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Prolog

 

 

Die Erde war so weit das Auge sehen konnte mit dunklen Sprenkeln bedeckt. Fast, als wäre das Land selbst krank. Und es war eine Krankheit, dachte Ismaiel. Eine nicht enden wollende Flut, die über sie hereingebrochen war… Die dunklen Flecken waren Tote. Hunderte, tausende, so dicht an dicht, das das man den Grund unter ihnen nicht mehr erkennen konnte. Ihre letzte Verteidigungslinie und sie war gefallen.

Der Erzmagier wendete sich von dem Anblick ab, als er vom Balkon eines großen Anwesens zurücktrat. Das Gebäude thronte auf einem Hügel über der brennenden Stadt zu ihren Füßen. Was einstmals die größte Siedlung in einem die Welt umspannenden Imperium gewesen war, wurde nun ein Opfer der Flammen und der kreischenden Schatten, die dazwischen umherhuschten. Ismaiel konnte die Schreie der Sterbenden und das Klirren von Stahl auf Stahl hören. Ab und an flackerte eine weitere Feuersäule auf, ob von einem Magier oder einem der Schrecken ausgelöst, wusste er nicht zu sagen…  Wie lange konnten sie noch durchhalten? fragte er sich. Lange genug um es zu Ende zu bringen? Selbst die Unsterblichen hatten sich von ihnen abgewandt, nicht bereit gegen ihre Grundsätze zu verstoßen und  ihnen zu helfen.

Der große, hagere Mann betrat eine kleine Vorhalle. Säulen stützten ein hohes  Kuppeldach und dicke Mauern aus weißem Marmor blendeten den Lärm der Schlacht aus. Hinter einem Vorhang drang stattdessen ein anderes Geräusch hervor. Hammerschläge, begleitet von dem Geruch brennender Kohlen. Ismaiel schlug den schweren Stoff beiseite. Der Geruch von Kohle wurde von dem brennenden Stahls und einer Hitzewelle überdeckt, die dem Magier Schweißperlen auf die Stirn trieben. Ohne darüber nachzudenken, rief er einen Schuttzauber herbei, der die Wärme abhalten würde. Es war die Magie, die es ihnen erlaubt hatte, ihre Herrschaft immer weiter auszubauen. Und nun war es die gleiche Magie, die sie an den Rand der Vernichtung getrieben hatte.

Neben ihm befanden sich noch drei andere Personen im Raum. Zwei davon arbeiteten an einer großen Schmiede, die zu einer über den Berghang hinausragenden Terrasse hin ging. Der dritte Mann trug wie er die Roben der höchsten Kaste ihres Volkes. Die mit Purpur und Gold durchwirkten Stoffe jedoch waren mit Schmutz übersäht und wiesen mehrere, deutliche Blutflecken auf. Blut, das selbst in die grau-schwarz melierten Haare eingetrocknet war

Trotzdem stahl sich ein Lächeln auf Ismaiels Züge, während er auf den Mann zutrat.

,, Bruder !“ Der andere Zauberer schien ich genauso zu freuen und fasste ihn einen Moment an den Schultern.

,, Ich dachte ihr wärt Tod, Alagan.“ , meinte Ismaiel.

Der als Alagan angesprochene schüttelte den Kopf. ,, Ich bin grade noch entkommen, bevor der Herr der Ordnung unsere Truppen vor der Stadt zerschlagen hat. Die anderen… hatten nicht so viel Glück. Wie sieht es hier aus?“

Anstatt zu antworten, bedeutete Ismaiel seinem alten Freund nur ihm zur Schmiede zu Folgen. Den beiden Männern, die nach wie vor daran arbeiteten stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Auf dem Stück Metall, das einer von ihnen grade mit gezielten Schlägen in Form brachte, ruhte mittlerweile ihre letzte Hoffnung. Wie sollte man etwas besiegen, das nicht aufzuhalten war? Das man nicht töten konnte? Die Antwort war letztendlich vom Himmel gefallen. Genau in dem Augenblick wo sie sie brauchten. Vielleicht hatten die Sterngötter am Ende Mitleid mit ihrem Volk gehabt…

Schweigend sahen die beiden Magier zu, wie aus dem glühenden Stahl langsam die Form einer Klinge wurde, während der zweite Schmied bereits am späteren Griffstück arbeitete. Doch es war keine Waffe, was hier entstand, sondern ein Gefäß, dachte Ismaiel, etwas, das einen Gott einsperren konnte. Als die Klinge schließlich erkaltete, wusste er, dass es funktionieren würde.  Das Metall wirkte wie nichts, das er je zuvor gesehen hatte. Beinahe Kristallin und durchscheinend, hätte die Schneide auch aus geformtem Mondlicht bestehen können. Als könnte ein Windhauch sie zerbrechen.

,, Herr…“ Der Schmied, der die Klinge geformt hatte wagt es als erstes zu sprechen, während er die Waffe ihrer Rettung  in Öl tauchte. ,, Wir haben getan, was wir konnten, jetzt liegt es an euch.“

Ismaiel nickte und streckte die Hand nach dem aus dunklem Metall gearbeitetem Heft des Schwerts aus.

Bevor er jedoch dazu kam, die Waffe an sich zu nehmen, wurde der Schmied zusammen mit dem Schwert rückwärts geschleudert. Das Geräusch als der Mann ungebremst gegen das Geländer der Terrasse krachte, ging Ismaiel durch Mark und Bein. Der Stein gab unter der Wucht nach und bevor er noch etwas tun konnte um ihm zu helfen, stürzte der Schmied auch schon haltlos in die Tiefe. Das einzige, was zurückblieb war das sanft im Licht der Sterne schimmernde Schwert. Das Ganze war so schnell geschehen, das Ismaiel noch gar nicht verstanden hatte, was vor sich ging.

,, Ihr seid zu spät.“ , meinte die Stimme Alagans hinter ihm. ,, Mein Meister wird bald hier sein und wenn ihr glaubt, dass das da ihn noch stoppen kann, dann habt ihr vergessen, gegen wen ihr euch stellt…“

Verrat… Ismaiel war, als hätte ihm jemand eine eisige Klinge ins Herz getrieben. Genau das hatte er in den letzten Monaten und Jahren, die dieser unsägliche Krieg nun schon andauerte, zu oft gespürt. Freunde, die ihre Freunde ermordeten, Stadtherren, die ihre gesamte Bevölkerung der Bestie zum Fraß vorwarfen, die sie verehrten…  Und nun ein letztes Mal, so kurz vor dem bitter erkauften Triumph.

,, Warum ?“ , fragte er nur müde, während er sich zu Alagan umdrehte. Er hätte aufmerksamer sein müssen, dann hätte er vielleicht gesehen, was der Mann bisher versteckt hatte. Die Haut an seinen Fingerspitzen begann bereits sich dunkel zu verfärben. Ein erstes Symptom der Plage, die diese Welt befallen hatte.

,, Mein Herr hat mich mit mehr Macht gesegnet, als ihr je haben werdet.“

,,Um den Preis eurer Freiheit. Und um den Preis des Lebens unseres Volkes !“

,, Unser Volk ist Tod , Ismaiel. Ihr wart nicht dort draußen, ihr habt es nicht gesehen. Ganze Armeen mit einem Wimpernschlag ausgelöscht. Aber wir können Überleben. Zwingt mich nicht euch zu töten.“ In der Stimme seines alten Freundes schwang etwas Flehendes mit. Vielleicht, ganz vielleicht, gab es noch eine Chance.

,, Kannst du das denn ? Alagan, wir haben eine Chance zu gewinnen. Es kann heute enden.“

,, Das wird es auch fürchte ich.“

Ismaiel hatte genug. Zorn, Trauer und Hass vermischten sich in seinem Geist, nahmen mit einem Gedanken Form an. Es würde hier enden, aber nicht so wie Alagan es sich vorgestellt hatte. Er hob eine Hand. Lichtstrahlen brachen aus den ausgestreckten Fingern hervor. Alagan , offenbar von der Plötzlichkeit des Angriffs überrascht, schaffte es grade noch, einen Schild herbeizurufen, bevor die ätherischen Lanzen ihn durchlöcherten. Doch der Zauber hielt nicht völlig stand. Ein einzelner Blitz schaffte es, die Barriere zu durchdringen und drang in die Schulter des gewandelten Zauberers ein.

Mit einem Schmerzensschrei taumelte er rückwärts. Ismaiel blieb jedoch keine Zeit, sich über den kleinen Sieg zu freuen. Noch bevor Alagan sich gefangen hatte, begann sein Körper sich zu verändern. Die Haut seinen Arm entlang verfärbte sich dunkel und begann aufzuplatzen. Ismaiel wendete sich ab, hatte den Vorgang zu oft gesehen, als das er ein weiteres Mal ertragen wollte.  Krankheit und Verfall… Das war alles, was man ihnen für ihre Dienste bot…

,, Ihr könnt nicht gewinnen.“ Es war nur noch zum Teil Alagan der dort Sprach. Der verzerrte und entstellte Körper des Mannes stakste wieder ein Stück auf ihn zu. Ismaiel erkannte den Herrn der Ordnung, der von seiner neuesten Marionette aus zu ihm sprach.

,, Wir werden sehen….“ Erneut rief er alles herbei was er hatte. Alagan war ein mächtiger Zauberer und seine Wandlung hatte ihn vielleicht noch stärker werden lassen. Aber er war der oberste Zauberer seines Volkes. Mit ausgestreckten Händen schleuderte er eine Wolke aus Feuer auf den Mann. Er wollte nicht, das etwas von der entstellten Kreatur vor ihm blieb, nichts, das daran erinnerte, das Alagan, der bis hierher doch immer zu ihm gestanden hatte, ihm einen Dolchstoß versetzen wollte. So sollte man sich nicht an ihn erinnern…

Die Flammen liefen über den Körper des anderen Magiers, leckten an der noch unversehrten Haut und brachten die dunklen Schuppen, die nun  über seinen rechten Arm und Teile des Gesichts liefen zum Kochen. Die Schreie hätten Ismaiel beinahe dazu gebracht, seinen Angriff zu beenden. Aber er hatte keine Wahl. Und so verstärkte er den magischen Feuerstrom lediglich, welcher das Monster, das einst ein guter Freund gewesen war, zurücktrieb, bis es sich in den Vorhängen, die den Ausgang versperrten verhedderte und  zu Boden ging. Schwer atmend, wendete Ismaiel sich von dem schwelenden Leichnam ab und trat zurück zu der Stelle, an der das Schwert am Boden lag. All das hierfür. Mit einem seufzen hob er die Waffe auf und machte sich bereit, das Haus zu verlassen.  Im gleichen Moment jedoch, stürmte eine weitere Gestalt in den Raum. Der Mann trug einen vergoldeten Harnisch und der grün-silberne Umhang, der ihm über die Schultern viel, wies ihn als Leibgarde der Magier-Kaste aus. Nicht, dass sie noch viel zu beschützen hätten, dachte Ismaiel. Mit Alagans Tod, wie viele ihrer Art waren überhaupt noch übrig?

Der Mann starrte einen Moment auf die verbrannte Leiche und den zusammengekauert in einer Exke sitzenden zweiten Schmied, bevor er sich Ismaiel zuwandte.

,,  Wir haben die gesamten westlichen Bezirke einschließlich der Tore  verloren.“ , erklärte er hastig. ,,  Der Feind rückt weiter in Richtung Haupttempel vor und uns gehen die Reserven aus. Eure Befehle, Herr ?“

,, Wir ziehen uns zurück. „ , erklärte Ismaiel. ,, Jeder der es schafft, soll sich an den Hallen des Kastenrats sammeln.“

 

Die Ratshallen waren  eine gewaltige Anlage ganz im Süden der Stadt. Direkt an einer Bergflanke gelegen war es vielleicht einer der letzten sicheren orte hier… aber auch ein Ort, von dem es kein Entkommen mehr gab. Gewaltige Kuppelbauten und Türme waren vor einem großen, in den Berg eingelassenen Tor errichtet worden. Der große Platz, der direkt davor lag, war mit Marmorplatten ausgelegt worden, die nun jedoch unter einer dicken Schicht Asche verschwanden. Mittlerweile war der Morgen nicht mehr fern. Ismaiel konnte den fernen Schimmer der ersten Sonnenstrahlen bereits am Horizont ausmachen. Und mit dem Morgen, kamen die kläglichen Reste, die er ein letztes Mal Anführen sollte. Etwa einhundert verängstigte Männer und Frauen, die sich  auf dem Platz zusammenkauerten, umgeben von einem Ring der Magier-Leibgarde. Er sah hinaus zu den Flammen, die ihre einstmals prächtige Stadt verzehrten. Das Feuer war jetzt schon so nahe, das er erneut das durdringende Geräusch der Monstrosität hören konnte, die es mit sich brachte. Ismaiels Hände umklammerten das Kristallschwert. Eine letzte Hoffnung. Aber nicht für sie, dachte er. Sie würden hier alle den Tod finden… Und doch mussten sie durchhalten. Er spürte die feinen Vibrationen, die sich durch die Luft ausbreiteten und das Näherkommen des Dämons verkündeten.  Ihre eigene Gier nach Macht war zu ihrem Untergang geworden, hatte das Wesen genährt, das jetzt sein Urteil über sie vollstreckte.

Der Herr der Ordnung würde es sich nicht nehmen lassen das Ende zu begutachten. Und damit würde er ihnen in die Falle gehen.  Noch bevor Ismaiel den Gedanken beendet hatte, fiel ein Schatten vom Himmel. Wirbelnde Dunkelheit, die keine feste Form zu kennen schien und nur ab und an eine annähernd  menschliche Gestalt zum Vorschein kommen ließ und sich langsam verdichtete.  Ismaiel  spürte, wie er unter der Gegenwart dieser Kreatur zu zittern begann. Vielleicht hatte Alagan am Ende recht gehabt, vielleicht konnten sie nicht siegen.  Aber wenn er scheiterte, wenn das heue sein Ende war, würde er sicher nicht auf den Knien sterben.

,, Seit ihr also gekommen um es selbst zu beenden ?“ , rief Ismaiel ihm zu und war überrascht, wie kräftig seine Stimme dabei blieb. ,, Ihr seid nur gekommen um euer eigenes Ende zu finden !“

,,Ich bin ein Gott. Wie willst du einen Gott vernichten ?“ Die Stimme schnitt durch die Luft wie Stahl, brachte kleinere Steine zum Zittern und mehr als einer von Ismaiels letzten Kriegern sank schlicht auf die Knie.

Statt eine Antwort, verlor der Schatten erneut jegliche Form und raste über den mit Asche bedeckten Platz. Erst dachte der Erzmagier noch, der Dämon würde seinen Angriff gegen ihn richten, stattdessen jedoch verfehlte die Welle aus Dunkelheit ihn knapp… und war plötzlich mitten unter den verbliebenen Kriegern und den zusammengekauerten Bürgern. Ismaiel wusste, das es zu spät war, bevor er sich umdrehte. Körper wurden durch die Luft geschleudert oder fielen Tod zu Boden wo sie standen. Andere brachen Schreiend zusammen, durchzuckt von Magie, die sie nicht einfach sterben lassen würde.

Er zwang sich, nicht wegzusehen, während der Herr der Ordnung, diese  Antithese des Lebens, vernichtete, was von seinem Volk übrig sein mochte. Zum zweiten Mal an diesem Tag gruben sich eisige Zähne in seine Seele und hinterließen ihre Narben wie so viele zuvor. Mit festen Schritten, das Schwert nach wie vor in der Hand, trat er zwischen die wogende Dunkelheit. Es gab nur diese eine Chance, wenn es je eine Generation nach der ihrigen geben sollte. Und so sprach er den Zauber, für den so viele ihr Leben gegeben hatten, bevor die Schatten ihn ganz einschlossen. Einen Moment lang gab es nur Dunkelheit um ihn herum, lediglich durchbrochen durch das sanfte Glühen der Waffe in seiner Hand.  Hatte er versagt? , fragte Ismaiel sich,   Hatten sie einen Fehler gemacht? Wenn ja, würde er jeden Moment sterben.

Dann jedoch wurde das Glühen der Schwertklinge in seinen Händen heller, erst unmerklich, bald jedoch so gleißend, dass er die Augen schließen musste. Im gleichen Augenblick erhob sich die Stimme des Dämons in seinem Kopf, versuchte, seinen Geist zu zerreißen, brüllte, weil er hereingelegt worden war…

,, Ihr habt nicht gewonnen !“ , schallte es durch seinen Verstand. Ismaiel achtete nicht darauf, sondern verwendete jetzt all seine Konzentration dazu, den Zauber aufrechtzuerhalten, den er begonnen hatte. Das Leuchten wurde schwächer. Im gleichen Maß jedoch wurde der Schatten, der ihn umgab zur Klinge hin weggesogen, als hätte jemand ein Ventil geöffnet. Und das war es auch, dachte Ismaiel. Diese Kreatur hätte nie in ihre Welt eindringen sollen. Nur durch ihren eigenen Stolz und ihr grenzenloses Vertrauen in ihre Fähigkeiten war es überhaupt möglich gewesen. Und er behob dieses Ungleichgewicht jetzt  wieder.

,, Das glaubt nur ihr !“ Mit letzter Kraft sah Ismaiel zu, wie das strahlen des Schwerts endgültig verlosch und damit auch der Schatten verschwand. Er sank auf die Knie, die Waffe von sich haltend. Der Herr der Ordnung war fort. Und mit dem letzten Heulen des Schattens erklang das Kreischen seiner Untergebenen, der Gewandelten Magier, der Kreaturen die er herbeigerufen hatte…

Sie würden ohne ihren Meister nicht überleben, das wusste er. Und doch musste er sicher gehen… Er würde dieses… , er betrachtete das dunkel verfärbte Schwert,  Ding an den einen Ort bringen, den hoffentlich nie ein Lebendes Wesen betreten würde.

,, Ich werde jene aussenden, die mich finden können !“ , hallte es ersterbend in seinem Kopf.

 Ismaiel achtete nicht darauf. Bald würden dem Herrn der Ordnung keine Diener mehr bleiben. Ohne die Macht ihres Meisters  waren sie alle verdammt. Dafür war ihr Zustand zu weit entfernt von allem, was diese Welt dulden konnte…

Er sendete seinen Geist aus, rief nach einem alten Freund, den er in den Jahren des Krieges nur selten zu Gesicht bekommen hatte. Und doch war er sofort da. Ismaiel lächelte schwach bei dem Gedanken was für ein seltsames wiedersehen das werden würde. Langsam ging er über den mit Leichen, Blut und Asche übersäten Platz und setzte sich auf die Stufen vor dem Eingang der Ratshalle. Er fühlte sich müde, der Zauber hatte ihm viel Kraft gekostet. Wie einfach es wäre, sich nun hinzulegen… einfach zu sterben nachdem getan war, was  getan werden musste. Doch dann wäre sein Volk endgültig verloren. Tatsächlich fürchtete, es könnte bereits zu spät sein. Zu viele von ihnen waren Tod oder korrumpiert... Vielleicht konnte es noch einen Neuanfang  geben. Vielleicht aber auch nicht... Er würde es versuchen müssen Sie alterten nicht wie übrige sterbliche Völker, die  Menschen des Nordens und Tiermenschen, aber es gab  jetzt so wenige von ihnen... Vielleicht war er schon der Letzte?  Er wusste nicht, wie lange er so dasaß, bis das Geräusch gewaltiger Schwingen ihn aus seinen Gedanken riss. Erneut wurde der Platz in Dunkelheit getaucht, als der Drache endlich eintraf. Die Schuppen der gewaltigen Kreatur spiegelten das Morgenlicht wieder, als es in der nun Still gewordenen Stadt landete. Ismaiel erhob sich und ging ihm entgegen. Er würde einen Wächter für diesen Ort und über die verbliebenen Diener des Herrn der Ordnung brauchen…

 

Kapitel 1 Sterneisen

 

 

 

Das Jahr 235 der Herrschaft der Balfare-Dynastie…

 

Galren wurde einen Moment schwindlig.  Der Wind zerrte an seinen braune Haare und schien ihn, wenn er nicht aufpasste, glatt über die Kante tragen zu wollen. Der Junge stand am Rand einer steil nach unten abfallenden Klippe. Ein gewaltiges Loch, das sich ohne Vorwarnung in der Landschaft auftat. Moose und Flechten überwucherten die steinernen Kanten und hingen teilweise bis hinab in das Wasser, das sich im Laufe der Zeit in der Mitte des Kraters gesammelt hatte. Viele, vor allem die Älteren Dorfbewohner, wagten sich nie so nah heran, aber früher musste hier reges Treiben geherrscht haben. Galren konnte noch die alten Wege erahnen, die einst in die Felsen geschlagen worden waren und die zum See hinab führten. Wenn man den Legenden glauben konnte, war dieser Ort der Grund für Hamads einstigen Ruhm gewesen, denn angeblich war es genau hier wo vor unzähligen  Generationen ein Stern vom Himmel gefallen war. Doch nun versank die Insel am sprichwörtlichen Rand der Welt zunehmend in Bedeutungslosigkeit.  Etwas, das selbst der Junge mit seinen kaum sieben Jahren bereits zu verstehen begann. Das kleine Fischerdorf an der Südküste, das er sein Zuhause nannte bekam grade so genug Fänge zusammen um seine eigene Bevölkerung zu ernähren. Und selbst Freybreak im Norden der Insel verlor sichtlich an Glanz. Auch wenn es ein halbes Jahr her war, das er das letzte Mal dort gewesen war. Sein Vater ging nicht mehr so oft auf Reisen wie früher noch. Dafür jedoch kamen immer mehr Leute zu ihm… Alles wegen der anstehenden Abreise. Galren verstand nicht genau,  wohin sein Vater eigentlich wollte. Für eine bloße Reise zum Festland jedenfalls, brauchte man nicht hundert Leute anwerben. Vielleicht ging es ja um die fliegende Stadt? Aber was würde der Kaiser von einem einfachen  Navigator wollen, selbst wenn dieser durch seine Begabung ein kleines Vermögen verdient hatte?

Hamad jedenfalls, war verfallen.

 Doch früher, zur Zeit der alten Kaiser  als die Minen im Krater noch nicht geflutet waren… da hatte es vielleicht anders ausgesehen. Es machte Spaß sich vorzustellen, wie statt ihm tausende von Arbeitern mit Lasttieren und Werkzeugen den Weg in die Tiefen antraten um das einzigartige Metall zu fördern, das einst vom Himmel gerissen worden war. Doch heute interessierten diesen Ort nur noch die Fische, die träge  unter der smaragdgrünen Wasseroberfläche dahinschwammen  und gelegentlich nach Libellen und anderen Insekten schnappten.  Ganze Schwärme von Eisvögeln huschten als bunte Pfeile über ihm hinweg, aufgeschreckt von dem Auftauchen des Jungen.

Galren lief am Ufer entlang, bis er die Stelle erreichte an der es so aussah, als wäre der Weg zu Ende und verlöre sich im Wasser. Der Junge wusste mittlerweile jedoch, dass dem nicht so war. Bis vor einigen Wochen hatte er sich bei seinen Streifzügen über die Insel vom Krater ferngehalten, doch mittlerweile kannte er jeden Winkel im Umkreis eines Tagesmarsches um sein Dorf.   Blieben nur die alten Sterneisen-Minen.

Seine Eltern hatten längst aufgegeben sich wegen seiner Streifzüge r Sorgen zu machen… zumal er es bisher noch nicht fertig gebracht hatte, sich zu verirren. Irgendwie wusste er immer  instinktiv, wie er zurückkam. Sein Vater lachte nur darüber wenn er danach fragte… und einmal, beinahe verschwörerisch hatte er gemeint: ,, Mir geht es ähnlich. Eines Tages…“

Aber was auch immer eines Tages bedeuten sollte, er hatte es nicht erklärt.

Vorsichtig tastete der junge Galren mit einem Fuß im trüben Wasser, bis er einen Stein fand, auf dem er stehen konnte. Dann nahm er den anderen Fuß vor und wiederholte das Ganze. Entweder war das hier Teil eines alten Pfads oder die Steine lagen von Natur aus so, dass man trocken bis an die gegenüberliegende Kraterwand gelangen konnte. Die überwucherten Felsen ragten wie eine grüne Mauer vor ihm auf, aber wie schon beim ersten Mal als er hierherkam wusste Galren einfach, das es sich dabei um eine Täuschung handelte. Zielsicher schlug er einige Farne beiseite und legte einen nur Eingang im Felsen frei. Der leicht ansteigende Boden sorgte dafür, dass er trockenen Fußes hinübertreten konnte. Im gleichen Moment vielen die Farne und Pflanzen auch schon hinter ihm wieder zu, wie ein Vorhang. Langsam sah Galren sich um.

Die Lücke im Felsen war annähernd kreisförmig und Spuren von Hämmern und Meißeln zeigten, dass sie nicht von selbst entstanden war. Das war jedoch schon alles, was er erkennen konnte, den bereits wenige Schritte vom Beginn der Höhle entfernt, gab es kein Sonnenlicht mehr. Bei seinem letzten Besuch hier hatte Galren kein Licht gehabt und sich nicht weiter hinein getraut. . Diesmal jedoch, war das anders.

Der Junge setzte den Rucksack ab, den er bis hierin mitgetragen hatte und förderte eine Fackel, Öl und ein Stück Feuerstein mit  Stahl zur Tage. Vorsichtig um nichts zu verschütten goss er das Öl über das Leinen der Fackel und entzündete es nach einigen versuchen auch. Die zuerst nur klägliche Flamme breitete sich rasch aus und erzeugte bereits nach wenigen Augenblicken einen flackernden Kreis aus Licht um den Jungen. Das Licht spiegelte sich in grauen Augen wieder, die sich staunend umsahen. Es war noch nicht viel zu erkennen, aber die Höhle endete definitiv nicht nach einigen Schritten. Im Gegenteil.  Der Boden wurde weiter entfernt vom See wieder abschüssig und führte gradewegs weiter in die Erde… Einen Moment war Galren sich tatsächlich unsicher ob er weitergehen sollte. Draußen und in den Wäldern kannte er sich aus. Das hier jedoch war neu. Wie sollte er zurück finden wenn er sich verlief oder die Gänge der alten Mine  sich verzweigten?

Doch dann besann er sich. Ihm würde nichts passieren, schien eine Stimme in seinem Kopf ihm zuzuflüstern. Also gut…

Er setzte sich wieder In Bewegung und das unstete Licht der Fackel ließ seinen Schatten mal hier, mal dort an den Seiten des Ganges auftauchen. Die Luft hier unten roch sogar anders wie draußen, stellte der Junge nach einer Weile fest. Modrig, alt… eben wie etwas, das schon vor unglaublich langer Zeit verlassen worden war. Und das war es auch. Sterneisen fand man seit Jahrhunderten keines mehr und  Gegenstände, daraus waren mittlerweile so selten, dass sie mehr zur Legende zählten als zu etwas, das wirklich einmal existiert hatte. Doch hier unten gab es noch etwas davon. Es glitzerte als hauchdünne Adern in den Wände. Kleine, silbrig weiße Kristalle, die man nur erkennen konnte, wenn man sich direkt davor stellte. Würde man abkratzen, was noch hier war, man würde vielleicht grade einen Fingerhut voll Staub zusammenbekommen. Der Junge wendete sich von den Adern im Felsen ab und ging weiter. Nach wie vor führte der Felsgang nach unten. Dabei jedoch, wurde er zunehmend niedriger und schmaler, bis selbst der Junge sich ducken musste, um sich nicht den Kopf zu stoßen. Vermutlich hatten die früheren Arbeiter hier kriechen müssen. Dann jedoch, endete der Weg plötzlich. Die Wände wichen zurück und gaben einen gewaltigen Hohlraum frei. Die Seitenwände genauso wie die Decke verschwanden in der Finsternis… Trotzdem trat Galren ohne zu zögern hinaus. Es war, als hätten seine Füße längst ihren eigenen Willen und trugen ihn bloß noch mit sich. Und obwohl der Durchgang hinter ihm fast sofort von der Dunkelheit verschluckt wurde, wusste er, dass er ihn Notfalls wiederfinden konnte. Hier unten galten die gleichen Regeln wie oben. Er spürte seinen Weg mehr, als das er ihn wirklich fand. Während er durch die Dunkelheit ging, sah er vor sich plötzlich ein weiteres Licht aufglimmen, viel schwächer als das seiner Fackel… aber definitiv da. Es bewegte sich jedoch nicht, sondern schien nur in einem unsteten Rhythmus zu und abzunehmen. Und dann wurde dem Jungen klar, was er da sah. Es war keine eigene Lichtquelle, sondern etwas reflektierte den Fackelschein… Etwas großes, Silbernes…

Galren trat näher und hielt die Fackel dabei höher um besser sehen zu können.  Es waren Steine, einige davon vielleicht groß wie seine geschlossene Faust, andere hingegen  so groß wie sein Kopf. Und die silbrigen Kristalle, die ihre Oberfläche komplett überzogen, waren für die Reflektion verantwortlich gewesen. Sterneneisen… Der Junge wusste instinktiv, was er da gefunden hatte. Das hier war vielleicht wertvoller als Gold. Beinahe ehrfürchtig nahm er einen der Erzbrocken in die Hand. Selbst für einen Felsen war der Stein erstaunlich schwer…. Er könnte nie im Leben alles mitnehmen. Und das sollte er vielleicht auch gar nicht. Dieser Ort war von der Welt vergessen worden und vielleicht gab es einen guten Grund dafür. Sein Gefühl jedenfalls, sagte ihm, auf keinen Fall zu gierig zu sein.  Galren setzte den Rucksack ab und legte lediglich eines der größeren Kristallfragmente hinein. Doch auch so würde das Gewicht  ihn bereits langsamer machen. Er schulterte den Rucksack wieder und machte sich auf den Weg aus den Höhlen. Bevor er jedoch seinen Ausgang wiederfinde konnte, lief ein Zittern durch den Stein unter seinen Füßen, gefolgt von einem tiefen Grollen. Es war, als würde irgendwo ein Untier erwachen und jede seiner Bewegungen den Grund erschüttern. Doch Galren wusste es besser, als die ersten kleineren Steine von der Decke herab zu rieseln begannen. Ob dieser Ort über die Jahrhunderte so instabil geworden war  oder ob es schlicht Zufall war zählte nicht mehr. Galren rannte los, durch das formlose dunkel. Zu den kleinen Steinen gesellte sich nun bereits faustgroße Brocken, die, wen sie ihn trafen, seinen Schädel einfach zertrümmern würden. Doch erneut schienen seine Füße ihn zu leiten, schien er vor sich zu sehen, wohin er treten musste um den schlimmsten Trümmern zu entgehen. Das Gewicht an seinen Schultern drohte, ihn zu ermüden, aber weder hätte er die Zeit den Rucksack los zu werden, noch war er schon bereits, ohne irgendetwas abzuziehen. Und dann tauchte auch endlich der Gang vor ihm auf und Galren sprintete hindurch und nach oben, so schnell ihn seine Beine noch tragen wollten. Aus dem Grollen war mittlerweile lautes Poltern geworden, als die Höhle endgültig kollabierte. Staubwolken stiegen auf und hinter ihm her, als der Junge endlich etwas langsamer wurde. Ein rascher Blick über die Schulter zeigte ihm, dass der Gang hinter ihm komplett verschüttet war. Felsbrocken so groß wie Häuser hatten sich aus der Decke gelöst und hoch übereinander getürmt. War es vorher schwierig gewesen, durch die Engstelen im Tunnel zu gelangen, waren diese nun endgültig versiegelt…

Langsam, nur ganz langsam wurde ihm klar, wie knapp er grade noch dem Tod entkommen war. Ab heute, schwor er sich, würde er sich von den Tiefen dieser Insel tunlichst fernhalten, wenn r die Wahl hatte. Hätte er auch nur einen Stein mehr mitgenommen, das Gewicht hätte ihn zu langsam gemacht um noch zu entkommen, da war er sich sicher. Galren beschleunigte seine Schritte wieder, hatte es jetzt eilig, dem drückenden Dunkel zu entkommen. Als er den Seezugang wieder erreichte, schlug er die Farne und Büsche davor ohne zu zögern bei Seite und tapste ins knietiefe Wasser hinaus. Das Licht blendete ihn einen Moment, aber Götter, es tat gut, wieder an der frischen Luft zu sein. Und er hatte den Rucksack nach wie vor bei sich. Was wohl sein Vater zu seinem Fund sagen würde? Vorausgesetzt natürlich, er glaubte ihm überhaupt.

Und dann sah er die Männer. Es waren vielleicht ein halbes Dutzend, die sich am Seeufer verteilt hatten, alle gekleidet in gleichförmige graue Uniformen.  Ihre Musketen hatten sie an der Felswand abgestellt und sie hockten nun, scheinbar entspannt, um eine provisorisch errichtete Feuerstelle verteilt. Das hieß, bis sie Galren bemerkten, der wie ein Geist aus der überwucherten Wand auftauchte. Langsam standen sie auf und  dabei viel der Blick des Jungen auch auf das Wappen, das einer der Männer auf seiner Kleidung trug. Es war eine silberne Spinne auf violettem Grund. Ein Wappen deines  Krieges, der längst vorbei schien und von dem sie hier draußen immer nur am Rande gehört hatten.  Das Wappen des Aristokratenbunds von Andre de Immerson…  Galren wusste nicht, was er zu erwarte hatte, aber er wusste, das er in der Patsche saß.  Dagegen schien der Felssturz von eben noch geradezu harmlos… Nach vorne gab es nur einen Weg aus dem Krater heraus und vor dem standen die Soldaten.  Und der Weg hinter ihm war abgeschnitten, wie er nur zu gut wusste…

Er saß in der Falle.

 

Kapitel 2 Eine seltsame Begegnung

 

 

 

Wie auf ein stilles Kommando hin griffen die Männer fast zeitgleich zu den Waffen. Die eben noch wie vergessen an der Felswand angelehnten Gewehre wurden innerhalb weniger Herzschläge auf die zierliche Gestalt gerichtet, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war.

Galren fand sich unfähig, sich auch nur zu bewegen. Sein Körper war starr vor Angst und der Überzeugung, gleich einen Knall zu hören und den beißenden Geruch von verbranntem Schwarzpulver zu riechen. Die letzten Sinneseindrücke seines Lebens. Bevor es jedoch so weit kam, gebot einer der Männer, vielleicht ihr  Offizier den anderen Einhalt.

,, Lasst gut sein, das ist nur ein Junge.“

Vielleicht wäre das Galrens Chance gewesen, zwischen den irritierten Soldaten hindurch zu huschen und zu entkommen, aber nach wie vor waren seine Beine wie angewachsen.  Und die Männr des Aristokratenbundes hielten ihre Waffen nach wie vor auf ihn gerichtet. Götter…

Der Aristokratenbund war eine Gruppe der Adeligen Cantons gewesen, die nach dem Tod des alten Kaisers gegen dessen Sohn rebelliert hatten. Aber Andre de Immerson, der Anführer des Adels, war schon vor 3 Monaten besiegt und getötet worden, angeblich sogar von einem seiner eigenen Slaven.

Er hatte gehört, dass sich Überreste der Armeen des Bundes in den Wäldern und abgelegenen Regionen des Landes versteckt hatten, aber dass sie hier auftauchten auf Hamad… Wie waren sie überhaupt über die See gekommen? Es schien keine Rolle zu spielen, sie waren definitiv hier und er saß nach wie vor in der Falle… Vielleicht ließen sie ihn nach dem Einwand ihres Hauptmanns auch laufen…

,, Ein Junge, der uns immer noch direkt in der nächsten Siedlung verpfeifen wird.“ , rief einer der Soldaten. ,, Ich hab mich nicht von Silberstedt bis hierher geschleppt, um jetzt doch noch von der kaiserlichen Garde erwischt zu werden.“

,, Ruhig…“ , befahl der Anführer der Gruppe.

,,Nein verdammt, ich werde hier auf Nummer sicher gehen, was immer ihr dazu sagt.“

Die übrigen Männer nickten zustimmend. Der vor den Kopf gestoßene Hauptmann sah sich resigniert in der Truppe um, ob ihn noch irgendjemand unterstützen würde. Doch Galren hätte ihm bereits sagen können, das dem nicht so war… Der Junge sagte sich, das er Weg musste, vielleicht, wenn er in den See sprang und tauchte… Aber das war auch kein Ausweg. Die Kraterwände warne zu steil um irgendwo anders hinaufzuklettern. Davon abgesehen, das sie ihn erschießen würden, lange bevor er in Sicherheit war. Die Angst kroch langsam in seinem Körper zurück, der sich trotzdem kein Stück rühren wollte. Er wollte hier nicht sein, schlimmer, er hätte nie herkommen sollen…

,, Dann bring es halt hinter dich.“ , brummte der Hauptmann der Gruppe. ,, Aber ohne mich. Sieh zu wie du damit schlafen kannst.“

Der Soldat warf seinem Kommandanten einen säuerlichen Blick zu, sagte aber nichts, während er die Waffe wieder auf den Jungen richtete. Endlich gewann Galren etwas Kontrolle über seinen Körper zurück.  Im gleichen Moment erklang ein Schuss. Pulverdampf stieg von der Waffenmündung auf. Obwohl er wusste, dass es Aussichtslos war, lies er sich zur Seite fallen. Die Kugel wäre in jedem Fall schneller… Und dann gab es einen hellen Ton, als hätte jemand eine Glocke angeschlagen. Hörte es sich so an, wenn man getroffen wurde? , fragte Galren sich. Gleichzeitig jedoch spürte er keinerlei schmerzen, mal abgesehen von den Schürfwunden, die er sich bei seinem Sturz zugezogen hatte.

Das Geräusch hallte von den umliegenden Felswänden wieder und verstärkte sich noch.

,, Die Herren…. „ , meinte eine klare, tiefe Stimme. ,,Vielleicht hat jemand hier ja den Mut sich mit jemanden von seiner Größe anzulegen ?“

Der Junge staunte nicht schlecht, als er die Gestalt bemerkte, die scheinbar aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht war. Ein schwarzer Umhang, wie ihn viele Reisende trugen,  fiel ihr über die breiten Schultern. Die Rüstung darunter wiederum schien ganz und gar nicht hierher zu passen. Das trübe und von Beulen und Kratzern übersäte Metall spiegelte die Sonne wieder. Die Kugel, die ursprünglich Galren gegolten hatte, hatte lediglich eine tiefe Kerbe im Schild hinterlassen, den der Fremde mit sich trug. Beinahe war es, als wäre eine der alten Sagengestalten aus den Zeiten von Simon Belfare und der alten Kaiser wieder zum Leben erwacht, den schwere Panzerungen gehörten seit  fast zwei Jahrhunderten, seit der Entdeckung von Schwarzpulver, der Vergangenheit an. Das schien den Geist hier jedoch wenig zu kümmern. Unbeeindruckt musterte er das halbe Dutzend Soldaten vor sich, als schätzte er seine Chancen ab. Offenbar störte es ihn kaum, in der Unterzahl zu sein, den er nickte kaum merklich, , als wäre das Schicksal der Männer bereits beschlossene Sache.

Und noch etwas war seltsam an ihm. An den Stellen seines Körpers, die nicht von Stahl und dunklem Stoff  bedeckt waren, schimmerte gelblicher  Pelz hervor. Und als er sich einen Moment nach Galren umdrehte, sah dieser, dass das auch auf sein Gesicht zutraf. Eine gewaltige Mähne, in der Spuren von grau zu sehen waren, umrahmte den Kopf, wie bei einem Löwen.

Was er vor sich hatte, war ein Gejarn. Galren hatte bisher nicht viele von ihnen gesehen, hielten die meisten sich doch im Herzen des Kontinents, auf dem Festland auf. Und keiner davon, war diesem hier ähnlich gewesen.

Die Soldaten traten allesamt einen Schritt zurück, offenbar genauso erschrocken wie Galren über das plötzliche Auftauchen des Fremden.

,, Wer seid ihr ?“ , verlangte der Hauptmann zu wissen. Offenbar hatte er als einziger noch den Mut zu sprechen.

,,Lias Kastor. Und ihr habt euch den falschen Tag ausgesucht, hierher zu kommen. Das können euch eure Freunde oben am Pfad bestätigen… Oder besser, das können sie nicht mehr.“ Um seine Worte zu unterstreichen zog der sich Lias nennende Fremde das Schwert. Selbst die Waffe war ungewöhnlich. Die schwere, breite Klinge schien erneut mehr in vergangene Zeitalter zu gehören, als hierher auf diese Insel… Bevor Galren noch weiter darüber rätseln konnte, eskalierte die Situation endgültig. Die Männer des Aristokratenbunds schossen gleichzeitig auf den Gejarn. Dieser jedoch tauchte schneller, als Galren sich je einen Menschen hatte bewegen sehen, wieder hinter sein Schild ab. Normalerweise hätten die Projektile den Stahl mühelos durchdringen müssen, so jedoch prallten die meisten harmlos daran ab. Nur eine einzige fand ihr Ziel und drang zwischen die Panzerplatten am linken Bein des Mannes. Dieser jedoch schien die Verletzung gar nicht zu bemerken, sondern preschte wie ein Blitz vor. Als der erste Mann auf seiner Höhe war, hob dieser noch die Muskete um den Schlag abzuwehren, doch Lias tauchte unter der Waffe hindurch, als hätte er die Bewegung vorhergesehen… und rammte seinen Gegner stattdessen die Klinge in den Rücken. Ohne langsamer zu werden, lies er den sterbenden Mann hinter sich zurück, parierte einen Degenhieb seines nächsten Gegners… und fällte die zwei folgenden Männer, bevor sie überhaupt bemerkten, was vor sich ging… Innerhalb eines Herzschlages waren drei der Soldaten tot oder lagen im Sterben, während die restlichen drei eingeschüchtert zurückwichen. Zeit, ihre Gewehre nachzuladen, hatten sie keine gehabt und so stießen sie mit Bajonetten und Degen nach dem Gejarn, der grade im Begriff war, im Alleingang ihre Einheit auszulöschen. Lias wich den Hieben jedoch gekonnt aus. Stahl prallte in rascher Folge auf Stahl, während die verbliebenen Soldaten noch weiter zurückwichen… bis der erste die Flucht ergriff.

,, Vergesst es !“ , rief er laut und setzte an seinen Kameraden vorbei in Richtung des Wegs, der aus dem Krater hinaus führte. Bevor er jedoch auch nur den Beginn des Felsvorsprungs erreichen konnte, hatte der Gejarn bereits einen Dolch aus seinem Gürtel zu Tage gefördert und schleuderte die Waffe nach dem Fliehenden. Das Messer traf ihn in den Rücken und der Mann stürzte mit einem erstickten Aufschrei zu Boden. Die anderen Beiden sahen nun ihre Chance gekommen, vielleicht doch noch die Oberhand zu gewinnen und stürzten sich erneut auf Lias. Dieser jedoch hatte sie keinesfalls aus den Augen gelassen, sondern parierte die kurz aufeinanderfolgenden Schwertstreiche ohne sichtliche Anstrengung. Im nächsten Augenblick gingen die letzten verbliebenen Soldaten zu Boden.

Stille senkte sich über den Krater, nur durchbrochen vom schweren Atem des Gejarn, der sich auf seine Waffe stützte und dem leisen Plätschern des Wassers.

Galren wagte nach wie vor kaum, sich zu rühren, während er die Augen nicht von den Toten nehmen konnte… Das ganze hatte nur wenige Herzschläge gedauert und doch lagen nun sechs Körper am Ufer des Sees verteilt und rührten sich nicht mehr.

Lias stimme schließlich, riss ihn zurück in die Wirklichkeit. ,, Bist du in Ordnung,  Junge ?“

Der Gejarn war nähergetreten ohne das Galren etwas davon mitbekommen hätte und lies sich auf ein Knie hinab. Selbst so überragte er ihn um mindestens zwei Köpfe…

Galren bekam ein verschüchtertes Nicken zu Stande, was dem seltsamen Krieger wohl Antwort genug war. Er erhob sich wieder und begann, die Toten zu untersuchen. ,, Tut mir leid, für den Schrecken den sie dir eingejagt haben. Ich habe diese Kerle seit zwei Wochen gejagt. Leider habe ich sie nicht früher erwischt…“ 

Die Wahrheit allerdings, dachte Galren , war das er überhaupt nicht wusste, wer ihm mehr Angst machte. Die Soldaten oder der Löwe… Die Leichtigkeit mit der der Mann getötet hatte war… beunruhigend.  Aber immerhin hatte er ihn grade gerettet.

Als Lias sich davon überzeugt hatte, das die Männer sich tatsächlich nicht mehr rührten, lies er sich mit einem Grollen gegen die Felswand zurücksinken. Blut sickerte aus einer Wunde an seinem linken Bein und färbte den ehemals grauen Stahl seiner Rüstung rot.

Galren seinerseits, wagte es langsam wieder, sich von der Stelle zu bewegen und trat auf den schmalen Pfad am Seeufer hinaus.

,, Ihr seid verletzt.“ Er wagte es noch nicht, sich dem fremden Krieger zu nähern, doch dass er Hilfe brauchte, das konnte er auch von weitem erkennen. Offenbar hatte doch eine der Kugeln eine Lücke in Lias Panzerung gefunden.

Der Mann nickte. ,, ich schätze du hast nicht zufällig irgendetwas bei dir, womit ich das abbinden könnte, oder ?“  Auch wenn Galren es unter all dem Fell nicht wirklich abschätzen konnte, Lias schien ungesund blass zu sein.

Erneut wagte er es nicht, laut zu sprechen, setzte jedoch den Rucksack ab. Er hatte bereits halb vergessen, dass er ihn überhaupt mit sich trug… oder was er enthielt. Doch das war jetzt auch nicht wichtig. Rasch löste er einen der Trageriemen heraus und reichte ihn an den verletzten Gejarn weiter. Ohne zu zögern löste dieser eine der Panzerplatten von seinem Bein. Darunter kam schließlich das ganze Ausmaß der Verletzung zu Tage. Die Kugel war wohl nicht sauber gegossen gewesen, denn statt einem sauberen Durchschuss hatte das Projektil dutzender kleinerer Wunden gerissen. Ohne einen Laut band Lias den Riemen oberhalb der Wunde zu und erhob sich dann schwerfällig wieder. Offenbar wollte er gehen…

Galren zögerte einen Moment. Selbst ihm war klar, dass der Mann ohne rasche Hilfe nicht lange überleben würde. Und er war hier ganz offenbar Fremd… Endlich überwand er seine Angst. Was immer er auch zu erwarten hatte, er schuldete Lias zumindest etwas, oder nicht?

,,Mein Dorf ist nicht weit von hier .“ , meinte er kleinlaut . ,, Dort könnte man sich eure Verletzungen ansehen… Wir haben einen Heiler.“ Auch wenn der Alte mit seinen bitteren Kräutern und widerlichen Tränken Galren gestohlen bleiben konnte… vielleicht konnte er etwas für den Gejarn tun.

Lias schien über seine Situation nachzudenken. Galren meinte zu verstehen, was in seinem Kopf vorging. Ihm war genau so klar, dass er die Wunde unbehandelt nicht lange überleben würde. Gleichzeitig lag seine einzige Hoffnung jetzt darin, einem Kind zu vertrauen, das er überhaupt nicht kannte…

Wenige Augenblicke später jedoch, waren sie bereits Unterwegs. Der Weg den Krater hinauf warum beschwerlicher als der hinab und das der Gejarn verletzt war, machte es nicht unbedingt einfacher. Galren musste ihn zwischenzeitlich stützen, war dabei jedoch keine große Hilfe. Allein das Gewicht der Panzerung, die der Mann trug, würde ihm im Zweifelsfall wohl einfach zerquetschen.  Ihnen lief die Zeit davon und wenn Lias das Bewusstsein verlor, könnte er ihm kaum noch helfen.

 Galrens Dorf lag nach wie vor ein gutes Stück Fußmarsch entfernt, selbst als sie endlich den Krater verließen. Aber vielleicht konnte er den Weg abkürzen. Normalerweise würde er sich von hier zur nächsten Straße durchschlagen… wenn sie jedoch Querfeldein gingen, wäre die Strecke nur halb so lang. Er musste es zumindest riskieren.

 Statt zur Straße zu gehen, bedeutete er dem verletzten Gejarn schlicht, ihm durch den Wald zu folgen. Galren konnte den unsichtbaren Pfad unter seinen Füßen spüren, sah den Weg, den er nehmen musste ohne, dass es dafür andere Hinweise gegeben hätte als sein Gefühl.

Er rechnete fest damit, das Lias protestieren würde, doch der Löwe schien bereits kaum mehr zu merken, wohin sie gingen. Offenbar war der Blutverlust doch stärker als gedacht… und wenn er sich die Verletzung schon am Beginn des Kampfes zugezogen hatte…Der Junge wollte nicht darüber nachdenken. Er hatte sich vorgenommen, ihm zu helfen… und das würde er jetzt auch, sagte er sich.

,, Woher weißt du wohin wir müssen ?“ , fragte Lias schließlich doch noch. Von der ehemaligen Kraft in seiner Stimme war nicht viel geblieben. Er blickte sich suchend im Wald um, als hoffte er, irgendwo einen Wegzeichen zu finden.

,, Ich… weiß es nicht.“ , antwortete Galren wahrheitsgemäß. ,, Ich verirre mich einfach nicht.“

,, Von so etwas habe ich allerdings  noch nie gehört.“

,, Vielleicht ist es ja Magie ?“

,,Ja, vielleicht…“ , murmelte Lias, womit das Gespräch bereits wieder sein Ende fand. Vor ihnen jedoch lichtete der Wald sich nun endlich und gab den Blick auf eine Ansammlung von Häusern frei die sich an einem grauen Sandstrand entlang verteilten. Noch bevor sie den Rand der Siedlung erreichten, kamen ihnen bereits die ersten Menschen entgegen. Offenbar hatte man bemerkt, das Galren nicht alleine zurückkam.

,, Junge, wen hast du da mitgebracht ?“ , rief jemand, grade bevor Galren spürte, wie das Gewicht an seiner Seite nachließ. Ehe er etwas unternehmen konnte, sackte die große Gestalt des Löwen in sich zusammen und schlug scheppernd auf dem Boden auf.

 

Kapitel  3 Maillac

 

 

 

Maillac war eine kleine Siedlung am Südende von Hamas. Direkt am Meer gelegen, verteilten die Häuser sich entlang einiger verfallener Piers und der vom kalten Meerwasser umspülten Strände.

Einige ausgetretene Pfade führten zwischen den Gebäuden unterschiedlichster Bauart hindurch, einige, kaum mehr als Verschläge aus Treibholz, andere wiederum kleine Villen, die vom einstigen Reichtum des Dorfes sprachen. Heute jedoch, war dies nur noch eine Erinnerung. Waren einstmals täglich Händler mit ihren Schiffen im kleinen Hafen angelaufen, so dienten die verwitterten Holz-Konstrukte heute lediglich noch den Fischern als Ankerplätze.

Eines dieser nobleren Bauwerke befand sich ganz am Rand des Dorfs, wo das Land in niedrige, grasbewachsene Hügel überging. Schafsherden grasten freilaufend auf dem vom ständigen Nebel durchnässten Weiden und boten der kleinen Dorfgemeinschaft damit Wolle und Fleisch für den kommenden Winter.

Das kleine Haus am Rand der Hügel war von einigen Apfelbäumen umgeben und ein mit Sand ausgestreuter Weg führte zwischen einem, von einem Zaun begrenzten, Garten hindurch. Die Bäume gab es schon, soweit Galren sich zurückerinnern konnte, der Weg jedoch war erst vor einem Jahr von seinem Vater angelegt worden, kurz nach dem Tod seiner Mutter. Sie hatte immer gerne mit Pflanzen gearbeitet… das war etwas, an das er sich sicher erinnern konnte, so klein er damals noch gewesen sein mochte.

Nachdem er Lias ins Dorf gebracht hatte und er rasch berichtet hatte, was vorgefallen war, hatte ihn der Heiler und fünf Männer hierher gebracht, damit man sich um ihn kümmern konnte. Zuerst hatten sich dutzende Neugieriger vor dem Haus versammelt, bis Vater sie schließlich weggeschickt hatte. Jetzt waren nur noch er und der Arzt bei dem verletzten Gejarn. Und es schien lange noch nicht klar zu sein, ob der Mann überleben würde. Obwohl er nichts dafür konnte… irgendwie fühlte Galren sich schuldig. Er wollte nicht, dass er starb. Und wenn Lias sich nicht schützend vor ihn gestellt hätte, wäre er sicher auch nicht verletzt worden. Ob er nun Angst vor ihm hatte oder nicht, das war nicht fair…

Der Junge starrte auf den Rucksack vor seinen Füßen. In der ganzen Aufregung hatte er fast vergessen, was er aus dem Krater geborgen hatte. Weil es ohnehin nichts anderes zu tun gab, als zu warten, holte er das Stück Erz heraus. Trotz des Laufs durch die Wälder und den Trubel der letzten Stunden, war nicht einmal einer der zerbrechlich wirkenden Kristalle, die die Oberfläche des Felsbrockens überzogen, abgebrochen. Aus Neugier versuchte er nun  selbst, eine der feinen silbernen Spitzen zu lösen, ohne Erfolg. Wirklich seltsam, dabei wirkten sie so, als müssten sie bereits bei einem Windhauch zerspringen…

,, Was hast du denn da ?“

Varan  Lahaye war eine hochgewachsene Gestalt, in einem groben blauen Gehrock. Die dunklen Augen die unter dem kastanienbraunen Haar zum Vorschein kamen, schienen ständig in Richtung Horizont abzudriften, selbst wenn man mit ihm sprach. Ein Umstand, der Galren  freilich noch nie seltsam vorgekommen war. Manchmal glaubte er sogar, diesen Blick deuten zu können, das seltsame Feuer, das immer darin lag und das anderen Menschen, die seinen Vater nicht kannten, manchmal sogar Angst zu machen schien.

Nun jedoch jagte die Stimme ihm selbst  einen kurzen Schrecken ein und einen Moment verspürte er den Drang, den Stein zu verstecken. Aber das war natürlich Blödsinn. Sein Vater hatte ihn ohnehin längst gesehen. Einen Stapel Karten unter dem Arm, Galren  versuchte sich zu erinnern, wann er seinen Vater das letzte Mal ohne welche gesehen hatte, lies er sich neben ihm im Schatten einer der Apfelbäume nieder.

,, Ich habe es im Krater gefunden.“ , erklärte er und reichte den Stein weiter. Sein Vater besah sich den Erzbrocken einen Moment, dann lächelte er.

,, Hätte nicht gedacht, das man da unten überhaupt noch Sterneisen findet. Und du hast das wirklich am See gefunden ?“

,, Ich… bin vielleicht in einen der alten Minenschächte geklettert“ , gab er zögerlich zu. Halb rechnete er damit, Ärger zu bekommen, doch Varan lachte nur.

,, Ich will gar nicht wissen, wie du einend er Eingänge gefunden hast.“ ,, meinte er, während er Galren den Stein zurückgab. ,,Oder auf die Idee gekommen bist. Die Stollen sind wirklich gefährlich. Ich weiß, das brauche ich dir nicht sagen… aber ich kann dich nicht auch noch verlieren.“

,, Ich… weiß.“ , gab der Junge kleinlaut zurück. Das wäre so ziemlich das Letzte, über das er sich weiter unterhalten wollte.  ,, Was machen die Pläne… für deine Reise ?“

,, Ich werde es schaffen.“ , meinte Galrens Vater und in deiner Stimme lag so viel Überzeugung… Galren konnte nicht anders, als ihm zu glauben. Und Stolz zu empfinden. Wenn jemand fertig brachte, was vorher keinem gelungen war, dann doch sicher seinem Vater… Vielleicht war es auch nur die Überschätzung  eines kleinen  Jungen, der seinen Eltern alles zutrauen würde. Die Nebelküste war ein mehr mystischer Ort als eine reale Landmasse. Viele Tagesreisen über die westliche Sonnensee hinweg und weit von den Küsten Cantons entfernt , lag angeblich ein Land, dessen Abweisende Küsten und Klippen ständig in dichten Nebel gehüllt waren. Doch wenige hatten die fernen Felsen je gesehen und noch weniger waren zurückgekehrt um davon zu berichten. Und niemand hatte es geschafft dort zu landen. Bis jetzt.

 ,, Die Nebelküste mag weit sein, aber sie ist nicht unerreichbar, das weiß ich einfach.“

,, Wann brechen wir auf ?“

,, Du ? Gar nicht.“ , antwortete  sein Vater ernst. ,, Ich habe lange mit mir gehadert… aber es ist zu gefährlich. Fürs erste, musst du hier bleiben.“ Der Enttäuschte Ausdruck auf Galrens Gesicht musste Bände sprechen, denn sofort fügte er hinzu: ,, Wenn ich zurückkomme, in ein paar Monaten nur, nehme ich dich das nächste Mal mit. Vielleicht wirst du dann sogar mitkommen müssen. Wenn ich eine Route zur Nebelküste finde, wird jeder im Kaiserreich mich unterstützen. Und vermutlich wird sich jeder Adelige hier sein Stück vom Ruhm sichern wollen.“ Er stand auf. ,, Aber genug davon. Sieh doch bitte nach unserem Gast, wenn du Zeit hast. Ich muss wieder rein… es gibt noch so viel vorzubereiten, das ich manchmal gar nicht weiß, wo ich anfangen soll…“

Galren sah seinem Vater eine Weile nach, während er zum Haus zurück ging und machte sich dann daran, ihm zu Folgen. Der stetige Wind, der von der See her wehte, hatte aufgefrischt und rauschte in den Kronen der Bäume am Wegesrand und in den Büschen und Beeten, die über das Grundstück verteilt waren. Als Galren durch die Tür trat,  schlug ihm sofort der so vertraute Geruch nach altem Holz und Leder entgegen. Ersterer stammte vom Haus selbst. Der andere hingegen stammte von dutzenden schwerer Bücher, die sich in einem Regal, direkt gegenüber der Eingangstür befanden. Der kleine Flur vor ihm war mit Holz vertäfelt, das jedoch auch schon bessere Zeiten gesehen hatte.  Etwa in der Mitte des Korridors führte eine Treppe in den zweiten Stock und Galren konnte das vertraute knarzen der Dielen hören. Sein Vater war wohl bereits oben, in seinem Arbeitszimmer, entweder wieder an seinen Karten oder mit einem der tausenden nautischer Instrumente beschäftigt, die dort auf Tischen und manchmal auch auf dem Boden verteilt standen. Der Junge war erst ein paar Mal dort oben gewesen, aber für ihn hatte dieses durcheinander sofort etwas Heimisches gehabt… Vielleicht könnte er Varan doch nachher überzeugen, ihn bei seiner Arbeit zusehen zu lassen. Im Augenblick jedoch, hatte er nach wie vor einen Auftrag nicht? Warmer Feuerschein drang durch einen offenen Durchgang am Ende des Korridors und Galren folgte ihm, in einen größeren Wohnbereich. Die verglasten Fenster erlauben einen Blick hinaus auf die Gärten, wo grade die ersten Regentropfen zu fallen begannen. Es sah beinahe so aus, als könnten sie einen Sturm bekommen aber das waren die Einwohner Maillacs und ganz Hamad gewöhnt.

Direkt vor dem Feuer hatte der Dorfheiler eine Liege für den verletzten Gejarn aufgebaut, wahrscheinlich um ihn zu versorgen. Zu Galrens Überraschung, saß der Mann allerdings bereits wieder und zwar in einem Sessel in einer Ecke des Zimmers, während der Heiler grade einige Verbände an seinem Bein austauschte. Neben sich hatte der grauhaarige Mann in seinem grünen Kittel eine Schüssel mit warmen Wasser stehen um die Stoffstreifen auszuwaschen.

Galren blieb mucksmäuschenstill in der Tür stehen. Es war seltsam, wie ruhig Lias während der ganzen Prozedur blieb.  Selbst als der Heiler die Wunden mit Alkohol auswusch, eine Prozedur die selbst seinen Vater immer zum Fluchen brachte,  blieb das Gesicht des Gejarn starr und beherrscht.

Doch sein Blick wanderte direkt zu Galren, ohne dass dieser sich bemerkbar gemacht hätte. Lias Züge entspannten sich zu einem schwachen Lächeln.

,, Komm rein.“ , meinte er und klang dabei geradezu amüsiert. ,, Das ist immerhin euer Haus, oder ? Man sollte sich in seinem eigenen Heim nicht in den Schatten herumdrücken müssen.“

Der Heiler zuckte bei diesen Worten in sich zusammen. Offenbar hatte er im Gegensatz zu dem verwundeten Krieger noch nicht bemerkt, dass sie nicht mehr alleine waren.

,, Wie geht es euch ?“ , fragte Galren schüchtern.

,, Laufen kann er mit dem Bein jedenfalls für die nächsten Monate vergessen. Wenn ihr überhaupt nochmal auf die Füße kommt.“ , erklärte der Heiler grimmig. ,, Und ich habe keine Ahnung, wie ihr es angestellt habt, so viel Blut zu verlieren und noch am Leben zu sein. Jeder normale Mensch wäre tot.“

,, Ich bin kein Mensch.“ , kommentierte Lias nur trocken. ,, Und ich will eure Gastfreundschaft nicht überstrapazieren, gebt mir nur ein paar Tage…“

,, Es wäre unentschuldbar euch nicht hier zu behalten, bis ihr wieder genesen seid.“ , meinte eine vierte Stimme von der Tür her. Zum zweiten Mal an diesem Tag zuckte der Heiler in sich zusammen.

Varan trat, diesmal ohne Karten und Dokumente, in den Raum. ,, Ihr habt meinen Sohn gerettet, das ist noch das müdeste, was ich tun kann.“

Lias schien einen Moment nachzudenken. Die Augen halb geschlossen starrte er aus dem Fenster und auf die Gärten hinaus. ,, Es ist ein schöner Ort.“ , meinte er. ,, Rau, aber schön. Es erinnert mich ein wenig an meine eigene Heimat.“

,, Und woher stammt ihr wenn ich fragen darf ?“
,, Helike. Ich kam mit den Truppen unseres Archonten, Wys Carmine im Bürgerkrieg hierher. Wir haben den Kaiser bei seinem letzten Feldzug gegen Silberstedt unterstützt, wie ihr vielleicht gehört haben dürftet.“

Varan nickte. ,, Es ist seltsam, aber bis grade habe ich es nicht wirklich geglaubt. Canton und Laos haben sich so lange bekriegt… das ihr Kaiser Kellvian zur Hilfe kamt ist beinahe unglaublich.“

,, Und doch scheint er genug Eindruck bei uns hinterlasse zu haben.“ , meinte Lias. ,, Bei Laos Namen, als er unsere Stadt wieder verließ war die Hälfte des Archontenrats Tod.“

Helike… Galren hatte den Namen dieser Stadt bisher bestenfalls in Gerüchten gehört. Angeblich lag sie ganz im Süden des Kontinents am Rand eines gewaltigen Meers aus Sand und Geröll. Einem Ort, an dem die Sonne einem die Haut von den Knochen brennen konnte. Und es war einer der letzten Orte, der nicht unter der Oberherrschaft des Imperiums der Belfare-Kaiser stand, sondern sich seine Unabhängigkeit bewahrt hatte.

,, Jedenfalls.“ , fuhr Lias fort. ,, bin ich nach dem Ende der Schlacht um Silberstedt und dem Tod von Andre de Immerson hier geblieben um zu helfe, die letzten Überreste seiner Armee zu jagen, die sich nicht ergeben hat. Wohin mich das geführt hat, seht ihr ja.“

,, Nun, so oder so, mein Haus steht euch offen.“ , meinte Galrens Vater

,, Und die Jagd auf Soldaten hat sich mit meinen Verletzungen auch fürs erste erledigt. Aber ich möchte ungern Monate auf eure Kosten Leben.  Ich habe neben dem Kriegshandwerk nicht viel gelernt, aber wenn es irgendetwas gibt, das ihr braucht…“

,, Ich glaube, momentan mangelt es uns an einem Schmied.“ , warf der Heiler ein. ,, Im Augenblick müssen wir für alle Metallarbeiten nach Freybreak. Das sind mehrere Tagesreisen, selbst mit dem Schiff.“

,, Wirklich ?“ , fragte Lias und in seine Augen trat ein seltsames glitzern, wie Galren es schon ein paar Mal bei seinem Vater gesehen hatte. Wenn er recht darüber nachdachte, hatte der Gejarn die Männer im Krater genauso gemustert wie jetzt den heiler. Es schien der Blick von jemand zu sein, der sich auf eine Herausforderung freute.

,,Nun ich kann ein wenig  mit Metall umgehen.“

 

Kapitel 4 Silberstedt

 

 

 

Armell wurde durch einen Ruck aus dem Schlaf gerissen. Die Kutsche in der sie saß machte einen Satz, als die Räder erneut über eines der Schlaglöcher holperten. Sie rutschte beinahe von der unbequemen Sitzbank herunter, als der zweite Aufprall folgte.  Von einem Moment auf den anderen war das junge Mädchen hellwach. Es war kalt geworden, selbst hier drinnen und sie fing bereits an zu frieren.  Kaum verwunderlich, ihre Kleider waren kaum für das Wetter draußen geeignet. Ein Blick aus dem Fenster zeigte nichts, als eine verschneite, grau weiße Landschaft. Aber ihre Eltern hatten darauf bestanden, dass sie ihre besten Sachen anzog, bevor sie sich auf den Weg nach Silberstedt machten. Das war jetzt drei Tage her und sie waren seitdem ohne Pause unterwegs. Genauso wie wohl dutzende andere.

Rasch schlang Armell die beim Aufprall verlorene Decke wieder um sich  und starrte erneut aus dem Fenster. Die drei anderen Personen die  mit ihr in der Kutsche saßen beachteten sie wenig. Stattdessen unterhielten ihre Mutter und ihr Vater sich gedämpft mit Obarst D'Ambois, ihrem Onkel. Der untersetzte, kahle  Mann sah in seinen leichten Tuchroben aus Seide und Samt genauso unpassend gekleidet aus, wie sie alle, aber keiner hier würde das zugeben, dachte Armell. Außer ihr natürlich, aber wenn sie das laut aussprechen würde, würde sie sich bestenfalls noch eine Ohrfeige einhandeln. Sie strich sich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. Draußen stieg die Straße zum Kamm eines kleinen , bewaldeten Hügels hin an, doch zwischen den Bäumen schimmerte etwas hindurch, das nicht zu der Eintönigen Landschaft passte, die sie die letzten Tage passiert hatten.

,, Wir sind da.“ , ließ der Lenker vom Kutschbockaus verlauten und keine zehn Herzschläge später tauchte Silberstedt endgültig vor ihnen auf.

Im Schatten der großen Berge gelegen, wirkte die Stadt beinahe Zwergenhaft und beeindruckend zugleich. Tausende von Gebäuden drängten sich innerhalb der Halbrunden Stadtmauern zusammen, welche die Flanke der Stadt beschützten, die nicht von dem Granit-Gebirge in ihrem Rücken abgeriegelt wurde. Rauchschwaden stiegen aus den Schornsteinen der Metropole   auf und sammelten sich als dünne, dunkle Wolke am ansonsten strahlend blauen, eisigen Himmel. Armell war unerklärlich, wieso überhaupt jemand hier draußen leben wollen sollte. Hamad wurde im Winter schon unangenehm kalt, aber das hier… erschien ihr wie Wahnsinn. Ihre Mutter hatte einmal gemeint, es hinge mit den Silberminen in den Berggipfel  zusammen, die der Stadt ihren Namen gaben. Davon jedoch konnte sie im Augenblick nichts sehen. Und waren diese Minen nicht auch Grund dafür, dass sie überhaupt hier waren?

Nach wie vor konnte man die Spuren einer Schlacht um die Stadt herum erkennen. Halb zerfallene Zelte, die einstmals einer Armee Unterschlupf geboten hatten, bedeckten die Ebene vor den Mauern und die Stadttore, die nun vor ihnen in Sicht kamen, waren noch neu, das Holz ohne eine Spur der Verwitterung.  Wenigstens bestand die Straße hier aus gepflasterten Steinen und nicht mehr nur aus einem bloßen Pfad voller Schlaglöcher.

Während sie die Tore hinter sich ließen, fiel Armells Blick auf ein weiteres Bauwerk, das sich  geradezu an den  Berghang über ihnen zu ducken schien. Es war ein gewaltiges Anwesen, errichtet aus geschwärztem Holz und dunklem Stein. Sie konnte nicht sagen warum, aber sie fühlte sich sofort eingeschüchtert. Wie eine als Bauwerk verfasste Drohung, dachte sie ohne wirklich zu verstehen, wie sie auf diese Idee kam.

,, Das ist Lord Zacharys Anwesen.“ , erklärte Obarst . ,, So weit ich weiß, ist es erst in den letzten sechs Monaten erbaut worden, als Ersatz für das alte Herrenhaus. Offenbar will der Mann wirklich alles auslöschen was hier noch an seinen Vater erinnert. Die Leute nenne  es jetzt schon den Rabenkopf.“

,, Warum ?“ , fragte Armells Vater , allerdings so gelangweilt als würde ihn die Antwort nicht wirklich interessieren.

,, Seht selbst.“ Obarst deutete aus dem Fenster auf einige dunkle Schatten, die um das Gebäude kreisten. ,, Krähen, Raben, Elstern. Ich wette mal, unser Freund dort oben hat einen Faible für Federvieh. Oder sie fühlen sich einfach zu ihresgleichen Hingezogen. Dieser Bengel ist doch nur eine Marionette des Kaisers. Ein schön dressierter Raubvogel…“

,, Würdet ihr euch auch trauen ihm das ins Gesicht zu sagen ?“ , fragte Mutter.

,, Ich häng an meinem Leben. Und wir sind immerhin hier um uns gut mit ihm zu stellen. Aber er kann kaum schlimmer als der alte de Immerson sein. Wir haben ihm vielleicht im Krieg unterstützt, aber der Kerl war ein Sklaventreiber… Wortwörtlich.“

,, Und Lord Zachary de Immerson ?“ , brachte Armell hervor. Sie wollte wenigstens wissen, was das für ein Mann war, der da über das Schicksal ihrer Familie entscheiden sollte. Und es war das erste Gespräch in den letzten Tagen, das sich nicht bloß um Politik drehte.

,, Er kam praktisch aus dem Nichts. Angeblich ist er vor Jahren verschollen. Und kurz bevor der alte  Lord ins Gras beißt, taucht er wieder auf. Ist Gerüchten Zufolge auf einem Piratenschiff aufgewachsen, könnt ihr das glauben?“

,, Ich gebe wenig auf Gerüchte.“ , meinte ihr Vater. ,, Aber selbst wenn nur die Hälfte davon zutrifft ist er gefährlich.  Aber das sind alle Zauberer. Ich habe diesen Bastarden vom Orden schon vor diesem ganzen Irrsinn nicht getraut.“

,, Er ist ein Zauberer ?“ , fragte Armell erneut, diesmal etwas mutiger.

,, Und ein mächtiger noch dazu, wie man hört. Angeblich mehr Gott als Mensch.“

Die Kutsche passierte mittlerweile die Außenbezirke der Stadt und näherte sich einer großen Treppe, die zum Anwesen hinauf führte. Die Stufen waren offenbar direkt aus dem Gestein des Berges geschlagen worden. Ihr Wagenlenker brachte die Kutsche ein Stück vor dem Beginn der Stufen zum Stehen und kletterte von seinem Platz um ihnen die Tür zu öffnen.

Kalter Wind schlug Armell entgegen, als sie aus der Kutsche kletterte und wehte Schnee über den kleinen Platz. Ihre Füße versanken halb darin und die dünnen Schuhe, die sie trug, boten kaum Schutz.

Neben ihrer eigenen standen bereits ein Dutzend weitere Kutschen in einem Halbkreis um den Platz verteilt. Offenbar waren sie doch später eingetroffen, als gedacht… Ihre Eltern und Obarts nahmen es mit einer säuerlichen Mine zur Kenntnis, während sie sich gegen den Wind zur Treppe kämpften. Im Licht mehrerer Laternen konnte Armell mehrere, in blau-goldene Uniformen gekleidete Gestalten erkennen, die am Beginn des Aufgangs Wache hielten. Die Gardisten des Kaisers… Obwohl ihre Kleidung ebenfalls kaum für die Witterungsbedingungen gemacht schien, zitterte nicht einer der Männer, im Gegenteil. Hätte sie nicht gewusst, das, durchaus lebendige Menschen in diesen Uniformen steckte, sie hätte Gedacht es mit Statuen zu tun zu haben. Vielleicht waren sie auch nur festgefroren. Der Gedanke brachte sie leise zum Kichern, worauf ihre Mutter sich mit einem bösen Zischen zu ihr umdrehte. Armell verstummte sofort.

Als sie sich der Postenkette näherten, kam einer der Gardisten mit raschen Schritten auf sie zu. Auf die Entfernung hatte Armell es nicht bemerkt, aber der Mann überragte seine Gefährten um mindestens einen Kopf und während er auf sie zukam, schien er noch etwas zu wachsen. Die Offiziersuniform, die er trug schien ihm ein Stück zu klein zu sein, das nahm der Gestalt jedoch nur wenig von ihrer Bedrohlichen Ausstrahlung. Unter  einem mit Federn besetzten Hut lugte ein mit braunem Fell bedecktes Gesicht hervor. Im Zwielicht der einbrechenden Abenddämmerung leicht gelblich schimmernde Augen musterten die kleine Reisegruppe ohne sichtliche Eile, während der Bär sich ihnen in den Weg stellte.

,, Halt.“ Der Gejarn hätte nichts zu sagen gebraucht. Schon beim nährkommen waren Armells Eltern und ihr Onkel stehen geblieben. ,, Wer seid ihr ?“

,, Geht euch das etwas an ?“ , fragte ihr Vater ungehalten. Immerhin es passierte nicht alle Tage das sich ihnen irgendein… Niemand in den Weg stellte und schon gar nicht, wenn es hier draußen kalt genug war, das ein Drache Schnupfen bekommen würde

,, Das tut es sehr wohl.“ Der Bär hielt eine Pranke hoch, groß genug, als das er damit den Kopf eines Menschen umfassen und einfach zerquetschen könnte. Doch irgendwie bekam er es hin, dass die Geste beinahe… sanftmütig wirkte, während er einen Siegelring an einem seiner Finger vorzeigte. Das in Gold und Silber gehaltene Wappen darauf zeigte einen Adler und einen Löwen, die sich gegenüberstanden, die große Raubkatze die Pranken zum Schlag erhoben. Das Wappen der Belfare-Kaiser. Selbst Armell wusste, was der Ring bedeutete. Dieser Mann war im Besitz einer kaiserlichen Vollmacht. Solange der Kaiser nicht selbst hier auftauchte und etwas anderes Befahl , würde sich jeder einzelne Soldat hier den Worten des Bären unterordnen müssen.

,, Mein Name ist Syle, Hochgeneral von Kaiser Kellvian Belfare. Und meine Aufgabe ist es hier für die Sicherheit aller  zu Sorgen. Auf persönliche Anweisung seiner Majestät. Also noch einmal, wer seid ihr?“

,,D'Ambois.“ , antwortete ihr Onkel schließlich. ,, Können wir jetzt durch ?“

Der Gejarn nickte und trat schließlich Beiseite.

Der Weg die Stufen hinauf, war ein langer und Kalter. Ohne den Schutz, den die Häuser weiter unten noch geboten hatten, war der Wind hier nicht mehr nur kalt, sondern schneidend. Ihre Kleidung hätte genauso gut nicht existent sein können, dachte das Mädchen, während vor ihnen endlich die ersten Balken des Herrenhauses in Sicht kamen.  Das Gebäude wirkte aus der Nähe nicht unbedingt einladender, befand Armell. Schwere Säulen trugen ein großes Vordach unter dem sich ein offen stehendes Tor befand. Von drinnen drangen gedämpfte Gespräche und Licht heraus. Offenbar waren sie tatsächlich spät, aber noch nicht zu spät. Wenn der Herr von Silberstedt die Entscheidung des Kaisers schon verkündet hätte, wäre den Leuten kaum mehr nach Gesprächen zumute… das spürte sie. Das ganze Verhalten ihrer Eltern sprach Bände darüber, was sie und  alle, die Andre de Immersons Aufstand unterstützen  zu erwarten hatten.

Kohlefeuer brannten in mehreren Becken vor dem Eingang und wärmten zumindest etwas, als sie sie passierten. Hier oben gab es scheinbar keine Wachen mehr, zumindest nicht außerhalb des Gebäudes. Als sie die große Halle schließlich betraten, warteten dort bereits Dutzende weitere Adelige, manche alleine, andere in kleinen Gruppen um weitere Feuer  zusammenstehend. Alle schienen den gleichen Fehler gemacht zu haben wie sie und trugen prachtvolle Seiden und Brokatkleider, die jedoch kaum ausreichenden Schutz vor der Witterung boten. Und so war es kaum verwunderlich, das sich die meisten an den  im Raum verteilten Feuerbecken die Hände wärmten.

Armell sah sich langsam im Raum um. Vier große, zu einem Rechteck angeordnete Säulen trugen die Hohe Decke. Schwere Teppiche auf dem Boden und an den Wänden , viele davon mit dem Wappen Silberstedts, einer silbernen Spinne auf violettem Grund, isolierten das Holz zusätzlich gegen die unangenehmen Temperaturen.

Ihren Gastgeber jedoch, konnte sie nirgends entdecken.

Und nach dem was ihr Onkel über diesem Mann, Zachary de Immerson, erzählt hatte, konnte sie auch darauf verzichten. Das ungute Gefühl das sich in ihrem Magen eingenistet hatte, war, seit sie diesen Ort das erste Mal gesehen hatte nicht mehr gewichen. Was für eine Art Mensch fühlte sich hier wohl, isoliert von allem auf einem Berggipfel?

,, Wenn das eine Falle ist…“ , hörte sie jemandem im Vorbeigehen Flüstern, während sie ebenfalls an eines der feuertrat um sich zu wärmen. Ihre Eltern hatten sich längst irgendwo im Gedränge verloren, begrüßten alte Bekannte… oder stellten vielleicht die gleiche Frage. Sie war vielleicht jung, dachte Armell, aber sie wusste auch, was hier auf dem Spiel stand. Sie hatten, wie Vater es genannt hatte, auf das falsche Pferd gesetzt. Und jetzt würden sie einen Preis dafür bezahlen, den der Sieger, in diesem Fall der Kaiser, festlegen würde.

Plötzlich jedoch kam Unruhe in den Saal, als sich eine Tür am anderen Ende öffnete. Hatte eben noch so etwas wie eine lockere, wenn auch vorsichtige Atmosphäre geherrscht, schlug das nun sofort um. Die Gespräche verstummten, während die Leute zum anderen Ende der Halle strömten, wo grade eine neue Gestalt auftauchte. Armell konnte jedoch nicht viel erkennen, als all die Erwachsenen an ihr vorbei nach vorne drängten.  Dem Mädchen blieb nur Mitzulaufen um nicht ausversehen zertrampelt zu werden. Die Leute hier schienen sich wenig darum zu scheren. Mehrmals stolperte sie fast über Füße und Beine, die sich ihr in den Weg schoben… Dann jedoch war sie ohne es zu wollen aus der Menge heraus. Armell stand plötzlich ganz vorne, keine zwanzig Schritte von der Stele entfernt, an der Boden des Raums  zu drei Treppenstufen anstieg, wie bei einer Tribüne. Zwischen ihr und dem Ort, an dem Zachary de Immerson stand, lag nur noch Luft…

 

Kapitel 5 Sentine

 

 

 

Armell wagte es eine ganze Weile nicht, auch nur den Blick zu heben. Sie konnte ihren Herzschlag spüren und in der Stille, die nach dem kurzen Aufruhr einsetzte auch hören. Ein stetiges, leises Wummern…

Doch als sie sich schließlich überwand, es den anderen Gleich zu tun und den Mann auf der Tribüne erblickte, war ihr erster Gedanke:  Götter er ist viel zu jung.

Zachary de Immerson war vielleicht zehn Jahre älter als sie selbst. Trotzdem strahlte der Mann etwas aus, das über seine bloße Erscheinung hinausging. Diese war, bis auf einige Details auch kaum Auffällig. Zachary trug eine schlichte, schwarze Robe mit silbernen Ziernähten. Der schwere, dichte Stoff schien sehr viel mehr für die kalten Winternächte in Silberstedt geeignet zu sein, als die aufgebauschten Rücke und golddurchwirkten Kleider der übrigen anwesenden.  Trotzdem, so  hätte er vor dieser Versammlung vielleicht wie ein Bettler gewirkt, wäre da nicht die seltsame Ruhe, die er auszustrahlen schien. Ein blauer, tropfenförmiger Stein hing an einer einfachen Kette um seinen Hals und seine Augen…. Armell fragte sich, ob sie je einem Menschen mit derart seltsamen Augen begegnet war. Sie waren Türkis, wie das Meer an einem warmen Sommertag auf Hamas und tief hinter diesem seltsamen Farbenschleier brannte ein Feuer, das ihre Angst zu bestätigen schien. Selbst wenn man ihr nicht gesagt hätte, das der Mann ein Zauberer war… sie spürte, dass er gefährlich war. Und doch wirkte er so furchtbar Jung im Vergleich zu allen übrigen Anwesenden… vielleicht ausgenommen ihrer selbst.

Der Raum war nach wie vor Totenstill, während Zachary die versammelten Adeligen einen nach den anderen zu mustern schien. Vielleicht, dachte Armell, täuschte sie sich, aber er wirkte kurz unsicher. Gar nicht wie ein Mann, der mit seinen Gedanken töten konnte, sondern wie der halbe Junge, der er war. Dann jedoch fing er sich anscheinend und der kurze Moment der... Menschlichkeit wie es schien, war vergangen.

,, Ihr alle, habt meinem Vater einst die Treue geschworen.“ , begann er. ,, Das war ein Fehler. Andre de Immerson hat seinen Kaiser verraten und sich gegen alles Gestellt, wofür dieses Land stand. Etwas, das er teuer bezahlt hat. Und doch haben viele von euch ihn bis zuletzt noch Unterstützt. Würden das vielleicht auch weiterhin, wenn er noch am Leben wäre.“

In der Stimme des Zauberers schwang etwas mit, das Armell zuerst nicht richtig deuten konnte. Es war Wut, sicher… aber sie schien nicht gegen die Anwesenden gerichtet zu sein. Aber gegen wen dann ? Die Antwort war so seltsam wie das Armell sich ihrer sicher war. Andre de Immerson. Ein Mann, der seit einem halben Jahr in seinem Grab ruhte… und noch dazu Zacharys Vater. Warum schien der Zauberer ihn derart zu hassen, dass er nicht einmal ruhig von ihm sprechen konnte?

,, Bis eure Loyalität wieder sicher scheint und euer guter Name als wiederhergestellt betrachtet werden kann, werden sämtliche eurer Leibgarden entwaffnet werden. Was euren Besitz angeht, so wird dieser euch erhalten bleiben aber nicht uneingeschränkt.  Ihr werdet über all eure Unternehmungen vorher Rechenschaft ablegen, tut ihr dies nicht, sind eure Titel und Privilegien auf der Stelle verwirkt. Und glaubt mir, der Kaiser wird ein Auge auf euch haben.“

,, Und ihr werdet dieses Auge sein, nehme ich an ?“ , meldete sich eine Stimme aus der Menge mit einem herausfordernden Unterton. Armell blieb fast das Herz stehen, als sie sie erkannte. Das war Obarst… Götter, was hatte er jetzt vor ? Konnten sie nicht einfach endlich nach Hause gehen? Ihre Füße taten weh vom langen stehen und dem Aufstieg zum Herrenhaus und diese Leute hier…

,, Worauf wollt ihr hinaus ?“ , fragte der Zauberer ruhig.

,, Der Kaiser ist nicht hier, Lord Zachary, mehr nicht. Wir können daher ganz offen miteinander sprechen, alle Regeln lassen sich irgendwie umgehen. Euer Vater verstand das gut.“

Armell hatte das Gefühl, dass sie die einzige war, die bemerkte, wie Zacharys Gesichtsausdruck sich fast schlagartig verdunkelte. Das Mädchen versuchte zurückzuweichen, aber die Menge in ihrem Rücken schien blind für den sich anbahnenden Sturm. Und ihr Onkel sprach einfach weiter. Hör einfach auf, dachte sie. Hör nur einfach auf… Sie stellte fest, dass sie selbst wütend auf ihn würde. Ja sie hatte Angst… aber die Wut auf diesen Mann, der sich scheinbar grade anschickte zu zerstören was von ihrem guten Namen vielleicht noch zu retten gewesen war, war kurz davor zu überwiegen. Merkte er überhaupt  nicht was er da tat? Sie Begriff schon lange das das Spiel der Adelshäuser untereinander um das , was ihnen der Kaiser an Macht zugestand eines voller Lug und Trug war. Und sie hatte es bisher nie verstanden. Zachary de Immerson schien das ähnlich zu gehen. Und er schien es zu hassen…

,, Was wäre also nötig, damit ihr einfach… darüber hinwegseht ?“ , schloss Obarst. Erst jetzt schien ihm Aufzufallen, das der Raum bis auf ihn Totenstill war. Doch davon ließ er sich offenbar nicht irritieren. Er lächelte Zachary an als hätte er ihn grade nur erklärt, wie herrlich das Wetter hier doch sei.

,, Soll das eine Bestechung sein ?“ , fragte der Magier tödlich leise.

,, Das ist vielleicht ein hartes…“

,, Schweigt !“ Im Vergleich zu dessen vorheriger Ruhe, schien plötzlich ein Sturm durch die Halle zu fegen, als Zachary die Stimme hob. Kerzen und Kohlebecken flackerten einen Moment, wie in einer unsichtbaren Sturmböe und verdunkelten den Saal. ,, Kein Wort mehr !“

Endlich schien auch Obarst zu begreifen, dass er einen Fehler gemacht hatte, doch dafür war es jetzt zu spät. Viel zu spät, wie Armell ihm hätte sagen können, wäre sie nicht zu beschäftigt gewesen, sich soweit es ging gegen die Mauer aus Menschen hinter ihr zu drängen. Ihre Wut war wieder vergessen, ausgelöscht von dem, was sie sah.

,, Mein Vater mag dieses Verhalten ja geduldet haben, Obarst  D'Ambois. Aber wie ihr sehr schnell feststellen werdet ist Andre tot. Und ich bin nicht er, falls ihr das vergessen haben solltet. Ich rate euch daher noch einmal, kein Wort mehr. Ein weiterer unbedachter Satz heute von euch und ich lasse euch hinauswerfen und wird e dem Kaiser darum bitten eure Ländereien jemand anderem zu überantworten. Verstehen wir uns?“

Mittlerweile waren alle ein Stück von der Tribüne zurückgewichen und drängten sich verängstigt in Richtung der Rückwand der Halle. Armell konnte das Gewicht der Luft auf ihren Schultern spüren, als wäre die Welt an sich plötzlich schwerer geworden, irgendwie dichter. Der Zauberer war längst nicht wieder ruhig und sie spürte wie sich Träne in ihren Augen sammelten. Sie kämpfte dagegen an und wischte sie rasch weg. Das war nur ein Zeichen  von Schwäche, hatte ihre Mutter immer gemeint. Und doch konnte sie grade nichts dagegen tun. Das seltsame Wechselbad aus Hass und Angst, die fremden Leute… ihr eigener Onkel der sie derart in Gefahr brachte. Ihr drehte sich der Kopf. Sie wünschte sich, sie könnte nur endlich hier weg.

,, Alles in Ordnung ?“  , fragte eine besorgte Stimme direkt vor ihr. Armell blinzelte und starrte in ein nach wie vor viel zu junges Gesicht mit türkisfarbenen Augen. Die Leute wichen vor dem Zachary zurück, der sich auf ein Knie niedergelassen hatte.  Doch sein Zorn schien bereits wieder verraucht. Ein beinahe verschüchtert wirkendes Lächeln huschte über sein Gesicht.  ,, Ich wollte dich wirklich nicht erschrecken. Wo sind deine Eltern?“

Armell wollte etwas sagen, brachte aber nur einen Laut zu Stande, der entfernt an ein Wort erinnerte, während sie hinter sich auf die Menge deutete.

Zachary legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter während er Aufstand und sich in der Menge umsah. Sie konnte es nicht sicher sagen, aber der Mann schien tief in Gedanken zu sein.  ,, Ihr anderen könnt euch als entlassen betrachten.“ , erklärte er schließlich und Armell konnte hören, wie ein allgemeines Aufatmen durch die Menge ging. Einer nach dem anderen strömten die versammelten Adeligen aus der Halle, bis schließlich nur noch ihre Eltern und Obarst übrig bleiben. Der Blick von Lord Zachary kreuzte sich einen Moment mit dem ihres Onkels, bis der ältere Mann genickt hinter Armells Eltern zurück.

,, Was hat sie angestellt, Herr ?“ , fragte ihr Vater, der eilig herbeigelaufen kam.

,, Gar nichts.“ , meinte Zachary, während er beschwichtigend die Arme hob. ,, Tatsächlich würde ich ihr gerne etwas schenken, wenn sie den damit einverstanden ist. Deshalb muss ich euch auch bitten kurz hier zu warten.“ Mit diesen Worten beugte er sich wieder zu ihr hinab. ,, Was meinst du, habe ich dir zu viel Angst gemacht oder kommst du mit ?“

Er streckte ihr eine Hand hin und lächelte erneut dieses unsichere Lächeln, das mehr sein wahres Alter widerzuspiegeln schien. Am liebsten hätte sie sofort Nein gesagt nur um diesen Ort endlich verlassen zu können.  Aber die Freundlichkeit die der Mann jetzt an den Tag legte, war echt, das spürte sie einfach. Nicht die geheuchelte Unterwürfigkeit eines Adeligen, der hoffte sich irgendwie einen Vorteil zu verschaffen und nur Pflichtbewusst lächelte. Auf seine Art schien Lord Zachary tatsächlich einfach mehr ein Mensch zu sein, als die restliche Versammlung zusammengenommen. Armell holte tief Luft und verdrängte Ihre Angst. Dann nahm sie die ausgestreckte Hand des Zauberers.

,, Also dann… folge mir. Und keine Angst.“ Zachary erhob sich wieder und trat, ohne darauf zu achten, ob sie ihm auch wirklich folgte, durch die selbe Tür, durch die er den Saal zuvor betreten hatte. Armell beeilte sich um mit ihm Schritt zu halten, wäre jedoch fast in ihn hineingerannt, sobald sie den nächsten Raum erreichte. Auf den ersten Blick war es ein, für die größe des Anwesens, erstaunlich schlicht eingerichtetes Studierzimmer. Große Bücherregale nahmen sämtlichen freien Platz an den Wänden ein und vor einem kleinen Kamin standen einige Stühle und Sessel zu einem Halbkreis angeordnet. Ein dunkler, abgenutzter Teppich bedeckte den Großteil des aus Steinfließen bestehenden Bodens.

