrt und entfremdet... Aber wenn wirklich etwas passiert war hatte er keine Zeit, sie lange zu suchen. Ohne zu zögern rief er erneut seine wiedererweckten Fähigkeiten zur Hilfe und diesmal war der Weg den er suchte ein einfacher. Wo ist Elin ? Er hatte es kaum gedacht, als der Pfad vor ihm auch schon gestalt annahm, ein goldenes, in der Dunkelheit schmerzhaft grelles Band, das sich zwischen den großen Säulen hindurchwand, welche die Höhlendecke trugen. Er dachte nicht einmal nach, bevor er ihm folgte und losrannte.
Als er dann jedoch schlitternd am Ende des Pfad ankam, fand er nichts, als eine zerbrochene Laterne. Oder besser, eine Hälfte davon. Öl sickerte aus dem sauber zerteilten Behälter und das Glas der Lampe war nicht etwa zerbrochen sondern wirkte beinahe wie mit einer feinen Säge zerteilt... Von Elin jedoch fehlte jede Spur.
,, Elin ?“ Er legte die Hände an den Mund um einen Trichter zu formen, doch erneut antwortete ihm nur seine eigene Stimme. Nach und nach kamen nun auch die anderen herbeigelaufen und fanden sich um Galren herum ein. Verdammt, wo konnte sie nur sein ?
,,Hat sie einer von euch gesehen ?“ , fragte er rasch, doch sowohl Erik und Armell, als auch Cyrus und Eden schüttelten nur den Kopf.
,, Sie muss doch eben noch hier gewesen sein.“ , meinte der Arzt und deutete auf die Laterne. ,, Die hätte sie doch nicht einfahl zu...“ Er verstummte einen Moment und schien auf etwas zu lauschen. Zuerst wollte Galren ihn fragen, was das sollte, doch dann hörte er es selbst. Gedämpfte Rufe..
,,Hier... Hier bin ich !“ Elins Stimme war unverkennbar, aber von wo kam sie ? Galren folgte dem Geräusch, immer darauf bedacht, das seine Schritte es nicht übertönten. Und dann stand er plötzlich direkt vor der Mauer.
,,Elin, bist du das?“
,, Galren ?“ Die Stimme schien direkt von dahinter zu kommen, aber wie war das möglich ? Er konnte nirgendwo einen
,, Ich bin hier ! , rief er zurück. ,, Aber wo bist du ?“
,, Wenn ich das wüsste. Hier ist alles dunkel.“ Er hörte ein leises Scharren, während er den Kopf gegen den Stein drückte. Elin schien an der Mauer herumzutasten. ,, Da ist ein Panel an der Wand und... ich habe es gedrückt und bin hier gelandet. Warte... ich glaube auf dieser Seite gibt es ebenfalls eines.“
,, Sei nur vors...“ Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden, als die Mauer vor ihm sich einen Moment zu verflüssigen schien, seine Hände sanken bereits hinein, doch bevor er einfahl hindurchfallen konnte, stolperte etwas gegen ihn und riss ihn von den Beinen. Er kam grade noch dazu, Elin aufzufangen, bevor sie ihn von den Füßen riss und sie lachend auf dem Boden landeten. Nun zumindest lachte die Gejarn, dachte Galren. Er hingegen landete unsanft auf dem Steinboden und sah sich fragend um.
,, Das nenne ich mal unerwartet.“ , meinte Erik, der sich sofort der Mauer zugewandt hatte und begann daran Entlangzutasten. Offenbar brauchte er nicht lange um das Panel zu finden, von dem Elin gesprochen hatte. Er nahm einen sicheren Stand ein, drückte dagegen und konnte trotzdem grade noch vermeiden, einfach hindurchzustolpern, als der Felsen jede Festigkeit verlor. Blitzschnell hatte der Arzt seine Laterne hindurch geschoben und wich wieder zurück, dann bedeutete er den anderen, ihm die ihrigen ebenfalls zu überlassen. Eine nach der anderen schob er die brennenden Lichtquellen hindurch, bevor er sich schließlich den wartenden drei Gejarn und zwei Menschen zuwendete.
,, Dann wollen wir doch mal sehen, was ihr da gefunden habt.“ , meinte er, bevor er erneut das Panel berührte und durch die Wand trat
Galren war mittlerweile wieder auf die Beine gekommen und folgte ihm zögerlich. Auch die anderen schlossen sich ihnen schließlich an und fanden sich in einem weiteren großen Raum wieder. Das gesammelte Licht ihrer Laternen reichte jedoch, die Dunkelheit zum Großteil zu vertreiben. Galren brauchte sich nur kurz umzusehen um zu wissen, das sie am richtigen Ort waren...
Gold und Silber spiegelte den Schein ihrer Fackeln wieder. Spiegel mit Diamantenbesetzten Rahmen standen in Wandnischen, die mit Edelmetall überquollen. Münzen , Barren, aber auch Kunstvoll gefertigte Schmuckstücke, die mit Edelsteinen und Kristallen besetzt waren stapelten sich bis in doppelte Mannshöhe oder waren in schwere, mit Inschriften verzierte Urnen gefüllt worden. Hinzu kamen ellenlange Regale , die sich bis zur Decke zogen, die mit brüchigen Schriftrollen vollgestellt waren und uralte Kristalle, deren schwaches Glühen von Magie sprach.
Galren hielt den Atem an, als Erik sie einen behelfsmäßigen Weg zwischen all den Schätzen hindurch führte. Es gab Statuen , die wohl längst vergessene Herrscher des alten Volkes darstellen mochten. Mit aus Edelsteinen gefertigten Augen sahen sie missbilligenden auf die kleine Gruppe Sterblicher hinab, die ihre Ruhe nach all dieser Zeit störten und auch wenn ihr Aussehen auf den ersten Blick menschlich war, bemerkte man doch schnell das fremdartige an ihnen. Ihre Züge waren , selbst in Stein verewigt, um so vieles feiner als die eines Menschen und ihre Ohren schienen etwas länger und liefen spitz zu, nicht rund.
Eden stieß einen leisen Pfiff aus, während sie bereits die ein oder andere Münze in ihren Taschen verschwinden ließ. Lediglich von den Statuen hielt sie einen respektvollen Abstand ein, auch wenn die Juwelen die sie verzierten leicht so groß wie eine geschlossene Faust waren.
Alle anderen waren zu gebannt von dem Anblick der sich ihnen bot um viel mehr zu tun, als dem Arzt zu folgen.
All der Prunk der sie hier umgab war nichts im Vergleich zu dem, was dort ganz an der Rückwand des Raums aufragte. Über die gesamte breite der Wand zog sich ein Gemälde, das Galren einen Schauer über den Rücken lief. Er kannte es, dachte er und das gleiche erkennen machte sich auch bei den anderen breit. Er kannte es, weil er bereits ein Fragment davon gesehen hatte. Oder besser zwei.
Eine schattenhafte Gestalt, eine große Schwärze nahm den Großteil des Kunstwerks ein und erstreckte sich in alle Richtungen über den zwölf Lichtern, die zu seinen Füßen brannten. Der Schemen war ausgefranst und zerfasert, als würde er sich ausdehnen und versuchen auch noch den Rest des Bilds und damit der Welt zu vereinnahmen. Auch wenn die Erscheinung keine Gesichtszüge hatte , wirke ihre Haltung drohend, geradezu ehrausfordernd, als wollte sie die zwölf auffordern, sich ihr doch in den Weg zu stellen.
Die zwölf Lichtumkränzten Gestalten jedoch hatten die Köpfe abgewandt und sahen weg. Tatsächlich hatte der Künstler es sogar geschafft, den Eindruck von Bewegung einzufangen, als würden sie grade auseinandergehen wollen, ihre Wacht vor dem Schatten aufgeben um ihn alles zu überlassen.
Doch wo zwölf wankten blieb einer stehen. Ein einzelner Mann der im Gegensatz zu den nur schemenhaften zwölf und dem gesichtslosen Schatten klar die Züge des alten Volkes trug. Ein weißer Umhang wehte hinter ihm und wirkte dabei fast wie Flügel, ein greller Umriss gegen die totale Schwärze vor ihm. Und das gleiche galt für das Schwert in seinen Händen, was der eigentliche Grund war, aus dem Galren langsamer wurde. Eine Klinge aus Kristall, die wie gefrorenes Mondlicht schimmerte. Sterneneisen.
Langsam zog Galren seine eigene Waffe. Das kalte Klirren des Kristalles hallte in der Kammer wieder, wie ein Glpckenspie.
Die beiden Schwerter waren fast identisch, dennoch gab es Unterschiede. Der Griff der einen Waffe war silbern wo der andere mit dunklem Leder umwickelt war. Irgendwie war das erleichternd, dachte er. Sofern er bei diesem Anblick von so etwas sprechen konnte. Alles, was er an Fragen gehabt hatte verzehnfachte sich nur noch. Götter, was war das hier für ein Ort?
Auch Erik schien sichtlich entsetzt. Galren konnte sich nicht erinnern, den Mann jemals fassungslos erlebt zu haben, seit sie hier waren, nicht einmal als er doch noch herausfand, wie Elin ihn geschlagen hatte. Aber die Beherrschung hatte er nie verloren. Jetzt jedoch stolperte er fast, während er auf die dicht mit Symbolen besetzte Tafel am Fuß des großen Gemäldes zuwankte.
,, Nein.“ , erklärte er nur schlicht. ,, Nein, das kann nicht sein. Es gibt nur zwölf. Sie hätte mir gesagt, wenn es mehr geben sie...“ Er blinzelte und schlug sich vor die Stirn. ,, Götter steht mir bei sie hätte mir natürlich nichts gesagt. Diese Frau und ihre Geheimniskrämerei...“ Langsam schien er wieder etwas zu sich zu finden. ,, Ich werde ein ernstes Wort mit Mhari reden müssen, wenn wir hier herauskommen.“
,,Erik, was steht da ?“ , wollte Eden wissen. Selbst sie schien sich plötzlich nicht mehr für die übrigen Reichtümer zu interessieren. ,, Ich kenne euch jetzt lange genug... das letzte mal als ihr so außer euch wart habt ihr einen Hochmagier des Ordens mit einem Messer getötet.“
Mittlerweile hatten sich alle um den alten Arzt versammelt, der langsam die Laterne auf dem Boden abstellte, so dass sie die Tafel komplett ausleuchtete.
,, Es ist die Geschichte eines Krieges, Eden. Eines Krieges, der vor sehr langer Zeit geführt wurde. Eines Krieges , der das alte Volk vernichtete. Ihr erinnert euch, das ich vermutete, an diesem Ort wurden die unsterblichen erschaffen?“
Galren und die anderen nickten.
,, Das ist offenbar korrekt. Aber die zwölf Unsterblichen sind nicht die ersten Wesen, die das Alte Volk hier schuf. Wo die Unsterblichen die Rolle von Wächtern innehaben sollten, erschufen sie ein erstes Wesen. Galren... das alte Volk hat einen Gott erschaffen. Einen dreizehnten Unsterblichen, ein Wesen, das selbst aus der Sicht eines anderen Unsterblichen...unvorstellbar mächtig wäre. Und sie haben die Kontrolle verloren. Der dreizehnte wendete sich sowohl gegen seine Brüder, als auch gegen seine Schöpfer und begann einen gnadenlosen Feldzug gegen sie zu führen. Ein krieg der Jahrzehnte wenn nicht Jahrhunderte dauerte und das alte Volk fast vollständig von der Oberfläche dieser Welt tilgte. Schließlich jedoch...“ Er zögerte einen Moment, als könnte er selber nicht glauben, was er da las. ,, Schließlich jedoch gelang es einem der letzten Überlebenden des alten Volkes, dem letzten Erzmagiers um genau zu sein, den Dreizehnten einzusperren.“ Erik schloss einen Moment die Augen. ,, Armer Ismaiel. Armer, armer verrückter Bastard. Aber ich glaube ich verstehe langsam wieso er so versessen darauf war, das alles wieder gut zu machen. Und es erklärt wohl warum ich bis jetzt nie von einem dreizehnten Unsterblichen gehört habe. Vermutlich haben die Überlebenden alle Aufzeichnungen über ihn zerstört, nachdem ihnen klar wurde, das er, trotz ihres Siegs, ihre Art am Ende vernichtet hatte.“
,, Wie haben sie ihn gefangen ?“ Galren sah zu dem Wandgemälde auf und fürchtete die Antwort zu kennen.
Erik lächelte nur. ,, Ich glaube , diese Antwort kann ich euch ersparen, oder ? Die Rettung fiel von den Sternen, heißt es hier, eine Träne der Götter.“
,, Sterneneisen...“
,, Ein Schwert aus Sterneneisen. Ein Schwert, das ich zerbrochen habe... Und dieser dreizehnte Unsterbliche...“
,, Er hat einen Namen, Galren. Wie die anderen. Sein Name, sein ganzes Wesen.. ist der Herr der Ordnung.“
Galrens entsetzten steigerte sich nur, als er den Namen erkannte.
,,Bitte ?“ Armell schien genau so vor den Kopf gestoßen wie er. ,, Aber... das war genau der Name den die Kultisten verwendet haben, die uns angriffen. Das... Das Ding, das sie als einen Gott verehren...“
,, Ist der Mächtigste der Unsterblichen.“ , beendete Erik den Satz. ,, Und ich bezweifle, das ihr völlig begreift, was das bedeutet. Der Name eines Unsterblichen ist keine bloße zier, es ist ein Teil seines Wesens, der darin seinen Ausdruck findet. Egal welche Form er hat oder wie viele unterschiedliche Menschen oder Gejarn schon die Rolle dieses Unsterblichen eingenommen haben mögen, diese eine Sache bleibt immer.“
,, Ordnung...“ Elin schien es nicht zu wagen, den Satz fortzuführen.
,, Ordnung ist gleichbedeutend mit Entropie. Vollkommene Ordnung ist der Tod aller Dinge, Kindchen und das ist die Bedeutung seines Namens. Nur eine tote Welt, ein totes Universum ist jemals wirklich geordnet. Wenn nichts mehr ist, herrscht Ordnung. Es ist die Antithese des Lebens. Oder zumindest allen Lebens, das nicht anderweitig kontrolliert werden kann. Kontrolle und Ordnung. Das ist sein ultimatives Ziel. Und je weniger chaotisches Leben es gibt, desto leichter ist dieses zu erreichen...“
,, Und sie versteckten das Schwert bei den Zwergen…“ Galren zögerte, irgendetwas an Eriks Geschichte machte keinen Sinn, aber er kam nicht darauf was. Dann jedoch fiel ihm die Antwort wie Schuppen von den Augen. ,, Erik, das alte Volk hat das Schwert, dieses…Gefängnis für den Herrn der Ordnung an der Nebelküste versteckt. Und dann hat der Herr des Feuers die Zwerge dorthin geführt. Aber wenn er ein Unsterblicher war , wenn… Hat er gewusst, dass das Schwert dort lag?“
Er konnte die Ahnung, die sich in seinem Geist festgesetzt hatte nicht ganz benennen. Was hatten sie bitte getan, indem sie diese unsägliche Reise unternommen hatten? Die Sturmbarriere, Parlor der sich ihnen in Simons Namen in den Weg stellte. Die Zwerge selbst… Hindernisse, dachte er. Barrieren. Verschlossenen Türen, alle da um nur einen Zweck zu erfüllen, sie irgendwie von diesem Schwert fern zu halten. Und doch hatte es nichts genützt. Statt einmal nachzudenken warum ihm jemand all diese Hindernisse in den Weg stellen sollte, hatte er weitergemacht. Galren war blind wie eine Motte zum Feuer geflogen…,, Ihr meint er hatte einen guten Grund dazu ?“
Galren nickte. ,, Wenn dieser Herr der Ordnung sogar die übrigen Unsterblichen bekämpfte, warum sollte einer von ihnen jemanden zu dessen Gefängnis führen ? Und noch wichtiger, meinen Vater und auch mich hat dieses Schwert nur durch seine Anwesenheit fast in den Wahnsinn getrieben, Erik.“
Die Augen des Arztes wurden weit. ,, Götter, ich verstehe. Wenn die Zwerge dem so lange ausgesetzt waren…“
,, Sollten sie eigentlich alle um einiges schlimmer dran sein, wie euer Vater.“ , beendete Armell den Satz. ,, Aber das sind sie nicht. Ich meine, irgendwie schon. Ich würde keinem von ihnen mein Leben anvertrauen, von Hadrir mal abgesehen, aber sie sind nicht völlig korrumpiert. Und wenn sie dem Jahrhunderte lang ausgesetzt waren…“
,, Naria meinte einmal zu mir, Magie hätte eine schwächere Wirkung auf sie.“ Sie schienen langsam zu verstehen, wohin sein Gedankengang ging.
,, Und damit hätte auch die Korruption die durch das Schwert folgen würde eine sehr viel schwächere Wirkung auf sie. Am Ende ist auch ein Unsterblicher nur Magie. Götter, das erklärt so einiges.“
,, Wir können ihn nicht mehr Fragen, aber dieser Herr des Feuers hat die Zwerge nicht nur aus Nächstenliebe über das Meer geholfen. Sie waren als Wächter gedacht. Und sie waren die einzigen, die dafür in Frage kamen, weil jeder andere schlicht und ergreifend den Verstand verloren hätte. Sie hätten uns niemals mit dem Schwert ziehen lassen, auch wenn es ihnen selbst nicht klar gewesen sein mag. Aber mein Vater hat auch diesen Schutz noch zerstört, indem er sie dazu aufforderte, ihm über das Meer zu folgen. Und wir haben sie ermutigt…“
,, Weil wir keine Wahl hatten.“ , entgegnete Elin. ,, Sie wären alle verdurstet.“
,, Und ich fürchte, das Erdbeben, das ihre Wasservorräte zum Versiegen brachte, war kein Zufall.“ Ein Erdbeben, welche das Schwert erst wieder zum Vorschein gebracht hatte, damit sein Vater es fand. Vielleicht war das Gefängnis, welches das alte Volk für den Herrn der Ordnung errichtet hatte doch nicht so perfekt gewesen… Irgendwie hatte er noch Einfluss auf die Geschehnisse in der Zwillingsstadt nehmen können. Minimal, aber es hatte ausgereicht um ihn zu befreien. Götter, was hatten sie bloß getan? Was hatte er vor allen Dingen getan? War das von etwa von Anfang an der Plan seines Vaters gewesen? Der Angriff im Thronsaal, der Tod des Zwergenkönigs, alles nur damit Galren am Ende das Schwert zerbrach ?
Er sackte gegen eine der Statuen und ließ seine eigene Waffe fallen, die er nach wie vor in Händen hielt. Es War Wahnsinn, dachte Galren schaudernd. Beinahe wäre es ihm lieber gewesen, sie hätten nichts an diesem Ort gefunden als… das. Er sah sich in der Kammer um, ob sich vielleicht noch irgendetwas fand, doch all das Gold und die Edelsteine hielten natürlich keine Antwort für ihn bereit. Und für Merl auch nicht, dachte er. Hier gab es sonst nichts… nur die Wahrheit. Aber wenn er diesen Herrn der Ordnung, diesen Unsterblichen tatsächlich befreit hatte, wo war er dann? Einem Wesen,
das das alte Volk auslöschen konnte, hätten sie sicherlich nichts entgegenzusetzen. Der Herr der Ordnung hätte sie längst vernichtet. Doch bisher schien er lediglich Anhänger zu sammeln. Wie die, die sie angegriffen hatten… Es schien keinen Sinn zu ergeben, warum sie überhaupt noch am Leben waren.
Ehe er jedoch noch länger darüber nachdenken konnte, schallten bereits aufgeregte Rufe durch die Steinernen Wände zu ihnen. Rasch machten sie sich auf den Weg zurück in die Hauptkammer und zum Brunnenschacht, vor dem sich bereits die Silhouette einiger aufgeregter Arbeiter abzeichnete.
,, Was ist den los ?“ , rief Erik zu ihnen herauf.
,, Herr, grade eben ist ein Bote aus dem Hauptlager eingetroffen… Ihr kommt besser schnell zurück, wir haben Besuch…“
Dutzende von Feuern erhellten die Nacht und warfen lange Schatten über den ausgedörrten Wüstenboden. Einen halben Tagesritt vor Helike war die Welt für viele seiner Bewohner eigentlich an ihr Ende gelangt. Nicht so heute. Wind peitschte dünne Sandschleier auf, die zwischen eine Ansammlung von Zelten hindurch wehten und die schier endlose Prozession einhüllten. Es mussten hunderte sein, wenn nicht sogar tausende, die mit Fackeln bewaffnet den Weg von Helike in die Wüste angetreten hatten. Und immer noch trafen weitere Männer und Frauen in kleinen Gruppen ein. Einige trugen die typischen, vermummenden Roben der Prediger des Herrn der Ordnung doch die meisten waren einfache Bürger der Stadt, manche mit deutlich sichtbaren Brandzeichen, manche ohne. Und immer wieder konnte man auch Kinder in der Menge entdecken, die sie an die Hände ihrer Mütter oder Väter klammerten. Naria lief bei diesem Anblick ein Schauer über den Rücken. Fahnen wehten auf den umliegenden Dünen, beleuchtet vom Schein mehrerer Kohlenfeuer, auf das niemand das Wappen auf ihnen übersehen konnte. Eine rote Hand mit drei Fingern.
Es war nicht schwer gewesen, herauszufinden, wo das Treffen des Kults stattfinden sollte, Die Prediger sowie ihre Anhänger sprachen überall davon und es schien ihnen auch egal, ob die Archonten davon Wind bekamen. Naria hatte anfangs noch an einen Glücksfall geglaubt, doch sich der Versammlung unbemerkt zu nähern hatte sich als durchaus schwieriger herausgestellt. Das ganze Gelände war offen und grade außerhalb des Scheins der Kohlenfeuer auf den Dünen versteckten sich dutzende von Posten. Schatten unter Schatten, die alles ganz genau beobachteten. Das einzige, was ihre Anwesenheit verriet, waren die Lichtreflektionen auf den dünnen Bronzehörner, die ein jeder von ihnen trug, Hätten sie sich mit einer größeren Streitmacht genähert, hätten diese wohl sofort Alarm geschlagen und Naria hätte bei ihrer Ankunft nur noch eine leere Senke zwischen einigen Dünen vorgefunden. Doch Wys hatte ohnehin nie geplant, die Versammlung dort unten direkt anzugreifen.
,, Ich habe nicht vor, Krieg gegen mein eigenes Volk zu führen.“ , hatte er ihr mit kalter Stimme anvertraut, als sie von Helike aus aufgebrochen waren. Sie hatten einen Umweg machen müssen um das Haupttor der Stadt zu vermeiden, von wo aus sich bereits die ersten Pilger auf den Weg machten. Stattdessen hatte der Archont sie durch einen kaum benutzte Seitentür in einem der Türme auf der Stadtmauer geführt. Die Pforte war derart verborgen gewesen, das Naria sich nicht einmal jetzt sicher war, sie wiederfinden zu können. Doch als einer der Herrn Helikes wusste Wys wohl so einiges mehr über die Befestigungsanlagen und geheimen Passagen die sich durch diese hindurch zogen.
Aber wie würde er nennen, was sie hier taten? , fragte sie sich, während sie auf das Kultlager hinab sah. Hinter und neben ihr lagen zuerst Wys und Sine gefolgt von einem halben Dutzend Paladine. Heute allerdings hatten die Männer ihre Rüstungen abgelegt, wenn auch nur unter wiederholten Befehlen ihres Archonten. Diese Männer waren praktisch mit Panzerungen, Schild und Schwert aufgewachsen. Heute jedoch blieb ihnen von ihrem Rang nur ein schlichter roter Schal. Ein Erkennungszeichen, damit sie sich später untereinander wiederfanden. Sonst erinnerte nichts mehr an ihnen an die Elitegarde Helikes. Selbst ihre Schwerter hatten sie mit Kohle eingefärbt und bis auf weiteres halb im Sand vergraben, damit der blinkende Stahl sie nicht verraten konnte.
Es waren die wenigen bei deren Loyalität sich Wys vollauf sicher war, wie er Naria gegenüber geschworen hatte. Die Gejarn konnte nur hoffen, dass ihr Onkel damit Recht hatte. Wenn er auch nur einen einzigen Informanten des Kults des Herrn der Ordnung in seine Pläne eingeweiht hatte, würden sie heute Abend direkt in eine Falle laufen. Mit so wenigen Männern blieb ihnen nur ein kleines Zeitfenster. Wenn Wys wirklich einen der hochrangigen Prediger gefangen nehmen wollte mussten sie im Lager für Chaos sorgen, zuschlagen und wieder verschwunden sein, bevor jemanden klar wurde, das sie es bloß mit einer Handvoll Kämpfer zu tun hatten. Misslang ihnen das, würde es tatsächlich auf einen offenen Kampf hinauslaufen und damit… wäre wirklich alles verloren, dachte sie. Zumindest für Wys.
Ihr Blick wanderte zu Sine, die sich keine fünf Schritte neben ihr duckte. Eigentlich sollte das Mädchen nicht hier sein, dachte sie, aber sie hatte darauf bestanden. Und Wys hatte schließlich nur allzu bereitwillig zugestimmt. Alles worauf Naria hoffen konnte war, das er auf sie achten würde. Auch wenn ihr Onkel in ihr vielleicht eine Möglichkeit sah, gegen die Kultisten mit magischer Begabung vorzugehen… Sine konnte ihre Gabe schlicht nicht beherrschen.
Naria glaubte mittlerweile zu verstehen, warum Kareth ihr zumindest verusct hatte, ihr ein grundlegendes Verständnis für Magie zu vermitteln. So konnte sie wenigstens etwas die Kontrolle behalten… allerdings hieß es auch, das der Drache von Anfang an geplant haben musste, Sine eines Tages als Außerwählte zu benutzen.
Normalerweise lernte ein geborener Magier von Kindesbeinen an, mit seiner Gabe umzugehen und sie entsprechend zu kontrolliere. Sine hingegen hatte über all die Jahre nur ein paar Krumen hingestreut bekommen. Unzureichendes Wissen, das noch dazu aus Träumen und Visionen stammte.
Und doch war sie mit Macht gesegnet worden, die Narias eigene Fertigkeiten bei weitem Übertraf. Eine gefährliche Kombination und das nicht einmal unbedingt für alle anderen… sondern vor allem für Sine selbst. Und das Mädchen hatte vielleicht grade einmal begonnen, die Oberfläche ihrer Fähigkeiten anzukratzen.
Wys musste klar sein, das er sie nicht als Schild benutzen durfte, wenn die Sache außer Kontrolle geriet. Naria sah sich in der Dunkelheit nach dem Archonten um, der mit ernster Mine das Lager unter ihnen musterte.
Es musste einen Weg geben, das hier ohne Blutvergießen über die Bühne zu bringen, dachte er grimmig. Der Tag war noch nicht gekommen, an dem er gezwungen wäre, das Schwert gegen sein eigenes Volk zu erheben. Nicht wieder… Einmal war er schon dazu gezwungen gewesen. Gegen sein Volk… und gegen sein eigenes Fleisch. Das würde nicht wieder passieren, sagte er sich.
Die Feuer die unten in der Senke brannten waren schon von weitem zu sehen gewesen und der stetige Zustrom aus Fackelträgern verwandelte alles dort unten in ein Gewirr aus flackerndem Licht und tanzenden Schatten. Da unten mussten hunderte Menschen sein, wenn nicht mehr.
,, Seht euch all die Leute an…“ Sine schien sich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnt zu haben, dass es so viele Menschen auf einem Fleck geben konnte wie in Helike. Wys schmunzelte. Das Mädchen würde schon noch irgendwann darüber hinwegkommen. Aber wenn man in so kleinen Gemeinschaften zusammenlebte, wie die Whaid es taten, war wohl jede größere Ortschaft ein kleines Wunder und Helike war ein Ort, der nur von wenigen in den Schatten gestellt wurde, vielleicht grade einmal von der fliegenden Stadt selbst.
Anfangs hatte er sich dagegen ausgesprochen, Sine überhaupt mitzunehmen, aber das Mädchen hatte , trotz ihrer Schüchternheit immer wieder darauf bestanden, ihnen helfen zu wollen. Und jetzt wo sie hier waren, war er sogar froh darüber. Er hatte gesehen, was sie tun konnte und ihre Gegner verfügten genauso über Magie…
Naria schien seine Gedanken gelesen zu haben und er erinnerte sich an das kurze Gespräch, das sie beim Weg durch die Wüste geführt hatten.
,, Egal was heute passiert, halt sie aus den Kämpfen raus, wenn es dazu kommt.“ , hatte sie gesagt.
,, Wir werden sie vielleicht brauchen.“ , entgegnete er. ,, Ihr habt selbst gesagt, diese Leute würden über Magie verfügen… Meine Männer sind darauf vorbereitet es mit einem Zauberer aufzunehmen, Naria, aber nicht wenn sie derart in der Unterzahl sind. Du und sie, ihr beide seid das einzige, was wir ihnen entgegenstellen können.“
,, Wys, sie wird vielleicht sterben wenn sie dazu gezwungen ist uns zu helfen.“ Er hatte nie erwartet, das Narias Stimme einmal flehend klingen könnte. Und dennoch…
,, Ich zwinge Sine zu nichts.“ , hatte er erwidert. Aber sie wird auch nicht zusehen, wie wir da draußen sterben , dachte er und konnte sich einen Moment nicht dazu überwinden, Naria ins Gesicht zu sehen.
,,Tut mir wenigstens den gefallen und habt ein Auge auf sie. Wenn ihr uns beide braucht, dann sorgt wenigstens dafür, dass man Sine aus dem gröbsten raushält bis es wirklich…nötig wird.“
Und nicht einmal das hatte er ihr versprechen können, dachte er bitter, während er die Erinnerung abschüttelte. Nicht wenn das Schicksal der ganzen Stadt dabei auf dem Spiel stand. Hier ging es um deutlich mehr als ein einziges Leben, ob es nun einen Weg zum Frieden mit dem Whaid bot oder nicht. Und doch hätte er Naria ihren Wunsch gerne erfüllt. Wys schloss einen Moment die Augen, während sie abwarteten. Er tat es doch schon wieder, dachte er… wenn auch im kleineren Maßstab, aber er stellte sich gegen sein eigenes Blut. Weil ihm sein Pflichtgefühl keine Wahl ließ… Wieder einmal. Tat er den noch das richtige, oder geriet er längst wieder auf einen Weg, dem er abgeschworen hatte?
,, Es sind zu viele.“ , hörte er sich selber sagen, während er das Lager am Fuß der Düne beobachtete. Da unten waren wirklich hunderte von Menschen. ,, Der Einfluss dieser Prediger muss schon größer sein, als wir je vermutet haben.“ Und wenn er daran dachte, wie die Leute, fast wie hypnotisiert diesen Männern unter dem Symbol der roten Hand lauschten… Ihm wurde tatsächlich kurz mulmig bei dem Gedanken. Aber es gab auch kein zurück, dachte er.
Sie trugen alle dunkle Kleidung, die sie in der Nacht fast unsichtbar werden ließ. Sah man von den roten Schals und Bändern ab, die sie alle als Erkennungssymbol trugen. Auch Sine hatte ihre Sachen gegen ein einfaches schwarzes Hemd und einen Rock getauscht, trug jedoch nichts, das sie für die anderen Erkenntlich machte. Die goldenen Ranken auf ihrem Arm glommen schwach im Dunkeln.
Ihr Vorhaben war einfach, zuschlagen, und einen der Prediger erwischen. Nach allem was sie wussten schienen diese Männer die Anführer des Kults zu sein oder zumindest besaßen sie wohl mehr Einfluss als die normalen Anhänger. Aber einen auf offener Straße gefangen zu nehmen hätte einen offenen krieg bedeutet. Hier jedoch und bei dem Durcheinander, das sie auslösen würden, wäre es schwer für die Kultisten zu erkennen, wer sie angegriffen hatte. Und das einer ihrer Leute fehlte würde hoffentlich ebenfalls erst auffallen wenn sie ein paar Antworten hatten um ihnen zu begegnen.
Geräuschlos setzte Wys sich auf und zog dabei sein Schwert aus dem Sand, zusammen mit einem simplen Schild. Die Runde Scheibe aus Metall war kaum größer als seine Faust, aber sie hatte auch nicht den Zweck ihn großartig zu schützen. Wenn sie in die Verlegenheit kamen, wirklich kämpfen zu müssen, war ihr Vorhaben bereits gescheitert. Niemand durfte sie erkennen. Und am besten stellte sich ihnen auch niemand in den Weg. Mochten sie fehlgeleitet sein oder nicht, das da unten war immer noch sein Volk. Allein der Gedanke gegen einen von ihnen die Waffe heben zu müssen…
Wys zögerte erneut. Aber es gab auch kein Zurück mehr. Er musste nur an die Kreatur denken, die diese irren auf sie gehetzt hatten um das zu wissen. Sie hatten sein Volk irgendeiner verdrehten Mann-Bestie zum Fraß vorgeworfen um ihren Glauben zu verbreiten. Angst und Schrecken würden heute ein Ende finden. Langsam hob er den Schild und brachte das Schwert davor in Position.
Genau so leise taten die Männer hinter und neben ihm dasselbe, während Naria ohne ein Wort zur Seite huschte. Die Magierin hatte ihre eigene Aufgabe.
Die Schneiden der Schwerter funkelten wie dünne Linien aus Silber in der Dunkelheit. Wys konnte spüren wie sein Herz schneller schlug, wie die Nervosität nun auch ihren Preis von ihm forderte. Doch das alles würde nicht lange halten, sagte er sich. Mit dem ersten Schlag, dem ersten Schritt würde sich die Furcht von ihm ablösen wie schon so oft in seinem Leben.
Mit einem letzten Blick zurück ob auch alle auf Position waren, stand er schließlich vollends auf, ein dunkler Schemen vor dem nachtschwarzen Wüstenhimmel.
,, Auf !“ , rief er so laut er konnte. ,, Jagt sie bis ans Meer bis nötig und vergesst nicht… Wir wollen nur die Prediger.“ Mit einem glockenhellen Klang schlug er Schwert und Schild zusammen. Lärm und Verwirrung wären ihr einziger Schutz… Wenn die Posten oben auf den umliegende Sandhügeln sie bis jetzt nicht bemerkt hatten, dann spätestens jetzt. Auf diese Worte hin erhob sich nun auch der Rest seiner Männer und begann, die Düne hinabzustürmen und machten dabei genug Lärm um Tote aufzuwecken. Und grade bevor sie die ersten Zelte erreichten, hörte Wys schließlich die ersten Hornstöße der Wachposten und eine große Lichtblume, die auf einmal am Himmel aufblühte…
Bis jetzt wenigstens lief alles nach Plan, dachte er, bevor er in das Gewirr aus Zelten und umherrennenden Menschen eintauchte.
Naria sah zu, wie Wys mit seinen Männern die Düne hinabstürmte und zwischen den Zelten verschwand. Schon beim ersten Ruf ihres Onkels war unten im Lager Panik ausgebrochen und das Dutzend Männer das ihm folgte macht einen derartigen Heidenlärm, das man unten wohl glaubte, es mit einer Armee zu tun zu haben. Nicht nur mit ein paar Verzweifelten. Das Geräusch der zusammenschlagenden Schilde und Schwerter hallte wie Glockenschläge weit in die Wüste hinaus. Das Lager der Kultisten verfiel derweil in heillose Panik. Naria konnte Menschen schreien hören und sah Schatten, die an den feuern vorbei rannten. Fort von den Männern, die plötzlich mitten unter ihnen waren, Zelte niederrissen und über die Flammen hinweg trampelten.
Naria hingegen hatte sich mit Sine etwas abseits der Hauptstreitmacht, wenn man es denn so nennen wollte, gehalten. Jetzt wo der Angriff begann würde sie Wys und den andere noch früh genug nachfolgen können, aber zuerst hatte sie noch eine andere Aufgabe. Einen Moment sah Naria sich nach den Spähern der Kultisten um, die auf den Dünen standen. Die bronzenen Hörner die diese trugen übertönten selbst den Kampflärm fast, doch auch wenn die Männer nun alarmiert waren hatten sie die beiden Nachzügler offenbar noch nicht entdeckt.
Perfekt, dachte sie. Wenn sie nicht wüssten woher das Feuer kam würde das Chaos endgültig perfekt werden. Naria konzentrierte sich und formte mit den Hände eine Schale und konzentrierte sich.
Sine sah ihr unsicher zu, wagte aber offenbar nicht zu fragen, was sie da tat, sondern blieb schlicht neben ihr hocken. Immerhin hatte Wys nicht darauf bestanden sie beim Angriff direkt mit sich zu nehmen…
Licht sammelte sich zwischen Narias Händen und stieg langsam zum Himmel auf, bis es nur noch ein weiterer leuchtender Punkt unter den Sternen war. Dann jedoch fächerte das Licht in einer geräuschlosen Explosion aus. Strahlende Helligkeit erfüllte einen Moment den gesamten Himmel, während bereits die ersten Feuerlanzen hinab auf das Lager und die umgebende Wüste regneten.
So spektakulär das Schauspiel war, am Ende war es mehr ein Zaubertrick als echte Magie, dachte Naria. Die herniedergehenden Lichter würden keine echten Feuer entfachen, sondern lediglich die ohnehin schon erzeugte Unordnung noch vergrößern. Wäre das hier ein echter Zauber gewesen wäre die Zerstörung jedoch kaum vorstellbar gewesen…
Selbst die Späher auf den Dünen hielten einen Moment mit ihren Warnrufen und den Trompetenstößen inne, als sie sahen, wie das Lager unten sich in ein Meer aus echten und falschen Feuern verwandelte.
Naria stand auf, klopfte sich den Sand aus der Kleidung und machte sich, Sine im Schlepptau auf den Weg die Düne hinab. Jetzt war es auch an ihnen den andere zu Folgen. Sand wirbelte unter ihren Füßen auf, als sie den Spuren folgten, die Wys Männer hinterlassen hat6ten und manchmal rutschten sie mehr als das sie liefen. Einige verschreckte Männer und Frauen kamen ihnen bereits entgegen und versuchten aus dem Hexenkessel hinauf auf die vermeintlich sicheren Hügel oder zurück in Richtung Helke zu gelangen.
Zelte wurden einfach niedergerissen von Wys Männern und von den Fliehenden gleichermaßen und Naria entdeckte auch einige Prediger, die offenbar die Nerven verloren und sich dem unorganisierten Strom anschlossen, der wieder zurück zur Stadt zu gelangen versuchte. Leider waren die Männer in ihren erdfarbenen Roben aber schon zu weit weg, als das Naria sie erreichen könnte.
Sie passierten einen kleinen Unterstand unter dem sich panisch einige Pferde zusammendrängten. Falsches Feuer loderte um sie auf und auch wenn die Tiere offenbar bemerkten, dass es sie nicht verletzt, das um sie herrschende Chaos ließ sie trotzdem an den Seilen ziehen, die sie an Ort und Stelle banden. Naria schnitt rasch ein paar von ihnen los, die daraufhin durch Zelte und umherirrende Nachzügler davonpreschten. Irgendwo meinte sie kurz Wys zu sehen, der eine Gruppe seiner Männer um sich versammelte und Befehle rief. Zumindest noch lief alles nach Plan. Niemand hatte bemerkt, wie wenige sie eigentlich waren und jetzt, wo die LEute einmal zu fliehen begonnen hatten, würden sie wohl kaum noch zu bremsen sein.
Sine hatte sich derweil von ihr getrennt und als Naria sich nach ihr umsah, bekam sie grade noch mit, wie die junge Frau einem fliehenden Mann nachsetzte. Dieser hatte sich nach einem kurzen Blick auf das heillose Durcheinander schlicht umgewandt und auf den Weg aus dem Lager hinaus begeben. Der Fremde trug ebenfalls die Roben eines Predigers deren langer Saum ihn beim Laufen behinderte und musste noch dazu immer wieder weiteren Fliehenden ausweichen. Und als dann eines der Pferde, die Naria kurz zuvor losgelassen hatte vor ihn trat und ihm den Weg abschnitt, sah Sine offenbar ihre Chance gekommen. Sie packte den Mann am Handgelenk, während dieser noch vor dem sich aufbäumenden Tier zurückwich. Er stolperte halb über die Ruinen eines heruntergebrannten Zelts aus dem noch einige verkohlte Holzpfähle und Eisen aufragten, die es einst zusammen gehalten hatten, bevor er wohl endlich die Hand auf seinem Arm bemerkte und zu der Whaid herumfuhr.
Naria beeilte sich derweil, so schnell wie möglich zu ihnen zu gelangen. Mit all den Leuten um sie herum die nach wie vor einer vermeintlichen Armee zu entkommen versuchten, wagte sie es nicht einen Zauber anzubringen. Wys hatte ihnen eingeschärft möglichst niemanden zu verletzen und solange es möglich war würde sie sich auch daran halten. Und so nah wie Sine bei dem Mann stand würde Naria sie ohne Zweifel ebenfalls treffen. Ihr blieb nur übrig, zu laufen und sich einen Weg zwischen zusammengestürzten Zelten, Wys Männern und wildgewordenen Pferden zu bahnen. Bevor die Gejarn jedoch nahe genug war um etwas zu unternehmen, hatte sich der Prediger längst zu Sine herumgedreht und musterte das Mädchen einen Moment, als hätte er keine Ahnung, was er davon halten sollte. Und auch Sines Griff um seinen Arm lockerte sich scheinbar, als das Mädchen versuchte zurückzuweichen. Die alte Unsicherheit schien sie wieder befallen zu haben, der Mann vor ihr jedenfalls schüttelte sie ab, wie eine lästige Fliege. Ihre eigentliche Absicht bekam er vermutlich nie mit, er hielt sie einfach für eine hilfesuchende Anhängerin… die ihm in die Quere kam. Mit einem Ruck befreite er sich endgültig und wollte weiterlaufen. Sine jedoch schien plötzlich ihren Mut wieder zu finden und riss den überraschten Mann zurück.
Diesmal schlug der Prediger einfach blind zu und erwischte das Mädchen an den Schläfen. Ein weiterer Schubs und Sine stolperte mit den Armen rudernd zurück und stürzte in die noch schwelenden Überreste des Zelts zu ihren Füßen. Einen Moment lang sah Naria nur die spitz zulaufenden Holz und Metallstreben, die aus den verkohlten Trümmern aufragten, doch wie durch ein Wunder landete Sine nicht direkt auf einen davon. Das hätte sie wohl das Leben gekostet. Trotzdem bohrte sich einer der Pfähle in ihre Seite und das Mädchen schrie auf, als das raue Eisen ihre Haut aufschlitzte.
Naria rechnete bereits mit dem schlimmsten und überwand rasch die letzten Meter zwischen sich, der gestürzten Frau und dem Prediger. Letzterer hatte sich bereits wieder achtlos zum gehen Gewand.
Einen Moment war sie hin und her gerissen. Wenn sie jetzt handelte, könnte sie den Mann noch einholen… Hätten Wys Männer bisher keinen Erfolg gehabt, wäre das hier ihre letzte Chance. Und doch konnte sie Sine auch nicht einfach liegenlassen. Das Mädchen war halb zwischen aufgewirbelter Asche und umgestürzten Zeltstangen verschwunden und rührte sich immer noch nicht. Sie wusste, was Wys von ihr erwarten würde, dachte Naria grimmig. Allerdings würde Wys nachher auch nicht die Verluste zählen, dachte sie grimmig. Ein Teil von ihr wusste das sie ihrem Onkel damit unrecht tat, aber ein anderer erinnerte sich noch zu gut an seine Worte von zuvor. Sollte der Mann doch sehen wo er blieb.
Mit einem leisen Fluch rannte sie zu dem zerstörten Zelt und ließ sich neben Sine auf ein Knie fallen. Das Mädchen jammerte leise, als Naria sie vorsichtig auf den Rücken drehte. Immerhin schien sie nicht tödlich Verletz zu sein. Ein paar Schrammen an Händen und Knien und mehrere Kratzer im Gesicht, das mit Asche überkrustet war. Aber die tiefere Wunde in ihrer Seite machte wohl jede Bewegung zu einer Qual. Naria bedauerte plötzlich, ihre Ausrüstung zugunsten der Tarnung in Helike zurück gelassen zu haben. Hier draußen hätte die schwere Kräutertasche sie nur behindert, wenn sie ohnehin nicht kämpfen wollten… Jetzt jedoch hätte sie sie wirklich gut gebrauchen können. SO jedoch konnte sie die Wunde lediglich oberflächlich mit ein paar Stoffstreifen verbinden und einen schwachen Heilzauber wirken, der zumindest den Blutstrom stoppen würde.
Naria konnte spüren wie Sine die Zähne zusammenbiss, als die Magie ihr Blut mit Gewalt zum Gerinnen brachte.
,, ..hättet ihn nicht entkommen lassen sollen.“ , murmelte das Mädchen, während es versuchte, sich aufzusetzen.
,, Er war schon zu weit weg, als ich dazukam.“ , erklärte sie. Es war eine Lüge, aber wenn es nach ihr ging, würden ohnehin weder Wys noch Sine je erfahren, dass sie den Prediger hatte ziehen lassen. Um ihr zu helfen. Es war dumm gewesen, aber was hätte sie den tun sollen?
Naria schloss einen Moment die Augen, bevor sie Sine aufhalf und sich im Lager umsah. Oder dem,
was davon übrig war. Nur noch vereinzelt irrten Phantome durch die Ödnis. Die magischen Flamen, die vor einigen Minuten noch alles Taghell erleuchtet hatten waren zum Großteil verloschen und ließen nur die Umrisse ausgebrannter Zelte und einiger toter Pferde zurück. Wenigstens, dachte Naria, entdeckte sie keine menschlichen Körper am Boden. Nur Wys Leute, die zwischen den Überresten umherhuschten, die letzten Nachzügler verscheuchten und sich unsicher umsahen. Sie waren gescheitert, dachte die Gejarn einen Moment. Das Lager war leer, der Kult vertrieben… und sie damit keinen Schritt weiter. Selbst wenn es irgendwelche Aufzeichnungen gegeben hatte, waren diese wohl Opfer der Flammen geworden und ihr eigentliches Ziel, einen Prediger zum Verhör festzusetzen blieb unerreicht.
Niedergeschlagen trottete sie mit Sine zurück zum Zentrum des Lagers, wo Wys dem Plan zufolge bereits auf sie warten würde. Ihr Onkel war seit dem Angriff in der inneren Stadt ohnehin nicht mehr ganz derselbe und dieser Misserfolg würde sicher nicht dazu beitragen, seine Seelenfrieden wiederherzustellen. Selbst Tira schien ja kaum noch zu ihm durchzudringen. Sie würde ihm eben beichten müssen, dass sie nicht schnell genug gewesen war um den letzten Flüchtigen aufzugreifen.
Doch als sie schließlich zwischen den verbrannten Zelten hervortraten, wartete dort nicht Wys auf sie. Der Mann, der dort in der Lagermitte kniete war kaum größer als Sine und hatte die Hände vor sich gefaltet, als würde er beten. Wenn er von ihnen oder auch nur dem Chaos um ihn herum Notiz nahm, so zeigte er es jedenfalls nicht. Obwohl er in Meditation versunken schien, standen seine Augen offen und einen Augenblick traf sich sein Blick mit ihrem. Seine Augen waren von einem sanften, nebligen Grauton und seine Kleidung bestand lediglich aus der zerschlissenen Robe eines Archivars von Helike. Einst von einem tiefen dunkelblau war der Stoff von der Sonne ausgebleicht du entsprach nun mehr der Farbe des Morgenhimmels.
Er hatte hier auf sie gewartet, dachte Naria, die ihn wiedererkannte. Die Frage blieb jedoch, wozu? Bisher hatte er nicht versucht sie anzugreifen… doch warum sonst sollte er sie hier erwarten? Am Ende war ihr Plan eben doch an die falschen Ohren geraten, dachte sie. Aber auch das schien keinen Sinn zu machen. Wenn dem so wäre, wenn dieser Mann gewusst hatte, was Wys plante, warum ließ er es dann so weit kommen?
Der Träumer erhob sich langsam, wobei der sein Mantel von seiner linken Hand zurückrutschte und darunter das dunkle Zeichen enthüllte, das sich über seine Handfläche zog. Adern von flüssigem Feuer schienen durch die Wunde zu laufen, während er auf sie zutrat. Er schien weder überrascht sie zu sehen, noch schien er besorgt darüber, sich ihnen hier alleine zu stellen. Doch die Aufmerksamkeit des Träumers galt auch weniger Naria, als Sine.
Das Mädchen trat beinahe unsicher hinter ihrem Rücken hervor, als der Träumer sich erhob. Und kaum merklich nickte er ihr zu, als würden sie sich bereits kennen. Und genau das war der all, wie Naria plötzlich klar wurde. Auf Sines Gesicht stand der gleiche Ausdruck ungläubigen Wiedererkennens wie auf ihrem.
,,Ihr…“ , flüsterte das Mädchen fast, während nun nach und nach auch Wys Männer aus dem Lager auftauchten und einen Halbkreis um sie formten.
,, Ich kam einst zu eurem Volk wenn ich mich richtig erinnere.“ Der Träumer klopfte sich Sand und Schmutz aus seiner Kleidung, während er die zwei Frauen musterte. Dem Ring aus Schwertern, de rihn mittlerweile umgab schenkte er hingegen kaum mehr Aufmerksamkeit als dem Staub, der von seinen Händen zu Boden rieselte. ,, Beim ersten Mal habt ihr mich freundlich aufgenommen und auch wenn ihr beim zweiten Mal meine Worte nicht hören wolltet, haben die Whaid mich doch immer mit Respekt behandelt. Anders als hier…“
Er blickte anklagend auf das Gewirr aus zerstörten Zelten hinaus. Es sah aus wie nach einer Schlacht auch wenn kein Tropfen Blut in den Wüstensand geflossen war. Dünner Rauch hing über den Zelten und sammelte sich in einer dünnen Dunstglocke über ihnen. Mittlerweile begann die Sonne bereits hinter den Dünen aufzugehen und tauchte die umliegenden Sandgipfel in rötlichen Glanz. Und in den Rauchsäulen über dem Lager brach das Licht sich sogar Golden, als wolle es einen Ausgleich für die schwarz gebrannte Landschaft am Boden bieten. Ein schöner Morgen für einen derart schrecklichen Tag.
,, Es ist nicht so, dass wir eine Wahl gehabt hätten.“ , hielt Naria ihm entgegen. Und wenn das stimmte, warum fühlte sie plötzlich einen leichten Stich der Schuld, wenn sie sich umsah? Dieser Mann schien genau zu wissen, was er zu sagen hatte, dachte sie. Gefährlich, selbst ohne die Macht die er besaß. Naria wusste, dass er über magische Fähigkeiten verfügte und sie wollte lieber nicht herausfinden, wie weit diese gingen. Träumer war mehr als ein einfacher Mann, sonst würde er nicht riskieren, hier alleine auf sie zu warten. Oder ?
,, Wirklich ?“ Träumer zog eine Augenbraue hoch. ,, Dann verratet mir doch bitte, was haben wir euch je getan ? Ihr meint wir würden nur ernten was sie sähen, gut, wie ist der Name der Saat der wir das hier zu verdanken haben?“
War der Mann zuvor ruhig, geradezu höflich gewesen schwang nun unverhohlener Zorn in seiner Stimme mit. Naria musste sich richtig gehend zusammenreißen um nicht vor ihm zurück zu weichen. So unscheinbar seine Erscheinung war, so dünn seine Stimme, in jedem seiner Worte schien viel mehr mit zu schwingen als nur Kraft. Die Stärke, die nur absolute Überzeugung mit sich bringen konnte. Es war seltsam, aber… konnte es sein, das er es nicht wusste? Träumer speilte seine Empörung nicht, das war ihr klar. Er hatte keine Ahnung, was diesen Angriff provoziert haben mochte. Außer vielleicht das ihr verdammten Bastarde Kinder gebrandmarkt habt, dachte sie.
,, Ist es den Verrat, Leute retten zu wollen ?“ Als hätte er ihre Gedanken gelesen, dachte Naria schaudernd. Er schien tatsächlich eine Antwort zu erwarten, dachte sie.
,, Sind sie den in Gefahr ?“ Naria war überrascht, als Sine sprach. ,, Ihr habt auch davon gesprochen, das ihr mein Volk retten wolltet, Träumer. Das euer Herr gekommen sei um die Ungerechtigkeit der Archonten aufzuwiegen…“
Das Mädchen war vorgetreten und hielt sich dabei mit einer Hand die Seite, wo der provisorische Verband saß.
,, Ich erinnere mich an euch.“ , meinte der Träumer. ,, Ihr seid das Knochenmädchen. Abran hatte einiges über euch zu sagen, wenn auch selten positives.“ Er lächelte. ,, Auch diese Art von Ungerechtigkeit würde unter meinem Herrn ein Ende finden. Wir sind alle nur Diener, egal welchen Ranges. Ich würde ja zu gerne hören, was euch hierher verschlug, aber das ist wohl eine Geschichte für eine gemütlichere Runde als diese.“ Er musterte die Wachen, die ihn umringten ohne ein Zeichen von Furcht.
,, Die Whaid haben mehr als alle anderen unter den Archonten gelitten.“ , erklärte der Träumer weiter. ,, Und ich habe sie selber erlebt. Ich war dabei als die Stadt vor zwanzig Jahren fast niederbrannte, ich habe gesehen, wie sie gegen jene vorgehen, die nicht in ihre Pläne passen. Doch mein Herr bietet jedem einen Platz an. Für den Herrn der Ordnung macht es keinen Unterschied wo oder als wer ihr geboren seid, solange ihr ihm dient.“
Götter, dieser Mann war gefährlich, dachte Naria. Auch wenn sie gesehen hatte, zu was diese Leute fähig waren, seine Worte waren… überzeugend, dachte sie. Sie trieften nicht vor Hass und Zorn, wie die der übrigen Prediger sondern waren von einer schlichten Ehrlichkeit, der man sich nur schwer entziehen konnte. Der bloße Wunsch, die Welt tatsächlich verändert zu sehen…
Doch Sine ließ sich offenbar nicht so rasch überzeugen. Stattdessen schüttelte das Mädchen langsam den Kopf.
,, Ich habe mein Leben lang Geschichten darüber gehört.“ , erklärte sie zögerlich, doch je länger sie sprach, desto sicherer wurde ihre Stimme. ,, Über die Archonten, ihr Krieg gegen die Drachen und die Magier… aber die Dinge sind nicht mehr wie vor zwanzig Jahren. Sie haben sich verändert. Ihr wolltet wissen, wieso ich hier bin? Ich bin als Gast hier, weil ich gebeten wurde zu bleiben. Und ich habe diesen Leuten meine Hilfe zugesagt. Ich bin der erste Bote meines Volkes, der diese Stadt seit Generationen als Freund betrat. Und vielleicht wird es Jahre dauern, bis es der nächste tut, aber die Dinge verändern sich. Im Augenblick… sehe ich nur eine Bedrohung für den Frieden an diesem Ort, und die seid ihr und eure Männer. Ihr kommt hierher, jetzt wo alles besser werden kann und droht, alles wieder zu zerschlagen.“
Hätte man Naria vor ein paar Wochen gesagt, das das Mädchen einmal derart über ihren Schatten springen könnte, hätte sie wohl noch laut gelacht. Doch seit ihrer Begegnung mit dem Drachen und ihrer Rückkehr aus der Wüste schien Sine stetig selbstsicherer zu werden.
Der Mann in seinen zerschlissenen blauen Roben neigte den Kopf. Wenn Sines Worte ihn irgendwie getroffen hatten, so zeigte er es jedenfalls nicht. ,, Für euch mag es so aussehen doch am Ende, führen wir einen Kampf für das Ende aller Konflikte. Wenn dies bedeutet, dass wir die Errungenschaften einzelner nicht erhalten können, dann sei es so. In Helike mag sich vieles zum Besseren wenden, eine Stadt, doch es gibt eine ganze Welt da draußen und diese Stadt ist nur eine von vielen. Soll man um das Gute an einem Ort zu erhalten das Böse an allen anderen ignorieren? Aber ich respektiere eure Worte.“
Naria fragte sich langsam, was sie hier eigentlich taten. Sie standen mitten in einem zerstörten Lager, vor einem Mann der sie vielleicht alle töten könnte, während sie von einem Dutzend Soldaten umringt waren… und unterhielten sich über Recht und Unrecht. Nun es könnte schlimmer sein, sagte sie sich.
Bevor jedoch Sine oder sie selbst noch etwas erwidern konnte, tauchte endlich auch Wys aus den Reihen seiner Männer auf. Ihr Onkel wirkte noch müder als sonst und sah sich einen Moment verständnislos um. Offenbar war es ihm genau so wenig gelungen, einen der Prediger zu erwischen, so niedergeschlagen wie er wirkte. Als er jedoch schließlich verstand, wen seine Leute da festgesetzt hatten, helle sich seine Mine sofort auf.
,, Immerhin einen haben wir erwischt.“ , meinte er erleichtert. ,, Ich habe noch versucht ein paar zu verfolgen . Ohne Erfolg.“
,, Eigentlich, Herr, bin ich auch nur hier weil ich es sein will.“ , wiedersprach Träumer der Einschätzung des Archonten. Und genau das, dachte Naria, war das Problem. Warum ? Bisher hatte er sich in keiner Weise Feindselig gezeigt, aber wozu sollte dieser Mann sonst hier auf sie warten? Er hatte gewusst, was sie vorhatten, sie aber trotzdem gewähren lassen. Wenn ihn das so sehr schockierte, wie er meinte, warum hatte er es also nicht verhindert? ,, Dennoch sieht es wohl so aus, als wäre ich bis auf weiteres eurer Gnade ausgeliefert.“
Das war die erste bewusste Lüge die er erzählte. In der Unterzahl oder nicht, dieser Mann war ganz sicher nicht hilflos. Dennoch streckte er die Hände vor wie um zu zeigen, dass er unbewaffnet war.
,, Wir wollen euch nur einige Fragen stellen.“ , erklärte Wys überraschend ruhig. Offenbar versuchte er genauso wie Naria einzuschätzen, was er von seinem Gefangenen halten sollte. ,, Wenn wir unsere Antworten haben, spricht nichts dagegen euch wieder gehen zu lassen. Bis dahin jedoch muss ich euch bitten mich zu begleiten. Männer…“
Er gab seinen Leuten ein Zeichen, die den Mann nun endgültig einkreisten. Nach wie vor tat Träumer nichts um sie irgendwie abzuwehren, auch nicht, als sich eine erste Kette um sein linkes Handgelenk schloss. Nicht, dass sie ihm im Zweifelsfall groß aufhalten würden, dachte Naria.
,, Ist das… wirklich nötig ?“ , fragte Sine, der sichtlich unwohl dabei war. Einen Moment hielten die Männer inne und sahen zu Wys. Dieser wiederum sah seinerseits zu Naria. Sollte sie das etwa entscheiden? Götter, wenn er so seine Worte von vorher wieder gut machen wollte, dann hatte er eine seltsame Art, das zu tun, dachte die Gejarn.
,, Habt dank für euren Einsatz, aber wenn diese Leute sich dadurch sicherer fühlen, bitte…“ Träumer streckte die Hände vor. An der einen baumelte immer noch die nur einseitig geschlossene Kette herab.
,, Lasst gut sein.“ , erklärte Naria schließlich schulterzuckend. ,, Er kann sich vermutlich sowieso befreien.“ Und sie dabei alle töten, aber darauf würde sie ihn sicher nicht auch noch Hinweisen. Blieb nur die Frage, warum er es nicht tat… Nun er hatte gesagt, er wäre freiwillig hier. Und er hatte ihr Leben gerettet. Zumindest so viel vertrauen schuldete sie ihm wohl. Genug um ihn nicht wie einen Verbrecher abzuführen. Warum nur fühlte sie sich schlecht dabei ?
Auf ihr Wort hin, nahm einer der Soldaten die bereits angelegte Kette ab und trat dann von dem Mann zurück. Trotz seiner Beteuerungen und der fehlenden Gegenwehr hielten Wys Leute ihren Gefangenen immer zwischen sich, als sie ihn schließlich zurück nach Helike eskortierten. Er fragte nie, wohin sie gingen, sondern folgte ihnen lediglich ohne auch nur einmal den Versuch zu wagen zu fliehen, oder wenigstens auf sich Aufmerksam zu machen, als sie die Mauern der Stadt erreichten.
Wys wagte es nicht, den direkten Weg durch die Stadttore zu nehmen um einen Zusammenstoß mit den Bürgern der Stadt zu vermeiden. Die Nachricht über den Vorfall in der Wüste hätte Helike bestimmt längst erreicht, zusammen mit den ersten Flüchtigen, die sicher schon Vermutungen anstellten, wer hinter dem Angriff stecken mochte. Ihren Gefangenen Anführer durch ihre Mitte zu eskortieren wäre keine gute Idee, ob dieser nun freiwillig bei ihnen war oder nicht.
Und so schlugen sie wieder den Weg in Richtung der Geheimtür in Helikes Mauer ein, durch die sie die Stadt zuvor bereits verlassen hatten. Die kurze Treppe mussten sie alle hintereinander gehen und so setzte sich Wys schließlich an ihre Spitze, während seine Männer weiter den stummen Träumer in die Mitte nahmen. Sine und Naria wiederum bildeten das Schlusslicht, während sie den gewundenen Stufen nach oben in einen der Mauertürme folgten.
,, Danke.“ , meinte die Whaid leise und Naria musste nicht fragen wofür. Das schwache Lächeln auf Sines Gesicht bedeutete ihr mehr als jede zurückgezahlte Schuld… Und wenn sie ehrlich zu sich war, hatte sie den Mann auch nicht in Ketten sehen wollen. Trotzdem atmete sie erst erleichtert auf, als sie schließlich sicher die innere Stadt erreichten und durch das schwere, bewachte Tor auf den Archontenturm zutraten. Helike selbst war selbst für seine Herrscher nicht mehr ganz sicher und wenn man sie auf ihrem kurzen Weg durch die Straßen gesehen hätte, wäre Wys Alptraum vielleicht doch noch wahr geworden. Sie mussten diese Sache aufklären, bevor in der Stadt wirklich noch ein Bürgerkrieg losbrach und Träumer mochte dazu der Schlüssel sein. War er am Ende vielleicht sogar deshalb zu ihnen gekommen? Es war eine schwache Hoffnung gestand sie sich. Dieser Mann war seiner Sache ganz sicher verpflichtet… gleichzeitig konnte er doch auch keinen offenen Krieg wollen, oder? Wenn die Archonten mit den Whaid verhandeln konnten, fand sich vielleicht auch eine Lösung für Träumer. Es war seltsam, aber sie glaubte definitiv nicht, dass dieser Mann irgendwie böswillig handelte. Was jedoch seine übrigen Anhänger anging sah die Sache leider gänzlich anders aus. Wie konnte jemand wie er der Anführer einer Gruppe sein, die ein verdammtes Monster auf eine Stadt losließ und Kinder brandmarkte? Es schien keinen Sinn zu ergeben. Irgendetwas übersahen sie hier noch…
Die Zellen unter dem Archontenturm warnen beinahe angenehm kühl, verglichen mit der Hitze, die oben in der Stadt herrschte. Das änderte allerdings wenig daran, was sie waren. Ein Ort, der nur den wenigen Gefangenen vorbehalten waren, die auf ihre Verbannung oder ihren Tod warteten. Männer, die in der Gunst der Archonten gefallen oder zu Verrätern erklärt worden waren… Strafen wie Hinrichtung und Ban waren , genau wie diese Zellen, nur jenen vorbehalten, die im Rang hoch genug standen um den Zorn der Herrscher Helikes direkt auf sich zu ziehen, wie etwa abtrünnigen Schwermeistern… oder einst auch den Magiern, die sich lebend ergeben hatten. Und grade deshalb waren diese Zellen perfekt für ihr Vorhaben, auch wenn ihr einstiger Zweck Naria schaudern ließ.
Das Verließ lag irgendwo in den Katakomben im Fundament des Turms, nicht weit vom Durchgang entfernt, der auch in die Archive Helikes führte. Naria hatte sie bisher noch nicht betreten, Träumer jedoch, der die zerfetzten Roben eines Archivars trug, schien den Weg bereits zu kennen, als sie ihn durch das Halbdunkel führten. Hier unten wurden neben Gefangenen auch das Erbe des alten Volkes weggeschlossen, da sin dieser Stadt so reichhaltig zu finden war. Kein Wunder, war die innere Stadt doch praktisch auf und mit den Überresten einer Siedlung des alten Volkes errichtet worden. Doch Helike war der Magie fremd und so hatten die Archonten über die Jahrhunderte einfach alles weggeschlossen, das an diese Vergangenheit der Stadt erinnerte, seien dies die Knochen toter Drachen oder Schriftstücke in der alten Sprache, die sich Berichten zufolge ungeordnet bis unter die hohen Decken der Archive stapelten. Wissen, das nie jemand eingesehen hatte…
Die Zellen jedoch waren deutlich weniger faszinierend. Am Ende ihres Wegs lag nichts weiter als eine schmucklose Kammer aus grauem Stein, die in der Mitte von einem Gitter in zwei Hälften geteilt wurde. Das sie sich nach wie vor unter der Erde befanden, gab es weder Fenster noch Sonnenlicht, sondern nur eine Reihe von Fackeln, die mit ihrem Ruß bereits die Decke schwarz gefärbt hatten. Und eine Reihe von Runen, die man auf beiden Seiten der Gitter in die Erde eingelassen hatte. Es war vielleicht eine Ironie des Schicksals, das der Ort an dem die Magier Helikes einst ihr Schicksal erwartet hatten auch der einzige war, an dem ihre Kunst offen Anwendung fand.
Die in den Boden der Zelle geschnittenen Insignien leuchteten in einem blassen, blauen Licht, das Naria schon beim Hinsehen die Haare zu Berge stehen ließ. Das war nicht irgendwelche Magie die man aus den Archiven kopiert hatte, dachte sie. Wer immer das hier erschaffen hatte, wusste was er tat. Und wenn die Gejarn sich nicht täuschte waren es Drachenknochen, mit denen man die Runen ausgelegt hatte und die den Bannzauber aufrechterhielten.
Als Träumer die Runen sah schien er zum ersten Mal seit sie ihn aufgegriffen hatten Unsicher. Dennoch ging er ohne langsamer zu werden weiter, während Wys Männer die schmale Gittertür für ihn öffneten. Naria fühlte sich etwas schuldig, als sie erleichtert aufatmete, während die Tür hinter ihm wieder ins Schloss fiel. Erst jetzt war die Gefahr, dass der Mann sich doch noch gegen sie wendete wirklich gebannt. Da drinnen dürfte selbst der stärkste Magier kaum eine Kerze entzünden können.
Die Zelle selbst war grade mit dem nötigsten eingerichtet. Es gab einen kleinen Tisch, auf dem eine heruntergenannte Kerze stand, dazu ein einfaches Strohlager , einen Kübel und zwei Stühle, die übereinandergestapelt in einer Ecke standen. Träumer sah sich mit ausdrucksloser Mine um, bevor er sich wortlos einen der Stühle nahm und sich darauf setzte.
,, Also, was jetzt ?“ , fragte er kühl. Er faltete die Hände im Schoß und musterte die kleine Gruppe seiner Gefängniswärter. Offenbar schien ihn die Aussicht eingesperrt zu sein nicht sonderlich zu beunruhigen. Dieser Mann schien einfach immer ausgeglichen zu sein, dachte Naria. Aber sie hatte auch schon gesehen was geschah, wenn er wirklich provoziert wurde.
,, Ihr seid ein Gefangener.“ , erklärte Wys. ,, Euer Aufenthalt hier kann von kurzer Dauer sein, oder ihr könnt hier auch meinetwegen verrotten. Das hängt ganz davon ab ob und wie ihr unsere Fragen beantwortet.“
,, Ihr scheint es immer noch nicht verstanden zu haben.“ Träumer lächelte milde, als würde er einem Kind etwas völlig offensichtliches erklären. ,, Ich bin hier, weil ich es sein will. Ich könnte mich jederzeit befreien, aber welchem Zweck würde das dienen?“
,,Natürlich. Eure Magie wirkt innerhalb dieser Wände nicht.“ Wys nickte in Richtung der am Boden eingelassenen Runen. ,, Und von euren Leuten weiß niemand, das wir euch haben.“
Auch Naria schüttelte den Kopf. Was er da sagte war unmöglich. Allein die Vorstellung, dass dieser Mann selbst hinter einem Bann wie diesem noch Zauber wirken könnte… Das war schlicht und ergreifend Absurd.
,, Es scheint wir können uns schlicht nicht auf Augenhöhe unterhalten wie ? Ich sehe mich eher als euer Gast, nicht als Gefangener. Erlaubt mir, das aufzuklären…“ Langsam erhob der Träumer sich und trat a die Gitter heran, bis seine Füße direkt vor der Linie aus Runen standen. Einen Moment schien es, als würde er überhaupt nichts tun, dann jedoch schoss seine linke Hand vor und umklammerte eine der Stahlstreben. Das schwarze Mal auf seiner Haut schien einen Moment zu pulsieren und sich zu verändern, bevor plötzlich Feuer zwischen seinen Händen hervorloderte. Grellweiße Flammen , die Naria fast blendete und sowohl sie, als auch Wys, Sine und seine Männer zwangen, zurückzuweichen. Die Hitze war unerträglich und trieb sie bis zur Rückwand des Raumes zurück. Das eben noch so undurchdringlich wirkende Gitter begann, ausgehend von der Hand des Träumers, zu glühen. Zuerst in einem dunklen Orangeton, über rot, bis schließlich Flammen über den erhitzten Stahl züngelten und das erste Metall zu Boden tropfte. Die gesamte Zelle schien zu Brennen und von der Gestalt des Träumers war hinter den Feuern kaum mehr etwas zu erkennen.
Naria versuchte etwas tun, etwas zu sagen, aber das Inferno, das dieser Mann soeben entfacht hatte, raubte ihr schlicht den Atem. Selbst die Luft, die sie einatmete war zu heiß, drohte ihre Lungen zu verbrennen… und dann war es vorbei. Das Glühen erlosch von einem Moment auf den anderen.
Von den Gittern waren nur langsam erkaltende Metallpfützen geblieben, die sich über den Boden ausbreiteten und die eben noch hell leuchtenden Runen waren geschwärzt und ausgebrannt.
Träumer wiederum war erneut nur der dünne, leicht schräg dastehende Mann, der eine Hand in die Luft ausgestreckt hielt. Asche rieselte daraus hervor, während er sich wortlos wieder setzte und die Arme vor der Brust verschränkte.
,,Soviel also dazu.“, murmelte Naria, als sie ihre Stimme wiederfand.
,, Wie ich schon sagte… ich bin hier weil ich hier sein will, nicht weil ihr irgendeine Art von Kontrolle über mich hättet. Es gibt nur einen Menschen, dessen Stimme ich mich beuge und keiner von euch kommt ihm auch nur Nahe. Also stellte eure Fragen…“
Er klang jetzt nicht mehr beherrscht wie sonst, sondern bitter, als bereue er es, seine Macht auf diese Art demonstrieren zu müssen. Naria konnte nicht anders, als einen Moment tatsächlich einen Hauch von Mitleid für ihn zu empfinden. Dieser Mann schien wirklich zu glauben dass seine Worte alle der Wahrheit entsprachen und dass sie so stur waren sich dagegen zu sträuben, schien schwer auf ihm zu lasten.
,, Träumer… ist das eigentlich euer Name ?“
Seine Antwort bestand in einem leisen aber herzlichen Lachen. ,, Nein. Jedoch… es ist der einzige, der noch zählt. Der unter den man mich jetzt kennt. Mein früheres Leben scheint mit Jahrzehnte zurück zu liegen und ehrlich gesagt… es fällt mir schwer mich an meinen wahren Namen zu erinnern. Er spielt keine Rolle mehr.“ Naria wurde klar, dass er sich nicht weiter dazu äußern würde. Für Träumer schien die Sache damit erledigt. Sie jedoch fragte sich insgeheim, wer dieser Mann einst gewesen sein mochte, dass er gewillt war, seine Vergangenheit geradezu wegzuwerfen.
,, Warum habt ihr euch festnehmen lassen ?“ , fragte sie vorsichtiger geworden. ,, Ich verstehe es nicht, was hofft ihr damit zu bezwecken ?“
,, Genau dies hier.“ , antwortete er und schien wieder zu seiner alten Ruhe zurück zu finden. ,, Ich musste mit euch reden, den meine Zeit hier beginnt langsam abzulaufen. Und ihr müsst mir zuhören, wenn ihr eine Chance für euer Volk haben wollt… Bitte. Wenn ihr euch freiwillig beugt, kann ich garantieren, dass niemanden etwas geschehen wird.“
,,Und wenn nicht ?“ Wys Hand wanderte zum Schwertgriff. Naria schüttelte unmerklich den Kopf. In dem Moment in dem er die Waffe zog wären sie schon alle tot. Das hieß wenn dieser Mann nicht fanatisch genug war sich auch noch töten zu lassen. War das am Ende seine wahre Absicht? Ein Märtyrer zu werden?
,, Wird mein Herr selber einschreiten müssen. Der eine Mann, dem selbst ich gehorchen muss. Ihr wisst nicht, zu was er fähig ist… und ich will es nicht mit ansehen müssen. Ich bin hier um euch den Frieden anzubieten, doch er kennt dieses Wort nicht. Er ist das Schwert Gottes. Die Sense, die die Welt fällen wird…“
,, Er ?“
,, Der rote Heilige. Der erste Diener des Herrn der Ordnung. Ob ihr es mir glaubt oder nicht, aber ich bin hier um euch zu schützen. Vor dem Zorn, den mein Herr mit sich bringen wird. Der einzige Grund, aus dem ihr noch lebt ist, weil ich um diese Chance gebeten habe.“
,, Und trotzdem wiegelt ihr das Volk auf…“ , stellte Naria fest. Sie wusste nicht ob sie ihm glauben sollte. Konnte es wirklich sein, das es neben Träumer noch ein mächtigeres Wesen gab das hinter all dem steckte? Dieser Mann hatte grade mit einer Handbewegung einen Zauber gebrochen gegen dem vor ihm Generationen von Magiern angerannt waren. Er dürfte dazu gar nicht in der Lage sein, dachte sie. Kein Magier sollte das…
,, Ich versuche nur zu retten, was zu retten ist. Mein Herr wird jene verschonen, die ihn und ihren wahren Gott anerkennen. Ob der rote Heilige euch diese Gnade schenken wird, möchte ich jedoch nicht herausfinden. Ich will niemanden leiden sehen… Naria. „ Hatte sie ihm je ihren Namen verraten? ,,Aber die Entscheidung Helikes muss fallen, bevor mein Herr eintrifft. Danach… wird man euch keine Wahl mehr lassen. Er ist ungeduldig und die Pläne Gottes können nicht warten, bis ihr die Wahrheit erkennt. Es war schon schwer genug ihn zu überzeugen mich ihm vorausgehen zu lassen. Wie ich schon sagte, das Böse an einem Ort kann man nicht ignorieren nur weil es an einem anderen Gut erscheint. Dennoch wäre es mir lieber, wir könnten eine friedliche Lösung finden… doch der Herr der Ordnung fordert jetzt den Dienst seiner Kinder. All seiner Kinder. Die Gnadenzeit läuft ab und wenn der Sturm kommt, wird er nicht mehr abflauen bis die Welt gereinigt wurde…“
,, Oh und diese Kreatur , die ihr auf meine Stadt gehetzt habt war dann ein Zeichen eurer Gnade, oder was ?“ Wys war bis an den Stuhl heran getreten auf dem der Träumer nach wie vor regungslos saß. Wenn die Wut des Archonten ihn irgendwie einschüchterte, war davon nach außen jedenfalls wenig zu spüren. Dafür jedoch machte sich ein anderer Ausdruck auf seinen Zügen breit. Nicht Angst, sondern Verwirrung.
,, Wovon sprecht ihr Archont ? Ich habe nichts zu euch Gesandt, außer vielleicht zu vielen schlechten Predigern. Doch ich kann auch nicht alleine zu einer ganzen Stadt sprechen. Die Schrecken, die die Straßen dieser Stadt heimsuchen sind alleine euer Werk. So lehrt es unser Herr…“
Götter, konnte es sein das er wirklich nicht davon wusste? Das dieses Wesen, das Helike so lange terrorisiert hatte ohne Zweifel von seinem Meister stammte? Und wenn er es nicht wusste, wussten die Prediger es genau so wenig… Wenn das stimmte, dann waren sie tatsächlich überzeugt, sie nur vor sich selber schützen zu wollen… so verdreht diese Tatsache auch war.
,, Ihr wollt mir erklären, ihr wüsstet nicht, woher der Schrecke stammte, der unsere Stadt heimsuchte ?“ Wys Stimme schwankte zwischen Zorn und Unsicherheit. Entweder war dieser Mann der beste Lügner, dem sie je begegnet waren… oder er glaubte zumindest, die Wahrheit zu sagen.
,, Sie mag eine Strafe meines Gottes sein, oder nicht, ich jedenfalls hatte meine Hand dabei nicht im Spiel.“ , erklärte Träumer ruhig. Dennoch schien seine Selbstsicherheit Risse zu bekommen. ,, Er hat mir versprochen… Mir wurde gesagt diese Stadt würde Zeit erhalten, damit ich sie überzeugen kann, dass es keine Strafen geben würde…“
,, Nun offenbar nicht.“ , rief Wys. ,, Dieses Ding hat Menschen gefressen, Träumer, hört ihr mich ? Ihr Irren habt mein Volk verfüttert!“ Einen Moment war Naria fest davon überzeugt, das er Träumer schlagen würde. Wys hatte die Faust bereits zum Schlag erhoben und der Mann auf seinem Platz mache keine Anstalten, sich dagegen zu wehren. Dann jedoch öffnete er die Hand wieder und ließ sie langsam sinken. ,, Wenn nicht ihr, wer dann ?“
,, Ich weiß es nicht.“ , gab Träumer zu und wirkte zum ersten Mal wirklich ratlos. ,, Das… Ihr habt sie getötet?“
,, Leider zu schnell.“ , war alles, was Wys darauf erwiderte. ,, Warum ?“
,, Was war es ? Wie sah sie aus?“
,, Ich würde es eine zu groß geratene Spinne nennen.“ , erklärte Naria. Warum interessierte ihn das so ? Dieses Wesen hatte sogar von sich behauptete, dem Herrn der Ordnung zu dienen, wieso sollte sie so etwas tun, wenn es nicht stimmte?
Offenbar gefiel ihre Antwort Träumer nicht, den er runzelte erneut die Stirn. ,, Ich wünschte ich könnte euch der Lüge bezichtigen aber… Die Spinne ist neben der roten Hand einer der Aspekte der Ordnung. Aber ihr könnt das nicht wissen ohne bereits mit einem Prediger gesprochen zu haben also… entweder bin ich nicht euer einziger Gefangener… oder es kann sein, das ihr die Wahrheit sprecht…“
Eine Weile lang, sagte er kein Wort mehr und auch Naria und die anderen wagte es nicht, erneut Fragen zu stellen. Das geschmolzene Eisen war mittlerweile zu grau-schwarzen Teichen erstarrt, die in die leeren Runen am Boden geflossen waren
,, Wir haben keine weiteren gefangenen.“ , erklärte Wys schließlich. ,, Darauf gebe ich euch mein Wort. Und da ich euch hier ohnehin nicht festhalten kann, wie es scheint, könnt ihr euch auch gerne selbst davon überzeugen.“ Der Archont klang nach wie vor zerknirscht, aber nicht mehr so unsäglich wütend wie zuvor. Seit jener Nacht, in der sie den Schrecken von Helike gestellt und getötet hatten, schien Wys sich kaum noch unter Kontrolle zu haben und Naria verstand zu gut wieso. Diese Leute waren zu weit gegangen. Es ging nicht mehr nur darum, dass sie Unruhe in den Straßen stifteten, sie hatten gezielt getötet. Und vielleicht war das auch noch nicht alles. Sie hatten versucht gezielt sie zu töten. Wys selbst… und damit auch Tira. War die Sache vorher nicht persönlich gewesen hatten die Anhänger der Ordnung dafür gesorgt, dass sie dazu wurde.
Dennoch musste selbst er einsehen, dass dieser Mann hier vor ihnen kaum etwas damit zu tun hatte. Träumer schien ernsthaft entsetzt über die bloße Möglichkeit, dass einer seiner Anhänger auf eigene Faust gehandelt haben mochte. Oder vielleicht steckte ja auch sein Meister dahinter, dieser rote Heilige. So oder so, er konnte ihre Vorwürfe nicht entkräften.
,, Das hätte nie passieren dürfen.“ , erklärte er. Seine Stimme war nach wie vor leise und ruhig, dennoch lief Naria ein Schauer über den Rücken. Die unverhohlene Wut darin stand der von Wys in nichts nach. ,, Aber nichts davon geschah auf meinem Befehl, das müsst ihr mir glauben. Und ich schwöre, wenn ich herausfinde, wer dahinter steckt… werde ich ihn zur Verantwortung ziehen.“
Träumer sank sichtlich in sich zusammen. Erneut wagte es niemand, etwas zu sagen, während der Mann die Augen schloss und um Beherrschung kämpfte. Die Fackeln im Raum schienen kurz heller zu brennen und das dunkle Mal an seiner Hand sich zu verändern, als wäre es ein eigenes Lebewesen. Die roten Linien, die flüssiges Feuer führten veränderten sich und breiteten sich aus und färbten die Haut des Mannes dunkel.
,, Wir… Wir wissen, das ihr das nicht wolltet.“ Es war Sine, die es als erste ihre Stimme wiederfand. ,, Ihr habt mein Volk nie bedroht, während ihr bei uns wart, Träumer. Aber was für Leuten dient ihr da nur ?“
,, Ich diene nur zwei.“ , erwiderte er. ,, Dem roten Heiligen und jenem, der mich zu ihm rief. Der Herr der Ordnung sprach in meinen Träumen zu mir, lange bevor ich dieses Leben hinter mir ließ. Vielleicht länger als ich mir dem selbst bewusst war. Ich hatte schon immer lebhafte Träume. Träume die wahr werden… allerdings wäre e sin meiner Zeit als Archivar wohl dumm gewesen jemanden davon zu erzählen. Viele in Helike verstehen Magie nach wie vor nur als Gefahr. Aber ich bin nicht berufen worden um Leid und Schrecken zu verbreiten sondern ihm für immer ein Ende zu bereiten. Das ist nicht unsere Aufgabe… nur fürchte ich einige meiner Brüder könnten unter meiner Führung zu übereifrig geworden sein.“
,, Das ist wirklich seltsam. Wisst ihr ich hatte ebenfalls immer wieder Visionen.“ , meinte Sine nachdenklich. ,, Also ich… ich will euch wirklich nicht zu nahe treten, aber man muss wohl kein Gott sein um die Menschen Dinge sehen zu lassen.“
,, Das behauptet ihr. Aber euer Volk sieht Drachen als die Kinder der Götter an. Falsche Götter… dennoch kann es sein das wir uns tatsächlich ähnlicher sind, als ihr glaubt. Ich habe Menschen wie euch in dieser Stadt gesucht, Sine. Menschen, die das wahre Wesen dieser Welt erlebt haben. Mit euren Gaben hätte euer Volk euch hochleben lassen sollen, stattdessen haben sie euch ausgegrenzt und Verachtet. Und das Beste auf das ihr je hoffen konntet, war Mitleid.“
,, Und was ist das wahre Wesen dieser Welt ?“ Naria verschränkte die Arme. Träumer antwortete nicht sofort, dennoch konnte sie sich die Antwort denken. Alles, was dieser Mann bisher gesagt hatte schien auf eines hinzudeuten.
,, Der rote Heilige lehrt, dass Menschen, wenn sie die Wahl haben, immer böse sein werden. Und genau aus diesem Grund ist der Herr der Ordnung erschienen. Um diese Welt davon zu befreien.“
,, Ihr sprecht von Freiheit, aber… gleichzeitig sagt ihr, euer Herr sei bereit uns zu vernichten, wenn wir ihm nicht folgen. Was hat das mit Freiheit zu tun?“
,, Ich rede nicht von absoluter Freiheit. Das kann es nicht geben, sonst gäbe es keine Sicherheit mehr. Und diese Sicherheit wird der Herr der Ordnung bieten. Wenn alle erst unter seinem Wort vereint sind, wird diese Welt zur Ordnung finden. Ein langer Weg und damit er Erfolg haben kann, darf es leider niemand geben, der seinen Gott nicht auch als solchen anerkennt. Unsere Seelen kehren im Tode zu ihm zurück um sich mit seinem Geist zu vereinigen…doch am Ende werden nur jene eins in ihm, die seinem Wesen entsprechen. Und dieser Welt die Ordnung bringen, die sie so dringend braucht. Es wird keine falschen Herrscher mehr geben , keine Kaiser, keine Könige… und auch keine Archonten.“
,, So schön das klingt, ihr könnt nicht wirklich hoffen, das jemals zu erreichen.“ ,stellte Naria fest. Und auch wenn Träumer das wohl verneinen würde, in ihren Ohren hörte es sich eher genau nach dem an, was die Archonten Jahrhundertelang getan hatten. Eine Gesellschaft aufbauen, die nach derart strikten Regeln lebte, das sie nicht länger mit jenen Umgehen konnte, die etwas anderes dachten… oder auch nur anders geboren waren. Wie konnte Träumer das nicht sehen? Und es hatte ja sogar schon begonnen, in dem man diese Kreatur auf Helike losließ, die all jene jagte, die nicht das Zeichen des Herrn der Ordnung trugen.
,, Aber ich kann davon träumen.“ , meinte ihr gegenüber lächelnd. ,, Am Ende, streben wir nach ein und derselben Sache. Frieden. Wir nehmen nur unterschiedliche Wege. Und der Herr der Ordnung ist meiner. “ Offenbar war er sich der Ironie dieser Worte durchaus bewusst. Der Mann war wirklich ein Träumer entschied Naria für sich. Allerdings… manchmal brauchte die Welt grade solche Leute, nicht? Auch wenn dieser auf der falschen Seite zu stehen schien. Ginge es hierbei nur um ihn, sie hätten wohl wirklich eine friedliche Lösung finden können. Aber sich einfach zu unterwerfen kam wohl weder für Wys noch für die Archonten in Frage. Und nachdem Naria gesehen hatte zu was die übrigen Kultanhänger fähig waren… Nein sie wollte sich wirklich nicht vorstellen, wie die Welt unter der Herrschaft solcher Männer aussähe.
,, Ich glaube euch schlicht nicht.“ , erklärte Sine. Das Mädchen schüttelte energisch den Kopf, während sie auf den sitzenden Mann zutrat. ,, Ich meine… seit ihr den Böse ?“
,, Das kommt darauf an schätze ich.“ Sein Lächeln erlosch. ,, Ihr hattet eben Angst vor mir.“
,, Angst ist nicht dasselbe.“ Sine schüttelte erneut den Kopf. ,, Wenn ihr böse mit Angst gleichsetzt dann… Kleine Kinder fürchten sich vor der Dunkelheit, Träumer. Ich habe mich vor meinen Visionen gefürchtet ich…“ Das Mädchen schien kurz nicht zu wissen, wie es fortfahren sollte. ,, Unwissenheit erzeugt Angst. Nicht Bosheit. Es ist nicht schlimm sich zu fürchten aber… man sollte gewillt sein sich die Frage zu stellen ob das was man fürchtet wirklich so schrecklich ist. Und das glaube ich einfach nicht. Nicht bei euch. Ihr meint was ihr sagt, wenn ihr behauptet uns helfen zu wollen. Ich… ich habe mich vor genug Dingen in meinem Leben gefürchtet um das zu wissen.. Ich hatte sogar vor Naria Angst. “
Immerhin sagt sie hatte, dachte die Gejarn und konnte ein schwaches Grinsen nicht unterdrücken. Das Mädchen war wirklich weit gekommen seid sie ihr das erste Mal begegnet war… war das wirklich erst ein paar Wochen her? Die junge Frau war weit über sich hinaus gewachsen seit damals und schien sich sogar eine eigentümliche Weisheit angeeignet zu haben. Oder vielleicht war sie schon immer da gewesen, verborgen unter Unsicherheit und Furcht.
,, Aber niemand ist immer böse.“ , fuhr die Whaid fort. ,, Ich will ja nicht leugnen, das viele Leute grausam sein können, wenn sie glauben damit durchzukommen, aber… genau so gibt es auch immer jene, die sich kümmern. Es gibt auch jene, die schlicht nicht über ihren Schatten springen können, Träumer.“
Naria musste unwillkürlich an Abran denken, der scheinbar immer hart zu Sine war… aber am Ende doch derjenige war, der sie auffing und stützte und sich letztlich sogar einem Drachen in den Weg stellte. Manche Menschen konnten eben wirklich nicht anders, dachte sie.
,, Und Naria erwähnte doch, ihr hättet sie gerettet…“ , endete Sine schließlich.
,, Vor bösen Menschen.“ , gab der Träumer zurück.,, Wie ihr seht, Beweisen sich meine Worte von selbst. Es tut mir leid es so zu sagen, aber, so sind die Dinge nun mal.“
,, Menschen, die eure Prediger erst aufgestachelt haben.“ ,warf Naria ein. ,, Das einzige was das beweist, ist, das die meisten Menschen sehr dumm werden, wenn sie Angst haben. Und auch wenn das in meinen Augen nicht viel besser ist, ist es doch auch kein Grund aus dem man sie zum Tode verdammen würde… Oder der es rechtfertigen würde, sie in… Schutz zu nehmen, wie ihr es wohl ausdrücken würdet.“ So freundlich dieser Mann war, sein starres beharren zehrte an ihren Nerven. Und Wys hatte sich nach seinem kurzen Ausbruch ohnehin Breits an die Rückwand des Raums zurückgezogen, wo er mit verschränkten Armen auf sie wartete.
,, Ich glaube ich habe fürs erste genug gehört.“ , meinte der Archont kalt. ,, Er ist morgen sicherlich auch noch da… und nach heute haben wir uns alle etwas schlaf verdient. Ich werde die übrigen Archonten über unseren Erfolg informieren… und dann sehen wir weiter.“
,, Ich werde hier auf euch warten.“ , entgegnete Träumer , der lediglich mit den Schultern zuckte. Naria zweifelte nicht einmal daran. Und das führte nur zu mehr fragen. Was wollte dieser Mann? Wirklich nur, das sie ihm zuhörten? Sie glaubte ihm sogar, das er irgendwie davon überzeugt war ihnen damit zu helfen, aber Verstand er den nicht, das er unmöglich erwarten konnte, das sich alle Freiwillig seinem Herrn beugten? Das würde nie und nimmer geschehen… und damit gab es leider nach seinen eigenen Worten nur einen Weg, wie das alles Enden konnte.
,, Kann es sein, das ihr Sines letzte Frage immer noch nicht beantwortet habt ? , fragte Naria, während Wys und seine verbliebenen Männer sich bereits zum Gehen wendeten. ,, Wenn wirklich alle Menschen böse sind, warum habt ihr mich dann damals nicht einfach sterben lassen ? Denkt darüber nach.“
,, Nur unter einer Bedingung.“ , entgegnete Träumer. ,, Ihr denkt auch über meine nach. Erzählt euren Archonten, was ich euch gesagt habe… bitte. Wenn mein Herr hier eintrifft müssen sie die Waffen strecken und das Knie vor ihm beugen. Nur so kann ich garantieren, dass niemanden etwas geschehen wird. Ihr wisst nicht, gegen was ihr euch stellt, aber wenn ihr euch weiterhin sträubt bezweifle ich, das man euch verschonen wird.“
,, Darauf kann er lange warten.“, murmelte Wys leise, während er an der Tür des Raumes auf sie wartete.
Vielleicht, dachte Naria. Trotzdem machten seine Worte Angst. Die Drohung in seinen Worten war unverkennbar, aber er machte ihnen nicht etwa ein Angebot… er flehte geradezu darum, das sie ihm doch gehör schenkten. Ob er es zugab oder nicht, aber Träumer hatte Angst. Vor seinem eigenen Herrn und dem, was dieser Anrichten mochte, wenn er auf die Archonten traf. Und wenn jemand wie er sich vor jemanden fürchten konnte… dann waren sie tatsächlich nicht darauf vorbereitet.
Sine und Naria blieben noch einen Moment im Raum zurück, wo Träumer langsam von seinem Platz aufstand und sich auf den bloßen Steinboden kniete. Die Hände faltete er dabei wie zum Gebet und schloss die Augen. Für was dieser Mann beten mochte, konnte sich keiner von ihnen vorstellen. Und doch verharrte er wie erstarrt am Boden, während die Minuten verstrichen und auch noch, als die beiden Frauen sich schließlich zum Gehen wendeten. Er rührte sich nicht einmal, als die schwere Tür schließlich ins Schloss fiel und ihm im Halbdunkel zurück ließ. Er hätte gehen können, aber wohin? Sein Platz war hier, das wusste er. Ob es ihnen klar war oder nicht, er war der letzte Schild der zwischen diesen Leuten und ihrer Vernichtung stand und ihm blieb kaum noch Zeit…
Als Naria und die anderen schließlich aus den Katakomben wieder in den Archontenturm zurückkehrten, war es bereits später Nachmittag. Die Sonne stand hoch am Himmel und schien durch die Buntglasfenster, die sich durch den schwarzen Stein nach oben zogen, während draußen kaum jemand zu sehen war. Um diese Zeit vermieden es selbst die diszipliniertesten Paladine, in der prallen Sonne stehen zu müssen und zogen sich lieber in den Schatten einiger Säulen oder auch ins Kühle innere der großen Säulenhallen zurück, welche die Straßen der inneren Stadt säumten.
Sie hatte eigentlich gehofft, sich noch in den Archiven umsehen zu können. Vielleicht gab es ja jemanden, dort, der sich an Träumer erinnerte und wusste, wer dieser Mann eigentlich war. Nach seinen eigenen Worten schien er es selber schon vergessen zu haben. Oder vielleicht wollte er sich ja nicht einmal erinnern. Es brauchte wohl einiges, damit jemand seinen eigenen Namen aufgab…
Leider würde Naria heute wohl nicht mehr dazu kommen, nachdem Wys erklärt hatte , das erst einmal niemand ohne Erlaubnis in die Nähe des Träumers kam.. und damit auch den Zugang in die Archive fürs erste sperren ließ. Sie hätte die Gelehrten sicher noch draußen in der Stadt aufsuchen können, aber wenn dort laut wurde, dass sie nach einem der Hohepriester des Herrn der Ordnung fragte, würde nur umso schneller auffallen, das einer fehlte. Und dann würden seine Anhänger wohl schon ihre Schlüsse ziehen…
Und sie hatten den Archonten so schon einiges mitzuteilen. Oder zumindest, Wys hatte das. Ihr Onkel verabschiedete sich mit einigen knappen Worten von ihnen und machte sich auf den Weg in die Ratskammer. Auch wenn er eben von Ruhe gesprochen hatte war für ihn wohl noch lange nicht daran zu denken und Naria war insgeheim froh darüber, sich nicht ebenfalls mit den Archonten auseinandersetzen zu müssen. Träumers Warnungen würden dort kaum auf offene Ohren stoßen. Während der Archont also durch die große Tür verschwand, folgten die Gejarn und Sine dem langsam ansteigenden Gang weiter nach oben. Da die meisten Archonten trotz der Unruhen nach wie vor lieber in ihren Stadthäusern blieben hatte Wys einen Teil der unbenutzten Gemächer für seine Gäste herrichten lassen. Vermutlich war er auch einfach froh, wieder etwas Leben in die Räume zu bringen und die Bediensteten, denen Naria bisher begegnet war schienen genauso erleichtert darüber, endlich einmal etwas mehr zu tun zu haben, als verstaubte Kammern zu hüten. Mit etwas Glück würde man vielleicht sogar schon mit etwas zu Essen auf sie warten. Naria hatte seit mindestens eine Tag nichts gegessen und wenn man bedachte, was seit dem alles passiert war , sah sie einer ordentlichen Mahlzeit fast noch mehr entgegen als ein paar Stunden Ruhe.
Immerhin, sie waren einen Schritt weiter, dachte sie und lächelte tatsächlich schwach. Wenigstens wussten sie jetzt, was diesen Kult genau antrieb… auch wenn sie ihre Zweifle hatte, dass selbst Träumer die ganze Wahrheit überhaupt kannte. Das er, praktisch als rechte Hand dieses roten Heiligen, nicht gewusst hatte, was sich in den Straßen Helikes abspielte war…beunruhigend. Und das sich dieser Mann jetzt auf den Weg hierher befinden sollte… Es war nicht unbedingt eine schöne Vorstellung. Aber sie waren schon mit schlimmerem fertig geworden und die Archonten wären jetzt vorgewarnt.
,, Ihr… wirkt irgendwie glücklich.“ , bemerkte Sine. Das Mädchen war auf dem Weg nach oben etwas zurückgefallen, hatte nun allerdings wieder zu ihr aufgeschlossen. Im Gegensatz zu Naria jedoch hatte ihr Gesichtsausdruck eher etwas gequältes.
Im ersten Moment glaubte sie noch, das sie sich vielleicht um ihren Gefangenen Sorgen machte. Wenn man das den so nennen mochte. Der Mann war immerhin freiwillig hier. Aber Sine kannte ihn definitiv und auch Träumer schien sich an sie zu erinnern.
,, Ihm wird nichts geschehen.“ , meinte sie. ,, Falls ihr euch darum Sorgen macht. Wys ist nur… angespannt in letzter Zeit. Aber er würde nie zulassen, das die übrigen Archonten ihm etwas tun.“ Mal davon abgesehen, dass sie dazu gar nicht in der Lage sind, dachte Naria. Dieser Mann könnte vermutlich schnurstracks durch die Tore wieder hinaus spazieren, wenn er es wünschte. ,, Ihr habt erwähnt, das Träumer auch bei den Whaid war, oder ? Was ist damals genau passiert?“
,, Nun beim ersten Mal war er halb tot. Damals hat er noch nicht vom Herrn der Ordnung gesprochen, Naria. Er ist eines Abends schlicht am Rand der Siedlung aufgetaucht, wie ein Phantom. Was noch seltsamer ist, dass er dabei die Knochenfelde nicht durchquert haben kann ich meine… Ich war den ganzen Tag über dort.“ Offenbar fiel es ihr trotz allem immer noch schwer, zu gestehen, dass sie sich am Drachenfriedhof zu schaffen gemacht hatte. Sie waren weit weg von den Whaid… Glaubte Sine etwa, sie könnte deshalb schlechter von ihr denken? Bevor Naria ihr jedoch sagen konnte, das das Unsinn wäre, fuhr das Mädchen bereits fort. , ,Und obwohl er kaum noch Wasser und nichts zu essen hatte, ließ er sich von uns nichts geben. Er bat lediglich darum, die Nacht im Dorf verbringen zu können. Und selbst dann schlief er unter den Sternen… aber…“
,, Was habt ihr getan ?“ , fragte Naria grinsend.
,, Er spricht im Schlaf.“ , erklärte sie. ,, Oder zumindest tat er das. Er hatte sich in einer der Ruinen zurückgezogen, die ganz in der Nähe meines Zelts lagen. Und… Ich bin Abends aufgewacht und habe ihn gehört. Vielleicht habe ich mich auch aus dem Zelt geschlichen… Und er ist aufgewacht. Ihr seid das Knochenmädchen von dem Abran erzählt hat, hat er gemeint. Er war mir nie begegnet, trotzdem wusste er es irgendwie. Und er hat mich auch nie anders genannt. Ich habe ihm auch nie meinen Namen verraten. Dennoch hat er mir von seinen Träumen erzählt, Naria. Das ihn jemand rufen würde und das er keine andere Wahl hätte, als zu folgen. Und er hat damals genau das gleiche gesagt wie heute… das wir uns vielleicht ähnlicher seien als wir wüssten. Dabei wusste er damals weder von meinen eigenen Träumen noch… von irgendwas. Ich weiß nicht einmal ob er sich noch daran erinnert.“
,,Bestimmt.“ , meinte Naria unfähig etwas anderes zu sagen. Das Mädchen schien wirklich darauf zu hoffen. Ihre Stimme hatte klang bewundernd, während sie von Träumer sprach. Allerdings… wenn Narai daran dachte, sie Sine damals gewesen war musste jemand mit so viel Selbstsicherheit wie dieser Mann wohl wirklich einen Eindruck bei ihr hinterlasse haben. Und so gesehen, waren sie sich tatsächlich recht ähnlich, dachte sie. Apostel unterschiedlicher Götter, wenn man einen Drachen den als solchen gelten ließ. Sie konnte nur hoffen, dass es nie so weit kam das einer den anderen herausforderte. Immerhin schien das nicht sehr wahrscheinlich.
,, Ich glaube er ist wirklich kein schlechter Mensch, Naria…“ Das Mädchen machte einen weiteren Schritt und zuckte dabei kurz zusammen. Erst jetzt wurde ihr klar, das Sine nicht bloß wegen Träumer besorgt war. Sine hielt sich die Seite, wo immer noch der Verband unter ihrer Kleidung saß. Als sie die Hand zurückzog, war diese rot und feucht von Blut. Naria hatte vorhin keine Zeit gehabt sich wirklich um die Wunde zu kümmern und das Mädchen war den ganzen Tag unterwegs gewesen. Die Verletzung musste wieder aufgerissen sein.
Sie fluchte leise, bevor sie Sine auch schon unter die Arme griff. ,, Geister , warum habt ihr nichts gesagt ?“ , wollte die Gejarn wissen, erhielt jedoch keine Antwort, während das Mädchen sich auf sie stützte. So schnell wie ihr das eben möglich war ohne zu riskieren, die Wunde noch weiter aufzureißen brachte sie Sine irgendwie nach oben und durch die Tür in einen der spärlich eingerichteten Räume, die ihnen als Unterkunft dienten. Wys hatte sich noch nicht darum bemüht viele Möbel herbeizuschaffen und so gab es lediglich ein paar Stühle, die nicht zueinander passten und sich um einen kleinen Tisch gruppierten. Dazu kamen einige Schränke, die jedoch abgesehen von einigen von Narias Aufzeichnungen leer waren und zwei weitere Durchgänge, die weiter in Schlaf und Esszimmer führten. An einigen Leinen, die dicht unter der Decke hingen trockneten auch einige Kräuter, die die Gejarn nutzte um ihre eigenen Vorräte wieder aufzufüllen und vor einem kleinen Kamin stapelte sich eine Reihe brüchiger Bücher, die Wys ihr auf ihr Nachfragen aus den Archiven hatte bringen lassen. Bei einigen handelte es sich um geschichtlicher Aufzeichnungen, doch der Großteil bestand aus Arkanen Texten, die sie auf Maras nie gefunden hatte. In Helike hingegen gab es teilweise Werke und Aufzeichnungen von Zauberern, die seit Jahrhunderten als verschollen galten. Nur kümmerte es hier eben niemanden. Wenn das alles ausgestanden war, sollte sie ihre Onkel vielleicht bitten, ihr einige davon nach Maras zu senden, damit man Abschriften davon anfertigen konnte.
Im Augenblick spielte es ohnehin keine Rolle. Vorsichtig half sie Sine, sich zu setzen, bevor sie loslief und ihre Tasche holte. Der ihr so vertraute Lederbeutel lag noch genau da, wo sie ihn am Vorabend zurück gelassen hatte, halb unter den Büchern begraben. Noch während sie die Tasche aufhob, warf sie gleichzeitig ein paar Holzscheite in den Kamin und zündete sie an. Oben auf dem Sims stand bereits Wasser, das durch die kleine Flamme bald zu kochen begann.
,, Lasst mal sehen wie schlimm es ist .“ , meinte sie während sie sich neben das Mädchen setzte.
Sine verzog das Gesicht, als sie ihr Kleid aufknöpfte und den Stoff vorsichtig über den Kopf zog.
Ihre Gestalt darunter war schlank, fast zu mager, die Haut hell, wo sie durch die Kleidung nicht von der Sonne verbrannt worden war. Das sonst so schüchterne und oft in sich gekehrte Mädchen zögerte nicht einmal, sondern schien ihr schlicht vollkommen zu vertrauen. Trotzdem konnte Naria einen Augenblick nicht anders als die junge Frau unverhohlen zu mustern. Ihre kleinen Brüste hoben sich mit jedem Atemzug. Das Haar zwischen ihren Beinen war von dem gleichen, flammenden Farbton wie das auf ihrem Kopf.
Als Naria vorsichtig den Verband abnahm, sog das Mädchen scharf die Luft ein. Der Stoff war durch das getrocknete Blut kaum abzulösen und die Wunde darunter war tatsächlich wieder aufgerissen, wie sie bereits befürchtet hatte.
,, Warum habt ihr nichts gesagt ?“ Naria schüttelte lediglich den Kopf, während sie den alten Verband ins Feuer warf und dann das heiße Wasser vom Kamin holte. So sanft wie eben möglich säuberte sie den Schnitt, trotzdem zuckte Sine sichtlich zusammen, jedes Mal wenn das raue Tuch ihre Haut berührte.
,, Ihr würdet euch von so etwas doch auch sicher nicht aufhalten lassen.“ , erwiderte das Mädchen mit zusammengebissenen Zähnen.
,, So ein Blödsinn.“ Naria lachte. ,, Ich würde heulend am Boden liegen , das könnt ihr mir glauben.“ Sine sah zur ihr auf, wurde ihr klar. Aber niemand konnte mehr von ihr erwarten, als ohnehin schon. Die Gejarn seufzte. Vielleicht war Träumer nicht der einzige, der einen Eindruck bei Sine hinterlassen hatte. Aber das rechtfertige noch nicht, dass sie ihre Gesundheit so fahrlässig aufs Spiel setzte. Naria wurde klar, dass sie tatsächlich wütend war. Nicht auf Sine… Sie selbst war diejenige, die es so weit hatte kommen lassen und warum? Dieses Mädchen machte sich so leicht Illusionen, dachte sie…
Naria holte einen neuen, sauberen Stoffstreifen aus ihrem Bündel und band ihn vorsichtig wieder um Sines Hüfte, wobei diese die Arme hob um sie gewähren zu lassen. Mit einem Mal waren sie sich nahe. Naria wusste später nicht mehr wie es dazu gekommen war, aber für einen winzigen Augenblick waren ihre Gesichter keine Handbreit mehr auseinander.
Die Antwort auf ihre Frage war einfach, dachte sie. Aus ihrer anfänglichen Skepsis Sine gegenüber war mit der Zeit Respekt erwachsen und daraus… mittlerweile mehr. Begehren. Aber könnte Sine das überhaupt akzeptieren, wenn sie wüsste, was Naria dachte, was sie empfand? Bisher waren ihr solche Zweifel eigentlich Fremd gewesen. Naria war es gewohnt genau zu wissen was sie tat und die Dinge distanziert zu betrachten. Kalt und mit wachem Verstand. Aber bei Sine war ihr das schlicht nicht möglich.
Und so blieb ihr nur, zu handeln, ohne wirklich darüber nachzudenken. Ihre Lippen fanden sie wie von selbst und im gleichen Moment wusste Naria schon, dass sie eine Dummheit begangen hatte.
Sine erwiderte den Kuss tatsächlich, einen kurzen Moment lang, sah Naria verwirrt und überrascht an. Ihre Hände glitten den bloßen Körper der Whaid hinab, tiefer… dann brach Sine den Kuss plötzlich und drehte den Kopf weg.
Als sie Naria wieder ansah, schien das Mädchen die Welt nicht mehr zu verstehen. Und vermutlich tat sie das auch nicht. Sie konnte später nicht sagen, wie lange sie sich lediglich schweigend gegenüber saßen. Es konnte nicht lange gewesen sein, vielleicht ein paar Minuten, dennoch kam es ihr wie Stunden vor. Und dann stand Sine auf, nahm ihr Kleid wieder und verschwand aus dem Raum. Sie floh nicht… aber sie drehte sich auch nicht noch einmal um. Naria blieb schlicht sitzen wo sie war und schalt sich eine Närrin. Einmal im Leben hatte sie nicht nachgedacht, bevor sie handelte… Sie hatte die Freundschaft der Whaid geschätzt und nun… hatte sie vielleicht auch diese verloren? Geister, sie musste sich entschuldigen… wenn das Mädchen sich wieder etwas beruhigt hatte… Hoffentlich…
Zehn Tage später schien wieder alles wie immer. Oder zumindest fast. Sine hatte kein Wort über das geschehene verloren und nach außen schien das Mädchen sich auch nicht weiter damit zu beschäftigen. Aber Naria bekam langsam zu spüren, wie groß ihr Fehler gewesen war. Auch wenn Sine nichts sagte, vermied sie es mittlerweile, mit ihr alleine im gleichen Raum zu sein. Das Mädchen mochte glauben, das ihr das nicht auffiel, aber das machte es nur schlimmer. Naria fühlte sich schlicht und ergreifend elend. Und schuldig… Aber egal wie oft sie versuchte, Sine wenigstens um Verzeihung zu beten, tat das Mädchen einfach, als wüsste sie nicht einmal wovon Naria sprach.
Geister, sie könnte damit umgehen das Sine sie ablehnte, das sie vielleicht nicht einmal mehr etwas mit ihr zu tun haben wollte, aber das? Das war gar nichts, dachte sie.
Wenigstens schien Wys Gespräch mit den Archonten um einiges erfreulicher verlaufen zu sein. Man hatte sich offenbar darauf geeinigt, Träumers Warnung ernst zu nehmen… wenn auch anders, als dieser das vielleicht hoffte. Wys hatte die Wachen an sämtlichen Toren der Stadt verdreifachen lassen und ließ jetzt auch Nachts jede Schicht von mindestens vier Paladinen begleiten, denen er vertraute. Oder zumindest, von denen es recht unwahrscheinlich war, dass es sich um Agenten handelte, dachte Naria. Immerhin war es jetzt so gut wie ausgeschlossen, dass sich jemand ungesehen in die Stadt schleichen konnte.
Träumer lächelte nur Müde, als er von diesen Vorsichtsmaßnahmen erfuhr. ,, Mein Herr hat es nicht nötig, sich irgendwo einzuschleichen, Naria. Ihr werdet seine Ankunft kaum verpassen können, fürchte ich. Der rote Heilige ist kein Mann, der sich in Geduld übt und eure Tore und eure Mauern werde ihn nicht aufhalten können. Versteht das nicht als Drohung… aber euch muss klar sein, das ihr keine Chance habt gegen ihn zu bestehen. Bitte…lasst mich wenigstens mit den anderen Archonten sprechen. Vielleicht kann ich sie überzeugen…“
Wys hatte mittlerweile die Archive wieder öffnen lassen und damit war auch der Weg hinab in die Kerker frei. Naria hatte Träumer nur ein paar mal Besucht um ein paar Fragen zu stellen, die zunehmend einsilbiger beantwortete worden… immer wieder unterbrochen von der Bitte, ihm doch Gehör zu schenken. Der Mann klang zunehmend verzweifelter, aber was sollten sie den tun? Mit einem hatte Wys Recht. Selbst wenn er und die übrigen Archonten davon überzeugt wären, keine Chance zu haben würden sie eher sterben als das zuzugeben. Und Naria war sich nach wie vor nicht sicher ob sie glauben wollte, das ein Mann ihr Ende bedeute könnte. So wurden auch ihre Besuche in den Verließen seltener und Träumer verließ sein Gefängnis nur selten, obwohl es ihm eigentlich längst frei stand zu gehen. Auch hatte er nie nach einem anderen Quartier verlangt oder sich beschwert. Naria war sich nicht einmal sicher, ob dieser Mann überhaupt schlief, den jedes Mal wenn sie ihm doch wieder einen Besuch abstattete, betete er entweder stumm oder saß schlicht auf seinem Stuhl und sah ins Leere.
Die einzige Ausnahme war, wenn Sine ihn Besuchte. Im Gegensatz zu Naria und Wys war das Mädchen fast jeden Tag bei Träumer und der Mann schien ihre Gegenwart auch eher willkommen zu heißen, wo er Wys und Naria schlicht duldete. Vielleicht ja auch, weil sie die einzige war, die ihn nicht bloß mit Fragen löcherte…
Ein paar Mal hörte sie sogar verhaltenes Lachen aus Richtung der Zellen, wenn sie aus den Archiven kam. Jetzt wo sie endlich einmal Gelegenheit hatte, de riesigen Bibliotheken im Untergrund Helikes einzusehen ließ sie sich das nicht entgehen. Allerdings hatte sich ihre Hoffnung, jemand könnte etwas mehr über Träumer wissen nicht erfüllt. Und was den Mann selbst anging, so schwieg er sich lediglich aus.
Und Wys… nun ihr Onkel schien endlich wieder etwas mehr er selbst, dachte Naria. Was nicht nur daran lag, das sie endlich zumindest einen kleinen Erfolg hatten. In Tiras Nähe war er einfach ausgeglichener auch wenn er das selber nie zugeben würde. Es war schön zu sehen, das er eben auch noch mehr war als der kalte Staatsmann, sondern auch jemand mit ganz eigenem Kopf, in dem die Gedanken sich nicht nur um Helike drehten.
Und nun saß sie zum ersten Mal seit einer Weile wieder im Kerker und hoffte wider besseres Wissen darauf, dass Träumer ihr doch noch etwas erzählen könnte. Eine Weile saßen sie sich lediglich schweigend gegenüber, der Prediger in seinen zerschlissenen blauen Roben und Naria in einen einfachen grauen Wollumhang gehüllt. Im Vergleich zur Hitze in den Straßen war es hier unten empfindlich kühl, doch Träumer schien es kaum zu bemerken. Stattdessen hatte er wieder die Hände im Schoß gefaltet und wartete wohl wie Naria, wer von ihnen das Schweigen zuerst brach.
Und schließlich war tatsächlich er es, der das Wort ergriff. ,, Wisst ihr, ich glaube sie verzeiht euch schon.“
Naria hatte schon fast aufgegeben und sich stattdessen den Steinfließen auf dem Boden zugewandt. Jetzt jedoch schoss ihr Kopf hoch und sie blinzelte den freien Gefangenen misstrauisch an. ,, Was ?“
,, Ich schätze, das war nicht, was ihr hören wolltet ?“ Träumer lächelte kaum sichtbar. Seine Stimme klang freundlich wie eh und je. ,, Eigentlich geht mich das alles nichts an, aber… Sine erzählt viel. Es ist schön zu hören, das das Leben oben noch weitergeht…“
Sine hatte ihm davon erzählt? Aber mit ihr sprach sie kaum mehr ein Wort. Naria musste zugeben, das ihr das tatsächlich einen Stich versetzte… und das sie sich zum ersten Mal wünschte, das Träumer mit einer seienr Vorhersagen recht behielt. Seine letzten Worte allerdings hatten beinahe etwas Trauriges.
,, Ihr müsst nicht hier bleiben,“ Warum er sich hier unten isolierte war ihr ohnehin schleierhaft. Bis eben hatte sie geglaubt dieser Mann könnte die Einsamkeit schlicht vorziehen aber nach seiner Bemerkung eben vermisste er es wohl tatsächlich unter Leuten zu sein. ,, Niemand hält euch hier fest… Niemand könnte euch hier festhalten. Wenn ihr es wünscht könntet ihr jederzeit für ein paar Stunden in die Stadt gehen.
,, Mein Platz ist hier.“ , erklärte er nur wieder. ,, Ich muss den Willen meines Herrn erfüllen und wenn ihr mir nicht zuhört… so muss ich es doch zumindest weiter versuchen. Das ist das einzige, was mir bleibt.“ Er zuckte mit den Schultern und hob die Hände zu einer Geste, die wohl entschuldigend wirken sollte. Das dunkle Mal an seiner Linken war dabei deutlich zu sehen… Die dunklen Linien und die schwarze, fast schuppenartige Haut ließen sie unwillkürlich an die Kreatur denken, die sie vor einigen Tagen getötet hatten. Die Frage ob das Blut dieses Mannes ebenfalls brennen würde erübrigte sich eigentlich.
,, Was ist das eigentlich ?“ , fragte sie. ,, Sieht nicht grade gesund aus…“
Falls er den Spott in ihrer Stimme bemerkte ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. ,, Es ist das Zeichen meines Herrn, das ich einer seiner geweihten Diener bin.“
Naria zog sich nun selber einen Stuhl heran und setzte sich dem Mann gegenüber. ,, Das müsst ihr mir erklären…“
,,Gerne. Grob gesagt ist es wohl der Grund aus dem ich bin, wie ich bin.“ Er zögerte einen Moment, als wüsste er nicht wie er beginnen sollte. Aber wenn Träumer eines konnte, dann sprechen, dachte Naria. Was also stimmte nicht? ,, Wisst ihr… nach dem Willen meines Herrn sind Gejarn in unseren Reihen nicht willkommen. Aber wer weiß ob ich ihn nicht zu einer Ausnahme überreden könnte. Diese Fähigkeiten stehen jedem offen, der dem Herrn der Ordnung dient.“
Naria wusste, dass er es gut meinte. Trotzdem sträubte sich alles in ihr. Ein weiterer Versuch, wenigstens einen von ihnen umzustimmen wie es schien. Offenbar jedoch konnte er doch keine Gedanken lesen. Ein solches Angebot wäre sicher für jene verlockend, die nur nach Macht strebten. Und auch wenn Naria immer versucht hatte, mehr zu lernen und ihre eigenen Fähigkeiten zu meistern, geschah dies doch nie der bloßen Macht willen. Magie war auch nur ein weiteres angeborenes Talent, wenn auch ein seltenes. So wie manche eben besonders schnell Instrumente lernten oder Rätsel lösen konnten. Und wenn man diese Gaben auch nutzte, konnte man eben auch mehr damit tun. Kranke heilen, die Welt erforschen…
,, Ich glaube ich verzichte.“ , meinte sie und versuchte dabei nicht entsetzt zu klingen. Offenbar gelang ihr das mehr schlecht als recht, denn Träumr lachte.
,, Ich bin irgendwie froh, das ihr das sagt. Es wäre doch enttäuschend, wenn ihr euch damit überzeugen ließet. Enttäuschend… aber auch irgendwie erleichternd, weil es euer Leben retten würde. Ich hatte euch also richtig eingeschätzt.“
Vielleicht las dieser Mann doch irgendwie ihre Gedanken. Er schien über ihre Antwort jedenfalls kaum überrascht. Aber eine andere Sache machte ihr mehr Sorgen.
,, Wieso sagt ihr, würde euer Gott Gejarn nicht willkommen heißen ? Oder meint ihr nur den roten Heiligen?“
,, Kennt ihr den Glauben der wilden Gejarn-Clans in Canton ?“
,, Ihr meint das ihre Seelen nicht wie die der Menschen in die goldenen Hallen eingehen sondern irgendwann von dort zurück kommen ?“
,, Genau das. Aber unser Gott vereinnahmt die Seelen seiner Gläubigen nach deren Tod. Aber die Natur der Seele eines Gejarn macht dies unmöglich…“
,, Verzeiht wenn ich euch sage, das mich das nicht unbedingt traurig stimmt. Und wie genau hängt das nun mit diesem Mal zusammen?“
,, Mein Herr zeichnet jene, die er als würdig erachtet, doch ist er es nicht selbst, der ihnen ihre Weihung gibt. Wird einer seiner Anhänger auserwählt entsteht meist ein kleineres oder größeres Mal, an Händen Armen, bei manchen auch an der Brust. Die Weihung selbst jedoch geschieht immer durch einen seiner Hohepriester, die Breits ihren Segen erhalten haben. Dabei verändert sich das Zeichen meist drastisch und nimmt eine endgültige Form an. Das seht ihr hier.“ Er hielt wieder die Hand hoch. Naria bezweifelte, das er sie überhaupt noch richtig bewegen konnte…
,, Das ist schrecklich.“
,, Eigentlich ist es so gut wie gar nichts. Bei der Weihe geht ein Teil der rohen Macht unseres Gottes auf uns über. Doch bleibt dies nicht ohne Folgen. Wie Stark die Korruption jedoch ausfällt hängt ganz alleine vom jeweiligen Individuum ab. Ich habe Männer gesehen, die ihre Weihe ohne ein Zaudern überstanden und danach praktisch unverändert weiterlebten…“
,, Und das Gegenteil ?“
,, Es ist ein… gewalttätiger Prozess, Naria. Eine Prüfung und eine Ehre gleichermaßen. Doch nicht alle, die sie erhalten verdienen sie auch. Es braucht einen Starken Willen und außergewöhnlichen Charakter um derlei Gaben zu beherrschen. Ein schwacher Mann, der jedoch nach Macht strebt wird kaum etwas seiner ursprünglichen selbst behalten… Und die Unwürdigen zahlen den Preis der Macht an ihrem Körper ab. Er wird zu einer Kreatur, vollkommen von der Korruption vereinnahmt und nur durch den Willen unseres Herrn in Zaum gehalten. Und doch ist es nur ein winziger Hauch der wahren Macht des Herrn der Ordnung.“
,, Und es gibt keinen Weg, das zu verhindern ?“
Träumer schüttelte den Kopf. ,, Den Tod vielleicht. Nur ein Lebendes Wesen kann die Macht meines Herrn in sich tragen. Aber ansonsten… Ich gebe offen zu, es ist selbst für mich mit einiger Anstrengung verbunden, diese menschliche Form zu erhalten.“
,, Eure… menschliche Form ? Seit ihr wirklich noch menschlich?“
,, Ich schätze, das hängt davon ab, wie ihr das definiert. Sind Magier vollkommen Menschlich, Naria ? Die Antwort ist dieselbe wie in meinem Fall. Ja und Nein. Ich bin menschlich in dem Sinne, dass meine Seele vollkommen menschlich ist, ist aber ich bin auch kein gewöhnlicher Sterblicher mehr. Man könnte sagen, alles was an mir... gewöhnlich war wurde in dem Moment ausgelöscht, in dem ich meine Weihe durch die Hand des roten Heiligen erhielt.“ In Träumers Stimme schwang kein Stolz bei diesen Worten mit. ,, Und seitdem habe ich diese Gabe hunderten anderen zu Teil werden lassen. Viele meine Freunde. Viele wurden vernichtet… Doch jeder der sich als Würdig erweist, ist danach in der Lage, weiter zu berufen. Allerdings, je mehr Weihen zwischen dem roten heiligen und demjenigen liegen, der den Segen gibt, desto instabiler scheint sie auch zu werden…Und ich bin der einzige, der je von ihm Persönlich berufen wurde.“
,, Wenn es aber einen Geweihten braucht um weitere Geweihte zu erschaffen, wie ihr sagt, wer hat dann den roten Heiligen… auserwählt von dem ihr so oft sprecht ?“
,, Ihr wisst die Antwort.“
,, Ihr könnt mir viel erzählen, aber nicht das euer Gott, was ? Aus dem Himmel herabgriff und diesem Mann die Hand auflegte?“
,, Nur drei Finger.“ , erwiderte Träumer ohne dem Spott in ihrer Stimme viel Beachtung zu schenken. ,, Kein Sterblicher könnte die volle Macht eines Herrn mit sich tragen ohne Schaden zu nehmen. Vermutlich würde es einen schlicht sofort töten. Selbst dieser Fingerzeig hat an meinem Meister unauslöschliche Spuren hinterlassen. Ich bezweifle, dass irgendein anderer Mann das überstanden hätte…“
Danach kehrte Naria bald wieder nach oben zurück. Neben warten jedoch gab es wenig zu tun und so machte sie sich gegen Abend nur erneut auf den Weg in die Archive. Nachts waren die uralten Kammern unter der Stadt genau so hell erleuchtet wie Tagsüber. So tief im Stein, der die innere Stadt trug gab es keine Tageszeiten. Doch war es schwer, dort irgendetwas zu finden, neben den wenigen Schriftstücken, die man ihr so aushändigen konnte. Geschichtliche Aufzeichnungen wechselten sich mit so banalen Dingen wie einem Erntebericht oder Grundbüchern ab, nur damit man zwischen den vergilbten Seiten wieder auf eine Steintafel traf, die sicher älter war als Helike selbst…
Als sie dieses Mal ans Licht zurückkehrte, schien draußen nur noch der Mond und tauchte die Marmorpaläste entlang der Hauptstraße in silbriges Licht. Und sie war nicht alleine, wie Naria grade noch rechtzeitig bewusst wurde. Rasch wich sie wieder in den Eingang des Archontenturms zurück, als zwei Gestalten auf den großen Platz hinaus traten. Als sie die beiden jedoch erkannte, war sie bereits drauf und dran sich doch noch zu zeigen. Die erste war Sine und die zweite… nun wussten die Geister, wie sie es geschafft hatte, Träumer davon zu überzeugen, seine Verließe einmal zu verlassen.
Was sie dann jedoch sah, veranlasste sie erneut stehen zu bleiben, wo sie war. Naria konnte nicht hören, was die beiden miteinander zu besprechen hatten, doch als Sine sich plötzlich zu dem Mann vorbeugte und ihre Lippen sich fanden… Nun das war nicht miss zu verstehen dachte Naria und schob den kurzen bitteren Stich in ihrem Herzen so weit von sich wie möglich. Stattdessen lächelte sie einen Moment traurig, bevor sie wieder so leise wie möglich ins Innere des Turms verschwand. Manche Dinge sollten eben nicht sein…
Als am nächsten Morgen die Sonne langsam aufging, saß Träumer jedoch wieder alleine in seiner Zelle und sah Gedankenverloren nach oben, als könnte er den Tagesanbruch selbst durch die Steinmauern hindurch spüren. Die ganze Stadt schimmerte rot im ersten Licht und er wusste, dass seine Zeit abgelaufen war. Sein Herr war so gut wie hier… und ihm blieb nichts mehr, dass er tun konnte, um das zu verhindern.
,,Dann überlasse sie den Folgen ihres Handelns, mein treuer Diener.“ , meinte er seine Stimme zu hören. Und doch genau das konnte er mittlerweile genau so wenig…
Das Land um die Stadt war, von sanften Hügel durchzogen, auf denen sich gelbes Gras im Wind wiegte. Dahinter wiederum erstreckte sich bis zum Horizont das in der Sonne glitzernde Meer. An schönen Tagen wie diesen sollte eigentlich alles voller Schiffe sein, doch Janis konnte lediglich ein paar verstreute Segel ausmachen, die meisten Fischerboote…
Kein gutes Zeichen, dachte er.
Die Mauern Erindals ragten wie schiefe Zähne aus der Ebene auf. Die gewaltigen Verteidigungsanlagen wirkten, als hätten bereits Jahrhunderte an ihnen genagt, so groß waren die Höhenunterschiede zwischen den einzelnen Segmenten bereits. Doch das Gegenteil war der Fall. Wenn Janis sich richtig erinnerte, war dieser Wall noch keine zwanzig Jahre alt. Die einzelnen Abschnitte waren aus großen, sandfarbenen Blöcken errichtet, von denen jeder das Ausmaß eines kleinen Hauses hatte. Dahinter wiederum lagen breite Erdhügel, die bei Beschuss die Wucht der Kanonenschüsse abfangen und verhindern sollten, dass die ganze Festung einfach in sich zusammen fiel. Die ursprünglichen Mauern der Stadt waren sicher nicht einmal ein Zehntel so dick gewesen und waren komplett abgetragen worden um als Füll und Baumaterial für dieses Mammutprojekt zu dienen. Was jedoch weder ein übereifriger, und vermutlich überbezahlter, Baumeister noch der Auftraggeber der Befestigungsanlagen bedacht hatten, war die Frage ob der Boden das zusätzliche Gewicht überhaupt trug. Als Folge davon waren bereits weite Teile des Walls abgerutscht oder hatten sich ein beträchtliches Stück gesetzt und über den mit weiterem Schutt aufgefüllten Lücken spannten sich Seile und kleine Brücke. Es sah wirklich krank aus, dachte Janis bei sich. Allerdings passte es wohl zu dem Mann, der sich selbst Bauherr dieses Wahnsinns und Fürst von Erindal schimpfte.
Lord Kaspian Garin galt selbst bei jenen, die ihm wohl gesonnen waren als leicht Paranoid und bei jenen, die ihn kannten und nicht von seiner Gnade abhängig waren… Er hatte die ganze Stadt seit Monaten abgeriegelt, dachte Janis und sich bisher geweigert, dem Kaiser auch nur einen Boten zurück zu senden um sich zu erklären. . Paranoid war ein zu harmloses Wort. Sein Vater hätte ihm nie im Amt lassen dürfen. Kaspian war ein entfernter Verwandter von Lady Katharine Garin, der ursprünglichen Herrin Erindals, aber das man seiner Familie nach deren Verrat überhaupt erlaubt hatte, wieder eine große Stadt zu kontrollieren war wohl nur dadurch zu erklären, dass der Mann praktisch auf Knie vor in die fliegende Stadt gekrochen kam um zu beteuern, das er nichts damit zu tun hatte. Das Wappen der Stadt, ein schwarzer Widder auf rotem Grund, wehte über den Toren und den hohen Türmen der Garde-Festung, die sich im Norden Erindals über die Mauern erhob. Noch ein Grund aus dem Janis Vater wohl schließlich zugestimmt hatte, den Mann sein Erbe zu lassen. Erindal hatte als wichtiger Seehafen eine der größten Garnisonen in ganz Canton und solange die Garde direkt dem Kaiser unterstand würde Kaspian sicher nichts wagen. Das die Garde den Irrsinn dieses Mannes bisher nicht beendet hatte war wohl ein kleines Wunder. Oder vielleicht wollte sein Vater auch vermeiden, die Stadt mit Gewalt zurückholen zu müssen. So oder so, die Truppen Unterstanden dem Kaiserreich und Janis war in Begleitung ihres Hochgenerals hier.
Erindal war bei weitem der schnellste Weg um an die nötigen Truppen zu gelangen und den Kult der Ordnung zu stellen. Vielleicht wäre Luciens Tod dann wenigstens nicht umsonst. Vielleicht… könnte Syle ihm dann auch irgendwann verzeihen. Der Bär war wie Wild losgestürmt und hatte während der ganzen Reise kaum Rast gemacht und Janis…
Er verstand es jetzt, dachte er. Den Blick mit dem der Hochgeneral ihn damals in der Steppe bedacht hatte… und auch immer wieder in der fliegenden Stadt. Janis wusste jetzt, was der Mann in ihm sah. Einen Mörder… einen Feigling. Was von beiden schlimmer war spielte keine Rolle. Und dieses Wissen war ihm fast unerträglich.
Seit sie das Lager hinter sich gelassen hatten, hatte der Gejarn grade das nötigste mit ihm gesprochen und Janis hätte ohnehin nicht gewusst über was er sich mit Syle noch unterhalten sollte. Wie bat man für etwas um Verzeihung dass schlicht nicht zu vergeben war? Vielleicht war es unmöglich… Ihm blieb nur, immer weiter hinter dem Bären her zu trotten und sich den Kopf zu zermartern. Und wenn er während ihrer gelegentlichen Rast einmal Ruhe fand, sah er doch nur wieder den Abgrund vor sich. Lucien der fiel, der namenlose Wegelagerer, der um sein Leben fürchtete… und tausend weitere Dinge die an ihm vorüberzogen wie ein Schleier.
Er hatte den kaiserlichen Agenten nicht selber getötet. So wie die Dinge standen gäbe es wohl keinen Richter, der ihn verurteilen wollte. Doch Syle war auch kein Richter, sondern sein Lehrer. Einer der glaubte versagt zu haben, woraus seine ganze Wut und der Schmerz stammten, mit denen er Janis grade noch so duldete.
Er hatte Lucien nicht getötet… aber wie die Dinge standen hätte er genauso gut auch derjenige sein können, der den Pfeil abschoss, seinen Tod hatte er trotzdem zu verantworten. Die Angst hatte ihn in diesen wenigen, fatalen Augenblicken beherrscht.. und ihn vernichtet.
Er hatte sich immer als jemand gesehen, der mit Recht auf andere herabsah, doch sein ganzer Hochmut war mit Lucien am Fuß jener Klippe zerschellt, so schien es. Er hatte sein Leben über das eines anderen gestellt und hätte es in jeder Situation getan… Janis verstand es. Zu spät,. Aber er verstand es, während er wieder zu Syle sah, der ihm den Rücken zukehrte. Wie konnte er so je hoffen ein guter Herrscher zu sein… geschweige den auch nur ein annehmbarer. Er hatte Lucien verraten, so sah es aus. Der Mann hätte seine Hilfe gebraucht und stattdessen hatte er ihn fallen lassen. Nicht einmal nur um sich selbst zu retten… sondern bloß um sich weiterhin in Sicherheit wiegen zu können.
Janis kehrte langsam wieder in die Gegenwart zurück, als vor ihnen das Tor Erindals in Sicht kam. Die großen Holzflügel waren genauso pompös wie die langsam zerfallenden Mauern aber in weitaus besserem Zustand. Zumindest das Torhaus war auf solidem Grund errichtet worden und die schweren Eisenangeln nur über mehrere große Winden zu bedienen. Breite Eisenbänder sicherten die Stabilität des Tore zusätzlich und verbanden die einzelnen Holzbalken miteinander, von denen jeder für sich schon so hoch wie ein ganzer Baum war. Ohne Belagerungswaffen durfte man wohl kaum hoffen, hier durch zu kommen und als sich die zwei Reisenden näherten wurden sie auch schon angehalten. Janis war die Ablenkung von der nagenden Stimme in seinem Inneren mehr als willkommen.
Ein einzelner Wächter tauchte auf einem der Türme auf, die das Torhaus flankierten. Seltsamerweise trug er jedoch nicht die Uniform eines Gardisten, wie Janis bemerkte. Hatte Kaspian jetzt schon eine eigene Wachmannschaft aufgestellt
,, Verschwindet wieder.“ , rief der Mann. ,, Auf Befehl von Lord Garin ist die gesamte Stadt abgeriegelt. Wir lassen niemandem rein, außer ihr bringt dringend benötigte Vorräte…. Aber wie Bauern seht ihr nicht aus.“ Der Posten spuckte aus, während er sie musterte. Vermutlich sahen sie wirklich nicht grade annehmbar aus, überlegte Janis. Sie trugen immer noch Luciens einfache Gewänder, die mittlerweile mit Schweiß und Schmutz überzogen waren. Vermutlich sahen sie eher aus wie Wegelagerer, mit den Schwertern, Pistolen und Syles Muskete…
,,Nein.“ , rief der Bär hinauf. Der Abfällige Ton des Wachmanns war auch ihm wohl nicht entgangen. Das freudlose Lächeln auf seinem Gesicht sprach von Genugtuung. ,, Aber ich bringe euch das hier !“ Mit diesen Worten hatte er einen Ring aus seiner Tasche gezogen und hielt ihn hoch, damit der Mann oben auf dem Turm ihn auch sehen konnte. Die Sonne spiegelte sich auf dem goldenen Löwen und dem silbernen Adler, die in einem kunstvollen Siegel angeordnet waren. Selbst wenn der Wächter das Siegle nicht genau erkennen konnte, die Farben Cantons waren unverkennbar. ,, Mein Name ist Syle, Hochgeneral des Kaiserreichs von Canton. Ich bin im Auftrag seiner Majestät Kaiser Kellvian Belfare Unterwegs. Öffnet diese Tore oder ich komme wieder und lasse sie einreißen. Vermutlich tue ich euch noch einen gefallen diese Abscheulichkeit zu schleifen!“
Der Mann reagierte, als hätte Syle ihm so eben einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gegossen. Noch bevor seine letzten Worte verstummt waren, war der Posten auch schon im inneren des Turms verschwunden und wenige Augenblicke später, setzten sich quietschend die Winden in Gang, die das Tor geschlossen hielten. Das Holz ächzte, als die beiden Torflügel sich teilten und langsam bei Seite schwangen. Unter dem nun freien Torbogen warteten bereits der Posten von ebenso wie eine ganze Abteilung weiterer Männer, von denen nach wie vor niemand eine der typischen blauen Gardeuniformen trug. Stattdessen waren ihre Mäntel in den Farben Erindals gehalten. Schwarze Mäntel mit roten Ziernähten und Knöpfen auf denen das Widderwappen der Stadt zu sehen war.
Janis wurde die Sache immer unheimlicher. Jeder Fürst durfte eine eigene kleine Schutztruppe unterhalten, doch im Fall der ehemaligen Aufwiegler aus dem Bürgerkrieg beschränkte sich diese Zahl auf grade einmal dreißig Mann. Somit war Kaspian eigentlich in jedem Fall auf die Garde angewiesen, wenn er die Mauern der Stadt besetzen wollte. Warum sahen sie dann niemanden? Der Mann konnte doch nicht wirklich so dumm sein mehr Söldner als gestattet anzuwerben?
Falls Syle sich die gleichen Gedanken wie er machte, so zeigte er es jedenfalls nicht. Der Gejarn ging lediglich mit auslandenden Schritten auf die wartenden Männer zu und ließ Janis damit nur die Wahl, entweder vor dem Tor stehen zu bleiben, wie ein Feigling… oder ihm zu folgen. Er atmete kurz tief durch, dann trat er ebenfalls über die Schwelle der Stadt.
Kaum waren sie hindurch, wurden die Tore auch schon wieder auf einen Befehl hin geschlossen. Das Gefühl, das hier etwas ganz und gar nicht stimmte war nun geradezu erdrückend.
,, Was wollt ihr hier ?“ , verlangte der Mann vom Turm zu wissen, ohne sich vorzustellen.
Der Platz hinter dem Tor war bis auf das kleine Empfangskomitee aus bewaffneten Wächtern so gut wie verlassen, wie Janis mit einem Blick feststellte. Lediglich einige wenige Bewohner der Stadt drückten sich im Schatten unter den Häusern entlang. Die prächtigen Bauten, welche sich vom Platz aus die Hauptstraße entlang Richtung Stadtmitte zogen, wirkten bewohnt, trotzdem konnte Janis nur ab und an eine Bewegung hinter den Fenstern ausmachen… Ihm war als könnte er die Angst, die über der Stadt lag mit einer Klinge schneiden…
,, Ich verlange mit eurem Herrn zu sprechen.“ Syle klang ebenfalls nicht freundlicher, als der Posten.
,, Mit welchem Grund ?“ Der Posten klang nun schon eher gelangweilt und Janis wurde langsam klar, dass ihm ihr Grund eigentlich egal war. Er suchte nur nach einer Gelegenheit sie wieder abzuweisen. Vermutlich auf Anweisung Kaspians hin. Ihm musste klar sein, was das Auftauchen eines kaiserlichen Gesandten hier bedeutete… aber er hatte sicher nicht mit dem Hochgeneral selbst gerechnet.
,, Das teile ich ihm dann schon mit. Es sei denn ihr zieht es wirklich vor, das ich wiederkommen muss.“ , erwiderte Syle düster und sorgte dafür, dass man den Ring, den er mittlerweile am Finger trug deutlich sehen konnte.
Der Mann zögerte sichtlich. Er hatte sicher nicht vor, sich mit einem der mächtigsten Männer Cantons anzulegen, gleichzeitig jedoch waren seine Befehle wohl eindeutig, niemanden vorzulassen. Er bedachte sowohl Janis als auch den Gejarn mit einem misstrauischen Blick, der dann an ihren Waffen hängen blieb.
,, Ihr werdet meinem Herren nicht bewaffnet gegenübertreten. Eure Schwerter und Schusswaffen übergebt ihr an uns… ihr erhaltet sie zurück, wenn ihr die Stadt verlasst.“
Janis musste nur kurz zu Syle sehen um zu wissen, was dieser davon hielt. Und er selber würde sein Schwert in diesen Mauern sicher nicht aus der Hand geben. Nicht, bis sie wussten, was hier eigentlich gespielt wurde…
,, Ihr versteht, dass ich eine kaiserliche Vollmacht besitze ?“ Syle tat so als würde ihn allein die Vorstellung, dass der Mann fragte brüskieren und als hielte er die Sache für einen Witz.
Langsam geriet wohl auch der Posten ins Schwitzen, während er nach einer Antwort suchte. Ihm war genauso wie Syle klar, dass er eigentlich nichts befehlen konnte. Sicher, im Augenblick hatte er mehr Männer auf seiner Seite, aber das würd eihn kaum schützen wenn der Gejarn seine Drohung wahr machte. Janis hätte wirklich nicht mit ihm tauschen wollen. Egal was er tat, er würde es sich mit jemand verscherzen. Aber sie hatten auch keine Zeit für lange Diskussionen. Wenn die Kultisten bereits losmarschierten, bevor sie wieder das Lager erreichten würde das in einer Katastrophe enden…
,, Also gut…“ Endlich gab der Posten auf. ,, Aber wir werden euch zum Palast begleiten…“
Die Straßen durch die sie kamen waren öde und genauso verlassen wie der Platz am Tor. Lediglich hier und da begegneten ihnen einige Leute, die jedoch rasch in Hauseingänge und Gassen zurückwichen, als sie den kleinen Trupp Söldner und die zwei Männer in ihrer Mitte kommen sahen.
Janis bezweifelte, dass man sie erkannte oder das sich Berichte über zwei Fremde, die irgendwie in die Stadt gelangen konnten so schnell verbreiteten. Syle mochte auffallen, grade in einer Stadt wo sich alle duckten, doch Janis war nach der Zeit in der Steppe so dunkel gebrannt, dass er zwischen den Einheimischen kaum mehr herausstach. Allerdings zogen ihre Bewacher wohl genug Aufmerksamkeit für sie alle auf sich.
Normalerweise war Erindal der größte Hafen im gesamten Osten und die Straßen sollten vor Menschen aus allen Teilen der Welt aus den Nähten platzen. Doch seit Kaspian alles abgeriegelt hatte, kamen wohl auch keine Schiffe mehr in die Stadt und damit versiegte auch der stetige Strom aus Händlern und Reisenden, welchen Erindal seinen Wohlstand zu verdanken hatte. Dieser Mann richtete die Stadt zu Grunde, dachte Janis bei sich. Noch ein guter Grund um ihm die Gardetruppen zu nehmen. Er konnte nicht bloß auf seine eigenen Männer setzen um die Stadt abzuriegeln… Zumindest ohne Befehle des Kaisers würde die Garnison ihn wohl dabei unterstützen. Ohne diese jedoch musste er die Tore einfach wieder öffnen oder Händler und Bürger würden ihm diese schlicht einrennen. Selbst ohne, das sich der Kaiser einmischen musste.
Der Adel Cantons besaß eigentlich kaum mehr wirkliche Macht. Zwar konnten sie in ihren Städten die Gesetze auslegen und Recht sprechen, durften aber ohne Rücksprache mit dem Kaiser oder ohne dessen Vollmacht keine eigenen Gesetze oder Steuern erlassen. Und auch an eigenen Truppen war ihnen eigentlich nichts geblieben, sah man von Stadt und Leibwachen ab. Somit hatte der Adel vor allem eine für das gewaltige Imperium weniger die von Herrschern. Allerdings, dachte Janis, schien Kapsian das herzlich egal zu sein.
Janis hätte zu gerne gewusst, was Syle über das ganze hier dachte, doch der Hochgeneral schweig sich aus und ihn anzusprechen… das wagte er nicht. Das an den Toren war für den sonst ruhigen Mann schon fast ein Wutanfall gewesen. Es sah ihm schlicht nicht ähnlich, Leute einzuschüchtern, auch wenn seine bloße Erscheinung bei den meisten wohl schon dazu ausreichte.
Syle wollte die Sache wohl nur noch hinter sich bringen, mutmaßte Janis und musste zugeben, dass er es ihm nicht einmal verübeln konnte. Er glaubte an ihm versagt zu haben… und ihm blieb nichts, dass er sagen könnte um das zu entkräften. Es stimmte doch…
Syle hatte immer wieder versucht ihm die Wahrheit zu sagen. Eine die weder sein Ziehvater und schon gar nicht seine Mutter sehen wollten. Er war auf dem besten Weg ein verdammtes Monster zu werden. Und er wusste nicht einmal, ob die Erkenntnis darüber irgendetwas änderte. Selbst jetzt sah er sich in den Straßen um und verspürte schlicht nichts, das er Mitleid nennen würde. Kein Gefühl für die Leute dieser Stadt abgesehen von einer sanft glühenden Wut auf Kaspian. Aber nicht der Menschen wegen… Da war schlicht nichts. Was wenn er wieder in die gleiche Situation kam? Konnte er hoffen wenigstens in Zukunft eine bessere Entscheidung zu treffen? Er fürchtete den Tag an dem er die Antwort erfahren könnte… und so wie die Dinge standen mochte er nicht einmal fern sein…
Vor ihnen weitete sich die Straße mittlerweile und führte zwischen mehrstöckigen, aus Holz und gelbem Stein errichteten Häusern hinaus auf eine große Freifläche. Mehrere große Brunnen und Wasserspiele sprudelten über eine große Gartenanlage verteilt. Die Stadt schien zurückzuweichen, während ihre Begleiter sie unter einer Allee aus Palmen hindurch auf einen großen Prunkbau in der Mitte der Parkanlage zuführten. Der aus Sandstein in allen Farben erbaute Palast Erindals stammte noch aus der Zeit, als die Kaiser lediglich die Herzlande und den Norden beherrschten und sich die Städte des Ostens und Südens noch in eigenverantwortliche Stadtstaaten und kleinere Länder teilten. Zumindest Anfangs. Doch je , mächtiger das wachsende Canton-Imperium wurde, desto mehr gerieten die untereinander zerstrittenen Länder in Abhängigkeit und waren letztlich kaum mehr als Vasallen der Ordeal-Kaiser Der Aufstieg Simon Belfares und die Eroberungszüge seiner Nachfolger waren dann nur noch ein letzter Sargnagel gewesen, der die Unabhängigkeit der freien Königreiche endgültig beendete.
Trotzdem war der Bau vor ihnen immer noch ein Zeugnis der Macht über die Erindal einst verfügt hatte und in gewisser Weise immer noch tat. Es war vielleicht nicht mehr Unabhängig, aber nach wie vor eine reiche Stadt. Der Herrschersitz versperrte den Blick auf die dahinter liegende Stadt. Säulen aus rotem und gelbem Stein stützten die luftigen Wände und die mit roten Schindeln gedeckten Dächer. Offene Kreuzgänge und lichtdurchflutete Hallen wurden von Ziertürmen flankiert die einen Blick hinaus auf die Wasserspiele und die weitläufigen Gärten erlaubten. An einem sonnigen Tag wie heute hätte Janis eigentlich erwartet, das sich hier die halbe Stadt versammeln würde, Blockade hin oder her. Doch die Wiesen und Blumenbeete lagen brach und verlassen da, sah man von den gelegentlichen Posten ab, die um das Palastgelände herum patrouillierten.
Dann jedoch sah er etwas, das ihm das Blut in den Andern gefrieren ließ. Ihre Begleiter… oder besser, Wächter, hatten sie durch die Parks und am geschlossenen Haupttor des Palastes herumgeführt, wohl um sie durch einen Hintereingang hinein zu bringen. Nachdem sie den Bau einmal umrundet hatten, war Janis gezwungen seine Einschätzung von zuvor zu korrigieren. Die Straßen waren leer, sicher… aber nicht nur, weil die Leute sich versteckten.
Am Rand der Gärten hatten sich eine Menge Menschen zusammengeschart und standen in einem Halbkreis da. Ihre Bewacher führten sie in ausreichender Entfernung an ihnen vorbei, so dass man ihnen wohl keine Aufmerksamkeit schenkte, doch hätte es das wohl auch nicht gebraucht. Die Augen der Leute hingen ohnehin nur an der Frau in ihrer Mitte, die in formlose, braune Roben gekleidet war. Das Symbol der roten Hand prangte fast wie eine Wunde an Rücken und Brust des Mantels.
Auf die Entfernung konnte er ihre Worte nicht verstehen, aber das Volk hing offenbar an ihren Lippen und dann drehte sie sich um…
Sie wäre wohl schön zu nennen gewesen, wenn da nicht das Zeichen ihres Meisters gewesen wäre, das eines ihrer Augen und den Großteil der Wange verschlang. Selbst mit den gesamten Gärten zwischen ihnen meinte Janis das Feuer darin brennen sehen zu können…
Syle sah es wohl auch und ihre Wächter sahen ebenfalls misstrauisch zu der Versammlung herüber.
,,Beeilen wir uns.“ , meinte der Mann, der sie als erster am Tor angehalten hatte. ,, Je eher ihr hier wieder verschwindet, desto besser.“
Da musste Janis ihm ausnahmsweise einmal Recht geben. Allerdings nur, wenn Kaspian sich vernünftig zeigte.
,, Gehen wir.“ , stimmte er nur zu gerne zu.
Letztendlich führe man sie tatsächlich zu einem zweiten Eingang, der auf der Rückseite des Bauwerks lag. Eine niedrige Tür, die am Fuß eines der Ziertürme lag, die den Palast-Komplex einrahmten. Das musste wohl der Dienstbotenzugang sein, dachte Janis und wäre die Situation eine andere, er hätte sich wohl sogar beleidigt gefühlt. Das war ein Gang den Bittsteller und Bettler nehmen mochten. Aber sie waren weder das eine noch das andere…
So jedoch verkniff er sich eine spitze Bemerkung und folgte der kleinen gruppe ihrer Bewacher hindurch ins Innere des Palastes. Drinnen bestätigte sich seine Vermutung noch einmal, als sie sich in einem eher schlicht ausgestatteten Winkel des Palastes wiederfanden. Es gab keine Fenster und die Wände waren stellenweise zwar einmal verputzt gewesen, jetzt jedoch schimmerte vielerorts der blanke Fels durch. Gänge zweigten in Vorratskammern und Küchen ab, die jedoch alle verlassen waren und ein paar Mal passierten sie auch Treppen, die nach unten und damit wohl in Weinkeller und weitere Vorratsspeicher führten.
Die wenigen Bediensteten, die Janis entdeckte, wichen, genau wie die Bürger Erindals, vor ihnen zurück und verbargen sich rasch in den Winkeln und Kammern des Wirtschaftsflügels. Langsam jedoch verändert sich ihre Umgebung wieder und ihre Wächter führten sie über einen großen, offenen Kreuzgang, der mitten durch einen weiteren Garten führte. Licht und der Duft von Hölzern und Blumen flutete durch die glaslosen Öffnungen in den Wänden herein und die Sonne brachte die unterschiedlichen Schattierungen im Sandstein zum Leuchten.
Eigentlich ein schöner Ort, dachte Janis nicht zum ersten Mal. Was war nur los, das ein Mann es hier für nötig hielt sich praktisch einzuschließen? Bevor er sein Amt hier übernommen hatte, war Kaspian lediglich Fürst über einige kleinere Siedlungen um Risara herum gewesen. Und da wäre er vielleicht auch besser geblieben… Paranoid oder nicht, selbst ein verrückter sperrte sich nicht derartig ein. Den Palast abriegeln, schön und gut, das wäre als Fürst seine Sache, aber gleich die ganze Stadt? Hier ging noch irgendetwas anderes vor sich, das wusste er spätestens, seit er die Predigerin gesehen hatte. Ihre Wächter waren beinahe panisch geworden und hatten sie weitergetrieben, als fürchteten sie sie.
Konnte es sein, das Kaspian bereits wusste, was sie wussten? Dass er sich nicht etwa einschloss sondern… auf eine sonderbare Art vor diesen Kultisten versteckte? Oder fürchtete er schlicht, die Kontrolle über seine Stadt verloren zu haben? So oder so, es würde die Sache sehr viel schwieriger machen, dachte Janis. Aber er wollte verflucht sein, wenn er sich davon aufhalten ließ. Er…
,, Überlass mir das reden.“ Syle schien seine Gedanken gelesen zu haben. Wenigstens war seine Stimme einmal wieder nicht kalt oder von unterdrückter Wut gezeichnet.
,, Ihr habt sie gesehen, oder ?“ , flüsterte er, als sie vom Kreuzgang in einen Korridor einbogen und ihre Wachen kurz hinter ihnen zurück blieben.
Der Bär nickte. ,, Und es gefällt mir nicht. Ganz und gar nicht… Was immer du tust, halt die Augen offen und dich bereit. Ich bezweifle das wir es Überleben würden, wenn wir uns hier raus kämpfen müssen, aber…“
Er beendete den Satz nicht, dennoch wusste Janis was er meinte. Aber wenn Kaspian sie hintergehen wollte, würde er lieber mit dem Schwert in der Hand als einem Messer im Rücken enden. Hoffentlich würde es nicht so weit kommen. Wenn Kaspian nur Angst hatte, wenn Janis mit seiner Vermutung Recht hatte, dann würde er ihnen geben was sie wollten. Das lag in seinem eigenen Interesse, wenn er den Kult ausschalten wollte, der sich auch in seiner Stadt festgesetzt hatte. Aber wenn nicht, wenn das Misstrauen und die Abriegelung Erindals einen anderen Grund hatten, wenn Kaspian mit diesen Männern zusammenarbeiten sollte, dann hatten sie einen gewaltigen Fehler gemacht, als sie die Stadt betreten hatten.
Vor ihnen war mittlerweile eine weitere Tür aufgetaucht, die von vier Männern, in den schwarz-roten Uniformen von Kaspians neuer Wache, flankiert wurde. Auf einen Wink hin wurde die zweiflüglige Tür für sie geöffnet und Syle und Janis traten ein. Ihre Bewacher hingegen blieben draußen stehen und bald wurde ihm auch klar wieso.
An den Wänden von dem, was einstmals der Thronsaal eines kleinen Königreichs gewesen war, standen mindestens zwei Dutzend weitere Männer, die alle die Farben von Erindal trugen. Die Halle war groß genug, dass sie alle ohne Probleme Platz fanden und jeder gut zwanzig Schritte Abstand zum nächsten halten konnte. Und wäre es nicht für die Waffenstarrenden Söldner gewesen, dachte Janis, wäre dieser Ort sogar heimlich gewesen. Bunte Vorhänge wehten vor den offenen Fenstern und filterten das Sonnenlicht aus, das in Mustern aus hellen und dunklen Flecken durch die Poren im Stoff fiel. Kissen und schwere Teppiche bedeckten die hellen Steinfliesen und umgaben auch den Thron, der an der Rückwand des Raumes unter einem roten Baldachin aufragte.
Und darauf wiederum saß der Mann, der Herr über dieses seltsame Schauspiel war, das diese Stadt ihnen bot. Kaspian Garin schien ihre Ankunft noch nicht erwartet zu haben. Sobald er Syle und ihn erblickte, schnellte er von seinem Thron hoch. Offenbar erkannte er seine Gäste nicht. Was nicht weiter verwunderlich war, dachte Janis. Mit Luciens Kleidern und nach den Wochen in der Wildnis sahen sie vermutlich kaum wie kaiserliche Gesandte aus… und wer dem Hochgeneral nicht selbst begegnet war, vermutete wohl kaum, dass es sich bei Syle um einen Gejarn handelte.
,, Was wollt ihr hier ?“ , fragte er leise.
,, Wachen, wer sind diese Männer ?“ Offenbar erkannte er wirklich Syle noch Janis als diejenigen, die sie waren. Kaspian Garin hingegen war ein Mann, den man nur schwer übersehen konnte. Groß , blond mit hellen , blauen Augen, die unruhig hin und her huschten. Seine ganze Erscheinung schien bereits nicht in diesen Palast zu passen, dachte Janis bei sich. Und schon gar nicht in diese Stadt, die eigentlich vor Leben brummen sollte. Einige graue Strähnen durchzogen bereits sein Haar, obwohl er kaum die vierzig erreicht haben konnte und die tiefen Falten unter seinen Augen ließen ihn wie einen viel älteren Mann wirken. Seine Wangen waren knochig, das Gesicht ausgemergelt und blickte sorgenvoll drein. Trotzdem stand er grade da, während er auf eine Erklärung wartete, warum man ihm zwei verlumpte Fremde vorgeführt hatte.
Kaspian trug schwere Stiefel, die mit goldenen Schnallen verziert waren und goldene Ornamente zogen sich seine Hosenbeine, sowie seine ganze Kleidung entlang. Eine helle Seidenhose wurde von einem Gürtel gehalten an dem ein versilberter Dolch steckte und über einem dunklen Hemd trug er zusätzlich noch eine Weste aus schwerem Brokat. Zwei seiner Wächter flankierten ihn und schienen jeder seiner Bewegungen zu folgen, jetzt, wo er langsam vom Thron weg und auf sie zutrat.
Offenbar sollten die Männer ihn abschirmen, dachte Janis. Und noch etwas fiel ihm auf.
Der Thronsaal war auf einer Seite hin offen. Große Steinbögen bildeten dort Fenster, durch die man in weitere Gärten und die darum liegenden Gebäude des Palastes blicken konnte. Doch auf Höhe des Throns waren die Fenster mehrfach mit Teppichen verhängt, so dass der gesamte hintere Teil des Saals im Zwielicht lag. Kaspian versteckte sich wohl wirklich gerne. Fürchtete dieser Mann wirklich in seinem eigenen Palast noch Opfer eines Angriffs zu werden?
,, Mein Name ist Syle.“ , erklärte Syle ohne sich die Mühe zu machen, sich zu verbeugen. Zwar hatte der Bär keinen Adelstitel, aber dem Rang nach stand er nur noch unter dem Kaiser. Vielleicht, dachte Janis , wäre es allerdings gar nicht so verkehrt bei diesem Mann nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Ein seltsamer Gedanke… Noch vor einigen Tagen hätte er Kapsian wohl genau so finster angestarrt wie nun Syle.
,, Hochgeneral Syle ?“ Jetzt endlich schien der Fürst Erindals zu begreifen, wen er da vor sich hatte. Sein Blick wanderte zu dem kaiserlichen Siegelring, der nach wie vor gut sichtbar am Finger des Gejarn steckte. ,, Und ihr seid ?“
,, Janis Belfare.“ Falls es ihn irgendwie verunsicherte oder erschreckte plötzlich den Erben seines Kaisers vor sich zu haben, so zeigte er es zumindest nicht. Doch seine ganze Gestalt schien einen Moment noch etwas düsterer zu werden, die Schatten unter seinen Augen tiefer, während er die zwei Männer musterte.
,, Und was verschafft mir die Ehre eures Besuchs… Herr…?“
,, Sehr simpel. Ich habe vor die Garnison eurer Stadt abzuziehen, Lord Garin. Wenige Tagesmärsche von hier sammelt sich die Armee eines Kults, der euch soweit ich weiß bekannt sein dürfte. Diese Leute sind drauf und dran loszumarschieren und eine Schneise der Verwüstung durch unser Land zu ziehen. Ich habe nicht vor, abzuwarten bis das geschieht. Mit der Garnison Erindals sind wir in der Lage sie aufzuhalten, bevor sie weit kommen und diesem Spuk ein Ende zu machen.“ Syle hatte die Arme vor der Brust verschränkt, während er auf die Reaktion des Lords wartete. Hatte Janis eben geglaubt, seine Mine könnte nicht noch finsterer werden so hatte er sich getäuscht.
,, Ich brauche diese Männer um meine Stadt zu schützen. Verzeiht.“ Kaspians Stimme war eiskalt, während er sprach.
,, Ich glaube ihr missversteht, Lord Garin… ich habe euch nicht darum gebeten, mir diese Männer zu geben. Sie unterstehen bereits mir. Ich informiere euch lediglich über unser Vorhaben.“
,, Ihr könnt unmöglich von mir verlangen, meine Stadt schutzlos zurück zu lassen !“
,, Schutzlos ?“ Syle deutete hinter sich auf einen der Söldner in rot-schwarzer Gewandung. ,, Sind diese Männer etwa nichts ? Männer, die ihr nicht einmal haben dürftet ?“
,, Nun wie ihr grade demonstriert… kann ich mich auf die Garde nicht vollständig verlassen. Nicht in Zeiten wie diesen.“
,, Was meint ihr damit ? Wovor würdet ihr eure Stadt den bitte schutzlos zurück lassen, wenn wir da draußen sind und die einzige Bedrohung die es hier gibt bekämpfen?“
,, Glaubt ihr wirklich, diese Kultisten würden sich auf ein Lager beschränken ?“ Kaspians Stimme klang nicht mehr drohend oder kalt, sondern war dünn geworden. Fast zu einem Flüstern. ,, In den letzten Monate sind eine Menge Fremder in meiner Stadt angespült worden, Hochgeneral. Und noch mehr kamen über die Straßen… Seltsame Menschen die in den Straßen umhergehen und ihre Botschaften verkünden. Dreimal ist einer von ihnen bis in den Palast vorgedrungen. Bewaffnet. Ich brauche all meine Männer um die Ordnung aufrecht zu erhalten.“
Janis begriff langsam, dass sie es hier nicht mit bloßer Paranoia zu tun hatten. Kaspian hatte nicht einfach nur Angst… er fürchtete um sein Leben. Und nach dem, was er gesehen hatte, hatte der Fürst sogar allen Grund dazu.
Trotz Syles bitte, sich nicht einzumischen trat Janis vor… und machte eine angedeutete Verbeugung vor dem Mann. ,, Ich schwöre euch, sobald die Männer ihren Dienst getan haben, werde ich sie persönlich wieder hierher zurückführen, wenn euch das beruhigt. Es wird sich nur um einige wenige Tage handeln und sollte unsere Kampagne länger als ein paar Wochen dauern, verspreche ich euch, Ersatz aufzutreibend der die Garnison wieder verstärken kann.“
,,Ich…“ Kaspian schien tatsächlich kurz darüber nachzudenken. Janis hatte ihn offenbar auf dem richtigen Fuß erwischt. Dieser Mann ließ sich gerne schmeicheln und Versprechungen geben. ,, Nein. Nein ich kann das nicht riskieren.“
,, Verweigert ihr eurem Herren etwa die Lehenstreue ?“
,, Dazu muss ich das Lehen erstmal halten, nicht ?“ , fragte der Fürst spottend an Syle gerichtet. ,, Erindal geht vor. Ihr sagt, ihr wollt diese Bedrohung zerschlagen, ich sage, ihr habt noch nicht begriffen, womit ihr es zu tun habt. Nur zu, vernichtet diese Leute. Aber glaubt nicht, es würden nicht neue kommen. Und wenn das passiert, will ich eine Armee hier haben, die meine Stadt schützen kann.“
Mehr ? Janis fragte sich langsam ob der Mann jetzt nicht wirklich zu phantasieren begann. Seine Bedenken wegen Erindals Sicherheit mochten berechtigt sein, aber wenn sie die Kultisten jetzt festsetzen wäre es vorbei. Woher sollten sie aus dem nichts noch mehr Leute bekommen?
,, Ihr könnt uns allerdings auch nicht davon abhalten, unsere Männer mitzunehmen.“ , entgegnete Syle kühl.
,, Ich kann auch dafür sorgen, das ihr sie nie erreicht. Ihr seid unter meinen Männern. Ich kann euch festsetzen lassen… oder töten.“ Janis konnte nicht einschätzen, wie ernst diese Drohung gemeint war. Auch Kaspian musste klar sein, das er mit so etwas niemals durchkommen würde. Doch die Worte standen im Raum und die Waffen seiner Söldner klirrten, als die Männer sich unwohl auf ihren Plätzen herumdrückten. Auch ihnen war klar, dass sie damit eine Grenze übertreten würden, nach der es kein Zurück mehr gab.
Janis jedoch tat das erste, was ihm einfiel. Er lachte. Lachte dem Fürsten von Erindal ins Gesicht, als auch ihm langsam klar wurde, das der Mann schlicht nicht so verrückt sein konnte. Wenn er sich wirklich um seine Stadt sorgte
,, Oh ja, sicher.“ Er konnte nicht anders, als den Kopf zu schütteln. ,, Und was dann, Lord Garin ? Was glaubt ihr wer ist die größere Bedrohung hier, die paar Kultisten innerhalb eurer Mauern… oder mein Vater wenn er erfährt, was ihr getan habt?“
Er hatte zwar damit gerechnet, das seine Worte den Mann zur Vernunft bringen würden, doch Kaspian schien plötzlich sogar in sich zusammenzusinken und wich vor Janis zurück. Das war kein Sinneswandel, das war pure Angst… Vor Kellvian Belfare ?
Allerdings erinnerte sich Kaspian Garin wohl noch gut, wie es seiner Vorgängerin ergangen warn. Während des Bürgerkriegs hatte sich seine Familie auf die Seite von Andre de Immerson geschlagen und Erindal, das damals noch von Kathrin Garin beherrscht wurde, sich gegen den Kaiser gestellt. Doch die Fürstin war noch gestorben, bevor die kaiserliche Garde die Mauern durchbrach… angeblich durch die Hand des Kaisers selbst. Wie genau sich das zugetragen hatte blieb eine Sache der Gerüchte. Und wenn man diesen glaubte war es Kellvian gewesen, der sich irgendwie in den Palast schlich um Rache zu nehmen. Kaspian Garian hatte wohl allen Grund, den Kaiser zu fürchten. Das die Wahrheit etwas anders aussah würde Janis ihm sicher nicht auf die Nase binden.
,, Herr, wir brauchen diese Truppen.“ , erklärte Syle nun deutlich ruhiger und diplomatischer. Auch er konnte die Angst des Fürsten spüren. ,, Als Hochgeneral habe ich den Oberbefehl über sie, doch würde ich sie immer noch lieber mit euren Segen mit mir nehmen als ohne.“
Einen Moment lang war alles still. Selbst die mittlerweile übernervösen Wachen verharrten regungslos und Kaspian sank langsam auf seinen Thron zurück. Seine nächsten Worte würden ihr Schicksal entschieden, das wussten sie alle nur zu gut. Wenn Kaspian jetzt uneinsichtig war, hätten sie einen neuen Aufstand. Einen, den Erindal nicht hoffen konnte zu gewinnen und den niemand wollte. Jetzt kam es darauf an, ob der Mann über seinen Schatten springen konnte.
,, Ihr stellt mich nur vor die Wahl, meine Stadt dem Untergang preiszugeben. Ob ihr es seid oder die Kultisten, das spielt keine Rolle. Aber euer Vater Janis, hat mir gegenüber Gnade gezeigt wo ich keine Erwartet hätte. Ich schätze ich schulde es ihm, dass ich euch ziehen lasse. Geht. Nehmt eure Männer, Hochgeneral. Aber ich verlasse mich darauf, dass ihr euer Versprechen halten werdet… Länger als eine Woche kann ich die Garnison nicht entbehren. Bringt sie mir bis dahin zurück, oder schafft Verstärkungen herbei… Und trotzdem wünsche ich euch Erfolg. Auch eine Gefahr vor meinen Mauern kann ich nicht ignorieren.“
Damit war es entschieden und sowohl Janis als auch Syle wurden, dieses Mal ohne Geleitschutz, aus dem Palast entlassen. Die Garnisonsfestung zu erreichen, so das Syle das Kommando über die Männer übernehmen konnte war danach nur noch Formalität und noch vor Sonnenuntergang konnten die Bürger Erindals zusehen, wie sich eine Kolonne von mehreren tausend Gardisten durch die Stadttore entfernte. Syle und Janis bildeten mit einigen der Offiziere die Nachhut der Truppe während die Männer die Hauptstraße Erindals passierten. Der Bär hatte die Gelegenheit auch genutzt zumindest ein paar angemessenere Kleider für sie aufzutreiben, auch wenn das in Syles Fall eine Herausforderung darstellte. Die meisten Uniformen waren schlicht zu klein für ihn, so dass er schließlich zu einem Kompromiss gezwungen war. Statt wieder die volle Uniform anzulegen, trug der Bär lediglich ein weites, weißes Hemd, eines der wenigen Kleidungsstücke die ihm überhaupt passten, einfache Hosen und einen kurzen blauen Schulterumhang mit dem Wappen des Kaiserreichs. Wobei er Schulterumhang wohl aus dem Rückenteil eines Gardemantels geschnitten worden war.
Immerhin, es tat gut wieder in Sachen unterwegs zu sein, die nicht auseinanderfielen, dachte Janis. Mit einer Hand rückte er Schwert und Pistole zurecht, die er sich aus den Waffenkammern der Garde entliehen hatte. Mit so vielen Männern konnten sie das Kultlager umstellen und alle, die sich noch dort aufhielten festnehmen, bevor es zu einer Katastrophe kam. Und wenn sie sich nicht ergaben ? Der Gedanke war ihm bisher Fremd gewesen. Sie hatten keine Chance. Und doch… was taten sie, wenn diese Leute sie gegen jede Vernunft angriffen? Er sah zu Syle, der immer noch größtmöglichen Abstand zu ihm hielt und lieber weiter vorne mit den Offizieren ging. Sie konnten doch nicht auf ihr eigenes Volk schießen… mal davon abgesehen, das es wohl mehr als einen Gardisten geben würde, der das schlicht verweigern würde. Viele der Männer hatten sicher Verwandte oder Familie in Erindal… und wenn sich einer davon zum Herrn der Ordnung bekannte, würden sie diese sicher im Lager des Kults wiederfinden…
Janis schauderte bei dem Gedanken. Nun vielleicht hatten sie ja Glück und überraschten sie ohnehin derart, dass es gar keine Möglichkeit für einen Kampf gab. Noch während er dies dachte, warf er einen Blick hinauf zu einem der großen, mehrstöckigen Wohnhäuser, welche die Hauptstraße Erindals säumten. Gegen den dunkler werdenden Himmel zeichneten sich ein halbes Dutzend Gestalten ab, die ihnen von den Flachdächern aus zusahen. Und mindestens ein Augenpaar glühte rot im Licht der untergehenden Sonne…
,, Wir sind zu spät. Hier ist niemand mehr Herr.“ Die Stimme des Mannes wurde von den Felsen zurückgeworfen, er selber nur ein Schemen am Ende eines kurzen Steintunnels. Janis wusste das schon, noch bevor er die Worte hörte. Schon am Felsentor hatte er ein mulmiges Gefühl bekommen. Damals, in der Nacht als Lucien gestorben war, hatten dort Fackeln gebrannt und ein halbes Dutzend Männer den schmalen Durchgang ins Tal bewacht. Heute jedoch, im hellen Tageslicht, war niemand mehr zu sehen gewesen. Syle hatte noch eine Falle vermutete und zuerst nur einen kleinen Trupp Männer durch die Passage geschickt, doch der Ruf der Späher ließ nun auch ihn jede Vorsicht vergessen. Als er gefolgt von Janis schließlich zwischen den Felsen auftauchte, war von einem Lager jedenfalls nichts mehr zu sehen. Lediglich einige Feuerstellen zeichneten sich im platt getrampelten Gras ab und ein zwei Zelte standen noch, die wohl von ihren Besitzern zurück gelassen worden waren. Tau schimmerte im Morgenlicht auf den Wiesen und in den Zweigen einiger Büsche.
Die Asche war lange kalt, als Janis ein Kohlestück herausfischte und gleich wieder fallen ließ. Hier war schon eine Weile niemand mehr, dachte er, während er die Asche an seiner Hose abwischte und sich wieder erhob.
Janis fragte sich, ob sein Vater mittlerweile bereits wusste, was vorgefallen war. Vor einigen Tagen hatten sie einen Boten zur fliegenden Stadt geschickt. Auf Verstärkung konnten sie wohl trotzdem nicht hoffen, dazu würde es zu lange dauern, Truppen zu sammeln. Die fliegende Stadt verfügte zwar über eine große Schutztruppe, aber die Leibgarde des Kaisers alleine war noch keine Armee. Aber Syle hatte die bisherigen Ereignisse für den Kaiser zusammengefasst… und wenn er Erfuhr was Janis getan hatte? Wenn seine Mutter es erfuhr? Was mochte Syle über ihn schon zu berichten haben… Janis fühlte sich alleine bei dem Gedanken Elend.
,, Seht euch um, ich will sichergehen, dass sie wirklich weg sind.“ , befahl Syle an einen kleinen Trupp Gardisten gerichtet. Der Rest der Armee, die sie aus Erindal mitgeführt hatten, lag bereits um das Tal verteilt auf der Lauer. Vergebens…
Janis bezweifelte, dass auch die Kundschafter viel finden würden. Vielleicht noch die Spur, die eine so große Gruppe bei ihrem Aufbruch hinterlassen haben musste. Aber sicher keine Menschen mehr. Sie waren tatsächlich zu spät gekommen. Janis wanderte ziellos über die leeren Wiesen, während die Gardisten um ihn herum ausschwärten und begannen, alles abzusuchen.
Die letzten Tage waren auch nicht einfacherer gewesen, als die zuvor. Nach wie vor suchten ihn Geister heim und seit der Konfrontation mit Kaspian… Vor wenigen Tagen noch hätte er wohl genau wie Syle auf den Lord reagiert. Oder schlimmer. Sie hätten die Männer niemals bekommen oder wären sogar gestorben, das stand fest. Aber irgendwie war er über seinen Schatten gesprungen, nicht? Nur zu spät. Trotz allem zu spät. Dass sie die Kultisten nicht mehr hier fanden war dabei noch das, was ihn am wenigsten beschäftigte. Er wusste, wo sie hin wollten.
Es hatte einen Verrat gebraucht, damit er die Augen öffnete, dachte Janis bitter. Er wollte das Wort Mord selbst jetzt nicht in den Mund nehmen. Am Ende… er hatte nicht das Schwert geführt, das Lucien das Leben kostete. Aber all seine Arroganz war an jenem Abend nur Asche gewesen und selbst jetzt, wo er es langsam wagte, den Kopf wieder etwas höher zu tragen… ließ ihn die Erinnerung keine Ruhe. Egal ob er mit den Männern marschierte oder nachts in seinem Zelt lag, immer wieder tauchte der Moment auf, in dem Lucien fiel. Syles Schlag… und der Blick in den Augen des alten Bärs. Maßlose Enttäuschung. Das war das schlimmste… Syle war vielleicht das was einem echten Freund noch am nächsten kam, auch wenn er gleichzeitig die Rolle seines Mentors einzunehmen suchte.
Sicher es hatte anderer gegeben. Junge Adelige in seinem Alter, ein paar Mädchen, die er nach ein paar Nächten keine Beachtung mehr geschenkt hatte… Aber er hatte für keinen davon wirklich Respekt empfunden. Bei Syle war das anders… Und wenn er ehrlich war… am Ende hatte sich auch Lucien seinen Respekt verdient gehabt. Der Mann war verrückt gewesen, vielleicht wirklich irre. Aber er hätte ihn mögen können.
Janis schüttelte den Kopf. Er konnte sich bis in alle Ewigkeit Selbstvorwürfe und Rechtfertigungen ausdenken. Das änderte aber auch nichts… Geschehen war geschehen. Aber Syle lebte noch. Und wenn es eine Ewigkeit dauerte, er würde sich den Respekt des Gejarn wieder verdienen. Und falls das unmöglich war… dann konnte er zumindest den Versuch wagen, sich zu entschuldigen. Er hatte die letzten Wochen damit zugebracht vor dem Mann davonzurennen. Nicht mehr.
Grade, da er den Entschluss jedoch gefasst hatte, hallte erneut ein Ruf zu ihnen.
,, Herr, das solltet ihr sehen.“
Einer der Männer die Syle ausgesandt hatte, war wieder zurückgekehrt und bedeutete ihnen rasch, ihm zu folgen. Und Janis stellte fest, dass er den Weg kannte. Beim letzten Mal war er zwar gerannt und es war dunkel gewesen, doch in der Ferne konnte er bereits die Erdwand ausmachen… und was nach wie vor an ihrem Fuß lag.
Von Lucien war nicht viel geblieben, das noch an den Mann erinnerte, der er einmal gewesen war. Das Drachenfeuer hatte ganze Arbeit geleistet und im Umkreis von fast dreißig Schritten alles schwarz verbrannt. Das einzige, was nicht fast bis auf die Knochen versengt war, war der graue Umhang des kaiserlichen Agenten. Zwar war der Stoff stellenweise angebrannt, aber nicht völlig zerstört worden. Von seinem Körper hingegen waren kaum mehr als ein paar Knochen geblieben, wohl weil sich in der Zwischenzeit auch schon die ersten Raubtiere darüber hergemacht hatten. Janis wurde übel bei dem Gedanken. Die Kultisten hatten ihn wohl einfach hier liegen lassen, damit er verrotten konnte.
,, Er verdient ein ordentliches Begräbnis.“ Syle , der ebenfalls dem Ruf des Späher gefolgt war, ließ sich neben dem Toten auf ein Knie nieder. Vorsichtiger und sanfter, als man es ihm zugetraut hätte, schlug er die Überreste in den grauen Mantel ein und hob dann das, was von seinem Freund geblieben war vorsichtig auf. Irgendetwas löste sich dabei aus dem Umhang des Mannes und glitzerte einen Moment in der Sonne, bevor es im Gras verschwand. Außer Janis schien es niemand bemerkt zu haben.
,,Herr, wir haben Spuren entdeckt.“ , warf einer seiner Männer leise ein. ,, Wenn wir sofort losziehen können wir…“
Syle brachte den Mann mit einem schlichten Kopfschütteln zum Schweigen. ,, Ich weiß, wohin sie unterwegs sind. Ihr Ziel ist das rote Tal. Aber das ist keine trainierte Armee und sie werde die Steppe durchqueren müssen. Sie werden öfter rast machen als wir. Wir werden sie noch früh genug einholen.“
Mit diesen Worten Schritt der Bär an seinen wartenden Männern vorbei, immer noch Luciens Überreste in den Armen. Einige der Gardisten zögerten kurz, bevor sie ihrem Anführer schließlich doch folgten. Janis hingegen, froh eine Ausrede zu haben um den Bär jetzt nicht unter die Augen zu treten, bückte sich nach dem Gegenstand, der aus Luciens Umhang gefallen war.
Es war eine simple Metallspange mit den Wappentieren des Kaiserreichs darauf. Adler und Löwe waren aus Bronze und poliertem Stahl gefertigt, nicht aus den edleren Materialien, die man für einen Siegelring hernahm. Die Brosche eines Agenten, dachte Janis, während er sie an sich nahm. Doch zwischen die beiden Wappentiere hatte jemand eine Schleife aus rotem Stoff gebunden. Trotz des Rauchs und der Feuer konnte Janis den schwachen Duft von Parfüm darunter erkennen. Götter… Hatte Lucien am Ende jemanden, der jetzt auf ihn wartete? Der Mann war ihm eher wie ein Einzelgänger erschienen. Ein Eigenbrötler, der sich in den Feldern Risaras Versteckte. Doch das hier war unmissverständlich… und machte seine Schuld nur umso schwerer.
Janis löste vorsichtig die Schleife von der Brosche und ließ sie in seine Tasche wandern. Wenn das hier alles vorbei war, würde er wohl noch jemanden um Verzeihung bitten müssen. Wenn er sie den fand. Janis erhob sich mit einem Seufzten und verstaute die Brosche ebenfalls, dann folgte er den anderen.
Als er Syle und seine Gardisten schließlich fand, hatten diese sich vor dem schwarzen Gerippe des Geisterbaumes versammelt. Einige Männer hatten wohl bereits begonnen Holz herbeizuholen, doch Syle schickte sie wieder fort. ,, Diese Leute haben Feuer benutzt um zu töten. An diesem Ort, will ich ihm nicht die Seele eines Mannes anvertrauen.“
Stattessen begannen sie also damit, ein flaches Grab zwischen den toten Wurzeln des Baumes freizuschaufeln, bis die Grube tief genug war um die Überreste des kaiserlichen Agenten darin zur Ruhe zu betten.
,, Ruhe sanft mein Freund.“ , murmelte Syle während einige Gardisten das Grab bereits wieder mit Erde auffüllten. ,, Wir sehen uns eines Tages auf der anderen Seite.“
Mit diesen Worten drehte der Bär sich schließlich um und gab seinen Männern das Zeichen zum Aufbruch. Janis hingegen blieb unter den verkohlten Zweigen stehen und es schien Syle wohl egal, ob er ihnen folgte oder nicht.
Noch konnte er nicht gehen, dachte er, während er nach oben sah.. Seine Finger schlossen sich dabei nachdenklich um das rote Band in seiner Tasche. Immerhin hatte das Feuer den Geisterbaum nicht völlig zerstört, dachte er. Was immer die Kultisten mit der Vernichtung hier erreichen wollten, sie hatten nicht gewonnen. Nicht ganz zumindest. Vielleicht war das ja ein Zeichen. Hoffnung… Es war noch nicht alles verloren und wenn das stimmte… gab es vielleicht auch eine Chance für ihn, oder? Trotz der Schrecken, die hier stattgefunden hatten, strahlte dieser Ort immer noch eine eigentümliche Ruhe aus. Es war, als wäre die Luft hier irgendwie dichter, doch nicht unangenehm, sondern eher so, als trüge man eine warme Decke auf den Schultern.
Ohne genau zu wissen warum zog Janis die Schleife aus der Tasche und Band sie vorsichtig an einen der tiefer hängenden Äste des Baumes. Er wusste nicht ob es Syles Ahnen gab, trotzdem bat er stumm darum, dass sie Lucien behüten mochten. Vor de Klauen des Herrn der Ordnung wenn es ihn den wirklich gab… Sämtlicher anderer Schmuck, den der Baum einst getragen hatte, war zertrampelt worden oder den Flammen zum Opfer gefallen. Aber vielleicht machte auch das gar nichts, dachte er. Er legte eine Hand auf die verbrannte Rinde und fand, das die oberste Ascheschicht sich ganz einfach ablöste… nur um darunter helles, unversehrtes Holz zum Vorschein zu bringen. Ein Regenguss nur dann wäre dieser Ort wieder wie einst. Dennoch würde es nicht Rückgängig machen, was hiergeschehen war. Nicht für die Gejarn, die einen ihrer Ältesten verloren hatten. Nicht für Syle…nicht für ihn.
Es konnte so nicht weitergehen, sagte er sich und schloss einen Moment die Augen. Er musste diese Schuld irgendwie abtragen. Selbst wenn er sich selber nie verzeihen würde, er musste zumindest Syle wieder in die Augen sehen können. Aber wie und wo anfangen? Ihm Antwortete nur die Stille und das leise Rauschen des Winds in den Zweigen des Geisterbaums, das so sehr nach leisen Stimmen klang. Zögerlich ging er in die Knie und zog langsam das Schwert…
Als er schließlich wieder zu Syle und den anderen zurückkehrte, hatten diese bereits wieder das Steintor passiert. Einige der Gardisten warfen ihm seltsame Blicke zu, doch der Bär widmete ihm nach wie vor keine Aufmerksamkeit. Stattdessen gab er lediglich den Befehl zum Aufbruch.
Selbst das Janis als Büßer zurückkam, mit geschorenem Haupt und bloßen Füßen schien den Gejarn kaum zu beeindrucken. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
,, Syle…“Der Bär reagierte nicht, selbst dann nicht, als Janis sich direkt vor ihn stellte. Stattdessen ging er einfach an ihm vorbei, als hätte er ihn gar nicht bemerkt. ,, Ich hätte an seiner Stelle sein sollen, oder ? Ich weiß es ändert nichts aber… Ich wünschte ich könnte es ungeschehen machen ich…“ Er fand keine Worte auszudrücken was in ihm vorging, das Bedauern, das ihm für den Großteil seines Lebens Fremd gewesen war klar zu machen. Und doch musste Syle ihn doch verstehen. Er musste es nicht verzeihen, nur verstehen. ,, Es tut mir leid. Ich weiß ich kann es nicht wieder gut machen, aber… was immer ihr für nötig haltet.“
Nach wie vor gab der Bär keine Antwort und langsam schlug Janis Furcht in Verzweiflung um. Trauer in Wut… Seine Augen füllten sich mit Tränen.