Zachary war direkt davor stehengeblieben und bedeutete ihr mit einer Geste zurückzutreten.

,, Nur um das klarzumachen. Was immer ich dir zeige… der Sangiusorden erfährt am besten nichts davon. Wenn Quinn wüsste, dass es noch existiert…  Er würde es nicht verstehen.“

Quinn… Und der Orden. Armell brauchte eine Weile bis ihr einfiel, wie die beiden Namen zusammengehörten. Quinn war der Name des Anführers des Sangius-Ordens, der Organisation, die seit dem Aufstieg der Belfare-Dynastie über die Magie wachten. Manche würden wohl eher behaupten, dass sie sie horteten und wenn man bedachte, wie wenige unabhängige Zauberer es heute noch gab, stimmte das wohl auch. Aber die Art wie Lord Zachary von dem Mann sprach, klang beinahe so, als wären sie alte Bekannte.

Sie nickte lediglich ohne zu verstehen und im selben Moment beschrieb Zachary eine Geste mit der Hand in der Luft. Der dunkle Teppich begann sich fast augenblicklich zu verändern. Zuerst fiel es Armell gar nicht auf , doch das Gewebe begann allmählich durchscheinend zu werde, bis es schließlich ganz verschwunden war. Darunter kam nicht etwa der glatte Fußboden zutage, sondern eine Treppe, die schräg nach unten in die Dunkelheit führte.

Zachary beschrieb erneut eine Geste mit der Hand und eine kleine, silbrige Kugel stieg daraus hervor, die die Dunkelheit vor ihnen erhellte. Soweit Armell erkennen konnte, schien die Treppe fast endlos nach unten zu führen und selbst das magische Licht konnte ihr Ende nicht enthüllen.

,, Sei vorsichtig.“ , meinte der Zauberer, während er ohne zu zögern nach unten stieg. ,, Die Stufen sind oft glatt.“

Einen Moment zögerte das Mädchen, ihm zu folgen. ,, Warum zeigt ihr mir das , wenn es so gefährlich für euch ist ?“ , fragte sie schließlich, während sie sich doch dazu durchrang , die ersten Stufen zu nehmen.

,, Soll ich ganz ehrlich sein ?“ Zachary war stehengeblieben und hatte sich zu ihr umgedreht. Selbst im Halbdunkel schienen seine Augen von innen zu glühen. ,, Du erinnerst mich sehr an mich selbst in deinem Alter. In vielen Dingen.“ Damit drehte er sich um und setzte ihren Abstieg fort. Moos wucherte an den aus grobem Stein bestehenden Wänden. So wie es aussah, war dieser komplette Gang direkt in den Fels des Berges geschlagen worden, auf dem das Herrenhaus errichtet worden war

,, Wie meint ihr das.. Herr ?“

,, Ich denke du wirst es irgendwann von selbst verstehen. Und bitte, Zachary reicht. Zac für meine Freunde.“

Armell war nach wie vor unsicher, ob ihre vorherige Angst vor dem Mann berechtigt gewesen war oder nicht. Alles in ihr wollte am liebsten umkehren und raus aus diesen kalten, beengten Tunneln. Gleichzeitig spürte sie einfach, das Zachary ihr nichts Böses wollte, im Gegenteil. Nur woher nahm sie diese Gewissheit? Das im Saal schien ein völlig anderer Mann gewesen zu sein. Während sie noch darüber nachsann, hörte sie, wie Zachary auf einmal,, Schweigt.“ , rief.

Sie blieb stehen und sah sich verwirrt um. Zachary schien erst jetzt aufzufallen, das er überhaupt etwas gesagt hatte.

,, Ich… spreche nicht mit dir.“ , meinte er und setzte wieder dieses beinahe kindhafte Lächeln auf, das so gar nicht zu dem Zauberer zu passen schien, der er war. ,, Verzeih. Dieser Ort weckt nicht die besten Erinnerungen. Und manche davon… wollen einfach nicht tot bleiben.“

Vor ihnen kam nun endlich das Ende der Treppe in Sicht. Halb hinter Geröll verborgen, als wäre dieser Ort vor nicht allzu langer Zeit noch verschüttet worden, gab es einen Durchgang, der in eine gewaltige, natürliche Höhle führte.  Armell sah sich eingeschüchtert um, während sie auf ein Plateau hinaustraten, von dem aus eine weitere, gewundene Treppe zum Grund der Höhle führte. In der Ferne konnte sie vier, zu einem Rechteck angeordnete, hoch aufstrebende Steinpfeiler erkennen, die die Decke trugen. Und dazwischen… schien sich noch etwas zu befinden.

,, Was ist das hier ?“ , wollte sie wissen. Ihre Stimme war kaum ein Flüstern, hallte aber trotzdem unangenehm Laut von den in der Dunkelheit verborgenen Wänden wieder.

,, Ein Ort, der eigentlich vergessen werden sollte.“ , antwortete Zachary nur. ,, Mein Vater ließ zu, das er erschaffen wurde. Und mir würde es eigentlich obliegen, ihn zu vernichten. Jedoch…“ Er beendete den Satz nicht.

,, Euer Vater….“

,, Er war ein schrecklicher Mann, der neben zahllosen anderen Verbrechen auch noch beinahe die Frau getötet hätte, der ich mehr als nur mein Leben verdanke. Belassen wir es dabei.“ Zachary trat auf die zweite Treppe hinaus und machte sich, Armell nach wie vor im Schlepptau, auf den Weg hin zu den Säulen. Während sie näherkamen, entzündete der Magier mehrere Steinerne Schalen, die auf dem Weg verstreut standen. Blaue Flammen schlugen daraus hervor und erfüllten die Höhle mit unstetem, kaltem Licht. Tatsächlich, fröstelte Armell, als sie einem dieser Feuer einmal zu nahe kam. Magie, dachte sie nur und wurde sich dessen zum ersten Mal wirklich Bewusst. Das in der Halle war noch keine Zauberei gewesen und der Teppich… es hätte auch ein Trick sein können. Aber das hier, das war absolut echt.

Sie hatten die Säulen jetzt fast erreicht und nun konnte Armell auch erkennen, was sich in ihrem Zentrum befand. Der Boden dort war mit Marmor gepflastert, der jedoch in den unmöglichsten Winkeln und Formen gebrochen war, so das er an ein misslungenes Mosaik erinnerte. Die Lücken und Fugen zwischen den kalkweißen Steinplatten jedoch waren mit etwas Ausgefüllt, das entweder Gold war, oder diesem zum Verwechseln ähnlich sah. Das Gewirr aus Linie ordnete sich um einen Sockel in der Mitte des seltsamen Platzes an. Und auf diesem Sockel stand ein Becken, das direkt aus Kristall geschnitten schien. Flüssiges Quecksilber stand träge darin, doch bereits während sie näherkamen, kam Bewegung in die Flüssigkeit.  Als würde es ihre Anwesenheit spüren… Erneut lief ein Schauer über das Mädchen.

,,Halte dich ab jetzt dicht bei mir.“ , gebot Zachary, während er auf die Plattform hinaustrat ohne eine der goldenen Adern im Boden zu berühren. Armell tat es ihm gleich und so näherten sie sich Schritt für Schritt dem Becken. Das Quecksilber darin begann mittlerweile Wellen zu schlagen und schien nicht mehr zum Stillstand zu kommen. Im Gegenteil, in der silbrigen Oberfläche verzerrte sich ständig das Spiegelbild ihrer Umgebung. Zachary war derweil ganz an den Sockel und die Schale herangetreten und .Mit einer einzigen Geste, erstarrte das Silber und wurde wieder glatt, als handle es sich um einen extravaganten  Spiegel. Nur eines schien seltsam, wie Armell auffiel. Ob die Flüssigkeit nun stillstand oder nicht, sie konnte ihr Spiegelbild nicht darin sehen.

,, Komm näher, aber vorsichtig.“ , meinte der Zauberer und winkte sie herbei, eine Hand über das Becken haltend. ,, Und was immer gleich geschieht, erschrick nicht. Alles ist in Ordnung.“

Mit diesen Worten riss er die Hand vom Becken zurück und ein einziger Tropfen Quecksilber folgte der Bewegung, wurde in die Luft geschleudert… und schwebte dann mehrere Handbreit über der ansonsten wieder spiegelglatten Oberfläche. Und dann begann er sich zu verformen. Was zuerst nur ein undeutlicher Klumpen war, nahm zunehmend Form an, wurde größer, färbte sich… bis ein kleiner zerzauster Vogel  entstand, der auf dem Rand des Beckens hockte und sie aus schwarzen Knopfaugen musterte.

Zachary trat, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen zurück und schien auf irgendetwas zu warten.

Vorsichtig streckte Armell schließlich eine Hand nach dem Wesen aus. Die braunen Federn schimmerten im Licht der magischen Feuer mit goldenen Tupfern, sie wagte es jedoch nicht, den Vogel zu berühren, sondern ließ ihre Hand einfach ausgestreckt. Das Tier, falls es den eines war, legte den Kopf schief, als ob es nachdenken müsste, dann jedoch hob es einen Fuß… und setzte ihn in die Handfläche des Mädchens. In diesem Moment schien das Eis gebrochen, denn der Vogel machte einen Satz und landete mit drei kurzen Flügelschlägen auf ihrer Schulter.

Armell wusste nicht wieso, aber sie musste lachen. ,, Was ist das ?“ , fragte sie , ihre vorherige Angst hinweggefegt.

,, Man nennt es einen Homunkulus. Ich glaube ich bin einer der wenigen, der je einen erschaffen konnte und ich hatte... etwas Hilfe. Und… es ist wirklich seltsam, wie bereitwillig er sich mit dir Verbunden hat.“

,, Verbunden ?“

,, So gesehen, seid ihr jetzt eins und doch nicht. Er spiegelt jetzt deine Gedanken und Emotionen wieder. Es ist schwer zu erklären und man kann diese Geister nicht dazu zwingen, weißt du. Und normalerweise sind sie eher zurückhaltend. Aber wer weiß, vielleicht bringt es dich auf deinen Weg.“

In diesem Moment schlug der Spatz auf Armells Schulter erneut mit den Flügeln und veränderte seine Gestalt zu einem kohlschwarzen Raben, dessen Krallen sich kaum merklich durch ihre Kleidung drückten. Sie konnte es nicht sicher sagen, aber er schien Zachary halb belustigt, halb böse anzufunkeln. Und ging es ihr nicht selber so, stellte sie überrascht fest. Nur ein weiteres Rätsel als Antwort und sie hatte das Gefühl, das man sich über sie lustig machte…

,, Wir gehen wohl besser wieder hinauf.“ , meinte der Zauberer . ,, Deine Eltern warten sicher schon.“

Sie nickte. ,, Komm Sentine.“

,, Sentine ?“ , fragte Zachary.

,, Sie braucht einen Namen, oder ?“ , antwortete Armell.

Die Krähe gab  ein zustimmendes Krächzten von sich, was Zachary nur mit einem Kopfschütteln bedachte. Aber Armell konnte sehen, wie er leise in sich hineinlachte.

 

 

Kapitel 6 Späte Kunde

 

 

 

20 Jahre später....

 

Graue Sturmwolken bedeckten den Himmel und wühlten die See vor der Küste von Hamad. Die dichten Regenschleier machten es Galren schwer etwas zu erkennen, doch die verschwommenen Lichter die langsam näher kamen, waren ihm Anhaltspunkt genug. Er war so gut wie daheim, endlich.

Die Reise nach Freybreak , die er hinter sich hatte, hatte länger gedauert als gedacht und langsam war er froh, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Der Sturm war so unverhofft über die Insel hereingebrochen, dass sie sich noch Glücklich schätzen konnten, die ganze Zeit nah an der Küste geblieben zu sein. Wie es weiter draußen aussah, wollte er sich gar nicht erst vorstellen.

Die braunen Haare klebten ihm am Kopf und er war durchgefroren bis auf die Haut, aber der Gedanke an ein warmes Feuer und eine ordentliche Mahlzeit, die nicht aus fast ungenießbarem Schiffszwieback bestand, lockte ein Lächeln auf seine Lippen. Die Verzögerung hatte ihm immerhin auch einen netten Bonus bei seiner Bezahlung eingebracht. Zwar gab es nicht mehr so viel Schiffsverkehr von und zur Insel wie einst, aber es reichte um als Navigator für die Ortsfremde Kapitäne leben zu können.

 Maillac lag fast verlassen da, die Straßen teilweise vom Sturzregen überflutet. Rauch stieg aus den Schornsteinen der Siedlung auf und der Wind lies ein dutzend kleiner Laternen tanzen, die meisten davon Verloschen.

Bei diesem Wetter wagte sich niemand auf die Straßen, dachte der junge Mann, während das kleine Ruderboot auf dem er sich befand schließlich an einem der verfallenen Piers vor der Siedlung anlegte. Das Holz des Stegs  knarrte beunruhigend unter seinen Füßen, als er aus dem Boot stieg, aber bis heute hatte es immer gehalten.

Wasser troff aus seinem grünen Reisemantel und sammelte sich in den Falten des Seesacks, den er auf den Schultern trug. Ein rascher Blick zurück zum Boot zeigte ihm, das die übrige Besatzung sich bereits wieder auf dem Rückweg zu einem, im Sturm nur als Schemen erkennbaren,  Schiff machte das draußen vor der Küste ankerte. Vermutlich würden sie abwarten, bis der Sturm etwas nachließ und sich dann wieder auf dem Weg machen, vielleicht zum Hafen in Erindal oder südlich über Kanäle und Flüsse in die westliche Sonnensee und weiter nach Kalenchor. Der Außenposten des Imperiums war ein beliebtes Anlaufziel bei Händlern, die sich dort mit allem versorgten, das sie weiter im Norden teuer verkaufen konnten, wie Tee, Gewürzen oder Tabak.

Galren jedenfalls machte sich rasch auf den Weg durch die verlassenen Gassen des Dorfes, hin zu einem Haus, das zwischen einigen Umzäunten Hügeln aufragte. Selbst die Schafe ließ man bei diesem Wetter nicht auf dem Feld, so dass die Weiden genau so leer waren, wie der Rest von Maillac.

Der Weg , dem Galren folgte, hatte sich in Folge des Sturzregens längst in Schlamm verwandelt, der zäh an seinen Stiefeln klebte. Selbst die Sandwege, die durch die Gärten vor dem Haus führten, waren halb weggespült worden und er würde sich vermutlich spätestens im Herbst darum bemühen müssen, sie auszubessern. Allgemein, dachte er, fand er kaum die Zeit sich um die Außenbereiche des Hauses zu kümmern, so dass die meisten Pflanzen eher wild wucherten, statt wie einst in geordneten Beeten zu wachsen.  Wussten die Götter, wie er die Zeit dafür finden wollte, aber vielleicht konnte Lias ihm dabei zur Hand gehen. Wenn im Winter schließlich weniger Schiffe durchkamen, half er dem Gejarn meist in der Dorfschmiede, vielleicht konnte er dieses Jahr einen anderen Weg finden, zumindest einen Teil der schlechten Monate hinter sich zu bringen.

Als Galren die Tür öffnete schlug ihm sofort der vertraute Geruch nach altem Leder entgegen. Das Haus hatte sich in den letzten Jahren kaum verändert und während er fort war, war es meist Lias, der alles in Ordnung hielt und nach dem Rechten sah. Und nicht nur hier. Galren musste an den Dieb denken, der vor einigen Monden den Fehler gemacht hatte, in das Haus des Schmieds einzubrechen. Selbst heute erzählten die Leute in der Dorfschenke noch, dass sie selten jemanden so schnell hatten rennen sehen, wie den Mann, der herausfinden musste, das ein verkrüppeltes Bein noch keine leichte Beute machte.

Er hängte den Mantel über das Bücherregal im Flur und zog das paar gefütterter Lederhandschuhe aus, die er trug, während er einen Blick in die Vitrine daneben warf.  Einige alte Navigationsinstrumente glitzerten darin .Vermutlich hatte sein Vater sie sich einmal gekauft, aber dann doch nie benutzt.  Neben den Instrumenten befand sich jedoch noch etwas anderes, ein großer, von silbrigen Kristallen besetzter Stein. Sterneneisen.  Erneut eine Erinnerung, die ihn mit Lias verband. Vielleicht gab es ja doch so etwas wie Schicksal.  Galren  schüttelte den Kopf und legte die Handschuhe beiseite.

Aus der Tür, die in den eigentlichen Wohnbereich des Hauses führte, drang bereits flackernder Feuerschein. Manchmal wartete der Gejarn  auf ihn, wenn er zurückkam und im Augenblick war der Gedanke, sich ohne größere Umstände direkt vor den warmen Kamin setzen zu können verlockender als alles andere.

Zwei schwere Sessel, die ebenfalls noch aus Varans Besitz stammten standen vor dem Ofen, zusammen mit einigen weiteren Bücherregalen und einem Esstisch an der Rückwand des Raumes.  Seine Schritte wurden von einem großen Teppich gedämpft und zu spät wurde Galren klar, dass er nach wie vor die Schlammverdreckten Stiefel trug. Nun er würde sich morgen darum kümmern, dachte er gähnend. Draußen trommelte nach wie vor der Regen gegen die Glasscheiben der Fenster. Ein seltsam beruhigendes Geräusch.

Während Galren  sich dem Kamin zuwendete, viel ihm zum ersten Mal auf, dass etwas nicht stimmte. Lias war nicht hier, oder er wäre ihm längst entgegengekommen. Selbst wenn er schlief, bekam der Gejarn normalerweise mit, wenn irgendwo im Haus eine Stecknadel fiel, noch mehr, wenn eine Tür geöffnet wurde. Wo war er also? Und irgendjemand hatte Feuer gemacht…

,, Galren Lahaye, nehme ich an ?“ Die Stimme kam aus einem der Sessel. Die Gestalt darin saß dem Feuer nur halb zugewandt und war damit für ihn zum Großteil in den Schatten verborgen gewesen.

,, Wer seid ihr ?“ Galren konnte das Blut in seinen Ohren rauschen hören, während der Fremde sich erhob. Er brauchte ihn nicht erst sehen um zu wissen, dass er ihn nicht kannte. Maillac hatte nicht zu viele Einwohner, von regelmäßigen Besuchern ganz zu schweigen… und er kannte die meisten schon sein ganzes Leben.

Er schielte zu einem Metallständer mit Schürhaken neben dem Feuer. Offenbar hatte der Fremde im Sessel jedoch bereits bemerkt, was er vorhatte und erhob sich  in einer fließenden Bewegung, so dass er plötzlich zwischen Galren und jeder potentiellen Waffe stand.

,, Ich bin Hedan.“ , erklärte er kühl.

 Das Licht der Flammen spiegelte sich auf den grauen Haaren des Mannes, die dadurch einen beinahe orangeroten Ton annahmen. Und die Farbe stammte nicht nur vom Feuer, wie ihm klar wurde. Tatsächlich schimmerten in dem grau einige hellrote Strähnen, die noch nicht ganz verblasst waren. Braune Augen in einem wettergegerbtem Gesicht musterten Galren, als versuchten sie abzuschätzen, wie er reagieren würde, während eine Hand des Mannes zum Degengriff wanderte. Die Waffe hing an einem Gürtel, der das Emblem des Kaisers trug und schien, genau wie der Rest der Kleidung des Mannes, zu einem kaiserlichen Offizier zu gehören. Aber was hatte so jemand mitten in der Nacht in seinem Haus verloren?

,, Was habt ihr hier zu suchen ?“ , verlangte er zu wissen und schätzte ab, ob er es zurück bis zur Haustür schaffen könnte. Im Dorf würde er sicher Hilfe finden, aber wenn der Mann nicht alleine war…

,, Verzeiht.“ , brummte der Mann und seine Stimme verriet, dass er es nicht im geringsten so meinte. Wenigstens nahm er die Hand vom Schwert. ,, Aber ich sehe es nicht ein bei dem Wetter draußen zu warten, nur weil ich den Boten spielen muss. Die gleiche Frage hat mir heute schon einmal ein ziemlich übel gelaunter Gejarn gestellt. Hat mir fast den Arm gebrochen… Am Ende geht was ich zu sagen habe aber nur euch etwas an.“ Mit diesen Worten hob der Mann einen großen Kasten vom Boden vor dem Sessel auf. Vermutlich hatte er ihn dort abgestellt, während er auf Galren wartete. Auf den ersten Blick war es lediglich eine angelaufene Holztruhe. Die Eisenbeschläge, die sie zusammenhielten waren von Rost zerfressen und wirkten, als würden sie bei der kleinsten Gelegenheit einfach zerbröseln… ansonsten jedoch schien sie intakt zu sein. Auf der Vorderseite dort, wo sich einstmals wohl ein Schloss befunden hatte um die Kiste sicher zu verschließen, prangte eine von Patina überzogene Messingplatte. Galren trat, nach wie vor angespannt, vor und streckte eine Hand danach aus. Zwei Buchstaben waren in das Metall Gestanzt worden, ein großes V gefolgt von einem L. Wie in  Varen Lahaye. Seine Müdigkeit war mit einem Schlag Geschichte.

,, Woher habt ihr das ?“ , verlangte er zu wissen. Galrens Verstand sagte ihm, das es auch nichts bedeuten könnte, das der Mann gleich erklären würde, es handle sich um eine unbedeutende Kleinigkeit… Aber das glaubte er nicht. Er hatte nichts mehr von seinem Vater gehört, seit dieser zu seiner letzten Reise aufgebrochen war. Vor fast zwei Jahrzehnten…

,, Um es kurz zu machen, aus einem Schiff, das vor gut drei Wochen an der Westküste Cantons angespült wurde. Ich gehöre zur kaiserlichen Marine und was ihr dort in Händen haltet, ist eines der wenigen Dinge an Bord, die nicht völlig zerstört waren. Allerdings glaube ich, wisst ihr genauso gut wie ich um wessen Schiff es sich handelte. Ich hätte den Kasten ja wieder ins Meer geworfen, aber leider bestanden meine Vorgesetzten darauf, dass man es euch übergibt. Das habe ich hiermit getan. Ihr seid Varans letzter lebender Verwandter und damit sein Erbe. Auch wenn das ziemlich kläglich ausfällt.“  Mit diesen Worten stapfte der Mann an Galren vorbei und ehe er noch etwas sagen konnte, hörte er auch schon, wie die Tür aufgezogen wurde und wieder ins Schloss fiel. Einen Moment stand er nur wie vor den Kopf geschlagen da, die Kiste nach wie vor in der Hand. Das der Kerl nicht gerne den Weg hierher nagetreten hatte, war ihm klar, aber… Was sollte er damit? Er hatte Jahrelang auf eine Antwort gehofft, auf eine Nachricht, dass sein Vater doch Erfolg gehabt hatte oder nicht zurückkehren würde. Und jetzt schien er die Antwort zu haben, wenn das Schiff, das dieser damals genommen hatte, wirklich zerstört an der Küste angespült worden war. Und doch war da nur ein nagendes, leeres Gefühl in ihm. Galren hatte immer gedacht, dass er traurig darüber sein würd, vielleicht auch erleichtert, zumindest die Wahrheit zu wissen. Aber das hier… war nichts. Einen Moment fühlte er sich versucht, den Kasten einfach so wie er war, den Flammen zu überantworten. Und warum auch nicht... Dann jedoch besann er sich eines Besseren und ließ sich in dem Sessel nieder, in dem vorher noch Hedan gesessen hatte. Seine Finger trommelten auf dem morschen Holz der Kiste. Ein Teil von ihm wollte sie gar nicht öffnen, schon alleine um sich eine weitere Enttäuschung zu ersparen.  Wenn das hier wirklich Tage oder Wochen im Wasser getrieben hatte, hatte er nichts Schlick und Salzwasser zu erwarten. Am Ende jedoch, war die Neugier stärker und er öffnete den Deckel. Die Scharniere brachen fast augenblicklich und der obere Teil der Truhe fiel mit einem Schlag auf den Boden.

Was er sah, war was er erwartet hatte. Eine Wasserpfütze schwappte am Boden der Truhe doch das feuchte Holz der Seitenwände zeigte, das vermutlich der gesamte Innenraum einmal überflutet gewesen war. Ansonsten befand sich nur ein Stapel verwaschener Dokumente und ein in Leder gebundenes Buch darin. Was das Papier anging, so viel es auseinander, sobald Galren auch nur versuchte, es zu berühren, zerfaserte… und löste sich auf. Rettungslos verloren. Und das Buch…

Galren hatte einen kurzen Moment Hoffnung, das der Einband das allerschlimmste vielleicht verhindert hätte, doch schon in dem Moment, wo er die Tropfenden Seiten aus der Kiste nahm, wusste er, das dem nicht so war. Zwar hielt das Buch noch zusammen, aber die Tinte auf den Seiten hatte sich komplett aufgelöst, sah man von einzelnen Wörtern und Daten ab. Rasch blätterte er zur letzte Seite, fand aber auch hier nur unleserliche Schrift und ein halb verwaschenes Datum. Es war jedoch das Datum, das ihn stutzig machte.

  1. Das Jahr der Herrschaft des Hauses Belfare 254… Das konnte nicht sein, dachte Galren. Und doch waren die Zahlen klar erkennbar, ein Irrtum ausgeschlossen. Wenn das stimmte, dann war sein Vater oder wer immer das Tagebuch weitergeführt hatte, bis vor kurzem noch am Leben gewesen…

Und dann fiel ihm noch etwas, ganz am Boden der Schatulle auf. Es war eine dünne Röhre aus rotem Papier. Galren seufzte. Noch ein völlig nutzloses Schriftstück, das ihm unter anderen Umständen vielleicht etwas über die letzten Tage seines Vaters hätte verraten können. Aber etwas an dem gerollten Umschlag war seltsam. Direkt auf das Papier war eine goldene Fassung angebracht worden und darin saß ein grüner, schimmernder Kristall. Er nahm die Rolle vorsichtig heraus und besah sich den Stein. So wie es aussah, war das Ganze eine Art Siegel, aber normalerweise würde man ein Schriftstück doch mit Wachs verschließen… nicht mit Gold und Edelsteinen. Wenn das da überhaupt ein Edelstein im eigentlichen Sinne war. Ein seltsames Kribbeln schien davon auszugehen, als wäre die Luft um es herum irgendwie… dichter. Und das Papier fühlte sich vielversprechend trocken an. Während er noch darüber nachdachte, wie das überhaupt sein konnte, wenn die Rolle am Boden der Kiste gelegen hatte berührte einer seiner Finger das Siegel. Es war, als hätte ihn ein Blitz getroffen. Der Stein heizte sich plötzlich auf und Galren riss die Hand zurück. Im gleichen Moment begann das komplette Siegle zu glühen. Magie, dachte er noch, bevor die komplette Rolle sich mit einem letzten Aufflackern von Helligkeit auflöste und ein weiteres, großes Blatt Papier zurückließ. Und was immer es war, dachte Galren mit neu entflammter Hoffnung, es war seinem  Vater oder irgendjemandem wichtig genug gewesen um es mit einem Zauber abschirmen zu lassen. Mit zitternden Händen entfaltete er das Blatt. Es dauerte eine Weile, bis ihm völlig klar wurde, was er da in Händen hielt. Und selbst als die Erkenntnis über ihn hereinbrach, schien es völlig Unmöglich. Sein Vater hatte es geschafft…

 

Kapitel 7 Karte

 

 

,, Galren… ?“

Die Stimme drang wie aus weiter Ferne zu ihm und einen Moment hatte er Schwierigkeiten sie zuzuordnen. Er blinzelte ins grelle Licht und schloss die Augen sofort wieder. Die Sonne fiel direkt durch ein großes Fenster vor ihm und auf die Arbeitsfläche eines großen Tisches. Im Augenblick schien allein die Reflektion darauf ihm die Augen verbrennen zu wollen… davon zu schweigen, das sein ganzer Körper weh tat.  Nur langsam fiel ihm wieder ein, wo er sich befand. Im zweiten Stock des Hauses, im alten Arbeitszimmer, das einstmals seinem Vater gehört hatte. Er musste gestern hier oben eingeschlafen sein, dachte er, während er erneut die Augen öffnete. Stapel von Pergamenten und Papier begrüßte ihn als er ins nach wie vor zu grelle Licht blinzelte.

Der Sturm der letzten Nacht musste sich gelegt haben, denn draußen war der Himmel klar und Blau. Wasserpfützen standen auf den Wegen und Wiesen um das Haus herum und nach wie vor fielen beständig Tropfen von Bäumen und Blättern herab.

,,Galren ?“

,, Lias ?“ Nach wie vor im Halbschlaf drehte er den Kopf in Richtung der Stimme. Der Gejarn stand keine zwei  Schritte von ihm entfernt neben dem Tisch. Das einst gelbliche Fell war über die Jahre fast völlig ergraut und die Rüstung, in der er einst hier nagekommen war, lag wohl vergessen in einer Ecke seiner Schmiede. Stattdessen trug Lias ein schlichtes braunes Hemd und Hosen und wäre wohl kaum als der Krieger erkannt worden, der er einst war. Das einzige, das noch an seine Vergangenheit erinnerte, waren das Schwert, das er nach wie vor mit sich trug und die alten Verletzungen, die nie ganz verheilt waren. Er machte einen Schritt auf Galren zu, zog dabei den einen Fuß jedoch deutlich sichtbar nach.

,, Hast du die ganze Nacht hier verbracht ?“ , wollte er mit einem Blick auf das Chaos aus Schriftrollen, Büchern und Pergamenten wissen, die sich auf dem Schreibtisch stapelten. Galren musste bei dem fast vorwurfsvollen Ton des Gejarn unwillkürlich lächeln. Seine Angst von damals war jedenfalls  längst vergessen. Der alternde Krieger hatte Maillac seit jenem nun fernen Tag vor fast zwanzig Jahren nur sporadisch verlassen und obwohl das Bein ihm längst nicht mehr so zu schaffen machte, wie einst, war er geblieben.  Galren zog eine zufällige Seite aus dem Dokumentenstapel und besah sie sich, nach wie vor nicht ganz wach.  Es war eine Karte, aber ein wichtiges Detail fehlte darauf. Etwas, das so wichtig war, das es keinen Aufschub mehr geduldet hatte..

,, Es scheint so.“ Er rieb sich die Augen um die letzten Überreste des Schlafs abzuschütteln, bevor er sich auf dem Tisch umsah. Einen Augenblick fürchtet er, nicht mehr zu finden was er suchte. Das Dokument, das ihn der Bote, Hedan, gestern zusammen mit der Truhe überreicht hatte.  Unter den ganzen anderen Schriftstücken und Karten, die er letzte Nacht aus den Büchern und Atlanten hier oben herausgetrennt hatte, war sie nicht zu entdecken… Endlich entdeckte Galren jedoch, was er gesucht hatte und er hob das Stück Papier vom Boden vor dem Schreibtisch auf. Es musste ihm gestern Abend schlicht aus der Hand gerutscht sein, nachdem er eingeschlafen war…  ,, Und es war alles andere als sinnlos.“

,, DU hattet gestern Besuch.“ , bemerkte der Gejarn. Das hatte er , dachte Galren. Und nach wie vor lies die Begegnung mehr Fragen offen, als sie ihm Antworten geliefert hatte.

Er gähnte , während er sich langsam aufsetzte und im Raum umsah. Neben dem Schreibtisch am Fenster, ging links eine Treppe ab, die ins Untergeschoss des Hauses zurückführte. Daneben standen mehrere Schräke, die neben Karten und weiteren Büchern auch einige Instrumente enthielten, die wie die unten jedoch an ihrem Platz verstaubten.  Ihm war immer noch nicht ganz wohl hier oben, irgendwie… schien hier noch alles vom Geist seines Vaters beseelt zu sein und auch fast zwei Jahrzehnte hatten das nicht geändert. Es fühlte sich an, als würde er hier einbrechen…

Galren schüttelte die Gedanken ab, während er das Papier glattstrich und Lias herbeiwinkte. ,, Sieh dir das an.“

Lias trat wortlos hinter ihm, während er einige der Dokumentenstapel beiseite schaffte und die Karte ausrollte. Obwohl sie Wochen wenn nicht Monate in Seewasser gelegen hatte, war das Papier völlig unbeschädigt, es gab nicht einmal einen Tintenfleck, der verraten hätte, das der Zeichner nicht aufgepasst hätte. Auf den ersten Blick war es eine gewöhnliche, wenn auch detaillierte, Karte des Kontinents. Hamad war nur als kleiner Landfleck am nordöstlichen oberen Rand der Karte zuerkennen, während sich der Rest Cantons wie ein Gigant daneben ausnahm. Das Kerngebiet des Kaiserreichs erstreckte sich über hundert Tagesreisen und mehr und mit den Provinzen und Ländern, die erst in den letzten Jahrhunderten dazugewonnen worden waren… Bis hinunter in den Süden, wo die Grenze nach Laos lag, erstreckte sich das Einflussgebiet des Imperiums über die verschiedensten Landschaften und Völker. Doch eine Besonderheit gab es. Neben der Hauptlandmasse hatte der Zeichner noch eine zweite Küstenlinie ganz im Westen hinzugefügt. Diese war unvollständig, so als wäre nur ein kleiner Abschnitt davon soweit erforscht worden, dass man eine genaue Karte davon anfertigen konnte, aber es reichte aus. Dort draußen befand sich etwas, dachte Galren. Und wer immer diese Karte letztlich gefertigt hatte, sie stammte aus dem Besitz seines Vaters. Erneut wusste er nicht, wie er sich dabei fühlen sollte. Was er hier in Händen hielt, war das komplette Vermächtnis seiner Familie. Es war so wenig… und gleichzeitig so viel.

Er fuhr die fremden Küstenlinien mit dem Finger nach, es war, als könnte er den Weg vor sich sehen, der dorthin führte. Über den schier endlosen Ozean über die Riffe, die auf der Karte nur als undeutliche Punkte zu erkennen waren bis… ja wohin ? Wie würde dieses Land aussehen? Hierbei versagte seine Vision kläglich. Er kannte kaum mehr, als Hamad und die umliegenden Küsten, viel weiter war er nie gekommen, anders als sein Vater, der ständig im ganze Land unterwegs gewesen war, schon lange vor seiner letzten Reise.

Galren schloss einen Moment die Augen. ,, Er hat es wirklich geschafft, Lias. Das hier, stammt aus einer Kiste, die Varans Initialen trug.“

,, Das hat er dir also geben wollen.“ , murmelte Lias mehr zu sich, als das er mit ihm sprach und nahm die Karte vorsichtig an sich.

,, Er hat es geschafft.“ Irgendwie konnte Galren nicht anders, als bei diesem Gedanken zu grinsen. Er hatte vor langer Zeit aufgehört zu hoffen, dass sein Vater zurückkehren würde, dafür war zu viel Zeit vergangen, aber zu wissen, dass er Erfolg gehabt hatte, das für ihn diese Reise nicht völlig vergebens gewesen war… auf eine Art war es erleichternd.

,, Schön und gut.“ , bremste der Schmied seine Begeisterung aus. ,, Aber was bringt uns das ?“

Galren hielt inne, während das Lächeln auf seinen Lippen noch etwas breiter wurde. Er war sich bis jetzt nicht völlig sicher gewesen, wie er es anstellen wollte… Aber er hatte gewusst, was er tun wollte, seit er zum ersten Mal einen Blick auf die Karte geworfen hatte. Es war förmlich, als Riefe dieser seltsame, ferne Ort bereits nach ihm. Und das vielleicht schon länger, als er wusste.

,, Ich will  es zu Ende bringen.“ Ein tollkühner, vielleicht unmöglicher, Plan in einen einzigen Satz gefasst. Und doch , für ihn stand es so fest, wie selten etwas in seinem Leben. ,, Wenn es eine Möglichkeit gibt, werde ich dem Weg meines Vaters folgen. Und sei es nur um zu erfahren, was er wirklich gefunden hat. Und wir haben, was er noch nicht haben konnte. Eine Route… Die Karte ist genau genug dafür, wir können fast den gleichen Weg wie er wählen.“

Erneut war es Lias, der seiner Begeisterung einen Dämpfer verpasste und ihn auf den Boden zurückholte.

 ,, Und hast du dir auch überlegt, wie genau du das anstellen willst ?“ Der Schmied machte einen leicht schleifenden Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Auch wenn das Bein ihm nach wie vor Probleme bereitete, er glich fast jede Unsicherheit mit der fließenden Eleganz eines Kämpfers aus, die ihm nach wie vor zu Eigen war. ,, Mal davon abgesehen, wie du es finanzieren würdest. Selbst wenn diese Karte nicht genau ist, das ist eine Strecke für die man Wochen brauchen würde.  Man braucht Vorräte und man kann sich im Zweifelsfall nicht einfach an der Küste orientieren wenn man vom Kurs abkommt. Ich weiß wovon ich rede. Ich bin während des Kriegs mit einem Schiff nach Canton gekommen und das waren nur einige Tage. Trotzdem war längst nicht sicher, ob wir es auch schaffen. Ein Sturm wie der gestern  kann da draußen alles ändern.“

Galren nickte. Ihm war genau so klar, dass es nicht einfach werden würde und vielleicht war das Hochgefühl das von ihm Besitz ergriffen hatte schlicht unangebracht. Das änderte jedoch wenig an der Tatsache, dass seine Entscheidung stand. Er musste es zumindest versuchen oder er hätte keine Ruhe mehr.

,,Freybreak.“ , murmelte er. Das könnte eine Möglichkeit sein, zumindest ein Anfang.

,, Was ist damit ?“ , wollte Lias wissen.

,, Nun wir brauchen Geld , oder ? Es gibt vielleicht einen Weg daran zu kommen. Es muss uns nur gelingen jemand zu finden, der uns Unterstützt. Und Freybreak wimmelt von Händlern, für die ich bereits Schiffe in die Stadt gelotst habe. Wenn auch nur einer von ihnen uns Hilft ist das schon ein Anfang.“

,, Das wäre tatsächlich ein Weg.“ , meinte Lias nachdenklich. Offenbar begann selbst der alternde Gejarn langsam etwas mehr Gefallen an der Idee zu finden. ,, Aber Freybreak ist nicht mehr das was es mal wahr, das weißt du genau so gut wie ich. Selbst die Familie D'Ambois haben in den letzten Jahren  den Großteil ihres Vermögens verloren und denen gehört die Insel praktisch. Das sind die einzigen, die vielleicht überhaupt noch etwas haben, dass sie in eine gefährliche Expedition mit niedrigen Erfolgschancen stecken könnten. Wenn sie es überhaupt wollten. Was ich bezweifle. Man wird dir  das Geld nicht geben, ohne dass du  etwas als Pfand anbieten könntest, wenn du scheitert.“

,, Und ich habe grade mal das Haus.“

,, Das würdest du nicht tun.“ , stellte Lias fest. ,, Oder ?“

Er zögerte. Nach wie vor , der Gedanke dem Weg seines Vaters zu Folgen hatte sich in seinen Geist eingebrannt. Gleichzeitig war das hier das Zuhause, das er kannte, oder nicht?  Galren schüttelte den Kopf. Er könnte es sich selbst nicht verzeihen, diesen Ort so einfach aufzugeben. Nicht für eine fixe Idee, egal wie sehr er sie in die Tat umsetzen wollte. Aber Lias hatte auch Recht. Ohne einen Bürgen und den hatte er nicht, brauchte er irgendetwas anderes, das er für das Geld das er für eine solche Unternehmung brauchen würde, anbieten könnte. Aber was ? Er besaß sonst nichts, mal abgesehen von der Kleidung die er am Leib trug, oder? Die Instrumente vielleicht. Sie waren wertvoll, das wusste er, aber reichte es auch um eine solche Unternehmung zu finanzieren? Nein, vermutlich nicht.

Und doch war da noch etwas anderes. Galren lächelte als ihm die Antwort klar wurde. Erneut fragte er sich, ob so etwas wie Schicksal existierte oder ob solche Dinge einfach so zueinanderfanden, wenn man sie brauchte. In diesem Fall jedoch war es egal. Er hatte eine Lösung gefunden. Etwas absolut einzigartiges. Etwas, das garantiert als Pfand ausreichen würde. Galren sah zu Lias. Der Gejarn spürte offenbar, dass er einen Weg gefunden hatte, wie so oft, wie auch an jenem Tag an dem er ihn durch die Wildnis nach Maillac gebracht hatte.

,, Du arbeitest jetzt seit zwanzig Jahren als Schmied hier, Lias, oder ? Du fertigst für uns fast alles an, was wir brauchen,  Werkzeuge, Schmuck… ich habe sogar mal gesehen wie du ein Schloss angefertigt hast.“

Der Gejarn nickte. ,, In Helike unterzeiht sich  jedes Kind eine Reihe von Prüfungen, während es heranwächst so erhalten wir unseren Platz in der Gesellschaft. Bevor für mich die Herausforderungen der Krieger begannen, habe ich mich vor allem im Schmiedehandwerk  versucht. Hätte ich dabei versagt, ich säße heute vermutlich als Handwerker irgendwo in den Straßen der äußeren Stadtbezirke. Und jetzt sitze ich stattdessen als Handwerker auf einer Insel im hohen Norden.“

,, Würdest du dir auch zutrauen, Sterneneisen zu bearbeiten ?“

 

 

 

Kapitel 8 Atrun

 

 

 

 

Lias besah sich den Erzbrocken von allen Seiten. Die feinen, silbrigen Kristalle, die ihn überzogen schienen ihn besonders zu faszinieren, den mehrmals versuchte er, einen davon abzubrechen oder zu beschädigen. Einmal legte er den Stein sogar auf dem Amboss ab und hieb mit aller Kraft mit dem Hammer darauf, was jedoch nur damit endete, dass der Hammer eine Delle bekam. Der Stein seinerseits blieb dabei völlig unbeschädigt und gab lediglich ein feines, metallisches Klingen von sich. Ein seltsamer Gesang, der einen Moment in der Luft zu verweilen schien, so dass sich die Haare auf Galrens Armen aufrichteten. Er sah dem Gejarn nun fast schon eine halbe Stunde zu und fragte sich langsam, wie die Minenarbeiter früher das Erz bloß gewonnen hatten, wenn es derart unnachgiebig war.

Sie saßen draußen vor Lias Haus, das ihm gleichzeitig auch als Schmiede diente. Das Gebäude an sich unterschied sich kaum von den übrigen kleinen Bauernhütten in und um Maillac, sah man von dem großen, strohgedeckten Vordach ab, unter dem sich Lias Ausrüstung und Werkzeuge befanden. Dazu gehörten ein kleiner Schmelzofen, den der Gejarn selber angefertigt hatte, sowie eine größere , aus Ziegeln gemauerte Esse, auf der noch Kohlen vom vorigen Tag vor sich hin glühten, einige Bottiche mit Öl und Wasser und ein großer und ein kleinerer Amboss, die er einmal einem vor dem Dorf gestrandeten Händler abgekauft hatte. Etwas, worüber der Mann vermutlich gleichzeitig froh und unglücklich gewesen war, einerseits weil er sich nicht mehr Gedanken darüber machen brauchte, wie er das schwere Eisen zur nächsten Stadt brachte, andererseits allerdings konnte er so auch längst nicht den vollen Preis verlangen.

Während Galren sich noch umsah, legte Lias den Erzbrocken beiseite, auf einen grob gezimmerten Tisch zwischen zwei der Säulen, die das Vordach trugen.

 ,, Ich denke, ich kann damit arbeiten.“ , meinte er nachdenklich. ,, Es wird aber ganz sicher nicht einfach.“

,, Warum nicht ?“ , wollte Galren wissen.

,, Es erinnert mich an  das Mithril-Erz, das mein Volk verwendet. Und das ist mit der Hauptgrund aus dem uns das Kaiserreich nie bezwingen konnte. Die Gewehre eurer Soldaten sind mächtig, aber wenn die Panzerung eurer Gegner für Kugeln undurchlässig ist, sehen die Dinge plötzlich ganz anders aus.“ , erklärte der Schmied.  ,, Allerdings es ist nicht leicht zu gewinnen und  noch schwerer zu bearbeiten. Ich selbst durfte nur ein paar mahl Stücke daraus anfertigen und das waren meist simplere Arbeiten, hier ein Schild, da ein Messer, nichts großes. Es ist schlicht zu wertvoll um es einem Lehrling anzuvertrauen, egal wie talentiert.“

,, Ist es wirklich so schwer zu gewinnen ?“

Lias nickte. ,, Du hast es selbst gesehen, Galren. Will man das Erz mit einem Werkzeug abtragen beißt man sich die Zähne aus. Es ist schlicht zu hart, genau wie Sterneneisen. Um Mithril abzubauen bräuchte man Werkzeuge daraus und das wäre eine ziemliche Verschwendung.  Stattdessen muss man das komplette Gestein um eine Ader herum wegschlagen, dann kann man das freigelegte Metall stückweise schmelzen und zu Barren formen. Ich schätze einmal, für Sterneneisen wird das ähnlich gewesen sein.“

,, Das klingt allerdings nach viel Aufwand.“ Tatsächlich wollte er sich gar nicht vorstellen, wie man eine Mannsstarke Erzader zu einer Schmelze bringen wollte. Oder wie diese überhaupt beschaffen sein musste.

,,Dafür ist das daraus gewonnene Metall beinahe unzerstörbar.“ , führ Lias fort. ,, Ich habe nur einige wenige Male erlebt, dass ein Mithril-Schild beschädigt wurde. Und ich bin ehrlich gesagt gespannt, was hierbei herauskommen wird.“
,, Du weißt es noch nicht ?“

,, Ich weiß was ich gerne anfertigen würde.“ , erwiderte der Schmied. ,, Ich bin in Helike nie dazu gekommen eine echte Waffe aus Mithril zu fertigen hatte es aber immer vor, bevor ich schließlich Soldat wurde. Aber in Anbetracht dessen, was auf dem Spiel steht, ist etwas simpleres wohl angebrachter. Mal wieder.“

 Lias klang ernsthaft niedergeschlagen, wie Galren feststellte. Es stimmte wohl, ihre kompletten Pläne hingen davon ab, dass der Schmied etwas Brauchbares erschuf.

,, Ich vertraue dir.“ , meinte er ernst. ,, Wenn du es dir auch  zutraut, tu es. Erschafft, was ihr wollt.“

Der Gejarn schien erneut einen Moment nachzudenken, schließlich jedoch nickte er. ,, Ich werde eure Hilfe brauchen. Wenn Sterneneisen und Mithril sich so ähnlich sind wie ich denke, wird der Stein nicht einfach so schmelzen. Man braucht hohe Temperaturen und das über Stunden hinweg. Und das heißt ich brauche ständig Nachschub an Brennmaterial.“ Mit diesen Worten nahm der Schmied das Stück Sterneisen wieder an sich und zog einen großen Tiegel unter dem Tisch hervor. Dann trat er an die Schmelze und gab Galren ein Zeichen, Kohle herbeizubringen. Sofort machte der junge Mann sich auf den Weg zu einem kleinen Schuppen neben dem Haus. Obwohl Lias aufgrund seiner Verletzung nicht mehr schwer tragen konnte, lies er sich nicht dazu überreden, den Brennstoff für die Schmiede in der Nähe der Feuer aufzubewahren. Ein paar sprühende Funken zur falschen Zeit und alles hier könnte abbrennen. 

Als Galren die Tür des Schuppens öffnete, schlug ihm bereits der vertraute Geruch von Kohlenstaub entgegen, der hier drinnen alles Überzog. Selbst die Bretter aus denen das Gebäude bestand waren dunkel, fast schwarz, verfärbt, kaum verwunderlich waren doch dutzende von Kohlensäcken bis zur Decke übereinander Gestapelt. Das war vielleicht eines der wenigen Dinge, an denen es hier nicht mangeln würde. Die Dörfler, die sich nicht mit Fischfang über Wasser hielten, arbeiteten oft in den nahegelegenen Wäldern  als Holzfäller oder eben Köhler und die alten Minenschächte, die diesen Teil von Hamad durchzogen, waren zumindest für ein einzelnes Dorf noch lange nicht ausgebeutet.

Als er, einen der Säcke auf den Schultern, schließlich zu Lias zurückkehrte, hatte dieser das Feuer des Schmelzofens bereits angeheizt und war grade dabei, das letzte verbliebene Brennmaterial zusammenzukratzen um die  neuen Flammen zu nähren.  Dabei saß er auf einem kleinen Schemel, der unter seinem Gewicht knarrte und blies ab und an Luft in die Glut. Ohne ein Wort reichte Galren ihm die ersten Kohlestücke an und der Gejarn nahm sie mit einem kurzen nicken entgegen. Obwohl er dem Schmied jetzt schon oft genug dabei zugesehen hatte, hatte es immer noch etwas faszinierendes, wie er jeden Schritt seiner Arbeit begutachtete, selbst die Kohlen. Erst wenn Lias zufrieden schien, nahm er eine einfache Zange aus seiner Werkzeugsammlung und legte die Kohlenstücke einzeln an ihren Platz im Schmelzofen, bis die Innenseite der steinernen Kacheln selbst zu glühen begannen. Die Hitze war bereits nach einigen Minuten atemberaubend, obwohl Galren nicht direkt vor der Schmelze stand. Lias hingegen, schien sich dadurch kaum beeindrucken zu lassen. Mit stoischer Ruhe fachte er das Feuer weiter an, legte neues Brennmaterial hinzu wenn er es für nötig hielt oder wartete nur ab, während kleine Flammen über das Innere des Schmelzen-Kamins nach oben gesaugt wurden.

So vergingen fast zwei Stunden in denen  nach und nach der gesamte Sack Kohle im Feuer landete. Kurz bevor Galren sich aufmachen wollte um Nachschub zu holen, war es jedoch so weit.  Lias stand von seinem Hocker auf und holte den Tiegel, so wie das Erzstück, das Galren vor all diesen Jahren gefunden hatte.  Noch einmal zögerte er kurz, als wäre er sich unsicher, ob wirklich alles bereit war, dann gab er das Sterneisen in den Tiegel und stellte das Gefäß vorsichtig mitten ins Zentrum des kleinen Infernos, das nun im Schmelzofen brannte. Galren schirmte das Gesicht mit den Händen ab, während er zu Lias trat und in das Feuer spähte.  Das Gestein schmolz nur langsam, doch während die silbrigen Kristalle langsam an Form verloren geschah etwas Seltsames. Galren  hatte schon flüssiges Metall gesehen, wenn er Lias in der Schmiede geholfen hatte, aber das hier war anders. Normalerweise hatte der glühende Stahl einen tiefen, glühenden orangeroten Ton. Dieses Mal jedoch hatte das geschmolzene Metall eine silbrige Farbe, genau wie die Kristalle, die es formte. Hätte er es nicht besser gewusst, er hätte Gedacht, die Flüssigkeit könnte beinahe Kalt sein. Erst nach einer ganzen Weile begann es dann doch den vertrauteren, glühendroten Ton anzunehmen, den er kannte, während sich eine dünne Schicht aus Schlacke auf der Oberfläche bildete. Lias schöpfte die nutzlose Schicht aus leichteren Materialen und taubem  Gestein ab, bevor er den Tiegel schließlich aus der Glut nahm. Mittlerweile waren sowohl Galren als auch der Gejarn rußverschmiert und der Geruch nach verbrannten Haaren und versengter Kleidung hing in der Schmiede. Jetzt würde sich bald zeigen, ob ihr Aufwand sich gelohnt hatte. So schnell wie er konnte, damit das Metall nicht wieder auskühlte, goss Lias das flüssige Eisen in eine bereitstehende Form und setzte den nun leeren Tiegel ab. Der Gejarn grinste, während er sich über die Stirn wischte, was jeder nur zur Folge hatte, das sich ein schwarzer Aschestrich auf seinem Fell bildete.

,, Und jetzt ?“ , wollte Galren wissen, während das geschmolzene Metall langsam erkaltete.

,, Jetzt ? Jetzt  warten wir, dass es fest  genug wird um weiterarbeiten zu können.“ , meinte der Schmied während er eine Kiste neben der Esse öffnete und darin zu suchen begann. Galren, der ihm dabei über die Schulter sah, entdeckte eine Reihe von grob bearbeiteten Holzstücken, Lederstreifen, kleinen Nägeln  Drahtrollen und dutzenden anderen Utensilien. Erst langsam wurde ihm klar, dass Lias hier alles beisammen hatte um einen Schwertgriff herzustellen.

,, Du hast das schon lange geplant, oder ?“ , fragte er grinsend, als ihm klar wurde, was das bedeutete.

,, Ich hatte immer gehofft, eines Tages die Gelegenheit zu bekommen mich doch wieder als Waffenschmied zu versuchen.“ , gab der Gejarn zu, während er ein etwa drei handbreit langes Stück helles Holz , zusammen mit Nägeln , einer Feile und einem kleinen Hammer an sich nahm und begann den Griff vorzubereiten.

,, Darf ich dich noch etwas fragen ?“ , wollte Galren wissen, während Lias arbeitete. ,, Warum bist du nie nach Helike zurückgekehrt ? Und sag mir nicht, du wärst zu schwer verletzt dazu, ich sehe dich jeden Tag arbeiten.“

Lias hielt in der Arbeit inne. Schweigen, nur unterbrochen vom knistern des langsam wieder erkaltenden Feuers in der Schmelze, senkte sich über die Schmiede. Augenblicke vergingen. Galren war sich nicht sicher, ob der Gejarn  noch antworten würde, als er doch noch anfing zu sprechen.

,, Meine Heimat ist in vielen Dingen anders als Canton, Galren.  Ich würde mich nie zwischen einem von beiden entscheiden wollen, aber unsere Gesetze können Hart sein. Wir sind ein Kriegervolk und ich nicht mehr der Kämpfer der ich mal war. Ich wär ein Relikt, ein verwundeter Veteran, der einfach  nicht mehr von Nutzen ist.“ In der Stimme des Mannes klang eine gewisse Bitterkeit mit. ,, Obwohl der neue Archontenrat versucht , viele der alten Traditionen zu ändern, es wird dauern, bis ihre Bemühungen Früchte tragen. Laos Gesetz wurzelt tief in meinem Volk und viele haben ihr ganzes Leben darunter verbracht. Hier ist das anders. Trotz meiner Verletzungen, die Leute hier sind mir dankbar für das, was ich für sie tun kann und im Gegenzug helfen sie dann auch mir. So gesehen… ihr hier in Maillac, du Galren und alle anderen hier, ihr seid mein Ersatzstandbein geworden. Mehr als das vielleicht.“

,, Freunde ?“

Der Gejarn schmunzelte in sich hinein. ,, So unwahrscheinlich das klingen mag.“

 Mit diesen Worten wendete er sich wieder seiner Arbeit zu und befestigte die letzten Lederstreifen am Griff. Das dunkle Material wurde mit mehreren, kupferfarbenen Nägeln befestigt, während er gleichzeitig einen blanken, runden Knauf an einem Ende befestigte, in dem er später die Schwertangel verankern könnte. Dann erst wendete er sich wieder dem mittlerweile wieder fest gewordenen, doch noch immer glühenden Stück Metall zu, das der Schmied mit einer Zange aus der Form löste, bevor er sich dem Amboss und der Esse zuwendete. Galren wusste nicht, wie lange es dauerte. Lias arbeitete präzise und konzentriert,  brachte das Metall mit gezielten Schlägen langsam in seine endgültige Form, erhitzte es wieder und arbeitete dann doch noch weitere Details aus dem glühenden Metall heraus, bis es draußen bereits zu dämmern Anfing. Das  Klirren wenn der Hammer erneut auf das Metall traf füllte die Luft und wurde zu einem stetigen Singsang, der gar nicht wie Lärm wirken wollte. Im Gegenteil, dachte Galren, der sich auf einer niedrigen Bank an der Hauswand niedergelassen hatte,  es hatte beinahe etwas Beruhigendes….

,, Es ist vollbracht.“ Die Stimme des Schmieds  holte ihn zurück in die Wirklichkeit. Mondlicht fiel zwischen den Stützbalken des Vordachs in die Schmiede und erleuchtete das Gesicht eines durchaus mit sich zufrieden wirkenden Lias. Das Feuer in der Esse, sowie in der Schmelze war lange erloschen, so dass alles nur noch als silbrige Schemen erkennbar war.

Galren stand auf, während der Gejarn ihm etwas hinhielt, das er erst auf dem zweiten Blick als das erkannte, was es war. Offenbar hatte Lais es sich nicht nehmen lassen auch gleich eine Scheide für das Schwert anzufertigen. Das schwarze Material passte genau zu der Lederumwicklung am Griff was ihn zu der Frage brachte, woher der Schmied so viel davon hatte… oder wie lange er schon auf eine Gelegenheit gewartet hatte, wieder eine Waffe herzustellen. Der runde Knauf und die Parierstange waren aus silbrig glänzendem Stahl gefertigt und schon auf den ersten Blick erkannte er, das die Waffe nicht den Degen Cantons nachempfunden war, im Gegenteil. Sie erinnerte ganz klar an das Schwert, das der Schmied sein Leben lang selbst geführt hatte.

Galren nahm das Schwert vorsichtig entgegen. Er wusste, Lias hatte alles gegeben. Und jetzt würde sich zeigen, ob es ausreichen würde. Mit einer Hand packte er das Heft und zog die Waffe blank. Beinahe hätte er sie fallenlassen, als er die Klinge sah. Was er da in Händen hielt erinnerte auf keine Weise an normalen Stahl oder auch nur an die Kristalle aus denen das Erz bestanden hatte. Ihm war eher, als hielte er ein Stück Kristall in der Hand. Die Schneide war dünn, beinahe durchscheinend und weiß wie Sternenlicht. Und es war vielleicht die erste Waffe ihrer Art, die diese Welt seit Jahrhunderten gesehen hatte. Vorsichtig, beinahe Ehrfurchtsvoll reichte er das Schwert an Lias zurück, der es mit einem Lächeln an sich nahm

,, Beindruckend, oder ?“ , fragte er und führte die Waffe in einem kurzen Bogen. Die Luft sirrte um die Schneide herum und erfüllte die Nacht mit dem altvertrauten Klang. Ein Geräusch, das mehr an unendlich leisen Gesang, als an etwas erinnerte, das den Tod bringen konnte, den daran Zweifelte Galren keinen Augenblick lang. ,, Eine solche Waffe“ , meinte Lias, ,, verdient einen Namen.“

Galren nickte. Auch wenn sich das Schwert nur kurz in ihrem Besitz befinden würde, wenn alles gut ging. ,, Allerdings, fällt mir beim besten Willen keiner ein. Du hast es geschmiedet… nenn du mir also auch einen.“

Lias sah einen Moment nach draußen auf die vom Mondlicht beschienene Landschaft. In der stille der Nacht war das Rauschen der nahen See deutlich zu hören die Luft roch salzig…

,,Atrun“ , meinte er, die Worte so leise, als hätte er Angst, die Ruhe zu zerstören. Das Wort schien einen Moment in der Luft nachzuklingen, es hatte etwas seltsam Fremdes an sich und die Art wie der Schmied es aussprach… Es war nicht einfach ein Wort, oder?

,, Das gefällt mir. Aber was bedeutet es? “

,, In meiner Sprache,“ , erklärte Lias, ,, ist es das Wort für Mond. Und es sollte als Pfand hoffentlich ehr als ausreichen. Ich habe eine ganze Weile darüber nachgedacht, Galren. Ich werde dich begleiten und sei es nur, weil ich  mir um ein letztes Abenteuer nicht zu schade wäre. Vielleicht sind wir ohnehin bald wieder daheim…“

Aber Galren konnte spüren, dass er nicht damit rechnete. Genau so wenig wie er. Er berührte die Karte, die sich mittlerweile zusammengefaltet in seiner Tasche befand. Nein, für ihn gab es jetzt nur noch das eine Ziel. Dem Weg seines Vaters folgen und ihn zu Ende gehen.

 

Kapitel 9 Freybreak

 

 

 

Freybreak lag in einer Bucht an der Nordküste von Hamad. Steil ansteigende Felsen riegelten die Stadt nach zwei Seiten hin ab und nur ein einzelner Durchgang im Südosten erlaubte, abgesehen vom großzügig angelegten Hafen, ein  sicheres Betreten der Stadt. Um diese Jahreszeit lag bereits Schnee auf den Straßen und den Dächern der Häuser, so dass die meisten Bewohner sich in ihre warmen Stuben  zurückgezogen hatten. Nur einige unglückliche Dockarbeiter mussten trotz des schneidenden Windes, der eisige Gischt über die Anlegestellen spülte, Ware von den wenigen Schiffen im Hafen zu den Lagerhäusern bringen.  Die meisten Gebäude am Hafen sowie an den Stadträndern waren aus großen Holzbalken gefertigt, die von den Kiefer in den umliegenden Wäldern stammten und nur einige wenige, Bauten im inneren der Stadt waren tatsächlich aus Stein erbaut worden, sah man von der kleinen Schlossanlage ab, die sich ganz im Zentrum von Freybreak erhob.

Galren klopfte sich etwas Schnee aus der Kleidung und sah dem Stadttor entgegen, das zwischen den Felsgipfeln aufragte, welche die Siedlung umschlossen.  Es war noch nicht lange her, dass er das letzte Mal hier gewesen war, doch bisher war er immer mit einem Schiff hierher gelangt, nie zu Fuß. Er und Lias hatten nicht mehr lange gezögert, nachdem ihr Plan einmal festgestanden hatte und waren keine zwei Tage später endgültig aufgebrochen. Er atmete die klirrend kalte Luft tief  ein , während er und der Gejarn auf das Tor zu stapften. Den zwei Wächtern, die davor standen, schien es nicht besser zu gehen als allen anderen Einwohnern der Stadt, den trotz ihrer mit Fell gefütterten Kleidung, zitterten beide sichtlich. Galren grüßte sie kurz, während man sie ohne ein Wort durchwinkte. Nur zwei weitere, durchgefrorene Reisende.

Hier oben im Nordteil von Hamad schlug der Winter um einiges schneller zu als im Süden, wo die Nächte noch vergleichsweise lange warm blieben und der Schnee noch bis zur Jahreswende auf sich warten lassen konnte.

Lias sah auf die Stadt hinab, als sie das Tor passiert hatten. Das Ende des steinernen Durchgags lag etwas über der restlichen Siedlung erhaben und einige in den Fels geschlagene Stufen führten hinab zu einem kleinen Platz von dem die Straßen Freybreaks in alle Richtungen ausfächerten. Eis bedeckte die Stufen und machte jeden Schritt tückisch.

,, Wie oft bist du schon hier gewesen ?“ , wollte Lias wissen, als sie schließlich auf den Platz hinaus traten und einen kleinen Brunnen mit gefrorenem Wasser passierten.

,,Einige Male schon .“ , meinte Galren. ,, Das ist allerdings das erste Mal, das ich zu Fuß hier bin.“

,, Wenn man das Tor bedeckt, verstehe ich , warum die meisten Leute den Seeweg hierher wählen.“ , erwiderte der Gejarn und rückte den Beutel, den er auf den Schultern trug zurecht. Blech schepperte darin und Galren fragte sich, wozu Lias bloß seine Rüstung dabei hatte. Das schlimmste, was ihnen hoffentlich passieren konnte war, das man sie abwies.

Er selber trug einen einfachen Rucksack  mit dem nötigsten für die Reise und das Schwert, das der Schmied Atrun getauft hatte. Das Gewicht an seiner Hüfte war ungewohnt, einmal davon abgesehen, das er sowieso  nicht damit umgehen konnte. Sobald sie jemanden fanden, der bereit war, sie zu unterstützen, wäre er die Waffe zum Glück los.

Soweit er das sagen konnte, wirkte die Stadt mit jedem Besuch ein Stück weniger lebendig und jetzt , wo bereits Schnee fiel, verstärkte sich dieser Eindruck nur noch. Viele der Häuser, die sie passierten waren verriegelt und die Fenster mit Brettern verschlossen und auch  in den Schänken von Freybreak, die doch selbst in schlechten Zeiten oft gut besucht waren, schien kaum etwas los zu sein. Nur gedämpfte Gespräche drangen aus den angelehnten Türen heraus und von dem, was Galren durch die Fenster erkennen konnte, waren meist nur wenige Tische besetzt. Die Stadt hatte wahrhaft schon bessere Zeiten gesehen.  Trotzdem, die Idee, sich drinnen aufzuwärmen, bevor sie sich auf die Suche nach einem Unterstützer für ihre Expedition machten, war verlockend. Und es würde ihm Zeit zum Nachdenken geben. Die erste Euphorie, die er nach dem Auffinden der Karte verspürt hatte, hatte sich während der Reise hierher gelegt und jetzt in den kalten Straßen setzte allmähliche Ernüchterung ein.

Freybreak lag im Sterben und wenn sie hier keine Hilfe fanden… Nun dann würden sie es eben wo anders versuchen müssen, sagte er sich. Zumindest würde er nicht gleich Aufgeben.

,, Du hast nicht zufällig eine Idee, wo wir anfangen sollen, oder ?“ , fragte Lias.

Galren schüttelte den Kopf. Nein. Noch nicht. Er kannte ein paar der Händler, die ihre Lagerhallen und Wohnhäuser am Hafen hatten, doch ob die bereit wären ihnen zu helfen… Im Augenblick jedenfalls gingen sie ohnehin in die falsche Richtung. Die Straße vor ihnen führte vom Tor nach Westen, hin zur Stadtmitte. Der Hafen jedoch lag nördlich. Trotzdem fühlte sich der Weg ungewohnt vertraut an, dachte Galren, als wäre er ihn bereits Dutzende Male gegangen. Im Geist konnte er sich jede Abzweigung genau vorstellen, dabei wusste er nicht einmal, wohin genau sie überhaupt unterwegs waren. Es war ein seltsames Gefühl.. und gleichzeitig eines, das er sehr gut kannte. Wenn er die Küste aus den Augen verlor war es genau diese seltsame Stimmung, die ihm die Richtung zurück wies.  Und wie  damals, vor all diesen Jahren in den alten Sterneisen-Minen…

Vor ihnen kam mittlerweile ein großer Bau in Sicht, der über die Dächer der übrigen Gebäude hinausragte. Eine hohe Mauer umschloss eine Reihe von Bauten, manche davon recht einfach gehalten und aus Holz, andere aus dem gleichen grauen Stein errichtet, wie die meisten gehobenen Häuser in Freybreak.  Galren erkannte einen kleinen Stall, einige Wirtschaftsgebäude und zwei, drei größere Wohnbauten durch das offen stehende Tor der Anlage erkennen und nun wurde ihm auch klar, wo sie sich befanden. Das musste das Anwesen der ansässigen Adelsfamilie sein. Der D'Ambois, wenn er sich richtig an Lias kurze Erwähnung erinnerte. Doch so wie es aussah, schlug das Vergesse, das ganz Hamad befallen hatte auch hier zu. Die Mauern waren mit Moss überwuchert und selbst auf die Entfernung konnte Galren erkennen, das die Stallungen leer waren, das Stroh lange verrottet, selbst in der kalten Witterung. Lediglich zwei Posten waren zu Seen, die am Tor wache hielten, jedoch bezweifelte er, dass man die verwitterten Türflügel überhaupt noch schließen könnte, wenn es nötig wurde. Zumindest nicht, ohne dass sie dabei auseinanderfielen.

Vermutlich, dachte er, könnten sie hier genauso gut anfangen, wie überall sonst.

,, Hier wolltest du also hin.“ , meinte Lias, während sie auf das Tor zutraten. ,, Aber hältst du das wirklich für eine gute Idee ? Die Familie D'Ambois hat vielleicht das Geld, das wir brauchen, aber sie unterstehen nach wie vor Lord de Immerson, soweit ich vor meiner Ankunft hier informiert wurde.  Ich glaube nicht, das man ihnen seit dem Krieg wieder mehr Freiheiten gegeben hat.“

,, Mag sein, aber wer nichts wagt, kann auch nichts gewinnen, oder ?“ Galren gab sich Mühe zuversichtlicher zu klingen, als er sich fühlte, was der Gejarn nur mit einem müden Lächeln bedachte.

Sobald sie unter den Torbogen traten,  stellten sich ihnen die zwei Posten mit überkreuzten Musketen in den Weg.

,, Halt. Verzeiht, aber das Anwesen ist nicht freizugänglich. Ich muss euch bitten zu gehen.“ , meinte einer der Posten, ein junger Mann, der wohl kaum älter als Galren sein konnte.

,, Wir nicht bloß hier um uns umzusehen.“ , antwortete Lias. ,, Im Gegenteil, wir hätten vielleicht ein Angebot, das euren Herrn interessieren könnte.“

,, Ich bezweifle wirklich, dass meine Herrin sich für Bittsteller interessiert.“ , meinte der zweite Posten abfällig. ,, Tut euch selber einen gefallen und macht es nicht unnötig kompliziert.“

,, Vielleicht, vielleicht nicht. Und wenn doch ? Wäre sie dann erfreut, wenn sie erfährt, das ihr uns weggeschickt habt?“ , fragte Galren. Er würde zumindest nicht einfach so umkehren, sagte er sich. Wenn, dann würde er sich seine Absage persönlich abholen.

Der Wächter, der zuerst gesprochen hatte, seufzte. ,, Wisst ihr was ? Ich habe nicht den ganzen Tag Lust mich mit euch auseinanderzusetzen. Sollte Fürstin Armell nicht interessieren, was ihr zu sagen habt, werdet ihr das ziemlich schnell merken und dann sind wir es, die euch wieder auf die Straße befördern werden. Das Haus am anderen Ende des Hofs. Ich werde euch ankündigen.“

Mit diesen Worten trat der Mann beiseite und verschwand über den Hof. Der zweite Wächter ließ sie wortlos passieren. Galren zögerte nicht, sondern trat mit Lias rasch in den Innenhof der kleinen Burganlage, bevor die Posten es sich doch noch anders überlegen konnten. Die erste Hürde wäre schon einmal genommen, dachte er, erleichtert. So klein sie auch war, es war ein Schritt in die richtige Richtung.

,, Du hast dir nicht zufällig schon überlegt, was genau du dieser Armell D'Ambois  erzählen willst, oder ?“ , fragte Lias mit einem Blick auf die Wohngebäude am anderen Ende des Hofs. Ein großer, zweistöckiger Holzbau, der noch über die Mauern hinausragte, wurde von zwei kleineren Flankiert, die wohl den bediensteten als Behausung dienten, wenn es denn welche gab. Bis auf die zwei Wächter und sie selbst schien die komplette Burg verlassen…  Wieder sein Zeichen, das Freybreak deutlich an Glanz verloren hatte. Licht drang hinter einer Reihe von Glasfenstern im Obergeschoss des Gebäudes hervor und erhellte den dämmrigen Wintertag. Aber es enthüllte auch die Spuren des Verfalls, fehlende Dachziegel, Moos das sich auf Balken und zwischen den Fugen der Mauern eingenistet hatte…

,, Darüber mache ich mir Gedanken wenn es so weit ist.“ , antwortete er.

,, Das klingt ja vielversprechend… Du würdest mir nicht zufällig wenigstens noch Zeit geben, meine Rüstung anzulegen?“

,, So schlimm kann es nicht werden.“ Zumindest hoffte er das, dachte Galren. Die Wachen schienen da anderer Meinung zu sein und Lias Zweifel schienen dem Recht zu geben. Aber ein Zurück gab es erst, wenn er eine Absage erhielt. Dann würden sie sich eben an die Händler im Hafen wenden müssen.
,, Ich glaube, das ist was eurer Kaiser dachte und plötzlich hatte er seinen halben Adel am Hals.“ , murmelte der Gejarn leise, während er den grauen Wollmantel, den er über seiner normalen Kleidung trug enger um sich schlang. ,, An eure Winter werde ich mich nie gewöhnen.“

Als sie schließlich den Eingang des Gebäudes erreichten, wartete einer der Wächter bereits auf sie und hielt die Tür auf, während er ihnen bedeutete, ins Innere zu treten. Warme Luft schlug Galren entgegen, als er und Lias ein größeres Zimmer betraten, in dessen Mitte ein großes Holzfeuer loderte

Um den aus Stein gefertigten, offenen Kamin, waren großzügig Teppiche ausgelegt, die wohl aus den Zeiten stammten, als die Stadt noch einen wichtigeren Hafen darstellte. Auf vielen waren die kunstvoll gewebten Muster in grün und Goldtönen lange verblasst und die Oberfläche des Stoffes vom Jahrelangen gebrauch abgewetzt. Hinter dem Feuer, dem Eingang gegenüber führte eine kurze Treppe ins Obergeschoss des Hauses und eine weitere Tür in einen Nebenraum. Die einzige andere Einrichtung bestand aus einigen Stühlen, die a einem kurzen Tisch standen… ansonsten war der Raum leer.

,, Man wird euch gleich empfangen.“ , informierte sie der Wachmann, der ebenfalls in die Halle trat und auf den Weg die Treppe hinauf machte. ,, Wartet so lange hier. Aber fasst um den Willen der Götter nichts an. Ich werde später nicht den Kopf hinhalten, wenn was fehlt…“

Mit diesen Worten verschwand er im zweiten Stock und ließ Lias und Galren zurück.  Jetzt hieß es abwarten, dachte Galren. Und sehen ob , was auch immer ihn hierher gelenkt hatte, recht behalten würde.

Der Gejarn trat derweil ans Feuer und streckte die Hände den Flammen entgegen um sich zu wärmen.  ,, So weit wären wir schon einmal.“ , meinte er. ,, Ehrlich gesagt, wenn wir irgendwo eine Chance haben, dann hier. Und das meine ich nicht Positiv.“

Nein, dachte Galren. Bei dem Empfang würde sie mehr als Glück brauchen, damit ihr Gesuch Gehör fand, vor allem wenn das Anwesen in einem solchen Zustand war. Hätten sie eine Lösung für die Geldprobleme der Stadt parat, ja dann könnten sie sich wohl sicher sein, jede Hilfe zu erhalten, die sie wollten. Aber die hatten sie nicht, wenn, dann würden sie die Schwierigkeiten eher Vergrößern, nicht?

 

Kapitel 10 Unerwartete Hilfe

 

 

 

 

Armelle D'Ambois las sich den Brief zum dritten Mal durch, als könnte sie die Worte auf dem Papier durch bloße Willenskraft ändern. Aber die in Tinte gesetzten Buchstaben blieben genau so stehen wie sie waren und begruben wieder einmal ihre Hoffnungen.  Mit einem seufzen legte sie das Papier beiseite und strich sich eine braune Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihr Blick wanderte aus dem Fenster und auf den Hof hinaus auf Freybreak. Diese Stadt war dem Untergang geweiht, dachte sie und nahm erneut den Brief zur Hand. Noch ein Händler, der nicht mehr kommen würde. Wenn das so weiterging, war die Siedlung nächstes Jahr verlassen. Sie stand vom Tisch  auf, der zwischen den zwei großen Fenstern im Raum stand und trat an eine niedrige Kommode, auf der sich bereits weitere Briefe neben einem Tintenfass, einer metallenen Schreibfeder und unbenutztem Papier befanden. Wenn es wenigstens etwas gäbe, das sie tun könnte, aber so wie die Dinge standen brauchte sie erst gar kein Antwortschreiben aufsetzen um doch noch darum zu bitten, das die Händler Freybreak weiterhin ansteuerten. Bisher hatte sich davon keiner überzeugen lassen. Vielleicht hätte sie es doch wie Obarst machen sollen, nachdem ihre Eltern gestorben waren,  dachte sie. Ihr Onkel hatte deutlich mehr Erfolg, auch wenn er dafür auf Titel und Ämter verzichtet hatte. Aber das hier aufgeben, ihre Stadt, ihren Namen, diesen verfluchten, verlorenen Namen…

Sie schüttelte den Kopf. Nicht so lange sie noch Spielraum hatte, aber dieser wurde beständig kleiner.

Während Armell noch in Gedanken versunken war, löste sich ein Schatten von einem Bücherregal im Raum und flatterte auf ihre Hand. Der kleine, staubfarbenen Vogel  mit dem zerzausten Gefieder schien den Zustand der Stadt widerspiegeln zu wollen. Manchmal, war Armell sich nicht sicher ob Sentine nicht doch ihre Gedanken lesen konnte. Der Vogel jedenfalls sprang aufgeregt von einem Fuß auf dem anderen und veränderte dabei ständig sein Gefieder, vom struppigen Grau zu glattem Braun zu schillernden Farben, die mehr an einen Pfau erinnerten.

,, Was ?“ , fragte sie. Auch wenn sie sich nicht sicher war, wie Intelligent der Homenkulus tatsächlich war, das Wesen, das Zachary ihr einst zum Geschenk gemacht hatte, verstand mehr als ein simples Haustier, wenn sie es denn je als solches gesehen hatte. Statt einer Antwort, zu der der Vogel natürlich nicht fähig war, pickte er ihr schlicht in den Finger und flatterte auf den Fenstersims.

Armell folgte ihm Negierung und sah auf den  Hof hinaus. Nur war dieser nicht mehr verlassen, wie noch wenige Momente zuvor. Zwei Gestalten liefen über das verschneite Pflaster auf das Haus zu. Von oben konnte sie nicht viel erkennen, aber bekannt, kam ihr keiner der beiden vor Sie runzelte die Stirn. Warum hatten ihre Wächter sie reingelassen? Sie hatte die beiden eigentlich ausgesucht, weil sie es meist schaffen ihr die meisten Leute vom Hals zu halten, seien das Bürger oder Händler , die sich über den zunehmenden Verfall der Stadt beschwerten oder schlimmer, Schuldeneintreiber.

Die zwei Fremden wirkten nicht wie eines von Beiden… Nun was immer sie wollten, es gäbe ihr zumindest eine Gelegenheit, sich nicht weiter mit den übrigen Briefen auseinanderzusetzen, die doch immer nur wieder die gleiche Antwort enthielten.

,, Komm Sentine. Sehen wir uns an was da los ist.“ Sie streckte eine Hand aus und der Vogel landete auf Armells Schulter, wobei seine Gestalt sich erneut änderte. Der kleine, unscheinbare Spatz verschwand und wurde ersetzt durch eine imposante Eule, die sich aus großen Auen umsah. Bevor sie jedoch die Tür des Zimmers erreichte, wurde diese bereits geöffnet und einer ihrer Wächter trat herein.

,, Herrin Armell, unten erwarten euch zwei Männer, die euch offenbar einen Vorschlag unterbreiten wollen. Soll ich sie wieder fortschicken oder wollt ihr das selber übernehmen?“

,, Ich werde mir vor allem erst einmal anhören, was sie zu sagen haben.“ Alles war besser, als weiterhier oben zu bleiben. Auch wenn das wohl eine kurze Ablenkung sein würde. Wenn sie Bittsteller waren, so könnte sie ihnen selbst dann nichts geben, wenn sie es wollte. Dafür fehlte es an allen Enden zu sehr an Mitteln…

Armell strich einige Falten aus ihrem blauen Kleid und folgte dem Wachmann durch zwei weitere Räume im Obergeschoss des Hauses, darunter eine kleine Bibliothek und ein Kaminzimmer, bis sie die Treppe nach unten erreichten.

,, Ich werde alleine mit ihnen sprechen.“ , erklärte sie. Schon alleine damit ihr niemand dazwischenfunkte. Ihre Wächter waren gerne etwas voreilig und auch wenn nichts dabei herauskommen würde, außer einer willkommenen Ablenkung,  sie könnte zumindest versuchen, das Gespräch etwas in die Länge zu ziehen. ,, Ihr könnt hier warten.“

Statt einer Antwort verbeugte sich der Wachmann nur kurz und blieb am Rand der Treppe stehen, während Armell die Stufen hinabstieg. Sie konnte gedämpfte Stimmen von unten hören, die jedoch schlagartig abrissen, als ihre beiden Gäste bemerkten, dass jemand die Treppe hinab kam. Immerhin, dachte sie, waren beide zumindest Aufmerksam.

Das Empfangszimmer im Untergeschoss diente in letzter Zeit eigentlich eher als erweiterter Teil der Wohnräume  und nicht um Wartende Bittsteller oder Besucher zu beherbergen und so war es ein ungewohnter Anblick, hier nach all der Zeit wieder einmal zwei Fremde zu sehen, die nicht missmutig oder nur wegen ihres Geldes hier waren. Die beiden ungleichen Männer am Feuer verneigten sich kurz respektvoll, als sie eintrat und als sie sich wieder erhoben, erkannte sie einen davon als Gejarn. Er war offenbar schon älter, mit grauen Haaren und ausgebleichtem  Fell, aber der kalte Blick in seinen Augen sagte ihr bereits genug. Armell würde ihn nicht unterschätzen, auch nicht, wenn er einen Fuß etwas nachzog, als er aus der Verbeugung aufstand. Es gab nichts gefährlicheres, als einen Mann der ein Hinken vortäuschte… Halb verborge unter einem grauen Umhang glitzerte der Griff eines untypischen Schwerts mit breiter Klinge, das man eher bei den Kriegervölker im Süden erwarten würde Stammte der Mann am Ende aus Laos? Ein Rätsel, um das sie sich später kümmern würde.

Der Zweite Neuankömmling war deutlich jünger als der erste und ein Mensch mit braunen Haaren. Graue Augen erwiderten ihren Blick, ohne eine Spur  davon, dass er eingeschüchtert wäre und unter dem grünen Mantel den er trug ragte ebenfalls der , mit schwarzen Banden umwickelte, Griff einer Waffe heraus, der nicht unähnlich, die der Gejarn trug.

Zwei seltsame Gefährten, dachte sie und wenn die beiden sich über die Eule auf ihrer Schulter wunderten, so zeigten sie es jedenfalls nicht. Blieb ihr also nur abzuwarten, was genau sie wollten, kennen tat sie sie jedenfalls definitiv nicht.

,, Ich bin   Armelle D'Ambois.“ , stellte sie sich vor. ,, Mir wurde gesagt,  ihr hättet mir ein Angebot zu unterbreiten ?“

,, Das…“
,, Das haben wir.“ , kam der Gejarn seinem jüngeren Begleiter zuvor. ,, Ich bin Lias Kastor und das hier ist Galren Lahaye aus Maillac.“ Bei den Worten flatterte Sentine auf ihrer Schulter unruhig, das beigefarbene Gefieder der Eule wurde schwarz und die Gestalt des Homenkulus wandelte sich zu einer Krähe. Armell hob beruhigend eine Hand, während ihre beiden Gäste nur erstaunt auf den sich verändernden Vogel starrten.

,, Verzeiht wenn sie euch erschreckt hat.“ , meinte sie ruhig. ,, Sentine ist normalerweise nicht so.“ Tatsächlich verhielt sich der Homunkulus meist absolut ruhig, wenn jemand Fremdes Anwesen war. Das war wirklich seltsames Verhalten und Armell wünschte, sie wüsste ob es eine Warnung sein sollte oder etwas anderes zu bedeuten hatte.

,, Was ist… sie ?“ , fragte der als Galren vorgestellte Mann zaghaft.

,, Wenn ich das genau wüsste.“ , antwortete Armell. ,, Ein Geschenk eines alten Freundes in jedem Fall. Ihr braucht euch nicht zu fürchten.“

,,Magie…“ , murmelte Lias in sich hinein. Die Augen des Gejarn bleiben jetzt beständig auf den Vogel geheftet, der seinerseits unerschrocken zurückstarrte, bis er schließlich nachgab und sich in ein winziges Rotkehlchen verwandelte, das sich hinter Armells Haar versteckte.

,, Ich glaube, wir hatten etwas zu besprechen, oder ?“ , fragte sie ruhig. Sentines Verhalten gab ihr nach wie vor zu denken, aber auf den ersten Blick schienen beide Männer ganz in Ordnung zu sein.

Galren nickte. ,, Ich will es kurz machen, den verzeiht, ich bezweifle das ihr uns Helfen könnt, selbst wenn ihr es wollt. Freybreak ist nicht mehr was es mal war.“

,, Und was bringt euch zu diesem Schluss ?“ , fragte sie und wusste nicht, ob sie sich gekrängt fühlen sollte oder ob der Mann vielleicht gar darauf abzielte, sie bei ihrem Stolz zu packen. So oder so, sie würde ihm zumindest zuhören.

,, Verzeiht, aber ich bin in den vergangenen Jahren immer wieder hier gewesen. Man sieht wie die Stadt langsam verschwindet, Herrin. Allerdings, fürchte ich, seid ihr auch meine beste Hoffnung.“

,, Sprecht weiter.“

,, Mein Vater, Varan Lahaye verschwand vor einigen Jahren auf einer Expedition in den Westen, über das Meer zur Nebelküste und er ist bis heute nicht zurückgekehrt. Jedoch wurde sein Schiff gefunden, was heißt, dass er es hin und auch fast wieder zurück geschafft haben muss.“ Er holte tief Luft. ,, Und wenn ich die entsprechende Unterstützung gewinnen könnte, wäre ich sofort bereit ihm zu Folgen. Was immer ich dabei auch finden würde, soll euch gehören. Mir geht es nur darum herauszufinden, was mit ihm geschehen ist.“

Die Nebelküste… SO vernünftig er klang, dachte Armell, der Mann war ganz offenbar verrückt, sich auf das offene Meer wagen zu wollen. Und wozu ? Um seinem verschollenen Vater nachzujagen? jemanden, der, wenn seine Geschichte stimmte, ohnehin ertrunken war ? Mal davon abgesehen, das eine solche Reise noch nie von Erfolg gekrönt gewesen war…

,, Und ihr glaubt wirklich schaffen zu können, was keinem vor euch gelungen ist ?“ , wollte sie wissen. Etwas, ein wichtiges Detail, hielt Galren zurück, das spürte sie. Und jetzt würde sich zeigen, was es war.  ,, Warum ?“

Galren strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, auf dem sich langsam ein Lächeln ausbreitete.

,, Herrin, ich habe, was niemand vor mir besaß. Eine Karte mit einer sicheren Route. Sie wurde von meinem Vater angefertigt und mit seinem Schiff an der Küste angespült. Und sie ist noch intakt.“

Mit diesen Worten griff Galren in eine Tasche seines Umhangs und holte ein großes, zusammengerolltes Blatt Pergament heraus. Armell nahm s vorsichtig entgegen, entrollte die Karte und erstarrte. Das war tatsächlich eine vollwertige Seekarte, mit den ungefähren  Küstenverläufen, Inseln, Riffen… Das war unglaublich. Nur langsam begann ihr zu dämmern, was das bedeuten konnte, nicht nur für die beiden Männer, auch für sie…

,, Ist das echt ?“ , fragte sie leise.

,, Herrin…“

,, Ist diese Karte echt ?!“ , wiederholte sie lauter. ,, Und wagt es nicht mich anzulügen. Sollte ich an eurer Antwort zweifeln glaubt mir, dann lasse ich euch nicht nur aus meiner Stadt hinausjagen.“

,, Ich schwöre es, bei allem was mir etwas bedeutet und bei allem was ihr wollt..“ , mischte sich der Gejarn ein. ,, Bei Laos Namen wenn es denn sein muss.“
Also bestätigte sich ihre Vermutung, was Lias anging, dachte Armell. Aber das war nebensächlich, wenn sie die Gelegenheit bedachte, die sich ihr bot. Mit dieser Karte…. War die ganze Unternehmung plötzlich gar nicht mehr so verrückt. Riskant ja, aber sie war auch verzweifelt genug, nach einem Strohhalm zu greifen, wenn er den real war… Bot ihr dieser Mann grade wirklich unwissentlich einem Weg aus ihrer Misere an? Wenn es funktionierte, wäre die Stadt vielleicht gerettet. Aber noch galt es etwas zu klären.

,, Und ihr erwartet von mir, das ich euch das Geld , das ihr fü´r eine solche Unternehmung brauchen würdet, einfach so anvertraue ?“

,, Natürlich nicht.“ , meinte Galren. ,, Ich habe euch durchaus etwas als Pfand für eure Unterstützung anzubieten, das mehr als ausreichen dürfte.“ Während er sprach löste er die Schnalle des Schwerts das er trug von seinem Gürtel und hielt ihr die Waffe hin. Unsicher nahm sie das Schwert an sich und besah es sich einen Moment. Sicher, das war solide Handwerkskunst und für die Verhältnisse der Beiden wohl einiges Wert, aber im Vergleich zu dem um was sie baten…

,, Zieht es.“ , meinte Lias der ihre Gedanken wohl erraten hatte und ohne lange darüber nachzudenken nahm sie den Griff der Waffe und zog die Klinge blank.  Was dabei zum Vorschein kam, war jedoch kein simpler Stahl, sondern rein weiß glitzernder Kristall, zu einer hauchdünnen Klinge geformt, die die Luft mit einem seltsam melodischen Klang zerteilte. Sie hatte nur einmal zuvor in ihrem Leben Sterneneisen gesehen, auf einer lange fast vergessenen Reise zu den Bibliotheken in Vara. Die Magister der Universität der Stadt besaßen einen einzelnen Dolch, der daraus geschmiedet worden war und der wurde bereits als wertvoller erachtet als viele der anderen Artefakte, welche die Gelehrten über die Jahrhunderte angesammelt hatten. Und dennoch schob sie die Klinge zurück in die Scheide und reichte die Waffe kopfschüttelnd an Galren zurück.

,, Ihr könnt das Schwert behalten.“ , erklärte sie. ,, Es ist außergewöhnlich sicher, aber was soll ich damit tun ? Mir schwebt etwas anderes vor…“

,, Und zwar ?“

,, Ich werde euch begleiten.“ , erklärte Armell. ,, Auf diese Weise sehe ich direkt, wohin das Geld geht, das ich euch zur Verfügung stelle.“

Ihre beiden Gäste sahen sich nur verwirrt an, wunderten sich wohl, wieso sie darauf bestand anstatt ein Pfand anzunehmen, das niemand bei Verstand einfach zurücklassen würde. Aber sie hatte ihre Gründe. Jetzt musste  nur noch Obarst mitspielen… und vermutlich  Zachary. Es würde schwieriger werden, diese Expedition vorzubereiten, als gedacht. Selbst wenn sie die nötige Summe jetzt und sofort hätte… sie dürfte nicht frei darüber verfügen, nicht solange die Auflagen des Kaisers über die rebellischen Adelshäuser nach wie vor galten… Es sei denn sie holte sich den Segen eines alten Bekannten dafür…

,, Dann haben wir also eure Unterstützung ?“ , fragte Galren mit einem hoffnungsvollen Ausdruck auf dem Gesicht.

Armell nickte.