,, Syle !“ Auf seinen Ruf hin wurde der Gejarn tatsächlich endlich langsamer und Jnais stellte sich ihm erneut in den Weg.. ,, Wenn du mir nicht einmal zuhören kannst, dann sei es so. Ihr habt gesagt ihr würdet mich töten… dann tut es. Wenn das der einzige Weg ist wie ich noch Vergebung erlangen kann, bitte…“ Janis blinzelte eine Träne weg und dieses Mal blieb Syle tatsächlich stehen. ,, Ist es das was ihr hören wolltet ? Ich kann so nicht weitermachen, Syle. Nicht… so.“
Eine Weile glaubte er, der Bär würde ihm erneut nicht Antworten. Das Gesicht des Hochgenerals war so unleserlich wie eh und je und nichts hinter den schwarz-gelben Augen verriet, was er denken mochte. Schließlich jedoch seufzte er… und legte Janis eine Hand auf die Schulter.
,,Junge… geschehen ist geschehen. Und wir brauchen dich jetzt. Ich brauche dich. Bei dem was wir vorhaben kann ich nicht auf deine Hilfe verzichten und ich will es auch nicht. Verstehst du mich? Aber den Mann den ich kenne kann ich dabei nicht gebrauchen. Diesen Mann würde ich töten… doch ich sehe nichts mehr von ihm. Also bekommst du das hin? Bringen wir das hier zu Ende? Für Lucien und all die anderen ?“
Janis nickte. ,, Ich habe meine Lektion gelernt, Syle…
,,Nein.“ Der Bär schüttelte den Kopf. ,, Ich fürchte noch lange nicht.“ Aber der Junge hatte etwas gelernt, dachte er. Wenn auch für einen bitteren Preis.
Er war noch keinen Monat König und trotzdem hätte Hadrir bereits dankend auf das Amt verzichtet. Doch das war ihm natürlich nicht möglich, war es doch genau das auf das Kasran hoffen mochte. Der Thane würde ihm wohl nie verzeihen, dass er ihn bei der Wahl übertrumpft hatte und Unabhängig geblieben war… doch gleichzeitig schlug ihm nicht der glühende Hass entgegen mit dem er gerechnet hatte. Auch Kasran Verstand nur zu gut, das hier das Schicksal ihres Volkes auf dem Spiel stand und so war er Hadrir in den ersten Tagen tatsächlich eine Hilfe gewesen. Allerdings eine, die der Zwerg nur mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend annahm. Kasran Mardar beherrschte das Spiel der Politik perfekt und konnte ihm praktisch alles über die Vorhaben und Meinungen der übrigen Häuser sagen… doch was seine eigenen Pläne anging ließ er Hadrir im Dunkeln. Bei ihm konnte man nie wissen ob man ihm nicht aus Versehen in die Hände spielte. Etwas, das er nach ihrem letzten Zusammenstoß umso mehr um jeden Preis vermeiden wollte. Die Ratschläge des alten Thanen reichten manchmal schon aus um ihm Schauer über den Rücken zu jagen. Gestern hatte er den alten Zwerg deswegen tatsächlich beinahe geschlagen… du aus seinen Gemächern geworfen. Der Gedanke an den Vorschlag des Alten brachte sein Blut selbst jetzt noch zum Kochen.
Kasran war gegen Abend zu ihm in seine Gemächer Im Palast gekommen. Als König hatte ihm der Kaiser zwar auch ein eigenes Haus in der Stadt zur Verfügung gestellt, aber er fand ohnehin kaum Zeit, die Mauern des Palastes einmal zu verlassen. Dazu nahmen ihn die Verhandlungen mit dem Kaiser und den Häusern viel zu sehr in Anspruch. Kellvian war von sich aus bereit, ihnen Land zuzusprechen, wenn sie dies wollten. Doch anstatt das sich die Häuser einfach mit dem zufrieden gaben, was man ihnen ohne Gegenleistungen anbot, fanden einige Thanen an den kleinsten Details noch etwas zu mäkeln. Nein die Berge wollten sie nicht, weil sie das von der See abschneiden würde. An der Westküste eine neue Stadt zu errichten würde zu viel kosten… Die umgebenden Fürsten sprachen sich dagegen aus. Es war eine Katastrophe, dachte Hadrir. Und er konnte sich auch des Verdachts nicht erwehren, dass manche der Zwerge absichtlich versuchten, ihn zu blockieren. Mit dem Orden in Rücken wagten sie es vielleicht nicht, offen gegen ihn vorzugehen, aber ihm Steine in den Weg legen das konnten sie. Kasran hatte ihn ja gewarnt, das sich die Anhänger des Propheten noch immer unter ihnen befinden konnten… und ihm natürlich das Leben schwer machen würde. Aber er konnte sich natürlich nicht sicher sein. Sein Volk war einfach stur. Verdammt, der einzige Grund aus dem er das Ganze noch mitmachte war, das er schlicht nicht aufgeben wollte. Trotzdem schlug ihm das ewige Geplänkel aufs Gemüt. Wenigstens schien es dem Kaiser ähnlich zu gehen, wenn er sich ihren Verhandlungen anschloss. Hadrir wunderte ohnehin, wie der Mann so ruhig bleiben konnte. Jeder andere hätte die Zwerge vermutlich längst aus dem Saal gejagt und die Sache als beschlossen abgehakt… Kellvian nicht. Er hörte sich die Beschwerden und Einwände der Häuser tatsächlich an und auch wenn er selten mehr machen konnte wie Hadrir, verlor er zumindest nie die Geduld. Der Tag an dem das passierte, wäre der, an dem all ihre Bemühungen zu Nichte wären, das wusste Hadrir. Trotzdem verließ er die Verhandlungen meist genauso mit hängenden Schultern wie der neue Zwergen-König.
Hadrir hätte auf der Stelle einschlafen können, als er sich in seine Gemächer schleppte und Brustharnisch, Armschienen und Beinpanzerung ablegte. Die Rüstung war ebenfalls ein Rat Kasrans gewesen… Nicht nur das es ihn vielleicht vor einem Messer im Rücken bewahrte, er fühlte sich tatsächlich wohler darin. Er war kein Politiker, verdammt. Mit einem seufzten ließ er sich schlicht aufs Bett fallen und schloss einen Moment die Augen.
Seine Quartiere im Palast nahmen leicht die Fläche eines kleinen Hauses ein. Es gab eine eigene Küche, die jedoch unbesetzt war, da er ohnehin meist mit den Thanenen, dem Kaiser oder Quinn zusammen aß. Es war ihm schlicht sinnlos erschienen, die Diener anzunehmen, die man ihm zur Verfügung stellte, wenn er sie nicht brauchte. Lediglich zwei hatte er behalten, einen jungen Menschen, der für ihn die Räume in Ordnung hielt und einen Zwerg, der ihm von Kasran als Leibwächter gestellt worden war. Der Mann war Stumm wie alle Gefährten des alten Thanen und Kasran hatte ihm auch nie seinen Namen verraten.. Hadrir war zuerst unsicher gewesen ob er dem Mann trauen konnte, doch wurde dieser nie aufdringlich und hielt seine Nase auch aus seinem Schreibtisch heraus, wenn er ihn daran scheinbar alleine ließ.
Neben der Küche gab es einen großen Empfangssaal, eine eigene Bibliothek und eine Schreibstube, im oberen Stockwerk ein großes Esszimmer und die Schlafräume auf deren Boden mittlerweile seine Rüstung verstreut lag. Dazu, das Schwert abzulegen kam er nicht mehr, den er musste schließlich einfach eingeschlafen sein. Als König war es ihm neben dem Kaiser und seiner Garde als einem der wenigen erlaubt, Waffen zu tragen. Wenigstens einen Vorteil hatte seine neue Position also.
Als Hadrir das nächste Mal die Augen Aufschlug, war er nicht mehr alleine.
,,Herr…verzeiht, das ich euch Wecke, aber Lord Mardar wartet unten auf euch. Er hat darauf bestanden eingelassen zu werden.“ Der junge Mann in der Livree eines Palastdieners hielt sich dicht bei der Tür, als fürchte er bereits das Hadrir ihn aus dem Raum werfen könnten. In seinem Kopf drehte sich alles, als er sich mühsam aufsetzte und ins trübe Licht blinzelte. Er konnte nicht lange geschlafen haben, dachte er. Draußen vor den Fenstern war es noch dunkel und das einzige Licht im Raum stammte von einer Reihe von Öllampen, die auf einem kleinen Regal neben dem Bett brannten. Dazwischen wiederum Tickte langsam eine Uhr vor sich hin. Irgendwie hatten es ihm die kleinen mechanischen Wunderwerke angetan. Bevor er sich plötzlich als König wiedergefunden hatte, hatte er sogar ein zwei auseinandergenommen um sich ihr Innenleben anzusehen. Das schien ein anderes Leben gewesen zu sein. Und es wäre ihm grade um einiges Leiber, als sich mit dem Thanen auseinander zu setzen.
Es war kurz vor Mitternacht… Hadrir stöhnte innerlich auf. Was wollte Kasran nur um diese Zeit noch von ihm?
,, Soll.. Soll ich ihm sagen, dass er morgen früh wiederkommen soll?“ , fragte der Diener unsicher.
Er hätte am liebsten gelacht. Morgen früh wären sie bereits wieder in der nächsten Versammlung. Nein… was immer Kasran ihm sagen wollte, er tat es heute oder gar nicht mehr.
,, Nein schon gut. Sagt ihm, ich komme gleich nach.“
Der Diener verbeugte sich kurz und verschwand dann wieder zur Tür hinaus, während Hadrir sich den Schlaf aus den Augen rieb und zu einer kleinen Wasserschale trat die auf einer Säule neben der Tür ruhte. Rasch spitzte er sich etwas von der kalten Flüssigkeit ins Gesicht um die ärgste Müdigkeit zu vertreiben. Einen Moment überlegte er, das Schwert noch abzulegen, nahm es dann aber doch mit. Bei Kasran wusste man nie, dachte er, während er die Tür aufzog und ins Treppenhaus hinaus trat.
Unten wartete der Thane des Hauses Mardar bereits auf ihn.
Das Empfangszimmer lag gegenüber der Küche und war bei weitem der größte Raum in seinen Quartieren. Schwere, golddurchwirkte Teppiche bedeckten den Boden und Wandbehänge die mit Szenerien aus Cantons Herzlanden bestickt waren hingen an den Wänden. Statt Lampen erhellten rauchfreie Kristall den Raum mit sanften Licht und brachten das Gold zum Glitzern. Einige Töpfe beherbergten blühende Ranken, die sich über das einzige Fenster im Raum hinab wanden.
Kasran stand davor und sah auf die von einzelnen Lichtern erhellte Stadt hinaus. Er drehte sich nicht einmal um, obwohl er Hadrir wohl kommen gehört hatte.
,, Bringt uns bitte Wein.“ , meinte er nur an den Diener gerichtet , der dem König gefolgt war. ,, InS Speisezimmer am besten. Und dann geht. Was ich mit dem König zu besprechen habe ist nicht für eure Ohren bestimmt.“
Der Diener, unsicher ob er die Befehle eines Fremden so einfach annehmen durfte, sah hilfesuchend zu Hadrir. ,, Tut was er sagt.“ , meinte er lediglich, bevor er und der Thane sich aus dem Weg auf den Saal machten. Der Leibwächter, den Kasran ihm zur Verfügung gestellt und er ebenfalls an der Tür gewartet hatte, machte Anstalten ihm zu folgen. ,, Ihr bleibt und stellt sicher, dass wir ungestört bleiben.“
Hadrir hatte eigentlich fest damit gerechnet, das Kasran oder der Mann protestieren würde. Soweit das einem Stummen eben möglich war. Doch der Wächter verbeugte sich nur und kehrte widerstandslos zu seinem Platz an der Pforte zurück. Auch wenn er auf ihn hörte, mit Kasran in der Nähe wollte er einen seiner Männer sicher nicht im Nacken haben…
,, Also was kann ich für euch tun ?“ , fragte Hadrir , als sie schließlich alleine am großen Tisch im Speisezimmer saßen. Der riesige Raum war für die Gesellschaft einer ganzen Adelsfamilie ausgelegt und nur mit ihnen beiden wirkte er… leer. Überdimensioniert. Hadrir hatte sich hier noch nie wohl gefühlt und sich jetzt Kasrans bohrendem Blick auszusetzen machte die Sache nicht besser. Der Thane antwortete nicht sofort, sondern goss sich lediglich etwas Wein ein, den der Diener soeben mit einer Kristall-Karaffe und Gläsern gebracht hatte. Auch Kasran wirkte müde, wie Hadrir feststellte. Dunkle Ringe hoben die schwachen, orange-rote Glut in seinen Augen, die Hadrir sich immer nur einzubilden meinte, noch mehr hervor. Es war irgendwie… erleichternd zu wissen dass auch dieser Mann Grenzen hatte. Sie beide waren mit ihren Reserven am Ende… aber sie waren zwei, die sich gegen den Ansturm aller Häuser stellten. Und selbst sie arbeiteten nur gezwungenermaßen zusammen.
,, Wenigstens ist der Wein aus Canton genauso gut wie der von den Aschestränden.“ , meinte Kasran, während er einen Schluck nahm und wohl darüber nachdachte, wie er beginnen sollte. Der uralte Zwerg musterte Hadrir trotz seiner Erschöpfung eindringlich. ,, Mir ist der den ich aus unserer Heimat mitgebracht habe, leider schon ausgegangen…“
Erinnere mich bloß nicht, dachte Hadrir. Der Mann hatte es tatsächlich fertig gebracht, den ohnehin beschränkten Platz auf den Schiffen für Fässer aufzuwenden, statt mehr Leute mitzunehmen.
,, Wir müssen etwas unternehmen Hadrir. Ihr und ich.“ , begann der Thane schließlich, den Grund seines hier seins zu erklären. ,, Sonst könnten sich diese Verhandlungen noch Monate hinziehen. Und wir beide wissen, dass wir diese Zeit nicht haben…“ Und nicht die Kraft, dachte Hadrir, auch wen Kasran es nicht offen aussprach.
,, Wir wissen ja nicht einmal, wer wirklich ein Prophetenanhänger ist und wer sich vielleicht umstimmen ließe.“ , erwiderte Hadrir müde. ,, Wir wissen beide, das ihr hier der Politiker seid, Hadrir. Nicht ich. Ihr habt immer alle Fäden in der Hand.“
,, Nicht diesmal Junge. Varans Anhänger wissen, dass ich meine Augen nach ihnen aufhalte. Niemand würde offen zugeben, dass sie noch immer seinen Idealen nachhängen. Und wie die aussehen haben wir alle erlebt, als euer Vater starb. Sie wollen kein Bündnis mit Canton. Sie wollen Canton. Und nicht Geschenkt. Mit jedem Tag der vergeht Treffen mehr von uns ein und jeden Tag wachsen die Unruhen und der Druck auf die Häuser. Geschieht nicht bald etwas… wird er sich Bahn brechen. Dann haben wir einen offenen krieg, Hadrir.“
,, Das ist mir klar aber… was schlagt ihr vor soll ich dagegen tun ?“
,, Wir wissen, dass zumindest die Häuser, die ihre Sitze einst in der Oststadt hatten dem Propheten einst loyal gegenüberstanden. Ich würde mit ihnen anfangen…“
,, Anfangen Kasran ? Womit ?“ Er fürchtete die Antwort zu kennen... und wollte sie nicht hören.
,, Ich habe… noch genug Einfluss um einige ihrer Thanen zum Rücktritt zu zwingen. Diese Männer haben teilweise Jahrhunderte als Führer ihres Hauses gedient. Sie jetzt zu verlieren würde die entsprechenden Familien ins Chaos stürzen und bis der Machtwechsel vollzogen ist… hätten wir freie Hand.“
,, Es gibt ein Wort dafür, Kasran. Man nennt es einen Umsturz. Allerdings einen von oben wie mir scheint…“
,, Nur für eine Weile.“
,, Und was ist mit jenen, die sich nicht von euch… Überzeugen lassen?“
,, Unfälle passieren.“ Der Thane lächelte entschuldigend. ,, Natürlich bräuchte ich für den Zweifelsfall eine königliche Absolution…“
,, Ihr redet von einer politischen Säuberung ?“
Das Entsetzen war ihm wohl deutlich anzuhören, den Kasran schüttelte sofort den Kopf. ,, Bitte seit jetzt nicht dumm Hadrir. Solange wir gegener auf allen Seiten haben werden wir nichts erreichen. Das hier ist die einzige Möglichkeit, die Dinge wieder unter Kontrolle zu bringen.“
,, Es muss einen anderen Weg geben.“ , hielt Hadrir dagegen.
,, Den zu versagen ? Ihr wisst was auf den Spiel steht, Hadrir…“
,, Und ihr würdet dafür über Leichen gehen…“ Der machtlose Zwergenkönig sank auf seinem Stuhl zurück und schloss einen Moment die Augen. Es wäre tatsächlich ein Ausweg, dachte er. Was Kasran vorschlug würde höchstwahrscheinlich Erfolg haben… Aber es würde auch bedeuten, dass er auch noch den Rest seiner Ehre vernichten würde. Der Thane würde ihn auslachen, aber das war so ziemlich das einzige, was ihm noch geblieben war.
,, Raus.“ , flüsterte er.
,, Hadrir seit vernünftig…“ Kasran war aufgestanden doch statt zu gehen kam er auf ihn zu.
,, Raus sagte ich !“ Wenn er Kasran erlaubte weiter zu sprechen könnte er ihn doch noch Überzeugen. Dieser Mann wusste, wie man jemanden auf seine Seite brachte. Das würde er nicht zulassen…
Hadrir war aufgesprungen und wies zur Tür. Als der ältere Zwerg sich immer noch nicht bewegte, griff er zum Schwert. Das Schaben des Stahls hallte einen Moment im Raum wieder.
,, Ihr habt mich gehört. Geht! Jetzt.“
,, Oder was ?“ Kasran lachte. ,, Ihr braucht mich… Ihr… Bevor er den Satz beenden konnte, schwang Hadrir das Schwert und Kasran machte einen Satz zurück und stolperte. Mit dem Ärmel seines Mantels riss er die Karaffe vom Tisch die Klirrend zerschellte, während sich die Klinge in das Holz grub. Einen Moment lang traf sich ihr Blick , der stolze Thane am Boden in einer Weinpfütze liegend und Hadrir über ihm, der wortlos das Schwert wieder aus dem Holz zog und es auf ihn richtete.
Mit düsterer Mine richtete Kasran sich wieder auf… und verließ den Raum fluchtartig. Erst jetzt, als er hörte, wie die Tür hinter ihm zuschlug merkte Hadrir, das seine Hand zitterte. Klirrend ließ er das Schwert fallen… Er hatte Grade vermutlich seinen einzigen Verbündeten verloren. Aber das war es ihm Wert gewesen. Er war kein König. Er war nicht Kasran… und er war auch nicht sein Vater. Er würde von seinem Amt nicht zerstören lassen, wer und was er war…
Der Raum in dem die Versammlung bestehend aus den Häusern der Zwerge und den Vertretern des Kaisers stattfand, war ein kreisrunder Saal in einem der Türme des Palastes. Früher hatte er einmal zu einem Tempel gehört, der wohl den Göttern der alten Kaiser geweiht gewesen war, heute jedoch war davon wenig geblieben. Simon Belfare oder auch einer seiner Nachfahren hatten das Gebäude beim Wiederaufbau der fliegenden Stadt schlicht in dem stetig mit dem Imperium wachsende Palast verschwinden lassen. Das einzige was noch daran erinnerte das dies einmal ein Ort der Anbetung gewesen war, waren die großen Buntglasfenster. Zwölf Figuren waren in das Glas eingelassen und auch wenn ihre Namen heute niemand mehr kannte, meinte Hadrir ein paar davon wiederzuerkennen. Besonders eine Gestalt mit weißem Bart, die in rote Roben gekleidet war. Der Herr des Feuers… Hatte man die Unsterblichen auch einst gekannt und hier verehrt? Wenn sein Volk einst aus Canton gekommen war, war die Vorstellung vielleicht gar nicht so unwahrscheinlich. Die fliegende Stadt beherbergte die Geschichte jedes Kaisers, der einmal in ihr geherrscht hatte. Bloß gab es manchmal wohl niemanden mehr, der sich daran erinnerte.
Namen, die einst mit Ehrfurcht geflüstert worden waren, auf immer verstummt... und doch war etwas davon immer noch in diesen Hallen zu spüren. Vielleicht hatte der Kaiser sie genau deshalb hierher eingeladen... Selbst die größten Aufwiegler unter den Häusern wagten es kaum, die Stimme weit zu heben, als fürchteten sie, damit alte Geister zu wecken. Und nach dem was Hadrir über die Magie Cantons wusste war das nicht einmal völlig ausgeschlossen.
Als der Zwerg an dem großen, runden Tisch in der Saalmitte Platz nahm, war außer ihm noch niemand hier. Frühes Morgenlicht sickerte durch die verbleiten Fenster herein und malte bunte Schatten auf das Holz und den mit weißem Marmor ausgelegten Boden. Der ungewollte König der Zwerge war froh, wenigstens einen Moment für sich zu haben, bevor erneut ein Tag aus fruchtlosen Besprechungen auf ihn wartete… und ohne Kasran, wer wusste schon, was heute geschehen mochte. So wenig er es zugeben wollte, er brauchte den Mann…
Als sich die Tür hinter ihm öffnete, erwartete er halb, den in rot gekleideten Thanen der Mardar zu erblicken. Stattdessen jedoch war es Quinn, in seinen türkisfarbenen und goldenen Roben. Seit der Kaiser selbst damit begonnen hatte, bei den Verhandlungen zu gegen zu sein, war der Meister des Sangius-Ordens nicht mehr bei allen Sitzungen dabei. Heute jedoch war sein Auftauchen für HAdrir ein kleines Wunder. Er mochte Kasran verloren haben… aber wenn es einen Mann gab, der dem Thanen immer noch die Stirn bieten konnte, dann Quinn. Das hatte er mehr als bewiesen und Hadrir war sich immer noch nicht sicher ob der Mann das Ganze nicht aus bloßer Schadenfreude inszeniert hatte. Und dann wieder fragte er sich ob er ihm eigentlich mehr trauen durfte als KAsran.
Der alte Magier setzte sich wortlos neben ihm, nickte ihm jedoch kurz zu und kurz darauf folgten ihm auch schon die ersten Vertreter der Häuser, allen voran Kasran. Der Zwerg warf Hadrir einen bösen Blick zu, ließ aber kein Wort über den Vorfall am Abend verlauten, sondern setzte sich ebenfalls schlicht hin. Allerdings mit einigen Abstand zu seinem König. Fast wäre Hadrir so weit gewesen, sich zumindest zu entschuldigen, aber da der Mann offenbar schon zeigen wollte, dass er sich von ihm distanzierte… dann sei es ebenso. Nur wie konnte er ohne den Einfluss des Thanen noch darauf hoffen, diese Verhandlungen irgendwie voran zu bringen?
Als letztes gesellte sich schließlich Kellvian Belfre zu ihnen. Der Kaiser hatte sich bisher nie in die Diskussionen unter den Zwergen eingemischt, aber wenn er das Wort an die Versammlung richtete, hatte Hadrir das Gefühl, das ihm auch wirklich alle zuhörten. Er wünschte, er könnte dasselbe von sich behaupten. Von dem was er über ihn gehört hatte, war Kellvian auch alles andere als der typische Herrscher, begannen die meisten Geschichten über ihn doch damit, dass er genau davor davongerannt war. Doch mit den Jahren war er wohl in das Amt hineingewachsen, ruhiger geworden. Für einen Menschen, der nur ein paar Jahrzehnte zu Leben hätte, war der Mann überraschend gesetzt. Mehr als sie alle schien es Hadrir manchmal. Er schien wirklich mehr wie ein Zwerg zu denken, ohne Eile, langfristiger… und dachten sie alle dann im Augenblick wie Menschen? Stritten sich wo es unangebracht war, blind für die Gefahr, die das in wenigen Monaten oder Jahren bedeuten mochte? Der Gedanke brachte ihn unwillkürlich zum Grinsen. Ausgerechnet die Menschen waren es, die ihm aufzeigten, was seinem Volk fehlte. Oder zumindest den Thanen der Häuser. Weitsicht..
Hinter Kellvian betrat noch jemand den Raum, eine Gestalt, die Hadrir bisher nur selten in den Fluren des Palastes gesehen hatte. Jiy Belfare hielt sich aus den täglichen Geschäften des Imperiums heraus, soweit sie konnte, hieß es. Auch wenn die Gejarn einst eine Armee gegen Andre de Immerson führte und währenddessen für fast ein Jahr die Geschicke des Kaiserreichs lenkte, hatte sie im Gegensatz zu ihrem Mann ihre Rolle wohl nie akzeptiert. In dem schlichten blauen Kleid das sie trug wirkte sie unter all den aufgeplusterten Thanen und Fürsten fast unscheinbar, dennoch trug sie den Kopf hoch, während sie sich neben Kellvian setzte und erwiderte den Blick der wartenden Zwerge ohne zu zögern. Vielleicht mochte sie sich aus der Regierung heraushalten, dachte Hadrir, aber sicher nicht, weil sie unfähig dazu wäre.
,, Wenn niemand etwas einzuwenden hat, würde ich vorschlagen wir machen dort weiter, wo wir aufgehört haben.“ , meinte der Kaiser ruhig. ,, Ich biete eurem Volk das Gebiet unterhalb von Erindal. Ihr hättet Zugang zum Meer und es gibt Berge, aus denen ihr selber Rohstoffe für eine eigene Stadt gewinnen könnt. Gleichzeitig gibt es in d er Region zwar nur wenige größere Siedlungen, aber dafür jede Menge kleiner Dörfer. Deren Bewohner wären leicht wo anders unterzubringen um euren Volk eine erste Bleibe zu schaffen, solltet ihr das wollen. Ansonsten würde ich die Garde anweisen euch genug Material heranzuschaffen um Unterkünfte für alle Zwerge zu errichten, die bisher hier angekommen sind. “
,, Ihr wollt uns eine Steppe andrehen.“ , begehrte einer der Anwesenden auf. ,, Ich habe die Karten studiert, Freunde. Dort unten gibt es nur Gras und ich wette die Berge sind seit Jahren ausgebeutet. Ihr wollt uns abschieben so sieht es aus…“
Hadrir war danach aufzuspringen und dem Mann eine Ohrfeige zu verpassen. Einen Moment versuchte er sich krampfhaft an seinen Namen zu erinnern. Das Symbol auf seinem Mantel war eine schwarze Sonne… Ein Dunkelschein, dachte er.
Es war ein Wunder, das Kellvian die ständigen Wiederworte so gelassen hinnahm. Hadrir jedenfalls fürchtete den Tag an dem dieser Mann einmal die Geduld verlor... und er hätte Mitleid mit jedem, der dieses Kunststück fertig brachte.
,, Ich möchte euch wirklich nicht zu nahe treten, Thane Dunkelschein. Aber wir können gerne einen Prospektor losschicken, der das beurteilt. Ich bin sicher, der Kaiser wird…“ Bevor Hadrir den Satz beenden konnte, schwangen die Türen des Saals erneut auf. Dieses Mal jedoch war es kein weiterer Thane oder Adeliger, der seinen Weg hierher gefunden hatte. Stattdessen traten vier Gardisten der kaiserlichen Leibgarde ein, die einen fünften Mann flankierten. Ein Wolf mit grauem Pelz der die Livree eines kaiserlichen Boten trug. Ein blauer Schulterumhang mit dem Wappen des Imperiums verbarg eine schwere Tasche aus weißem Leder, die normalerweise mit Briefen und Dokumenten überquellen würde. Diese Männer waren das Blut, das in den Adern des Reichs pochte und sorgten dafür, das Befehle und Nachrichten das gesamte Herrschaftsgebiet innerhalb weniger Wochen erreichten und viele von ihnen waren Gejarn. Schneller als Menschen und mit den Pfaden durch die Wälder ihrer Clans so vertraut, das man sie nur selten zu Gesicht bekam… und noch seltener je eine Nachricht abgefangen wurde. Dieser Mann jedoch trug nur einen einzigen Brief mit sich, den er nervös in der Hand hielt.
,, Herr, dieser Mann ist vor keiner Stunde am Palasttor aufgetaucht und behauptet, eine Nachricht für euch zu haben. Und nur euch persönlich.“ , erklärte einer der Gardisten. ,, Das Siegel darauf stammt von einem unserer Ringe ich habe es bereits überprüft…“
,, Von Syle. Das ist seine Schrift.“ , murmelte Kellvian mehr zu sich selbst als zu einem der Anwesenden, während er das Schreiben entgegennahm. Schweigend öffnete er den Brief mit einem Messer und begann zu lesen. Hadrir saß zu weit weg, als das er die Worte hätte erahnen können, doch die Mine des Kaisers sprach Bände. Er wurde langsam totenbleich...
,, Was neues von Janis ?“ , fragte Jiy und die Sorge in ihrer Stimme war unüberhörbar. Unsterbliche,
was war passiert ? Spätestens , als sich Kellvian langsam erhob und den Brief bei Seite legte wusste Hadrir, das sie ein Problem hatten...
,, Ich fürchte wir müssen diese Verhandlungen aufs erste verschieben.“ , erklärte der Kaiser überraschend gefasst.
,, Was ist passiert ?“ Hadrir war sich nicht sicher, ob er überhaupt fragen durfte, aber so bestürzt wie der Mann wirkte, war ihm die höfische Etikette grade ohnehin egal. Einen Moment bezweifelte der Zwerg jedoch, das der Kaiser der Menschen ihm antworten würde. Vielleicht wagte er auch nur nicht, offen zu sprechen, hier vor allem. Schließlich jedoch gab der Mann sich offenbar einen Ruck,
,, Syle, mein Hochgeneral, lässt mich wissen, das er die Spur der Männer aufgenommen hat, die Galren Lahaye attackiert haben. Wie sich herausgestellt hat, gehören sie zu einem Kult, der sich im Osten formiert hat...und ganz offenbar planen diese Männer einen bewaffneten Angriff auf das rote Tal. Wo sich in diesem Augenblick eine kaiserliche Expedition in Begleitung von Galren befindet. Syle und mein Sohne verfolgen diese Männer mittlerweile mithilfe der Garnisonstruppen aus Erindal, es scheint jedoch nicht sicher, ob sie sie rechtzeitig einholen werden. Und Quinn... Lucien ist Tod.“
,,Tod ?“ Der Großmeister des Sangius-Ordens schien auf seinem Platz in sich zusammen zu fallen. Hadrir war er, trotz der grauen Haare und der gebeugten Gestalt bisher nie wirklich... alt vorgekommen. Doch in diesem Moment schien er genau das zu sein... Nicht einer der mächtigsten Zauberer und Männer, die Canton je gesehen hatte, sondern schlicht... alt und müde.
Kellvian wendete sich unterdessen an den immer noch wartenden Boten. ,, Ich will, das ihr sofort aufbrecht. Sucht euch so viele zusätzliche Männer wie ihr braucht und sucht mir alle Gardisten zusammen, die ihr finden könnt. Sobald wir genug Männer haben, breche ich selbst zum roten Tal auf.“
,,Herr, das wird Wochen dauern.“ , bemerkte Quinn. ,, Die Schlacht wäre lange geschlagen, bevor wir auch nur aufbrechen könnten...“
,, Ich.“ , entgegnete Kellvian ruhig. ,, Ihr, mein alter Freund bleibt hier. Jemand muss die fliegende Stadt im Zweifelsfall halten.“ Und auf Jiy achten, dachte Hadrir bei sich, auch wenn der Kaiser es nicht aussprach. Der Mann war für ihn selten so durchschaubar gewesen wie in diesem Moment. Auch ihm war klar, das es viel zu lange dauern würde, genug Truppen zu sammeln. Das würde ihn allerdings nicht davon abhalten, auch ohne ausreichend Männer aufzubrechen, nicht ?
,, Mein Kaiser...wenn ihr mich anhören würdet...“ Hadrir hatte eine Idee, aber damit das funktionierte... er würde Kasran brauchen, dachte er. Wenn er auch nur den Hauch einer Chance haben wollte, die übrigen Thanene für diese Sache zu gewinnen, musste der Mardar ihm noch einmal helfen. ,, Ihr habt bei weitem nicht genug Männer und ihr werdet niemals rechtzeitig genug zusammen bekommen um eurem General oder eurem Sohn zur Hilfe zu eilen. Aber...Galren und die anderen sind auch meine Freunde. Die meisten meiner Männer sind bereits hier und jedes Haus hat mittlerweile über einhundert Kämpfer zu seiner Verfügung. Wir können sofort aufbrechen...“
Der Kaiser antwortete nicht, sondern schien gründlich über das Angebot nachzudenken. Im Saal war es totenstill geworden. Hadrir wusste, was er von Kellvian verlangte... Wenn die Zwerge nur mit den wenigen Gardisten der Leibgarde loszogen, dann läge das Leben von Janis in ihren Händen. Und ob Kellvian ihnen derartig vertrauen würde...
Einen Moment sah er zu Jiy. ,,Bringt sie mir nur alle sicher zurück.“ , meinte die Kaiserin leise. Und allen voran Janis, auch wenn es unausgesprochen blieb, in diesem Moment schien es Hadrir, als könnte er Gedanken ließen.
,, Warum glaubt ihr, König, sollten wir euch in den Tod folgen ?“ Kasran war aufgestanden und sah Hadrir herausfordernd an. ,, Das ist nicht unser Kampf. Nicht unser Land. Und noch weniger ist es eure alleinige Entscheidung...“
Er hätte damit rechnen müssen. Wenn Kasran eines war, dann stolz. Natürlich versuchte er ihn, ein Bein zu stellen. Aber der Thane war auch nicht so blind, wie die anderen. Ganz und gar nicht. Verstand er den nicht, das sie nicht länger einfach danebenstehen konnten, während sich die Dinge entwickelten ? Ob sie es wollten oder nicht, ihr Schicksal stand und fiel jetzt mit dem des Kaisers und seines Imperiums...
,,Weil ihr genau so gut wie ich wisst, das mir völlig egal ist, was ihr davon haltet. Und wenn mir nur ein Haus folgen will... dann sei es so. Ich werde trotzdem gehen, Kasran. Und dann könnt ihr euch einen neuen König suchen oder bei dem Versuch alle z umbringen !“ Und als er weitersprach fasste er nach wie vor einen der Anwesenden nach dem anderen ins Auge. ,, Ihr wolltet einen schwachen König. Nun ihr habt einen Fehler gemacht... ich bin nicht mein Vater. Und wer von euch noch einen Funken Ehr ein sich hat, wird mir folgen. Und für wen Ehre nicht genug ist... der wird vielleicht endlich einmal verstehen, das es so nicht weiter gehen wird. Unsere Art wird sich anpassen müssen oder wir werden alle zu Grunde gehen. Und ich für meinen Teil werde nicht dabei zusehen !“
Eine Weile war Schweigen alles, was ihm Antwortete. Kasran und er standen sich an unterschiedlichen Seiten des Tisches gegenüber und ihre Blicke trafen sich. So stur konnte er nicht sein, dachte Hadrir. Dieses eine mal brauchte er ihn noch. Nur dieses eine mal... Was danach kam war unwichtig.... Vielleicht würden sich die Zwerge nach der Schlacht so oder so um einen neuen König bemühen müssen. Aber er brauchte Kasran jetzt.
Schließlich sah der Thane weg und setzte sich langsam. ,, ich gebe zu, ich habe euch unterschätzt, Hadrir... Nun gut.. König. Ich werde euch folgen.“ Er hob langsam die Hand. ,, Wer noch ?“
Und zu seiner Überraschung hoben nach und nach fast jeder Vertreter seines Hauses den Arm. Lediglich zwei blieben stumm und regungslos sitzen und warfen ihm einen bösen Blick zu. Der Rest jedoch... Hatte er sie wirklich gewonnen ? Vielleicht nicht, dachte Hadrir. Vielleicht nur in diesem einen Moment. Und vielleicht würde ihre Begeisterung alsbald abklingen oder sie hofften nur, alles weiter zu verzögern oder das er sogar getötet werden würde... doch in diesem einen Moment hatte er sie alle.
Plötzlich nahm ein verwegener Plan in ihm Gestalt an. Wenn er damit Erfolg hätte, wäre er alle Sorgen auf einmal los. Aber wenn nicht, dann würden sich die Häuser sofort wieder gegen ihn wenden. So oder so... welche Wahl blieb ihm den ? Das hier war eine Chance diesen Patt zu brechen, die einzige, die er vielleicht je bekommen würde. Er wusste, was er zu tun hatte. Und er würde weder Quinn noch Kasran um Erlaubnis fragen.
,, Dann ist es entschieden.“ , schloss er und sah zu Kellvian. Es kam ein wenig darauf an, was der Mann als nächstes tun würde. Wenn er sofort aus dem Raum stürmte um mit den Vorbereitungen zu beginnen war sein Plan schon gescheitert...
,, Warum nur wollt ihr das tun ?“ Der Kaiser sah neugierig zu Hadrir. Vielleicht hatte er seinen Blick bemerkt... aber damit gab er dem König der Zwerge genau den Spielraum, den er brauchte.
,, Ganz einfach, Kaiser. Jede Hilfe hat ihren Preis. Wenn wir euch helfen einen Teil eures Landes zu verteidigen... dann wollen wir es danach für uns haben. Das rote Tal und die Gebiete darum gehören den Zwergen solltet ihr meine Hilfe annehmen.“ Und damit würde auch jede Diskussion darum was man ihnen Zusprach ihr ende finden, hoffte er. Und jetzt wo die übrigen Thanen sich so begeistert gegeben hatten... blieb ihnen nur zu ihrem Wort zu stehen. Und damit auch zu seiner Forderung. Wenn sie für den Kaiser in den krieg zogen würden sie ihr Land bekommen... Ob sie wollten oder nicht.
Die Erkenntnis traf manche Härter als andere. Besonders die zwei Thanen, die sich enthalten hatten sahen aus als wollten sie sich am Liebsten auf ihren König stürzen. Die anderen blieben nur starr und wie in Stein gemeißelt sitzen. Manche mochten sich Freuen, manche mochten unsicher sein... und dann gab es einige, die ihm genau so vernichtende Blicke zuwarfen wie eben die zwei Thanen. In diesem einen Moment wusste er, wer noch zum Propheten stand und wer nicht... Vielleicht wäre es wirklich besser er kehrte aus der Schlacht nicht zurück. Ansonsten würde seine Herrschaft wohl ohnehin nur noch von kurzer Dauer sein, das sah er ihnen an...
,,Gar nicht übel.“ , meinte Kasran, als langsam alle Aufstanden um aus der Halle zu gehen und ihre Männer vorzubereiten. ,, Vielleicht besteht ja doch noch so etwas wie Hoffnung für euch.“
Hadrir sah dem Thanen der Mardar nur kopfschüttelnd nach. Der Mann mochte ihn nicht leiden, aber er wusste auch, was sein König so eben getan hatte. Irgendwie hatte er in einem Augenblick fertig gebracht, woran der Mann Monatelang gescheitert war.
Keine zwei Tage später, war das Land um die fliegende Stadt kaum wiederzuerkennen. Hunderte von Zelten erstreckten sich über die Ebene. Viele davon gehörten zu dem stetigen Strom aus Handwerkern , Glücksrittern und Reisenden, die der Hauptstadt Cantons auf ihrem Weg folgten. Jetzt jedoch, wo diese zum ersten mal seit Jahren zur Ruhe gekommen war , hatte auch der stetige, langsame Marsch ein Ende gefunden. Über anderen Zelten jedoch, die sich etwas Abseits des Hauptlagers befanden, wehten die Banner der Zwergenhäuser. Hu8dnerte von Menschen und Zwergen schwärmten durch das Gewirr aus Seilen und hastig errichteten unterständen, führten Karren und Packpferde mit Vorräten hinter sich her, oder wiesen weitere Männer ein, die Pulver und Lebensmittel brachten. Der Aufbruch sollte schnell vonstatten gehen und so hatte keiner von ihnen in der letzten Zeit viel Schlaf bekommen... Doch der Aufwand schien sich zu lohnen, dachte Hadrir, während er einen kleinen Hügel zu einem dritten Lager hinaufstieg. Wenn nichts mehr dazwischen kam, wären sie am Nachmittag bereits Marschfertig.
Vor ihm erhoben sich mittlerweile Banner mit dem Doppelwappen Cantons , wo sich die kaiserliche Leibgarde formiert hatte. Zumindest der Teil, der seinen Kaiser auch begleiten würde. Kellvian hatte auch darauf bestanden ein kleines Kontingent Gardisten in der fliegenden Stadt zu belassen... als Schutztruppe für Quinn, der in seiner Abwesenheit als Statthalter fungieren würde. Irgendwie war Hadrir traurig, das der Mann sie nicht begleiten würde. Er mochte ihn und wichtiger... einen Magier an seiner Seite zu haben konnte im Zweifelsfall über Sieg oder Niederlage entscheiden. Zwar hatte der Ordensmeister ihnen eine Reihe Zauberer zur Verfügung gestellt, doch das halbe duzend Männer wirkten kaum so, wie er sich Zauberer vorgestellt hatte. Sie alle wirkten nur.. alt. Oder vielleicht wäre verfallen das richtige Wort, den wo ihre Körper gebeugt und verkümmert waren und ihr Haar ergraut, wirkten die Augen vieler noch so schrecklich... Jung. Natürlich hatte Hadrir bereits davon gehört, welchen Preis die Magie zuweilen von ihren Anwendern forderte, aber es derartig vor sich zu sehen war etwas anderes.
Graue Wolken bedeckten den Himmel so weit Hadrir sehen konnte, als er das Gardelager erreichte. Eine grobe Palisade umgab den innersten Ring aus Zelten, wo das Zelt des Kaisers stand. Zwei Gardisten warfen Hadrir einen kurzen Blick zu, ließen ihn jedoch passieren, als sie in ihm den König der Zwerge erkannten. Er hatte wieder seinen grünen Umhang ohne Wappen und die schwere , ornamentlose Panzerung angelegt, die er als Wächter in der Zwillingsstadt getragen hatte. Nur das sein Kopf nun von einem goldenen Reif gekrönt wurde. Das Metall wog für Hadrir nach wie vor schwerer, als seine gesamte Rüstung oder der Streithammer und das Schwert, das er mit sich führte.
Der Wind brachte Fahnen und Banner zum Flattern, doch zumindest waren sie bisher vom Regen verschont geblieben. Vielleicht hatten sie Glück und das Unwetter zog an ihnen vorbei. Ansonsten würde Kellvian nichts anderes übrig bleiben, als ihren Aufbruch doch noch zu verschieben. Hadrir hoffte, dass es nicht dazu kommen würde. Er hatte sich die Karten angesehen und die Reise zum roten Tal würde sie Wochen kosten… ob sie überhaupt rechtzeitig kämen um noch etwas auszurichten stand in den Sternen…
Vor dem Zelt des Kaisers, einem großen Aufbau aus hellblauem Stoff und schweren Stangen standen weitere Wachen, die den Zwerg jedoch ebenfalls wortlos passieren ließen. Vielleicht wunderten sich einige von ihnen, warum er ohne jede Eskorte unterwegs war… aber Hadrir hatte nie viel darauf gegeben und nach dem Zwischenfall mit Kasran war er ohne dessen Leibwächter vermutlich sogar sicherer.
Als er unter der Plane hindurch tauchte, die den Eingang des Zeltes bedeckte, konnte er von drinnen bereits Stimmen hören. Zuerst dachte er, es wären vermutlich nur einige Männer des Kaisers, doch als sich seine Augen an das Halbdunkel im Zeltinneren gewöhnten , musste er feststellen, das sich außer ihm nur zwei weitere Personen hier befanden. Die erste war Kellvian Belfare selbst. Kasran kannte den Kaiser bisher nur in seiner formellen Kleidung, in der er immer mehr wie ein Gelehrter gewirkt hatte. Doch in voller Rüstung verströmte selbst der sonst so gesetzte Mann etwas Gefährliches. Unter dem vergoldeten Brustharnisch den er trug lugte türkisfarbener Stoff hervor. Die Farben des Sangius-Ordens. Und in den Stahl getrieben prangte ein Wappen, das man sonst in Canton nur noch selten zu Gesicht bekommen würde. Die Wappentiere des Kaiserreichs, Adler und Löwe, umgaben einen stilisierten Tropfen. Das Symbol des Ordens und das des Kaiserreichs in einem… Schwere Stiefel die mit goldenen Insignien besetzt waren und mit Gold und türkisfarbenem Stoff überzogene Panzerhandschuhe vervollständigten die Ausrüstung. Es hieß, es war noch Simon Belfare selbst gewesen, der diese Rüstung einst trug und Hadrir war geneigt das zu glauben. Überall im Stoff, sowie kaum sichtbar ins Metall eingelassen, schimmerten mit Kristall ausgelegte Runen und Schutzzauber. Und auch wenn er nicht einmal das Gespür eines normalen Menschen für Magie hatte, Hadrir hatte das Gefühl, die Luft um die Gestalt des Kaisers herum flimmern zu sehen. So uralt sie auch waren die meisten der Zauber waren noch aktiv…
Kellvian selbst hatte sich über einen großen Kartentisch gebeugt, der eine ganze Ecke des Zelts einnahm und musterte die gezeichneten Hügel und Wälder mit gefurchter Stirn. Neben ihm am dunklen Holz der Tafel ruhte ein schweres Breitschwert, ebenfalls eine der uralten Relikte des Kaiserhauses. Das Schwert Simons… Doch wo die Zauber der Rüstung noch deutlich zu spüren waren, schien die Magie der Klinge, sofern sie je welche besessen hatte schon lange erloschen. Die in den Knauf eingelassenen Kristalle waren dunkel und stumpf und selbst das Gold wirkte irgendwie schmutzig.
Hadrirs Blick wanderte weg von Kellvian zum zweiten Gast des Kaisers. Eigentlich hätte er damit rechnen können, dachte er, als er Kasran erblickte. Der Thane der Mardar stand auf seinen Rubinstab gestützt da und schenkte seinem König nicht mehr Aufmerksamkeit, als wenn grade ein Diener das Zelt betreten hätte.
,, Was sucht ihr hier ?“ , verlangte Hadrir sofort zu wissen. Es fehlte ihm grade noch, das Kasran sich weiter einmischte, jetzt wo er endlich einmal zumindest einen kleinen Sieg errungen hatte.
,, Verzeiht, er ist auf meinen Wunsch hier.“ Kellvian wendete sich von den Karten ab und trat mit einem müden Lächeln auf Hadrir zu. ,, Ich dachte er sei euer Berater, König Hadrir ?“
Der Kaiser strich sich durch das langsam ergrauende Haar und sah sorgenvoll zwischen Thane und König hin und her.
,, Ich habe dem Kaiser lediglich erläutert, das ich euren Vorschlag unterstützen werde.“ , erklärte Kasran ruhig. ,, Allerdings… das Land derart zu gewinnen… Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, Hadrir. Das ihr die Häuser dabei allerdings derart übergeht, werden sie euch nur schwer verzeihen. Ihr habt euch in eine gefährliche Position begeben.“
,, Nicht gefährlicher als die Schlacht die vor uns liegt.“ , meinte Hadrir und versuchte dabei zuversichtlicher zu klingen, als er sich fühlte. Ihm ar durchaus klar, was der alte Zwerg ihm damit sagen wollte. Wenn er nicht aufpasste, würde er eines Morgens nicht mehr aufwachen. Die Zahl seiner Feinde hatte sich beträchtlich vermehrt. Und ob Kasran nicht einer davon war, würde sich erst noch zeigen müssen. Der Thane machte eine angedeutete Verbeugung und trat dann an Hadrir vorbei aus dem Zelt.
,, Manchmal weiß ich nicht ob er mir einen Gefallen tun oder mich Tod sehen will.“ , seufzte Hadrir.
,, Vielleicht beides.“ Hadrir wusste nicht, was er von dieser Antwort halten sollte.
,, Ihr wolltet mich sprechen ?“
Der Kaiser nickte ,,Ich glaube ihr habt euer Volk gut unter Kontrolle. Soweit das eben möglich ist. Euer Thane war so freundlich mir eure Situation zu erläutern… Ihr sitzt in einer ziemlichen Zwickmühle, Hadrir. Aber ihr meistert das erstaunlich gut.“
Das Lob überraschte Hadrir und zu seiner Überraschung fühlte er sich tatsächlich besser. Nicht viel… aber etwas.
,, Ich bin eine wandelnde Katastrophe, Herr. Ich hätte nie König werden dürfen… und wollte es auch nie. Wenn ihr mit Kasran gesprochen habt, sollte euch so viel klar sein. Ich kann wenn es zu einer Schlacht kommt für die Loyalität meiner Leute bürgen. Was den Rest angeht… Bin ich verloren. Ihr meint ich hätte die Sache unter Kontrolle? Ich fürchte ihr könntet euch nicht mehr irren. Ich bin für die Thanen nur eine Schachfigur. Ich will nur mein Leben zurück.“
,, So so.“ Kellvian grinste, als gäbe es irgendwo einen Witz, den Hadrir nicht Verstand. Doch anstatt sich zu erklären, setzte er sich lediglich an einen kleinen Tisch an der Rückwand des Zelts und bedeutete dem Zwerg sich ihm gegenüber niederzulassen. ,, Wisst ihr ihr erinnert mich an jemanden. Lasst mich euch eine Geschichte erzählen, wenn ihr erlaubt…“
Hadrir zuckte lediglich mit den Schultern. Was sollte ihm eine Geschichte schon bringen? Andererseits ersparte es ihm, das Zelt zu verlassen. Kasran würde bestimmt draußen schon auf ihn warten… um ihn mit Vorwürfen und Vorschlägen zu bombardieren, da war er sich sicher.
,, Ich kannte einmal einen naiven jungen Mann, der der Meinung war, vor seinen Aufgaben davon laufen zu können. Vor der Verantwortung für seine Taten, den Opfern die es von der Seele verlangt… und den Zwang den die Geburt mit sich bringen kann. Am Ende hat es ihm nichts genützt, wisst ihr? Dennoch sollte es viele Jahre dauern, bis er verstand und erkannte, dass man sich seinem Schicksal nur stellen kann. Wir können die Aufgaben die uns zugedacht sind nicht immer mit unserem Leben in Einklang bringen… Und die Entscheidungen sind nicht immer bequem. Das macht sie jedoch nicht weniger wichtig. Ihnen nicht zu folgen, Entscheidungen einfach nicht zu treffen, würde bedeuten, alles dem Chaos anheimfallen zu lassen, für das andere so hart und lange gekämpft haben. Wie gesagt, es dauerte lange, bis er erkannte, dass er seine Rolle spielen musste. Und trotzdem fragt er sich bis heute, ob es wirklich die richtige Entscheidung war. Ob er nicht auch hätte fortbleiben können. Andererseits… wer weiß schon was sonst aus Jiy und mir geworden wäre. Auch die Zweifel gehören wohl dazu…“
,, Der Junge… das wart ihr ?“ Hadrir versuchte sich den Kaiser als jungen Mann vorzustellen, als jemanden der, seinen eigenen Worten nach, offenbar das genaue Gegenteil von dem Menschen war, dem er sich hier gegenüber fand. Es gelang ihm nicht. Alles, was er sah war Kellvian Belfare wie er heute war. Gelassen aber ernst dabei jedoch nie kalt oder Abweisend. Ein Herrscher, der von seinen Leuten geliebt wurde… Das genaue Gegenteil von ihm selbst.
Kellvian lachte, als er Hadrirs skeptische Mine sah. Ein leiser, aber ansteckender Laut, der selbst die Laune des Zwergs wieder etwas hob.
,, Glaubt ihr wirklich, es gäbe Menschen, die zum Herrschen geboren währen ? Ich war ein naiver Narr, Hadrir. Und ein Teil von mir möchte es auch immer noch sein. Und ich bereue es auch nicht. Ohne das hätte ich Jiy nie kennen gelernt… Aber ich fürchte auch nicht, wer ich sein kann und muss. War tut ihr es ?“
,, Ich bin kein Herrscher.“ , erklärte der Zwerg vehement.
,, Und genau das sehe ich anders. Was habt ihr den getan, als ihr euch der Versammlung gestellt habt? Als ihr sie überzeugt habt euch zu folgen? Als ihr ohne zu zögern ein Land für euer Volk herausgehandelt habt? Und was habt ihr anderes getan, als ihr Kasrans Einfluss mit Quinns Unterstützung gebrochen habt? Ihr fürchtete euch davor ein Herrscher zu sein, Hadrir. Das ist nicht dasselbe, wie es nicht sein zu können.“
Und vielleicht hatte Kellvian damit sogar Recht, dachte der Zwerg. Er fürchtete sich. Davor zu Enden wie sein Vater. Davor wie Kasran zu werden. Aber zwang ihm jemand dazu? Sein Vater hatte zu wenig geherrscht, dachte er mit ungewohnter Klarheit. Vielleicht hatte auch er sich gefürchtet. Und Kasran ? Kasran hatte keine Skrupel. Er war das andere Extrem. Ein Mann, der so verwachsen mit der Macht war, das er den Blick auf das wesentliche darüber beinahe verlor. Aber vielleicht gab es einen Mittelweg. Er konnte nicht danebenstehen und zusehen. Aber er konnte auch nicht zulassen, das ihn die Wogen der Politik der Häuser zermalmte…
Bevor er noch länger darüber nachdenken konnte, schwang die Zeltplane erneut bei Seite. Er rechnete schon halb damit, das Kasran zurückkommen würde. Doch stattdessen stand eine in ein einfaches, grünes Kleid gekleidete Gestalt in der Tür. Hadrir hatte nicht damit gerechnet, die Kaiserin außerhalb der Stadt zu sehen. Die grünen Augen der Schneeleopardin schienen einen Moment heller zu glimmen, als sie Kellvian erblickte. Und dieser schloss die Gejarn ohne zu zögern in die Arme. Einen Moment kam Hadrir sich schlicht fehl am Platz vor und wollte sich am liebsten aus dem Zelt stehlen. Kellvians ganze Art schien sich zu ändern, sobald er seine Frau sah. Die Züge, die immer so ruhig und gelassen wirkten wurden zu einem Grinsen und für einen Moment schien es Hadrir, stand dort wirklich der junge Mann, der er einmal gewesen war. Manchmal gab es wohl doch Momente, in denen man sich erlauben durfte, man selbst zu sein. Ob nun Herrscher oder nicht.
,, Bitte zwing mich nicht dir zu sagen, warum du nicht mitkommen kannst.“ , flüsterte Kellvian und strich ihr einen Moment durchs Haar. ,, Ich brauche jemanden hier, das weißt du. Auch jemand der alles regelt falls…“
Er beendete den Satz nicht und Jiy nickte lediglich stumm. Falls er nicht zurückkehrte. Ihre Lippen fanden sich zu einem tiefen Kuss. ,, Komm mir nur gesund zurück… und bring Janis und Syle mit…“
,, Genau das habe ich vor…“
Naria schreckte aus dem Schlaf hoch, als sie den Klang der Trompeten hörte. Einen Moment wusste sie nicht so sie sich befand. In ihrem Kopf drehte sich noch alles und die Mauern um sie herum wirkten unvertraut… Das war nicht ihr kleines Haus auf Maras und es dauerte, bis ihr klar wurde, dass das lange zurück lag. Sie hatte ihre Heimat nun bereits vor über drei Monaten zurück gelassen. Und in den letzten Tagen hatte sie mehr und mehr begonnen, sich danach zurück zu sehnen. Vielleicht nicht nur, weil Sine ihr nach wie vor auswich… aber Träumers Warnungen jagten ihr Schauer über den Rücken. Und die Alpträume die sie und die anderen seit einige Tagen plagten machten selbst das schlafen unangenehm und selbst sämtliche Schlafmittel die sie kannten trugen kaum dazu bei ihre Intensität abzuschwächen. Naria hatte schon vermutet, dass Träumer oder einer seiner Leute sie vielleicht Verzaubert hatte, doch wann immer sie nach einem Anzeichen dafür suchte, war da schlicht nichts. Vielleicht waren es also wirklich nur Alpträume. Visionen, von einem Mann in rot, der durch eine zerstörte statt Schritt. Oder watete, denn die Straßen flossen über vor Blut. Blut das die Grundmauern der Ruinen überspülte und sich in kleinen Teichen sammelte und wenn sie den Blick zum Himmel richtete um dem Anblick zu entkommen sah sie eine rote Sonne, in deren Licht die eingerissenen Mauern der inneren Stadt schimmerten… Und dann drehte der Mann sich zu ihr um und statt eines Gesichts schimmerte nur der Abdruck einer dreifingrigen Hand inmitten von Schwärze.
Wie sich herausstellte war sie nicht die einzige, die von unruhigen Träumen geplagt wurde. Selbst Wys beschwerte sich immer wieder darüber, dass er keine Ruhe fand und auch die übrigen Archonten wirkten zunehmend Müder. Die ganze Stadt war erschöpft, dachte Naria, als sie eines Tages durch die Straßen ging.
Als sie Träumer danach fragte, erwiderte dieser nur, das sein Herr mittlerweile nahe genug sei, das jeder seine Ankunft spüren könnte. Doch auch wenn dem so war, war nach wie vor nichts von ihm zu sehen, dachte Naria. Wys hatte bereits Späher in das Umland von Heike ausgesandt, doch außer einigen Händlern und unauffälligen Reisenden hatten sie niemanden gefunden. Und so hatte sie schon begonnen sich zu fragen, ob das alles nicht Träumers Art war, sie für seine Sache gewinnen zu wollen. Der Mann wollte keinen offenen Kampf, das war klar. Aber langsam zermürben konnte er sie schon, mit seinen ständigen düsteren Warnungen.
Das war jedoch, bevor sie an diesem Morgen aufwachte und den Lärm hörte. Fanfaren schallten aus der Unterstadt bis zu ihrem Zimmer im Archontenturm herauf. Ein ohrenbetäubender Lärm der sie noch unsanfter als sonst aus dem Schlaf riss.
Es dauerte nicht lange und sie stand mit Wys, Sine, Träumer und den übrigen Archonten an der Mauer der inneren Stadt und spähte hinab nach Helike, wo die Trompeten nach wie vor nicht verstummt waren. Wenn die Archonten nicht genau so verwirrt währen wie sie selbst, würde sie beinahe vermuten, dort unten fände ein Fest statt. Die Sonne gign grade erst über der Stadt auf und tauchte alles in einen orang-orten Glanz und jenseits der Mauern schien der Horizont selbst in Flammen zu stehen
Die ganze Stadt war auf den Beinen, soweit sie das sehen konnte. Männer , Frauen und Kinder reihten sich die Straßen entlang auf, zusammen mit Paladinen und Stadtwachen… Doch trotz der Musik, den Fanfarenstößen und allem schienen die Leute ernst und wie erstarrt. Geister, was war hier nur los?
Wys, der ein Fernglas in der Hand hielt, schüttelte lediglich den Kopf. Ihr Onkel hatte den Blick zum Tor gerichtet. Langsam reichte er das Glas an Naria weiter. ,, Seht euch das an…“
Am großen Haupttor Helikes hatten sich scheinbar noch mehr Menschen versammelt als in den umliegenden Straßen. Hunderte standen dicht an dicht um den Platz vor den großen Holzportal herum , saßen auf den Dächern der anliegenden Häuser oder hatten sogar die Mauern erklommen. Wegen der Ausgangssperren war das Tor noch geschlossen und wäre eigentlich erst von der Stadtwache geöffnet worden, doch heute machten sich die Bürger Helikes anscheinend selbst daran. Die Posten, die den Durchgang eigentlich bewachen sollten, halfen ihnen entweder, oder ließen die Menge einfach gewähren. Naria konnte es nur ihrem Onkel gleichtun und mit dem Kopf schütteln. Warum wollten diese Leute alle zum Tor hinaus? Und dann entdeckte sie zum ersten Mal eine jener Gestalten, deren Anwesenheit sie bereits befürchtet hatte. In der Menge standen mindestens zwei Dutzend Männer in den braunen Roben der Ordnungs-Prediger. Und plötzlich beschlich Naria ein grauenhaftes Gefühl. Sie ließ das Fernglas sinken und sah zu Träumer , der die Arme auf die Brüstung der Mauer gestützt hatte und selber geradezu erschrocken dreinsah.“
,, Zu früh.“ , murmelte er entsetzt. ,, Viel zu früh…“
Als Naria das Fernglas wieder hob, bekam sie grade noch mit wie ein dutzend Stadtbewohner die großen Sperren entfernten und die Torflügel langsam aufzogen. Staub und Sand wirbelten auf, als das Tor schließlich einrastete und einen Blick auf das freigab, was auch immer davor warten mochte. Durch den aufgewirbelten Dunst konnte die Gejarn zuerst nicht viel erkennen, außer den Umrissen eines Mannes auf einem Pferd. Er war alleine, dennoch hieße die Leute ihn willkommen wie einen König mitsamt Gefolge. Schon als das Pferd den ersten Schritt über die Torschwelle machte warfen die ersten Rosenblätter von den Mauern die um ihn herum zu Boden fielen wie rosa Schnee. Er trug ein Wams, das durch den Fellbesatz viel zu warm für diese Gegend wirkte und in das dutzende von goldenen Ketten gehackt waren. Wie ein seltsamer, schimmernder Mantel klirrten sie bei jedem Schritt des Pferds und wenn sich die Sonne in einen der darin eingelassenen Rubine spiegelte, wirkte es fast, als würde sich ein Auge auftun. Das Gesicht das von rotbraunen Haaren umrahmt wurde, schien kein festlegbares Alter zu haben war der einzige Makel darauf doch, eine große Narbe, die sich von Hals und Kinn quer über das Gesicht des Mannes zog. Und im Gegensatz zur ungesund bleichen Haut des Fremden war die Narbe tiefrot, wie eine frische Verbrennung. Eine Verbrennung die beinahe aussah, als hätte dem Mann jemand eine dreifingrige Hand aufs Gesicht gelegt…. Unwillkürlich musste Naria sofort an ihren Traum zurück denken. Den gesichtslosen Fremden in den Ruinen Helikes…
Mit einem eleganten Satz war der Mann vom Rücken des Pferds herunter und stützte sich auf den Griff einer schweren Sense. Die Rosenblätter, die seine bloßen Füße berührten verfärbten sich von ihren ursprünglichen zartrosa zu strahlendem Rot, so dass es bald so aussah, als würde der Mann blutige Fußabdrücke hinterlassen, wo immer er hinging. Und die Menge folgte ihm, als er wortlos in Richtung innere Stadt deutete. Genau auf Naria und die wartenden Archonten, da war die Gejarn sich fast sicher… Auch wenn er langsam ging, brodelte die Menge hinter ihm und die Prediger, die sich am Rand der Masse hielten schienen den Aufruhr nur noch mehr anzustacheln. Der Fremde selbst jedoch hatte bisher kein Wort gesprochen soweit Naria das beurteilen konnte. Stattdessen führte er sie einfach durch die Straßen immer weiter in Richtung der Rampe, die zum Tor der inneren Stadt hinauf führte. Das war nicht gut, dachte sie.
Wys und die übrigen Archonten hatte offenbar ebenfalls erkannt, was die Leute vorhatten.
,, Stellt sicher, das alle unsere Leute sich innerhalb der Mauern befinden Und dann verriegelt die Tore. Ich will nicht gegen mein eigenes Volk kämpfen müssen. Sollen sie sich doch an den Mauern die Zähne ausbeißen Aber niemand kommt in die innere Stadt.“ , befahl Larth einem der Paladine, die sich inzwischen zu ihnen gesellt hatten. So skeptisch, wie die Männer auf das Schauspiel hinab sahen, konnten sie sich wohl sicher sein, das sie nicht zum Herrn der Ordnung gehörten.
Wys jedoch wurde plötzlich bleich, während die ersten Paladine bereits die Mauerntreppe hinab in Richtung Tor verschwanden. ,, Wo ist Tira ?“ , fragte er und sah sich hektisch um.
Die Archontin war nirgendwo zu sehen. Und Naria war ihr auch nicht bei ihrem Weg aus dem Turm begegnet… Bis grade eben hatte sie sich darüber noch keine Gedanken gemacht, aber wenn sie da draußen wäre…
,, Ich…“ Helios räusperte sich. ,, Ich glaube sie wollte heute früh bereits in die Stadt.“
,, Laos, nein…“ Einen Moment war ihr Onkel wie erstarrt und schien nicht zu wissen, was er tun sollte.,, Ich gehe sie suchen.“ , erklärte er schließlich und wollte sich bereits an den anderen Archonten und an ihr vorbei drängen.
,, Wys…“ Naria legte ihm eine Hand auf die Schulter. Geister, am liebsten würde sie ihn gehen lassen. Aber wenn einer von ihnen jetzt da hinausgehen würde… gäbe es keine Garantie, dass er auch wieder zurückkam. Nur interessierte das ihren Onkel im Augenblick herzlich wenig. Wys musste etwas anderes hören… ,, Wenn wir jetzt die Tore wieder öffnen, riskieren wir das Leben aller hier damit.“
Sie alle konnten hören, wie der große Gejarn mit den Zähnen knirschte und wie sich seine Hände zu Fäusten schlossen. Schließlich jedoch nickte er langsam. Tira musste fürs erste auf sich selbst achten…
Unten in den Straßen hatte der Mann mit der roten Narbe im Gesicht mittlerweile zum ersten Mal angehalten. Die Menge die ihm folgte, füllte die Straßen bis zum Bersten und einige kletterten sogar über die nahe beieinander liegenden Häuserdächer der Unterstadt um einen besseren Blick zu haben. Noch immer zog sich eine Spur aus roten und rosafarbenen Rosen hinter und vor ihm her. Auch wenn Naria nicht hören konnte, was er sagte, seine Wirkung auf die Leute verfehlte es offenbar nicht. Manche jubelten und reckten die Fäuste zum Himmel, während wieder andere vor dem fremden Mann zu Boden sanken, wie um ihm die Füße zu küssen. Dann hob er eine Hand in Richtung Horizont, wo die Sonne grade erst vollständig aufgetaucht war und plötzlich begann es, dunkel zu werden. Und kalt…. Ein Naria beinahe vertrautes Gefühl. Es war das gleiche, wie in ein leeres Gesicht zu starren…
Naria sah wie selbst die Leute die ihrem vermeintlichen Erlöser am nächsten standen plötzlich zurückwichen, während die Sonne langsam begann dunkler zu werden. Ein gewaltiger Schatten schien sich langsam davor zu schieben und lies bald nur noch diffuses Zwielicht hindurch, das Helike einhüllte, als wollte die Nacht erneut hereinbrechen. Eine Sonnenfinsternis…
Naria trat langsam von den Zinnen zurück und sah ungläubig zur Sonne hinauf, die nun fast schon zur Hälfte von den Schatten verschlungen worden war. Das war nicht Möglich das… Dieser Mann bewegte irgendwie den Mond. Kein Zauber konnte den Mond bewegen, er war viel zu groß. Und dennoch schien es den Fremden kaum Anstrengung zu kosten.
Sie kam sich töricht vor, als sie versuchte dagegen anzugehen nur um sofort zu merken, wie ihre Kräfte schwanden.. ohne das der wandernde Schatten sich davon groß hätte beeindrucken lassen. Und dann verschwanden auch die letzten goldenen Strahlen von Himmel und ließen Helike endgültig im Halbdunkel zurück, während sich die Menge wieder in Bewegung setzte.
Naria spürte, wie Sine zögerlich ihre Hand nahm. Das Mädchen zitterte sichtlich und Naria fragte nicht, was sie wollte, sie drückte nur kurz ihre Hand. Es war eine rein freundschaftliche Geste und das Mädchen mochte nur Schutz suchen… aber immerhin schien zwischen ihnen alles wieder in Ordnung zu sein. Wenn sie ihr nur etwas Mut und Trost spenden konnte sollte ihr das recht sein. Träumer schien dazu jedenfalls nicht in der Lage. Der Mann stand nur wie versteinert am Rand der Mauer und sah zur schwarzen Sonne empor, als könnte selbst er nicht fassen, was sein Meister soeben getan hatte…
,, Ich…“ Sine räusperte sich, als wüsste sie nicht, was sie sagen sollte. ,, Ich weiß was ihr empfindet, Naria. Aber… Es ist schlicht nicht dasselbe für mich.“
,, Ich weiß.“ Naria zwang sich zu einem habherzigen Lächeln und wollte ihre Hand loslassen, die Whaid hielt sie jedoch weiter fest. ,, Ich habe euch und Träumer gesehen…“
Wenigstens war das raus, dachte die Gejarn. Auch wenn es ihnen nicht mehr viel brachte, das war vielleicht wirklich ihre letzte Gelegenheit sich auszusprechen.
,, Was ?“
,, Es ist in Ordnung für mich, Sine. Wirklich…“ Und hoffentlich war es das auch für ihn, dachte sie. Was der Mann tun würde, jetzt wo alles auf der Kippe stand wusste niemand. ,, Tut mir nur einen gefallen… achtet darauf, das er heute nichts dummes Macht.“
,, Ich glaube er meint es gut.“
,, Ich auch… das heißt aber noch lange nicht, das es seinem Herrn genau so geht…“
Der Zug des roten Heiligen kam am Fuß der großen Rampe zu einem jähen Halt. Naria hatte eigentlich damit gerechnet, dass der Mann seine Anhänger direkt zum Tor der inneren Stadt führen würde nun jedoch bedeutete er ihnen mit einer knappen Geste, langsamer zu werden. Auch der Regen aus Rosen und die gemurmelten Bekundungen, die ihn auf seinem Weg begleitet hatten verstummten langsam. Die Leute verteilten sich erneut in einem großen Halbkreis oder suchten in den Straßen oder auf den Dächern Zuflucht, während der Fremde, der die Sonne gelöscht hatte, vortrat.
Obwohl die Entfernung nach wie vor weiter war, als ein Pfeil fliegen würde, konnten sie seine Stimme klar und deutlich verstehen. Und seine Augen fanden die Archonten auf ihrem kleinen Winkel der Mauer sofort. Und genau so musste er auch Träumer entdecken, der immer noch wie erstarrt an den Zinnen stand. Naria hatte keine Ahnung was in dem Mann vorgehen mochte. Er hatte sie so oft vor seinem Meister gewarnt und nun schien es, wo er endlich eingetroffen war, wusste er nicht was er tun sollte, ja die Ankunft schien Träumer ebenfalls überrascht zu haben.
,, Öffnet mir das Tor, mein treuer Diener.“ Träumer zuckte sichtlich zusammen und auch Naria schauderte. Seine Stimme war seltsam. Nicht sanft und leise wie die Träumers, sondern mehr wie ein Messer… das melodische Klingen von Stahl, das seinen Weg in die Herzen fand. Einen Moment wurde es still auf dem Platz vor der Mauer und auch die Archonten gaben keinen Ton von sich. Alle Augen ruhten auf Träumer. Naria sah, wie Larth die Hand auf den Schwertgriff legte um notfalls einzugreifen. Nicht das er eine Chance haben würde, sollte dieser Mann sich gegen sie stellen. Langsam trat Träumer vor und beugte sich über die Zinnen herab… und schüttelte den Kopf.
,, Nein. Ihr habt mir mehr Zeit versprochen, Herr. Ihr seid zu früh. Das ist nicht, was ausgemacht war.“
,, Oh wirklich ? Die Vorbereitungen unseres Herrn stehen kurz vor ihrer Vollendung… ihr habt keine Zeit mehr, Träumer. Keiner von uns hat das. Aber wenn ihr mir die Türen nicht öffnet… vielleicht lassen sich die Archonten davon überzeugen mich einzulassen?“ Er wendete sich an die Gestalten in ihren weißen Umhängen. ,, Heißt ihr euren wahren Herrn willkommen?“
,, Ich wüsste nicht, welcher das sein sollte.“ , rief Larth zurück, ehe ihn jemand daran hindern konnte. ,, Helike gehört Laos Volk.“
,, Laos…“ Der fremde klang geradezu amüsiert, während er die Archonten einen nach dem anderen musterte. ,, Alles was ich verlange ist, das ihr diese Stadt übergebt. Seht euch um, euer eigenes Volk wünscht es so… Die einzigen, die sich hier noch gegen mich stellen, seid ihr…“
,, Und wie viele davon habt ihr mit falschen Versprechungen auf eure Seite gezogen ?“ , rief Naria zurück. Sie musste nur daran denken, wie entsetzt Träumer reagiert hatte, als er erfuhr, was sich Nachts in Helike auf die Jagd begeben hatte. ,, Ihr habt diese Leute mit Angst geködert.“ Und bei weitem nicht alle waren bereit ihm zu folgen. Um das zu wissen musste sie nur in Richtung Hafen sehen, wo bereits die ersten Schiffe ablegten und sich fast genauso viele Menschen zusammengerottet hatten wie vor den Toren der inneren Stadt.
,, Angst nennt ihr es nun also, den Menschen Hoffnung zu geben ?“ Falsche Hoffnung, dachte Naria. Hoffnung, die seine eigenen Anhänger erst nötig machten. ,, Ich verlange wirklich nicht viel… aber dennoch braucht es anscheinend einen Anreiz für euch…“
Nach wie vor war das Land um die Stadt in Zwielicht getaucht. Nur wenige Sonnenstrahlen fanden ihren Weg an dem Schatten vorbei, der den Himmel verdunkelte und im Halbdunkel leuchteten die Augen von Träumers Meister so rot, wie die Narbe auf seinem Gesicht. Ein kaum sichtbares Lächeln huschte über seine Züge, das Naria einen Schauer über den Rücken jagte. Hinter seinem fast freundlichen Tonfall verbarg sich Grausamkeit.. und ein Zorn, den sie sich nicht erklären konnte. Weder Wys noch die anderen schienen den Mann zu kennen. Was trieb ihn also bloß hierzu? Ging es am Ende gar nicht um Helike… sondern etwas völlig anderes?
Während sie noch darüber nachdachte, gab der Mann ein Zeichen, woraufhin sich die Menge teilte. Zwei Gestalten , die in braune Roben gekleidet waren, führten eine dritte in ihrer Mitte. Mit einem Stoß stolperte diese auf den Platz vor der Rampe hinaus und sa sich einen Moment um.
Tira… Naria wurde kalt, als sie erkannte, wen diese Männer da in ihre Gewalt gebracht hatten. Die Archontin sah ziemlich mitgenommen aus. Das weiße Kleid war zerrissen und aus einer Platzwunde an ihrer Stirn tropfte Blut. Und obwohl ihre Hände zusammen gebunden waren und auch ihren Füßen kaum genug Platz um Laufen blieb, strauchelte sie nicht, als sie langsam vortrat. Die Menge johlte, während die Archontin langsam zur Mauer empor blickte und ihr Blick sich mit dem von Wys traf. Naria wollte sich nicht einmal vorstellen, was in ihm vorging, als der rote Heilige achtlos an ihr vorbeiging und ihr einen Tritt in die Kniekehlen versetzte. Die Frau ging mit einem leisen ächzen zu Boden, während sich der scharfe Stahl der Sense an ihren Hals legte.
Wys hatte sie suchen wollen. Sie hätten sie suchen sollen… Wie hatte das geschehen können? , fragte Naria sich. Und wie hatte alles nur so schnell außer Kontrolle geraten können?
,,Hört auf !“ Es war nicht etwa Narias Onkel, der als erstes seine Stimme wiederfand, sondern Träumer. ,, Das ist nicht nötig. Bitte…“
,, Ist es das nicht ? Wir haben eine Welt zu bekehren und unser Herr wartete auf niemanden. Nun werdet ihr mir die Tore öffnen, Archonten? Ansonsten wird es euch vielleicht leichter fallen wenn einer weniger die Entscheidung treffen muss.“
Die Sense lag nach wie vor an Tiras Hals. Der Stahl schimmerte gefährlich. Statt Stille skandierte die Menge mittlerweile die Forderungen ihres Meisters. ,, Die Tore öffnen ! Die Tore öffnen…“
Wys Hände verkrampften sich, während weder Larth noch Helios einen Ton heraus brachten. Das da unten war eine von ihnen… aber Aufgeben, kam das für diese beide überhaupt in Frage? Naria hoffte es. Das war es nicht mehr wert, dachte sie. Sie würde nicht mit ansehen, wie dieser Mann jemanden hinrichtete. Er hatte doch mehr als bewiesen, dass die Tore und Mauern Helikes für ihn kaum ein Hindernis sein konnten. Warum bestand er dann so vehement darauf, dass die Archonten sich aus freien Stücken auslieferten? Die Antwort war so simpel, wie erschreckend. Weil er es genoss. Es gab keinen anderen Grund.
,, Werdet ihr uns freien Abzug gewähren wenn wir uns ergeben ?“ , fragte Wys. ,, Uns, unseren verbliebenen Leuten und Tira ?“
,, Warum sollte ich das tun ? Damit ihr eure Irrlehren irgendwo anders verbreiten könnt? Ihr seid Ketzer vor dem Herrn der Ordnung. Und Laos kleiner Kult wird hier sein Ende finden. Aber wenn ihr euch ergebt, werde ich vielleicht davon absehen, diejenigen eures Volkes, die fliehen sofort weiter zu verfolgen. Ihr jedoch werdet hier euer Ende finden… und vielleicht lasse ich mich dazu herab euch ein Leben in Buße zu gewähren. Ihr könnt den Weg eurer eigenen Verräter gehen. In das reinigende Feuer der Wüste hinein. Wer sich uns nicht anschließt, wird fallen. Doch wer von euch uns folgen wird, soll Gnade erfahren, sofern er sich uns anvertraut !“
,, Ihr meint wohl , wir werden entweder eure Gefangenen, oder gezwungen in den Tod zu gehen !“
Wys kämpfte sichtlich mit sich. Ihm war genau so klar, dass der Irrsinn war. Auf der anderen Seite, welche Wahl hatten sie den? Naria wüsste nicht einmal, was sie ihm raten würde, sollte Wys sie um Rat fragen. Doch das tat er nicht. Er wechselte auch kein Wort mit den übrigen beiden Archonten.
,, Öffnet die Tore.“ , erklärte er.
,, Nein !“ Noch ehe jemand reagieren konnte, war Tira aufgesprungen. Trotz ihrer Fesseln, war die Frau erstaunlich schnell und versetzte dem roten Heiligen einen Stoß. Und dieser ließ sie tatsächlich los. Für einen winzigen Augenblick lang, verschwand die Klinge von ihrer Kehle und die Archontin rannte los. Sie sollte nicht weit kommen. Die Sense war immer noch schneller. Einen Schritt. Zwei…
Dann stolperte sie plötzlich, als der Stahl sich in ihren Hals bohrte. Tiras Gestalt taumelte, schwankte, während Blut ihre Kleidung durchtränkte… dann sackte sie langsam in sich zusammen, eine Hand ausgestreckt, als wollte sie im Fallen nach jemanden, vielleicht Wys, greifen. Doch da war niemand und so schlug sie ungebremst auf dem Boden auf und blieb in einer sich langsam ausbreitenden Blutlache liegen.
,, Die Zeit der Gnade ist abgelaufen.“ , erklärte Träumers Meister , während er achtlos über den sterbenden Körper hinweg stieg. Die Menge johlte und jubelte, als hätte er nicht grade eine unbewaffnete Gefangene getötet. ,, Und eure Zeit ebenfalls, Archonten !“
Er breitete die Arme aus, wie um sie herauszufordern, doch zu ihm zu kommen, wenn sie es wagten. Doch natürlich blieben sie alle, wo sie waren.
Sine hatte den Kopf weggedreht, bevor die Klinge Tira traf. Wys jedoch blieb die ganze Zeit über ruhig. Selbst jetzt gab er keinen Ton von sich und selbst seine Hände ruhten entspannt auf den rauen Mauersteinen. Doch seine Augen…
Hätte NAria jemand noch vor einer Stunde gefragt, sie hätte erklärt, sie würde nie glauben, diesen Mann einmal weinen zu sehen. Und doch tat er genau das. Stumme Tränen, die sich nur durch das Glitzern verrieten, wenn einmal einer der wenigen verbliebenen Sonnenstrahlen darauf fiel. Er mochte nichts sagen, aber Naria war klar, dass er soeben das Todesurteil über Träumers Meister gesprochen hatte…
Dieser stieg mittlerweile unbeeindruckt die Rampe hinauf. Einer der Paladine, der mit ihnen auf der Mauer stand hob die Armbrust, doch Naria schüttelte nur zeitgleich mit Wys den Kopf. Das würde nichts bringen, da war sie sich sicher. Dieser Mensch, wenn man ihn noch so nennen konnte, war darüber hinaus von einem simplen Bolzen getötet zu werden.
Und so erreichte er ohne Mühe schließlich das Tor, wegen dem heute bereits But fließen musste… Unten hatte sich die Menge mittlerweile ebenfalls ein Stück die Rampe hinauf gewagt, ohne dabei der Leiche der Archontin mehr Beachtung zu schenken, als der rote Heilige.
Dieser belächelte die Barriere in seinem Weg lediglich, während er unter den Torbogen trat… und eine Hand auf die Metallenen Streben des Tores legte. Sofort begann der Stahl auf ganzer Länge des Tores weiß zu glühen. Naria war sich sicher, die Hitze noch an ihrem Platz auf der Mauer spüren zu können, während der Stein selbst zu zittern begann. Die großen Holzbalken aus denen das Portal zur inneren Stadt bestand gingen in Flammen auf, doch selbst das schien dem Mann nicht genug. Statt die zu Asche zerfallenen Tore zu durchschreiten, hob er die Hände…und die schweren Blöcke aus denen die Mauern bestanden folgten der Bewegung. Naria sprang bei Seite, als sich ein Stein, groß wie eine Kutsche unter ihren Füßen löste. Mörtel zerbröselte, als der Granitblock eine Handbreit in die Luft stieg nur um dann mit Wucht auf die Mauer zurück zu krachen, die ebenfalls in Bewegung geraten war. Funken stiegen auf, als die schweren Trümmer in sich zusammen fielen und sowohl Naria als auch die andere mit sich rissen. Auch Träumer konnte sich nicht mehr halten und stürzte bald, von einer Lawine aus Schutt gefolgt, zu Boden. Dann war auch er verschwunden und die Gejarn verlor endgültig den Halt. Das letzte was Naria sah, bevor die Welt für eine Weile dunkel wurde, war eine Welle aus Trümmern, die über ihr zusammen schlug.
Die Mauern der inneren Stadt zerbröselten wie Kalk und stürzten als kleine Schuttwasserfälle in die Unterstadt. Mehr und immer mehr des zuvor noch massiven Bollwerks fielen einfach auseinander, während der rote Heilige unter dem , was vom Torbogen noch übrig war hindurch trat. Und die Menge folgte ihm, strömte die Rampe hinauf und ließ Helike zum ersten Mal seit Stunden in vollkommener Stille zurück. Das einzige Geräusch, das noch zu hören war, stammte von den letzten Steinchen, die von den Hängen der inneren Stadt hinabkullerten.
Naria wusste nicht, wie lange sie weg war. Doch als sie die Augen das nächste Mal Aufschlug, fand sie sich inder Dunkelheit wieder. Lediglich ein einzelner, fahler Lichtstrahl drang irgendwo über ihr durch einen Spalt und enthüllte die scharfkantigen Konturen von geborstenen Felsen, die um sie herum aufragten. Der Versuch, sich zu bewegen wurde mit einem scharfen Brenne in ihren Muskeln bestraft. Ihr linkes Bein war irgendwo hoffnungslos zwischen den Überresten der Mauern Helikes eingekeilt und was den Rest ihres Körpers anging… vermutlich hatte sie mehr Blutergüsse als heile Haut, aber immerhin… sie lebte noch. Nur wo waren die anderen?
Erneut versuchte sie sich aufzurichten und diesmal ging es etwas besser. Ihr Bein saß nach wie vor fest und ihre linke Schulter war seltsam Taub, aber sie konnte sich bewegen. Als sie nach dem Tauben Gefühl tastete, wurden ihre Finger nass. Blut… Verflucht was war eben passiert? Die ganze Mauer war schlicht und ergreifend unterihren Füßen auseinandergefallen. Wie konnte ein einzelner Mann nur zu so etwas fähig sein?
Die Gejarn schielte erneut in Richtung des dünnen Lichtbalkens, der über ihren Kopf in die kleine Höhle fiel. Naria konnte es nicht mit Sicherheit sagen, aber immerhin schien die Sonnenfinsternis vorbei zu sein. Sie konnte wohl noch von Glück reden, das sie mit den paar Blessuren davon gekommen war. Blieb die Frage, wie sie hier heraus kommen sollte… und was aus Wys , Sine und den anderen geworden war.
,, Hallo ?“ Der Klang ihrer eigenen Stimme überraschte sie. Rau und kaum hörbar. ,, Irgendjemand ?“
Statt einer Antwort rieselte lediglich Staub von den Felsen über ihr herab. Einen kurzen Moment lang wurde der Lichtspalt größer, dann löste sich irgendwo ein Stein und stürzte knapp neben ihr zu Boden. Wie es aussah, war die Höhlung, die sie geschützt hatte, nicht grade stabil… Wenn sie hier nicht irgendwie rauskam würde sie am Ende doch noch zerquetscht. Vorsichtig, versuchte Naria erneut ihr Bein zu befreien.. Ihr einziger Erfolg bestand darin, das die Felsen einen knirschenden Laut von sich gaben und das Licht endgültig verschwand. Sie wusste nicht, wie lange sie danach nur stumm und regungslos in der Dunkelheit lag und darauf wartete, das die Reste der Mauer um sie herum zusammenstürzten oder sich wieder stabilisierten. Bevor jedoch irgendetwas davon geschah wurde sie plötzlich geblendet. Gleißende Helligkeit drang herein, als einer der größeren Brocken über ihrem Kopf verschwand. Statt jedoch auf sie zu stürzen, kullerte der Stein schlicht zur Seite.
Naria blinzelte ins grelle Licht, bis sie schließlich die Silhouette einer Gestalt ausmachen konnte, die irgendwo über ihr auf dem Trümmerfeld kniete. Langsam wurden auch die Züge deutlicher. Obwohl sein Gesicht noch jung war, ergrauten seine braunen Haare bereits. Träumer… Immerhin hatte einer von ihnen überlebt, dachte sie. Im Gegensatz zu ihrem eigenen lädierten Zustand schien der Mann kaum etwas abbekommen zu haben.
,, Ich habe sie gefunden. Sie ist hier.“ , rief er an jemanden gerichtet, den Naria nicht sehen konnte und hielt ihr die Hand hin.
,, Mein Bein. Ich komme hier nicht weg.“ , erklärte sie. Der Mann nickte, während er sich kur umsah… und dann kurzerhand mit einer Fast zu einem Schlag in der Luft ausholte. Im nächsten Moment erzitterte der komplette Trümmerberg um sie herum und wurde mit Wucht bei Seite gefegt, als wöge er nichts. Selbst sie vergaß manchmal, zu was dieser Mann fähig war…
So gut es mit dem verletzten Bein ging, kletterte sie die verbliebene Schutthalde hinauf zu Träumer und sah sich um. Sine saß mit Larth nicht weit entfernt in einer kleinen Mulde… und zwischen ihnen… Naria befürchtete zuerst, es wäre Wys, der dort, in ein weißes, verschmutztes Gewand gehüllt lag. Doch die regungslose Gestalt gehörte nicht zu einem Gejarn. Helios, dachte sie . Im Gegensatz zu ihnen hatte er nicht so viel Glück. Der gewaltige Blutfleck, der genau dort lag, wo das Tuch sein Gesicht verhüllte sprach Bände. Ein Felsen hatte ihm den Schädel zertrümmert.
Aber wo war ihr Onkel ? Rasch sah Naria sich weiter suchend um. Er entdeckte sie allerdings zuerst
,, Geht es euch gut ?“ Wys stand auf einem Felsen, der wohl einstmals die Spitze eines Turms gebildet hatte, sprang jedoch herab, sobald er sie sah.
,, Ich glaube schon.“ Das Bein schmerzte zwar, aber sie konnte es belasten, also war wohl nichts gebrochen. Oder zumindest nicht Lebensgefährlich verletzt, dachte sie. Das reißende Gefühl, das jeden ihrer Atemzüge begleitete verriet ihr, da seine Rippe zumindest angebrochen war.
Aus alter Gewohnheit taste sie nach ihrem Beutel, fand aber nur noch ein Stück abgerissenes Leder… Ihre Vorräte an Heilpflanzen und Tinkturen lagen jetzt irgendwo unter den Mauern der inneren Stadt begraben. ,, Und bei euch ?“
,, Verdammt.“ Larth erhob sich schwankend und kam auf sie zu. ,, Verdammt noch mal, wie konnte das passieren ?“ Ehe ihn jemand daran hindern konnte, hatte er das Schwert gezogen und sich auf Träumer gestürzt. Dieser machte nicht einmal Anstalten sich zu wehren, als er den kalten Stahl an seinem Hals spürte. ,, Unsere Stadt liegt in Trümmern, dieser irre Magier sitzt vermutlich grade im Archontenturm und zwei Archonten sind tot. Nennt mir einen Grund, aus dem ich euch am Leben lassen sollte, nach dem was euer Meister getan hat.“
,, Weil,“ , setzte Träumer an und fegte das Schwert des Archonten mit einer Handbewegung bei Seite. Die Klinge wurde dem überraschten Archonten aus den Fingern gerissen und landete irgendwo im Dreck. ,, Ich derjenige bin, der versucht das eure zu retten. Die ganze Zeit schon. Aber ihr hört ja nicht auf mich! Ich habe euch gewarnt, wieder und wieder, aber nein… Ihr musstet erst zusehen, wie euer Schicksal euch traf um zur Besinnung zu kommen. Also was tut ihr jetzt?“
,, Wir müssen euren Meister aufhalten.“ , erklärte Wys, der Larths Schwert wieder aufhob und dem Archonten die Waffe zurück gab.
,, Was soll das bringen ? Ihr würdet nur sterben, Schwertmeister. Keine Klinge kann meinem Herrn noch etwas anhaben.“
,, Ihr werdet verzeihen, wenn ich das auf die Probe stellen werde.“ Wys stimme bebte vor unterdrückter Wut, während er ebenfalls das Schwert zog. ,, Er ist aus Fleisch und Blut und solange er sich keine Stahlhaut wachsen lässt, wird scharfer Stahl auch seinem Leben ein Ende setzen. Und selbst, wenn ihr recht habt, das hier ist unsere Stadt… und ich lasse sie mir ganz sicher nicht wegnehmen.“
,, Ihr habt sie schon verloren…. Bitte. Flieht oder ergebt euch, aber fordert ihn nicht weiter heraus. Er ist der Zorn des Herrn der Ordnung. Er kennt keine Gnade für jene, die nicht bekennen.“
,, Aber…“ , setzte Sine an.
,, Das gilt auch für dich ! Ich werde nicht zusehen, wie er euch umbringt. Und doch… wird mir nichts anderes übrig bleiben.“
,, Ihr könntet uns immerhin helfen.“ , erwiderte die Whaid.