Lias schien skeptischer als sein jüngerer Begleiter.  ,,Verzeiht, aber könnt ihr wirklich eine komplette Expedition wie diese ausstatten und  finanzieren ?“

,, Das nicht.“ , gab sie zu. ,, Aber ich kann die Mittel besorgen. Und es gibt noch einige andere Dinge um die wir uns kümmern werden müssen. Fürs erste, biete ich euch an hier in der Stadt zu bleiben, man wird euch ein Zimmer zur Verfügung stellen, bis alle Vorbereitungen für unsere Abreise getroffen sind. Danach… gehen wir nach Silberstedt.“

 

 

Kapitel 11 Forderungen

 

 

 

Freybreaks verfall war nicht nur den Verpflichtungen aus dem Krieg geschuldet. Bei weitem nicht, dachte Armell, als sie am nächsten Morgen durch die Straßen der Stadt ging. Auch wenn die rebellischen Adelshäuser geschwächt waren, der Kaiser hatte wohl kaum Interesse daran, seine eigenen Lehen zu Grunde zu richten, geschweige denn, ein Reich von dieser Größe alleine zu Verwalten. Doch mit dem Verrat ihrer Familie hatte sich ein ganz anderes Problem aufgetan. Kein einziges Kaisertreues Haus war  einfach noch so  bereit Bündnisse mit ihnen zu schließen und untereinander Misstrauten sich die einstigen Anhänger des Aristokratenbundes vielleicht sogar noch mehr. Das bisschen an Einfluss, das ihnen geblieben war, war das einzige, was sie noch hatten… Früher hatte Freybreak dutzende Verbindungen zu allen größeren Häfen in Canton unterhalten, hatte Zollsenkungen ausgehandelt und neue Handelsrouten gemeinsam mit anderen Fürsten und Händlern geplant. Es war ein blühendes Geschäft gewesen aus dem alle Seiten profitiert hatten doch seit dem Fall des Bundes und dem Ende des letzten Bürgerkriegs vor zwanzig Jahren hatten die Dinge sich dramatisch verändert. Nur noch wenige wagten es, mit ihnen Geschäfte zu machen, schon alleine um nicht mit einer Familie von Verrätern in Verbindung gebracht zu werden. Und das, dachte Armell, tötete Freybreak sicherer, als alles andere. Solange der Makel  des Dienstes unter Andre de Immerson an ihrem Namen  Haftete könnte sie tun was sie wollte… diese Stadt würde zu Grunde gehen. Sie konnte den zunehmenden Verfall in den Straßen sehen, denen sie folgte, an den verlassenen öffentlichen Plätzen und dem Hafen, in dem grade einmal eine Hand voll Schiffe trieben.

Doch jetzt hatte sie eine Gelegenheit, alles zu ändern und es war vielleicht die Letzte, die sich ihr je bieten würde, bevor es zu spät wäre…

Es war noch früh am Morgen und kalter Nebel trieb durch die vereisten Straßen der Stadt, setzte sich in den Zweigen der Bäume fest und bildete Eis auf Dächern und Wegen. Die junge Adelige rieb ihre Hände zusammen um  wenigstens etwas Wärme zu erzeugen. Selbst der blaue Wollmantel den sie trug bot kaum Schutz vor der Witterung und zum Umkehren war sie ihrem Ziel jetzt schon zu nahe.

Vor ihr befand sich ein Straßenzug mit einigen Prunkbauten, die an die besseren Zeiten der Stadt erinnerten und die wenigen noch Erfolgreichen Händler der Stadt beherbergten. Die Expedition, welche Lias und dieser Galren planten überstieg, was sie noch an Mitteln hatte bei weitem, aber es gab Wege, sich das Geld zu besorgen. Nicht von den Händlern hier freilich, die waren zu sehr damit beschäftigt, ihren schwindenden Reichtum irgendwie zu retten und, dass sie die Summe kaum  würde zurückzahlen können, machte die Sache nicht besser. Aber es gab eine einzige Person, an die sie sich wenden konnte…

Armell blieb vor Anwesen stehen, das sie gut kannte. Die brusthohe Mauer, die es umgab, war oben mit in Stein gehauenen Ranken verziert, die in kleinen Bögen verliefen. An der Spitze jedes Bogens jedoch, befand sich ein eiserner Dorn. Und wie sie wusste, sahen diese nicht bloß so aus, als wären sie zu geschliffen. Jeder, der den Versuch wagen würde, über die Mauer zu klettern, würde vermutlich ein paar Finger verlieren.  Sentine, die sich bisher in ihrem Mantel verborgen hatte, flatterte in Gestalt einer Blaumeise auf den Mauersims und spähte zum Anwesen herüber.

Armell ging kopfschüttelnd weiter, bis an ein schmiedeeisernes Tor im Wall, durch das sie einen ersten Blick auf das Grundstück werfen konnte. Ein, jetzt im Winter freilich erstarrter, Garten umgab das Haus und die darum liegenden Wirtschaftsgebäude. Eis hatte sich auf einem großen Teich gebildet, der an der ihr zugewandten Außenseite des Hauses entlang lief und der kleine Pfad, der vom Tor zum Eingang des Anwesens ging, führte über eine Brücke darüber…

Es war eine Weile her, dass sie zuletzt  hier gewesen war und das hatte seine Gründe. Gründe, die sie Obarst heute allerdings nicht an den Kopf werfen konnte, wenn sie Erfolg haben wollte. Armell gab dem Tor einem Stoß, doch das Metall bewegte sich keine Handbreit. Natürlich verschlossen, dachte sie grimmig, während sie nach der Glocke suchte, die etwas versteckt in einer Mauernische hing. Wenige Augenblicke, nachdem sie den Seilzug betätigte und das metallische Klirren über das Grundstück hallte, wurde auch bereits die Tür eines der Wirtschaftsgebäude geöffnet und eine ältere  Frau in der Kleidung einer Dienerin trat heraus. Sie hatte sich offenbar keine Gedanken über das Wetter gemacht und sich nur einen dünnen Mantel als Schutz vor der Kälte umgelegt.

,,  Was denn jetzt schon wie…“ , setzte sie an, als sie das Tor erreichte, die Worte verstummten jedoch, als sie Armell erkannte. So sehr die Stadt auch Schaden genommen haben mochte, ihr Wort war innerhalb der Mauern Freybreaks nach wie vor Gesetz.

,, Ihr könnt Obarst sagen, das Armell D'Ambois mit ihm sprechen will und zwar möglichst sofort.“ , antwortete sie ruhig.

Die Dienerin räusperte sich. ,, Der Herr schläft noch.“ , erklärte sie und machte nach wie vor keine Anstalten, das Tor zu öffnen.

,, Dann schlage ich vor ihr weckt ihn.“ , meinte Armell. ,, Notfalls warte ich hier, aber glaubt mir ich gehe nicht, bevor ich ihn gesprochen habe. Wer vor uns hält es wohl länger in der Kälte aus, was meint ihr?“

Die Dienerin zögerte, offenbar nach wie vor nicht sicher, ob ihr Herr es verzeihen würde um diese Zeit geweckt zu werden, aber Armell wusste bereits, das sie gewonnen hatte. Vielleicht hatte Obarst sogar Anweisung erteilt, das man sie nicht mehr auf das Grundstück lies, aber dafür hätte er besser einige Wächter angeheuert, nicht irgendwelche Untergebenen. Am Ende wog ihr Wort schwerer als seines, zumindest für die Bürger Freybreaks… Schließlich schob die Frau den Riegel zurück, der das Tor verschlossen hielt und Armell zog es auf, bevor sie es sich doch noch anders überlegen konnte.

Den Weg zum Anwesen verbrachten sie schweigend. Armell wusste, dass es nicht zu einfach werden würde, Obarsts Unterstützung zu gewinnen. Verflucht, im Nachhinein und hätte sie nicht die Karte gesehen würde sie selbst daran zweifeln ob eine solche Unternehmung jemals gelingen könnte. Vielleicht hätte sie ihre beiden Gäste einweihen und mitbringen sollen aber… was wenn Obarst sich am Ende entschieden hätte, sie alleine zu unterstützen? Nein, es musste ganz allein ihr Name sein, der eine Rolle spielte, wenn Galrens  Pläne Erfolg hatten. Ihre letzte Hoffnung baute darauf auf…

Der Eingangsbereich des Hauses bestand aus einem kleinen Vordach, das von Säulen aus gelbem Sandstein getragen wurde, die wohl aus Erindal oder zumindest einer Provinz weiter südlich importiert worden waren. Hier draußen gab es nur Granit und die meisten Leute konnten sich nicht einmal den leisten. Verflucht, sie selbst lebte in einem Holzgebäude. Aber für Obarst galten freilich andere Regeln, dachte sie säuerlich, während die Dienerin die Tür öffnete und sie ins warme Innere des Hauses lies. Ein Kurzer Flur mündete in einem Kaminzimmer, durch dessen Fenster man einen Blick in die gefrorenen Gärten werfen konnte. Kerzen und Öllampen erhellte den Raum und das Licht spiegelte sich auf der Oberfläche eines großen Holztischs und den Marmorfließen, die den Kamin verzierten. Armell trat wortlos vor das Feuer um sich die Hände zu wärmen, während die Dienerin im Flur stehen blieb.

,, Kommt ihr nicht rein ?“ , fragte sie.

,, Der Herr duldet allgemein nicht das ihm das… Personal über den Weg läuft, Lady Armell.“ , erklärte sie ernst.  ,, Wir sind angehalten alle Arbeiten für den Tag zu verrichten, bevor er aufwacht.“

Armell schüttelte ungläubig den Kopf. Auf der anderen Seite, es sah Obarst beinahe ähnlich. Allerdings führte das noch zu seinem ganz anderen Problem.

,, Und wie wollt ihr ihn dann wecken ?“

,, Ihr werdet euch gedulden müssen, bis er aufwacht, wenn ihr etwas mit ihm zu besprechen habt, fürchte ich.“ , erklärte die Dienerin, fügte aber versöhnlich hinzu. ,, Darf ich euch in der Zwischenzeit etwas bringen ?“

,, Tee, wenn ihr welchen da habt.“ , meinte Armell, bevor sich an den Kamin setzte. ,, Wann ist Obarst normalerweise auf den Beinen ?“

,, Ich weiß nicht, ich glaube ich habe ihn selten vor den Mittagsstunden gesehen.“ , erwiderte die Dienerin, bevor sie den Flur hinab außer Sicht verschwand. Mittag… Armell schlug die Hände vors Gesicht. Götter, das könnte heiter werden. Vielleicht war ihr Onkel am Ende doch schlauer als sie gewesen, dachte sie, als er den Weg als Händler eingeschlagen hatte. Auch wenn sein Erfolg nicht grade auf seinen Fleiß zurückzuführen war. Aber genau das durfte sie ihm heute eben nicht zum Vorwurf machen. Er hatte den Namen, der Armell so viel zu schaffen machte vor Jahren abgelegt zusammen mit seinem Adelstitel, was immer der noch wert gewesen war. Aber für sie kam, das nicht in Frage. Das hier war ihre Stadt, Freybreak gehörte seit Generationen ihrer Familie… und wenn sie es sich so einfach machte, würde sie dieses Andenken mit Füßen treten… Nein, noch konnte diese Stadt gerettet werden und das würde sie und wenn das hieß, dass sie gute Mine zum bösen Spiel machen musste. Sie sah hier, was sie vielleicht erreichen könnte, ohne den ständigen Makel eines Verräters… Aber das würde auch bedeuten, jede Chance aufzugeben diesen Makel auszulöschen und dazu war sie für alles Geld der Welt nicht bereit.

Armell wusste nicht genau, wie viel Zeit verging, bis sie endlich Schritte im Obergeschoss des Hauses hörte. Die Dienerin war zwischenzeitlich mit einer Kanne dampfenden Tee zurückgekehrt, den sie wortlos auf dem großen Holztisch abstellte, bevor sie verschwand. Eher aus Langeweile goss Armell sich eine Tasse ein und lauschte weiter. Sentine, diesmal in Form eines schmutzbraunen Starts nippte vorsichtig an der heißen Flüssigkeit, kehrte dann jedoch offenbar wenig begeistert auf ihre Schulter zurück.

Armell konnte nur hoffen, dass es wirklich Obarst war, der sich oben endlich regte. Draußen hatte die Sonne bereits ihren höchsten Stand zu dieser Jahreszeit erreicht, knapp drei Finger breit über dem Horizont.

,, Was machst du hier ?“ , verlangte eine Stimme von ihr zu wissen und sie zuckte unwillentlich zusammen. Armell wendete sich  vom Fenster ab und dem untersetzten Man in der Tür zu. Obarst D'Ambois war ein gutes Stück kleiner als sie selbst und was er vor einigen Jahren noch an Haaren gehabt hatte, hatte sich endgültig verabschiedet. Ein Gehrock aus roter und weißer Seide fiel ihm über die Schultern und das schwarze, mit goldnähten durchwirkte Brokathemd tat wenig dagegen den Schmerbauch des Mannes zu verbergen. Intelligente, wache Augen musterten sie eindringlich, während Obarst in den Raum trat und sich ohne ein weiteres Wort am Tisch niederlies.

,, Ich bin hier um dich um Hilfe  zu bitten.“ , erklärte sie und gab sich dabei alle Mühe ruhig zu klingen. ,, Und glaub mir ich werde nicht gehen bevor ich sie bekomme.“

,, Wir werden sehen.“ , meinte ihr Onkel abwesend. ,, Du kannst kaum von mir erwarten, dass ich dir unter die Arme greife. Du hast doch die Stadt unbedingt übernehmen wollen. Pass nur auf, das es dir nicht wie deinen Eltern ergeht...“

Es war beinahe als legte er es darauf an, sie zu provozieren, dachte Armell. Ihre Eltern waren wenige Jahre nach dem Urteil aus Silberstedt gestorben und schon damals war es mit der Stadt bergab gegangen. Doch der eigentliche Fall hatte danach begonnen und Obarst war nicht unschuldig daran,

das wusste sie. Mochte sein, das er seinen Titel abgelegt hatte, aber die Privilegien nutzte er nach wie vor. Die andere Händler konnten kaum mit jemanden konkurrieren, der die Stadt de facto beherrschte, wie sonst nur Armell… und sie konnte kaum Überall sein um etwas dagegen zu unternehmen. Freybreak blutete aus… und Obarst war wie ein Egel, der sich daran gütlich tat. Ständen die Dinge anders, könnte die Stadt es wohl verkraften, wenn ihr Onkel ein paar Händler vergraulte doch momentan war jeder verlorene Geschäftsmann, jede erloschene Verbindung eine zu viel…

,, Nichts dergleichen.“ , erklärte sie nur noch mühsam beherrscht.

,, Gut, ich kann schließlich nichts dafür, wenn du Freybreak nicht richtig verwalten kannst.“

,, Das ist nicht das Problem und das weißt du so gut wie ich. Aber ich habe vielleicht endlich di Chance unserer Familie das Ansehen zurückzugeben, das sie einst hatte.“

,, Deiner Familie.“ , korrigierte Obarst sie. ,, Was habe ich damit zu tun ?“

,, Du wirst mir dabei helfen… oder ich könnte auf die Idee kommen, ab jetzt doch ein Auge auf deine Geschäfte zu haben. Ich weiß wie du vorgehst… Wenn ich wollte Obarst, könnte ich dich geteert und gefedert aus dieser Stadt jagen lassen.“

,, Leere Drohungen.“ , meinte der Mann gelangweilt. ,, Oder hast du irgendwelche Beweise für diese Anschuldigungen ? Nein ? Dann solltest du vielleicht darauf achten was du sagst, den so wie die Dinge stehen bist du diejenige, die bald das Feld räumen muss. Also du brauchst Geld…“

,, Für eine Expedition zur Nebelküste.“  , bestätigte Armell. ,, Wenn es funktioniert, wird das alles Überdecken was du und meine Eltern während des Krieges getan haben mögen. Niemand wird mehr danach fragen und unser Haus wieder seinen angestammten Platz einnehmen.“

,, Du bist verrückt.“ , meinte Obarst nur. ,, Aber wenn du dich umbringen willst ist das mir egal. Nur tu es ohne dabei mein Geld mit ins Grab zu nehmen. Du weißt genau, dass das keine Aussicht auf Erfolg hat. Und ich habe nichts zu verschenken.“

Das sehe ich ganz anders, dachte Armell. ,, Was willst du als Gegenleistung ?“

,, Wie wäre es damit… wenn du wirklich Erfolg hast, will ich einen Anteil an was immer du findest. Die Hälfte…“

Sie holte tief Luft. Das war viel, wenn es den auf dieser Expedition irgendetwas zu gewinnen gab. Aber es war auch nur halb so schlimm, wie sie befürchtet hatte. Vielleicht wollte Obarst sie einfach loswerden, vielleicht hatte er auch noch genug Familiengefühl übrig um sie zumindest in ihrer verzweifelten Stunde nicht ganz m Regen stehen zu lassen…

,,, Wenn du allerdings versagst und die ganze Sache ins Wasser fällt, will ich die zehnfache Summe von allem, was ich dir Gebe.“

Von wegen Familiengefühl, dachte Armell und Sentine, die sich bisher ruhig verhalten hatte, nahm auf einen Schlag die Gestalt eines fauchenden Drachen von der Größe einer Katze an. Anscheinend war das Wesen genauso empört über diese Forderung wie sie selbst. Aber hatte sie  eine Wahl? Nein, die hatte sie nicht….

 

 

 

Kapitel 12 Aufbruch

 

 

 

Galren sah Sentine, lange bevor Armell eintraf. Das Wesen hatte erneut die Gestalt eines Vogels angenommen, allerdings einen, den er bisher noch nie gesehen oder auch nur gehört hatte. Groß, mit weißem und schwarzen Gefieder und einem seltsam abgerundeten , rot schwarzen Schnabel.

Er fragte sich nicht zum ersten mal, was dieser Homunkulus, wie Armell es genannt hatte, eigentlich war oder was es damit auf sich hatte. Jedenfalls, schien er der Herrin von Freybreak nicht von der Seite zu weichen.

Die Nacht hatten er und Lias in einem kleinen Gasthaus nicht weit vom Anwesen der D'Ambois verbracht, nur um am Morgen von den Torwachen zu erfahren, das Armell bereits einige Stunden früher in die Stadt gegangen war und sie warten mussten, bis sie zurückkehrte.

Trotz der Zusage, Galren wusste, dass es noch einige Hindernisse auf ihrem Weg gab… und die Fürstin könnte es sich nach wie vor anders überlegt haben. Unruhig ging er im Innenhof der verfallenden Burganlage auf und ab, während Lias ruhig auf einer kleinen Bank in der Nähe des Haupthauses saß. Der Gejarn teilte seine Besorgnis offenbar nicht oder zumindest konnte er sie besser verbergen. Wenn er zurückdachte hatte er Lias selten unruhig oder nervös erlebt…

Bevor er sich jedoch weiter darum Gedanken machen konnte, tauchte Armell schließlich am Tor der Burg auf. Sie schien sichtlich zufrieden, den ein kaum merkliches Lächeln lag auf ihrem Gesicht, das jedoch gleichzeitig Besorgnis auszudrücken schien. Galren konnte nicht sagen, was überwog…

,, Ich nehme an ihr hattet einen Grund heute so früh aufzubrechen ?“ , fragte Lias, der sich von seinem Platz erhoben hatte und auf sie zutrat. Der Gejarn trug seine alte Rüstung, ob aus Voraussicht oder einfach nur weil er sich damit sicherer fühlte, aber auch nach all den Jahren gab er damit eine beeindruckende Erscheinung ab.

,, Erwartet ihr Schwierigkeiten ?“ , wollte Armell wissen, als sie die Panzerung bemerkte.

,, Sagen wir , ich bin gerne vorbereitet. Und ich habe im Laufe meines Lebens eine Nase für so etwas entwickelt.“ , erklärte Lias. ,, Und ihr ?“

,, Ich halte meinen Teil der Abmachung.“ , meinte Armell. ,, Und ich hoffe ihr tut das auch. Mir ist es gelungen, das Geld zu bekommen, das wir für die Reise brauchen werden. Sobald die letzten Vorbereitungen abgeschlossen sind, brechen wir auf.“

,, Das dürfte nicht unser einziges Problem sein, oder ?“ , fragte Galren.  Etwas, das Armell am Vorabend gesagt hatte, hatte sich ihm eingebrannt, ein weiteres Hindernis.

,, Ihr hört offenbar zu.“ , meinte sie grinsend. ,, Unser erster Weg führt uns nach Silberstedt. Ich bin nach wie vor Lord Zachary de Immerson unterstellt und damit hat er das letzte Wort, wenn es um eine Unternehmung dieser Größenordnung geht.“
,, Und ihr seid euch sicher, dass er uns helfen wird ?“

Armell nickte. ,, Ich kenne ihn schon sehr lange, glaubt mir, er wird nicht Nein sagen.“

,, Dann bleibt nur noch zu kläre, wann wir aufbrechen können.“ , meinte Galren. Das gleiche  alte Hochgefühl, wie damals, als er das erste Mal die Karte erblickt hatte, war wieder da. Und wenn sie sich so sicher war, das dieser Zachary ihre Expedition Genehmigen würde, dann war er geneigt das zu glauben.

,,  Noch heute, wenn es sich machen lässt.“ , sagte Armell. ,, Ihr habt alles was ihr braucht ?“ .

Er nickte. Alles, was sich mitzunehmen lohnte, trug er bereits  bei sich. Die Karte,  in einer stabilen Hülle an seinem Gürtel, einige Kleidungsstücke und Vorräte in seinem alten Seesack, den er mit hierher gebracht hatte.

,, Ich habe ebenfalls alles hier.“ , meinte Lias und rückte das Schwert an seinem Gürtel zurück. Galren selbst hatte sich schnell an das zusätzliche Gewicht an seiner Seite gewöhnt, nun jedoch, fragte er sich, ob er Atrun überhaupt mitnehmen sollte. Er konnte ohnehin  kaum damit umgehen und Armell es sicher irgendwo unterbringen… Mit einer Hand löste er die Seilschlaufen an seinem Gürtel. Lias, der sah was er tat schüttelte den Kopf.

,, Behaltet es besser bei euch .“ , meinte der Gejarn ernst. ,, Nur so ein Gefühl.“

,, Wie die Rüstung ja ?“ , fragte er hielt aber inne. Vermutlich hatte Lias allerdings recht. Er wusste nicht, was ihnen bevorstand. Tatsächlich würde er zum ersten Mal in seinem Leben Hamad für längere Zeit hinter sich lassen. Galren wusste nicht, ob ihm der Gedanke gefiel. Er war hier aufgewachsen, sechsundzwanzig Jahre lang hatte er hier gelebt…

,, Sagen wir einfach, mir ist lieber wenn du bewaffnet bist.“ , riss Lias ihn aus seinen Gedanken.

,, Ich habe in meinem Leben noch keine Waffe geführt, das weißt du so gut wie ich. Schon gar nicht so eine.“

Der Gejarn schwieg dazu und machte sich auf dem Weg zurück ins Haus. ,, Wir sollten besser packen, solange wir noch Zeit dafür haben.“ , rief er Galren zu, der noch einen Moment bei Armell auf dem Hof blieb.

,, Verzeiht, aber eine Sache müsst ihr mir noch verraten.“ , meinte er.

Sowohl die junge Adelige als auch Sentine auf ihrer Schulter legten den Kopf schief. Erneut fragte er sich, was es mit diesem Wesen wirklich auf sich hatte,  oder wie stark seine Bindung zu Armell eigentlich war. Manchmal schien es sich tatsächlich so zu verhalten, als spiegle es ihre Gedanken wieder…

,, Fragt.“

,, Wie seit ihr so schnell an das Geld gekommen ? Ich will mich nicht beschweren, aber ihr habt nichts, das habt ihr selbst zugegeben.“ Er hatte gespürt, dass etwas nicht in Ordnung war, als sie den Hof erreicht hatte. Woher immer sie die Summe genommen hatte, die sie brauchten, es kam nicht ohne Preis. ,, Haben wir vielleicht  ein Problem ?“

,, Wenn, dann nur ich. Tut euch selbst einen gefallen und lasst es auch meine Sache sein.“

Mit diesen Worten ging sie an ihm vorbei zurück zum Haus. Galren sah ihr eine Weile nach, während langsam einige Schneeflocken vom Himmel fielen. Diese Reise, dachte er begann bereits seltsam. Hoffentlich machten sie keinen Fehler. Und hoffentlich, hatte Armell keinen gemacht.

 

Bereits am Abend fanden sie sich alle am Hafen von Freybreak ein. Jetzt in der Dämmerung war die aus Holzbalken bestehende Mole fast vollständig verlassen und die wenigen Hafenarbeiter und Seeleute, die noch unterwegs waren, trotteten langsam in Richtung Innenstadt davon, vermutlich zum nächsten Gasthaus. 

Mondlicht erleuchtete den ansonsten verlassenen Hafen und spiegelte sich auf den hier und dort im Wasser schwimmenden Eisschollen wieder. Nur ein einziges Schiff lag um diese Zeit noch vor Anker, am äußersten Ende eines der Piers. Armell lenkte ihre Schritte zielsicher auf den Dreimaster zu und bedeutete Lias und Galren dabei ihr zu folgen. Die klare Nacht war so scheidend Kalt, das Galren hören konnte, wie das Salzwasser unter ihnen allmählich gefror. Ein unendlich leiser, knisternder Laut, Morgen früh, dachte er, während die Holzplanken unter ihren Füße knarrten, wäre das gesamte Hafenbecken vereist und wohl fürs erste Unpassierbar. So gesehen hätte ihre Abreise nicht günstiger sein können…

Mittlerweile war das Schiff, das sie zum Festland bringen würde deutlicher zu erkennen, eine Silhouette aus hellem Holz, das im Mondlicht beinahe silbern wirkte. Ein einzelner Mann wartete an der Planke zum Deck auf sie, langsam eine Pfeife rauchend. Ein grauschwarzer Bart, dunkle, krause Haare und der Ansatz eines grauen Mantels waren alles, was im Schein der Glut zu erkennen war.

,, Ich nehme an ihr seid Lady Armell ?“ , fragte er und klang dabei freundlicher als Galren zuerst vermutet hatte.

,, Die bin ich.“

,, In diesem Fall, willkommen an Bord Herrin. Wir haben nicht mehr oft Reisende bei uns und noch seltener Adelige. Ich hoffe also ihr könnt verstehen, dass wir nicht…“

,, keine Umstände.“ , unterbrach Armell ihn. ,,Solange ihr uns sicher  zum Festland bringt, ist mir beinahe egal wie.“

Der Kapitän, um den es sich bei dem Mann wohl handeln musste,  nickte. ,, In diesem Fall steht unserer Abreise nichts mehr im Weg. Wir haben schon alles vorbereitet, während wir gewartet haben. Gebt uns ein paar Minuten und wir sind draußen auf der offenen See.“ Mit diesen Worten drehte der Mann sich um und gab ihnen ein Zeichen ihm an Deck zu folgen. Währenddessen rief er bereits erste Anweisungen an die wartenden Matrosen, Taue wurden gekappt und Anker gelichtet…

Galren blieb einen Moment am Anfang der Planke stehen. Plötzlich fühlte er sich, als würde ihm etwas die Brust zuschnüren. Etwas, das er nicht ganz benennen konnte.  Es war nicht das Schiff, daran hatte er sich gewöhnt… Er sah einen Moment zurück auf die nur von einzelnen Lichtern erhellte Stadt.

,, Komm schon oder bist du festgefroren ?“ , reif Lias vom Deck aus zu ihm herab.

,, Nein… Ich komme schon.“ , erwiderte er und endlich bewegten sich seine Füße wieder . Sobald er an Bord war, wurden die letzten Segel gehisst und das Schiff setzte sich langsam in Bewegung. Stück für Stück blieb zuerst die Hafenmole und dann auch Freybreak hinter ihnen zurück, als das Schiff durch die Hafeneinfahrt hinaus aufs offene Meer trieb. Salzgeruch und kalter Wind wehten ihnen entgegen und der feine Wasserfilm in der Luft gefror auf Tauen und Deckplanken zu einer feinen, kristallinen Eisschicht.

Der Kapitän löschte derweil seine Pfeife und trat ins Licht einer an Deck aufgestellten Laterne.

,, Ich schlage vor.“ , meinte er an seine drei Gäste gerichtet. ,, Ihr begebt euch unter Deck. Es wird nicht unbedingt wärmer sein, aber wenigstens gibt es ein paar Decken. Mit etwas Glück haben wir morgen früh bereits die Küste erreicht.“

Armell nickte, Galren jedoch spürte die Kälte nach wie vor kaum. Stattdessen trat er ans Heck des Schiffes und sah zur langsam kleiner werdenden Silhouette von Hamad zurück. Freybreak war nur noch ein schwach glühender Lichtpunkt irgendwo knapp über dem Wasser und die Berge auf diese Entfernung grade noch zu erahnen… 

Galren wusste nicht, wie lange er, auf die Reling gestützt dort stand und zusah, wie seine Heimat in der Ferne verschwand. Es war ein seltsam Wehmütiges Gefühl, als würde ihm jetzt erst klar, dass er sie lange Zeit nicht wiedersehen würde… und vielleicht nie mehr.

,, Alles in Ordnung bei dir ?“ , wollte Lias wissen. Trotz seiner Größe und der Panzerung  konnte der Gejarn sich überraschend leise bewegen. Galren antwortete eine Weile nicht. Eigentlich war das hier doch genau, was er gewollt hatte. Und doch machte es ihm jetzt, wo es wirklich losging zu schaffen.

,, Vielleicht bin ich doch noch nicht so bereit hier alles hinter mir zu lassen, wie ich dachte.“ Er rang sich ein müdes Lächeln ab. ,, Aber jetzt ist es zu spät, wie ?“ Er würde den Weg seines Vaters zu Ende gehen.

,, Und du bist nicht alleine dabei, vergiss das nicht.“ Der Gejarn legte ihm eine Hand auf die Schulter.

Galren nickte. Aber es könnte trotzdem eine Weile dauern, bis er seine Heimat wiedersah.

,, Ihr tut das alles wirklich nur um herauszufinden, was eurem Vater zugestoßen ist ?“ , wollte Armell wissen, die sich offenbar doch entscheiden hatte noch an Deck zu bleiben. Ihre Wagen waren gerötet aber in ihren Augen glitzerte etwas, das Galren während der ganzen Zeit in Freybreak nicht gesehen hatte. Aufregung vielleicht, das gleiche Gefühl, das von ihm Besitz ergriffen hatte, seit er die Karte in Händen hielt…

,, Und ihr begleitet uns sicher nur wegen dem Geld ?“ , gab er zurück.

,, Nein.“ , erwiderte die Fürstin mit einem Lächeln, das jedoch verlosch, als sie weitersprach. ,, eine Familie diente Andre de Immerson im Krieg. Das wirkt bis heute nach. Und es ist zum Teil für Freybreaks Lage verantwortlich… Ich habe vor diesen Makel auszulöschen, Galren. Wenn wir Erfolg haben, wird das vergessen sein, glaubt mir. Und man wird auch euren Namen überall kennen.“

,, Ich glaube mir wäre lieber, wenn dem nicht so wäre.“ , meinte er ebenfalls kurz grinsend. ,,Ihr könnt von mir aus den ganzen Ruhm haben, wenn ihr mich dabei raushaltet.“

,, Ich komme bei Gelegenheit darauf zurück.“ , erwiderte die Fürstin. ,, Kommt, wir sollten wirklich unter Deck… sonst erfriert noch einer von uns bevor wir wieder Land sehen.“

 

 

Kapitel 13 Zauberer

 

 

Galren sah wie gebannt hinauf zu den Felsgipfeln die entlang der Straße in die Höhe ragten. Hatte er einmal Gedacht, die Berge um Freybreak seien hoch, neben diesen hier hätten sie sich wie sanfte Hügel ausgenommen. Das Gebirge, das die Herzlande Cantons vom äußeren Norden abschirmte war ihm bisher nur aus Berichten bekannt und bis jetzt hatte Galren diese noch für Übertrieben gehalten.

Manche der Berge waren so hoch, das ihre Gipfel längst in den tief hängenden Schneewolken verschwanden, die sich diesseits der natürlichen Barriere sammelten. In den weiten Tälern zwischen den Granitfelsen verlor der Wind rasch an Gewalt und verschonte die dahinter liegenden Herzlande damit vom schlimmsten. Dort wäre jetzt vielleicht grade Herbst und die letzten Ernten würden eingebracht werden. Doch Silberstedt lag auf der falschen Seite der Berge und bekam damit nach wie vor den vollen Atem des Nordens zu spüren, noch mehr als die Nordküste von Hamad.  Sie waren jetzt seit drei Tagen unterwegs, immer mit der Kutsche, was Lias offenbar gar nicht gut aufnahm. So wie Galren die Sache sah, wäre der Gejarn am liebsten zu Fuß gegangen, nachdem er einen ersten Blick auf die Pferde geworfen hatte. Und selbst jetzt, nachdem sie sich alle an das ewige Schaukeln auf den unebenen Straßen gewöhnt hatten, saß der Mann fast unbeweglich auf seinem Platz, den Blick starr aus dem Fenster gerichtet.

Die ersten Umrisse Silberstedts waren bereits am Morgen aufgetaucht und mittlerweile konnte Galren bereits einzelne Gebäude und Straßenzüge ausmachen.  Es war eine gewaltige Metropole und die Spuren des Krieges, der vor zwanzig Jahren hier getobt hatte, lange verschwunden. Freybreak hätte vermutlich dreimal in den Umfang der Stadtmauern gepasst und es wäre vermutlich immer noch Platz für tausende weiterer Menschen gewesen. Rauch stieg aus einer Unzahl von Kaminen zum klaren Himmel auf und bildete eine Dunstglocke über der Stadt. Steile Felswände begrenzten das ihnen abgewandte Ende Silberstedts und über den Gipfeln kreiste etwas, das Galren auf die Entfernung nicht erkennen konnte…

,, Wyvern. Groß, geschuppt und keine besonders freundlichen Kreaturen“ , meinte Armell , die seinem Blick in Richtung der Schemen gefolgt war. ,, Keine Sorge, sie halten sich gewöhnlich von Menschen fern, solange sie nicht alleine sind. Aber irgendetwas scheint sie wohl anzusehen. Ich vermute mal, sie fressen die Raben.“

,, Raben ?“ , fragte Lias und klang dabei immer noch so misstrauisch, als Rechne er damit, dass die Pferde die sie zogen jeden Moment durchgehen würden.

,, Seht selbst.“ Armell deutete aus dem Fenster auf ein Bauwerk an einer Felsflanke über Silberstedt. Das dunkle Holz aus dem das Gebäude bestand,  hob sich selbst von dem fast schwarzen Granitfelsen noch deutlich ab und wenn Galren die Entfernung bedachte…  Das da oben war der reinste Palast. Fünfzig Leute hätten vermutlich Problemlos  darin Leben können ohne sich je über den Weg zu laufen wenn sie es nicht wollten. Und um das Gebäude herum flatterten hunderte weitere gefiederte Schatten.

Sentine auf Armells Schulter wechselte bei dem Anblick ebenfalls spontan die Form zu einem großen, pechschwarzem Raben.

,, Das ist der Rabenkopf, das Anwesen von Lord Zachary de Immerson. Wir haben es so gut wie geschafft.“

,, Zauberer…“ Lias klang immer noch nicht begeistert, während die Kutsche durch die Tore Silberstedts rollte. Violette Banner mit dem Wappen einer silbernen Spinne wehten darauf, in der Kalten Luft teilweise mit Eis überkrustet. ,, Ist es wirklich nötig, das wir uns persönlich mit ihm treffen ?“

,, Ihr habt Zachary noch nicht einmal getroffen und habt schon ein Problem mit ihm ?“ , fragte Armell irritiert. ,, Es ist nicht nötig, aber wenn es einen Adeligen in diesem Land gibt der uns helfen will und kann, dann er.“

,, Ich traue schlicht niemandem, der mich in eine Kröte verwandeln kann wenn ihm danach ist.“

Armell schüttelte den Kopf ,, Ich glaube ihr versteht nicht, wie Magie funktioniert. Um einen Zauber aufrecht zu erhalten, braucht es ständig Energie. Selbst wenn sich jemand den Spaß machen würde euch in irgendetwas zu verwandeln, es würde nur so lange anhalten, bis ihm die Lebenskraft ausgeht-. Oder er müsste seine Magie vorher aufheben.  Ich meine seit ihr schon einmal einem Zauberer des Sangius-Ordens begegnet? Man kann manchen beim Altern zusehen.“

,, Beruhigend.“ , kommentierte Lias trocken. ,, Und ja ich bin einigen begegnet. Leide haben sie nicht lange genug gelebt um mich über meine... Irrtümer aufzuklären. Das war noch vor dem Waffenstillstand zwischen Canton und Laos.“

,, Du  hast Zauberer getötet ?“ , wollte Galren wissen. Obwohl Lias so lange bei ihnen in Maillac gelebt hatte, was seine eigene Geschichte anging, hatte er sich bisher immer zurückgehalten. Und auch wenn die Umstände anders sein könnten, es war ungewöhnlich einen solchen Einblick auf das frühere Leben des Gejarn zu bekommen.

,,Wie mein gesamtes Volk. Es gibt oder besser gab sehr wenige Magier unter uns.“

,,Wieso gab ?“
,, Sie sind vor einigen Jahren alle an einem einzigen Tag verschwunden. Ich glaube ich werde diese Nacht nie vergessen. Halb Helike stand in Flammen und… sagen wir einfach zwischen den Archonten und den Zauberern Helikes gab es viel böses Blut. Vor allem auf Kosten der Magier.“

,, Und ihr habt euch an diesen Verfolgungen beteiligt ?“

Lias schweig einen Moment, bevor er antwortete: ,, Nein. Und vielleicht mag falsch gewesen sein, was wir ihnen angetan haben, aber mir behagt der Gedanke einfach nicht, jemand gegenüberzustehen der mit einem Gedanken töten kann. Das ist kaum etwas, das man einen fairen Kampf nennen kann.“

Galren wurde das Gefühl nicht los, das der Gejarn ihm nicht alles erzählte. Aber er würde auch nicht auf die ganze Wahrheit drängen. Wenn Lias eins war, dann ein Freund und wenn es etwas gab, das er wissen musste, würde er es ihm anvertrauen wenn die Zeit kam. So oder so, er konnte und würde ihm vertrauen.
Während er noch darüber nachdachte, kam die Kutsche schließlich zu einem abrupten Halt als die Straße, der sie folgte, auf einem kreisrunden Platz Endete. Armell erhob sich von ihrem Platz, wobei Sentine, diesmal in Gestalt eines Zaunkönigs, in der Kapuze ihres Wintermantels verschwand.

,, Ab hier müssen wir zu Fuß weiter.“ , erklärte sie, während sie ausstieg. Galren folgte ihr und auch Lias beeilte sich, aus dem beengten Inneren der Kutsche ins Freie zu gelangen.

,, Nicht das ich traurig darüber wäre.“ , meinte er. Die düstere Stimmung schien praktisch sofort von ihm abzufallen, als er wieder festen Boden unter die Füße bekam und sie auf den kleinen Platz hinaus traten. Kleinere und größere Marktstände, als Schutz vor dem Wind oftmals seitlich mit Fellen oder Zeltplanen verhängt, standen zu unordentlichen Gassen angeordnet auf der Freifläche. Trotz des Wetters war der Markt gut besucht und die knapp zwei Dutzend Händler hatten wohl eher Schwierigkeiten genug Ware nachzuholen, als das sie keine Abnehmer dafür fanden. Was für ein Unterschied zu Freybreak… oder allem, was er bisher gesehen hatte.

,, Ist hier immer so viel los ?“ , fragte er während er sich fasziniert zwischen den Ständen umsah.,, Viel ?“ , fragte Armell lachend. ,, Ihr seid wirklich noch nicht oft von Hamad weggekommen, oder ? Das hier ist einer der kleineren Marktplätze Silberstedts.“

Die Adelige hatte wieder die Führung übernommen und lotste sie zwischen den Händlern und den Marktbesuchern hindurch auf eine Treppe ganz am Ende des Platzes zu. Die Stufen führten direkt eine Felswand hinauf und an ihrem Ende waren die dunklen Umrisse des Herrenhauses zu sehen, das ihnen bereits aus der Ferne aufgefallen war. Selbst aus der Nähe konnte Galren nicht umhin, Lias ein wenig Recht zu geben. Ganz wohl war ihm auch nicht bei dem Gedanken, dort hinauf zu müssen…

Während sie weiter über den Markt gingen, konnte er zusätzlich einige der Gespräche der Bürger der Stadt belauschen, die seine Zweifle zu bestätigen schienen. Ein besonders beunruhigter Zeitgenosse schielte immer wieder zu dem Anwesen über ihren Köpfen herauf, während er sich mit einem der reisenden Händler unterhielt.

,, Ich sage euch, eines Tages jagt und Lord de Immerson noch einmal alle in die Luft. Keine Ahnung, was er da oben treibt, aber man kann fast jede Nacht Lichter beobachten und ich rede hier nicht von Kerzenschein… Ich habe den alten Lord nie sonderlich gemocht, aber sein Sohn…“

Bevor Galrne noch mehr verstehen konnte, hatten sie den Anfang der Treppe erreicht und Armell  hatte bereits die ersten Stufen genommen. Sie schien sich regelrecht darauf zu freuen, den Zauberer zu treffen und vielleicht, dachte er, waren Lias Sorgen doch unbegründet. Aber wenn selbst seine eigenen Untertanen sich vor ihm fürchteten… Galren schüttelte den Kopf. So oder so, sie waren zu weit gekommen, es gab weder ein Aufgeben noch ein zurück.

Der Weg die Treppe hinauf war ein einsamer. So überfüllt und voller Leben die Stadt gewirkt hatte, die jetzt unter ihnen zurück blieb, so kalt und verlassen waren die Terrassen und steinernen Alkoven hier oben. Das hieß, wenn man von den Raben absah.  Die Vögel saßen auf den Stufen und den Felsvorsprüngen entlang der Treppe und schienen sich auch durch ihre Anwesenheit nicht sonderlich stören zu lassen. Lediglich wenn die drei Reisenden sie fast zertraten, flatterten sie beinahe gelangweilt ein Stück beiseite um Platz zu machen, veranstalteten dabei jedoch einen Heidenlärm.

Lias beäugte ihre gefiederten Begleiter misstrauisch und seine Hand blieb den gesamten Weg über am Schwertgriff.

,, Keine Sorge, die sind harmlos.“ , meinte Armell, der ebenfalls auffiel, wie der Gejarn sich anspannte.

,, Es sind nicht die Tiere, die mir Sorgen machen.“ , antwortete der Gejarn. ,, Sondern was die alle hier wollen.“ Er sah hinauf zum mittlerweile nur noch wenige Dutzend Stufen entfernten Anwesen.

Armell zuckte mit den Schultern. ,, Ich glaube Zachary lockt sie an.“

,, Warum ?“

,,  Möglicherweise mag er einfach Vögel.“

,, Zauberer…“ , murmelte Lias nur, setzte sich aber wieder in Bewegung. Tatsächlich verströmte dieser Ort etwas seltsames, je näher sie kamen. Als wäre die Luft hier irgendwie schwerer… Erneut stoben dutzende Krähen vor Lias auf und brachten sich vor den Schritten des Gejarn in Sicherheit.  ,, Wenn mir jemand nur die Biester vom Hals schaffen würde…“

Als wäre das ihr Stichwort gewesen, tauchte Sentine unter Armells Kapuze auf. Aus dem kaum Handtellergroßen Federball wurde innerhalb eines Herzschlags  ein Falke, der sich auf seine schwarz gefiederte Beute stürzte. Hatten die drei Fremden auf dem Weg den Berg hinauf die Tiere nicht beeindruckt, so flogen sie nun fast alle gleichzeitig auf. Wenn Sentine glaubte, Lias mit dieser Aktion einen Gefallen zu tun, so hatte das Wesen sich verschätzt, denn plötzlich fand sich der Gejarn mitten in einer Wolke aus Federn wieder, die langsam um ihn zu Boden sanken, nachdem der letzte Rabe verschwunden war.

,, Danke.“ , grummelte er säuerlich, während er sich Federkiele aus Kleidung und Fell zupfte.

Sentine lies sich, davon unbeeindruckt, auf der Schulter des Mannes nieder und wirkte einen Moment sichtlich stolz auf das Chaos, das sie angerichtet hatte.

,, Manchmal solltest du aufpassen was du dir wünschst, alter Freund.“ , sagte Galren und musste ein Lachen unterdrücken. Als Antwort darauf murmelte Lias nur etwas das sich  für ich zu sehr nach ,, Na warten.“ , anhörte und ging weiter. Sentine blieb dabei die ganze Zeit auf seiner Schulter sitzen und auch der Gejarn machte keine Anstalten, sie zu verscheuchen. Sah beinahe so aus, als hätte da jemand doch einen neuen Freund gefunden. Oder Lias war schlicht zu resigniert um etwas gegen den blinden Passagier zu unternehmen. So  oder so, seinem Freund schien dieser Ort mehr zuzusetzen als ihm ob es nun einfach an seiner Abneigung Zauberern gegenüber lag… oder an etwas anderem. Galren musste an das Gespräch in der Kutsche zurückdenken. Lias verschwieg ihm etwas… Aber nach wie vor, er würde nicht danach fragen. Zumindest solange es nicht absolut nötig wurde. Etwas anderes jedoch, konnte er durchaus in Erfahrung bringen.

,, Verzeiht, das ich frage,“ , meinte Galren ,, Aber was genau ist Sentine eigentlich ? War das grade Zufall oder versteht sie uns wirklich ?“

Armell zögerte mit der Antwort. ,, Genau weiß ich das auch nicht. Manchmal scheint sie wirklich alles zu verstehen, was ich sage. Und manchmal ignoriert sie es entweder oder… tut so etwas.  Zachary sagte mir einmal, sie sei so etwas wie ein Wegweiser. Ich glaube, das ist was er gemeint hat.“ , erklärte sie schließlich, während sie der Wolke aus Raben und Kröhen zusah, die über der Stadt kreisten. ,, Aber wir sollten uns besser beeilen. Lange hält sie das sicher nicht ab.“

 

Kapitel 14 Zachary

 

 

 

Der Platz vor dem Anwesen war vollständig verlassen, wie Galren irritiert feststellte.  Das Ende der Treppe mündete an einem kleinen Tor, das in eine Brusthohe Mauer überging. Der halbrunde Steinbogen verlief zwischen den äußersten Gebäuden des Herrenhauses  und schloss damit ein gewaltiges Stück Land ein, das man offenbar durch lange Arbeit begradigt und dem Berg abgewonnen hatte. Oder aber, es war Magie im Spiel gewesen… Trotzdem, die Leere dieses Ortes war seltsam. Er hätte zumindest ein paar Wachen erwartet um Gäste zu begrüßen oder eben auch abzuweisen. Stattdessen lag nur ein Stück vereistes Pflaster vor ihnen. Im Westlichen Abschnitt des Grundstücks ragten einige Tanne aus der Erde, die einen kleinen Hain bildeten und im Osten gab es eine  Reihe kleinerer Wirtschaftsgebäude aber auch diese wirkten auf den ersten Blick verlassen und das einzige Geräusch stammte von einer Reihe Fahnen, die im Wind wehten.

,, Hat euer Lord keine Bediensteten ?“ , fragte Lias, dem ebenfalls aufgefallen war, das etwas nicht stimmte.

,, Nur wenige.“ , meinte Armell , die ohne zu zögern in Richtung Tür ging. ,, Ich glaube, das ist am Ende der wahre Grund für die Vögel. Es hält Besucher ab und die Neugierigen fern. Ihr habt die Leute unten in der Stadt ja gehört. Sie misstrauen Zauberern und Zachary ist selbst für seine Zunft wohl eine Art Ausnahme.“

,, Inwiefern ?“, wollte Galren wissen.

,, Der Sangius-Orden erhebt normalerweise Anspruch auf jeden geborenen  Zauberer im Land, von einigen wenigen freien Zauberern einmal abgesehen.“ , erklärte sie. ,, Die meisten kommen schon als Kinder zur Burg des Ordens und werden dort ausgebildet, doch bei Zachary geschah dies nicht. Er verschwand lange Zeit einfach von der Bildfläche, wurde von seiner Familie vielleicht auch für Tod gehalten, der Punkt ist, als er schließlich zurückkehrte und seine Gabe überall bekannt wurde, war er bereits fast ein erwachsener Mann und hatte den Titel seines Vaters geerbt, zu spät für den Orden. Mal davon abgesehen dass dieser grade innerhalb von nur zwei Jahren genauso viele Ordensobere verloren und damit selber genug Probleme hatte. Das bringt ihn in eine gewisse Sonderstellung. Zachary de Immerson dürfte der einzige freie Magier sein, der sich vor nichts und niemanden verstecken muss.“

,, Ein gefährlicher Mann.“ , bemerkte Lias.

,, Weniger als sein Vater glaubt mir. Andre de Immerson muss der reinste Sklaventreiber gewesen sein. In den Minen um die Stadt sind täglich hunderte gestorben. Ich verstehe schon, wieso Zachary diesem Ruf entgegenwirken will und sich mit möglichst wenigen Bediensteten umgibt. Oder es gefällt ihm einfach so.“

Mittlerweile hatten sie eine kurze Treppe erreicht, die zum Eingang des Anwesens hinauf führte. Armell ging ohne langsamer zu werden zur Tür und öffnete sie. Galren hatte fest damit gerechnet, das zumindest das Portal verschlossen sein würde, doch dieses schwang mit einem leisen quietschen auf und gab den Blick frei auf eine von Kohlebecken erleuchtete Halle. In einem großen Kamin prasselte ein Feuer vor sich hin und vertrieb die Kälte noch zusätzlich und die schweren Wandvorhänge erzeugten eine beinahe heimelige Atmosphäre, die gar nicht zu Galrens erstem Eindruck passen wollte…   In den Stoff der Teppiche waren Szenerien von sommerlichen Wiesen und Wäldern und fernen Schneebedeckten Gipfeln eingelassen, so fein gewebt, das man sie auf den ersten Blick fast für Gemälde halten konnte.

Fasziniert trat er näher an den Teppich, der die Berggipfel zeigte. Das mussten die Herzlande sein, dachte er ohne erklären zu können, woher er das wusste. Und wenn er wollte, würde er ihn finden. Zielsicher. Eine Erkenntnis, die ihn erschreckte und doch irgendwie…vertraut vorkam. Als wäre er den Weg dorthin bereits hunderte Male gegangen…

,, Das ist eine Gejarn-Arbeit.“ , meinte Armell neben ihm und riss ihn damit aus seinen Gedanken. ,, Die Clans in den Herzlanden fertigen auf ihren langen Wanderungen  oft Kunstwerke an, aber ich habe bisher selten welche  soweit über die Grenzen ihres Kerngebiets hinaus gesehen.“

Galren nickte, als hätte das seine Frage beantwortet. Das Gefühl des Vertrauten war weg, so schnell wie es gekommen war und das Gefühl, den Weg zu kennen erloschen. Es war nur ein Bild, vermutlich nicht mal ein realer Ort, also was sollte es. Vermutlich nur die Aufregung. Nach wie vor hatte er keine Ahnung, womit er es gleich zu tun bekommen würde. Das Misstrauen der Leute unten in der Stadt und das von Lias standen im krassen Gegensatz zu Armells absoluter Unbeschwertheit. Die junge Adelige gab ihm ein Zeichen ihr zu Folgen und mit Lias im Schlepptau machten sie sich auf den Weg zum anderen Ende der Halle zu einer weiteren Tür. Je näher sie kamen, desto deutlicher meinte Galren, gedämpfte Stimmen hören zu können, eine die bereits leicht brüchig klang und eine andere, jüngere. Er musste sich konzentrieren, aber je näher sie kamen, desto deutlicher konnte er einzelne Worte und schließlich Sätze verstehen.

,, Ihr wisst das das leichtfertig war, Zachary.“ , meinte die ältere Stimme wütend. ,, Nicht alle sehen es gerne, das ein freier Zauberer eine Stadt regiert, aber bisher habe ich euch immer den Rücken gestärkt selbst als ihr euch ohne Zustimmung des Ordens einen Schüler genommen habt. Aber das geht zu weit. Ihr müsste es zerstören und zwar am besten sofort.“

,, Ich unterstehe eurem Orden allerdings nicht.“ , bemerkte die andere Stimme, die wohl zu Zachary gehören musste. ,, Versteht mich doch, Quinn. Wir können das nicht einfach wegwerfen und ihr braucht mich nicht über die Gefahren aufklären. Ich habe gesehen,  was es anrichten kann. Ich bin so vorsichtig wie überhaupt möglich.“ Galren  zögerte einen Moment, unsicher ob es eine gute Idee wäre, weiter zu lauschen. Aber sie hatten gar nicht die Wahl, außer sie wollten die Halle wieder verlassen und draußen in der Kälte warten.

Einen Moment folgte Schweigen. Galren wusste nicht, worum es ging, aber die Besorgnis des älteren Mannes war ganz offenbar echt.  ,, Schön.“ , meinte die als Quinn angesprochene Stimme seufzend. ,, Aber tut mir den Gefallen und passt auch wirklich auf euch auf. Wenn ihr einen Fehler macht, Zachary, werde ich es sein, der ihn korrigieren muss. Und das würde mir sehr leid tun, alter Freund.“

Bevor sie die Tür am Ende der Halle noch erreichen konnten, wurde diese bereits von Innen geöffnet und gab den Blick in eine kleine Bibliothek frei. Kerzenlicht erhellte die Rücken von hunderten, dicht a dicht in Regalen stehender Bücher. Aber etwas stimmte nicht, wie Galren feststellte. Etwas, das seine Aufmerksamkeit noch vor den zwei Männern im Raum gefangen nahm. Der Boden hatte ein Loch, ein dunkler Schacht, in dem sich der Feuerschein der Kerzen verlor…

Ihm blieb jedoch keine Gelegenheit, mehr zu erkennen, den der jüngere der beiden Männer machte eine rasche Handbewegung, in der die Öffnung verschwand und von einem Teppich verdeckt wurde. Galren war sich einen Moment nicht sicher, ob er sich nicht getäuscht hatte, so schnell tauchte das Material scheinbar aus dem Nichts auf.

Zum ersten Mal besah er sich den Fremden näher, der grade… ja was eigentlich getan hatte? Galren wusste es nicht. Der Mann trug eine dunkle Robe, in der schimmernde Silbernähte eingelassen waren, die dem ganzen etwas Edles verliehen. Ein blauer, tropfenförmiger Stein ruhte in einer silbernen Fassung auf seiner Brust.  Die  Haare des Mannes  hatten fast den gleichen schwarzen Ton wie seine Kleidung und verstärkten noch den Eindruck, dass seine hellen türkisfarbenen Augen schwach von selbst zu leuchten schienen. Ein sauber zurechtgestutzter Kinnbart nahm dem Gesicht des Mannes etwas von seinem irgendwie… alten Eindruck. Auch wenn sein gegenüber kaum zehn Jahre älter sein konnte, als Galren selbst, er wirkte schlicht nicht so. Unwillkürlich musste er an das denken, was Armell gesagt hatte. Die Magie ließ  Zauberer oft schneller altern als gewöhnliche Menschen. Doch irgendwie bezweifelte er, das das hier der Fall war…

Der zweite Mann, der tatsächlich so alt war, wie er wirkte, stand in der Tür der Bibliothek, die er wohl so eben hatte verlassen wollen. Graue Haare in denen nur einige schwarze Strähnen verblieben waren bedeckten seinen Kopf und um den Hals trug er eine Art schwarzen Anhänger, der dem den sein Begleiter trug zum Verwechseln ähnlich sah, wenn man die Farbe ignorierte. Doch was Galren wirklich zu denken gab, war der türkisfarbene Umhang, den er trug. Der Farbton war jedem im Kaiserreich bekannt ob er ihn nun schon einmal gesehen hatte oder nicht, genauso wie das in goldenen Fäden gehaltene Emblem darauf. Ein einzelner Tropfen… Dieser Mann war ein Sangius-Zauberer…

,, Lord Zachary ?“ Armell sah in Richtung des jüngeren Mannes. ,,, Verzeiht, ich wusste nicht, das wir ungelegen kommen.“

,,Nein, Nein. Ich wollte sowieso grade gehen.“ , meinte der ältere Magier, bei dem es sich wohl um Quinn handeln musste. Galren überlegte, woher ihm der Name bekannt vorkam. Es brannte ihm auf der Zunge…

Quinn trat derweil ohne ein weiteres Wort an ihnen vorbei und raffte den Umhang um sich, während er sich auf den Weg aus der Halle hinaus machte. Armell sah ihm mit einem misstrauischen Ausdruck nach, den Galren  nicht nur ein wenig an Lias Mine vorhin auf dem Bergpfad erinnerte. Erst, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, wendete sie sich wieder Zachary zu.

,, Was wollte der hier ?“ Der förmliche Tonfall den sie zuvor noch angeschlagen hatte, schien sofort von ihr abzufallen und machte echter Besorgnis Platz.

,, Ihr meint, was der Ordensoberste des Sangius-Ordens von mir wollen könnte ?“ Der Zauberer lächelte und plötzlich wurde Galren auch klar, woher er den Namen kannte. Natürlich. Das eben also war der Anführer der Zauberer Cantons gewesen ? Er sah unwillkürlich zurück zur Tür, als rechne er damit, den Mann noch dort stehen zu sehen. Aber er war verschwunden, vermutlich schon halb die Treppe hinab, wenn ein Hexer von solcher Macht es überhaupt auf sich nahm, die Stufen zunehmen.

,, Ich denke er wollte sich nur davon überzeugen, das alles In Ordnung ist.“ , sprach Zachary derweil weiter und streckte eine Hand aus. Fast im selben Moment flatterte Sentine von Lias Schulter auf die ausgestreckte Linke des Magiers und verwandelte sich in einen Kauz. ,, Wir kennen uns schon lange.“

Offenbar, dachte Galren. Aber von dem was er von dem Gespräch mitbekommen hatte, war Quinn nicht bloß um Zacharys Sicherheit besorgt gewesen. Er hatte tatsächlich wütend geklungen. Es ergab alles keinen Sinn und vielleicht wollte er die Antwort auch gar nicht wissen. Besser er überließ Dinge der Magie den Zauberern. Er hatte im Augenblick seine eigenen Ziele. Und genau deshalb waren sie ja überhaupt hier. Jetzt war der Moment gekommen in dem sich endgültig herausstellen würde, ob sie Erfolg haben würden oder den Rückweg antreten könnten.

,, Also, was verschafft mir die Ehre eures Besuchs ?“ , fragte Zachary und Sentine erhob sich mit wenigen Flügelschlägen wieder in die Luft und kehrte zu Armell zurück. Nach wie vor wusste Galren nicht, was er von dem Mann halten sollte. Bisher schien sein erster Eindruck einfach allem zu wiedersprechen, womit er gerechnet hatte. Ein Mann, der sich derart isolierte, wie Zachary de Immerson musste seine Geheimnisse haben. Und doch schien er sich ernsthaft über Armells Anwesenheit zu freuen und auch Lias und Galren nickte er kurz zu, während er auf eine Antwort wartete.

,, Ich denke ich muss euch um einen Gefallen bitten.“ , erklärte Armell schließlich. ,, Aber vielleicht besprechen wir das nicht hier ?“

Zachary zuckte mit den Schultern. ,, Wenn ihr glaubt jemand könnte lauschen, bezweifle ich das. Ich merke so etwas für gewöhnlich.“

Galren, musste sich zusammenreisen um keine Miene zu verziehen und er merkte, wie selbst Lias kurz mit sich zu kämpfen hatte. Trotz aller Mühe musste der Magier jedoch etwas gemerkt haben, denn plötzlich begann er schallend zu lachen.

,, Götter und Geister ihr solltet eure Gesichter sehen.“ , meinte er um Atem ringend. ,, Kommt, kommt, ich schätze wir haben einiges zu besprechen wenn ihr extra den weiten Weg von Hamad hierhergekommen seid.“ Er gab ihnen ein Zeichen ihm in die Bibliothek zu folgen und weiter durch eine andere Tür in einen weiteren Gang. Das Haus wirkte von außen nicht nur groß, wie Galren feststellte, es war tatsächlich unglaublich weitläufig. Und plötzlich gespenstisch ruhig, wenn man vom Geräusch  ihrer eigenen Schritte absah…

 

Kapitel 15 Der Schüler

 

 

 

 

 

Es war schön wieder hier zu sein, dachte Armell, während sie Zachary durch die leeren Gänge des Anwesens folgten.  Die anderen mochten das nicht verstehen, aber Zachary hatte sich über die Jahre die sie jetzt Freybreak regierte  als mächtiger Fürsprecher erwiesen. Und als Freund… Auch wenn sie ihn in letzter Zeit immer seltener gesehen hatte, wenn es eines gab, das sie wusste, dann das man sich auf ihn verlassen konnte. Ansonsten wäre sie das Risiko nie eingegangen Obarst Angebot anzunehmen. Wenn sie bei dieser Wette den Kürzeren Zog wäre alles verloren. Vermutlich würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als ihrem Onkel die Kontrolle über die Stadt zu überlassen… Aber das würde sie nicht zulassen.

Zachary führte sie in einen kleinen Saal, der sich irgendwo am Westende des Anwesens befinden musste. Durch die hohen Fenster viel trübes Sonnenlicht und sie konnten das verschneite Grundstück sowie einen Teil Silberstedts sehen. Schwere, dunkle Vorhänge erlaubten es bei Bedarf die Fenster zu schließen um die Kälte draußen zu halten und in den Ecken des Raumes standen weitere, brennende Kohlebecken. Erst auf den zweiten Blick stellte sie schließlich fest, dass sie nicht alleine hier waren.

Der einzelne Mann, der am Ende eines langen Tisches in der Saalmitte stand, wirkte etwas verloren. Beinahe hätte man den Eindruck gewinnen können in seinen erdbraunen Roben würde er den Versuch wagen, sich hinter den hohen Lehnstühlen zu verstecken und tatsächlich trat er unsicher einen Schritt zurück, als er die Gruppe Fremder bemerkte, die den Raum betraten.  Aufgeregt glänzende, grüne Augen spähten unter den etwas ungepflegten, hellbraunen Haaren hervor.

,, Ich denke ihr erinnert euch noch an meinen Schüler ?“ , fragte Zachary während er dem jungen Mann bedeutete, näherzukommen. Dieser folgte der Aufforderung nur zögerlich und man hätte wohl wirklich den Eindruck gewinnen können,  das er tatsächlich mehr ein Junge als ein fast  erwachsener Mann sein. Die nur unsauber geschnittenen Bartstoppeln in seinem Gesicht taten ihr Übriges.

,,Merl, oder ?“ , meinte Armell, als der Mann nähertrat. ,, Es ist eine Weile her, aber ich weiß sogar noch, wie ihr hierherkamt. Ihr könnt damals nicht mal Zehn gewesen sein.“ Wobei sie selber kaum Älter gewesen war. Sie hatten damals im Hof zusammen gespielt, während ihre Eltern mit Zachary sprachen. Die Schneeballschlacht, die sie sich damals geliefert hatten war allerdings deutlich zu ihren Gunsten ausgegangen.  ,, Ich hoffe ihr könnt inzwischen zumindest zielsicherer werfen.“ Es war seltsam so weit zurückzudenken, an die Zeit, wo sie noch keine Stadt zu verwalten gehabt hatte.

Ein verschüchtertes Lächeln trat auf Merls Züge. ,, Es freut mich, das ihr mich noch kennt.“ 

Er machte eine kurze Verbeugung, die etwas linkisch geriet, während Zachary sie an den Tisch winkte. Merl nahm neben ihm Platz, während Armell, Lias und Galren sich einen Platz ihnen gegenüber suchten.

,, Also ? Ich denke es ist an der Zeit, dass ihr mich einweiht, Armell. Warum seit ihr hier?“

,, Das zu erklären könnte etwas dauern.“ , meinte sie. ,, Am besten ich fange mit meinen Begleitern an. Das sind Lias von  Helike und Galren Lahaye , aus  Maillac.“

,, Ein Gejarn aus Laos.“ , stellte Zachary überrascht fest. ,, Es ist eine Weile her, das mir einer eures Volkes über den Weg gelaufen ist. In meiner Jugend habe ich ein paar eurer Archonten kennenlernen dürfen.“

Lias nahm die Worte des Zauberers mit einem Nicken zur Kenntnis aber Armell entging nicht, wie er die Stirn runzelte.  Vermutlich überlegte er, woher ein Magier aus Canton einen Archonten kennen sollte, aber zumindest schien es ihn etwas von seiner stetigen Vorsicht abzulenken. Und vielleicht war das auch genau Zacharys Absicht gewesen, wer wusste das schon…

,, Klingt so, als wärt ihr nicht zu begeistert von dieser Begegnung gewesen.“ , meinte Lias.

,, Wie man es nimmt, ein paar von ihnen haben immerhin versucht meine Freunde zu töten. Allerdings hat Laos dafür einen von ihnen getötet.“

,, Ihr seid Laos begegnet ?“ Armell war sich sicher, wäre Lias nicht wieder eingefallen, wo er sich befand, er wäre  sicher aufgesprungen. ,,  Unser großer Lehrer kehrte vor zwanzig Jahren zu uns zurück, wie es die alten Prophezeiungen voraussagten nur um uns erneut zu verlassen, als die Bedrohung vorbei war. Und ihr habt damals wirklich  mit ihm gesprochen?“

,,Mit seinem  Schatten, wenn man so will, ja. Ein interessanter Mann.“ Was Lias noch an Feindseligkeit für Zachary übrig gehabt haben mochte, schien im gleichen Augenblick zu verschwinden und eher so etwas wie stummer Ehrfrucht zu weichen. Erneut wusste Armell nicht ob der Magier nicht genau darauf hinausgewollt hatte oder nicht. ,, Aber nach wie vor weiß ich nicht, was euch hierherführt.“

,, Man könnte sagen, mein Vater.“ , mischte sich Galren ein. ,, Er verschwand vor einigen Jahren auf einer Expedition Richtung Westen. Zur Nebelküste. Und ich habe vor ihm zu folgen.“ Offenbar wollte er Zachary nichts von der Karte verraten. Armell war sich nicht sicher, ob sie dem Magier nicht doch alles sagen wollte. Aber wenn Galren etwas zurückhalten wollte… war das seine Sache. Die Karte war nicht wichtig, außer wenn Zachary ihnen die Erlaubnis verwehren wollte. Und das würde er nicht.

,, Und ihr wollt ihm dabei helfen, vermute ich ?“ , fragte Zachary weiter. ,, Das ist kein einfaches Unterfangen, Armell. Bis heute haben hunderte Versucht, die Nebelküste zu erreichen. Keiner, der sie je von nahem gesehen hätte, ist zurückgekehrt.“

,, Ich habe keine Wahl.“ , erklärte sie mit fester Stimme. ,, Freybreayk stirbt, das wisst ihr selber. Aber wenn diese Expedition Erfolg hat, könnte das alles ändern. Und ich habe mir bereits das nötige Geld für diese Expedition geliehen. Es gibt kein Zurück für mich.“

,, Ich verstehe. Und haltet ihr das für eine gute Idee?“

Armell zögerte. Wenn sie ehrlich war, dann nein. Aber sie würde Zachary gegenüber sicher nicht zugeben, dass Obarst vielleicht zum Problem werden könnte. Das ging nur sie etwas an.

,, Obarst wird keine Dummheiten wagen.“ Zumindest hoffte sie das nach wie vor.

Zachary seufzte. ,,  Euer Onkel, natürlich… Ich bin bereits an den Kaiser herangetreten ob er nicht etwas gegen ihn unternehmen könnte, aber Kellvian fürchtet wohl, das die Stadt gänzlich verfallen könnte, wenn er Obarst direkt ausschaltet.“

Womit er recht hatte, dachte Armell bitter. So ironisch das war, Obarst hatte sich zur letzten großen Einnahmequelle für die Stadt gemacht. Er war der letzte der noch neue Waren und ab und an vielleicht auch einen Händler nach Freybreak lockte…

,, Aber wir haben zumindest euren Segen für unser Vorhaben ?“ , stellte sie schließlich die Frage, die sie überhaupt erst hierher gebracht hatte.

,, Ich verlangt von mir, das ich euch die Erlaubnis gebe, eine Reise anzutreten von der ihr vielleicht nicht zurückkehrt.“ , stellte Zachary unruhig fest.

,, Das aber ist meine eigene Entscheidung.“ , entgegnete Armell und Sentine, die wieder ihren gewohnten Platz auf ihrer Schulter angenommen hatte, unterstrich diese Worte noch und nahm die Gestalt einer böse dreinschauenden  Eule an.

Zachary lächelte kaum merklich, antwortete jedoch nicht sofort. Langsam wanderte sein Blick zwischen den Anwesenden hin und her, erst zu Galren, dann wieder zu Armell und zu Lias und schließlich auch zu Merl. Einen Moment war selbst sie sich nicht mehr so sicher, wie seine Antwort ausfallen würde. Er wollte nicht derjenige sein, der sie in den Tod schickte, das spürte Armell. Aber gleichzeitig hatte sie gar keine Wahl, oder nicht? Wenn er sie jetzt abwies war Freybreak verloren. Zachary musste wissen wie viel ihr das alles bedeutete.

Nach wie vor Antwortete der Zauberer nicht, während er seinen Schüler musterte, der den Blick starr vor sich auf den Tisch gerichtet hielt. Was hatte er nur vor?

,, Mit einem habt ihr recht.“ , sprach er schließlich. ,, Es ist eure Entscheidung und so wie ich das sehe habt ihr sie bereits getroffen. Wenn ihr gehen wollt, so werde ich euch nicht daran hindern. Aber eine Bedingung muss ich stellen.“

,, Was immer es ist ihr habt bereits mein Wort.“ , erklärte sie.

,,Ich will, das mein Schüler euch begleitet.“ Armell hatte mit vielem gerechnet, aber sicher nicht damit. Unsicher sah sie zu Merl, der seinen Lehrmeister nur mit einer Mischung aus entsetzen und Verwirrung ansah.

,, Nein… Nein das…“ Merl zögerte und sah zum ersten Mal auf . Sein Gesicht wirkte gerötet und seine Augen sahen gehetzt von einem zum anderen. ,, Meister Zachary hat mir viel beigebracht, Herrin. Aber ich bin noch weit davon entfernt meine Gabe voll zu beherrschen. Ich würde euch eher im Weg sein deshalb… Verzeiht aber Nein.“

,, Ich glaube nicht, das das der Fall sein würde.“ , meinte Armell. ,, Im Gegenteil. Ob eure Ausbildung nun abgeschlossen ist oder nicht, die Hilfe eines Zauberers kann man immer gebrauchen. Aber es ist eure Entscheidung. Genauso wie es meine ist, diese Reise anzutreten. Ich würde mich jedoch Freuen wenn ihr mitkommt.“

,, W… Wirklich ?“ Merl wirkte nach wie vor verunsichert, schien aber plötzlich ein Stück weniger eingeschüchtert. ,, Ich meine… Ich glaube einfach nicht, das ich dafür bereit bin. Ich habe die letzten Jahre meines Lebens alle hier verbracht, Armell. Also… nicht wie ihr…“

Damit zumindest hatte er Recht. Aber was machte das? Langsam glaubte sie zu verstehen, was Zachary diesmal bezweckte. Tat dieser Mann eigentlich jemals etwas ohne eine genaue  Absicht? Merl war kein schlechter Kerl, das wusste sie. Aber er war unsicher… Vielleicht könnte sich das ändern wenn er mehr von der Welt sah als die Bibliotheken und Hallen im Rabenkopf.

,, Vielleicht sollten wir das Morgen weiter besprechen.“ , meinte Zachary. ,, Würdet ihr mir einen Tag Bedenkzeit geben und…“ Er beendete den Satz nicht, aber Armell wusste was unausgesprochen blieb. Er wollte Zeit um mit Merl zu reden. Offenbar war Zachary selbst klar, dass er den jungen Zauberer grade ziemlich überfallen hatte.

,, Mir soll es recht sein.“ , antwortete sie .,, Dann kann ich anfangen alles weitere zu Planen. Wir haben einige Besorgungen zu erledigen und ich muss erst einmal ausrechnen wie viel Geld wie für was überhaupt zur Verfügung haben.“

,, Dann setzten wir dieses Gespräch morgen fort.“ , meinte Zachary und stand auf. ,, Ich denke ihr werdet in der Stadt ein Gasthaus finden. Wenn ihr euch beeilt seit ihr noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder in Silberstedt.“

,, Verzeiht, aber könnten wir nicht hier oben bleiben ?“ , wollte Galren wissen.

,, Nein.“ , antwortete der Zauberer kühl. Beinahe hätte man den Eindruck gewinnen können, es wäre gar nicht mehr der freundliche, zurückhaltende Mann, mit dem sie bis eben gesprochen hatten… sondern irgendjemand gänzlich anderes. In dem einen Wort schwang genug Nachdruck mit, das der junge Mensch gar nicht erst zu einer Erwiderung ansetzte. ,, Dieser Ort ist nicht so sicher, wie er zu sein scheint. Besonders bei Dunkelheit. Es gibt einen Grund warum ich alles tue um Fremde fern zu halten.“

,, Dann sehen wir uns morgen.“ , stellte Armell fest, während sie den anderen ein Zeichen gab ihr zu folgen. Zachary blieb mit Merl zurück, nickte ihnen aber zum Abschied zu. Der kurze Moment der Kälte war vergangen und der Mann wieder genauso gesetzt und ruhig wie zuvor. Erst, als sie ein Stück den Flur hinab gegangen waren, wagten es die anderen wieder zu sprechen.

,, Das war… anders als ich erwartet habe.“ , stellte Lias fest und klang dabei beinahe erleichtert. ,, Vielleicht würde ich ihm nicht den Rücken zudrehen wenn ich die Wahl habe , aber das würde ich bei keinem Magier.“

,, Schön zu sehen das deine Vorurteile noch da sind.“ , meinte Galren grinsend.

,, Was heißt hier Vorurteile ?“ , wollte der Gejarn wissen. ,, Im Gegensatz zu dir habe ich schon gesehen was ein Magier anrichten kann, wenn er es darauf anlegt. Und jetzt soll uns einer begleiten?“

,, Sagt mir nicht, ihr haltet Merl für eine Bedrohung ?“ , wollte Armell wissen.

,, Ihr kennt ihn schon länger, oder ?“

Sie nickte. ,, Er kam hier an, als ich selbst noch ein Kind war. Soweit ich weiß ist er ein Kriegsweise aus dem Bürgerkrieg. Zachary hat ihn hier aufgenommen. Wohlgemerkt ohne den Ordne zu informieren.  Meine Eltern sind damals mindestens einmal im Jahr nach Silberstedt gereist und damals hat mich die ganze Politik des Kaiserreichs nicht wirklich interessiert. Wir haben uns immer raus geschlichen. Na ja…“ Sie grinste. Erinnerungen, wieder einmal. Und liebgewonnen noch dazu.  Das war ein sorgenfreieres Leben gewesen, als die schwerste Frage mit der sie sich zu beschäftigen hatte die war, ob sie Merl einen weiteren Schneeball ins Gesicht werfen sollte. ,, Ich habe mich jedenfalls rausgeschlichen und Merl davon überzeugt mitzukommen. Er ist etwas unsicher, aber wartet bis ihr ihn kennenlernt er ist… Wartet es einfach ab.“

 

Kapitel 16  Bereitschaft

 

 

 

Merl konzentrierte sich. Das Licht über seiner Handfläche wurde heller und begann zu flackern, während er sich darum bemühte, den Zauber aufrecht zu erhalten. Er konnte spüren, dass er kurz davor stand, die Kontrolle zu verlieren. Immer wieder schwankte der Strom der Lebensenergie, die er in den faustgroßen Ball aus glühender Elektrizität lenkte.

,,Konzentrier dich.“ , drang Zacharys Stimme zu ihm durch. Ihm standen Schweißperlen auf der Stirn. Natürlich war er abgelenkt, dachte Merl. Aber das war auch kein Wunder immerhin hatte sein Meister vor ihn wegzuschicken. Mit Armell… und den anderen.  Er wagte es kurz den Blick zu heben und einen Blick quer über den Raum in Zacharys Richtung zu werfen, doch die Mine des Zauberers war unleserlich und steinern. Erneut flackerte der Zauber in Merls Händen und wäre erloschen, wenn er sich nicht im letzten Moment gefangen hätte. Vielleicht hatte er Recht. Er konnte jetzt nicht darüber nachdenken oder er würde die Übung ruinieren. Das tat er sowieso schon… Merl schob sein bewusstes Denken beiseite, beinahe wie einen Vorhang und erlaubte sich ganz in den Strom aus Magie einzutauchen, der durch seinen Körper floss. Es spielte keine Rolle mehr, was sonst war alles was zählte, war der Zauber, in seiner klaren, vollendeten Form. Das Licht in seinen Händen stabilisierte sich und wurde heller. Zuerst ging das schwach gräuliche Leuchten in einen gelben Ton über, wurde dann rot und blau bis sich ein grelles, weißglühendes Inferno knapp über den Händen des jungen Magiers sammelte…

Merl wagte es kaum, die Augen wieder zu öffnen. Das Licht blendete ihn selbst durch die geschlossenen Lieder noch und vertrieb sämtliche Schatten aus dem Raum.  Er konnte jeden Riss in den dunklen Holzwänden erkennen, jede Fuge im Boden und selbst die Adern in seiner Hand und seinem Arm, die als dunkle Linien aus der vom Licht durchschienenen Haut hervortraten.

Wären die Vorhänge nicht geschlossen gewesen, vermutlich hätte man das Strahlen noch bis weit in die Berge um Silberstedt hinein sehen können.  Er sah zu Zachary, der zufrieden nickte und tatsächlich ein kaum merkliches Lächeln aufsetzte.

,, Gut gemacht. Jetzt lösch es wieder.“

Merl tat wie ihm geheißen und versuchte in den meditativen, ruhigen Zustand zurückzukehren, in dem er den Zauber gewirkt hatte. Diesmal jedoch wollte es ihm einfach nicht gelingen. Seine Gedanken blieben die ganze Zeit im Vordergrund, störten ihn, wie ständiges Geflüster… Die Verbindung zwischen seiner Lebenskraft und dem Zauberer verlosch nicht langsam wie geplant sondern riss mit einem Schlag ab. Es gab keinen Übergang zwischen Licht und Dunkel. Die Sphäre aus weißem Licht fiel sofort in sich zusammen, während Luft in das plötzlich entstandene Vakuum strömte. Die Kerzen an den Raumwänden wurden ausgeblasen, Stühle, Tische und Kohlebecken umgeworfen und in seine Richtung geschleudert. Merl konnte nur wie erstarrt zusehen, wie die Metallenen Geschosse auf ihn zu jagten, getrieben von dem Sturmwind den er entfacht hatte… Bevor er jedoch getroffen wurde, stellte sich ein Schatten vor ihn. Zachary…

,, Ich habe dir gesagt du sollst dich konzentrieren.“ , rief er, während er im gleichen Moment einen Schild um sie erschuf. Die schimmernde Barriere nahm innerhalb eines Herzschlages Gestalt an, nicht flackernd und, mühevoll wie bei ihm selbst. Kerzen, Möbel und Kohlebecken prasselten harmlos gegen die türkisfarbene Mauer in der Luft, während Zachary den Kopf gesenkt dastand. ,, Vielleicht ist es doch keine so gute Idee, dich mit ihnen gehen zu lassen.“ , murmelte er, klang dabei jedoch nicht böse. Zachary klang ohnehin niemals böse, dachte Merl. Enttäuscht ja. Das hatte er oft genug erlebt. Aber r hätte Mitleid mit jedem, der es einmal schaffte diesen Mann dazu zu bringen ernsthaft wütend zu werden…

,, Warum besteht ihr überhaupt darauf ?“ , wollte Merl wissen. ,, Ihr seht es doch… ich bin noch nicht so weit. Das bin ich vielleicht nie ich… Ich bin nicht ihr, Meister.“ Die Gestalt des jungen Zauberers sackte sichtlich in sich zusammen. Der braune Umhang um seine Schultern schien wie ein Gewicht, das ihn zu Boden zog.

Zachary legte ihm freundlich eine Hand auf die Schulter.

 ,, Und glaubst du ich würde dich mit ihnen schicken wenn ich nicht vollkommen von dir überzeugt wäre ?“ , fragte er sanft. ,, Ich habe dich nicht als Schüler genommen weil du zufällig da warst, Merl. Ich habe dein Potential gesehen. Erinnere dich immer daran. Eines Tages, Junge, wirst du auf diesen Tag zurückblicken und das als ein Mann, der selbst mich bei weitem Überflügeln wird. Glaubst du das?“

Merl schüttelte  den Kopf. Nein ganz sicher nicht. Wen, dann hatte Zachary sich geirrt. Er beherrschte mit Mühe die Grundlagen  und einig wenige fortgeschrittene Zauber. Und jedes Mal wenn Zachary weiter gehen wollte… geschah so etwas wie heute.

,, Und doch hätte ich dich nie auserwählt wenn es nicht stimmen würde. Du hast eine Gabe und ich meine damit nicht nur die Magie. Etwas, das ich nie sein oder beherrschen könnte. Geh mit ihnen. Ich kann dich nur darum bitten, nicht dir befehlen. Es ist deine Entscheidung.“

,, Ich wollte nur nie so…“ Merl zögerte. Ja was eigentlich ? Fortgeschickt werden? Aber Zachary schickte ihn nicht weg, er stellte ihn nur vor die Wahl. Und wenn er sich dagegen entschied, nichts würde sich ändern. Sein Meister wäre vielleicht enttäuscht ja… aber hielt er ihn wirklich für bereit?

,, Ihr seid euch wirklich sicher, dass ich es schaffen kann ?“

,, Wenn du einen weiteren Beweis dafür brauchst, warte bis Morgen, wenn die anderen zurückkommen.“ , meinte der Zauberer lächelnd. ,, Und Armell vertraut dir anscheinend auch.“

,, Sie weiß ja auch nicht, das ich uns grade fast umgebracht hätte.“ Und doch war der Gedanke sie alleine ziehen zu lassen fast beunruhigender als sie zu begleiten… und sich zu blamieren.

,, Genau dafür bin ich ja hier. Jeder macht Fehler, Merl. Ein Zauberer ganz besonders. Es ist nur wichtig, das er aus ihnen lernt.“

,, Ich weiß ja nicht mal… was ich verkehrt gemacht habe. Ich habe einfach… Ich habe mich nicht konzentrieren können.“ Er wusste selber gut genug, dass das nur Teil des Problems war. Er hatte den Zauber doch heraufbeschworen, genau wie Zachary es von ihm gewollt hatte.  Aber dann hatte er einfach nicht mehr aufgepasst…

,, Wenn der richtige Moment kommt, wirst du es.“

,, Habt ihr die anderen deshalb angelogen ?“ , wollte Merl wissen. ,, Um mit mir alleine sprechen zu können? Ich meine, das es gefährlich hier oben ist.“

,, Ich habe nicht wirklich gelogen.“ , antwortete Zachary ruhig. Der hochgewachsene Zauberer trat ans Fenster und sah auf die vom Mondlicht beschienene Stadt hinaus. Es musste bereits kurz vor Mitternacht sein, dachte Merl. Trotzdem hatte sein Meister noch auf diese Übung bestanden. Langsam verstand er auch wieso. Es gab viel zu bereden nach heute… Und morgen würde das wohl kaum anders sein.  ,, Du hast den Großteil deines Lebens hier verbracht, aber für jemanden der nicht weiß, worauf er zu achten hat für jemanden ohne magische Begabung kann es hier durchaus gefährlich werden. Besonders, wenn er sich an Orte verirren sollte, die ihn nichts angehen. Ich riskiere nicht das Schicksal dieser Stadt oder gar Welt nur weil jemand zufällig nachts durch das Anwesen irrt.“

 

Galren trat einen Stein über das Pflaster der Straße. Das leise klackende Geräusch war der einzige Laut in den schon im Dunkeln liegenden Straßen Silberstedts. Von dem Markt, den sie bei ihrer Ankunft hier überquert hatten waren nur verlassene Holzbuden und im Mondlicht silbrig-grauen Banner geblieben, die sich sanft im Wind wiegten. Frische Eiskristalle bildeten sich an den Scheiben der Häuser und auf dem Stoff der Flaggen, als wären sie mit Diamantstaub überkrustet.

,, Ich weiß nicht wie ich es sagen soll…“ , begann Lias zögerlich. Der Gejarn hatte auf dem Weg den Berg hinab kaum ein Wort gesagt. ,, Ich habe mich vorhin wirklich wie ein Idiot benommen.“

Galren blieb stehen und drehte sich zu dem Gejarn um. ,, Was meint ihr ?“

Auch Armell war mittlerweile aufgefallen, das die anderen ihr nicht mehr folgten und trat schweigend wieder zu ihnen. Sentine hatte sich erneut als Zaunkönig irgendwo unter ihrer Kapuze vor der Kälte in Sicherheit gebracht.

,, Ich habe euch bereits erklärt, wie mein Volk zu Zauberern steht. Aber eigentlich hatte ich gehofft, das hinter mir gelassen zu haben. Leute nicht mehr nach dem zu beurteilen was sie sind…“ Er drehte sich zu Armell  ,, Ich schätze euer Lord Zachary hat mich wieder daran erinnert.  Er ist kein schlechter Mann, auf keinem Fall. Aber es ist schwer zu vergessen was einem ein Leben lang beigebracht wurde. Verzeiht.“

Galrne konnte spüren, wie schwer es dem alternden Krieger fiel, um Entschuldigung zu bitten. Lias wusste, wenn er einen Fehler gemacht hatte, das hieß jedoch nicht, dass sein Stolz auch einfach zuließ, dass er das zugab.

 Armell lächelte. ,, Wisst ihr eigentlich wie es mir ging als ich ihm das erste Mal begegnete ? Man erwartet einfach nicht das jemand der sich so verschließt jemand mit so einer Macht so… normal sein könnte, wie?“

,, Er ist offenbar auf dem Boden geblieben, wo sein Vater den Verstand verloren hat.“ , stimmte Lias zu. ,, Ich  war nicht selbst dabei aber ich habe Berichte über die letzte Schlacht um Silberstedt gehört. Obwohl er keine Chance mehr hatte hat er seine Männer fast alle in den Tod geschickt anstatt sich zu ergeben und wenigstens ein paar Leben zu retten.“

,, ich hätte nicht gedacht, das du so etwas verwerflich finden würdest.“ , meinte Galren.

,, Es gibt einen Unterschied darin  Leben in einer Schlacht zu opfern die man nicht gewinnen kann um sich selbst zu retten oder ob man es tut um andere zu schützen.“ Der Gejarn unterstrich seine Worte mit einer wegwerfenden Geste. ,, Ersteres ist nicht entschuldbar, es sei denn mit Wahnsinn. Besser ich gehe davon aus, der alte Lord de Immerson war Verrückt, als das ich ihm vorwerfe aus Kalkül gehandelt zu haben. Es gab nur einen einzigen Punkt in der Geschichte meines Volkes wo ein Heerführer etwas Vergleichbares tat.“

,, Und was ist passiert ?“ , wollte Galren wissen.

,, Das war wenige Jahre  nach dem Laos die Drachenkönige aus Helike vertrieben hatte. Er hatte die befreiten Menschen und Gejarn unter seinem Banner vereinigt und schickte nun seine Truppen aus, die letzten großen Drachen zu vernichten. Dabei geriet eines dieser Heere in einen Hinterhalt… Eigentlich hätten die Kommandanten den Rückzug anordnen müssen doch das taten sie nicht. Stattdessen befohlen sie ihren Männern die Stellung zu halten und flohen zurück nach Helike. Sie waren die einzigen, die diesen Tag überlebten. Ihre Männer jedoch, die hätten gerettet werden können wären ihre Anführer nicht geflohen starben, jeder einzelne…“

,,  Was hat Laos getan, als er davon erfuhr ?“

,, Er hat sie getötet. Jeden einzelnen.“

Armell verzog das Gesicht. ,, Leute hinzurichten die einem missfallen  ist also ehrbarer als zu fliehen ?“

Lias schüttelte den Kopf. ,, Ich glaube ihr missversteht mich wenn ich sage, dass er sie tötete. Er hat sie nicht hinrichten lassen… sondern zum Zweikampf herausgefordert. Jeden einzelnen von ihnen. Das war einer der wenigen Fälle in denen keine Totenfeier für einen gefallenen Krieger abgehalten wurde.“

,, Trotzdem wenn sie derart unterlegen waren…“ Armell schüttelte den Kopf. ,, Ob ihr es eine Hinrichtung nennt oder nicht, für mich klingt es wie eine.“

Galren wusste nicht, was er davon halten sollte, während sie ihren Weg durch die Straßen fortsetzten. Es war schon spät und wenn sie noch ein Gasthaus mit freien Zimmern finden wollten, müssten sie sich wohl beeilen. Aber selbst wenn sie heute auf dem Boden der Kutsche schlafen müssten…sie waren  ihrem Ziel ein gewaltiges Stück nähergekommen, dachte er. Zachary hatte seine Zustimmung heute praktisch bereits gegeben. Damit stand ihnen nichts mehr im Weg.  Er sah in Richtung Osten, etwa dorthin wo Hamad liegen musste. Bald würden sie sich abermals auf dem Meer wiederfinden und diesmal würde es keine nahe Küste geben… Gedankenverloren tastete er nach der Karte, die in einer Lederhülle an seinem Gürtel hing.

,, Das ist euch wirklich wichtig, oder ?“ , fragte Armell. ,, Ich meine eurem Vater zu folgen… warum auch immer ihr euer Leben dafür aufs Spiel setzen wollt.

,, Ich dachte eigentlich, das wäre offensichtlich.“ , meinte er unsicher. ,, Ich… Vielleicht habe ich nach den ganzen Jahren der Ungewissheit einfach… mehr erwartet, versteht ihr? Eine endgültigere Antwort. Was ich bekommen habe war ein Stück Papier und mehr Fragen als je zuvor. Aber möglicherweise kann ich ein paar davon beantworten, wenn ich ihm folge. Und wenn nicht… vielleicht kann ich dann zumindest damit abschließen. Zumindest werde ich nicht einfach aufgeben, egal was noch kommen mag.“

,, Ich wäre vorsichtig mit diesen Worten.“ , stellte LAIs fest. ,, Unsere Reise hat bisher nicht einmal wirklich begonnen.“

,, Nein…“ Dessen war er sich selbst nur zu gut bewusst. Aber es änderte nichts. Es würde von hier aus nur schwerer werden, aber er war bereit sich dem zu stellen. Sie hatten die oberen Bezirke Silberstedts mittlerweile hinter sich gelassen und die Häuser um sie herum wurden weniger prunkvoll. Stein wich mit Schnitzereien verzierten Holz und aus den Glasfenstern wurden mit Laden verriegelte Öffnungen. Doch ein Stück die Straße hinauf drang warmer Lichtschein aus einem Gebäude, das ein großes Schild als Gasthaus auswies. Vielleicht hatten sie ja Glück, dachte Galren und sie fanden auf Anhieb eine Bleibe. Bevor er jedoch dazu kam, die anderen darauf hinzuweisen, hörte er ein Geräusch hinter ihnen , das ihm das Blut in den Andern gefrieren lies. Das Schaben einer Klinge, die aus ihrer Schiede gezogen wurde…

Vielleicht war er doch nicht so bereit, wie er gedacht hatte.

 

 

Kapitel 17 Besuch

 

 

 

Als Galren sich umdrehte, sah er grade noch, wievier  Gestalten aus einer Gasse heraustraten. Selbst ohne die Waffen, die in ihren Händen blitzten er wusste sofort, dass diese Männer nichts Gutes bedeuten konnten. Lias fragte gar nicht erst, sondern zog sofort seine eigene Waffe, während Armell und er langsam zurückwichen.

,, Sind sie das ?“ , fragte einer der vermummten Männer.

Sein Gefährte nickte nur, während Galren und die anderen noch wie erstarrt dastanden. Ihre vier  Gegner fächerten langsam aus, während sie den alternden Krieger musterten. Für einen Moment glaubt Galren einen Ausdruck der Unsicherheit auf dem Gesicht des Gejarn zu sehen, während die Fremden näher kamen. Das waren keine simplen Diebe, die es auch ihre Wertsachen abgesehen hatten, dafür waren sie zu gut bewaffnet. Unter den schwarzen Mänteln, die sie trugen reflektierte ein Brustharnisch  das Mondlicht. Zum ersten Mal seit sie aufgebrochen waren verspürte Galren  einen echten Hauch der Angst. Das hier war genau wie damals im Krater... als Lias ihn gerettet hatte. Aber seit dem war viel Zeit vergangen, dachte er. Und er war auch kein Kind mehr.

Langsam wanderte seine Hand zum Griff seiner eigenen Waffe. Das Gewicht des Schwerts war nach wie vor ungewohnt… aber jetzt würde sich zeigen müssen ob er damit umgehen konnte. Zumindest gut genug um sich selbst zu verteidigen. Die Luft um die Klinge schien im leisen Singsang des Stahls zu vibrieren, als er Atrun schließlich zog. Lias hatte den Namen wirklich treffend gewählt, dachte er. Das Mondlicht, das auf die Waffe fiel brachte die kristalline Klinge von inne heraus zum Glühen. Jetzt konnte er nur hoffen, dass das Sterneneisen seinem Ruf gerecht wurde.

Armell zog unterdessen einen langen Dolch aus ihrem Ärmel, während Sentine mit einem Schlag auf ihrer Schulter auftauchte, diesmal in Gestalt eines Falken mit scharfen Krallen. Wenn ihre vier Gegner davon überrascht waren, so zeigten sie es jedenfalls nicht, während die drei Gefährten langsam vor ihnen zurückwichen. Der kurze Moment der Ruhe, der ihnen noch geblieben war, endete, als zwei der Männer sich auf Lias stürzten. Vielleicht hielten sie den hinkenden Gejarn einfach für die leichtere Beute… doch wenn dem so war, dann hatten sie sich getäuscht. Lias parierte den ersten Hieb. Die Klingen trafen klirrend aufeinander… doch bevor sich ein Patt bilden konnte, versetzte der Gejarn seinem Gegner einen Stoß, löste das Schwert und stieß erneut zu. Diesmal verfing sich die schneide seiner Waffe im Korb des Rapiers, den sein Gegner nutzte und Lias verdrehte mit einer Bewegung der Hand das Handgelenk des Mannes. Mit einem Aufschrei lies dieser die Waffe los, die daraufhin scheppernd auf dem Straßenpflaster aufschlug.

Der zweite Angreifer, der nun seine Chance gekommen war, war derweil in die Flanke des Gejarn gekommen und stieß mit der Klinge zu. Im gleichen Moment jedoch hatte Lias seinen ersten Gegner gepackt und schleuderte ihn dem anderen Mann in den Weg. Beide gingen polternd zu Boden, rappelten sich jedoch schnell wieder auf. Mit einem hatte Lias recht gehabt, dachte Galren. Das waren keine simplen Räuber… die wären geflohen wenn ihre Opfer derart Gegenwehr geleistet hätten. Der Mann, der seine Waffe verloren hatte, zog nun eine Steinschlosspistole unter seinem Mantel hervor und richtete sie auf den Gejarn, während die übrigen drei nun gemeinsam Vordrangen.

Galren zögerte. Wenn er jetzt nichts tat, wäre dieser Kampf gleich entschieden. Aber er war kein Krieger. Lias war der einzige von ihnen der überhaupt so etwas wie Kampferfahrung  besaß… und das würde nicht ausreichen. Bevor er noch lange darüber nachdenken konnte, trat Galren vor, Atrun mit beiden Händen umklammert. Angst, beinahe schon nackte Panik streckte ihre Finger nach ihm aus und kalte Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. Und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Die vier  Männer gingen zeitgleich auf sie los, zwei erneut auf Lias und zwei auf ihn, wie Galren entsetzt feststellte. Doch nur einer der Männer kam an ihn heran. Der andere, der den Lias zuvor entwaffnet hatte,  wurde noch bevor er zwei Schritte machen konnte, von etwas großem, federbewährtem ins Gesicht getroffen. Heulend taumelte er zurück, während ihm der Falke, Sentine, das Gesicht zerkratzte... Dem Geistwesen knapp auf den Fersen folgte bereits Armell, die nach wie vor das Messer in der Hand hielt. Ihr Gesicht hatte etwas kaltes, entschlossenes, etwas, das Galren noch nicht bei ihr gesehen hatte. Der Mann, der sich nach wie vor gegen den Falken wehrte, sah es offenbar auch. Und bekam es mit der Angst zu tun. Mit einem Aufschrei schleuderte er den Vogel von sich hob die Pistole und feuerte blind auf Armell. Einen Moment war Galren davon überzeugt, sie müsste getroffen sein. Er konnte sehen wie einige Haarlocken hochgewirbelt wurden, als die Kugel knapp an ihrem Kopf vorbeijagte. Keinen Herzschlag später, war sie auch schon heran und stieß mit dem Messer zu. Ihr Gegner konnte grade noch zurückspringen und hob schützend den Arm. Ganz retten konnte ihn das jedoch nicht, den die Klinge ritzte trotz allem noch seine Haut an. Die Wunde war nicht tief, brachte den Mann aber dazu, weiter vor ihr zurückzuweichen.

Mehr bekam Galren jedoch nicht mehr mit, als sein eigener Gegner zu ihm aufschloss und sofort einen Degenstoß auf seine Brust führte. Er handelte ohne nachzudenken und brachte  seine eigene Waffe zwischen sich und den tödlichen Stahl. Der Klang, als die Klingen aufeinanderprallten hallte länger als gewöhnlich wieder, schien in dem kristallinen Material aus dem sein Schwert bestand zu resonieren… Dann folgte ein knirschendes Geräusch, als kratze jemand mit Fingernägeln über eine Tafel. Die Klinge seines Gegners zerbrach zwar nicht, wie Galren feststellte, aber der Aufprall schlug eine gewaltige Scharte in die einfache Stahlschneide. Sein Gegner sah einen Momenterstaunt auf den Schaden den sein Angriff angerichtet hatte und Galren wusste wenn er eine Chance haben wollte, dann musste er jetzt handeln. Sobald der Mann sich wieder gefangen hätte, bliebe ihm keine Chance diesen Kampf für sich zu entscheiden. Er riss die Klinge zurück und stieß zu. Die Bewegung  holte seinen Gegner offenbar endlich aus der Erstarrung und es gelang ihm grade noch den Angriff zu parieren. Plötzlich fand Galren sich erneut in der Defensive wieder. Der Mann verschwendete keine Zeit mehr  über die beschädigte Klinge nachzudenken, sondern deckte Galren mit Schlägen ein, die dieser grade so abwehren konnte, während er gezwungen war, immer weiter zurückzuweichen. Er wusste nicht wie es den anderen erging oder ob ihm jemand zur Hilfe kommen würde…  Erneut war er gezwungen einen Schritt zurück zu machen um einen Angriff zu entgehen. Doch diesmal fand er nicht  das raue Pflaster der Straße unter seinen Stiefeln. Der glatte, gefrorene Boden hinter ihm bot keinen Halt mehr und sein Bein rutschte unter ihm weg. Einen Moment versuchte Galren noch, das Gleichgewicht zu halten, bevor die Schwerkraft doch die Oberhand gewann. Er schlug der Länge nach auf dem Boden auf, das Schwert wurde ihm aus der Hand geschleudert und schlitterte davon.

Bevor er noch etwas tun konnte, war sein Gegner bereits über ihm, die Klinge zum Schlag erhoben. Galren sah nur noch, wie der Stahl plötzlich hinabstieß… doch der Schmerz kam nie. Stattdessen flog dem Mann etwas ungebremst ins Gesicht. Sentine. Galren tastete nach seiner verlorenen Waffe, bekam den Griff zu fassen… und stieß zu.  Das Gefühl als das Schwert Fleisch traf ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Sein Gegner gab lediglich einen erstickten Aufschrei von sich, als die Klinge sich zwischen seine Rippen bohrte. Der Mann kippte ohne einen weiteren Laut zur Seite. Galren, der nach wie vor die Waffe umklammert hielt sah nur wie gelähmt zu, wie das Blut über die zuvor weiße Klinge lief.

Mittlerweile hatte sich auch Lias seiner beiden Gegner entledigt und nur noch der Mann, den  zuvor Armell angegriffen hatte, blieb übrig.  Einen Moment sah er unsicher zwischen seinen drei gefallenen Begleitern und ihnen hin und her, bevor er schließlich die Waffe sinken lies und in die Nacht davonrannte.

Lias wollte ihm nachsetzen, wurde jedoch von Armell zurückgehalten .

,, Lasst ihn laufen.“ , meinte sie düster. ,, Ich weiß auch so, bei wem wir uns für diese Überraschung bedanken dürfen.“

,, Ihr wisst… „ , setzte Lias an.

,, Verzeiht. Ich hätte euch früher warnen sollen. Aber ich hatte wirklich gehofft, dass er nicht so weit geht. Das kommt davon wenn man sich auf das Gute in den Menschen verlässt…“

,, Wer ?“

,, Mein Onkel. Ihr wisst dass ich das Geld von ihm habe. Und wenn mir zufällig irgendetwas geschehen würde, sagen wir  ein  paar… zufällig des Weges kommende Söldner, die uns allen die Beine brechen, dann kann er von mir das Vielfache der Summe zurück verlangen, die ich von ihm bekommen habe. Vermutlich lässt er sich einfach gleich die Herrschaft über Freybreak geben. Wie das ausgehen würde will ich mir erst gar nicht ausmalen.“

,, Ihr habt großartige Verwandtschaft.“ , stellte Lias trocken fest.

,, Glaubt mir, das weiß ich leider nur zu gut…“

Der Gejarn nickte nur, während er zu Galren trat, der jetzt erst das Schwert sinken ließ und ihm eine Hand hinstreckte. Dieser ließ sich bereitwillig aufhelfen.

,, Ich muss dir bei Gelegenheit wirklich noch ein paar kniffe beibringen.“ , bemerkte Lias, während er den Mann betrachtete, den Galren getötet hatte. ,, Du wärst grade fast getötet worden. Und ich hätte nicht eingreifen können. Wenn Sentine nicht gewesen wäre…“ Wie auf ein Stichwort ließ sich das Wesen , diesmal wieder als ein harmloser Fink auf der Schulter des Gejarn nieder. Erneut war Galren sich nicht sicher, aber es schien durchaus zufrieden mit sich zu sein…

,, Ich glaube wirklich nicht das ich das will.“ , erwiderte er. ,, Und ich hoffe so etwas bleibt uns ab jetzt einfach erspart.

,, Du kannst dich allerdings nicht einfach darauf verlassen.“ , gab Lias zurück. ,, Aber wenn du stirbst nur weil du dich nicht verteidigen kannst, wem bitte nützt das dann etwas ? Es gibt Menschen und auch Gejarn auf dieser Welt, die die nur die Wahl zwischen ihrem Leben und deinem eigenen lassen werden. Du hast grade einige davon kennengelernt.“

,, Das heißt aber nicht, das mir die Vorstellung gefällt.“

Lias nickte. ,, Das sollte es auch nicht. Kommt, sehen wir zu das wir hier wegkommen. Wir können Zachary morgen früh informieren damit hier jemand… aufräumt.“

 

Der Herr von Silberstedt sah mit einem sanften Lächeln auf die im Mondlicht silbrig glänzende Stadt hinab. Merl würde die anderen morgen begleiten, da war er sich sicher. Der Junge hatte von ihm alles gelernt, was er ihm in der vermeintlichen Sicherheit dieser Hallen beibringen konnte, ob er das einsah oder nicht. Und es gab noch einen anderen Grund aus dem er ihn darum gebeten hatte, Armell zu begleiten. Mehr ein Gedanke, als etwas greifbares, aber das Gefühl der Bedrohung , eines Schattens, der sich am Horizont ankündigte wollte nicht mehr weichen. Die flüsternden, murmelnden Stimmen, die durch die Säle des Anwesens hallten schienen ihm in ihrem sanften Säuseln zuzustimmen, aber er hatte selten gewagt, näher hinzuhören. Als er Quinn gesagt hatte er wüsste womit er es zu tun hatte,  hatte er nicht gelogen. Aber wenn der Ordensobere um das ganze Ausmaß seiner Arbeit wüsste…

Nach all den Jahren wusste er nicht sicher ob dieser Ort einfach schon geschädigt  war, vielleicht durch all den Tod in den Minen um Silberstedt herum oder ob das Seelenbecken selbst dafür verantwortlich war, aber die Realität war hier  unwahrscheinlich dünn. Es bedurfte nur wenig um das Gleichgewicht zu kippen und einen Blick ins Jenseits zu werfen.

Merl spürte es vielleicht nicht so wie er, vielleicht weil er hier aufgewachsen war… aber Zachary wusste, worauf er zu achten hatte. Und zum ersten Mal zweifelte er nicht an den gehauchten Warnungen… Vielleicht sollte er sich seinem Schüler anvertrauen. Ihn so ins ungewisse gehen zu lassen war nicht richtig. Aber was würde er darüber denken? Merl war ein schlauer Bursche, aber… Nein er brauchte ihn nicht noch mit seinen Befürchtungen belasten, die vielleicht doch völlig unbegründet waren. Der Junge hatte genug eigene Sorgen und die würden nicht kleiner werden, wenn er die Sicherheit des Rabenkopfes erst einmal verließ.

Zachary wendete sich vom Fenster ab und ging zurück durch die im Dunkeln liegende Halle Richtung Tür. Mit einer Hand erschuf er ein magisches Licht, das Möbel und Strukturen mit scharfen Schatten hervorhob. Im gleichen Moment wurde die Tür des Raumes mit leisem quietschen geöffnet. Zuerst war er davon überzeugt, dass es Merl sein müsste… aber die Gestalt, die mit einer kurzen Verbeugung eintrat war deutlich Älter, sogar Älter als er selbst. Graue Haare, in denen noch einige rötliche Locken verblieben waren, bedeckten den Kopf und die Brauen unter denen ihn zwei braune Augen musterten.

,,  Wie seid ihr hier hereingekommen ? Und wer seid ihr?“

,, Es ist nicht grade so, als ob ihr eure Tür verriegeln würdet, Lord de Immerson.“ , antwortete Hedan sarkastisch. ,, Und dich hatte keine Lust draußen in der Kälte herumzustehen.“

 

 

Kapitel 18 Untergrund

 

 

 

,, Noch einmal, was gibt euch das recht hier einzudringen ?“ Zachary lies den Fremden nicht aus den Augen. Aber außer einer großen Klappe schien ihm der Mann nicht bedrohlich. Zumindest, dachte er, nicht für ihn. Er konnte keinerlei Magie in seiner Nähe spüren oder etwas, das einen Hinweis darauf gegeben hätte, das er ein Zauberer war. Und ein Mensch, zumindest einer, den er kommen sehe würde, war kaum gefährlich für ihn…

,, Um genau zu sein mein recht als kaiserlicher Bote.“  Der Mann holte einen kleinen Gegenstand aus seiner Tasche und warf ihn Zachary zu. Dieser fing ihn aus der Luft und besah ihn sich einen Moment ungläubig. Ein Ring aus kaltem Metall lag in seinen Fingern, verziert mit  den goldenen und silbernen Insignien des Kaiserhauses… Zuerst dachte er, es müsste sich um eine Fälschung handeln aber… das war unmöglich. Die Magier des Ordens halfen bei der Fertigung jedes einzelnen dieser Siegelringe und würde jemand versuchen einen nachzumachen würde der eingewebte Zauber fehlen. Aber Zachary konnte das sanfte Kribbeln der Magie spüren, die von dem Schmuckstück ausging… er war echt. Und er war diesem Mann freiwillig gegeben worden, sonst wäre die Magie augenblicklich erloschen.

,, Und wer seid ihr, das man euch so etwas anvertrauen würde ?“

,, Hedan, der Name. Kapitän der kaiserlichen Marine…  und seit neuestem offenbar Laufbursche seiner Majestät.“ , den letzten Teil des Satzes grummelte er mehr als das er ihn laut aussprach. Ganz offenbar gefiel es ihm genau so wenig hier zu sein wie Zachary sein Auftreten…

,, Ich nehme an, es geht um etwas wichtiges, wenn Kellvian euch mitten in der Nacht hierherschickt.“

,, Um genau zu sein bin ich schon vor einigen Tagen aufgebrochen aber je eher ihr eure Nachricht bekommt, desto eher kann ich aufhören den Boten zu spielen. Hätten wir doch nie dieses Schiff gefunden… Also hört zu. Ich weiß, das vor kurzem einige Leute bei euch waren, einer davon ein Mann namens Galren Lahaye.“

,, Das ist richtig.“ , antwortete er vorsichtig geworden. Ihm gefiel nicht ganz worauf das hinauslief. Auf der anderen Seite… er kannte Kellvian seit Jahrzehnten.

,, Sagen wir einfach, der Kaiser hat ein gewisses Interesse daran, diese Leute kennenzulernen. Und an dem, was sie gefunden haben…“

,, Kellvian plant also etwas ?“ Zachary legte die Fingerspitzen zusammen.

,,  Eigentlich, Lord Zauberer, läuft dieser Plan schon seit einigen Wochen. Ich weiß nur das nötigste, aber der Kaiser will diese Leute kennenlernen. Und man erwartet von euch, das ihr sie zu ihm schickt.“

,, Ihr könnt unmöglich glauben, dass ich das tun würde ohne zu wissen, was dabei überhaupt gespielt wird.“ , gab Zachary ungehalten zurück. ,, Oder ob ich sie dadurch in Gefahr bringe.“

,, Ihr wisst was dieser Galren vorhat. Darum geht es dabei und nichts anderes.“ , erklärte Hedan. ,, Und ihr könnt es dem Kaiser nicht verübeln das er sich dafür interessiert wenn jemand die gleiche Route einschlägt, auf der einst Simon Belfare verschwand. Er wünscht ihnen Erfolg und nichts Böses. Darauf habt ihr mein Wort. Reicht euch das?“

,, Deutlich klingt anders.“ , grollte Zachry. Er könnte sich die Antworten holen, die er haben wollte, dachte er. Aber was brachte das? Auch wenn Hedan vielleicht nicht der freundlichste Geselle war, er glaubte ihm, wenn er sein Wort gab, das den anderen nichts geschehen würde. Und nach wie vor, er kannte Kellvian doch. Der Mann hatte seit dem Ende des Krieges nichts anderes getan, als dieses Land wieder aufzubauen und sämtliche Spuren der Vergangenen harten Jahre auszulöschen. Der Kaiser war kein schlechter Mensch. Aber auch eigentlich niemand, der es nötig hatte solche Ränke zu schmieden. Warten ihn die Stimmen am Ende davor? Er wusste selber gut genug, dass das unmöglich war. Zumindest nicht ohne den Seelenbrunnen auch zu benutzen. Es waren nur Fragmente, uralte Gedanken und Eindrücke, die zurücklieben wie Schaum  in einem leeren Fass. Und doch warum wurde der Ton den sie annehmen dann zunehmend düsterer?

,, Und was soll ich ihnen sagen ? Das der Kaiser sie wegen… nichts sprechen möchte?“

,, Ich bin sicher euch fällt etwas ein.“ , meinte Hedan. ,, Und ihr wisst nicht zufällig, wo man in dieser Stadt etwas vernünftiges zu trinken bekommen kann ?“

,, Ich bin sicher, ihr findet etwas.“

Der kaiserliche Bote sah ihn lediglich Böse an, bevor er sich umdrehte uns auf den Weg aus dem Saal machte. ,, Ich finde den Ausgang wieder, keine Sorge !“ , rief er über die Schulter.

Zachary hatte erst gar keine Anstalten gemacht, ihm zu folgen, sondern sah ihm nur eine Weile nach, selbst als die Türen wieder hinter ihm zugefallen waren. Die Sache wurde langsam komplizierter, als er je gedacht hatte. Am liebsten hätte er Merl geweckt und nach seiner Meinung zu dem ganzen gefragt. Der Junge war manchmal scharfsinniger als er selbst. Aber so wie er ihn kannte… er würde vermutlich als erstes Armell und die anderen informieren. Und was sollte er ihnen dann sagen? Die Frage hing nach wie vor in der Luft. Die andere war, ob er überhaupt etwas sagen oder sie einfach ziehen lassen sollte. Er wendete sich wieder dem Fenster zu und sah erneut auf die Stadt hinaus. Mittlerweile war der Mond hinter einer Wolke verschwunden so dass nur noch vereinzelte Lichter von Fackeln und Lampen das Dunkel durchdrangen. Wie es aussah hatten seine Sorgen grade neue Nahrung erhalten. Manchmal wünschte er sich wirklich die einfacheren Zeiten zurück, wo er sich wenigstens noch nicht um eine ganze Stadt hatte Sorgen müssen. Aber diese Tage waren lange vergangen nicht? Er war zu einem Anführer für die Menschen geworden… Das hieß aber nicht, dass es ihm gefallen musste, ihre Entscheidungen manchmal für sie zu treffen. Zachary öffnete das Fenster ein Stück und streckte eine Hand aus. Innerhalb weniger Herzschläge flatterte ein dunkler, gefiederter Schatten auf seinen Arm. Die spitzen Krallen des Raben gruben sich in seine Haut, aber er ignorierte den schwachen Schmerz. Vielleicht sähe bei Tageslicht ja alles anders aus… Vielleicht war es Zeit eine Antwort auf seine Frage zu suchen. Zachary lies den Raben wieder fliegen und machte sich auf den Weg, Merl zu wecken. Er würde heute nicht mehr schlafen und er würde nicht alleine in die Katakomben hinabsteigen.

 

Das Gefühl der Bedrohung war nur noch eine ferne Erinnerung als Galren am nächsten Morgen erneut vor dem Eingang zum Anwesen stand. Als sie heute den Nebelverhangenen Treppenaufgang zum Rabenkopf hinaufgestiegen waren, waren die schwarzen Vögel allesamt verschwunden gewesen. Entweder sie waren von selber ausgeflogen oder Zachary hatte irgendetwas getan um sie zu vertreiben. Welchen Grund er dafür auch gehabt  haben mochte…

Die Luft war nach wie vor schneidend kalt, aber heute empfand er es nicht mehr als unangenehm. Im Gegenteil, die eisige Kälte hatte etwas Belebendes und sie vertrieb ein wenig die Schatten der letzten Nacht. Nur zögerlich hatte er vorhin, als sie aufgebrochen waren wieder das Schwert angelegt und bisher vermied er es tunlichst, die Klinge auch nur wieder zu berühren. Galren wusste selber, wie töricht das war. Lias hatte recht gehabt, er hatte gestern keine Wahl gehabt oder nicht? Und doch konnte er nicht vergessen, wie der Körper des Söldners einfach erschlaffte, als das Leben aus ihm wich… durch seine eigene Hand. Alleine das Gefühl dabei war so fremdartig für ihn gewesen… Die Dinge veränderten sich in letzter Zeit immer schneller, dachte Galren. Und nicht alles davon gefiel ihm. Nach wie vor in Gedanken folgte er Armell und Lias ins Innere des Anwesens. Die Kohlenfeuer, die am Vortag noch für Wärme in der Eingangshalle  gesorgt hatten, waren allesamt erloschen. Die Asche war bereits vollkommen erkaltet und auch wenn es noch nicht so kalt wie draußen war, die Luft hatte merklich an Wärme verloren. Auch wenn Lord Zachary nur wenige Diener hatte, in einer Gegend wie dieser ließ man die Feuer doch nicht ausgehen, schon gar nicht für so lange…

Armell schien ebenfalls zu spüren, dass etwas nicht stimmte. ,, Zachary ?“ Ihre Stimme hallte dünn in der verlassenen Halle wieder. ,, Merl ? Seit ihr da?“

,, Ich bezweifle, dass er hier ist.“ , meinte Lias und legte eine Hand an den Schwertgriff.

Armell ignorierte den Einwand des Gejarn und trat durch die Tür am Ende des Saals in die kleine Bibliothek. Erneut lag der Raum verlassen vor ihnen und auch ihre Rufe blieben unbeantwortet… WO konnte der Zauberer stecken? , fragte Galren sich. Er würde doch nicht einfach verschwinden, wenn er am Abend noch seine Unterstützung zugesichert hatte.

Sentine war derweil von Armells Schuler auf den Boden hinab geflattert und tapste über den mit einem Teppich verdeckten Grund. Der braun-graue Vogel schien es geradezu darauf angelegt zu haben, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, den er flatterte mehrmals auf und nieder und landete sogar auf Lias Fuß, bis dieser sich endlich die Mühe machte, das Wesen abzuschütteln und nach unten sah. Armell folgte seinem Blick und lächelte plötzlich.

,, Ich glaube ich weiß wo er ist.“ , meinte sie. ,,Tretet mal zurück. Weg vom Teppich.“

Galren fragte nicht lange, sondern trat beiseite und auch Lias folgte ihren Worten nach kurzem Zögern. Es war seltsam anzusehen, wie die Fürstin Freybreaks sich auf ein Knie niederlies und den ausgefransten Rand des Teppichs abtastete. Wonach genau suchte sie ? , fragte Galren sich. Die Antwort jedoch, lies nicht lange auf sich warten. Armell packte eine Ecke des Teppichs und schlug ihn mühelos beiseite. Statt jedoch ein Stück Stoff zur Seite zu bewegen, begann das Tuch zu flackern, wie eine Kerze kurz vor dem Erlöschen. Die Muster und Farben verblassten zunehmend wurden erst gräulich und schließlich vollends durchscheinend, bis nicht einmal mehr eine Faser von dem Teppich übrig blieb. Darunter kam nicht etwa der blanke Fußboden zum Vorschein sondern eine rechteckige Öffnung. In den Fels gehauene Stufen führten hinab in die Tiefe und verloren sich bereits nach wenigen Schritten im Halbdunkeln.

,, Woher wusstet ihr das ?“ , fragte Galren während er versuchte zu verstehen, was grade geschehen war. Also hatte er sich gestern nicht getäuscht, als es so ausgesehen hatte, als klaffe ein Loch im Boden der Bibliothek. Waren Zachary und der Ordensoberster, Quinn, vielleicht von dort unten gekommen ?

,, Ich war schon einmal hier.“ ,  riss Armell ihn aus seinen Gedanken. Diese hatte bereits die ersten Stufen genommen und winkte ihnen zu ihr zu folgen. ,, Kommt. Es sei denn ihr wollt warten, bis Zachary wieder auftaucht.“

Lias grummelte etwas, das wohl ganz danach klang als würde er fast alles vorziehen, als der Treppe in die Dunkelheit zu folgen, setzte sich dann jedoch in Bewegung. Lias folgte ihm und fragte sich einen Moment, ob sich der magische Durchgang auch von der anderen Seite so einfach öffnen ließ. So oder so, eine Wahl hatten sie nicht wirklich außer eben zu warten. Trotzdem tat er es Lias gleich und legte eine Hand an den Schwertgriff. Nicht dass es ihm etwas nützen würde, aber grade eben kam ihm das Gewicht der Waffe wieder weniger wie eine Last vor.  Das bisschen Licht, das von oben auf die Stufen fiel, wurde bald von der Dunkelheit verschluckt und Galren wollte schon vorschlagen, zurückzugehen um eine Lampe zu holen, als plötzlich ein schwaches Glimmen durch die Schatten drang. Es dauerte einen Moment, bis er seine Quelle als das erkannte, was es war. Sentine hatte wieder einmal die Gestalt gewechselt und saß nun  als Glühwürmchen auf Armelles Schulter. Das Licht das von dem Wesen ausging schien jedoch nicht wirklich zu dem kleinen Insekt zu passen, silbrig und hell genug um ihre Umgebung ohne Probleme erkennen zu können. Magie, wieder einmal ohne Zweifel. Er hatte in den wenigen Tagen seit ihrem Aufbruch mehr davon gesehen als in den zwei Jahrzehnten zuvor. Vielleicht hätte ihm das zu denken geben sollen aber auf seine eigenen Art… es war großartig. Einschüchternd ja, aber vor allem faszinierend. Er hatte einige der  Schattenseiten seiner Entscheidung bereits zu sehen bekommen, aber es ging immer irgendwie vorwärts. Immerhin hatte er bereits mit einem Zauberer gesprochen...  Vielleicht könnte er sich daran gewöhnen. Wie auch immer diese Reise ausgehen würde, er würde sie zumindest nicht bereuen, versprach Galren sich.

 

 

Kapitel 19 Seelenbrunnen

 

 

 

Kleine Blitze entluden sich über den goldenen Adern im Marmor. Die grellen Lichtbögen hatten beinahe etwas lebendiges, wie sie sich nach einem unverständlichen Muster zu verschieben und zu verändern schienen. Galren wusste sofort, das sie gefunden hatten, was den Ordensobersten so wütend gemacht hatte.  Die Treppe mündet in einer gewaltigen Höhle und in deren Mitte erhob sich, umgeben von gewaltigen steinernen Säulen etwas, das ihm Schauer über den Rücken jagte. Blaue Flammen züngelten aus mehreren Steinwannen hervor und erhellten die Szenerie.  Eingelassen in einen mit Gold verfugten Boden aus Marmorplatten erhob sich eine kreisrunder Sockel aus Kristall. Und darauf in einer Mulde befand sich eine Flüssigkeit, die wie Quecksilber aussah. Und neben diesem seltsamen Becken stand schließlich der Mann, den sie gesucht hatten. Zachary schien nur halb bei Bewusstsein. Die türkisfarbenen Augen des Zauberers waren halb geschlossen, während seine Hände sich wie von selbst zu bewegen schienen. Mit traumhafter Sicherheit vollführte er Geste um Geste, der die silbrige Flüssigkeit zu folgen schien. Was eben noch dünn wie Wasser schien, nahm Formen an, erstarrte, löste sich auf und zerfloss nur um erneut zu einer verzerrten Figur zu gefrieren. Auch wenn er nicht wusste worum es dabei ging, spürte Galren die Anstrengung die damit verbunden war. Schweißtropfen standen auf der Stirn des Magiers, während das Quecksilber mit einigen letzten Gesten zur Ruhe kam. Erst jetzt wendete er sich seinen Besuchern zu, die wie erstarrt das Schauspiel beobachtet hatten. Nach wie vor standen  ihm Schweißperlen auf der Stirn und noch etwas anderes zog Galrens Aufmerksamkeit auf sich.  In den vormals schwarzen Haaren des Zauberers zeichnete sich mehr als eine graue Strähne ab. Er konnte es nicht beschwören, aber gestern waren sie noch nicht dagewesen. Der Preis der Magie, dachte Galren und zum ersten Mal verstand er wirklich, was Armell damit meinte, die Männer des Ordens und alle Magier würden schneller altern als gewöhnliche Menschen.

Doch noch während Zachary sich ihnen zuwandte, kehrte die Farbe langsam sowohl in seine Gesichtszüge als auch seine Haare zurück wenn auch nicht alles Grau wieder daraus verschwand. Die Dunkelheit schien etwas zurückzuweichen, während die bläulichen Flammen in den Steinbecken heller loderten und nun auch Merl enthüllten, der im Schatten einer der großen Säulen stand. Der junge Zauberer wirkte um einiges ernster und angespannter als bei ihrer ersten Begegnung am Abend zuvor. Hätte Galren ihn nicht bereits  kennen gelernt, er hätte ihn niemals für die gleiche Person gehalten. Doch der Eindruck hielt nur für den Bruchteil einer Sekunde dann nahm Merls Gesicht wieder seinen gewohnten, unsicheren Ausdruck an, während er aus dem Schatten heraustrat.

,, Es war wohl töricht anzunehmen, ihr hättet schlicht vergessen, dass es diesen Ort gibt, wie ?“ , fragte Zachary an Armell gerichtet. Der Mann klang in keiner weiße erzürnt über ihr Eindringen, im Gegenteil.   Ein müdes Lächeln  huschte über seine Züge, während er vom Becken zurücktrat und Merl bedeutete ihm zu folgen.

,, Verzeiht, aber was ist das für ein Ort ?“ , wollte Galren wissen. Auch wenn der Spuk vorbei war, dessen Zeuge sie eben geworden waren, das Gefühl, dass etwas nicht stimmte blieb. Und wenn er ganz genau hinhörte… war da nicht das Echo leiser, flüsternder Stimmen in der Luft? Stimmen die in einer Sprache kommunizierten die er nicht verstand, Worte, die von den unterschiedlichsten Emotionen gefärbt wiederhallten…

,, Hört nicht zu lange hin.“ , meinte Zachary. Galren zuckte zusammen als er die Augen wieder aufschlug. Der Zauberer stand praktisch direkt vor ihm und hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. ,, Ich habe Menschen gesehen, die nach wenigen Augenblicken wahnsinnig wurden. Die Arbeit hier hinterlässt ihre Spuren. Und jemand mit ungeschütztem Geist könnte leicht zu Schaden kommen.“
Das beantwortete seine Frage nicht, dachte Galren, aber er schüttelte die leisen Stimmen sofort ab.

,, Noch einmal, was ist das hier ?“ , fragte er erneut.

,, Ganz genau weiß ich es selber nicht. Zumindest kein Ort für gewöhnliche Sterbliche. Was ihr hier seht wurde während des letzten Krieges erschaffen und ich versuche seither es zu enträtseln.“

,, Geschaffen…“ Lias sah sich misstrauisch in der Höhle um. ,, Von eurem Vater ?“

Zachary schüttelte den Kopf. ,, Andre de Immerson war kein Magier, wofür wir alle glaube ich den Göttern danken können. Aber er hatte Hilfe von einem. Ohne diesen Mann wäre er wohl niemals so weit gekommen das Kaiserreich offen herauszufordern und damit auch Erfolg zu haben.“

Galren trat nach einem Nicken von Zachary wieder ein Stück an das Kristallbecken heran und die anderen folgten ihm.  Fasziniert stellte er fest, das sich zwar ihre Umgebung auf der spiegelglatten Oberfläche aus Quecksilber spiegelte, jedoch nicht sie selbst. Es war, als wären sie gar nicht da…

,, Kann ein einzelner Zauberer wirklich einen derartigen unterschied machen ?“, wollte er wissen.

,, Dieser schon.“ , fuhr Zachary fort, aber sein Ton hatte sich verändert. Seine Worte klangen düster aber nicht wütend.  Einen Moment bezweifelte Galren , das er weitersprechen würde. ,,  Wir wissen bis heute nicht viel über ihn, außer dass sein Name Ismaiel lautete. Und er vielleicht das mächtigste Wesen war, das je über diese Welt wandelte. Ihr habt schon einmal vom alten Volk gehört? Der alten Zauberer-Zivilisation die vor dem Aufstieg des Imperiums das Land beherrschte ?“

,, So weit ich weiß, sind sie alle vor langer Zeit verschwunden.“ , antwortete Armell für ihn. ,, Das einzige intakte Bauwerk, das noch von ihnen stammt ist wohl die fliegende Stadt.“

Zachary nickte. ,, Aber sie verschwanden nicht alle. Einer hatte überlebt. Zumindest bis vor einigen Jahren. Ismaiel.“

,, Was ihr sagt ist vollkommen unmöglich.“ , erklärte Lias. ,, Kein Mensch oder Gejarn was das angeht, könnte so lange leben.“

,, Ein Mitglied des alten Volkes ist auch kein Mensch.“ , meinte der Zauberer. ,, Er war besessen von der Idee seine Art wiederzubeleben, dazu hat er auch ursprünglich diesen Ort erschaffen. Ein unmögliches Unterfangen… das muss er zuletzt auch eingesehen haben.“

,, Wieso ?“

,, Am Ende des Krieges, als mein Vater tot war und Kellvian und die kaiserliche Garde die Höhlen stürmten… hat er sich selbst gerichtet.“

,, Ich habe zwar den Namen schon einmal gehört aber…“ Armell runzelte die Stirn. ,, Mir ist nie klar gewesen das es sich dabei um einen Magier des alten Volkes gehandelt hat.“

,, Der Kaiser wollte die Tatsache wohl so klein wie möglich halten, das ein lebendes Mitglied des alten Volkes in den Krieg verwickelt war. Wenn man bedenkt was es uns beschert hat, nur zu verständlich. Das alte Volk war uns allein was Magie angeht so weit voraus… Aber das seht ihr hier ja grade selber. Jetzt jedoch, genug davon. Ich habe die Zeit hier unten vergessen wie mir scheint. Ihr habt meinen Segen für eure Abreise. Und Merl wird euch begleiten.“

Der junge Magier, der bisher geschwiegen hatte, nahm offenbar allen Mut zusammen, während er neben seinen Meister trat. ,, I… ich habe gestern noch lange darüber nachgedacht. Wenn ihr es wünscht, werde ich mit euch gehen.“

,, Ich habe euch doch schon gesagt, das ihr willkommen seid.“ , meinte Armell  und schenkte Merl ein kurzes Lächeln. ,, Allerdings haben wir vielleicht noch ein anderes Problem.“

Galren und die anderen drehten sich zu ihr um. Was bitte konnte ihnen jetzt noch im Weg stehen? Sicher, sie würden aufpassen müssen wenn Obarst ihnen noch weitere Männer hinterherschickte aber in einigen Tagen wären sie bereits Hoch auf See und damit endgültig außer Reichweite.

,, Ich bin die Zahlen gestern durchgegangen.“ Sie holte tief Luft. ,, Das Geld reicht nicht.“

,, Bitte ?“ Lias schien genauso entsetzte wie Galren. Das war doch einfach nicht möglich, oder?

,, Wenn ich davon ausgehe das Galrens Karte korrekt ist…“

„ Ihr habt eine Karte?“ , unterbrach Zachary sie. ,, Woher…“

,, Sie stammt von meinem Vater.“ , antwortete dieser, als er seine Sprache wiederfand. So viel dazu, Zachary nicht alles wissen zu lassen. Allerdings, jetzt zählte das wohl auch nichts mehr, dachte er säuerlich.

,, Wenn ich davon ausgehe, das die Entfernung stimmt dann verschlingen alleine die Vorräte für den Hinweg ein kleines Vermögen. Schiff und Crew sind noch einmal eine ganz andere Sache und… es reicht schlicht nicht ganz, nicht wenn wir Lebend ankommen wollen, selbst wenn ich davon ausgeht, das sonst alles nach Plan verläuft.“

,, Aber irgendeinen Weg muss es doch geben.“ , meinte Galren. Sie waren nicht schon fast am Ziel gewesen um dann derart zu scheitern. ,, Oder nicht ?“

Stille senkte sich über die kleine Gruppe, nur durchbrochen vom leisen Flüstern, das diesen Ort erfüllte. Galen ballte die Hände zu Fäusten. Der Gedanke jetzt aufgeben zu müssen trieb ihn fast in den Wahnsinn.

,, Tatsächlich gäbe es vielleicht eine Möglichkeit.“ , meinte Zachary da und klang zum ersten mal seit sie hier angekommen waren unsicher. Fast als gefiele ihm die Lösung die er hatte überhaupt nicht. Aber was immer es war, dachte Galren es konnte nicht schlimmer sein als unverrichteter Dinge wieder nach Hamad zurückzukehren.

,, Was meint ihr ?“ Armell schien selber nicht zu wissen, worauf der Mann hinaus wollte.

,, Es gibt noch eine Stelle an die ihr euch wenden könnt. Und ich werde dafür sorgen das man euch dort auch gehör schenkt. Vielleicht habt ihr Glück… und der Kaiser ist an eurem Erfolg interessiert.“

Erneut  wurde es kurz völlig ruhig. Das war… nun tatsächlich die letzte Option die ihnen blieb. Und auch wenn es eine Lösung war, Galren konnte nichts gegen das schleichende Gefühl der Enttäuschung ausrichten, das wie eine Welle über ihm zusammenschlug. Also würde sich ihre Abreise erneut verschieben… Aber hatten sie nicht Zeit? Sicher… doch irgendetwas zog ihn mit Macht auf die See und es war nicht nur der Wunsch endlich herauszufinden was mit seinem Vater in all den Jahren  geschehen sein mochte. Er konnte es nicht ganz benennen, diese Gefühl, als hinge er an Fäden, die jemand straffzog, so das ihm nur übrig blieb ihnen entweder nachzulaufen… oder eben mitgeschleift zu werden. Vielleicht war es das gleiche Gefühl, das einst Varan Lahaye zu seiner Reise getrieben hatte.

,, Ich werde euch ein Empfehlungsscheiben von mir mitgeben. Glaubt mir, der Kaiser wird euch vorlassen wenn er meinen Namen sieht. Sagen wir einfach, er schuldet mir noch ein paar Kleinigkeiten…“

,, Das heißt wir müssen zur fliegenden Stadt ?“ Merl sah plötzlich nicht mehr so geknickt aus. Die Augen des jungen Magiers schienen von innen geradezu zu leuchten.

,, Unter anderem.“ , meinte Zachary lächelnd.

,, Götter, habt ihr eine Ahnung… I… Ich wollte schon so lange einmal da hin.“

,, Ich hätte nicht gedacht, das euch die hohe Politik Cantons interessiert.“

,, Macht ihr Witze ? Um Politik geht es hier nicht, das ist das letzte Stück Architektur des alten Volkes das völlig intakt ist, die Magie die die Stadt antreibt…“ Merl verstummte als ihm sein eigener Begeisterungsausbruch bewusst wurde. ,, Verzeiht ich rede zu viel.“

,, Zumindest wirst du die fliegende Stadt noch früh genug sehen.“ , meinte Armell, die sich von der Begeisterung des jungen Mannes scheinbar anstecken lies.  ,, Sie verändert ihre Position ständig, aber wenn ich ihre Route noch richtig im Kopf habe, sollten wir in der Lage sein, sie in den Herzlanden abzupassen. Aber wir müssen bald aufbrechen.“

Zachary nickte. ,, Nur eines noch, bevor ihr geht…“ Mit einer Hand löste er die silberne Kette, die er um den Hals trug und damit auch den tropfenförmigen Stein daran. ,, Ich möchte, dass du das hier mit dir nimmst, Merl. Es hat mir immer weitergeholfen und jetzt wird es vielleicht Zeit, das es jemand anderen schützt, der es nötiger hat als ich.“

,, Das ist…“ Merl nahm den Stein vorsichtig entgegen. ,, Ich danke euch.“ Galren wusste nicht, was es genau zu bedeuten hatte, aber offenbar  war das mehr als ein simpler Anhänger. Der junge Magier wirkte plötzlich wieder unsicher, während er die Kette unter seinem Gewand verstaute. ,, Und ihr meint ich bin wirklich bereit ?“

,, Man kann nie auf alles vorbereitet sein, Merl.“ Zachary legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter.  ,,  Und wir haben auch nicht immer eine Wahl. A, Ende gibt es nur ei ne Sache, die wir wirklich kontrollieren können. Ob wir  unsere Taten dem verschreiben was wir als gut empfinden… oder dem Bösen. Und jetzt geh. Du weißt alles, was du wissen musst, vertraue darauf, was ich dir beigebracht habe und du wirst deinen Weg finden.“

 

 

Kapitel 20 Die Herzlande

 

 

 

 

 

Der Weg über die Berge war ein langer und kalter. Die im Winter noch passierbaren Pässe waren zu schmal um sie mit einer Kutsche zu durchqueren und so blieb ihnen diesmal nur, zu Fuß aufzubrechen. Zachary hatte ihnen genügend Vorräte und wärmere Kleidung mitgegeben, trotzdem wurde es für Galren noch mehr zur Geduldsprobe als die bisherigen Verzögerungen. Vor allem weil sie nur langsam vorankamen und oftmals halt machen mussten wenn wieder einmal ein Schneesturm über sie hinweg zog, der die Straßen und Felsgrate denen sie folgten mit einer frischen Schicht Eis und Schnee überzog. Einmal kam ihnen auch ein Wyvern nahe genug, das Galren den Aasgeruch der von den schwarz geschuppten Kreaturen ausging wohl nie wieder vergessen würde. Doch  das Monster ignorierte sie, wohl nicht darauf aus, sich mit einer ganzen Gruppe Reisender anzulegen.

Je weiter sie über die Berge nach Süden kamen, desto seltener wurden die Stürme und am Beginn der zweiten Woche ihrer Reise erreichten sie schließlich die Schneegrenze und das Land vor ihnen wurde zunehmend flacher, bis es in die weitläufigen Ebenen auslief, die das Land auf dieser Seite der Berge kennzeichneten.  Von Horizont zu Horizont gab es nichts als  Geröllhalden und gelbliches, krank wirkendes Gras, das sich sanft im Wind wiegte. Eine endlose flache Ebene ohne wirkliche Erhebungen und nur durchbrochen durch einige Haine wo sich verkrüppelte Bäume zu kleinen Wäldchen zusammenschlossen. Herden wilder Pferde und Rentiere suchten sich auf den  kargen Böden ihre Nahrung. Das musste Hasparen sein, dachte Galren, eine der ärmeren Provinzen des Reichs. Ihr eigentliches Ziel jedoch lag noch weiter im Süden, jenseits der leeren Ebenen, die nur von einigen wenigen Siedlungen durchbrochen wurde. Tage vergingen, in denen sie kaum jemals einem anderen Reisenden begegneten.  Die wenigen Straßen, die das Land durchzogen waren meist kaum mehr als breit ausgetretene Pfade, die man mit einer Schicht aus losem Geröll überdeckt hatte. Dann jedoch erhaschten sie zum ersten Mal einen Blick auf die endlosen Wälder der Herzlande.

Sie hatten grade eine der wenigen Anhöhen erklommen, die es auf ihrem Weg gab und Galren blieb einen Moment sprachlos stehen als er das Land sah, das sich nun vor ihnen erstreckte.

Der Winter ließ hier noch auf sich warten und das dichte Blätterdach, das nur von einigen wenigen Freiflächen durchbrochen wurde , erweckte den Eindruck, als hätte jemand einen Farbeimer über der Welt ausgeschüttet.  Ein dichter Laubteppich in allen Schattierungen von rot, gelb, grün und braun bedeckte den Boden, noch eine halbe Tagesreise von den ersten Wäldern entfernt und hier und dort erhoben sich  einige spät blühende Blumen aus dem gelben Gras und dem Laub heraus. Violette, blaue und weiße Farbtupfer, die dem Land endgültig etwas von einem Gemälde gaben.

Was für ein Gegensatz zu den verschneiten Einöden rund um Silberstedt. Auf Hamad war der Herbst vergleichsweise kurz, die Blätter fielen innerhalb weniger Wochen und meist kam der erste Schnee noch bevor die Bäume ihre Pracht ganz verloren hatten. Doch hier war die Luft voll mit dem Geruch von Laub, Harz, Erde und… generell einfach nach Leben.

,, Sie sind schön, oder ?“ , fragte Armell, die wie die anderen neben ihm stehengeblieben war.

Er konnte nur nicken. Für einen Moment war die Eile vergessen, die ihn in den Bergen und durch Hasparen getrieben hatte.

,, Aber auch gefährlich, wenn man nicht weiß wovor man sich hüten muss.“ , fuhr die Herrin Freybreaks fort. ,, Dieses Land gehört seit jeher den Clans der Gejarn. Und auch wenn sie Reisende für gewöhnlich ignorieren wenn möglich sollten wir einen Bogen um sie machen. Nur für den Fall. Kommt, wenn wir uns beeilen erreichen wir die nächste Siedlung vielleicht noch vor Einbruch der Nacht.“

,, Wohin genau müssen wir eigentlich ?“ , fragte Merl kleinlaut, während er den Blick über die Wälder schweifen lies. Der junge Zauberer hatte während ihrer bisherigen Reise kaum ein Wort gesagt, sah man davon ab, das er ab und an den Stein betrachtete, den Zachary ihm geschenkt hatte.

,, Ein paar Tagesreisen von hier liegt der Erdschlund. Die fliegende Stadt dürfte ihn mittlerweile sicher überquert haben, das heißt wen wir ihr folgen wollen müssen wir über die Erdwacht… “

,, Was genau ist das für ein Ort ?“ , wollte Galren wissen.

,, Eine alte Festungsanlage, die noch aus der Zeit stammt, als die Ordeal-Kaiser grade ihre ersten Eroberungszüge unternahmen. Damals war die Erdwacht eine Festungsanlage, die die äußere Grenze des Reichs markierte. Das ist natürlich lange vorbei und von der Festung  besteht heute nur noch aus verfallenden Trümmern, aber die Brücke dort ist nach wie vor der sicherste Weg über den Erdschlund. Keine Ahnung, warum sie nicht längst eingestürzt ist.“

,, Nun…“ Merl sah kurz so aus, als wollte er etwas sagen, schwieg dann aber doch.

Und so setzten sie sich wieder in Bewegung, Armell, die vorwegging, Lias, Merl und schließlich Galren. Als sie zum ersten Mal in die kühlen Schatten der Wälder traten, kam er sich plötzlich erstaunlich klein vor. Die Bäume hier waren nicht wie auf Hamad immer wieder alle  gefällt und neu gepflanzt worden sondern wuchsen vielleicht schon seit Äonen ungestört vor sich hin. Mancher Baum war groß genug, das sie selbst zusammen noch Schwierigkeiten gehabt hätten ihn zu umfassen und die Dunkelheit abseits der Pfade für die man wenigstens eine kleine Schneise geschlagen hatte, war fast vollkommen. Schweigen hatte sich über die kleine Gruppe gesenkt, während sie einem Weg durch den Wald folgten. Doch trotz dem Halbdunkel Galren fühlte sich nicht bedroht, im Gegenteil.  Es hatte etwas Wohltuendes, beinahe Geborgenes… Hier war weit und breit niemand, dachte er, sei es nun Mensch oder Gejarn und vielleicht war auch seit Jahren niemand hier gewesen.

Erst einige Wegstunden später begannen sich die Bäume schließlich zu lichten und vereinzelte Stümpfe verrieten, dass die Holzfäller der umgebenden Siedlungen schon bis hierher vorgedrungen waren und es dauerte nicht mehr lange, bis sie die Bäume schließlich gänzlich zurückwichen und den Blick auf eine Ansammlung  von Feldern freigaben, die sich vom Waldrand bis fast zum Horizont zogen, wo erneut der Wald begann.  Kleinere Wege die mit Holzzäunen gesichert waren führten zwischen ihnen hindurch und Stellenweise ragten kleinere und größere Scheunen auf. Doch war weit und breit niemand mehr zu sehen, der die Felder bestellte. Die meisten waren bereits abgeerntet und lagen brach oder waren nur noch mit Stoppeln bewachsen, so dass man die nackte Erde darunter erkennen konnte.  Trotzdem, wenn alle Parzellen hier wirklich bestellt wurden, musste eine Ernte für tausende von Menschen ausreichen, dachte Galren. Es war eine unvorstellbare Menge…

Mittlerweile hatte sich der Himmel bedeckt und die rasch dahinziehenden, dunklen Wolken verdeckten rasch die Sonne. Die wenigen Lichtstrahlen die noch den Erdboden erreichten, erloschen einer nach dem anderen, als die ersten Regentropfen zu fallen begannen und der Wind frischte auf und trieb Blätter und Staub von den Feldern  vor sich her. Das könnte ein ausgewachsener Sturm werden, dachte Galren mit einem mulmigen Gefühl. Und soweit er das sehen konnte, war die nächste Siedlung immer noch ein gutes Stück entfernt… Bevor er noch weiter darüber nachdenken konnte, brach das Unwetter auch schon ohne Vorwarnung los. Der brausende Wind wurde überdeckt vom plätschern des Regens, der wie ein Vorhang auf sie zukam und als eisiger  Schauer über sie hinweg zog. Es dauerte nur wenige Herzschläge, bis sie auf die Haut durchnässt waren und selbst Merls Umhang, den der junge Zauberer in einem Moment der weisen Voraussicht um sich geschlungen hatte, bot nur wenig Schutz vor den Elementen.

Lias war der erste von ihnen, der reagierte ,, Kommt schon, sehen wir zu, das wir hier wegkommen.“ , rief der Gejarn über das tosen von Wasser und Wind hinweg. Er deutete auf eine de Scheunen, die sich am Rand der Felder erhoben. Einen Versuch war es wert, dachte Galren und selbst im schlimmsten Fall könnten sie sich wenigstens unter dem etwas über das Bauwerk hinausragenden Vordach unterstellen. Der Sturzregen hatte die Felder und Wege in Schlamm verwandelt und ihre Füße sanken bei jedem Schritt ein, als sie so schnell es irgendwie ging auf die Scheune zuliefen.

Plötzlich, dachte Galren, hatte dieser Ort einen guten Teil seiner Faszination wieder eingebüßt. Wasser troff ihm aus den Haaren und er vergewisserte sich rasch, das die Ledertasche in der er sowohl die Karte seines Vaters als auch das Empfehlungsschreiben von Zachary trug noch dicht war.

,, Kommt schon, beeilet euch bevor hier wirklich noch die Welt untergeht.“ , rief Lias. ,, Vielleicht hat Helike doch etwas Gutes. Dort regnet es wenigstens nicht.“  Der Gejarn war als erster am Tor und zu ihrer Erleichterung, gelang es ihm  tatsächlich es ein Stück weit aufzuschieben, so dass sie alle ins trockene schlüpfen konnten. Galren unterdrückte ein Lachen, während er  sich das Wasser aus Umhang und Kleidung schüttelte und seinen Rucksack in einer Ecke der Scheune abstellte. Draußen zuckten mittlerweile die ersten Blitze über den Himmel und erhellten immer wieder das innere ihres Verstecks. Die Scheune verfügte über insgesamt zwei Ebenen, die eine, auf der sie sich befanden und die bis auf etwas Werkzeug völlig leer war und nur über einen gestampften Lehmboden verfügte und eine zweite, aus Holbrettern, die von dünnen Säulen getragen wurde. Heu und Strohballen, deren aromatischer Duft das komplette innere der Halle erfüllte, waren dort bis knapp unter die Decke aufgestapelt worden. Nun, zumindest war es trocken, dachte Galren. Und er hatte in seiner Kindheit mehr als einen Tag bei Regen draußen verbracht. Nur war er dabei nie in der offenen Ebene gewesen sondern in den Wäldern Hamads. Hier draußen gab es kaum Schutz vor den vom Himmel stürzenden Wassermassen.

Die anderen waren genauso durchnässt wie er selbst, allen voran Armell, die ihre Winterkleidung seit sie die Berge verlassen hatten nur noch in ihrem Rucksack mit sich trug. Ihr waldgrünes Kleid war mit Schmutzflecken von ihrer Flucht über die Felder übersäht.

,, Nicht grade das beste Gasthaus von Vara, aber es hätte schlimmer kommen können.“ , meine Lias beinahe entschuldigend

,, Macht ihr Witze ?“ Armell lachte während sie eine kurze Leiter zur zweiten Ebene der Scheune erklomm.,, Das ist besser als jedes Anwesen. „ Sie schien die unwillkommene Unterbrechung ihrer Reise regelrecht zu genießen und atmete den Duft des Heus tief ein. . Galren konnte sehen, wie Merl kurz lächelte, bis sie sich wieder zu ihm umdrehte . ,, Kommt schon, sehen wir zu das wir ein paar Heuballen hier runter schaffen.“

Es dauerte nicht lange und sie hatten ein gutes Dutzend der zusammengebundenen Strohballen aauf dem Boden verteilt, die ihnen als Sitzgelegenheit dienten. Draußen tobte nach wie vor der Sturm und wenn Galren die Zeit richtig einschätzte, würden sie wohl vor morgen früh nicht mehr hier wegkommen. Sentine verwandelte sich unterdessen in eine winzig Maus und verschwand in einem Haufen losen Heus, während  Merl einige ihrer Vorräte hervorholte und verteilte, vor allem Brot , Käse und einige Streifen Trockenfleisch. Galren war nicht wirklich hungrig knabberte allerdings trotzdem an einem Stück Käse, das er mit einem Messer in Streifen Schnitt. Bis auf das Heulen des Unwetters war es erneut Still geworden.

,, Ihr habt vorhin, die Clans erwähnt.“ , begann Galren schließlich, als das Schweigen ihm zu drückend wurde. ,, Verzeiht meine Neugier, aber was genau hat es mit denen auf sich ? Ich meine ich habe davon gehört, aber bis auf Lias bin ich selten einem Gejarn begegnet…“

,, Nun, die Clans genießen in Canton einen gewissen Sonderstatus könnte man sagen.“

,, Wieso ?“

,, Nun, das hängt vor allem mit einem Gejarn namens Beroe zusammen. Er war der einzige, der es je geschafft hat, alle Clans unter einem gemeinsamen Banner zu vereinen. Das war lange vor dem Aufstieg von Simon Belfare zum Kaiser, etwa zu der Zeit, als die Erdwacht erbaut wurde und Canton die ersten Versuche unternahm, die Herzlande zu erobern , aber offenbar schafft Beroe  es mit seinen Männern sogar die fliegende Stadt selbst einzunehmen.“

,, Er hat den Kaiser besiegt ?“

,,Nicht ganz, aber er hat ihm offenbar Respekt beigebracht. Im darauf folgenden Friedensvertrag erhielten die Clans schließlich eine ganze Reihe von Sonderrechten unter anderem zahlen sie obwohl sie offiziell Untertanen des Imperiums sind keine Steuern und solange sie sich an die geltenden Gesetze halten, haben sie das Recht fast überall ihr Lager aufzuschlagen. Die Clans leben nicht in festen Siedlungen sondern ziehen innerhalb ihrer jeweiligen Gebiete ständig von Ort zu Ort. Das hat auch immer wieder zu kleineren und größeren Konflikten mit den Menschen in den Herzlanden geführt, deshalb halten sich die meisten von den Dörfern fern.

Als Simon Belfare Jahrhunderte später den Thron eroberte, erkannte er diese alten Rechte ebenfalls an. Offenbar war sein oberster Feldherr und damit wohl erster Hochgeneral Cantons ebenfalls ein Gejarn, ein Wolf um genau zu sein. Vielöleicht hat das dabei eine Rolle gespielt. Letztendlich ist die Beziehung zwischen Clans und Kaiser immer schon eine symbiotische, wenn auch nicht ohne Spannungen. Die Kaiser könnten niemals ohne die Clans regieren auch wenn sie das wohl nie zugeben würden. Die Herzlande sind die Kornkammer des Reichs und die meisten Handelswege führen an einem Punkt durch Clangebiet. Spielen die Gejarn nicht mit, kann das gesamte Reich instabil werden. Gleichzeitig sind diese aber auch auf den Kaiser und dessen Schutz angewiesen. Wie gesagt es ist nur einem Mann jemals gelungen sie alle wirklich zu vereinen und alleine sind sie keine große Bedrohung. Im Gegenteil würden sie für viele Freiwild ohne den Kaiser auf ihrer Seite.“

,, Klingt ganz nach Canton. Bloß nichts einfach machen.“ Lias erhob sich von seinem Platz und trat zu den Werkzeugstapeln in den Ecken der Scheune.  Nach wenigen Augenblicken kehrte er schließlich mit zwei abgebrochenen Rundhölzern, die wohl einmal Griffe gewesen waren, zurück und warf einen davon Galren zu. ,, Ich schätze einmal, vor morgen früh kommen wir hier nicht mehr raus, da können wir die Zeit auch nutzen.

Dieser fing das Stück Holz grade noch rechtzeitig auf, bevor es ihm auf die Füße gefallen wäre. ,, Was haben wir den vor ?“

,, Ist das nicht offensichtlich ?“ Ein düsteres Lächeln huschte über die Züge des Gejarn. ,, Es wird Zeit, das du lernst, dich zu verteidigen.“

 

Kapitel 21 Schwertkampf

 

 

Armell sah zu, wie die beiden Männer weg von dem kleinen Kreis aus Heuballen in die Scheune hinaus traten. Galren sah nichts besonders glücklich darüber aus, während  Lias den abgebrochenen Holzstab kurz durch die Luft wirbeln lies. Offenbar fand die provisorische Übungswaffe seine Zustimmung.

,, Auch wenn du das nicht so sehen magst,  ich bringe dir nur bei dich zu wehren. Und ich wünschte ich könnte etwas anderes sagen, aber mir ist wohler wenn du im Notfall auch ohne mich zurechtkommst. Ich werde nicht immer in der Nähe sein um dir und den anderen den Rücken freizuhalten. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, das Armells Onkel uns bis hierhin verfolgen lassen kann, ich gehe kein Risiko ein. Also können wir anfangen?“

Galren seufzte. ,, Vielleicht habt ihr recht. Es kann nicht schaden.“

,, Gut. Das wichtigste ist, das du verstehst worauf du dich einlässt. Ihr  hier in Canton kämpft anders als wir. Wenn du keinen Schild hast oder eine Rüstung trägst ist das einzige das dich vor einem Angriff schützen kann, das hier.“ Der Gejarn löste das Schwert von seinem Gürtel und zog die Klinge blank. ,, Deshalb ist es umso wichtiger, das du lernst mit einer Klinge umzugehen und dich darauf verlassen zu können. Du hast keine zweite Chance. Ich werde versuchen dich anzugreifen und ich will das du alles versucht um mich abzuwehren. Verstanden?“

Galren nickte, während er den Stab fester packte und einen Schritt zurücktrat. Lias legte derweil sein Schwert beiseite und lies die eigene Übungswaffe ohne Vorwarnung in Richtung  des jungen Mannes schnellen.

Armell hatte bereits gesehen wie elegant sich der Gejarn trotz seiner Verletzung bewegen konnte , trotzdem hatte es etwas faszinierendes.  Galren versuchte den Schlag mit einer ungelenken Bewegung abzufangen, doch Lias änderte lediglich blitzschnell die Schlagrichtung und traf ihn direkt vor die Brust.

,, Tot.“ , erklärte er nüchtern, bevor er zurücktrat. ,, Noch einmal.“

Galrne zuckte mit den Schultern, doch jetzt schien ihn der Ehrgeiz gepackt zu haben. Hatte er eben noch gezwungen gewirkt, so blieben seine Augen jetzt auf Lias gerichtet. Der Gejarn schlug erneut zu und diesmal prallte Holz mit einem klackenden Laut auf Holz. Doch nicht für lange, den der ältere Gejarn riss sofort die Waffe zurück und stieß erneut  zu. Und abermals landete er einen Treffer, diesmal an Galrens Hals.

,, Und schon wieder tot.“, meinte Lias grinsend.  Ihm schien die Sache anscheinend Spaß zu machen , während er den Holzstab senkte und erneut von Galren zurücktrat. ,, Wollen wir sehen wie oft du an einem Tag sterben kannst ?  Dein Körper Galren verrät was du tun wirst, noch bevor du es selbst weißt. Dagegen kann man nichts tun, aber du kannst es auch selbst nutzen. Es ist sehr schwer in einem Kampf seine Absichten vollends zu verheimlichen. Versuche zu erahnen was ich tun werde.“

Der Gejarn hob erneut das improvisierte Übungsschwert, während Galren leicht in die Hocke ging, den Stab vor der Brust haltend. Erneut ging Lias auf ihn los, doch diesmal fand er mehr Wiederstand, als er offenbar erwartet hatte. Die ersten Hiebe parierte der junge Mann mit einiger Anstrengung und ging schließlich selbst zum Angriff über. Lias wich tatsächlich einige Schritte zurück, aber Armell erkannte sofort, das er nicht wirklich in Bedrängnis war. Was bei Galren angestrengt und mühevoll wirkte, sah bei dem Gejarn aus, wie ein Tanz. Ohne auch nur einen Moment zu zögern wehrte er jeden Streich des Menschen ab und lies sich scheinbar freiwillig ein Stück vor ihm hertreiben.

Schließlich jedoch hatte er wohl genug und statt den nächsten Angriff Galrens zu parieren, wich er ihm Blitzschnell aus. Wo ein erfahrenerer Kämpfer vielleicht die Gefahr erkannt hätte um die Schlagrichtung zu ändern, stolperte Galren plötzlich ins Leere, bis er über den ausgestreckten Fuß seines Lehrers stolperte und auf den mit Heu bedeckten Boden aufschlug.

Lias tippte ihm mit der Übungswaffe an die Schulter. ,, Tot. Du hast noch viel zu lernen.“ Einen Moment sah er den jungen Mann seltsam an. ,, Aber du lernst schnell.“

Er lächelte als er Galren eine Hand hinstreckte und dieser sich wieder auf die Füße ziehen ließ.

 

Während die beiden Männer ihre Übungen fortsetzten,  sah Armell sich nach Merl um. Der junge Zauberer schien dem Kampf gar keine Aufmerksamkeit zu schenken sondern saß nur auf einem der Heuballen die sie heruntergeschafft hatten und starrte auf den Talisman, den Zachary ihm geschenkt hatte. Der blaue, tropfenförmige Stein in seiner Silberfassung wirkte beinahe Schlicht, aber das war er ganz sicher nicht. Sie überlegte, wie oft sie das Juwel schon bei Zachary gesehen hatte und wenn sie ehrlich war… er hatte sich eigentlich nie davon getrennt, oder? Nein, nicht so lange sie sich zurückerinnern konnte zumindest.

Armells stand von ihrem Platz auf und setzte sich ohne ein Wort neben den Magier. Dieser sah lediglich kurz auf, bevor er sich wieder dem Stein zuwendete. Was war nur aus dem fröhlichen wenn auch immer etwas besorgten Jungen geworden, den sie  vor all diesen Jahren kennen gelernt hatte? Am liebsten hätte sie ihn genau das gefragt, aber… Merl war kein Mann, der sich ein Gespräch aufzwingen lies, nicht?

Schließlich war es der Zauberer selbst, der  langsam anfing zu sprechen. ,, Ich...“ Er stockte kurz. ,, Wisst ihr, vor dem Aufstieg des Ordens und dem Verschwinden der freien Zauberer  war es Tradition, das jeder Meisterzauberer seinen Schülern etwas mit auf den Weg gab, wenn er glaubte, dass er ihnen alles beigebracht hat was er weiß. Ich glaube Zachary wusste das.“

,, Und hat er recht ?“

,, Ich weiß es nicht. Wenn dann hab ich glaube ich nicht sonderlich viel gelernt… Ich… Armell ich bin ein furchtbarer Magier. Egal was Meister Zachary versucht hat mir beizubringen, ich glaube jeder könne das besser als ich.“ Merl beschrieb eine Geste mit der Hand und eine kleine Flamme flackerte über seinen Fingerspitzen auf. ,, Ich beherrsche die Grundlegenden Zauber aber alles was weiterführen würde... Ich meine, ich weiß was ich zu tun habe, Armell, aber jedes Mal wenn ich es versuche… mir fehlt einfach die nötige Konzentration. Oder das Talent.“ Er seufzte. ,, Aber das alles interessiert euch doch überhaupt nicht. Ich klinge wie ein Narr.“

Armell schüttelte den Kopf. ,, Wie oft seit ihr wirklich schon aus Silberstedt weg gewesen ?“

,, Einmal.“ , murmelte der junge Magier.

,, Dann solltet ihr vielleicht aufhören euch so hart zu beurteilen. Glaubt ihr wirklich immer noch, Zachary hätte euch mit uns geschickt wenn er euch nicht vertrauen würde?“

,, Vertraut ihr mir den ?“ Die Frage wurde in dem typischen, fast flüsternden Ton des Magiers gestellt.

,, Sonst würde ich euch nicht mitnehmen.“ Götter, wenn Merl nicht bald auf andere Gedanken kam, hätte er allerdings tatsächlich auch in Silberstedt bleiben können. Armell ermahnte sich selbst, nicht zu hart mit ihm zu sein, aber… ,, Könnt ihr mir eigentlich erklären woran genau Zachary arbeitet ? Ich meine, ich habe den Brunnen gesehen oder was immer es auch ist.“

,, Den Seelenbrunnen.“Merl zögerte einen Moment. ,, Das zu erklären könnte etwas dauern. Wisst ihr, das alte Volk konnte nicht sterben wie wir. Oder zumindest nicht alle von ihnen. Wenn einer ihrer mächtigsten Zauberer starb konnte er seine Seele dabei bewahren. Während der Körper starb, blieb der Geist zurück, frei sich eine neue Hülle zu suchen. Offenbar gab es Magier unter ihnen, die hunderte Leben gelebt hatten und die Erfahrung aus allen davon mit sich durch die Jahrtausende trugen. Das ist was Zachary und ich zu verstehen versuchen. Nun ja ehr… ich… helfe ihm bestenfalls dabei. Aber mittlerweile kennen wir zumindest einige der Grundvoraussetzungen. Offenbar hat s weniger mit der persönlichen Macht eines Individuums zu tun als mit dem nötigen Geisteszustand könnte man sagen. Deshalb gelang es auch nur so wenigen. Man durfte keine Angst davor haben, dem Tod meine ich und selbst wenn das gelang… Es funktioniert nicht ohne einen Anker, etwas, das die Seele nutzen kann um sich nicht in der Unendlichkeit zu verlieren. Aber ob wir es jemals begreifen oder nicht alleine die Tatsache, dass so etwas möglich war ist… faszinierend. Ich meine… wir reden vom alten Volk aber selbst für sie war  die Seelenwanderung eine Herausforderung.“

Dieser Mann konnte einfach wunderbar erklären, dachte Armell. Wenn er das nur auch selber sehen würde. Seine absolute Begeisterung für ihre Arbeit schien ihn geradezu in einen anderen Menschen zu verwandeln. Alle Unsicherheit wich aus seinen Zügen während er sprach und das Leuchten der Begeisterung  in seinen Augen war beinahe ansteckend. Vielleicht hatte Merl Recht und er war kein besonders großartiger Zauberer. Aber ein Lehrer war er…

,, Wie hofft Zachary dann es zu schaffen ?“

,, Ich weiß es nicht, ehrlich gesagt. Ich glaube auch nicht, dass es ihm darum geht unsterblich zu werden. Das ist.. nicht der Mann den ich kenne.“

Armell lachte nervös. Nein, das klang wirklich nicht nach Zachary, trotzdem die Vorstellung etwas Beunruhigendes hatte, so sehr sie den Zauberer auch schätzte.

,, Ihr lacht über mich…“ Die vorherige Selbstsicherheit des jungen Zauberers schien wie ein Kartenhaus in sich zusammenzufallen. Selbst seine Tonlage veränderte sich und wurde wieder zu dem dünnen kaum verständlichen Flüstern, das sie von ihm gewohnt war.

,, Nein, Götter. Nein natürlich nicht !“ Sie hob abwehrend die Hände. Das durfte er nicht einmal kurz glauben, dachte Armell entsetzt.  ,, Merl, das würde ich nie tun.  Es gibt wohl kaum jemanden, der die Dinge so sieht wie ihr.“

,, Das sagt mir Meister Zachary auch immer.“ Ein unsicheres Lächeln huschte über seine Züge.

,, Dann glaubt es auch.“ Sie legte Melr eine Hand auf die Schulter. ,,Bitte sprecht weiter…“

Jetzt wo sie ihn einmal aus seiner Konzentration gerissen hatte, brauchte er anscheinend eine Weile um den Faden wiederzufinden. Oder aber um den nötigen  Mut zusammen zu kratzen. Vielleicht verstand sie in diesem Moment besser als er selbst, was sein Problem sein könnte, wenn er davon sprach, sich nicht konzentrieren zu können. Und es hatte wenig mit Geistesgegenwart zu tun. Wenn er einmal in Form war konnte er vermutlich… nun alles meistern, dachte Armell lächelnd. Aber er durfte sich nicht mehr durch Kleinigkeiten verunsichern lassen. Vielleicht hatte Zachary ihn auch deshalb mit ihnen geschickt. Er hatte alles was er brauchte, Melr musste es nur noch anwenden lernen.

,, Wusstet ihr, das die Clans der Gejarn etwas ganz ähnliches glauben ?“ , fuhr er schließlich fort.

,, Ich wusste nicht einmal, das die Clans eine eigene Religion haben.“

,,  Nicht nur eine Religion, es ist mehr eine komplett andere Lebensphilosophie. Wenn man ihren Ältesten und Schamanen glauben kann, dann sind selbst ihre Seelen anders beschaffen als die unseren.“

,, Wie genau meint ihr das ?“

,, Wenn ein Mensch stirbt, dann kehrt er nicht zurück.“ , erklärte Merl. ,, Das ist offensichtlich. Ob unser Geist nun in der Leere verschwindet oder in die goldenen Hallen der Götter einzieht oder vom Seelenschlund verschlungen wird, sei dahingestellt. Punkt ist, stirbt jemand, ist er fort. Für die Gejarn sieht die Sache allerdings anders aus. Ihre Seelen gehen an keinen dieser Orte oder wenn dann sind sie dort nur flüchtige Besucher wo wir den Rest der Ewigkeit verbringen. Nach einer Weile, es können wenige Monate bis zu einem halben Jahrtausend sein, kehrt die Seele des Gejarn jedoch auf diese Welt zurück entweder aus freien Stücken oder vielleicht auch weil sie gerufen wird und wandelt dann als Geist unter den seinen. Angeblich gibt es auch Orte, an denen sich diese Ahnengeister besonders sammeln, Plätze, die den Gejarn heilig sind und meist auch von den übrigen Bewohnern der Herzlande respektiert werden. Von diesen Orten aus können die Geister erneut körperliche Form annehmen und werden als lebende Wesen wiedergeboren. Persönlichkeit und Charakter bleiben dabei meist intakt, was jedoch verloren geht ist das Gedächtnis. Tatsächlich behaupten die Ältesten immer wieder, sie hätten in einem der ihren einen lebenden Ahnen erkannt auch wenn diese das natürlich selbst nicht länger bezeugen können.“ Erneut verschwand die Unsicherheit des Mannes scheinbar im Nichts und Armell gewann langsam einen Eindruck von dem, was Zachary vielleicht in ihm gesehen hatte. Der Magier, der er einmal werden könnte, wenn Zeit und Erfahrung ihn geschliffen hatten, Weise, zurückhaltend, aber nicht um Worte verlegen wenn es darauf ankam.

,, Klingt tatsächlich ähnlich dem, was ihr über das alte Volk erzählt habt. Und danke. Ich glaube nicht jeder würde sich die Zeit nehmen das alles zu erklären.“

Merl nahm das Lob mit einem Kopfnicken zur Kenntnis, doch sie konnte erkennen, wie sich seine Wangen leicht röteten, bevor er schließlich wegsah.

Mittlerweile hatten auch GAlrne und Lias ihre Übungen beendet. Der alternde Gejarn stand entspannt an eine der Holzsäulen gelehnt, die das Obergeschoss der Scheune trugen, während Galren sich schwer amtend auf einen der Heuballen sinken lies.

,,  Bei nächster Gelegenheit wiederholen wir das.“ , erklärte Lias.

,, Wenn ich mich morgen überhaupt bewegen kann.“ , stöhnte der junge Mann.

,, Das solltet ihr besser.“ , meinte Armell lachend. ,, Wir haben noch ein gutes Stück weg vor uns und sollten zumindest die Erdwacht vor der nächsten Dämmerung erreichen.“

 

 

Kapitel 22 Erdwacht

 

 

 

Die weitere Reise verlief größtenteils ereignislos.  Als sie am nächsten Morgen aus der Scheune ins freie traten, war das Unwetter längst weitergezogen und hatte außer einigen umgestürzten Zäunen und dutzenden von Wasserpfützen auf den Feldern keine Spuren mehr hinterlassen. Lediglich einige schnell am Himmel dahinziehende Wolken standen noch vor der Sonne, die warm auf das Land schien. Der Duft von Regen, Laub und Erde, der sie gestern schon begleitet hatte schien sich noch einmal zu verstärken, während die Blätter von Büschen und Bäumen langsam trockneten. Der Weg dem sie folgten führte in einem Bogen  zwischen den abgeernteten Feldern hindurch, bis er erneut in den Wäldern verschwand. Unter den dichten Zweigen tropfte nach wie vor beständig Wasser auf sie herab aber im Vergleich zu dem Sturm vom Vortag war das hier gar nichts. Ihre Kleidung war ohnehin nur halbwegs trocken geworden und Merl zog sich erneut die Kapuze seines braunen Gewands ins Gesicht. Es war seltsam darüber nachzudenken, wie weit sie mittlerweile von Silberstedt entfernt waren. Und damit allem, was er bisher gekannt hatte…

Galren schien weitaus weniger Probleme damit zu haben, als er. Im Gegenteil, dem Mann schien es nicht schnell genug voran zu gehen, obwohl ihm der Muskelkater sichtlich zu schaffen machte…

Und Armell… Es tat gut sie ab und an wieder einmal lächeln zu sehen, dachte er.  Ihre Besuche in Silberstedt waren über die letzte Jahre immer seltener und flüchtiger geworden und er wusste zu gut, welche Verantwortung sie Tag für Tag mit sich herumgetragen hatte. Vielleicht war das allein es schon Wert, das alles auf sich zu nehmen wenn ihre Last dabei etwas kleiner wurde…

Vielleicht hatte Zachary auch deshalb zugestimmt ihnen zu helfen. Und wenn nicht… dann hätte er ihn eben darum gebeten, dachte Merl. Aber hätte er das auch getan wenn er gewusst hätte, dass er sie begleiten würde? Nach wie vor wusste er nicht was sein Meister wirklich damit bezweckte. Er konnte nur hoffen, dass er das Vertrauen das Zachary in ihn setzte nicht enttäuschen würde. Etwas das leichter gesagt als getan war …

Manchmal wusste er auch nicht ganz ob er Zachary überhaupt verstehen konnte. Merl wusste zu gut, das sie mit Magie arbeiteten, die weit über ihr Verständnis hinausging und sein Meister bekam das offenbar mehr zu spüren als er. Manchmal wirkte es fast so, als würde er sich mit jemanden unterhalten der gar nicht da war um sich dann blitzartig wieder an die Arbeit zu machen.

Es dauerte bis in den frühen Nachmittag hinein, bis sie die Wälder erneut hinter sich ließen und als sie diesmal unter den Wipfeln hervortraten, hatte sich die Landschaft erneut grundlegend verändert. Hier gab es keine Felder mehr, nur einen wenige hundert Schritte breiten Grünstreifen und dann… nichts mehr. Nur noch ein tiefer Abgrund mit schroffen Felswänden, der sich wie eine Narbe durch das Land zog.  Lediglich einige wenige Pflanzen, Farne und Flechten fanden an den Wänden halt. Wasser glitzerte in der Tiefe und wirkte von oben mehr wie ein Bach. Lediglich das von den Klippen wiederhallende gurgeln verriet, das der Strom dort unten, durch die vergangenen Regenfälle mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit dahin schoss. Würde man Fallen und brächte einen der Sturz nicht um, die Gewalt der Wassermassen würde vermutlich den Rest erledigen… Merl trat etwas von der Kante zurück, während die anderen weiterhin in die Tiefe starrten.

,, Das ist der Erdschlund.“ , erklärte Armell und winkte schließlich auch  Galren und Lias zu, sich von der Klippe zu entfernen. ,, Diese Schlucht durchzieht fast die gesamten Herzlande in einer graden Linie. Und soweit ich weiß, befindet die fliegende Stadt sich etwa einen Tagesmarsch entfernt auf der anderen Flussseite.“

,, Ich vermute mal neben der Erdwacht die ihr erwähnt habt, gibt es keinen besseren weg da rüber ?“ , fragte Lias.

Sie schüttelte den Kopf. ,, Außer klettern oder außen herum zu gehen, nein. Es gibt stellenweise zwar einige kleinere Brücken aber die meisten sind alles andere als sicher und was den Handel angeht, so nehmen die meisten Karawanen den Weg über die Erdwacht, genau wie wir. Es kann nicht mehr weit sein, wir müssen eigentlich nur dem Strom folgen.“

Damit machten sie sich erneut auf den Weg, immer entlang der kurzen Freifläche zwischen Waldrand und Abgrund. Das Rauschen des Wassers wurde ihr ständiger Begleiter, während sich vor ihnen nach einer Weile etwas im Dunst abzuzeichnen begann. Merl hatte alte Zeichnungen dieses Ortes gesehen, aber nun direkt davorzustehen war doch etwas anderes. Es mochte sein, das die meisten Gebäude der Anlage heute  verlassen und in sich zusammengefallen waren, aber zu ihrer Glanzzeit war die Erdwacht vielleicht das größte Bollwerk gewesen, das je von Menschenhand erschaffen worden war. Die aus grau-schwarzem Granit gefertigten Türme waren noch nicht alle verschwunden und die abgebrochenen Überreste von dutzenden weiteren ragten wie Finger einer Hand in den blauen Himmel. Bei Nacht hätte Merl sicher einen großen Bogen um diesen Ort gemacht, aber bei Tag wirkte es eher faszinierend als einschüchternd. Dutzende von Wehrgängen die alle ineinander zu laufen schienen Verbanden Innenhöfe und halb verfallene Wirtschaftsgebäude mit  Schwindelerregende an der Klippe entlanglaufenden Mauerbögen, in denen bereits dutzende von Steinen fehlen. Die Festung war über die Jahrhunderte ihrer Nutzung immer wieder gewachsen und das sah man auch. Irgendwann hatten die Baumeister wohl einfach begonnen, die alte Struktur abzubauen und zu erneuern, statt ständig einen neuen Befestigungsring hinzuzufügen, so das von der ursprünglichen Anlage wohl kaum mehr etwas übrig sein dürfte. Die Straße, die auf den Torbogen des Haupttores zuführte hingegen war in besseren Zustand. Die Festung mochte ausgedient haben, aber als eine der wichtigsten Handelsrouten in Canton blieb die Straße nach wie vor bestehen und trug damit wohl auch dazu bei, dass dieses alte Bollwerk zunehmend verschwand. Viele der verwendeten  Pflastersteine wiesen das gleiche, grau-schwarze Profil wie die Mauern der Erdwacht auf. Vermutlich hatte man beim Bau einfach das hergenommen, was man an Trümmern hatte verwenden können.

Im inneren des Burghofs hatten sich Pfützen gesammelt und Wasser tropfte von den von Ranken und Efeu überwucherten Dächern in die einstmals lebendigen Hallen. Von den Toren  und Türen der Anlage selber war nach all den Jahrhunderten der Vernachlässigung nichts mehr geblieben. Und doch hatte der Verfall hier seine eigene Art von Schönheit, dachte Merl, während sie den Hof hin zum zweiten Tor überquerten. Erneut drang das Rauschen des Flusses  an seine Ohren und er fragte sich , ob der zweite Innenhof vor ihnen nicht schon über den Rand der Schlucht hinaus ging. Und dann erkannte er seinen Fehler. Was vor ihnen lag war kein weiterer Burghof, auch wenn es fast genau so breit gebaut war. Es war eine Brücke. Das Tor hatte sein Sichtfeld soweit eingeschränkt, dass er die Enden an beiden Seiten nicht einmal mehr gesehen hatte und die Krümmung des steinernen Bogens verlief  Aufgrund seiner Größe so flach, das man sie kaum bemerkte Vermutlich hätten zwei Dutzend Leute Problemlos nebeneinander über die Brücke gehen können… Alleine die Steinblöcke, die das Rückgrat der Konstruktion  bildeten waren größer als manches Haus.

,, Götter, wer baut so etwas ?“ , fragte Lias, als er langsam aus dem Tor hinaus rat. Hätt Merl nicht gewusst, das sich unter ihnen jetzt ein Abgrund befand, er hätte es vermutlich nicht gemerkt, solange er sich in der Mitte der Brücke hielt.

,, Angeblich stammt zumindest die Brücke noch aus der Zeit der Zwerge.“ , erklärte der junge Zauberer. ,, Auch wenn ich mir nicht vorstellen will, wie ein Volk ohne Magie so etwas fertig bringen konnte.“

,, Zwerge…“ Der Gejarn sah ihn an, als wäre er sich nicht sicher, ob Merl sich nicht einen Scherz mit ihm erlaubte. ,, Verzeiht ich habe Riesen gesehen, Menschen, Gejarn, die Ruinen eures alten Volkes… aber mir ist noch nichts untergekommen, was ich als Zwerg bezeichnen würde.“

,, Das wundert mich nicht. Nach dem wenigen was wir an Aufzeichnungen haben, existierte ihre Kultur nicht lange.  Offenbar begann ihr Aufstieg kurz nach dem Ende des alten Volkes und sie verschwanden bereits wieder, als die ersten Menschen grade ihren Weg aus den Eiswüsten des Nordens nach Canton fanden.“

,, Sie verschwanden einfach ?“

Merl nickte. ,, Wo das alte Volk scheinbar über Jahre langsam zugrunde ging, zogen die Zwerge sich an einem einzigen Tag und in einer einzigen Nacht zurück, nur um nie wieder aufzutauchen, ihre Hallen verlassen und leergeräumt. Vielleicht haben sie ja den gleichen Weg genommen, wie wir jetzt.“

,, Ihr meint über das Meer ?“

,, Es gibt sonst nur zwei Wege aus Canton hinaus. Durch die Wüsten im Süden und weiter in den Norden und  soweit ich weiß ist auf beiden Routen ist noch nie jemand zurückgekehrt. Nun ja… über das Meer allerdings auch nicht.“

,, Dann werden wir eben die ersten sein.“ , meinte Galren. Merl wusste noch nicht  ganz, was er von dem Mann halten sollte. Auf der einen Seite meinte er es wohl wirklich ernst und auf der anderen… machte er sich den gar keine Sorgen, was ihnen bevorstehen könnte? Oder konnte er die nur besser verbergen, als er selbst?

Sie hatten mittlerweile den höchsten Punkt des Brückenbogens erreicht und Armell war stehengeblieben und sah vom  Geländer aus in die Schlucht hinab. Von hier war der Wasserlauf am Grund nur noch ein kaum wahrnehmbarer, silbriger Faden.

,, Würdet ihr mir noch etwas verraten bevor wir ankommen ?“ , fragte Galren. ,, Der Kaiser… was genau ist das für ein Mann ?“

,, Ich bin ihm selber nie begegnet.“ , antwortete die Fürstin. ,, Aber Zachary scheint ihm zu vertrauen. Kellvian Belfare ist ein direkter Nachfahre von Simon Belfare, und bestieg den Thron vor etwa 21 Jahren nach dem Tod seines Vaters. Offenbar war genau das auch einer der Auslöser für den Krieg der dann folgte. Die Adelsversammlung… darunter auch meine Eltern und allen voran natürlich Andre de Immerson , weigerten sich schlicht ihn als Herrscher anzuerkennen, nachdem das Land ohnehin schon durch einen Gejarn-Aufstand in Unruhe geraten war. Viele witterten vielleicht auch nur ihre Chance, sich zu bereichern während ein junger noch unerfahrener Kaiser versuchte, das Land wieder zu ordnen. Am Ende hätten sie sich wohl nicht mehr irren können. In den folgenden Schlachten wurde der aus den abtrünnigen Adeligen bestehende Aristokratenbund vollständig geschlagen.“

,, Ich verstehe nur nicht, wieso man euch noch dafür büßen lässt.“ ,  bemerkte Merl leise.  ,, Ihr habt doch nichts verkehrt gemacht, Armell.“

Sie antwortete nicht sofort, während sie einen Moment einfach nur in die Tiefe sah. ,, Ehrlich gesagt wäre Freybreak in dem gleichen Zustand wie jetzt und hätte ich diese Gelegenheit… Ich kann nicht beschwören was ich tun würde. Loyal bleiben oder versuchen etwas für meine Stadt zu gewinnen?“

Merl stockte. Das meinte sie doch nicht ernst… Und doch glaubte er es verstehen zu können. Sie war wirklich so verzweifelt nicht? Und insgeheim hatte er es auch gewusst, als sie vor einigen Tagen in Silberstedt aufgetaucht war. War es wirklich Hoffnung die sie zu dieser Expedition trieb… oder nur ein letzter Strohhalm nach dem Armell griff. ?

,, Aber das war damals nicht der Fall, oder ? Freybreak war nicht immer so wie heute.“

Die Fürstin sah ihn einen Moment seltsam an, ihr Gesicht eine reglose Miene , die nicht verriet, was in ihr Vorgehen mochte. Ihre Augen jedoch begannen wässrig zu glänzen, bevor sie sich wieder wegdrehte. Armells Reaktion erschreckte ihn geradezu. Hatte er etwas falsches gesagt? Konnte man einen Menschen verletzen obwohl man ihn doch eigentlich in Schutz nehmen wollte? Armell war nicht wie ihre Eltern und das… Das war das Problem. Sie wusste es, dass es keine Entschuldigung für den Aufstand ihrer Familie gab. Und trotzdem tat sie alles um das zu erhalten was von ihrem Vermächtnis noch übrig war. Götter, warum hatte er nicht einfach die Klappe gehalten…

 Als Armell sich ihnen wieder zuwendete, waren ihre Augen trocken und ihre Mine scheinbar entspannt. ,, Wir brechen besser auf.“ , erklärte sie ruhig. ,, Mit etwas Glück haben wir unser Ziel morgen früh erreicht…“

Merl sah ihr lediglich nach, als sie an ihm vorbeitrat und Lias und Galren ihr zögerlich folgten. Wie viel sie von dem was eben geschehen war mitbekommen hatten wusste er nicht zu sagen. Aber es war auch egal, dachte er, während er ihnen schließlich folgte. Was Armell anging, so bezweifelte er, das sie schnell vergas…

 

 

 

 

Kapitel 23 Die fliegende Stadt

 

 

 

Galren starrte sprachlos zu der Ansammlung aus schwebenden Bauwerken hinauf, die sich vor ihnen gegen das Strahlen der Morgensonne abzeichneten. Es war, als wäre  der Traum eines wahnsinnigen Architekten in die Wirklichkeit übergewechselt. Aber die fliegende Stadt wirkte durchaus real, wie sie unmerklich langsam am Himmel entlang zog. Dutzende von kleineren und größeren Inseln, die durch silbern glänzende Brücken verbunden waren, gaben der Silhouette der Stadt das Aussehen eines unsymmetrischen Spinnennetzes. Auf die Entfernung konnte Galren nur wenige Gebäude erkennen, aber die Ausmaße der Anlage mussten gewaltig sein. Im Vergleich zu Freybreak war Silberstedt ihm groß vorgekommen. Silberstedt jedoch wiederum würde vermutlich einfach im Schatten einer der schwebenden Inseln   verschwinden... Und dann war da die Masse an Menschen, die der fliegenden Stadt auf ihrem Weg folgten. Galren versuchte sich zu erinnern ob er jemals so viele Leute auf einmal gesehen hatte. Tausende wenn nicht mehr, zu Fuß, zu Pferd oder mit Kutschen unterwegs. Soldaten der kaiserlichen Garde liefen neben Handwerkern und ihren Karren, weniger privilegierte Adelige reisten keine hundert Schritte entfernt von Männern und Frauen in ausgefranster Kleidung und zertretenen Schuhen, die wohl von dem Lebten was bei dieser gewaltigen Karawane für sie abfiel.