,, Nein. Nein das kann ich nicht, Sine. Ich bin dem Herrn der Ordnung verpflichtet. Und selbst wenn ich all meine Eide in den Wind schlagen könnte…“ Er schüttelte den Kopf. ,, Ihr habt gesehen zu was der rote Heilige Fähig ist. Im Vergleich bin auch ich nichts. Selbst wir alle zusammen, werden nichts ausrichten, glaubt mir. Und ich könnte nicht… wenn ihr…“
Träumer klang zum ersten Mal wirklich unsicher, dachte Naria. Und auch wenn er es nicht aussprach, verstand sie. Er war nicht ihr Feind. Aber sein Meister war es. Und wenn dieser es befahl, wenn es darauf ankam, würde er sie auch aufhalten… Allerdings glaubte sie nicht so recht daran. Und die Entscheidung stand wohl ohnehin fest, dachte sie. Nur mit einem hatte er Recht. Vermutlich gingen sie alle in den Tod, wenn sie sich seinem Meister erneut stellten. Andererseits konnte auch Wys Recht haben. Das war immer noch ein Mensch… Und Menschen starben durch Stahl. Wenn man nahe genug heran kam um ihn auch nutzen zu können. Naria holte tief Luft. Vielleicht hatten sie doch eine Chance. Aber die war winzig. Allein die Präsenz dieses Mannes war… grauenerregend, dachte sie. Sie hatte so etwas nicht mehr gespürt seit… ja seit wann? Warum kam ihr das alles so bekannt vor ? Die Antwort, war so einfach wie erschreckend. Weil sie nicht zum ersten Mal jemanden gegenüberstand, der vom Herrn der Ordnung berührt worden war, nicht? Varan Lahaye, Galrens Vater, hatte genau die gleiche Ausstrahlung besessen wenn auch nicht einmal ein Bruchteil so stark… die gleiche Fähigkeit, Leute zu überzeugen…. Die Macht ihres Gegners war unglaublich, aber wenn es seinen Gott tatsächlich gab, wenn es eine Verbindung zwischen diesem Wesen und seinen Anhängern gab, ähnlich der, die Sine mit Kareth teilte, dann musste man diese Verbindung auch irgendwie kappen können. Das wäre ihre Gelegenheit. Blieb die Frage wie, außer durch den Tod…
Demonstrativ trat sie zu Wys und Larth, die bereits mit den Waffen in der Hand warteten. Sine und Träumer hingegen blieben einen Moment stehen, wo sie waren, dann drehte sich auch die Whaid schließlich um.
,,Ihr werdet alle sterben.“ , erklärte Träumer tonlos , folgte ihnen jedoch, als sie sich auf den Weg machten, Weg von der zerstörten Mauer und hin zum Turm der Archonten, der im Herzen der inneren Stadt aufragte.
,,Vielleicht.“ , erwiderte Wys. ,, Aber das wäre eure Schuld.“
Als sie näherkamen erwartete sie bereits eine riesige Menschenmenge, die sich um den großen Platz vor dem Herrschaftssitz Helikes versammelt hatte. Der Rest der Statd jedoch, den sie durchquerten wirkte hingegen wie ausgestorben. Es gab keine Wachen mehr und viele der außen liegenden Gebäude waren durch den Einsturz der Stadtmauern schwer beschädigt worden. Und auf dem Platz selbst bot sich ein Bild der Verwüstung. Was immer Träumers Meister getan hatte, hatte den Platz in Schutt und Asche gelegt. Die großen Säulenbögen, die ihn eint umlaufen hatten,
waren in sich zusammen gestürzt, das Pflaster an mehreren Stellen aufgerissen. Trümmer und Erde lagen überall verteilt, während sie sich einen Weg zwischen den Schaulustigen und den Kratern hindurch suchten.
Feindseige Blicke trafen sie von überall her. Naria rechnete schon fast damit, dass sie nicht einmal bis zu Träumers Meister vordringen würden, sondern sich erst einen Weg würden freikämpfen müssen. Doch statt sie aufzuhalten, teilte sich die Menge vor ihnen und wich langsam zurück. Trotzdem hielten sowohl Wys als auch Larth die Schwerter griffbereit während sie der Gasse folgten.
Der rote Heilige schien sie bereits zu erwarten, wie er dort auf dem Säulenstumpf saß, der einstmals Laos Sarg beherbergt hatte. Mit überschlagenen Beinen und einem düsteren grinsen sah er ihnen entgegen, bevor er sich schließlich mit einem kleinen Satz erhob und die Sense aufhob. Fast könnte man meinen, er nehme die Sache nicht einmal ernst…
,, Ich dachte mir schon, das ihr Überleben würdet, Träumer. Aber warum bringt ihr diese Narren mit euch? Ihr wisst, das sie nur der Tod erwarten kann. Und was euch angeht… Ihr seid besiegt… aber da mein alter Freund hier so darauf zu bestehen scheint lasst mich euch ein letztes mal Anbieten, eure Waffen wegzulegen und das Knie vor eurem wahren Herrn zu beugen.“
,, Ich bezweifle, das ihr in der Position seid uns zu drohen.“ , erwiderte Larth hitzköpfig. Selbst Wys, der Versuchte ihn zurückzuhalten, schüttelte der Archont mühelos ab, während er auf den roten heiligen zutrat.
,, Eure Arroganz wird euer Untergang sein.“ , meinte dieser unbeeindruckt.
,, Das werden wir ja sehen !“ Larth schwang das Schwert in hohem Bogen. Die Klinge zuckte so schnell durch die Luft, das Naria sie nicht einmal mehr sehen konnte. Der rote Heilige jedoch trat fast beiläufig zur Seite. Das Schwert verfehlte ihm um keine Hand breite und bevor Larth noch dazu kam, die Schlagrichtung zu ändern, schoss die Hand seines Gegners vor und legte sich um seine Kehle.
Als wöge der Mann nicht mehr als eine Puppe, riss der rote Heilige ihn von den Füßen, während Larth das Schwert aus der Hand fiel. Mit einem Übelkeit erregenden Geräusch brach der Hals des Archonten, als Genick und Luftröhre gleichzeitig unter der Gewalt des Griffs zerquetscht wurden. Achtlos warf der rote Heilige den sterbenden Körper weg.
,, Also wo waren wir ?“ , fragte er , als würde er den nach wie vor ab und an zuckenden Körper zu seinen Füßen gar nicht bemerken. . ,, Ich glaube ihr wart dabei, mir die Stadt zu übergeben. Aber da jetzt sowieso nur noch einer von euch in meinem Weg steht, kann ich sie mir auch einfach nehmen…“ Drohend trat er auf Wys zu, der das Schwert schützend vor sich hielt. Aber mit diesem… Ding konnte er es schlicht nicht aufnehmen, dachte Naria. Und sie genau so wenig. Sie sah davon ab, Träumers Meister noch als Menschen zu sehen. Kein Mensch brach jemanden mit einer Hand die Knochen… Dieser Mann verfügte über weit mehr als nur magische Fähigkeiten.
,, Ich glaube ihr seid nicht sehr gut im Zählen…“ , bemerkte da eine Stimme. Träumer versuchte noch Sine zurückzuhalten, die ohne zu zögern in den Weg des roten Heiligen trat. ,, Und ich glaube, das hier endet heute…“
Die goldenen Zeichnungen auf ihrem Arm schienen in Flammen zu stehen und brachten ihre Gestalt zu Flimmern. Doch es war nicht die Aura reiner, ungebändigter Macht, welche die Whaid umgab, die sie alle erschaudern ließ. Es war der Schatten, der plötzlich über sie fiel und das durchdringende Brüllen, das ihn begleitete, das selbst den roten Heiligen unsicher zurückwanken ließ.
Finger begleitet von aufgeregten Schreien zeigten gen Himmel, als die gewaltige Kreatur eine Kurve dicht über ihren Köpfen flog. Naria konnte den Luftzug spüren, den jede Bewegung der großen Schwingen begleitete. Goldene und weiße Schuppen schimmerten in der Sonne, als der Drache erneut wendete und auf den Platz hinab stieß.
Die Menge, die eben noch so feindselig auf den letzten Archonten und seine zwei Begleiterinnen gestarrt hatte, sprang auseinander und auch Naria und die anderen mussten sich wegducken um nicht mit Kareth zusammen zu stoßen. Einen Moment war sogar sie versucht, wegzulaufen…
Nur der rote Heilige sah der Bestie ohne eine Regung entgegen… und lachte. ,, Also wird das ein Duell der Götter, Mädchen ?“ Seine Augen blitzten. ,, Ihr hättet zurück in eure Wüste…“
Weiter kam er nicht mehr. Zu spät wurde ihm klar, dass der Drache nicht zur Landung ansetzte. Das Lachen des roten Heiligen verstummte. Ungebremst prallte der Titan mit dem völlig überraschten Mann zusammen. Mit weit aufgerissenen Auge wurde Träumers Meister von den Füßen gerissen und wäre beinahe direkt im Maul Kareths gelandet. Grade noch rechtzeitig warf er sich in einem Versuch auszuweichen herum und so streifte der Drache ihn lediglich mit dem Kopf und sein Arm geriet zwischen die Fänge. Der Aufprall, als der Drache schließlich doch landete und den hilflosen Mann schüttelte brachte die Erde unter ihren Füßen zum Zittern. Und dann ließ Kareth die Gestalt schließlich los, die regungslos zu Boden fiel. Mit einem Prankenhieb schleuderte der Drache seinen immer noch bewegungsunfähigen Gegner in eines der Gebäude am Platz. Die Wucht der Attacke zertrümmerte die mit weißem Marmor gekachelten Wände und brachte eine der Säulen, die ein Vordach trugen ins Wanken.
Das konnte er nicht überlebt haben, dachte Naria, als sie zusah, wie die halbe Außenmauer in sich zusammensackte und was, was noch vom roten Heiligen geblieben sein mochte unter sich begrub. Bevor sie jedoch noch dazu kam etwas zu sagen, ließ Kareth bereits einen Feuerschwall folgen. Gold-rote Flammen schossen in einem Strahl aus den Nüstern des Drachen und hüllten das gesamte Gebäude ein. Brennende Hitze schlug ihnen entgegen und zwang nun auch Wys und Naria dazu, zurückzuweichen. Trämer hingegen starrte ungläubig weiter auf die Wand aus Flammen hinter der sein Meister soeben verschwunden war. Vielleicht war dieser Mann doch nicht so unbesiegbar wie er geglaubt hatte, dachte Naria.
Kareth jedoch belehrte sie schnell eines Besseren. ,, Verschwindet hier.“ Der Drache und Sine sprachen gleichzeitig, wie mit einer Stimme, , das Mädchen nach wie vor wie in goldenes Feuer gebadet. Naria meinte sogar das Band zu sehen, das sie und der Drache miteinander geknüpft hatten, ein kaum sichtbarer, goldener Faden, der ab und an aufblitzte wenn eine magische Flamme ihren Weg daran entlang fand. Das Mädchen schien sichtlich bemüht darum, sich auf den Beinen zu halten. Wussten die Götter, wie sie Kareth gerufen hatte, aber es schien sie fast sämtliche Reserven gekostet zu haben.
Verschwinden ? Naria blinzelte durch den Vorhang aus Asche und Glut, der vor dem zusammengefallenen Gebäude niederging. Das Feuer des Drachen hatte die Steine teilweise verflüssigt und verformt und nach wie vor glühten einige Marmorblöcke hellrot. Aber der rote Heilige war Tod. Oder ?
Wie um ihre Frage zu beantworten, bewegte sich etwas zwischen den Trümmern… und lachte. Das war doch nicht möglich…
Langsam rappelte sich die Gestalt des roten Heiligen inmitten der Glut auf. Flammen leckten an seiner Haut und seinen Kleidern, jedoch ohne diese dabei zu versengen. Für Naria sah es sogar so aus, als würde sein Körper das Feuer einfach aufsaugen und ersticken, als wäre seine Haut so kalt wie die Eiswüsten des Nordens. Selbst der noch kochende Stein unter seinen Füßen schien ihn nicht zu stören, während er einfach darüber hinweg lief.
Zwischen Asche und Staub trat er gemächlich wieder auf den Platz hinaus. Kareth jedoch wartete nicht darauf, das sich sein Gegner wieder fing, sondern ließ sofort eine weitere Feuersbrunst folgen.
Diesmal jedoch, war sein Gegner vorbereitet. Kurz bevor die Flammen in erneut einhüllten, wich er aus und sprang bei Seite. Noch im Fallen schlug er dabei die Sense in den Vorderlauf des Drachen. Er hätte auch mit einer Nadel auf einen voll gerüsteten Paladin einstechen können. Die Klinge der ohnehin unhandlichen Waffe glitt ohne eine Verletzung zu hinterlassen einfach ab, während Kareth sich nun daran machte, den gestürzten Mann einfach unter einer Kralle zu begraben.
Mochte sein, das er sich mit irgendeinem Zauber vor den Flammen geschützt hatte, aber gegen die rohe Macht eines Drachen wäre auch Magie nutzlos. Zumindest hoffte Naria das. Kareth müsse ihn nur ein einziges Mal treffen…
Der rote Heilige wich unterdessen der Kralle aus, in dem er sich über den Boden rollte und Zauber nach der Gestalt des Drachen schleuderte. Lichtblitze in allen Farben zuckten durch die Luft, prallten jedoch genau so ab, wie zuvor die Sense. Ein Drache, oder zumindest seine Knochen, waren so gesehen ein riesiger Magiespeicher, dachte Naria. Ihm mit einem Zauber beikommen zu wollen machte ihn am Ende vielleicht sogar stärker. So oder so, Träumers Meister war gezwungen zurück zu weichen, auch wenn er zumindest wieder auf die Füße kam. Und dann schwang Kareht sich erneut mit einem gewaltigen Heben der Schwingen in die Luft um sich auf seinen Gegner zu stürzten. Der Drache stieg so schnell, das Naria ihm kaum mit den Augen folgen konnte, bis er auch schon in den Wolken verschwand…
Doch der rote Heilige schien sich nicht mehr um die Gefahr zu kümmern, die ihm von oben drohte. Sein Blick war über den zerstörten und mittlerweile menschenleeren Platz zu Sine gewandert, die nach wie vor nicht einmal von der Stelle kam.
,, Ich verstehe…“ Das selbstsichere Grinsen kehrte auf sein Gesicht zurück. ,, Es war dumm von euch, euer Leben an diese Frau zu binden, Kreatur !“ , rief er herausfordernd zu den Wolken empor… bevor er erneut die Sense hob. Bevor er jedoch dazu kam, sich auf Sine zu stürzen, stellte sich ihm Träumer mit ausgebreiteten Armen in den Weg. Naria schloss die Augen. Wo blieb nur Kareth ? Obwohl es ihr wie eine Ewigkeit vorkam, war es nur wenige Augenblicke her, dass der Drache verschwunden war…
,, Bitte…“ Träumer machte keine Anstalten bei Seite zu gehen. ,, Verschont sie…
Weiter kam er nicht mehr, als sein Meister ihn auch schon bei Seite fegte, als wöge er nicht mehr als eine Feder. Träumer landete auf den Rücken und blieb wie betäubt liegen.
,, Stell dich mir nie wieder in den Weg.“ , schrie er an Träumer gerichtet, der versuchte sich aufzurichten, zwischen seinen Herrn und Sine zu gelangen , vergebens. Das Mädchen hatte nicht einmal die Kraft, wegzulaufen, als die Sense herabfuhr. Naria sah, wie sie strauchelte, wie das goldene Feuer um sie herum erlosch, während Blutrosen auf ihrer Kleidung erblühten…
Im gleichen Moment war irgendwo über ihnen ein ohrenbetäubendes Brüllen zu hören und die Wolken verdunkelten sich. Kareth flog nicht, sondern fiel. Fiel wie ein Stein, der schwer zu Boden stürzte und sich in das Pflaster des Platzes grub. Die Erde zitterte erneut, doch die Gestalt des großen Drachen, machte keine Anstalten mehr, sich zu erheben. Schwer atmend und mit gebrochenen Gliedern blieb er liegen wo er war, während der rote Heilige lachend zu ihm trat.
Naria war unterdessen an Sines Seite gestürzt. Das Mädchen mochte noch Leben, aber es gab nichts mehr, was sie noch für sie tun konnte. Ihr fehlte die Kraft für einen Heilzauber und ihre gesamten Heilkräuter lagen jetzt irgendwo verschüttet. Verwirrt und ohne überhaupt noch zu erkennen, was um sie herum vorging, verblutete die Whaid in ihren Armen und im gleichen Moment lag auch der große Drache still, der wie ein Berg dalag. Was eben noch ihre Rettung hätte sein können, war mit einem einzigen Schlag vernichtet worden und Naria fühlte nichts dabei. Nur eine seltsam distanzierte Trauer und Wut.
Sanft ließ sie Sines toten Körper zu Boden sinken und stand auf. Wys, der nach wie vor am gegenüberliegenden Ende des Platzes stand, hob das Schwert, doch sie bedeutete ihm schlicht, es sein zu lassen. Es war vorbei…
,, Warum ?“ Sie sah zu Träumer, der mit gesenktem Kopf an die Seite seines Meisters trat. ,, Warum ? Ich verstehe es nicht. Ihr behauptet, ihr würdet für eine bessere Welt kämpfen? Seht euch um! Helike mag nicht perfekt sein, aber bevor ihr kamt haben hier hunderte nein tausende von Menschen noch ein sicheres und normales Leben führen können. Verdammt… wir hatten Frieden ihr verdammter Narr. Und das gleiche gilt auch für das Kaiserreich Cantons. Seien wir ehrlich, wenn Kellvian wollte könnte er das Leben für alle dort zur Hölle machen, ein einzelner Mensch mit zu viel Macht ist selten eine gute Idee, wir haben auf Maras unsere Konsequenzen daraus gezogen. Aber die Kaiser der Belfare haben bisher immer Gerechtigkeit walten lassen und er ist einer der besten Menschen die ich kenne. Es gibt hunderttausende, die ohne die von Helike und der fliegenden Stadt aus gesicherten Handelsrouten schlicht verhungern würden und noch mehr, die verfolgt würden, ohne kaiserliche Freiheiten und Rechte. Es gäbe sogar Raum für euch… wenn ihr einfach aufhören würdet zu töten. Aber ihr wollt das alles zu Nichte machen? Warum ? Weil es sich eurer Vision nicht beugt?“
Sie hatte nicht mit einer Antwort gerechnet und so erschreckte es sie fast, als Träumer aufsah. Einen Moment traf sich ihr Blick und er schüttelte den Kopf. ,, Weil, wie ihr schon sagtet, es eben nicht perfekt ist. Es gibt immer noch genug Böses hier und in Canton… und es muss vernichtet werden. Niemand, nicht einmal Sine, ist völlig ohne Schuld… eine Lektion die ich erneut lernen musste. Un dich danke meinem Meister dafür.“
Naria wusste einen Moment nicht was sie sagen sollte, ob sie überhaupt noch etwas sagen sollte. Das war Irrsinn. ,, Perfektion ? Hört ihr euch eigentlich noch selbst zu? So etwas gibt es nicht… Ihr redet davon so lange weiter Unschuldige Abzuschlachten, bis ihr ein Ziel erreicht, das niemals erreicht werden kann!“
,, Für Sterbliche schon. Aber der Herr der Ordnung ist kein Sterblicher. Sagt ihr, es gäbe etwas, das selbst für einen Gott unmöglich ist?“
,, Ich sage genau das. Sagt mir nicht, ihr hättet je etwas gesehen das perfekt wäre. Aber ich fürchte, ich verschwende an euch nur meinen Atem. Ich habe euch mal für einen guten Menschen gehalten wisst ihr… aber ihr seid nicht weniger Wahnsinnig wie er.“ Naria deutete auf den roten heiligen, der mit überkreuzten Armen stumm wartete, fast genau gegenüber von Wys.
,, Ich habe geschworen, meinen Meister zu schützen… und seine neue Welt aufzubauen.“ , erklärte Träumer lediglich. ,, Es tut mir leid, aber es gibt kein zurück.“
,, Das erkennt ihr ganz richtig. Und genau deshalb überlasse ich diese beiden jetzt euch, Träumer. Ich bekomme langsam meine Zweifel, wie ihr wirklich zu mir steht. Also…tötet den letzten Archonten und die Gejarn für mich. Jetzt… Dann ist diese Stadt unser und wir einen Schritt näher an unserem Ziel.“
,,Herr…“Träumer machte keine Anstalten, sich zu bewegen. Er senkte lediglich den Kopf und wendete den Blick ab, sowohl von ihnen als auch vom roten Heiligen.
,, Ihr werdet tun, was man euch befiehlt. Tötet sie.“
Einen Moment lang, war Naria vollkommen davon überzeug, das er es nicht tun konnte, nicht tun würde. Sie hatte gemeint, sie hätte sich in ihm getäuscht, aber das stimmte nicht. Er zögerte, kämpfte mit sich. Träumer wusste genau, dass er etwas Falsches tat. Und doch nickte er schließlich nur.
,, Wie ihr wünscht Herr.“
Narias letzte Hoffnungen zerfielen zu Staub. Das war das Ende, dachte sie. Selbst weglaufen würde kaum etwas bringen. Selbst wenn sie im vollbesitzt all ihrer Kräfte gewesen wäre, wäre es fraglich, wie viel sie gegen Träumer ausrichten könnte. Sie schloss die Augen und machte sich bereit, es trotzdem zu Versuchen. Wenn schon nichts anderes, könnte sie wenigstens versuchen, Wys etwas Zeit zu verschaffen. In allem anderen hatte sie versagt. Der ganze Grund, aus dem man sie hierher gebracht hatte war, schlimmeres zu verhindern. Und jetzt lag alles, das Ergebnis von Jahrzehntelanger Arbeit, in Trümmern. Und Sine, Kareth, Larth und all die anderen waren tot. Ihre Anwesenheit hier hatte nichts geändert und zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sie sich schlicht… völlig hilflos.
,, Es tut mir leid…“ Träumers Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber in der Stille, die sich mittlerweile über den Platz gesenkt hatte, war sie trotzdem deutlich zu hören. Er schien nicht einmal mit irgendjemand bestimmtes zu sprechen, oder vielleicht auch mit ihnen allen. Mit den Toten. Mit Sine…
Naria war bis zu Wys zurückgewichen um ihm im Zweifelsfall etwas Zeit verschaffen zu können. Auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie lange sie Träumer überhaupt aufhalten könnte, sollte er sie angreifen. Und das würde er, dachte sie. Wenn nicht er, dann sein Meister. Der rote Heilige sah ihnen beinahe gelangweilt zu.
,, Macht endlich Schluss, Träumer. Sofort.“ Vielleicht war es das, was den letzten Ausschlag für ihn gab. Auch ihm musste klar sein, das sie alle verdammt waren, so oder so. Aber sein Meister war grausam… Er konnte es hingegen wenigstens schnell machen.
Langsam trat er auf Naria und den letzten lebenden Archonten Helikes zu und hob dabei die Hand, die von einem schwarzen Mal entstellt wurde. Beinahe schien es, als sähe er die Narbe zum ersten Mal wirklich. Und dann begann es sich auszubreiten.
Naria traute einen Moment ihren Augen nicht, als innerhalb weniger Herzschläge die gesamte Gestalt des Mannes von Schatten verschlungen wurde, die sich über seine Haut und Kleidung ausbreiteten. Verzerrte Schatten wie dunkles Feuer hüllten ihn ein, während die dunkle Gestalt wuchs und graue Schwingen ausbreitete. Das Wesen war mindestens zweimal so groß wie Träumer und der Mann war bereits zuvor hochgewachsen gewesen. Geformt aus lodernden Schatten und Dunkelheit, hinter der eine Glut zu brennen schien, die kein Licht spendete. Graue, ledrige Schwinge, eingehüllt von einer nebligen Membran falteten sich wie ein Mantel um sie. Flocken , die einen Moment beinahe wie verbrannte Federn aussahen rieselten von den Flügeln herab und Naria konnte Asche schmecken… und Angst. Ihre eigene, während sie mit Wys vor dem Dämon zurückstolperte. Es stand nach wie vor auf zwei Füßen, aber das war auch das einzige, das diese Kreatur noch mit einem Menschen gemein hatte. Der Schädel, der hinter den Schatten auftauchte, war langgezogen und knochenhaft. Rote Augen glühten über Reihen Langer, messerscharfer Zähne.
Mit einem Mal wurde ihr klar, was Träumer gemeint hatte, als er sagte, es würde ihn Mühe kosten, eine menschliche Gestalt aufrecht zu erhalten. Und sie verstand plötzlich, wieso er seinem Meister so fanatisch folgte… egal was dieser schon getan haben mochte. Träumer hatte sehr viel mehr getan, als nur seine Seele dem Herrn der Ordnung zu verschreiben. Er hatte ihm seine Menschlichkeit geopfert.
,, Lauf !“ Wys packte sie am Arm, ohne der Kreatur noch lange Aufmerksamkeit zu schenken und riss sie mit sich. Und das tat sie. Sie drehte sich nicht einmal um, doch offenbar war der Ruf ihres Onkels wie ein Weckruf für das Wesen. Sie konnte die Schritte hinter sich hören, als es ihnen nachsetzte, das Geräusch wenn Steine und Fliesen einfach unter den Krallen zerbrachen. Und es war schnell. Bevor sie auch nur die Straße erreicht hatten, war es bereits über ihnen. Naria warf sich zur Seite als eine Nebelumhüllte Klaue nach ihr schlug, während Wys das Schwert in den Arm der Kreatur schlug. Der Stahl jedoch prallte irgendwo in der dunklen Masse auf etwas Hartes und glitt wirkungslos ab. Die Klinge zog lediglich einige dunkle Rauchfäden hinter sich her, als der Archont sie zurück riss und weiterrannte. Wohin spielte keine Rolle mehr und Naria ließ sich weiterhin einfach und wagte es nicht, sie umzudrehen. Das einzige, was sie hörte, war das Blut das ihr in den Ohren rauschte… und das nachhallende Lachen des roten Heiligen, der regungslos zusah, wie Träumer sie in eines der an den Platz grenzenden Gebäude jagte.
Es war ein kleines Mausoleum, das direkt gegenüber dem Archontenturm aufragte. Der weiße Marmor mit dem es verkleidet war, hatte einstmals in der Sonne geschimmert, war nun jedoch mit Asche verkrustet und gesprungen. Vermutlich wieder eine Folge des Mauereinsturzes und des anschließenden Kampfes…
Viel Zeit sich darüber Gedanken zu machen, blieb Naria jedoch nicht. Sie und Wys tauchten ohne Probleme unter dem offenen Eingangsportal hindurch. Ihr Gegner jedoch, sie weigerte sich von diesem Ding noch als Träumer zu denken, war weitaus größer und preschte ungebremst durch die Mauern. Der Stein barst unter der bloßen Gewalt der Kreatur. Trümmer und Staub wurden durch den gesamten Säulengang geschleudert, der vor ihnen lag. Urnen mit der Asche Verstorbener Archonten und Helden Helikes wurden von ihren Podesten gestürzt und verteilten verbrannte Knochen und Asche über den Boden. Wenn das wo weiterging würden von der inneren Stadt bald wirklich nur noch Ruinen bleiben, dachte Naria. Und dann erreichten sie das Ende der Halle. Eine glatte Mauer aus massivem Stein. Auf der gesamten Länge des Mausoleums gab es kein einziges Fenster. Sie saßen in der Falle…
Hinter ihnen jedoch war die Kreatur mittlerweile stehen geblieben. Sie musste leicht geduckt stehen um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen und hatte die breiten Schwingen eng an den Körper gefaltet. Und als sie die Arme hob, begann die ganze Halle erneut zu zittern. Dieses Mal jedoch nicht unter dem bloßen Gewicht des Dämons . Naria konnte spüren, wie die Luft um sie herum plötzlich schwerer zu werden schien, während in der Decke wie von Geisterhand Risse auftauchten. Zuerst waren die Spalten so fein wie ein Spinnennetz, doch schon bald rieselten erste Brocken herab, ließen fahles Sonnenlicht herein, nur damit dieses sofort wieder verschluckt wurde, als das gesamte Bauwerk über ihnen zusammenstürzte. Narias letzter Gedanke galt der Ironie, zweimal an einem Tag lebendig begraben zu werden. Und das grade dieser Ort nun auch ihre letzte Ruhestädte werden sollte. Der tödliche Schlag jedoch, das Gewicht, das ihre Knochen zerschmetterte und ihrer beider Leben ein Ende setzte, blieb aus. Naria wagte es vorsichtig zu blinzeln. Trümmer waren um sie herum zu Boden gerieselt. Doch in einem perfekten Kreis um sie und Wys herum lag nicht einmal ein Kiesel.
Auch die Mauer in ihren Rücken war eingestürzt, jedoch in die andere Richtung, so dass die Straßen der inneren Stadt nun frei vor ihnen lagen. In der anderen Richtung jedoch türmten die Trümmer des Mausoleums sich so hoch auf, das selbst Träumer dahinter verschwunden war. Nur durch einige Spalten konnte Naria noch einen Blick auf das Wesen erhaschen in das er sich verwandelt hatte. Und einen Moment lang traf sich ihr Blick mit den brennenden Augen des Dämons. Sie war sich vollkommen sicher, dass er sie gesehen hatte. Doch statt sein Werk zu beenden… neigte das Wesen leicht den Kopf und drehte sich um. Noch in der Bewegung, begann es zusammenzuschrumpfen, während die Schatten sich verdichteten und wieder Kleider und Haut formten. Innerhalb weniger Herzschläge stand dort wieder nur Träumer, in seiner leicht schiefen Haltung. Hatte er ihnen eben zugenickt? Ob er sie nun verschont hatte oder nicht, er sank jedenfalls auf die Knie, als der rote Heilige zu ihm trat und die Überreste einen Moment eingehend betrachtete. Naria wich instinktiv zurück und duckte sich halb unter einen Felsen, auch wenn er sie unmöglich entdecken konnte. Oder zumindest hoffte sie das.
,, Es ist getan Herr.“ , erklärte Träumer mit ausgebreiteten Armen und nach wie vor auf den Knien.
,, Gut.“ Der rote Heilige beugte sich zu ihm herab und zog ihn an den Schultern wieder auf die Füße, wie einen alten Freund. ,, Und jetzt kommt. Es gibt größeres um das wir uns kümmern müssen…“
Mit diesen Worten drehte er sich um und die beiden gingen in Richtung des Archontenturms davon.
Naria sah ihnen eine Weile nach, bis sie im Schat6ten des Eingangs verschwunden waren. Helike war gefallen, dachte sie , während sie sich abwandte und durch die eingestürzte Rückwand des Mausoleums auf die Stadt hinaus sah. Vielerorts wüteten Feuer in den Straßen und sie fragte sich ob sie überhaupt wissen wollte warum. Die Schlacht hatte hier stattgefunden, trotzdem loderten vielerorts Gebäude… Und am Hafen konnte sie auch ohne Fernglas das heillose durcheinander ausmachen. Einige Schiffe waren bereits auf See, während andere unter dem Gewicht von Leuten und Waren kaum vom Fleck kamen…
,, Was machen wir jetzt ?“ Wys saß in sich zusammen gesunken auf einem Felsbrocken und starrte auf Helike hinaus, ohne das er richtig zu verstehen schien, was er sah. Er wirkte nicht mehr wütend, nur noch erschöpft und… alt, dachte Naria.
,, Es ist noch nicht vorbei.“ , ermahnte sie ihn. ,, Es gibt genug, die sich nicht gegen euch gestellt haben, Wys… diese Leute können hier nicht bleiben. Und ihr könnt nicht zulassen, dass sie sich einfach zerstreuen. Sie sind immer noch euer Volk oder nicht?“
Einen Moment lang antwortete ihr Onkel nicht. Dann jedoch erhob er sich langsam und ließ das Schwert, das er nach wie vor in Händen hielt, wieder in die Scheide gleiten. ,, Ihr habt recht. Ihr… Wir müssen sie irgendwo in Sicherheit bringen. Und durch die Steppe nach Kalenchor würden so viele ohne Vorräte niemals überleben. Also…“
Also bringen wir sie nach Maras, dachte Naria schaudernd. Ihre Mutter würde einen Nervenzusammenbruch bekommen aber… was blieb ihnen schon anderes übrig?
Als sie sich schließlich auf den Weg durch die Straßen machten, erfuhr sie schließlich auch, woher die Feuer kamen. In helike waren nach wie vor hunderte von Leuten unterwegs. Jedoch alle in kleineren Gruppen, welche die Straßen Stück für Stück durchkämmten. Und die meisten trugen die Banner des Herrn der Ordnung mit sich. Mehrmals konnten sie und Wys sich grade noch rechtzeitig irgendwo verstecken, bis sie vorbei waren… und einmal sahen sie auch, wonach diese Männer suchten.
Systematisch klopften sie an die Türen und wo ihnen niemand öffnete, zogen sie weiter. Doch öffnete ihnen jemand die Tür, war das für sie das Zeichen, dass derjenige sich während der letzten Stunden Versteckt hatte. Und damit ihren Herrn am Tor nicht willkommen geheißen hatte.
Hilflos mussten sie und Wys zusehen, wie ein alter Mann im gleichen Moment wie die Tür aufschwang wieder in das Haus gedrängt wurde. Was danach geschah konnte sie nicht sehen, dafür umso besser hören. Und als der Mob das Haus wieder verließ, floss Blut über die Türschwelle und Rauch und Flammen leckten bereits aus den Fenstern. Je weiter sie kamen, desto öfter stießen sie auf brennende Gebäude.. und auch auf die ersten toten, die mit durchgeschnittenen Kehlen in den Eingängen lagen . Männer, Frauen, Kinder… Irgendwann hörte sie auf hinzusehen. Es war ein Alptraum, dachte Naria. Ihr Alptraum… Nur war es nicht die gesichtslose Gestalt selbst, die das hier tat. Es waren ihre Anhänger, die Helike in ein Meer aus Asche und Blut verwandelten.
Wenigstens jedoch, schienen sie den Hafen noch nicht erreicht zu haben. Als sie und Wys endlich dort ankamen, war dort bereits alles in Auflösung begriffen und die von weitem sichtbaren Feuer hatten das Chaos wohl nur vergrößert. Es herrschte ein heilloses Durcheinander. Händler mit ihren Wachen drängten sich durch die Menge, die um jeden Preis versuchten, an Bord eines der verbliebenen Schiffe zu kommen. Machen hatten nichts als ihre Kleider am Leib, andere versuchten offenbar zu retten, was zu retten war und schleppten sich mit schweren Truhen und Kisten ab…
Die wenigen Paladine und Stadtwachen, die es bis hierher geschafft hatten versuchten, noch für etwas Ordnung zu sorgen, waren dem Andrang aber schlicht nicht gewachsen. Und mehr als einer gab schlicht auf und kämpfte sich schließlich den Weg zu einem Schiff frei um die dem Chaos anheimgefallene Stadt ebenfalls zu verlassen.
Ihr und Wys blieb nichts anderes übrig, als sich ebenfalls einen Weg durch das Gedränge zu suchen , bis schließlich eine Gruppe Paladine auf sie, oder besser, auf ihren Archonten aufmerksam wurde. Die Männer schrien die Leute sofort an Platz zu machen, was allerdings von wenig Erfolg gekrönt war. Auch den Paladinen blieb nur, irgendwie durch die wenigen Lücken in der Menge zu huschen, bis sie einen schützenden Kreis um Wys und Naria bilden konnten.
,, Herr… wir dachten ihr seid verloren.“ , erklärte ein Mann , der die Insignien eines Wach-Kapitäns trug. ,,Wo sind die anderen? Wir sahen den Wall fallen, den Drachen und die Feuer…“
,, Tot.“ , erwiderte Wys niedergeschlagen. ,, Sie sind tot und wir haben Helike verloren.“
,, Aber euch nicht Herr.“ , erwiderte der Mann und der Anflug eines Lächelns huschte über sein Gesicht. Wys schien das nur wenig aufzumuntern, doch die Paladine kümmerte das nicht.
,, Ein Archont lebt !“ , riefen die ersten wie im Chor und übertönten damit sogar Momentan den Lärm der heillosen Flucht. Köpfe drehten sich in ihre Richtung, einige, die Wys sahen, griffen den Ruf sogar auf… und einen kurzen Moment schimmerte wieder so etwas wie Hoffnung in ihren Augen. Hunderte kamen angelaufen, weitere tausend nahmen die Nachricht auf, verbreiteten sie Flüsternd oder mit lauten Rufen. ,, Wys lebt.“ ,, Wir haben noch einen Archonten.“ ,, Noch ist nicht alles verloren.“ Es dauerte nur wenige Minuten, bis sich die Botschaft im ganzen Hafen verbreitet hatte und je weiter sie sich ausbreitete, desto mehr geriet die Flucht ins Stocken. Alle Augen richteten sich auf Wys, der von seinen Bewachern zu einem kleinen Stapel Kisten gedrängt wurde und mit einem seufzten hinauf kletterte. damit alle ihn auch sehen konnten. Der weiße Archontenmantel den er trug, war eingerissen, Blutverschmiert und verschmutzt, ließ jedoch keinen Zweifel daran, wer er war. Und es war nur eine Frage, die ihm entgegenschlug.
,, Was sollen wir tun ? Wohin sollen wir gehen?“
,,Maras.“ , antwortete er. Seine Stimme klang zögerlich. Aber er war ihr Archont, erinnerte er sich. Diese Leute wollten, dass er ihnen eine Richtung wies. Sie verließen sich auf ihn, erwarteten irgendetwas, Trost, Hilfe, ein Ziel… ,, Wir werden uns nach Maras durchschlagen. Jene, die keinen Platz mehr auf den Schiffen finden hingegen, sollen die Landroute nach Kalenchor nehmen. Berichtete was geschehen ist. Und nehmt von dort aus ein Schiff um uns zu folgen. Ich weiß, das vielen von euch dieser Gedanke nicht gefällt… aber die Magier werden uns aufnehmen, das schwöre ich. Und ich bezweifle, das der Herr der Ordnung sich mit Helike zufrieden geben wird. Er hat jetzt die Stadt und die halbe Armee auf seiner Seiten. Aber wenn sie weiter nach Canton wollen, werden sie sich entweder an den Grenzfesten um Kalenchor vorbei kämpfen müssen, oder sie nehmen die Seeroute. Und dabei wird sie der kürzeste Weg auch über Maras führen. Ich für meinen Teil, habe nicht vor, das zuzulassen. Ich zwinge niemanden, mir auf diesem Weg zu folgen… aber ich bitte darum.“
Doch niemand trat zurück, niemand ging davon… Trotzdem war es eine klägliche Truppe, dachte Naria bei sich. Ihnen waren vielleicht grade fünfhundert Kämpfer geblieben, darunter keine vierzig Paladine… Und Maras war keine Festung, hatte keine Armee, sah man von den Wächtern ihres Vaters einmal ab.
Heim. Trotz allem, es ging nach Hause, dachte sie. Wie schnell sich die Dinge doch änder konnten. Heute Morgen wäre sie noch froh darüber gewesen. Nun jedoch brachte sie nur die Nachricht über den aufziehenden Sturm und einige hundert verängstigte Männer, Frauen und Kinder mit. Und mit einem hatte Wys wohl Recht. Der Kreuzzug des Herrn der Ordnung begann grade erst. Und er würde Maras nicht verschonen.
Mittlerweile hatte sich die Nacht über Helike gesenkt, doch noch immer glommen Feuer in den Straßen der Unterstadt. Er hatte sie gesehen, als er den verwüsteten Platz draußen überquert hatte. Ohne die Mauern der inneren Stadt konnte man von hier aus das gesamte Umland der Stadt überblicken… und auch das Meer, dachte er. Die Schiffe waren lediglich noch kleine Glutpunkte am Horizont, die sich gegen das Schwarze Wasser abzeichneten. Zu weit um sie noch einzuholen. Und das war gut so, dachte er. Wenigstens ein paar waren dem Tag des Zorns entkommen, der über Helike hereingebrochen war.
Als Träumer den großen Ratssaal betrat, lag dieser im Halbdunkeln. Lediglich ein halbes Dutzend Fackeln erhellten den Raum und speigelten sich auf den Buntglasfenstern, die sich in einer Spirale die Wände des Archontenturms hinauf zogen. Viele waren bei den Kämpfen gesprungen oder beschädigt worden, doch einige der ehemaligen Helden und Archonten starrten nach wie vor grimmig auf die Halle hinab, als urteilten sie über das, was heute hier geschehen war. Träumer merkte, wie er den Blicken der gläsernen gestalten auswich und schalt sich einen Narren. Sie waren tot. Wie die Archonten. Wie Sine… wie viel zu viele. Alle waren sie Geschichte… und der konnte nicht anders, als sich schuldig zu fühlen. Er hatte es nicht geschafft sie zu überzeugen. Er hatte versagt auch wenn das hier wie ein Sieg für den roten Heiligen wirken mochte. Der Preis war zu hoch gewesen… und von nun an würde er nur noch wachsen. Denn wenn sich die Nachricht über das Schicksal Helikes erst verbreitete, welche Stadt würde sie dann noch willkommen heißen ? Mit einem hatte sein Meister recht. Die Zeit der Gnade war vorbei. Aber er hatte sich selbst darum betrogen.
Langsam senkte er den Blick zu dem hohen Podest am anderen Ende des Raums. Einst hatten dort fünf Throne gestanden, nun jedoch waren sie alle bis auf einen entfernt worden. Und auf den letzten saß der Herr über diesen Schrecken, in Gold, Rubine und Fell gekleidet.
An den Türen und den Aufgängen zum Podest hielten ein halbes Dutzend Männer wache. Einst waren sie Paladine und Stadtwachen gewesen, diejenigen, die ihnen die Tore geöffnet hatten, die den Herrn der Ordnung in Helike willkommen hießen… Nun jedoch trug kein einziger von ihnen mehr die scharlachroten Umhänge der Paladine, sondern weiße Mäntel, auf denen die rote Hand des Heiligen abgebildet war.
,, Also sind sie entkommen ?“ Der Mann auf dem Thron klang wenig überrascht darüber. Träumer hatte noch nichts gesagt, aber was hatte er erwartet? Das Sein Verrat lange unbemerkt bleiben würde? ,, Ich dachte, ihr hättet mir versichert, sie seien Tod.“
,, Herr, welchen unterschied macht es noch. Die Stadt ist euer. Ihr habt euer Ziel erreicht. Es braucht nicht noch mehr Tote.“
,, Mein Ziel, Träumer ? Ihr wisst genau so gut wie ich, dass wir noch weit davon entfernt sind. Wir haben grade erst begonnen. Und jeder mehr, der sich uns dabei in den Weg stellt, wird das Leid nur in die Länge ziehen, das wisst ihr so gut wie ich. Der Archont wird kämpfen wollen. Und er weiß, wo er uns auflauern kann. Deshalb wird es Zeit, den nächste Teil unseres Plans in Angriff zu nehmen. Das Kaiserreich wartet… und unsere Fortschritte dort, sind fast an dem Punkt an dem mein Eingreifen erforderlich wird. Ich will, dass ihr alle in der Stadt verbliebenen Schiffe bereit macht. Der Moment ist gekommen, dieser ganzen Welt Wahrheit und Gerechtigkeit zu bringen.“
,, Zu viele haben in diesen Hallen schon von Gerechtigkeit gesprochen und meinten Tyrannei.“ , erklärte Träumer düster. ,, Ihr wollt sicher nicht in ihre Fußstapfen treten.“
,, Mein Freund, nennt mir den Unterschied. Des einen Menschen Freiheit bedeutet für den anderen Unterdrückung. Aber wir, wir werden das alles zu Nichte machen. Unser Auftrag stammt von de Himmeln selbst. Wer könnte sich uns wiedersetzen wenn nicht die Agenten des Bösen, das in dieser Welt schlummert? Unsere Feinde geben sich von selbst zu erkennen, in dem sie sich auflehnen. Alle anderen, bin ich bereit willkommen zu heißen.“ Der rote Heilige lächelte beinahe fürsorglich. ,, Der Rest jedoch kann nur noch der Läuterung durch Schwert und Feuer anvertraut werden.“
Maras… Naria hätte nicht gedacht, dass sie der Anblick ihrer Heimat einmal derart mit Sorge erfüllen könnte. Die ersten Berggipfel der Insel kamen im Morgengrauen in Sicht. Der Hafen und die verstreut liegenden Siedlungen lagen noch im Dunkeln, wussten noch nicht, was aus dem Süden auf sie zukam. Lediglich in einigen wenigen Gebäuden brannte schon Licht. Vermutlich hatte man dort die näherkommende Flotte aus Handelsschiffe und hastig seeklar gemachten Galeeren noch nicht einmal bemerkt. Und wie würde ihre Mutter reagieren, wie würde die Räte handeln, wenn plötzlich halb Helike sie um Schutz ersuchte?
Naria ging an der Reling des Schiffs entlang, auf das sie und Wys sich gerettet hatten. Unter ihr glitzerte das Wasser rötlich im Licht der langsam aufgehenden Sonne. Wie Blut… Sie träumte wieder. Träumte, erneut in Helike zu sein, inmitten der Toten und er endlose Blutströme, die sich in den Straßen zu kleinen Rinnsalen aufstauten. Doch diesmal waren die Toten keine unbekannten mehr. Es waren die Archonten. Es war Kareht… sogar Träumer. Und es war Sine, deren leblose Körper achtlos
In die Gossen Helikes geworfen worden war. Diesmal gab es wenigstens keine gesichtslose Gestalt, doch die anklagenden Blicke der Toten waren bei weitem genug, um sie kaum noch Ruhe finden zu lassen. Und sie hatte nichts mehr um ihre Visionen irgendwie zu betäuben. So war sie auch heute schon früh an Deck und sah zu, wie die Insel vor ihnen langsam größer wurde. Naria glaubte nicht, das ihre Alpträume wieder auf den roten heiligen zurückgingen. Sie waren was sie waren. Schlechte Nachtbilder. Und doch hinterließen sie einen Stich und einen üblen Nachgeschmack, wenn sie die Augen schloss. Sine…
Sie hätte etwas tun sollen, sagte sie sich. Hätte wenigstens versuchen müssen, sie irgendwie zu schützen. In ihren letzten Augenblicken war das Mädchen um so vieles Mutiger gewesen wie sie. Naria blieb nur das Gefühl, versagt zu haben. Und damit war sie nicht alleine, dachte sie. Wys spielte vielleicht nach außen nach wie vor den Anführer, hielt seine Leute mit eisernem Willen zusammen… aber wenn sie alleine waren, sah sie, wie wenig davon real war. Ihr Onkel wirkte mit jedem Tag zunehmend eingefallener und ausgelaugter. Was er noch an kraft hatte, opferte er den Massen…
Sie seufzte und trat von der Reling zurück. Einst hatte der Segler einem Händler aus Canton gehört, von dem Mann war jedoch bei ihrer Flucht nichts mehr zu finden gewesen. Und seine Mannschaft hatte, nachdem sie die Säuberungen in den Straßen Helikes
Gesehen hatten, nur allzu bereitwillig die Anker gelichtet. Handelswaren und Güter waren, bis auf die Lebensmittel und Wasservorräte im Meer gelandet um Platz für mehr Leute zu schaffen, trotzdem hatten sie bei weitem nicht einmal die Hälfte aller Flüchtlinge am Hafen mitnehmen können. Der Rest würde sich auf dem Landweg nach Kalenchor durchschlagen müssen. Irgendwie…
Aber selbst wenn die Nachricht den Gardestützpunkt erreichte konnten sie wohl kaum mit Hilfe rechnen. Der Garnisonskommandant würde bestimmt alles daran setzten, die Grenzen zu sichern und eine Nachricht an den Kaiser weiter zu schicken. Kellvian würde sie sicher nicht im Stich lassen, aber bis er hiervon erfuhr, würden Wochen vergehen und noch mehr Zeit, bis eine Armee Helike erreichen könnte. Oder Maras. Und so wie sie die Lage einschätzte, blieben ihnen eher Tage, bis der Kreuzzug der in Helike begonnen hatte auch sie erreichen würde.
Und doch sah Maras so friedlich aus, wie es da im ersten Morgenlicht vor ihnen lag. Naria überlief ein Schauer, wenn sie daran dachte, dass hier das gleiche wie in Helike geschehen könnten. Nein. Niemals. Das würde sie nicht erlauben…
,, Ich hatte gehofft, mit froheren Botschaften hierher zurück zu kehren.“ Sie merkte nicht, wie Wys neben sie trat und so zuckte sie beim Klang seiner Stimme kurz zusammen. Wann war sie nur so schreckhaft geworden? Oder steckten ihr die Alpträume nach wie vor in den Knochen? ,, Und ihr offenbar auch.“
Naria nickte. ,, Wir bringen den Tod mit uns Wys. Ich… ich sage es ungern, aber vielleicht haben wir einen Fehler gemacht, als wir diese Leute weiter gewähren ließen. Hättet ihr die Prediger aus der Stadt geworfen oder festgesetzt… vielleicht wäre alles anders gekommen?“
,, Es hätte nicht viel geändert. Ihr habt gesehen über welche Macht diese Männer verfügen. Und ich möchte nicht glauben, dass ein Krieg gegen mein eigenes Volk, verführt oder nicht, etwas Gutes gehabt hätte. Und doch sieht es so aus, als Stünde mir genau das jetzt bevor.“ Wys war an die Reling getreten und seine Finger gruben sich tief in das aufgeweichte Holz. ,, Ich werde ihn töten, Naria. Den roten Heiligen und auch Träumer, wenn es nötig ist. Egal wie. Dieser Schrecken wird hier enden.“
Er sagte es, aber er glaubte es nicht, dachte Naria. Und sie hätte ihm gerne geglaubt, konnte es aber nicht. Sie hatten beide gesehen, wie ein einzelner Mann eine Stadt in ein Trümmerfeld verwandelte. Welche Hoffnung gab es da für sie? Und doch war Aufgeben keine Option.
,, Wie viele Schlachten habt ihr in eurem Leben geschlagen ?“ , fragte sie vorsichtig.
,, Zu viele, als das ich noch stolz darauf sein könnten. Und eine zu wenig.“
Mittlerweile hatten sie bereits die Hafeneinfahrt erreicht. Die Menschen in der langsam zum Leben erwachenden Siedlung hatten sie sicherlich bereits entdeckt. An den Stegen wo um diese Zeit normalerweise die ersten Fischer aufbrachen, hatten sich bereits einige Wächter versammelt und die Leute auf den Straßen hielten inne um zuzusehen, wie die kleine Flotte langsam in den Hafen einlief.
Als sie und Wys wenig später eine Laufplanke hinab stiegen, tauchten sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter bereits aus der Menge auf.
,, Naria…“ Die ältere Gejarn kam sofort angelaufen um sie in die Arme zu schließen, nicht jedoch, ohne Wys dabei einen giftigen Blick zuzuwerfen. Es brauchte keine Worte, sie wollte wissen, was das hier zu bedeuten hatte.
Zyle hingegen umarmte seinen Bruder einen Moment, bevor er erneut zu den Schiffen sah, die immer noch, eines nach dem anderen, die Hafeneinfahrt passierten.
,, Geht es euch gut ? Was ist passiert?“ , wollte er wissen, während er die zerlumpte Kleidung des Archonten musterte. Die mittlerweile eingetrockneten Blutflecken und das dutzend abgerissener und erschöpfter Flüchtiger und Paladine, die sich langsam an Deck wagten, sprachen Bände.
Wys jedoch erklärte sich nicht zuerst seinem Bruder. Zyle würde es verstehen, dachte Naria. Worauf es jedoch wirklich ankam, das waren die Räte von Maras… und ihre Mutter. Auch wenn sie sich offiziell zurückgezogen hatte, galt ihr Wort hier immer noch viel.
,, Was hat das zu bedeuten ?“ , fragte sie. ,, Wer sind diese Leute Wys ?“
,,Mein Volk, oder das was davon übrig ist.“ , erwiderte der Archont schwerfällig. Was er jedoch dann tat, damit hatte wohl keiner von ihnen gerechnet. Das Geräusch, als Wys das Schwert zog hallte in der Luft nach. Sofort griffen auch sämtliche anwesenden Wächter nach ihren Waffen, bis der Archont vor ihren Augen auf die Knie sank und Relina das Schwert hinhielt. Die Frau im Federumhang ignorierte die Geste.
,, In dieser Stunde größer Nor ersuchen wir euch um Hilfe. Ich bitte um eure Hilfe.“ , erklärte Wys laut. ,, Mir ist klar, dass unser Verhältnis nicht immer das Beste war, dennoch flehe ich euch an, eure Wut nicht an jenen auszulassen, die nichts damit zu tun hatten. Ich bin der letzte Archont Helikes, Relina. Die anderen sind tot… und mögen ihre Strafe damit erhalten haben. Solltet ihr also immer noch einen Grund sehen, einen groll gegen uns zu hegen, dann bitte…“ Er hielt ihr nach wie vor das Schwert hin. ,, Nehmt eure Rache wenn ihr wüsste… aber wenn ihr das tut, nehmt auch mein Volk auf.“
Und tatsächlich streckte Relina die Hand nach dem Schwert aus. Naria konnte nur starr dabei zusehen. Das konnte sie nicht tun, dachte sie. Das…
,, Bitte…“ Zyle legte seiner Frau eine Hand auf die Schulter um sie zurückzuhalten. ,, Denk nach.“
,, Das tue ich schon die ganze Zeit.“ , erwiderte die Gejarn leise. Und mit diesen Worten schwang sie das Schwert im hohen Bogen. Der Stahl glitzerte in der Luft, als die Klinge durch die Luft flog… und im flachen Wasser des Hafenbeckens aufschlug. Bevor die Waffe noch ganz versunken war, hatte sie Wys auch schon wieder auf di Füße gezogen. ,, Keine Sorge. Im Gegensatz zu euch verbrenne ich die Leute nicht, die mir nicht gefallen. Meistens zumindest. Und jetzt erklärt ihr mir besser, warum ihr halb Helike mit euch bringt. Auch wenn ich bezweifle, das mir die Antwort gefallen wird.“
Die Versammlungshalle der Zauberer war selten so voll gewesen, wie am Abend ihrer Rückkehr. Und auch selten so erfüllt von Sorgen, dachte Naria. Die Kristallenen Windspiele über ihren Köpfen klirrten leise und erfüllten den Raum mit ihrem stetig wechselnden Lichtern. Jetzt, wo die Sonne draußen unterging, schien das innere der Halle in kalte Flammen getaucht. Die Kristalle brachen das Licht in allen Schattierungen von orange, rot und gelb. Es mischte sich mit den Strahlen, die durch die mit bunten Glasschuppen besetzten Fenster fielen und wirkte so beinahe Lebendig. Ein unruhiges Ding, das sich beständig verwandelte und beinahe die Stimmung in der Halle nachzubilden schien. Nach allem was Naria wusste, war das gar nicht mal so unwahrscheinlich, legte doch jeder angehende Zauberer einen Teil seiner selbst in den Kristall, der später in der Halle aufgehängt werden würde. Und heute waren fast alle Magier Helikes hier versammelt, zusammen mit den meisten wichtigen Händlern und den Vorstehern von Handwerkern und Farmern. Dazu kamen nun auch noch die Überlebenden aus Helike, die während des ganzen restlichen Tags eingetroffen waren. Nicht alle Schiffe hatten während des Wegs mit ihnen Schritt halten können und so waren einige Kapitäne erst spät eingetroffen. Mittlerweile lag in der Bucht schon eine ansehnliche Flotte vor Anker und die meisten ehemaligen Einwohner Helikes waren fürs erste in den Nebenflügeln der Versammlungshalle untergebracht worden, wo sie sich erholen konnten. Die Bevölkerung von Maras hatte sich innerhalb weniger Stunden beträchtlich erhöht und natürlich verbreitete sich auch die Nachricht über das, was in Helike geschehen war, wie ein Lauffeuer. Manche schienen es nicht glauben zu wollen, andere hingegen wurden panisch… Ihr Vater war den ganzen Tag damit beschäftigt, seine Wächter aufzuteilen um zumindest etwas Ordnung aufrecht zu erhalten und war auch, wo sich die Dinge langsam beruhigen, nicht wieder zu ihnen gestoßen. Relina , die im vorderen Teil der Halle stand sah immer wieder über die Menge hinweg, ob sie ihn nicht irgendwo entdecken konnte. Naria konnte sich zwar bereits vorstellen, wo er steckte. Ihre Mutter würde sicherlich auch darauf kommen. Es gab genau einen Ort auf Maras, an dem Zyle sich zurückzog, wenn er nachdenken wollte. Und sie alle hatten bei weitem genug, um das sie sich Sorgen mussten.
Naria hielt sich so gut es ging am Rand der Menge und lehnte an einer der Säulen, die das Dach des Raums trugen. Sie musste nicht noch einmal hören, was sie selbst erlebt hatte und so schloss sie lediglich die Augen, während Wys erzählte. Etwas, das genau so wenig Erlösung brachte, den in der Dunkelheit warteten wieder nur Schreckensbilder und Visionen auf sie.
Sie wünschte sich, dass wenigstens Sine noch hier wäre. Und dann wieder… es hätte dem Mädchen wohl das Herz gebrochen, wenn Träumer auch sie angegriffen hätte. Dass er sie am Ende verschont hatte, würde kaum etwas ändern… Aber sie würde wenigstens noch Leben, dachte Naria. Und hier sein. Wys wünschte sich vermutlich dasselbe für Tira. Sie hatten beide in Helike viel verloren… aber ihr Onkel bei weitem mehr als sie. Nämlich wirklich alles, dachte Naria. Helike war sein Lebenswerk gewesen und nun war alles, wofür er Jahrzehnte seines Lebens geopfert hatte in einigen, wenigen schrecklichen Stunden vernichtet worden. Das durfte sich hier einfach nicht wiederholen…
Immerhin schien es auf Maras keine Prediger zu geben, dachte sie. Vielleicht sah der rote heilige die kleine Insel auch einfach nicht als wichtig genug an, um sich mit ihr zu beschäftigen. Außer, wenn sie sich ihm in den Weg stellten… und das würden sie.
Ihre Mutter und die Räte hörten dem Bericht ihres Onkels nur schweigend zu, während es draußen langsam endgültig Dunkel wurde. Einige Magier entzündeten magische Lichter oder Fackeln, welche die Halle in diffuses Licht tauchten. Relina trug wie schon am Hafen einen langen Federumhang. Das weinfarbene Kleid darunter schien sich im Licht der Fackeln selbst in Feuer zu verwandeln. Ihre Stirn lag in tiefen Falten, abgesehen von dem Teil, der von einer großen, schwingen förmigen Brandnarbe verunstaltet wurde.
,, Wenn diese Kultisten von Helike aus weiter nach Canton wollen und das wollen sie, dann müsse sie entweder Kalenchor überrennen, woran bisher noch jede Streitmacht gescheitert ist, oder den Weg über das Meer nehmen.“ , erklärte Wys ruhig. ,, Die sicherste Route wird sie dabei direkt nach Maras führen und ich bezweifle, dass sie uns links liegen lassen. So wie ich die Lage sehe, gibt es zwei Möglichkeiten, wir fliehen, oder wir bekämpfen sie hier. So oder so, der Sturm kommt. Was jetzt zu tun ist, zu entscheiden, wie wir ihm begegnen wollen.“
,, Und was schlagt ihr vor ? Nach dem was ihr uns erzählt habt, ist dieser Mann, dieser rote Heilige, alleine dafür verantwortlich, dass ihr die innere Stadt verloren habt. Und mittlerweile verfügt er über Laos Ressourcen und Männer. Ich sehe nicht, wie wir diesen Kampf gewinnen könnten.“ , erklärte der Vorsteher der Handwerker. ,, Aber ich bin kein Stratege… vielleicht sollten wir Zyle dazu hören ?“
,, Zyle ist nicht hier.“ , erklärte Relina kurz angebunden. Kurz wurde Gemurmel laut, während sich Köpfe suchend umdrehten um nachzusehen ob sie den Anführer der Wächter vielleicht doch irgendwo erspähen konnten. Relina lenkte die Aufmerksamkeit rasch wieder auf sich, in dem sie fortfuhr: ,, ich glaube jedoch, dass er euch zustimmen würde. Das will ich nicht bestreiten. Zahlenmäßig sind wir ihnen weit unterlegen. Aber wenn es um Magie geht, spielen Zahlen alleine nur selten eine Rolle. In dieser Halle befindet sich die größte Ansammlung von Magiern außerhalb des Sangius-Ordens. Viele von euch haben noch in Helike mit mir gekämpft. Ich habe nicht vor, das alles aufzugeben. Und wir haben einen Vorteil: Wir wissen, dass sie kommen und wir wissen, dass es bald geschehen wird. Wenn wir zusammen stehen, haben wir eine Chance.“
,, Aber ihr wisst nicht, mit was ihr es zu tun habt. Ihr habt den Archonten doch selbst gehört…“ , warf der Handwerksmeister ein. ,, Helike wurde an einem Tag überrannt. Was können wir uns da erhoffen, Magie hin oder her? Naria, ihr wart dort… was sollen wir eurer Meinung nach tun?“
Die Nennung ihres eigenen Namens riss die Gejarn aus ihren Gedanken. Bisher hatte sie nur halb zugehört. Am Ende war es egal, was die Versammlung entschied. Sie würde sich danach richten. Jetzt jedoch…
Sie blickte einen Moment in die Runde. Naria hatte nicht damit gerechnet, dass man sie nach ihrer Meinung fragen würde. Langsam sah sie sich in der Halle um. Mittlerweile hatten sich fast alle Anwesenden zu ihr umgedreht. Sie sah die Gesichter von Freunden und Fremden gleichermaßen. Alte Kollegen, Lehrer, die sie in der Magie und allem anderen unterrichtet hatte, einen der Schäfer, den sie als Kind mal eines seiner Tier entführt hatte. Aber sie sah auch die entschlossenen Gesichter von Zyles neuen Wächtern. Rethan, Jorick, Erin , Aaron und all die anderen. Ihr Vater musste sie während ihrer Abwesenheit in den Stand eines vollwertigen Wächters erhoben haben, den heute trug jeder von ihnen ein schlichtes Kettenhemd, schwere Stiefle und Handschuhe und einen hellgrünen Umhang, der mit türkisfarbenen Stoff abgesetzt war. Die normale Stadtwache trug lediglich grün, doch diese jungen Männer waren nicht bloß mit dem Schwert geschult, sondern auch in der Magie. Eine gefährliche Kombination… Aber reichte es gegen die Bedrohung aus, der sie sich hier stellen mussten? Bei ihrer Abreise waren sie noch halbe Kinder in den Augen der Insel gewesen…
Und Kinder gab es genug hier, dachte sie betrübt. Junge Magier, die Kidner der Dorf und Stadtbewohner, manche kaum älter als fünf, andere schon fast junge Männer und Frauen. Wenn sie blieben und versagten würden sie sterben…
Und wenn sie gingen, ging das gemeinsame Lebenswerk aller hier anwesenden in Flammen auf. Maras. Hoffnung in der Sprache der Herzlandclans… Eine dem Untergang geweihte Hoffnung, wie es schien. Und wenn sie aufgaben, was stand dann noch zwischen dem roten heiligen und dem nichts ahnenden Kaiserreich? Bis ein Bote von Kalenchor aus die fliegende Stadt erreichte würden Wochen vergehen. Naria machte sich keine Illusionen, dass sie die gesamte Streitmacht Helikes so lange würden aufhalten können. Aber es wäre eine Verzögerung. Und vielleicht konnten sie zumindest die Kinder und Alten zuvor von der Insel bringen… Es war ein fauler Kompromiss, das wusste sie. Aber sie konnte sich auch nicht überwinden, ihre Niederlage einzugestehen. Vielleicht hatte sie das auch mit ihrem Onkel gemein, dachte sie. Irgendwie hatte es der Mann geschafft, seine verstreuten Leute wieder aufzubauen…
,, Wir kämpfen.“ Mochten die Geister ihr gnädig sein. ,, Wir bringen alle, die sich nicht verteidigen können von der Insel und bereiten uns dann auf die Ankunft des roten Heiligen vor. Ich sage nicht, das wir gewinnen… aber wir würden sie aufhalten und damit den Flüchtlingen Zeit verschaffen…“ Und einem Boten aus Kalenchor, dachte sie, wagte es jedoch nicht davon zu erzählen. Sie wussten nicht einmal, ob überhaupt jemand den Grenzposten des Kaiserreichs lebend erreicht hatte. ,, Aber wir werden kämpfen.“ , erklärte sie erneut.
,, Gut. Dann wäre das ja geklärt.“ , rief da eine Stimme aus dem hinteren Teil des Saals, die sie nicht mehr zu hören erwartet hatte. Die Menge machte Hedan rasch Platz, während der alte Kapitän sich nach vorne drängte.
,, Hedan !“ Naria hatte sich selten so gefreut jemanden zu sehen. Der Mann schien der einzige im Saal zu sein, der nicht verzweifelt oder besorgt dreinsah. ,, Ihr seid noch hier ?“
,,Ich die Immerwind und der Großteil meiner Crew.“ , erwiderte Hedan grinsend. ,, Und ihr werdet bald verdammt froh sein, das ich es bin. Ich bin jedenfalls bei dem Tanz dabei, wenn ihr mich den haben wollt. Es ist zu lange her, dass ich eine Klinge in der Hand gehabt habe… und ich glaube ich kann euch auch noch anders von nutzen sein.“
,, Soll das heißen ihr habt einen Plan ?“ , fragte Relina.
,,Ha.“ Der Mann lachte. ,, Ich würde es keinen Plan nennen, Frau, aber es ist besser, als das was ihr vorhabt. So wie ich das verstehe habt ihr vor, hier herumzusitzen und euch Einzuigeln, bis diese Irren euch holen kommen. Ich schlage vor, wir heißen sie gebührlich willkommen… und es erst gar nicht zu einer Landinvasion kommen zu lassen. Und so wie ich das sehe, habt ihr einen ganzen Haufen Schiffe, die niemand mehr braucht, wenn das nicht klappt. Mögen sie noch so viele sein, wenn es ihnen die Planken unter den Füßen zerfetzt ertrinken sie trotzdem..“
,, Ihr redet davon eine Handvoll Schiffe gegen die gesamte Flotte Helikes zu führen.“ , warf Wys ein.
,, Mag sein, das wir in der Unterzahl sind, Archont, aber als ich das letzte Mal nachgesehen habe, hat es euer Volk immer noch nicht fertig gebracht, Skorpione und Schleudern gegen ein paar Bordgeschütze einzutauschen. Das da draußen jedoch, sind Handelsschiffe aus Canton. Sie sind vielleicht nicht schwer bewaffnet, aber ein einziger Treffer kann eine eurer Galeeren zerschmettern. Und wir haben die Immerwind. Wenn ihr mir diese Flotte gebt, kann ich sie vor Maras positionieren und wenn wir es klug anstellen, einiges an Schaden anrichten. Vielleicht könnten wir sogar gänzlich verhindern, das es zu einer Landung kommt… zumindest, würde es sie Schwächen und wir würden Zeit gewinnen.“ Hedan hatte die Arme in die Hüften gestemmt und wartete auf die Antwort der Räte.
,, So wie ihr das sagt, klingt das beinahe, als hätten wir einen Vorteil.“ , bemerkte der Handwerksrat.
,, Es ist ein Vorteil.“, beharrte Hedan. ,, Einen, den ihr ergreifen solltet. Ich weiß nicht viel, über Magie, aber mit Seeschlachten kenne ich mich aus. Zahlen können auf dem Meer alleine nicht immer eine Schlacht entscheiden. Die Galeeren Helikes sind wendiger, aber um einiges leichter bewaffnet. Die meisten ihrer Projektile kommen nicht mahl durch die Planken eines kaiserlichen Kriegsschiffs. Die einzige Art, auf die sie uns gefährlich werden könnten, wäre, unsere Schiffe zu entern. Und ich habe nicht vor, ihnen Gelegenheit dazu zu geben. Sobald die Flotte in Sicht kommt, lassen wir unsere eigenen Schiffe auslaufen und lassen sie eine Feuerlinie entlang der gesamten bedrohten Küste bilden. Bevor überhaupt jemand merkt, was geschehen ist, wird von ihren Galeeren nur noch Kleinholz übrig bleiben. Alles, was ich von euch dazu brauche, ist eine Chance und euer Einverständnis, ein paar Leute einzuweisen. Es müssen nicht einmal erfahrene Seeleute sein, das Manöver an sich ist einfach und eine Kanone zu laden dauert nicht lange… Also ?“
Also hatten sie eine Chance, dachte Naria.
Als Relina die Versammlungshalle verließ, musste es bereits weit nach Mitternacht sein. Trotzdem brannten unten in den Straßen der Siedlungen, die sich die Küste von Maras entlangzogen noch Lichter. Nachdem sich die Nachricht über Narias Rückkehr und den Fall Helikes einmal verbreitet hatte, war für viele an Ruhe nicht mehr zu denken… und sie selber bildete dabei keine Ausnahme, dachte sie. Das leise Gemurmel von Gesprächen und überlautes Lachen drang mit dem kühlen Abendwind zu ihr hinauf. Selbst auf die Entfernung klang es falsch, dachte sie. Nervös…
Sie hatte in ihrem Leben schon Leute so lachen und nervös miteinander flüstern hören. Damals, hatten sie sich aufgemacht, aus Helike zu entkommen. Und nun sah es so aus, als hätte ihre Vergangenheit sie wieder eingeholt. Naria sicher wieder hier zu wissen war vielleicht eine Erleichterung… aber sie hatte auch eine bittere Botschaft überbracht. Maras mochte noch ruhig wirken, aber wie lange noch? Selbst mit Hedans Hilfe standen ihnen dunkle Tage bevor, dachte Relina und raffte den Umhang weite rum sich, um sich ein wenig vor der Kälte zu schützen.
Von Zyle jedoch fehlte nach wie vor jede Spur. Eigentlich hatte Relina gehofft, dass er noch zur Versammlung dazu stoßen würde… aber aus Maras Politik hatte er sich immer so gut es ging herausgehalten, dachte sie. Das würde sich wohl auch nie ändern. Und sie hatte schon so eine Ahnung, wo sie ihn finden könnte.
Die Gejarn ließ die große, hell erleuchtete Halle mit ihren großen Anbauten und Bibliotheken hinter sich und folgte einem einfachen Kiespfad, weg vom Meer in Richtung der Wälder, die auch nach zwanzig Jahren noch den Großteil der Insel beherrschten. Abseits der Siedlungen brannten keine Fackeln mehr und so erschuf sie rasch ein silbriges Licht in ihrer Hand, das den Pfad vor ihr beleuchtete. Die Felder, die sie passierte waren verlassen, die Ernte für diese Jahr bereits eingeholt in den Speichern. Immerhin darum mussten sie sich keine Sorgen machen, dachte sie. Anfangs war das bloße Überleben auf Maras eine Herausforderung gewesen… doch irgendwie hatten sie es gemeistert.
Die Wälder lagen wie eine finstere Wand vor ihr, trotzdem zögerte Relina nicht, als sie unter das Blätterdach trat. So unheimlich es wirken mochte, auf Maras gab es nachts nichts, wovor man sich fürchten musste. Noch nicht, fügte sie in Gedanken hinzu. Naria hatte ihr erzählt, was die Prediger des Herrn der Ordnung auf Helike gehetzt hatten. Monster. Kämpften sie jetzt dagegen? Zu ihrer Zeit hatten die Monster wenigstens noch die Güte gehabt, sich hinter den Fassaden von Menschen und Gejarn zu verstecken.
Unter den Zweigen war es fast vollkommen still, sah man von einem gelegentlichen Rascheln im Unterholz ab. Kleinere Tiere oder Rehe, die davonsprangen, sobald Relina sich mit dem Licht näherte. Und ab und an flogen auch vereinzelte Glühwürmchen auf, wenn ihre Füße das Gras streiften, das den Pfad zu überwuchern drohte. Der Duft von vermoderndem Holz und gefallenen Laub lag in der Luft. Es wurde langsam Herbst, dachte die Gejarn , während sie sich unter den Zweigen eines Baumes hinweg duckte, die mitten auf den Weg hinab hingen. Die Blätter daran begannen bereits, sich zu verfärben. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis die warmen Tage endgültig ihr Ende fanden. Schnee gab es auf Maras zwar nur selten, dafür jedoch wurde die See stürmischer und sie hatten jedes Jahr mindestens mit zwei schweren Stürmen zu rechnen. Wieder so eine Sache, der einstihre größten Sorgen gegolten hatten… und die im Anbetracht dieser neuen Bedrohung schlicht bedeutungslos wurde. Es sah so aus, als wollte das Schicksal ihnen keinen Frieden lassen…
Als sie die Lichtung schließlich fand, schien auf den ersten Blick niemand hier zu sein. Mondlicht sickerte durch die Lücke im Baumbestand auf die Wiesen herab und tauchte alles in silbrigen Glanz. Zyle hatte seine Wächter hier draußen ausgebildet… und sich mehr als einmal hierher zurück gezogen, wenn man ihn sonst nirgends mehr finden konnte, dachte Relina , während sie langsam ins Mondlicht trat und sich umsah.
Das erste, was ihr auffiel, war das Schwert, das an einem vermodernden Baumstamm am Rand der Lichtung lehnte. Das war Zyles Waffe, das wusste sie. Aber wo war er selbst?
,, Sie sind noch Kinder, Relina. Ich habe jedes Schwert auf dieser Insel trainiert… sie sind schlicht nicht bereit. Nicht für so etwas.“ Er war in der Dunkelheit kaum zu sehen, wie er dort an einen der Bäume gelehnt saß. ,, Du und ich ? Wir wissen wie es ist, töten zu müssen. Die Wächter ß Die Stadtwache ? Die wissen wie es ist, einen Kürbis aufzuspießen. Aber Kürbisse schreien und bluten nicht. Und sie versuchen auch nicht, dir dabei die Kehle durchzuschneiden.“
,, Ich habe dir doch noch gar nicht gesagt, was die Versammlung entschieden hat.“ , meinte Naria und blieb mit überkreuzten Armen in der Mitte der Lichtung stehen.
,, Die Versammlung, das bist du, Relina. Und ich kenne dich mittlerweile gut genug um zu wissen, dass du das alles hier nicht aufgibst. Dazu brauche ich es mir nicht erst anhören.“ Er lächelte, aber es wirkte falsch, traurig. Er hatte auf eine andere Entscheidung gehofft, aber sicher nicht damit gerechnet.
Eigentlich war es Naria gewesen, die den Ausschlag gegeben hatte, dachte Relina. Aber Das Mädchen hatte immer etwas mehr von ihr gehabt. Damit lief es für ihn wohl auf das gleiche hinaus. Ihm gefiel die Entscheidung schlicht nicht. Und wenn Relina ehrlich war… vielleicht wäre dieses eine Mal weglaufen wirklich die bessere Alternative. Und doch wohin ? Nach Canton ? In die Unfreiheit unter den Orden ? Zwanzig Jahre, fast die Hälfte ihres Lebens steckte in dieser Insel… Und nicht nur ihres, sondern auch das so vieler anderer. Waren sie es ihnen nicht schuldig, zumindest den Versuch zu wagen, es auch zu verteidigen?
Sie musterte ihn, wie er da unter seinem Baum saß, das graue Fell, seine schlichte Kleidung, die hellen Strähnen im Haar, wo das grau bereits ins weiße übergehen wollte, die sich mittlerweile bei ihnen beiden bemerkbar machten. Und doch hätte sie ihn in diesem Moment nicht weniger Lieben können.
Relina lächelte, als er auf sie zukam und sie schlicht in die Arme nahm. Eine Weile lang standen sie einfach nur umschlungen da und jeder hing den eigenen Gedanken nach, die sich doch so ähnlich waren. Was hatten sie nicht schon alles hinter sich gebracht? Sie hatten einander verletzt, sie hatten verziehen, eine neue Welt aufgebaut… Es war ein erfülltes Leben, dachte sie. Was immer auch am Ende stand, das blieb. Und sie liebte Zyle für jede Sekunde davon. Sie waren beide Älter geworden und doch wusste sie schon, dass er, wenn es so weit kam, den Kampf selber führen würde. Nein er würde sogar darauf bestehen. Dafür wiederum hätte sie ihn gerne gehasst… Vielleicht konnte ihm nicht mehr viel etwas anhaben, dachte Relina. Aber er war nicht Unsterblich und es änderte auch nichts an ihrer Sorge um ihn. Um sie alle… Sie brauchte nicht erst zu sagen, was sie dachte. Zyles eigene Sorgen waren die ihren. Und keiner von ihnen wusste einen Rat.
Stattdessen küsste er sie er sie sanft und zog sie noch weiter an sich. Und Relina erlaubte sich schlicht darin zu versinken. Es geschah in letzter Zeit ohnehin zu selten, dachte sie, während sie beide langsam ins Gras sanken. Seine Hände wanderten ohne zu zögern unter ihr Kleid, während sich ihre Lippen erneut fanden. Zyle packte ihren Umhang und breitete ihn neben ihnen aus, bevor er sie beide herumrollte und sie auf seinen Schoß zog. Relina konnte spüren wie sich seine Männlichkeit unter ihr regte. Mit fahrigen Bewegungen machte sie sich daran ihre Kleider abzustreifen. Die kalte Luft war bereits vergessen, als sie endlich ein paar Schnüre geöst bekam und sich das Kleid über den Kopf zog. Zyle hatte sich derweil auch von seiner Hose befreit und machte sich nicht mehr die Mühe, auch noch das Hemd loszuwerden. Ein Stöhnen entkam ihm, als er in sie eindrang und Relina genoss einen Moment nur das Gefühl, ihn wieder in sich zu spüren und so nah zu sein.
Langsam begann sie sich auf ihm zu bewegen und Zyle passte sich rasch ihren Bewegungen an, während seine Hände ihren Körper entlangwanderten. Er wusste genau, wie er sie berühren musste um ihr Schauer über den Rücken zu jagen. Sie kannten einander nach all den Jahren schlicht Inn und auswendig und so dauerte es nicht lange, bis er sich immer schneller in sie drängte und auch Relina spürte, wie sie an ihre Grenzen kam. Ihre eigenen Bewegungen wurden ebenfalls immer schneller, bis sie spürte, wie er sich mit einigen letzten Bewegungen in sie ergoss. Relina erschauderte, als ihr eigener Höhepunkt sie überrollte, dann sank sie langsam auf ihn herab und schmiegte sich verschwitzt an seine Brust .Eine Weile lagen sie einfach nur so da und warteten darauf, dass sich ihr Herzschlag wieder beruhigte. Relina ließ eine seiner grauen Locken durch die Finger gleiten, während sich die kühle Nachtluft langsam wieder bemerkbar machte.
Neben Naria hatte Zyle ihr nie ein weiteres Kind schenken können. Ob es an ihr lag, oder dem, was einst mit ihm geschehen war, konnte Relina nicht sagen, aber sie war ihr einziges Kind geblieben. Und umso mehr konzentrierten sich ihre Sorgen auf sie.
,, Glaubst du wir können Naria überzeugen, sich anzuschließen, wenn wir alle von der Insel bringen, die nicht kämpfe können ?“
Zyles Antwort bestand aus einem lauten Lachen, das in der stille der Wälder lange nachhallte. Wenigstens, dachte Relina, klang es ehrlich. Nicht so verzweifelt, wie das der Leute in den Siedlungen. ,,Geht die Sonne morgen im Norden auf ?“ , fragte er immer noch grinsend, während er den Mantel als Schutz vor der Kälte über sie breitete. ,, Das Mädchen ist mindestens genau so stur wie du, Relina. Und ich glaube dazu kommt noch eine Portion von mir. Eher überzeuge ich dich, dich ihr anzuschließen.“
Nein, dachte Relina. Das würde ihm wohl genau so wenig gelingen. Schon gar nicht, wenn Zyle beabsichtigte hier zu bleiben. Eine Weile lagen sie einfach nur aneinander geschmiegt da, jeder den eigenen Gedanken nachhängend. Irgendwann musste sie wohl eingeschlafen sein, dachte Relina, denn als sie die Augen das nächste Mal aufschlug, war die Lichtung bereits in grauen Morgendunst gehüllt. Spärliches Sonnenlicht drang zwischen den Zweigen und Blättern hindurch und brach sich an den Wassertropfen, die sich überall gebildet hatten. Als Relina sich aufdeckte tropfte das Wasser von der Decke und ließ sie frösteln. Zyle lag nicht mehr neben ihr, sondern kniete inmitten der Lichtung über einer einfachen Feuerstelle. Es gab ein schabendes Geräusch, als Zyle mit einem Feuerstein über die Klinge des Schwerts wetzte und einige Funken inmitten der Späne landeten, die er vor sich aufgeschichtet hatte. Kondenswasser glitzerte auf der Klinge Auch in seinen Haaren hatte sich der Nebel verfangen und leuchtete, wenn sich ein Sonnenstrahl darin verfing.
,, Morgen.“ , meinte er grinsend, während er noch ein paar Zweige in die Flammen vor ihm warf. Ihre Kleider hingen an einigen Zweigen über dem Feuer, so dass die Hitze der Flammen sie zwar erreichte, sie aber nicht direkt dem Rauch ausgesetzt waren. Relina brauchte einen Moment um zu verstehen, was er da eigentlich tat. Es war wohl keine gute Idee gewesen, ihre Sachen gestern einfach auf der Wiese liegen zu lassen. ,, Ich dachte ich stelle besser sicher, dass wir nicht beide völlig durchnässt in die Siedlung zurück kommen.“ , erklärte er, während sie aufstand, den Mantel um die Schultern gelegt und sich zu ihm an die Flammen setzte. Ihr Kopf sank wie von selbst gegen seine Schulter.
,, Und wir sollten uns ohnehin beeilen, bevor noch jemand auf die Idee kommt nach uns zu suchen.“
Trotz dieser Worte bezweifelte Relina, das er es wirklich eilig hatte. Und sie auch nicht, dachte die Gejarn. Sie würden noch früh genug wieder in der Siedlung sein. Und sie bezweifelte, in den nächsten Tagen viel Schlaf zu bekommen. Es gab zu viel zu planen und vorzubereiten, wenn sie Maras verteidigen wollten. Doch für den Moment erlaubte Relina sich, das alles weit weg zu schieben… und einmal zu vergessen. Und so blieben sie schlicht in der Mitte der Lichtung sitzen und sahen dabei zu, wie die Flammen langsam höher loderten, währen die Sonne die letzten Nebelflocken vertrieb. Noch blieb ihnen etwas Zeit…
Blitze erhellten den westlichen Himmel. Gleißend hell wie die Sonne blendeten die Zacken ihn einen Moment, selbst durch das Fernglas. Hedan konnte Salz in der Luft schmecken und spürte, wie sich die Planken unter seinen Füßen mit jeder Welle verschoben. Das sah nach einem ausgewachsenen Sturm aus, dachte er grimmig. Passend, wenn man ihre Situation bedachte. Hedan zog an seiner Pfeife, während er das Fernglas wieder sinken ließ. Der stürmische Wind hatte die Flammen im Tabak angeheizt und so zog er nur beißenden Rauch und den Geschmack von Asche ein. Die Immerwind trieb mitten vor dem aufziehenden Unwetter her und die Mannschaft hatte alle Hände voll damit zu tun, das Schiff auf Position zu halten. Segel wurden gerafft und die Anker ausgeworfen. Auch wenn sie nicht weit von Maras Küste entfernt waren, würde das Wetter zu einem Problem für sie werden, fürchtete er. Neben der Immerwind reihten sich ein Dutzend weitere Schiffe fast Bug an Heck aneinander und die meisten davon wurden nicht einmal von einem erfahrenen Kapitän befehligt. Allerdings würde das bald ihre geringste Sorge sein, dachte er, während er das Fernglas wieder ans Auge hielt und nach Süden schwenkte. Und dort näherte sich bereits ein Sturm ganz anderer Art. Einer, der weitaus gefährlicher war. Beim Anblick der Flotte wurde selbst ihm einen Moment lang mulmig. Das Meer war so weit er sehen konnte unter einem Wald aus Segeln und den Rümpfen der Galeeren verschwunden. Die Schiffe fuhren so dicht, das zwischen ihnen grade noch genug Platz für die Ruder blieb. Sehr schön… Er hatte genau darauf gehofft. Das würde ein zielschießen werden, dachte Hedan. So dicht, wie die Galeeren Helikes nebeneinander trieben musste sie selbst ein Blinder treffen, wenn er nur grob in die Richtige Richtung zielte. Genau dafür hatten sie sich Tagelang Tag und Nacht vorbereitet. . Aber noch war es nicht so weit.
Hedan trat von der Reling der Immerwind zurück und schlug den Kragen seines Mantels hoch. Der Wind, der von Westen her kam war kalt und brachte Gischt und Regentropfen mit sich, die das Schiffsdeck rutschig und heimtückisch machten. Seine Stiefel trommelten auf den Planken, als er die gesamte Länge des Schiffs entlang zum Ruder am Heck lief. Der Steuermann nicke ihm lediglich kurz zu um seinem Kapitän dann Platz zu machen. Es gab nicht viel zu tun, außer ab und an gegen die Wogen anzusteuern, damit das Schiff auf Position blieb. Aber immerhin war es eine Beschäftigung jenseits der zermürbenden Warterei, dachte Hedan. Flüchtling legte er eine Hand auf seine Brust und berührte den Brief, der sich, in einer der vor Wasser geschützten Innentaschen seines Mantels befand. Es waren Worte gerichtet an eine Tochter, die ihn nicht mehr kannte und die er vielleicht nie mehr richtig kennen lernen würde. Hedan schloss einen Moment die Augen. Er war nicht nur so lange hier geblieben um seinen Männern die wohlverdiente Pause zu gönnen. Tagelang hatte er über diesen Zeilen gebrütet, überlegt, wie er jemanden ansprechen sollte, der ihn nicht einmal mehr erkannte oder erkennen wollte. Und jetzt stand er doch hier, kurz vor der Schlacht und trug ihn immer noch mit sich. Vielleicht hätte er das Schriftstück Relina oder Naria anvertrauen sollen, damit diese es überbrachte. Aber das wollte er selbst tun. Oder wäre es so schlimm gewesen, sie einem der Schiffe anzuvertrauen, die bereits mit allen Bewohnern der Insel aufgebrochen waren, die nicht bei der Verteidigung helfen konnten… oder wollten. Letzter waren zum Glück sehr wenige gewesen, dachte er. Sie waren so schon nicht viele und brauchten wirklich jede helfende Hand, die sie bekommen konnten, selbst wenn sie kein Schwert zu führen wusste. Auf Maras hatte es in den letzten Tagen genug andere Aufgaben gegeben. Dutzende von Bäumen waren entlang der gesamten Küste gefällt worden um Holz für notdürftige Barrikaden zu liefern. Die Siedlungen von Maras verfügten nicht über Mauern und so hatte man damit begonnen, die Lücken zwischen den einzelnen Gebäuden aufzufüllen und so zumindest so etwas Ähnliches wie eine Befestigung zu erschaffen. Hinzu kamen Arbeiter, die an den Stränden gruben aushoben, Pfähle anspitzten und weitere Wälle hochzogen und Kundschafter-Trupps, die mehrmals täglich das gesamte Meer um die Insel absuchten. Nur für den Fall, das ihr Feind nicht direkt aus dem Süden kam, sondern versuchte, die Insel überraschend anzugreifen. Und heute Morgen war schließlich der Moment gekommen, den sie gefürchtet hatten. Der, in dem die Späher nicht geordnet in die Versammlungshalle zurückkehrten, sondern nur ein einziger Läufer die Türen aufstieß. Es waren nur Fünf Worte gewesen und doch hatten sie die Insel ins Chaos gestürzt. ,, Sie kommen. Aus dem Süden.“
Nun immerhin hatten sie die Freundlichkeit, ihm das reinste Zielschießen zu bieten, dachte Hedan bitter und klopfte seine Pfeife aus. Der Rauch war ohnehin nur bitter. Einen Moment lang schweiften seine Gedanken zu seinen einstigen Gefährten hier. Naria war noch hier, aber was aus den andere geworden war? Armell, oder Galren ? Oder aus Elin diesem Floh von einer Gejarn. Nun in jedem Fall war sie weit weg von hier… und damit in Sicherheit.
,, Kapitän, sie kommen gefährlich nahe. Feuer eröffnen?“ Er hatte Anweisung gegeben, die Flotte nicht anzugreifen, bis die Immerwind das Signal dazu gab. Mittlerweil waren die Galeeren so dicht heran gekommen, dass er die Farben auf ihren Segeln sehen konnte. Wie überdimensionierte Banner wehten sie im Wind. Er hatte die Flotte Helikes schon einmal zuvor gesehen. Normalerweise gehörte jedes Schiff zu einer Einheit der Paladine oder der normalen Truppen von Laos. Die Segel waren alle ähnlich in Rot und Gold gehalten, doch hatte jede Truppe mit der Zeit ihre eigenen Muster darin eingesteckt. Davon war nun jedoch nichts mehr zu sehen. Die Segel, die er vor sich sah, waren rein weiß, bis auf eine dreifingrige Hand, die in blutroter Farbe darauf prangte.
,, Lasst sie noch näher kommen.“ , meinte Hedan. Plötzlich viel die Anspannung von ihm ab. Der Moment war fast gekommen, die Schlacht fast hier. Er kannte dieses Gefühl nur zu gut, den Moment der Klarheit, bevor alles zur Hölle ging. Die Galeeren waren zwar in Reichweite der Kanonen, aber er wollte sicher gehen, so viel Schaden wie möglich anzurichten. Ob sie Zeit für eine zweite Salve hätten wusste er nicht. Das kam ganz darauf an, wie geschickt sich seine Leute auf den übrigen Schiffe anstellten. Die kaiserlichen Kanoniere brauchten nur wenige Minuten um eines der schweren Bordgeschütze neu zu laden,. Für die Leute von Maras jedoch konnte er nicht bürgen. Sie waren eine bessere Miliz, dachte er.
Von den Galeeren stiegen nun die ersten Feuerpfeile auf und Hedan hörte, wie mehrere, schwere Skorpionbolzen durch die Luft zischten und in den Rumpf der Immerwind einschlugen. Die Projektile hatten bei weitem nicht genug Wucht, um ernsthaften Schaden anzurichten. Die Wolke aus Brandpfeilen hingegen bereitete ihm da schon mehr Sorgen. Wenn einer davon das Pulvermagazin traf, waren sie verdammt. So dicht wie ihre eigenen Schiffe standen könnte das eine Kettenreaktion auslösen…
Wie ein tödlicher Hagelschauer gingen die Projektile über sie nieder und fanden ihre Ziele. Männer gingen schreiend zu Boden, während sich das brennende Pech über ihre Kleider ergoss, andere verloren das Gleichgewicht und wurden in die See gespült. Der Steuermann, der eben noch neben Hedan gestanden hatte, war plötzlich einfach verschwunden und ließ nur eine kleine Pfütze aus brennendem Pech und Blut zurück… Andere Pfeile schlugen ins Deck und in die Segel ein und entfachten kleinere Feuer. Hedan trat unbeeindruckt zur Seite, kurz bevor ein weiterer Pfeil sich dicht neben ihn ins Deck bohrte. Die Mannschaft machte sich sofort daran, die Brände einzudämmen und schlug mit in Seewasser getränkten Häuten und Decken auf die Pfeile und die Flammen ein. Die meisten jedoch verloschen nach wenigen Augenblicken von alleine oder wurden vom einsetzenden Regen erstickt. Am Ende könnte der Sturm sich doch noch als hilfreich erweisen, dachte Hedan.
,, Sie sind fast da.“ , rief ihm jemand zu.
,, Lasst sie noch ein Stück näher kommen.“ Mittlerweile lagen keine drei Schiffslängen mehr zwischen ihnen und dem Beginn der gegnerischen Flotte. Es wäre unmöglich sie noch zu verfehlen. Trotzdem wartete er noch einen Moment länger, bis er sah, wie erneut Feuer auf den Decks der Galeeren aufloderten und weitere Bögen gespannt wurden. ,, Jetzt . Feuer !“
Das Donnern der Geschütze übertönte einen Moment alles, vom Schreien der Verwundeten bis hin zum tosen des Sturms Dann gesellte sich der Klang von berstendem Holz dazu, als dutzende von Kugeln gleichzeitig ihre Ziele fanden. Die kleineren Galeeren wurden einfach zerfetzt, wenn sie eines der Geschütze traf, andere bekamen urplötzlich Schlagseite, wenn ein ganzer Teil des Bugs zerbröselte. Feuer brachen aus und Männer schrien. Es flogen keine Pfeile mehr, plötzlich waren alle zu beschäftigt damit, irgendwie von Bord der zum Untergang verdammten Schiffe zu kommen. Manche der Männer Helikes trugen allerdings nach wie vor schwere Rüstungen und sanken wie Steine ohne auch nur einen Laut von sich zu geben. Hedan begutachtete die Zerstörung vond er Reling der Immerwind aus. Was eben noch ein geschlossener Flottenverband gewesen war, trieb jetzt als ein durcheinander aus losen Planken, brennenden Segel und halb zerstörten Schiffsrümpfen dahin. Da war sie ja, die Hölle, dachte Hedan grimmig. Doch dahinter schob sich bereits die nächste Reihe aus Galeeren heran und diesmal ruderten ihre Gegner so schnell wie sie konnten. Ihnen musste klar sein, das sie gegen das geballte Feuer der Kanonen nicht ankamen. Aber wenn sie es schafften, die Schiffe von Maras zu entern würde sich das Blatt rasch wenden. Soweit durfte er es nicht kommen lassen.
,, Nachladen und die nächste Salve vorbereiten.“ , befahl er. ,, Gebt den Befehl an die übrigen Schiffe weiter, ab jetzt Feuern sie nach eigenem Ermessen auf jede Galeere, die ihnen zu nahe kommt. Los !“
Hedan wusste jetzt schon, dass es nichts nützen würde. Die ersten Galeeren waren nun bereits fast heran. Wenn auch nur eine Nahe genug käme um ein Schiff in der Formation zu entern, würde sich das Blatt schnell gegen sie wenden. ,, Und bringt mir alles an Öl , Pfeilen und Drachenfeuer hier hoch, was wir haben. Was die können, können wir auch. Aber seit vorsichtig mit den Phiolen. Wenn mir einer das Schiff in Brand setzt häng ich ihn höchst persönlich!“
Die Antwort bestand aus einem einstimmigen ,, Ja, Herr.“
Er sollte sie öfter anschnauze, dachte Hedan grinsend. Herr könnte ihm gefallen… Die Mannschaft aus kaiserlichen Seeleuten und Bewohnern Maras machte sich umgehend an die Arbeit. Ein gutes Dutzend von ihnen verschwand unter Deck um Bögen und Brennbares Material nach oben zu schaffen und es dauerte nicht lange, bis die ersten Geschosse durch die Luft zischten. Pfeile an die man Phiolen mit Drachenfeuer gebunden und zusätzlich noch angezündet hatte.
,, Zielt auf die Ruder und sie Segel.“ , rief Hedan laut. ,, Verhindert um jeden Preis, das sie näher kommen !“
Anders als die lediglich in Pech getränkten Pfeile, konnte der Regen dem Drachenfeuer nichts anhaben und so loderten die ersten Segel bereits nach wenigen Augenblicken lichterlog. Und so dicht, wie die Galeeren sich nach wie vor zueinander hielten, griffen die Flammen rasend schnell auf neue Schiffe über… Das war beinahe noch effektiver, als die Kanonen, dachte Hedan überrascht und erleichtert. Sie hatten allein schon wegen der Feuergefahr nur einen geringen Vorrat Drachenfeuer dabei, aber der erfüllte seinen Zweck alle mal. Männer sprangen ins Wasser um den auflodernden Flammen zu entkommen, andere unternahmen verzweifelt Löschversuche… und ihr Vormarsch kam erneut ins Stocken. Götter, sie könnten das hier tatsächlich gewinnen, dachte er. Noch ein paar solcher Salven und die Flotte musste sich einfach zurückziehen und die Kanonen waren längst wieder geladen. Hinter den auseinandertreibenden Wracks näherte sich bereits die dritte Welle.
Diesmal jedoch war etwas anders, dachte Hedan. Statt einer geschlossenen Front fuhr den Galeeren ein einzelnes Schiff voraus. Rasch ließ er sich das Fernglas bringen und warf einen Blick darauf. Es schien nicht einmal schwerere Waffen oder eine vollständige Mannschaft zu besitzen. Lediglich die Ruderbänke waren voll besetzt. IM Bug jedoch stand nur ein einzelner Mann, der einen zerzausten Mantel trug. Fell vermutlich, von dem dutzende goldene und mit Rubinen durch setzte Ketten herab hingen. Selbst im schummrigen Licht des aufziehenden Sturms leuchteten die Steine wie glühende Augen… Und einen Moment war Hedan sich absolut sicher, dass der fremde direkt zu ihm herübersah. Als sich ihr Blick traf, schimmerten seine Augen so rot wie die Edelsteine die er trug.
Langsam hob die Gestalt die Hände zum Himmel, während sich ihr Mund stumm bewegte. Die Entfernung war zu groß, als das Hedan Worte hätte ausmachen können, aber es sah beinahe so aus als würde er…. Beten ?
Der Kapitän wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen, als ihn die entsetzten Rufe seiner Mannschaft dazu brachten, das Fernglas sinken zu lassen. Das Meer selbst erhob sich gegen sie. Links und rechts der Formation aus Handels und Kriegsschiffen, die sie vor Maras gebildete hatten, stiegen Wassersäulen aus dem Meer auf. Breit wie Tore und so hoch, das ihr Ende irgendwo in den tief hängenden Wolken verschwand. Und dann senkte der Mann auf dem einsamen Schiff die Hände wieder. Die Wassersäulen schlugen wie Peitschen. Segel rissen und massive Planken wurden wie Papier zerfetzt, wo sie trafen. Hedan sah Männer durch die Luft wirbeln, wo Schiffe sauber in zwei Hälften geteilt wurden. Einige verzweifelte feuerten auf die Galeere, die jedoch noch weit außer Reichweite war. Und so schlugen die Kugeln lediglich in die aufgewühlte See und ließen Wasserfontänen aufsteigen, während das Meer selbst sich gegen sie wendete. Erneut bäumte sich das Wasser auf und schlug über drei Schiffen zusammen, die mit Mann und Maus innerhalb eines Herzschlags verschlungen wurden. Hedan sah noch, wie sich auch vor der Immerwind das Wasser türmte, dann schloss er die Augen. Sie hatten getan was sie konnten, dachte er, während er den Brief langsam aus der Tasche zog und auffaltete. Und doch war es gar nichts. Wie sollte man so eine Macht überhaupt aufhalten?
Naria konnte vom Strand aus nur hilflos zusehen, wie das Meer plötzlich zum Leben erwachte. Von einem Moment auf den anderen hatte sich das Blatt gegen sie gewendet, während die Wellen über den Wracks zusammenschlugen, die wenige Augenblicke zuvor noch seetaugliche Schiffe gewesen waren. Die Gewalt des Zaubers trieb selbst noch an den Küsten von Maras Treibgut an und überspülte die Strände, während immer mehr der Verteidigenden Schiffe ein Opfer der Magie wurden. Es dauerte nicht lange und doch erschien es der Gejarn wie eine Ewigkeit, bis das Meer schließlich zur Ruhe kam. Die großen Schiffe wurden wie Spielzeug hin und her geworfen um von der Gewalt des Wassers zerdrückt zu werden. Hedan, dachte sie. Und all die anderen, die das Meer soeben verschlungen hatte, wie ein hungriges Monster. Und doch war das eigentliche Monster nach wie vor da draußen, dachte sie. Sie hatten erneut unterschätzt, zu was der rote Heilige fähig war. Und doch hatte er zuerst zwei Angriffswellen in den sicheren Tod geschickt. Warum ? Bedeutete ihm das Leben seiner Anhänger so wenig, das er noch ihre Hoffnung nähren wollte…bevor er sie mit einem mal zertrat? Am südlichen Strand mussten sich drei wen nicht vierhundert Menschen befinden und doch war es totenstill, während sie zusahen, wie die letzten Schiffsmasten in den Wogen verschwanden. Hinter ihnen ragten niedrige Klippen auf, grade hoch genug, das man nicht mehr einfach so nach oben gelangen konnte, aber niedrig genug, damit man von unten noch herauf sehen konnte. Zusätzlich zu den wartenden Verteidigern am Strand hatten sich oben auf den Felsen einige weitere hundert zusammen gefunden. Eine lächerliche Reserve, dachte Naria. Der Strand war breit und selbst wenn sie alle Schulter an Schulter stünden, würden sie ihn nicht komplett absichern können. Aber wenigstens hatten sie die Klippen im Rücken. Der einzige Weg herauf, bestand darin sie entweder weitläufig zu entgehen oder eine schmale, in den Fels geschlagene Treppe hinauf. Das würde die Wucht des Angriffs, den sie zu erwarten hatten hoffentlich bremsen. Und Längst nicht alle Teile der Insel wären so leicht zu verteidigen wie dieser hier… Hoffentlich war der rote Heilige zu versessen darauf, sie schnell zu überrennen, als das er Maras nach weiteren Landungsstellen absuchte. Wenn sie den Hafen etwas weiter nördlich anliefen, würden die ersten Siedlungen brennen, ohne das sich ihnen jemand in den Weg stellen konnte. Sie hatten schlicht nicht die Männer, jede Küste abzusichern und so waren in den Dörfern meist nur eine Handvoll Stadtwachen oder Wächter abgestellt worden. Der Großteil ihrer Streitmacht, wenn man es denn so nennen durfte, war hier. Und eine schöne Streitmacht war das, dachte sie bitter. Die Hälfte bestand aus Männern, die in ihrem Leben vielleicht ein, zwei Mal ein Schwert geführt hatten. Der Rest war zusammengewürfelt aus den Stadtwachen Helikes, den Wächtern ihres Vaters die sich eng beieinander hielten und Mühe gaben, der näher kommenden Flotte ohne Angst entgegenzusehen. , Magiern, die so mächtig sie waren nie eine Schlacht geführt hatten… und Wys verbliebenen Männern. So wenige sie waren, die Leute des Archonten waren die einzigen hier mit echter Kampferfahrung. Und wenn sie überhaupt noch eine Hoffnung habe wollten, die Insel zu halten mochten sie das Zünglein an der Waage sein.
Die Galeeren hatten mittlerweile das Trümmerfeld erreicht, das von ihren ersten Angriffswellen und den gesunkenen Schiffen der Verteidiger geblieben war. Und am Strand wurden die ersten Leichen angespült. Vereinzelt brachten die Wellen auch Überlebende mit sich, zitternd und durchnässt. Naria konnte sich nicht dazu durchringen, nachzusehen ob Hedan darunter war. Ihre Leute zogen die Männer rasch aus dem Wasser und schickten sie hoch zur Klippe, wo eine Reihe von Feuern brannte.
Es war Wys Stimme, die sie schließlich aus der Erstarrung riss. Während alle anderen noch wie gebannt auf die Feuer und die näher kommende Flotte starrten, hatte der Archont das Schwert in den Sand gerammt und machte sich bereits mit einer Gruppe seiner Leute daran, Barrikaden auf den Strand hinab zu ziehen.
,, Beeilung. Die werden leider nicht wie zur Salzsäule erstarrt stehen bleiben, während wir hier warten! Bogenschützen nach vorne. Geht so weit, bis ihr grade an der Flutlinie seid. Und jemand soll mir alles an Öl und Pech nach vorne bringen, das wir noch haben. Mal sehen ob wir nicht ein paar dieser Schiffe zum Leuchten bringen!“ Auf seinen Befehl schnappten sich die ersten Leute angespitzte Pfähle und rollten schwere Fässer über den Sand hinab. Oben auf den Klippen wurden unterdessen die ersten Musketen verteilt und die wenigen Kanonen geladen, die ihnen geblieben waren. Die meisten waren mit der Abwehrflotte draußen im Ozean versunken. Es gab ohnehin kaum Feuerwaffen auf Maras, schon alleine weil die meisten Bewohner aus Helike stammten. Und das wenige, was sie besaßen hatte kaum Munition. Wenigstens hatten sie mehr als genug Pfeile, dachte Naria. Und Magie…
Die Galeeren waren mittlerweile so nah, das die großen, weißen Segel mit dem Wappen des Herrn der Ordnung bereits greifbar schienen. Statt zu Ankern und mit den kleineren Booten anzugreifen, ruderten sie weiterhin mit voller Geschwindigkeit auf das Ufer zu, wo die Verteidiger grade die ersten Pfeile entzündeten. Aber auch an Bord wurden die Sehnen von Bögen und Armbrüsten gespannt. Naria hörte das durchdringende Sirren als auf Beiden Seiten hunderte von Pfeile gen Himmel schnellten, die einen eine dunkle, tödliche Wolke, die anderen ein Hagel aus Glut und Asche. Einen Moment lang färbten sich die Wolken am Himmel rot. Die dunklen Schatten weiterer Pfeile huschten als Schatten durch die glimmenden Wolken… und dann prasselte der Tod auf beiden Seiten nieder. Jeder der es konnte, suchte Schutz hinter den improvisierten Barrikaden. Pfeile bohrte sich in das Holz und den Sand… und fanden auch ihre ersten Opfer. Ein Mann in der Robe eines Magiers der direkt neben Naria stand wurde von einem Pfeil in den Hals getroffen und brach zusammen. Doch die meisten Opfer forderte der Angriff unter ihren eigenen Bogenschützen. Die Männer trugen, wenn überhaupt, nur leichte Panzerung und so konnte die Gejarn nur zusehen, wie einer nach dem anderen zu Bogen ging, tot oder verwundet. Aber auch ihre Pfeile forderten Opfer. Segel gingen in Flammen auf während an Deck mehrerer Galeeren Feuer ausbrachen. Doch Pech alleine war kaum so effektiv wie Drachenfeuer und so blieben die meisten Flammen harmlos oder erloschen bald wieder im Nieselregen, der auf sie nieder ging.
Als nächstes waren die Magier an der Reihe. Die Männer und Frauen schickten Feuerwalzen über das Wasser hinweg auf die Schiffe zu. Bevor sie den Galeeren jedoch auch nur nahe kamen, erhob sich plötzlich das Meer in ihrem Weg und bildete eine Mauer, an welcher der Angriff verpuffte. Blasen und Dampf stiegen auf, als die Feuer erstickten und Naria konnte einen resignierten Fluch nicht unterdrücken.
Mittlerweile spielte es keine Rolle mehr, was sie ihnen noch entgegen warfen, dachte sie. Die ersten Rümpfe liefen bereits vor der Küste auf Grund und die Besatzungen der Galeeren sprangen ins brusttiefe Wasser. Von dort aus machten sie sich daran, an Land zu waten… oder versuchten es zumindest. Die verbliebenen Bogenschützen ließen Hagel aus Pfeilen auf sie niedergehen. Die Projektile prallten größtenteils an den schweren Panzerungen ihrer Gegner abprallten oder in deren Schilden stecken blieben. Die erste Welle musste aus übergelaufenen Paladinen bestehe, dachte Naria, welche die Rüstungen erkannte. Doch statt dem typischen rot trugen sie jetzt weiße Umhänge, auf denen, genau wie auf den Segeln, die rote Hand prangte. Und dann flogen die ersten Kugeln. Pulverdampf stieg auf, als Kanonen und Musketen oberhalb der Klippen das erste Mal abgefeuert wurden. Die Musketenkugeln durchschlugen die Mythrilpanzer der Elitegarde Helikes genau so wenig, wie die Pfeile zuvor. Aber das war dieses mal auch nicht der Sinn. Die Wucht der Einschläge riss mehr als einen Paladin von den Füßen und nach wie vor im knietiefen Wasser versanken die Männer unter dem Gewicht ihrer Rüstungen sofort. Für die umstehenden gab es dann nur doch die Option, dem Unglücklichen wieder auf die Beine zu helfen, oder ihn ertrinken zu lassen. Und was auch immer der rote Heilige ihnen eingeflüstert haben mochte, dachte Naria, die Krieger Helikes waren nach wie vor eine eingeschworene Bruderschaft. Überall im Wasser bildeten sich kleine Schildburgen. Immer drei Paladine schirmten ihre Brüder ab, die versuchten, einen gefallenen Mann wieder auf die Füße zu ziehen. Es verlangsamte ihren Vormarsch und gab den Schützen auf den Klippen Zeit, auf die verletzlichen Stellen in den Panzerungen zu zielen. Halsbergen und Gelenke splitterten unter der zweiten Salve . Das Wasser färbte sich rot. Und gegen die Wucht der Kanonen konnte auch das stärkste Metall nichts mehr ausrichten. Männer wurden wie Spielzeug durcheinander gewirbelt, wo immer eines der Geschosse aufschlug. Wasser und Sand spritzten auf und gingen noch am Strand als spürbarer Schauer nieder. Doch egal, wie viel Gegenwehr sie leisteten, ihre Gegner waren ihnen Zahlenmäßig schlicht so weit überlegen, dass sie die Verluste rasend schnell ausgleichen konnten. Immer mehr Männer stiegen von den Schiffen ins Wasser und hechteten, so schnell es eben ging, in Richtung Strand. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, als der erste Paladin aus dem Wasser stieg und das erste Mal Stahl auf Stahl traf. Im Nahkampf waren die Verteidiger ihren Gegnern nicht mehr gewachsen. Innerhalb weniger Herzschläge, fegte die erste Welle aus Rittern Helikes über die Verteidiger an der Flutlinie hinweg, machte Schützen und vereinzelte Stadtwachen nieder. Blut tränkte den Sand.
Nur dort, wo Wys und seine Männer standen bildeten sich noch vereinzelt Keile des Wiederstands, die dem Ansturm ihrer einstigen Brüder stand hielten und den Rückzug der anderen zu decken. Das Klirren des Stahls und das schreien der Verwundeten vermischten sich miteinander zu bedeutungslosem Lärm. Der Klang des Wahnsinns, der alles und jeden hier befallen hatte und entweder in heilloser Flucht oder Blutrausch endete.
Sie sah Wys und Zyle, die Seite an Seite in der vordersten Reihe kämpften. Und vielleicht waren ihr Vater und sein Bruder an diesem Tag die einzigen, die es fertig brachten, ihre Gegner einmal zurück zu treiben. Beide waren längst über die Blüte ihrer Jahre hinaus und doch hatte Naria selten gesehen, wie sich jemand so gezielt und dabei so tödlich bewegte. Jeder einzelne Streich der beiden fand ein Ziel, tötete oder verwundete und ließ selbst ihre eigenen Männer vor ihnen zurück weichen. Wys hatte ihr erzählt, dass es in jeder Generation nur eine Handvoll Schwertmeister gab… und langsam verstand sie warum.
Naria tat ihrerseits, was sie konnte, um den Strand wenigstens noch etwas länger zu halten und doch war es nichts verglichen mit der schrecklichen Eleganz des Stahls, den diese zwei entfesselten. Mit einem Gedanken rief die Gejarn Blitze vom Himmel herab, die eine Angriffswelle noch im Wasser kochten , lies es Feuer regnen, das den Sand wo immer es aufkam zu Glas schmolz und selbst die Rüstungen der Paladine in glühende Metallpfützen verwandelte… Auf einen Wink hin wandelte sich der Nieselregen zu Säure, der ihren Waffen die Schneide nahm und die Gelenke ihrer Panzer verrosten ließ. Und doch nütze es alles nichts, dachte sie erschöpft. Egal wie viele Zauber sie webte, egal wie viele ihnen zum Opfer fielen, es kamen sofort neue Männer nach, die ihren Platz einnahmen. Und lange würde sie so nicht mehr weiter machen können, das war ihr klar. Noch ein paar Minuten vielleicht und auch sie würde sich ausgelaugt zurückziehen müssen. Die meisten anderen Magier hatten längst ebenfalls die Flucht ergriffen, hin zu den noch sicheren Klippen.
Naria wollte sich bereits ebenfalls auf den Rückweg machen und sah sich einen Moment nach Wys und Zyle um, um sie zu warnen. Doch soweit sollte sie nie kommen. Die Gejarn hatte sich grade wieder dem Meer zugewandt, als sie sah, wie ein einzelnes Boot durch die watenden Kämpfer im Wasser bis zum Strand trieb. Darauf befand sich nur eine einzelne Gestalt in einem langen, braunen Mantel, der ihre Züge verbarg. Doch Naria musste sie auch nicht sehen um zu wissen, was sie da vor sich hatte. Die bloße Macht, die dieses Wesen ausstrahlte war atemberaubend, während es aus dem Boot sprang. Seine Füße waren bloß. Zuerst hatte Naria noch gedacht, er trüge Schuhe. Stattdessen jedoch bedeckten dunkle Wucherungen und Schuppen seine Beine und hatten einen Fuß bis zur Wade in eine entstellte Klaue verwandelt, die sich tief in den Sand grub. Und dann schlug es die Kapuze zurück.
Ein Geweihter, daran gab es für NAria keine Zweifel mehr. Sie hatte bereits befürchtet, das Träumer oder der rote Heilige selbst noch mehr solcher Wesen erschaffen könnten. Und dieses hier war nicht wahnsinnig animalisch wie das Monster in Helike. In den dunklen Augen schimmerte nach wie vor die gleiche Intelligenz die der Mann oder die Frau, genau konnte Narie es nicht mehr sagen, zuvor besessen hatte. Nun jedoch ergänzt durch eine Macht, die ihr die Haare zu Berge stehen ließ. Das halbe Gesicht war zu einer dämonischen Fratze verzerrt worden, während die andere Hälfte größtenteils unverändert geblieben war. Der Kiefer war von spitzen, fingerlangen Zähnen verbogen worden, die gefährlich im trüben Licht glitzerten und aus der Hand seines rechten Arms sprossen deformierte, schwarze Klauen anstelle von Fingernägeln.
Naria nahm all ihren Mut zusammen und war selbst erstaunt, dass sie noch so viel davon fand. Langsam trat sie der Kreatur entgegen.
Der Geweihte brach wie eine Naturgwalt über die verstreuten Verteidiger herein. Selbst die loyalen Paladine, die sich nach wie vor um ihren Archonten scharrten, hatten der geballten Macht des Herrn der Ordnung nichts entgegenzusetzen. Zauber zuckten um die Kreatur herum. Rüstungen zerplatzen unter gleißenden Blitzen, während es mit den Krallen nach jenen Männern Helikes schlug, die ihr zu nahe kamen. So verdreht sie wirkten, die Nägel waren stabil und scharf genug, einen ungeschützten Mann sauber aufzuschlitzen. Und selbst in den Mythrilpanzern der Paladine blieben tiefe Beulen zurück. Wys entkam grade noch einem Krallenhieb wurde jedoch im nächsten Moment von einem Zauber gepackt und quer über den Strand geschleudert. Sich überschlagend kam der Archont im Sand zum Liegen, rappelte sich jedoch sofort wieder auf und stürzte sich erneut in den Kampf.
Naria konnte lediglich versuchen, irgendwie mit der Bestie Schritt zu halten, während sie sich eine blutige Schneise durch die Reihen der Verteidiger bahnte. Selbst ihre Gegner schienen zu entsetzt um die entstandenen Lücken zu nutzen. Oder vielleicht wollte auch nur keiner von ihnen riskieren, dem tobenden Geweihten zu nahe zu kommen. Naria bezweifelte, das dieses Ding sich großartig darum kümmerte, wen es tötete.
Sie hatte insgeheim gehofft, nie wieder einer dieser Kreaturen gegenüber zu stehen. Die Begegnung in Helike war ihr noch gut genug in Erinnerung geblieben und damals hatte es wenigstens keine Magie eingesetzt. Diesmal jedoch schien der Geweihte sich mehr von seiner Menschlichkeit und damit auch Intelligenz bewahrt zu haben. Naria konnte nicht anders, als an Träumer und dessen Worte zu denken… Ein Geweihter war immer nur einen Bruchteil so mächtig, wie sein Erschaffer. Also wer hatte diesen hier seinem Segen gegeben? Es schien egal. Wenigstens hielten sich Träumer und sein Meister bisher aus den Kämpfen am Strand heraus. Was sie tun würde, wenn sie dem roten heiligen gegenüberstand wusste sie. Auch wenn sie vermutlich sterben würde. Aber Träumer… Er hatte sie entkommen lassen, dachte sie. Doch von Maras gab es keine Fluchtmöglichkeiten mehr…
Mit einem Satz hatte sie endlich zu dem Geweihten aufgeschlossen und ließ einen Blitz aus ihrer Faust hervorbrechen. Das magische Projektil fächerte aus und traf das Wesen am Rücken, verbrannte den Umhang und bohrte sich in den Körper hinein. Doch wenn Naria den geweihten dadurch ernsthaft verletzt hatte, so zeigte er es zumindest nicht. Stattdessen wirbelte die Kreatur herum und schlug in blinder Wut mit einer Kralle nach ihr. Naria tauchte blitzschnell unter dem Schlag durch. Sie konnte den Luftzug in ihren Haaren spüren, als der Arm keine zwei Fingerbreit über ihre Kopf hinweg strich. Sofort war sie wieder auf den Beinen und rammte eine Wand aus verdichteter Luft gegen ihren Gegner. Einem normalen Menschen hätte der Aufprall die Knochen zerschmettert, doch das Wesen taumelte grade einmal einen Schritt rückwärts… und lachte. Ein grässlicher Laut, der zwischen den verdrehten Kiefern dieses Dings hervorkam und trotz allem noch viel zu menschlich klang. Naria sackte in sich zusammen, als der Zauber erlosch. Die Erschöpfung schlug wie eine Welle über ihr zusammen und sie wusste, wenn sie noch einmal dazu kam, in den Spiegle zu sehen, würde sie ein paar graue Haare finden. Der Preis der Magie. Sie hatte sich zuvor schon bei der Verteidigung des Strands verausgabt und nun verlangte jeder weitre Zauber ihren Körper mehr und mehr Energie ab.. Mit vollen Kräften hätte sie vielleicht etwas gegen den geweihten ausrichten können, so jedoch bleiben ihr nur, sich zu verteidigen, als das Wesen nun seinerseits zum Angriff überging. Naria rief einen Schild herbei, der einen Feuerbolzen reflektierte und ließ Sand aufsteigen, der ihren Gegner blendete. Für mehr reichte es nicht mehr , dachte sie und versuchte, so schnell wie möglich etwas Abstand zwischen sich und die Kreatur zu bringe, bevor sie wieder richtig sehen konnte. Sie sollte nicht weit kommen. Naria kam gerade dazu, sich umzudrehen und einen Schritt in Richtung Klippe zu machen, als sie etwas vor die Brust traf und Rückwärts zog. Das Schlachtfeld raste mit viel zu hoher Geschwindigkeit an ihr vorbei. Tote Körper im blutgetränkten Sand, brennende Barrikaden und Treibgut, das einmal eine Flotte gewesen war… dann schlug sie auf dem Boden auf und bekam grade noch mit, wie sich ihr ein schwerer Fuß auf die Brust setzte.
Über ihr ragte die Gestalt des Geweihten auf, der wieder dieses Lachen ausstieß, von dem sie gerne behauptet hätte, das es nicht menschlich klang.
,, Kleine Magierin… Hast du wirklich geglaubt, du könntest dich mit einem Halbgott messen? Mein Herr hat mir Kräfte verliehen, von denen ihr Narren nicht einmal träumen könnt. Nun zahlt ihr den Preis für eure Arroganz.“ Feuer loderte in seinen Händen auf, ein gleißender, blau-grüner Ball aus tobenden Flammen, die größer wurden und Naria blendeten, so dass sie den Kopf abwenden musste.
,, Ach wirklich ?“ , fragte da eine spöttische Stimme und im nächsten Moment verschwand das Gewicht über ihr. Und auch das Licht war plötzlich weg. Naria blinzelte und sah grade noch, wie der Körper des Geweihten zur Seite geschleudert wurde, als ihn etwas Unsichtbares mit voller Wucht traf
Und dann war auch schon ihre Mutter neben ihr. Rasch zog sie Naria auf die Füße, während der Geweihte sich langsam wieder aufrichtete. ,, Ich würde euch ja raten in Zukunft einen großen Bogen um meinen Familie zu machen. Leider habe ich nicht vor euch eine zu lassen, Kreatur.“
Relina trat langsam auf den Geweihten zu, der schwankend auf die Füße kam. Die Überreste seiner Robe wurden ihm vom Wind um den Körper gepeitscht… und er grinste.
,, Alle Ketzer werden sterben. Das ist der Wille meines Herrn. Und ich bin die Lebende Verkörperung dieses Willens !“ , schrie er ihnen entgegen.
,, Naria… überlass mir dieses Großmaul.“ , war alles, was Relina darauf erwiderte. Naria hatte ihre Mutter selten so wutentbrannt erlebt. Sie tobte nicht, nicht äußerlich. Nach außen war ihre Mine wie versteinert und grimmig. Aber es bräuchte einen Wahnsinnigen um sich ihr in den Weg zu stellen, dachte sie. Wie schon am Abend in der Versammlungshalle trug sie ihren Federmantel und ein weinfarbenes Kleid.
Der Geweihte wartete nicht, bis sie ihn erreicht hatte, sondern stürzte vor. Von einem Moment auf den anderen loderten Flammen um seinen Körper herum auf, eine lebende Fackel, die drohte alles in Brand zu setzen, was ihr zu nahe kam. Vor blinder Wut schien er jede Vorsicht vergessen zu haben und rannte direkt in Relina hinein. Statt die Gejarn jedoch ebenfalls in Feuer zu baden, lief er lediglich ins Leere. Wo eben noch Relina gestanden hatte blieb lediglich ein rötlicher Schimmer in der Luft zurück, bevor sie im Rücken der Kreatur mit einem weiteren, rubinroten Blitz auftauchte.
,, War das alles ?“ , fragte sie. Die Antwort des Geweihten bestand aus einem Wutschrei, als er sich herumwarf und grünes Flammen atmete.
Erneut ging der Angriff ins Leere, als Relina verschwand… nur um dieses Mal direkt neben ihren Gegner aufzutauchen. Statt eines Zaubers rammte sie der Kreatur jedoch ein Messer zwischen die Rippen und war bereits wieder verschwunden, noch ehe diese ganz Verstand, was geschehen war.
Blutend und nun ebenfalls erschöpft, stolperte der Geweihte zurück in Richtung Wasser. Aus den Wunden, die Naria ihm zuvor geschlagen hatte, stieg nach wie vor Rauch auf und auch diese schienen sich langsam bemerkbar zu machen. Relina teleportierte sich erneut um ihm den Rest zu geben. Im gleichen Moment jedoch, wo die Gejarn verschwand, veränderte sich die Haltung des Geweihten plötzlich. Er ließ von seinen Wunden ab, als würd er sie plötzlich nicht mehr spüren und schlug gezielt zu. Geister… er hatte sich verletzt gestellt, dachte Naria mit wachsenden Schrecken. Sein Hieb traf Relina genau in dem Moment, wo sie wieder auftauchte und schleuderte sie rücklings in den Sand. Naria wollte ihr zur Hilfe kommen, kam jedoch nicht weit, bevor sie erneut von einem Zauber gepackt und selbst ins Wasser geschleudert wurde. Hilflos musste sie zusehen, wie der Geweihte langsam auf ihre Mutter zutrat. Diese versuchte nicht einmal mehr hoch zu kommen. Stattdessen sah sie ihrem Henker nur grimmig entgegen, als dieser die Hände hob und diese erneut in Feuer tauchte. Relina krabbelte ein Stück weit über den Boden, weg von ihm. Es schien ihm egal, während sich das Feuer zu kleinen Kugeln formte, die alles in ihrem Weg versengen würden. Und alles, was Relina hatte um sich noch zu verteidigen war… eine Handvoll Sand? Naria verstand nicht, was das sollte, aber die Gejarn packte blitzschnell zu und schleuderte ihrem triumphierenden Gegner eine Hand voll Deck entgegen.
,, So langsam habe ich wirklich genug !“ Die Körner flogen magisch verstärkt mit der Wucht einer Musketenkugel… und genau wie eine solche traf jedes einzelne Korn. Der Oberkörper des Geweihten verwandelte sich innerhalb eines Herzschlags in ein blutiges durcheinander aus zerfetzten Organen und Knochen, als ihn der Sand traf. Einen Moment schwankte die Gestalt noch, dann sank sie langsam nach vorne und schlug ungebremst auf dem Boden auf. Schwarzes Blut sickerte aus dem völlig zerstörten Körper, während sich die schwarzen Male darauf langsam in Rauch auflösten. Alles, was von dem Schrecken blieb, war ein magerer Mann mit ergrauten Haaren, der im Tod fast… friedlich aussah. Naria brauchte eine Weile, bis sie den Blick abwenden konnte. Erst dann watete sie ans Ufer zurück, wo Relina bereits auf sie wartete.
Noch während sie in den Wellen stand, zog jedoch etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sein Körper trieb zwischen einigen losen Planken dahin, wie so viele andere. Dennoch erkannte Naria ihn sofort. Er ist tot, sagte sie sich, als sie so schnell wie möglich zu der Gestalt watete. Doch ein Teil von ihr weigerte sich einfach, sich das einzugestehen, leugnete sogar noch, als sie Hedan packte und ans Ufer zog… Seine Haut war bereits eiskalt. Ein untrügliches Zeichen, das hier jede Hilfe zu spät kam. Trotzdem zog Naria ihn ans Ufer und ließ sich auf dem letzten Stück von Relina helfen. Der Kapitän der Immerwind war im Tod ungesund bleich für einen Mann, der sein Leben in Wind und Wetter verbracht hatte. Die harten Züge wirkten auf sie zum ersten Mal weich und entspannt, die trüben Augen sahen ins Leere. Anders als seine Hände… Diese hatten sich zusammengekrampft und irgendetwas lag noch dazwischen. Ein Stück Papier, das vom Wasser fast völlig aufgelöst worden war.
Falls einmal etwas darauf stand, hatte das Meer zumindest nichts davon übrig gelassen, nur einige verschwommene Tintenflecken. Naria schloss ihm die Augen. Mehr konnten sie nicht mehr für ihn tun. Selbst seinen Körper würden sie hier zurück lassen müssen… zusammen mit so vielen anderen die wohl nie ein Grab sehen würden. Insgeheim hatte sie es doch gewusst, als sie sah, wie die Flotte unterging, nicht? Dennoch hatte sie insgeheim gehofft, der Mann hätte der Zerstörung noch irgendwie entkommen können. Heute war kein Tag für Hoffnung, dachte sie, als sie und Relina sich vom Strand abwendeten und sich auf den Weg in Richtung der Klippen machten. Überall befanden sich die Verteidiger von Maras mittlerweile auf dem Rückzug und selbst Wys Paladine konnten diesem Ansturm nicht ewig standhalten. Egal, wie viele sie in die Wellen zurück trieben oder tot am Strand zurück ließen, der Strom aus übergelaufenen Kämpfern wollte nicht abreißen. Und sie hatten keinerlei Reserven mehr. Soweit sie sehen konnte hatte sich der Sand rot verfärbt, lagen tote und sterbende beider Seiten am Boden. Und selbst die Wellen hatten einen roten Schimmer angenommen, trieben mehr Leichen und Trümmer mit sich und ließen ihre grausige Fracht am Strand zurück. Brände, magisch entfacht oder von Pech und Feuerpfeilen ausgelöst, wüteten auf den Schiffen, die im flachen Wasser auf Grund gelaufen waren und tauchten alles in ein unstetes, schauriges Licht. Und auch weiter die Küste hinab stieg zu Narias wachsendem entsetzen bereits Rauch auf. Der Hafen, dachte sie, während sie in Richtung des Feuerscheins sah. Offenbar beschränkte sich der Angriff nicht länger nur auf den Strand. Und warum auch nicht ? Ein Blinder musste sehen, dass sie am Ende waren. Und es waren keine Narren, die auf den Schiffen das Kommando führten. Fanatisch ja… aber nicht dumm. Mittlerweile mussten sich wohl einige Galeeren auf den Weg die Küste hinab gemacht haben um die Siedlungen direkt anzugreifen. Und sie hatten kaum Männer dort zurück gelassen, dachte Naria. Lediglich einige von Zyles Wächtern und jene Stadtwachen, die verletzt oder krank waren. Und die sich jetzt mit ihren Gegnern einen Kampf um jedes Haus liefern mussten. Orange und Rot spiegelte sich der Schein der Flammen am dunklen Himmel wieder und brachte die Wolken von innen zum Glühen. Dieser Tag wollte einfach kein Ende nehmen, dachte Naria müde.
Asche trieb durch die Luft und drohte sie zu ersticken. Im Schein der Flammen, die Schiffe, Männer und Holz verzehrten, hatten Wellen und Sand die Farbe von Blut angenommen .Überall entlang des Strands wurde gekämpft, vielen Männer und gesellten sich zu den Toten, die stellenweise so dicht beieinander lagen, das man nicht mehr unterscheiden konnte, wer Freund oder wer Feind gewesen war. Und zwischen den schreien und den tanzenden Schatten schleppten sich nun auch immer wieder Geweihte dahin, entstellte Kreaturen gleichermaßen wie Menschen, denen man kaum ansah, das etwas mit ihnen nicht stimmte. Außer, wenn man ihnen in die Augen sah, in denen kaltes Feuer brannte. Magie zuckte durch die Luft , fällte Kämpfer auf beiden Seiten, doch wo die Magier von Maras am Ende ihrer Kräfte waren, schlug die Macht des Herrn der Ordnung jetzt große Breschen in die Reihen der Verteidiger . Feuer und Eis zwangen selbst Wys Paladine, immer weiter zurück zu weichen. Sie konnten den Strand nicht halten, musste Naria zugeben. Und jeden Moment, in dem sie es weiter versuchten, forderte Opfer. Sie sah, wie ein Gebäude am Hafen krachend in sich zusammenstürzte, sah die ersten Flüchtigen den Strand auf sie zu entlanglaufen. Und in ihrem Rücken würden bald schon die Krieger des roten Heiligen folgen, das wusste sie. Sie schafften es kaum, sich gegen Angreifer aus einer Richtung zu behaupten. Wenn sie in die Zange genommen wurden, wären sie wirklich verloren…
,, Rückzug. Zur Treppe. Wir ziehen uns zurück!“ Der erlösende Ruf verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter den verbliebenen Kämpfern. Das wenige, was sie eben noch an Wiederstand geleistet hatten, brach endgültig in sich zusammen und ging in heillose Flucht über. Wer nicht überrannt werden wollte, dem blieb nichts anderes übrig, als mit zu laufen und selbst so… Naria wagte es einen Moment den Kopf zu drehen, während sie rannte und sah, wie eine Pfeilsalve von den Galeeren aus auf die Nachzügler neiderging. Ihre Schilde und teilweise auch ihre Waffen waren am Strand zurück geblieben, und so blieb nichts, was sie noch vor den Pfeilen hätte schützen können. Dutzende stolperten mit einem gefiederten Schaft zwischen den Schultern oder in den Beinen nur um im nächsten Moment von ihren Gegnern eingeholt und niedergemacht zu werden.
,, Sieh nicht hin.“ , meinte eine Stimme neben ihr. Ihr Vater legte ihr einen Arm um die Schulter und zog sie mit sanftem Druck weiter. ,, Es macht es nicht leichter… aber manchmal kann man nichts tun, außer zu verhindern, ihr Schicksal zu teilen.“ Zyle klang so entsetzlich müde wie sie sich fühlte.
,, Alle sin Ordnung ?“ , fragte sie. Ein Pfeil hatte ihn in die Schulter getroffen, doch er beachtete ihn gar nicht. Lediglich ein leises Knurren kam über seine Lippen, als er das Projektil herauszog.
Er nickte bevor er den Pfeil davon schleuderte. Die Wunde die er geschlagen hatte war bereits jetzt kaum noch zu sehen.
Das alte Volk hatte einst versucht, künstliches Leben zu erschaffen. Körper, an die sie ihre Seelen binden konnten, als ihr Volk bereits kurz davor stand zu verlöschen. Am Ende jedoch war auch dieser Versuch fehlgeschlagen und der letzte, der das Geheimnis dieser alten Magie kannte, war wohl Ismaiel selbst gewesen. Damit war das Wissen wohl mit ihm gestorben. Dennoch hatte er, wenn auch unbeabsichtigt, ihrem Vater eine zweite Chance gegeben. Zyle Carmine war mehr als ein gewöhnlicher Sterblicher… aber ohne das Wissen des alten Volkes war er wohl auch der letzte seiner Art, der jemals existieren würde. Selbst die Magier von Maras hatten alle lange aufgegeben, zu enträtseln, wie das komplexe Zusammenspiel aus uralter Magie und Mechanik echtes Leben erschaffen oder eine Seele binden konnte. Allein die Vorstellung ging über den Verstand der meisten. Ein kaum zu überwindendes Rätsel. Das und die Tatsache, dass ihr Vater nur unwillig mitspielte, wenn wieder einmal ein Magier darauf bestand ihn sich anzusehen. Naria grinste unwillkürlich bei dem Gedanken. Der letzte war mit einem wortwörtlichen blauen Auge davon gekommen. Und lag jetzt vermutlich ebenfalls irgendwo unter den Bergen aus Toten, die sich am Strand auftürmten. Ihr Lächeln erlosch und die Gejarn beschleunigte ihre Schritte, als die Treppe endlich in Sicht kam.
Die Verteidiger, die sich bereits oben auf den Klippen befanden, gaben ihnen Feuerschutz. Kugeln und Pfeile zischten durch die Luft und fanden ihre Ziele unterihren Verfolgern. Und ab und an übertönte auch der Donner einer Kanone noch alles uns brachte den Vormarsch ihrer Gegner kurz ins Stocken. Insgeheim fragte Naria sich, wie viel Munition ihnen überhaupt noch geblieben war. So wenige Feuerwaffen wie sie hatten, war es erstaunlich, dass die Musketenschützen und Kanoniere überhaupt noch feuerten.
Wys Männer waren auf dem untersten Absatz der Stufen zurück geblieben und gaben ihnen zusätzlich Deckung, während Magier und Kämpfer gleichermaßen an ihnen vorbeiströmten und versuchten, in Sicherheit zu gelangen. Naria wollte stehen bleiben um ihm zu helfen, ihr Onkel schob sie jedoch schlicht weiter.
,, Wir machen das schon.“ , erklärte er und lächelte tatsächlich kurz. ,, Hier nützt ihnen ihre Übermacht nichts. Und sie müssten dumm sein, es mit einem direkten Angriff zu versuchen, wenn wir von oben den Tod auf sie regnen lassen können.“ Er wirkte so müde, wie sie alle. Blut war aus einem tiefen Schnitt in seiner Stirn gesickert und hatte eine dünne, rote Linie quer über sein Gesicht gezeichnet. Seine Rüstung war eingedellt und mit tiefen Scharten übersäht und der Schild an seinem Arm kaum mehr als ein paar zerfetzte Holzbretter an einem Lederriemen. Was aus dem Mythrilschild geworden war, den er zuvor getragen hatte würde sie wohl nie erfahren. ,, Bring sie weg.“ , meinte Wys an seinen Bruder gerichtet. Zyle nickte, bevor er Naria bedeutete, ihm zu folgen. Sie konnte nur hoffe, dass Wys recht hatte, als sie schweren Herzens die Stufen hinauf rannte.
Oben ließ sie sich schlicht einen Moment ins Gras sinken und atmete tief durch. Hinter ihr ragten die dichten Wälder von Maras auf. Das dunkel unter den Zweigen und dichten Blättern mochte nicht einmal das Inferno zu erhellen, das jetzt am Strand und in den Siedlungen tobte. Der Duft von Tannenadeln und totem Laub vermischte sich mit dem von Asche und Blut und schaffte es sogar, diesen kurzzeitig zu überdecken. Die Insel selbst zeigte sich unberührt von der Tragödie, die sich grade abgespielt hatte.
Unter Naria jedoch, am Fuß der Klippen , versank die Welt zunehmend in absolutem Chaos.
Wys Männer hielten die Treppe tatsächlich, dachte sie einen Moment. Auf den schmalen Stufen konnten kaum mehr als drei Mann nebeneinander stehen und damit verebbte die Wucht des Angriffs schlicht wirkungslos. Hatten die Männer des roten Heiligen sie zuvor noch auf breiter Front angreifen können, blieb ihnen jetzt nur noch, fein säuberlich in die wartenden Schwerter zu laufen. Und die Magier von Maras ließen zusammen mit den verbliebenen Schützen Pfeile und Zauber auf die Angreifer hinab regnen. Langsam aber sicher kam der Angriff ins Stocken und die verbliebenen übergelaufenen Paladine Helikes mussten sich tatsächlich Schritt für Schritt zurückziehen. Einen Moment lang hatte Naria wieder einen Funken Hoffnung. Doch die Armeen Helikes traten natürlich nicht die Flucht an. Stattessen wichen die Männer schlicht zurück, bis sie außer Reichweite der Pfeile waren. Was die Zauber anging, schlugen noch einige Feuerlanzen und Blitze in ihre Reihen, aber die Magier von Maras waren schon zuvor am Ende gewesen. Es dauerte nicht lange, bis auch die Magie abebbte. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit verklang der Lärm der Schlacht. Was zurück blieb war drückende Stille, durchbrochen vom Knistern der euer und den Schreien der Verwundeten. Und dem stetigen Geräusch tausender Füße, die auf Wasser und Sand trafen. Es gab jetzt nichts mehr, was den roten heiligen daran hinderte, seine Truppen am Strand zu sammeln und sie entweder zu überrennen… oder die Klippen zu umgehen und ihnen in die Flanke zu fallen. Sie hatten mit ihrem Rückzug etwas Zeit gewonnen, dachte Naria düster. Aber wenn diese um war, gab es keine Rettung mehr. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit schien sich ihr Herzschlag wieder zu beruhigen und ihre Gedanken wurden träge. Plötzlich war ihr kalt.
,, Sieht nicht gut aus, oder ?“ Zyle hatte sich neben sie gesetzt und starrte in das Halbdunkel hinaus
,, Es sind schlicht zu viele.“ , flüsterte sie. Und so töricht es war, einen Moment wünschte sie sich, das ihr Vater ihr doch wiedersprechen würde. Es änderte nichts an den Tatsachen… es wären nur Worte. Und doch sehnte sich ein Teil von ihr nur nach Trost.
,, Ich weiß.“ Zyle tat ihr nicht den Gefallen, die Realität zu leugnen. Er wusste genau so gut wie sie, dass es vorbei war. Egal was sie taten, sie würden auch die Klippen nicht ewig halten können. Wenn überhaupt. Trotzdem lächelte er, als er nach etwas griff, das neben ihm lag. Es war eine Tasche, wie Naria feststellte, als ihr Vater ihr den Beutel zuwarf. Aus grobem Leder gefertigt und mit schweren, metallenen Schließen versehen, in die ein Rankenmuster geätzt worden war.
,, Bevor ich es noch ganz vergesse.“ , meinte er, als sie die Tasche öffnete. ,, Eigentlich wollte ich sie dir schon vor der Schlacht geben.“
Das innere befand aus einem halben Dutzend mit weichem Stoff gefütterter Fächer, in denen sich sauber sortiert kleine Beutel, Kristallphiolen und lose mit Schnüren zusammengebundene Blätter befanden. Ein durcheinander aus Gerüchen schlug ihr entgegen und doch war ihr jeder einzelne davon vertraut.
,, Die ist ja wundervoll.“ Ihre Stimme klang nach wie vor müde, trotzdem rang sie sich ein Lächeln ab. Naria und Zyle standen auf, während sie sich den Beutel umhängte. Das Gewicht an ihrer Hüfte hatte ihr schon gefehlt, dachte die Gejarn. Trotzdem zitterten ihre Hände, als sie die Schnallen wieder zuzog. Sie versuchte sich zu erinnern, für was die Pflanzen da waren oder wie sie hießen. Es wollte ihr nicht einfallen. Vielleicht an einem anderen Tag. Wenn sie hier irgendwie noch einmal raus kamen.
,, Wys meine, du hättest deine alte Tasche in Helike verloren. Also dachte ich mir, ich sorge für Ersatz.“
Wortlos zog Naria ihren Vater in eine kurze Umarmung, was diesem ein raues Lachen entlockte. Zyle schob sie jedoch rasch von sich . ,, Sieh nach ob du damit etwas tun kannst. Wir haben mehr als genug Verletzt. Ich suche in der Zwischenzeit deine Mutter. Sie ist noch nicht hier aufgetaucht und ich will sichergehen, dass sie nicht mit Wys und seinen Leuten am Strand geblieben ist. Diese Frau ist mindestens so stur wie du.“
Er lachte erneu. Ein ehrlicher Laut, der jedoch auch etwas Verzweifeltes hatte. Naria sah ihm lange nach, als er sich auf den Weg die Klippen entlang machte. Überall waren erschöpfte Männer und Frauen einfach im Gras zusammengesunken .Bogenschützen und Wachposten saßen entlang des Abgrunds und sahen ins Halbdunkel hinaus. Unten am Strand riss der Strom aus ankommenden Soldaten derweil nicht ab. Soweit sie sehen konnte, verschwanden Meer und Sand unter glänzendem Stahl, weißen Umhängen und den Bannern der Ordnung. Naria fragte sich, wie lange es noch dauern würde, bis sie erneut angriffen. Auch ihre Gegner hatten Verluste hinnehmen müssen, wenn auch bei weitem nicht so katastrophale. Auch sie hatten Wunden zu lecken und Verletzte zu versorgen. Und doch würde sie das nicht davon abhalten, diesen Wahnsinn fortzuführen, dachte sie. Mit einem seufzten wendete sie schließlich den Blick ab und machte sich auf den Weg fort von den Klippen und hin zum Waldrand. Dort waren bereits dutzende von Männern dabei, ein improvisiertes Lager für die Verletzten einzurichten. Und sie hatte noch eine Aufgabe, erinnerte sie sich. Auch wenn es nichts bringen würde. Selbst jene, denen sie noch helfen konnte, wären in ein paar Stunden tot. Und noch immer strömten mehr Männer die Treppen hinauf. Leute, denen die Angst ins Gesicht geschrieben stand. Und immer wieder kamen solche hinauf, die Verwundete und Tote mit sich trugen. Dieser Tag war noch lange nicht zu Ende. Und Naria fürchtete jede weitere Minute.
Das sieht dir nicht ähnlich, sagte sie zu sich selbst. Und doch war die Angst in den letzten Tagen zu ihrem ständigen Begleiter geworden. Genauso wie die Zweifel. Sie hatte sich bis zu jenem Moment in der inneren Stadt nie… hilflos gefühlt, dachte sie. Egal wie die Dinge standen, am Ende hatte sie sich zumindest auf sich selbst verlassen können. Doch dort… sie hatte absolut nichts tun können, schlimmer hatte es nicht einmal versucht. Und das hier… war auf seine eigene Art noch schlimmer. Sie konnte etwas tun. Und doch was würde es schon nützen?
Das Schreien der Verwundeten und Sterbenden nahm kein Ende. Die Heiler von Maras hatten alle Hände voll damit zu tun, die Opfer der Schlacht zumindest notdürftig zu versorgen. Mit Magie konnten sie hier niemand helfen. Selbst die Magier unter ihnen, die nicht an der Schlacht teilgenommen hatten, waren bereits geschwächt. Hunderte von Verletzten, denen sonst nichts mehr helfen konnte, waren auf ihre Fertigkeiten angewiesen und doch reichte ihre Macht nicht einmal aus, ein dutzend zu retten. Und so blieb ihnen nur, Schmerzen zu lindern, wo es ging und zu versuchen, die letzten Stunden der Totgeweihten etwas angenehmer zu machen. Es war eine grausame Arbeit. Über dutzenden von Feuern glühten Eisen um die schwereren Verletzungen auszubrennen, kochten Umschläge und Verbände in Wasser und Wein. Und doch schien es Naria, gäbe es auf Maras nicht genug Stoff um alle Wunden zu bedecken. Blut und Schreie, das war alles, was sie fand, während sie zwischen den hastig errichteten Zelten und Strohlagern umher ging.
Sie waren zu wenige, selbst hier und doch trafen jeden Augenblick mehr Verletzte ein. Oder Tote, die von ihren Angehörigen und Freunden herbeigebracht wurden, nur damit man ihre Hoffnungen enttäuschte. Sie waren töricht gewesen, dachte Naria. Die Müdigkeit wollte nicht von ihr weichen, auch wenn sie sich Zwischendurch erlaubt hatte, einen Moment lang die Augen zu schließen. Oder vielleicht hatte sie auch Stunden geschlafen, denn als sie das nächste Mal die Augen aufschlug, war der Horizont nicht mehr schwarz, sondern grau. Vielleicht war die Helligkeit aber auch nur eine böse Täuschung. Nach wie vor glommen die Ruinen am Hafen, die einstmals eine der größten Siedlungen der Insel gewesen waren. Und auch von dort trafen nun die ersten Nachzügler ein, die sich die Klippen hinauf schleppten. Alte , kranke Kinder und deren Familien die nicht hatten gehen wollen… Es war ein trauriger Zug, der hier Schutz suchte. Schutz, den sie ihnen nicht geben konnten. Und natürlich brachten auch sie Verletzte mit sich. Naria raffte sich von ihrem Lager auf, ein Stapel Lumpen, die vor einem der Zelte aufgestapelt lagen. Die blutigen Überreste von Kleidern und Umhängen… Früher hätte sie das wohl zum Schaudern gebracht, so jedoch beachtete sie das Fremde Blut gar nicht, das nun auch ihre Kleider tränkte. Sie hatte vorhin nicht einmal mehr darauf geachtet, wo sie sich hinlegte.
Mehrere Männer brachten grob gezimmerte Tragen herbei um den Neuankömmlingen die Verwundeten und die Sterbenden abzunehmen. Wo man sie hier in all dem durcheinander überhaupt noch Unterbringen wollte, war Naria ein Rätsel. Aber sie würden auch niemanden abweisen. In ein paar Stunden wäre ohnehin alles vorbei, dachte sie, während sie sich wahllos an einer der Tragen niederließ. Der Mann vor ihr trug den Umhang eines Wächters, auch wenn die türkisfarbene Naht zerfetzt und vom Feuer angesengt war. Naria brauchte einen Moment um ihn zu erkennen, so ausgezehrt wie er wirkte. Tiefe Ringe hatten sich unter seinen Augen gebildet, die fiebrig zu ihr aufsahen. Er wirkte älter, dachte sie und fragte sich, ob sie genauso einen Anblick bot.
Aaron war einer von Zyles Musterschülern gewesen. Dennoch hatte man ihn und die andere die Aufgabe zugedacht, den Hafen zu sichern. Sie hatten gedacht, sie wären dort noch der wenigsten Gefahr ausgesetzt. Sie hatten so vieles Gedacht.
Jetzt jedoch schien er kaum bei Bewusstsein und wo einmal seine linke Hand gewesen war, befand sich nur noch eine blutige Ansammlung aus Verbänden. Weitere Wunden zeichneten sich unter dem aufgerissenen Brustpanzer ab, den er trug, doch wenigstens schienen diese nur Oberflächlich… anders, als die verlorene Hand.
,, Es waren zu viele.“ , murmelte er, während Naria so vorsichtig wie möglich den improvisierten verband entfernte und in ihrer Tasche zu kramen begann. Ihre Vorräte an Kräutern waren bereits wieder so gut wie erschöpft. Das einzige, was ihr geblieben war, war etwas Schlafmohnextrakt und ein paar saubere Verbände. Und doch wagte sie nicht, Aaron davon zu geben. Ihn in seinem Zustand zu betäuben würde ihn vielleicht erst recht umbringen. Und so beließ sie es schweren Herzens dabei, nur die Verbände auszutauschen, während der Junge vor sich hin murmelte. ,, Wir mussten fliehen.“
,, Ich weiß. Alles in Ordnung.“ , erwiderte sie, unsicher, ob er sie überhaupt hörte oder wusste, dass sie da war. Ihr wurde übel, als sie das versehrte Fleisch unter dem Verband sah. Das war keine Klinge gewesen, dachte sie. Die Haut war verkocht und das Fleisch dunkel verbrannt. Magie. Am liebsten wäre sie aufgestanden und wäre davongegangen, aber das war natürlich unmöglich. Das hier war auch ihr Werk… Warum hatte sie noch einmal darauf bestanden, zu kämpfen? Es hatte wichtig geschienen, dachte Naria. Sie konnte sich jedoch nicht mehr erinnern wieso. Es war zu lange her, dachte sie. Eine Ewigkeit, auch wenn es nur einige Tage gewesen waren. Ein Schlachtfeld weit entfernt.
Aaron blinzelte und schien sie zum ersten Mal wirklich wahrzunehmen. Er versuchte sich aufzurichten, sackte jedoch sofort wieder mit einem Aufschrei zurück, als sich seine Wunden wieder bemerkbar machten. Irritiert starrte er auf seine fehlende Hand und die frischen Verbände um den Stumpf. Dann lies er sie resigniert wieder sinken.
,,Bleibt liegen.“ , ermahnte sie ihn. ,, Die Schlacht ist ohnehin geschlagen, fürchte ich.“
Schweigen war alles, was Aaron darauf erwiderte. ,, Sie sind alle tot, Naria.“ , meinte er nach einer Weile. ,, Außer mir. Sie sind alle am Hafen zurück geblieben.“
Die Gejarn nickte lediglich. Irgendwie hatte sie es schon befürchtet. Das würde Zyle das Herz brechen, dachte sie. Er hatte sie in Sicherheit wissen wollen… und genau das Gegenteil davon erreicht. Der Hafen war kaum geschützt gewesen, aber sie hatten sich darauf verlassen, dass die Hauptmacht des Angriffs ihnen gelten würde. Und nicht den Siedlungen.
,, Das war nicht eure Schuld…“
Aaron erwiderte nichts, sondern sah einen Augenblick weg, über die nahen Klippen und auf das Meer hinaus, das fast gänzlich unter Segeln und den Rümpfen der Galeeren verschwunden war. Naria bezweifelt langsam, das überhaupt alle Truppen des roten heiligen am Strand Platz finden würden. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis der zweite und wohl letzte, Angriff begann…
,, Seid ehrlich, wie schlimm steht es um uns ?“ , fragte der junge Mann. Er hatte sich mittlerweile wohl seinen Teil denken können. ,, Überleben wir den nächsten Sonnenaufgang noch ?“
,, Vielleicht.“ Man würde sie nicht im Dunkeln angreifen. Zumindest hoffe sie das. ,, Aber wenn ich ehrlich bin… es sieht nicht gut aus. Wir haben den Strand verloren Aaron.“ Und damit ihre einzige Hoffnung, Maras irgendwie zu halten. Die Armee an der Landung zu hindern, war der einzige weg gewesen, sie daran zu hindern, die Insel einfach zu überrennen. Aber ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, wollte sie erwidern. Doch das wäre eine Lüge gewesen. Sie hatte schon lange aufgegeben. Und versagt, dachte Naria.
,, Aber wir haben noch euch. Und Zyle und…“ Aaron schien sich zuversichtlich geben zu wollen. Wie sollte sie ihm erklären, dass es keinen Unterschied mehr machte? Oder machte es einen? Es gab hier keine Rettung für sie. Aber das hieß nicht, das sie sich zusammenkauern durfte, wie ein kleines Mädchen. Naria schloss einen Moment die Augen. Das war doch genau das, was der rote Heilige wollen würde. Das sie sich hinlegten und aufgaben. Zyle hatte gemeint, sie sei Stur. Stimmte das ? Im Augenblick fühlte sie sich nicht wirklich stur… aber die Vorstellung hier herumzusitzen, während sie auf ihr Ende warteten, war ihr zuwider. Mit einem Mal konnte sie es nicht mehr ertragen still zu sitzen und stand auf. Es gab keinen Weg, irgendwie von der Insel zu entkommen. Aber Maras war groß. Doch wenn sie sich einfach in die Wälder absetzten, würden ihre Gegner das sofort merken und die Klippen erklimmen. Keiner von ihnen würde weit kommen. Also schied das auch aus. Es sei den…
Naria rannte los, bevor Aaron noch Fragen konnte, was in sie gefahren war. Ohne langsamer zu werden rannte sie die Klippen entlang und hielt die Augen nach den drei Leuten offen, die sie jetzt brauchte. Und schließlich fand sie sie auch. Relina Zyle und Wys standen beieinander an einem der Wachfeuer, die man überall entzündet hatte.
Die zwei Brüder und ihre Mutter drehten sich fast zeitgleich um, als sie sie kommen härten.
,, Was..“ , setzte ihr Vater an, als er sah, wie aufgeregt sie war. Die Müdigkeit war mit einem Schlag vergessen gewesen. Ihre Idee war verzweifelt. Sie würden den Tod für einige bedeuten. Aber es konnte sie auch retten…
,, Wie viel Pulver haben wir noch ?“ , fragte sie ohne sich zu erklären. Wenn nichts mehr übrig war, war es sowieso zu spät.
,, Frag lieber wie viel Munition.“ , erwiderte Wys düster. ,, Pulver haben wir genug um einen Berg zu sprengen, aber keine Kugeln mehr und…“
,, Wir brauchen keine Kugeln.“ , erwiderte Naria aufgeregt. ,, Aber einen Trumpf haben wir vielleicht damit noch. Hört zu, wir können das nicht gewinnen. Die Leute müssen hier weg, sofort.“
,, Wie ?“ Zyle blinzelte verwirrt. ,, Sobald wir unsere Stellung hier oben aufgeben, werden wir überrannt, Naria. Wenn wir fliehen kommen wir nicht weit.“
,, Nicht wenn wir alle davonlaufen, das ist mir klar.“ , erwiderte sie.
,, Wenn du meinst wir würden ein paar hier zum Sterben zurück lassen, dann…“
Naria schüttelte erneut den Kopf. ,, Es wird euch nicht unbedingt besser gefallen, aber mit etwas Glück entkommen wir alle. Wir müssen das Pulver zur Versammlungshalle schaffen. Das Gebäude ist der höchste Punkt in der Umgebung und eine Handvoll Leute könnte es sicher eine ganze Weile verteidigen. Vor allem, wenn sie ein paar Pulverfässer den Hügel hinab werfen. Und wenn ein kleiner Trupp jetzt aufbricht, könnte er auf dem Weg Fackeln anzünden, so dass es zumindest von weitem so wirken würde, als wären wir alle auf dem Weg dorthin. Der Rest jedoch, müsste sich in den Wald zurückziehen. Wir lenken die Angreifer ab und nehmen noch ein paar von ihnen mit, dann können wir ihnen folgen. Die Versammlungshallen haben mehrere Ausgänge. Einer davon liegt fast am Waldrand. Es wäre riskant, aber zu schaffen.“
,,Laos, das ist so verrückt, das könnte sogar funktionieren.“ Wys kratzte sich am Kinn. ,, Ich meine, es ist immer noch ein Himmelfahrtskommando, aber… damit kennen wir uns aus. Meine Paladine sind am ehesten noch in der Lage zu kämpfen. Fünfzig von ihnen sollten ausreichen um die Halle zu sichern. Aber ich brauche jemanden, der mit dem Pulver umgehen kann. Es ist ein paar Jahre her, dass ich das letzte Mal auch nur eine Steinschlosspistole abgefeuert habe. Es wäre ein wenig peinlich uns alle ausversehen mit der Halle zusammen in die Luft zu sprengen. Ich trete doch lieber mit der Klinge in der Hand ab.“
,, Es war mein Vorschlag.“ , erwiderte Naria. ,, Ich hatte nie vor, nicht dabei zu sein.“
,, Nein.“ Zyle trat entschlossen vor und schüttelte den Kopf. ,, Das kannst du vergessen. Ich werde mit dir gehen, Wys. Und du Naria, siehst zu, das du die Leute in den Wald bringst.“
,, Aber…“
,, Kein aber. Ein paar Zündschnüre anbringen, kann jeder von uns. Dazu braucht es keine Magierin.“ Und nicht meine Tochter, meinte sie ihn sagen zu hören. Was er über ihre Sturheit gesagt hatte mochte stimmen… aber wenn Zyle wollte, übertraf er sie immer noch alle darin. ,, Relina, fang an die Leute zusammenzurufen. Während ihr euch in den Wald zurückzieht, schlagen ich und Wys uns zur Versammlungshalle durch und bereiten dort alles vor. Sobald wir sehen, wie die ersten von euch verschwinden, empfangen wir diese Bastarde mit einem Feuerwerk.“
Es war ein verzweifelter Plan, das war ihnen allen klar.
,, Pass bloß auf dich auf.“ , erwiderte Relina. Sie wagte erst gar nicht den Versuch, sie begleiten zu wollen. Zyles Antwort galt auch für sie, das war allen klar. Stattessen küsste sie ihn flüchtig, bevor sie sich bereit auf den Weg machte. ,, Ich will euch nachher alle wiedersehen. Das gilt sogar für euch, Archont.“
Und so nahm ihr letzter Versuch Gestalt an, etwas Zeit zu erkaufen. Während ihre LEute einer nach dem anderen im Schattend er Wälder verschwanden, machten sich Wys, Zyle und die verbliebenen loyalen Paladine auf den Weg hinauf zur Versammlungshalle der Magier. Jeder zog oder schob ein Fass mit Schwarzpulver hinter sich her und in regelmäßigen Abständen ließ Wys sie anhalten und Fackeln zurücklassen. Aus der Ferne musste es so aussehen, als zöge sich eine riesige Kolonne die Flanke des Hügels hinauf, nicht nur der klägliche Rest ihrer Truppe. Und unten an den Klippen formierten sich nach wie vor die Männer Helikes, die zum Herrn der Ordnung übergelaufen waren. Eine kurze Atempause würde man ihnen wohl noch gönnen. Doch es konnte nicht mehr lange dauern, bis den ersten auffiel, dass die Stellungen oben an den Klippen längst verlassen da lagen…
Die dicken, stabilen Steinwände der Versammlungshalle blendeten jedes Geräusch von draußen aus. Die Feuer, die sie entlang des Hügels entzündet hatten, spiegelten sich in den hohen Fenster und brachten das bunte Glas zum leuchten.
Geborstener Kristall glitzerte im Licht der Fackeln, die sie entzündet hatten. Also war es war, dachte Zyle. Er hatte gehört, dass es vorkam, das die Windspiele eines Zauberers bei seinem Tod zersprangen, doch selber miterlebt hatte er es nie. Das Trümmerfeld jedoch, das den Boden der Versammlungshalle der Magier bedeckte, sprach Bände. Die Halle selbst war von den Kämpfen, die entlang der Küste getobt hatten bisher verschont geblieben. Trotzdem sah es aus, als hätte hier drinnen ein Orkan getobt. Irisierende Lichtblitze zuckten über die Wände, wann immer die Flammen der Fackeln flackerten, brachen sich auf den scharfkantigen Überresten dessen, was einstmals ein Symbol von Stolz und Hoffnung für Maras gewesen war. Einst hatten oben an der hohen Decke des Saals hunderte von Windspielen gehangen, jedes einzelne von einem Magier gefertigt, der das Ende seiner Ausbildung erreicht hatte. Nun waren es grade mal noch ein paar dutzend. So viele waren tot, dachte Zyle. Und bevor dieser Tag zu Ende war, würden es vielleicht noch mehr sein. Noch mehr Windspiele, die ihres Lichts beraubt waren und die Halle in Dunkelheit zurück ließen. Alles, wofür sie Jahrelang gearbeitete hatten, lag als Staub zu seinen Füßen.
Der Kristall barst funkensprühend, als er einigen Paladinen half, weitere Fässer mit Schwarzpulver ins Innere zu schaffen. Wenn alles nach Plan lief, würden die Anrückenden Armeen des Herrn der Ordnung eine ziemliche Überraschung erleben, dachte er. Zumindest dürfte es Ablenkung genug sein um jenen, die in die Wälder entkommen waren, Zeit zu verschaffen. Daran, ob sie selber noch hier heraus kommen würde, verschwendete er jetzt keinen Gedanken, als er das in der Nähe der offen stehenden Tür absetzte. Geschützt davor, von einem zufälligen Brandpfeil getroffen zu werden, aber leicht wieder nach draußen zu bringen. R hatte einem halben Dutzend Paladine gezeigt, wie sie das Pulver in den Fässern verdichten konnten und wie lang die Zündschnüre werden sollten. Immerhin wollte keiner von ihnen erleben, das eines der Fässer zu nah an der Halle hochging. Wenn das geschah brauchten sie sich keine Sorgen mehr darüber machen, wie sie hier rauskamen.
Zyle warf einen Blick durch die offene Tür, wo Wys den Rest seiner Männer versammelt hatte. Es war eine klägliche Truppe, dachte er. Kaum fünfzig Mann die die roten Umhänge der Paladine Helikes trugen. Der Rest ihrer Brüder war entweder gefallen oder kämpfte jetzt unter einem neuen Mantel für den Herrn der Ordnung. Ihre Panzerungen waren eingedellt und zerkratzt von dutzenden Klingen und mehr als einer hatte bereits Wunden davon getragen. Manchen konnte man ihre Müdigkeit nur zu gut ansehen, während andere auch jetzt noch eine stoische Mine bewahrten und sich auf ihre Schwerter und Speere stützten, während sie ins Tal hinab sahen. Die Armee, die am Strand von Maras gelandet war, machte sich mittlerweile auf den Weg die Klippen der Insel hinauf. Das Feuer, das Wys und er auf dem Weg zur Halle entzündet hatten, würde sie direkt hierher führen, da war er sich sicher. Und das bedeutete auch, dass ihre Zeit langsam ablief. Hastig versah er einige letzte Fässer mit Schnüren, bevor er und die anderen zu seinem Bruder traten. Wys Carmine sah nicht weniger besorgt aus wie seine Männer. Wie viele tausend mochten da unten die Felsen erklimmen? Aber am Ende war es auch egal. Sie waren mehr als nur in der Unterzahl, dachte Zyle. Ob nun tausend zu eins oder fünftausend zu eins machte keinen Unterschied.
,, Wir hätten fliehen sollen.“ , bemerkte ein Paladin, der sich nur noch auf einen Speer gestützt aufrecht zu halten schien.
,, Wir sind es gewohnt in Unterzahl zu kämpfen, oder ?“ Wys versuchte sicher ihnen Mut zu machen, doch wenn, dann war es nicht von Erfolg gekrönt. Er war ihr Archont, der letzte der ihnen geblieben war, der Mann dem ihre ganze Treue galt. Und doch wirkte er genauso erschöpft wie sie, war genauso am Ende seiner Kräfte angelangt.
,,Gegen normale Menschen. Aber das da sind Magier der übelsten Sorte, Herr. Und schlimmeres… Unsere eigenen Brüder haben sich gegen uns gewandt.“ Es hieß, Paladine zeigten keine Angst, aber der Mann der mit Wys sprach, war noch jung und nach Zyles Schätzung wohl noch kein Jahr im Rang eines Paladins. Und er zumindest hatte Angst. Oder zeigte sie zumindest eher, wie der Rest. Wys sprach vielleicht mit ihm, aber es waren alle, die seinen Worten lauschten.
,, Was wollt ihr von mir hören ?“ , fragte er müde und trat vor sie. In seinem Rücken erhellte der Fackelzug den Hügel hinauf die Landschaft und weiter hinten an der Küste wälzte sich, unaufhaltsam, das Herr der Ordnung durch die Ebene. Direkt auf sie zu. ,, Das unsere Feinde davon rennen werden, wenn sie uns sehen ? Das uns ein Wunder retten wird? Oder das wir eine Chance haben zu Siegen ? Ich werde nichts dergleichen tun. Das wäre eine Lüge. Es spielt keine Rolle, was die Sterne sagen. Oder was ich euch schwören mag. Heute Nacht finden wir alle unseren letzten Frieden.“ Wys kletterte auf eines der letzten Fässer, die man noch nicht ins Innere gebracht hatte. Das Licht der Fackeln fiel durch die Löcher in seinem weißen Umhang. Einen großartigen Archonten gab er ab, dachte Zyle. Mit zerfetztem Mantel und mit Schrammen übersätem Gesicht und Panzer. Niemand,
der ihn nicht kannte, wäre auf die Idee gekommen das dieser Mann einmal einer der Herrscher Helikes gewesen war. Und doch war seine Stimme kraftvoll und klar, als er sich dieses Mal an alle umstehenden Wendete.
,, Ich weiß, wie viele von euch sich in Augenblicken wie diesen nur den Frieden wünschen. Ich kenn dieses Gefühl nur selber zu gut. Ich sehe dem Schlaf entgegen, Brüder. Ich stehe heute nicht vor euch als Archont… sondern nur als ein weiterer Gefallener.“ Wys löste die Spange, die die Überreste seines Umhangs hielt und warf ihn bei Seite. ,, Und es gibt eine Zeit, in der uns die Rast vergönnt sein mag. In der alle Schwerter schweigen mögen und in der alles Kriegswerk zu Recht verrostet. Ich wünschte ich könnte sagen dieser Augenblick wäre nicht fern. Doch heute ist nicht dieser Tag. Heute ist die Zeit des Kampfes gekommen. Sie kam zu uns im Gewand der Heimtücke, hat geglaubt uns zerschmettern zu können! Und doch stehen wir heute noch hier.“ Er deutete in Richtung der näher kommenden Truppen. ,, Seht sie euch an, prägt euch die Gesichter euer ehemaligen Brüder ein . Den wo sie bald Staub sein werden, wird keiner von ihnen euch je vergessen! Niemand wir jemals leugnen können,
was heute hier geschehen ist. Das wir hier waren. Und das wir standgehalten haben. Das wiederum kann ich euch versprechen. Sie werden sich an uns erinnern. Jeden Tag ihres Lebens, werden sie an diesen einen Moment zurückdenken und sie werden erzittern. Paladine, Prediger, es spielt keine Rolle. Und in hundert Jahren, wenn von ihnen und uns nur Staub geblieben ist, werden sich noch ihrer Kinder Kinder von dem Tag erzählen, an dem sich ihnen die letzten Treuen von Laos in den Weg stellten! Dieser Augenblick gehört nicht ihnen. Egal was geschehen mag, dieser Tag ist nicht ihr Sieg. Wir mögen heute den Tod gefunden haben, aber was tot ist, kennt keine Furcht! Haltet die Reihen geschlossen, haltet sie von der Halle fern… und lasst sie mit jedem weiteren Schritt auf dieser Insel mit ihrem Blut bezahlen.“
Die einsetzende Stille, die auf die Worte seines Bruders folgte, war ohrenbetäubend. Einen Moment lang fürchtete Zyle, niemand hätte ihm überhaupt zugehört. Dann jedoch zog der erste Mann das Schwert und reckte die Klinge zum Himmel. Es dauerte eine Weile, dann ergriff ein zweiter seine Waffe, dann ein dritter, bis schließlich eine Mauer aus scharfem Stahl zu den Sternen deutete, die zwischen den Wolken hervorschimmerten. Im Osten zeichnete sich grade erst der erste Schimmer goldenen Morgenlichts ab und spiegelte sich auf dem polierten Stahl wieder. Es war kein tobender Applaus, dachte Zyle. Aber irgendwie hatte Wys es geschafft, sie noch einmal anzuspornen. Es änderte nichts daran, dass sie am Ende waren. Es änderte nichts an der Hoffnungslosigkeit ihres Unterfangens… doch als die Männer sich schließlich daran machten, die ersten Fässer nach draußen zu rollen und sich um den Eingang der Halle verteilten, schien die Erschöpfung nach und nach etwas von ihnen abzufallen.
Unten hatten die ersten Ausläufer der Armee mittlerweile den Fuß des Hügels erreicht. Spätestens jetzt wurde den ersten klar, dass es sich bei den Lichtern am Hügel lediglich um aufgestellte Fackeln und einzelne Feuer handelte, und nicht um die Flüchtigen Magier und Bewohner von Maras. Es dauerte nicht lange, bis die ersten jedoch die wartenden Paladine im Schatten der Halle entdeckten… und die Fässer. Einige erkannten wohl, was vor sich ging und versuchten plötzlich durch die nachrückenden Reihen zurück zu gelangen. Wys gab ihnen keine Gelegenheit dazu. Auf ein Zeichen hin, entzündeten alle Paladine ihre Fässer fast zeitgleich und beförderten sie mit einem Tritt den Abhang hinab. Ein paar polterten weit ab von der Hauptstreitmacht in die Tiefe und einige platzten auf und verteilten Pulver über den Boden. Doch der Großteil rollte direkt in die Reihen der Angreifer.
Diejenigen, die das Pech hatten, nicht rechtzeitig bei Seite zu springen, wurden von den schweren Fässern überrollt. Die ersten Schreie wurden laut, übertönten das Klirren von Waffen und Panzerungen einen Moment… und dann verschwand die Welt am Fuß des Hügels in gleißendem Feuer. Männer wurden durch die Luft geschleudert, als die ersten Tonnen detonierten, andere flohen panisch vor den aufsteigenden Flammen oder versuchten nun nur umso schneller den Hügel hinauf zu gelangen. Die eben noch so geordneten Formationen lösten sich auf und jene, die es irgendwie schafften, den Flammen hinauf zur Halle entkommen, liefen den wartenden Paladinen direkt in die Schwerter. Zyle und seine Begleiter waren unterdessen bereits dabei, die nächste Reihe Fässer ins freie zu bringen. Pfeile flogen durch die Luft, die meisten jedoch gingen weit über ihre Köpfe hinweg oder waren viel zu niedrig gezielt und landeten im Gras. Hier oben hatten sie alle Vorteile auf ihrer Seite, dachte er. Von den Zahlen einmal abgesehen. So erschreckend die Wirkung der Pulverfässer auch war , sie hatten lediglich eine kleine Bresche in die Flut aus Kämpfern geschlagen, die sich bereits neu formierten. So schnell wie möglich brachten sie die neuen Fässer in Position. Aber ob ein zweiter Versuch genau so effektiv sein würde… Noch einmal würden sie ihre Feinde nicht überraschen können, das stand fest. Doch bevor Zyle dazu kam, das Signal zum Anzünden der Lunten zu geben, hielt die Armee unten im Tal auf einmal inne. Er blinzelte verwirrt und richtete sich auf. Doch die übergelaufenen Paladine machten keine Anstalten, den Hügel erneut zu erklimmen. Stattessen jedoch teilten sich ihre Reihen plötzlich. Durch die Gasse, die sie bildeten näherte sich eine einzelne Gestalt in einem einfachen Pelzumhang. Goldene Anhänger hingen davon herab und fingen das erste Tageslicht ein, das sich grade seinen Weg über den Horizont suchte. Über seiner Schulter lag eine schwere Sense, wie ein Mahnung an alle Lebenden, ihm nicht zu nahe zu kommen. Selbst auf die Entfernung meinte Zyle das Feuer in den Augen des Fremden brennen zu sehen, während er am Fuß des Hügels stehen blieb.
Wys sah wie sich der rote Heilige näherte. Die Anwesenheit dieses Wesens, das vorgab noch ein Mensch zu sein, war körperlich spürbar, selbst jetzt wo noch gut tausend Schritte zwischen ihnen lagen. Immerhin war der Vormarsch seiner Leute mit seinem Auftauchen erst einmal ins Stocken gekommen, dachte der Archont.
,, Ihr habt verloren. Das müsst selbst ihr einsehen.“ , seine Stimme hallte über die Weisen bis zu ihnen herauf, jedes Wort so klar verständlich, als stünde er neben ihnen. ,, Und dennoch habt ihr euch wacker geschlagen , Archont. Eure Männer haben beweisen, dass sie nicht leicht Aufgeben. Es gibt immer Raum in unseren Reihen für Leute wie euch. Träumer hat mich gebeten, noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen. Ergebt euch jetzt und das Opfer eurer Männer soll nicht umsonst gewesen sein. Ich schenke ihnen ein Leben in Ehre, wenn sie das Schwert für unsere Sache ergreifen.“
,, Was versteht ihr von Ehre ?“ , rief er hinab. Seine Hand umklammerte den Schwertgriff. Er hatte einen Eid geleistet, dass dieser Mann durch seine Hand sterben würde. Und jetzt stand er dort. So nah und doch unerreichbar für ihn. Und selbst wenn nicht, würde er kaum nahe genug kommen, ohne von der Magie seines Gegners in Stücke gerissen zu werden. Es sei denn… Eine weitere Verzweiflungstat, dachte er. Statt sich wieder dem roten Heiligen zuzuwenden, sprach er diesmal zu allen Anwesenden… aber vor allem zu den übergelaufenen Paladinen, die ihrem neuen Herrn den Rücken frei hielten. ,, Dieser Mann hat keine Ehre. Kein Verständnis davon, noch kümmert er sich groß darum. Ich habe gesehen, wie er unschuldig hinterrücks ermordete. Er hat sich hinterhältig in eure Herzen und euren geist geschlichen, nicht durch Taten, sondern durch Angst. Und doch wagt er es von Ehre zu sprechen? Ich sage euch etwas. Stellt euch mir in einem fairen Kampf. Stahl gegen Stahl, keine Magie. Wenn ihr mich besiegen könnt, sollen meine verbliebenen Männer euch folgen. Ode lehnt ab und verkriecht euch wieder hinter eurer Hexerei und Männern, von denen jeder einzelne mehr Wert ist als ihr! Jeder einzelne von ihnen kann mich herausfordern wenn er es möchte. Und ich werde es ihm mit Freuden gewähren. Habt ihr weniger Mut als sie? “
Und tatsächlich richteten sich plötzlich alle Augen plötzlich auf ihn. Selbst die abtrünnigen Paladine sahen den Hügel hinauf auf ihn. Ihrem Archonten. Den in diesem einen Augenblick, egal was man ihnen eingeflüstert haben mochte, war er wieder genau das. Nicht ihr Gegner, sondern ihr Herrscher. Vielleicht einer, den sie nicht mehr folgten, aber nichts desto trotz, der Mann, dessen Stimme ihnen lange Gesetz gewesen war. Und nun hatte er die Ehre des Mannes angezweifelt, dem sie sich nun verschrieben hatten. Was immer sie nun auch glaube mochten, am Ende waren sie nach wie vor die Männer Helikes. Wenn der rote Heilige seiner Aufforderung jetzt nicht folgte, würden sich viele von ihm abwenden, das wusste er. Für diesen einen Moment, waren sie alle wieder die Männer des Archonten, nicht des Heiligen. Halb hoffte Wys sogar, dass dieser ein Duell ausschlug. Es würde ihm vielleicht die Chance nehmen, ihn mit eigenen Händen zu töten, aber wenn er jetzt etwas Falsches sagte, würde dort unten ein Krieg in seinen eigenen Reihen ausbrechen.
,, Wie ihr wünscht.“ , rief der rote Heilige schließlich. ,, Ein Kampf ohne Magie. Ich brauche keinen Zauber um euch zu vernichten…“
,, Dan beweist es mir.“, erwiderte Wys. Das war die eine Chance, die er bekommen würde, das war ihm klar. Mit seiner Zauberei konnte dieser Mann ihn mit einem Gedanken töten. Aber wenn es ihm gelang, seinen Stolz gegen ihn auszuspielen, dann konnte er gewinnen…
Wys hob seinen Umhang wieder auf, als er sich auf den Weg den Hügel hinab machte. Jetzt wo die Schlacht fürs erste vorbei war, machte sich die kühle Morgenluft unangenehm bemerkbar. Er würde vorsichtig sein müssen, dachte er. Kälte würde ihm im kommenden Kampf keinen guten Dienst erweisen. Sein Körper war nach wie vor überhitzt und seine Muskeln verhärteten sich. Davon abgesehen, das er nach wie vor erschöpft genug war, um an Ort und Stelle einzuschlafen. Was ihm im Augenblick noch auf den Beinen hielt, war allein eiserne Disziplin. Ein Leben als Schwertmeister erlaubte es nicht, das man sich den Luxus erlaubte sich von seinem Körper beherrschen zu lassen. Und doch war es ein gefährliches Spiel das er spielte, nicht? Im Vollbesitz seiner Kräfte hätte er sich weniger Sorgen gemacht, doch er wusste nicht, zu was sein Gegner fähig war. Und dieser war im Gegensatz zu ihm noch ausgeruht und frisch. Und mit welchen körperlichen Fähigkeiten sein Gott ihn gesegnet hatte, das hatte ihm Larths Schicksal mehr als deutlich vor Augen geführt. Ein Mann, der einem andere mit einer Hand den Hals brach war nicht zu unterschätzen.
Zyle half ihm dabei, die Rüstung abzulegen, als sie schließlich den Kampfplatz erreichten. Eigentlich war es nur ein etwa kreisrunder Abschnitt des Pfads, der hinauf zur Versammlungshalle führte. Sie hatten sich darauf geeinigt, sich auf halbem Weg zu begegnen, so dass niemanden die eigenen Männer zur Hilfe kommen würden. Wys hatte lediglich Zyle mit sich genommen. Sein Bruder hätte sich ohnehin nicht davon abhalten lassen, dachte er.
,, Ich kann für dich antreten.“ , bot er an, während er die letzten Schnallen der Rüstung löste und das schwere Metall bei Seite stellte. Sein Gegner würde ebenfalls keine Rüstung tragen. Wenn sie das hier taten, dann richtig.
,, Danke für das Angebot .“ , meinte Wys und rang sich ein kurzes Lächeln ab. Er legte seinem Bruder beruhigend eine Hand auf die Schultern. ,, Aber ich muss das hier tun. Und du bist mindestens genau so müde wie ich. Es macht also keinen Unterschied.“
,, Nein.“ Zyle schüttelte den Kopf. ,, Ich werde nicht müde. Zumindest nicht so. Und mich kann er wenigstens nicht töten.“
,, Da wäre ich mir gar nicht so sicher Bruder.“
Der rote Heilige kam alleine. Trotzdem war allein seine Ausstrahlung genug, dafür zur Sorgen, das sich Zyle das Fell sträubte. Er schien von den zwei Gejarn nur oberflächlich Notiz zu nehmen, während er langsam in die Mitte des kleinen Platzes trat.
,, Wo ist Träumer ?“ , fragte Wys. Er hatte eigentlich damit gerechnet, dass auch sein Gegner zumindest einen Zeugen mitbringen würde. Dass er es nicht tat war…beunruhigend. Seine Hände ruhten bereits auf den Schwertgriffen, während er den Mann langsam umkreiste. Der rote Heilige folgte seinen Bewegungen jedoch sofort. Die Sense in seiner Hand wirkte vielleicht unpraktisch, dachte Wys, aber er würde ihn deshalb nicht unterschätzen. Wenn der Mann sich entschieden hatte, während dieses Duells nicht auf ein Schwert oder eine andere praktischere Waffe zu setzen, musste er damit umgehen können. Oder aber es zeugte von Arroganz. Wys war klar, dass er nicht darauf hoffen durfte. Bei diesem Kampf stand zu viel auf dem Spiel.
,, Wollen wir reden oder kämpfen ?“ Aus der Stimme seines Gegners sprach eine unterschwellige Wut, die sich jedoch nicht gegen sie zu richten schien. Zumindest nicht direkt. Aber gegen wen dann ? Es war ihm und Naria schon in Helike aufgefallen. Dieser Mann verbarg unter seinem ruhigen abgebrühten äußeren Grausamkeit und ungebremsten Zorn. Doch woher kam er?
Die Männer beider Seiten hatten sich mittlerweile so weit vorgewagt, wie sie konntne, ohne das es wirkte, als würden sie eingreifen wollen. Einige Schlugen die Waffen gegen ihre Schilde. Ein zuerst langsamer Takt, der mit jedem aufeinanderprallen von Stahl auf Stahl und Stahl auf Holz schneller wurde.
Wys und sein Gegner umkreisten einander langsam. Der rote Heilige täuschte einen Schlag an. Wild und ungezügelt wie ein Tier schoss die Sense vor. Doch Wys blieb ruhig stehen, während die gebogene Klinge sein Gesicht um eine halbe Armlänge verfehlte. Noch war es nichts als ein Abtasten, dachte er. Nun jedoch zog auch er die Schwerter. Die zwei Klingen glänzten im Licht der aufgehenden Sonne. Auf einen Schild hatte er hingegen verzichtet. Er war ohnehin bereits müde. Seine beste Chance stand darin, seinen Gegner möglichst schnell in die Enge zu treiben. Ein Schild hingegen würde ihn nur zusätzlich erschöpfen, doch zwei Klingen waren unvorhersehbar… und nur schwer abzuwehren, wenn man selber ebenfalls keinen Schild trug. Wys ließ die Schwerter kreisen und brachte seinen Gegner dadurch tatsächlich kurz ins Wanken. Die Waffen verfehlten ihn zwar um Längen, aber darum ging es ihm auch nicht. Der rote Heilige hatte die Finte nicht kommen sehen, dachte er erleichtert.
Der Takt der Klingen die auf Holz trommelten war mittlerweile zu einem stetigen Stakkato angewachsen. Wys jedoch blendete den Lärm vollkommen aus. Und plötzlich riss er ohnehin ab. Im gleichen Moment gingen die beiden Kontrahenten aufeinander los. Das vorsichtige Abtasten war vorbei. Ab jetzt ging es um Leben und Tod.
Der rote Heilige stürzte sich mit einem Aufschrei auf ihn. Wys parierte den ersten Hieb der Sense mit dem Blatt der einen Klinge, während er mit der zweiten nach seinem Gegner stach. Die beide Kontrahenten wirbelten umeinander und tauschten so blitzschnell Schläge aus, dass man ihnen mit den Augen kaum folgen konnte. Das Klirren des Stahls erfüllte die Luft und es dauerte nicht lange, bis der erste von ihnen aus dem begrenzten Kampfkreis heraus trat. In einem Wirbel aus Stahl jagten die beiden Männer sich, trieben einander die Flanke des Hügels in Richtung der Halle hinauf. Wys wusste selbst nicht zu sagen, wer von ihnen eigentlich die Oberhand hatte. Bisher war es ihm leicht gefallen, die Schläge seines Gegners zu parieren, doch dieser war ausgeruht und wich seinen Attacken mit der Eleganz eines Tänzers aus. Der rote Heilige mochte kein erfahrener Krieger sein, aber er war schnell und jedes aufeinanderprallen der Klingen schickte Schockwellen durch den Körper des Archonten. Wo seine Schläge gezielt und sparsam waren, kämpfte der rote Heilige wie in Raserei und ließ ihm kaum Zeit einmal Atem zu schöpfen.
Die ersten Paladine sprangen bei Seite um den Kämpfenden Platz zu machen. Wys trat nach seinem Gegner, der daraufhin gegen die Außenwand der Halle stolperte. Sofort versuchte er nachzusetzen, traf jedoch nur noch Stein, als der rote Heilige sich sofort zur Seite warf und im Eingang der Versammlungshalle landete.
Wys wich dem nächsten Hieb der Säule aus, während er ihm ins Innere des Gebäudes nachsetzte. Statt seinen Kopf abzutrennen, bohrte sich die Klinge in eine der Säulen, die das Dach trugen. Das bemalte Stück Holz war fast so breit wie ein ausgewachsener Mann, trotzdem teilte die Sense es fast in zwei Hälften. Sofort riss der rote Heilige die Waffe wieder zurück und stürzte sich erneut auf den Archonten. Allein die Kraft und Ausdauer dieses Mannes war nicht natürlich, dachte Wys. Ihr Kampf dauerte jetzt schon fast eine halbe Stunde an. Er war vorher schon am Ende seiner Kräfte gewesen und fühlte langsam auch seine letzten Reserven schwinden. Ein normaler Mensch sollte mittlerweile zumindest ein paar Anzeichen von Ermüdung zeigen. Doch nichts dergleichen. Wenn, dann wurden die Angriffe seines Gegners noch wilder und unberechenbarer. Doch genau auf so etwas hatte er gewartet. Wys parierte einen weiteren Schlag, in dem er das Schwert hinter die gebogene Klinge der Sense klemmte. Von einem Moment auf den andere konnte der rote Heilige die Waffe nicht mehr zurückziehen. Wys drehte das verkeilte Schwert in der Hand und riss die Sense dabei mit zur Seite. Mit der andere, noch freien Waffe in seiner anderen Hand führte er einen Streich gegen die Kehle seines Gegners. Dieser erkannte den Fehler, den er gemacht hatte grade noch rechtzeitig und rettete sich nur, indem er die Sense losließ und zurücksprang. Die ungewöhnliche Waffe schlug polternd auf dem Boden auf. Trotzdem entkam er der Klinge nicht ganz. Das Schwert streifte ihn an der Wange und hinterließ einen langen Schnitt quer über eine der rötlichen Narbenfinger in seinem Gesicht.