Und mitten in diesem Chaos versuchten sie nun irgendwie, ihren Weg zu finden, duckten sich vor den Hufen der Pferde und den Kutschenrädern weg, während Armell die Augen nach etwas offen zu halten schien. Wonach jedoch, das wusste Galren nicht. Wie sollte man bei diesem Durcheinander eigentlich überhaupt jemanden erkennen? Allein der Lärm war atemberaubend, Hufschläge, Rufe, das Wiehern von Pferden und dutzenden weiterer Tier, die entweder als Transportmittle oder lebende Vorräte dienten.

Sentine hatte sich als Adler in die Luft erhoben und kreiste über ihren Köpfen hinweg, doch nach wie vor weit unterhalb der ersten Stadtteile.

,, Götter, ist hier immer so viel los ?“ , fragte Galren, während sich die kleine Gruppe weiter vorankämpfte. Obwohl er ständig mit jemand zusammenstieß konnte er es nicht lassen, immer wieder den Kopf in Richtung der am Himmel schwebenden Bauten zu heben. Es schien unmöglich und doch waren sie da, von nichts am Himmel  gehalten.

,, Ihr solltet sehen was passiert, wenn der Kaiser eine Adelsversammlung einberuft.“ , meinte Merl neben ihm. Selbst der normalerweise leise Magier musste fast schreien um sich verständlich zu machen. ,, Zachary hat mir einmal davon erzählt… Das Land ist so weit man sehen kann unter Menschen verschwunden. Handwerker, Diener, alle die, die oben in der Stadt eben keinen Platz haben oder keinen bekommen.“

,, Wahnsinn.“  Lias sah ebenfalls wie gebannt nach oben. ,, Aber beeindruckend.“

,, Man sagt vor dem Krieg war dieser Ort noch erhabener.“ , bemerkte Merl. ,, Kurz vor dem Krieg wurde die fliegende Stadt leider schwer beschädigt und ich glaube bis heute sind noch nicht alle verlorenen Fragmente wieder an ihrem Platz.“

Weiter vorne hatte Armell mittlerweile offenbar gefunden, was sie gesucht hatte. Die junge Adelige hielt zielstrebig auf eine Gruppe von mit Pistolen und Schwertern bewaffneten Gardisten zu. Die Männer hoben sich deutlich von den übrigen Soldaten ab, die Galren bisher hier gesehen hatte. Es waren insgesamt zehn, alle zu Pferd. Die blauen Uniformen die sie trugen  waren beinahe peinlich genau sauber und die goldenen Ziernähte und Knöpfe daran spiegelten das Licht der Morgensonne. Statt unbeirrt mit der Menge mitzulaufen ließen sie ihre Tiere etwas langsamer gehen, so dass die Menschenmassen sich an ihnen brachen wie an einem Felsen in der Brandung. Egal wie eilig es die übrigen Reisenden haben mochten, die meisten machten einen weiten Bogen um diese zehn Gestalten wenn es ihnen möglich war und kaum einer hob auch nur die Stimme , wenn er plötzlich durch das lebende Hindernis ausgebremst wurde.

,, Ein Teil der Kaiserliche Leibgarde.“ , flüsterte Lias Galren zu, als er dessen fragenden Blick bemerkte. Zumindest soweit man in diesem Chaos von Flüstern sprechen konnte. ,, Das ist die persönliche Wache des Kaisers, es heißt er würde sie sogar selbst auswählen. Sie sind absolut loyal  und begleiten ihn praktisch überall hin. Die besten Kämpfer aus allen Provinzen eures Kaiserreichs. Und die einzigen Krieger  von denen ich je gehört habe, dass sie einen Schwertmeister Helikes im Zweikampf schlagen könnten.“

Armell schien sich davon allerdings nicht beeindrucken zu lassen, als sie einem der Männer ein Zeichen gab und tatsächlich wurde die kleine Abteilung Soldaten noch einmal langsamer, während die Gruppe zu ihnen aufschloss. Die Männer ließen sich nicht im geringsten Anmerken ob die ungewöhnliche Gemeinschaft, die dort auf sie zukam sie nervös oder misstrauisch machte. Ihre Gesichter blieben genau so kalt wie der Stahl ihrer Waffen.

,, Ihr wünscht ?“ , fragte einer von ihnen. Der Ton war genauso nichtssagend wie alles an ihnen, weder freundlich noch bösartig, als hätten diese Männer irgendwie gelernt ihre Identität, ihre ganze Persönlichkeit, zu verbergen wenn es darauf ankam.

,, Mein Name ist Armell D'Ambois und ich habe hier ein Empfehlungsschreiben von Lord Zachary de Immerson und eine Bitte um eine Audienz mit dem Kaiser.“

Der Gardist schien tatsächlich kurz nachzudenken. ,, Ich bin mir sicher, ich darf dieses Schreiben einmal sehen ?“

Galren tastete rasch nach dem kleinen Beutel in dem er sowohl den Brief von Zachary als auch die Karte aufbewahrte. Einen Moment war er absolut davon überzeugt, dass er sie verloren haben würde. Das irgendetwas erneut dazwischenkommen würde. Doch nichts dergleichen. Die beiden wertvollen Pergamentstücke waren nach wie vor genau da wo sie hingehörten.

Der Soldat brach sofort das Siegel des Schreibens, sobald Galren es ihm reichte und begann einen Moment zu lesen. Zum ersten Mal trat eine Emotion in seine Züge. Überraschung. Er sah erneut auf die geschriebenen Zeilen und dann auf die vierköpfige Gruppe vor ihm.

,, Man erwartet euch bereits.“ Statt ihnen den Brief zurückzugeben gab er den übrigen Männern ein Zeichen, worauf zwei von ihnen einen Handspiegel aus der Tasche holten und einen Moment hin und her bewegten, bis die Sonne direkt darauf fiel und hinauf zur fliegenden Stadt reflektiert wurde.

Was bitte sollte das heißen, man erwartete sie bereits? Der Kaiser konnte unmöglich gewusst haben, dass sie hierher kommen würden… und wenn Zachary eine Möglichkeit hätte, Nachrichten schneller zu übermitteln als sie hierher gelangen konnten warum dann überhaupt der Brief? Das gefiel ihm nicht… Galrens Hand wanderte unwillkürlich zum Schwertgriff. Lias hatte am gestrigen Abend seine Drohung wahrgemacht erneut mit ihm zu üben. Und vermutlich würde er das auch in Zukunft bei jeder Gelegenheit tun. Aber bereits nach der kurzen Zeit legte sich seine anfängliche Scheu vor der Waffe. Hier ging etwas viel seltsameres vor sich…

Nachdem die zwei Gardisten ihre Spiegel wieder gesenkt hatten, nahm Galren oben an der Stadtinsel eine Bewegung wahr. Zuerst wusste er nicht ob er sich nicht täuschte, aber langsam aber sicher löste sich ein schwarzer Punkt von der Außenseite der Stadt und wurde zu ihnen herab gelassen. Eine Gondel. Die Seile, welche die Konstruktion aus Holz und Metall hielten waren bestimmt so dick wie seine Arme und er bezweifelte, dass sich der Mechanismus, der die Seilwinde am anderen Ende antrieb, überhaupt durch Muskelkraft bewegen ließ… Vielleicht Magie oder eine der technischen Meisterleistungen die die Gelehrten Varas ersonnen. So oder so es dauerte nicht lange, bis die Gondel den Boden erreicht hatte. Die Außenseite war mit vergoldeten Schnitzereien verziert, die das in Silber gehaltene Wappen des Kaiserhauses, einen Adler und einen Löwen,  einkreisten und der Kontrast zu dem dunklen, durch die Zeit fast schwarz gewordenem, Holz lies die geschnitzten Szenen und Bilder beinahe lebendig erscheinen. Bevor Galren jedoch Zeit hatte einen näheren Blick darauf zu werfen, saß einer der zehn Gardisten ab und öffnete die Tür des Gefährts für sie.

,,Ich vermute, ihr wisst wohin ihr müsst ?“ , fragte er ohne echtes Interesse. ,, Der Kaiserpalast ist nicht zu verfehlen. Man weiß bereits, das ihr bald eintreffen werdet und euch in Empfang nehmen. Ich würde mir für den Weg allerdings nicht zu viel Zeit lassen. Der Kaiser wird ungern warten…“

,, Vielen Dank.“ , murmelte Armell  lediglich und ihr Tonfall verriet, dass sie es keineswegs so meinte. Doch wenn der Gardist etwas davon mitbekam, zeigte er es nicht. Während er Armell in die Gondel folgte, fragte er sich erneut, woher man bloß gewusst haben konnte, dass sie auf dem Weg hierher waren. Oder wieso das so wichtig war, das der Kaiser seine Leibgarde darüber informierte. Und noch etwas wurde ihm mit einem mal bewusst, als die Tür wieder hinter ihnen geschlossen wurde und die Gondel mit einem Ruck vom Boden abhob. Sie kamen nicht einfach so wieder aus der fliegenden Stadt heraus. Waren sie einmal oben, saßen sie fest, bis man sie gehen ließ…

Der Boden blieb rasch unter ihnen zurück und die gewaltige Masse aus Menschen und Tieren schrumpfte bald auf die Größe von Miniaturen, so das Galren keine Einzelheiten mehr erkennen konnte.  Das leichte Schwindelgefühl beim Blick in die Tiefe hatte etwas Vertrautes und gleichzeitig war es völlig fremd. Das hier war anders, als am Rand einer Klippe zu stehen. 

Dafür jedoch wurde die fliegende Stadt jetzt immer deutlicher sichtbar. Die Brücken, die vom Boden aus schon wie aus Silber gefertigt wirkten, waren tatsächlich aus irgendeinem Metall gefertigt worden. Die miteinander verwobenen dünnen Drähte hatten beinahe etwas von Stoff, auch wenn sie so stabil waren, dass sie nicht einmal schwankten, wenn jemand darüber ging. Gärten, waren auf den kleineren der schwebenden Inseln angelegt worden, die die einzelnen Stadtteile bildeten und auf den größeren Reihten sich Paläste und Villen aus Marmor und hellem Sandstein aneinander. Gewaltige Plätze auf denen manches Dorf Raum gefunden hätte und Straßen breit genug für hundert oder mehr Leute durchzogen sämtliche Teile der Anlage und Galren wollte gar nicht wissen, wie man das Wasser für die Springbrunnen und künstlichen Bachläufe in den Parkinseln herauf geschafft hatte. Mit einem hatte Lais wohl recht, dieser Ort war Wahnsinn.

,, Allein das alles in Stand zu halten muss Unsummen verschlingen.“ , überlegte er laut.

,, Eigentlich nicht.“ , antwortete Merl. ,, Ihr vergesst wer diesen Ort ursprünglich erschaffen hat. Das alte Volk hat dafür gesorgt, das sich die meisten Dinge selber in Schuss halten. Nehmen wir die Brücken beispielsweise. Ich habe Geschichten darüber gehört, wie Leute versucht haben sie zu beschädigen. Es ist schlicht nicht möglich, selbst wenn man einen Kratzer in das Metall schlägt, schließt sich dieser innerhalb weniger Herzschläge wieder. Die ganze Stadt ist ein einziges, gigantisches Geflecht aus Zaubern, die alle ineinander greifen und ihn erhalten.“

,, Und was genau erhält die Zauber aufrecht ?“ Wenn er sich richtig an das erinnerte, was Armell ihm über Magie erklärt hatte, dann konnte es so etwas wie einen dauerhaften Zauber nicht geben. Er brauchte immer eine Quelle, in den meisten Fällen wohl einem Zauberer. Aber kein einzelner Magier könnte so etwas wie die Magie aufrechterhalten, die hier am Werk war, oder?

,, Niemand weiß es ganz genau.“ , antwortete Merl. ,, Das Gewebe aus Magie ist hier so dicht und vielschichtig, das die meisten Zauberer jede Orientierung verlieren, wenn sie versuchen ihre Quelle zu finden und generell gibt es gewisse… Einschränkungen, was fremde Magie an diesem Ort angeht. Beispielsweise ist es unmöglich sich in die Stadt oder wieder hinaus zu teleportieren. In alter Schutzmechanismus den wohl noch das alte Volk erschuf.“

,, Und das sagt ihr uns jetzt ?“

,, Ich glaube nicht, das es eine große Rolle spielt.“ , antwortete der Magier, während die Gondel endlich zu einem halt kam und sie ihre ersten Schritte auf das Straßenpflaster der fliegenden Stadt setzten. Der Kaiserpalast lag mitten im Zentrum des Wegnetzes aus Brücken und Bezirken  und bildete noch einmal eine eigene Stadt inmitten der Stadt. Die gewaltige Anlage nahm eine komplette schwebende Insel nur für sich ein und erstreckte sich fast so weit, wie Galren sehen konnte, als sie einmal davorstanden. Eine Unzahl klobiger Rechteckiger Türme zierten die hohen aus weißem Stein errichteten Außenmauern, die trotz ihres Aussehens wohl nur Zierrat waren. Sollte jemals irgendein Feind so nahe kommen, dass er diese Wälle aus nächster Nähe sah, war der Kampf vermutlich ohnehin verloren. Hinter den Mauern befand sich ein gewaltiges Labyrinth aus ineinander verschachtelten Gebäuden und Hallen, die alle aus dem gleichen hellen Stein errichtet waren. Filigrane Bauten, die inmitten von kleinen Parkanlagen standen wechselten sich mit funktionellen Barracken ab, die wohl der Palastwache als Wohnort dienten nur um dann wieder zu hochaufragenden Prunkbauten mit verzierten Buntglasfenstern und Kuppeldächern überzugehen. Es würde vermutlich ein Leben dauern, sämtliche Winkel des Palastes zu erforschen und selbst dann bezweifelte Galren, das man sich nicht ab und an verlief, dazu war die Anlage einfach zu massiv…

Ein groß angelegter Platz, der selbst die Prachtstraßen der restlichen Stadt eng und drückend wirken ließ, war direkt vor dem äußeren Palastor angelegt worden. Kreisrund prangte genau im Zentrum das in Stein gemeißelte Wappen des Kaiserhauses, der Adler und der Löwe. An der Außenseite des Kreises wiederum befanden sich, kleiner und in Granit eingelassen, die Wappen der Unzähligen Stadtstaaten und Königreiche, die im Verlauf der Jahrhunderte vom Kaiserreich erobert oder durch Abkommen geschluckt worden waren. Galren erkannte das Sternenwappen der Gelehrtenstadt von Vara, das Wappen Silberstedts, das ihm nach wie vor nicht gefallen wollte und tausende weitere Symbole von denen er einmal gehört oder die er flüchtig gesehen hatte. Sie alle spielten heute kaum mehr eine Rolle und dienten höchstens noch den Fürsten als Erkennungszeichen. Eine letzte Erinnerung an ihre alten Tage als Herrscher, den meist hatte Canton die Königshäuser seiner Feinde nicht vollständig vernichtet sondern als Adelige in das wachsende Imperium integriert.  Das schwere Tor am Ende des Platzes wiederum war aus dunklem Holz gefertigt worden und die eisernen Beschläge, die die Mannsbreiten Holzbretter zusammenhielten waren mit Blattgold überzogen worden. Jedoch stand das Hindernis weit offen und erlaubte einen Blick in den Innenhof vor dem eigentlichen Palastzugang. Eine Allee aus Birken führte zwischen einem Spalier aus wartenden Gardisten hin zu einem kurzen,  überdachten Aufgang.   Die breiten, in Marmor gehaltenen Stufen endeten an einem weiteren, diesmal jedoch geschlossenen Tor.

Galren und die anderen zögerten einen Moment all sie den Platz erreichten. Nach wie vor stand die Frage im Raum, wie der Kaiser wissen konnte, dass sie auf dem Weg waren. Aber ab jetzt gab s ohnehin kein Zurück mehr, sagte Galren  sich und machte einen Schritt vorwärts über die Schwelle des Palasttores. Bevor er jedoch weit kam, wurde das innere Tor bereits geöffnet und zwei Männer, die sich wohl nicht weiter hätten unterscheiden können, traten heraus. Der erste war ein Gejarn, ein Bär  und vermutlich ein halber Riese, wie Galren die Sache sah. Selbst Lias hätte neben dem Ungetüm vermutlich klein gewirkt. Die übrigen Soldaten im Hof salutierten stillschweigend, als er an ihnen vorbeiging und er quittierte jeden Gruß mit einem kurzen nicken.  Die Uniform die er trug wies die gleichen goldenen Zierrate auf, wie die Kleidung der übrigen kaiserlichen Leibgarde, aber der Respekt, dem sie ihm erwiesen zeigte mehr als deutlich, dass er kein einfacher Soldat war. Das braune Fell in seinem Gesicht wurde an der Wange von mehreren Narben unterbrochen, die nicht so aussahen, als hätte sie ein Schwert hinterlassen, vielleicht ein Ergebnis eines Streifschusses, auch wenn ein solcher Treffer im Gesicht wohl tödlich gewesen wäre. Zumindest für die meisten Menschen…

Der zweite Mann, der dem Bären folgte war nicht weniger auffällig, wenn auch ein Stück kleiner und jünger. Er trug eine blaue Weste und dunkelbraune Hosen und Stiefel, die zwar edel wirkten, doch nicht Überladen wie die Festkleidung eines Adeligen. An seiner Hüfte befanden sich neben einem mit Silber beschlagenen Degen zwei  Pistolen und ein paar Handschuhe, alles gehalten von einer weißen Schärpe. Grün-braune Augen musterten die kleine Gruppe am Tor mit kühler, fast distanzierter Neugier, als würde er sie gar nicht richtig wahrnehmen, ob aus Hochnäsigkeit oder schlichtem Desinteresse wusste Galren jedoch nicht zu sagen. Dunkle Haare Rahmte ein glattes, ebenmäßiges Gesicht ein und wenn er schätzte, war der Mann vermutlich sogar ein paar Jahre jünger als er selbst.

Die beiden Männer kamen ohne Zögern direkt auf sie zu und bevor sie noch Gelegenheit hatten, selbst zu sprechen, stellte der Gejarn sich bereits mit einer angedeuteten Verbeugung vor. Vermutlich sollte die Geste tatsächlich unterwürfig werden aber plötzlich einen dreihundert Pfund schweren Schatten zu sehen, der sich so leichtfertig vorbeugte, war eher beunruhigend…

,, Ich bin Syle. Hochgeneral des Kaisers. Man hat mich bereits über eure Ankunft informiert…“ Sein Blick wanderte rasch von einem Gesicht zum anderen, angefangen bei Armell bis zu Lias. Dabei ließ er sich kaum anmerken was er dachte, aber die Art, wie seine Augen einmal länger, einmal kürzer verweilten… Als ob er abglich ob die vier Besucher mit der Beschreibung die er von ihnen hatte übereinstimmten. Seine Größe mochte darüber hinwegtäuschen, aber dieser Mann war alles andere als dumm. Was sein Titel nur noch unterstreichen konnte. Hochgeneral. Es gab nur zwei  , vielleicht drei wenn man Zachary dazuzählte, Männer im Kaiserreich , von denen man behaupten konnte, das sie mit dem Kaiser auf Augenhöhe standen und das waren einmal der Ordensoberste des Sangius-Ordens als Herr aller Zauberer und der kaiserliche Hochgeneral, der den militärischen Arm des Imperiums verkörperte…

,, Erfreut.“ , meinte Armell reserviert. ,, Ich bin Armell D'Ambois und das sind Galren und Lias von Hamad und Zauberer Merl aus Silberstedt.“

,, Sehr erfreut, die Dame .“ Der Begleiter des Gejarn-Generals, Syle, verbeugte sich tief und vielleicht etwas zu überschwänglich vor der jungen Adeligen und nahm ungefragt eine ihrer Hände. Merl schien das zumindest nicht zu gefallen und es war das erste mal das Galren glaubte der Zauberer sei… neidisch? Armell reagierte allerdings ohnehin eher irritiert  ,, Solltet ihr irgendetwas während eures Aufenthalts hier brauchen werde ich mich natürlich…“

Bevor er den Satz beenden konnte, hatte Syle  ihn bereits gepackt und wieder aufrecht auf die Füße zog , als wäre es die leichteste Sache der Welt. Der Gejarn  murmelte entnervt etwas, bevor er sich wieder den Vier wartenden zuwendete.

,, Haltet euch bitte ein wenig zurück.“ , meinte er schließlich leise. ,, Ich muss mich wohl in Janis Namen entschuldigen. Der Junge muss noch einiges lernen. Ich frage mich manchmal wirklich wieso der Kaiser mich mit seinem Adoptivsohn betraut… Wenn ihr mir bitte folgen würdet. Man erwartet euch sicher bereits…“

 

Kapitel 24 Der Thronsaal

 

 

 

Die Flure des Kaiserpalasts waren fast totenstill, als sie dem Hochgeneral schließlich durch die inneren Tore folgten.  Merl fröstelte als er über die Schwelle trat. Der kalte Stein der Außenmauern

hielt die letzte Herbstwärme ab und verhinderte, dass sie ihren Weg in diese Hallen fand. Hohe Buntglasfenster säumten einen langen Flur, dessen Decke von baumhohen Säulen getragen wurde. Licht viel durch dutzende gewaltiger Buntglasfenster in den Gang und malte ein Meer aus Farben auf dem hellen und dunklen Marmorfließen am Boden. Dieser Ort besaß eine andere Art von Schönheit als die Ruinen der Erdwacht  oder die grenzenlosen Schneefelder um Silberstedt herum. Eine erhabenere, künstlichere Form, aber der junge Magier konnte ihr nicht viel abgewinnen. Seine Sinne waren halb betäubt von dem nicht enden wollenden Strom aus Magie in der Luft, die die ganze Stadt durchwob, jeden Stein, jedes einzelne unendlich kleine Teilchen im Material der schwebenden Inseln… Er spürte es schon, seit sie die fliegende Stadt zum ersten Mal erblickt hatten aber hier im Herzen der Anlage war es fast unerträglich. Schutzzauber überzogen alles, angefangen von den Toren bis zu den Fenstern und bildeten ein unsichtbares, aber für ihn trotzdem allzu deutlich wahrnehmbares, Schild, das drohte jedem Narren der hier drinnen den falschen Zauber sprach das Fleisch von den Knochen zu brennen. Am liebsten wäre er direkt wieder nach draußen gelaufen um sich eine ruhige Ecke zu suchen. Er hatte so gerne hierher gewollt und jetzt machte ihn dieser Ort fast Wahnsinnig.

Merl holte mehrmals tief Luft, während er den anderen folgte. Reiß dich zusammen, sagte er sich. Zachary hat dir beigebracht wie du dich davor abschirmen kannst… Das ja, aber es war ungewohnt seine Sinne für Magie blind zu machen. Es war, wie einen Sinn zu verlieren, wenn auch nur zeitweise. Jedes lebendige Wesen besaß einen Funken Magie in sich, wie winzig er auch sein mochte und so wie Augen Licht wahrnahmen konnten Magier diese Funken sehen.  Melr konzentrierte sich einen Moment. Langsam lies der magische Lärm nach und erlaubte wieder klare Gedanken. Die anderen bekamen offenbar nicht mit, was in ihm vorging, während sie Syle und Janis durch die Flure des Palastes folgten. Letzterer schien sich die Schelte des Hochgenerals kaum zu Herzen genommen zu haben und warum auch… Wenn er Syle richtig Verstanden hatte, war dieser Mann tatsächlich das Adoptivkind von Kellvian Belfare. Er benahm sich zumindest nicht grade zurückhaltend, bedachte man, dass der Hochgeneral Cantons direkt neben ihm stand.

Innerlich hoffte Merl, das sie nicht zu viel mit ihm zu tun haben würden. Er wusste nicht woran es lag… oder vielleicht wusste er es sogar genau und wollte es nur nicht zugeben. Es war seltsam, das Gefühl einen Menschen einfach nicht… leiden zu können. Allerdings machte Janis einem das auch einfach.

,, Verzeiht, Lady Armell, aber  was führt jemanden wie euch… mit so einer Begleitung hierher ?“ , fragte er und sein Tonfall verriet durchaus, das er Galren Lias… und auch ihn selbst nicht grade als passende Eskorte ansah. Vielleicht sollte er etwas sagen. Nein, er wollte etwas sagen, irgendetwas um den Hochmut dieses Mannes einmal einem Dämpfer zu verpassen. Dieser  Gedanke, das gesamte Gefühl dazu war neu und einen Moment war er tatsächlich überzeugt, den Mut zu finden um dem Mann die Stirn zu bieten.

Armell kam ihm jedoch zuvor, bevor er den Mund öffnen konnte. ,, Die Begleitung wie ihr sie nennt, sind meine Freunde.“ , antwortete sie  kühl. ,, Ich denke ihr versteht das… Oder vielleicht auch nicht.“

Merl konnte ein schadenfrohes Grinsen nicht ganz unterdrücken und zu seinem Erstaunen schien auch Syle eher amüsiert darüber, wie die junge Adelige Janis ins Leere laufen ließ.

Dem Mann wurde jetzt offenbar selbst klar, dass er sich im Ton vergriffen hatte. ,, Ich wollte nicht… Verzeiht, ich hatte nicht vor euch oder eure Freunde irgendwie zu beleidigen.“  Was definitiv nicht stimmte, dachte Merl bei sich. Aber wenigstens schien er nicht rettungslos Arrogant zu sein, nur etwas zu sehr von sich eingenommen.

Als sie an eine Stelle kamen, an der sich zwei Gänge kreuzten, hielt der Bär den jungen Menschen an.

,, Geh voraus und informiere den Kaiser, das wir auf dem Weg sind.“

Janis schien damit alles andere als einverstanden. ,, Muss das sein ? Vater weiß sicherlich längst Bescheid.“

,, Und wenn nicht, was dann ? Soll ich unsere Gäste warten lassen, bis du dich entscheidest, doch zu gehen? Und jetzt lauf.“

Mit einem seufzten tat der junge Mann schließlich wie ihm geheißen und verschwand im Gang zu ihrer Rechten, während Syle sie geradeaus weiterführte. Merl sah, wie der Hochgeneral den Kopf schüttelte, aber das Lächeln, das dabei auf seinen Lippen lag, wirkte irgendwie fehl am Platz.

,, Der Junge kann kompliziert sein… und  stur.“ , meinte er, als hätte er den fragenden Blick des Magiers bemerkt. ,, Aber darin unterscheidet er sich sehr wenig von Kellvian. Ich habe ihm auch nie etwas ausreden können. Im Nachhinein betrachtet hätte es uns viel Ärger erspart.“ Es war seltsam den Mann so offen reden zu hören. Es schien einfach nicht dem zu entsprechen was er erwartete. Den anderen schien das ähnlich zu gehen. Syle sprach beinahe so als handle es sich bei seinem Kaiser und dessen Sohn um Familie, nicht um Befehlshaber…

Der Gang dem sie folgten endete schließlich vor einer weiteren geschlossenen Tür, die vollständig mit Blattgold überzogen war. Ohne langsamer zu werden, öffnete der Hochgeneral einen der Türflügel und bedeutete ihnen bloß, einzutreten. Der Raum, den Merl nun vor sich sah, schien der restlichen Pracht des Palastes noch einmal Konkurrenz machen zu wollen. Die komplett aus weißem Marmor bestehenden Wände wurden von magischen Kristallen erleuchtet, von denen jeder einzelne sicher ein kleines Königreich wert gewesen wäre. Das helle Licht der Steine fiel auf ein gewaltiges Gemälde an der Hallendecke, das eine täuschend echte Darstellung des Abendhimmels zeigte. Zusammen mit dem genau abgestimmten magischen Lichtern hätte man leicht den Eindruck gewinnen können, man befände sich im Freien. Gewaltige, schwarze und weiße Quadrate aus Obsidian und Marmor verzierten den Boden bis hin zu einem Podest fast exakt in der Raummitte. Darauf wiederum befand sich ein Thron, der beinahe so wirkte, als wäre er aus erstarrtem Honig erbaut. Kleine und größere Steine der unterschiedlichsten Schattierungen von gelb über hellbraun und orange formten den Sitz der Herrscher Cantons. Der Bernsteinthron des Kaiserreichs…

Doch von dessen momentanen Besitzer war weit und breit nichts zu sehen.  Nur eine einzige weitere Person befand sich mit ihnen im Raum. Eine Gejarn. Sie trug einen grauen Umhang, der von der Farbe her halb mit ihrem Fell verschmolz und unter dem einfache Waldkleidung, Lederarmschoner und Stiefel zum Vorschein kamen. Außer einem ungeschliffenen  Holzstab, auf den sie sich locker stützte, schien sie keine Waffen zu tragen.  Merl konnte jedoch nicht sagen zu welchem Clan sie gehörte, aber er hatte ihre Art schon einmal irgendwo gesehen, vermutlich auf einer Skizze in Zacharys Bibliothek. Und dann fiel es ihm ein. Ein Schakal. Die zweite Gejarn war eine Schakalin. Aber es gab keinen solchen Clan im Herzland. Sie kam also entweder weiter aus dem Süden aus den Gebieten um Erindal oder aber… aus Laos?

,, Naria.“ Syle schien die junge Frau sofort zu erkennen und kam freudestrahlend auf sie zu. ,, Wie lange seit ihr schon hier ?“

,, Erst ein paar Stunden.“ , antwortete die als Naria angesprochene Gejarn und lies sich tatsächlich kurz umarmen. Merl rechnete einen Moment fest damit, das Syle die neben ihm zierlich wirkende  einfach zerdrücken würde. Als der Bär sie schließlich losließ und sich ihnen zuwendete, räusperte er sich fast entschuldigend und Naria schien tatsächlich erleichtert, noch am Leben zu sein.

,, Das ist Naria Carmine.“ , erklärte der Hochgeneral wieder in dem gewohnt ernsten Ton mit dem er sie am Tor begrüßt hatte. ,, Ich darf euch vorstellen, Armell aus Freybreak, Galren und Lias aus Hamad und Zauberer Merl.“

Die als Naria angesprochene Schakalin nickte kurz, doch ihre Augen blieben die ganze Zeit über auf Lias gerichtet, vor allem auf dessen Panzerung. Unten vor der Gondle hatte Merl sich noch gefragt, warum man den Mann seine Waffen behalten lies, nachdem er jedoch einmal hier war, war die Antwort offensichtlich. Mächtige Zauber, so wie die kaiserlichen Gardisten, sicherten diesen Ort ohnehin bis ins kleinste ab. Der Löwe seinerseits sah mit einem unleserlichen Ausdruck auf dem Gesicht zurück, aber freundlich war er nicht… Zum Glück trat Syle in diesem Augenblick zwischen ihn und die Gejarn. Scheinbar hatte der Mann ein Gespür für brenzlige Situationen.

,, Es muss eine Ewigkeit her sein, das ich euch zuletzt gesehen habe.“ , meinte er im freundlichsten Plauderton und lenkte damit ihre Aufmerksamkeit endgültig weg von Lias. 

,, Es gab viel zu tun in den letzten Jahren.“ , antwortete sie beinahe entschuldigend. ,, Ihr kennt meine Mutter, das Wort Pause hat für sie keine Bedeutung.“

,, Das trifft es ganz gut. Ich meine ich war da als ihr geboren wurdet und ich glaube keine halbe Stunde später war die gute wieder im geschehen. Auch wenn ich sagen muss, das wir zu der Zeit andere Sorgen hatten. Die Halbe Stadt brannte, die Welt wollte grade untergehen…“

,, Könnten wir… das Thema wechseln ?“ , fragte Naria. Syle lachte lediglich, aber das funkeln in seinen Augen schien nicht vom Gelächter zu stammen. Er hatte erreicht was er wollte, dachte Merl fasziniert. Die Situation entschärft… Dieser Mann war nicht umsonst Hochgeneral geworden. Nein ganz sicher nicht.

 

Galren  sah sich fasziniert  im Raum um. Der Thronsaal war geräumig genug, das wohl leicht zwei oder dreihundert Leute in ihm Platz gefunden hätten ohne sich dabei im Weg zu stehen und in der leere hallte ihre Stimmen und Schritte gespenstisch von den Wänden wieder. Neben der großen Tür, durch die sie gekommen waren gab es einige kleinere Nebentüren, die wohl in weitere Teile des Palastes führten. Erneut schienen seine Erwartungen sich nicht zu erfüllen. Sicher, die fliegende Stadt selbst übertraf alle seine Vorstellungen bei weitem, aber was er bisher vom kaiserlichen Hof gesehen hatte… diese Leute hier schienen so bodenständig, vielleicht mit Ausnahme von Janis. Und selbst dieser schien zu wissen, wo seine Grenzen lagen.   Stellte sich die Frage ob der Junge wirklich nach seinem Ziehvater kam… oder wann sie den Kaiser zu Gesicht bekommen würden.  Syle und die Gejarn, die ihnen als Naria vorgestellt worden war, hatten sich etwas zurückgezogen, aber der Blick der Schakalin wanderte nach wie vor immer wieder zu Lias. Er nahm sich vor den Mann später danach zu fragen. Im Augenblick zählte mehr, ob sie die Unterstützung bekamen, die sie brauchten…

,,Syle.“  Und es sah so aus, als müssten sie nicht mehr allzu lange darauf warten, als zwei weitere Personen durch das Tor des Thronsaals traten. Die erste war eine Schneeleopardin in einem Kleid, dessen Grünton fast ihren Augen entsprach. Glatte, schwarze Haare mit nur einigen grauen Strähnen fielen ihr bis auf die Schultern und dutzende von kleinen Falten unter ihren Augen schienen  sowohl von Sorge als auch von Lachen geprägt zu sein. Er wusste nicht einmal selbst wie er auf den Gedanken kam, aber ihre ganze Anwesenheit strahlte etwas Ungewöhnliches aus. Galren konnte ihr Alter nur schwer schätzen, vielleicht um die vierzig.

Die zweite Person hingegen war ein Mensch, etwas größer als er selbst.  Dunkelblonde Haare und Bartstoppeln mit den ersten Spuren von grau an den Schläfen rahmten seinen Kopf ein  und ein paar grünblaue Augen sahen freundlich von einem der Anwesenden zum anderen. Seine Kleidung bestand aus einem einfachen, grauen Gehrock mit goldenen Ziernähten unter dem der Griff eines Degens zum Vorschein kam und schwarzen Stiefeln. Auf seinem Kopf wiederum ruhte ein beinahe schlicht zu nennender Goldreif, in dessen Mitte ein einzelner, klarer Diamant eingelassen war. Die Krone Cantons mochte unscheinbar wirken, aber sie stellte vielleicht das älteste von Menschen gefertigte Artefakt im gesamten Kaiserreich da. Angeblich war dieser Reif schon seit den Zeiten der Nomadenkönige, die die ersten Menschen in die Herzlande führten im Besitz der jeweiligen Herrscherhäuser. Der Kaiser war hier.

Syle verbeugte sich kurz.  ,, Mein Kaiser, Kaiserin Jiy , sagte  er, als er sich wieder aufrichtete. ,, Das sind die Reisenden über die man euch sicher bereits informiert hat. Armell aus Freybreak, Galren und Lias von Hamad und Merl aus Silberstedt. Lady Armell, ich darf euch Kaiser Kellvian und Kaiserin Jiy Belfare vorstellen.“

 

Kapitel 25 Der Kaiser

 

 

Die wachen, grün-blauen Augen des Kaisers musterten sie alle der Reihe nach, während er in den Saal trat. Erneut musste Galren sich eingestehen, dass dieser Mann nicht seinen Erwartungen entsprach. Er wirkte eher wie ein Gelehrter, nicht wie ein Mann, der die halbe bekannte Welt kontrollierte… aber vielleicht täuschte das auch. Kellvian Belfare strahlte zumindest die nötige Selbstsicherheit dafür aus und warum auch nicht… irgendwie hatte er Stunden zuvor gewusst, dass sie auf dem Weg waren, vielleicht schon seit sie aus Silberstedt aufgebrochen waren. Was plante dieser Mann? , fragte Galren sich. Und wieviel wusste er noch? Naria und Syle waren ein Stück beiseitegetreten, während die vier Bittsteller sich vor den Thron stellten.

,, Ich habe tatsächlich schon einiges über eure Unternehmung gehört.“ , meinte der Kaiser  freundlich, während er vor dem Thron stehen blieb und sich langsam setzte. ,, Zachary hat  euch zu mir geschickt nehme ich an ?“

,, Das ist wahr, Herr.“ , antwortete Armell mit gesenktem Kopf. ,, Er hoffte wohl, das ihr uns weiterhelfen könnt, wo seine Mittel nicht mehr ausreichen.“

,, Nicht so förmlich. Ich weiß durchaus, was ihr vorhabt und ich bin tatsächlich geneigt euch zu helfen. Mich interessiert jedoch mehr, wieso. Der Weg den ihr einschlagen wollt ist ein gefährlicher und doch seid ihr ohne zu zögern aufgebrochen.“ Sein Blick wanderte zu Galren. Woher konnte er das Wissen?  Es stimmte, nachdem er die Kiste mit dem Besitz seines Vaters erhalten hatte, waren keine zwei Tage vergangen, bevor er und Lias aufgebrochen waren und kaum eine Woche, bevor sie in Silberstedt waren…  Aber die Nachricht darüber konnte die fliegende Stadt unmöglich schneller als sie selbst erreicht haben, es wusste sonst niemand davon. Oder doch nicht ? Es war seltsam diesen Mann derart ungezwungen sprechen zu hören. Offenbar merkte Kellvian was in ihm vorging, den er fügte hinzu:  ,, Ich gebe zu, ich habe vielleicht veranlasst, das man euch  beobachtet. Es gibt Leute im gesamten Kaiserreich die für mich arbeiten und als meine Augen und Ohren fungieren. Und dennoch gibt es auch Dinge, die ich noch nicht weiß.“

,, Warum ?“ , fragte Armell.

,, Vielleicht beantworte ich euch diese Frage, wenn ihr meine beantwortet.“ , meinte der Kaiser ruhig. ,, Was macht euch so sicher, Erfolg zu haben ?“

Es hatte keinen Sinn zu lügen, dachte Galren. Offenbar wusste der Kaiser allerdings tatsächlich nicht über die Karte Bescheid oder er hätte es nicht nötig danach zu fragen…  Wenigstens bedeutete das, dass man sie nicht den ganzen Weg über im Auge behalten hatte. Trotzdem gefiel ihm die Vorstellung überhaupt nicht. Auf der anderen Seite, würde der Kaiser wirklich böse Absichten damit verfolgen wären sie vermutlich längst entwaffnet und in einer Zelle…. Oder tot.

,, Ich habe eine Karte bei mir.“ , erklärte er. Das war der Moment in dem er zeigen musste, dass sie Erfolg haben konnten. Auch wenn der Kaiser sie unterstützen wollte, er würde sie nicht einfach losziehen lassen ohne eine Garantie. ,, Sie zeigt einen Weg bis zur Nebelküste.  Ich denke wenn bisher alle vor uns gescheitert sind, dann weil sie nicht wussten welchen Kurs sie zu nehmen hatten. Sie verirrten sich vielleicht oder gingen an Riffen zu Grunde. Wir nicht.“

,, Eine Karte ?“ Der Kaiser klang nun ernsthaft überrascht. Also wusste er tatsächlich nicht davon, dachte Galren. Aber wieso nicht, wenn ihm alles andere im Detail bekannt war?  ,, Darf ich sie einmal sehen ?“

Galren zögerte. Dann jedoch zog er das zusammengefaltete Blatt Pergament aus der Tasche und trat vor um es Kellvian zu überreichen. Dieser nahm das Stück Papier vorsichtig entgegen und entfaltete es. Etwas schien in seinen Augen aufzublitzen, als er sich die Karte besah. Dann richtete sich sein Blick wieder auf Galren.

,, Also das war in der Kiste.“ , murmelte er mehr zu sich selbst, aber laut genug, das alle Anwesenden es verstanden.

,, Ihr wusstet davon ?“ Galren war wie vor den Kopf gestoßen.

,, Verzeiht.“ Kellvian reichte ihm das Pergament zurück. ,, Es ist vielleicht an der Zeit, einige Dinge aufzuklären, nicht ? Habt ihr euch nicht gefragt, wieso ich einen Kaiserlichen Marineoffizier losschicke um euch eine Kiste voller durchnässter Dokumente zu bringen? Ein normaler Bote hätte es auch getan auch wenn der vermutlich Wochen länger gebraucht hätte um euch zu erreichen.“

,, Ich… Ihr habt persönlich veranlasst, das mich diese Kiste erreicht?“

,,Genauso wie ich veranlasst habe, das ihr danach euren Weg hierher finden würdet. Ich will ehrlich sein, Anfangs hatte ich nicht geplant euch überhaupt in diese Sache mit reinzuziehen Seht ihr… wenn ein seit zwanzig Jahren verschollenes Schiff vor unserer Küste auftaucht erfahre ich das.. Die Kiste war das einzige an Bord, das sich zu Bergen lohnte und was von den Logbüchern eures Vaters blieb, habt ihr selber gesehen. Aber eine Sache gab es, die die Aufmerksamkeit der untersuchenden Offiziere weckte….“

,, Die versiegelte Schriftrolle, mit der Karte.“

,, Zuerst dachten sie, sie könnten sie einfach öffnen, aber wer immer den Zauber gewirkt hatte, der darauf lag, wollte diese Karte damit nicht bloß schützen.  Selbst den Ordenszauberern, die dabei waren gelang es nicht, das Siegel zu brechen und keinem, der es sonst versuchte. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie dahinter kamen, worin das Problem lag. Offenbar war dieser Zauber so angelegt worden, das er nur auf eine einzige Person ansprechen würde und selbst der Ordensoberste Quinn ist an dem Versuch gescheitert, ihn mit Gewalt aufzuheben…“

,, Und dabei seit ihr auf mich gekommen…“

Der Kaiser nickte.

,, Und wieso dieser ganze Aufwand ? Nur damit ihr erfahren konntet, was mir ein Mann der vielleicht seit Jahren tot ist hinterlassen hat?“

Kellvian schüttelte den Kopf, während sich ein kaum sichtbares Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. ,, Vielleicht bin ich einfach nur ein Neugieriger Mann ? Aber denkt einmal über das nach, was ich gesagt habe.

,, Wenn ich wirklich der einzige war, der wie ihr sagt, diesen Bann auflösen konnte, dann heißt das jemand wollte absolut sichergehen, dass diese Karte mich, und nur mich, erreicht.“

,, Ihr versteht langsam. Und wer immer es war, hat einen Zauber gewirkt, den selbst der Meister des  Sangius-Ordens nicht mehr aufheben konnte. Ich weiß nicht wie es euch geht aber…“

,, Das ist wirklich beunruhigend.“ , beendete Galren den Satz. ,, Weil das bedeutet, dass jemand damit gerechnet hätte, das ich diese Karte früher oder später bekomme und zwar nicht sicher durch einen Boten. Und mein Vater wird kaum gewusst haben, dass sein Schiff kentern würde.“ Und das bedeutete, es ging hier um etwas völlig anderes als das bloße Schicksal von Varan Lahaye…

,, Ihr haltet die Antwort in den Händen.“ , meinte Jiy. ,,Es ist eine Spur und jemand will, dass ihr sie verfolgt.“ Es war das erste Mal, dass die Kaiserin sprach. Ihre Stimme war zwar leise, aber bestimmt. Galren sah zu der Schneeleopardin. Er hatte zwar davon gehört, dass die Frau des Kaisers eine Gejarn war, aber jetzt vor ihr zu stehen war doch etwas anderes. Zumindest erklärte das, warum  der Kaiser einen Adoptivsohn hatte. Nachkommen waren für die beiden wohl ausgeschlossen. Also um was genau handelte es sich hierbei? Eine politische Heirat um die Clans der Herzlande an das Kaiserhaus zu binden ?

,, Ich glaube, ihr sprecht die Wahrheit.“ , mischte sich Lias ein. ,, Aber sollten wir das wirklich tun ?“

,, Die andere Wahl wäre abwarten.“ , meinte die Kaiserin.

,, Und wir würden vielleicht nie erfahren womit wir es hier zu tun haben.“  , fügte Kellvian hinzu.

,, Manche Dinge bleiben vielleicht besser vergessen.“ Es war seltsam ausgerechnet Merl derart düstere Worte flüstern zu hören. Aber unter den gegebenen Umständen musste Galren ihm sogar Recht geben. Aber dann wiederum… Nein, er war nicht so weit gekommen um einen Rückzieher zu machen, diese Möglichkeit gab es schlicht nicht mehr.

Er schüttelte den Kopf. ,,  Ich glaube nicht, das wir die Wahl haben. Ich weiß nicht, wie es mit euch aussieht, aber ich gehe in jedem Fall. Jetzt erst recht…“

,, Vielleicht sollten wir jemand anderen schicken.“ , schlug Jiy vor. ,,Wenn jemand versucht grade euch auf diesen Pfad zu führen… solltet  ihr ihm den Gefallen vielleicht nicht tun.“

,, Ich fürchte, du bist vielleicht wieder einmal weiser als ich.“ Der Kaiser schloss einen Moment die Augen, als würde er darüber nachdenken müssen. ,, Und du kannst mich einen Narren schimpfen, aber ich möchte nicht länger im Dunkeln sitzen.“  Er hatte sich zu ihr umgedreht und legte ihr Vorsichtig eine Hand an die Wange.

,, Du fürchtest dich…“

,, Und ich fürchte, allen Grund dazu zu haben.“ Als wären Galren und die anderen nicht da oder vielleicht als würde es ihn auch nicht kümmern, hauchte der Kaiser einen Kuss auf ihre Lippen. Die Liebe und Zuneigung, die aus diesen wenigen Worten und Gesten  mitklangen machte Galren perplex.  Als die beiden sich wieder voneinander lösten, schien Kellvian sich wieder gefangen zu haben.

,, Wenn es euer Wunsch ist, werde ich dem nicht im Weg stehen.“ , erklärte er. ,, Im Gegenteil, ich werde veranlassen, das man euch ein Schiff und eine Mannschaft zur Verfügung stellt. Ich denke, das sollte den Großteil euer Kosten decken. Und solltet ihr sonst noch etwas brauchen, scheut euch nicht mich erneut um Hilfe zu bitten. Aber es wird eine Weile dauern, alles zu veranlassen. Bleibt zumindest heute Nacht hier, als meine Gäste. Ich werde euch Boten vorausschicken, damit bei euer Ankunft an der Küste alles bereit sein wird.“

,, Ich danke euch, Herr.“ Kellvian verneigte sich kurz und trat zurück.

,, Und ich werde euch weiterhin begleiten.“ , erklärte Merl mit überraschend fester Stimme. ,, Nennt es eine schlechte Vorahnung aber… mir gefällt die Vorstellung auch nicht, euch alleine ziehen zu lassen.“

,, Genau so wenig wie mir.“ , meinte Lias und Armell stimmte ihm nickend zu. Also blieb alles beim Alten, dachte Galren erleichtert. Nach den Tagen und Wochen, die sie zusammen verbracht hatten hätte er auch ungern einen von ihnen missen wollen.

,, Und solltet ihr nichts dagegen haben, würde ich euch ebenfalls begleiten.“ Die Stimme kam von der schon halb vergessenen Gestalt neben Syle. Naria, die Schakalin , die bisher geschwiegen hatte, trat ohne zu zögern vor. Erneut wanderte ihr Blick zu Lias, doch diesmal war nicht mehr nur misstrauen darin, sondern auch eine Spur Unsicherheit. Wer war diese Frau und was genau wollte sie eigentlich?

,, Ich wäre nur froh, wenn ihr auf euch aufpassen würdet.“ , meinte Kellvian.. ,, Ich will wirklich nicht derjenige sein, der euren Elter erklären muss, das ihr auf einer Expedition ins Nirgendwo verschollen seid. Zyle würde mich umbringen… und Relina… sagen wir einfach ich glaube sie ist kreativer.“

,, Verzeiht, aber warum wollt ihr mitkommen ?“ , fragte Merl.

,, Ich bin mir sicher, sie wäre eine wertvolle Unterstützung für euch.“ , bemerkte Jiy. ,,  Ein Magier mehr kann durchaus entscheidend sein.“
,, Magier ?“ Der junge Zauberer  sah verwirrt  zu der Schakalin. ,, Das ist völlig unmöglich. Gejarn verfügen nicht über das Erbe des alten Volkes ich meine…“

Die Gejarn sah Merl herausfordern an. ,, Wenn ihr eine Demonstration verlangt ?“ , fragte Naria grinsend. 

,, Naria stammt aus Maras.“ , mischte Kellvian sich ein. ,, Ihre Mutter besitzt ebenfalls die Gabe auch wenn sie nie erfahren hat wieso. Sie stammt ursprünglich aus Helike und zu ihrer Zeit wurden Zauberer dort immer noch gejagt also… Ich kann euch nicht sagen wie, aber ich verbürge mich persönlich für ihre Fähigkeiten.“

Maras also… Hatte Lias ihm nicht einmal davon erzählt ? Ein Inselstaat vor der Küste Helikes, auf den sich die Zauberer von Laos zurückgezogen hatten. Vielleicht erklärte das auch, wieso sie dem Löwen nicht über den Weg zu trauen schien.

,,Verzeiht.“ Merl senkte den Kopf. ,, Ich hatte zwar davon gehört… Meister Zachary hat mir einmal davon erzählt ich habe aber bis jetzt nicht geglaubt, dass so etwas möglich wäre. Aber… ich habe wohl noch viel zu lernen.“

. ,, Ihr seid  sein Schüler, oder ?“ , fragte Jiy. ,, Wie war euer Name ?“

,, M… Merl , Herrin.“ , brachte der junge Magier gepresst hervor.

Sie lächelte freundlich. ,, Er hat viel von euch erzählt. Es  ist allerdings eine Weile her, dass ich ihn gesehen habe. Wie geht es ihm?“

,, Er arbeitet Herrin. Nach wie vor. Manchmal vielleicht etwas zu viel… Ich meine… Er…“ Offenbar wusste Merl einen Moment nicht, was er sagen sollte. ,, Es geht ihm gut.“

,, Und er hat euch das anvertraut ?“ Sie deutete auf das Amulett mit dem darin eingelassenen, blauen Juwel das er um den Hals trug. ,, Er muss euch wirklich vertrauen.“

,, Das hoffe ich zumindest.“ , erklärte Merl kleinlaut und nutze die Gelegenheit um hinter die anderen zurück zu treten.

,, Also dann.“ , meldete der Kaiser sich erneut zu Wort. ,, Wenn es sonst nichts mehr gibt, sollten wir vielleicht besprechen, was  ihr sonst noch für eure Reise brauchen werdet…“

 

Kapitel 26 Die Träne

 

 

 

Morgen würden sie nach Lasanta aufbrechen, einer Hafenstadt im Nordwesten des Kontinents Das wäre endgültig der letzte Schritt. Dort würde das Schiff warten, das sie an ihr Ziel bringen würde… wo immer das auch lag. Nach dem heutigen Tag war Galren sich nicht länger sicher, wonach er eigentlich suchte. Antworten… Aber es ging nicht länger nur um seinen Vater. Sondern auch darum, wer ihm diese Karte wirklich hatte zukommen lassen wollen. Hatte derjenige gewusst, dass sein Vater die Rückreise nicht schaffen würde und deshalb die Karte versiegelt? Oder interpretierte der Kaiser zu viel in die Sache hinein und sein Vater hatte die Karte nur aus Vorsicht versiegeln lassen, ohne dass dahinter irgendein Plan stand?

Er starrte aus dem Fenster hinaus in den dunklen Sternenhimmel. Es musste bereits weit nach Mitternacht sein, trotzdem fand er keine Ruhe. Nachdem sie die letzten Details geklärt hatten, hatte der Kaiser ihnen ein Quartier im Palast zur Verfügung gestellt und nun lag er , bis auf die Schuhe vollständig angekleidet ,auf der Wolldecke seines Betts und bekam kein Auge zu. Mondlicht fiel durch die großen Fenster und erleuchtete das fremde Zimmer. Der Raum war Größe als manche Häuser, beinahe zu groß, um sich hier wohlfühlen zu können. Ein halb heruntergebranntes Feuer flackerte in einem Kamin auf der anderen Seite des Raumes, kaum mehr als ein paar Glutfunken im Dunkeln. Ein Stück weiter gab es einen Tisch mit einer Wasserschüssel und eine Kommode, die neben Schreibwerkzeugen und Pergament auch einige Sätze Kleidung enthielt.

Nachdem Galren einen Moment ins Dunkel gelauscht hatte stand er schließlich auf. Nein, schlaf würde er heute keinen finden, dazu gab es zu viel über das er Nachdenken musste. Da könnte er die Zeit wenigstens nutzen und sich noch etwas im Palast umsehen. Er bezweifelte allerdings weit zu kommen, ohne dass ihn eine Wache anhielt aber es war besser, als die restlichen Stunden bis zum Morgengrauen vor sich hin zu Grübeln.

Der geflieste Steinboden war kalt unter seinen Füßen, als er ein Stück vom Bett zurücktrat und sich die Stiefel wieder anzog. Sein zweiter Instinkt war, nach dem Schwert zu greifen, das am anderen Ende des Betts lehnte, lies Atrun dann aber wo es war. Wenn es irgendwo in diesem Land sicher war, dann hier. Sie waren so hoch über dem Boden, das es völlig unmöglich schien ohne Wissen des Kaisers in die fliegende Stadt zu gelangen.

Leise zog Galren die Zimmertür auf und trat auf den Flur hinaus. Ein halbes Dutzend anderer Türen zweigten von dem Gang ab, die in die Zimmer seiner Gefährten führten. Lias, Armell,  Naria, Merl… Eine der Türen war jedoch nicht ganz geschlossen wie ihm auffiel, sondern  nur angelehnt. Merls Tür. Vielleicht hatte der junge Magier auch nur vergessen, sie richtig abzuschließen aber… Galren schüttelte den Kopf. Nachsehen würde zumindest nichts schaden. So  leise wie möglich öffnete er die Tür einen Spalt breit. Das Zimmer, das  vor ihm lag unterschied sich praktisch nicht von seinem eigenen. Und es war genau so leer wie dieses. Das Bett war unbenutzt und  das einzige, das einen Hinweis darauf gab, das Merl je hier gewesen war, war sein Rucksack,  der achtlos in einer Ecke stand, der Mantel des Zauberers  und der blaue Edelstein, der auf der Kommode lag. Galren öffnete die Tür weiter und trat ein.

,, Merl ?“ , rief er obwohl er es bereits besser wusste. Der Zauberer war nicht hier. Unsicher, wie weit er gehen durfte, nahm er den Stein vorsichtig in eine Hand. Die silberne Kette war überraschend schwer, genauso wie das Juwel selbst. Aus der Nähe wirkte es tatsächlich wie eine große  Träne, die einfach erstarrt war. Tiefblau und  undurchsichtig als würde man in einen See Blicken. Hatte der Ordensoberste, Quinn, nicht auch genauso einen Stein getragen, als sie in Silberstedt waren? Zumindest wenn man von der Tatsache absah, das dieser schwarz gewesen war, nicht blau. Das half ihm aber immer noch nicht bei der Frage weiter, wo Merl war. Hatte er es sich doch noch anders überlegt und sie verlassen? Auch wenn Galren das nicht glaubte… Er würde doch nicht alles hier zurücklassen wenn dem so war? Andererseits wusste er auch nicht, was in dem schüchternen Magier vorgehen mochte…

Mehr aus einer Eingebung heraus als aus freier Entscheidung, nahm er den Stein an sich und lies ihn in seiner Tasche verschwinden. Wenn er Merl fand würde er ihn ihm zurückgeben und wenn nicht wieder dorthin bringen wo er ihn gefunden hatte.

Galren schloss die Tür hinter sich wieder, als er erneut auf den Gang hinaus trat. An einem Ende befand sich nur eine Wand, im schwachen Schein des Mondlichts nur als weiß silbrige Fläche erkennbar. Die Decken hier waren so hoch, das sie einfach im Dunkeln verschwanden.

Galren folgte dem Flur also in die andere Richtung. Hier und da erhellten Fackeln oder verstreute magische Kristalle seinen Weg . Der Palast war so riesig, das er kaum eine Chance hätte, Merl zufällig zu finden. Aber er konnte sich nach wie vor auf sein Gespür verlassen, oder nicht?  Er hatte sich in seinem Leben noch nie verirrt. Aber er hatte auch noch nie versucht, gezielt einen Menschen zu finden. Galren hörte auf darüber nachzudenken, wohin er ging und überlies sich ganz seinem Gefühl, bog mal hier, mal dort ab. Es war beinahe, als wäre der Weg den er gehen müsste als glühendes Band direkt vor seine Füße gezeichnet unübersehbar und doch wenn er nur einen Moment die Konzentration verlor sofort wieder verschwunden…

Als er einen offenen Säulengang durchquerte wurde er langsamer.  Offenbar war der Gang nicht auf dem Untergrund der schwebenden Inseln erbaut worden sondern bildete eine freischwebende Brücke mitten über eine Lücke im Untergrund.   Der kalte Nachtwind ließ ihn frösteln, während er an eines der hüfthohen Geländer herantrat, die zwischen den das Dach tragende Säulen aufgebaut waren. Man konnte direkt nach unten in die Tiefe sehen. Links und rechts des Ganges ragten die Gebäudefassaden des Palastes in die Höhe doch zwischen den  Fassaden und dem Beginn der ersten Säulen befand sich nichts, außer Luft… und ein langer Fall in die Tiefe. Wobei Galren schien, das sie nicht mehr ganz so hoch waren wie am Tag. Vielleicht sank die Stadt nachts, schon alleine um als Leuchtfeuer für die ihr folgenden Menschen dienen zu können.  Das Land zog als dichte, dunkle Fläche unter ihm dahin, die Schatten nur unterbrochen vom silbrigen Glitzern einiger Flüsse und Seen auf denen sich das Mondlicht brach. Er hatte noch nie etwas Vergleichbares zu dieser Stadt gesehen und langsam verstand er die Faszination, die dieser Ort ausübte selbst.

,, Es ist schön, oder ?“ , fragte eine zittrige Stimme nicht weit von ihm entfernt.

Galren drehte sich zu der Gestalt um und erkannte Merl, der die arme als Schutz vor der Kälte um den Körper geschlungen hatte. Was hatte der Mann auch seinen Umhang nicht mitgenommen wenn er hier draußen war… Tatsächlich hatte Galren den Mann bisher nie ohne den Mantel gesehen. Er könnte sich täuschen aber irgendwie wirkte Merl ohne fast schon ein Stück größer und kräftiger.

,, Was macht ihr den hier draußen ? Ihr friert euch noch Tod.“

,, Das macht nichts.“ , antwortete Merl bibbernd, während der Wind seine Haare zerzauste.  ,, Dafür ist es hier ruhig.“

Galren runzelte die Stirn. Was meinte er mit ruhig? Der gesamte Palast war um diese Zeit totenstill, schon fast unheimlich…

Der Magier bemerkte offenbar was er dachte. ,,  Verzeiht. Die Magie an diesem Ort… die ganzen Zauber. Sie machen Lärm.“ , erklärte er. ,, keine Ahnung wie Zachary oder sonst ein Magier es hier aushält. Ich habe schon fast alles versucht um mich davor abzuschirmen.“

,, Hat euch euer Meister das hier etwa deshalb gegeben ?“ Galren holte das Amulett aus der Tasche, das er aus Merls Zimmer genommen hatte.

,, Hört mir nur damit auf.“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung.  Für Merls Verhältnisse war diese Antwort schon fast vergleichbar mit einem Schlag ins Gesicht. ,, Das macht wirklich nichts besser.“

Trotzdem nahm er die Kette an sich und sah einen Moment in die Dunkelheit hinaus. Galren rechnete tatsächlich kurz damit, dass Merl die Kette einfach fallen lassen würde, dann hängte er sie sich jedoch bloß wieder um den Hals.

,, Die Kaiserin schien richtig überrascht zu sein, das ihr es habt. Warum ?“

,, Ihr wisst wirklich nicht, was das ist oder ?“ Merl  hatte sich wieder ihm zugewendet.

,, Ein Stein ?“

,, Einer mit einer ziemlich langen Geschichte. Und mehr als nur einer Verbindung zu diesem Ort. Es gibt insgesamt neun dieser Juwelen, auch wenn die meisten davon vor langer Zeit verloren gingen. Heute weiß ich nur noch sicher von zwei, diesem hier und der andere befindet sich Momentan im Besitz des Sangius-Ordens. Man nennt sie die Tränen Falamirs. Nach ihrem… nun Schöpfer.“

,, Wie ihr das sagt klingt es beinahe als hätte er diese Steine nicht absichtlich erschaffen.“

,, Das könnte man so sagen. Falamir ist einer der wenigen Namen, die wir vom alten Volk kennen. Von Ismaiel einmal abgesehen und über dessen Schicksal hat mein Meister euch bereits aufgeklärt. Von dem was wir wissen lebte Falamir wohl lange vor Ismaiel und lange vor dem Fall, der ihre Rasse fast vollständig ausgelöscht hat. Wie viel von der Geschichte wahr ist, weiß ich selber nicht, aber offenbar war er so etwas wie ein Adeliger, dessen Ländereien von einer nicht enden wollende Plage befallen wurden. Weil er keinen Ausweg mehr für sich und seine Untertanen sah, suchte er einen der Hochmagier des alten Volkes auf. Ihr müsste wissen auch wenn alle Mitglieder des alten Volkes Magiebegabt waren, gab es doch gewaltige Unterschiede darin, wie stark diese Ausgeprägt war. Und so suchte er sich Hilfe bei jemand mit mehr Macht als ihm. Der Zauberer ging auf sein Gesuch ein, verlangte jedoch als Gegenleistung für seine Hilfe, das Falamir sich einem bösen Dämon stellen sollte. Um es kurz zu machen, er zog also zusammen mit einigen Gefährten aus, diese Kreatur zu vernichten… und musste feststellen, das er betrogen worden war.“

,, Wieso ?“

,, Das Monster konnte nicht verletzt werden, im Gegenteil, alles und jeden der ihm zu nahe kam erstarrte zu Stein und immer mehr von Falamirs Gefährten vielen ihm zum Opfer.“

,, Was geschah also ?“

,, Falamir sendete seine letzten Überlebenden Männer zurück und stellte sich seinem Gegner alleine. Und bevor es auch ihn versteinern konnte, tat er das einzige, was ihm noch übrig blieb. Er opferte sich selbst und stürzte sich auf den Dämon. Im gleichen Moment, in dem er die Kreatur berührte, erstarrte er, aber das gleiche geschah auch mit seinem Gegner und so wurden letztlich beide gefangen. Als er nun erkannte, dass er nicht Überleben oder jemals in seine Heimat zurückkehren würde um sie zu befreien, weinte er, doch was zu Boden fiel waren nur noch Kristalle, neun Stück an der Zahl. Die wenigen seiner überlebenden Gefährten sammelten diese Steine und ein Teil davon hat bis zum heutigen Tag überdauert. “

,, Sie sind also mehr als nur Schmuck.“

,, Sehr viel mehr, Galren. Ihr wisst, was der Preis der Magie ist, oder?“
,, Sie entzieht ihrem Anwender im Austausch  Lebenskraft.“

,, Außer er kann sich diese Energie von anderswo holen. Der Orden tut dies seit sehr langer Zeit mithilfe künstlich erschaffener Kristalle aber diese sind recht… instabil könnte man sagen. Zwar erlauben sie in entsprechender Form jeden auch einem Nicht-Magier einen Zauber zu wirken aber sobald ihre Kraft verbraucht ist, bleibt von ihnen nur Staub. Die Tränen und die magischen Artefakte des alten Volkes generell,  sind anders. Entzieht man ihnen Energie, regeneriert sich diese nach einer Weile. Und die Tränen stellen eine beinahe unerschöpfliche Quelle dar.“

,, Klingt wirklich nicht nach etwas, das man unbedingt offen mit sich herum tragen will.“

,,  Das haben die wenigsten Menschen bisher so gesehen. Die alten Kaiser  kontrollierten angeblich acht der Kristalle und auch Simon Belfare, als er den Thron eroberte hatte mindestens vier in seinem Besitz. Ehrlich gesagt, ich habe Angst davor.“ , erwiderte Merl. ,, Ihr könnt euch nicht einmal vorstellen, was man damit anrichten kann…“

,, Aber ihr habt es angenommen.“

,, Ich mag es nicht, Ich mag seine Geschichte nicht… aber wenn es wirklich ernst wird ist es das was uns retten könnte.“

,, Und ihr seid deshalb hier draußen ? Um darüber nachzudenken?“

,, Nicht ganz… Ich habe mich wie ein Idiot verhalten, Galren…“

Kapitel 27 Ein Gespräch mit dem Kaiser

 

 

 

,, Wie meint ihr das ?“

Merl hatte sich auf das Geländer gelehnt und lies sich daran zu Boden rutschen, während Galren auf eine Antwort wartete.

,, Genau so.“ , antwortete der Zauberer schließlich. ,, Ich habe Armell praktisch an den Kopf geworfen das ihre Eltern nur für ihren persönlichen Gewinn gekämpft haben.“

,, Ihr meint an der Erdwacht…“ Galren hatte das Gespräch zwischen den Zauberer und Armell zwar mitbekommen, aber nicht ihre Reaktion. Also was war passiert um das Merl sich solche Gedanken machte?

,, Ich… mag sie wirklich sehr, Galren. Und ich hätte nie gedacht, dass ich sie mal verletzen könnte. Jetzt habe ich es aus Versehen geschafft. Weil ich einmal nicht den Mund gehalten habe.“

,, Armell ist eine gute Freundin… Ohne sie wäre ich vermutlich erst gar nicht bis hierhergekommen also. Und ich kann nicht sagen, dass ich sie so gut kenne wie ihr aber… sie wird euch verzeihen können Merl. Vielleicht hat sie es sogar längst vergessen.“

,, Vielleicht.“ , antwortete der Zauberer unsicher. ,, Aber ich… meinte das nicht bloß so. Sie ist…mehr für mich, versteht ihr?“

,, Oh…“ Die plötzliche Erkenntnis traf Galren fast wie ein Schlag. Das erklärte allerdings einiges unter anderem wieso Merl sein Ausrutscher solche Gedanken machte. Und hatte er sie am Ende etwa deswegen begleitet?

,, Ja… Ich weiß selber wie dämlich das jetzt wieder klingt.“

,, Und weiß Armell das auch, ich meine, das ihr sie liebt ?

,, Wie denn ?“ , lachte der Zauberer. ,, Galren ich bin ein zweitklassiger Zauberer und sie eine Adelige. Mit genug anderen Problemen als einen Mann der es nicht mal über sich bringt…“ Merl stockte.

,, Ihr die Wahrheit zu sagen.“ , beendete Galren den Satz.

,, Wie soll das funktionieren ? Selbst wenn ich den Mut finden würde und wenn sie dann das gleiche empfinden würde…“ Der Zauberer machte lediglich eine wegwerfende Handbewegung. ,, Tut mir einen gefallen und vergesst das ich überhaupt etwas gesagt habe.“

,, Ich glaube wirklich ihr unterschätzt euch.“ Galren wusste zwar nicht was Armell dachte, aber er hatte gesehen wie gut sie sich mit Merl verstand, ihre Gespräche, die freudige Überraschung als sie Merl in Silberstedt begegnet waren…  Mochte sein, das es auf ihrer Seite nicht Liebe war, aber sie mochte ihn definitiv. Nur wenn Merl das nicht selber sah, wie sollte er es ihm klar machen ?

,, Das sagt Meister Zachary mir auch immer.“ Ein kurzes Lächeln huschte über die Züge des Magiers.

,, Vielleicht solltet ihr es euch zu Herzen nehmen.“ Galren reichte ihm eine Hand und nach einem kurzen Moment des Zögerns ergriff der junge Mann sie und lies sich auf die Füße ziehen. ,, Und jetzt sollten wir zusehen, das wir zurück kommen, bevor wirklich noch einer von uns festfriert.“

Merl nickte und gemeinsam  machten sie sich auf den Weg durch die Hallen des Palastes. Erneut konnte Galren den Weg durch die Labyrinthartigen Gänge mehr spüren, als das er wirklich wusste, wohin er ging. Aber er hatte gelernt, sich darauf zu verlassen.

,, Woher wisst ihr eigentlich wohin ihr geht ?“ Auch seinem Begleiter schien die schlafwandlerische Sicherheit mit der er seinen Pfad fand nicht entgangen zu sein. Einen Moment fragte Galren sich tatsächlich wie das auf andere von außen wirken musste.

,, Ich… weiß es einfach.“ Tatsächlich hatte er keine Erklärung dafür und auch wenn er sich ab und an darüber Gedanken machte… er war  eben damit geboren worden. ,, Aber  wie wärt ihr den zurück gekommen ?“

,, Ich… nun…“ Merl stotterte während er um eine Antwort rang. ,, Keine Ahnung.“

Galren schmunzelte. Es war tatsächlich eine gute Idee gewesen, sich nach dem Zauberer umzusehen. Sonst hätten sie morgen früh vermutlich einen übermüdeten Merl suchen können, der durch die Gänge des kaiserlichen Palastest wandelte. Oder, was wahrscheinlicher war, ihn bei der Garde abholen können. Seltsamerweise waren sie bisher keiner einzigen Wache begegnet. Nur etwas weiter vorne den Gang hinab flackerte Licht und leise Stimmen drangen bis zu ihnen.

Galren bedeutete Merl stehen zu bleiben, während sie hinter einer Säule in Deckung gingen. Zwar wäre es möglich den Wachen ihr hier sein zu erklären, aber er hatte keine Lust sich den Rest der Nacht um die Ohren zu schlagen um einem Offizier klar zu machen warum sie im Dunkeln durch den Palast schlichen. Das Licht kam langsam näher zusammen mit den Schatten mehrerer Gestalten. Zu seiner Überraschung waren es jedoch nicht die in blaue Uniformen gekleideten Soldaten der kaiserlichen Leibgarde wie er erwartet hatte…

,, Glaubt ihr es ist eine gute Idee, sie alleine losziehen zu lassen ? Wir haben keine Ahnung, womit wir es zu tun haben.“ Es war Janis, der in Begleitung  seines Ziehvaters und der Kaiserin den Gang hinab kam. Warum waren sie so spät noch wach?

Galren duckte sich instinktiv etwas tiefer in die Schatten und konnte sehen, wie Merl das gleiche tat.

Kellvian Belfare war unterdessen stehengeblieben. ,, Ich schätze, das du dir Sorgen machst, aber… das ist schlicht unnötig. Vergiss nicht, ich schicke Armell und die anderen mit  einem meiner Schiffe los. Und ich habe einen Mann mit der Zusammenstellung einer Crew beauftragt dem ich vertrauen kann, auch wenn er nicht grade begeistert darüber war. Und jetzt geh. Wir werden unsere Gäste morgen früh noch verabschieden.“

,, Ich hoffe sehr,  ihr habt recht.“ , erwiderte Janis lediglich, bevor er sich umdrehte und den Gang zurück lief. Nur noch der Kaiser und Jiy blieben zurück. Die Gejarn sah dem jungen Mann einen Moment hinterher.

,, Er spürt das du dir mehr Sorgen machst, als du zugibst.“ , meinte sie, als sie sich wieder zu Kellvian umdrehte. ,, Und ich auch.“ Der Kaiser nickte, während sie ihm eine Hand auf die Schulter legte.

,, Janis kann man schwer etwas verheimlichen.“ , antwortete der Kaiser. ,, Und eines Tages wird es ihm noch gute Dienste erweisen.“

,, Syle meint du lässt ihn zu viel durchgehen.“ Man konnte es ihrem Tonfall anmerken, dass sie es nicht tadelnd meinte. Eher als legte sie es darauf an, ihn zu einer Antwort zu provozieren.

,, Und damit hat er vielleicht sogar recht. Aber ich will nicht einfach einen Nachfolger der da weitermacht wo ich aufhöre. Der Junge wird seinen eigenen Weg finden und das erlaube ich ihm auch.“

,, Irgendwie kommt mir das bekannt vor.“ , erwiderte Jiy lächelnd. ,, Wieso sagst du ihm nicht einfach,  was du fürchtest ?“

,, Weil es vielleicht nichts ist. Ehrlich  gesagt, wenn doch  werden wir das alle schnell merken. Würde ich ihm sagen was uns bevorstehen könnte, er würde sofort selber losziehen wollen. Er ist noch nicht so weit, ist zu impulsiv... Ich werde nicht zulassen, dass unser Sohn meine Fehler wiederholt... und vielleicht will ich ihn auch einfach nicht gehen lassen.“ Den letzten Teil  murmelte der Kaiser mehr, als das er ihn laut aussprach.

,, Du glaubst  also wirklich , das Ismaiel nicht der einzige war, oder ?“

,, Genau das. Und wenn es ein Wesen gibt das einen Zauber beherrscht, den nicht einmal der Orden wieder aufheben kann… Ich will wissen ob wir in Gefahr sind und wenn ja… wodurch. Dieses Land trägt noch die Narben, von dem, was nötig war um einen einzelnen Magier des alten Volkes zu vernichten. Und wo einer überlebt hat, wer sagt dass es nicht noch mehr gibt ? Ich werde nicht zulassen, das sich die Geschichte wiederholt, Jiy. Um unser aller willen.“ Er beugte sich vor und ihre Lippen fanden sich einen Moment. ,, Und um deinetwillen wenn schon für nichts sonst.“

Die beiden Gestalten lösten sich nur langsam wieder voneinander. ,, Kommst du mit ?“ , fragte Jiy.

Kellvian schüttelte den Kopf. Sein Blick jedoch fiel einen Moment direkt in Richtung von Galren und Merl. Hatte der Mann sie etwa entdeckt? Galren ging rasch wieder ein Stück hinter der Säule in Deckung.

,, Syle wollte mir noch etwas zeigen. Irgendetwas über die Sicherheit des Palastes. Du weißt wie er sein kann wenn es um so etwas geht. Ein eingeschlafener Posten und er lässt die halbe Stadt durchkämmen.“ , erklärte der Kaiser derweil  und Galren musste feststellen das selbst er ihm das nicht abnahm.

,, Das kann bis morgen warten, oder ?“  Jiy hatte eine seiner Hände gepackt und versuchte ihn sanft mit sich zu ziehen.

,, Ich fürchte nicht… „ Sein Blick ging  erneut direkt in Richtung ihres Verstecks. Verdammt, er hatte sie gesehen, da gab es keinen Zweifel mehr. Aber warum dann dieses Spiel ? ,,Eine Stunde, höchstens.“

Jiy gab offenbar auf. ,, Wehe ich muss dich morgen früh suchen.“ Mit diesen Worten drehte sie sich schließlich um und verschwand in der Richtung aus der Galren und Merl eben gekommen waren.

Kellvian sah ihr einen Moment regungslos nach, bis er sicher schien, dass sie nicht zurück kommen würde. Erst dann wendete er sich erneut ihrem Versteck zu.

,, Ihr könnt rauskommen.“ , erklärte er. ,, Und tut mir einen gefallen und versteckt euch beim nächsten Mal besser.“

Galren trat l aus dem Schatten, während Merl ihm zögerlich folgte Tatsächlich klang der Kaiser eher enttäuscht  als wütend.

,, Verzeiht, Herr… wir hatten nicht die Absicht…“ , setzte Merl an.

Kellvian machte eine wegwerfende Handbewegung,, Schon gut. Sagt mir nur, wie viel ihr grade mitbekommen habt…“

,, Das meiste schätze ich.“ , antwortete Galren und ohne zu wissen ob es klug war oder nicht fügte er hinzu :  ,, Zachary hat uns erzählt, was es mit Ismaiel auf sich hatte. Ihr glaubt also wer… oder was auch immer mir diese Karte zukommen lassen wollte… sei ein Magier des alten Volkes?“

,, Ehrlich gesagt, weiß ich nicht was ich glauben soll.“ Der Kaiser bedeutete ihnen schlicht, ihm zu folgen und langsam setzten die drei sich den Gang hinab in Bewegung. ,, Selbst wenn ich recht habe, macht es einfach keinen Sinn. Warum sollte so jemand einen Menschen zu sich rufen?  Einen Magier könnte ich verstehen. Ismaiel wollte sein Volk wiederbeleben, dazu hat er versucht ihre Seelen an die Körper von Zauberern zu binden. Aber ihr seid kein Magier und außer Naria wird euch nur Merl begleiten. Zwei Faktoren von denen wer auch immer diese Karte versiegelte nichts gewusst haben kann. Aber da ihr jetzt wisst, um was es hierbei geht und womit ihr es vielleicht zu tun bekommt… wollt ihr nicht vielleicht doch einen Rückzieher machen ?“

Der Kaiser klang ernsthaft neugierig auf Galrens Antwort. Aber diese blieb dieselbe. Es gab für ihn kein Zurück mehr, bis er nicht selber wusste, was hier gespielt wurde

,, Nein.“ , erklärte Galren fest. ,, Bis vor kurzem bin ich selten über Hamads Küsten hinaus gekommen, Herr… und jetzt bereite ich mich endgültig  darauf vor, der Spur meines Vaters zu folgen. Mein Leben ist in den letzten Tagen um einiges aufregender geworden und ich Zweifel nicht daran, das es ist was ich tun muss. Nur vielleicht an dem, was ich finden und erfahren könnten.“

,, Und ihr, Zauberer ?“

,, Ich… weiß es nicht.“ , gab Merl kleinlaut zurück. ,, Es gibt viele Dinge die einfach… nicht so laufen wie ich es mir erhoffe, Herr. Aber es war der Wunsch meines Meisters, dass ich Galren und die anderen bei ihrer Suche unterstütze. Ob er etwas hiervon ahnte, als er mich losschickte  weiß ich nicht, aber ich glaube er würde jetzt erst recht darauf bestehen, das ich an ihrer Seite bleibe. Und das werde ich tun, ob es mir gefällt oder nicht spielt keine Rolle.“

Mittlerweile hatten sie ein gutes Stück Weg hinter sich gebracht und Galren erkannte, dass sie bereits in der Nähe ihrer Unterkunft sein mussten. Der Palast war tatsächlich eine Stadt in der Stadt aber der Kaiser schien sich hier genauso gut auskennen wie Galren. Ohne dabei auf eine Begabung zurückgreifen zu können…

,, Würdet ihr mir eine Frage beantworten ?“ Galren wusste nicht ob er sich damit nicht vielleicht zu weit aus dem Fenster lehnte, aber die Antwort interessierte ihn.

,, Sprecht. Ich nehme an ich bin nicht ganz, was ihr erwartet habt, ja ?“

,, Das auch, Herr.“

Kellvian lachte. ,, Also stellt eure Frage.“

,, Nun… vergebt mir wenn ich damit zu weit gehe , aber eure Gefährtin… Jiy? Das ist nicht bloß eine politische Vereinigung, oder?“

,, Ich dachte mir schon, das ihr das fragen würdet. Nein. Und ich erwarte auch von niemand dass er das versteht. Ich liebe diese Frau mehr als mein Leben. Auch wenn unser erstes Treffen unter recht chaotischen Umständen stattfand. Ich habe es dem armen Syle damals schon nicht leicht gemacht.“

,, Er… also der Hochgeneral geht auch nicht grade förmlich mit eurem Adoptivsohn um, wie mir scheint.“

,, Syle gehört praktisch schon  zur Familie.“ , erwiderte der Kaiser grinsend. ,, Und wenn ich die Gelegenheiten zusammenzähle bei denen er mein Leben gerettet hat, sollte er eigentlich auf dem Thron sitzen, nicht ich.“ Als sie an eine weitere Kreuzung kamen, hielt Kellvian schließlich an. ,, Eure Quartiere befinden sich nicht weit von hier. Und auch wenn Jiy mich dafür hassen wird… ich habe Syle versprochen mit ihm die Nachtwache zu inspizieren um mir selbst ein Bild zu machen. Wir sehen uns morgen früh, bevor ihr die Stadt verlasst…“

 

 

Kapitel 28 Lasanta

 

 

 

Lasanta lag wie von einer  natürlichen Mauer umgeben, eingekeilt zwischen einem Berg und der See.

Ein endloses Häusermeer erstreckte sich vom Hafen und noch in die Berghänge hinauf, nur hier und dort unterbrochen von einem Palmenbewachsenen Platz oder einem Lagerturm für die per Schiff ankommenden Waren.

Auch wenn diese Stadt ebenfalls eine derjenigen gewesen war, die sich während des Bürgerkriegs vom Kaiserreich losgesagt hatten, war das Joch, das die nachfolgenden Fürsten zu tragen hatten, hier kaum zu spüren. Anders als Freybreak war diese Stadt eine lebende, brodelnde Metropole und war dies wohl auch schon immer gewesen. Selbst das alte Volk musste einst hier eine Siedlung gehabt haben, wie tausende von Ruinen und Trümmer, die teilweise in die Architektur der Gebäude Lasantas integriert worden waren, belegten.

Die Sonne, die selbst jetzt am Abend auf das Pflaster der Straßen brannte, hielt die meisten Einwohner im kühleren inneren ihrer Häuser oder an den hier und dort vorhanden öffentlichen Brunnen und selbst die Träger, die für die Lagermeister am Hafen arbeiteten, bewegten sich nur langsam und bedacht durch die Hitze. Dieser Ort war so gänzlich anders wie alles was Galren kannte, dass er die Temperaturen jedoch kaum bemerkte. Die Leute waren meist dunkelgebrannt und trugen Kleidung aus leuchtend bunten Stoffen, die in den kalten Wintern auf Hamad oder selbst in den Herzlanden kaum zu gebrauchen gewesen wäre.

Vom Hafenbecken selbst war fast nichts zu erkennen, so dicht lagen die einzelnen Schiffe beieinander und Galren hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wie die verschiedenen Kapitäne bei diesem durcheinander einen Zusammenstoß verhinderten. Hunderte von Trägern, Seeleuten und Soldaten strömten von oder zu den vor Anker liegenden Schiffen, löschten Ladung, brachten neue an Bord oder verrichteten Wartungsarbeiten. Der Geruch  von Gewürzen. Kochendem Pech und nassem Leinen lag in der Luft und es war beinahe unmöglich, sich zu bewegen ohne in jemanden hineinzulaufen. Wie sollten sie hier bloß ihr Schiff finden?

,, Ich hätte nicht gedacht nach der fliegenden Stadt noch einmal mehr Menschen auf einem Haufen zu sehen.“ , bemerkte er und wusste nicht einmal ob seine drei Gefährten ihn bei dem Lärm der um sie herrschte überhaupt verstanden. Armell , die Sentine in Gestalt einer Krähe auf der Schulter trug ging knapp hinter ihm, gefolgt von Lias , Merl und schließlich Naria.

,,Das hier ist zumindest schlimmer als die Kälte in Silberstedt.“ , grummelte Lias.

,, ich dachte ihr aus Helike seit Hitze gewöhnt ?“ , fragte Naria. Die Gejarn hatte sich während der vergangenen Wochen ihrer Reise eher still verhalten, aber zumindest schien sie einen Bogen um Lias zu machen anstatt den Konflikt zu suchen. Oder sie wartete einfach auf eine Gelegenheit… Galren wusste nach wie vor nicht, wieso sie sie überhaupt begleitete, wenn sie dem Löwen ganz offenbar nicht über den Weg traute.

,,Hitze ja. Nicht Luft, die man praktisch auswringen kann.“

Sie hatten mittlerweile das äußere Ende des Piers erreicht, während sie sich nach ihrem Boot umsahen.

,, Da vorne.“ Naria deutete ihnen voraus die Mole entlang auf einen fast leeren Steg an dem im Gegensatz zu den anderen nur ein einziges Schiff vor Anker lag. Der Dreimaster war ein Stück kleiner als die gewaltigen Handelsschiffe. Die blauen Banner mit dem Doppelwappen des Kaiserreichs jedoch, die darauf wehten vermittelten schon von weitem jedem, womit er es hier zu tun hatte. Einem kaiserlichen Linienschiff, das Herz der Flotte, die Cantons Herrschaft auch auf dem Wasser sicherstellte. Drei Geschützdecks, deren Luken bis auf zwei jedoch leer waren machten deutlich über welche Feuerkraft ein einziges Schlachtschiff verfügen konnte. Vermutlich hatte man in ihrem Fall allerdings den Großteil der Kanonen ausgebaut um Platz für Vorräte und Crew zu schaffen. Wie bei den übrigen Schiffen auch war ein gutes Dutzend Matrosen , Arbeiter und Träger damit beschäftigt Kisten an Bord zu bringen, den Rumpf neu mit Pech abzudichten oder Planken auszuwechseln. Nur eine einzige Gestalt schien von dem ganzen Trouble recht unbeeindruckt und stand, die Arme vor der Brust verschränkt am Beginn des Pier und unterhielt sich mit einer zweiten Person. Der Mann trug den blauen Mantel eines kaiserlichen Offiziers. Braune Augen sahen unter Strähnen von grauem, mit feuerroten Strähnen durchsetzen Haares  hervor und Galren brauchte erst gar nicht das Wettergegerbte Gesicht zu erkennen um zu wissen, dass er diesen Mann kannte. Hedan… Der Bote des Kaisers, der ihm die Karte gebracht hatte. Langsam begann er sich zu fragen, ob der Kaiser überhaupt etwas dem Zufall überlassen oder bereits so weit voraus geplant hatte, als er den Kapitän zu ihm schickte.

Hedan schien sie jedoch nicht einmal zu bemerken, sondern blieb weiterhin auf sein Gegenüber fokussiert.  Dieses war deutlich jünger als er selbst und mindestens einen Kopf kleiner. Weißes Fell bedeckte ihren Kopf sowie Hände und Füße, die unter einem weiten, cremefarbenen  Hemd und einem paar Hosen in derselben Farbe hervorkamen. Lediglich ein Ohr  war völlig schwarz. Es war eine Gejarn, wie Galren feststellte. Eine Luchsin wenn er sich nicht täuschte .

,, Ich wiederhole mich ungerne.“ , erklärte der Kapitän gereizt . ,, Weder habe ich Bedarf an weiterer Crew noch würde ich wenn dem so wäre euch dafür in Erwägung ziehen. Also verschwindet, bevor ich meine guten Manieren vergesse.“

,, Ihr habt mich nicht einmal ausreden lassen.“ , gab die Gejarn in keiner Weise eingeschüchtert zurück. ,, Jeder in dieser Stadt weiß, wohin ihr unterwegs seid. So etwas kann man nicht geheim halten. Ihr könntet jemanden gebrauchen der…“
,, Wir brauchen niemanden.“ , unterbrach Hedan sie.,, Und ihr seid ein halbes Kind. Seht zu das ihr nach Hause kommt, Kleine. Das hier ist gefährliche Arbeit.“

,, Aber…“
,, Verschwindet.“ Der Kapitän machte einen drohenden Schritt auf sie zu, doch offenbar war die Gejarn nach wie vor nicht bereit aufzugeben.

,, Ihr könntet mir zumindest eine Gelegenheit…“

Hedan  erwiderte erst gar nichts, sondern holte schlicht mit einer Faust aus. Die junge Gejarn machte im gleichen Moment einen Schritt rückwärts. Offenbar hatte sie bereits damit gerechnet und hob beide  die Hände um den Hieb abzufangen und gleichzeitig selbst zuzuschlagen. Galren hatte Lias oft genug zugesehen und mittlerweile hatte er selber genug gelernt um einen Kämpfer zu erkennen, wenn er einen sah. Sie würde Hedans ungezielten Schlag abfangen und dem Kapitän danach vermutlich die Nase brechen… Sie mochte klein sein wusste aber offenbar was sie tat.

Bevor es jedoch s weit kam, löste sich plötzlich Sentine von Armells Schulter und war mit wenigen kräftigen Flügelschlägen zwischen den Kontrahenten . Sowohl die Gejarn als auch der Kapitän waren über das plötzliche Auftauchen des Vogels so überrascht, dass sie verdutzt innehielten, Hedans Faust nach wie vor in der Luft.

,, Verfluchtes Vieh.“ Der Kapitän hob abwehrend eine Hand, als Sentine ihm beinahe ins Gesicht flog und stolperte zurück. Der Schlag der eben noch der Luchsin gegolten hatte, ging jetzt in Richtung des Vogels. Diesmal war es Armell, die dazwischen ging.

,, Wagte es euch und ihr könnt hinter eurem Schiff her Schwimmen.“ , rief sie laut genug, das selbst der aufgebrachte Hedan nun  erneut inne hielt, vor allem als er ihre Begleitung bemerkte. Das wiedererkennen in seinen Augen war jedoch nicht überrascht, wie Galren gedacht hätte. Er hatte schon gewusst, wen er hier erwartete. Die Gejarn nutzte derweil ihre Chance und war mit einem Satz in der Menge verschwunden. Galren sah ihr nach konnte sie aber bereits nach wenigen Augenblicken nicht mehr ausmachen.

,, Sieh mal einer an.“ , meinte Hedan nun noch übellauniger als zuvor, während sie endgültig den Pier erreichten. ,, So klein ist die Welt, wie ?“

,, Hedan, oder ?“ , fragte Galren.

,, Ihr kennt ihn ?“ , wollte Naria wissen.

,, Und ob.“ , antowrtete er unsicher ob das wirklich etwas Gutes war. Vermutlich eher nicht. Der Mann war auf seine Art einfach unangenehm.  ,, Von ihm habe ich die Karte überhaupt erst bekommen. Also sollt ihr diese Expedition anführen?“ Hoffentlich nicht…

,, Von wegen. Ich bin für eure Crew und das Schiff zuständig. Ich fürchte das sagen dürfte… sie haben.“ Er nickte in Richtung Armell. ,, Das heißt, ich nehme einmal an, ihr seid  Armell D'Ambois ?“

,, Die bin ich.“ , antwortete die Fürstin.,, Und wer war das eben ?“

,, Nur ein Störenfried. Wir liegen jetzt hier seit zwei Tagen vor Anker und mindestens genauso lange habe ich Leute, die mitkommen wollen, nachdem sich herumgesprochen hat wo unser Ziel liegt. Keine Ahnung wer von meinen Leuten geplaudert hat, aber jeder, der den Mut aufbringt will plötzlich mit. Die eben war besonders hartnäckig, war jetzt zum dritten Mal hier, keine Ahnung wieso… Wenn euer Vogel nicht gewesen wäre…“

,, Würdet ihr jetzt vermutlich mit mehreren gebrochenen Knochen auf diesem Pier liegen.“ , beendete Lias den Satz. ,, Es mag euch nicht aufgefallen sein, aber die Kleine war um einiges schneller als ihr. Sie hat euren Angriff erwartet und wäre Sentine nicht dazwischen gegangen hättet ihr heute herausgefunden das körperliche Stärke  bei einem Kampf bei weitem nicht alles ist. Vielleicht solltet ihr in Zukunft darüber nachdenken ob es eure Gesundheit wert ist jemanden zu attackieren weil er euch… lästig ist.“

Hedan erwiderte nichts, sondern bedachte den alten Löwen nur mit einem abschätzigen Blick.