Der rote Heilige stolperte mit einem Aufschrei zurück. Blut sickert zwischen seinen Fingern hervor, als er die Wund betastete. Wys wollte sofort nachsetzen um der Sache ein Ende zu machen.
Im gleichen Moment jedoch, riss sein Gegner die Arme hoch und entfesselte einen grellen Lichtblitz. Magie, dachte Wys, bevor er die Augen schließen musste um nicht geblendet zu werden. Dieser Bastard hatte grade die Regeln ihres Duelles verletzt… Aber natürlich, dachte er, hatte es niemand gesehen. Alle wartete vor der Halle und Zyle hatte ihnen nicht so schnell folgen können, wenn er nicht riskieren wollte, zwischen die Schwerter zu geraten. Als Wys endlich wieder sehen konnte hatte der rote Heilige die Sense wieder aufgehoben und stürzte sich erneut auf ihn. Dieses Mal jedoch kam ihm der Zufall zur Hilfe. Sein Gegner schwang die Sense in einem so hohen Bogen, das sie sich in einem der noch hängenden Windspiele verfing. Der Kristall zerbarst unter der Wucht des Aufpralls in tausend scharfkantige Splitter, die über dem roten heiligen niedergingen.
Und mittlerweile war auch Zyle am Eingang der Versammlungshalle aufgetaucht. Ab jetzt wird wieder fair gespielt, dacht Wys, bevor er sich erneut in den Kampf stürzte.
Zyle hielt sich derweil so gut es ging am Rand der Halle um nicht aus Versehen in den Kampf hinein gezogen zu werden. Dennoch war der besorgte Ausdruck auf seinem Gesicht unmissverständlich. Es machte ihm sichtlich zu schaffen, dass er nicht eingreifen durfte. Aber wenn er das tat, dachte Wys, hatte er verloren. Er sprang auf eines der noch in der Halle stehenden Pulverfässer um einem weiteren Sensenhieb zu entgehen. Statt seinen Kopf zu spalten, zerteilte die Klinge lediglich das Holz der Fasswand und ließ einen Nebel aus Schwarzpulver aufsteigen, der sich rasch ausbreitete. Erneut wurde Wys geblendet… und musste zum ersten Mal bluten. Ein Schnitt ritzte ihm die Kopfhaut, ein weiterer grub sich in seinen linken Arm und hinterließ eine tiefe Wunde… Rasch sprang er zurück um etwas Abstand zwischen seinen Gegner und sich zu bekommen. Keine seiner Verletzungen war tödlich, dachte er. Aber sie behinderten ihn und rissen mit jeder Bewegung nur weiter auf. Aus dem Schnitt an seinem Arm strömte mit das Blut mit alarmierender Geschwindigkeit. Innerhalb weniger Herzschläge, war der Ärmel seiner Tunika rot gefärbt. Blutverlust und Müdigkeit ließen ihn straucheln. Er atmete mittlerweile schwer, während sein Gegner immernoch so ausgeruht, wie am Beginn des Kampfes wirkte. . Wys verfluchte sich selbst. Früher hätte er stundenlang so weitermachen können. Nun jedoch brannten seine Muskeln, seine Knochen schmerzten und der Blutverlust ließ seine Sicht verschwimmen. Er stützte sich mühsam an einer Säule ab und hob erneut das Schwert.
,, Ihr seid alt geworden, Archont.“ , verspottete der rote Heilige ihn. Ihm dürfte nicht entgangen sein, das Wys am Ende war… Mit einem einzigen Hieb schlug er ihm das Schwert aus der verletzten linken. Klirrend landete die Klinge irgendwo im Dunkel der Halle. ,, Sollen wir vielleicht besser eine Pause einlegen ? Oder wollt ihr vielleicht endlich ernst machen?“
Wys erwiderte nichts sondern stürzte sich mit aller Kraft auf ihn, die ihm noch geblieben war. Kreischend und Funkenschlagend trafen die Klingen aufeinander. Wys hörte ein knirschen… und musste entsetzt zusehen, wie sich die Sense des roten heiligen unendlich langsam in den Stahl des Schwerts fraß. Dann zersprang die Schneide, als bestünde sie aus Glas. Splitter wirbelten durch den Raum, bohrte sich in Wys Brust und ließ ihn zurückstolpern. Trotzdem schaffte er es irgendwie, das Heft umklammert zu halten. Was von seinen Waffen geblieben war, war ein kaum Unterarmlanger Metalldorn… Nicht einmal ein Messer.
Der rote Heilige lachte über ihn, den blutenden, geschlagenen Krieger in seinem zerfetzten Mantel. Mit großen Schritten kam er auf ihn zu und hob die Sense zu einem letzten, tödlichen Schlag. Doch Wys war schneller. Das düstere Funkeln in den Augen seines Gegners wandelte sich zu blankem entsetzten, als der gebrochene Archont wieder auf die Füße stolperte… und sich nach vorne warf. Wys trieb ihm die abgebrochene Klinge bis zum Heft in die Brust. Hoffentlich war das gesplitterte Stück Stahl noch lang genug um auch das Herz zu erreichen.
,, Das ist für Tira, du Bastard.“ , flüsterte er.
Eine Weile lang, war das einzige Geräusch das leise Tropfen von Blut, das aus den Wunden der beiden Kontrahenten sickerte. Zyle trat hinter den Säulen hervor. Ein Teil von ihm wollte sofort zu seinem Bruder laufen, doch dieser rührte sich schlicht nicht.
,, Wys ?“
,, Bleib wo du bist.“ , rief der angesprochene zurück. Noch immer lehnte er sich mit aller Kraft gegen das Schwert, das die Brust seines Gegners durchbohrt hatte. Blut lief an der Klinge entlang und über die Finger des Archonten, vermischte sich mit seinem eigenen.
Und dann öffnete der rote heilige den Mund. Schauriges Lachen hallte durch die Versammlungshalle. Die Klinge in der Brust des roten Heiligen hob und senkte sich mit jedem Atemzug des Mannes. Und das Lachen trug nur dazu bei, das das abgebrochene Schwert die Wund nur umso tiefer aufriss. Trotzdem hörte er nicht auf. Ein Laut, so unerträglich, das Wys Hand am Griff der Waffe zu zittern begann. Und dann streckte der rote Heilige die Hand aus und packte die Hand des Archonten. Wys schrie auf, als seine Finger wie beiläufig zerquetscht wurden. Zyle konnte hören, wie seine Knochen mit einem hässlichen, Übelkeit erregenden Laut brachen. Mit einem Ruck riss der rote heilige die Hand seines Bruders zurück… und damit auch die Klinge aus seiner Brust. Blut strömte aus der klaffenden Wund hervor und tränkte sofort den dunklen Pelzmantel des Mannes. Er musste tot sein, dachte Zyle. Der Gejarn konnte das Herz des Mannes, das inmitten des versehrten Fleischs pulsierte. Durch das rausziehen hatte das Schwert den Schnitt nur noch weiter aufgerissen. Niemand sollte mit so einer Verletzung noch auf den Beinen stehen. Und dann sackte der rote heilige tatsächlich stöhnend in sich zusammen. Noch mehr Blut floss aus der Wunde und floss in Strömen zu Boden. Und trotzdem gelang es ihm irgendwie sich wieder aufzurichten. Auch wenn das Gesicht des Mannes vor Schmerzen gezeichnet war machte er einen Schritt vorwärts, während Wys in die Knie ging. Seinem Bruder machte der Blutverlust weitaus mehr zu schaffen, als seinem Gegner. Dieser wiederum hob langsam die Sense… zu einem letzten Schlag, der das Duell beenden würde.
Zyle zog sofort die eigene Waffe und rannte los um dazwischen zu gehen. Und doch war er zu langsam, dachte er. Er hatte es in dem Moment gewusst, wo er sich in Bewegung setzte. Die Schneide der Sense fuhr blitzend herab.
,, Wys !“ Sein Bruder sank zur Seite, während Zyle grade erst die Fässer erreicht hatte, welche die beiden bei ihrem Kampf zerstört hatten. Erneut wirbelte Schwarzpulver auf, als der Gejarn fast ausrutschte… Dann schlug Wys Körper auch schon auf dem Boden auf. Blut sickerte unter ihm hervor und tränkte die Fliesen der Versammlungshalle. Zyle spürte, wie seine Beine unter ihm nachgeben wollten. Die Klinge hätte genauso gut ihn treffen können. Nein. Das konnte, das durfte schlicht nicht sein. Langsam wendete er sich dem roten Heiligen zu. Dieser stieg schlicht achtlos über die Leiche seines Bruders hinweg und kam auf ihn zu.
,, Ihr habt meinen Bruder getötet.“
Noch immer blutete die Wunde in seiner Brust. Er musste tot sein, sagte Zyle sich. Und doch lief er weiter… Langsam wich der Gejarn vor ihm zurück und zog dabei eine Fackel aus einer der Halterungen im Raum. Die meisten waren bereits wieder heruntergebrannt, nachdem sie sie am Abend zuvor entzündet hatten. Aber an dieser hier glomm noch etwas Glut. Langsam streckte er den Arm aus und hielt die Glut über die Pulverfässer. Einer seiner Schritte wirbelte erneut etwas Schwarzpulver auf, das knisternd verlosch, als es die Fackel berührte und die Flammen erneut entzündete. Und auf einmal zeichnete sich erneut Angst auf dem Gesicht des roten Heiligen ab
,, Euer Bruder war ein Narr.“ , erwiderte er. ,, Er hätte leben und mir dienen können. Seit ihr wirklich so dumm, den gleichen Fehler zu machen?“
,,Nein.“ Zyle schüttelte langsam den Kopf. ,, Ich bringe nur zu Ende, was er angefangen hat.“ Mit diesen Worten ließ er die Fackel los. Im nächsten Moment ging die Welt in Flammen unter.
Vom Haupthaus blieben nur Trümmer. Die massiven Steinwände wurden von der Wucht der Explosion zu Kieseln zerrissen, die sich über die gesamte Flanke des Hügels verteilten. Feuerfinger griffen nach den Säulen und der feinen Holzdecke und setzten diese innerhalb weniger Herzschläge in Brand. Und es dauerte nicht lange, bis die Flammen auch auf die Nebengebäude und die Bibliotheken übergriffen. Die uralten Pergamente und Bücher brannten wie Zunder und heizten die Glut nur noch weiter an, die nun durch die Kammern fegte. Fenster zerbarsten unter dem Druck er Flammen und ließen Glassplitter herabregnen.
Der rote heilige stand nach wie vor inmitten der nur langsam erlöschenden Flammen, als die ersten seiner Männer herbei gelaufen kamen. Die Paladine, die immer noch dem Archonten die Treue gehalten hatten, waren wohl längst geflohen, dachte er. Irgendwo in die dichten Wälder, die den Großteil von Maras bedeckten. Da draußen würden sie sie kaum finden, wenn sie nicht Wochenlang jeden Stein umdrehen wollten. Die Flammen tanzen über seine Kleidung und seine Haut, ließen seine Haare leuchten. Und doch verbrannten sie ihn nicht. Nach wie vor, der Segen seines Herrn lag über ihm. Dennoch zitterten seine Beine unter ihm, als er einen Schritt auf seine Leute zu machen wollte. Nach wie vor rann Blut aus der klaffenden Wunde in seiner Brust, sickerte zwischen den Fingern hervor, die er auf den Schnitt gepresst hatte und aus seinem Mundwinkel. Sein Herr hatte seinen Körper weit über das Maß eines gewöhnlichen Sterblichen gestählt… aber auch er hatte grenzen, wie ihm grade nur zu deutlich bewusst wurde. Ihm war schwindlig und das Feuer abzuwehren hatte ihn nun gefährlich viel Kraft gekostet. Und egal wie mächtig er war, ihm fehlte die Kraft, sich selbst zu heilen. Wie allen Magiern… Aber er konnte hier nicht sterben. Nicht so. Nicht jetzt, wo seine Rache so nah war. Warum sonst hatte er die Gabe des Herrn der Ordnung angenommen? Mit purer Willenskraft richtete er sich auf und stützte sich auf die Sense, während er auf seine Männer zu hinkte. Er stolperte fast über etwas metallisches, das zwischen den Trümmern der Halle hervorragte. Der Großteil war unter von verkohlten Balken und Steinen begraben worden, doch etwas, das wie eine Hand wirkte, lag direkt vor seinen Beinen. Er wollte sich grade danach bücken um es sich genauer anzusehen, als ihn einer seiner Männer erreichte.
,, Herr, die Paladine sind geflohen. Wenn wir sie sofort verfolgen können wir…“
,, Wir ziehen uns zurück.“ Er konnte es nicht riskieren, länger hier zu bleiben. In seinem Zustand konnte ihm ein weiterer Kampf jetzt durchaus gefährlich werden. So unglaublich es schien, diese verrückten Brüder hatten es tatsächlich fast geschafft, ihm den Gar aus zu machen. Zum ersten Mal fürchtete er um sein Leben.
,, Aber Herr, wir haben sie fast…“
,, Ich sagte Rückzug ! Alle Truppen sollen sich auf den Weg zu den Galeeren machen. Uns erwartet größere Beute.“ Und auf den Schiffen würde er sich heilen können ja… Grade jedoch, als er sich bereits umwenden wollte um die Halle hinter sich zu lassen, bewegte sich etwas unter den Trümmern, stemmte sich auf die Hand hoch, die eben noch kaum mehr als totes Metall gewesen war. Fasziniert sah der rote Heilige zu, wie sich langsam Blut und Fleisch darum bildeten, wie die in der Oberfläche des Metalls eingelassenen Kristalle zu glühen begannen. Magie des alten Volkes… Aber er hatte nie damit gerechnet, hier darauf zu stoßen. Oder das überhaupt noch ein solches Wesen existieren konnte. Nicht nach all dieser Zeit. Das alte Volk hatte seinen Meister bereits einmal geschlagen. Und es hatte dabei sein Ende gefunden, dachte er. Was also hatte das zu bedeuten? ,, Und nehmt den damit.“ , befahl er schließlich. Er würde es schon herausfinden…
Träumer sah zu, wie Maras langsam am Horizont verschwand. Die Hände hatte er in den Ärmeln seiner blauen Robe verschränkt. Es war ein grausamer Tag gewesen, dachte er. Auch wenn er ihn nur aus der Ferne beobachtet hatte. Rauch stieg über der Insel auf und noch immer glommen Feuer auf einige der vor der Küste gestrandeten Schiffe. Wie Mahnmale ragten die ausgebrannten und zersplitterten Rümpfe aus den Wellen. Sein Meister saß hinter ihm am Bug der Galeere und brütete düster vor sich hin. Sie hatten Maras nicht eingenommen. Aber der Archont war tot, dachte er. Doch lebte sie noch ? Naria ? Wenn nicht, dann hatte er endgültig darin versagt, den Zorn seines Herrn irgendwie zügeln zu wollen. Seine Niederlage hier, wenn man sie so nennen konnte, würde auf lange Sicht gar nichts bedeuten…
,, Maras bedeutet nur eine geringfügige Verzögerung.“ Es war, als hätte sein Meister seine Gedanken gelesen. Immer noch zitterten seine Hände leicht, als er an die Reling trat und zusah, wie die Insel langsam im Nebel verschwand. ,, Unser wahres Ziel liegt jetzt zum Greifen nahe. Wir müssen um jeden Preis verhindern, dass der Schwertträger findet, was er sucht.“ Der Rumpf der Galeere schnitt durch die höher werdenden Wellen und Gischt schäumte über die Reling. Die Finger des roten heiligen krallten sich in das Holz und hinterließen tiefe Kerben darin. Als man ihn zu Träumer gebracht hatte, war der Mann so geschwächt gewesen, das er kaum hatte laufen können. Es hätte wenig gebraucht um es zu beenden, dachte Träumer. Und trotzdem hatte er gezögert, ihn zu heilen. Wie war es möglich, dass ein paar Sterbliche ihn fast vernichteten? Hatte ihr Gott sie etwa im Stich gelassen? Es sollte nicht möglich sein, sich gegen den Willen des Herrn der Ordnung zu stellen.
,, Herr… ich dachte wir brauchen Lahaye noch ?“
,, Das tun wir auch. Und doch können wir nicht zulassen, dass er die komplette Wahrheit erfährt. Er muss uns vorher in die Hände fallen. Und deshalb werde ich euch auch vorausgehen. Helike war nur der Anfang. Unser wahrer Feind wartet erst noch auf uns. Bald schon wird der Kaiser für alles bezahlen…“
Träumer konnte nicht anders, als seinen Meister kurz skeptisch zu mustern. Für was sollte der Kaiser bezahlen? Sicher, er würde sich ihnen in den Weg stellen… und er musste genau deshalb fallen. Aber hatte er sich eines Verbrechens schuldig gemacht? Oder war sein Herr schlicht drauf und dran ihren gerechten Kreuzzug in seinen persönlichen Rachefeldzug zu verwandeln?
,, Es gibt bereits mehr als genug unserer Anhänger in Canton, die nur auf mein Zeichen warten.“ , fuhr der rote Heilige derweil fort. ,, Ich werde mich zu ihnen begeben. Für euch hingegen, Träumer, habe ich eine andere Aufgabe. Wenn ich mich nach Canton teleportiere, werdet ihr den Befehl über die Flotte übernehmen. Führt sie durch die Kanäle ins Ostmeer und begebt euch nach Erindal. Wir haben bereits einige Könner dort, die den Weg für uns ausgespäht haben. Ihr werdet nicht lange brauchen. Die Stadt mag schwer befestigt sein… doch wenn alles so verläuft, wie ich es vorhergesehen habe, wird sie fast schutzlos sein. Nehmt die Stadt ein… und wartet bis ich mit Galren zurückkehre…“
Mit diesen Worten, drehte er sich um… und verschwand, als ihn grüne und schwarze Flammen einhüllten. Träumer blieb alleine an Bord der Galeere zurück. Zum ersten Mal fragte er sich, was sie hier eigentlich taten. Doch am Ende… waren sie die einzige Hoffnung auf Rettung, die diese Welt hatte. Träumer schüttelte den Kopf. Er hatte ein Ziel. Erindal würde als erste Stadt des Kaiserreichs befreit werden…
Die Paladine , die entkommen waren, hatten ihnen erzählt, was geschehen war. Dennoch war es noch einmal etwas anderes, es mit eigenen Augen zu sehen. Morgennebel trieb zwischen den Ruinen umher, in denen vereinzelt immer noch Feuer glommen. Asche hatte das Gras und die Blätter der Bäume um die zerstörte Halle herum grau gefärbt. Es war ein trostloser Anblick, dachte Naria, während sie zwischen den Trümmern umher ging. Jeder ihrer Schritte wirbelte Asche und Staub auf, die sich in Schleiern über ihre Kleider legte. Von der Versammlungshalle selbst war fast nichts geblieben. Lediglich eine Wand stand noch halb, neigte sich jedoch bereits gefährlich zur Seite und die angrenzenden Räume und Bibliotheken waren vom Feuer fast vollkommen zerstört worden.
Sie bückte sich nach einer halb verkohlten Schriftrolle, die unter einem zerbrochenen Regal lag. Das Pergament zerbröselt ein ihrer Hand zu Glutfunken, sobald sie es berührte, hatte sich in Staub verwandelt, genau wie alles andere hier.
,, Wys !“ Relina und einige anderen hatten damit begonnen, die Trümmer abzusuchen. ,, Zyle !“ Ihre Rufe verhallten ungehört zwischen den Ruinen. Ein einzelnes Windspiel hing noch rußgeschwärzt von e9inem teil der Decke, der von zwei verkohlten Säulen gestützt wurde. Alles andere jedoch war zerstört. Verkohltes Holz und brennende Trümmer… das war alles was ihnen geblieben war
Der Hafen war ebenfalls vollkommen zerstört, die wenigen Schiffe, die dort noch vor Anker gelegen hatten bis auf vier niedergebrannt. Und entlang der gesamten Küste waren weitere Siedlungen geplündert worden… Und doch war das alles nichts, im Vergleich zu den hunderten von Toten, die immer noch in den Fluten trieben oder am Strand lagen. Es würde Tage dauern sie auch nur alle zu begraben, dachte Naria. Sie hatte so vieles verloren… Und doch hoffte sie noch, hofften gegen jedes bessere Wissen, ein Zeichen von ihrem Vater zu finden. Oder von Wys…
Naria zerrte etwas unter einem Stein hervor. Ein weißes Stück Stoff, das einmal ein Umhang gewesen sein mochte. Nun jedoch war er Blutbefleckt und verkohlt… Naria erkannte ihn trotzdem.
,, Der hat Wys gehört.“ , rief sie und war erstaunt, wie ruhig ihre Stimme dabei klang. Wys… Er hatte gewusst, das er in den Tod ging, oder? Gedankenverloren strichen ihre Hände über den seidigen Stoff, der einstmals das Rangzeichen eines Archonten gewesen war.
,, Irgendein Zeichen von ihm selbst ? Oder Zyle ?“ Relina kam sofort herbeigelaufen, als sie den Umhang erkannte. Sie suchten jetzt seit Stunden. Doch mehr und mehr mussten sie sich eingestehen, dass die Explosion vielleicht schlicht nicht übrig gelassen hatte, dass sie finden konnten.
Naria schüttelte lediglich den Kopf. Sie spürte wie ihre Augen feucht wurden und wischte die Tränen rasch weg. Es war lange her, dass sie das letzte Mal geweint hatte. Schon gar nicht vor ihrer Mutter. Und doch war es einfach zu viel, dachte sie. Erst Sine , dann Hedan und jetzt auch noch Wys und ihr Vater ? Ganz zu schweigen von den unzähligen Leben, die sonst noch verloren gegangen waren ? Jedes einzelne gehörte einem Freund oder einem Bekannten. Und viel zu viele ehemaligen Schülern und Lehrern… Bevor sie sich wegdrehen konnte, hatte ihre Mutter sie auch schon in die Arme genommen. Relinas Kopf sank gegen ihre Schulter und einen Moment lang, suchten sie schlicht Trost beieinander. Am Ende waren sie doch das einzige, was dem jeweils anderem noch geblieben war…
Und doch konnten sie sich nicht ausruhen, dachte Naria bitter. Ganz am Horizont konnte sie immer noch die Umrisse einiger Galeeren ausmachen, die sich langsam von der Insel entfernten. Ihr nächstes Ziel würde Canton sein… Sie mussten Kellvian warnen, dachte sie. Oder es zumindest versuchen. Die Flotte hatte einen Vorsprung und sie kaum noch Schiffe… sie würden also in jedem Fall zu spät kommen. Aber sie wären vielleicht immer noch schneller als ein Bote aus Kalenchor zu Fuß….
Galren musste die Augen zusammenkneifen um nicht geblendet zu werden, als man ihn wieder nach oben Zog. Nach der langen Zeit im Dunkeln schmerzte das Sonnenlicht in den Augen. Grell leuchteten die roten Felsen um ihn herum und nahmen dabei beinahe die Farbe von frischem Blut an. Das rote Tal trug seinen Namen letztlich nicht ohne Grund. Jetzt am Mittag war die Hitze fast unerträglich, vor allem nach der angenehmen Kühle in den Katakomben des alten Volkes und trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Doch die Sonne war noch das, was ihm im Augenblick am wenigsten zu schaffen mache. Eriks Enthüllungen, nachdem sie endlich gefunden hatten was sie suchten war… ernüchternd gewesen, dachte er. Noch immer dachte er über die Worte des Arztes nach, über die Inschriften auf der Tafel, tief in den Archiven, die das alte Volk einst hier vergraben hatte. Wenn der er die Wahrheit sprach, dann war Galren selbst indirekt für das Auftauchen dieses Kults verantwortlich. Er… und auch sein Vater, der das Schwert doch erst gefunden hatte. Am Ende, dachte Galren, war er wohl wirklich nicht mehr als eine Spielfigur gewesen. Mehr als er je gedacht hatte. Auch wenn er nicht wissen konnte, in wie weit all das geplant werden war, zumindest, dass das Schwert im Laufe der Geschehnisse zerbrechen sollte,
musste von Anfang an das Ziel gewesen sein. Ob sein Vater nun bewusst dazu beigetragen hatte oder ob er nur durch die schwarze Klinge manipuliert worden war, spielte kaum eine Rolle. Das Ergebnis blieb das gleiche. Er hatte unbeabsichtigt etwas befreit, das für alle Ewigkeit hätte weggeschlossen blieben sollen.
Und doch warum jagten die Anhänger des Herrn der Ordnung ihn dann? Er hatte genau das getan, was der alte Gott beabsichtigt hatte, war blind in eine Falle gelaufen, die er nicht sehen konnte, trotz seiner Gabe. Es ergab keinen Sinn. Irgendein Puzzleteil fehlte ihm noch und er wusste nicht, ob er es überhaupt noch finden wollte.
Galren löste das Seil, das ihn an der Winde sicherte, die Eriks Arbeiter errichtet hatten und schwang sich vom Brunnenrand zurück. Unter ihm konnte er die anderen erkennen, die ihm hinterher kletterten, jeder nur ein Lichtpunkt in der undurchdringlichen Finsternis. Die Gejarnarbeiter , welche die schwere Winde sicherten, schenkten ihm kaum Beachtung, doch sie waren auch nicht der Grund, aus de sie so überstürzt hatten aufbrechen müssen. Auf dem großen Felsen, den sie zuvor bei Seite gewuchtet hatten um den Eingang der Katakomben frei zu legen, hockte ein Mann in der Livree eines kaiserlichen Armee-Boten. Hinter ihm graste ein Pferd an den spärlichen, vertrockneten Grasbüscheln, die hier auf der Ebene wuchsen.
,,Galren Lahaye ?“ , fragte er, sobald er ihn erblickte und stand auf.
,, Der bin ich.“ Mittlerweile hatten auch die anderen den Rand des Brunnens erreicht und kletterten, einer nach dem anderen heraus. Erik klopfte sich demonstrativ den Staub aus den Kleidern während er sich über seine Schmerzenden Knochen beklagte.
,, Stellt euch nicht so an.“ , rief Cyrus ihm zu, der nach wie vor darum kämpfte, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Das Seil schwankte leicht hin und her und machte es dem Wolf schwer, sich irgendwo festzuhalten. ,, Ihr seid um einiges gelenkiger als die meisten Leute in eurem Alter.“
,, Was heißt hier mein Alter ?“ , brummte der Arzt, während er Cyrus das Seil festhielt. Hinter ihm folgte bereits Eden, die sich ihrerseits von dem Wolf herauf helfen ließ und schließlich auch Elin und Armell.
Der Bote besah sich das Schauspiel einen Moment ratlos. Vermutlich fragte er sich, was ein halbes Dutzend Leute so tief unter der Erde suchen mochten. Doch er fragte nicht, sondern wendete sich nur Galren zu. ,, Ich wurde von Hochgeneral Syle ausgeschickt, euch zu suchen.“ , erklärte er.
,, Nun ich würde sagen, ihr habt uns gefunden.“ Erik streckte sich und brachte die Knochen in seinem Rücken hörbar zum Knacken. ,, Was will der alte Bär von uns ?“
,, Das sagt er euch am besten selbst, Herr.“
,, Der Hochgeneral ist hier ?“ Galren runzelte die Stirn. Waren er und Janis nicht aufgebrochen um Nachforschungen über den Kult anzustellen, der ihn und Armell angegriffen hatte? Das hieß dann wohl, dass sie Erfolg gehabt hatten. Dass der Mann einen Boten zu ihnen schickte um ihnen etwas mitzuteilen, konnte er ja noch verstehen. Aber warum kam er dafür persönlich hierher, anstatt dem Kaiser Bericht zu erstatten? Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn.
,, Er, und der Sohn des Kaisers, ja. Beide haben verlangt euch zu sprechen. Ich muss euch daher bitten mich so schnell es geht zu begleiten.“ , erklärte er, während Armell als letztes aus dem Brunnen kletterte.
Die junge Adelige sah nicht besser aus, als er selbst, dachte er. Und sie hatte vielleicht noch mehr Grund niedergeschlagen zu sein, als sie alle. Statt wenigstens einer Antwort hatte es dort unten für sie nichts gegeben. Und auch keinen Weg um Merl zu helfen, wenn er sich das nächste Mal zeigte. Ohnehin war es jetzt Wochen her, dass sie das letzte Lebenszeichen von ihm gesehen hatten. Das letzte an dem Tag, an dem er Galrens Gabe wieder geweckt hatte… Eine Gabe von der er nach wie vor nicht wusste, ob sie nicht viel eher ein Fluch war. Selbst jetzt, wo er sie nicht bewusst nutzte konnte er den schwachen Sog an seinem Geist spüren, den Schimmer eines Pfads sehen, den er nicht gesucht hatte. Etwas wollte ihn nach Süden treiben, dachte er. Wie schon zuvor, als er seine Gabe genutzt hatte um die Katakomben zu finden. Und was immer dort war es schien jetzt näher zu sein als noch zuvor. Galren versuchte, den fremden Einfluss so gut es ging zu ignorieren und schüttelte den Kopf.
Elin schien zu spüren, was in ihm vorging. ,, Sag mir jetzt nicht ,das alles mit dir in Ordnung ist.“ Das Mädchen musterte ihn besorgt. Für jemanden, der so sprunghaft und manchmal auch schlicht und ergreifend ungehobelt sein konnte wie sie, konnte man ihr nur schwer etwas vormachen.
,, Nein… Aber ich komme damit klar.“ Noch, fügte er in Gedanken hinzu. Aber sie an seiner Seite zu wissen, hielt ihn umso mehr davon ab, wieder zu fallen. Diesmal wusste er, was auf dem Spiel stand. Hoffentlich. Aber er hatte diesem verrückten, wunderbaren Mädchen ein Versprechen gegeben und das würde er auch halten.
Während sie dem Boten durch das Tal zurück zum Lager folgten, wanderte ihre Hand wie von selbst in Seine. Den Weg brachten sie Größtenteils Still hinter sich. Der Bote schien nicht zu wissen, warum man ihn ausgesandt hatte, oder schwieg sich zumindest beharrlich darüber aus. Und was die anderen anging, so hatten sie alle mehr als genug, worüber sie nachdenken konnten. Nach wie vor war Galren davon überzeugt, dass sie etwas übersahen. Und er fürchtete, die Antwort jetzt früher zu bekommen, als gedacht. Wenn dieser Kult, den Syle und Janis verfolgt hatten, den Herrn der Ordnung anbetete, dann war es kein Zufall, dass sie hierhergekommen waren.
Vor ihnen tauchte ein großer eingefallener Steinbogen auf der Spitze einer Reihe von Hügeln auf.. Eine der lange zu einzelnen Pflastersteinen zerfallenen Prachtstraßen führte direkt dazwischen hindurch und in Richtung Fluss. Und damit auch in Richtung des Expeditionslagers. Galren und die anderen beschleunigten ihre Schritte, während sie unter dem rosa schimmernden Bogen hindurch liefen. Einst hatte der Marmor weiß gestrahlt und vielleicht ein Stadttor gebildet. Mit den Aonen jedoch hatte sich der rote Staub des Tals in die Oberfläche gebrannt und was einst eine der größten Städte des alten Volks gewesen war, war heute nicht mehr als eine Ansammlung von Ruinen. Zerstörte Bauwerke, Tempel , Häuser und Arenen zogen sich über die gesamte Länge des Tals. Einst mussten hier Hunderttausende gelebt haben… heute waren es nur noch die paar Ausgrabungstrupps, die Erik hierher geführt hatte. Das Tal selbst zog sonst außer einigen Schäfern nicht mehr viele Leute an. Die Ruinen waren längst alle geplündert und das Land selbst bis auf die Schatten unter den hohen Klippen unfruchtbar und verdorrt.
Das Lager war in Aufruhr. Als die ersten Zelte schließlich vor ihnen sichtbar wurden, wusste Galren sofort, dass etwas nicht stimmte. Zwischen den gespannten Leinen und den wenigen noch bewohnbaren Ruinen waren hunderte von Menschen unterwegs… und die wenigsten davon wirkten wie Eriks Arbeiter. Stattdessen konnte er überall die blauen Uniformen der kaiserlichen Garde erkennen. Auch wenn diese bereits begannen, sich durch den roten Lehm und Stab Violett einzufärben. Die meisten standen im Schatten der Zelte, säuberten ihre Waffen oder Fütterten die Pferde. Es war eine kleine Armee, dachte Galren, als sie die ersten Ausläufer des Lagers erreichten. Die meisten der Männer schenkten ihnen nicht viel Beachtung, doch Eriks Vorarbeiter kamen bereits panisch auf ihn zu. Der Mann beschwichtigte sie rasch mit einigen Worten in der Clansprache und schickte sie, aus, die anderen zusammen zu rufen, ihren Lohn zu nehmen … und so schnell wie möglich aus dem Tal zu verschwinden. Ahnte der Alte etwas, das ihnen entging? , fragte Galren sich heimlich. Vielleicht war er auch nur vorsichtig. Immerhin, um zu sehen, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging, musste man kein Seher sein.
Sie fanden Janis und den Hochgeneral schließlich vor einem großen Rundzelt, das Eriks Männer über dem eingefallenen Dach einer Ruine gespannt hatten. Das Leinentuch war etwas größer als die noch stehenden Grundmauern des Gebäudes und so gab es auch davor etwas Schatten. Die beiden Männer wirkten sichtlich erschöpft,. Das war das erste was Galren auffiel. Janis hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt, sein Gesicht war verhärmt und angespannt, als wolle die Haut über seinen Knochen reißen. Erst, als er sie bemerkte, schien er sich etwas zu entspannen und kam mit Syle im Schlepptau auf sie zugeeilt. Das Fell des Bären war sichtlich länger geworden und verfilzt, als hätte er sich Tagelang nicht mehr darum gekümmert… oder auch nur geschlafen. Trotzdem sah er ihnen mit klarem Blick entgegen. Janis Haare hingegen waren kurz geschoren worden… und das offenbar ziemlich stümperhaft. Stellenweise waren nur noch einige Stoppeln übrig und im Gegensatz zu dem Bären war es nicht nur Erschöpfung, die ihm zu schaffen machte. Er schien niedergeschlagen und hatte den Blick gesenkt, als sie ihn erreichten.
,, Eure Majestät, Hochgeneral…“ Erik begrüße die beiden mit einer angedeuteten Verbergung. ,, Ich hatte keinen königlichen Besuch erwartet, sonst hätte ich das Lager ein wenig in Ordnung gebracht.“
,, So königlich sieht er gar nicht mehr aus.“ , platzte Elin heraus. Und es stimmte wohl, musste Galren zugeben. Er hatte Janis auf den ersten Blick kaum erkannt. Früher hätte dieser so eine Bemerkung wohl kaum auf sich sitzen lassen. Galren hatte ihn als einen Arroganten jungen Mann kennengelernt, doch nun ließ er den Spott der Gejarn mit einem müden Lächeln über sich ergehen. Es schein beinahe, sie hätten einen anderen Menschen vor sich…
,, Ich fürchte, der Anlass für unseren Besuch hier ist kein fröhlicher.“ , erklärte Syle. Langsam begann er zu erzählen, was sich zugetragen hatte, von dem Moment, an dem sie sich getrennt hatten. Doch als er davon sprach, wie sie sich in das Lager des Kults geschlichen hatten, wie Lucien abgestürzt war, schien Eden sichtlich in sich zusammenzusinken.
,, Lucien ist tot ?“ Sie musste ihn wohl gekannt haben, dachte Galren. Er hatte den Namen grade zum ersten mal gehört. Und doch wirkte die Gejarn wirklich getroffen…
,, Er starb mit einem Lächeln, Herrin.“ , erklärte Syle. Auch ihn schien es sichtlich mitzunehmen, über den Verlust des kaiserlichen Agenten zu sprechen.
,, Natürlich tat er das.“ Eden schüttelte den Kopf und blinzelte eine Träne weg. Statt zu weinen, begann sie zu lachen. ,, Dieser verrückte Mensch hätte gar nicht anders antreten können. Selbst im Tod treibt er noch seine Spielchen. Aber wie führt euch das hierher?“
,, Jeder einzelne Kultist im südlichen und östlichen Kaiserreich ist im Augenblick auf dem Weg hierher. Wir mussten die letzten drei Tage durchreiten um sie noch zu überholen und vor ihnen hier zu sein… und trotzdem können sie nicht mehr weit hinter uns sein. Wir müssen hier weg, bevor sie eintreffen.“
,, Moment… wir können nicht einfach so gehen.“ , protestierte Erik. ,, Wir können ihnen das hier nicht überlassen..:“
,, Was alter Mann, den Staub und die Felsen ?“ Janis schüttelte den Kopf. ,, Die Ruinen werden in einem Jahrhundert auch noch hier sein. Aber wenn wir hoffen wollen auch nur halb so alt zu werden, müssen wir jetzt los.“ Er hatte den Satz kaum beendet, als die Welt plötzlich erzitterte. Schreie wurden vom östlichen Ende des Lagers laut… und dann brachen plötzlich ein dutzend kreischender Schatten durch die Reihen der Gardisten. Männer wurden hoch in die Luft gewirbelt und Zelte innerhalb weniger Herzschläge niedergerissen. Galren musste sich zur Seite werfen um einer messerscharfen Kralle zu entkommen, sah wie eine mit schwarzen Schuppen bedeckte Hand an ihm vorbeifuhr. Galren schlug schwer auf dem staubigen Boden auf. Hinter den dunklen Gestalten, die in unförmige Roben gekleidet waren, stürmten bereits tausende weitere in das Lager. Vereinzelt hallten Schüsse, versuchte sich die überraschte Garde neu zu formieren. Galren stemmte sich wieder hoch und zog das Schwert. Rasch drehte er den Kopf um die andere zu rufen.
,, Wir müssen hier…“ Weg hatte er sagen wollen. Doch es gab niemanden, der ihn hätte hören können. Um ihn herum tobte das Lager. Kugeln sirrten durch die Luft, Zauber verpufften knisternd. und doch konnte er weder Elin noch sonst jemanden in all dem Chaos auswendig machen. Er war alleine…
Elin stolperte fast, als ein Gardist direkt vor ihr fiel. Er rannte einfach zwischen einer Reihe Zelten hindurch, während ihm irgendetwas brüllend nachsetzte. Der Mann kam nicht einmal mehr dazu zu schreien, als sich etwas mit Knochenbrechender Gewalt in seinen Brustkorb bohrte und am Rücken wieder austrat. Keine Klingen, sondern Krallen, jede einzelne so lang wie ihr Unterarm und scharf wie ein Schwert. Die Hände zu dem diese todbringenden Dornen gehörten, waren bereits mit Blut überströmt, das auf den schwarzen Schuppen glänzte, die fast den kompletten Körper der Kreatur bedeckten. Fast beiläufig wischte das Monster den toten Gardisten weg und richtete sich auf. Ihre Gestalt war kaum noch als menschlich zu bezeichnen. Ledrige Schwingen entfalteten sich hinter ihr und fächerten faulige Luft über die Ebene. Das Sonnenlicht, das durch die feinen Membranen fiel, ließ diese rot erstrahlen, als trüge das Wesen einen Umhang aus Blut. Statt Zähnen starrten die verzerrten Kiefer mit Reißzähnen über denen sie zwei rot glühende Augen anfunkelten. Elin wich zurück, sah sich nach dem anderen um… doch da war niemand mehr. Alles war so schnell gegangen, das sie nicht einmal mitbekommen hatte, wann sie alle getrennt worden waren. Doch überall sah sie nur Fremde, manche in den Roben der Garde, andere in Umhängen und Mänteln, auf denen ein selbst gesticktes Wappen prangte. Eine rote Hand… Und immer wieder waren da auch Kreaturen wie jene, der sie sich gegenübersah. Alleine…
Ihre Hand wanderte zum Griff des Messers an ihrem Gürtel. Ihr war klar, dass die Klinge vermutlich nicht mal durch die Schuppen des Monsters kommen würde. Und trotzdem fühlte sie sich mit dem Gewicht in der Hand etwas ruhiger. Wenn sie diesem Ding den Rücken zudrehte, würde es ihr nicht besser gehen, als dem Gardisten. Es war zu schnell, das hatte sie gesehen… Ihre Finger zitterten. Wo waren nur die anderen ? Sie wollte hier nicht sterben… ganz sicher nicht. Und sie konnte auch nicht weglaufen, während das Ding mit betont langsamen Schritten auf sie zukam. Die Füße waren ebenso verzerrt wie der Rest des Körpers, mit Krallen, die in den unmöglichsten Winkeln aus der schwarzen Haut wucherten. Es war mindestens viermal so groß wie sie und reichte mit dem Kopf bis an den oberen Rand der umstehenden Zelte heran. Seine Schwingen fanden zwischen den gespannten Leinen kaum Platz, so dass es sie an den Körper gefaltete trug wie eine Robe…
Elin wich rückwärtsgehend zurück, bis sie schließlich gespanntes Leinen in ihrem Rücken spürte. Und noch immer kam das Ding aus sie zu, der Dämon… Hinter diesen schrecklich roten Augen schimmerte eine Intelligenz, die genau zu wissen schien, wie sehr sich die Gejarn vor ihm fürchtete… und es noch dazu genoss. Elin zwang sich ruhiger zu atmen, stocherte mit der Messer in ihrem Rücken am Leinen herum. Wenn sie sich umdrehte war sie tot, das wusste sie. Aber wenn es ihr gelang eine Lücke in den Stoff zu schneiden, könnte sie zumindest noch etwas Zeit gewinnen.
Doch mittlerweile schien der Dämon genug davon zu haben, sich an ihrer Furcht zu weiden. Mit drei großen Schritten war er bei ihr und hob die Klauenbewehrten Hände…
Bevor sich die spitzen Dornen jedoch wieder herabsenkten, sprang irgendetwas das Monster von der Seite an. Elin hätte es nicht geglaubt, doch der Dämon schwankte tatsächlich unter dem Gewicht, das ihn traf… und stürzte in einer Masse aus Flügeln und Klauen zu Boden.
Der Mann der plötzlich auf seiner Brust saß und mit dem Schwert auf die Kreatur einstach trug den Mantel eines kaiserlichen Offiziers, doch seine Haare waren unordentlich kurz geschoren worden… Janis !
,, Verschwindet hier !“, schrie er. Das Schwert des jungen Mannes prallte funkenschlagend von den Schuppen seines Gegners ab und auch wenn er einmal eine Lücke fand, drang die Klinge nur Oberflächlich ein. Das Monster unter ihm brüllte, während schwarzes, zähflüssiges Blut aus den Wunden quoll, die Janis ihm geschlagen hatte. Mit einem Prankenhieb wischte es den um einen guten Kopf kleineren Menschen weg. Janis landete sich überschlagend im Staub, während die Kreatur ihm sofort mit nun ausgebreiteten Schwingen nachsetzte. Doch Janis hatte das Schwert geistesgegenwärtig sofort wieder gehoben, noch bevor er wieder auf die Füße kam. In seiner Rage bemerkte sein Gegner den glänzenden Stahl erst, als er schon direkt über seinem vermeintlich hilflosem Opfer war. Das Gewicht des Dämons und alle Kraft die Janis aufbringen konnte, trieben die Klinge schließlich tief in dessen Brust, bevor er sich auf Jais stürzen konnte. Der junge Mensch riss die Klinge zurück und rollte sich zur Seite, während das Ungeheuer taumelte. Die gesamte, schuppenbesetzte Brust war mit dunklem Blut verklebt… trotzdem es noch einmal auf Janis zukam und wild mit den Krallen nach ihm schlug.
Janis parierte einen der Hiebe und die Klauen kratzten mit einem widerlichen Geräusch über den Stahl und hinterließen tiefe Scharten darin. Janis jedoch nutzte den Moment und hackte auf die gespannten Schwingen seines Gegners. Anders als zuvor durchschnitt die Klinge die Ansätze der Flügel fast ohne Wiederstand. Brüllend warf sich die Kreatur herum, während ihre Flügel hinter ihr im Staub landeten, krallte mit den Händen nach den gewaltigen Wunden, die das Schwert in ihrem Rücken gerissen hatte. Janis sah seine Chance sofort und sein nächster Stich traf genau die ungeschützte Kehle seines Gegners. Endlich sank das Wese in sich zusammen und blieb, nach wie vor zuckend, liegen. Die dunklen Schuppen lösten sich zu nichts als Rauch auf, der sich bald auflöste und nichts als den nackten Körper eines toten Menschen zurück ließ. Kein Todesengel mehr… nur ein alter Mann.
Schwer atmend beugte Janis sich über das gefallene Monstrum. ,, Ich sagte ihr sollt zusehen, das ihr hier wegkommt. Sucht die anderen und bringt sie an einen sicheren Ort. Wir halten sie hier auf.“, rief er Elin zu, bevor er das Schwert bereits wieder aufhob und im Getümmel zwischen den Zelten verschwand. Sie wollte ihm noch zurufen, dass sie keine Ahnung hätte, wo der Rest überhaupt steckte, doch da war er bereits außer Hörweite. Also gut, sagte sie sich. Sie hatte ohnehin vorgehabt nach den anderen zu suchen.
So schnell wie möglich suchte sie sich einen Weg fort von den schlimmsten Kämpfen. Auch wenn das leichter gesagt als getan war. Es gab keine klaren Fronten mehr. Sie konnte zwar hören, wie Syle immer wieder versuchte, Ordnung zu schaffen und Befehle rief, doch gingen die meisten im Chaos unter.
,, Zurück. Lasst euch zum Zentrum des Lager zurückfallen. Ich will das alle Zivilisten dorthin gebracht werden, bildet einen Verteidigungsring um sie, los!“ Vereinzelt galoppierten berittene und reiterlose Pferde durch das Lager und einmal glaubte Elin wieder Janis zu sehen, der mit zerfetztem Mantel und mittlerweile mit einem Gewehr bewaffnet eine Gruppe Dragoner anführte. Dann waren sie auch bereits wieder im Pulverdampf verschwunden und sie hätte nicht zu sagen gemocht, welche Seite die Oberhand haben mochte. Immer wenn sich ein paar Gardisten zusammen gefunden hatten sprengte auch schon ein Zauberer oder eine der Kreaturen die sie bei sich hatten unter sie und trieb sie wieder auseinander. Sie hatte sich grade umgedreht um zu sehen, wie eines der Zelte in Flammen aufging, als sie jemand am Arm packte.
Sofort wirbelte sie herum und erhaschte grade noch einen Blick auf braune Roben, auf denen eine rote Hand prangte. Dann schlug sie den fremden Mann auch schon auf die Nase… und rannte wieder los. Nach wie vor waren um sie herum nur Fremde… und dann war sie plötzlich aus den gröbsten heraus. Von einen Moment auf den anderen gab es keine Schreie mehr, keine Männer, die um sie herum starben. Sie hatte einen vollkommen leeren Teil des Lagers vor sich. Hinter ihr gellten nach wie vor Rufe, donnerten Gewehre und Geschütze und das Brüllen der Dämonen. Doch vor ihr konnte sie nur eine einzige Gestalt entdecken, die scheinbar ziellos zwischen den Zelten umher ging. Die Haare des Fremden hatten die Farbe von altem Blut. Ein schwarzer Pelzmantel fiel ihm über die Schultern, in den man unzählige, goldene Anhänger gesteckt hatte. In jedem davon schimmerte irgendwo ein Rubin, wie ein offenes, brennendes Auge und über seiner Schulter lag eine schwere Sense, die er wie beiläufig in den Körper eines vor ihm gestürzten Soldaten rammte. Auch ohne das, war das Gefühl der Bedrohung, das von ihm ausging erstickend. Elin hatte das Gefühl nicht atmen, sich nicht einmal bewegen zu können. Und sie waren keine dreißig Schritte voneinander entfernt. Schließlich schaffte sie es endlich, ihre Füße zu bewegen und duckte sich rasch hinter eine Zeltwand. Hoffentlich hatte er sie nicht gesehen…
Ihre Hände umklammerten das Messer, während sie versuchte, möglichst flach zu atmen. Sie verfluchte sich leise und wünschte, sie hätte noch die Pistole, die Hedan ihr einst geschenkt hatte. So hätte sie vielleicht eher eine Chance. Aber nur mit einen Finger breitem Stück Stahl fühlte sie sich… schutzlos. Und diesmal würde ihr kaum noch einmal jemand zur Hilfe kommen. Mittlerweile warne auch die ersten flüchtigen Gardisten und Kultisten hierher gelangt. Die meisten beachteten sie gar nicht, wie sie da an der Zeltwand lehnte. Doch der Mann mit der Sense tötete die Deserteure ohne unterschied, ob sie nun das Doppelwappen des Kaiserreichs oder die Hand trugen. Doch nutzt eer dazu nicht die metallene Sichel. Die meisten Menschen starben, wenn sie sich ihm auch nur nährten. Andere nach einem Fingerzeig und einem kurzen Aufflackern von Licht. Elin versuchte den Blick abzuwenden. Eine Gruppe Gardisten die versuchte sich zu formieren und eine Schützenlinie zu bilden, ging mit einer Drehung der Sense in Flammen auf. Und dann war es plötzlich wieder still…
Elin wendete den Blick von dem Schlachtfeld ab… und starrte plötzlich direkt in die glühenden Augen des roten Heiligen.
Cyrus wirbelte herum und wehrte einen Degenhieb mit der Axt ab. In der anderen Hand hatte er bereits das Schwert und trieb seinem überraschten Gegner die Klinge in die Brust. Überall um sie herum starben Leute, gingen Zelte in Flammen auf… Er hatte einmal geglaubt, alle Schrecken des Kriegs an der Grenze gesehen zu haben. Wenn man vor den Barrikaden und Befestigungen stand, wurde jeder Kampf zu einem um das bloße Überleben. Doch das hier… das war keine Schlacht mehr, dachte er. Aufgedunsene Monstrositäten und Zauber pflügten durch ihre Reihen und vernichteten Männer. Manche flohen, andere selten sich dem überraschenden Angriff…
Und alles was sie tun konnten war, sich irgendwie zu halten. Er und Eden standen Rücken an Rücken, während sie das Schlachtfeld nach einem Zeichen von Elin oder dem Rest ihrer Leute absuchten. Erik hatte es immerhin irgendwie geschafft in ihrer Nähe zu bleiben und duckte sich neben ihnen. Fast wie beiläufig lud und feuerte er mit einer Pistole auf die verstreuten Männer mit dem Wappen der roten Hand. Trotzdem fand jede einzelne Kugel ihr Ziel. Was er von sich nicht behaupten konnte, dachte der Wolf. Sie konnten nicht ewig hierbleiben und mit jeder Sekunde mussten auch sie weiter zurück weichen.
,, Ich will wirklich nicht pessimistisch klingen, aber das sind eindeutig zu viele.“, schien Erik seine Gedanken auszusprechen.
,, Wir waren bestimmt schon in schlimmeren Situationen.“ , erwiderte Cyrus trotzdem. Am Ende konnte es immer schlimmer kommen. Nun… so gesehen, war es das bereits. Sie waren mit einer schlechten Nachricht aus den Katakomben zurückgekehrt… und standen plötzlich inmitten einer ausgewachsenen Schlacht. Die sie verloren. Die Garde war völlig überrascht worden und Magie waren sie ohne die Zauberer des Ordens nicht gewachsen.
,, Nenn mir eine.“ , rief Eden über den Lärm einer Gewehrsalve hinweg. Neben ihnen hatten es endlich ein paar Gardisten geschafft, eine saubere Feuerlinie zu bilden und brachten den Ansturm aus Kultisten kurz zum Erliegen.
,, Der Hafen von Helike ?“ , fragte Cyrus grinsend.
,, Geister, erinnre mich bloß nicht daran. Ich dachte damals wirklich unser letztes Stündchen hätte geschlagen.“
,, Und jetzt ?“
Eden wirbelte herum und brachte einen weiteren Kultisten mit einem Schnitt zu Fall. ,, Jetzt will ich vor allem Elin finden.“ , erwiderte sie grimmig. Cyrus nickte. Sie musste hier noch irgendwo sein… nur war es unmöglich gewesen, sie während dem ganzen Chaos noch im Auge zu behalten. Zu viel geschah überall gleichzeitig. Doch das Mädchen konnte auf sich aufpassen, dachte er. Zumindest hoffte er das… bis sie sie finden konnten.
Galren schob sich durch die Reihen der Gardisten, die an ihm vorbei drängten. Mittlerweile wusste er nicht einmal mehr genau wo er war. Um ihn herum sah alles gleich aus, ein Gewirr aus Zelten, Feuer und Blut. Er musste die anderen irgendwie wiederfinden, dachte er, während er weiter hastete. Das eben noch friedliche Lager hatte sich in ein Schlachtfeld verwandelt. Er kam grade noch dazu, sich auf den Boden zu werfen, als er vor sich Feuer aufblitzen sah. Wie Peitschen züngelten die Flammen aus den Händen vierer gestalten hervor und hüllten die Gardisten ein, die das Pech hatten, hinein zu geraten. Ein Mann, der es Galren gleich zu tun versuchte, wurde am Kopf erwischt und wälzte sich schreiend im Staub um die Flammen zu ersticken. Doch das hier war kein gewöhnliches Feuer, sondern Magie. Es lebte nicht von Luft sondern von der Magie, die sie hervor gebracht hatte. Galren versuchte, irgendwie näher an die vier Gestalten heran zu kommen. Mit Atrun hatte er eine Chance auch gegen Magie zu bestehen, das wusste er… aber dazu musste er nahe genug heran um mit der Klinge auch etwas ausrichten zu können.
Zwei der Gestalten trugen weite, braune Roben, die ihre Gestalt fast vollständig bedeckte. Trotzdem war es offensichtlich, dass irgendetwas mit ihnen nicht stimmte, dachte Galren. Ihre Körper, die sich unter den wallenden Gewändern abzeichneten wirkten verzerrt, als wären manche Knochen verbogen worden und in den Schatten unter ihren Kapuzen schimmerten die Augen rötlich wie Feuer. Die anderen beiden Zauberer Schiene hingegen weniger angeschlagen. Zwar hatte der eine ein großes, dunkles Mal im Gesicht und der andere auf dem Handrücken, doch waren sie zumindest noch menschlich. Wenn man davon absah, das auch ihren Augen ein beunruhigendes Feuer innewohnte… Und dann ebbte der Strom aus Feuer über Galrens Kopf plötzlich ab. Asche rieselte zu Boden, wo eben noch Männer gestanden hatten und mehrere Zelte hatten Feuer gefangen und brannten mit leisem knistern.
,, Denkt daran, der Meister will Lahaye Lebend haben.“ , ermahnte der Mann mit dem Mal an der Hand seine drei Begleiter. ,, Wenn ihn einer von euch verletzt, will der Heilige euren Kopf.“
Schwerfällig richtete Galren sich auf. Das kristallklare Singen des Stahls füllte die Luft, als er Atrun zog und den vier entgegentrat. Wenn sie ihn, warum auch immer, lebend haben wollten, machten sie sich nicht besonders gut dabei, dachte er. Wenn er eben nicht rechtzeitig runter gekommen wäre, wäre er jetzt genau so Asche wie die restlichen Gardisten.
,, Warum will mich euer Herr ?“ , rief er zu ihnen. Die vier fächerten wie auf ein geheimes Zeichen hin aus und verteilten sich um ihn. Galren versuchte krampfhaft, sie alle im Auge zu behalten, drehte sich mit ihnen im Kreis. Er konnte nicht hoffen mehrere Angriffe aus verschiedenen Richtungen abwehren. Offenbar war ihnen das auch bewusst. Dann jedoch streckten sie alle gleichzeitig die Hände aus und grünes Licht flutete daraus hervor. In einer Welle raste der Zauber auf Galren zu. Ohne zu wissen, ob es noch etwas bringen würde, rammte er das Schwert vor sich in die Erde. Als der Strom aus Magie auf die Kline traf, flogen Funken auf und Galren konnte riechen, wie die Luft um ihn verschmorte. Doch der Zauber hielt an. Eine gefühlte Ewigkeit lang zuckten Lichtblitze zwischen dem Ring aus Magie und der Klinge hin und her. Langsam aber beständig färbte sich das Schwert von der Farbe gebleichter Knochen zu einem leichten grün. Und noch immer führten seine vier Gegner dem Zauber mehr Macht zu, verstanden offenbar nicht, wie es möglich war, das Galren ihn abhielt. Als das Schwert schließlich überlud, warf die entstehende Schockwelle Galren fast von den Beinen. Der Zauber um ihn jedoch wurde mit einem dröhnenden Geräusch hinweggefegt. Staub und kleine Steine flogen auf und verteilten sich und folgten der reflektierten Magie, als sie über ihre Erschaffer herfiel. Drei der Magier versuchten noch, sich herumzuwerfen, der vierte rief eilig einen Schild herbei… doch hier richtete sich ihre gesammelte eigene Macht gegen jeden einzelnen. Der Magische Schild zerbrach bei der ersten Berührung mit dem Ring aus grünem Licht und alle vier Männer standen plötzlich still. Ein Lähmzauber, dachte Galren irritiert. Sie hatten es wohl wirklich darauf abgesehen, ihn bloß gefangen zu nehmen. Einen Moment überlegte er sie zu töten… doch versteinert wie sie waren, wären sie wohl so schnell keine Gefahr mehr. Und der Gedanke jemanden zu töten, der sich nicht einmal mehr wehren konnte… Es gefiel ihm nicht. Und gleichzeitig schien ein Teil von ihm nach der Waffe greifen zu wollen, ließ seine Hand das Schwert heben. Nein… nicht von ihm. Galren schüttelte den Kopf, versuchte, das flüsternde Ding los zu werden, das sich erneut an seinen Geist heften wollte. Es gelang ihm grade so. Mit einem Ruck schob er das Schwert zurück in die Scheide und drehte sich um. Er hatte keine Zeit sie zu töten, selbst wenn er wollte. Er musste die anderen finden und dann hier verschwinden. Und zwar jetzt. Und es gab nur eine Möglichkeit, wie er auch nur hoffen konnte, schnell genug zu sein. Dennoch zögerte er, erneut seine Gabe zu nutzen. Ihm war klar, was passieren mochte, der schleichende, zermürbende Prozess der ihm beim letzten Mal fast in den Wahnsinn getrieben hatte, hatte längst begonnen. Aber ihm blieb auch keine Wahl oder?
Elin, dachte er, während er die Augen schloss und sich konzentrierte. Es würde nicht viel brauchen um nach ihr zu suchen, dachte er. Dafür kannte er sie zu gut. Und er musste einfach wissen, ob sie in Sicherheit war. Danach konnte er versuchen, die anderen zu finden. Der Weg war fast sofort da, eine schimmernde Linie, die sich vor seinen Füßen ausbreitete. Diesmal gab es keinen zweiten Pfad der sich auftat, doch seine Beine schienen sich trotzdem wie von selbst zu bewegen, wollten dem Weg folgen, bevor er sich bewusst dazu entschlossen hatte. Galren achtete nicht darauf, sondern rannte einfach los, sobald er etwas die Kontrolle über sich zurück gewann. Der Lärm der Schlacht trat in den Hintergrund, während der Weg vor ihm sich ständig anzupassen schien. Er hatte nicht einmal darüber nachgedacht, aber seine Gabe musste ihn wohl um die schlimmsten Kämpfe herum führen.
Und dann sah er sie. Und sah ihn. Einen Moment flackerte das goldene Licht, das sich wie ein Pfad von seinen Füßen zu ihnen spannte, überschnitt sich und wurde erneut zu zwei Linien. Eine die zu Elin führte, die andere, die direkt vor dem fremden Mann endete, der vor ihr stand. Und dann brach die Realität mit Wucht wieder über Galren herein, als beide Pfade erloschen. Ihm blieb jedoch keine Zeit, darüber nachzudenken.
Der Fremde hatte sich vor Elin aufgebaut und eine Hand nach ihr ausgestreckt. Goldene Anhänger schimmerten im Sonnenlicht, während sich Feuer vor seinen Fingern sammelte.
Galren schloss die Augen. Er hatte keine Zeit das Schwert zu ziehen. Das würde wehtun. Mit einem Satz war er zwischen Elin und dem Fremden und hatte die Gejarn gepackt. Einen Moment flackerte ein überraschter Ausdruck über das Gesicht des Mannes. Erkennen, dachte Galren. Aber woher wusste dieser Mann wer er war? Dann musste er den Kopf abwenden, als ihn eine Feuerlanze am Rücken traf. Trotz des momentanen Schreckens hatte der Mann nicht gezögert, den Zauber auch zu entfesseln und Galren hatte dieses Mal nichts, um sich davor zu schützen. Er schrie auf, als die Hitze sein Kleider versengte und sich innerhalb weniger Herzschläge bis auf seine Haut durchbrannte. Sein Rücken stand in Flammen, alles in ihm wollte sich herumwerfe, irgendwie dem Inferno entkommen. Trotzdem hielt er Elin weiter fest, schirmte sie vor dem Feuer ab, als die Schmerzen ihn schon halb in den Wahnsinn trieben. Er kämpfte mit der Ohnmacht und mehrmals wurde ihm kurz schwarz vor Augen. Aber er blieb auf den Beinen…
,,Galren ?“ Überraschung und Angst sprachen gleichermaßen aus ihrer Stimme. Er konnte nicht antworten, hatte Mühe auch nur zu atmen… Irgendwie jedoch schaffte er es, einen Arm von ihr zu lösen. Der kurze Moment, den er brauchte um das Heft zu fassen und das Schwert zu ziehen, kam ihm wie eine Ewigkeit vor. In Wahrheit waren wohl grade einmal ein paar Sekunden vergangen, aber die Schmerzen, die von seinem verbrannten Rücken aus ausstrahlten schienen die Zeit lang werden zu lassen. Jede Bewegung war eine Qual, denken war unmöglich. Galren warf sich mit einem Aufschrei herum, spürte, wie ihm die Flammen einen Moment den Arm versengten und ins Gesicht schlugen. Seine Augen begannen zu Tränen und durch den Schleier hindurch konnte er kaum noch die Gestalt seines Gegners ausmachen. Dieser lachte hörbar,, als er sah, wie Galren sich ihm entgegenstellte. Dann war die Klinge endlich zwischen ihm und seinem Gegner. Die Flammen, die ihn eben noch gepeinigt hatten, trafen auf das Sterneneisen, wurden von der Magie der Waffe absorbiert, die daraufhin begann rötlich zu schimmern. Das Lachen des Fremden erlosch schlagartig.
Galrens verbranntes Fleisch schickte Schmerzenswellen durch seinen Körper, als er die versengten Muskeln anspannte. Erneut kämpfte er darum, nicht das Bewusstsein zu verlieren. Er erinnerte sich später nicht, wie er auf die Knie gegangen war, doch als er das nächste Mal aufsah, ragte sein Gegner nach wie vor über ihm auf und ließ Flammen regnen. Schwankend stemmte er sich wieder hoch, bevor die Wucht des Angriffs ihn erneut zu Boden zwang. Das Schwert in seinen Händen war schwer, das Feuer ließ einen Rußschleier auf seinem Gesicht und seinen Fingern entstehen. Und trotzdem schaffte er es irgendwie. Erst fand das eine Bein wieder halt. Dann das andere.
Die Mine seines Gegners wandelte sich von Siegesgewiss in Besorgt… und schließlich in entsetzt, als Galren sich erhob. Um das Schwert in seinen Händen tobte ein Feuersturm. Blitze zuckten um die feinen Adern im Kristall, als er die Waffe schwerfällig auf seinen Angreifer richtete. Die Schockwelle des entfesselten Zaubers warf ihn erneut auf die Knie. Blaugrüne Flammen loderten auf, so heiß, das Galren spürte, wie seine Wunden erneut entflammten. Sein Gegner schrie auf, als die Flammen ihn einhüllten… und blieb doch stehen. Es dauerte nicht lange, bis der Schrei einem Lachen wich, das aus dem Feuer drang. Als hätten sie einen eigenen Willen tanzten die Flammen um die Gestalt des fremden, schlugen Funken, wenn sie auf das Schild prallten, das er um sich erreichtet hatte. Das Gras um die beiden Kämpfer war mittlerweile vollkommen zu Asche verbrannt. Galren fiel es schwer, sich auch nur auf den Beinen zu halten. Sein Rücken fühlte sich an, als steckten Splitter aus glühendem Eisen darin und sein versengter linker Arm zitterte. Sein Gegner hingegen schien nach wie vor so gut wie unverletzt… sah man davon ab, dass das selbstgefällige Lächeln endgültig aus seinen Zügen gewichen war.
,, Alles in Ordnung ?“ Elin ließ sich rasch neben ihm auf ein Knie fallen. ,, Dumme frage natürlich nicht aber…“
,, Ich komme durch.“ Er brachte tatsächlich irgendwie ein dünnes Lächeln zustande. Ihr war nichts passiert, den Göttern sei Dank. Und irgendwie fand er die Kraft noch einmal auf die Füße zu kommen.
,, Beeindruckend.“ Das Galren seinen Angriff zurückgeworfen hatte, schien ihn tatsächlich überrascht zu haben. ,, Aber gegen etwas wie mich nützen euch diese Tricks nichts, Junge. Und ich werde viel Zeit haben, herauszufinden, wie ihr das gemacht habt. Ihr habt schon verloren… Galren Lahaye…“
,, Ihr wisst wer ich bin. Ihr seid mir gegenüber im Vorteil…“ Galren wusste noch einmal würde es ihm nicht gelingen, stand zu halten. Mal davon abgesehen, dass er kaum die Arme heben konnte. Im Augenblick war seine einzige Hoffnung, Zeit zu gewinnen. Und den Mann weiter reden zu lassen.
,, Ich habe meinen Namen abgelegt, als ich mich meinem Gott verpflichtet habe. Doch meine Anhänger kennen mich als den roten Heiligen. Ich bin der erste Diener des Herrn der Ordnung. Der lebende Zorn einer Gottheit… Und wer seid ihr euch mir in den Weg zu stellen?“
Galren sah eine Bewegung im Rücken des Mannes. Sobald er die Gestalt jedoch erkannte, sah er sofort wieder weg um diesen roten Heiligen nicht darauf aufmerksam zu machen. Armell… Die Junge Adelige wirkte noch abgekämpfter als er, aber sie hatte sie gesehen. Und Sentine war bei ihr, ein weißer Schatten auf ihrer Schulter. Zusammen mit einer scharfen Klinge. Lass ihn weiterreden, sagte er sich erneut. Wenn der rote Heilige abgelenkt wäre, hatte Armell eine Chance…
,, Ich bin es, der euren Herrn befreite.“ , erklärt er ruhig. Es war nicht zu leugnen, ob beabsichtigt oder nicht. Am Ende… war es seine Hand gewesen, die das Schwert führte, er der alle Warnungen und Hinweise in den Wind geschlagen hatte…
,,Oh wie unwissend ihr seid. Wie blind. Ihr erkennt die Wahrheit nicht einmal dann, wenn sie euch ins Gesicht lacht.“ Doch statt ihn erneut zu verspotten, streckte der rote Heilige ihm die Hand entgegen. ,, Aber keine Sorge mit etwas Zeit, wird sich alles aufklären. Wenn ihr mit mir kommt.“ Er sah zu Elin, die den brennenden Blick trotzig erwiderte. ,, Von mir aus könnt ihr das da… auch mitnehmen.“
Warum ? Wozu ? Was bot ihm dieser Mann da eigentlich an? Er wusste es nicht. Und doch drängte ihn beinahe etwas, die Angebotene Hand zu nehmen, diesen roten Heiligen wohin auch immer zu begleiten. Er brauchte seine Gabe nicht zu rufen, er konnte das doppelte goldene Band sehen, das sich vor ihnen entlang zog. Zwei Straßen, die in eine Richtung gingen. Bevor Galren dazu kam, noch etwas zu sagen, zuckte der rote Heilige plötzlich zusammen. Armell war da… und hatte ihm ein langes Messer tief in die Seite gerammt. Jeder normale Mensch wäre vor Schmerzen schreiend zu Boden gegangen. Der rote Heilige jedoch wischte die junge Adelige mit einer einzigen Handbewegung beiseite und zog die Klinge achtlos aus der klaffenden Wunde.
,, Eure Freunde geben nicht leicht auf, das muss ich ihnen lassen.“ Mit großen Schritten trat er auf Armell zu, die Rücklings am Boden lag. Mit einem Mal hatte er die Sense in der Hand. Die gekrümmte Schneide glitzerte, als er damit ausholte. ,, Aber jetzt ist Schluss…“
,, Das meine ich auch.“ Mit einem Mal war es die Gestalt des roten heiligen, die mit unvorstellbarer Gewalt zurück geschleudert wurde. Die Sense fiel ihm aus der Hand und landete im geschwärzten Gras. ,, Ihr werdet niemanden hier anrühren !“
Armell richtete sich umständlich wieder auf, während ihr Retter mit langsamen Schritten an ihre Seite trat. Der rote Heilige sah sich nur verwirrt nach der neuen Bedrohung um, die plötzlich wie aus dem Boden gewachsen aufgetaucht war.
,, Verzeih, das ich nicht schneller war.“ Merl streckte Armell eine Hand hin, bis ihm wohl wieder klar wurde, wie sinnlos das war. Dann wendete er sich dem roten Heiligen zu, der sich lachend und hustend wieder aufrichtete.
Merl…
Armell konnte es einen Moment nicht glauben. Er war wirklich wieder zurückgekehrt, nachdem sie erneut dachte, ihn verloren zu haben. Und doch stand er da und wirkte entschlossener, als sie ihn je zu Lebzeiten erlebt hatte. Die Gestalt des jungen Magiers schimmerte schwach und ließ die Umgebung um ihn verschwimmen. Sein Mantel wehte hinter ihm, genauso zerfranst, wie es seine Seele sein musste. Und doch lag nicht das Geringste zögern in seinen Schritten, als er dem roten Heiligen entgegentrat. Dieser war mittlerweile wieder auf die Füße gekommen und streckte die Hand nach seiner verlorenen Sense aus. Mit einem Ruck kehrte die Waffe in seine Hand zurück. Nach wie vor strömte Blut aus der Wunde in seiner Seite, wo sie ihn zuvor mit dem Dolch erwischt hatte, doch entweder spürte er die Wunde nicht einmal… oder er war ein guter Schauspieler.
,, Was soll ich bitte davon halten ?“ Spöttisch breitete er die Arme aus und zuckte fragend mit den Schultern. ,, Noch ein wagemutiger Irrer ? Ich bin ein Halbgott , Kindchen !. Und diese hier gehören mir. Ich schlage vor ihr lauft, solange ihr noch könnt…“
,, Sie gehören euch genau so wenig wie irgendjemanden hier.“ Merl trat unbeeindruckt weiter auf ihn zu und blieb weniger als zwei Armlängen von ihm entfernt stehen. Sentine auf Armells Schulter wechselte mit jedem ihrer Herzschläge die Gestalt, bis sie sich schließlich wieder auf eine weiße Taube besann. Bitte sei bloß vorsichtig, dachte sie und umklammerte den blutigen Dolch in ihrer Hand. Aber wenn die klaffende Wunde in seiner Seite ihn schon nicht erledigte, was konnte sie tun? Und was konnte Merl tun? Seine Stimme klang kühl, doch wie wollte er gegen dieses… Ding das Vorgab ein Mensch zu sein bestehen? ,,Ich weiß was ihr seid und was ihr in eure Seele gelassen habt. Und wenn ihr glaubt, dass mir das Angst macht dann wisst ihr noch nicht, was dieses Wort bedeutet. Ich habe dem Tod selbst ohne Angst ins Auge gesehen. Ich habe den Wahnsinn von zehntausend zerrissenen Seelen gespürt. Sagt mir was hat euch euer Gott geboten? Oder hat er euch wirklich davon überzeugt, dass die Macht alleine es Wert sei euer Leben zu verkaufen?“
Der rote Heilige lachte, statt zu antworten. ,, So langsam habe ich genug davon…“ Mit diesem Worten treckte er die Hand vor. Eine dünne Lanze aus blauen und weißen Flammen brach hervor und durchschlug Merls Brust. Dieser jedoch sah nur unbeeindruckt dabei zu, wie das magische Geschoss durch seinen Körper jagte und hinter ihm an einem Zelt zerschellte. Flammen griffen sofort auf das Leinen über und ließen dichten Rauch zum Himmel aufsteigen.
,, Es steht auch nicht in eurer Macht, einen Toten zu töten.“ , erklärte der junge Magier. Und zum ersten Mal sah Galren etwas auf dem Gesicht seines Gegners, das nicht bloß Angst oder Unsicherheit war. Die Augen des roten Heiligen wurden weit. ,, Was im Namen des Herrn der Ordnung seid ihr ?“
,, Euer Ende.“ Mit diesen Worten rief Merl erneut eine Sturmbö herbei, die seinen Gegner von den Füßen fegte. Dessen hastig errichtete Schild zersprang in tausend funkelnde Scherben, bevor er sich gänzlich auflöste. Doch zeitgleich schien Merls Gestalt auch zu flackern und ungleich… undeutlicher zu werden. Götter was tat er da? Armell erinnerte sich nur zu gut, was er gesagt hatte. Er brauchte all seine Macht um seine Seele zusammen zu halten. Macht, die er jetzt für den Kampf aufwenden musste… Hör auf, bat sie innerlich. Und gleichzeitig… wenn er es nicht tat waren sie auch verloren, oder? Lass ihn einfach durchhalten, dachte sie und wusste nicht einmal, an welchen Gott sie sich wenden sollte. Soweit hatten sie alle im Stich gelassen und einer sich offenbar direkt gegen sie gewendet.
Der rote Heilige sprang wieder auf und schleuderte Blitze und Feuer gegen seinen Widersacher. Das Land um Merl herum verwandelte sich in ein tobendes Inferno, die Flammen selbst loderten jedoch, als wäre er gar nicht da. Und auch das Gras unter seinen Füßen bog sich nicht, wie Armell feststellte.
Merl entfesselte einen neuerlichen Schlag gegen seinen Gegner, dieses Mal jedoch war dieser offenbar vorbereitet. Mit einer Bewegung schleuderte er den Blitz bei Seite, welchen der Magier erschaffen hatte. ,, Nun… ich kann einen Toten nicht verletzen, sagt ihr ? Und ihr seid schon tot… also ändern wir das doch einfach!“
Ein greller Lichtblitz brach aus der ausgestreckten linken des roten Heiligen hervor… und diesmal traf der Zauber Merl direkt vor die Brust. Der Magier wurde zurückgeschleudert und landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden. Staub wirbelte auf und die gelben, toten Grashalme verbogen sich mit hörbarem Knistern unter seinem Körper. Armell achtete nicht auf Elins oder Galrens Rufe sondern stürzte einfach an Merls Seite.
Der rote Heilige war unterdessen ein Stück in sich zusammengesunken. Mit einem mal wirkte er nicht mehr so überlegen wie zu vor. Tiefe, dunkle Ringe hatten sich unter seinen Augen gebildet und ließen diese fast wie Lavabrunnen wirken. Was immer er grade getan hatte, es hatte ihn offenbar einiges an Kraft gekostet. Doch das einzige, was Armell im Augenblick kümmerte, war Merl.
Sie konnte ihn berühren, dachte sie ungläubig. Seine Augen waren geschlossen und er regte sich auch nicht, als sie ihn vorsichtig schüttelte. Aber seine Haut war warm, sein Blut floss und sein Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig mit jedem Atemzug.
Und dann fiel der Schatten des roten Heiligen über sie. Armell hob langsam das Messer wieder auf, fas sie zuvor einfach fallen gelassen hatte. Vielleicht konnte sie ihm nichts anhaben. Aber das würde sie nicht davon abhalten, es zu versuchen. Bevor sie jedoch dazu kam, hallte mit einem Mal ein Schuss über die Ebene. Armell hatte sich grade erst umgedreht, als sie sha, wie die Schulter des roten heiligen in einer Blutwolke verschwand. Die Kugel hatte seinen Körper glatt durchschlagen und wirbelte seine Gestalt herum.
Erneut konnte sie kaum glauben, was sie sah. Vor dem umkämpften Lager standen Eden, Erik und Cyrus, mittlerer noch immer mit einer rauchenden Pistole in der Hand und zu Pferd. Die beiden Gejarn waren hingegen zu Fuß, ebenfalls mit Gewehren bewaffnet. Und in ihrem Rücken, Syle. Und Janis. Und sie waren nicht alleine…
Janis brauchte nicht lange um die Situation zu erfassen. Armell und Merl lagen beide am Boden, letzterer offenbar kaum bei Bewusstsein. Galren hingegen sah fast noch schlimmer aus und schien sich kaum auf den Beinen halten zu können und Elin musste ihn stützen, damit er nicht einfach umfiel. Und über ihnen ragte eine Gestalt in dunklem Fellmantel auf, die mit einer Sense bewaffnet war, wie der Tod selbst. Blut strömte aus den Wunden in Schulter und Seite, dennoch schienen sie den Fremden kaum zu stören, als er auf sie zutrat. Allerdings würde sich das sicherlich ändern lassen…
Er zog das Schwert und die fast vierhundert Reiter hinter ihm taten das gleiche. Es war alles, was ihnen geblieben war, dachte er. Irgendwie hatten er und Syle es geschafft, die Männer wieder zu ordnen und doch blieb ihnen mittlerweile nur noch der Rückzug. Sie hatten schon in den ersten Momenten des Angriffs zu große Verluste erlitten und was die Macht ihres Feindes anging… da hatten sie sich schlicht maßlos verschätzt , dachte er bitter. Diese Kreaturen, die Geweihten die ihr verdrehtes und entstelltes Fleisch unter dunklen Roben verbargen entfesselten ungeheure Magie gegen sie und wo es nicht Magie war, waren es Klauen und scharfe Zähne, die ihre Männer in Stücke rissen. Das war keine Schlacht gegen normale Menschen, die sie hier führten. Und ohne die Unterstützung des Ordens waren sie dem wüten der Magie fast schutzlos ausgeliefert. Sie mussten ihre Leute hier raus bringen… und Janis war fest entschlossen, dabei so viele zu retten wie möglich.
Jetzt wo er die anderen sah, gab es für ihn nur noch eines. Egal, was dieses Wesen dort unten nun wieder für eine Teufelei war, dem Ansturm einer ganzen Kavallerie-Abteilung würde es nicht standhalten. Die Gruppe aus Kavalleristen teilte sich hinter den zwei Gejarn und dem Arzt, der regungslos sitzen blieb… und plötzlich breit grinste.
Der Fremde sah dem Ansturm eher resigniert den wirklich besorgt entgegen. Janis sah nur noch, wie er in der Staubwolke verschwand, welche die Hufe der Pferde aufwirbelten, dann war er auch schon bei den anderen. Armell versuchte scheinbar immer noch, den bewusstlosen Merl aufzuwecken, während Galren so schnell wie es in seinem Zustand eben möglich war, zu ihnen humpelte. Janis sprang blitzschnell aus dem Sattel und rief Befehle.
,, Bringt diesen Leuten Pferde, wir müssen hier raus und zwar jetzt, bevor man uns den Weg abschneidet !“ Zwei seiner Männer wendeten sofort um sich durch die Reihen der Kavalleristen nach hinten durchzukämpfen. Sie hatten auf der Flucht durch das Lager bereits Männer verloren. Freie Pferde gab es leider mehr als genug, dachte Janis und ballte die Hand zur Faust. Syle legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.
,, Man kann nicht alle retten.“ , meinte er mit belegter Stimme. Janis nickte lediglich. Das Machte es aber nicht besser. Der Bär schien sich im Augenblick damit zu begnügen ihm das Kommando zu überlassen. Vielleicht, ganz vielleicht fing er wieder an ihm zumindest etwas zu vertrauen. Oder er wusste, dass er im Augenblick keine Wahl hatte. So oder so… Janis hatte nicht vor ihn zu enttäuschen.
Es dauerte nicht lange, bis zwei seiner Männer ein paar reiterlose Pferde herbeiführten und Galren dabei halten sich auf den Rücken eines der Tiere zu ziehen. Der Mann sah wirklich übel aus, aber immerhin war er bei Bewusstsein. Was man von Merl nach wie vor nicht sagen konnte. Janis hatte es bereits aufgegeben sich zu fragen, wie der Mann überhaupt hier sein konnte. Im Augenblick geschahen ohnehin genug verrückte Dinge.
Armell versuchte nach wie vor erfolglos, ihn irgendwie zu wecken. Sie hatten keine Zeit dafür, dachte er. Wenn sie nicht bald den Ausfall wagten, würde sie hier in der Falle sitzen. Kurz entschlossen trat er zu der jungen Adeligen.
,, Ich achte auf ihn.“ , erklärte er schlicht, bevor er den regungslosen Körper aufhob. ,, Ihr würdet ihn nicht halten könne… geschweige denn mit ihm reiten können.“ Zumindest nicht den ganzen Weg, wenn zeitgleich um sie herum das Chaos der Schlacht tobte. ,, Ich achte auf ihn. Und jetzt lauft, sucht euch ein Pferd. Los !“
Mit diesen Worten und ohne ihr noch eine Gelegenheit zum Protest zu geben, lief er zurück zu den anderen und ließ sich dabei helfen, mit dem jungen Magier in den Sattel zu kommen. Es würde selbst für ihn schwer werden, so zu reiten… aber er hatte auch keine Wahl, dachte er.
,, Janis !“ Syle deutete zu einem der Felshänge, die in der Ferne aufragten und das Tal begrenzten. Ein schmaler Pfad, kaum groß genug für ein Pferd führte die Bergflanke hinauf. Ein Ausweg, dache er erleichtert. Und nicht so weit entfernt. Seine Hoffnung schwand jedoch, als er sah, wie sich etwas auf dem Pfad bewegte. Hunderte von Gestalten drängten über den Felsen ins Tal hinab und er brauchte kein Fernglas um zu wissen, dass keiner davon das Banner des Kaiserreichs trug.
,, Was machen wir jetzt ?“ , fragte er.
,, Wir haben keine Wahl oder ?“ , erwiderte der Bär grimmig. ,, Wenn wir nicht auf diesem Weg aus dem Tal kommen… kommen wir hier gar nicht mehr raus.“
Hinter ihnen aus dem Lager warne mittlerweile laute Rufe zu hören. Offenbar war auch ihren Verfolgern mittlerweile aufgefallen, dass die Zelte alle verlassen waren. Es würde nicht lange dauern, bis man sie entdeckte und dann würde man ihnen auch dort den Weg abschneiden. Mit einem hatte Syle wohl Recht. Sie hatten keine Wahl…
Janis stabilisierte den regungslosen Magier in seinen Armen so gut er konnte und schloss einen Moment die Augen. Der Weg den Pfad hinauf war schmal. Und sie zu wenige. Sie würden sich ihre Flucht teuer erkaufen müssen, dachte er. Mit Merl würde er nicht einmal wirklich kämpfen können, trotzdem setzte er sich demonstrativ an die Spitze der kleinen Gruppe Reiter.
,, Mir nach. Bleibt zusammen und lasst euch nicht in die Enge treiben… dann kommen wir hier irgendwie wieder raus.“
Um sie herum tobte heilloses Chaos. Janis hatte es längst aufgegeben die Übersicht behalten zu wollen. Waren seine verbliebenen Männer ihm am Anfang noch in dicht geschlossenen, ordentlichen Reihen gefolgt, wandelte sich ihr Ausbruchsversuch jetzt in heillose Flucht. Jeder versuchte irgendwie auf den Pass hinauf zu gelangen, drängte den schmalen steinernen Pfad hinauf, direkt in die Reihen der wartenden Kultisten. Doch manchmal konnte wohl auch Verzweiflung Wunder vollbringen, dachte er. Grausame Wunder . Die Männer kämpften mit der Gewissheit, dass alles andere nur den Tod bedeuten würde. Und bisher hatten sie es immerhin nur mit gewöhnlichen Sterblichen zu tun, die unter den Schwertern und den Gewehrsalven rasch selbst zurückfallen mussten. Schüsse hallten von den Felsen wieder, während sich die Gardisten langsam den Weg hinauf kämpften.
Die Steine waren innerhalb weniger Minuten bereits rutschig von Blut. Schreie und Rufe übertönten alsbald selbst das Feuer der Gewehre. Pulverdmapf trieb in Schwaden durch die Luft und machte es teilweise schwierig für Janis auch nur zu erkennen, wohin er ritt. Weiter nach oben, das wusste er. Doch wo der Abgrund war und ob die vereinzelten Schemen im Nebel noch zu seinen Männern oder bereits zu den Kultisten gehörten konnte er unmöglich sagen. Eine Kugel jagte dicht an seinen Kopf vorbei und traf einen Schatten der zu nah am Abgrund stand. Ohne einen Laut verschwand die Gestalt plötzlich in der Tiefe. Sie hatten etwa die Hälfte des Aufstiegs geschafft, schätzte er… doch genau konnte er es nicht sagen. Janis hatte längst jedes Zeitgefühl verloren, während seine Arme langsam taub wurden. Ihm blieb nur, sich darauf zu verlassen, das sein Pferd den Weg schon finden würde. Merl drohte immer wieder vor ihm aus dem Sattle zu rutschen und so brauchte er beide Hände um den Jungen Magier festzuhalten. Er war noch am Leben, das war klar… aber Götter, was würde Janis jetzt dafür geben, wenn er wenigstens aufwachen würde. Zu zweit auf einem Pferd waren sie bereits langsamer als der Rest der Garde, der versuchte, sich den steilen Pfad hinauf zu kämpfen und so konnte er sich nicht einmal verteidigen, sollte es nötig werden. Wenn er losließ, das war ihm klar, wäre Merl verloren…
Vor ihm tauchten langsam die ersten berittenen Schemen aus dem Nebel auf, die sich einen Weg durch die Reihen der Kultisten schlugen. Normalerweise während die meisten Menschen, ob in der Überzahl oder nicht, kaum so dumm sich einem Kavallerieangriff derartig in den Weg zu stellen. Doch diese Männer schienen geradezu darauf zu brennen, sich unter die Hufe der Tiere zu werfen und sie dadurch auszubremsen. Fanatisch war alles, was Janis dazu einfallen wollte. Und dann war er selbst bereits unter ihnen und konnte nur darauf vertrauen, dass das Tier unter ihm nicht scheute…. Und sich die Lücke, die Syle und die andere geschlagen hatten nicht um ihn schloss.
Erneut drohte Merl abzurutschen, als das Pferd über eine Reihe gefallener setzte. Welcher Seite sie angehörten konnte Janis nicht mehr erkennen. Ohnehin war er zu bemüht darum, den Jungen festzuhalten, als vor ihnen ein mit einem primitiven Speer bewaffneter Kultist aufsprang. Mit einem Schwert hätte Janis die Waffe beiseite schlagen und den Mann erledigen können. So jedoch blieb ihm nur, den Körper so weit zu drehen wie er konnte um Merl außer Reichweite der Waffe zu bringen… oder ihn zurückzulassen. Der Gedanke kam ihm nur eine Sekunde, bevor er ihn verwarf. Er weigerte sich schlicht, so etwas erneut zuzulassen. Nein. Er würde kein weiteres Leben unter seinem Schutz verlieren. Auch wenn er so nicht einmal hoffen konnten, Quinns Schildring zu benutzen…
Er schloss schlicht die Augen und hoffte das Beste, als die Lanze heran war. Der Aufprall trieb ihm die Luft aus den Lungen… aber immerhin erwischte die gehärtete Holzspitze ihn und nicht Merl. Die Waffe glitt mit einem hörbaren Klingen an dem Kürass ab, das er unter seiner Kleidung trug. Auch wenn sie offenbar eine ordentliche Beule in den Stahl geschlagen hatte… er blieb irgendwie im Sattel und konnte weiterreiten. Auch wenn jede Bewegung des Pferds und jede Unebenheit schmerzen in seiner Seite aufflammen ließ.
Weitere Schemen schälten sich aus dem Nebel, der grade von einer Windböe zerrissen wurde und enthüllten ein Dutzend weiterer Männer mit dem Symbol der roten Hand, jeder einzelne mit einer Muskete bewaffnet. Sie hatten sich auf einem Felsvorsprung verschanzt und eine kleine Barrikade aus Steinen um sich errichtet, so das es den fliehenden Reitern unmöglich war, sie zu erreichen. Die Kutlisten hingegen hatten freies Schussfeld. Eine Salve fällte einen von Janis Gardisten, der nicht schnell genug vorbei kam. Das Pferd unter ihm taumelte, bevor es über die Felsen stürzte und seinen Reiter mit sich riss. Sofort traten die Männer zurück um nachzuladen und die nächste Gruppe vorzulassen, welche die Gewehre bereits im Anschlag hatte. Und dann war Janis auf ihrer Höhe. Er konnte später nicht mehr genau sagen, was passiert war. Er sah das Mündungsfeuer aufblitzen und roch verbranntes Schießpulver. Doch weder das Pferd noch er oder der Magier wurden getroffen. Stattdessen war da plötzlich etwas Weißes mitten in der Flugbahn der Kugeln. Eine Taube ? Hatte diese Armell, nicht immer einen Vogel dabei gehabt? Statt ihn in Stücke zu reißen, tanzten die Kugeln plötzlich um das Wesen herum und veränderten ihre Flugbahn in unmögliche Richtungen. Sentine vollführte einen Salto zwischen den Projektilen hindurch… bis eines davon sie doch noch am Flügel erwischte. Statt Blut brach Licht aus der Wunde hervor und troff fast wie eine Flüssigkeit auf die Felsen herab... dann war der Vogel auch schon wieder im Pulverdampf verschwunden. Hoffentlich hatte er das überlebt, dachte Janis. Was immer das grade war, es hatte ihm das Leben gerettet. Unverletzt preschte er an den verdutzten Schützen vorbei, die noch nicht einmal begonnen hatten nachzuladen.. und dann endete der Pfad plötzlich und er schoss auf die sonnenverbrannte Ebene heraus, die das rote Tal umgab. Die Sonne und der warme, blaue Himmel waren ihm selten so willkommen gewesen, wie jetzt, als sie aus dem Pulverdampf hervorbrachen. Einen Moment erlaubte er sich, die Wärme zu genießen, die den kalten Angstschweiß auf seiner Stirn trocknete. Das schlimmste hatten sie hinter sich dachte er, während er das Pferd weiter auf die Ebene hinaus trieb. Dort hatten sich bereits weitere Reiter gesammelt und sahen zurück in Richtung Tal, die Gewehre im Anschlag. Die meisten sahen ziemlich mitgenommen aus, ihre Uniformen zerrissen und Blutverschmiert. Und irgendein Irre rhatte es sich ganz offenbar zur Aufgabe gemacht, eine der Standarten mit dem Doppelwappen den Weg die Felsen hinauf zu retten. Götter, für diese Dummheit würde er ein ernstes Wort mit dem Mann reden müssen. Und ihm vermutlich trotzdem einen Orden verliehen. Irgendwie hatten sie es geschafft… Hinter ihm blieb der Pass zurück, aus dem immer noch vereinzelt einige Reiter kamen, aber die Kultisten schienen ihnen bisher noch nicht gefolgt zu sein. Und die meisten seiner Männer hatten es ganz offenbar geschafft. Kurz sah er Galren und Elin, wobei ersterer offenbar Mühe hatte sich im Sattel zu halten… aber immerhin noch lebte. Syle war unterdessen bereits damit beschäftigt, neue Anweisungen zu geben. ,, Wir dürfen uns hier nicht ausruhen. Sie werden sich nicht damit zufrieden geben, uns am Pass etwas aufgehalten zu haben. Wenn wir noch länger warten, kommen auch diese Kerle irgendwann auf die Idee, das Tal zu verlassen. Und dann sind wir besser weit weg.“
Janis nickte und so begann der zweite Teil ihrer Flucht. Auf dem Weg über die sonnenverbrannten Ebenen bekamen sie den Verlust fast aller ihrer Vorräte bald bitter zu spüren. Nicht nur hatten sie alles an Lebensmitteln zurück lassen müssen, sondern auch fast alle Wasserschläuche. Die meisten der Reiter trugen vielleicht einen Beutel bei sich, der sich in der Hitze jedoch erstaunlich schnell zu leeren begann. Syle versuchte das wenige was sie hatten, so gut wie möglich unter den Leuten aufzuteilen. Trotzdem dauerte es nicht lange, bis sie begannen den Preis dafür zu bezahlen. Und nach wie vor war für sie an eine Rast nicht zu denken. Dafür waren sie noch zu nahe am roten Tal und auch wenn Syle es nicht wagte, einige Späher zurück zu schicken… sie konnten immer noch den Rauch sehen, der von den brennenden Zelten im Expeditionslager aufstieg. Gegen Abend brachen schließlich die ersten Pferde zusammen und mussten zurückgelassen werden. Es gab keine Rast für sie, nicht jetzt und so blieb ihnen nur, den Weg im Licht einiger Fackeln fortzusetzen, als die Sonne unterging. Immerhin verschwand damit auch die schlimmste Hitze. Es änderte jedoch nichts daran, das viele von ihnen mittlerweile seit drei oder mehr Tagen auf den Beinen waren. Sie waren bereits die Nächte durchmarschiert um es vor den Kultisten ins Tal zu schaffen. Und jetzt wendete sich das gegen sie. Als der erste graue Silberstreif sich wieder am Horizont zeigte, stürzten auch die ersten Männer. Zwar hatten sie mittlerweile die Eben verlassen und einen kleinen Wald erreicht, dennoch ließ Syle sie nicht anhalten. Diejenigen, die nicht mehr aus eigener Kraft laufen konnten, mussten von jenen geschultert werden, die es noch konnten, oder bekamen die Pferde der kräftigeren Gardisten, die damit zu Fuß weiter mussten. Immerhin schafften sie es im Vorübergehen etwas Wasser an einem Bach zu schöpfen und ihre Vorräte wieder aufzufüllen. Jemand reichte Janis einen vollen Schlauch. Statt zu trinken spritzte er sich die kalte Flüssigkeit ins Gesicht. Ein paar Tropfen blieben in seinem Haar hängen und durchnässten die Kleider des nach wie vor bewusstlosen Magiers. Sie hatten das schlimmste geschafft, sagte er sich erneut und betete, das es stimmen mochte. Wenn er sich nur einen Moment hinlegen könnte… Einige der Gardisten hatten tatsächlich gelernt im Sattel zu schlafen und bekamen so zumindest etwas Rast. Er jedoch war nach wie vor damit bemüht, Merl sicher zu halten. Und vielleicht halluzinierte er mittlerweile auch, dachte er, während er sich das überschüssige Wasser aus dem Gesicht wischte und einen Schluck trank. Bei Sonnenaufgang war Nebel aufgezogen, der zwischen den Bäumen umhertrieb. Sie warne mittlerweile in höhere Gefilde gelangt, wo auch in den verbrannten südöstlichen Ebenen noch grün wuchs. Morgenlicht schimmerte durch die Zweige und Blätter der Bäume und sprenkelte das Unterholz in einen Teppich aus Schatten und Licht. Moose und Farne flüsterten im Wind, der die Nebelfetzten verformte. Mehrmals war Janis fest davon überzeugt, darin eine Gestalt auszumachen. Und tatsächlich wirkten die Schatten vertraut menschlich… Nein… das waren Menschen… Erst einer, dann zwei, dann hunderte, die durch den Nebel auf sie zukamen. Aber seltsamerweise waren sie alle unterschiedlich groß, dachte er verwirrt. Eine Gruppe Männer mit Kindern. Wenn ja, dann waren es ziemlich stämmig gebaute Kinder, dachte Janis müde. Und eines davon hatte einen Bart, der ihm fast bis zur Hüfte fiel, als es schließlich aus dem Nebel heraustrat. Zwerge ? Und zwischen ihnen blitzte immer wieder blau auf. Blau und Gold. Die Farben der kaiserlichen Garde ? Bevor er noch dazu kam, sich zusammenzureimen, was sie hier suchen mochten, waren sie plötzlich auch schon unter ihnen. Männer kamen herbei um die Verwundeten und die Übermüdeten in Empfang zu nehmen und ihnen von den Pferden zu helfen. Andere begannen bereits damit Wasser und Essen zu verteilen. Janis war zu müde um zu fragen, was vor sich ging. Er seufzte lediglich dankbar, als jemand sein Pferd anhielt und ein Dutzend weitere herbeikamen um ihm mit seiner Last zu helfen. Vorsichtig ließ er Merl aus dem Sattel gleiten. Erst als das Gewicht vor ihm verschwand, schien ihn die volle Wucht der Erschöpfung zu treffen.
,, Herr ?“ , hörte er noch jemanden fragen, sah in das verwirrte Gesicht eines Gardisten… dann kippte er einfach vorüber aus dem Sattel und schlug auf dem harten Waldboden auf. Erst da fiel ihm auf, das er Blutete. Die Seite wo ihn die Lanze erwischt hatte war während des Ritts seltsam Taub geworden. Und erst jetzt, mit dem Geschmack von Erde im Mund, wurde ihm klar, dass sein Kürass mehr als nur eingedellt war. Irgendwie, durch einen Wink des Schicksals, war die Holzspitze unter die Rüstung gekommen… und abgebrochen. Die Flucht hatte wohl dazu beigetragen, dass sich der große Splitter mittlerweile aus der Wunde gelöst hatte… Das Blut hatte bereits sein gesamtes Hosenbein durchtränkt und versickerte langsam im Boden.
Eigentlich konnte er sich noch glücklich schätzen, dachte Galren. Das Schreien der Verwundeten hallte durch das ganze hastig errichtete Lager. Die magischen Wunden überforderten die Heilkunst der Armeeärzte des Kaisers schlicht bei weitem. Verbrennungen und Erfrierungen mischten sich mit Männern, denen die Kreaturen des Herrn der Ordnung schlicht ganze Gliedmaßen abgetrennt hatten.
So gesehen hatten sie alle unglaubliches Glück gehabt. Dass sie dem Kaiser und den Zwergen praktisch direkt in die Arme gelaufen waren hatte ihnen vermutlich allen das Leben gerettet. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit waren sie wirklich wieder in Sicherheit. Und unter Freunden. Galren hatte den Kaiser nur kurz gesehen, der bereits voll auf damit beschäftigt war, sich mit Syle und den übrigen Überlebenden zu besprechen. Nachdem man erst einmal Janis versorgt hatte, hatte der Mann wohl kaum mehr eine ruhige Minute. Und auch Janis hatte wohl noch einmal Glück gehabt. Die Wunde , welche die Lanze gerissen hatte war tief, doch hatte paradoxerweise wohl grade die abgebrochene Spitze ihn vor schlimmeren bewahrt. Erst als er Merl absetzte, war die Verletzung vollends aufgebrochen, sonst wäre er wohl schon auf dem Weg hierher verblutet. So jedoch würde er wohl durchkommen. Zumindest behauptete Erik das. Galren verzog das Gesicht, als ihm etwas Kaltes auf den Rücken tropfte. Die verbrannte Haut und die schwärenden Wunden waren schon eine Qual, ohne dass sich jemand daran zu schaffen machte.
,, Wenn ihr nicht still sitzt, Junge, werdet ihr in Zukunft nur noch krumm laufen. Oder gar nicht mehr.“ Erik behauptete seit einer Weile ziemlich viel. Elin verteilte die Salbe auf seinem Rücken so vorsichtig wie sie konnte, trotzdem musste er die Zähne zusammenbeißen um nicht zu schreien. Oder das Bewusstsein zu verlieren. Er war heute schon ein paar Mal nahe dran gewesen. Die Linderung durch die kühle Salbe hielt nur einen Moment, dann fühlte es sich so an, als würde sein Rücken erneut in Flammen aufgehen. Dann jedoch wurde die offene Haut fast gefühllos. Zumindest konnte er ohne Schmerzen atmen… und sich grade hinsetzen. All seine Muskeln protestierten erneut, aber es war nicht mehr ganz der reißende Schmerz wie zuvor.
Der Arzt sah ihm desinteressiert dabei zu, während er mit der anderen Hand in einer großen Tasche wühlte, die er irgendwo gerettet hatte. Das Ding musste eine Tonne wiegen, dachte Galren fasziniert. Mittlerweile hatte der Mann ein halbes Dutzend scharfer Instrumente zu Tage gefördert, die er jedoch jedes Mal wieder zurücklegte. Sehr zu Galren Erleichterung. Bei manchen wollte er gar nicht wissen, wozu sie gut waren. War dieser Mann ein Foltermeister oder ein Arzt? Bei einer feinen, dünnen Nadel aus Kristall hielt er jedoch kurz Inne, legte sie dann jedoch ebenfalls kopfschüttelnd bei Seite. ,, Sagt mal gibt es in eurer Familie Fälle von grauem Star ?“
,, Was ?“ Galren sah den Mann nur mi weit aufgerissenen Augen an.
,, Schade.“ , erklärte Erik nur und legte die Nadel vorsichtig zurück in ihre Samtumhüllung. ,, Ich dachte wenn ihr euch schon auseinander nehmen lasst, könnten wir gleich da weitermachen. Was macht der Arm? “
Die Verletzung an seinem Arm war weitaus gnädiger gewesen, als die Ruine, die mal sein Rücken gewesen war. Hier hatte es Erik zumindest bei einem Verband und einer einfachen Heilsalbe bewenden lassen.
,, Ich kann ihn zumindest bewegen.“ , erwiderte Galren und versuchte sich an einem unsicheren grinsen, als Erik sich daran machte, ihm mit Elins Hilfe einen Verband um den kompletten Brustkorb zu legen. Er zuckt unwillkürlich zusammen, als der Stoff seine geschundene Haut berührte.
,, Das tut übrigens höllisch weh.“ Die Gejarn schien es nicht zu stören, als sie zufrieden einen Knoten in den Stoff zog. Der Ruck ließ ihn erneut die Zähne zusammenbeißen.
,, Ach stell dich nicht so an.“ Elin beugte sich über seine Schulter und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
Erik hatte unterdessen offenbar gefunden, was er gesucht hatte und gab eine Prise eines weißen Pulvers in eine große Keramikflasche. Irgendetwas zischte, als er das Gefäß mit Wasser auffüllte und an Galren weiterreichte.
,, Ich schätze, ihr werdet durchkommen, es sei denn, die Verbrennungen infizieren sich. Und glaubt mir, wenn das passiert, bin ich mir nicht einmal sicher, ob ich euch noch helfen kann. Am besten ihr säubert die Wunden jeden Tag, nehmt ein Bad, und spült sie dann hiermit aus. Ich warne euch gleich, ihr werdet mich verfluchen, aber wenn ihr es vergesst… werdet ihr sterben. Die Salbe die ich Elin gegeben habe, betäubt die Schmerzen. Aber sie heilt euch nicht. Das schafft nur die Zeit. Lasst euch Mohnsaft geben, wenn es sein muss. Aber vergesst es nicht.“ Während er sprach hatte der Arzt bereits damit begonnen seine Sachen wieder zusammenzupacken und stand auf.
,, Keine Sorge ich werde ein Auge darauf haben.“ , meinte Elin. Er konnte ihr anhören, das sie dabei auch noch anderes im Sinn hatte. Ganz offenbar würde sie einen Weg finden ihn auch ohne Mohnsaft beim Baden abzulenken. ,, Außerdem war das alles meine Schuld.“ , fügte sie kleinlaut hinzu.
,, Deine Schuld ?“ Galren rang sich erneut ein gequältes Lächeln ab. Der Verband scheuerten Leicht bei jeder Bewegung, aber wie Erik gesagt hatte, ließen die Schmerzen fürs erste nach. ,, Ich bezweifle wirklich, das du diesem irren Freiwillig in die Arme gelaufen bist. Wir achten aufeinander, Elin. Aber nächstes Mal bist du dran dich Grillen zu lassen.“ Die Gejarn versetzt ihm einen Schlag in die Seite, der ihn laut auflachen und gleichzeitig vor Schmerzen keuchen ließ.
Erik lachte ebenfalls. ,, Ich sehe schon. Ich werde hier nicht mehr gebraucht.“ , meinte er dann jedoch wieder ernst. ,, Ich fürchte jedoch heute gibt es noch genug für mich zu tun. Und oich muss ohnehin noch nach Eden und Cyrus sehen.“ Mit diesen Worten hob er seine Tasche auf und stapfte davon. Galren hingegen lehnte sich so gut es ging zurück und schloss die Augen. In seinem Zustand konnte er kaum etwas tun um zu helfen. Allerdings würde der Kaiser wohl früh genug mit ihnen sprechen wollen. Nach wie vor beunruhigte ihn die Begegnung mit dem roten Heiligen zutiefst. Der Mann hatte gewollt, das Galren ihn begleitete. Aber warum ? Was wurde hier gespielt? Er hatte gemeint, er würde die Wahrheit übersehen, wie ein blinder. Welche Wahrheit ?
,, Weißt du… ich fürchte eher, das hier könnte alles meine Schuld sein.“
,, Du hast nicht gewusst was passieren würde, oder ?“ Elin hatte sich neben ihn gesetzt und sah ihn eindringlich an. ,, Keiner von uns hat das.“
,, Oh doch. Parlor ? Er hat versucht uns zu warnen, Elin. Und wir haben nicht darauf geachtet. Und auch wenn sie vielleicht vergessen hatten wieso… die Zwerge haben alles daran gesetzt zu verhindern, dass ich meinen Vater finde… und dieses Schwert nach Canton bringe.“
,, Schon, aber…“ Elin schien zum ersten Mal unsicher, was sie sagen sollte. ,, Wir wissen jetzt womit wir es zu tun haben. Ich lasse mich sicher nicht von ein paar unheimlichen Leuten in Roben einschüchtern. Und das lässt du besser auch nicht zu.“
Wenn es nur das wäre, dachte Galren musst jedoch trotzdem grinsen. Nein , Elin kam man mit so etwas nicht bei. Ihm hingegen… Selbst jetzt konnte er spüren, wie ihn etwas zurück zum roten Tal rief. Zurück zu Ihm. Der rote Heilige hatte sie nicht verfolgt. Und wozu auch ? Galren wusste nicht wieso… aber am Ende war er es, den er suchte. Und irgendwann würde auch ihm keine Wahl mehr bleiben als zu ihm zu kommen, nicht? Und er würde wohl erst eine Antwort auf das warum erhalten, wenn es zu spät war. Der rote Heilige hatte ihn den Sohn des Propheten genannt. Des Propheten seines Herrn. Glaubte er etwa, Galren deshalb für sich gewinnen zu können? Und warum auch nicht. Sein Vater war dem Ruf des Herrn der Ordnung schließlich gefolgt. Sie standen gegen einen Unsterblichen, dachte er. Und nicht nur gegen irgendeinen, wenn Erik recht hatte, sondern gegen den ersten seiner Art. Ein Wesen, das von seiner Macht her einem Gott so nahe kam, wie das wohl überhaupt möglich war. Würde er sich dem wirklich eher verschließen können als Varan ?
Die Antwort war einfach. Er wusste es nicht. Aber er hatte ein Versprechen gegeben. Er fasste ihre Hand. Ausnahmsweise sagte Elin einmal gar nichts, sondern drückte lediglich zu und ließ ihn seinen Gedanken nachhängen. Sie wusste, dass er das manchmal tat. Und das war eine Sache, bei der er sich als sturer erwiesen hatte als sie, dachte Galren. Er hätte auch nicht gewusst, was er antworten sollte, wenn sie ihn fragen würde, was er tat. Dieses Mädchen bedeutete hm alles, dachte er. Und daran würde auch kein selbsternannter Gott etwas ändern.
,, Ich liebe dich.“ Er wollte es gesagt haben, jetzt mehr denn je. ,, Was auch immer passiert Elin, das wird sich nie ändern. Aber… wenn mir etwas geschehen sollte, wenn… Versprich mir das du nie so dumm bist wie ich, ja?“
,, Ich dachte das nächste Mal wäre ich mit Grillen dran ?“ , fragte sie mit einem stichelnden Ton in der Stimme. Manchmal ließ sie ihn nachdenken, dachte Galren. Aber manchmal wollte Elin manche Dinge auch einfach nicht hören. Wenn es eins gab, das dieses Mädchen konnte, dann Dinge überhören, die ihr nicht gefielen.
,, Elin, ich meine das ernst. Ich möchte nicht, dass dir etwas geschieht, nur weil ich mich in Gefahr begebe. Das kann ich nicht zulassen. Er war nie hinter dir her…“Galren musste nicht erklären, wen er meinte.
,, Galren…“ Die Gejarn schüttelte den Kopf. Immerhin schien sie ihm dieses Mal zuzuhören, dachte er. Und als sie antwortete, klang sie selber vollkommen ernst. ,, Das bin ich nicht wert. Das…“ Es war seltsam, das Elin einmal wirklich die Worte fehlten. Und doch schien es in letzter Zeit immer öfter vorzukommen. ,, Entweder wir stehen das hier zusammen durch, oder…“
,, Dann darf es wohl nie zu einem oder kommen, wie ?“ Er seufzte und schloss die Augen. Elin entschied sich wohl, den skeptischen Ton in seiner Stimme zu ignorieren. Stattdessen spürte er, wie sich ihre Lippen auf seine legten. Galren gab sich geschlagen. Gezwungenermaßen. In gewisser Hinsicht war er ihr nicht gewachsen und wie auch? Nur zum ersten Mal hatte er deshalb auch ein schlechtes Gefühl…
,,Galren !“ Eine Stimme holte ihn zurück in die Wirklichkeit. Er löste sich nur ungern wieder von ihr, doch als er erkannte, wem die Stimme gehörte, traute er seinen Ohren nicht. Hadrir ?
Der Zwerg kam mit breitem Grinsen auf sie zu. Die Rüstung die er trug war immer noch der gleiche, schmucklose Panzer, den er schon in der Stadt der Zwerge getragen hatte. Lediglich der grüne Umhang war offenbar durch einen neuen ersetzt worden, der mit Gold und Silberfäden durchwirkt worden war. AN seinem Gürtel klapperten ein Schwert und ein schwerer Hammer, die den stämmigen Zwerg jedoch kaum zu behindern schienen. Hinter ihm folgten fünf weitere Gestalten in schlichterer Kleidung, die immer darauf bemüht schienen, in seinem Rücken zu bleiben. Hadrir wechselte rasch ein paar Wort in seiner Sprache mit ihnen, dann gingen sie sichtlich unwillig davon.
Erst dann kam er ganz zu ihnen.
,, Unsterbliche, ich dachte, ich sehe keinen von euch je wieder !“ Hadrir zog die beiden ungefragt in eine Umarmung, die geeignet war einem geringeren Mann die Knochen zu brechen. Galrens Rücken meldete sich prompt zurück und er musste einen Moment darum kämpfen auf den Beinen zu bleiben, als der Zwerg ihn schließlich losließ.
,, Es tut gut euch zu sehen Hadrir.“ , meinte er keuchend. Wie lange hatten sie sich nicht mehr gesehen? Über ein halbes Jahr lang?
,, Nun eigentlich ist es jetzt König Hadrir.“ , erklärte der Zwerg. ,, Auch wenn ich kaum darum gebeten habe.“ Nein, dachte Galren und so sah er auch nicht aus. Hadrir wirkte um Jahre gealtert, was, wenn man bedachte wie lange Zwerge im Vergleich zu Menschen oder Gejarn lebten erschreckend anzusehen war. Anspannung und Erschöpfung standen ihm ins Gesicht geschrieben.
,, Erwartete jetzt bitte nicht, das ich mich vor euch verbeuge.“ , meinte Elin. ,, Und Galren hier ist glaube ich gar nicht dazu in der Lage.“
Die Bemerkung entlockte Hadrir ein Lächeln und für einen Moment verflog die Müdigkeit etwas aus seinem Gesicht. ,, Ehrlich gesagt, ich wäre enttäuscht. Wenn ihr das tun würdet. Ich bin schon froh, dass ich Kasrans Gefährten einmal einen Augenblock losgeworden bin. Sie mögen stumm sein, aber Feuer hilf mir, sie können trotzdem übertrieben höflich sein. Und Aufdringlich.“
,, Was habt ihr mit Kasran zu schaffen ?“ , fragte Elin, die bei der Nennung des Namens plötzlich hellhörig geworden war.
,, Eine lange Geschichte. Und sie hängt ein wenig damit zusammen wie ich in die Verlegenheit gekommen bin mich jetzt König der Zwerge zu nennen. Es dürfte euch allerdings freuen zu hören, Elin, das ich ihn fast verprügelt habe…“
Merl war immer noch nicht bei Bewusstsein. Sie hatten ihn am Rand des Lager im Schatten eines großen, mit Flechten bewachsenen Findlings untergebracht. Im Schatten des Felsens war es kühl und windgeschützt und sie hatten den jungen Magier auf einem einfachen Strohlager gebettet. Armell hatte sich bis jetzt nicht dazu überwinden können, seine Seite zu verlassen. Manchmal war sie nicht sicher, ob die Sorge um ihn oder die Erleichterung überwog. Er lebte, dachte sie. Das konnte sie spüren und sehen. Und doch schien er schlicht nicht aufwachen zu wollen. Oder zu können.
Erik besah sich den jungen Magier skeptisch, tastete seinen Hals und seine Handgelenke ab und lauschte sogar einen Augenblick Merls regelmäßigen, entspannten Atemzügen.
Über ihnen hatte man ein einfaches Zeltdach aufgespannt, das zusätzlich Schatten spendete. Und Merl so hoffentlich davor schützte, schlicht zu verdursten. Er war jetzt seit fast einem Tag in diesem Zustand und auch wenn Erik ihm etwas Flüssigkeit hatte einflößen können… es würde wohl nicht reichen, ihn am Leben zu erhalten. Wenn er nicht aufwachte…
,, So weit ich das sagen kann fehlt ihm gar nichts.“ , meinte der Arzt nachdenklich, als er sich schließlich auf einem Baumstumpf neben dem Strohlager sinken ließ. ,, Er atmet normal, sein Blut fließt wie es zu erwarten wäre, sein Herz schlägt und er scheint auch keine inneren Blutungen zu haben. Und immerhin hat unser wagemutiger Kaisersohn ihn bei seinem Sturz nicht auf den Kopf fallen lassen. Körperlich ist er völlig gesund. Gesünder als die meisten meiner Patienten in den letzten Stunden möchte ich hinzufügen.“
,, Das heißt, ihr könnt nichts für ihn tun ?“ Armell kannte die Antwort und doch musste sie fragen. Der Atle Mann zupfte an seinem Backenbart.
,, Das habe ich nicht gesagt. Aber ja. Ich zumindest kann ihm nicht weiterhelfen. Wenn ihr ein paar Knochen richten oder jemanden eine Kugel rausschneiden wollt… bitte sehr. Aber mit Verletzungen der Seele sind mir die Hände gebunden. Wer weiß schon, was dieses lange schweben zwischen Leben und Tod mit ihm angestellt haben mag? Möglicherweise braucht er wirklich nur Ruhe. Aber wenn er nicht bald aufwacht… Was ihr braucht, Armell, wäre ein Magier. Und zwar einer, der sich mit diesen Dingen auskennt.“
,, Ihr meint mit der Seelenwanderung.“ Ihre Hoffnungen schwanden. ,, Erik, der einzige, der sich außer Merl selbst damit auskennt, ist Zachary de Immerson. Merls Meister. Und der ist in Silberstedt. Das schafft er nicht.“ Wie sollten sie einen bewusstlosen Merl überhaupt dorthin bringen? Davon abgesehen, das er in seinem Zustand sterben würde, ehe sie die Berge erreichten. Und einen Boten zu Zachary zu schicken und abzuwarten… wie lange würde das dauern? Es war bereits Herbst und wenn der Winter kam wurden die Pässe über die Berge unpassierbar. Möglicherweise bis zum Frühjahr. Galren hatten zwei Wochen fast das Leben gekostet. Es war nicht ihre Art so leicht aufzugeben oder zu verzweifeln. Aber im Augenblick… sah es nicht so aus, als gäbe es irgendeine Hilfe für Merl. Sie setzte sich neben seinen Kopf und strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er sah so ruhig aus, so völlig entspannt. Wenn sie es nicht besser wüste, sie hätte wirklich glauben können, es wäre nur normaler schlaf.
,, Ich weiß es hilft vielleicht nichts, aber… wisst ihr Zachary hat ihn einmal in einem Brief erwähnt. Und…“ Eden, die den Arzt zusammen mit Cyrus begleitet hatte saß im Schneidersitz auf der anderen Seite des Strohlagers. ,, Er ist etwas Besonderes, oder ? Für euch ?“
Armell schluckte schwer. Sie wagte nicht in Worte zu fassen, wie sehr. Und nicht nur für sie. Sie liebte ihn und wenn es nicht darum wäre, blieb Merl ein beeindruckender Magier. Sie kannte ihn jetzt seit ihrer Kindheit. Erst als den schüchternen Jungen, der sich immer hinter Zachary versteckte, dann als Freund und schließlich… mehr, so lange es gedauert hatte, bis sie sich das auch ehrlich sagen konnten. So unsicher er zu Zeiten sein konnte, sein Verstand war wach und schien immer auf jede Frage eine Antwort ersinnen zu können. Und dann war da noch sein Erbe… Entweder seine Mutter oder sein Vater waren ein überlebendes Mitglied des legendären alten Volkes gewesen und die gesamte Macht ihrer Magie floss auch durch seine Adern. Vielleicht der Hauptgrund aus dem Zachary sich seiner angenommen hatte…
Und jetzt sollte sie ihn erneut verlieren? Armell weigerte sich einfach das zu akzeptieren.
,, Wenn er morgen nicht aufwacht muss ich ihn irgendwie nach Silberstedt bringen. Oder dafür sorgen, dass man Zachary hierher ruft.“ Sie musste es zumindest versuchen. Die Mittel dazu hatte sie. Freybreak war in den letzten Monaten aufgeblüht und jetzt wo ihr Onkel sich ebenfalls etwa zurückhielt… zum ersten Mal seit langem musste sie sich nicht mehr Fragen, wie die Stadt den nächsten Monat überstehen sollte. Stattdessen könnten sie sich wirklich einmal damit beschäftigen, sie wieder aufzubauen… Nur was nützte ihr das alles jetzt?
,, Ich kann euch nicht davon abhalten, wie ?“ Erik kaute auf dem Stil seiner Pfeife herum. Er war noch nicht dazu gekommen, sie zu entzünden, auch wenn er sie schon den ganzen Morgen mit sich herum trug. Dafür gab es nach dem Desaster im Tal einfach zu viele Verletzte und zu wenige Heiler in der Armee die der Kaiser und die Zwerge zusammengeführt hatten.
Armell schüttelte den Kopf. ,, Ich weiß das es vermutlich nichts bringt. Aber…ich muss es zumindest versucht haben, Erik. Egal was passiert, ob ich Erfolg habe oder nicht, ich würde es mir ewig vorhalten, wenn nicht. Und…“ Sie versuchte sich an einem zaghaften Lächeln. ,, Man hat mir auch mal gesagt, die Nebelküste erreichen zu wollen, sei Wahnsinn.“
,, In dem Fall… und wenn nicht zu viele Verwundete hier zurück bleiben, die meine Hilfe brauchen, würde ich euch zumindest anbieten, mit euch zu kommen. Ich kann Melr nicht wecken, aber ich kann ihn versorgen. Er hat uns allen in diesem verfluchten Tal geholfen.“
,, Nun ich hatte ohnehin vor, Zachary wieder einmal zu besuchen.“ , mischte sich Eden ein. ,, Wenn ihr das wirklich wagen wollt… ich bin dabei. Und Cyrus wird dann wohl oder übel auch mitkommen müssen.“
,, Könnte schlimmer sein.“ , kommentierte der dunkle Wolf nur ihm war allerdings deutlich anzuhören, was er von der Idee hielt, im Herbst durch den Bergschnee zu stapfen. ,, Aber wenn du daran denkst, Elin mitzunehmen wird Galren sie auch begleiten wollen , das wird dem Kaiser nach allem was passiert ist nicht gefallen und wenn wir schon dabei sind, könnte auch deine alte Mannschaft aus Lasanta zu uns stoßen. Wir sollten uns Gedanken machen ob wir nicht gleich die ganze Armee mitnehmen wollen.“
Eden lachte. Armell sah die ältere Gejarn nur ungläubig an.
,, Das würdet ihr wirklich tun ?“
,, Wie gesagt, ich schlage zwei Fliegen mit einer Klappe. Und ich schulde Leuten ungern länger etwas. Aber vielleicht wacht er auch noch auf? Ihr solltet die Hoffnung nicht so schnell aufgeben.“ Mit diesen Worten erhob die Luchsin sich und auch Erik packte seine Sachen zusammen und stand auf.
,, Wenn sich sein Zustand irgendwie ändert, zögert nicht und ruft mich.“ , meinte er, bevor er auch schon verschwand. Es gab nach wie vor genug Verwundete um die er sich zu kümmern hatte.
Armell blieb derweil alleine mit Merl zurück. Oder… nicht ganz alleine, dachte sie. Sie war selten völlig allein gewesen. Sentien hatte es sich auf ihrem angestammten Platz auf ihrer Schulter bequem gemacht und putzte ihr Gefieder. Nach wie vor hatte das Wesen die Gestalteiner Taube. Nur stand einer ihrer Flügel mittlerweile in einem seltsamen Winkel ab, wo er von einer Kugel gestreift worden war. Statt Blut schimmerte jedoch nur reines, weißes Licht unter dem Federkleid heraus. Erik hatte sogar dem Vogel einen schlichten Verband angelegt, doch das flüssige Licht schien einfach durch den Stoff hindurch zu dringen, als wäre er gar nicht da.
Armell strich dem Wesen vorsichtig über den Kopf. Nein, sie war wirklich selten alleine gewesen. Nicht seit jenem Tag, an dem Zachary sie beide zusammengeführt hatte. Seltsam, welchen Einfluss dieser Mann letztlich auf ihr Leben gehabt hatte. Die Angst, die sie bei ihrer ersten Begegnung vor all diesen Jahren verspürt hatte, war mittlerweile Respekt gewichen. Auch Zachary lebte mit einem dunklen Erbe. Als Sohn des Mannes, der einst einen offenen Krieg gegen Kellvian geführt hatte. Und doch war es ihm irgendwie gelungen, sich vollkommen davon zu lösen und zu einem der angesehensten Fürsten des Landes zu werden.
Sentine flatterte unruhig auf ihrer Schulter und riss sie damit aus den Gedanken. Bevor sie noch dazu kam, nachzusehen, was los war, segelte das Wesen bereits ungelenk zu dem nach wie vor bewusstlosen Magier hinab. Mit dem verletzten Flügel kam sie nicht weit, aber da war offenbar auch nicht Sinn der Sache…
,, Sentine ?“ Armell sah zu, wie das Vogel Wesen neben Merls Kopf landete und sie einen Moment traurig und wissend zugleich ansah. Zacharys Worte vor all diesen Jahren gingen ihr wieder durch den Kopf. Was hatte er gesagt? Sentine wäre hier um ihr den Weg zu zeigen… sie zu führen. Und sie hatte Merl gefunden. War es das? Reichte das? Und konnte sie es auch verlangen? Armell wusste es nicht. Doch Sentine schien die Antwort dafür umso klarer. Verständnis spiegelte sich in den dunklen Augen wieder. Sie war viel mehr als ein simples Tier. Ein Geist heraufbeschworen mit einer Magie die dem alten Volk entstammte und was noch… das wusste wohl nur Zachary selbst. Und eines war Armell genau so klar wie ihr. Sie sahen sich grade zum letzten Mal…
,, Danke für alles.“ , murmelte sie leise. Licht strömte aus Sentines Wunde, bis ihr ganzer Körper darin verschwand. Armell musste den Kopf abwenden, als das Strahlen schließlich auch Merls Kopf einhüllte. Einen Moment wurde es im Schatten des Felsens Taghell . Selbst mit abgewendetem Kopf blieb Armell schließlich nur, die Augen zu schließen um nicht geblendet zu werden. Und dann war auch schon alles vorbei. Lediglich einige schneeweiße Federn segelten dort zu Boden, wo eben noch Sentine gewesen war, fielen Merls Schultern und bedeckten diese. Armell wagte es einen Moment nicht sich zu rühren. Merls Zustand schien sich nicht verändert zu haben. Nach wie vor atmete er völlig normal, doch blieben seine Augen fest geschlossen. Hatte, was immer Sentien getan hatte, am Ende nicht ausgereicht?
,,Nein.“ , flüsterte sie leise. Das durfte nicht sein. Das… Sie konnte nicht noch jemanden so sinnlos verlieren. Und dann regte der junge Magier sich. Murmelnd blinzelte er einen Moment ins Licht, dann schlug er endgültig die Augen auf… und sah sie direkt an.
,, Merl ?“ Erneut erlebte Armell einen furchtbaren Moment der Unsicherheit. In seinem Blick lag keinerlei wiederkennen, nur grenzenlose Verwirrung, während er sich langsam umsah. Er versuchte sich aufzusetzen, doch seine Arme wollte ihn nicht tragen und sie blieb er nach einem weiteren Versuch schlicht völlig ausgelaugt liegen.
Die junge Adelige wendete sich ab um nach Erik zu rufen. Die Angst, das er sie schlicht vergessen haben könnte, das er alles vergessen haben mochte… dann jedoch spürte sie plötzlich seine Hand an ihrem Arm
,, Ich kenne dich ?“ Es war eine Frage. Armell zwang sich, sich erneut zu ihm umzudrehen, konnte sich jedoch nicht zu einer Antwort überwinden. Was sollte sie ihm sagen?
,, Ich kenne dich.“ Diesmal klangen die Worte sicherer. Merl versuchte sich erneut aufzurichten. ,, Armell… wie komme ich hierher ? Mein Kopf fühlt sich an, als hätte mich jemand zu mehreren Krügen Zwergenbier überredet.“
Er wusste es noch, dachte sie und fragte sich gleichzeitig ob sie in ihrem Leben schon einmal so erleichtert gewesen war. Statt ihm zu antworten, zog sie den jungen Magier nur zu einem Kuss heran. Die Hände hatte sie dabei in seinen Kleidern vergraben als hätte sie Angst, ihn je wieder los zu lassen.
,, Ich erzähle dir alles.“ , sagte sie, als sie es schließlich schaffte, sich lange genug wieder von ihm zu lösen. ,, Keine Sorge… Aber wir sind in Sicherheit. Zumindest fürs erste…“
,, Das ist gut…“ Er sank bereits wieder auf das Lager zurück und hatte offenbar Mühe, die Auge offen zu halten. ,, Ich träume nicht, oder ? Du bist noch da, wenn ich aufwache?
Armell lachte leise. Das war der Merl den sie kannte. Und gleichzeitig sprach aus diesen müde Augen so viel Schmerz, so viel neues, Düsteres… Erinnerte er sich noch alles, was nach seinem Tod geschehen war? Das Gefangen sein im Nirgendwo? Seine verzweifelten Versuche sie zu erreichen ?
,, Ich gehe nicht weg.“ , versprach sie. Auch wenn sie seine Seite zumindest kurz verlassen würd um Erik zu rufen.. ,, Bleib einfach liegen…“
Die letzten Worte hörte er vermutlich schon nicht mehr, als er bereits wieder in den Schlaf hinüber dämmerte. Aber diesmal, dachte Armell, würde er auch wieder aufwachen. Das wusste sie einfach. Sie hatte ihn wirklich zurück. Trauer und Freude vermischten sich in ihr. Trauer um Sentine… In diesem Moment jedoch überwog das schlichte Wissen, das sie Merl wieder hatte. Doch eines musste sie noch tun, bevor sie Erik rief und danach endgültig hierbleiben konnte um über ihn zu wachen. Es war nicht nur Sentine zu verdanken, dass sie ihn wieder in die Arme schließen konnte. Entgegen ihres Versprechens stand sie leise auf und ging davon…
Um Janis herum herrschte überall reges Treiben. Pferde wurden abgesattelt und überall Zelte aufgeschlagen, wo der unebene Waldboden es erlaubte. Einige Männer waren damit beschäftigt, Holz für die Feuer zusammen zu tragen, während andere bereits für Patrouillen rund um das entstehende Lager eingeteilt wurden. Diesmal würde man sie wenigstens nicht überraschen, sollten die Kultisten sie verfolgen. Doch wenn das der Fall wäre, hätten sie es wohl schon bemerkt.
Fürs erste warne sie wohl in Sicherheit. Es dauerte nicht lange, bis sich hunderte von Zelten unter den Zweigen der Bäume erstreckten. Das Blau der kaiserlichen Garde zeichnete sich deutlich gegen Laub und Unterholz ab , das von den Männern bereits beseitigt wurde. Einige hatten sogar damit angefangen rudimentäre Befestigungen in Form einer Palisade um die Unterkünfte des Kaisers und der Offiziere zu errichten, während anderswo Entwässerungsgräben ausgehoben wurden um die Zelte trocken zu halten.
Die Zwerge hatten ihre Unterkünfte derweil am Rand des Gardelagers aufgeschlagen, runde Zelte , über die man farbige Stoffe gespannt hatte, die das Wappen des jeweiligen Hauses trugen, zu dem die Männer gehörten. Und nie sah man, wie die Farben sich irgendwo mischten. Die einzelnen Truppenteile schienen sehr darauf bedacht, sich von den anderen abzugrenzen. So entstanden ein halbes Dutzend farbige Segmente zwischen denen sich jeweils breite Wege dahinzogen um die einzelnen Häuser zu trennen. Es schien wohl, selbst im Krieg hörten die ewigen politischen Spiele zwischen ihnen nicht auf.
Janis selbst lehnte an einem Baum nicht unweit der großen Kochfeuer über denen bereits das Mittagessen für die Soldaten briet, mehrere große Rehe, die eine Jagdgruppe erlegt hatte, während der Rest das Lager aufschlug. Zwar verfügte die Armee auch über Vorräte, doch hatte sein Vater den Männern wohl erlaubt, sich in den Wäldern auf die Lauer zu legen. Etwas, das man einer Gruppe ausgehungerter Gardisten, die Wochenlag nur Trockenfleisch und Brot gehabt hatten, nicht zweimal sagen brauchte.
Janis selbst lehnte etwas abweist des Troubles an einem Baum. Die dichten Blätter spendeten Schatten und das Rauschen des Winds dämpfte sogar etwas den Lärm, während er an seinem Teil des Mittagessens knabberte und ab und an einen Schluck Wein aus einem Schlauch nahm, den ihm jemand gebracht hatte. Immerhin betäubte der Alkohol die Schmerzen etwas. Ein breiter Verband zog sich über seine Brust und die Hüfte, wo die Lanze ihn erwischt hatte. Er hatte wohl gut ein Drittel der Spitze mitgenommen, als er während ihrer Flucht hinein geritten war. Vermutlich konnte er sich glücklich schätzen, dass die Lanze nicht weiter oben oder unten getroffen hatte. Etwas höher und der Stoß wäre in die Nieren gegangen. Tiefer und es hätte ihm das Becken und das Gelenk zerschmettert. Vermutlich hätte er den Rest seines Lebens nicht mehr richtig laufen können. Verdammt, das konnte er selbst jetzt nicht, aber die Wunden würden heilen. Bis dahin hielt er sich mit Wein bei Laune und humpelte eben anstatt zu rennen. Er gehörte nach wie vor zu den Glücklicheren. Sie hatten so viele im Tal verloren, dachte Janis düster. Zu Viele. Die paar, die er gerettet hatte, hatten ihm auf Knien danken wollen, doch er hatte sie weggescheucht. Es hätten mehr sein müssen. Er hätte… irgendetwas tun müssen. Vielleicht wenn ihm früher klar geworden wäre, das sie in der Unterzahl waren…
Ein Schatten, der sogar das Halbdunkel unter den Zweigen noch etwas verdüsterte, fiel über ihn. Janis sah auf und als er die Gestalt erkannte, nahm er unbeteiligt noch einen Schluck Wein. Es war Armell. Die junge Adelige hatte ihm gefallen, erinnerte er sich düster. Vor einer gefühlten Ewigkeit, als er sie zum ersten Mal in der fliegenden Stadt gesehen hatte. War das wirklich noch keine zwei Jahre her? Im Augenblick stand ihm jedenfalls nicht der Sinn nach Gesellschaft und Armell hatte eigene Wunden zu pflegen. Heute jedenfalls sah sie so mitgenommen aus, wie sie alle… und trotzdem strahlte sie geradezu bemerkte er verwirrt.
,, Was wollt ihr ?“ , fragte er teilnahmslos und nahm noch einen Schluck Wein. Das Getränk betäubte nicht nur die Wunden.
,, Ich wollte euch danken.“ , erklärte sie und hockte sich vor ihn.
Janis seufzte. ,, Ich will euren dank nicht.“, erklärte er kühl, hielt ihr jedoch den Weinschlauch hin.
Die junge Adelige zögerte scheinbar kurz, nahm dann allerdings einen tiefen Schluck, bevor sie fragte: ,, Warum sagt ihr das? Ihr Habt Merl gerettet. Und dafür bin ich euch dankbar, ob ihr das wollt oder nicht.“
,, Weil es stimmt. Ich habe ein Leben zurückgegeben, Armell. Mehr nicht. Da gibt es nichts, wofür ihr mir danken solltet. Hebt euch das für den Tag auf, an dem ich das alles hier wieder ausgleichen kann. Irgendwie…“
Einen Moment lang erwiderte sie gar nichts, sondern sah ihn einfach nur an. Janis musste den Blick abwenden, weil er ihr nicht in die Augen sehen konnte und hoffte einfach stumm, dass sie ihn in Ruhe lassen würde.
,, Ihr habt euch wirklich verändert.“ , stellte Armell schließlich fest. ,, Ihr seid nicht mehr der arrogante Junge, der mir vor allen Leuten den Hof machen wollte, das steht zumindest einmal fest.“ Sie grinste und Janis wusste nicht wieso, aber er lachte mit ihr.
,, Nein.“, erklärte er schließlich und legte den leeren Weinschlauch bei Seite. ,, Glaubt mir, ich weiß selber gut genug was für ein Idiot ich gewesen bin.“
,, So könnte man es auch ausdrücken. Aber das seid ihr nicht mehr, Janis. Ihr habt uns da rausgebracht. Uns alle. Und ihr habt dabei euer Leben riskiert. Ich bezweifle, dass der alte Janis so etwas getan hätte.“
,,Vielleicht.“ Er wünsche er könnte das selber glauben. Es war nicht gut genug gewesen, egal was er getan hatte.
,, Aber ihr kommt klar ?“ , fragte sie. Es war seltsam, die aufrichtige Sorge in ihrer Stimme zu hören. Unvertraut. ,,Ich muss mich auf die Suche nach Erik machen, damit er nach Merl sieht.“
Janis nickte lediglich, während die junge Adelige aufstand und im Gewirr des Lagers verschwand. Vielleicht, mit etwas Zeit, konnte er ihr glauben. Aber nicht jetzt. Dafür waren die Wunden zu frisch… und er selbst sich zunehmend unsicher, wer er eigentlich war.
Er wusste nicht, wie lange es dauerte, bis wieder jemand zu ihm kam. Nur das das Stück Wildbret mittlerweile kalt war und die Wirkung des Weins langsam nachließ. Die Schmerzen in seiner Seite machten sich im Gegensatz dazu langsam wieder bemerkbar, wie eine glühende Klinge, die irgendjemand direkt über seiner Hüfte ins Fleisch getrieben hatte. Doch auch das war rasch vergessen, als sie die Reihen der eben noch vereinzelt in Gruppen umherziehenden oder stehenden Gardisten plötzlich teilten. Einen Moment lang verstummten alle Gespräche, als die Männer Haltung annahmen und ihrem Kaiser begrüßten. Kellvian Belfare bedeutete ihnen jedoch nur, kurzerhand, weiterzumachen und ging weiter zielstrebig auf den Baum zu unter dem Janis saß. Er hatte seinen Vater nur von weitem gesehen, seit sie hier angekommen waren… und eigentlich hatte er gehofft, das könnte noch eine Weile der Fall sein. In seiner vergoldeten Rüstung und dem langen türkisfarbenen Umhang wirkte sein Vater wie die Verkörperung des Herrschers selbst. Nicht nur die Ausrüstung auch das Schwert, das er trug waren so alt wie seine Familie selbst. Zum ersten Mal fürchtete Janis seinen Vater. Und musste feststellen, dass er tatsächlich bedrohlich wirken konnte wenn er wollte. Und dennoch ließ er sich ohne ein Wort neben Janis auf dem Waldboden nieder. Alte Runen und Das Wappen des Kaiser-Hauses waren in den Stahl getrieben worden. Und warne sie nicht auch seine Wappen? , fragte Janis sich. Er war genauso ein Belfaren, wenn auch vielleicht nicht dem Blute nach. Doch konnte oder wollte dieser Mann ihn überhaupt noch als seinen Sohn sehen, wenn er erfuhr, was Janis getan hatte?
Janis hatte diesen Moment gleichzeitig gefürchtet und herbeigesehnt… Und war genau das nicht der Grund für seine Nervosität? Syle hatte Kellvian mittlerweile sicherlich alles erzählt. Und Janis hatte nicht vor irgendetwas davon abzustreiten. Er war es, der Luciens Tod zu verantworten hatte. Und er würde dazu stehen.
,, Syle hat dir mittlerweile sicherlich alles erzählt.“ , stellte Jansi schlicht fest, als der Mann sich neben ihm ins Laub setzte
,, Nicht alles. Ich kann mir zumindest meinen Teil denken.“ , erklärte Kellvian ruhig. Eine Weile lang folgte darauf nur schweigen. Erwartete er, das Janis etwas erwiderte? Dass er sich rechtfertigte? Es gab nichts zu seiner Verteidigung zu sagen. Nur die Möglichkeit, es sich einzugestehen. Bevor er jedoch dazu kam, sich zu erklären, sprach sein Vater schließlich weiter.
,, Aber ich habe auch gehört was du im Tal getan hast.“ Er lächelte mild und legte ihm eine Hand auf die Schulter. ,, Nicht viele wären bereit, ihr Leben einfach so für einen Fremden zu riskieren. Die wenigsten tun es für Freunde.“
,, Es ändert nichts daran, das ich Lucien habe sterben lassen. Ich habe einfach zugesehen, als er fiel, obwohl es in meiner Macht gestanden hätte, es zu verhindern.“ Janis verstand nicht, wie sein Vater derart darüber hinwegsehen konnte? War es wirklich nur binde Liebe zu ihm ? Das schien dem Mann, den er kannte nicht ähnlich zu sehen. Kellvian war ein nachsichtiger Mann… aber nur dort, wo Nachsicht auch angebracht war.
,, Du glaubst nicht, das du eine zweite Chance verdienst ?“
,, Ich glaube nicht, das du mir eine Geben darfst…“ Nicht, wenn er sich nicht auch in seinem Vater getäuscht hatte. Nicht, wenn er jemals hoffen wollte, seine Schuld auch abzutragen. Er wollte keine Vergebung geschenkt bekommen, nur weil sie den gleichen Familiennamen trugen. Kellvian schien tatsächlich eine Weile über seine Worte nachzudenken. Dann jedoch lächelte er.
,, Weil du glaubst ich sei besser als du ?“
Die Frage überraschte Janis. Natürlich. Von seinem Vater behauptete sicher niemand, er habe einen Mann, der ihm vertraute, den Tod überlassen.
,, Janis… ob du mir glaubst oder nicht, aber du bist nicht der einzige, der in seinem Leben Fehler gemacht hat. Manche davon desaströs. Ich habe zugesehen wie ein Dorf, wegen einer Lüge brannte. Weil ich blind den Worten eines anderen vertraute. Manche, die ich bis heute bereue. Ich hätte Andre de Immerson unschädlich machen können, bevor es je zum Krieg kam. Aber ich tat es nicht, weil ich glaubte, dass diesem Ding namens Ehre schaden könnte, ein Monster aufzuhalten. Und manche trage ich bis heute mit mir. Wenn du wüsstest, welche Fehler ich in meiner Jungend gemacht habe, glaub mir, du würdest mich verachten.“ Statt zu erklären, was er damit meinte, wanderte an seine Seite. Janis hatte die Narbe, die sich dort entlang zog bereits gesehen. Eine grässliche Verletzung, die ihn einst fast, oder wenn man manche glaubte sogar tatsächlich, getötet hatte. Vielleicht hatten sie doch mehr gemeinsam, als den Namen, dachte er.
,,Niemals.“ , erwiderter Janis schlicht.
,, Und da bist du dir ganz sicher ?“ Kellvian seufzte. ,, Wir werden unsere Fehler nie vergessen, Janis. Aber wir werden sie auch nicht wiederholen. Und das unterscheidet uns von jenen, die wir bekämpfen müssen.“
,, Was meinst du damit ?“
,, Weißt du Janis, ich glaube nicht, das es so etwas wie Gut und Böse gibt. Nicht in diesem Sinne jedenfalls. Unsere Taten spiegeln unsere Gesinnung nicht immer wieder. Nicht einmal unsere Absichten. Es ist uns eben nicht immer vergönnt, so zu handeln, wie wir es möchten. Oder wie wir es später vielleicht gerne getan hätten. Und doch unterscheiden sich die Menschen darin, wie sie damit umgehen. Wir sind bereit uns unseren Fehlern zu stellen. Und unsere Konsequenzen daraus zu ziehen. Und auch du schreckst nicht davor zurück, zu verstehen, dass das, was den Menschen schadet, ein Fehler sein muss. Und es ist mir egal, was die Leute glauben oder wem sie dienen mögen, solange sie bereit sind, genau das zu verstehen, bin ich bereit jeden von ihnen einen Freund zu nennen … oder einen Sohn.“
Janis war einen Moment nicht in der Lage etwas zu erwidern. Es war nicht die Vergebung, die er befürchtet hatte… sondern die, die er brauchte. Am Ende hatte sein Vater vielleicht Recht. Es war nicht mehr zu ändern. Und er würde es nie vergessen können. Aber das hieß nicht, dass er nicht versuchen konnte, es sich als Warnung zu nehmen. Reichte das wirklich ein guter Mensch zu sein?
,, Und das böse ?“
,, Selbsttäuschung, Janis.“ Kellvians Stimme war leise geworden. ,, Glaubst du, die Kultisten die euch überfallen haben, stellen sich nicht die gleichen Fragen wie du nach jeder Schlacht ? Und doch kommen sie nicht zu der gleichen Antwort. Sie finden immer Rechtfertigungen um auch nach allen Schreckenstaten noch weiter zu machen. Und nichts zu ändern. Das ist, was uns am Ende wirklich unterschiede. Nur das. Du suchst keine Ausflüchte mehr, sondern stehst zu dem, was du getan hast… und den Folgen. Und zwar als das, was sie wirklich sind. Doch nachdem was Syle mir über diese Männer berichtet hat, fürchte ich, dass ihnen diese Erkenntnis verschlossen bleiben wird. Ihre Anführer haben bereits dafür gesorgt, haben aus dem Grauen eine Pflicht gemacht… und eine Tugend. Sie mögen alle nach etwas streben, doch auf die Art, wie sie es tun, wird das nie erreichbar sein. Wie kann ein Krieg gegen die ganze Welt, gegen jeden einzelnen Menschen, jemals Frieden bringen? Er kann nur Enden, wenn alle Unterworfen oder Tod sind.“
,, Das heißt, was tun wir jetzt ?“
,, Jetzt ?“ Kellvian stand langsam auf und klopfte sich das Laub ab. ,, Wir werden einen Weg finden sie aufzuhalten. Doch zuerst, will ich diese Leute alle zurück in Sicherheit bringen. Wenn wir die fliegende Stadt erreichen, können wir uns sammeln und besprechen, wie wir am besten weiter vorgehen.“
Der Hafen von Erindal war nichts mehr als eine qualmende Ruine. Rauchwolken stiegen aus Glut brennender Häuser zum Himmel und verdunkelten die Sonne, die sonst das ganze Land in blendende Helligkeit tauchte. Und auch der Rest der Stadt war geschleift worden. Zu Asche zerfallene Bauten säumten die großen Prachtstraßen, welche die Eroberer vor wenigen Tagen entlang geritten waren. Und sie hatten Feuer mit sich gebracht…
Mit einem hatte der rote Heilige Recht behalten, dachte Träumer. Es hatte kaum Wiederstand gegeben, als seine Männer über die Stadt hergefallen waren. Der Weg durch die Sümpfe und Marschlande hatte sie Zeit gekostet… doch nicht genug, als das die Nachricht über eine Armee, die sich ins Ostmeer einschlich Erindal rechtzeitig erreicht hätte. So wie es aussah, war nicht einmal eine Garnison der kaiserlichen Garde in der Stadt gewesen, als sie ankamen. Auch damit hatte sein Herr also Recht behalten. Und man hatte sie bejubelt als die ersten Schiffe in den Hafen eingelaufen waren. Es hatte keine Barrikaden gegeben… und wie in Helike hatte es Blumen für die als Befreier gekommenen Kreuzfahrer geregnet. Ihre Gesandten hier hatten ganze Arbeit geleistet. Und warum brannte die Stadt dann?
Träumer folgte einer der großen Hauptstraßen, a denen kaum ein Gebäude unversehrt geblieben war ins Zentrum der Stadt. Der Geschmack von Asche lag in der Luft und hinter den eingeschlagenen Fenstern und über die Mauern von Ruinen hinweg verfolgten ihn scheue Blicke. Sie waren als Befreier begrüßt worden. Sie waren als Eroberer gekommen. Man hatte den Fürsten der Stadt bereits hingerichtet, als er schließlich dazu kam und sich durch das Chaos bis z8um Palast durchgekämpft hatte. Der Leichnam von Kaspian Garin baumelte nach wie vor an einem Strick über den Toren, des Prunkbaus, den der rote Heilige mittlerweile als seinen Sitz beansprucht hatte. Träumers Meister war erst vor wenigen Stunden zurückgekehrt. Eigentlich hatte er gehofft, das die Plünderungen damit endlich ein Ende finden würden, doch nichts dergleichen. Träumer selbst konnte nicht darauf hoffen, den Wüten der Männer alleine Einhalt zu gebieten. Sicher, er könnte sie töten, aber dem roten heiligen waren sie zur treue verpflichtet. Und diese… dieser sah zu, wie die Stadt weiter brannte und die Plünderer seit nun fast einer Woche durch die Straßen zogen. Sie sollten Anhänger der Ordnung sein… und verbreiteten doch reines Chaos und Schrecken. Bis auf die Geweihten. Weltliche Güter interessierten die neugeborenen Kinder des Herrn der Ordnung nicht länger und so beteiligten zumindest sie sich nicht an den Raubzügen. Stattdessen hatten sie sich um ihren Meister im Palast versammelt und versteckten sich in den Gemäuern vor der Welt. Dabei hätten sie die Macht und das Wort ihres Gottes verbreiten sollen. Vielleicht sollte er zumindest dafür dankbar sein, dachte Träumer. Er wusste zu gut, was diese Wesen anrichten konnten. Aber er fühlte sich nicht dankbar. Nur Hilflos.
Er traf nur noch wenige Menschen auf den Straßen, während er einen Weg in Richtung Palast einschlug. Das Gebäude ragte jetzt, wo die meisten größeren Bauwerke nicht mehr standen, bedrohlich über den verbliebenen Häusern auf. Diejenigen Bürger Erindals, die nicht längst geflohen waren, versteckten sich in ihren Häusern oder dem, was davon übrig war. Angst und Rauch hingen gleichermaßen wie eine Glocke über der Stadt und ließen die Menschen die Türen verschließen. Die wenigen, die sich nach draußen wagten, blieb meist keine andere Wahl. Kranke und jene, denen die weniger als nichts hatten…
Träumer war darum bemüht, dort zu helfen, wo er konnte. Und doch wichen die meisten Leute nur vor ihm zurück, wenn sie ihn sahen. Sie wussten genau wer er war. Der Mann, der an der Spitze der Flotte stand, als diese in den Hafen einlief… Die rechte Hand des roten Heiligen… die doch machtlos war.
Ein Mann lehnte an der Wand eines halb eingefallenen Hauses und hob langsam den Kopf, als er sich näherte. Die Augen waren fiebrig und über seine Brust zog sich ein tiefer Schnitt, der mit getrocknetem Blut verkrustet war. Er trug die Rüstung einer Stadtwache, doch unter all dem rot war nicht mehr zu erkennen, ob er wirklich einst das Wappen der Stadt getragen hatte oder nur einer der Söldner war, die Lord Garin zu seinem Schutz angeheuert hatte. Söldner, die ihn am Ende für ihr Leben und ein paar Münzen verkauft und vor die Tore seines Palastes gezerrt hatten. So oder so, der Mann war den Massakern vielleicht entkommen, aber er würde in ein paar Stunden tot sein. Zumindest ohne Hilfe. Trotz des Fiebers musste er Träumer wohl erkennen, denn er versuchte, von ihm weg zu kriechen, hatte jedoch bereits die Wand im Rücken.
,,Ganz ruhig…“ Träumer kniete sich neben ihn und streckte vorsichtig eine Hand aus. ,, Ich tue euch nichts…“
Es brauchte nur einen Funken der Kräfte die sein Meister ihm verliehen hatte und seine Hand mit dem schwarzen Mal darauf wurde in blaues Feuer gehüllt. Die Wunden des Mannes wurden in den Schein der Flammen getaucht und Träumer nahm die Schmerzen, die die Heilung mit sich brachte auf sich. Einen normalen Menschen konnten sie um den Verstand bringen. Für ihn war es nur ein weiterer, weit entfernter Stich. Er war über körperlichen Schmerz hinaus. Und er kannte schlimmere Qualen…
Er hatte auf ganzer Linie versagt, hatte weder Sine noch Naria noch sonst jemanden vor dem Zorn seines Gottes beschützen können. Und jetzt blieb ihm nur, die Scherben zu kitten.
,, Danke.“ Das Flüstern des Mannes drang nur wie aus weiter Ferne an seine Ohren. Stattdessen fixierte sein Blick nur die Risse in der Mauer hinter ihm, die Spuren die das Feuer im Stein hinterlassen hatte und die Aschereste, die durch die Luft trieben.
Wortlos stand er auf und drehte sich um. Er hatte diesen Fluch gebracht. Und er verstand nach wie vor nicht wieso. Mit gesenktem Kopf wendete er sich ab und setzte seinen Weg fort, die verlassenen Straßen entlang zum Palast. Er musste mit seinem Meister sprechen,. Vielleicht konnte der rote Heilige ihm helfen, die Dinge wieder im richtigen Licht zu betrachten. Ja… das musste es sein. Er hatte zugelassen, dass ihn das Schicksal der Opfer anrührte… Am Ende diente alles einem höheren Ziel. Und am Ende würden die Toten vergessen werden. Das Leid selbst nur eine Erinnerung sein.
Noch während er dies dachte, drangen Schreie an sein Ohr. Er wollte sich zwingen sie zu ignorieren. Und doch bewegten sich seine Füße von selbst. Nicht fort von den Geräuschen sondern hin zu einem der wenigen noch intakten Bauten in der Straße, von dem die Rufe herüber hallten. Noch ehe er sich überhaupt sicher war, was er da tat, wurden die Türen aufgestoßen und eine Gruppe Männer stürzte heraus. Die meisten trugen irgendwo an ihrer Kleidung das Wappen des Herrn der Ordnung. Die zusammengewürfelten Rüstungen und die schlichte Ausrüstung wirkten nicht so, als gehören sie zu den Männern aus Helike. Diese hielten sich wenigstens an Träumers Anweisungen und blieben vor allem am Hafen. Also waren es die Männer, die die Prediger in Canton angeworben hatten. Jene, die sie willkommen geheißen hatten um dann in einem Feuersturm durch Erindal zu ziehen…
Sie waren zu viert. Hinter sich zerrten sie einen Mann und eine Frau aus den Gebäude. Der Mann war Tod, das konnte Träumer auf den ersten Blick erkennen. Blut sickerte aus der durchgeschnittenen Kehle und einem Dutzend Stichwunden und zog einen roten Schleier hinter der Gruppe her. Die Frau hingegen sah sich nur ängstlich um. Dann wurde sievon einem schweren Schlag zu Boden geworfen und landete in der Blutlache, die sich unter dem Toten ausbreitete. Vielleicht ihr Ehemann oder ein Freund. Die Kleider, die die beiden trugen mochten einmal Edel gewesen sein, nun jedoch waren unter Blut und Schmutz nur noch Lumpen geblieben.
Träumer schloss die Augen, als er auf ihre Höhe kam. Er sollte einfach weitergehen, sagte er sich, befahl es sich sogar. Doch weder seine Beine noch seine Stimme wollten ihm gehorchen. Er blieb stehen und einen Moment hielten auch die vier Schläger in ihrem Tun inne.
,, Was hat sie getan ?“ , verlangte er zu wissen. Vielleicht erkannten sie ihn, vielleicht überraschte sie sein Auftauchen auch nur. Doch als er schließlich sprach wagte es einen Moment keiner, etwas zu erwidern.
,, Sie hat einen Unterstützer des Fürsten vor uns versteckt !“ , rief schließlich einer der Männer und trat dem Toten in die Seite. Dieser wurde durch den Aufprall auf den Rücken geworfen und Träumer sah in ein leeres Gesicht, aus dem ihn zwei trübe werdende Augen anstarrten.
,, Wie gut für euch, das ich ihn nicht mehr befragen kann um die Wahrheit herauszufinden.“ Und wäre er etwas später, hätte er wohl niemandem mehr Lebend vorgefunden. Träumer beugte sich zu ihm herab und schloss seine Augen. Unter dem mit Blut durchtränkten Wams, das er trug schimmerte tatsächlich ein Stahlkürass, wie es die Stadtwache tragen mochte. Was tat er hier eigentlich? , fragte er sich selbst. Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er nicht mehr zuschauen würde. ,, Sprechen sie die Wahrheit ?“ , wendete er sich an die Frau. Sie war so verängstigt, das sie den Zauber, den er sprach wohl nicht einmal mehr mitbekam. Geschweige denn das sie sich dagegen wehren konnte.
,,Nein…“ Ihre Stimme zitterte, während sie unsicher zu Träumer aufsah. ,, Nichts davon… wir… Wir haben nur Versucht zu überleben. Uns zu verstecken. Mein Artur ist…war… Lord Garin hatte hier nur wenige Freunde. Diese Leute sind ohne ein Wort in unser Haus eingedrungen. Sie… Artur wollte noch seine Waffen holen. Sie haben ihm einfach die Kehle durchgeschnitten und…“
Träumer nickte lediglich und lies die völlig aufgelöste Frau sitzen wo sie war. Sie log nicht. Dazu war sie auch ohne seinen Zauber grade gar nicht in der Lage.
,, Natürlich lügt sie um sich zu retten.“ , rief wieder der Mann , der schon zuvor gesprochen hatte und riss sie auf die Füße. ,, Aber wir bekommen die Wahrheit schon aus ihr heraus, keine Sorge !“
Mit diesen Worten hatten er und die anderen die Frau gepackt und gegen die Wand des Hauses gedrängt und versuchten ihr die Kleider vom Leib zu reißen. Erneut sagte Träumer sich, dass er gehen und sich wieder auf den Weg zum Palast machen sollte. All dies musste einen Grund haben, wenn sein Herr es erlaubte. Und doch war seine Entscheidung nicht bereits gefallen?
,,Hört auf.“ , befahl er. Einen Moment glaubte er sie hätten ihn nicht einmal gehört. Die Frau schrie auf, als einer der vier ihr einen Schlag in die Magengrube versetzte. ,, Ich sagte, hört auf !“
Träumers Stimme war leise doch schneidend wie ein Schwert. Einer der Männer hielt kurz inne und musterte den dürren Mann in der Robe eines Archivars, als hätte er den Verstand verloren. Dann wendete er sich bereits wieder seinem Opfer zu. Oder hätte es getan, hätte Träumer ihn nicht in genau diesem Moment an der Schulter gepackt und herumgerissen. ,, Hört ihr nicht ?“
Jetzt bekamen spätestens auch die andere mit, das etwas nicht stimmte und drehten sich Träge zu ihm um. Statt jedoch etwas zu sagen, sahen sie sich lediglich stumm an… und zogen dann die Waffen. Keulen und Messer sprangen in Fäuste. Narren, dachte Träumer und wusste einen Moment nicht ob er über so viel Kühnheit lachen oder weinen sollte. Offenbar glaubten sie wirklich damit durchzukommen. Entweder erkannten sie ihn und es war ihnen egal, oder sie hielten ihn nur für einen weiteren Prediger. So oder so… sie griffen einen Gesandten des Herrn der Ordnung an. Und der Gott beschützt seine erwählten Kinder. Arme Narren.
Der erste kam grade noch dazu die Waffe zu heben. Mit einem Aufschrei stürzte er vor. Träumer war trotzdem schneller. Alles, was er brauchte, war ein Gedanke und der Mann wurde in einer Wolke seines eigenen Bluts zurückgeschleudert, während sich seine Organe verflüssigten. Der zweite lief direkt in die Blutwolke hinein und starb genau so schnell wie der erste. Vermutlich hatte er nicht einmal Verstanden, dass er grade in die Überreste seines Kumpanen geraten war. Die anderen beide ließen plötzlich die Waffen fallen. Träumer kümmerte es nicht mehr. Sie waren tot, bevor sie auch nur dazu kamen, sich umzudrehen um zu fliehen. Innerhalb weniger Herzschläge, war die halbe Straße in einem Nebel aus Blut verschwunden, der langsam auf das Pflaster niederging. Träumer schenkte den Toten jedoch keine Beachtung. Er trat auf die Frau zu, die an der Hauswand in sich zusammengesunken war und immer noch zitterte. Doch diesmal galt ihre Angst nicht ihren Peinigern. Sie sah ihn nur mit weit aufgerissenen Augen an, als er vor ihr stehen blieb und ihr eine Hand hinstreckte. Dann schlug sie sie weg.
,, Dämon…“ Hätte sie gekonnt, sie wäre auf Händen und Füßen vor ihm davongekrochen. Und Träumer blieb nur, verständnislos auf seine Hand zu starren. Hatte sie nicht Recht? War er das wirklich? Was hatte er getan? Und was hatten sie getan? Sie sollten hier sein um Leiden zu beenden und diese Leute zu retten. Und doch war das Gegenteil der Fall. Er bekam nur halb mit, wie er vor ihr zurückwich und sich langsam umdrehte. Hin zum Palast, wo der rote Heilige auf ihn warten würde…
Und Antworten für seine Zweifle liefern musste. Auch wenn Träumer es bezweifelte. Das hier konnte nicht der Wille des Herrn der Ordnung sein. Unwillkürlich musste er an jenen Moment an Bord der Galeeren zurückdenken. Jenen Augenblick in dem sein Meister, die Fassaden hatte fallen lassen, der Augenblick des Zorns. Das hier, war das Werk des roten Heiligen… und es war kein Fehler. Es war Absicht.
In der einsetzenden Dämmerung machte der Palast Erindals einen düsteren Eindruck. Die meisten Fackeln und Feuer, die ihn von außen und innen erleuchteten, waren gelöscht worden und der einst bunt strahlende Sandstein war wie alles in der Stadt mit einer dicken Aschekruste überzogen, genau so wie das feine Mosaik der Steine vor dem Torhaus des Palastes. Noch immer türmte sich ein Aschehaufen davor auf. Beim Fall der Stadt hatten ihre Männer sämtliche Banner von Türmen und Mauern gerissen und schließlich auf einem gewaltigen Scheiterhaufen verbrannt, genau so wie die kaiserlichen Insignien , die sie finden konnten. Von den Standarten von Garden und Stadtwachen
warne nur noch verbrannte oder halb geschmolzene Konstrukte geblieben, an denen nicht mehr zu erkennende Wappen zu Staub zerfielen.
Selbst die Parkanlagen um den Palast wirkten unheilvoll, die Springbrunnen lagen still da, während das Wasser in ihrem inneren langsam schal wurde. Die lichtlosen Fenster des großen Punkbaus wirkten beinahe wie Augen, die abschätzig auf den Verfall herabsahen. Und doch war die Dunkelheit nicht dem desolaten Zustand der Stadt geschuldet. Der Palast war eines der wenigen Bauwerke, die unversehrt geblieben waren und der Ort, an dem man am ehesten noch auf Menschen traf. Aber nicht nur…
Zwei geweihte, die am Tor Wache hielten regten sich im Halbdunkeln als Träumer näher kam. Es waren jene, deren Glaube zu schwach gewesen war, als das sie mit ihrem Segen hatten umgehen können. Jetzt waren es nur noch Bestien mit dem verdrehten Verstand eines Menschen. Doppelt so groß wie er ragten sie neben den Torflügeln auf, dunkle Schatten mit ledrigen Schwingen und glühenden Augen. Dunkle Roben fielen Körper und erweckten zumindest aus der Entfernung noch den Eindruck, es mit Menschen zu tun zu haben. Doch aus der Nähe war klar, dass sie kaum mehr etwas Menschliches an sich hatten.
Die beiden Wächter verneigten sich, wo sie eben noch wie regungslose Statuen dagestanden hatten und ließen ihn passieren. Die Luft um sie herum schien zu flimmern, ob vor Hitze oder Magie, konnte Träumer jedoch nicht sagen. Ihre Körper schienen beides abzustrahlen und ihr Blut war durch die Berührung des Herrn der Ordnung mit beidem entflammt. Im Inneren des Palastes hatten sich weitere der Geweihten versammelt, manche kaum von normalen Menschen zu unterschieden, wenn man einmal von ihren Fähigkeiten absah. Und dann gab es wieder jene, die zu lebendigen Alpträumen geworden waren und sich in den finstersten Winkeln des Palastes verbargen. Für manche wäre es eine Gnade gewesen, sie zu töten, nachdem sie sich als unwürdig erwiesen. Von den Menschen die sie einmal waren und die Träumer in vielen Fällen gekannt hatte, war ohnehin kaum etwas übrig. In ihnen existierte nur noch der Wille ihres Gottes, ihr eigener Geist war fort…
Und doch hatte der sein Meister nie erlaubt, sie zu erlösen.
Die meisten schenkten ihm keine Beachtung und er war zu Aufgewühlt um sich heute lange an ihnen aufzuhalten. Die Kammern, die der rote Heilige für sich beansprucht hatte, lagen fast genau im Zentrum des weitläufigen Prunkbaus und waren nur über einen kleinen Innenhof zu erreichen. Hier war einer der wenigen Orte, an denen man kaum spürte, das Erindal in Trümmern lag. Die Gärten wurden wohl immer noch von den verbliebenen Diener gepflegt. Zumindest von jenen, die sich zu ihnen bekannt und noch nicht geflohen waren.
Zwei künstliche Bäche zogen sich neben einem mit Marmorplatten ausgelegten Pfad zwischen Beeten mit Blumen und kleinen Bäumen hindurch. Trübes Licht fiel durch ein großes Glasdach über Träumers Kopf, während er dem Weg zu einem Turmbau führte, der sich dort an die Mauern des Palastes schmiegte, wo der Pfad endete. Ranken hatten sich ihren Weg die Steine hinauf gesucht und bunte Blüten sprossen aus den äußeren Trieben. Wenn man inmitten dieser Schönheit stand konnte man fast vergessen, wie es in der restlichen Stadt aussah, dachte Träumer. In einem Teich am Wegesrand schwammen große Fische zwischen roten, grünen und braunen Wasserpflanzen umher und ab und an summte ein Insekt über die Wasseroberfläche. Es war ein privates Refugium, das wohl einst auch dem Lord Erindals als Rückzugsort gedient hatte. Nur das dessen Körper sich jetzt mit jeder Briese im Wind drehte und langsam verrottete. Genau wie die ganze Stadt...
Die Tür zum Turm war nicht verschlossen, als Träumer dagegen drückte und ohne anzuklopfen eintrat . Knarrend schwang die Pforte auf und gewährten einen Blick in die Zuflucht seines Meisters.
Sie war erstaunlich schlicht eingerichtet, wie er feststellen musste. Tatsächlich gab es praktisch keine Möbel, sah man von einem einfachen Bett einmal ab. Auch der rote Heilige und die Geweihten brauchten Schlaf. Zumindest, wenn sie keine Kräfte aufwenden wollten um weiterhin Wach zu bleiben. Träumer jedoch verzichtete, so gut es ging darauf. Nach wie vor plagten ihn die Visionen, die er schon seit frühester Kindheit mit sich trug. Und in letzter Zeit nahmen sie wieder zu, ohne dabei jedoch noch vom Herrn der Ordnung zu stammen. Die Visionen, die sein Gott ihm einst geschickt hatte, waren drängend gewesen und es war unmöglich sich ihnen zu entziehen. Diese neuen Visionen hingegen waren vielleicht schwer zu ertragen... aber sie zwangen ihm auch nicht ihren Willen auf. Was er sah beunruhigte ihn und langsam erkannte er auch wieso. Er hatte Erindal gesehen, lange bevor sie über die Stadt hergefallen waren, hatte um das Schicksal gewusst, das sie ihr bringen würden. Und doch hatte er nichts dagegen getan, es sogar verleugnet. Und er erkannte die Gärten wieder, wie man Dinge aus einem fernen Traum erkennen mochte. Es war kein Detail an dem er dieses erkennen fest machen konnte, dennoch gab es keinerlei Zweifel daran, das er diesen Weg in seinen träumen bereits gegangen war.
Ohne sich bemerkbar zu machen, trat er über die Schwelle des Turms und klopfte sich die Asche aus den Kleidern. Wie alles in der Stadt war selbst sein Mantel mittlerweile eher grau, als das er noch Farbe gehabt hätte.
Ein duzend Lampen erhellten den runden Raum, der vor ihm lag und die komplette Innenfläche des Turms einnahm. Ihr schein erhellte die nach oben strebenden Wände nur ungenügend, so das dass Turmdach in der Finsternis verborgen blieb. Rubine , Kristalle und Goldstaub, die zu arkanen Symbolen angeordnet waren glitzerten im Schein der Laternen. Auf den ersten Blick schienen sie keinem besonderen Muster zu folgen und erst auf den zweiten wurde Träumer klar, das sie eine unregelmäßige Spirale hin zum Mittelpunkt des Raums bildeten. Das Licht, das auf sie fiel, schien um sie herum verzerrt zu werden und die Schatten, die sie auf den Holzboden warfen tanzten und veränderten beständig ihre Form. Es war ein zutiefst verstörender Anblick. Die Macht des Herrn der Ordnung war an diesem Ort so Präsent wie sonst kaum irgendwo und Träumer war sich sicher, wenn er es wagen würde, danach zu suchen, würde er sehen, wie der ganze Raum ab und an flackerte und verschwamm, wo die Barrieren, die ihn in dieser Welt verankerten durchlässig wurden.
Der rote Heilige saß mit überkreuzten Beinen genau im Mittelpunkt des Geschehens. Noch war ihr Herr jenseits dieser Welt gefangen und an das Reich der Seelen gebunden. Oder vielleicht durchschritt sein Geist auch die goldenen Hallen der Toten auf der Suche nach der Essenz seiner Anhänger. Und auch wenn der rote Heilige diese Barrieren nicht zum Einsturz bringen konnte, konnte er ihren Herrn doch anrufen. Träumer erhaschte nur einen kurzen Blick auf die schattenhafte Gestalt, die sich gegenüber seinem Meister aufgebaut hatte... dann brach der Zauber plötzlich zusammen und das Wesen löste sich auf wie Rauch über einem erloschenen Feuer. Mit einem Mal schienen auch die Schatten wieder ihre gewohnte Form anzunehmen und das Gefühl schlicht am falschen ort zu sein Schwand. Erst jetzt bemerkte Träumer, das ihm der Schweiß auf der Stirn stand, ob vor Angst oder aus einem anderen Grund wusste er plötzlich nicht mehr zu sagen. Auch nicht, was ihn an der Szene zuvor so beunruhigt hatte...
,,Verzeiht, das ich eure Meditation störe, Herr.“ Rasch sank er auf ein Knie, als sich der rote Heilige schließlich zu ihm umwendete.
,, Träumer...“ Er lächelte tatsächlich als er aufstand und ihm aufhalf. ,, Für einen treuen Diener habe ich immer Zeit. Ihr wirkt besorgt mein Freund“ , meinte er immer noch lächelnd. Sein freundlicher Ton täuschte fast perfekt darüber hinweg, wie unerbittlich er sein konnte. Und immer noch war. Warum hatte er die Massaker in den Straßen nicht beendet ? Er war jetzt bereits einige Tage hier... Und es war nur eine von vielen Fragen, die Träumer quälten. Länger konnte er sie nicht ignorieren. Oder sich der Hoffnung hingeben, das sie sich klären würden. Nicht, wenn sein meister ihm keine Antworten gab.
Der rote Heilige bedeutete ihm schlicht, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Erneut ließ er sich in der Mitte der Anordnung aus Runen und Magie nieder. Träumer selbst zögerte kurz, doch die Macht, die von der Konstruktion ausging, schien fürs erste verloschen.
,, In der Tat bin ich besorgt.“ , gestand er, während er sich setzte. Vielleicht sollte er es einfach wagen, offen zu sprechen. Wenn der rote Heilige seinen Glauben nicht wiederherstellen konnte, wer dann ? ,, Ich habe in den letzten Tagen Dinge gesehen, Herr, die mich erschüttert haben. Und ich Zweifle zutiefst an der Rechtschaffenheit einiger unserer Anhänger. Sagt mir... wenn wir hier sind um diese Leute zu retten, warum lassen wir sie dann noch weiter leiden ? Sie haben die Macht des Herrn der Ordnung gesehen, ist es nicht Zeit, ihnen die Hand zu reichen, wenn sie bereit sind sich zu unterwerfen ? „
,, Ach mein alter Freund...“ Sein gegenüber schüttelte den Kopf und sein Tonfall klang fast vorwurfsvoll... und doch so freundlich, als hätte es den Zwischenfall in Helike nie gegeben. Vielleicht wollte er ihn auch vergessen. ,, Hinterfragt ihr etwa den Willen und die noblen Absichten des Herrn ?“
,, Es sind nicht so sehr seine Absichten die ich hinterfrage als die Methoden, die er uns erlaubt um diese durchzusetzen.“ Und damit brachte er genau das zu Sprache, was ihm keine Ruhe mehr ließ. Wenn der rote Heilige ihm jetzt die falsche Antwort gab... was sagte das dann über den Mann, den der Herr der Ordnung sich als Sprecher erwählt hatte ? Das konnte nicht wahrhaft der Wille ihres Gottes sein. Er würde sich als falscher Führer zu erkennen geben. Und doch, war er der einzige, den sie hatten. Die anderen würden ihm weiter folgen und er würde mit seinen eigenen Plänen fortfahren... ganz offenbar mit dem Segen ihres Meisters. Am Ende würde er Erfolg haben, ob Träumer damit einverstanden war oder nicht. Und wenn der Erfolg des roten Heiligen überall so aussah wie hier, würden sie das Ziel einer geordneten Welt nie erreichen. Im Gegenteil. Sie würden einen Friedhof zurück lassen. Die Erkenntnis war ernüchternd.
Sein gegenüber schein tatsächlich eine ganze Weile über die Frage nachzudenken. Erkannte er etwa den Aufruhr, der sich in Träumer abspielte? Wenn ja, das war ihm klar, würde er gleich sterben. Und doch wäre es besser, als weiterhin mit seinen Fragen zu leben, ohne eine klare Antwort. Eine Antwort darauf, wofür sie noch standen… und warum Sine hatte sterben müssen. War es für den Herrn der Ordnung… oder nur für den persönlichen Rachefeldzug dieses Mannes? Und machte es wirklich einen Unterschied? Ist für dich nur wichtig, wofür sie gestorben ist? Kannst du dem einen eher verzeihen als dem anderen? Die Frage tauchte wie aus dem Nichts in seinem Geist auf und verschwand genauso schnell wieder.
,, Es sind brutale Methoden, Träumer, das gebe ich zu.“ , erklärte der rote Heilige schließlich.
,, Und ist es wirklich nötig, das wir uns für unsere Ziele auf diese… Tiere verlassen?“
,, Ich trauere über die Verluste, genau wie ihr.“, antwortete sein gegenüber. Seine Augen bleiben bei diesen Worten jedoch so kalt, wie eh und je. ,, Aber unsere Sache ist Gerecht und unser Kampf ein Nobler. Und ohne Kampf kann es keine Befreiung geben. Der Krieg bringt Leid mit sich, Träumer… und wir müssen bereit sein, es zuzulassen, wenn es unseren Plänen dient. Bald wird alles vorbei sein, das verspreche ich euch jedoch. Unser nächster Schritt, wird der letzte sein. Der Kaiser wird zu mir kommen, Träumer. Und dann alles verlieren. Endlich sind wir so gut wie am Ziel…“
Seine Stimme klang triumphierend, doch Träumer ließ sich von der Begeisterung seines Herrn nicht täuschen. In seinen Augen brannte nach wie vor kaltes Feuer… und der Wunsch auf Rache. Nur ein Mann würde am Ziel sein. Und das war er. Rache… ging es seinem Herrn wirklich nur darum und nicht mehr um die eigentliche Sache? Und warum der Kaiser ? Was hatte dieser Mann getan, das der rote Heilige so einen Groll gegen ihn hegte? Dass er seine Seele verkaufte, nur um an ihn heran zu kommen?
,, Bald wird nichts mehr zwischen den Menschen und der Wahrheit stehen, mein Freund. Nur noch etwas Geduld.“ , meinte der rote Heilige und das grinsen auf seinem Gesicht jagte Träumer einen Schauer über den Rücken. Er hatte seine Antwort. Und doch wollte er sie noch nicht wahr haben.
,, Aber der Wahrheit solle man doch nicht mit Feuer und Schrecken Nachdruck verleihen müssen.“ Wie in Helike… Er hatte Naria nicht glauben wollen. Doch jetzt glaubte er es. Mit jedem Augenblick, den dieser Mann weitersprach. Und er bereute es mehr und mehr…
,, Oh wie unwissend ihr seid. Nur so bekommt man die Wahrheit wirklich in die Köpfe der Menschen. Unser Herr will es so. Wenn auch nur eine Seele verbleibt, die sich nicht vor ihm beugt, wie sollen wir die Menschen da vor sich selbst retten? Ihr habt ein zu weiches Herz, Träumer…“
Das genügte. Träumer schloss die Augen und stand Ruckartig auf. ,, Ich verstehe, Herr… Erlaubt mir über eure Worte nachzudenken.“ Er hatte gehört, was er hören musste. Und sein Meister war nicht in der Lage gewesen, seine unruhigen Gedanken zu besänftigen. Im Gegenteil, er hatte ihnen nur neues Feuer gegeben. Und wenn sein Herr wirklich korrupt war… was konnte er schon tun? Dann war auch der Herr der Ordnung gescheitert. Und jeder bisher umsonst gestorben. Was konnte er tun? Die Antwort kam so schnell, das er am liebsten gelacht hätte. Es war Wahnsinn. Es würde bedeuten, dass er sich endgültig gegen seinen Herrn stellte. Und er konnte nicht hoffen, sein tun vor ihm zu verbergen. Aber es gab ein Leben hier, das er retten konnte…
Träumer atmete auf, als die Tür des Turms hinter ihm ins Schloss fiel. Ihm war gar nicht aufgefallen, wie drückend der Raum mittlerweile auf ihn gewirkt hatte, trotz der überall brennenden Lampen… und trotz der Höhe. Jetzt im Licht der Gärten schien das Gespräch mit seinem Herrn bereits wie eine ferne Erinnerung, ein böser Traum, der jeden Moment verblassen würde. Und doch war es eben kein Traum. Er sog den Duft der Gärten ein und versuchte, seine rasenden Gedanken zu ordnen, irgendwie doch noch einen Weg zu finden, sich selbst von seinem irrsinnigen Plan abzubringen. Doch die Entscheidung war gefallen, als er die Antworten des roten Heiligen vernahm. Dieser Mann war ein falscher Führer. Oder zumindest, war er es geworden. Träumer wusste nicht zu sagen, wann es ihm das erste Mal aufgefallen war… Nicht bevor er sich ihm voll und ganz verschworen hatte jedenfalls. Nicht bevor das sterben begann. Das konnte nicht der wahre Plan des Herrn der Ordnung sein. Schon gar nicht die kleinliche Rache am Kaiser Cantons. Und doch konnte er ihn auch nicht daran hindern. Sein Herr war bei weitem Mächtiger als er, gesegnet vom Herrn der Ordnung selbst. Wusste der Gott nicht, wen er sich da als obersten Diener auserwählt hatte? Oder war es ihm schlicht egal, solange sein Werkzeug am Ende seinen Zielen diente? Am Ende war es egal. Er wusste, was er zu tun hatte.
Mit eiligen Schritten verließ er den Innenhof und die Lichtdurchfluteten Gärten und tauchte abermals in das dunkle Gewirr aus Gängen ein, die den äußeren Palast bildeten. Diesmal jedoch entzündete er, wo immer er entlangkam Lichter. Gelöschte Fackeln flammten wieder auf, wenn er an ihnen vorbeilief und blendeten die Geweihten, die sich in den Schatten verbargen. Er wusste nicht einmal zu sagen, warum er es tat… aber es erfüllte ihn mit einer stummen Genugtuung. Statt sich einen Weg zurück zum Tor des Palastes zu suchen, schlug er einen weg tiefer in die Eingeweide des Bauwerks ein. Eine große Treppe führte abwärts hinab in den Fels auf dem der Palast stand. Träumer folgte den Stufen abwärts, passierte Weinkeller und Lagerräume, die mit Fässern und Kisten überquollen. Es roch nach schimmligem Holz. Hier unten lagerte das Vermächtnis mehrere Generationen von Herrschern und manche der Kammern hier unten gingen mit Sicherheit noch auf die Zeit der freien Königreiche zurück. Früher einmal, in einem anderen leben, hätte er sich auf die alten Urkunden gestürzt, die in langen Regalen in vergitterten Zellen lagerten. Doch das war vor seiner Weihung gewesen. Vor den Visionen… Und vor der Erkenntnis, dass er sich gegen seine eigenen Herrn stellen musste. Wenn nicht direkt, dann zumindest im Geheimen. Träumer machte sich allerdings keine Illusionen. Wenn er seinen Plan in die Tat umsetzte, würde der rote Heilige davon erfahren… aber er war auch der einzige, der überhaupt in der Lage wäre, den Zorn seines Herrn zu zügeln… und vielleicht wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Zumindest hatte er die Hoffnung darauf noch nicht ganz aufgegeben. Doch dafür musste er ihm seinen Fehler aufzeigen.
Je tiefe er kam, desto grober wurden die Stufen, bis sie schließlich nur noch krude Absätze waren, die ein lange vergessener Handwerker aus dem bloßen Felsen geschlagen hatte. AM untersten Punkt der Treppe schließlich mündet die Treppe in einem kleinen Raum, der lediglich von einer Handvoll Kerzen erhellt wurde. Wasser lief die Wände hinab und bildete kleine Pfützen auf dem Boden. Es gab weder Möbel noch eine Verkleidung für die groben Steinwände.
Eine einzige Tür führte von hier aus weiter. Ein Holzrahmen, der mit eisernen Streben durchzogen war und einen simplen Schacht versperrte. Die Verließe Erindals… oder zumindest jene, die einer der vergangenen freien Könige hatte anlegen lassen. Offiziell waren hier unten schon lange keine Gefangenen mehr festgehalten worden. Zumindest nicht seit Erindal unter kaiserlichem Recht stand und alle Straftäter damit dem Urteil des Kaisers unterlagen. Inoffiziell allerdings… wer wusste schon ob nicht einige arme Seelen für immer in diesen dunklen Katakomben verschwunden waren. Im Augenblick jedoch gab es hier unten nur einen einzigen Gefangenen…
Ein einzelner Geweihter hielt vor der Tür Wache und zuckte zusammen, als Träumer erneut Kerzen und Fackeln heller aufleuchten ließ. Das Wesen das einstmals ein Mensch gewesen war, hob dieArme um sich vor der Helligkeit zu schützen und funkelte ihn dabei böse an. Die rötlichen Augen lagen tief in ihren Höhlen. Der dazugehörige Schädel war nur noch zur Hälfte menschlich zu nennen. Dunkle Schuppen zogen sich den Hals hinauf und verschlagen einen Teil des Kiefers, aus dem spitze Zähne sprossen. Zwei verkümmerte Flügel die mit dunklen Federn besetzt waren ragten aus seinem Rücken. Eine schaurige Wache.
,, Was wollt ihr ?“ Das Wesen zischte wütend und schlug mit den Schwingen, wie um die Kerzen zu löschen. Nicht, das Träumer das zugelassen hätte… Er gab keine Antwort, sondern wartete regungslos und mit gefalteten Händen, bis der Geweihte sich wieder beruhigte.
,, Ich möchte die Kerker besuchen.“ , erklärte er kühl, während sein Gegenüber die schwingen um sich faltete. Ein dunkler Umhang, der zumindest einen Teil seines verzerrten Wesens verbarg. Die Strafe seines Herrn für die Unwürdigen, die trotzdem nach einer Macht griffen, war hart. Immerhin schien der Mann sich einen Teil seiner selbst bewahrt zu haben.
,, Der Herr hat verfügt, das nur er alleine den Gefangenen besuchen darf. Warum ist er nicht mit euch gekommen?“
,, Ich bin seine Stimme.“, erwiderte Träumer und gab sich nicht einmal Mühe, den warnenden Unterton in seiner Stimme zu verbergen. ,, Und ich bin euch auch keine Rechenschaft schuldig. Tretet bei Seite.“
Einen Moment war er fest davon überzeugt, dass der Geweihte sich wiedersetzen würde. Egal, wie töricht das wäre. Ein einfacher Geweihter war so weit von seiner Macht entfernt, wie er davon, auf einer Stufe mit dem roten Heiligen zu stehen. Träumer wusste später nicht zu sagen, wie lange sie sich später Auge in Auge gegenüberstanden. Schatten sammelten sich um seine Gestalt schlichen um seine Füße wie streunende Katzen und wanderten die Wände der kleinen Höhle hinauf. Er könnte spüren, wie das Blut durch das dunkle Mal an seiner Hand pulsierte. Dann endlich wich der Dämon vor ihm zurück und senkte respektvoll den Kopf.
,, Wie ihr wünscht.“ , mit diesen Worten trat die Kreatur bei Seite und gab damit den Weg in die Verließe frei. Träumer schenkte ihr keine Beachtung mehr. Es hätte keinen Sinn, den anderen erklären zu wollen, dass ihr Meister sich vom Weg ihres Gottes entfernt hatte, das wusste er. Vielleicht würden ihm einige wenige zuhören. Doch nicht jene, die ihre Menschlichkeit geopfert hatten um die Macht zu erhalten, nach der sie strebten. Ihnen ging es nicht darum, der Welt eine neue und prosperierende Ordnung zu bringen. Nur um die Macht ihren eigenen Willen durchzusetzen. Am Ende waren sie damit nicht anders, als der rote Heilige. Und vielleicht war das der einzige Grund, aus dem er sie akzeptierte, anstatt diese Erbarmungswürdigen Kreaturen zu vernichten. Und wenn das der Wahrheit entsprach, dachte Träumer, dann hatte er keine Chance, keine Verbündeten… Er stand alleine mit dem Wissen, das sie ihren Weg verloren hatten. Und er war damit auch der einzige, der sie vielleicht wieder dorthin zurückführen konnte. Es war eine bittere Erkenntnis.
,, Ich danke euch für eure Dienste.“ , murmelte er, während er an dem Wächter vorbeitrat und die Hand hob. ,, Sie werden nicht mehr gebraucht.“ Der Geweihte kam nicht einmal mehr dazu, zu schreien, als der Zauber den Segen von ihm nahm. Asche rieselte dort herab, wo er eben noch gestanden hatte. Das war alles, was von der Gestalt des Dämons geblieben war. Das… und der leblose menschliche Körper, der langsam inmitten der Aschewolke zu Boden sank. Träumer bezweifelte, dass er noch am Leben war. Der Schock der Weihung war schon schrecklich… den Segen jedoch wieder zurück zu ziehen kam bei jemand, der sich bereits soweit verändert hatte einem Todesurteil gleich.