,, Jedenfalls,“ , fing er schließlich wieder an zu sprechen. ,, wir haben fast alles beisammen was wir für diese Reise brauchen. Momentan fehlen lediglich noch ein paar Vorräte. Spätestens  in einer Stunde können wir aufbrechen. Ich schlage also vor, ihr begebt euch an Bord und wenn ihr noch etwas zu erledigen haben solltet… beeilt euch damit. Ich will wirklich nicht noch auf jemanden warten müssen.“

Mit diesen Worten drehte Hedan sich um und verschwand die Mole hinab. Galren zuckte kurz mit den Schultern, bevor er ihm schließlich folgte. Die anderen zögerten kurz, schlossen sich ihm dann jedoch ebenfalls an.  Das Deck war überfüllt mit Matrosen und Arbeitern, die letzte Vorbereitungen trafen, während er und die anderen an Bord gingen. Noch jedoch hingen die Segel zusammengerollt an den Querbalken der Schiffsmasten. Galren sah sich fasziniert um. Das war es, dachte er. Der letzte Schritt bevor sie aufbrechen würden und für den Moment bliebe ihm nur übrig zu warten.

Das Ruder befand sich vor einer großen Kajüte am Heck des Schiffs, die wohl Hedans Unterkunft bilden würde und mehrere Stapel mit Kisten und Fässern, die wohl noch über eine große Rampe aus Holzplanken  unter Deck gebracht werden würden. Lediglich einige wenige Stufen blieben daneben frei um auf die unteren Ebenen des Schiffs zu gelangen. Er hätte später noch genug Zeit sich umzusehen, sagte er sich.

,, Willkommen auf der Immerwind. Sie mag nicht das schlagkräftigste oder schnellste Schiff der Flotte sein, aber bisher hat sie mich noch nicht enttäuscht. Auch wenn der Kaiser sie angeblich persönlich einem alten Piraten abgekauft hat…“ Hedans Stimme schien praktisch schlagartig an Gereiztheit verloren zu haben, sobald er einmal die Füße auf das Schiffsdeck gesetzt hatte. Wir mussten einige Anpassungen vornehmen.“ , erklärte er, während er  Galren und den andere bedeutete, die Stufen unter Deck zu nehmen. ,, Das hier ist eigentlich ein Kriegsschiff und hätte es meiner Meinung nach auch bleiben sollen aber… seit wann hätte der Kaiser sich je um die Meinung eines seiner Offiziere geschert. Die meisten Waffen sind zwar von Bord geschafft worden aber mit den zusätzlichen Vorräten sind wir immer noch fast genau so schwer wie vorher. Wenn ich die Strecke, die vor uns liegt also richtig einschätze, sind wir mindestens vier Wochen unterwegs,  eher länger. Und das bei gutem Wetter.“

Beim ersten Deck das sie erreichten handelte es sich offenbar um die Schlafräume für die Besatzung Hängematten, Matratzen und auch simple Strohlager waren fast überall aufgeschlagen worden wo ein Ecke Platz dafür bot und das spärliche Licht, das durch die nur halb  geöffneten Luken hereinfiel machte es schwer sich zu orientieren.

,, Ich hoffe ihr werdet verzeihen das wir kaum Platz haben um irgendjemanden extra unterzubringen.“ , meinte Hedan vielleicht etwas zu schadenfroh in Richtung Armell.

,, Glaubt mir es gibt schlimmeres.“ , gab diese lediglich kühl zurück.

,, Zum Beispiel ?“

,, Das wisst ihr wenn euch ein Assassine meines Onkels die Kehle durchschneidet.“

Hatte der Kapitän eben noch amüsiert gewirkt, erlosch das schwache Grinsen nun sofort wieder. Wortlos führte er sie schließlich zurück nach oben, wo grade die letzten Kisten an Bord gebracht wurden. Danach ging alles ganz schnell, schneller als Galren je gedacht hätte. Die Taue die das Schiff am Steg verankerten wurden gekappt und die Segel innerhalb weniger Augenblicke gehisst, während einige bereitliegende Lootsenboote eine Gasse in dem durcheinander aus vor Anker liegenden und wartenden Kähnen im Hafen schufen. Es dauerte nicht lange und die Immerwind nahm schließlich Fahrt auf, während die Mole an ihnen vorüberglitt. Galren ließ die andere zurück, die am Heck des Schiffs stehen geblieben waren und zurücksahen und lief über das Deck in Richtung der Rehling am Bug. Soeben hatten sie die letzten Schiffe passiert und verließen die Hafen Einmündung. Hinter ihnen war die Stadt, Canton, die Welt die er kannte… Und vor ihnen… Galren ließ sich auf dem Boden nieder, während ihm die Mittagssonne warm ins Gesicht schien. Der Fahrtwind vertrieb die schlimmste Hitze und machte selbst die schwüle Luft ertragbar. Vor ihnen gab es so weit er sehen konnte nur blau. Und ein Ziel, das er nach wie vor nicht aus den Augen verloren hatte.

 Bald, dachte Galren nur und wusste selber nicht genau was er damit meinte.  Das er ankommen würde? Das sie unterwegs waren? Oder dass er die Antworten finden würde nach denen er suchte? Vielleicht alles davon. Und vielleicht auch nichts, meinte eine leise, düstere Stimme in seinem Kopf. Noch war nichts gewonnen. Sie hatten grade einmal den ersten Schritt hinter sich…

 

 

Kapitel 29 Last

 

 

 

Schon eine Woche auf See konnte einem furchtbar lang werden, stellte Merl fest.  Mittlerweile hatten sie die offene See seit mehreren Tagen erreicht und was vom Festland Cantons noch zu erkennen war, war kaum mehr als ein Schatten. Selbst mit einem Fernrohr konnte man grade einmal einige Bergspitzen ausmachen, die noch über den Wasserspiegel hinausragten. Die Tage schienen sich endlos dahin zu ziehen und neben den Mahlzeiten gab es für sie nur wenig zu tun, außer ab und an vielleicht einmal dem Schiffskoch zur Hand zu gehen. Und selbst diese Gelegenheiten waren längst nicht alltäglich. Die meisten Vorräte die sie dabei hatten bestanden aus Zwieback, geräuchertem Schinken oder ähnlichen haltbaren Dingen und Fässern mit Wasser oder Alkohol. Um letzteren machte der junge Magier einen großen Bogen, spätestens seit Hedan, der Kapitän ihm einmal ein Glas angeboten oder besser aufgeschwatzt hatte. Vielleicht würde er eines Tages noch den Grund dafür erfahren, aber im Augenblick konnte er sich beim besten Willen nicht erklären wie ein Mensch freiwillig etwas trinken konnte, das roch als entstamme es Zacharys Alchemie-Sammlung. Und dabei nicht grade dem Kräuterkabinett….

Er ließ den Blick über die endlosen Flächen aus blauem Wasser gleiten, die sie umgaben. Auch wenn sie ein Stück von der Küste weg waren, das Wetter Lasantas begleitete sie immer noch obwohl in Teilen Cantons längst tiefster Winter herrschen musste. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich auf den Wellen und außer einigen weißen Wolkenfetzen war der Himmel genau so klar wie das Meer unter ihnen. Es war noch früher Mittag und auf Deck war abgesehen von einigen Matrosen so gut wie verlassen, der Rest war wohl unter Deck um sich seine tägliche Ration abzuholen und vielleicht auch um eine halbe Stunde schlaf zu ergaunern, während der Kapitän in seiner Kajüte war. Auch wenn Merl nicht wusste, was er von Hedan halten sollte, der Mann hatte seine Crew zumindest im Griff, wenn auch nicht unbedingt sanft. In der letzten Woche hatte der Mann mindestens drei Matrosen Rationen gestrichen nachdem er der Meinung gewesen war, sie hätten ihre Arbeit nicht ordentlich verrichtet. Oder zumindest nicht völlig zu seiner Zufriedenheit…

Letztendlich ging er dem Kapitän am besten einfach aus dem Weg, dachte Merl, während er sich in eine der ruhigsten Ecken auf Deck zurückzog, eine kleine Nische zwischen Ruderhaus und der Bordwand. Ob diese Lücken absichtlich entstanden waren oder einfach ein Konstruktionsfehler waren, er jedenfalls wusste sie zu schätzen, während er sich zwischen Reling und der Außenwand der Kajüte hindurchzwänge um auf das kurze, freie Stück Planken hinauszutreten. Hier gab es nur eine knöchelhohe Holzschranke, die einem vor einem Sturz in die Fluten bewahren konnte, aber er hatte ja auch nicht vor, zu nah an die Kante heranzugehen. Stattdessen setzte er sich mit dem Rücken gegen die Wand und konzentrierte sich auf eine der Übungen, die Meister Zachary ihm gezeigt hatte. Langsam, als bestünde das Wasser aus Teer löste sich eine einzige, kreisrunde Kugel aus den Wellen und schwebte neben dem Schiff her. Es war kein sehr anspruchsvoller Zauber, etwas, das jeder Lehrling wirken könnte bevor sein erstes Jahr vorbei wäre, aber es erforderte Konzentration um ihn länger aufrecht zu erhalten, wenn man seine Kräfte schonen wollte. Zwar hatte er mit der Träne um seinen Hals eine beinahe unbegrenzte Kraftquelle zur Verfügung aber… Nein er wagte nicht daraus zuzugreifen. Und schon gar nicht für einen derart einfachen Zauber. Vielleicht nicht einmal wenn ihm keine andere Wahl bliebe… Aber Zachary hatte ihm den Stein nicht ohne Grund mitgegeben…

Die Wasserblase zitterte und Merl musste sich zusammenreißen um die Magie die sie in der Schwebe hielt aufrecht zu erhalten. Er durfte sich nicht ablenken lassen. Bevor es ihm jedoch gelang, dn Zauber wieder ganz zu stabilisieren flog etwas wie ein Geschoss einfach mitten durch das Wasser hindurch. Die Kugel zerplatzte in tausend einzelne Teile und nahm Merls letzte versuche sie aufrecht zu erhalten gleich mit sich.

Irritiert sah er sich nach dem Ding um das grade seine Übung zu Nichte gemacht hatte. Was ihm eben nur als verschwommener weißer Schemen erkennbar gewesen war, legte eine Kehrtwende ein und landete eher unbeholfen fast direkt vor seinen Füßen. Sentine… Er konnte sofort spüren dass er es nicht mit einem normalen Tier zu tun hatte. Zachary hatte ihm nie erklärt, was genau es überhaupt mit ihr auf sich hatte.

Das Wesen hatte die Gestalt irgendeines Seevogels angenommen, den er nicht kannte, mit gelbem Schnabel und weißem Gefieder am Kopf. Die Flügel hingegen waren schwarz und ausgebreitet  viel länger  als der Vogel  selbst und auch die Füße wirkten übergroß…

,, Götter hast du mich erschreckt…“  Es war irgendwie schwer etwas böse zu sein, das nun mal wie ein Tier aussah. Auch wenn es definitiv keiner war. Trotzdem zog er eine säuerliche Mine. Zumindest bis sein Herzschlag sich wieder beruhigte konnte er weitere Übungen vergessen.

,, Verzeiht es ihr.“ , meinte Armells Stimme , die soeben über den schmalen Rand zwischen Kajüte und Bordwand kletterte um zu ihnen zu gelangen. Je weiter sie sich von Canton entfernten, desto besser schien ihre Laune zu werden. Vielleicht weil es endlich vorwärtsging, nachdem sie fast einen Monat nur damit zugerbacht hatten, alles vorzubereiten. Für sie bedeutete das um einiges mehr als für ihn, dachte Merl, während sie sich zu ihm setzte. Wie auf ein stummes Zeichen schwang sich Sentine erneut umständlich in die Luft. Einen Moment rechnete Merl tatsächlich damit, dass der Vogel einfach ins Meer fallen würde, doch dann hoben ihn seine Schwingen plötzlich doch vom Boden und trugen ihn schneller als der junge Magier mit den Augen folgen konnte, Richtung Himmel nur um sofort wieder nach unten zu segeln und knapp über die Wellenkämme hinwegzugleiten. Das ganze hatte eine Anmut, die man bei der vorhin eher uneleganten Landung kaum vermuten würde.

,, Was… ist sie eigentlich ? Ich meine im Moment?“

,, Ein Albatros. Es gibt welche die auf den Klippen Hamads leben aber ich schätze in Silberstedt bekommt man so etwas eher selten zu sehen?“

Merl kratzte sich am Kopf, während er Sentines Flug mit den Augen folgte. ,, Ehrlich gesagt außer Zacharys Raben und dem gelegentlichen Wyvern habe ich dort selten irgendwelche Tiere gesehen.“

Armell nickte als hätte sie die Antwort schon gewusst. ,, Wisst ihr ein Albatros hat vielleicht Schwierigkeiten in die Luft zu kommen aber wenn er einmal fliegt… nun das seht ihr ja.“

,, Ich schätze Zachary würde so etwas sagen wie ich hätte grade mein Wappentier gefunden.“ , murmelte der junge Magier ohne zu merken, dass er seine Gedanken laut aussprach. Vermutlich läge er damit nicht einmal so falsch… Was sein Meister grade tat? Vermutlich arbeitete er noch immer an den gleichen Experimenten und Zaubern die er mit Merls Hilfe erarbeitet hatte. Ihr Werk war eine lange Puzzlearbeit und es gab nur kleine Fortschritte. Aber sie war es wert, dachte Merl. So wenig er auch dazu beitrug. Nur hoffte er, das Zachary auf sich achten würde. Merl Verstand die Risiken ihrer Arbeit sogar  besser als sein Meister das tat, vielleicht weil dieser sie einfach nicht sehen wollte…

,, Ist etwas ?“ , fragte Armell, die wohl gemerkt hatte in welche Richtung seine Gedanken abschweiften.

,, Nichts…“ , erwiderte er selber überrascht über den ungewohnt Zynischen Gedanken.  ,, Ich habe nur grade an Zachary gedacht.“

,, Ihr macht euch Sorgen um ihn ?“

,, So seltsam das klingen mag. Ich meine… er ist leicht zehnmal so stark wie ich und selbst wenn das nicht der Fall wäre, er hat die Erfahrung eines ganzen Lebens als Magier…. Aber er ist auch das was für mich einer Familie noch am nächsten kommt, Armell. Ja manchmal habe ich Angst um ihn.“

Armell sah ihn einen Moment unsicher an. Es war einer dieser kurzen Momente in denen die entschlossene Mine der jungen Adeligen Risse zeigte.

,, Und um euch macht ihr euch keine Sorgen ?“

,, Ich… denke ich bin aus einen Grund hier Armell. Ein Grund den vielleicht nicht einmal Zachary versteht aber er hat mich nicht grundlos mit euch geschickt. Und rückblickend… ich bin froh darüber. Beim Gedanken euch alleine ziehen zu lassen… Mir wäre nicht wohl dabei gewesen.“ Er fühlte sich ja selbst jetzt nicht ganz sicher damit. Aber das hatte auch andere Gründe. Und wenn er zumindest einen davon aus der Welt schaffen wollte dann wäre die Gelegenheit dazu jetzt.  ,, Und ich möchte mich entschuldigen.“

,, Wofür ?“ Armell drehte sich wieder zu ihm um und strich sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht.

,, An der Erdwacht ich meine… falls ich irgendetwas gesagt haben sollte das… es war nicht gegen euch gerichtet, Armell. Ich habe nur nicht nachgedacht ich meine…“

,, Merl…“ Sie legte ihm eine Hand auf den Arm und brachte ihn mit dieser simplen Geste fast sofort  zum Schweigen. ,,Das weiß ich doch. Und nichts davon ist oder war je eure Schuld, versteht ihr das? Ich weiß was meine Eltern getan haben und wieso. Ich hoffe nur eines Tages von mir behaupten zu können besser als sie zu sein.“

Wenn sie ihn fragte, dann war dieser Tag lange gekommen, dachte der junge Zauberer bei sich. Aber wer war er ? Ein Narr mit einer Liebe die nicht erwidert werden konnte und keiner Kontrolle über seine eigenen Fähigkeiten. Sein Wort würde nichts bedeuten und nichts ändern.

Und doch schien Armell auf etwas zu warten, die Hände im Schoß zusammengefaltet und die Augen auf ihn gerichtet.

,, Ich… meine“ Er nahm allen Mut zusammen. Nein er würde keine halbgare Antwort zusammenstottern. Nicht diesmal. Und er konnte auch nicht länger zusehen wie sie sich selbst geißelte. Das war nicht Armell, das war was  eine untragbare Verantwortung versuchte aus ihr zu machen.  ,, Ihr seid längst besser. Ich meine seht euch um !“ Er stand auf und zog sie ohne abzuwarten mit sich auf die Füße. ,, Seht euch das alles an. Wir sind hier, wegen euch. Und wegen Galren aber ohne euch wäre er nicht einmal von Hamad runter gekommen. Wir segeln mitten ins unbekannte, weil ihr besser seid, Armell. Weil ihr bereit seid alles zu riskieren um auch nur eine Chance zu haben eure  Stadt zu retten. Für die Menschen dort. Nicht für euch selbst. Oder täusche ich mich in der Frau die ich…“ Die er so lange aus der Ferne bewundert hatte, die ihm seit seiner Kindheit mit ihrer Entschlossenheit und Charme gefangen genommen hatte? ,, die ich so lange kenne ?“ , beendete er den Satz schließlich.

Statt einer Antwort sagte sie nur : ,, Zachary hatte offenbar recht was euch betrifft. Und vielleicht seit ihr weiser als ich… Ich  fürchte trotzdem  genug andere werden  immer nur das Kind meiner Eltern in mir sehen.“
,, Was kümmern euch alle anderen wenn es hier Leute gibt die wissen, dass das nicht so ist ? Ich weiß es. Ich weiß dass es genug schlechte Menschen gibt, Armell. Aber ihr selbst… zeigt schon das nicht alle so sind.“

,, Ich bin hier weil ich muss, Merl. Nicht weil ich unbedingt will.“ , gab sie zurück. Aber ihr Tonfall hatte sich verändert und ihm entging das schwache Lächeln nicht, das über ihre Züge huschte.

,, Sagt mir nicht ihr seid nicht auch ein kleines Stück neugierig ?“

Diesmal verschwand der sorgenvolle Ausdruck völlig aus Armells  Mine und sie lachte.

,, Ich weiß nicht wie ihr das schafft aber…“ Statt den Satz zu beenden drückte sie ihm einen raschen Kuss auf die Wange.  Merls Herz setzte beinahe einen Schlag aus. ,, Vielleicht sollte ich Zachary bei unserer Rückkehr vorschlagen das er euch weniger lesen lassen soll…“

Mit diesen Worten winkte sie Sentine heran, die auf ihrer Schulter landete und kletterte zurück auf das Hauptdeck des Schiffs. Merl sah ihr nur stumm nach. Er sagte sich das es nichts zu bedeuten hatte. Er hatte ihr nur geholfen sich zu erinnern wer sie eigentlich war. Und doch war er in diesem Moment der glücklichste Mensch weit und breit. Glücklich genug, um den hellen Schemen nicht zu bemerken der ein Stück tiefer an der Bordwand entlangkletterte, nur um in einer offen stehenden Luke zu verschwinden nicht zu bemerken. Vielleicht wäre der Rest ihrer Reise völlig anders verlaufen wenn er es getan hätte…

 

Kapitel 30 Streit

 

 

 

,, Ich glaube einfach unser Kurs stimmt nicht.“ , erklärte Galren, während er sich über die Karten beugte, die auf einem großen Tisch im Hedans Quartier ausgebreitet lagen. So weit draußen wie sie jetzt, nach anderthalb Wochen Fahrt, waren, waren die meisten davon ohnehin nutzlos. Das Gebiet das sie durchfahren war nur auf wenigen überhaupt kartiert und wenn, dann nur als endlose blaue Fläche ohne Anhaltspunkte darauf wo sie sich genau befanden. Das einzige Dokument auf das er sich noch verlassen konnte, war die Karte, die sein Vater gerettet hatte… oder die der Kaiser ihm hatte zukommen lassen.

Die Kabine des Kapitäns war recht spartanisch eingerichtet. Neben dem Tisch an dem sie saßen gab es lediglich zwei weitere freie Stühle, ein Bett im hinteren Bereich des Raums und ein großes Regal mit weiteren Seekarten, Büchern und nautischen Instrumenten, wie Galren sie von seinem Vater kannte. Eine Reihe Fenster erlaubte einen Blick hinaus auf die heute graue See. Leichter Regen hatte eingesetzt und prasselte  in einem beständigen Trommelrythmus gegen die Scheiben.

,, Und woher wollt ihr das wissen ?“ , fragte  Hedan und funkelte ihn dabei herausfordernd an. Er hatte schon damit gerechnet, das der Kapitän sich kaum gefallen lassen würde, wenn man versuchte sich in sein Handwerk einzumischen.

Die Wahrheit war, dass er es nicht sicher wissen konnte, dachte Galren. Hier draußen schien seine Gabe einfach nicht so zu funktionieren wie an Land. Er konnte klar spüren, dass etwas nicht in Ordnung war, war aber unfähig es auch zu benennen. Das Gefühl, das ihn irgendetwas beinahe mit sich zu ziehen schien, seit er die Karte zum ersten Mal gesehen hatte, war stärker denn je und es kam nicht aus der Richtung in die sie unterwegs waren… Vielleicht reagierte er auch nur über. Aber das glaubst du nicht, sagte er sich selbst. Nein, er hatte gelernt sich auf sein Gefühl zu verlassen, den Pfaden zu folgen, die sein Geist wie von alleine fand. Und er würde jetzt nicht damit aufhören.

,, Ich habe auf Hamad als Lotse gearbeitet.“ , antwortete er schließlich und hoffte, dass es ausreichen würde, Hedan zu überzeugen. Er konnte von niemand verlangen sich auf eine bloße Eingebung seinerseits zu verlassen, so sicher er sich auch war.

,,Wirklich ?“ Der Kapitän schien nicht wirklich überrascht oder beeindruckt. Vermutlich hatte er längst gewusst, wer Galren war. Der Kaiser würde ihn wohl damals nicht völlig blind zu ihm geschickt haben. Aber trotzdem…  Jetzt war er absichtlich störrisch, dachte Galren. ,, Nun, prüft den Kurs eben selbst wenn ihr mir nicht traut.“

Hedan machte eine ausladende Handbewegung, die den ganzen Tisch einschloss.

Galren knirschte mit den Zähnen. Das war der letzte Trumpf des Kapitäns und er hatte ihn richtig ausgespielt.

,, Ich habe leider… nie wirklich gelernt, wie. Den Großteil meines Lebens konnte ich mich immer darauf verlassen meinen Weg zu finden. Wären wir nicht so weit von Canton entfernt ich würde euch ein dutzend Händler und Schiffer nennen, die bezeugen können das ich mich mit so etwas selten irre.“

,, Lotse… Hört mir einmal zu. Das hier ist keine Küstenfahrt, wir sind mitten auf hoher See, es gibt hier nichts an dem man sich orientieren kann wie ihr es vielleicht getan habt. Aber ich prüfe unseren Kurs täglich selbst. Er stimmt.“

Es half alles nichts, dachte Galren. Natürlich würde Hedan ihm nicht einfach glauben. Oder sich zumindest dazu herablassen erneut seine Instrumente zur Hand zu nehmen um ihre Route festzulegen. Ihm blieb nur sich auf den Kapitän zu verlassen. Und gegen das sträubte sich grade alles in ihm. Aber wie sollte er dem Mann beweisen dass er falsch lag….

 Bevor er dazu kam noch etwas zu erwidern, wurden draußen plötzlich stimmen Laut. So weit war das nichts ungewöhnliches, grade bei einem aufziehenden Sturm aber etwas daran machte ihn stutzig. Galren brauchte einen Moment bis er realisierte, das eine der Stimmen Lias gehörte. Und der Gejarn klang nicht aufgeregt sondern regelrecht wütend…

Sofort war er auf den Füßen und Hedan, der offenbar ebenfalls merkte, dass etwas nicht stimmte, sprang ebenfalls auf, während Galren bereits die kurze Strecke zwischen sich und der Tür hinter sich gebracht hatte. Gischt und graue Regenschleier schlugen ihm entgegen, sobald er sie öffnete und gefolgt vom Kapitän auf das Deck hinaustrat. Die Wellen brachten die Planken unter ihren Füßen leicht zum Schaukeln aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt und glich die Bewegung fast ohne Nachzudenken aus. Er brauchte sich nicht lange umzusehen um die Quelle des Lärms zu finden. In der Schiffsmitte, direkt unter dem zweiten Mast stand Lias und redete offenbar auf eine Gestalt in einem grauen Umhang ein. Die hellen Augen die unter der Kapuze hervorsahen blitzen wütend. Naria hatte die Arme vor der Brust verschränkt aber Galren konnte die Spannung in der Luft bis zu ihm spüren. Ein unterschwelliges Kribbeln am ganzen Körper als würde bald ein Gewitter losbrechen. Und nicht nur das am Himmel. Er wusste, das war Magie und die junge Gejarn-Zauberin war offenbar darauf vorbereitet sie auch einzusetzen.

,, Was habt ihr eigentlich hier verloren ?“ , fragte Lias nach wie vor aufgebracht. ,, Glaubt ihr wirklich ich merke nicht, das ihr mich seit unserer Abreise keinen Augenblick aus den Augen lasst ? Was genau spielt ihr hier?“

,, Ich könnte euch dasselbe fragen…. Paladin.“ Sie spuckte den Titel fast aus.

,, Ich werde mich sicher nicht dafür entschuldigen was ich bin.“ , erwiderte der Löwe kühl. ,, Ich denke grade ihr solltet das doch wissen…“

Galren rechnete fest damit, dass die Situation jetzt eskalieren würde. Was während der letzten Wochen eine Art stummer Wettstreit zwischen den beiden gewesen zu sein schien, wer den anderen zuerst zum Reden brachte, war endgültig an sein Ende gekommen.  Ohne dass Galren sich dessen bewusst wurde, wanderte seine Hand zum Schwertgriff. Er wüsste ja nicht einmal, wen er im Zweifelsfall verteidigen müsste.  Nach allem was er über Magie und Lias wusste könnte einer der beiden tot sein bevor er dazu käme, dazwischen zugehen…  Nach Merls Bemerkung hatte er seine Zweifel gehabt, was Narias Fähigkeiten anging, doch diese waren in den letzten paar Augenblicken endgültig verflogen. Er konnte das wartende Inferno spüren, das diese Frau auf einen Gedanken hin entfesseln könnte. Dazu musste er es nicht erst sehen.

Dann jedoch von einem Moment auf den anderen, war die Spannung weg. Naria trat einen Schritt von Lias zurück, während ihr Blick zu Galren und Hedan hinüberwanderte.

,, Keine Sorge.“ , meinte sie an Galren gerichtet, als hätte sie seine Gedanken gelesen.. ,, Ich weiß durchaus wie ich mich zu benehmen habe Mensch. Euer Freund hier… weniger.“

,, Was meint ihr damit ?“

,, Dass ich es leid bin wortlos angestarrt zu werden.“ , erwiderte Lias kühl aber auch er schien sich etwas zu entspannen. Trotzdem Galren hatte ihn bisher noch nie dermaßen aufgebracht erlebt. Normalerweise war der Mann die Ruhe selbst, egal was um ihn herum vorging, wachsam ja, aber nicht angespannt. Der Mann vor ihm jedoch schien kaum mehr etwas damit gemein zu haben…

,, Fragt ihn doch einfach selber, was er im Dienst der Archonten alles getan habt. Ihr wart beim Exodus der Magier in Helike, oder?“

Galren war davon überzeugt, das Lias erneut wütend reagieren würde, stattdessen jedoch schwieg er einen Moment, bevor er antwortete: ,, Vielleicht war ich das. Aber ich bin kein Paladin mehr.“

,,Wem wollt ihr das erzählen ? Einmal Paladin immer Paladin. Wie viele habt ihr getötet? Habt ihr  das eurem Freund da schon mal gesagt ? Oder habt ihr Angst davor?“

Galren musste an ihre Ankunft in Silberstedt zurückdenken. Lias hatte gesagt er hätte sich nie an den Verfolgungen beteiligt. Der stumme Vorwurf stand im Raum…  Aber Galren kannte Lias ewig. Er würde ihn nicht anlügen… oder?

,, Lias ?“ Galren gab sich alle Mühe seine Stimme nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen, trotzdem verriet sein Tonfall wohl was er dachte.  ,, Das hat nichts zu bedeuten, oder ?“

Es dauerte, bis der Gejarn ihm schließlich antwortete. ,, Würde ich Nein sagen, wäre das eine Lüge. Ich habe die Befehle der Archonten nie hinterfragt. Das hieß bis die Magier verschwanden. Danach… hat sich viel geändert, Galren. Mehr als die Hälfte unserer Führer waren Tod und Wys Carmine übernahm die Kontrolle. Euer Onkel, wenn ich richtig liege ?“ Er sah zu Naria, diese nickte langsam.

Galren sah einen Moment zwischen den beiden hin und her. Für einen Moment hatte er geglaubt worauf dieses Gespräch hinausging und jetzt… Wenn Narias Onkel ein Archont war zu was machte sie das?

,, Eine lange Geschichte.“ , meinte die junge Schakalin nur, als hätte sie erneut erraten was er dachte.

,, Da es so aussieht als würdet ihr mein Schiff doch nicht in Brand stecken wollen werde ich mich wieder an die Arbeit machen. Und wenn ich euch einen Rat geben darf, das Wetter wird nicht besser werden.“ Mit diesen Worten und offenbar froh darum der ganzen Situation entfliehen zu können, drehte er sich um und verschwand in Richtung seiner Kabine. Tatsächlich wurden die grauen Wolken über ihnen zunehmend dunkler. Der Sturm konnte nicht mehr zu lange auf sich warten lassen…

,, Seit ihr nur hier um mich daran zu erinnern ?“ , fragte Lias derweil an Naria gerichtet.

,, Mich würde ehr interessieren was Helike sich von dieser Expedition erhofft…“

Lias starrte sie einen Moment an als hätte sie den Verstand verloren oder als wäre sie sich nicht sicher ob Naria sich nicht einen Scherz erlaubte. Doch die Mine der Gejarn blieb unnachgiebig ernst. Schließlich fing der Löwe nur an zu lachen.

,, Was ist so witzig daran ?“ , verlangte sie zu wissen.

,, Tut mir wirklich leid.“ , erklärte Lias nach Luft schnappend. ,, Aber ich stehe seit Jahren nicht mehr im Dienst der Archonten… Kindchen. Wenn ihr nur deshalb hier seid dann muss ich euch leider sagen dass ihr eure Zeit verschwendet.“ Mit diesen Worten schlug er den Stoff  seiner Hose ein Stück zurück, so dass die hellen Narben sichtbar wurden, die sich sein Bein hinaufzogen. ,, Ich bin ein halber Krüppel. Ich kann noch laufen und kämpfen  aber für meinen Rang wäre ich daheim ein Pflegefall. Glaubt mir also wenn ich sage, weder habe ich irgendetwas mit den Archonten zu tun noch habe ich vor je nach Helike zurückzukehren wenn es sich vermeiden lässt.“

Naria schien wie vor den Kopf gestoßen. Ihr blick wanderte zwischen Galren und Lias hin und her als suchte sie nach etwas, irgendetwas, das auf eine Lüge hinwies. Aber da war nichts. Lias hatte Galren genau das bereits einmal erklärt wenn auch unter anderen Umständen. Und wie schwer die Verletzungen des alten Löwen waren, hatte sie mit eigenen Augen gesehen. Ihr blieb eigentlich keine andere Wahl als ihm zu glauben, dachte Galren. Es sei denn sie war tatsächlich nur darauf aus Lias an eine Schuld zu erinnern, die allzu lange zurück lag.

Bevor Naria jedoch dazu kam etwas zu erwidern trat Lias auf sie zu.

,, Ich sage es ungern.“ , begann er. Seine Stimme klang jetzt sanft, nicht angespannt wie zuvor. ,, Aber ich glaube wir haben beide einen Fehler gemacht. Ich wusstet ihr hattet erkannt was ich war in dem Moment wo wir den Thronsaal betraten. Und vielleicht hätte ich euch viele Sorgen und mir viel Ärger erspart hätte ich das früher zur Sprache gebracht.“

,, Ich muss euch wohl um Verzeihung bitten…“ , meinte die Gejarn.

,, In diesem Fall müsste ich das ebenfalls tun.“ , antwortete Lias. ,, Ich war gespannt wie lange ihr dieses Spiel mitspielen würdet…“

,, Das heißt ihr wusstet…“ , setzte Naria an.

,, Ich kann eins und eins zusammenzählen.“ , gab Lias zu. ,, Und ich glaube ehrlich gesagt dass der Kaiser mit einem Recht hatte. Ihr könnt uns eine Hilfe sein.“

Die Gejarn schüttelte den Kopf. ,, Ich glaube es nicht… Hereingelegt von einem… als was auch immer ihr euch bezeichnet.“

,,Nicht euer Feind würde mir schon reichen.“ , antwortete er. ,, Aber vielleicht könnten wir das unter Deck weiter besprechen ? Ich glaube Hedan hat recht, hier oben wird es langsam wirklich ungemütlich…“

 

Kapitel  31 Geschcihte

 

 

Das einzige Licht hier unten stammte von einer Reihe von Öllampen, die in unregelmäßigen Abständen an den Wänden angebracht waren.  Das Schiff schwankte unter jeder Welle die es traf und man musste aufpassen unter Deck nicht über ein ausgestrecktes Bein, einen Arm oder einige verstreute Stühle zu stolpern. Während das Unwetter draußen tobte hatten sich fast alle Matrosen, die nicht gebraucht wurden in das große Schlafquartier zurückgezogen, das sich auch Galren und die anderen mit ihnen teilten und so war es bei der Menge an Leuten fast unmöglich sich zu bewegen geschwiege denn ungestört zu unterhalten. Manche der Männer vertrieben sich die Zeit mit Gesprächen, Trinken oder Würfeln, was nicht nur aufgrund des Seegangs häufig zu kleineren Streitigkeiten führte, oder nutzen die Gelegenheit um ihre Kleidung zu nähen oder sogar Tagebücher zu schreiben.

Naria, Galren selbst und Lias hatten sich derweil ein Deck tiefer in den Laderaum des Schiffes zurückgezogen. Kisten Säcke  und Tonnen mit Vorräten und Ausrüstung stapelten sich auf der gesamten Länge in zwei oder dreifache Mannshöhe und wäre das Ganze nicht mit dutzenden von Seilen gesichert gewesen, vermutlich wären die wackeligen Türme längst in sich zusammengefallen. So jedoch konnten die drei sich in einer der wenigen freien Nischen niederlassen, wo bereits einige Kisten fehlten.

,, Ich habe schon einiges von Maras gehört.“ , meinte Galren, während er sich auf einer frei stehenden Kiste niederließ. ,, Aber ich habe bisher nie jemanden getroffen der von dort stammt. Wie ist es dort wirklich?“

Naria lächelte unsicher. ,, Ich würde sagen nicht viel anders, als überall sonst. Ich bin ein gutes Jahr nach der Flucht der ersten Magier aus Helike  dorthin geboren, ich kann euch also nicht persönlich sagen wie alles anfing. Aber es war wohl erst einmal nicht leicht. Maras ist recht isoliert, die nächsten Häfen sind entweder Helike oder Kalenchor. Und Helike fiel von vornherein aus, wir waren immerhin grade erst dem sicheren Tod von dort entkommen. Die Leute waren fürs erste auf sich selbst gestellt und mussten alles von Grund auf neu aufbauen. Es gab ein paar Rückschläge, ein Feuer das weite Teile der ersten Siedlung vernichtete… Aber wir haben es wohl trotz allem irgendwie geschafft. Heute gibt es eine ganze Stadt mit einem Hafen und einige Überlegen sogar auf die nähergelegenen Inseln in der Gegend überzusiedeln. Auch wenn wir dafür mit dem Kaiser verhandeln müssten, das Land gehört zum Großteil Canton.“

,, Und warum sollte er es euch nicht überlassen wenn sie unbewohnt sind ?“ , fragte Lias. ,, So wie ich das sehe seit ihr nicht grade Unbekannte.“

,, Das nicht, aber  was glaubt ihr, was euer  Sangius-Orden von einer ganzen Gesellschaft freier Magier hält ? Es war immerhin der Kaiser selbst, der uns zu Beginn  zusicherte Maras als Staat anzuerkennen. Kellvian spielt ein gefährliches Spiel in dem er die Macht des Ordens derart untergräbt.“

Galren musste ihr zustimmen. Er wusste nur das Grundlegendste über die Politik Cantons, aber er hatte das kurze Gespräch zwischen dem Ordensoberen und Zachary das er mitbekommen hatte, noch nicht vergessen. Und wenn der Orden schon Schwierigkeiten hatte einen freien Zauberer zu tolerieren wie sah das dann erst bei einer ganzen Nation aus.

,, Wie kam es eigentlich dazu ?“ , wollte er wissen. ,, Ich meine, das der Kaiser einer Gruppe Magier aus Helike seinen Segen gibt ? Wart ihr bei ihm?“

,, Das ist wie schon gesagt eine längere Geschichte.“ , meinte Naria. ,, Wie schon erwähn… Mein Vater ist Zyle Carmine, Wys Bruder. Und meine Mutter Relina. Momentane Hochmagierin von Maras.“

Lias zog überrascht eine Augenbraue hoch. ,, Ich hatte einen Verdacht, was euch angeht aber das… rückt die Sache doch in ein etwas anderes Licht. Alle  drei sind in Helike schon so etwas wie lebende Legenden. Sowohl Zyle als auch Wys waren einige der wenigen die sich je den Titel eines Schwertmeisters verdienten. Das ist neben einem Archonten der höchste Rang, den es für mein Volk gibt.“

,, Wenn ihr es so nennen wollt.“ Naria war sich wohl unsicher ob sie das als etwas Positives sehen sollte. ,, Mein Vater wurde  ein  Weggefährte eures Kaisers nachdem er fast ein Jahr lang aus Helike verstoßen worden war. Wie genau es dazu kam würde zu weit führen, aber als er zusammen mit Kellvian Belfare zurückkehrte, erhielt er den Auftrag die damals noch im Untergrund lebenden Magier ausfindig zu machen. Der damalige Archontenrat machte sie fälschlicherweise für eine Reihe von Vorkommnissen verantwortlich, die die Stadt erschütterten.“

,, Ich kann mich erinnern.“ , pflichtete ihr Lias bei. ,, In einer der Minen um die Stadt waren die Arbeiter auf eine Konstruktion des alten Volkes gestoßen, mit der wir nicht fertig wurden. Und man kann es den Archonten wohl nicht übel nehmen, das sie als erstes den Magier-Untergrund im Verdacht hatten. Deshalb hatte man Zyle ja zurückbeordert.“

 Naria sah das offenbar anders, erwiderte aber nichts, stattdessen fuhr sie dort fort wo Lias aufgehört hatte.  ,,Na ja… so hat er meine Mutter kennengelernt.“

,, Ich nehme an, die Magier auszuliefern kam danach nicht mehr in Frage.“ , stellte Galren fest.

,, Nein und Ja. Mein Vater versuchte zu vermitteln, wisst ihr. Ohne das Wissen meiner Mutter und ohne den Archonten mehr als das nötigste zu verraten versuchte er ein Treffen zwischen ihnen und den Anführern der Magier zu erzwingen. Vergeblich. Als der Tag der Flucht kam und sich herausstellte, das die Archonten die Magier längst erwarteten blieb er am Hanfen von Helike zurück um ihnen Zeit zu verschaffen.“

,, Er starb ?“ , fragte Galren.

,, Das ist schwer zu erklären…“ , meinte die Gejarn. ,,Aber nein, er entkam. Wenn auch zu einem hohen Preis. Meine Mutter hatte wenig Verständnis für seine Taten. Es dauerte lange bis sie Verstand wieso er sie hintergangen hatte. Und länger bis sie ihm Verzeihen konnte. Genau deshalb muss ich grade euch, Lias, wohl nochmals um Verzeihung bitten. Ich sollte es besser wissen, als Leute zu schnell zu verurteilen…“ Die Entschuldigung klang mehr als ehrlich, dachte Galren. Naria war definitiv nicht böswillig, sondern wirklich nur besorgt gewesen. Und jetzt wo er zumindest einen Teil der Geschichte kannte… vermutlich wäre an ihrer Stelle jeder misstrauisch geworden wenn plötzlich ein Paladin auftauchte Es war wohl schwer einzusehend das man sich so geirrt haben konnte. Und schwerer noch das auch anderen gegenüber zuzugeben. Aber offenbar tat sie genau das ohne zu zögern…

,, Entschuldigung akzeptiert.“ , meinte Lias und ein kurzes Lächeln huschte über seine Züge. ,, Also ich denke wir einigen uns einfach auf Waffenruhe.“ Er streckte ihr eine Hand hin

,, Aber glaubt nicht, das ich euch aus den Augen lasse.“, erwiderte sie bevor sie einschlug.

,, Ich dachte darüber wären wir hinweg.“ Lias schüttelte  resigniert den Kopf.

Wenigstens eine  Sache weniger um die er sich Sorgen müsste, dachte Galren. Auch wenn sie wohl nicht so schnell darüber hinwegkommen würden, was sie beide waren. Wenigstens machten sie einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Das letzte was sie hier draußen gebrauchen konnten, war ein Streit. Was ihn zu etwas anderem zurückbrachte…

,, Was hattest du eigentlich mit dem Kapitän zu bereden ?“ , fragte Lias ihn.

Galren überlegte, wie er das Problem am besten erklären sollte. Lias wusste zwar, dass er eine gewisse Begabung hatte aber würde der Mann sich auf seine Ahnungen verlassen? Aber er kannte ihn jetzt seit zwanzig Jahren. Wenn nicht Lias, wer dann ?

,, Ich fürchte, wir könnten vom Kurs abgekommen sein.“ , sagte er schließlich.

,,Und woher wisst ihr das ?“ Naria sah ihn ernsthaft neugierig an.

,, Ich spüre so etwas einfach.“ , gab er zu. ,, Das… konnte ich schon immer. Und ich habe mich in meinem Leben noch nicht verirrt.“

Die junge Gejarn schien kurz nachzudenken. ,, Verzeiht, aber das Klingt wirklich nach Magie. Allerdings einer von der ich noch nie gehört habe.“

,, Was wollt ihr damit sagen, das Galren ein Zauberer ist ? Das hätte ich gemerkt…“

,, Und deshalb sind euch auch hunderte von Magiern entkommen, ja ?“ , fragte Naria spöttisch.

Lias erwiderte nichts außer einem leisen grummeln.

,, Nun er hat jedenfalls  recht.“ , meinte Galren. Sie hatten einmal einen Sucher des Ordens in Maillac gehabt, aber der Mann war so schnell wieder verschwunden wie er gekommen war. Der Orden war spezialisiert darauf, begabte Kinder möglichst früh zu finden um mit ihrer Ausbildung beginnen zu können. Die Lebensverkürzende Wirkung ihrer Magie und die Rücksichtslosigkeit mit der viele der Sangius-Magier diese einsetzten machte das auch bitter nötig. Wer als nur gering begabter Novize zum Orden kam würde wohl kaum sein vierzigstes Lebensjahr erreichen. Und doch war ein unausgebildeter Zauberer vielleicht noch gefährlicher als einer, der seine Gabe auch einsetzte. Ersterer konnte nie wissen, was er tat und brachte sich am Ende vielleicht sogar nur selbst um, wenn seine Fähigkeiten doch einmal zu Tage traten.

,, Ich schätze mal, Hedan war davon allerdings nicht grade begeistert ?“

,, Er meint er überprüft den Kurs jeden Tag selbst. Aber das heißt nur, dass er dieselben Fehler immer wieder macht. Und ich kann ihm das nicht einmal nachweisen… ehrlich gesagt ich würde ja selber nichts darauf geben wenn jemand bloß ein schlechtes Gefühl hat. Von euch kennt sich nicht zufällig jemand mit Navigation aus, oder?“

,,Leider nicht.“ , gab Lias zu. ,, Und du bist dir ganz sicher ?“

,, Genau das bin ich mir eben nicht. Ich war noch nie so weit weg von… nun allem. Ich kann also nicht wissen ob meine Fähigkeiten hier draußen überhaupt noch funktionieren. Es.. irgendetwas daran hat sich allerdings verändert. Und es gefällt mir nicht. “

,, Ich schätze, wir werden einfach Vorsichtig sein müssen.“ , stellte Naria fest. Der Sturm draußen schien noch einmal an Gewalt zuzunehmen und brachte das ganze Schiff zum schwanken. Die Kiste auf der Galren saß kam urplötzlich ins Rutschen und er musste sich mit einem raschen Sprung zur Seite retten um nicht mitgerissen zu werden. Dort wo  eben noch seine Beine gewesen waren krachte der Behälter mit voller Wucht gegen einen Stapel Säcke. Galren sah schon, wie der gesamte Turm ins Rutschen geriet, doch nach einigen atemlosen Sekunden stabilisierte sich die schwankende Konstruktion wieder. Lediglich ein einzelner Beutel löste sich und schlug krachend auf dem  Boden auf.

,, So viel zum Vorsichtig sein.“ , bemerkte Lias, als er Galren wieder auf die Füße zog.  ,, Wir sehen besser zu, das wir wieder nach oben kommen.“

Er nickte lediglich, während der Gejarn sich daran machte, die Kiste wieder an ihren Platz zu schieben. Galren hingegen griff sich den herabgefallenen Sack, doch noch bevor er ihn ganz angehoben hatte, fiel ihm auf, dass er… leichter wurde. Schneller als er reagieren konnte, rieselte grobes Mehl in einer kleinen Sturzflut daraus hervor und bedeckte sowohl den Boden als auch ihn selbst mit einer dünnen weißen Schicht. Die entstehende Staubwolke hüllte Galren einen Moment ein, während er den nun leeren Sack fallen ließ.

,, Es ist möglich das heute wirklich nicht mein Tag ist.“ , stellte er resigniert fest, während er versuchte, sich das Mehl aus der Kleidung zu klopfen.  ,, Geht vor… ich schätze ich werde erstmal dafür Sorgen das ich nicht mehr wie ein Geist aussehe…“

,, Vielleicht war das Gewebe einfach schon brüchig…“ , meinte Naria, während sie und Lias auf der Leiter zum Oberdeck verschwanden.

Sicher, dachte Galren. Gleichzeitig jedoch fragte er sich, warum der Sack dann nicht schon beim Beladen kaputt gegangen war. Er hob das leere Stück Jute wieder auf. Eine Naht an der Seite war komplett aufgerissen. Aber irgendetwas daran machte ihn stutzig ohne das er sagen konnte was…

Er konnte klar sehen wo die Naht gerissen war, der Faden dort war ausgefranst und lose Fasern waren aus dem Gewebe gerissen worden. Aber an einer Ecke waren die Fäden glatt durchtrennt. Nur ein einfacher Fehler desjenigen der den Sack hergestellt hatte ? Galren wusste es nicht, aber erneut machte sich ein ungutes Gefühl in ihm breit. Langsam aber sicher nahm diese Reise eine Wendung, die ihm nicht gefiel. Sie waren vielleicht  nicht mehr auf Kurs, momentan mitten in einem Sturm…  und er wäre eben fast erschlagen worden. Und es gab nichts was er dagegen tun konnte. Es hätte auch nicht einmal einfach sein können….

 

Kapitel 32 Dieb

 

 

Zwei Tage später hatte Galren den ganzen Vorfall bereits wieder so gut wie vergessen. Der Sturm hatte sich am gestrigen Abend gelegt und auch wen sein Gefühl ihm nach wie vor sagte, dass sie in die falsche Richtung unterwegs waren… sie kamen zumindest gut voran. Der Wind stand ihnen im Rücken und trieb die Immerwind weiter nach Westen. Und damit einer fremden Küste zu. Galren wusste das es dafür zu früh war, aber manchmal glaubte er tatsächlich kurz bereits die Umrisse von etwas ausmachen zu können, das nur knapp über dem Horizont lag. Es konnte nicht die Nebelküste sein, das wusste er, aber vielleicht speilten seine Sinne ihm ja auch nur einen Streich. Hier draußen war er sich vieler Dinge nicht länger sicher.

,, Ihr seid wirklich ein hoffnungsloser Fall, oder ?“ Merls Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. ,, Verzeiht.. ich wollte nicht… ihr starrt immer aufs Meer hinaus.“

Galren wendete sich von der Rehling des Schiffs ab und drehte sich zu dem jungen Magier um, der ein Stück von ihm entfernt an Deck stand. Der Windbauschte typischen braunen Umhang des Zauberers, während er zu ihm trat. In jeder Hand trug er einen großen Flechtkorb, wozu jedoch, das wusste Galren nicht.

,, Es ist schön.“ , meinte Galren. ,, Ich war zwar immer wieder auf Schiffen unterwegs aber noch nie so weit draußen, das man gar nichts anderes mehr sieht.“ Es hatte beinahe etwas meditatives, beruhigte die immer zu drängende Stimme in seinem Kopf. Vielleicht war er mittlerweile einfach zu ungeduldig geworden. Fernweh, dachte er. Vielleicht war es nicht das richtige Wort aber das treffendste.

,, Mir macht diese Vorstellung ehrlich gesagt eher Angst.“ , meinte der Zauberer. ,,Ich meine… man könnte schwimmen bis man vor Erschöpfung ertrinkt ohne auch nur…. Irgendetwas zu erreichen.“

,, Genau deshalb haben wir ein Schiff.“ , meinte Galren auch wenn er genau wusste, dass es Merl kaum beruhigen würde. Er mochte den jungen Magier aber wenn er seine Unsicherheit endlich einmal in den Griff bekommen würde… Das war unfair, sagte er sich selbst. Merl war ein guter Mann und er war selber nicht fehlerfrei, oder?

,, Ich habe übrigens mit Armell gesprochen.“ , wechselte Merl schließlich das Thema.

,, Und ?“ , fragte Galren. Er konnte sich nur zu gut an ihr Gespräch in der fliegenden Stadt erinnern…

,, Das erzähle ich euch vielleicht wenn ihr mir helft.“ Mit diesen Worten reichte er Galren einen der Körbe die er mit sich trug. ,, Ich komme mir ehrlich gesagt etwas nutzlos vor. Ich bin ein Zauberer… aber daran herrscht hier kein Bedarf. Also habe ich dem Schiffskoch Angeboten für ihn Vorräte zu holen. Also seid ihr dabei?“

Galren grinste, bevor er den Korb auf die Schulter nahm.

,, Geht vor. Dafür erzählt ihr mir allerdings alles.“ Vielleicht hatte er den Mann ja doch unterschätzt. In den letzten Wochen schien er einfach… mutiger geworden zu sein als der schon fast verängstigte Junge, den er in Silberstedt kennengelernt hatte.

Gemeinsam stiegen sie schließlich die Treppe zum Schlafdeck und über die weiteren der Immerwind hinab zum Laderaum. Es war helllichter Tag und bei dem Wetter hielt sich niemand gerne freiwillig hier unten in den stickigen Eingeweiden des Schiffes auf. Das hieß mit Ausnahme der Köche, die aus den wenigen Zutaten die ihnen zur Verfügung standen ab und an eine warme Mahlzeit für die Mannschaft bereitstellten.

,, Also, was ist passiert ?“ , wollte Galren wissen, als sie die Kombüse passierten. Durch die schmalen Fenster des Raums konnten der Rauch und der Dampf der von dutzenden vor sich hin brodelnden Töpfen aufstieg nur ungenügend abziehen. Dünne Nebelschwaden quollen aus dem Raum auf den Gang hinaus und verschlechterten die Sicht im Halbdunkeln noch.

,, Na ja nicht wirklich viel ich meine…“ Merl räusperte sich. ,, Sie hat mich geküsst.“

,, Und er nennt mich einen Hoffnungslosen Fall…“ murmelte er , als sie die Leiter zum Laderaum erreichten. Er ließ den Korb einfach nach unten fallen, bevor er die erste Sprosse ergriff und hinabstieg,.

Nur auf Wange, Galren.“ , rief Merl, der ihm einen Augenblick später folgte. ,, Es ist nicht so als hätten wir…“

,, Was ?“

,, Ihr wisst was ich meine.“ Der Zauberer hatte nun ebenfalls die letzte Sprosse der Leiter erreicht und sah sich kurz im Laderaum um. Nach wie vor konnte man sich zwischen den hoch aufgestapelten Kisten und Fässern kaum bewegen, während er ein Blatt Papier aus seiner Tasche zog und es entzwei riss. Eine Hälfte reichte er Galren, der sofort erkannte, dass es sich wohl um die Liste mit den Zutaten für den Koch handelte. Also ans Werk, dachte er. Merl   verschwand in einem Gang zu seiner rechten, während er weiter geradeaus ging. Generell gab es bei den Vorräten keine große Auswahl und entsprechend Kurz fiel auch die Liste aus. Galren suchte etwas Obst zusammen, das nach der Zeit hier unten bereits bräunlich wurde, sowie einige Säcke Kartoffeln und Brot. Wenn man trockenen Schiffszwieback denn so nennen konnte… Das Zeug war so hart, das man es kaum so essen konnte, allerdings würde ihnen wohl spätestens auf der Rückreise gar nichts anderes übrig bleiben, dachte Galren, während er sich einem Stapel aus Säcken näherte. Noch in Erinnerung an den letzten Zwischenfall mit dem Mehl, ging er diesmal vorsichtiger vor. Galren setzte den schwer gewordenen Korb ab und griff nach dem obersten Beutel. Er musste jedoch feststellen, dass seine Vorsicht umsonst war. Der Sack war verräterisch leicht, als er ihn schließlich auf dem Boden absetzte, fast so als wäre er nur halb voll. Und dann sah er die Öffnung die sich an der Seitennaht des Beutels entlang zog. Diesmal war der Rest des Fadens allerdings nicht gerissen…

,, Merl…“ Vielleicht war es nichts, dachte Galren, als er den durchtrennten Faden näher betrachtete. Vielleicht… Aber er bezweifelte es wenn er ehrlich zu sich selbst war.

,, Galren… Was ist den los?“ Der junge Magier trat um einen Kistenstapel herum auf ihn zu, ebenfalls einen vollen Korb im Arm.

,, Wart ihr heute schon Brot holen ?“ , wollte Galren von ihm wissen und deutete auf die Lücke im Stoff des Beutels vor ihm.

Merl schüttelte den Kopf. ,, Wie gesagt ich wollte… nicht unbedingt alleine hier runter.“ Er lehnte sich etwas vor und betrachtete die aufgelöste Naht. Wenn sich jemand nur Vorräte holen wollte, dann war die Öffnung dafür zu klein, dachte Galren. Er würde jedes Stück Zwieback quasi erst herausfischen müssen. Aber wenn sein Bauchgefühl recht hatte…

,, Vermutlich nur ein paar Ratten. „ , meinte Merl ,, Ich weiß allerdings nicht ob mir die Vorstellung gefällt mir mein Essen mit den Plagegeistern zu teilen.“

,, Ratten ja ?“ Galren fuhr sich mit einer Hand übers Kinn. Er konnte nicht sicher sein… aber der Faden war sauber durchtrennt. Nicht von Zähnen durchgenagt. Das war eine Klinge gewesen. Einer Eingebung folgend, zog er Atrun aus der Schwertscheide und durchtrennte eine der Schlaufen, die den Beutel jetzt noch zusammenhielten. Wie erwartet ging das Schwert fast mühelos durch den Stoff ohne auch nur eine Spur von Fransen zu hinterlassen. Merl der ihm einen Moment verwirrt zusah schien langsam zu begreifen, als er die beiden durchschnittenen Fadenenden sah. Sie waren fast genau gleich. ,, Wenn das eine Ratte war, dann eine mit verflucht scharfen Zähnen.“

,, Ihr meint…“

,, Jemand bedient sich ungefragt an den Vorräten.“ , beendete Galren den Satz. Die Probleme nahmen langsam zu…

 

 

Die Sonne schien durch die Fenster der Kajüte und tauchte das innere in rötliches Licht. Licht, das durch das Gewebe eines Beutels gedämpft wurde, den Hedan langsam zwischen den Händen drehte.

,, Das ist nicht gut.“ Armell stützte sich mit einem Arm auf dem Tisch ab. Die Finger ihrer anderen Hand trommelten nachdenklich auf dem Holz der Platte. Ihr gegenüber saßen sowohl Merl als auch Galren, die soeben von ihrer Entdeckung berichtet hatten. Wie lange ging das schon so? , dachte sie, während sie einen Blick zu Hedan warf. Die Mine des Kapitäns wirkte tatsächlich noch düsterer als sonst. Mochte sein, dass er auf Galrens schlechte Vorahnungen nichts gab, sie selber war sich ja nicht sicher ob der Mann nicht einfach zu ungeduldig wurde, aber das hier war etwas völlig anderes.

,, Nicht gut ist untertrieben.“ Hedan ließ den Beute sinken. ,, Unsere Vorräte sind zwar nicht knapp bemessen, aber wenn unsere Reise länger dauert als geplant, werden wir noch dankbar dafür sein. Wenn sich hier jemand nicht an die Rationierungen hält könnte das alles gefährden. Und ich hoffe wirklich das es sich dabei nur um eine Person handelt…“

,, Bleibt die Frage wer.“ , meinte Galren. Sentine war derweil, wieder in Vogelgestalt, von Armells Schulter geflattert und stakste als Nachtigall um die durchgeschnittenen Fäden am Beutel herum. Beinahe wirkte es so, als würde das Wesen den Schaden begutachten um zu begreifen, wieso plötzlich so eine Aufregung deshalb herrschte.

,, Keiner meiner Leute.“ , erklärte Hedan fest. ,, Ich lege für jeden einzelnen meine Hand ins Feuer. Und euch zwei kann ich auch ausschließen.“ Seine Stimme verriet, dass er darüber alles andere als Glücklich war. ,,Ihr seid immerhin darauf Aufmerksam geworden. Und ihr Armell finanziert diese Expedition. Ich bezweifle einmal stark, dass ihr sie gefährden würdet. Bleiben die beiden Gejarn.“

,, Lias ?“ Galren schüttelte den Kopf. ,, Ihr seid verrückt wenn ihr glaubt er würde so etwas tun. Und Naria ist eine Magierin. Verzeiht aber ich glaube sie könnte sich etwas Besseres einfallen lassen als unsere Vorräte offen zu plündern.“

,, Und wer bliebe dann noch ?“ , wollte der Kapitän von ihm wissen.

,, Das ist die Frage.“ , mischte sich Armell hastig ein. Das letzte was sie brauchen konnten warne jetzt voreilige Schuldzuweisungen. Sie glaubte ja selber nicht, dass es jemand aus ihrer Gruppe war. Gleichzeitig kannte Hedan aber seine Crew wohl auch besser als sie. Nur konnte er wirklich wissen, was jeder einzelne der Männer dachte? Nein.

,, Wir werden einfach ab jetzt ein Auge darauf haben müssen.“ , schlug sie schließlich vor. ,,Ich schlage vor wir bewahren erst einmal Stillschweigen darüber. Wer immer der Dieb ist soll nicht wissen, dass er entdeckt wurde. Sonst taucht er einfach eine Weile ab, bis Und wenn er sich erneut zeigt sollten wir bereit sein ihn zu stellen.“

,, Mehr können wir ohnehin nicht tun.“ , stimmte Hedan ihr überraschend bereitwillig zu. ,, Und wer immer es wenn ich ihn erwische, kann er für den Rest der Reise mit halben Rationen rechnen, darauf könnt ihr euch verlassen…“

Damit schien die Sache für Hedan erledigt. Armell jedoch war mit ihren Gedanken bereits weiter, als sie aus der Kabine auf das Schiffsdeck hinaustraten. Die Sonne stand bereits tief und war zur Hälfte hinter dem Horizont verschwunden.

,, Bleibt nur die Frage, wie wir unseren Dieb erwischen wollen.“ , meinte sie.

,, Ich denke… das wäre gar nicht so schwer.“ , bemerkte Merl kleinlaut. ,, Ich meine… niemand wäre so dumm bei Tag etwas zu stehlen, selbst im Laderaum. Die Chance dass ihn jemand sieht ist zu hoch. Wenn dann sollten wir uns nachts auf die Lauer legen. Jeder immer nur für ein paar Stunden. Es nützt uns nichts, wenn unsere Wache einschläft… oder?“

Armell nickte. Der junge Zauberer sprach praktisch ihre Gedanken aus. ,, Das wäre meine Idee gewesen. Und das war gute Arbeit von euch. Wer weiß wie lange es gedauert hätte, bis jemand anderem aufgefallen wäre, das etwas fehlt…“

,, Ich habe eigentlich gar nichts gemacht.“ , erwiderte Merl. ,, Galren war es, dem aufgefallen ist, das etwas nicht stimmt. Ich hätte das nur als das Wer einer Ratte abgetan.“

Armell musste den Drang wiederstehen den Kopf zu schütteln. Merl würde sich einfach nie ändern, dachte sie. Und vielleicht tat sie ihm damit auch unrecht… Er hatte sich verändert, in den letzten Wochen. Sie brauchte nur an ihr letztes längeres Gespräch zurückdenken. War es das, was Zachary in ihm sah? Oder nur sie selbst ? Armell wusste, würde sie ihm das sagen er würde wieder alles abstreiten, sich selber kleinreden. Und das war das Problem. Merl war so viel mehr, für sie… für alle… nur wie sollte sie ihm das beibringen wenn er es nicht akzeptieren wollte?

,, Wie auch immer, ich schlage vor, wir teilen für heute die erste Wache ein…“

 

 

Kapitel 33 Der blinde Passagier

 

 

Die Sonne ging grade wieder auf. Galren konnte die blasse, gelbe Scheibe durch halb offene Luke in der Bordwand über ihm sehen, während er auf den kleinsten Hinweis einer Bewegung lauschte. Mehr als eine Woche lang hatten sie sich jetzt jeden Abend auf die Lauer gelegt… ohne Erfolg. Hedan hatte bedauerlicherweise recht. Wenn sie nicht herausfanden wer hinter den verschwundenen Vorräten steckte könnte das den Erfolg ihrer ganzen Unternehmung gefährden. Und das wiederum durfte er nicht zulassen…

Wo der Dieb nicht auftauchte, waren seine Spuren umso deutlicher zu sehen. Trotz ihrer Wache verschwand immer wieder etwas, ein mit einem Messer aufgeschnittener Sack da, eine aufgebrochene Kiste hier… und langsam begann Galren darin sogar ein Muster zu sehen. Die Abstände in denen Vorratsbehälter aufgebrochen wurden schienen immer zwei oder drei Tage zu betragen. Das hieß wer auch immer sich an der Ladung zu schaffen machte, nahm immer genug, das es ihm eine Weile reichen würde. Und wenn er sich nicht irrte, war heute der dritte Tag nachdem zum letzten Mal etwas gestohlen wurde. Diesmal musste es einfach klappen, dachte er oder er fing noch wirklich an zu glauben, dass sie es mit einem Gespenst zu tun hatten. Allerdings würde ein Geist wohl kaum Lebensmittel stehlen. So oder so, wer immer es war, er war gut. Gut genug sich mehrmals an ihnen vorbei zu schleichen.

Bereits am ersten Abend hatten er , Merl und Armell mit Mühe ein, zwei Kisten aus den Stapeln herausgezogen und so einen kleinen Hohlraum geschaffen in dem man sich ohne Probleme verstecken konnte.. Durch die Lücken zwischen den einzelnen Kästen konnte man den gesamten Laderaum einsehen ohne selber gesehen zu werden. Das hieß natürlich solange man in Deckung blieb und niemand auf die Kistenstapel kletterte.

Und doch saß er jetzt seit Stunden hier in ihrem Versteck ohne dass sich das Geringste tat. Galren bezweifelte langsam das der Dieb diesmal auftauchen würde. Gähnend streckte er vorsichtig ein Bein aus um die verkrampften Muskeln zu lösen. Er wollte schon aufstehen und nach oben an Deck gehen um etwas frische Luft zu schnappen, als sich doch noch etwas tat. Es war kaum zu hören aber in der Stille, die um ihn herrschte deutlich genug. Ein leises Kratzen, als scharre etwas auf Holz. Nur konnte er nicht einordnen, woher es kam. Galren lag still und lauschte weiter. Das Geräusch wanderte, wie er überrascht feststellte. Und es schien irgendwo zu seiner linken zu sein. Aber dort war nur… Die Bordwand… Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Und es erklärte einiges. Sie hatten alle gedacht der Dieb würde die Leiter nutzen wie sie alle. Dass er den Weg über das Schiffsinnere nehmen würde. Nun sie hatten sich geirrt. Jemand kletterte grade eben die Bordwand entlang und das beinahe ohne dabei ein Geräusch zu verursachen. Und wenn er sich über die Luken Zugang verschafft hatte, dann könnte er ihnen sogar entgangen sein, während sie auf der Lauer lagen. Sie hatten alle auf das falsche Geachtet… Doch noch während er darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass etwas nicht stimmte. Er hatte ihn gehört. Warum ?

Weil er vorher von der anderen Seite gekommen war, dachte Galren. Und wenn ihr Unbekannter diesmal eine der Luken öffnete würde er Galren sehen… Seine Hand wanderte zum Schwertgriff. Bevor er jedoch noch dazu kaum, nach der Waffe zu greifen wurde eine der Luken fast direkt über ihm geöffnet. Im nächsten Moment lies sich jemand von oben herabfallen. Wohl ohne ihn gesehen zu haben. Ehe Galren noch eine Warnung rufen konnte, traf ihn bereits etwas, vermutlich ein Ellbogen in den Unterleib. Er fing eine zweite Gliedmaße ab, die ihn wohl noch ins Gesicht getroffen hätte, während er versuchte auf die Füße zu kommen. Der Unbekannte jedenfalls schien nicht halb so überrascht wie er selbst. Ein Faustschlag, der diesmal auch als solcher gedacht war, traf ihn direkt ins Gesicht und warf ihn zu Boden. Götter, ihr Dieb konnte zuschlagen, dachte er noch, bevor sich ihm ein Stück kaltes Metall an die Kehle legte. Das Messer… und er wusste zu gut, dass es scharf genug war um Leinen wie Papier zu durchtrennen. Er hatte schon halb mit seinem Leben abgeschlossen, als sein Gegner zum ersten Mal innehielt.

Mit einem hatte Hedan wohl recht gehabt, dachte Galren. Ihr Dieb war tatsächlich eine Gejarn. Nur gehörte der Schemen über ihm weder zu Lias noch zu Naria, etwas dass er ohnehin nie geglaubt hatte. Von einem schwarzen Ohr einmal abgesehen war ihr Körper von weißem Fell bedeckt.

Ihre aus beigefarbenen Leinen bestehende Kleidung war schmutzig und mit Flecken übersäht und generell hatte ihr ganzes Aussehen etwas Verwildertes… als wäre sie seit Wochen nicht mehr unter Leuten gewesen. Grüngelbe Augen funkelten ihn misstrauisch an. Und ihm wurde klar, dass sie leicht einen halben Kopf kleiner war als er selbst. Wäre das Messer nicht so nahe an seinem Hals er war sich sicher sie abschütteln zu können. Wobei… Der Schlag den sie ihm versetzt hatte pochte immer noch. Sie wusste durchaus wie man kämpft, das musste er ihr lassen.

Galren war sich sicher sie noch nie an Bord gesehen zu haben. Hedan hatte nur wenige Gejarn in seiner Crew und keiner davon war weiblich. Und doch kam sie ihm irgendwie bekannt vor, wenn ihm nur einfallen würde woher….

 

Es war beinahe zu einfach gewesen sich an Bord der Immerwind zu schleichen, dachte Elin. Bei all dem durcheinander das die Männer des Kapitäns veranstalteten um das Schiff seetauglich zu machen, fiel es niemanden auf, als sie sich eine einzelne Gestalt unbemerkt die Bordwand hinaufhangelte. Ein geeignetes Versteck zu finden war da schon schwieriger gewesen, aber es hatte nicht lange gedauert. Elin hatte eine lose Planke knapp über der Schiffsbilge entdeckt. Nicht grade der angenehmste Ort und das Wasser, das ständig überall eindrang machte es noch dazu gefährlich… aber es funktionierte. Und fast niemand würde es freiwillig auf sich nehmen, dort unten nach jemanden zu suchen, selbst wenn jemand vermuten würde, dass sie da war. Es war beinahe zu einfach gewesen. Das hieß natürlich bis zum Sturm vor knapp einer Woche, der sie fast ertränkt hätte…

Tagsüber hielt sie sich versteckt und nachts oder in den Morgenstunden brauchte sie nichts weiter tun als sich ein Stück die Bordwand hinauf zum Laderaum zu hangeln. Selbst wenn einer der Matrosen dabei zufällig vom Deck nach unten sah, würde er sie wahrscheinlich nicht einmal entdecken. Wenn dieser sture Kerl von einem Kapitän sie nicht freiwillig mitnehmen wollte, nun dann würde sie das auch nicht aufhalten.   Aber nun hatte man sie trotz aller Vorsicht doch entdeckt. Elin wusste nicht wie man ihr auf die Schliche gekommen war. Sie hatte geglaubt vorsichtig genug gewesen zu sein um keine zu offensichtlichen Spuren zu hinterlassen. Und genau so wenig wusste sie was bei allen Geistern sie jetzt tun sollte. Das Messer in ihrer Hand zitterte, direkt an der Kehle des jungen Mannes, der ihr aufgelauert hatte. Er schien um einiges überrascher als sie und , zu seinem eigenen Glück, machte keine Anstalten sich zu wehren. Nicht, das sie vorhatte ihm etwas zu tun… oder auch nur die Möglichkeit dazu. Dieses Messer war ein Werkzeug, keine eigentliche Waffe. Und es würde nichts nützen, dachte Elin. Ihn zu verletzen oder zu töten machte die Situation in der sie jetzt war nur schlimmer. Vermutlich wusste mittlerweile das ganze Schiff, das sie einen blinden Passagier hatten…

Nun eigentlich, überlegte sie, war ihre Entdeckung zu diesem Zeitpunkt nur halb so schlimm. Sie waren viel zu weit von allem entfernt um sie noch zurück zu schicken. Allerdings können sie dich immer noch über Bord werfen, meinte eine warnende Stimme in ihrem Hinterkopf. Wenn sie nicht dazu kam zu zeigen, dass sie nicht auf sie verzichten konnten. Das war das wichtigste…

,, Kein Hilferuf und keine schnellen Bewegungen wenn ich das Messer wegnehme.“ , flüsterte sie. Es hatte keinen Sinn weiter abzuwarten. Entweder sie brachte den Mann dazu sie nicht zu verraten oder sie schaffte es, sich zu beweisen. ,, Verstehen wir uns ?“

Der braunhaarige Mann nickte. Blut sickerte aus einem Mundwinkel wo sie ihn vorhin mit der Faust erwischt hatte, als sie schließlich die Klinge wegzog und einen Schritt zurücktrat. Einen Moment blieb er noch unsicher liegen, dann setzte er sich mit langsamen, bedächtigen Bewegungen auf. Elin hielt nach wie vor das Messer bereit. Wenn er etwas versuchte hätte sie doch   keine andere Wahl…

Aber er saß nur da, musterte sie, als versuche er sich auf die Situation einen Reim zu machen. Plötzlich jedoch schienen seine Augen kurz zu funkeln.

,, Ihr…“ , meinte er nach einer Weile. ,, Ich kenne euch doch. Aus Lasante, damals am Hafen. Wer seid ihr eigentlich?“

,, Mein Name ist Elin.“ , antwortete sie vorsichtig.

,, Galren. Und würdet ihr mir auch verraten, warum ihr unsere Vorräte stehlt? Und was ihr überhaupt hier zu suchen habt, wenn wir schon dabei sind…“

,, Ich mache es einfach, ihr braucht mich.“ , erklärte Elin überzeugt. Vermutlich wusste er gar nicht, wie sehr das stimmte. Sie wusste nur zu gut wohin dieses Schiff unterwegs war, sie war in der Kapitänskajüte gewesen… und wenn sie so weitermachten endete sie überall nur nicht dort wo ihr Ziel lag.

,, Habt ihr euch ernsthaft deshalb an Bord geschlichen ?“ Galren schien eher amüsiert. ,, Und wozu genau ?“

,, Das solltet ihr euren Kapitän fragen. Ich habe immerhin dafür gesorgt, das ihr nicht völlig verlorengeht.“

,, Das wir nicht… wie meint ihr das ?“ Galren klang jetzt geradezu aufgeregt. Die Tatsache, das sich nach wie vor ein Messer eine Armlänge von seinen Rippen entfernt befand, schien der Mensch völlig vergessen zu haben. ,, Sprecht schon, was habt ihr getan ?“

Elin lächelte. Das war der Punkt ab dem sie nicht mehr auf sie verzichten würden können. Nur musste sie das nicht ihm klar machen, sondern vor allem dem Kapitän… Hedan…

Bevor sie jedoch auch nur dazu kam zu antworten, hörte sie plötzlich das Knarren von Scharnieren und das Geräusch von Stiefeln, die eine Leiter hinabkletterten. Verdammt. Der Lärm, den ihr kurzer Kampf vorhin verursacht hatte, musste oben zu hören gewesen sein. Mit einem Satz war sie auf den Beinen. Galren war vergessen. Die Chance auf die sie gehofft hatte ebenso. Wenn gleich die halbe Crew über sie Bescheid wüsste, würde sie vielleicht nicht einmal mehr dazu kommen ihr Wissen preiszugeben.

,, Wartet.“ Elin dachte nicht daran. Galren war dieses Mal jedoch   schneller als sie. Bevor sie weit kam, hatte der Mensch das Schwert gezogen und hielt sie damit in Schach. Als sie mit dem Messer nach ihm stieß, parierte er den Hieb beinahe ohne eine Spur von Anstrengung und schlug ihr die Waffe aus der Hand. ,, Was immer ihr getan habt, ihr werdet nicht einfach wieder verschwinden und weiter stehlen. Ich werde nicht dabei zusehen wie jemand diese Expedition gefährdet.“

,, Gefährdet ? Ihr versteht nicht…“

,, Galren ? Seit ihr das?“ Eine tiefe, ältere Stimme kam aus Richtung Leiter. Mehrere Schemen bahnten sich einen Weg zwischen den Kisten hindurch zu ihnen. Einer davon war ein Gejarn, der mit dem Kopf fast gegen die Decke des Raumes stieß. Die anderen waren eine Frau mit langen dunklen Haare, eine Gejarn die einen grauen Umhang trug und ein weiterer Mensch, der unter seinem braunen Umhang fast zu verschwinden schien… In Elin stieg Panik auf. So sollte das nicht laufen.

,, Ich bin hier Lias.“ , antwortete Galren in Richtung des Gejarn

,, Und wie ich sehe nicht alleine.“ , antwortete der als Lias angesprochene. Erst jetzt erkannte Elin, das der Mann eine schwere Panzerung trug, die an Bord eines Schiffs einfach nur fehl am Platz wirkte… ,, Wer ist das ?“

Galren schüttelte den Kopf. ,, Wenn ich das wüsste. Ich schlage vor, wir bringen sie erst einmal nach oben. Und dann erklärt sie uns besser einiges…“ Er bedeutete ihr, vorzugehen, während er nach wie vor das Schwert auf sie gerichtet hielt. Nein, dachte Elin als sie die Leiter nach oben erreichten, das lief wirklich nicht wie geplant. Und trotzdem blieb ihr nichts anderes übrig, als fürs erste mitzugehen. Eine Sprosse nach der anderen…

 

Kapitel 34 Falscher Kurs

 

 

Galren wischte das Blut von seiner Lippe, während sie Elin über das Deck eskortierten. Die junge Gejarn schien zumindest für den Moment ihren Kampfgeist aufzugeben und lief wortlos mit ihnen mit. Er wusste nach wie vor nicht, was er von ihr halten sollte… oder ihrer Behauptung nach der sie ihnen irgendwie geholfen hatte.

,, Das ist also unser Dieb ?“ , fragte Naria mit einen Blick in ihre Richtung. ,, Hedan wird einfach begeistert sein…“

,, Er wird ihr aber nichts tun , oder ?“ Merl raffte seine braune Robe ein Stück weiter um sich, während er besorgt in Richtung der Kajüte am Heck des Schiffs nickte. Zumindest würde Hedan sich wohl kaum darüber freuen, damit hatte Naria wohl Recht, dachte Galren.

,, Keine Sorge.“ , antwortete Armell und legte dem Magier eine Hand auf die Schulter. ,, Am Ende bin ich hier diejenige die das sagen hat. Ich kann mich nicht in allem gegen ihn stellen auch Hedan hat seine Grenzen.“

,, Wenn nicht zeige ich sie ihm eben auf.“ , meinte Lias.

,, Ihr vertraut ihr nicht etwa so einfach ?“ , fragte Naria. Die Kritik in ihrer Stimme war unüberhörbar und Galren hoffte stumm darauf, dass der Streit der beiden nicht ausgerechnet jetzt neu aufflammte. Das fehlte grade noch. Sie hatten im Augenblick genug andere Dinge um die sie sich Gedanken machen mussten.

,, Das hat nichts mit vertrauen zu tun wenn ich nicht zulasse , dass jemand ohne Grund verletzt wird. Das ist schlichte Notwendigkeit. Wieder etwas, das ihr eigentlich verstehen solltet… Außerdem,“ , fuhr Lias fort. ,, Vertraue ich Galren. Und euch auch, gezwungenermaßen. Also wieso nicht ?“

,, Ihr vertraut mir ?“ Naria klang mehr als skeptisch.

,, Wir kämpfen hier alle auf der gleichen Seite. Ihr mögt mich nicht… und ich mag euch vielleicht auch nicht, aber wer und was wir sind, zählt hier draußen nichts mehr. Wenn man weit genug von Zuhause entfernt ist hört man auf zu Fragen wer es ist, der einen stützt. Man ist nur froh darüber den Weg nicht ganz alleine gehen zu müssen.“

Naria zögerte und das Misstrauen wich allmählich aus ihren Zügen. ,, Das ist… überraschend weise. Und ich denke ihr habt recht.“

,, Nicht ich.“ , erwiderte Lias mit einem Anflug eines Lächelns. ,, Sondern Laos. Das sind einige der Worte die meinem Volk erhalten geblieben sind. Und von denen ich auch nach all den Jahrhunderten noch glaube, dass sie echt sind. Es gibt viele Schriften über und von ihm, die in Helike verwahrt werden aber ein Großteil davon dürfte erst gar nicht mehr aus seiner Feder stammen. “

Die Gejarn schüttelte den Kopf. ,, Habt ihr mich grade ernsthaft dazu gebracht, mit Laos einer Meinung zu sein ?“

,, Vielleicht… Oder vielleicht habt ihr euch selber dazu gebracht.“

Ein unsicheres Lächeln huschte über Narias Züge. ,, Eines Tages ,Paladin, werde ich euch dafür eine Lektion erteilen…“

,, Ihr werdet es versuchen.“ , gab Lias zurück. So seltsam das war, es klang die Herausforderung schien in keiner Weise böse gemeint. Nur hoffte Galren innständig, das das auch so bleiben würde…

,, Ihr… werdet mich doch bleiben lassen ?“ , rief ihr neuer Gast sich derweil wieder in Erinnerung. Elins Stimme klang beinahe flehend. Was war das für eine Frage? Bleiben würde sie so oder so, dachte Galren. Die Frage war nur ob frei oder besser irgendwo festgesetzt… Nun eigentlich hatte sie ja nichts weiter Böses getan, ermahnte er sich selbst. Und obwohl sie es leicht hätte tun können hatte sie nicht absichtlich versucht ihn zu verletzen, oder?   Die fehlenden Vorräte konnten sie wohl verschmerzen. Elin war alles außer einer echten Bedrohung. Und vielleicht konnte sie ja tatsächlich irgendwie helfen. Nur ob der Kapitän das auch so sehen würde war die andere Frage. Am Ende waren es er und Armell die hier das sagen hatten und so weit von Canton entfernt nutzte es der Fürstin wenig, das sie Offiziell das sagen hatte. Die Crew würde vermutlich hinter Hedan stehen…

,, Ich kann nichts versprechen“ , erklärte Galren. ,, Aber ich werde zumindest versuchen ein gutes Wort für euch einzulegen.“ Nur ob er ihr damit überhaupt einen Gefallen tat… Spätestens seit er Hedan offen wegen des Kurses in Frage gestellt hatte, schien der Mann eine Abneigung gegen ihn entwickelt zu haben.

,, Ein gutes Wort bringt mir nichts.“ Es war erstaunlich wie schnell sie wieder zu ihrer Selbstsicherheit zurückfand. Elin schien nun ernsthaft aufgebracht, während sie fortfuhr: ,, Wisst ihr wer alles ein gutes Wort für mich in Lasanta hätte einlegen können? Was ich brauche ist eine Chance und die gibt mir euer Kapitän sicher nicht. Da könnt ihr mich auch gleich wieder laufen lassen. Einsperren lass ich mich nicht.“

,, Ihr könnt euch auch nicht ewig verstecken.“ , meinte Lias. Er bedachte das wütende Mädchen mit einem amüsierten Schmunzeln. Für ihre Größe hatte sie mehr als genug Feuer, das musste man ihr lassen. Und sie nahm garantiert kein Blatt vor den Mund. ,, Hätte euch jemand anderes entdeckt, ihr wärt vielleicht tot. Oder schon über Bord gegangen.“

,, Ich weiß…“ Die Luchsin ließ den Kopf wieder einen Moment hängen. Ihr war wohl selber klar dass Lias bedauerlicherweise Recht hatte.

Als sie schließlich die Kajüte erreichten und eintraten, war Hedan grade dabei die Karten erneut zu prüfen. Der Kapitän der Immerwind strich sich eine hellrote Haarsträhne während er von dem Tisch aufsah, an dem er stand.

,, Gibt es irgendeinen Grund warum ihr alle hier seid ?“ , fragte er säuerlich, als er die siebenköpfige Gruppe betrachtete. Acht, wenn man Sentine mitzählte, die sich in diesem Moment als Papagei versuchte. Sein Blick blieb schließlich an Elin hängen. Ein Funke des Wiedererkennens schien sich in seinem Gesicht abzuzeichnen. ,, Und wer bei allen Tränen seid ihr ?“ Nach wie vor einen Sextanten in der Hand haltend, ballten sich seine Finger zur Faust.

,, Unser blinder Passagier.“ , erklärte Armell, während Elin hinter den anderen hervortrat. Und einen Schritt in den Raum machte. Ihre Augen wanderten rasch durch die Kabine, bleiben aber schließlich an den Karten und Instrumenten auf Hedans Tisch hängen.

,, Großartig.“ Der Kapitän seufzte. ,, Also seit ihr die Vorratsdiebin… Ich habe euch schon in Lasanta gesagt das ich euch hier nicht brauche. Warum bringt ihr sie eigentlich zu mir? Sperrt sie irgendwo ein, werft sie ins Wasser, was kümmert es mich. Aber sie bleibt nicht hier.“

,, Jemand , der sich Wochenlang auf einem Schiff wie diesem verstecken kann könnte uns durchaus nützlich sein.“, warf Galren hastig ein. Natürlich wartete Hedan erst gar keine Erklärung ab. Der Mann hatte seine Meinung schon vor Wochen festgemacht. Und die würde sich nicht so schnell ändern…

,, In wie fern ? In dem er uns Bestiehlt? Was kümmert euch das überhaupt…“

,, Wenn es mich nicht kümmert, dann vielleicht Armell.“ , erklärte Galren. ,,Eure Geldgeberin wenn ich euch daran erinnern darf.“

,, Ach wirklich ?“ Hedan verschränkte die Arme vor der Brust. ,, Ich werde jedenfalls…“

Bevor er den Satz noch beenden konnte, war Elin bereits an den Tisch getreten und hatte sich ungefragt eine seiner Karten geschnappt. Galren musste schmunzeln als er den verdutzten Ausdruck auf Hedans Gesicht sah. ,, Was soll das werden ?“

,, Ich korrigiere eure Fehler.“ , erklärte Elin ohne auch nur von den Karten und Tabellen aufzusehen. Galren hatte selten jemanden so schnell und präzise arbeiten sehen. ,, Gebt mir das.“

Hedan machte nicht einmal mehr den Versuch, sie aufzuhalten, als sie ihm den Sextanten aus der Hand nahm und weiter arbeitete. Galren und die anderen konnten nur ratlos zusehen, wie die junge Gejarn die Berechnungen des Kapitäns eine nach der anderen durchging,   die Sonnenhöhen, Winkel von Gestirnen… all die Dinge die Galren zwar oberflächlich kannte, aber mit denen er schlicht nicht weiter umgehen konnte. Und natürlich stieß sie auch auf eine Abschrift von Galrens Karte, die den kleinen Küstenabschnitt jenseits von Canton zeigte.

,, Fehler ?“ Hedan schien kurz darauf ihr Instrumente und Tabellen einfach aus der Hand zu reißen, ein warnender Blick von Lias belehrte ihn jedoch eines Besseren. Stattdessen nahm er ihr lediglich die Blätter mit seinen überarbeiteten Rechnungen ab. ,, Das ist…“

Galren konnte sehen wie der Kapitän von einem Moment auf den anderen Bleich wurde. Also doch, dachte er. Sein Gefühl hatte ihn nicht getrogen, dachte er. Sie waren nicht mehr auf Kurs… Und jetzt konnte Hedan das auch nicht mehr leugnen.

,, Wenn ihr weiter eurer aktuellen Route gefolgt wärt, hättet ihr euer Ziel um mehrere Tagesreisen verfehlt.“ , erklärte Elin mit nicht wenig stolz in der Stimme. ,, Ich glaube ihr habt einfach nicht bedacht, wie anders sich hier draußen alles verhalten kann, wenn man nirgendwo mehr eine Küste in Sicht hat. Allein die Strömungen habt ihr schon völlig außer Acht gelassen.“

,, Also ?“ , fragte Galren grinsend. Er konnte sehen wie es in Hedans Kopf arbeitete. Der Mann suchte nach einem weiteren Grund Elin jetzt doch noch loszuwerden. Eines musste auch ihm klar sein, die Situation hatte sich grade ein gutes Stück zu seinen Ungunsten verschoben. Wenn die Crew wüsste dass ihr Kapitän sie beinahe ins Verderben geführt hätte, wäre auch deren Loyalität nicht mehr sicher. ,, Seit ihr immer noch der Meinung, wir brauchen Elin nicht ?“

,, Schön.“ , erklärte er schließlich verärgert. ,, Wenn ihr sie hier behalten wollt.. bitte. Aber dann habt ihr ab jetzt auch ein Auge auf das Gör. Wenn irgendetwas verloren geht… mache ich euch dafür mitverantwortlich, verstehen wir uns?“

,, Ehrlich gesagt… nach euer Irreführung, Kapitön, vertraue ich ihr mehr. Ich sage es ungern, aber die Kleine versteht offenbar mehr von eurem Handwerk als ihr…“

Hedan erwiderte nichts, aber seine Mine wurde noch eine Spur düsterer

,, Ich habe schon mehrmals versucht eure Rechnungen zu korrigieren.“ , meinte Elin. ,, Aber ihr habt es irgendwie geschafft eure Fehler immer wieder zu wiederholen.“

,, Ihr habt was ?“Hedan machte einen drohenden Schritt auf sie zu. ,, Ihr seid hier eingebrochen ?“

,, Sonst wärt ihr jetzt gänzlich verloren.“

,, Wer hat euch eigentlich das Navigieren beigebracht ?“ , wollte Armells wissen. ,, Wenn nicht einmal Hedan wusste, was er falsch macht…“

,, Das war meine Mutter. Sie hat mir auch einmal von den Strömungen hier erzählt…“

,, Klingt als wäre sie weit gekommen.“ , meinte Naria. ,, Kann es sein, das ich sie kenne ?“

,, Mutter kennt einige Leute. Vater vielleicht noch ein paar mehr.“ , antwortete Elia unsicher.

,, Mich interessiert eher, warum sie euch auf so eine Reise gehen lassen würde.“ Merl, der bisher geschwiegen hatte sah auf und musterte Elia neugierig. Manchmal hatte der junge Magier die Begabung die Dinge auf den Punkt zu bringen. GAlrne hatte sich ebenfalls schon gefragt was sie hierher verschlagen haben könnte. Sie konnte nicht viel älter als Merl sein, wohl eher Jünger… Neunzehn ? Zwanzig ? Am Ende spielte es wohl keine Rolle.