Die Tür zu den Verließen ließ sich nur schwer öffnen. Das Metall der Scharniere war verrostet und kleine Brocken davon regneten zu Boden, als sie schließlich Stück für Stück aufschwang. Dahinter lag der Weg im Dunkeln. Doch Träumer hatte nicht vor, weit in die Dunkelheit hinein zu gehen.
Ein dutzend rostige Zellentüren waren entlang eines niedrigen Gangs in den Fels eingelassen. Nur eine davon war geschlossen, öffnete sich jedoch unter Träumers Berührung und einem schwachen Zauber sofort. Das Gitter schwang in einen genauso dunklen Raum hinein auf. Hatte es draußen auf dem Gang zumindest noch das Licht gegeben, das von den Kerzen aus dem Vorraum hereinfiel, so war es hier endgültig stockfinster. Es gab nicht einmal Kerzen oder Fackeln, die man hätte entzünden können. Träumer erschuf eine kleine Flamme in seiner Hand, die kaum Licht abgab. Nicht, weil ihm die Dunkelheit unbedingt behagte. Aber der Gefangene, der so lange Zeit im Dunkeln verbracht hatte, würde ihm wohl dafür danken, nicht geblendet zu werden. Bis auf das Stroh, das unter seinen Füßen knisterte, war die Zelle genauso karg, wie der Gang und der Vorraum.
Eine einzelne Gestalt erhob sich langsam an der Rückwand der Zelle und blinzelte ins schwache Licht.
Zyle Carmine wirkte erschöpft und Träumer war sich einen Moment nicht einmal sicher, wie der Mann sich überhaupt noch auf den Beinen hielt, so mager wie er war. Dann wiederum… der Gejarn vor ihm war auch kein gewöhnlicher Sterblicher, nicht? Frische und alte Wunden hatten ihre Spuren hinterlassen und blitzten als rote Flecken im Licht der Flammen auf. Nach wie vor heilten die Verletzungen schneller, als er das je für möglich gehalten hätte… doch nach Tagen der Folter schien selbst die uralte Magie, die Zyle am Leben erhielt langsam an ihre Grenzen zu stoßen. Vielleicht hätte er noch ein paar Tage überstanden… Was erhoffte sich sein Herr davon, den Mann weiter gefangen zu halten? Vielleicht wollte er die Antwort gar nicht wissen. Nur das es hier ein Ende haben würde.
,, Was wollt ihr ?“ Der Gejarn schien ihn nicht zu erkennen, während er schützend die Hände hob und gegen das Feuer blinzelte. ,, Seit ihr gekommen um mich weiter zu foltern ? Ich habe euch bereits gesagt, dass ihr von mir keine Antworten bekommen werdet, selbst wenn ich welche hätte. Oder wollt ihr nur herausfinden, wie lange es dauert, bis dieser Körper versagt?“ Seine Stimme zitterte, doch mehr vor Schwäche denn vor Angst. Zyle Carmine schien trotz seines Zustands kühl und beherrscht oder vielleicht wollte er zumindest so wirken. Dem roten Heiligen gegenüber noch schwäche zu zeigen war am Ende ohnehin so sinnlos, wie Gnade von einem Steinschlag zu erwarten…
,, Nichts davon.“ Träumer ließ die Flamme von selbst zur Decke der kleinen Zelle steigen, so dass sie den Gefangenen nicht länger direkt blendete. ,, Ich bin nicht hier um Leute zu foltern. Das ist weder meine Aufgabe, noch mein Wunsch. Die Wache ist Tod und der Palast weitläufig genug, das ihr eine Chance haben solltet. Ich will das ihr geht…“
Er trat bei Seite und nickte in Richtung der offen stehenden Zellentür. Einen Moment lang schien Zyle unsicher, ob er sich auf ihn stürzen oder tatsächlich gehen sollte. Erneut blinzelte er und schien ihn erst jetzt wirklich zu erkennen.
,, Ihr seid nicht… Ihr seid Träumer, oder? Naria hat von euch erzählt…“
Noch jemand, den er enttäuscht hatte. ,, Lebt sie noch ?“ , fragte er trotzdem.
,, Ich weiß es nicht.“ , erwiderte Zyle und sha zu Boden.. ,, Als ich sie das letzte Mal gesehen habe zumindest schon. Aber was nach meiner… Wys ist tot, oder? Niemand hat mir irgendetwas gesagt.“
Diesmal war es an Träumer wegzusehen. ,, Ich fürchte ja. Aber wenn ihr sein Schicksal nicht teilen wollt, müsst ihr jetzt gehen. Verschwindet, bevor jemand merkt, was ich getan habe…“
Immer noch schien Zyle unsicher, ob er ihm trauen sollte. ,, Ich schätze, wenn ihr mich bloß hinterrücks töten wolltet, wäre das schon geschehen. Und auch wenn ich nicht verstehe, warum ihr das tut… warum kommt ihr nicht mit?“
Träumer schüttelte den Kopf. Er verstand es nicht, dachte er. Nach allem, was er hier durchgemacht hatte verstand er es immer noch nicht. Am Ende konnten sie nicht gewinnen. Und Träumer hatte geschworen, dem Herrn der Ordnung zu dienen. Mochte ihr Anführer korrumpiert sein, es änderte nichts an ihrem Auftrag. Selbst wenn er bereit wäre, diesen Eid zu brechen, was sollte es bringen? Man konnte seinen Herrn nicht bezwingen.
,, Nein…“ Erneut schüttelte er den Kopf. ,, Mein Platz ist hier. Man wird mich für meine Taten vermutlich töten, aber ich glaube nach wie vor an unsere Sache. Aber nicht, das wir dafür wehrlose Gefangene Foltern müssen. Und ihr solltet a darüber nachdenken aufzugeben. Der rote Heilige wird gewinnen, versteht ihr das nicht? Aber solange ich hier bin kann ich zumindest noch versuchen, seinen Zorn zu zügeln. Ihr solltet das Gleiche tun, wenn ihr klug seid… Kehrt zu euren Leuten zurück. Und überzeugt sie sich zu ergeben. “
,, Und sei es nur, weil ich euch mein Leben schulde… ich will ihnen zumindest eure Worte überbringen. Und… Danke…“ Zyle trat in den niedrigen Eingang der Zelle und sah noch einmal zu ihm zurück.
,, Dankt mir nicht. Betet lieber, das eure Freunde die Wahrheit erkennen und sich unterordnen. Das ist der einzige Weg, weiteres Leid zu verhindern. Der rote Heilige wird keine Gnade zeigen… das weiß ich jetzt.“
Einen letztes Mal nickte Zyle ihm zu… dann verschwand er endlich auf den Gang und ließ Träumer alleine zurück im Halbdunkeln. Mit einem Gedanken löschte er die Flamme über sich und setzte sich auf den Boden. Es würde nicht lange dauern, bis sein Verrat erkannt wurde. Und dann… dann würde er sterben.
Ihre Rückkehr in die fliegende Stadt war kein Triumph. So froh Jiy darum war, Janis und Kellvian lebend zurück zu haben… so bitter war der Nachgeschmack, den die Nachrichten hinterließen, welche sie mit sich brachten. Das Herz des Kaiserreichs war von tausenden Kerzen und Fackeln erleuchtet, die alles in grelles Licht tauchten. Selten fanden sich mehr als ein Dutzend Personen gleichzeitig im Thronsaal ein,: Heute jedoch waren es hunderte, die unter dem großen Deckengemälde an großen Tischen und Bänken saßen, die man hastig hereingebracht hatte um für alle Platz zu haben. Man hatte die Tafel in einem Halbkreis angeordnet, so dass jeder den Rest der Anwesenden sehen und hören konnte. Doch im Augenblick ruhten ohnehin alle Augen auf Kellvian, der im Zentrum der Tafel saß. Der Bernsteinthron selbst stand verweist in der Mitte der großen Halle und speigelte das Licht der Kristalle wieder. Die schweren Säulen, welche die Decke trugen waren mit magischen Lichtquellen überkrustet und mischten das warme Kerzenlicht mit ihrem kühlen Schimmer. Ein halbes Bataillon Wachen hatten sich an den großen Flügeltüren des Saals positioniert und weitere dreißig warne im gesamten Raum verteilt, Zwerge genauso wie kaiserliche Gardisten, alle darauf bedacht, den kläglichen Kriegsrat zu schützen, der sich hier versammelt hatte. Die Seite, die jenen Generälen und Fürsten aus dem Osten des Imperiums vorgehalten gewesen wäre, blieb unbesetzt und statt der Heerführer traf nur ein endloser Strom aus Boten ein.
Man erwartete eine Entscheidung von ihm, antworten vielleicht, irgendetwas zumindest … Kellvian brütete stumm vor sich hin, während der Strom aus Boten, die aus dem Süden hereinkamen schlicht nicht abreißen wollte.
Jiy hatte ihn selten so erschöpft gesehen wie in diesem Moment. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Rüstung abzulegen, als er und die anderen in den Palast zurückgekehrt waren, sondern hatte sofort veranlasst, dass man Kommandanten und Adelige in den Thronsaal riefen ließ. Währenddessen hatten sich die Nachrichten über die Vorkommnisse am roten Tal längst in der ganzen Stadt verbreitet und so brauchte er nicht lange erklären, was vorgefallen war… und ihr blieb nur, ihm verstohlen eine Hand auf den Arm zu legen.
Ein kurzes Lächeln huschte über seine Züge, erlosch jedoch sofort wieder, als Syle sich langsam erhob. Der Hochgeneral wirkte nicht weniger müde, während er von seinem Platz und in die Mitte der Runde trat.
,, Erindal ist gefallen.“ , erklärte er schlicht. ,, In den letzten Stunden und schon auf unserem Weg hierher haben uns Boten und Flüchtlinge eingeholt. Die Stadt brennt und ich fürchte sie ist jetzt in den Händen der Kultisten. Von dem was man uns berichtet hat, zeigen diese Männer auf ihrem Weg weiter nach Westen kaum Gnade. Die Geisterbäume und Wälder um Erindal brennen sie nieder, die Priester der Götter begraben sie unter ihren eigenen zerstörten Tempeln. Sie haben weder vor Frauen noch vor Kindern einen Unterschied gemacht, wenn sie sich nicht zu ihrem Gott bekannt haben. Und selbst jene, die sich bekennen… Der Wind, der aus dem Süden weht, flüstert von Tod, Herr. Wenn wir sie jetzt nicht aufhalten fürchte ich, könnten sie in wenigen Wochen schon bei Vara sein.“
,, Das ist meine Schuld.“ Janis richtete sich etwas auf seinem Platz auf. Auch nach fast zwei Wochen, die sie für den Rückweg gebraucht hatten, waren seine Wunden noch nicht ganz verheilt. Doch immerhin konnte er sich fast wieder normal bewegen und hier konnten sich nun auch einige Magier seiner Verletzungen annahmen. Jiy konnte nicht anders, als dankbar dafür zu sein, das ihm nicht mehr geschehen war. Doch der Gedanke an das, was sie verloren hatten, sorgte dafür, dass ihr die Erleichterung darüber schnell bitter wurde. Sie hatte Kellvian und Janis vielleicht gesund zurück erlangt. Sie lebten noch… Und doch fürchtete sie nun nicht wenige rum sie, da sie beide wieder in den Mauern der fliegenden Stadt waren. Die Schlacht am Tal war erst der Anfang gewesen, das wusste sie. Jiy hatte so etwas schon einmal erlebt. Und doch hatte sie stumm gehofft, dass es nie wieder der Fall sein würde… ,, Es war meine Idee, die Garnison der Stadt abzuziehen…“, fuhr Janis derweil fort.
,, Du hast unmöglich vorhersehen können, was geschehen würde.“ Syle verschränkte die Arme auf den Rücken. ,, Jetzt geht es darum, wie wir die Stadt wieder zurück gewinnen. Das rote Tal war eine Kriegserklärung… und ich fürchte vielleicht noch weitaus mehr.“
Jiy nickte stumm. Janis hatte sich verändert, dachte sie. Sie hatte gerne darüber hinweggesehen doch früher wäre es undenkbar gewesen, das er einen Fehler so frei heraus zugab. Er war… nicht mehr ganz der Junge, den sie so schweren Herzen hatte ziehen lassen. Ein Teil von ihr fühlte sogar etwas Stolz dabei. Janis war… erwachsener geworden, dachte die Gejarn. Auch wenn der Preis hoch gewesen war, daraus hatten weder Syle noch Kellvian ein Geheimnis gemacht. Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie Wut auf Janis verspürt, als sie hörte, wie er Lucien abstürzen ließ. Wut, die sie jedoch nur zu gerne wieder besänftigt hatte, als der junge Mann, den sie kaum wiedererkannte , vor ihr auf die Knie gegangen war, trotz der Verletzung, und auch sie um Verzeihung gebeten hatte. Um eine ehrliche hatte er gesagt. Mochten auch Syle und sein Vater ihm vergeben… ohne ihren Segen hätte er keine Ruhe mehr. Jiy hatte tatsächlich einen Moment gezögert, bevor sie ihn auf die Beine gezogen und in den Arm genommen hatte. Es schien eine Ewigkeit her. Bevor der Rat begann und die endlosen Schreckensnachrichten eintrafen.
Erik, Cyrus , Eden und die andere hatten ihnen mittlerweile alles Berichtet, was sie erfahren hatten. Und doch war Jiy unsicher, was sie davon glauben sollte… oder wollte. War ihr Feind dieses Mal wirklich ein Gott? Oder zumindest ein Wesen, das von seiner Macht her leicht genau so mächtig war ? Ein Schauer lief ihr den Rücken herab. Das war etwas anderes, als Andre de Immerson. Ja es war sogar etwas anderes, als Ismaiels Machenschaften. Beides verblasste im Kontrast hierzu geradezu.
Ihr Blick wanderte zu Galren, der fast genau so düster dreinsah wie Kellvian. Seine Wunden verheilten nur langsam, aber immerhin hatte sich nichts entzündet. Trotzdem hatte er seinen Teil der Geschichte nur im Sitzen erzählen können, konnte er sich unter den Bergen aus Verbänden doch ohnehin kaum bewegen. Jede unnötige Regung schickte Schmerzenswellen durch seinen Körper und auch hier in der fliegenden Stadt konnte man wenig mehr für ihn tun, als das, was Erik ohnehin schon veranlasst hatte. Irgendwie hing das alles mit dem Jungen zusammen, dachte sie. Aber die Geister mochten sie verfluchen wenn sie wusste wie.
,, Wenn ihr sie zurücktreiben wollt, könnt ihr auf uns zählen.“ Hadrirs Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Der neue König der Zwerge saß, zusammen mit Kasran, inmitten einer Gruppe Abgesandter der verschiedenen Häuser seines Volkes. Und auch Quinn hatte sich, in seinen schwarzen Roben einem Schatten gleich, zwischen ihnen eingefunden. Der oberste Ordensmagier hatte die Hände im Ärmel seiner Robe verschränkt und sein Blick wanderte immer wieder zu Merl. Weder Armell neben ihm, noch der junge Magier jedoch schienen den Blick überhaupt zu bemerken, während Hadrir schließlich fortfuhr: ,, Sie haben jetzt auch unser Land besetzt. Und so entehren lassen sich die Häuser nicht. Das wäre ja beleidigend, wenn wir uns aus einem Land vertreiben lassen, das wir bisher nicht einmal gesehen haben.“ Er lachte. ,, Wenn ihr diese Kultisten zurück schlagen wollt, könnt ihr euch unserer Hilfe sicher sein.“
Jiy hatte sich bisher kein Bild von Hadrir machen können. Doch in diesem Augenblick wirkte er wirklich wie ein König. Es gab kein zögern, kein murren unter den Anwesenden Thanen… Er hatte sie an ihrer Ehre gepackt und selbst Kasran nickte lediglich kaum sichtbar, während Hadrir sprach. Immerhin konnten sie sich offenbar auf die Zwerge verlassen. Etwas , mit dem sie anfangs wohl kaum gerechnet hätte. Nicht mit den zerstrittenen Häusern, die sich nur um ihre eigenen Ziele kümmerten und nicht um die viel größeren Herausforderungen, vor denen sie alle standen. Doch Hadrir schien seine Leute langsam unter Kontrolle zu bekommen. Ob sie nun einem Gott gegenüberstanden oder nicht, wenn sie es wirklich schafften an einem Strang zu ziehen, dann hatten sie eine Chance. Am Ende waren sie schon einmal durchs Feuer gegangen, oder nicht? Und dieses Mal wäre Kellvian immerhin von Anfang an bei ihrer Seite.
Wenige Augenblicke später jedoch, wurden ihre Hoffnungen bereits wieder zerschmettert, als die Tore des Thronsaals sich öffnete und ein weiterer Bote eintrat. Diesmal jedoch trug er nicht die zerlumpte Kleidung der Flüchtlinge sondern kaiserliche Livree. Es war ein Wolf mit weißem Fell, der sich rasch verneigte, als die Wachen ihn anhalten wollten. Er stand immer noch Halb in der Tür, während er darauf wartete, das ihn jemand aufforderte zusprechen.
,, Was gibt es denn ?“ , fragte Kellvian, der sich wie alle anderen erhoben hatte und den unerwarteten Besucher musterte.
,, Herr, verzeiht mein Eindringen, aber so eben sind noch weitere Leute eingetroffen. Sie verlangen euch zu sprechen und…“ Im Flur hinter ihm wurde kurz Lärm und Stimmengewirr hörbar. ,, Sagen wir, sie bestehen darauf mein Kaiser. Ich habe versucht sie abzuweisen, aber…“
Erneut wurden Stimmen laut und Jiy meinte sogar kurz einzelne Worte zu verstehen und sah die Schatten der Wächter, welche die Neuankömmlinge zurück hielten.
Kellvian seufzte tief. ,, Sagt ihnen, ich werde zu ihnen sprechen, sobald die Versammlung hier beendet ist. Alle, die aus Erindal geflohen sind, werden eben noch etwas mehr Geduld haben müssen…“
,, Nun, das ist es ja grade Herr, sie sind nicht aus Erindal…“
,, Was ?“
,, Kellvian. „ Eine hochgewachsene Gejarn drängte sich an den Wächtern vorbei und trat unaufgefordert in den Saal. Ein langer Umhang aus zusammengenähter Feder fiel ihr über die Schultern, der von der Reis jedoch arg mitgenommen wirkte. Auch das Kleid das sie trug hatte sicher schon bessere Zeiten gesehen, trotzdem trug sie den Kopf so hoch, als würde sie die versammelten Herrschaften gar nicht bemerken. Und sie war definitiv wütend. Relina ? Die Schakalin wischte sich einige graue Haarsträhnen aus dem Gesicht, während sie auf die Tafle zuging. ,,Mir scheint ihr habt in den letzten Jahren vergessen, was Gastfreundschaft bedeutete.“
,, Ihr müsst verzeihen Relina, ich hatte euch nicht erwartet.“ , erwiderte der Kaiser grinsend, nur um ernst hinzuzufügen : ,, Bitte sagt mir, das eure Ankunft hier nicht bedeutet, was ich fürchte…“
Relina war mittlerweile stehen geblieben. Bei Kellvians Worten fielen Empörung und Wut wie ein Schleier von ihr ab und sie schloss einen Moment die Augen. ,, Maras ist zerstört worden.“ , erklärte sie leise. ,, Ich glaube ihr wisst bereits von wem. Und…“ Sie zögerte. Hinter ihr trat mittlerweile eine weitere Gestalt ein, eine jüngere Gejarn, die Relina wie aus dem Gesicht geschnitten wirkte, sah man davon ab, das sie nur einen schlichten grauen Mantel trug. Naria… Geister es war fast ein Jahr her, das sie Relinas Tochter das letzte Mal gesehen hatte, dachte Jiy. Doch das war alles. Außer den beiden Frauen folgte niemand mehr. Einer zu wenig. Und ihr wurde langsam klar, warum Relina nicht weitersprach. Nein…
,, Zyle ?“ Ihre Stimme war kaum ein Flüstern.
,, Ich weiß nicht sicher ob er tot ist. Aber er ist verschwunden. Ich… ich glaube schlicht nicht, das er tot ist.“ Zyle war bei weitem einer ihrer ältesten Freund gewesen. Und auch wenn sie mit der eher kalten und berechnenden Relina nie ganz dasselbe verbunden hatte… es tat weh zuzusehen, wie sie sich weigerte, seinen Tod zu akzeptieren. Gerne hätte sie geglaubt, dass sie Recht haben konnte. Aber was hatte Zyle schon je von seiner Familie trennen können… Der Gedanke war schön und schrecklich zugleich, denn am Ende ließ er nur eine Schlussfolgerung zu.
,, Was ist geschehen ?“ Jiy konnte es sich vielleicht denken aber… sie musste es trotzdem noch hören.
,, Sie haben ihre Strafe bekommen.“ Mit einem Mal schien es dunkler in der Halle zu werden. Die Kristalle flackerten, genau wie die Lichter der Kerzen und Fackeln. Selbst das Mondlicht, das durch die Fenster hereinfiel war mit einem Mal gedämpft, als eine weitere Gestalt durch die noch offenen Türen trat. Alle Anwesenden rückten instinktiv dichter zusammen, während sie sich zu dem Mann umwendeten. Jiy suchte Kells Hand, während ihre freie nach den Dolch tastete, den sie trug.
Der Fremde war weder ein weiterer Bote noch ein Flüchtling. Jiy meinte den Luftzug zu spüren, der ihn begleitete, kalt wie das Grab. Eine braune Kutte fiel über seinen Körper, die verkrümmten, aber zumindest menschlichen Finger umklammerten den Griff eines schweren Stabs. Und mitten auf dem dunklen, von der Reise fleckigen Stoff, den er trug prangte das Symbol einer roten Hand mit drei Fingern…
Mit einem Mal war es Totenstill in der Halle geworden. Das einzige Geräusch stammte vom Geräusch der Schritte , die der Prediger machte und dem stetigen leisen Klacken von Holz auf Marmor, wenn er den Stab hob. Er hatte den Raum schon halb durchquert, als sich endlich die ersten Gardisten aus ihrer Erstarrung lösten. Innerhalb weniger Herzschläge senkten sich zwei Dutzend Gewehrläufe und zielten auf den Mann. Dieser blieb zwar stehen, schenkte dem Ring aus Mündungen um sich herum jedoch keine Beachtung. Stattdessen war sein Blick starr grade aus auf den Kopf der Tafel gerichtet. Auf den Kaiser… Es war beinahe, als würde er darauf warten, dass der Befehl gegeben wurde ihn zu erschießen. Galren lief ein Schauer über den Rücken. Unwillkürlich musste er an den Kultisten denken, der sich damals auf Hamad lieber verbrannt hatte, anstatt Gefangen zu werden. Fanatiker, dachte er. Ob dieser Mann nun ein Geweihter war oder nicht, er war kaum weniger entschlossen oder Gefährlich. Aber was wolle er hier?
Galren verfluchte den Umstand, dass er kaum in der Lage war, alleine aufzustehen. Geschweige denn zu kämpfen sollte es darauf ankommen. Selbst ohne die Schmerzen erschwerten die steifen Verbände, die sich um seinen Oberkörper und über den Rücken zogen jede Bewegung.
Kellvian Belfare erhob sich von seinem Platz und bedeutete den Gardisten rasch, die Waffen zu senken. ,, Lasst ihn. Er soll sich erklären.“ , befahl er.
Nur zögerlich folgten die Männer dem Befehl und traten wieder zurück auf ihre Posten. Derweil war der Fremde in der Robe eines Predigers endgültig stehen geblieben und sah mit etwas, das man verachtendes Desinteresse nennen konnte, zu Kellvian auf.
,, Was wollt ihr hier ?“ Die Stimme des Kaisers klang vollkommen beherrscht. Mit einem Mal schien die Müdigkeit von ihm abzufallen, während er den Boten musterte.
Dieser machte keine Anstalten, noch näher an die Tafel heranzutreten. Stattdessen schlug er die Kapuze zurück und begann zu sprechen: ,, Ihr wisst wer ich bin und wer mich schickt, Kellvian Belfare.“ Die Stimme des Mannes war fest und deutlich und in der Stille klang sie beinahe wie ein Donnerschlag. Er war mittleren Alters mit kurzen blonden Haaren und Augen, denen ein beunruhigender, rötlicher Schimmer innewohnte. Einst waren sie lediglich grau gewesen, doch irgendetwas schien mit diesen Leuten zu geschehen, sobald sie sich dem Herrn der Ordnung verschrieben. Janis und Syle hatten bereits von den Geweihten berichtet, doch dieser Mann war kein Monster. Dennoch trug er ganz offenbar das Zeichen seines Herrn.
,, Ich weiß, das ihr uns angegriffen und mein Volk sowie meine Soldaten ermordet habt.“ , erwiderte Kellvian ruhig. ,, Ich weiß was ihr in Erindal getan habt. Und noch einiges mehr. Ihr habt bereits hunderte auf eurem Kreuzzug getötet, glaubt ihr ich würde das vergessen? Wenn ihr nicht hier seit um eure Taten zu erklären und euch wieder kaiserlichem Recht zu beugen, schlage ich vor, ihr verschwindet. Bevor ich vergesse, das das Gastrecht auch für euch gilt. Wenn ihr hierhergekommen seid und erwartet, dass man euch noch offen empfängt, dann habt ihr nicht verstanden, was ihr getan habt.“ Sie hatten sich mit dem vielleicht mächtigsten Mann des Kontinents angelegt. Leider jedoch fürchtete Galren, das die Männer des roten heiligen nur zu genau wussten, auf was sie sich eingelassen hatten. Was zählte die Macht eines Kaisers im Vergleich zu der eines Gottes ?
Kellvian war mittlerweile um die Tische herumgegangen und stand dem Prediger jetzt Auge in Auge gegenüber. Der eine Mann in goldenem Ornat, der andere in den schlichten, zerlumpten Roben eines wandernden Priesters. Ein geringerer Mensch wäre unter dem Blick des Kaisers vermutlich in die Knie gegangen. Und Galren musste dem Prediger zumindest soweit Respekt zollen, als das er nicht einmal zuckte. In seinem kalten Zorn war Kellvian Belfare kaum mehr als der sanfte, manchmal geradezu naive, Mann zu erkennen, den Galren kannte.
,, Ich fürchte ihr seid es, der nicht versteht. Ich bin hier um euch auszurichten, dass mein Herr euch im roten Tal erwarten wird. Um die Bedingungen für eure Kapitulation auszuhandeln. Ob ihr es erkennen wollt oder nicht, ihr seid bereits geschlagen.“
Das konnte er nicht ernst meinen, dachte Galren. Es stimmte wohl, dass sie im roten Tal überrascht worden waren… und wenn die Berichte aus Erindal auch nur halb der Wahrheit entsprachen hatten sie bereits einen erheblichen Teil des östlichen Kaiserreichs verloren… aber Canton war weit davon entfernt geschlagen zu sein. Im Gegenteil, wenn dieser Kriegsrat auseinanderging, würde vermutlich jede einzelne Garnison im gesamten Imperium den Befehl erhalten, zur fliegenden Stadt zu ziehen. Geweihte hin oder her, Ordne und Armee waren auch für die Anhänger des Herrn der Ordnung mehr als würdige Gegner. Er konnte nicht wirklich erwarten, dass Kellvian sich ergeben würde.
Und wenn es dabei gar nicht darum ging ? Nur ein Vorwand um den Kaiser aus der Reserve zu locken… doch wozu ?
Als hätte der Prediger seine Gedanken gelesen, traf sich ihr Blick einen Moment. Beinahe meinte er, die Antwort des Predigers noch einmal zu hören. Oh ja, er wusste, wer ihn geschickt hatte. Die Frage war, was wollte der rote Heilige von ihm? Sein Gott war längst frei und Galren war wie ein Narr in die Falle gelaufen… Wenigstens schien dieser Bote nicht die gleiche seltsame Anziehung auf ihn auszuüben wie sein Meister.
Nach wie vor hatte der Kaiser nichts erwidert, sondern stand lediglich da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und schien nachzudenken. Er konnte nicht hoffen, diesen Konflikt noch mit einem Gespräch beizulegen. Falls das je möglich gewesen wäre. Und doch… da schien wieder diese Naive, sanfte Seite Kellvians zu sein. Die, die selbst nach diesem Strohhalm greifen mochte. Ob es nun ein Trick war oder nicht.
Es war Elin, die schließlich das Schweigen brach. ,, Ihr müsstet ziemlich dämlich sein um darauf einzugehen…“ , erklärte sie und fügte noch hastig ein ,, Herr.“ , hinzu.
Kellvian lachte auf. Der Prediger schien plötzlich irritiert, während der Kaiser sich von ihm abwendete und die kleine Gejarn fixierte. Noch immer grinste er leicht und Lachfalten spielten um seine Augen herum. ,,Wisst ihr das könnte auch von meinem alten Lehrmeister stammen. Und vielleicht seid ihr wirklich weißer als ich… Aber ich habe selten auf ihn gehört.“
,, Sie haben sich das Recht auf Verhandlungen, egal welche, längst verwirkt.“ , warf Kasran als nächster ein. Der in Rot gekleidete Zwerg stützte sich auf den Knauf seines Rubinstabs und nickte in Richtung des Predigers. ,, Wenn ihr sie nicht bekämpft… tuen wir das ohne euch.“
,, Und auch ich muss euch davon abraten.“ Quinn erhob sich als nächster. Der Oberste des Sanigus-Ordens sah einen Moment zwischen dem Prediger und seinem Kaiser hin und her. ,, Wenn es unbedingt sein muss, werde ich an eurer statt gehen.“
,, Nein. Ich schätze euren Mut, ich fürchte jedoch, der rote Heilige wird kam mit euch vorlieb nehmen.“ Und er wollte ihn schlicht nicht an seiner Stelle in Gefahr schicken, dachte Galren. Das würde Kellvian allerdings wohl kaum zugeben. ,, Ich werde mich mit eurem Herrn treffen.“ , erklärte er an den Prediger gerichtet. ,, Allerdings nur alleine. Und ihr könnt ihn gleich wissen lassen, dass ich nicht vorhabe, ihm das Kaierreich zu übergeben. Wenn er sich allerdings ergibt und seine Männer zurück ruft, bin ich bereit über das geschehene noch einmal hinweg zu sehen. Trotz der Toten. Es wird keine Rache geben und seine Männer können frei weiter leben. Das wird allerdings mein einziges Angebot bleiben. Schlägt er es aus, befinden wir uns im Krieg. Und ich schwöre euch, das er nicht enden wir, bevor jeder einzelne Tote in Erindal, jeder Gefallene vergolten ist.“
Galren versucht krampfhaft, irgendwie auf die Beine zu kommen. Trotz Kellvians Worten, das konnte er genau so wenig zulassen wie die anderen. Es ging hier nicht um Verhandlungen oder irgendetwas anderes, das musste der Kaiser doch auch erkennen. Und solange sie nicht wusste, was der rote Heilige wirklich wollte, war es Wahnsinn auch nur zum Schein darauf einzugehen…
Keuchend kam er immerhin halb auf die Füße, auch wenn all seine Muskeln dabei protestierten. Das war eine Falle und das würde er Kellvian auch ins Gesicht sagen wenn nötig. Bevor er jedoch dazu kam, den Mund zu öffnen, traf sich sein Blick erneut mit dem des Predigers. Beinahe schien es, der Mann wusste, was er vorhatte.
,, So viel Schmerz für jemand so kleines.“ Der Mann sah zu Elin und die Gehässigkeit in seiner Stimme war kaum zu überhören. Und es verfehlte seine Wirkung nicht. Elin war niemand, der sich so etwas stumm anhörte. Und das war auch die Absicht, dachte Galren entsetzt. ,, Ihr hättet nur mitkommen brauchen als man es euch Angeboten hat, Galren Lahaye.“
Er wollte sie alle ablenken. Oder zumindest Galren daran hindern, noch einzuschreiten, während Kellvian sich vielleicht noch umstimmen lies.
Mit einem Ruck war Elin auf den Beinen.
,, Das tut mir aber wirklich leid, aber Galren gehört mir. Ihr könnt eurem Herrn ausrichten, dass er ihn haben kann, wenn ich mit ihm fertig bin. Also nie.“
,, Eure Loyalität ist bewundernswert. Aber ich bezweifle das sie von Dauer sein kann. Und wenn doch… nun so sehr ich die Vorstellung bedaure, aber mein Herr wird sicher Freude daran haben euch zu zerbrechen…“
Er meinte die Worte genauso, wie sie klangen, dachte Galren. Scherfällig schaffte er es endlich zumindest auf die Füße, während seine Hände zum Schwertgriff wanderten. Er brachte nicht einmal einen Ton heraus… aber wenn nötig würde er diesen Mann eben töten. Ob es an seiner Verbindung zum roten heiligen lag oder ob es schlichtes Gespür war… lieber beendete er die Sache so, als das Kellvian auf seinen Vorschlag einging. Oder Elin etwas unglaublich dummes tat. Wenn er nur richtig Laufen könnte… Die Klinge glitt mit leisem Singen aus der Scheide. Niemand schien etwas zu bemerken, so fokussiert wie alle auf Kellvian , Elin und den Prediger waren
Die Gejarn ließ sich nicht einmal anmerken , ob die Worte sie trafen. Mit einem maskenhaften Ausdruck auf dem Gesicht klettert eise schlicht über den Tisch und trat zu den beiden wartenden Männern.
,, Wenn das so ist, habe auch ich eine Botschaft für euren Meister.“ Und bevor noch jemand reagieren konnte, schlug sie zu. Elin hatte mehr Kraft, als man vermuten würde und sie wusste genau, was sie tat. Woran ihre Eltern wohl nicht ganz unschuldig waren. Der Prediger jedenfalls war auf die Wucht des Angriffs absolut nicht vorbereitet und ging mit einem Schmerzensschrei zu Boden.
Eden sah derweil vielsagend zu Cyrus, der lediglich abwehrend die Hände hob.
,, Schau mich nicht so an, ich habe ihr das bestimmt nicht beigebracht….“ Galren musste schmunzeln. Er wusste es schließlich besser, immerhin hatte Elin ihm einst genau davon erzählt. An einem längst vergessenen Abend, an Bord eines Schiffs, als die Welt noch in Ordnung schien…
Der Bote rappelte sich unterdessen wieder auf und starrte Elin düster an. Galren , der immer noch das Schwert in der Hand hielt, machte sich bereit, wenn nötig dazwischen zu gehen. Auch wenn er bezweifelte überhaupt drei Schritte machen zu können, ohne zu stürzen…
Doch der Bote des roten Heiligen erhob sich lediglich schwankend. Blut troff aus seiner Nase und vermutlich hatte er noch Glück, das Elin ihm nichts gebrochen hatte. Ob er das selber so sah, war jedoch mehr als fraglich. Ohne Elin überhaupt zu beachten, wendete er sich erneut an den Kaiser.
,, Mein Herr erwartet euch… Ob ihr kommt ist eure Sache.“ Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und stolzierte aus der Halle. Niemand machte Anstalten ihn aufzuhalten und auch Kellvian starrte ihm einen Moment nur düster hinterher.
,, Sagt ihm, ich werde da sein.“ , rief er , während die Türen hinter dem Mann zu schwangen.
,,Herr, bitte…“ Syle hatte sich mittlerweile ebenfalls erhoben. ,, Ihr könnt euch unmöglich darauf einlassen. Nicht zu ihren Bedingungen zumindest. Lasst ihn hierher kommen, wenn ihr wollt, aber begebt euch nicht so leichtsinnig in Gefahr.“
,,Gefahr , Syle ? Ich schätze eure Sorgen, aber dass dieser Mann überhaupt hierher gelangen konnte, sollte auch euch klar machen, dass auch die fliegende Stadt nicht viel sicherer ist. Wenn er gewollt hätte, hätte heute ein Geweihter anstelle eines einfachen Boten vor uns gestanden und uns vernichtet. Ich muss das tun, wenn ich noch eine Chance haben will, das hier ohne einen ausgewachsenen Krieg zu beenden.“
Es war das erste Mal, das der Kaiser beim Wort nannte, was ihnen hier bevorstand. Sie hatten es alle gewusst, manche mehr, manche weniger. Doch es aus den Worten ihres Herrschers zu hören, machte es unmöglich, das offensichtliche noch zu leugnen…
,, Dann erlabe mir zumindest, dich zu begleiten…“ Janis hinkte neben seinem Vater, immer noch in der Kleidung, die er schon im roten Tal getragen hatte.
,, Dein Bein ?“ Es war kein Versuch, den Jungen von seinem Vorhaben abzubringen. Es war eine schlichte Frage.
,, Ich kann laufen, Reiten und ein Schwert halten.“ Janis wirkte entschlossen, seinen Vater nicht alleine ziehen zu lassen. Vermutlich nahm ihm niemand ab , das er schon wieder ganz genesen war. Er versuchte es vielleicht zu verbergen, aber während er ging, zuckte er bei jedem Schritt unmerklich zusammen. Janis konnte vielleicht laufen. Was den Rest anging hatte Galren jedoch seine Zweifel. Andererseits… wer hätte ihn aufhalten wollen? Syle vielleicht. Doch der Hochgeneral hatte schon seinen Kaiser nicht von seinem Plan abbringen können. Und Jiy…
,, Ich werde auf ihn achten und…“ , setzte Kellvian an, doch dieses Mal protestierte sie nicht. Die Kaiserin nickte lediglich, während sie zuerst Kellvian und dann Janis in eine Umarmung zog und jedem einen Kuss auf die Stirn gab. Plötzlich schien es dem Kaiser schwer zu fallen, sich wieder von ihr zu lösen. Und einen Moment hatte Galren die Hoffnung, dass er doch noch zur Vernunft kommen mochte. Dann jedoch war der Augenblick auch schon verflogen und Kellvian schob Jiy mit einem seufzten von sich. ,, Wir brechen sofort auf…“
Der Wind brachte Schnee mit sich, der in den Straßen Silberstedts zum Liegen kam und langsam begann, die Gassen zwischen den Häusern zu füllen. Mit dem Herbst kehrte der Frost zurück in den Norden Cantons und brachte den ersten Hauch des Winters mit sich. Dichter Rauch stieg aus den Schornsteinen auf und bildete einen Schleier über der Stadt und den nun brach liegenden Feldern, die sich in den Tälern vor den Mauern erstreckten. Das wenige, das die Bauern dem Land während der kurzen Sommer abgewinnen konnten, lagerte jetzt wohlbehütete in den Speichern der Städte und der kleinen Bauernhütten, die sich um Silberstedt herum gruppierten. Das Leben auf dem Land kam langsam aber sicher zum Erliegen, während die langen Eisfinger, welche die Gipfel der Berge einhüllten langsam länger wurden und in Richtung Tal wanderten. Wie weiße Klingen stürzten gefrorene Bäche von den Minen herab, die im Gebirge über Silberstedt lagen und verloren sich auf halbem Weg in die Tiefe. Und doch waren die Straßen der Stadt nicht so verlassen, wie man es bei der Witterung erwarten würde. Eine Prozession aus dutzenden in schwere pelze gehüllte gestalten kämpfte sich von der Stadt aus hinauf zum Rabenkopf. Das große Anwesen schmiegte sich an die Felsen über Silberstedt und war nur über eine in den Berg geschlagene Treppe zu erreichen. Die mit Eis und Schmelzwasser überzogenen Stufen waren tückisch und unter normalen Umständen hätte sich jetzt kaum jemand die Mühe gemacht, den gefährlichen Weg anzutreten. Ohnehin empfing der Herr dieses Ortes nur selten Besucher und es hieß, er verbringe ganze Winter in der Isolation des Herrenhauses. Das Bauwerk war ein schwarzer Schatten inmitten von blaue Eise und weißem Schnee, teilweise aus dem Gebälk eines älteren Anwesens gefertigt, das während des Aufstands des Aristokratenbunds zerstört worden war.
Eine einzelne Gestalt stand reglos hinter den Fenstern und sah zu, wie die Männer sich den Berg hinauf kämpften. Viele trugen Fackeln, nicht mehr als Lichtfunken inmitten der Schneeschleier, die den Berg in dieser Höhe umtosten. Und auch die Lichter der Stadt weiter unten waren kaum auszumachen. Ab und an verirrte sich eine Schneeflocke an die Scheibe und Zachary de Immerson sah zu, wie sie langsam schmolz. Er wusste, wer diese Männer waren… und wieso sie kamen…
,, Ich habe dich gewarnt.“ , meinte er eine Stimme zu hören. Der Schemen zu dem sie gehörte, stand ebenso regungslos wie er selbst neben ihm und sah zu, wie die Feuer langsam näher kamen. ,, Ich habe dir gesagt, dass sie zurückkehren würden, wenn du sie ziehen lässt… Und heute bist du alleine“
,, Dann sollten wir sie gebührend empfangen.“ , erwiderte Zachary ruhig und wendete sich von dem Anblick ab.
Als er nach draußen trat, empfand er die kalte Luft als wohltat. Die Kohlenbecken, die im Inneren des Anwesens brannten, füllten die Luft mit stickigem Qualm. Zachary atmete tief durch, während er die Stufen vor dem Aufgang zum Rabenkopf hinab ging. Vor den Toren des Anwesens erstreckte sich ein großer Hof, der jetzt jedoch knietief im Schnee versunken war. Die wenigen Bäume, die zu einem kleinen Wald am anderen Ende des Grundstücks gehörten, ächzten unter ihrer weißen Last und manchmal schnellte einer ihrer Zweige krachend nach oben, wenn die Spannung zu groß wurde und der Schnee in einer kleinen Lawine zu Boden stürzte. Es hätte ein friedlicher Abend sein können, doch der Wind brachte noch andere Laute mit sich. Stimmen und das Trampel von Füßen und das Krächzen schwarzer Vögel.
Zachary konnte sehen, wo die Krähen aufstoben, wenn die Männer einen neuen Treppenabsatz erklommen, dunkle Schatten vor dem grau-weißen Himmel. Und er hörte den Lärm, lange bevor die ersten gestalten in Sicht kamen.
Er hatte es nicht eilig, ihnen entgegenzutreten. Ihm war nur zu klar, was geschehen würde, sollte die Männer nicht im letzten Moment noch der Mut verlassen. Immerhin… was trieb sie den hier herauf, wenn nicht Lügen und Gerüchte, die man so klug gegen ihn gerichtet hatte? Vielleicht hätte er etwas dagegen tun sollen. Vielleicht hätte er den Bürgern Silberstedts seine Arbeit erklären können ?
Der Schemen, der ebenfalls mit ihm hinaus in den Schnee gekommen war, schmunzelte bei diesem Gedanken.
,, Wenn hätten sie sich mehr vor dir Gefürchtet. Die Menschen fürchten, was sie nicht verstehen. Und wir beide verstehen unsere Arbeit nicht einmal gänzlich. Was erwartest du von einer Horde Bauern?“
Zachary wendete sich zu Ismaiel. Der Geist hinterließ keine Spuren im Schnee, im Gegensatz zu ihm. Vielleich hatte er ja sogar Recht. Die Arbeit am Seelenquell war weder ungefährlich, noch etwas, das sich mit Worten leicht beschreiben ließ. Vermutlich war die Idee wirklich töricht. Warum sonst hatte er sich hier oben verborgen, wenn nicht um die Leute fern zu halten… und dadurch zu schützen. Und doch, konnten Menschen dem Streben nach Wissen gegenüber so blind sein, das sie es lieber zu zerstören suchten? Selbst wenn man sich hinsetzte und ihnen alles erklärte? Im Gegensatz zu Ismaiel war er nicht so verbittert, seinen Glauben in die Menschen einfach so aufzugeben. Falls der alte Magier diesen je besessen hatte, hieß das natürlich. Allerdings spielte es wohl auch keine Rolle mehr. Es war zu spät…
Zachary setzte sich auf die steinernen Stufen und ließ den Blick über den Hof schweifen, während er wartete.
,, Was verstehen diese Narren schon von uns Zauberern ?“ , fragte Ismaiel ihn. , Sind wir wirklich verdammt, Rücksicht auf jene zu nehmen, die uns niemals welche gewähren würden? Sie kommen um euch zu töten… und doch verteidigt ihr sie noch. Wieso ?“ Der Geist des alten Erzmagiers klang zum ersten Mal nicht vorwurfsvoll oder desinteressiert, sondern tatsächlich neugierig. Konnte ein Wesen wie Ismaiel so etwas überhaupt verstehen? Oder hatte er in all den Jahrtausenden seines Lebens schlicht vergessen, das auch sein Volk mehr als genug Fehler hatte?
,, Kann ich jemanden für etwas bestrafen das er nicht einmal versteht ? Sie sind nichts als Kinder.“
,, Und wie solche werden sie fallen, wenn ihr Schicksal in den falschen Händen liegt.“
,,Vielleicht…“ Zachary atmete die eisige Luft ein und wendete sich erneut von der Gestalt des alten Magiers ab. ,, Und vielleicht Ismaiel… ist das der Grund aus dem ich noch lebe. Und ihr nicht.“
Darauf wusste sein gegenüber offenbar nichts mehr zu erwidern. Stattdessen verschränkte Ismaiel die Arme vor der Brust… und verschwand als wäre er nie dagewesen. Einen Moment bedauerte Zachary ihm nicht folgen zu können… alleine zu sein und nur warten zu können.
Die ersten Männer, die den Hof erreichten, schienen überrascht, ihren vermeintlichen Nemesis einfach nur dasitzend vorzufinden. Zachary sah ihnen ruhig entgegen, während er sich langsam erhob. Schnee rieselte von seinem Umhang, und von seinen schwarzen Roben. Die silbernen Nähte glitzerten wie Eis.
Erst waren es nur wenige Dutzend, die die letzten Stufen erklommen und langsam den Platz füllten. In schwere Mäntel gekleidet und mit Fackeln und simplen Werkzeugen bekleidet wirkten sie unförmig und unbeholfen. Niemand wagte es, ihm zu nahe zu kommen, stattdessen bildete sich ein weitläufiger Halbkreis vor Zachary. Irgendwann konnten die Leute, die den Berg noch erklommen nicht mehr Nachrücken und die Front aus wartenden Männern geriet in Unordnung. Laute Stimmen wurden hörbar, es wurde gedrängelt und geschubst… doch niemand wollte dem Magier zu nahe kommen.
,, Die Herren ?“ , fragte Zachary in einem Ton, als hätte er sie nicht längst erwartet. ,, Ihr müsst verzeihen, ich hatte nicht damit gerechnet, das mich jemand Besucht. Kann ich etwas für euch tun?“
Einen Moment schienen sie tatsächlich nicht in der Lage ihm zu antworten. Als er einen Schritt auf sie zu machte, wichen sie zurück und als er den Kopf hob, sahen sie alle weg. Sie wussten, dass ihm genau so klar war wie ihnen, weshalb sie gekommen waren. Und plötzlichschien die Sicherheit, die sie hier herauf getrieben hatte, von ihnen zu weichen…
,, Das wisst ihr ganz genau, Heyer !“ , rief einer, doch der Schrei, der wütend klingen sollte, klang mehr wie eine Anschuldigung. Nicht wegen der Gerüchte und der Lügen, sondern weil er ihnen entgegen getreten war. Weil sie dem Mann, den sie töten wollten ins Auge sehen mussten. Vielleicht hatten sie gehofft, einfach nur das Anwesen Neider zu brennen und ihn nie zu Gesicht zu bekommen. ,, Ihr bringt dieser Stadt nur Ärger !“
,, Ist das so ?“ Zachary machte noch einen Schritt in ihre Richtung und der Mann, der gesprochene hatte wich hastig wieder in die Reihen seiner Gefährten zurück. ,, Und wer sagt das ?“
,, Ich.“ Zum ersten Mal schien die Menge ihre Aufmerksamkeit wieder etwas anderem zuzuwenden als Zachary. So schnell wie sie sich gesammelt hatten, stoben sie jetzt auseinander um den Mann durchzulassen, der sie hier herauf geführt hatte. Eine schlichte , braune Robe hing von seinem hageren Körper. Auch wenn sein Gesicht unter einer Kapuze verborgen war, wusste Zachary, wen er vor sich hatte. Doch Malachi hatte sich ohne Frage verändert. Er ging gebeugt und die Roben taten wenig um zu verbergen, wie verdreht sein Körper war. Eine Hand, die er unter einem Handschuh verborgen hatte, schien mehr eine Kralle und an der Stelle, wo der Handschuh etwas verrutscht war, war nicht etwa Haut zu sehen, sondern dunkle Wucherungen, die fast wie Schuppen wirkten.
Die Augen, die aus dem Schatten zu Zachary spähten schimmerten rot wie Feuer.
,, Und ihr braucht diesen ganzen Mob um mir entgegen zu treten ?“ Er bedachte die wartenden Stadtbewohner mit einem Blick, der weder besorgt noch Mitleidsvoll wirkte. Sie waren kurz davor, die Flucht zu ergreifen, dachte Zachary. ,, Nun denn, dann lasst sie auch das Schwert führen !“
Er hob den Arm und im gleichen Moment verfärbten sich die Wolken über dem Rabenkopf von silbergrauen Schleiern zu dunklen Sturmwolken. Ein einzelner, greller Blitz fuhr herab und brachte den Schnee auf dem Hof innerhalb eines Herzschlags zum Schmelzen. Lichtbögen zuckten über den Stein. Die Leute schrien auf und wendeten den Blick ab. Nur Zachary und Malachi blieben ohne eine Regung stehen wo sie waren. Der Blitzeinschlag hatte den Boden aufgerissen und einen kleinen Krater im Pflaster hinterlassen, aus dem nun der rauchende Griff eines Schwerts aufragte.
,, Also kommt, tretet vor. Ich werde nicht durch eine Mistgabel sterben, meine Herrn. Aber wenn ihr glaubt, dass ich euch etwas Böses wünsche…dann soll nur einer von euch vortreten, das Schwert nehmen… und tuen, was er glaubt tun zu müssen. Ich habe nicht vor ihn daran zu hindern…“
Mit diesen Worten trat er vor den Krater und blieb mit ausgebreiteten Armen stehen. Er wusste bereits, dass er gewonnen hatte, als er in die verängstigten Gesichter starrte. Sie waren gekommen um zu töten, vor was sie der Prediger gewarnt hatte. Eine Kreatur die sich auf ihrem Berg verkroch und die Kräfte der Unterwelt anrief… Doch was vor ihnen stand war ein Mensch. Ungebrochen, ohne Schuld und bereit ihnen entgegen zu treten. Und bereit ihr Urteil anzunehmen, wie immer es lauten mochte…
,, Sie werden nicht eure Richter sein.“ Malachi hatte offenbar ebenfalls erkannt, dass keiner dieser Männer das Schwert gegen ihn erheben würde.
,, Und wer dann ? Ihr ? Ihr, der sie angelogen hat ? Wenn mein Volk mich nicht mehr Will, ist das seine Sache. Ihr jedoch…“ Zachary ließ die Arme sinken und nahm langsam das Amulett ab, das er um den Hals trug. Die feingliedrige Silberkette fühlte sich vertraut an in seinen Händen. Genauso wie der tränenförmige, blaue Stein an ihrem Ende. ,, Ich habe euch einmal geschont. Ich bin bereit es ein zweites Mal zu tun. Dreht euch um und geht. Jetzt. Und betet, dass ihr diese Stadt nie wieder seht.“
Malachi schien seine Worte nicht einmal gehört zu haben. ,, Ihr glaubt ohne Schuld zu sein ? Und doch verbergt ihr Dinge vor diesen Leuten. Ich weiß, wer ihr seid… Ihr habt den Erzverräter bei euch aufgenommen. Den Mann der seinen Gott vernichten wollte…“ Ismaiel… Zachary hatte keinen Zweifel daran, das Malachi ihn meinte. Und doch was sollte das bedeuten, er hätte seinen Gott vernichten wollen? Unwillkürlich erinnerte er sich an die Warnungen des toten Zauberers. Und an den Blick mit dem er den Prediger bedacht hatte…
,, Heute ist der Tag des Gerichts für euch gekommen…“ Malachi hob die Hand. Zachary war einen Moment zu verwirrt um sich zu wehren, als sich Feuer zwischen den Händen des Magiers sammelte. Das konnte nicht sein. Malachi war kein Magier. Oder er war es nicht gewesen, als er das erste Mal in Silberstedt gewesen war Er hatte sich der Macht anderer bedient um die angeblichen Kräfte seines Gottes zur Schau zu stellen Nicht dieses mal.
Rot leuchtend schlugen die Flammen aus den Fingerspitzen des Predigers hervor und rasten auf Zachary zu. Dieser sammelte rasch die Kälte aus der Luft zwischen seinen Händen, bis diese sich verflüssigte… und entfesselte einen Strom aus grau-blauem Eis. Die entstehende Kälte trieb die Zuschauer ihres Aufeinandertreffens noch auf die Entfernung zurück, während sämtliches Wasser in der Luft sofort erstarrte und zu Boden rieselte.
Die Zauber prallten mit der Wucht eines einstürzenden Bergs aufeinander. Flammen loderten hoch und schmolzen die Essenz der Kälte, die Zachary erschaffen hatte. Doch das entstehende Wasser brach seinerseits über dem Inferno zusammen und drohte, die Flammen zu ersticken. Farbige Blitze zuckten über den Hof, während die Magie durcheinander wirbelte , ständig neue Formen bildete, als die beiden Kontrahenten versuchten, einander zu übertrumpfen.
Malachis Kapuze wurde durch ihm von der entstehenden Druckwelle vom Kopf gerissen und offenbarte, was aus ihm geworden war. Zachary hätte fast seine Konzentration verloren, als er den Mann das erste Mal wieder ungehindert sehen konnte. Adern aus flüssigem Feuer zogen sich die Seite seines Halses herauf, fächerten aus zu dunklen Wucherungen und schwarzen Schuppen. Unter dem tot wirkenden, von rot leuchtenden Adern durchzogenen Fleisch schien sich keine Regung zu finden. Die andere Seite seines Gesichts dagegen war unversehrt und bildete eine Fratz aus Hass und Anstrengung…
Göttern, hatte er überhaupt noch einen Menschen vor sich? Zachary konnte die Macht spüren, die von der verzerrten Gestalt des Predigers ausging. Eine unheilvolle Aura, die selbst ihn schauern ließ.
Mehr Macht, als irgendein Mensch besitzen sollte, besitzen konnte…
Woher auch immer diese Kräfte kamen, Malachis Körper schien nicht damit umgehen zu können. Und so hatte er sich gezwungenermaßen in etwas verwandelt, das kaum noch etwas mit dem Mann gemein hatte, der er einst gewesen war.
Und dann war plötzlich alles vorbei. Zacharys eigener Zauber zersprang von einem Moment auf den anderen und der Magier wurde zurückgeschleudert. Vermutlich rettete ihm das sogar das Leben, als Malachis Feuer über ihn hinwegjagte und die Stufen traf, die zum Anwesen führten. Der Schnee darauf schmolz sofort und der Stein begann zu kochen und sich zu verflüssigen.
Zachary sah ungläubig auf seine leeren Hände, während er sich wieder auf die Beine kämpfte. Das konnte nicht sein. Dieser Mann hatte soeben die Macht einer Träne Falamirs überwunden, als wäre es nichts… Und während sein Körper nun unter der Anstrengung protestierte, nur wieder auf die Füße zu kommen, stand Malachi scheinbar entspannt da und wartete darauf, dass sein Gegner sich wieder erholte…
,, Wie ?“ Schwer atmend musterte Zachary den Mann. Oder das was noch von ihm übrig war.
,, Als wir uns das letzte Mal trafen, Magier, war ich weit von meiner Vollendung entfernt. Doch nun hat mein Gott mir seinen ganzen Segen erteilt. Ich bin ein Erleuchteter, die Fackel, die die Narren verbrennt. Und der Herr der Ordnung hat mich entsendet um euch zu richten. Und ihr Hexer, seid ganz alleine…“
,, Also sind sie wirklich zurück gekehrt.“ Zachary drehte den Kopf. Ismaiel stand wieder neben ihm, ein Schemen, im Schneegestöber kaum zu erkennen. Und offenbar schien ihn außer ihm auch niemand zu hören oder zu bemerken. ,, Ich hatte die Hoffnung, dass es nur Zufall sei. Oder das vielleicht ein Fragment von ihm überlebt haben könnte. Aber das…“
Ihr werdet mir eine Menge Fragen beantworten müssen, wenn ich hier raus komme, dachte Zachary düster.
,, Seien wir ehrlich, die Chancen dafür stehen nicht gut.“ , kommentierte der Geist lakonisch. ,, Ihr seid geschlagen. Und alleine werdet ihr daran auch nichts mehr ändern. Und dennoch habt ihr vielleicht noch eine Möglichkeit.“
,, Nein…“ Zachary schüttelte energisch den Kopf, was Malachi dazu veranlasste, den Kopf schräg zu legen und ihn fragend anzusehen.
,, Leugnet ihr etwa eure Niederlage ? trete vor und stellt euch eurem Schicksal, oder hat euch der Mut verlassen?“
Zachary schenkte ihm keine Beachtung. Er wusste, was Ismaiel von ihm wollte. Die eine Sache, die er ihm immer verwehrt hatte. Es war seine einzige Möglichkeit. Und doch war es Wahnsinn… Sein Körper war tot, aber der Geist des Erzmagiers des alten Volkes war noch genau so mächtig wie bei seiner Niederlage vor zwanzig Jahren. Er brauchte nur eine Hülle um seine Fähigkeiten auch einzusetzen… Und es gab nur eine Person hier, die überhaupt in Frage käme. Er selbst.
Und wenn ich ihm die Kontrolle über meinen Körper überlasse, wer sagt mir dann, das ich sie je zurück bekomme?
,, Niemand.“ , erfolgte Ismaiels Antwort. Kalt. Ungerührt. ,, Aber die Alternative für euch ist der Tod.“
Also sollte er ein Monster gegen ein anderes eintauschen… Aber blieb ihm eine Wahl? Zachary schloss die Augen. Und kannte die Antwort.
Ohne ein Wort und ohne die Augen zu öffnen, folgte der nächste Zauber. Eine Welle aus grünem Licht, die Malachi völlig unvorbereitet traf und ihn von den Beinen fegte. Die Ausläufer der Magie fegten unter seine Anhänger und wirbelten Männer und Fackeln durcheinander. Einige stolperten und landeten im Schnee, andere landeten in der Menge, die immer noch auf der Treppe wartete und nicht herauf kam.
Der gefallene Prediger rief sofort seine eigene Magie herbei. Ein Pfeil aus Glut und Schatten jagte auf Zachary zu, verpuffte jedoch sofort, als dieser die Hand hob. Nun war es an Malachi ungläubig zu ihm aufzusehen.
,, Das ist… Ihr wart nicht annähernd so stark, ihr…“
,, Ich bin nicht alleine, Malachi. Ich bin jede Seele, die ihr genommen habt. Jedes Leben, das ihr schon zerstört habt. Ich bin der Avatar ihres Zorns, des Aufschreis eines ganzen Volkes, dem euer Herr keine Zukunft erlaben wollte. Und euer Weg endet hier.“
Ismaiel öffnete die Augen. Grünes Feuer brannte darin und übertünchte ihren normalerweise türkisblauen Ton. Er sah die Welt durch die Augen eines anderen. Durch die Augen des Lebens. Und er fühlte nur Wut, als er das korrumpierte Wesen vor sich sah, das langsam wieder auf die Beine kam. Erbärmlich. Schwach. Die Menschen mochten weit von dem entfernt sein, was sein Volk einst war, doch er hatte in den Jahrtausenden die sein Leben nun wehrte gesehen, wie sie sich von ihren barbarischen Anfängen erhoben und die Welt vereinnahmten. Er hatte die Drachen selbst vor ihnen fallen sehen. Sie mochten schwach sein, aber ihr Wagemut kannte keine Grenzen. Doch dieses… Ding vor ihm hatte selbst das weggeworfen, seine eigene Seele verkauft, das Wesen seiner Menschlichkeit selbst.
,, Also… kehrt der alte Erzmagier zurück um noch ein Volk untergehen zu sehen ?“ Malachi kam wieder auf die Füße und funkelte ihn düster an. Doch die Selbstsicherheit war aus seinen Zügen geschwunden.
,, Nicht dieses. Nie wieder.“ , erklärte Ismaiel leise… und dann ging alles ganz schnell. Malachi sprang vor und entfesselte einen wahren Sturm aus Magie. Blitze, Feuer und Eis regneten auf Ismaiel herab, doch im Vergleich zu ihm… was war dieses Monster schon? Die Zauber verpufften so wirkungslos, als hätte sein Gegner lediglich Schneebälle geworfen. Und Ismaiel kam ihm immer näher. Wie beiläufig riss er das Schwert, das Zachary erschaffen hatte und riss es aus der Erde. Die verkohlte, missgestaltete Klinge rauchte und glühte immer noch. Und dann hatte er Malachi erreicht und packte den Prediger an seiner Robe, zog ihn zu sich heran, zwang ihn in das grüne Feuer zu starren, das seine Augen waren.
,, Sagt mir… wo ist der Zorn eures Gottes jetzt ? Bevor ich dich gleich zu ihm schicke und bevor er deine Seele verschlingt sag ihm folgendes: Er ist nicht der einzige, der zurückgekehrt ist, diese Welt ist nicht sein… Und ich vernichte ihn wieder, wenn es sein muss, selbst wenn ich dafür erneut jedes einzelne Leben auf diesem Kontinent opfern muss. Und mit eurem fange ich an…“
Die Klinge traf auf keinerlei Wiederstand, als sie sich durch das entstellte Fleisch des Predigers brannte. In dem Moment, wo Malachi zusammenbrach schien sich auch der verbliebene Mut der umstehenden Zuschauer aufzulösen. Noch bevor Ismaiel die Klinge aus dem toten Körper zog, flohen die ersten und drängten die Treppe hinab in Richtung Silberstedt. Er ließ sie ziehen. Es gab wichtigeres um das er sich kümmern musste. Er lebte wieder… Und er hatte ein Ziel. Die fliegende Stadt.
Die Eskorte begleitete sie nur bis das rote Tal schließlich in Sicht kam. Eine Narbe, die sich inmitten der öden Steppe erstreckte und sich bis zum Horizont zog. Felsen, die wie mit Blut überzogen wirkten, leuchteten im Licht der Abendsonne. Selbst das Wasser der Flüsse und vereinzelten Seen, die in der Schlucht glitzerten hatte einen roten Schimmer angenommen. Einst war dieser Ort eine Stadt gewesen, die sich die ganze Länge des Tals entlang zog. Nun jedoch waren davon nur noch Trümmer geblieben. Weiße Marmorfragmente ragten wie die Knochen gefallener Titanen aus der Landschaft und ganz am Horizont… Kellvian schirmte die Augen mit der Hand ab um mehr erkennen zu können, doch konnte er nach wie vor nur Umrisse ausmachen. Das Tal war nicht verlassen, so viel konnte er sagen. Eine Unzahl dunkler Punkte bewegte sich zwischen den Ruinen und in den vereinzelten Wäldern, die in den Schatten der Felswände gediehen.
Kellvian hatte nicht gedacht, so bald schon wieder hier zu sein. Auf zweierlei Weise. Die Botschaft war so bald gekommen und die Reise war zu kurz gewesen. Zu kurz, als das er Gelegenheit gehabt hätte, seine rasenden Gedanken zu ordnen. Rief man ihn wirklich hierher um über irgendeinen Frieden zu sprechen? Er wollte es hoffen. So sehr. Und gleichzeitig glaubte er schlicht nicht daran. Aber warum rief man ihn sonst? Der rote Heilige hatte bereits demonstriert, dass die fliegende Stadt für ihn nicht unerreichbar war. Ginge es ihm nur darum, ihn zu töten, bräuchte er ihn dazu nicht erst in eine Falle zu locken. Aber wenn es nicht darum ging, ihn angreifbar zu machen, was dann ?
Besser, er fand schnell heraus, was hier noch gespielt wurde. Nur deshalb hatte er am Ende diesem treffen überhaupt zugestimmt…
Und dennoch konnte er wenig gegen das mulmige Gefühl tun, das ihn beschlich, als er das Pferd unter ihm auf einen Pfad die Klippen hinab führte. Unwillkürlich wanderte seine Hand zum Schwertgriff. Die Klinge ließ sich fast ohne Wiederstand ziehen, war auch nach all den Jahrhunderten noch Rasiermesserscharf. Einst hatte sie seinem Vater gehört bevor sie in dessen letzter Schlacht für eine Weile verschwunden war. Und davor von jedem anderen Kaiser bis zurück zu Simon Belfare selbst, der sie angeblich einst aus dem Norden mitgebracht hatte.
Janis neben ihm wirkte genau so angespannt und starrte den ganzen Abstieg lang stur geradeaus. Am liebsten wäre es ihm, der Junge wäre bei der Eskorte zurück geblieben. Und doch hatte er nicht einmal gewagt ihn darum zu bitten. Kellvian wusste längst welche Antwort er erhalten würde.
Kleine Steine, losgetreten von den Hufen der Pferde kullerten die Seite des Pfades hinab und verschwanden in der Tiefe. Vom unteren Ende des Wegs aus wurden die beiden Reiter bereits misstrauisch beäugt. Etwa ein Dutzend Kultisten, manche in braunen Roben, andere in ihrer alltäglichen Kleidung, warteten schon auf sie und wichen scheinbar nur wiederwillig vor ihnen zurück. Ihre Ankunft war sicher bereits angekündigt worden und doch sah er in ihren Gesichtern nur Hass. Und den brennenden Wunsch, die beiden Männer , die als Gäste hierher kamen, von den Pferden zu reißen und zu töten. Götter was hatte er getan um sich je solchen Zorn zu verdienen? Sein Leben lang hatte er versucht, das Beste für sie alle zu erreichen. Und was hatte es ihm jetzt gebracht?
Zwischen den Bäumen und den großen Findlingen, die ihren Weg säumten konnte er weitere Gestalten ausmachen. Manche normale Männer und Frauen. Andere wiederum… Er sah rote Augen, die ihn unter weiten Roben und Kapuzen heraus anfunkelten. Geflügelte Bestien und Kreaturen, die sich in den Schatten verbargen… und Wesen, die er gar nicht beschreiben konnte oder wollte. Manche erinnerten noch entfernt an Menschen, andere waren zu aufgedunsenen Bestien verkommen, die auf zwei, vier und spinnengleich auf acht Gliedmaßen daherkamen. Er wollte gar nicht zu genau hinsehen.
Kellvian wendete den Blick ab und schloss die Augen, während sie weiterritten und die Menge hinter sich ließen. Vermutlich wurden sie trotzdem noch beobachtet, doch niemand folgte ihnen, als sie schließlich auf eine verfallene Straße einbogen. Das Pflaster war aufgerissen und nur noch Bruchstückhaft vorhanden, doch einst musste sie wohl so breit gewesen sein, wie die Händlerstraßen, die heute die Provinzen Cantons miteinander verbanden. Sie passierten die Grundmauern eines Torhauses. Einzelne, zerbrochene Säulen lagen quer über der Straße und waren von Zeit und Sand stumpf geschliffen worden. Es war ein toter Ort, dachte er, seine Bewohner und Kultur lang vergessen und von der Zeit davon gespült. Und war es das, was ihnen ebenfalls bevorstand, wenn diese Männer ihren Willen bekamen? Ihre Städte in Trümmern, das Imperium zerschmettert, das so lange die verschiedensten Kulturen friedlich vereint hatte? Ein großartiges Erbe, das er der Welt hinterlassen würde. Das würde er nicht zulassen.
Vor ihnen kamen nun die Überreste des Lagers in Sicht, das Eriks Expedition errichtet hatte. Asche bedeckte den Boden, soweit er sehen konnte. Verkohlte Zeltstangen ragten zum Himmel auf, an denen noch vereinzelt Stofffetzten im Wind flatterten. Immerhin gab es keine Leichen, dachte Kellvian. Man hatte die Gefallenen wohl bereits bei Seite geschafft und die Kultisten ihre Toten bestattet. Was aus den Gardisten und Eriks Arbeitern geworden war jedoch, konnte er am Flussufer sehen. Die Überreste eines gewaltigen Scheiterhaufens glommen noch immer im Sand, doch war es nicht Kohle, die dort brannte. Rippen, Knochen und Schädel stapelten sich in einer unordentlichen Pyramide. Die leeren Augenhöhlen schienen ihnen zu folgen, als sie daran vorüber ritten… und dann sah er es zum ersten Mal.
Hinter dem Fluss und den Schädeln befand sich eine gewaltige Grabungsstelle. Die Schemen, die er von oben gesehen hatte, waren tausende von Arbeitern, die damit beschäftigt waren, ein Fundament von der Fläche eines Berges abzutragen. Die Erdarbeiten waren offenbar bereits weit fortgeschritten, den andere hatten bereits begonnen, Felsen aus den umgebenden Klippen zu schlagen. Das rhythmische dröhnen der Hämmer war bis zu ihnen zu hören und das ohrenbetäubende Krachen, wenn sich ein Felsblock losriss und zu Boden stürzte musste man im ganzen Tal mitbekommen.
Gerüste zogen sich überall die Klippen entlang, während die gelösten Felsen unten zerkleinert wurden um Mörtel anzurühren und das Fundament ebenerdig aufzufüllen. Was bei allen Göttern bauten die dort? Allein der Grundriss wäre genug um eine ganze Stadt zu beherbergen.
,, Da reiten wir nicht hindurch.“ , entschied er spontan und Janis nickte lediglich, als sie die Pferde wendeten. Kellvian wollte weg von der Straße, die sie unweigerlich zu der monumentalen Baustelle führen würde und hin zum Rand eines kleinen Walds. Unter dem dichten Blätterdach war es schattig und kühl und zum ersten Mal hatte er nicht mehr das Gefühl, ständig von irgendwo her feindselig angefunkelt zu werden.
,, Ich glaube fest, sie bauen einen Tempel.“ , bemerkte Janis. Seine Stimme war nur ein flüstern, als hätte er Angst, die tiefe Ruhe die hier herrschte zu zerstören. ,, Der rote Heilige meinte, das Tal sei der Ort, an dem der Herr der Ordnung sich zum ersten Mal seinen Anhängern gezeigt hätte.“
,, Und wenn Erik recht hat ist er hier erschaffen worden.“ Kellvian hielt das Pferd an und stieg ab. Die Tiere würden im Wald nicht weit kommen und wenn sie nicht doch den Weg durch die Baustelle nehmen wollten, würden sie zu Fuß weiter müssen. ,, Ich frage mich nur… was bezweckt er damit ? Warum sich anbeten lassen? Kann ein Wesen so wahnsinnig sein sich selbst für einen Gott zu halten?“
Janis schüttelte den Kopf. ,, Nach allem was ich weiß… Ich glaube dieses Ding frisst die Seelen seiner Anhänger. Oder verleibt sie sich zumindest irgendwie ein. Zumindest klang das, was ihre Prediger erzählen danach.“
Kellvian nahm dem Pferd das Halfter ab und lies es davontraben. Die Tiere würden sich nicht weit entfernen, nicht mit dem ganzen Lärm da draußen. Und jetzt wo sich die Nacht langsam herab senkte, würden auch sie sich besser beeilen. Bisher hatte niemand Angeboten, ihnen den Weg zu zeigen, also würden sie wohl einfach suchen müssen, bis sie den roten Heiligen fanden. Wenn er ehrlich war, hatte er es nicht einmal eilig. Bevor sie sich jedoch zum Gehen wenden konnten, wurden sie bereits gefunden.
,, Ich wusste, das ihr kommen würdet.“ Kellvian wusste nicht, was er erwartet hatte. Der rote Heilige wirkte weder besonders jung noch alt, wie er da im Zwielicht stand, das zwischen den Baumstämmen hindurch sickerte. Eine große Narbe, die fast aussah, als hätte ihm jemand drei brennende Finger ins Gesicht gedrückt, zog sich vom Kinn bis zum Ansatz der rot-braunen Haare. Eine Sense lehnte neben ihm zwischen den Wurzeln einer großen Weide. ,, Womit ich nicht gerechnet habe ist, das ihr den Jungen mitbringen würdet. Das erspart mir ihn jagen zu müssen.“
Die Worte des Mannes jagten Kellvian einen Schauer über den Rücken. Und doch, so schnell würde er sich sicher nicht einschüchtern lassen, wenn das der Plan war.
,, Was ist das da draußen ?“ , verlangte er stattdessen zu wissen, während er Janis bedeutete, sich hinter ihm zu halten. Soweit er sehen konnte, waren sie alleine, doch das musste nichts heißen. Der rote Heilige war aus dem Nichts aufgetaucht wer wusste schon ob sich nicht noch weitere seiner Anhänger hier verbargen.
,, Was ihr dort seht, wird das größte Heiligtum meines Gottes werden. Dieser Ort hier ist Heilig. Hier offenbarte sich mein Herr zum ersten Mal dem alten Volk. Doch waren die alten Zauberer genau so stur wie ihr, zu blind die Wahrheit zu sehen. Dafür hat er sie vernichtet. Ich bin hier, weil mein Herr nun euer Reich für sich fordert. Euer Schicksal liegt längst in seinen Händen. Doch streckt ihr die Waffen, werden zumindest einige mehr die Säuberungen überleben. Wenn nicht… werden euer Land und Volk den heiligen feuern des Kriegs überantwortet werden. Und verschlungen. Mir ist es gleich. Ich bekomme so oder so was ich will.“ Und es schien ihm wirklich egal, dachte Kellvian. So unglaublich es schien, kümmerte diesen Mann den nicht, was hier geschah? Das tausende starben?
,, Wieso ?“ Kellvians Hand wanderte erneut zum Schwertgriff, bereit die Waffe sofort zu ziehen, sollte es nötig werden. ,, Was hat euch euer Herr versprochen ? Wer seid ihr, das ihr glaubt über uns alle urteilen zu können, als wäre es nichts?“
Einen Moment lang wirkte sein gegenüber tatsächlich verwirrt. ,, Ihr wisst nicht einmal wer ich bin, oder ?“ Woher auch ? Kellvian war sich absolut sicher, diesen Mann bisher noch nie gesehen zu haben. Und doch… War er über diese Antwort überrascht? ,, So groß ist eure Arroganz also schon. Und ihr werft mir vor leichtfertig mit Leben umzugehen? Wo ihr euer Reich in einen Krieg gegen den Aristokratenbund geführt, Tausende für euch habt sterben lassen?“
,, Ich habe diesen krieg auch nicht gewollt. Immerson hat ihn mir aufgezwungen wollt ihr mir also wirklich vorwerfen, das ich mein Leben verteidigt habe?“
,, Euer Leben, Kaiser ? Wenn es euch nur um euer Leben gegangen wäre, hättet ihr die Waffen gestreckt und wärt aus dem Land geflohen. Nein… ihr wolltet eine Krone und euren Thron. Und dafür war euch jedes Mittel recht. Ihr zeigt erneut, was mein Herr bereits so gut versteht. So etwas wie noble Absichten gibt es nicht. Am Ende… sind wir alle böse. Wie viele Kriege hat dieses Land unter euerm Haus schon erdulden müssen… und wie viele werden es noch werden? Mein Herr wird diesen Kreislauf beenden und beugt ihr euch nicht… so muss er euch eben seine Macht beweisen.“
,, Das ist schlicht nicht wahr !“ Kellvian beherrschte seine Stimme nur mühsam. ,, Glaubt ihr wirklich irgendetwas wäre mit Andre de Immerson als Kaiser besser gewesen ? Wisst ihr ich glaubte damals das schlimmste gesehen zu haben. Einen Menschen, der glaubt, andere sollten Sklaven sein, das wir in den Staub getreten gehören. Aber ihr seid schlimmer als er. Ihr glaubt nicht nur einige hätten dieses Schicksal verdient, sondern wir alle. Es tut mir leid… wirklich leid, das ihr das nicht einmal sehen könnt. Oder vielleicht wollt ihr es auch nicht, weil ihr sonst keine Ausrede mehr für diesen Feldzug hättet.“
,, Ausreden ?“ Zum ersten Mal zeigte sich so etwas wie eine Emotion auf dem Gesicht seines Gegenübers. Ein dünnes, trauriges Lächeln. Der rote Heilige schüttelte langsam den Kopf. ,, Ihr versteht immer noch nicht. Ihr erinnert euch nicht einmal wie mir scheint. Dann lasst mich euch auf die Sprünge helfen. Bevor mein Herr das erste Mal zu mir sprach hatte ich einen Namen, Kaiser. Ich war Padion Lothaera. Söldner im Dienst des Fürsten von Silberstedt. Und ihr Kellvian Belfare, habt meine Familie umgebracht.“
Lothaera… Kellvian hatte den Namen nur ein einziges Mal zuvor gesehen. Nicht einmal gehört. Nur gesehen. Geschrieben auf einer Plakette. Vor fast zwei Jahrzehnten. Oh nein. Das war schlicht nicht möglich… Das war… Wahnsinn, das war es. Und doch hatte er einen Grund an den Worten seines Gegenübers zu zweifeln? Die unterdrückte Wut in der Stimme des roten Heiligen war nicht gespielt. Er hasste ihn, hasste ihn genug um eine Kreuzzug gegen ihn zu führen. Und doch…
Auf einmal sah er alles wieder vor sich, genauso wie es damals gewesen war. Er meinte sogar die Schneeflocken zu spüren, dick und schwer, die langsam aus dem Himmel fielen und das Land unter sich bedeckten. Den kalten Wind, der selbst durch die Pelzmäntel drohte, ihnen das Leben zu entreißen.
Die Schlacht um Silberstedt war keine Woche her, und noch immer verbargen sich Teile von Andre de Immersons Armee in den Bergen um die Stadt. Kellvian hatte persönlich eine Gruppe Männer angeführt um sie aufzuspüren, zusammen mit Syle. Doch an diesem Morgen waren sie, hoch in den Bergen über der Stadt, auf etwas völlig anderes gestoßen. Syle hatte erklärt, er hätte einen Kontakt, der wüsste, wo sich einige von Immersons Männern verbergen könnten und so hatten sie such bereits im Morgengrauen auf den Weg gemacht. Von dem Haus war bei ihrer Ankunft wenig mehr als eine Ruine geblieben. Geschwärzte Balken ragten unter einer Schneewehe heraus, welche die Überreste unter sich begraben hatte. Und davor hatte jemand ein großes Banner aufgepflanzt, auf dem eine silberne Spinne auf violettem Grund zu sehen war. Das Wappen der Familie Immerson. Die kleine Tafel darunter war ebenfalls bereits halb im Schnee versunken, doch Kellvian kratzte sie wieder frei.
,, Verräter an ihrem rechtmäßigen Fürsten.“ , las er mit leiser Stimme vor. Die Namen selber waren unter einer dicken Eisschicht verschwunden, die sich auf der Tafel gebildet hatte, lediglich den Familiennamen konnte er ausmachen. Lothaera. Insgesamt waren es fünf Zeilen. Fünf Todesurteile…
Kellvian stand auf, während jemand bereits damit begonnen hatte, das Spinnenwappen herab zu reißen und zu verbrennen. Einige andere durchsuchten derweil das ausgebrannte Bauwerk, doch alles, was sie zu Tage förderten, waren tote Körper. Vier Leichen. Das Feuer hatte kaum etwas übrig gelassen, an dem man hätte festmachen können, wer sie waren und Kellvian war froh, als sich endlich jemand erbarmte und sie zudeckte. Trotzdem wendete er sich ab und als Syle zu ihm trat sah er, dass auch der Bär sichtlich mitgenommen wirkte. Das waren seine Informanten gewesen, dachte Kellvian. Er hatte sie darum gebeten, ihm mitzuteilen, wenn Immersons Männer sich zeigten. Und sie hatten bitter dafür bezahlt.
,, Es ist nicht eure Schuld.“ , versuchte er ihn zu beruhigen. Doch Syle schüttelte lediglich den Kopf.
,, Das ist es nicht. Immerson mag Tod sein, Kellvian, doch scheint mir, dieser Krieg wird immer noch weiter Opfer fordern. Und wofür ? Für nichts…“
Er nickte lediglich und wendete sich von den Leichen ab. Zumindest, bis ihm klar wurde, dass etwas nicht stimmte. Fünf Namen aber nur vier Körper. Und dann hörte er das Schreien eines Kindes…
,, Ihr kennt den Namen also doch.“ Der rote Heilige holte ihn mit einem Schlag zurück in die Wirklichkeit.
,, Aber nicht woher ihr glaubt ich… Ich habe das ganze Kaiserreich nach euch absuchen lassen. Ich dachte es gäbe keine Überlebenden euer Familie mehr. Das wollte ich sicherstellen, bevor…“
Der Mann ließ ihn nicht ausreden. ,, Nun ich bin euren Häschern entkommen.“
,, Meinen Häschern ?“ Kellvian schüttelte den Kopf. ,, Glaubt ihr wirklich ich wollte euch auslöschen ? Ich glaube ihr versteht nicht, wenn ihr mir nur einen Moment zuhören würdet. Ihr macht einen gewaltigen Fehler…“
,, Ich mache einen Fehler, Kellvian ?“ Der rote Heilige lachte lediglich, während er langsam auf ihn zutrat. ,, Ganz im Gegenteil, ich habe vor einen zu korrigieren…“
,, So hört mir doch zu, als ich bei dem Haus ankam waren schon alle Tod. Ich hatte nichts damit zu tun. Ich kenne sogar euren Namen nur, weil man ihn dort aufgelistet hat. Es waren Andre de Immersons Männer, eure eigenen Kameraden, die eure Familie überfallen haben. Sie wollten sie an uns ausliefern und dafür mussten sie sterben. Sie haben versucht uns zu helfen… Warum sollte ich sie da töten lassen?“
,, Das ist eine Lüge. Und noch eine für die ihr bezahlen werdet. Ihr tut so Nobel, dabei klebt genau so viel Blut an euren Händen wie an meinen. Mit einem unterschied. Als ich am Ende des Kriegs zu meiner Familie zurück wollte, fand ich nur noch Ruinen… und die Spuren eurer Männer. Jahrelang habe ich keine Hoffnung mehr gesehen, Kellvian. Doch dann kam der Herr der Ordnung zu mir. Er sprach mit mir und gab mir die Macht, die Dinge richtig zu setzen. Und wenn ich euch nur vernichte, werden eure Taten bald ungeschehen sein. Selbst der Tod ist nicht jenseits der Macht meines Herrn!“
Mit diesen Worten riss der rote Heilige die Sense an sich und schwang die Waffe nach Kellvian. Dieser kam grade noch dazu, zurückzuspringen, während Janis bereits das Schwert zog um ihm zur Hilfe zu kommen. Der rote Heilige war schnell, schneller, als er das je bei einem Menschen für möglich gehalten hatte. Und obwohl er den brennenden Hass in den Augen des Mannes sehen konnte, fühlte er einen Moment nur Mitleid. Egal was sein Herr ihm versprochen haben mochte, alle Magie konnte die Toten nicht zurück bringen. Sicher, man konnte jemanden vom Rand des Todes zurück holen, er hatte es selber oft genug erlebt und sogar selber erfahren… aber jemanden der schon Jahre lang tot war ? Was wollte er den wiederbeleben einen Haufen Knochen?
Er war eine Spielfigur seines Gottes, nicht mehr, ob das dem roten Heiligen bewusst war oder nicht. Aber eine Spielfigur, die er vernichten musste, dachte Kellvian. Oder sie würde im Gegenzug alles zerstören für was er Jahrelang gearbeitet hatte.
In seiner blinden Wut schien der Mann nicht einmal daran zu denken, Zauber anzuwenden, sondern trieb ihn nur mit einem Hagel aus Schlägen zurück. Kellvian gelang es nur, einige zu parieren, doch jedes Mal wenn er selber zu einem Angriff ansetzten wollte, jagte auch schon wieder die Sense herab.
Janis hatte Mühe auch nur mit ihnen Schritt zu halten, geschweige denn, ihm zur Hilfe zu kommen. Er hinkte immer noch, dachte Kellvian betrübt, während er weiter darum kämpfte auch nur den Arm für die nächste Parade zu heben. Dieser törichte Junge… Er hatte ihn angelogen und doch… hatte er es nicht eigentlich gewusst? Und warum hast du ihn dann mitgenommen? , fragte er sich, während er erneut einem Schlag auswich, der einen Armdicken Ast sauber von einem der Bäume trennte.
Sein Gegner kannte offenbar keine Erschöpfung, doch er gelangte bereits jetzt ans Ende seiner Kräfte. Alle seine Sinne waren aufs äußerste gespannt, seine Lungen brannten und er konnte sein Blut rauschen hören.
,, Bitte, ihr versteht nicht.“ , versuchte er es erneut. Und tatsächlich hielt sein Gegner zum ersten Mal inne. Schwer atmend ließ der rote Heilige die Sense ein Stück weit sinken und funkelte ihn düster an.
Immerhin schien auch er mittlerweile erschöpft, dachte Kellvian. Und dann sah er Janis, der immer noch versuchte, zu ihnen aufzuschließen. Der Junge näherte sich leise, während er das Bein nachzog, die Zähne zusammengebissen um ja keinen Laut von sich zu geben. Der rote Heilige stand mit dem Rücken zu ihm. Nur ein paar Augenblicke noch und es wäre vorbei…
Und doch konnte er das wirklich zulassen? Ein Teil von ihm wollte Janis zurufen zu bleiben wo er war. Der Junge wusste ja nicht einmal, was er da im Begriff stand zu tun. Und alles dank ihm…
,, Ihr seid es, der nicht versteht, Kaiser. Heute zahlt ihr für alles. Und eure Ausflüchte interessieren mich nicht mehr.“ Erneut hob der Mann die Sense. Die gekrümmte Schneide funkelte im letzten Rest Tageslicht Blutrot, spiegelte eine verzerrte Reflexion des umgebenden Walds wieder. Und Janis war so gut wie hinter ihm. ,, Ihr habt mir meine Familie genommen, Kellvian… wie wäre es wenn ich im Gegenzug eure zerstörte ?“
Zu spät wurde ihm klar, dass die Sense nicht auf ihn zielte. Der rote Heilige wirbelte zu Janis herum, bevor dieser überhaupt Begriff was vor sich ging. Die Schneide drang ohne jeden Wiederstand in seine Brust und riss eine klaffende Wunde. Das letzte was Kellvian in den Augen seines Sohnes sah, war grenzenlose Überraschung. Dann riss der rote Heilige auch schon die Klinge zurück und verstellte ihm die Sicht, während Janis zu Boden ging.
,,Nein !“ Kellvian dachte nicht mehr nach. Er stürmte lediglich vor, während der Mörder seines Sohnes nach wie vor vor ihm stand. Der Mann, der genau so wenig verstand, was er grade getan hatte. Und es war ihm plötzlich auch egal, ob er es je erfuhr. In diesem Augenblick kannte er nur noch Wut. Und die Waffe in seiner Hand schien dem Ruf ihres Meisters nach Blut zu folgen. Kellvian beachtete das Licht, das in den uralten Juwelen aufflackerte nicht einmal, genau so wenig, wie die grellen, gelben Flammen, die sich die Klinge entlang fraßen. Singend erwachte der Stahl in seinen Händen zum Leben und doch traf er nur noch Luft, als die Gestalt des roten Heiligen wie beiläufig bei Seite trat und ihm mit der Faust vor die Brust schlug. Die Druckwelle des Zaubers raubte ihm den Atem. Kellvian sah die Welt plötzlich an sich vorbeifliegen und schlug ungebremst gegen den nächsten Baum. Einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, dennoch hatte er es irgendwie geschafft, das Schwert nicht loszulassen.
Schwerfällig schleppte Kellvian sich in die Schatten und blickte zurück, wo noch immer Janis zerschmetterter Körper lag. Der rote Heilige stieg achtlos über ihn hinweg, während er den Wald absuchte. Nach ihm.
Alles in Kellvian schrie danach, sich erneut auf dieses Monster zu stürzen, das so selbstgefällig über Janis stand. Und doch… was würde es bringen? Ein Teil von ihm wusste, dass er keine Chance hatte. Aber vielleicht war das immer noch besser als mit dem Wissen zu leben, das er Janis in den Tod geführt hatte. Schweren Herzens zog er sich langsam in die Wälder zurück um einen Ausweg aus dem Tal zu suchen.
Goldenes Licht sickerte durch die hohen Fenster des Thronsaals. Die Strahlen spiegelten sich auf dem Marmorboden und tauchten alles in einen warmen Schein. Doch Kellvian war nicht warm, als er mit gesenktem Kopf in die Halle trat. Ihm war eiskalt. Draußen ging grade erst die Sonne auf und erweckte die Straßen und Bauten der fliegenden Stadt langsam zum Leben. Noch jedoch gab es nur vereinzelte Gruppen aus Gardisten und Zwergen, die des Nachts durch die Straßen patrouillierten. Dächer und Turmspitzen schimmerten wie poliertes Gold. Noch immer stand die Hauptstadt Cantons, das Herz des Imperiums, wie eine leuchtende Insel inmitten des Chaos, welche das Land befallen hatte. Und doch war es ein fragiler Anblick, der bald schon verschwand während die Sonne langsam höher stieg und das Heer aus Vertriebenen enthüllte, Verzweiflung und Angst hingen wie eine dichte Wolke über den Zelten und einfachen Bauten, die sich über die Ebene um die fliegende Stadt erstreckten. Es waren tausende, wenn nicht mehr und das warne nur diejenigen, die es bis hierhin geschafft hatten. Leute aus dem Osten, aus Helike und aus Maras. Wie viele jedoch bereits ihr Leben verloren hatten ließ sich nur schätzen und mit jedem Tag der Verging wurden es mehr.
Kellvian betrat den Thronsaal blutend und alleine…
Jiy sah ihn nur mit großen Augen an, während sie auf ihn zutrat, nach Janis suchte… Dabei musste sie die Wahrheit schon geahnt haben, als sie ihn das erste Mal erblickt hatte.
Er schüttelte lediglich den Kopf, und musste sich plötzlich zwingen weiter zu gehen. Er konnte ihr nicht einmal ins Gesicht sehen, als sie vor ihm stehenblieb… und den Kopf auf seine Schulter sinken ließ. Kellvian konnte spüren, wie ihre Tränen en Stoff seiner Kleidung durchtränkten, während er hilflos die Arme um sie legte.
,, Es tut mir leid.“ Es war die einzige Antwort, die er auf ihr ersticktes Schluchzten hatte. ,, Ich habe versprochen ihn zu beschützen ich…“
,, Das ist nicht deine Schuld.“ Jiys Stimme klang nach wie vor belegt, während sie mit nassen Augen zu ihm aufsah. In ihrem Rücken winkte Syle derweil die Wachen mit sich, während er respektvoll den Saal verließ. Er wusste genau so gut, was Kellvians alleinige Rückkehr zu bedeuten hatte…
Für den Moment blieben sie alleine in der weitläufigen Halle zurück und zum ersten Mal seit langem kam sich Kellvian schlicht klein vor. Genauso verloren wie Jiy und so blieben sie lediglich ineinander verschlungen stehen, hielten scih aneinander fest, weil ihnen sonst kaum etwas geblieben war. Das Reich, das er ein Leben lang aufgebaut hatte brannte… und sein eigenes Leben lag zerschmettert zu seinen Füßen.
,, Ich hätte Janis längst sagen sollen, wer er ist.“ , murmelte er. ,, Jetzt wird er es nie erfahren…“
Jiy schien nicht zu verstehen, was er damit sagen wollte. ,, Ist er deshalb weniger unser Sohn? Der Rest zählt nicht. Das hat er nie. Was hätte es schon geändert…“
Eine Menge wollte er sagen. Und doch, genau wusste er es nicht. ,, Vielleicht wäre es wichtig gewesen..“
Tag der Veröffentlichung: 12.09.2016
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