,, Sie… weiß nicht wirklich, dass ich hier bin ?“ Es klang beinahe entschuldigend, doch schon wenige Augenblicke später hatte sie sich wieder gefangen. ,, Ich habe genug davon rumzusitzen. Ihr habt schon gesehen was ich kann. Und ich habe die Geschichten gehört… das hier, ist meine Chance, das auch allen zu beweisen.“

,, Jemand hier hat offenbar eine viel zu romantische Vorstellung von der Welt.“ , meinte Hedan lachend. Gleich darauf kehrte jedoch sein düsterer Gesichtsausdruck zurück. ,, Und das bin ganz sicher nicht ich. Wenn es sonst nichts mehr gibt, vielleicht könnte jemand unseren neuen… Gast unter Deck bringen? Seht selbst zu wo sie einen Schlafplatz findet. Oder etwas zu essen. Ich kümmere mich garantiert nicht darum… und ich werde dem Koch ganz sicher nicht daran erinnern auf sie zu achten.“

,, Ihr könnt sie nicht leiden.“ , stellte Armell fest. ,, Nicht weil sie sich an Bord geschlichen hat… sondern weil sie besser ist als ihr. Kann das sein?“

,, Besser in was ?“ , fragte Hedan. ,, Navigation ? Jeder kann ein wenig rechnen lernen. Aber davon ist man weder Kapitän… noch irgendetwas sonst. Den Rest wird sie noch unter Beweis stellen müssen…“

,, Keine Sorge.“ , erwiderte Elin sicher. ,, Das werde ich schon…“

 

Kapitel 35 Sieger

 

Nachts war es unter Deck erstaunlich still, sah man von dem Schnarchen der übrigen Besatzung und dem ewigen Rauschen von Wind und Wellen einmal ab. Das Schiff wiegte sich sanft mit dem auf und ab der Wellen. Trotzdem fand Galren keinen Schlaf. Unruhig wälzte er sich in seiner Hängematte hin und her. Wie so oft in den letzten Tagen wanderten seine Gedanken ihm voraus, über das Meer zu was immer sie finden mochten. Nach wie vor hatte er so viele Fragen, so viele Dinge, die keinen Sinn ergaben. Die Worte des Kaisers geisterten erneut durch seinen Kopf… Jetzt, wo sie endlich wieder auf Kurs waren konnte es nicht mehr lange dauern, bis sie ihr Ziel erreichten. Und was dann sein würde konnte er noch nicht einmal absehen. Er schloss die Augen und versuchte die Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen zu bringen. Doch alles was das erreichte war, das er umso mehr merkte, wie sein Geist weiter gezogen wurde. Nach Westen. Mittlerweile war es nicht mehr nur ein vages Gefühl, etwas das er auf Aufregung oder Erwartung schieben konnte, nein es war absolut real. Wie ein Faden der an ihm zog. Oder zog Galren ihn? Der Gedanke war beunruhigend. War er der Fisch der einem Köder folgte … oder der Angler der seine Beute heranzog? Langsam gewann doch die Müdigkeit die Oberhand über ihn und er spürte, wie sein Denken unzusammenhängender wurde. Galrens Augen schlossen sich einen Moment. Morgen sähe die Welt sicher schon anders aus…

,, Seit ihr noch wach ?“ Die Worte waren nur ein flüstern aber in der Stille trotzdem nicht zu überhören. Elin ? Er seufzte, als er die Stimme erkannte. Es war nicht schwer gewesen noch eine freie Ecke unter Deck für die quirlige Gejarn zu finden. Nicht unbedingt bequem aber viel Luxus hatte keiner von ihnen.

,, Jetzt schon.“ , antwortete er. ,, Ihr könnt nicht schlafen, oder ?“ Galren setzte sich ein Stück weit auf, erneut hellwach. Die wenigen Strahlen Mondlicht die durch die halb geöffneten Luken hereinfielen offenbarten   dicht an dicht liegende Reihen aus Strohlagern und Hängematten und die Schemen der darauf schlafenden Leute. Elin hingegen saß geduckt im Schatten, nur eine Matte von ihm entfernt.

,,Eigentlich wollte ich mich nur entschuldigen. Für den Schlag…“

,, Ach das…“ Er zuckte mit den Schultern, obwohl sie die Geste in der Dunkelheit wohl kaum sehen konnte. Wenn er ehrlich war schmerzte der Treffer nach wie vor, aber in Anbetracht der Umstände hatte er wohl noch Glück gehabt. ,, Wer hat euch eigentlich beigebracht so zuzuschlagen ? Ich habe euch in Lasante beobachtet. So zu kämpfen lernt man nicht nebenbei.. Ich weiß wovon ich rede. Ich habe Wochen gebraucht bis mir Lias auch nur die Grundlegendsten Dinge beibringen konnte. “ Und selbst jetzt stand er noch am Anfang, wie der alte Gejarn ihm bei ihren gelegentlichen Übungen nur allzu gerne in Erinnerung rief.

,, Dafür könnt ihr euch bei meinem Vater bedanken.“ , erklärte Elin und Galren konnte sehen wie ihre Augen sanft in der Dunkelheit glommen.

,, Wer ist er ?“

,, Ein Wolf und ein ehemaliger Schwarzgardist.“ Das erklärte allerdings einiges. Die schwarzen Garden waren eine Sonderabteilung des kaiserlichen Militärs gewesen. Ursprünglich gebildet, als Strafbataillone für wiederholte Deserteure und jene gebildet, die die strenge Disziplin der kaiserlichen Gardisten nicht einhielten. ,, Er hat meine Mutter kurz vor dem Aufstand des Aristokratenbunds kennengelernt. Und nun kein Jahr nachdem die schwarze Garde am Ende des Krieges aufgelöst wurde bin ich geboren. Meine Mutter und er haben ein kleines Anwesen in der Nähe von Risara aufgebaut. Er hat nie viel über seine Zeit bei der Garde erzählt. Aber er hat immer versucht mir alles beizubringen, was er wusste.“ Elin klang durchaus Stolz, während sie von ihm sprach. Offenbar hatte dieser Mann tatsächlich geschafft, was so vielen Gardisten angeblich nie gelang. Er schien so etwas wie Frieden wiedergefunden zu haben.

Galren runzelte die Stirn. ,, Ihr sagt er ist ein Wolf-Gejarn ? Und eure Mutter…“

Elin lachte leise .,, Meine Mutter ist wie ich.“ , erklärte sie. ,, Eine Luchsin.“

,, Das müsst ihr mir erklären. Heißt das nicht ihr seid…   trotzdem zur Hälfte ein Wolf?“

,, Nun… Nein.“ Elin zögerte. ,, Ein Kind von Eltern verschiedener Clans würde immer die Merkmale seiner Mutter übernehmen. Zumindest habe ich noch nie davon gehört, dass es anders gewesen wäre. Die meisten Gejarn suchen sich ihre Partner innerhalb ihres Clans. Aber weder meine Mutter noch mein Vater sind in einem Clan aufgewachsen. Und sie haben sich auch nie einem angeschlossen. Mal davon abgesehen, dass die meisten sie wohl nicht akzeptiert hätten. “

,, Wieso nicht ?“

,, Die meisten Clans haben untereinander genauso viele alte Feindschaften wie es die zwischen den Clans und den menschlichen Dörfern der Herzlande gibt. Sie würden wohl kaum zwei Gejarn unterschiedlicher Abstammung aufnehmen.“

Galren schüttelte den Kopf. Für ihn war die Vorstellung einfach unverständlich. Andererseits gab es auf Hamad mit Ausnahme von Lias und den gelegentlichen Reisenden auch keine Gejarn und der Löwe war wohl auch nicht grade ein typsicherer Vertreter seiner Art. Zumindest nicht für Canton.

,, Und jetzt seid ihr hier.“ , stellte er fest. ,, Warum riskiert ihr alles nur um uns zu begleiten ?“

,, Das ist meine große Chance.“ , erklärte sie inbrünstig. ,, Ich wollte immer zur See. Meine Mutter hat mir viel von ihren Reisen erzählt. Aber es ist schwer irgendwo eine Anstellung zu finden. Auf einem Handelsschiff würde ich mich zu Tode langweilen. Und die imperiale Marine… nein danke. Da war das hier meine beste Gelegenheit. Das heißt wenn ich nicht in die Fußstapfen meiner Mutter treten wollte. Und davor konnte sie mich immerhin 19 Jahre lang warnen.“

Zumindest wusste er jetzt, wie alt sie war. Mit einem hatte Hedan wohl recht… sie hatte vielleicht eine zu naive Sicht der Welt, aber das schien Elin nicht wirklich aufzuhalten, dachte er.

,, Was genau war eure Mutter denn ?“

,, Na ja… sie fing an als Sklavin für das Haus de Immerson.“ Zacharys Familie, dachte Galren. Aber wenn das noch in die Zeit vor der Rebellion viel, vermutlich sogar früher konnte der Zaubererfürst damals kaum mehr als ein Kind gewesen sein. ,, Das hieß bevor sie entkam. Danach hat sie sich eine Weile durchgeschlagen bevor sie schließlich an ein Schiff gelangte. Und sich als… nun man könnte sie eine Piratin nennen.“

Zumindest erklärte das, woher Elin sich so gut mit Navigation auskannte. Eine Piratin und ein Schwarzgardist. Und ein aufgeweckter Floh als Nachwuchs. Das musste eine wirklich seltsame Familie sein. Andererseits… Er konnte sich selber nicht beklagen. Er folgte einer Nachricht, die ihm sein toter Vater hatte zukommen lassen. Oder vielleicht auch jemand anderes…

,, Und was tut ihr hier ?“ , fragte Elin schließlich.

,, Man könnte sagen ich suche nach etwas. Ich weiß selber nicht einmal genau wonach. Aber angefangen hat alles damit, dass mein Vater verschwand…“ Langsam begann er ihr das wichtigste zu erzählen, angefangen von dem Moment, in dem Hedan ihm die Karte überbrachte, über ihre Begegnung mit Armell bis hin zu ihrer Reise zur fliegenden Stadt…

 

 

Armell betrachtete die in der Sonne weiß glitzernden Felsen. Der Anblick von Land, selbst wenn es nur einige verstreute Riffe waren, die über die Wellen hinausragten, hatte nach den Wochen auf See etwas seltsam Tröstliches. Die Menschen auf Hamad hatten oft mit der See zu kämpfen gehabt, dabei aber wenigstens immer die Sicherheit ihres eigenen, kleinen Stück Lands inmitten der Wellen gehabt. Hier draußen hingegen waren sie völlig auf sich gestellt. Und langsam begann sie zu verstehen, warum mehr als einer von Hedans Matrosen in ruhigen Momenten die Götter des Wassers anrief. Als einzelner Mensch kam man sich angesichts des Ozeans der vor einem lag plötzlich um einiges kleiner vor. Man sehnte sich nach Schutz, egal ob dieser nun greifbar war oder durch gemurmelte Worte heraufbeschworen wurde. Und das obwohl sie bisher erst einen wirklichen Sturm erlebt hatten. Einer, der sich, wenn sie Hedans Worten noch rauen konnte, als überraschend harmlos herausgestellt hatte. Armell wusste nicht in wie weit sie dem Kapitän noch trauen konnten. Auf der einen Seite wusste Hedan wohl durchaus was er tat, aber das sie durch sein einmaliges Versagen jetzt einen Umweg von mehreren Tagesreisen in Kauf nehmen mussten machte ihr nur umso mehr bewusst, wie unsicher nach wie vor alles war.

Sentine kreiste, wie immer, wenn sie im freien waren, über den Wellen und schnappte manchmal in Gestalt eines Pelikans nach einem Fisch.

Nun wenigstens einer von ihnen hatte Spaß, dachte Armell.

Wäre die Kleine, Elin, nicht gewesen, sie wären bis in alle Ewigkeit oder besser, bis ihnen die Vorräte ausgingen, über das Meer getrieben.

Das laute aufeinanderprallen von Holz auf Stahl riss sie aus ihren Gedanken. Eine Gruppe Schaulustiger hatte einen Kreis an Deck gebildet, so dass sie nicht erkennen konnte, was vor sich ging. Die Männer riefen durcheinander und so wie es aussah schlossen einige sogar Wetten untereinander ab.

,,Meinen Tageslohn auf den Löwen.“ , meinte einer, worauf ein Dutzend weitere Lachend einstimmten.

Armell trat von der Rehling zurück und ging auf die johlenden Matrosen zu. Die Leute machten ihr nur wiederwillig Platz, während das Geräusch von klingendem Metall erneut zu hören war.

,, Was ist denn hier…“ Ihr blieb der Satz im Hals stecken, als sie endlich einen Blick auf das Geschehen werfen konnte.

Lias und Naria standen sich gegenüber. Der Löwe das blanke Schwert in der Hand, hatte den Großteil seiner Panzerung bis auf Brustharnisch und die schweren Lederstiefel, die für einen Gejarn nur furchtbar unbequem sein konnten. Aber offenbar war Lias der Halt den die Sohlen boten wichtiger.

Naria hingegen trug ihre übliche Kleidung und hatte lediglich den Umhang über dem Arm zusammengelegt. Eine, nun von jedem halt befreite,   Kaskade rabenschwarzer Haare fiel ihr über den Rücken. In ihrer Hand lag nichts als ein schlichter, geschliffener Holzstab, etwa so lang wie sie selbst.

,, Was ist ? Werdet ihr Müde?“ , fragte Lias spöttisch.

Statt einer Antwort warf die Schakalin lediglich den Mantel hinter sich und nahm den Kampfstab in beide Hände.

Ein kurzes Lächeln huschte über die Züge des Löwen als wäre ihm das auch Antwort genug. Schneller, als Armell ihm mit den Augen folgen konnte, machte er einen Satz nach vorne und hieb mit dem Schwert nach der Magierin. Diese jedoch parierte die Attacke gekonnt.

Armell war überrascht, das der Stab unter der schieren Wucht des Aufpralls nicht einfach zerbrach. Vor allem da sie durchaus damit vertraut war, wie sehr die Krieger Laos auf ihre Ausrüstung achteten. Die Schneide der Klinge, die Lias benutzte war niemals stumpf…   War die Waffe der Magierin mit einem Zauber versehen worden? Wenn dann konnte Armell zumindest keinerlei Insignien oder Kristalle entdecken, die einen dauerhaften Zauber nähren könnten. Und um Magie mitten im Nahkampf aufrecht zu erhalten würde es eine beinahe übermenschliche Konzentration brauchen…

So oder so, sie musste das hier unterbinden. Ein Treffer von Lias wäre tödlich. Und sie würde keinen ihrer Leute wegen ihrer dummen Streitigkeiten verlieren. Sollten sie das austragen wenn sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten…

Sie war drauf und dran der Sache mit einem Ruf ein End ezu machen, als sie jemand am Arm berührte. Armell wirbelte herum und fand sich fast Auge in Auge mit Galren und Merl. Der Junge Magier hatte die Arme in den Ärmeln seiner Robe verschränkt und zuckte nur mit den Schultern, als wollte er sagen: Das war nicht meine Idee.“

,, Keine Sorge, das ist nichts ernstes.“ , meinte Galren.

,, Nicht ernst ?“ Armell warf einen Blick zurück auf die beiden Kontrahenten. Naria schien sich nun nicht mehr nur mit der Waffe sondern auch mit Magie zu verteidigen. Immer wieder prallten Lias Schläge funkensprühend an einem unsichtbaren Hindernis in der Luft ab, während die junge Gejarn die kurzen Lücken nutzte um ihrerseits den Paladin zurückzudrängen. Die Leute wichen ihnen Rasch aus, als sie sich ihren Weg über das Deck kämpften. Also konnte sie doch Zauber wirken und das mitten in einem Kampf… Das erklärte zumindest warum sie sich überhaupt die Mühe machte, den Kampfstab mitzuführen. Normalerweise würde jeder Zauberer in Bedrängnis seine ganze Konzentration für seine Magie brauchen um sich zu verteidigen. So oder so, das sah durchaus ernst aus, dachte Armell.

,, Seht ihr wie Lias schlägt ?“ , fragte Galren und deutete auf den Löwen, der erneut zu einem Hieb ausholte. Und zuschlug bevor sie auch nur etwas erkennen konnte.

,, Sie bewegen sich zu schnell.“ , erklärte Armell nur resigniert.

,, Er hält die Waffe schräg.“, erklärte Galren. ,, Das heißt, wenn er zuschlägt, trifft er mit der flachen Seite.“

,, Sicher würde ich das nicht grade nennen.“ Und wie konnte er das überhaupt erkennen? ,fragte sie sich. Sie sah nichts als fliegendes Metall und Holzsplitter, die vom Stab der Gejarn abgeschabt wurden. Lias musste ihn gut Ausgebildet haben. ,, Und ihr seid euch sicher, dass sie sich nicht gleich umbringen?“

Mittlerweile waren Lias und Naria in ihrem Kampf bereits fast auf der anderen Seite des Schiffes angelangt.

,, Ich hoffe es.“

Im gleichen Moment gab Lias sich eine Blöße. Erneut prallte seine Waffe an einem Zauber ab, den Naria aufgebaut hatte. Rasch sprang er einen Schritt zurück um dem folgenden Stabschlag zu entgehen. Tatsächlich lief die Waffe ins Leere, doch er hatte sich zu früh gefreut. Bevor er noch eingreifen konnte flackerte ein kurzer Lichtblitz an der Spitze der Waffe auf und schleuderte ihn Rückwärts. Lias schlug mit voller Wucht auf dem Rücken auf. Noch ehe er wieder auf die Füße kam, war Naria bereits über ihm und setzte ihm den Stab an die Kehle.

,, Ihr seid tot.“ , erklärte sie grinsend, bevor sie die Waffe zurückzog und ihm eine Hand hinhielt.

,, Vielleicht solltet ihr noch einmal nachdenken.“ , meinte Lias. Er hatte das Schwert während seinem Sturz nicht fallen lassen und Naria wurde bleich, als sie merkte, dass die Klinge keine Fingerbreite von ihrem Herz entfernt war. ,, Wir wären beide tot.“

Mi diesen Worten ließ auch Lias die Waffe sinken und ergriff die dargebotene Hand. Armell und die anderen waren derweil herbeigeeilt, während die restliche Mannschaft sich leise oder laut redend wieder an die Arbeit machte. Heute würde es bei ihren Wetten keinen Gewinner geben, dachte sie.

,, Aber ich hätte euch fast besiegt.“ , meinte Naria spöttisch.

,, Ich habe mich zurückgehalten.“ , gab Lias zurück.

,, Natürlich… “
Statt erneut etwas zu erwidern, schwieg Lias lediglich und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

,, Alles in Ordnung bei euch ?“ , fragte jemand über ihnen . Als Armell nach dem Ursprung der Stimme suchte, blieb ihr Blick schließlich an einem hellen Schatten hängen, der an einem der Querbalken saß, welche die Schiffssegel hielten. Elin… Die Luchsin hatte wohl alles aus der Luft beobachtet und während sie zu ihnen hinunter sah, meinte Armell ein kurzes Grinsen auf ihren Zügen zu sehen. Als würde sie die Höhe gar nicht bemerken in der sie sich befand, stand die junge Gejarn auf und balancierte über den Balken zurück zum Schiffsmast und begann daran herabzuklettern

,, Wir sollten ihr eine Leine verpassen.“ , grummelte Hedan, der sich in diesem Moment aus den Reihen der letzten verbliebenen Schaulustigen löst. Trotz dieser Worte schien der Kapitän heute erstaunlich gute Laune zu haben, während sie darauf warteten, das Elin zu ihnen stieß. Doch die junge Gejarn hielt auf halbem Weg die Leiter hinab inne und starrte nach Westen.

,, Leute… sieht jemand was ich sehe ?“ , fragte sie und deutete hinaus zu den Riffen , die sie soeben passierten. Einzelne Fetzen Morgennebel hielten sich noch zwischen den Klippen und Felsen, die über das Wasser ragten. Doch das war es nicht, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Dort draußen, direkt an einem der größeren Felsen, schon fast eine kleine Insel, ragte die Silhouette eines Schiffes aus dem Nebel. Die Masten waren abgebrochene Knochenfinger, die zum Himmel empor ragten und eine Seite des Rumpfs schien völlig zerschmettert worden zu sein, als es auf die Felsen auflief. Kleinere Trümmerstücke waren über ein Stück Strand   verstreut, das unterhalb des Kiels lag. Zerfetzte Segel in denen sich bereits Moose und Algen gebildet hatten, hingen von dem, was von den Schiffsmasten übrig war… Trotz der Schäden erkannte Armell die Bauart wieder. Und gleichzeitig auch nicht… Von der Grundstruktur war es der Immerwind ähnlich aber um ein gutes Stück Kleiner, wendiger. Und eine Reihe von Luken in der Bordwand, die zu klein für Geschütze waren, rief ihr schließlich in Erinnerung was an dem Wrack sie störte. Das war eine Galeere. Und keine der Helike-Bauart. Aber Schiffe dieser Art wurden seit dem Krieg der brennenden Himmel nicht mehr verwendet, seit der Zeit als Simon Belfare den Thron bestieg und Pulverwaffen endgültig ihren Platz im Arsenal der Garden Cantons einnahmen. Es musste uralt sein…

Elin hatte schließlich das Ende der Leiter erreicht, während sie alle nach wie vor auf das gestrandete Schiff starrten. Es war das erste Zeichen anderer Menschen überhaupt, auf das sie hier draußen stießen…

,, Das will ich mir ansehen.“ , erklärte Armell und legte genug Nachdruck in ihre Worte, das Hedan hoffentlich erst gar nicht auf die Idee kam zu protestieren. Aber der Kapitän schien Ausnahmsweise ihrer Meinung.

,, Wenn dann begleite ich euch.“, meinte Elin.

,, Ihr seid schlimmer als einen Sack Flöhe hüten zu wollen.“ , erklärte Hedan. Trotzdem huschte ein kurzes Lächeln über sein Gesicht bei diesen Worten. ,, Wenn jemand da drüben nichts verloren hat, dann ihr.“

,, Ich dachte ihr mögt sie nicht ?“ , fragte Galren.

,, Ich will, das wir das hier alle überleben, Junge. Sympathie spielt dabei keine Rolle. Wenn ihr euch das Wrack also ansehen wollt, habt ihr ein Auge auf sie. Keinen Toten auf diesem Abenteuer, nicht wenn ich es vermeiden kann.“

,, Wir gehen alle.“ , schlug Lias schließlich vor, der das Schiff ebenfalls nachdenklich musterte. ,, Ihr könnt hier an Bord bleiben Hedan, falls etwas schief geht. Sind wir nicht zurück, bis die Sonne untergeht, hisst ihr eine rote Flagge. Bekommt ihr dann kein Zeichen von uns… seht zu das ihr wegkommt.“

 

 

 

Kapitel 36 Das Wrack

 

 

 

Die Wellen brachten das kleine Ruderboot in dem sie saßen bedrohlich zum schwanken. Von der Immerwind aus, bemerkte man sie nicht einmal, aber hier zwischen den Riffen war die Strömung stärker, das Wasser unruhiger. Armell konnte sehen, wie Merl sich so gut es ging am Rand des Boots festhielt. Sie wusste, er hatte eigentlich nicht mitkommen wollen. Erst kurz bevor sie ablegten hatte der junge Magier sich schließlich doch dazu durchgerungen sie zu begleiten…

Lias und Galren ruderten sie gegen den Druck der Wellen beständig näher an das gestrandete Wrack heran, während sie die Augen nach einer Stelle zum Anlanden offen hielten. Am Schiff selbst gab es nur hoch aufragende Felsen und das Stück flachen Strands, den es gegeben hätte, lag unter dem Rumpf begraben. Das hieß, sie mussten die Insel einmal umrunden um zu sehen ob es irgendwo eine Möglichkeit gab, das Boot an Land zu bringen.

Elin stand am Bug , die Hände auf den hölzernen Rahmen gestützt und sah zu, wie das Wrack in einiger Entfernung an ihnen vorüberzog. Offenbar konnte sie es nicht erwarten, dachte Armell amüsiert. Ihre Augen hatten einen seltsamen Glanz, während ihre Finger unruhig auf dem Holz der Bordwand wippten.

Ein seltsam gurgelndes Geräusch begleitete sie , während das gestrandete Schiff nun fast schon zum Greifen nahe war. Mit jeder Welle wurde Wasser durch die zahlreichen Löcher im Rumpf gespült und floss in kleinen Sturzbächen wieder hinaus, wenn das Meer sich wieder zurückzog. Seepocken Algen und Muscheln hatten sich bis fast zum Deck hin im Holz festgesetzt. Es musste wirklich schon lange hier liegen, dachte Armell erneut.

Naria saß, in ihren Umhang gewickelt auf der hintersten Bank des Boots. Die Augen halb geschlossen hätte man den Eindruck gewinnen können, sie schliefe, aber das täuschte. Ihre ganze Form wirkte angespannt, die Ohren unter der Kapuze ihres Mantels waren aufgerichtet als lauschten sie auf etwas, das nur sie hören konnte. Gejarn härten im Allgemeinen besser als Menschen, aber wenn es hier etwas gab würde Lias das doch ebenfalls bemerken, oder? Dieser blieb jedoch ruhig und konzentrierte sich ganz aufs Rudern.

,, Da ist etwas…“ , meinte Naria schließlich abwesend. Ihre Augen schlugen auf und richteten sich auf Merl. ,, Ihr spürt es auch oder ?“

Merl runzelte die Stirn und schien für einen Moment das ständige Schaukeln zu vergessen.

,, Irgendetwas.“ , meinte er nickend. ,, Aber ich kann es nicht festmachen. Meister Zachary hat versucht mir Beizubringen Dinge gezielter mit Magie wahrzunehmen oder mich auch dagegen abzuschirmen, aber ich bin nicht gut darin. Außer natürlich wenn ich es nicht will…“

,, Ich habe euch in der fliegenden Stadt gesehen.“ , bemerkte die Gejarn und schenkte dem jungen Magier ein kurzes Lächeln. ,, Eigentlich lernt man recht schnell die ganzen Zauber dort auszublenden. Zumindest habe ich noch nie von einem Magier gehört, der dort fast ohnmächtig geworden wäre…“

Armell räusperte sich. ,, Ihr meintet eben hier draußen wäre etwas ?“

,, Es ist nicht sehr deutlich.“ , antwortete Naria. ,, Aber definitiv vorhanden . Eine Kälte, als wäre der Welt hier etwas verloren gegangen. Und da ist noch etwas… Irgendetwas an diesem Ort jagt mir Schauer über den Rücken, als dürfte es ihn nicht geben.“

Die Schakalin sagte das nicht nur so, dachte Armell. Sie konnte sehen, wie sich Narias graues Fell sträubte. Vielleicht hätten sie nicht herkommen sollen. Aber jetzt war es zu spät.

,, Was immer es ist, wir sollten es bald herausfinden.“ , meinte Galren. ,, Noch ein Stück weiter und wir sollten eine Landestelle finden.“

Sie zog eine Augenbraue hoch und suchte die Küste der kleinen Felseninsel ab. Alles, was sie sah waren steile Klippen und unwegsames Gelände…

,, Woher wisst ihr das ?“ , wollte Armell wissen.

,, Ich… weiß es.“ , antwortete Galren unsicher. Und tatsächlich sollte er Recht behalten. Als sie das Wrack endgültig aus den Augen verloren und die Rückseite der Insel erreichten, tauchte vor ihnen ein Stück flacher Kiesstrand zwischen den Felsen auf.

,, Eines Tages mein Freund, werden wir uns hinsetzen und lange miteinander reden müssen.“ , meinte Lias, während sie auf den Strand zuhielten. ,, Ich verstehe immer noch nicht wie du so etwas wissen kannst.“
,, Glaub mir macht das manchmal genau so viel Angst wie euch…“ , meinte Galren.

Wenige Augenblicke später setzten sie ihre erste Schritte ins flache Wasser und machten sich daran, ihr Boot den Strand hinauf und weg von der Futlinie zu ziehen. Spärliches Gras wuchs an den wenigen stellen, an denen die Vegetation halt fand. Moose, Flechten und Algen überzogen die umliegenden Felsen in einer dicken Schicht und färbten sie in allen Schattierungen von rotbraun bis hellgrün. Steine und die Schalen von toten Krebsen und Muscheln knirschten unter ihren Füßen.

Sobald das Boot sicher war, machte Armell sich daran, einen Weg zurück zu dem gestrandeten Schiff zu finden. Soweit sie das sagen konnte, gab es nur eine einzige Möglichkeit, den Strand zu verlassen, einen Pfad oder wohl besser eine vom Regen ausgewaschene Mulde, die zwischen zwei großen Felsen hindurch ins Zentrum der Insel führte. Sentine, die sich bisher in einer ihrer Lieblingsformen, einem Zaunkönig, verborgen gehalten hatte, wurde in einem Herzschlag zur Seemöwe und flog von ihrer Hand hinauf zum blauen Himmel. Mittlerweile musste es Mittag sein, den die Sonne brannte von oben auf sie herab und trocknete die Algenschicht auf den Felsen aus. Die brüchig gewordenen Pflanzen bröselten unter Armells Hand, als sie, gefolgt von den anderen, die Felsnische hinaufstieg.

Als sie schließlich oben waren, lag die gesamte Insel vor ihr. Was davon nicht aus schroffen Klippen bestand war flach wie ein Teller. Nur einige kleinere Erhebungen von Sanddornbewachsenen Dünen und Mulden in denen sich Brackwasser sammelte verliehen der Ebene so etwas wie eine Textur. Und natürlich das Schiff, das wie ein gestürztes Seemonster am anderen Ende der Insel aufragte. Und von hier aus war auch die zerfetzte Flagge zu sehen, die träge an einem der abgebrochenen Masten wehte. Das blau des Kaiserreichs… und obwohl das Wappen darauf bereits so gut wie verblasst war, meinte Armell die vertrauten Schemen von Adler und Löwe zu erkennen. Und noch etwas anderes, das sie Erschauern lies. Das Wrack war alt. Sie hatte nur noch nicht gewusst, wie alt.

,, Das sehe ich mir an.“ , meinte Elin und bevor einer von ihnen noch etwas sagen konnte, war die junge Gejarn bereits die kurze Strecke von der Felsnische bis zum Grund hinabgeschlittert und machte sich auf den Weg über die Sanddünen.

Armell schüttelte den Kopf, während sie ihr gezwungenermaßen folgten. Mit einem hatte Hedan Recht. Die Kleine konnte schlimmer sein als ein Sack Flöhe… Aber irgendwie mochte sie sie auch. Elin war lebenslustig und schien von einer Unbeschwertheit, die sie ein wenig an sich selbst erinnerte. Bevor… allem. Innerlich hoffte sie, dass Elins Leichtigkeit diese Reise auch überstehen würde. Je näher sie dem Schiff kamen, desto mehr hatte sie dabei ihre Zweifel. Vor dem Schiff hatte jemand, wohl der Teil der Besatzung, der die Strandung dereinst Überlebt hatte, eine niedrige Palisade aufgebaut. Das Holz dazu stammte ganz offenbar vom Schiff selbst und auch die zahlreichen Feuerstellen, nach all den Jahren kaum mehr als Ascheflecken und einige verstreute Steine, waren wohl damit befeuert worden. Hier draußen gab es auch sonst nichts…

Zerrissene Stoffbahnen, die wohl einst Zelte gewesen sein mochten,   flatterten im Wind.Hier musste schon eine Weile niemand mehr gelebt haben. Jedes Mal wenn die Planen sich irgendwo verfingen erfüllten sie die Luft mit einem gespenstischen Geräusch. Streichend, Kratzend, es war das einzige, das die Stille durchbrach. Das Schiff selbst sah von nahem noch erbärmlicher aus als bei ihrer kurzen Vorüberfahrt. Auch auf dieser Seite waren Planken von der Wucht des Aufpralls, der es auf die Felsen geschmettert hatte, einfach zersplittert worden. Die Trümmer lagen zum Großteil noch dort, wo sie gefallen waren, lediglich vermodert und mit Moose überzogen. Das die Crew nicht einmal mehr dazu gekommen war, sie zu verbrennen war kein gutes Zeichen, das wusste Armell. Sie alle waren stehengeblieben, als sie das verlassene Lager erreicht hatten und selbst Elin erstarrte, als sie merkte, dass ihre Gefährten ihr nicht weiter folgten. Die Luchsin stand auf einer improvisierten Brücke, die vom Lager hinauf auf das Deck des Schiffs führte. Erneut hatten die Gestrandeten   Planken verwendet und mit inzwischen grün angelaufenen Seilen zusammengebunden. Obwohl das Holz bedrohlich unter Elin knarzte, balancierte die Gejarn ohne eine Spur von Unsicherheit.

,, Kommt.“ , meinte sie beinahe spöttisch, als sie das zögern der anderen bemerkte. ,, Wenn es mich hält…“ Ihr schien offenbar jetzt erst klar zu werden, dass sie bei weitem die Leichteste der Gruppe war. Was wenn es sie hielt?

,, Ich riskiere es.“ , meinte Lias in diesem Moment und setzte einen Fuß auf das schwankende Holz. ,, Der Rest folgt mir. Langsam und mit Abstand.   Einzeln trägt es uns vielleicht, aber nicht zusammen…“

Mit diesen Worten begann der Löwe vorsichtig die Brücke hinaufzugehen. Armell folgte ihm unsicher. Nun, das schlimmste was ihnen passieren konnte war, das das Holz brach… und sie alle mehrere Meter in die Tiefe auf die Felsen   stürzten. Die Fürstin musste sich plötzlich zum Weitergehen zwingen. Aber wenn es irgendwo etwas gab das die Vermutung bestätigen konnte, die sich in ihr festgesetzt hatte, dann nicht hier.

Als sie schließlich doch ohne Zwischenfall das Deck erreichten, fanden sie den ersten Toten. Oder was von ihm übrig war. Der Körper war vollkommen skelettiert und seine Kleidung kaum mehr als ausgebleichte Fetzen, die einstmals vielleicht Farbe gehabt hatten. Der Leichnam lehnte eine Hand abgesteckt, als wollte er nach etwas greifen, an einem der Schiffsmasten gelehnt.

,, Er muss schon lange tot sein.“ , meinte Naria, die sich auf ein Knie niederlies und das Skelett kurz musterte, als könnte es ihr noch irgendwelche Antworten geben. Ihr Blick wanderte weg von den blanken Knochen zu einer offen stehenden Luke, die unter Deck führte. Die Gejarn wirkte abwesend, als wäre sie nicht richtig da als sie einen Schritt auf die Öffnung zumachte. ,, Wir sollten besser weiter.“

Ohne zu Fragen folgten sie Naria, während diese durch die Luke unter Deck kletterte. Fahles Licht fiel durch die zahlreichen Lücken in der Bordwand hinein und der Geruch von Moder und Salz erfüllte alles. Die Planken unter Armells Füßen fühlten sich schwammig und aufgeweicht an. Beinahe als ginge man über einen Sumpf… der jeden Moment darauf wartete einen zu verschlingen. Selbst Elin sagte kein Wort mehr, während sie einem Gang zu dem folgten, was wohl einmal der Laderaum des Schiffes gewesen sein mochte. Doch gab es schon lange keine Fracht mehr hier. Der Raum war erstaunlich gut intakt, wenn man vom restlichen Zustand des Schiffs ausging. Nur wenige Lücken ließen Licht herein und der Boden war trocken. Schatten verbargen einen Teil des Laderaums vor ihnen, doch was sie sehen musste, lag in einem dünnen Strahl aus Sonnenlicht. Weiße Knochen ohne ein Zeichen von Verfall reflektierten das Licht und blanke Augenhöhlen erwiderten die neugierigen oder abgestoßenen Blicke der kleinen Gruppe. Der zweite Tote saß nicht auf dem Boden wie der erste, sondern, so als wäre er einfach eingeschlafen wo er war, auf einem simplen Lehnstuhl aus Holz. Seine Kleidung war besser erhalten, als der Körper. Eine Blaue Robe fiel um den Großteil der Überreste. Goldene Ziernähte schimmerten darauf, zusammen mit einigen Stücken, die wohl einst zu einer Panzerung gehört hatten. Schwach schimmerte ein einzelner verbliebener Handschuh, zusammen mit den schweren Stiefeln und den Überresten einer Schulterplatte. Selbst unter all dem Schmutz , der sich mit den Jahren angesammelt hatte, waren die in das Metall geprägten Runen nach wie vor erkennbar, einst wohl vergoldet ,heute nur noch durch Rost und einige Schuppen Edelmetall zusammengehalten. Und doch fand Armell, das dieser Tote etwas Seltsames hatte. Wie lange mochte er schon hier sitzen, den Blick auf di Wand hinter ihnen gerichtet… und wer war er gewesen? Nach wie vor lies ihre Vermutung sie nicht los. Aber dazu bräuchte sie einen echten Anhaltspunkt. Armell wendete sich von dem Toten, der trotz allem eine seltsame Würde auszustrahlen schien, ab. Ihr Blick fiel auf die Wand, die er angestarrt haben musste. Und was sie dort sah, lies sie erstarren, wo sie war. Einer nach dem anderen folgten auch Galren und der Rest ihrer Gruppe Armells Beispiel. Auf einer blauen Stoffbahne aufgemalt befand sich dort ein Wappen, das sie alle kannten. Und gleichzeitig noch nie so gesehen haben mochten. Weil es nicht mehr existierte, dachte Armell.

Der Adler und der Löwe des Kaiserreichs waren in Gold und Silber auf blauem Grund aufgebracht worden. Doch zwischen ihnen befand sich ein weiteres Symbol. Ein einzelner Tropfen, umrundet von Gold… Das Wappen des Sangius-Ordens. Zusammen mit dem der Kaiser…

,, Armell ?“ , fragte Galren leise. ,, Was ist das ?“

,, Das ist das Kriegswappen von Simon Belfare.“ , antwortete sie tonlos. ,, Ein Wappen das danach nicht mehr verwendet wurde, als Kaiser und Orden verschiedene Anführer bekamen. Simon hatte persönlich verfügt, das sein Nachfolger niemals mehr alle Macht in einer Hand haben sollte…“

,, Ihr meint…“
,, Es gibt nur einen Menschen, der dieses Wappen je führte. Simon Belfare selbst verschwand, nachdem er seinen Tod vorgetäuscht hatte vor fast 300 Jahren nach Westen. Mit unbekanntem Ziel. Und er kehrte nie zurück… Wir haben soeben herausgefunden wieso.“

 

Kapitel 37 Der Einsiedler

 

 

Ehrfürchtig trat Galren von dem Toten zurück. War das vielleicht sogar Simon Belfare selbst? Es gab wohl keine Möglichkeit mehr, das herauszufinden… aber die Überreste trugen immerhin die Kleidung eines hohen Würdenträgers des Sangius-Ordens. War es wirklich noch Zufall, der sie hierher geführt hatte?

,, Das ist wirklich seltsam.“ , meinte Naria in die Stille hinein und trat einen Schritt auf den Toten zu.

,, Glaubt mir, seltsam wäre nicht das Wort das ich verwenden würde.“ Lias hatte eine Hand an den Schwertgriff gelegt, während er Narias Blick folgte. ,, Dieser Mann wer immer er ist, ist seit Jahrhunderten Tod.“

Die Magierin schüttelte den Kopf. ,, Nicht ganz.“

,, Das ist ein Skelett, natürlich ist er Tot.“

,, Tot ja. Und das ist das Problem. Vielleicht täusche ich mich auch nur. Merl tut mir einen gefallen, ich weiß ihr seid nicht gut darin, aber könnt ihr mir sagen wer in diesem Raum alles über Magie verfügt.“

Der junge Magier runzelte die Stirn. Dann tat er jedoch worum Naria ihn gebeten hatte und schloss einen Moment die Augen, während er sich konzentrierte. ,, Nun… ihr natürlich .“ , meinte er nach einer Weile und sah von einem zum anderen , ,, Ich ebenfalls . Galren   vielleicht, ich kann es nicht ganz festmachen, aber worauf wollt ihr eigentlich… „ Merl stockte, als sein Blick das Skelett auf seinem Platz streifte.

,, Ihr seht es also auch.“

,, Wärt ihr so freundlich uns aufzuklären ?“ , fragte Galren. ,, Was geht hier vor ?“

,, Nun… dieser Mann da.. oder vielleicht besser sein Körper verfügt über Magie. Bei einem Toten dürfte das nicht der Fall sein, Magie ist reine Lebenskraft solange auch nur ein Funke davon über bleibt ist man nicht tot. Um es verständlicher zu machen, wenn meine Magie hell wie ein Stern wäre, wäre dieses… Ding da die Sonne. Als hätte er bei seinem Tod irgendwie sämtliche magische Energie konserviert aber wozu sollte jemand das tun, es nützt ja niemanden etwas.“

,, Vielleicht sollten wir einfach zusehen, das wir hier wegkommen.“ , schlug Elin vor. Die Gejarn stand so weit von dem Toten entfernt, wie es der dunkle Raum zuließ.

,, Jetzt sagt nicht ihr habt doch Angst ?“ , fragte Galren.

,, Von wegen.“ , erwiderte sie. ,, Ich…“ Elin kam nicht dazu, den Satz zu beenden

,, Ihr… Ihr seid keine Geister?“ Die dünne Stimme kam aus dem Gang, der aus dem Laderaum herausführte. Sowohl Galren als auch die anderen fuhren erschrocken herum und starrten den Gang zurück, den sie gekommen waren. Eine schwankende Gestalt trat langsam über die algenbewachsenen Planken auf sie zu. Einzelne Lichtstrahlen die durch Lücken in der Bordwand fielen enthüllten ausgemergelte Gesichtszüge und die Überreste einer Robe, deren ursprüngliche Fabre längst nicht mehr erkennbar war. Der ausgebleichte Stoff bestand mehr aus Fetzen als aus Fäden und was darunter an Haut zu erkennen war, bedeckte grade einmal die bloßen Knochen.

Galrens Hand verharrte an Atruns Griff. Dann jedoch ließ er das Schwert los, als der Fremde endgültig so nahe heran war, dass sie ihn erkennen konnten. Der Mann war alt, wie Galren feststellte. Seine Haut war aschfahl, genauso wie seine Haare, als hätte seine gesamte Gestalt mit den Jahren schlicht die Farbe verloren. Skelettartige Finger rafften die farblosen Roben um den ausgemergelten Körper. Gelbliche, blutunterlaufene Augen musterten sie einen nach dem anderen. ,, Ihr seid keine Geister…“

Galren war der erste, der seine Sprache wiederfand. ,, Nein… Nein das sind wir nicht.“Warum sollte der Mann glauben sie seien nicht real? Und viel wichtiger… ,, Wer seid ihr ?“

,, Ich…“ Die Hand, die die zerlumpten Roben zusammenhält wanderte zum Kopf, strich nervös über die grauen Haare. Zu seinem Entsetzen konnte Galren sehen, wie die Augen des Mannes wässrig wurden. ,, Ich weiß es nicht mehr Ihr… Er… Er hat gesagt jemand würde kommen. Das hat er gesagt und ich habe es nicht mehr geglaubt.“

Bevor er noch irgendwie reagieren konnte hatte der Mannscheinbar das Gleichgewicht verloren und taumelte zurück gegen die Wand. Lachend und weinend gleichzeitig ließ er sich daran zu Boden gleiten, die Hände fast hysterisch, zwanghaft über die Arme kratzend.

,, Ich habe es nicht geglaubt…“ , murmelte er. ,, Verzeiht mir Herr, ich habe es nicht mehr geglaubt…“

Galren wusste nicht was er sagen sollte und auch die anderen schweigen, als sie dieses Wrack von einem Menschen musterten. Was konnten sie tun…

,, He… das wird schon irgendwie wieder gut.“ Es war schließlich Elin, die sich ohne eine Spur von Spott oder ihrer sonstigen Überschwänglichkeit neben den Mann setzte. ,, Wir sind hier, wir können euch hier weg bringen.“

Er schien sich nur langsam wieder zu fangen, während die Gejarn beruhigend über Kopf strich. In diesem Moment wirkte er tatsächlich wie ein Kind, nicht wie jemand, der bestimmt schon auf die hundert zuging. Oder zumindest so aussah.

,, Wie lange glaubt ihr ist er schon hier ?“ , fragte Armell . Die Einsamkeit hier musste einen wohl zwangsweise um den Verstand bringen und wenn man sein Alter bedachte… Wann war er wohl hier gestrandet? Sie hatten nur das eine Schiff gefunden aber das musste ja nichts heißen.

,, Ich… ich weiß es nicht.“ , antwortete der Alte zögerlich. ,, Ich weiß so wenig. Seine Worte weiß ich noch… Weiß… es ist weiß…“

Die Gejarn seufzte, während sie ihm vorsichtig wieder auf die Füße half. ,, Ich fürchte, lange genug um ein paar Schrauben locker zu haben. Geister, er sieht wirklich furchtbar aus. Von wem redet er die ganze Zeit? Ist hier noch jemand?“

,, Jaja.. immer da, passt immer auf.“ Die Augen des Gestrandeten wanderten zu Merl und bleiben an seinem Amulett hängen. ,, Er hat danach gesucht, das hat er. Aber ich glaube die hat er nie gefunden… Vielleicht wäre uns das hier dann alles erspart geblieben.“

,, Meint ihr die Träne ?“ , fragte Merl unsicher. ,, Ihr… Wer sucht danach?“

,, Er.“ Der namenlose Mann hob einen zitternden Finger und richtete ihn direkt auf das regungslose Skelett hinter ihnen. ,, Immer er und seine verfluchten Pläne. Pläne… Ihr müsst weg umkehren wenn ihr hierhergekommen seid ja. Es geht hier nicht weiter. Euch wird es nur auch vernichten.“

,, Er ist verrückt.“ , stellte Lias fest. ,, Und zwar völlig.“

,, Ich weiß nicht…“ Galren sah einen Moment zwischen dem Toten und dem Irren hin und her. Vielleicht hatte Lias Recht. Aber sein Gefühl sagte ihm etwas anderes. ,, Merl… wäre das irgendwie… möglich was er sagt ?“

,, Simon Beflare starb vor fast 300 Jahren wenn das hier wirklich sein Schiff ist.“ , mischte sich Naria ein. ,, Ein Magier kann sich nicht selber heilen, weil er die dazu nötige Kraft von sich selbst nehmen müsste. Er würde mehr Schaden anrichten als er wieder gut machen könnte. Genau so wenig kann er demnach sein Leben verlängern. Im Gegenteil, der Versuch würde alleine nur dazu führen, das man noch schneller altert, wegen dem Preis, den die Magie dabei fordern würde. Es ist nicht möglich… oder Merl ?“

Der junge Magier stand schweigend zwischen ihnen, den Blick auf den Toten auf seinem Lehnstuhl gerichtet. Galren hatte Merl nur einmal zuvor so ernst erlebt, damals in der fliegenden Stadt, als sie sich Nachts auf dem Brückengang unterhalten hatten. Das was er hier sah, war der Magier Merl, nicht der verschüchterte junge Mann.

,, Naria hat schon recht. Ein Magier kann sein eignes Leben nicht verlängern. Aber so wie sie andere heilen können, könnten sie auch ihre Lebenskraft mit jemand anderen teilen. Das ganze basiert auf dem gleichen Prinzip es ist nur ein anderer Maßstab derselben Sache.“
,, Und es gibt einen guten Grund aus dem es trotzdem niemand macht.“ , mischte Naria sich ein. ,, Allein der Schock sich das eigene.. Leben aus der Brust zu reißen würde einen töten lange bevor der Zauber abgeschlossen ist. Selbst der mächtigste Zauberer könnte jemand anderen vielleicht was.. zwei drei Jahre schenken bevor es ihn dahinrafft?“

,, Und wenn er nicht mehr am Leben wäre ? Wenn der Zauber auf eine Art gewebt wäre, die den Transfer fortsetzt egal was passiert… Simon Belfare wusste am Ende seines Lebens vermutlich mehr über Magie als alle heutigen Ordensmagier zusammengenommen. Wenn es eine Möglichkeit gibt einen solchen Zauber zu wirken, er hätte sie gefunden.“

,, Ahnen… Warum sollte jemand sich so etwas antun? Das ist… kennt ihr die Kälte wenn ihr einen Zauber zu lange aufrechterhaltet?“

Merl nickte und als er weitersprach war seine Stimme von stummen entsetzen gezeichnet. ,, Es wäre genauso. Nur hört es nie auf. Wie lange es dauert bis einen so etwas tötet? Stunden ? Tage ?... Ich meine wenn seine Magie noch an seinen Körper gebunden ist… ist er dann überhaupt wirklich tot oder stirbt er immer noch?“

,, Mich würde mehr interessieren, worum es dabei ging.“ , meinte Naria aber auch ihrer Stimme war anzuhören wie sehr sie die Vorstellung abstieß. ,, Wenn jemand bereit ist so etwas zu tun, dann muss es schon unglaublich wichtig gewesen sein.“

Merls Blick wanderte zurück zu dem alten Mann. ,, Um ihn. Oder etwas, das er weiß. Simon muss gewusst haben, das nur einer Überleben kann. Und das war nicht er selbst, er war der vielleicht mächtigste Magier seiner Zeit… in der Lage das Leben eines Mannes so lange zu verlängern wie nötig sein würde.“

Manchmal bewies der junge Zauberer eine Weisheit die nicht zu seinem Alter passen wollte.

,, Er erinnert sich nicht.“ , mischte Elin sich ein. Ihre Stimme war von Mitleid gezeichnet, während sie den Alten stützte. Er wirkte so zerbrechlich als würde er jeden Moment zu Staub zerfallen. ,, Er war hier völlig allein.“

,, Ich… erinnere mich an wenig.“ , korrigierte er sie, seine Stimme kaum mehr als ein Hauch. ,, Ich… Ich war einer der wenigen Magier auf dem Schiff. Götter es war nur Zufall dass ich überhaupt hier war. Er.. Simon wollte nur so wenige Zauberer wie möglich. Ich weiß nicht wieso… ich weiß nicht…“

Er fiel wieder in sein altes Mantra aus Zwangshandlungen und gemurmelten Worten. Galrne konnte nichts als Mitleid für ihn empfinden. War er wirklich all diese Jahrhunderte hier gewesen… völlig isoliert? Kein Wunder, das er nicht mehr völlig berechenbar war. Das würde niemand unbeschadet überstehen. Vielleicht konnte er nicht verstehen wovon Merl sprach aber von seiner Warte aus hatte Simon Belfare noch das leichtere Schicksal.

,, Aber ihr wart hier bei ihm… als er starb ?“ , wollte Armell wissen.
Ein Nicken war die Antwort. Der Alte sank erneut zu Boden, diesmal auf die Knie. ,, Er hat mich so oft um Verzeihung gebeten.“ Die Worte waren wie immer grade mal ein Flüstern, als wären auch seine Stimmbänder nach all der Zeit brüchig und kaum mehr Belastungsfähig. ,, Er sagte ich müsse bleiben, weil er es nicht könnte, das hat er gesagt. Ich müsse seine Bürde tragen und dann hat er geweint…. um mich glaube ich aber auch um alles andere , weil er mir seine Bürde auferlegen musste.. weil er glaubte versagt zu haben. Ich habe lange mit ihm gesprochen… Aber ich erinnere mich an so wenig. Er hat mich gefragt ob ich eine Nachricht für seine Frau und seinen Sohn überbringen würde, sollte ich zurückkehren. Der Sohn ist jetzt ebenfalls lange Tod. Vielleicht sein ganzes Haus.“

,, Zumindest was das angeht kann ich euch beruhigen.“ , meinte Armell. ,, Die Kaiser sind immer noch die Belfare…“

,, Irgendwie bezweifle ich, das ihm das ein großer Trost ist.“ , meinte Elin. ,, Wir sollten ihn auf die Immerwind bringen, das ist das mindeste was wir tun können. Ihr werdet sehen nach einer ordentlichen Mahlzeit sieht die Welt gleich wieder etwas besser aus.“

Die junge Gejarn machte sich daran den Mann erneut auf die Füße zu ziehen und ihn in Richtung Gang zu bewegen.

,, Ich würde gerne noch etwas bleiben.“ , meinte Naria. ,, Ich glaube immer noch nicht, das jemand so etwas tun würde… vielleicht wenn ich herausfinde wie er es angestellt hat…“

Lias trat vor. ,, In dem Fall bleibe ich auch fürs erste.“

,, Ich glaube wirklich nicht, das ich einen Aufpasser brauche.“ , erwiderte die junge Magierin kühl.,, Schon gar nicht euch. Oder fürchtet ihr ich könnte irgendetwas in Erfahrung bringen das euch nicht gefällt ?“

,, Eigentlich.“ , gab Lias zurück. ,, Dachte ich lediglich ihr wollt etwas mehr Gesellschaft als einen toten Zauberer.“
Naria zögerte kurz, lächelte dann aber schwach. ,, Nun bessere ist sie definitiv.“

,, Dann bringen wir unseren neuen Gast zum Schiff zurück.“ , erklärte Galren. ,, Hedan wird noch bis heute Abend warten. Aber vergesst die Zeit nicht. Ich will dem Mann wirklich nicht erklären müssen er muss über Nacht vor Anker bleiben…“

,, Glaubt mir, das will keiner von uns.“ , erwiderte Armell, als sie sich schließlich, Elin und den Alten an der Spitze, auf dem Weg zurück durch das Wrack machten.

 

Kapitel 38 Parlor

 

Den Rückweg brachten sie Größtenteils Schweigend hinter sich. Der alte Mann, den sie auf dem Schiff gefunden hatten ließ sich ohne Wiederstand von ihnen führen, nur ab und an murmelte er einige Unzusammenhängende Sätze. Merl wollte sich nicht einmal vorstellen, wie alt er wirklich sein musste. Unsterblich, vielleicht sogar. Und doch hier gefangen… Für einen Grund, den er offenbar vergessen hatte. So wie seinen Namen… Das alles, war ein einziges Rätsel und keines, das sich schnell lösen lassen würde, das war ihm klar.

Mittlerweile begann die Sonne bereits ihren Weg zurück zum Horizont und verlieh dem Dünengras einen rötlichen Schimmer, so dass sie durch ein Meer von kaltem Feuer zu gehen schienen. Er und Armell liefen ein Stück voraus, während Galren und Elin ein Auge auf den Fremden hatten. Der Alte war so dürr, das die Gejarn ihn ohne große Probleme alleine stützen konnte, obwohl er sie um fast zwei Köpfe überragte. Seine Schritte waren nach wie vor unsicher und er stolperte mehr durch Mulden und die niedrigen Dünen, als das er wirklich lief. Und doch war es überraschend zu sehen, wie sanft Elin mit ihm umging, dachte Merl. Es schien einfach gar nicht ihre Art zu sein. Bisher hatte er sie immer nur sprunghaft und beinahe spöttisch jedem gegenüber erlebt. Nun allerdings, wie lange kannte er sie? Eine knappe Woche ?

,, Könnt ihr ihm nicht irgendwie helfen ?“ , fragte Elin an ihn gerichtet, als sie zu ihm Aufschloss. Langsam schien der Alte wieder auf die Füße zu kommen, zumindest stolperte er nicht mehr ständig.

,, Ich wüsste nicht wie… es tut mir leid.“ , antwortete er. Er wusste ja nicht einmal genau, wie der Bann zustande gekommen war, der diesen Mann am Leben erhielt. Vielleicht fand Naria ja mehr heraus als er. Aber Melr konnte nur stumm beten, das sie vorsichtig war. Was er hier gesehen hatte machte ihm Angst. Das war keine simple Zauberei mehr mit der sie es hier zu tun hatten sondern Magie auf einer Ebene, von der er bis vor kurzem nicht einmal gewusst hatte, das sie existierte. Er hatte vergleichbares erst an einem einzigen Ort gesehen und wenn die Magie, die Simon Belfare nutzte der des Seelenquells ähnlich war… dann war dieser Ort alles, nur nicht sicher. Und vielleicht erklärte es auch den angeschlagenen Zustand des Alten, mehr noch als die Einsamkeit.

,, Hat er Schmerzen ?“ , fragte Merl schließlich . ,,Vielleicht kann ich wenigstens die lindern ?“

Elin sah fragend zu dem Greis, der jedoch nur mit dem Kopf schüttelte. ,, Es… es geht mir gut.“ Der Blick aus seinen gelben Augen war überraschend klar, nicht mehr wirr und ins nirgendwo gerichtet wie am Wrack, als sie ihn gefunden hatten. Vielleicht war es allein die Tatsache, dass er endlich nicht mehr völlig alleine war. Wer konnte schon sagen, was Jahrhunderte der Isolation mit einem Menschen anrichten konnten.

Galren schien ähnlichen Gedanken nachzuhängen. ,, Es gibt wohl auch keine Möglichkeit herauszufinden, wieso Simon das alles getan hat oder ?“

,, Nicht wenn sich unser Freund hier nicht erinnert.“ ,, antwortete Merl. ,, Aber es ist faszinierend… So Makaber es klingt, das hier könnte vielleicht ein wichtiges Teil des Puzzles sein, das mein Meister zu lösen versucht. Einige Aspekte davon erinnern mich an den Brunnen in Silberstedt.“

,, Ihr meint das Quecksilberbecken, oder ?“ , fragte Armell.

Der junge Magier nickte.

Während sie weiter in Richtung der Felsnische zurückgingen, durch die sie gekommen waren, stieß auch Sentine wieder zu ihnen. Der Homunkulus, in Gestalt einer Seemöwe, hatte sie nicht unter Deck begleitet und kehrte nun mit schnellen Flügelschlägen zu Armell zurück. Das Auftauchen des   Vogels entlockte ihrem neuen Begleiter ein kurzes Lächeln. Es war das erste Mal, das der Mann eine Emotion zeigte, die nicht aus Resignation oder nackter Panik bestand…

,, Außergewöhnlich.“ , murmelte er und es klang ernsthaft interessiert. ,, Wirklich außergewöhnlich meine Liebe. Woher stammt dieses Wesen?“

,, Von einem alten Freund.“ , antwortete Armell. ,, Gab es das Haus de Immerson zu eurer Zeit schon ?“

,, Ich… bin mir nicht sicher.“ , antwortete der Alte zögerlich. Erneut bekam sein Blick etwas Abwesendes und seine Hände wanderten zurück zu seinen Armen. Die langen Fingernägel kratzten am Stoff. ,, Alles ist so weit weg… ich wünschte ich…“

,, Schon gut.“ Elin zog vorsichtig eine seiner Hände weg. ,, Das wird wieder. Aber ihr könnt nicht erwarten das alles auf einmal wiederkommt.“

Der Mann schien sie nicht zu hören, während er weiter murmelte. ,, Mein Name… Mein Name war… Ich heiße Palor. Ja das ist mein Name.“

,, Na bitte, immerhin etwas.“ , meinte Galren. ,, Ihr werdet euch an den Rest schon noch erinnern, wenn wir euch erst einmal von hier weggebracht haben.“

,, Weg ?“ Palor schien erst jetzt wirklich zu begreifen, wohin sie unterwegs waren. Er blieb stehen und starrte einen Moment ins Leere. ,, Ich kann nicht gehen ich… Ich habe es meinem Herrn versprochen. Ich weiß nicht mehr wieso es wichtig war aber…“
,, Wir können euch aber auch unmöglich hier lassen.“ , erklärte Elin entschieden. ,, Und euer Herr ist lange tot. Seit mehreren Jahrhunderten Palor. Euch hält hier nichts mehr.“

,, Das ist falsch. Wenn ich mich nur richtig erinnern könnte… Weiß…“

,, Ich heiße Elin.“

,, Hm ?“ Der Alte schien gar nicht richtig da zu sein.

,, Ihr könnt mich ruhig bei meinem Namen nennen.“ , erklärte sie erneut. ,, Nicht bei meiner Fellfarbe.“

,, Nein… Nein das meine ich nicht.“ Palor schien erneut abzudriften. ,, Ich… Aber ich kann auch nicht einfach gehen.“ Er blieb nach wie vor stehen wo er war

,, Das wird schwerer als Gedacht.“ , stellte Galren fest, während er sie ein Stück weiter winkte. Merl lies den Mann nur ungern zurück auch wenn es nur für kurz war. Er wirkte so verloren in der leeren Ebene. So verloren wie er sich die letzten Jahrhunderte Gefühlt haben musste… Was der junge Magier Probleme nannte, wäre Palor vermutlich geradezu willkommen. Es war nichts im Vergleich zu dem was mit dem Alten geschehen war.

,, Was machen wir jetzt ?“

,, Wir lassen ihn zumindest nicht hier.“ , erklärte Elin.

,, Wenn wir ihn nicht zwingen wollen wird das schwer.“ , gab Armell zu bedenken. ,, Aber ihr habt recht… Nein er kann unmöglich einfach hier bleiben. Vielleicht weiß er ja wirklich etwas, das uns helfen kann. Davon abgesehen… gefällt mir die Vorstellung auch nicht. Merl ? Ich bitte euch ungern darum aber, wenn es nicht anders geht könntet ihr dafür sorgen das er… schläft?“

Merl zögerte. Er hatte seine Magie bisher noch nie gegen einen anderen Menschen eingesetzt nicht einmal als Versuch. Die Übungen mit Zachary waren die einzige Ausnahme aber sein Meister war stark genug allem zu wiederstehen was Merl sich ausdenken konnte. Der Alte hingegen…. Sie wusste worum sie ihn bat, das konnte er ihr ansehen. Und gleichzeitig, dachte Merl konnte er ihr doch nichts ausschlagen… wusste Armell das auch?

,, Vielleicht.“ , antwortete er schließlich. ,, Ich meine… ich habe keine Ahnung wie mächtig er ist. Wenn er merkt das er verhext wird und den Zauber abschüttelt könnte das… böse ausgehen.“

Oder, dachte Merl, wenn er die Konzentration verlor weil er Abgelenkt war und der Zauber fehlging. Er wusste nicht welche Möglichkeit er vorziehen würde…

,, Und wenn ihr die Träne benutzen würdet ?“ , fragte Armell. ,, Ich versteh nicht so viel über Magie wie ihr, aber solltet ihr ihm damit nicht in jedem Fall überlegen sein ?“

Merl antwortete nicht. Natürlich hatte sie Recht. Aber das machte die Sache kaum besser. Er hatte bisher gezögert die Träne Falamirs, die Zachary ihm anvertraut hatte auch nur für Übungen zu nutzen. Und jetzt sollte er gleich alles darauf setzen?

Sie schien zu spüren, was in ihm vorging und legte ihm eine Hand auf den Arm. ,, Wir tun es nur wenn es absolut nötig ist. Einverstanden ?“

Schweren Herzens nickte er schließlich.

Geschlossen gingen sie zu dem alten Mann zurück.

,, Ihr wollt also wirklich lieber hierbleiben ?“ , fragte Galren.

,, Ich… habe keine Wahl.“ , erwiderte Palor betrübt. ,, Ich habe ein Versprechen gegeben wenn ich mich nur erinnern würde… weiß…“

,, Nun ihr könntet zumindest erst einmal mitkommen.“ , schlug Galren vor. ,, An Bord könnten wir euch etwas zu essen geben und wenn ihr danach immer noch zurück wollt… zwingt euch niemand zu bleiben.“

Merl war beunruhigt, wie leichtfertig Galren die Lüge erzählte. Aber eine Lüge, egal wie galant vorgebracht, blieb eine Lüge. Innerlich sagte er sich, dass es ja nur zum Besten des Alten geschehe. Aber stimmte das denn auch? Sie wussten nach wie vor nichts…

,, Ich…“ Der Mann spürte wohl, dass etwas nicht stimmte, aber gleichzeitig schwang eine vage Hoffnung in seiner Stimme mit. ,, Ja, das könnte ich tun. Eure Freunde sind am Schiff geblieben nicht ? Laos ist jemand hier ja… ich könnte gehen für eine Weile.“

Merl bemerkte wie Elin wegsah. Der gequälte Ausdruck auf ihrem Gesicht war unmissverständlich. Aber keinen von ihnen gefiel das hier, oder? Vielleicht hätte er sich gegen Armell durchsetzen sollen… Vielleicht sollten sie dem Mann erlauben zu tun was er für das richtige hielt. Aber… Was aber ? , fragte er sich. Götter das war nicht richtig. Und gleichzeitig schien es doch genau das zu sein. Er würde hier sterben oder besser, niemals sterben… aber auch nie wieder Leben.

Langsam setzte sich die kleine gruppe schließlich wieder in Bewegung und der Alte übernahm kurz sogar die Führung, bis er sich doch wieder von Elin stützen ließ. Der kurze Abstieg durch die Felsen zum Strand war nun bereits in Sicht und Galren begann bereits vorsichtig hinabzuklettern und nach einem Weg zu suchen, den sie Palor auch zumuten konnten. Auch wenn der Alte erstaunlich schnell munter zu werden schien, keiner von ihnen wollte herausfinden was passierte, wenn er sich etwas brach. Merl blieb an der Kante des   niedrigen Abstiegs und sah Galren nach. Der Mann schien beinahe schlaf zu wandeln, so sicher setzte er seine Füße auf kleine Vorsprünge und Steine, die ihm halt boten. Vielleicht nutzte er erneut seine Begabung… von der Merl nach wie vor nicht sicher war, das sie existierte und nicht schlicht Instinkt war. Trotz besseren Wissens begann er nach Spuren von Magie zu suchen, die der Mann hinterlassen könnte. So eine Magie müsste in jedem Fall wahrnehmbar sein, auch für ihn. Aber natürlich fand er nichts. Merl hatte schon mehrmals heimlich nach irgendeinem Anzeichen gesucht, das Galren vielleicht eine Spielart der Magie des alten Volkes besitzen könnte. Doch was Merl sah war nur ein Mensch. Trotzdem konnte er nichts gegen den Schauer tun, der ihm den Rücken hinab lief…

Dann jedoch geschah es. Als hätte Galren gespürt, das Merl ihn mit mehr als nur dem bloßen Auge beobachtete, sah er auf und für einen Moment verschwanden Konzentration und Sicherheit aus seinem Blick. Sein Fuß rutschte ab und der Mann stürzte den Rest des Abhangs hinab. Galren überschlug sich mehrmals, das Schwert rutschte von seinem Gürtle und blieb im Sand liegen, während Galren selbst fast bis an die Flutlinie hinab kullerte.

Erschreckt machten sich sowohl Merl und die anderen sofort selbst an den Abstieg. Ihre Sorge wegen Palor schien unbegründet, denn der Alte folgte ihnen fast ohne zu zögern und nahm die Hürde überraschend schnell.

Unten am Strand rappelte sich Galren derweil wieder auf und kam schwankend auf die Füße. Sand und kleinere Steine hatten sich in seine Haut gegraben und mehrere blutende Schürfwunden an Gesicht und Armen hinterlassen… ansonsten jedoch wirkte er unverletzt. Merl atmete erleichtert auf, als sie ihn endlich einholten und er sich Dreck und Kiesel aus den Kleidern schüttelte.

,, Geht es euch gut ?“ , fragte Elin und in einem Anflug ihrer gewohnten Unverfrorenheit fügte sie hinzu : ,, Vielleicht solltet ihr das klettern in Zukunft lieber mir überlassen.“

,, Alles in Ordnung.“ , erklärte Galren, während er den Strand hinauf an Palor vorbei lief um seine Waffe zurück zu holen.. ,, Und glaubt mir ich komme bei Gelegenheit darauf zurück.“

Er hob das Schwert auf und zog es aus der Scheide um nachzusehen ob es Unbeschädigt geblieben war. Nach allem was Merl jedoch bisher darüber gehört hatte, war die weiß glitzernde Klinge ohnehin durch fast nichts zu beschädigen. Sterneneisen war vielleicht eines der beständigsten Metalle die es gab und wenn die Geschichten stimmten selbst in der Lage Drachenschuppen wie Papier zu zerschneiden. Nun hoffentlich würden sie das nie herausfinden müssen... Merl wollte sich schon Abwenden, als ihm auffiel, dass etwas nicht stimmte. Seine Füße begannen zu kribbeln, ein vertrautes Gefühl, aber machten es hier keinen Sinn. Magie… Sein Blick richtete sich auf Palor, der wie erstarrt da stand. Wenn es möglich war, dann war r grade noch bleicher geworden, die gelben Augen fest auf Galren gerichtet, der nach wie vor das Schwert in der Hand hielt. Ohne Vorwarnung riss der Alte die Hände hoch und ein gleißen heller Blitz schoss daraus hervor, direkt auf Galren zu. Das ganze Geschah so schnell, das Merl noch nicht verstanden hatte was überhaupt vor sich ging. Palors Ziel jedoch war schneller. Mit einer Geschwindigkeit, die fast an die von Lias erinnerte, brachte Galren das Schwert zwischen seinen Körper und den magischen Angriff. Merl kniff die Augen zusammen. Das konnte unmöglich gutgehen… Als Schwert und Zauber aufeinandertrafen erschütterte die entstehende Druckwelle den gesamten Strand. Sand wurde in einer haushohen Welle aufgewirbelt und Merl selbst fast von den Füßen gerissen. Jetzt wusste er zumindest, wie mächtig Palor war. Dieser Mann war kein simpler Magier, dachte er, während er sich Sand aus den Augen wischte.

Galren stand noch, eine Hand schützend vors Gesicht gehoben, während die andere nach wie vor das Schwert umklammert hielt. Allein der Aufprall hätte ihm den Arm brechen müssen, dachte Merl, doch da war er… so gut wie unverletzt sah man von den erneuten Schürfwunden ab, die die aufgewirbelten Steine hinterlassen hatten. Das Schwert in seiner Hand jedoch hatte sich verändert. War die kristalline Klinge eben noch farblos gewesen wies sie jetzt einen bläulichen Schimmer auf. Galren schwankte, während er die Waffe jetzt wieder in beide Hände nahm. Irgendetwas lag in seinem Blick, das Merl einen Augenblick Angst machte. Als wüsste er genau was er tat, richtete er die Waffe im nächsten Moment aufs Meer hinaus… bevor das blaue Schimmern zu einem gleißenden Glühen wurde und der Blitz, der eben noch Galren gegolten hatte, harmlos aufs Meer hinaus geschleudert wurde… Das Leuchten erlosch und Atrun nahm wieder seinen gewohnten, weißen Farbton an.

,, Wie bei allen Götter habt ihr das gemacht ?“ , fragte Merl, während sie sich alle Palor zuwendeten, der leicht vornübergebeugt am anderen Ende des Strands stand.

,, Ich habe keine Anung.“ , antwortete Galren zögerlich. ,, Ich wusste nicht einmal, das Sterneneisen so etwas kann.“

,, Glaubt mir, das wusste keiner von uns.“ , antwortete Armell. ,, Was ist mit ihm ?“ Sie meinte Plaor… Ja was war mit ihm ? , dachte Merl, oder besser, was war so plötzlich in ihn gefahren? Der Alte richtete sich langsam wieder auf und als er sprach war seine Stimme so klar, wie noch nie, seit sie ihm begegnet waren.

,, Ich erinnere mich.“ , murmelte er. ,, Ihr… er hat mich vor euch gewarnt, vor der weißen Klinge, die das Ende bringen würde. Aber es sollte noch schwarz sein…. Wenn es sich schon weiß gefärbt hat, ist es bereits zu spät. Dann muss ich euch vernichten um das schlimmste zu verhindern.“
, Wovon redet ihr, diese Waffe war noch nie schwarz, ihr irrt…“ Galren kam nicht dazu, den Satz zu beenden, als Parlor bereits einen weiteren Zauber herbeirief. Feuer sammelte sich über und um ihn in einer Halbsphäre. Einen direkten Angriff konnte Galren abwehren… aber wie sähe das bei einem aus, der von überall her käme?

Merl hatte genug… Er wusste nicht was r tun konnte oder ob er etwas tun konnte… aber er würde nicht zulassen, dass dieser Wahnsinnige seine Freunde verletzte. Er spürte noch wie ihn eine Hand Streifte, die ihn zurückhalten wollte. Armell… Nicht heute, dachte er. Merl konnte das Blut in seinen Ohren Rauschen hören. Seine Hände waren verschwitzt und seine Gedanken rasten. Aber er hatte seinen Entschluss gefasst.

,, Wie wäre es, wenn ihr euch mit jemanden anlegt, der sich auch wehren kann…“ Merl sammelte sich, wappnete sich für das, was gleich folgen würde… und dann spürte er das nun schon fast altvertraute Ziehen, das Gewicht der Kette um seinen Hals. Der Stein schien jetzt förmlich zu glühen. Und diesmal erlabte der junge Magier sich, in den Strom der Magie einzutauchen und seine eigenen Fähigkeiten zu ergänzen. Die blauen Flammen der Uralten Macht, die ihn jetzt durchströmten vermischten sich mit dem grün in seinen Augen zu einer irisierenden Farbe.

Parlor schien entweder nicht zu merken, was er tat oder es interessierte ihn schlicht nicht. Unbeeindruckt rief er weitere Flammen herbei, bis der halbe Strand zu brennen schien und schickte sie, einer lodernden Flutwelle gleich, los. Das tosende magische Feuer verhielt sich beinahe wie eine Flüssigkeit, die einzelnen Feuer Überschichten sich, liefen ineinander und formten alle Facetten von Rot, Gelb und Orange. Aber Merl interessierte sich nicht für das Feuer. Sämtliche Unsicherheit war aus seinen Gedanken verschwunden, als er einen Schild herbeirief, der die Flammen eindämmte. Im gleichen Moment erschuf er einen Ball aus verdichteter Luft und schleuderte ihn auf den Alten. Die Feuer erloschen wirkungslos, bevor sie Galren oder ihn erreichen konnten, zerplatzten an dem Unsichtbaren Hindernis, das nicht einmal wankte. Mels Angriff jedoch kam durch und traf Parlor am Kopf. Der Mann ruderte einen Moment mit den Armen, bevor er schließlich zu Boden ging. Sein Körper, so dürr wie ein Ast im Herbst, hatte der Attacke nichts entgegenzusetzen.

Sofort war Galren herbei, das Schwert in der Hand um den Mann daran zu hindern, wieder aufzustehen. Doch noch ehe er das Schwert richtig gehoben hatte, ließ er es auch schon wieder sinken… Merl sah sofort wieso, als er zu ihm trat. Parlor lag seltsam still. Zu still. Blut sickerte unter seinem Schädel hervor, wo r auf den Steinen aufgeschlagen war…

,, Ist er…“ , setzte der junge Magier an. Das hatte er doch nicht gewollt. Er hatte den Alten unschädlich machen wollen er… Parlor hatte ja nicht einmal eine wirkliche Chance gehabt. Und das war vielleicht das erschreckendste. Er hatte das alles getan….

Merl stand wie erstarrt über dem Toten. Der Wind zerzauste seine Haare und ließ ihn zittern und die Rufe der anderen drangen nur wie aus weiter Ferne zu ihm…

,, Er ist tot.“ , erklärte Galren leise und erstickte damit seine letzte Hoffnung.

 

Kapitel 39 Wettstreit

 

Ein kalter Wind war aufgekommen, der die schwindende Wärme des Tages vertrieb. Die Sonne war bereits halb hinter dem Horizont verschwunden, aber die Immerwind ankerte mittlerweile auf dieser Seite der Insel. Vermutlich war Parlors Angriff weit über die Riffe hinaus zu hören gewesen und hatte Hedan alarmiert. Doch der Kapitän hatte bisher zumindest keine Anstalten gemacht jemanden auszuschicken um nach ihnen zu sehen. Armell ging am Strand auf und ab. Nach wie vor hatte keiner von ihnen Zeit gehabt, das ganze Geschehen zu verarbeiten. Doch wo Galren und Elin das Ganze mit Fassung zu tragen schienen, hatte Merl seit dem Tod des Alten kein Wort mehr gesprochen. Der junge Magier saß regungslos auf einen Stein beim Wasser… und möglichst weit weg von dem Toten. Er wog das Amulett in der Hand, während er aufs Wasser hinaus starrte. Armell hätte gerne mit ihm gesprochen, aber er reagierte nicht einmal wenn sie ihn Ansprach… Götter er hatte den alten Mann doch nicht töten wollen aber es war auch nicht seine Schuld. Parlor hatte sie angegriffen, warum verstand sie immer noch nicht. Elin , sie und Galren hatten den Körper des Mannes ein Stück weiter den Strand hinauf auf die Felsen gebettet, sein Blick jetzt genau so leer wie der des jungen Zauberers. Und doch wirkte er zum ersten Mal seit sie ihn gefunden hatten friedlich, während sein Leichnam langsam zu Staub zerfiel Die Zeit , die ihn für so viele Jahrhunderte verschont hatte, holte sich nun rasend schnell zurück um was sie betrogen worden war. Knochen und Haut lösten sich gleichermaßen auf und ließen nur Dunst zurück, der von einer leichten Briese rasch aufs Meer hinaus getragen wurde… Von Parlor blieben nicht einmal mehr Knochen. Und als die letzten Überreste des Alten verschwunden waren, kehrten endlich auch Naria und Lias zu ihnen zurück. Suchend Blickten die zwei Gejarn sich am Strand um, als sie die Felsen zu ihnen hinabkletterten. Lias schien bereits zu wissen, dass etwas nicht stimmte, als er angespannt und die Hand am Schwertgriff fragte : ,, Wo ist der alte Mann hin ?“

,, Tot.“ , antwortete Galren ihm kurz angebunden. Er dachte wohl nach wie vor über die Worte Parlors nach. Wie hatten sie genau gelautet? Armell wusste es nicht mehr. Etwas darüber, dass die weiße Klinge das Ende bringen würde ? Das war genau das, was ihnen gefehlt hatte. Irgendwelche düsteren Prophezeiungen eines Verrückten.

Der Löwe nickte lediglich. ,, Naria hatte schon gemeint, das so etwas passiert sein müsste.“ , erklärte er.

,, Wieso ?“ Elin stand von dem Stein auf, auf dem sie gesessen hatte. Die junge Gejarn schien das ganze deutlich besser zu verkraften als Merl, auch wenn jede Spur von Ausgelassenheit aus ihrer Stimme gewichen war.

,, Die Überreste im Schiff.“ , erklärte die Gejarn-Magierin. ,,Ob es sich dabei nun um Simon Belfare gehandelt hat oder nicht aber sie sind nicht mehr. Es kann keine halbe Stunde her sein, als sie zu Staub zerfallen sind. Und der Zauber der Parlor am Leben erhielt muss mit ihnen geschwunden sein.“

,, Nein.“ Die Stimme lies Armell zusammenzucken. Merl war schließlich zu ihnen zurückgekehrt, die Träne wieder um seinen Hals tragend. Doch seine Worte klangen… leer ohne echte Emotion. ,, Es war Palors Tod, der den Zauber gebrochen haben muss. Götter, ich wollte ihn nicht verletzen…“

,, Er hat euch keine Wahl gelassen.“ , erwiderte Armell auch wenn sie wusste, dass es für ihn kaum ein Trost sein würde. Merl so zu sehen war fast unerträglich. Was hätte er den anderes tun sollen? Er hatte sie alle verteidigt… Und doch hatte er von ihnen allen das vielleicht behütetste Leben geführt. In diesem Augenblick hasste sie Zachary dafür, dass er ihm erlaubt hatte sie zu begleiten. Er hätte noch Zeit gehabt zu wachsen, dachte sie. Langsamer und unter der Aufsicht seines Meisters. Nicht… so. Armell fürchtete, das der Junge, den sie einmal kannte in dieser Stunde mit dem alten Magier gestorben sein könnte. Sie konnte unmöglich weiter zulassen, dass er sich deswegen selbst fertig machte.

,, Kommt einmal mit.“

Entschieden packte sie den Arm des jungen Magiers, der sich mühelos ein Stück von ihr mitziehen lies, den Kiesstrand hinab und weg von den anderen. Galren und Elin waren im Augenblick ohnehin zu sehr damit beschäftigt Naria und Lias über die Ereignisse der letzten Stunden aufzuklären, als das man groß auf sie geachtet hätte.

,, Was denn ?“ , fragte Merl und warf einen unsicheren Blick zurück zu den anderen. Zum ersten Mal schien seine Stimme wieder so etwas wie Emotion zu verraten auch wenn es Unsicherheit war. Unsicherheit war besser als nichts. ,, Ich habe ihn getötet Armell. Ich habe es nicht gewollt aber… es war so einfach…“ Sie konnte sehen wie sich die Augen des jungen Magiers mit Tränen füllten.

Das war genug. Sie hatte vorgehabt ihm ins Gewissen zu reden. Genauso wie er das für sie getan hatte. Aber dieser Gedanke war sofort vergessen. Ohne Nachzudenken schloss sie Merl in die Arme und zog ihn einfach fest an sich. Er ließ es widerstandslos geschehen.

,, Ich wisst warum ihr das getan habt, Merl.“ , flüsterte sie. ,, Ihr wisst es, ich weiß es und ich verstehe es. Ihr habt uns alle gerettet und geschehen ist geschehen. Ihr hatte weder geplant jemanden zu verletzen noch werdet ihr das je. Und das zählt, Absichten sind doch etwas Wert… auch wenn sie sich nicht immer umsetzen lassen. Also hört endlich auf euch die Schuld für etwas zu geben, für das ihr nichts könnt!“

Schweigen Antwortete ihr und so hielt sie Merl einfach nur weiter fest. Armell wusste später nicht, wie lange genau sie so dastanden , bis sie sich schließlich voneinander lösten. Aber Merl schien es zumindest etwas besser zu gehen.“

,, Gilt das auch für euch ?“ , fragte er, die Spur eines Lächelns auf seinem Gesicht. Götter , selbst jetzt sorgte er sich scheinbar als aller erstes um jemand anderen als um sich…. Um sie um genau zu sein.

,, Nun ich kann zumindest jemanden die Schuld geben.“ , meinte sie und versuchte sich an einem wenig überzeugenden Grinsen. Merl konnte manchmal einfach unglaublich sein, selbst ohne jede Magie. Hinter dem verschüchterten jungen Zauberer verbarg sich nach wie vor so viel mehr. Vielleicht war es genau das, was sie immer an ihm fasziniert hatte. Und doch wusste sie nicht welche Seite von ihm sie mehr liebte…

 

Nach ihrer Rückkehr auf die Immerwind hatte sich die Nachricht, was sie auf der Insel und dem Wrack gefunden hatten, wie ein Lauffeuer unter der Crew verbreitet. Hedan hatte anfangs noch drauf bestanden, dass sie die ganze Sache für sich behielten aber auf einem Schiff mit begrenztem Platz verbreiteten sich Gerüchte schnell. Ob jemand bei ihrer Besprechung mit dem Kapitän gelauscht hatte oder ob doch einer von ihnen etwas gesagt hatte, bald jedenfalls wusste jeder an Bord Bescheid. Drei Tage war es jetzt her, das sie Parlor und die Überreste von Simon Belfares Expedition gefunden hatten. Die Stimmung an Bord war langsam umgeschlagen, aber jetzt entging es auch Elin nicht mehr… Die Leute wirkten nervöser, unsicherer noch als zu Beginn der Reise und bei ihren Streifzügen durch die Eingeweide des Schiffes hörte sie immer wieder leise gemurmelte Wörter von einem Fluch, der auf ihrer Route liegen musste. Das war natürlich Blödsinn, dachte die Luchsin, als sie an diesem Morgen auf das Deck der Immerwind hinaustrat. Der Wind hatte schon an den Riffen aufgefrischt und nun trug die Briese sie stetig weiter vorwärts… und damit endgültig ihrem Ziel entgegen. Sie hatte die Karte studiert, die Galren gehörte. Wenn das Dokument Maßstabgetreu war konnte es keine Woche mehr dauern bis sie Land sahen. Echtes Land, nicht irgendwelche Felsen. Elin vermisste den festen Boden unter ihren Füßen zwar nicht aber was sie am Ende ihres Wegs finden würden machte sie neugierig. Mittlerweile kannte sie die ganze Geschichte wie es zu dieser Unternehmung gekommen war zwar aber das trug wenig dazu bei dieses Rätsel zu lösen…

Es war ein Nebelverhangener Morgen, wie eigentlich immer, seit sie die Riffe passiert hatten. Offenbar trug die Nebelküste, wenn sie sie denn fanden, ihren Namen nicht zu unrecht. Die Sonne war lediglich als trübe, gelbe Scheibe am Horizont auszumachen. Einige wenige Lichtstrahlen fanden ihren Weg durch die dichten Nebelschleier und wurden von den feinen Wassertropfen reflektiert und zurückgeworfen, so dass sie in allen Farben schillerten. Schön anzusehen, aber für einen unvorsichtigen Seefahrer auch leicht tödlich. Auch wenn sie die Riffe lange hinter sich gelassen hatten, Untiefen oder weitere Felsen waren in dieser Suppe praktisch nicht auszumachen.

Elin setzte ihren Weg über das Deck fort und musste hier und da einem schlafenden Matrosen ausweichen, der die Nacht lieber hier oben als in den stickigen Räumen unter Deck verbracht hatte. Doch alles in allem, war es ein ruhiger Morgen dachte sie. Im gleichen Moment durchbrach jedoch ein Schuss die Stille. Pulverdampf und Korditgeruch stiegen ihr in die Nase Elin erstarrte wo sie war und lauschte. Doch nichts rührte sich, die Matrosen die an Deck schliefen hatten offenbar nichts von dem Knall mitbekommen, nur einige rührten sich unruhig… Was war das gewesen? Elin sah sich weiter um und entdeckte schließlich eine einzelne Gestalt, die an der Reling   lehnte, im Zwielicht nicht mehr als ein Schatten. Und dennoch erkannte sie beim Näherkommen schnell das markante, grau-rote Haar und das Wettergegerbte Gesicht von Hedan. Der Kapitän schien sie nicht zu bemerken oder wenn er es tat, schenkte er ihr zumindest keine Beachtung. In seiner Hand lag eine einzelne Steinschlosspistole von der nach wie vor Rauch aufstieg und neben ihm an der Reling stand ein kleiner Korb mit dünnen Tonscheiben sowie eine halbleere Flasche, die irgendetwas enthielt, das Elin bis zu sich riechen konnte, süßlich stechend… vermutlich Rum.. Sorgsam und mit ausdrucksloser Mine lud der Mann die Waffe nach und zog eine der Tonscheiben aus dem Korb. Mit einer ausholenden Armbewegung schleuderte er die Scheibe von sich hinaus in den Nebel und zielte. Erneut hallte ein Schuss über das ansonsten Stille Meer und Hedans Ziel zersplitterte in tausend Stücke.

,, Wollt ihr noch lange da herumstehen ?“ , fragte er , während er sich erneut daran machte, die Pistole nachzuladen.

,, Eigentlich… frage ich mich nur was ihr da tut.“ , erklärte die Gejarn, während sie vorsichtig näher trat. Sie war mit Hedan nie wirklich warm geworden und der Mann machte aus seiner Abneigung ihr gegenüber normalerweise keinen Hehl. Aber warum stand er am frühen Morgen hier draußen und schoss auf Tontauben?

,, Wonach sieht es denn aus ?“ , fragte der Kapitän. ,, Ich übe.“ Er warf die nächste Scheibe. Diesmal ging die Kugel daneben und das Ziel versank mit einem platschen im Meer. ,, Ihr meint ihr könnt das auch besser. Bitte, versucht es.“

Mit diesen Worten drückte er ihr die Waffe in die Hand und trat beiseite. Elin blieb einen Moment nur irritiert stehen wo sie war, schon alleine das Gewicht der Pistole war ungewohnt für sie.

,, Sagt mir nicht ihr wisst nicht, wie man damit umgeht ?“ Hedan nahm ihr die Steinschlosspistole wieder ab und nahm einen großen Schluck aus der Flasche neben dem Korb.

,, Ehrlich gesagt… nein.“ , gab sie zu.

Der Kapitän schüttelte den Kopf, als er die Flasche absetzte und sich wieder ihr zuwendete. ,, Dann zeige ich es euch eben.“ Er zog eine Papierpatrone aus seiner Tasche und hielt sie einen Moment hoch. ,, Kugel und Schwarzpulver.“ , erkläre er, während er das Papier aufriss und das Pulver in den Waffenlauf rieseln lies. Als nächstes verdichtete er das Pulver und lies schließlich die Bleikugel folgen. Als letztes folgte eine kleine Menge Schwarzpulver für die Pfanne, bevor Hedan die Batterie schloss. Elin war beeindruckt, wie schnell der Kapitän alle Handgriffe abwickelte, es konnte nicht länger als eine Minute dauern, bevor die Waffe erneut geladen war und er sie ihr zurückreichte. ,, Zielen lernt ihr am besten direkt praktisch.“

Mit diesen Worten zog er ein viertes Tonziel aus seinem Korb und machte sich bereit es zu werfen. Elin zögerte einen Moment. Aber sie war niemand, der so einfach vor einer Herausforderung zurückschreckte. Sie wog die Pistole kurz in der Hand. Also gut…

Hedan warf die Scheibe ohne Vorwarnung und Elin hatte grade noch Zeit, die Waffe auch zu heben. Sie folgte dem Ziel einen Moment mit den Augen, bevor sie die Pistole darauf richtete und den Abzug betätigte. Aus nächster Nähe war der entstehende Knall Ohrenbetäubend Laut und sie stolperte einen Schritt zurück.   Sie hatte die Tonscheibe zwar nicht ganz getroffen aber zumindest gestreift. Ein Stück der Außenseite splitterte ab und rieselte ins Meer und das Ziel selbst sank taumelnd in Richtung Wasser…

,, Nicht schlecht… für einen absoluten Anfänger.“ , meinte Hedan, als er ihr die Waffe wieder abnahm. ,, Was meint ihr ? Wer als erstes Zwei aus drei trifft?“

,, Dann zählt der Treffer eben.“ , erwiderte sie

Hedan nickte und erneut verriet seine Mine nicht, was er dachte… oder was er überhaupt hier draußen tat. Geschickt machte er sich daran die Waffe nachzuladen.

,, Warum hasst ihr mich eigentlich ?“

Der Kapitän antwortete nicht, während er eine Tonscheibe warf, zielte und traf. Erst, als der Pulverdampf um ihn sich legte, wendete er sich wieder ihr zu. ,, Ich hasse euch nicht… Elin. Der Punkt ist jedoch, das ihr gar nicht hier sein solltet.“

Er reichte ihr die Waffe zurück, zusammen mit einer weiteren Papierpatrone.

,, Also geht es euch nur darum ?“ Elin versuchte die Schritte zum Laden der Waffe so gut wie möglich nachzumachen, aber sie war bei weitem nicht so geübt wie Hedan. ,, Ihr wärt ohne mich gestrandet.“
,, Das heißt nicht, das es mir gefällt ein Auge auf ein halbes Kind haben zu müssen.“ , antwortete er.

,, Ich kann durchaus auf mich achten.“

,, Sagt das wenn ihr das nächste Mal einem irren Zauberer gegenübersteht und zwar ohne Hilfe.“

Anstatt etwas zu erwidern zog sie lediglich eine Tonscheibe aus dem Korb und warf. Was sollte sie dazu noch sagen, außer dass sie hoffte, dieser Tag möge nie kommen. Palor war nicht böse gewesen, dachte sie… aber was auch immer in ihn gefahren war, er hätte sie vermutlich wirklich alle getötet, wäre Merl nicht gewesen. Sie zielte. Die Tonscheibe erreichte den höchsten Punkt ihrer Flugbahn. Erneut hüllte Elin der Pulverdunst ein, zusammen mit dem nun beinahe schon vertrauten lauten Knall. Die Scheibe flog unbeirrt weiter, bis sie im Meer versank. Daneben…

,, Ich bin dran.“ , meinte Hedan siegessicher und nahm ihr die Waffe wieder ab. Statt die Pistole jedoch sofort wieder zu laden, griff er erneut nach der Flasche, schien es sich dann jedoch anders zu überlegen und hielt ihr den Rum hin. ,, Auch was ?“

Elin zögerte kurz zuckte dann jedoch mit den Schultern und nahm die Flasche an sich. Der erste Schluck brannte furchtbar. Keuchend und unter Tränen spuckte sie den Rum wieder aus.

Hedan lachte, während sie versuchte, halbwegs wieder zu Atem zu kommen. Mit geröteten Kopf und sich die Seiten haltend, nahm der Kapitän ihr schließlich wieder die Flasche ab.

,, Vielleicht solltet ihr doch mit Bier anfangen.“ , meinte er grinsend, während er sich daran machte die Steinschlosspistole wieder zu laden. ,, Aber wisst ihr was mir im Augenblick mehr sorgen macht ?“

,, Der Grund aus dem ihr hier draußen steht ?“ , fragte Elin.

Hedan nickte. ,, Sagt es keinem, aber wenn wir nicht bald Land erreichen… Die Leute sind nervös, Kleine, aber das war zu erwarten. Es bekommt keinem gut wenn er zu lange auf hoher See ist. Aber jetzt, mit dem Wrack und den Toten… Viele halten es für ein schlechtes Omen und ich bin geneigt ihnen zuzustimmen. Wenn Simon Belfare selbst bei seiner Reise zur Nebelküste scheiterte wie sollen wir das fertig bringen?“

,, Wir haben Galren… und Merl… und eine Karte.“

,, Und euch.“ Hedan lachte wieder. ,, Das Problem ist, macht das der Crew klar. Wir sind sieben gegen eine gesamte Besatzung wenn es zum äußersten kommt, Elin.“

,, Ihr glaubt wirklich, sie planen eine Meuterei ?“

,, Sie planen sie nicht, aber wenn einer der Männer aufbegehrt… werden die anderen nicht zögern ihn zu unterstützen. Im Augenblick braucht es nur einen Funken.“ Er warf die nächste Tonscheibe und feuerte ungezielt. Die Kugel verfehlte die Scheibe um mehrere Schritte. ,, Ich verliere die Kontrolle über mein eigenes Schiff…“

Hedan reichte ihr die Pistole zurück. Langsam wurden ihr die Handgriffe zum Laden der Waffe vertrauter.

,, Ich… weiß nicht. Wenn es so schlimm ist, warum setzt ihr euch nicht an die Spitze eurer Leute… und befehlt umzukehren?“ Nicht, dass ihr die Idee gefiel, dachte Elin. Aber am Ende war er der Kapitän. Armell würde ihm das nicht ausreden können, nicht wenn die Crew doch wieder hinter ihm stand.

,, Glaubt ihr ich denke nicht darüber nach ?“ Einen Moment schien die Mine des Kapitäns sich zu verdüstern, während er aufs nebelverhangene Wasser hinausstarrte. ,, Und was wäre die Folge davon ? Der Kaiser ist kein grausamer Mann aber wenn wir ohne euch nach Canton zurückkehren ich glaube kaum dass er darüber hinwegsehen würde. Also bliebe uns nur uns zu verstecken oder uns als Freibeuter durchzuschlagen. Und ich weiß wem meine Loyalität gebührt ob ihr das versteht oder nicht. Also geht es nur weiter vorwärts, zumindest für mich.“

Elin schwieg, während sie sich ein Ziel aussuchte und warf. Sie folgte der fliegenden Scheibe mit dem Waffenlauf und schoss. Der Ton zersplitterte klirrend und rieselte ins Meer.

,, Das waren zwei von drei für mich “ , erklärte sie grinsend.

,, Anfängerglück.“ , seufzte Hedan, der den restlichen Rum in seiner Flasche hinabstürzte. Elin wollte ihm die Waffe zurückgeben, aber er winkte ab. ,, Behaltet sie. Und besorgt euch Munition dafür. Vielleicht könnt ihr sie irgendwann gebrauchen.“ Vielleicht früher als ihnen beiden Lieb war, aber das ließ der Kapitän natürlich unausgesprochen.

,, Und ihr seid euch sicher, dass ich nicht hier sein sollte, ja ?“

,, Nun… vielleicht seit ihr zumindest keine völlige Zeitverschwendung.“ , erwiderte Hedan in seinem üblichen, grimmigen Tonfall. Elin entging jedoch nicht das kurze Lächeln, das über seine Züge huschte, als er sich schließlich abwendete, in einer Hand den Korb mit den Tonscheiben und in der anderen die leere Flasche, und zurück in Richtung Kajüte ging.

 

Kapitel 40 Tee

 

 

Elin blieb noch eine Weile stehen wo sie war, die Pistole in der Hand, bevor sie die Waffe schließlich in ihren Gürtel klemmte. Sie würde Hedan später fragen ob sie einen Holster dafür aus der Waffenkammer nehmen durfte. Das Gespräch mit dem Mann war… überraschend glimpflich verlaufen, dachte sie. Er machte sich genauso viele Sorgen wie alle an Bord, seit die Parlor begegnet waren. SO gesehen machten die Worte des Alten ja nicht einmal Sinn… vielleicht war er wirklich nur völlig verrückt gewesen. Aber eine düstere Stimme in ihrem inneren behauptete, das das nicht stimmte. Dazu war es dem ersten Kaiser, Simon Belfare, zu wichtig gewesen ihm am Leben zu erhalten. Wichtig genug um sich selbst etwas anzutun, das sowohl Merl als auch Naria entsetzt hatte.

Vielleicht war diese Expedition doch keine so gute Idee, wie sie einmal geglaubt hatte. Vielleicht hatte Hedans Crew am Ende recht. Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass das alles kein gutes Ende nehmen könnte. Oder das sie es sogar nicht überleben könnte…

Erneut war es ein Geräusch, das sie aus ihren Gedanken riss. Doch war es dieses Mal nicht laut, wie die Pistolenschüsse. Schritte näherten sich ihr durch den Nebel und brachten die Planken leise zum Knarren. Tonscherben von ihren Übungen mit Hedan zerbrachen unter schweren Stiefeln, als sie sich schließlich umdrehte.

Es war Galren, der mit einem übernächtigten Ausdruck auf dem Gesicht zu ihr an die Reling trat. So wie er aussah hatte er vermutlich kaum geschlafen aber Elin wusste nur zu gut, das er das in den letzten paar Tagen ohnehin kaum tat. Was sie nicht kannte, war der Grund auch wenn sie sich ihn denken konnte… Der Mann war ihr eigentlich immer zu zielstrebig erschienen um sich lange an einem Problem aufzuhalten aber seit ihrer Begegnung mit Parlor hatte sich so einiges geändert.

,, Ihr seid früh auf den Beinen.“ , bemerkte er und nahm einen Schluck Tee aus einem Zinnbecher, den er in der Hand hielt. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sie so etwas an Bord hatten und während sie sich versteckt hatte, hatte sie den Laderaum der Immerwind bis in jeden Winkel ausgekundschaftet. Aber wer wusste schon, was die Crew alles am Kapitän vorbei an Bord gebracht haben mochte.

,, Uhr ihr nicht ?“ , meinte Elin spöttisch. Sie hatte ihn jetzt mehrmals nachts aufstehen und an Deck hören gehen und in den seltensten Fällen war er vor dem Morgen noch einmal zurückgekehrt.

,, Tatsächlich… schlafe ich seit einer Weile nicht gut.“ , gab er schließlich zu und trank erneut einen Schluck Tee. ,, Naria meinte das hier sollte helfen aber ich glaube eher, ich bin für sie eher ein Studienobjekt. Tut mir einen gefallen, wenn ich davon umkippen sollte, macht ihr deshalb wenigstens ein schlechtes Gewissen.“

Also daher hatte er den Tee. ,, Kann kaum so schrecklich wie Hedans Rums ein.“ , meinte sie.

,, Versucht es.“ , antwortete er lediglich mit einem schelmischen Grinsen und hielt ihr den Becher an. Zögerlich ob etwas wirklich schlimmer als der Alkohol des Kapitäns sein konnte, nahm sie die Tasse an sich. Elin erkannte den Duft einiger Kräuter und Pflanzen. Fenchel. Kamille. Die Felder m das Haus ihrer Eltern standen im Frühjahr voll damit und sie war praktisch mit dem Geruch aufgewachsen. Andere Dinge jedoch erkannte sie nicht. Vielleicht irgendwelche Pflanzen von Maras. Zumindest roch es nicht furchtbar. Elin verstand jedoch sofort, was Galren meinte . Der Geschmack war zwar praktisch nicht vorhanden aber ihre Zunge prickelt unangenehm davon und das leichte Taubheitsgefühl breitete sich langsam bis in ihre Gliedmaßen aus.

,, Also ? Rum oder Tee?“ , fragte Galren als die Gejarn ihm die Tasse zurück reichte.

,, Ich halte mich von diesem Tag an für den Rest meines Lebens an Wasser.“ , erwiderte sie lachend und fügte Ernster hinzu : ,, Ihr macht euch Sorgen wegen dem, was Parlor gesagt hat, oder ?“

,, Es ging mir schon besser wenn ich wüsste ob es sich überhaupt lohnt sich darum zu sorgen. Ich meine… es macht keinen Sinn. Er hat von einer Klinge gesprochen die sich von Schwarz zu wie verfärbt und ich denke mal er hat das Sterneneisen erkannt. Aber die Waffe die ich habe hat Lias für mich geschmiedet. Und sie war nie Schwarz, selbst das Erz war silbern. Das heißt entweder war er wirklich nur verrückt… oder er hat mich verwechselt oder… es geht um irgendetwas das ich jetzt noch nicht einmal erahnen kann. Ich habe das Gefügl etwas Offensichtliches zu übersehen, Elin. Oder das mir nur in paar Puzzleteile fehlen um dem ganzen einen Sinn zu geben. Aber weder weiß ich welche das sind noch wo ich danach suchen sollte.“

,, Ich schätze, das passiert euch nicht oft.“ , stellte sie fest.

,, Nein. Normalerweise finde ich was ich suche.“

Elin war unsicher, ob sie Galren von ihrem Gespräch mit Hedan und dessen Verdacht, was die Crew anging erzählen sollte. Aber das letzte was der Mann im Augenblick gebrauchen konnte waren wohl noch mehr Dinge um die er sich Gedanken machen musste. Er schien seine sonstige Sicherheit verloren zu haben…

,, Wie hält sich Merl ?“ , wechselte sie schließlich das Thema. Der junge Zauberer schien sich nach seinem Kampf mit Parlor zwar wieder gefangen zu haben… aber sie hatte seine Augen gesehen, als der alte Mann gestorben war. Es war erschreckend gewesen, dachte Elin, aber nicht so schrecklich wie sie selber immer gedacht hatte. Doch Merl schien es bei weitem am schlimmsten getroffen zu haben, grade wo er nie beabsichtigt hatte, den Mann auch nur zu verletzen.

,, Armell hält ihn auf Linie.“ , erwiderte Galren mit einem abwesenden Grinsen. ,, Glaubt ihr mir eigentlich, dass keiner der beiden ahnt, dass der andere Hals über Kopf in ihn verliebt ist ?“

,, Bitte ?“

,, Bis einer der beiden den ersten Schritt wagt geht vermutlich erst die Welt unter… und wo wir grade davon sprechen…“ Galren nickte in Richtung des nach wie vor Nebelverhangenen Horizonts.

,, Was ist da ?“ , fragte Elin und der plötzliche Ernst in Galrens Stimme machte sie unruhig. Auch ihr war mittlerweile klar, dass der Mann Dinge manchmal einfach… zu wissen schien. Und das scheinbar in den seltsamsten Situationen an Orten wo er noch nie zuvor gewesen war. Ihr Vater hatte ihr einmal von den Sehern erzählt, die in den Eiswüsten lebten, die den Norden Cantons begrenzten. Männer, die angeblich in die Zukunft blicken konnten und wenn sie die Geschichten glaubte, diese auch manchmal zu beeinflussen suchten. Aber das traf wohl kaum auf Galren zu, dachte sie. Zumindest schien er bis jetzt noch nicht direkt die Zukunft vorherzusehen.

,, Ein Sturm.“ , murmelte Galren leise, während die Immerwind langsam aus dem Nebelfeld hinaus glitt, fast als fürchtete das Schiff, was es zu erwarten hatte. Das Licht, das auf sie fiel, als sie endlich wieder freie Sicht hatten, hatte etwas Fahles und Krankes an sich. Gleichzeitig schien der gesamte westliche Horizont zu brodeln. Sturmwolken türmten sich so hoch auf, dass wohl selbst die fliegende Stadt neben ihnen zwergenhaft gewirkt hätte. Grau, Silber und schwarz, gekrönt von einem unheilverkündenden weiß, dass die Strahlen der Sonne reflektierten   wirbelte durcheinander, als sich die Wolken verschoben und neu anordneten. Sie waren vielleicht noch eine gute Stunde Fahrt vom Beginn der Sturmfront entfernt und trotzdem frischte der Wind bereits auf. Und es gab keinen Weg für sie herum… Aber dort hindurchzufahren käme Selbstmord gleich, dachte sie. Eine Unzahl Blitze brachten die düsteren Wolken von innen heraus zum Leuchten. Ahnen… Das war kein einfaches Unwetter, dachte sie. Elin zitterte, als sie spürte, wie die Temperaturen fielen. Das war eine regelrechte Mauer, ein undurchdringliches Hindernis für jeden, der dumm genug wäre, es damit aufnehmen zu wollen. Rasch schätzte die Gejarn die Entfernung und die Geschwindigkeit des Unwetters und kam zu einem ernüchternden Ergebnis. Hindurchfahren war nicht möglich. Und davor herfahren und zu hoffen dass es sich auflöste ebenfalls. Es würde sie einholen. Schnell…

,, Heilige des Wassers steht mir bei…“ Hedan war zu ihnen zurückgekehrt und Elin sah das gleiche Wissen in seinem Blick. Sie würden nicht entkommen können. Nach und nach hielten sämtliche Matrosen an Deck in ihrer Arbeit inne während einige unter Deck verschwanden und den Rest alarmierten. Elin konnte mittlerweile das dumpfe Dröhnen des fernen Gewitters hören, ein Geräusch, das ihr bis tief in die Knochen fur.

Das Gesicht des Kapitäns nahm langsam einen grimmigen Ausdruck an. ,, So sei es denn.“

Mit einem Ruck drehte er sich um und begann, Befehle zu rufen. Währenddessen legten die Schatten der Sturmwolken sich endgültig über sie und blendeten die Sonne aus. ,, Bringt mir das Schiff in Ordnung. Alles unter Deck, was wir hier oben nicht brauchen, macht die Luken dicht. Und hofft, dass wir das Licht noch einmal sehen.“

 

Kurze Zeit später, wurde es endgültig Dunkel, als sich die Wolken über ihnen schlossen. Die Wellen, die vor wenigen Augenblicken noch so harmlos gewirkt hatten, spülten mittlerweile über das Deck und drohten, jeden der sich nicht rechtzeitig irgendwo festhielt von Bord zu spülen. Dutzende von Matrosen waren damit beschäftigt, Ausrüstung unter Deck zu bringen, oder die vom einsetzenden Sprühregen bereits feuchten und damit schweren Segel einzuholen. Galren wurde bis auf die Haut durchnässt, als er einem der Männer dabei half einige Kisten zu sichern, die bei der letzten Welle beinahe über Bord gegangen wären.   Das Wasser war zwar warm, aber der aufkommende Wind ließ ihn rasch wieder frösteln. Zumindest war seine Müdigkeit fürs erste vergessen und er schüttelte die betäubende Wirkung von Narias Tee ab. Bereits jetzt spürte er einen seltsamen Druck auf den Ohren und   das wenige Licht, das durch die Wolken drang, hatte einen unheilverkündenden, violetten Tonfall angenommen. Als käme es nicht einmal mehr von dieser Welt.

Armell rief Sentine zu sich, die sich in die Kleidung der Fürstin krallte um nicht einfach fortgeweht zu werden. Lias, Merl und Naria halfen derweil überall wo sie konnten, während Elin und Hedan weiter die Crew organisierten.   Der Kapitän schien in seinem Element, doch auch er konnte die Besorgnis nicht ganz verbergen. Immer wieder sah er zum schwarzen, aufgewühlten Himmel empor, von dem es jetzt in Strömen zu regnen begann. Süßwasser stürzte vom Himmel, genug um ihre Vorräte für weitere Wochen aufzufüllen falls nötig. aber in diesem Fall hätten sie darauf verzichten können. Der Preis dafür war um einiges zu hoch.

Galren musste sich festhalten, als das Schiff erneut unter einer Welle schwankte. Mehrere Blitze erhellten den Himmel und das Deck der Immerwind für einen Moment in absoluter Klarheit. Die Nachbilder hatten sich in seine Netzhaut gebrannt und erzeugten irritierende Schemen, als sich die Finsternis wieder über sie senkte. Abgesehen vom schwachen Glimmen der Bordlaternen in ihren Glasgehäusen war es nun vollkommen dunkel. Als würde das Unwetter noch einmal Luft holen, setzte das Schwanken des Schiffs kurz aus und auch die Blitze wurden seltener. Für einen Moment waren die einzigen Geräusche an Deck das prasseln des Regens und das Heulen des Windes.

,, Irgendetwas… ist hier seltsam.“ , meinte Naria unsicher. ,, Dieser Sturm…“

,, Was ist ?“ , fragte Merl.

,, Ich glaube nicht, dass das nur ein Unwetter ist.“ , erklärte die Gejarn lediglich.

Galren wischte sich das Wasser aus dem Gesicht, während sie warteten. Sie waren jetzt nahe, ohne dass er sagen konnte an was. Aber er spürte es jetzt immer deutlicher, das ziehen an seinem Körper, an seinem Geist. Und seine Gabe schien neue Formen anzunehmen mit jedem Tag der verging. Früher hatte er einen Weg finden können. Jetzt schien er Dinge zu spüren, die nur indirekt etwas damit zu tun hatten. Den Sturm beispielsweise… Aber wenn er je hoffen wollte, eine Antwort auf seine Fragen zu bekommen, dann würden sie das Unwetter zuerst meistern müssen. Er sah zu den anderen, seinen Begleitern, Freunden deren Gesichter er im Zweilicht nur verschwommen Ausmachen konnte.

Lias nickte ihm kurz zu und ohne dass er es gewollt hätte, spürte Galren wie sich seine Hand um den Schwertgriff schloss. Er atmete tief durch. Es gab kein zurück. Nicht für ihn zumindest. Und sie würden nicht versagen. Der Sturm brach los…

 

 

Kapitel 41 Der Sturm

 

 

 

Die Elemente brachen mit aller Macht über sie herein. Galren blieb nur noch sich so gut es ging an einem der über Deck gespannten Taue festzuhalten, als die Fluten über das Deck schäumten. Der Himmel selbst schien ihnen entgegenzukommen, als die Immerwind unter den Wellen in Schräglage geriet und plötzlich ein Stück weit senkrecht über das Meer wankte. Wasser lief über die verriegelten Luken die ins Schiffsinnere führten. Dort unten würde es jetzt vermutlich sogar schlimmer aussehen als hier oben, dachte Galren, während er sich Salz und Regenwasser aus dem Gesicht wischte um überhaupt noch etwas erkennen zu können. Alles, was nicht irgendwie an der Bordwand befestigt wäre, würde übereinander stürzen und den Bauch des Schiffs in eine einzige Todesfalle verwandeln..

Die Unzahl Blitze, die über den Himmel zuckten trugen nur wenig dazu bei, die Finsternis zu erhellen, aber was Galren sah, reichte ihm. Der Wind holte in fast von den Füßen und die Matrosen, die das Pech hatten, sich nirgendwo festhalten zu können, mussten sich den Böen fast schräg entgegenstellen. Im wechselhaften Licht des Gewitters schien sich alles wie in Zeitlupe und doch viel zu schnell zu bewegen. Seine Sinne spielten verrückt, sagte er sich. So wie er den Sturm kommen gespürt hatte, schien die Bedrohung jetzt von überall her zu kommen und sich doch gleichzeitig beständig zu verschieben. Gefangen in einem Vortex sich wiedersprechender Eindrücke, versuchte Galren krampfhaft sich einen Reim darauf zu machen, was jetzt wieder sein mochte. Er hatte keine Zeit mehr, sein Gespür erneut zu hinterfragen. Wenn jetzt noch etwas zu ihrer Misere dazu kam, wären sie verloren. Und dann verstand er schließlich. Rasch sah er sich nach Hedan um, dann lies er die Sicherungsleine los und lief so schnell er konnte zu dem Kapitän herüber.

,, Wir müssen sofort unseren Kurs ändern.“ , schrie er um sich über das Lärmen des Sturms verständlich zu machen. Salzwasser und Regen liefen ihn in den Rachen während er sprach. Götter, sie konnten ertrinken ohne im Wasser zu sein…

,, Dafür ist es lange zu spät Junge !“ , rief der Kapitän zu ihm herüber. Seltsamerweise schien Hedan weniger besorgt als sie alle. Der Mann schien den Kampf mit dem Unwetter beinahe zu genießen, wäre da nicht die stumme Angst in seinen Augen. Angst, die sie alle befallen hatte… ,, Wir sind mitten im Sturm. Wir kommen hier nicht mehr raus, bis er nachlässt.“

,, Darum geht es nicht.“ , antwortete Galren heckt ich. Wie sollte er Hedan nur verständlich machen, das sie verloren waren, wenn er diesmal nicht auf ihn hörte ? ,, Es ist egal wohin ihr das Schiff steuert aber wir dürfen nicht auf diesem Kurs bleiben. Die Blitze…“

Bevor er den Satz beenden konnte, zuckte ein weiteres, blauweißes Licht über den Himmel. Doch diesmal verschwand es nicht in den Wolken sondern schlug direkt in den Mast der Immerwind ein. Das Holz splitterte als handle es sich bei dem mannbreiten Stamm um nichts weiter als ein Streichholz. Funken und Glut rieselten zusammen mit Trümmern und brennenden Segelfetzen auf das Deck hinab. Wäre der Regen nicht bereits so dicht gewesen, vermutlich hätte das halbe Schiff jetzt in Flammen gestanden. So jedoch glomm nur der abgesplitterte Stump des getroffenen Masts in der Dunkelheit, während der obere Teil der Konstruktion beinahe träge auf das Schiffsdeck hinab sank. Galren sah, wie Lias und die anderen sich in Sicherheit brachten oder flach auf den Boden warfen um nicht erschlagen zu werden. Deckplanken splitterten, als der Mast aufschlug…

Im gleichen Moment wurde die Immerwind erneut von einer Welle getroffen und in Schräglage geriet. Die Trümmer des Segelmasts kamen ins Rutschen und rissen Männer wie Spielzeug mit sich…

Galrne und der Kapitän konnten sich grade noch rechtzeitig zur Seite werfen, als der abgebrochene Fuß des Masts an ihnen vorbeirauschte. Der folgende Querbalken verfing sich jedoch kurz irgendwo und kam zu einem Abrupten Halt. Das Geräusch von knirschendem Holz war zu hören. Nach wie vor hing das gesamte Schiff in der Schwebe, mal zu dieser, mal zu jener Seite geworfen, das einzige, was sie an Bord hielt waren Leinen und die nachlassende Kraft ihrer Muskeln. Aber ein Sturz in die aufgewühlten Fluten bedeutete den sicheren Tod… Langsam wurde es wieder stockdunkel nachdem Glut und Blitze für den Moment erloschen.

,, Wie gesagt.“ , brachte Galren angestrengt hervor. ,, Wir müssen sofort den Kurs ändern. „

,, Ihr konntet unmöglich wissen, dass der Blitz einschlagen würde.“ , rief Hedan ungläubig zurück.

,, Könnt ihr es euch erlauben mir schon wieder nicht zu vertrauen ?“ , gab er zurück.

Der Kapitän schwieg einen Moment, bevor er schließlich nickte. ,, Also gut. Sagt mir wohin und ich versuche uns irgendwie durch diesen Schlamassel zu bringen. Das heißt wenn dieser Kahn sich nochmal fängt und wir uns nicht gleich alle am Meeresgrund…“

In diesem Moment knirschte erneut etwas hölzern. Wo immer sich der Mast verfangen hatte, er riss sich erneut frei. Die Seeleute die grade erst wieder auf die Beine gekommen waren, mussten sich erneut wegducken oder wurden von den Füßen und in den Tod gerissen. Manchen gelang es noch die ausgesteckte Hand eines anderen Matrosen zu ergreifen und Hedan selbst fing einen seiner Männer im Sturz ab. Doch mehr als einer verschwand mit einem, im tosenden Sturm lautlosen, Aufschrei für immer von Deck.

,, Elin, Vorsicht !“ Lias stimmt jedoch war selbst über das Unwetter noch zu hören. Ein weiterer Blitz erhellte das Deck und erlaubte es Galren, das Geschehen mit zunehmenden entsetzen zu beobachten. Der Löwe stand keine zwanzig Schritte von Galren entfernt und hatte sich grade vor den Trümmern in Sicherheit gebracht. Elin jedoch war einmal zu langsam gewesen. Galren sah, wie die Gejarn von den Füßen gezogen und mitgerissen wurde. Dann versank das Schiff erneut in Dunkelheit.

Er zögerte. Ihm blieben nur wenige Herzschläge Zeit etwas zu unternehmen und er konnte nicht einmal mehr sehen, wo Elin sich befand. Alles was er hörte, war das stetige Trommeln des Regens. Alles was er sah Hedans Augen die das wenige Licht spiegelten. Er löste eine Hand von der Halteleine und zog das Schwert.

,, Ich weiß das ich das bereuen werde. „ , murmelte er noch, bevor er auch mit der anderen Hand losließ. Die Welt ging sofort in freien Fall über. Das vom Wasser glatte Deck bot keinerlei Halt, als er unaufhaltsam in Richtung Ozean schlitterte, schneller, als die träge Masse des Schiffsmasts. Bevor er jedoch über Bord gehen konnte, stieß Galren das gezogene Schwert in die Planken. Im ersten Moment glitt die Klinge durch das Holz wie durch weiche Butter und er fürchtete bereits, sich verschätzt zu haben, doch dann wurde er endlich langsamer. Und doch würde es knapp werden… Galren konnte die gesplitterte Reling sehen über die der Mast hinausragte und ins Meer kippte. Nach wie vor kam das Ende mit bedrohlicher Geschwindigkeit näher. Rasch blickte er schräg nach oben und entdeckte endlich, was er gesucht hatte. Elin hing halb eingeklemmt unter den abrutschenden Balken. Das würde wehtun. Galren passte den Moment ab in dem sie endlich auf gleicher Höhe waren und bekam ihren Arm zu fassen. Er wappnete sich für den Moment, in dem der Mast endgültig abrutschen würde. Das änderte jedoch wenig daran, dass der Arm ihm fast aus dem Gelenk gerissen wurde, als es passierte. Elin wurde mit einem Ruck unter den Trümmern hervorgezogen und die Klinge verlor für einen Moment erneut ihren Halt im Holz der Schiffplanken. Sie sanken ein Stück tiefer, jetzt fast direkt über dem brodelnden Ozean. Krampfhaft hielt er sowohl ihre Hand als auch den Schwertgriff gepackt. Bei ersterem blieb ihm auch gar keine Wahl mehr. Die Gejarn hatte sich praktisch an seinem Arm festgekrallt. Er spürte den Druck nadelfeiner Klauen, die ihn selbst wenn er loslassen würde, einfach die Haut von den Knochen ziehen würden… Die Vorstellung trug nicht unbedingt dazu bei, das ganze besser zu machen.

,, Keine Sorge ich lass euch nicht fallen.“ Er hatte keine Ahnung ob sie   ihn überhaupt hörte. Angst, eine Emotion die er so noch nie bei ihr gesehen hatte, spiegelte sich in ihren weit aufgerissenen Augen. Aber wenigstens verschwanden die Krallen. Galren wusste später nicht mehr, wie lange sie so dahingehen und darauf warteten, das entweder das Schiff unterging oder die Wellen so weit nachließen, das sie wieder auf die Fuße kommen könnten. Wenn ihn später jemand fragte konnte er nur mit: Lange antworten, aber vermutlich war es kaum eine Viertelstunde gewesen. Länger hätten seine Muskeln den Spagat kaum mitgemacht. Doch Zeit spielte in solchen Situationen leider kaum eine Rolle. Galren versuchte den pochenden Schmerz in seiner Schulter und den schwindenden Griff seiner Finger so gut es ging zu ignorieren. Dann endlich wurde das stetige auf und ab des Schiffs etwas ruhiger. Vorsichtig und mit letzter Kraft zog Galren Elin zu sich und versuchte, auf die Füße zu kommen. Seine Arme schienen komplett taub und sein ganzer Körper fühlte sich zerschlagen an.

,, Danke.“ Mehr brachte die Gejarn nicht heraus und Galren bekam grade ein nicken zustande. Aber noch war die Sache nicht ausgestanden… Mehr von Furcht als von seinen schwindenden Kraftreserven getrieben, sprang er wieder auf die Füße und hechtete zurück zum Kapitän. Hedan sah ihn einen Moment seltsam an.

,, Ihr seid wirklich verrückt, wisst ihr das ?“ , meinte er grinsend.

,, Ihr könnt mich nenne was immer ihr wollt, wenn wir es Lebend hier raus schaffen.“ , erklärte Galren. ,, Wenn es irgendwie möglich ist… sollten wir das Schiff weiter nach Steuerbord lenken. Die nächsten Blitze treffen wieder.“

Bei seinen Worten verdüsterte sich Hedans Mine wieder. ,, Also gut.“ Rasch begann er befehle zu brüllen, während die Mannschaft alles tat um das Chaos das der eine gebrochene Mast verursacht hatte, wieder zu beseitigen. Doch als die Männer den neuen Kurs bemerkten, begannen die ersten die Arbeit niederzulegen.

,, Ihr könnt nicht ernsthaft noch weiter in diesen Sturm fahren wollen !“, rief einer. ,, Wenn wir nicht sofortumkehren, werden wir hier alle sterben !“

Zustimmendes Nicken folgte von Seiten der übrigen Matrosen. ,, Wir sind verloren so wie es jetzt aussieht…“

Galren wäre am liebsten einfach an Ort und Stelle eingeschlafen. Das hatte wirklich noch gefehlt. Aber er war auch nicht bereit jetzt aufzugeben. Sie waren viel zu weit gekommen um jetzt umzukehren. Mal davon abgesehen dass das keine Option war. Mit einem seufzen trat er vor.

,, Wenn wir jetzt den Rückweg antreten, war alles umsonst. Und wir haben keine Ahnung ob wir es überhaupt schaffen würden. Dieses Unwetter ist schneller als wir. Unsere einzige Chance ist, hindurchzukommen. Alles andere hieße wirklich auf den Tod zu warten!“ Seine Stimme übertraf in diesem Moment sogar den Sturm. ,, Aber wenn wir jetzt noch einmal alles geben, können wir den Morgen noch erleben. Also… wer leben will…folgt mir.“

Einen Moment war er sich nicht sicher, was geschehen würde. Und vielleicht war er auch zu Müde, als das es ihn noch kümmerte. Aber einer nach dem anderen traten die Matrosen wieder zurück. Und spätestens, als der erste sich wieder an die Arbeit machte, wusste er, dass er gewonnen hatte. Wenn wohl auch nur, weil die Situation ohnehin so aussichtslos war. Was hätte er getan wenn diese Männer einen echten Aufstand geprobt hätten? Er wusste es nicht… Lange Zeit, sich über diesen kleinen Sieg zu freuen, blieb ihm jedoch nicht, als der Sturm sich in Erinnerung rief. Das gesamte Schiff schwankte unter den erneut hoch aufgetürmten Wellen und ihr Kampf mit der See begann abermals. Galren hielt sich nur noch fest und hoffte stumm das Beste, während der Hedan ab und an warnte, wenn sich ein Blitz ankündigte. Die Stunde wurden ihnen lang, in denen sie nichts taten, außer um ihr Leben zu fürchten und zu beten, das das Wetter sich ändern möge. Galren spürte, wie seine Augen zufallen wollten, so sehr er auch dagegen ankämpfte. Die Anstrengung forderte ihren Preis und ihm fehlte einfach die Kraft noch etwas anderes zu tun, als ihr nachzugeben. Er fror und die Welt bestand nur noch aus von zuckenden Lichtern erhellter Dunkelheit. Der Rest lag nicht mehr in seiner Hand…

 

Kapitel 42 Der Morgen

 

 

 

Das Schiff trieb durch weißen Nebel. Gesplittertes Holz und gebrochene Planken verunstalteten sowohl die Bordwände, als auch das Deck und an der Stelle, an der sich einmal der vorderste der drei Segelmasten erhoben hatte, erhob sich nur noch ein verkohlter Stumpf, grade so hoch wie ein Mann. Es war beinahe unheimlich Ruhig. Nur das leise knarren der Planken und das leise Gurgeln des Wassers, das durch kleinere Lecks im Rumpf lief, durchbrachen die Stille.

Galren lag mit dem Rücken   auf den Holzplanken des Decks, als er schließlich erwachte. Einen Augenblick wusste er weder, wo er sich befand, noch was geschehen war und er blieb still liegen, wo er war. Dann jedoch stürzten die Ereignisse des letzten Tages und der folgenden Nacht wieder auf ihn ein. Der Sturm, das aufgewühlte Meer…

Er blinzelte einen Moment träge ins trübe Licht, während er überlegte ob es die Schmerzen wert wäre, den Kopf zu drehen. Sein gesamter Körper fühlte sich an, als trüge er Bleigewichte mit sich. Mit vergifteten Dornen besetzte Bleigewichte, die sich vor allem in seine Schultern gegraben hatten. Galren war sich nicht einmal sicher, ob er die Arme wirklich würde heben können, wenn nötig und einen Moment war er versucht, einfach wieder dem Schlaf nachzugeben. Der harte Boden unter ihm störte ihn nicht und das sanfte hin und her des Schiffes hatte etwas Beruhigendes…

Wasser tropfte aus den durchnässten Segeln und den Tauen und ihm ins Gesicht. Tatsächlich war das gesamte Deck nach wie vor mit einem dünnen Wasserfilm überzogen, wohl auch vom Nebel doch als der Sturm nach endlosen Stunden endlich abgeflaut hatte, hatte es keinen von ihnen mehr gekümmert, wo er sich hinlegte… Es schien nach wie vor ein Wunder, das er noch atmete.

Galren wagte es schließlich, den Kopf auf die Seite zu legen und sich etwas an Deck umzusehen. Ein paar Schritte von ihm entfernt waren ein dutzend Matrosen genau wie er einfach auf den Planken zusammengesunken und ein Stück weiter konnte er Hedans Umrisse erkennen, die am gesplitterten Mast lehnten. Der Kapitän hatte sich den triefnassen Hut ins Gesicht gezogen und schnarchte leise.

Der Muskelkater brannte höllisch,   als er sich schließlich in eine sitzende Position aufrichtete. Elin lag auf seiner anderen Seite eine Armlänge entfernt. Die Gejarn hatte sich zusammengerollt und schlief nach wie vor genau so fest wie alle anderen. Lias wiederum lehnte ihm gegenüber am zweiten Schiffsmast, seine Rüstung die er während des Sturms nur widerwillig abgelegt hatte in einem Stapel vor seinen Füßen liegend. Armell und Merl wiederum lagen Rücken an Rücken im Schatten der Kajüte, beide in den Umhang des jungen Zauberers gewickelt.

Naria war die letzte, die er entdeckte. Sie lehnte an der Reling des Schiffs, , die Arme um die Beine geschlungen und ihren Kampfstab einen Handgriff entfernt. Wie konnte man so nur schlafen? , fragte Galren sich stumm. Nun sie brachte das Kunststück zumindest fertig… Sie waren alle noch da, dachte er erleichtert. Der Sturm hatte mehr als einen Matrosen über Bord gespült und die schiere Erschöpfung… Er wollte nicht darüber nachdenken. Mehr als einer der Männer war vom Sturm von Bord gespült worden, als er sich nicht mehr festhalten konnte.

,, Morgen.“

Als Galren aufsah starrten ihn zwei helle Augen unter einer grauen Kapuze hervor an. Naria war wach, vielleicht schon länger als er. Aber auch an ihr waren die vergangenen Stunden nicht spurlos vorüber gegangen. Trotz des Fells konnte er die Ringe unter ihren Augen erkennen… und vermutlich sah er selber kaum besser aus.

,, Ihr habt nicht zufällig noch Tee übrig, oder ?“ , fragte er als er es endlich wagte, aufzustehen. Galren stützte sich einen Moment an der Reling ab, die unter seinem Gewicht und angeschlagen wie das ganze Schiff war, jedoch bedrohlich knarzte.

Naria lachte leise, als sie ebenfalls aufstand. ,, Ich fürchte, was ich an Vorräten dabei hatte, ist gestern über Bord gegangen. Und ehrlich gesagt sehe ich davon ab euch mit Magie zu helfen.“

,, Wieso ?“

,, Weil ich nach wie vor nicht weiß, was ihr eigentlich seid, Galren. Ihr habt uns durch den Sturm geführt, erinnert ihr euch?“

Und ob er sich daran erinnerte, dachte Galren. Das allgegenwärtige Gefühl der Bedrohung war zum verrückt werden. Das Tosen des Wassers, seine Warnrufe wann immer sich ein weiterer Blitz am Himmel zeigte… Er strich mit den Fingern über eine rußgeschwärzte Stelle am Holz der Reling, wo sie ein Blitz nur knapp verfehlte, den selbst er nicht bemerkt hatte.

,, Leider ja.“ , antwortet er.

,, Und konntet ihr so etwas schon immer ? Ich meine… Dinge erahnen, bevor sie geschehen?“

Galren rieb sich den Schlaf aus den Augen. ,, Nein.“ , gab er zu. ,, Nun… manchmal. Ich kann… Wege sehen, Naria. Pfade. Aber es wird stärker, seid wir Canton verlassen haben, leichter vielleicht auch. Und ihr sagt ihr habt keine Ahnung was es sein könnte?“
,, Eine Ahnung schon, aber es passt nicht zu dem was ihr erzählt. Wisst ihr was ein Seher ist? Ich meine ein Echter, nicht irgendein wandernder Scharlatan.“

,, Ich habe nur gehört, das sie hoch im Norden Leben. Und außerdem so gut wie ausgestorben sind.“

,, Das gesamte Volk der Eisnomaden stirbt.“ , meinte Naria. ,, Aber ihre Seher existieren. Oder zumindest existierten sie bis vor einigen Jahrzehnten noch. Der letzte war ein Mann namens Melchior, er stand im Dienst eures Kaisers. Und er war ein bekannter meines Vaters, daher weiß ich überhaupt von ihm.“

,, Und was geschah mit ihm ?“

,, So genau weiß das keiner. Am Ende des Krieges als der Aristokratenbund zerschlagen war, zog er sich nach Norden zurück und wurde nie wieder gesehen. Vermutlich ist er lange tot. Und wie gesagt ich glaube nicht, dass ihr sein Seher seid. Aber eure Begabung scheint ähnlich, denn wenn es Magie ist dann keine die ich spüren kann. Das gleiche trifft auch auf die Eisnomaden zu. Ihr Volk besitzt Magie, die nicht auf das alte Volk zurückgeht und mit dessen Gabe auch nicht aufzuspüren ist. Ich habe gehört sie könnten Eis erstarren lassen, dass selbst in der Sonne nicht schmilzt und in einem Schneesturm sehen wie am helllichten Tag. Wobei letzteres schon wieder eher nach euch klingt.“

,, Also nachdem ihr und Lis jetzt einen Waffenstillstand geschlossen habt, sucht ihr euch eine neue Person zum Beobachten , was ?“

,,Nennt es akademische Neugier.“ , gab die Gejarn zurück. ,, Ich will ehrlich sein, währe Lias nicht gewesen wäre ich euch wohl nicht gefolgt, aber hätte ich in der fliegenden Stadt schon gewusst was ihr tun könnt, ich hätte euch wohl alleine schon deswegen begleitet.“

,, Sind da wo ihr herkommt alle so ?“

,,Meine Heimatland wird zum Großteil von Zauberern bewohnt und nach dem sie ihre Kunst für Jahrhunderte nur im Geheimen ausüben und studieren konnten… ich glaube die meisten haben einiges aufzuholen. Das färbt wohl ab.“

,, Erinnert mich bei Gelegenheit daran Maras erst zu besuchen, wenn ich weiß was ich bin.“ , erwiderte Galren lachend. ,, Das letzte was ich im Augenblick brauche ist eine Horde Zauberer, die in meinem Verstand herumstochert.“

,, Ich habe nicht…“ Naria brach ab. ,, Ich würde niemals auf die Idee kommen ohne Erlaubnis in euren Geist einzudringen. Schon alleine weil ich nicht einmal weiß ob ich das Überleben würde.“

,, Schön zu wissen. Wieso nicht überleben? Es ist nicht so, dass ich viel gegen einen Magier ausrichten könnte. Parlor habe ich abwehren können, aber der Mann war völlig verrückt und nur die Götter wisse wie Alt.“

,, Ihr habt wirklich keine Ahnung wie mächtig er war, oder ?“ Naria schien die Vorstellung zu amüsieren. ,, Sein erster Zauberer hätte nur Staub von euch übrig lassen dürfen. Aber genug davon. Ich will euch keine Sorgen machen.“

,, Zu spät.“ , meinte Galren grinsend. ,, Wo wir allerdings bei Sorgen sind…“ Er streckte sich einen Moment. ,, Wir sollten die anderen Wecken. Der Sturm mag vorbei sein, aber wir haben nach wie vor keine Ahnung wo er uns hin geweht haben mag. Zeit, das wir wieder auf Kurs kommen.“

Naria nickte und gemeinsam machten sie sich schließlich daran, den Rest der Immerwind zu wecken.

Es sollte nicht lange dauern, bis alle wieder auf den Beinen waren und sie sich erneut daran machten ihre Reise fortzusetzen. Doch für wie lange noch… Galren konnte den Zug an seinem Geist jetzt schon beinahe körperlich spüren, als hätte er eine Hand in seinem Rücken, die ihn dazu antreiben wollte, loszulaufen. Ob er dabei ertrinken würde oder nicht. Ob Naria ihm hatte Sorgen machen wollen spielte keine Rolle… das schaffte er im Augenblick selber gut genug.

 

Armell war die erste, die den rötlichen Schein sah. Sie stand an Deck, nach wie vor Merls Umhang um die Schultern gelegt. Momentan trieben sie nach wie vor einfach dorthin, wo die Strömung sie hintrug. Das Leinen der Segel war nach wie vor schwer vom Wasser und solange der Nebel anhielt, würden sie kaum trocknen. Sowohl Hedan als auch Elin hatten mittlerweile mehrmals Versucht, ihre Position zu bestimmen aber das Problem blieb das gleiche. Mit einer kaum hinter den Nebelschleiern erkennbaren Sonne war es einfach nicht möglich genaue Messungen vorzunehmen und der Horizont war erst recht nicht sichtbar. Sie konnten lediglich schätzen. Hedan befürchtete, das der Sturm sie tatsächlich weit ab von Kurs getragen hatte. Und Elin wiederum schien sich sicher, nach wie vor in der Nähe ihrer eigentlichen Rute zu sein. Aber wer von beiden diesmal Recht hatte, würde sich erst entscheiden, wenn der Nebel sich lichtete. Falls er sich lichtete. Vor dem Sturm war es ebenfalls neblig gewesen, aber nicht auf diese Art. Es war beinahe, als würde die Welt zwei Schritte neben ihr einfach aufhören und die feinen Wassertropfen schluckten zusätzlich jedes Geräusch. Und doch war da dieses Licht vor ihnen, das ihr vor wenigen Augenblicken zum ersten Mal ins Auge gefallen war. Weder war es unstet wie eine Schiffslaterne noch hätte sie überhaupt in der Lage sein dürfen, eine solche zu erkennen. Und es war ohnehin zu hoch dafür, fast auf einer Höhe mit der Sonne…

,, Seht ihr das auch ?“ , fragte Merl neben ihr und deutete genau in Richtung des Lichts.

Armell nickte. ,, Was meint ihr, was das ist ?“ Sentine, die auf ihrer Schulter saß, schien es jedenfalls nervös zu machen. Die Krallen des kleinen Vogels piksten sie durch ihre Kleidung hindurch und Sentines Augen blieben auf den rötlichen Schimmer gerichtet. Es schien doch nicht so statisch zu sein, wie sie anfangs gedacht hatte. Aber das flackern war nur wahrnehmbar, wenn man genau darauf achtete
,, Ich habe keine Ahnung.“ , erwiderte er und fügte mit einem schwachen Grinsen hinzu : ,, Aber es kann kaum schlimmer werden als der Sturm, oder ?“

Es tat gut ihn endlich wieder lächeln zu sehen, dachte Armell. Auch wenn es so aussah als hätte er sich nach Parlors Tod wieder gefangen, sie kannte ihn besser. Merl war niemand der so etwas leicht abschüttelte. Aber zumindest kam er darüber hinweg. Ohne darüber nachzudenken, legte sie ihm einen Arm um die Schulter und zog ihn ein Stück näher, während sie weiter auf das Licht zutrieben.

Der junge Magier seinerseits streckte ebenfalls eine Hand aus… und fing im selben Augenblick etwas aus der Luft, das Armell gar nicht gesehen hatte. Schweigend öffnete er seine Handfläche und hielt es ihr hin. Es war eine grau-weiße Flocke, die beinahe sofort wieder vom Wind erfasst und davon geweht wurde. Doch nun wo sie einmal wusste worauf sie achten musste, konnte sie die dünnen Plättchen überall zwischen den Nebelfetzen erkennen. Asche, dachte sie irritiert. Aber wo kam sie her ?

Langsam glaubte sie, mehr erkennen zu können, als die ersten Sonnenstrahlen endlich durch den Dunst brachen. Gleichzeitig sah Armell etwas, das keinen Sinn zu ergeben schien. Das rote Licht nahm Formen an. Glutfunken, die sich überschlagend zum Himmel aufstiegen und dort verloschen…

Und dann brach der Bug des Schiffs endgültig durch die dichte Nebelwand und erlaubte ihnen einen ersten Blick auf das, wonach Galrens Vater gesucht haben mochte. Einer nach dem anderen ließen sowohl ihre übrigen Gefährten als auch die Matrosen ihre Arbeit liegen und traten an die zersplitterte Reling der Immerwind. In diesem Augenblick hatte jeder einzelne von ihnen den gleichen Gedanken: Land.   Nach endlos langen Tagen an denen sie nichts umgeben hatte als Wasser, echtes, festes Land, das keine bloßes Riff war… Aber was bei allen Göttern war das für ein Land, das sie da gefunden hatten? Es stand in Flammen…

 

Kapitel 43 Zwerge

 

 

 

Galren starrte wortlos auf das aus Feuer geborene Land, das sich ständig neu zu formen schien. Selbst die Berge, die als schwarze Schatten in den von Aschewolken gezeichneten Himmel ragten, schienen zu brennen. Endloses Ströme aus flüssigen Flammen zogen sich die Klippen und Berghänge hinab in Richtung Ozean, wo sie erstarrten und Unmengen Wasser zum Verdampfen brachten. Er konnte das zischen und blubbern selbst auf die Entfernung hören, ein beunruhigender Laut. Zumindest, dachte Galren, erklärte das den Nebel. Der Wind trug Aschewolken und Wasserdampf wurden vom stetigen Ostwind aufs Meer hinaus getragen und bildeten die dichte Barriere, die sie eben grade erst passiert hatten.

Die mit unzähligen Vulkanen durchzogene Gebirgskette zog sich am gesamten Horizont entlang und gab Galren zum ersten Mal einen Eindruck von der Größe dieses Ortes. Das hier war keine bloße Insel oder etwas Derartiges. Es war gewaltig und nach den Wochen auf See beinahe ungewohnt, selbst wenn nicht alles Brennen würde. Er konnte die Asche schmecken, die zu ihnen geweht wurde und die sich als schwarze Schicht auf jeden Flecken freies Land gelegt hatte, den er überschauen konnte. Selbst die Strände, wo sich keine Flüsse aus erkaltender Lava ihren Weg zum Ozean suchten, waren schwarz und hätte Galren einen Fuß darauf gesetzt, ihm wäre sofort aufgefallen, dass es sich bei dem Untergrund nicht um Sand handelte, sondern um nadelscharfe, kristalline Splitter, die beinahe wie Glas unter den Füßen knirschten. Kleinere Lavaseen hatten sich fast wie Gezeitentümpel an diesen Obsidianstränden gebildet und waren mit verantwortlich für den roten Schimmer, der die gesamte Küste einhüllte. Oder fast die gesamte Küste. So faszinierend das verbrannte, tote Land auch war, es waren nicht die Vulkane und das Feuer, das sie alle sprachlos machte.

Wie ein Hoffnungsfunke ragte eine grüne Insel inmitten der schwarzen Eben auf, direkt an der Küste, wo die blauen Wellen zischend über den schwarzen Sand liefen. Geschützt in einer Senke ragt dort eine gewaltige Zitadelle in den Himmel, die, würde sich nicht bereits niedriger liegen, sicher selbst den Bergen Konkurrenz hätte machen können. Gewaltige Grünanlagen ragten zwischen Mammutbauten aus grauem Stein auf. Soweit Galren das erkennen konnte, bestand die Siedlung aus zwei Teilen, einer, die halb hinter der ersten verschwand und weiter im Hinterland lag, fast an der Außengrenze des grünen Flecken Erde, der die Städte umgab. Die zweite wiederum lag direkt am Wasser. Getrennt wurden sie durch einen gewaltigen Damm der in einem Bogen nicht unähnlich einer Brücke zwischen ihnen verlief. Ganz auf de äußersten Spitze dieses Bogens erhob sich, dem im Inland liegenden Stadtteil   vorgelagert, ein Bauwerk das die Häuser und Mauern in seinem Schatten winzig erscheinen ließ.

Hedan reichte ihm ungefragt ein Fernglas und Galren begann erneut die Stadt abzusuchen. Wirkten die Gebäude auf die Entfernung unförmig und grau konnte er jetzt aus der Nähe erkennen, dass das nicht ganz zutraf. Auf den dunklen Steinen waren farbige Pigmente aufgebracht wurden, die in allen Farben schimmerten und auch wenn er nicht erkennen konnten, was sie darstellten, war ihre Form doch klar geometrisch. Saubere Linien und gespiegelte Muster, die verhinderten, dass die Stadt etwas Tristes bekam. Er sah erneut hinauf zu dem Palast auf dem Damm und auch hier war nicht bloß grauer Stein verwendet worden. Doch wo die Gebäude unten lediglich mit Farbigen Bändern und Zeichen verziert waren, glänzte hier Blattgold und Silber, zu hauchfeinen Linien angeordnet, die sich die gesamte Außenseite entlangzogen. Fast wirkte es, als hätte man eine Seite aus einem Buch vor sich auch wenn Galren die geometrischem Symbole und Glyphen keiner Schrift zuordnen konnte, die er kannte. Einzelne Schemen, die aber keine klare Form annehmen wollten huschten auf der Mauer hin und her, manche lehnten auch regungslos an den Geländern und sahen aufs Meer hinaus. Vermutlich hatte man sie längst erspäht aber bis jetzt hatte sich noch kein Schiff aus der Hafeneinfahrt der am Meer liegenden Stadt gelöst um ihnen zu begegnen. Seltsam…

Er wollte das Fernglas schon wieder senken, als ihm ein weiterer Schatten ins Auge fiel. Dieser schien größer als die anderen und ragte über die Menge am Damm auf, so das Galren in, nachdem er ihn einmal erblickt hatte, kaum noch verlieren konnte. Doch wer immer es war, er stand ohnehin so still, das man fast glauben könnte, er wäre nur eine Statue. Der dunkle Umhang den er trug lies ncihts erkennen als schwarzen Stoff und dennoch spürte Galren beinahe körperlich, wie sich der Blick des Fremden auf sie richtete… oder direkt auf ihn wenn r nicht wüsste, dass das völlig unmöglich wäre.

Als wollte die Gestalt seine Befürchtungen unterstreichen, kam plötzlich Leben in sie. Endlos langsam zog sie etwas unter ihren weiten Roben hervor, das in der Sonne blitzte. Ein Schwert…

Die Menge um den fremden herum ging einfach weiter, als würde sie gar nicht bemerken, was dort vorging, aber Galren zog das geschehen in den Bann. Seine Hände, die das Fernrohr hielten, zitterten.

Die Klinge der Waffe war pechschwarz, so dunkel, das die Roben des Mannes grau dagegen wirkten. Und doch reflektierte sie aus irgendeinem Grund noch immer das Licht. Galren wurde einen Moment geblendet, als die Sonne direkt auf das Heft der Waffe fiel. Schmerzen explodierten hinter seinen Augen und instinktiv wusste er, dass diese nicht bloß von der Helligkeit kamen. Er ließ das Fernglas fallen und fand sich wenige Augenblicke später auf dem Boden kauernd wieder. Eine Weile lang merkte Galren nicht einmal, dass jemand mit ihm sprach. Nur langsam und wie durch Watte drangen die Worte schließlich zu ihm durch.

,, Galren… geht es euch gut ?!“ Es war Lias, der sich, mit besorgter Miene, über ihn gebeugt hatte. Um ihn herum standen der Reihe nach die anderen, Merl, Naria, Armell, Elin selbst Hedan, dessen Blick jedoch immer wieder zu der unbekannten Stadt an der Küste wanderte.

,, Ich glaube ja.“ , murmelte er ohne selbst zu verstehen, was grade passiert war. ,, War wohl nur… die Müdigkeit.“   Sein Kopf schmerzte nach wie vor und seine Sicht verschwamm mit jedem Pochen hinter seinen Schläfen… aber immerhin war er nicht blind. Dankbar ließ er zu, dass der Löwe ihm wieder auf die Füße half. Rasch sah er hinauf zur Mauer aber wenn der Mann immer noch dort stand, konnte Galren ihn ohne Fernglas nicht mehr erkennen. Und wenn er ehrlich war, war er ganz froh darüber. Irgendetwas an der ganzen Sache kam ihm… falsch vor. Auf eine Weise, die nichts mit der Blendung zu tun hatte. Das Licht war alleine allerdings schon seltsam genug. Wie groß war die Chance, dass es ihn auf diese Entfernung genau traf? Leuchtend, Grell, wie ein Wegzeichen… oder eine Einladung. Galren wusste nicht einmal woher der Gedanke kam, aber er sorgte dafür, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief.

Hedan hatte unterdessen das verlorene Fernrohr aufgehoben und betrachtete die Stadt in der Ferne stirnrunzelnd. ,, Ich bin mir zum ersten Mal nicht sicher ob ich mich darüber freuen soll, einen Hafen zu sehen.“ , meinte er. ,, Aber ich denke mal, da sie uns bis jetzt in Ruhe gelassen haben, anstatt uns ein paar Schiffe entgegenzuschicken, haben wir vielleicht Glück. Götter, ich habe mit viel gerechnet, aber mit so etwas…“

,, Ihr meint also wir sollten es einfach versuchen und uns nähern ?“ , fragte Naria. ,, Ehrlich gesagt, ich halte das nicht unbedingt für die beste Idee…“

,, Es ist nicht so, als das wir eine Wahl hätten.“ , meinte Armell und Galren stimmte ihr mit einem nicken zu. Trotzdem konnte er ein kurzes Lächeln nicht verstecken. Was auch immer hier vorging… er wusste, dass sie den richtigen Ort gefunden hatten. Sein Vater war hier gewesen, das spürte er. Und der Drang, sich diesen Ort einmal aus der Nähe anzusehen ließ ihn jegliche Vorsicht vergessen.

,, Mit dem Schiff in diesem Zustand kommen wir sonst auch nicht mehr weit.“ , bemerkte Hedan. ,, Zumindest nicht bis zurück nach Hause. Ich sage, riskieren wir es.“

Einer nach dem anderen stimmte die gesamte Runde ihm mit einem nicken zu. Naria hingegen zögerte kurz, dann nickte sie jedoch ebenfalls. ,, Sehen wir es uns eben an.“

Hedan schien das Zustimmung genug und mit einem Ruck drehte er sich herum und begann der übrigen Mannschaft befehle zu geben um das Schiff in den Hafen zu bringen. Dieser lag geschützt hinter einer Reihe natürlicher Wellenbrecher. Steine, leicht so groß wie die Immerwind waren zu perfekten, rechteckigen Säulen zerborsten und formten einen Bogen vor einem kurzen Meeresarm, der bis vor die fremde Stadt führte. Galren konnte die Hand ausstrecken und eine dieser natürlichen Säulen berühren. Die Oberfläche war glatt, als wäre sie glatt geschliffen worden, aber das schien unmöglich, wenn man allein die Größe der Felsbarriere bedachte… Die Hafenmole selber bestand ebenfalls aus Stein. Schwere Granitblöcke, jeder einzelne leicht so groß wie ein Haus, waren nebeneinandergesetzt worden und formten eine fast lückenlose, glatte Kante. Lediglich einige wenige vorstehende Felszacken dienten dutzenden von Schiffen als Anker, die   bereits im Hafen lagen. Und was für Schiffe das waren, dachte Galren. Von den gelegentlichen Fischerbooten einmal abgesehen waren selbst die kleinsten noch ein Stück größer als die Immerwind. Auf den ersten Blick sahen sie aus wie aus Bronze gefertigt. Goldbraunes Metall glitzerte sowohl an den Schiffswänden als auch auf Deck. Die einzelnen Metallplanken wurden von Bolzen leicht so dick wie sein Arm zusammengehalten. Er wollte sich nicht einmal vorstellen, wie es möglich war, das sie überhaupt schwammen…

Anders als bei kaiserlichen Kriegsschiffen gab es hier jedoch keine Geschützbatterien, die sich an der Seite des Schiffs entlangzogen sondern nur jeweils eine Kanone am Bug und am Heck des Schiffs. Vermutlich brauchte es allerdings auch nicht mehr, dachte Galren. Die einzelnen Waffen waren wohl auch der Grund aus dem die Schiffe aus Metall bestanden. Holz hätte alleine ihrem Gewicht wohl kaum standgehalten… Das Geschützrohr wäre groß genug um geduckt hindurchzulaufen. Erneut fragte er sich wie so etwas möglich war und wie man eine solche Waffe überhaupt je lud. Zumindest schwiegen die Geschütze, während sie an ihnen vorüberzogen. Die Gebäude am Hafen waren halbrunde Steinbauten, mit zwei, manchmal auch drei Stockwerken. Manche davon erkannte Galren ,auch ohne das er die Glyphen und Schilder lesen konnte klar als Gasthäuser, andere , die meist ein gutes Stück breiter und fensterlos waren wohl Warenlager. Vor diesen an kleine Berge erinnernden Häusern sammelten sich Träger, die Fische und andere Waren von den im Hafen ankernden Schiffen brachten. Mancherorts gab es wohl auch kleinere Streitigkeiten, wenn sich Geschäftspartner nicht einig wurden oder sich plötzlich abwendeten, als das fremde Schiff in ihren Hafen einfuhr. Soweit kam es dem gleich was Galren bereits in Lasanta erlebt hatte und auch das Klima schien zu passen. Es war warm hier, dachte er, geradezu heiß und auch die Briese, die vom Meer her wehte brachte da keine Abkühlung. Wie auch, dachte er mit einem Blick auf die fernen Vulkane. Hier brannte alles. Und doch schien es die Leute die hier lebten nicht zu beunruhigen, als diese sich neugierig an der Hafenmole sammelten. Doch eine Sache machte Galren wirklich stutzig. Zuerst glaubte er, es liege noch an der Entfernung oder der Tatsache, dass das Deck der Windrufer ein Stück über dem Boden des Hafens lag. Aber diese Leute waren klein. Ohne das wären sie vielleicht als stämmige Menschen durchgegangen aber so…

Vermutlich wäre selbst Elin sich unter ihnen wie eine Riesin vorgekommen und Lias oder Naria, beide hochgewachsen selbst für ihre Art,   gingen diese Männer und Frauen wohl grade bis zur Hüfte. Die meisten von ihnen trugen Kleidung aus schweren, dunklen Stoffen, in denen sich jedoch dieselben Farbigen, goldenen oder silbernen Zierelemente wiederfanden, die man auch auf den Häusern erkennen konnte. Auch wenn r die Symbole nicht deuten konnte musste es sich dabei wohl um so eine Art Standessymbol handeln oder vielleicht gaben sie ja auch einen Hinweis auf die Anstellung desjenigen? Galren hatte mehrere Männer gesehen, die Kisten voller Fischte trugen, die dieselben hellblauen Symbole auf ihren Kleidern und sogar in ihre Bärte eingeflochten trugen.

Sie waren wirklich weit weg von daheim, dachte Galren. Eine ferne Ahnung befiel ihn, während er die Menge musterte, die dem Schiff langsam folgte. Hedan würde sich Zeit lassen, einen Ankerplatz zu finden, dachte Galren, schon alleine um ihnen etwas Zeit zu verschaffen sich zu orientieren. Und noch immer ließen ihn seine Gedanken keine Ruhe. Es war eine Erinnerung an ein Gespräch das bereits halb vergessen war und eine Gefühlte Ewigkeit zurücklag, damals an der Erdwacht… als er davon einmal genau hier zu stehen nur träumen konnte…   Ein Gespräch über die Baumeister der alten Brücken und Festungen, die einst Canton den Rücken gekehrt hatten. Ein Gespräch über Zwerge…

 

Kapitel 44 Die Zwillingsstadt

 

 

,, Sollen wir von Bord gehen ?“ , fragte Elin leise, während sie sich mit großen Augen in der versammelten Menge umsah. Vermutlich hatte sie selten so viele Menschen auf einem Fleck gesehen und wenn Galren ehrlich war… ihm war selber nicht ganz wohl dabei. Das Schiff und sie wurden angestarrt als wären sie aus Gold und gleichzeitig starrte die Besatzung zurück auf die Bevölkerung, die ihnen grade einmal bis zur Brust ging. Die Leute waren nicht im Geringsten eingeschüchtert von ihnen schien es, sondern unterhielten sich leise murmelnd in einer melodischen, klanghaften Sprache, die er nicht Verstand. Ein paar Worte erinnerten ihn zwar an die Hochsprache des alten Volkes von der er etwas von Merl aufgeschnappt hatte… aber das war es auch.

,, Nun wenn wir hier weiter herumsitzen und uns anstarren lassen bringen wir zumindest sicher nicht in Erfahrung, was für ein Ort das ist.“ , meinte Armell.

,,Nein“ , meinte Hedan. ,, Die Frage ist ob wir das wollen. Wenn ich verstehen würde , was die Leute da unten sagen vielleicht aber... wer gibt mir eine Garantie das die nicht das Schiff stürmen sobald wir eine Laufplanke da runter bringen ?“

,, Wenn dem so wäre, wer gibt uns dann eine Garantie das sie uns wieder abziehen lassen ?“ , entgegnete Armell.

,,Ich denke... wenn sie uns irgendetwas tun wollten, hätten sie das schon.“ Merl war vorgetreten und sah kurz in Richtung eines der gewaltigen Kriegsschiffe, die im Hafen Ankerten. ,, So oder so, die Entscheidung ist doch eigentlich gefallen, als wir in den Hafen eingefahren sind, oder nicht ? Ist es eine Falle sitzen wir bereits mittendrin und kommen nicht mehr raus. Ist es keine... dann... dann verschwenden wir nur Zeit.“ Der junge Zauberer sah sich fragend in der Runde um

,, Ich muss ihm recht geben.“ , meinte Naria. ,, Allerdings würde ich vorschlagen den Mann entschiedne zu lassen der uns hergebracht hat...“ Ihr Blick wanderte zu Galren, der sich plötzlich nicht mehr ganz wohl in seiner Haut fühlte. Das war ein Test, dachte er. Jetzt stellte sich nur die Frage : Wofür ? Eigentlich war die Antwort einfach. Er sah einen Moment über den Hafen hinweg zu dem Damm zwischen den beiden Kreisförmig angelegten Städten. Er würde hier bleiben, selbst wenn die anderen sich entscheiden würden lieber ihr Glück auf See zu versuchen. Zwingen konnte er sie nicht. Aber er spürte, wie dieser Ort ihn anzog, geradezu rief...

Bevor er jedoch etwas sagen konnte, teilte sich die Menge, die ihr Schiff belagerte und machte einer Reihe von Männern in Rüstungen Platz. Die etwa zehnköpfige Truppe war auch nicht größer, auch wenn ihre Panzer sie um einiges bedrohlicher wirken ließen. Gewaltige Federbüsche auf ihren Helmen in den Farben der Runen auf Kleidung und Häusern wehten im Wind . Bewaffnet waren sie alle mit etwas, das Galren als Gewehr erkannte, aber die Waffen waren um einiges schwerer und breiter als ihre Gegenstücke aus Canton. Hinzu kam, das sie statt eines einfachen Bajonetts am Laufende eine breite Klinge aufwiesen, die den Waffen fast das aussehen von Hellebarden oder Äxten gab.

Schwere, grüne oder schwarze Umhänge fielen der Truppe über die Schultern und in jede Rüstung schien ein anderes Wappen eingelassen zu sein, als gehörte jeder einzelne dieser Krieger am Ende zu einer anderen Abteilung.

Galren entdeckte das Symbol eines Widders, die in das Metall gestanzten Umrisse eines Kristalls und mehrere andere Zeichen.

Nur ein einziger der Männer trug kein Wappen. Dieser wurde von den anderen in die Mitte genommen, bis sie schließlich die Kante des Hafenbeckens erreicht hatten. Erst dann traten die Soldaten, wohl Leibwächter, beiseite, damit ihr Schützling vortreten konnte. Im Gegensatz zu seinen Wachen trug er keinen Helm, so das Galren sein Gesicht erkennen konnte. Was davon nicht entweder unter dunkelbraunen Haaren oder einem bis fast zur Brust reichenden, bauschigen Bart verschwand, wirkte überraschend jung. Das hieß bis auf seine Augen... Diese waren von dunkelbrauner, fast schwarzer Farbe und hatten etwas an sich, das Galren eigentlich nur mit einem sehr viel älteren Menschen in Verbindung brachte. Oder jemanden, der für seine wenigen Jahre schon zu viel gesehen hatte...

Die Stimme des Fremden klang allerdings überraschend freundlich, als er zu ihnen heraufrief. Und was Galren dann erst recht stutzig machte , war Worte zu hören, die er verstand.

,, Verzeiht falls mein auftreten euch erschreckt haben sollte.“ Er musste laut sprechen um sich verständlich zu machen. ,, Ich nehme an ihr seid über das Meer gekommen, oder ?“

Galren war einen Moment nicht in der Lage zu antworten. Das war Cantons Amtssprache, die der Mann da verwendete und auch wenn einige Worte ihm mehr schlecht als recht über die Lippen kamen, war alles klar verständlich.

,, Das sind wir und wer seid ihr ?“

,, Mein Name ist Hadrir.“ , antwortete der Mann. ,, Und ich denke mein Herr wird einiges mit euch zu besprechen haben, wenn ihr seid wofür ich euch halte. Kommt herunter, dann muss ich nicht mehr schreien und wir können uns hoffentlich in Ruhe unterhalten... Mensch. “
Das letzte Wort bestärkte Galren endgültig darin, hier keine Menschen vor sich zu haben. Allerdings... hatte er sich von dieser Vorstellung ohnehin schon verabschiedet. Blieb die Frage, was sie nun wirklich waren ?

,, Das gefällt mir nicht.“ , meinte Hedan. ,, Woher kennt dieser Mann unsere Sprache ?“

,, Genau das gilt es herauszufinden.“ , erklärte Galren. ,, Ich gehe in jedem Fall mit ihm.“

,, Dann komme ich ebenfalls mit !“   Lias und Elin sprachen fast gleichzeitig, eine stimme gewohnt fest und ruhig, die andere überschwänglich und aufgeregt. Er lachte, als die beiden ohne zu zögern an seine Seite traten.

,, Und ich werde euch ebenfalls nicht alleine gehen lassen.“ , erklärte Armell und es war wenig überraschend, als Merl ihr auf dem Fuß folgte.

Naria sagte nichts, sondern schloss sich ihnen lediglich stumm an.

,, In diesem Fall kann ich euch ja unmöglich alle auf euch selbst gestellt ziehen lassen.“ , meinte Hedan schließlich.

Armell jedoch bedeutete ihm, zu bleiben. ,, Ich denke jemand sollte an Bord bleiben um hier ein Auge auf alles zu haben. Nur für den Fall...“

Den Fall, das sie schnell weg mussten, dachte Galren, aber die junge Adelige lies ihre schlimmsten Befürchtungen unausgesprochen. Aber so weit würden sie im Zweifelsfall wohl gar nicht mehr kommen...

 

In dem Moment in dem die kleine Gruppe schließlich von der Laufplanke trat und ihren ersten Schritt auf den Boden der Stadt machten, wurden sie sofort von den bewaffneten Männern umstellt. Es gab kein Zeichen und keinen Befehl, der sie veranlasste sich in Bewegung zu setzen,. Nur eine gleichförmige Bewegung in der sich ein Ring um die Reisenden schloss. Jedoch drohte keiner der Männer ihnen und die seltsamen Feuerwaffen, welche die meisten trugen, blieben von ihnen weggerichtet. Trotzdem, die Aufforderung sie in jedem Fall zu begleiten war mehr als deutlich auch wenn sie genug Abstand einhielten, das die sechs Gefährten sich frei in ihrer Mitte bewegen konnten.

,, Wenn ihr uns folgen würdet...“ , meinte der helmlose Mann, der schon zuvor für seine Wächter gesprochen hatte. ,, Wie schon gesagt, es gibt einiges zu besprechen und mein Herr wird selten

warten gelassen.“

,, Und wer genau ist euer Herr ?“ , fragte Lias argwöhnisch, während sie sich gezwungenermaßen in Bewegung setzten.

,, Brunar Silberstein. Seines Zeichen Herrscher über Sunse und Sunri und Herr der Algar.“ Hadrirs Augen bekamen etwas hinterlistiges während er sprach.

,, Algar... Nennt ihr euch so ?“ , fragte Merl irritiert. ,, Verzeiht aber ich glaube ich weiß was ihr seid. Und dieser Name ist mir in den Bibliotheken Silberst... ich meine meiner Heimatstadt nie begegnet.“

Offenbar war ihm zu spät eingefallen, das Hadrir mit dem Namen Silberstedts sicher nichts würde anfangen können.

,, Ich denke, ein Name der euch geläufiger sein sollte, ist Zwerge. Zumindest nannte euer Volk uns einst so. Algar nenne wir uns in unserer eigenen Sprache, so wie ihr euch selber Menschen nennt.“

,, Ihr seid uns gegenüber im Vorteil.“ , stellte Galren fest. ,, In mehr als einer Hinsicht. Ihr wisst wer wir sind und offenbar woher wir kamen. Aber woher kennt ihr beispielsweise unsere Sprache ?“

,, Ihr seid nicht die ersten die hier ankamen.“ , erklärte Hadrir. ,, Und dennoch ist es fast zwei Jahrzehnte her, das eure Vorgänger es durch die Stürme schafften. Ehrlich gesagt habe ich auch keine Ahnung was aus jenen wurde, die den Rückweg antraten...“

Galren spürte wie sein Herz schneller zu schlagen begann. Hadrir sprach von seinem Vater, dachte er. Das musste er tun. Zwanzig Jahre... Das kam mehr als hin es passte sogar einfach zu gut.

,, Wer genau war hier ?“ , verlangte er zu wissen. ,, Könnt ihr euch an irgendwelche Namen erinnern, etwas... war ein Varan Lahaye darunter ?“

,, Ich...“ Hadrir wirkte zum ersten mal unsicher. ,, Hört zu, mein König kann diese Dinge bei weitem besser erklären als ich. Geduldet euch, man wird eure Fragen beantworten.

Es klang wie eine Ausrede. Eine schlechte noch dazu. Und das war ihrem Führer wohl auch mehr als bewusst. Hadrir schlug die Augen nieder, während sie ihren Weg durch die Straßen der Stadt fortsetzten. Großartig, dachte Galren. Sie waren erst wenige Momente hier und bekamen schon die ersten Lügen erzählt. Was war bloß in dieser Stadt los ?

Mittlerweile hatten sie den Hafen ein gutes Stück hinter sich gelassen und passierten eine breite Straße, die von gewaltigen Hallen aus Stein gesäumt wurde. Mauern, die wiederum prächtige Gärten anschlossen, umgaben diese Anwesen. In die grauen Granitblöcke waren erneut die Galren bereits vertrauten Runen und Symbole eingemeißelt und nun erkannte er zumindest einige der Wappen wieder, welche die Krieger trugen, die ihn, Hadrir und die anderen begleiteten. Ranken überwucherten die Außenseiten der Gebäude und hätte Galren nicht die lodernden Feuer und Lavaströme an den Berghängen gesehen, er würde nie auf die Idee kommen inmitten einer Welt aus Asche zu sein. Beinahe war es, als spräche dieser gesamte Ort dem Inferno das um ihn herum tobte Hohn.

,, Das ist gewaltig...“ , meinte Merl leise, während sie unter einem langgezogenen Steinbogen hindurchgingen, dessen einzelne Steinblöcke wohl schon so groß waren wie eine kleine Hütte. Und doch gab es scheinbar nicht einmal Mörtel oder ähnliches, der das Monument zusammenhielt. Es war, als gingen sie durch eine Höhle und das Licht wurde bereits nach wenigen Schritten völlig verschluckt.

,, Glaubt mir ihr habt noch nichts gesehen.“ Hadrirs Stimme hallte in der Finsternis, während einige seiner Krieger begannen, Laternen zu entzünden.   Im flackernden Schein der Kerzen wirkte er wieder einmal um einiges Älter, als er sein durfte. ,, Wir befinden uns momentan in Sunse, der Oststadt , die Weststadt Sunri liegt jenseits des Damms, den ihr bei eurer Ankunft sicher gesehen habt. Ich bezweifle allerdings das ihr heute noch dorthin gelangen werdet. Der Palast des Königs liegt genau in der Mitte des Damms und man wird euch sicher bereits erwarten.“

Mit diesen Worten setzten sie sich wieder in Bewegung hin zum schwachen Lichtschein am Ende des Tunnels. Es dauerte erstaunlich lange und langsam begann er sich wirklich zu Fragen, wie man so etwas überhaupt Konstruieren konnte. Allein die Menge Stein die man dafür aufwenden musste würde es erfordern, einen kleinen Berg abzutragen. Als sie schließlich wieder ins freie traten, erkannte Galren jedoch, wie recht Hgadrir mit seinen Worten gehabt hatte. Sie hatten noch nichts gesehen...

Der Gang führte hinaus auf einen großen, runden Platz, in dessen Mitte ein Mosaik aus Juwelen eingelassen war. Saphire, Rubine, Smaragde und Opale ordneten sich in Kreisen um den vielleicht größten Diamanten an, den Galren je gesehen hatte. Der Edelstein in der Krone Cantons hätte dagegen wie ein Stück Glas gewirkt und doch saß der Stein einfach mitten im freien, scheinbar nur als reines Zierwerk. Am Anderen Ende des Platzes wiederum führte eine gewaltige Treppe hinauf zu dem Damm, den sie bereits vom Meer aus gesehen hatten. Hatte das Bollwerk damals schon groß gewirkt, jetzt davor zu stehen raubte Galren den Atem. Die Stufen die dort hinauf führten waren breit genug, das Hunderte von Menschen darauf Platz gefunden hätten ohne sich im geringsten in die Quere zu kommen. Der graue , mit Glimmer durchsetzte, Stein war von einer Unzahl Füße glatt geschliffen worden und die Stufen führten in einem Bogen nach oben... hinauf auf die Mauer zwischen den beiden Zwillingsstädten. Und dort oben wartete ihr Herrsch

Kapitel 45 Der Garten auf der Mauer

 

 

 

Der Aufstieg schien eine Ewigkeit zu dauern. Mit jedem Schritt blieb die Stadt weiter unter ihnen zurück , eine gewaltige Fläche aus sich aneinanderreihenden Steinhallen, die sich vom Meer bis fast zum Beginn der Berge erstreckte. Auf der anderen Seite des Damms kam nun auch die Weststadt in Sicht, eine von einer kreisförmigen Mauer umgebene Anlage. Genau wie bei ihrer Schwesterstadt reihten sich tausende von Gebäuden aneinander, Wohnhäuser, großzügig angelegte Villen, Gärten und kleine Paläste… Doch dies alles verblasste hier oben auf dem Gipfel dieser in sich geschlossenen Welt zur Bedeutungslosigkeit.

Der Wind zerrte an Galrens Kleidern, während sie Hadrir stetig höher folgten, immer weiter die Stufen der gewundenen Treppe hinauf. Wenigstens war die Luft hier oben kühler und von der Asche befreit, die das Atmen weiter unten erschwert hatte. Neben ihnen waren noch dutzende weitere Personen unterwegs, die Treppe hinab oder hinauf und manche standen auch einfach auf den alle paar Stufen eingelassenen Vorsprüngen und sahen auf die Feuerberge oder das tiefblaue Meer hinaus.

Am Ende der Treppe befand sich ein weiterer großer Steinbogen wie der, den sie zu Beginn passiert hatten, nur war dieser nicht annähernd so gewaltig oder Höhlenartig angelegt. Stattdessen gab es jeweils zwei goldfarbene Gittertüren, die jedoch weit offen standen und einem stetigen Strom aus Zwergen hindurch ließen. Offenbar nahmen die meisten Bewohner die Brücke um zwischen den beiden Städten hin und her zu gelangen, dachte Galren, als die kleine Gruppe erneut in der Finsternis verschwand. Diesmal brauchten Hadrirs Leute jedoch keine Laternen zu entzünden. Fahles Licht fiel alle paar Schritte durch einen in die Seitenwände des Tores eingelassenen Schacht und erlaubte es so, sich ohne Probleme zu orientieren. Die Luft hier war überraschend feucht und Galren meinte sogar, das Plätschern von Wasser in der Ferne zu hören, etwas, das gar nicht zu der verwüsteten Landschaft um sie herum zu passen schien.

Als sie dieses Mal zurück ins Licht traten, fand Galren jedoch die Quelle des Geräuschs. Sie hatten den Kamm des Walls erreicht. Dieser jedoch bestand nicht wie Galren vermutet hätte aus nackte Stein wie bei einer Festungsmauer. Stattdessen zog sich vom Tor das sie grade passiert hatten bis zum nur schemenhaft erkennbaren Bogen am anderen Ende ein Garten. Und doch kam Galren dieses Wort zu schwach vor. Von Tor zu Tor zog sich ein mit schwarzem Sand ausgefüllter Weg, breit genug das sich der stetige Zustrom an Besuchern ohne Probleme bewegen konnte. Abseits davon erstreckten sich Beete mit Blumen, zwischen denen, so unglaublich es auch wirkte, Wasserspiele in allen Formen plätscherten. Künstliche Bachläufe durchzogen die Parkanlage in allen Richtungen und stürzten als Wasserfälle an der Rückseite des Damms hinab. Und hinter den Beeten und künstlichen Wasserströmen erhob sich schließlich ein dichtes Spalier von Bäumen, so dicht, das man nicht länger über den Rand der Mauer hinweg sehen konnte. Hätte Galren nicht gewusst, wo er sich befand er hätte eher vermutet durch einen Wald zu gehen, statt sich in luftiger Höhe zu befinden. Alles an diesem Ort leugnete das Inferno, das ihn umgab… es schien so absolut unmöglich so unwirtlich…

,, Wie erhaltet ihr das bloß alles ?“ , fragte Merl und sprach damit seine Gedanken aus. Der junge Zauberer beugte sich über einen der Bäche und schöpfte Wasser mit einer Hand, als wollte er sich überzeugen, dass es real war. ,, Ich meine, ich habe hier bisher weder Seen noch Flüsse gesehen. Sammelt ihr Regenwasser?“

Hadrir lachte. ,,So weit ich mich zurück erinnern kann, hat es weder in Sunri noch in Sunse noch irgendwo auf dem Kontinent jemals geregnet. Höchstens wenn sich eines unserer Fischerboote einmal zu weit raus wagt bis an die Sturmfronten, bekommen sie mal einen Schauer ab.“

,, Diese Stürme die wir auf dem Weg hierher passiert haben sind also… immer da ?“ , fragte Armell.

,, So weit sich jeder hier zurück erinnern kann, ja. Aber wie gesagt mein König kann dies alles besser erklären.“ Dieses Mal glaubte Galren ihm sogar. Nur noch ein Grund um wegen seiner vorherigen Lüge misstrauisch zu sein. Auch wenn er es nicht wollte, er spürte einfach, dass hier etwas nicht stimmte. Und das hatte ausnahmsweise einmal nichts mit seiner Begabung zu tun. Es war die Art auf die die Leute sie ansahen, je weiter sie nach Westen kamen. Wie sie stehenbleiben und sie musterten, nicht mehr bloß neugierig sondern auch feindselig, misstrauisch.

,, Woher nehmt ihr das Wasser dann ?“ , wollte er wissen um das Gespräch wieder aufzunehmen.

,, Nun es gibt eine ganze Reihe von Höhlen unter der Stadt.“ , erklärte der Zwerg. ,, Die meisten davon wurden schon bei Gründung der Stadt entdeckt und mittlerweile gibt es eine ganze Reihe an Pumpen und Mechanismen, die es aus dem Stein nach oben bringen. Ich bezweifle allerdings, dass ihr sie sehen werdet. Die meisten der Maschinen befinden sich tief unter den Städten und es ist Jahre her, das das letzte Mal jemand anderes als ein Mechaniker dort hinab wagte. Und selbst diese tuen dies nur ungern alleine. Es ist das reinste Labyrinth… und auch sonst kein angenehmer Ort. Ich glaube selbst der Prophet hat sich noch nicht dort hinab gewagt. Und das will etwas heißen…“

Prophet ? Erneut erhielt Galren für jede vermeintliche Antwort nur neue Fragen. Wovon sprach der Zwerg jetzt wieder? Doch für Hadrir schien das Gespräch beendet und er beschleunigte seine Schritte wieder, als hätte er es jetzt eilig, endlich sein Ziel zu erreichen. Vor ihnen erhoben sich nun die ersten Umrisse des Palasts über die Bäume. Erneut hatte Galren die Größe des Bauwerks von der See aus maßlos unterschätzt. Ein Teil von ihm fühlte sich an die Ruinen der Erdwacht erinnert, auch wenn die Festung neben diesem Palast wohl klein gewirkt hätte. Die Grundform war ein Rechteck, das nach oben leicht winklig zu einem gewölbten Dach zulief. Die Ecken des Bauwerks wurden von mit Steinmetzarbeiten verzierten Säulen markiert, die aus einem einzigen Stück Stein geschlagen worden sein mussten. Höher als die meisten Bäume und so breit, das sie sich wohl alle Schulter an Schulter darum hätten Stellen können. Und doch waren sie der am wenigsten beeindruckende Teil der Palastanlage. Mit Silber und Blattgold ausgelegte Runen zogen sich an der gesamten Außenseite des Bauwerks herab und wurden nur von Fenstern und dem Tor unterbrochen. Dieses bestand aus zwei massiven Steinflügeln, genauso wie die Sälen offenbar aus einem Stück gefertigt. Doch wie die Architekten des Palastes es fertig gebracht hatten, sie an Ort und Stelle zu setzen, wollte er sich nicht einmal vorstellen. Gegen das was er innerhalb weniger Augenblicke in dieser Stadt gesehen hatte, verblasste die Brücke an der Erdwacht zu Bedeutungslosigkeit. Das ganze musste für einen Zwergenarchitekten mehr eine Fingerübung gewesen sein…

Der Stein des Tores selbst war mit Bildhaften Darstellungen in Blattgold überzogen und zum ersten Mal musste Galren sich nicht fragen, was die Symbole darunter zu bedeuten hatten. Es war eine Geschichte…. Und sie begann mit dem Bild hunderter Schiffe, die sich ihren Weg über ein aufgewühltes Meer suchten, die Sonne in ihrem Rücken. Das nächste Bild zeigte die gleichen Schiffe, allerdings dieses Mal am Ufer einer Küste, die er wiedererkannte. Dünne, feine Linien aus Silber und Rotgold zeichneten Lavaströme und Rauch, der von den Gebirgsketten jeweils der unwirtlichen Küste aufstiegen. Die nächsten zwei Bilder zeigten, wie die ersten Seefahrer ihre Lager am Strand aufschlugen und   damit begannen, das Land zu erforschen und in den darauf folgenden Zeichnungen sah man langsam , wie Häuser und Gebäude Gestalt annahmen, bis schließlich das unterste, siebte Bild genau das zeigte, was Galren und die anderen bei ihrer Ankunft hier gesehen hatten. Die beiden Städte und den Damm in ihrer Mitte…

,, Ist das die Geschichte eures Volkes ?“ , fragte er Hadrir, der es offenbar nicht eilig hatte, das Tor zu öffnen.

Der Zwerg nickte. ,, Zumindest der Teil, der noch wichtig für uns ist. Wir verließen unsere alte Heimat vor sehr langer Zeit, falls die Menschen das noch nicht vergessen haben.“

,, Haben wir nicht.“ , antwortete Armell. ,, Nur weiß keiner mehr wieso ihr gingt.“

Bevor Hadrir darauf antworten konnte, schwang das Tor schließlich wie auf ein stummes Zeichen hin auf. Galren konnte das klicken von Zahnrädern hören, als sich die massiven Steinflügel scheinbar mühelos in Bewegung setzten. Bronzene Torangeln, so stark wie Bäume kamen in Bewegung und die auf den Toren eingelassenen Bilder teilten sich.

,, Folgt mir.“ , meinte ihr Führer , als hätte er Armells Worte bereits wieder vergessen. Ohne darauf zu achten ob sie auch wirklich mitkamen trat er durch das offene Tor. Seine Wächter blieben mit ihnen zurück, einen Halbkreis vor dem Eingang formend. Nach wie vor hatten sie nicht wirklich eine Wahl, dachte Galren. Und er konnte auch nicht umkehren, selbst wenn er keine bewaffneten Soldaten im Nacken hätte. Nicht wenn er ein paar Antworten wollte.

Hadrir folgend, betraten sie schließlich eine große Eingangshalle. Vier Säulenreihen durchzogen den Raum in einem kreuzförmigen Muster. Dazwischen dämpften schwere Teppiche ihre Schritte und in den so entstehenden Ecken des Raumes konnte Galren weitere kleine Gärten erkennen. Über ihnen hob sich die Decke bis zum Rippengewölbe des Daches und durch mehrere Fenster fiel Licht hinab auf die wuchernden Pflanzen. Statt künstlicher Wasserläufe rannen hier kleine Wasserfälle von den Wänden herab und versickerten in der Erde. Farne, Sumpfblumen und Moose schimmerten, von falschem Tau überzogen, im Sonnenschein. Trotz des schleichenden Misstrauen, das sich seiner Bemächtigt hatte, seit sie hier angekommen waren, Galren konnte seine Bewunderung für die Schönheit, die ihre Gastgeber an diesem Ort aus nichts erschaffen hatten, nicht verbergen.

Hadrir führte sie einmal quer durch die Halle bis zu einer Tür am anderen Ende, vor der zwei Zwerge Wache hielten, beide in der gleichen Panzerung wie er und erneut mit unterschiedlichen Wappen auf ihren Rüstungen. Nach wie vor hatte Galren keine Ahnung was das zu bedeuten hatte, aber die beiden Männer machten ohne ein Wort Platz, sobald sie Hadrir erkannten und öffneten die Türen für sie.

Der nächste Saal war nicht so hoch angelegt wie der erste. Der Boden hier bestand aus großen Fliesen, die aus groben Stein gefertigt waren und auch die Säulen, die die Decke trugen wirkten nicht mehr ganz so kunstvoll. Hier wirkte alles irgendwie… urtümlicher, gewaltiger. Ihre Schritte hallten von den nur unzureichend glatt geschliffenen Steinwänden wieder. Es war beinahe, als befänden sie sich nun wirklich in einer Höhle. Dutzende von Fackeln erhellten den Raum und die aus Jade geschliffenen Halterungen bekamen durch die unsteten Flammen einen unheimlichen Schimmer. Je weiter sie in den Raum traten, desto mehr Licht gab es und auch ihre Umgebung veränderte sich zunehmend. Die groben Wände machten poliertem Granit Platz und die Bodenplatten wurden durch geschliffene Achatscheiben ersetzte, die alle nur erdenklichen Farbtöne aufwiesen. Doch waren die Edelsteine nicht wahllos gesetzt worden, wie Galren bemerkte. Man hatte damit begonnen dunklere Farbtöne von Grün und violett bis zu Schwarz an den Rändern der Halle zu verlegen, während sich in der Mitte ein Pfad aus himmelblauen und gelben Kristallen befand. Ein Weg, der hin zu einem Podest aus Granit führte, auf dem sich das bisher vielleicht erstaunlichste Kunstwerk befand, das Galren gesehen hatte. Es war ein Thron aus violettem Kristall. Gefertigt war er aus einer Amethystdruse leicht so hoch wie ein Haus und die unbeschädigte, von ihnen abgewendete, Hälfte der Gesteinshülle spannte sich wie ein Dach darüber. Die feineren, nicht bearbeiteten Kristalle im inneren formten einen nahezu perfekten Kreis um den Sitz, der offenbar aus drei oder vier gewaltigen Kristallspitzen geschnitten worden war. Weiße und violette Adern zogen sich durch den Stein. Darauf schließlich saß der wohl älteste Zwerg, den Galren bisher gesehen hatte. Alleine der Blick aus seinen dunklen Augen reichte, um ein Gefühl der Ehrfurcht bei ihm zu erzeugen. Was er bei Hadrir gesehen und für Alter gehalten hatte… es war nichts gegen die bloße Ausstrahlung dieses Mannes. Er trug eine rote Weste, die mit goldenen Nähten durchwirkt war und einen langen Mantel aus schwarzem Samt, der über den Thron bis vor seine Füße fiel. Ein langer, ebenfalls mit Gold durchwirkter, Bart fiel ihm bis auf die Brust und auf seiner Stirn saß eine Krone, die wohl fast so viel wiegen musste, wie die gesamte Rüstung Hadrirs. Gold und Silber fügten sich darauf zu filigranen Figuren zusammen, Umrisse von Zwergen, die Juwelen in den Händen hielten, über wasserklare Diamanten bis hin zu schwarzem Opalen. Der König der Zwerge hatte noch kein Wort gesprochen. Und doch schien alleine seine Haltung und sein Blick mehr über ihn zu verraten, als Galren je wissen wollte. Was der Kaiser an Sanftheit zu viel haben mochte… das fehlte diesem Mann ganz entschieden…

Kapitel 46 Der König der Zwerge

 

 

 

,, Herr…“ Hadrir war bis vor das Podest vorgetreten und verbeugte sich vor dem Mann auf dem Kristallthron. Dieser sah nur wortlos auf den  Mann hinab. Mit einer Geste bedeutete er ihm schließlich, sich wieder zu erheben. ,, Ich bringe euch hier die Fremden, die heute bei uns ankamen. Ich denke, es obliegt euch mit ihnen zu besprechen, was es zu besprechen gibt Im Gegenzug darf ich euch mit seiner Majestät Brunar Silberstein bekannt machen. Herrscher und König der Zwerge und dieser Stadt. Wenn ihr euch nun vorstellen könntet…“

,, Ich bin Armell D'Ambois.“ , erklärte Armell. ,, Herrin von Freybreak und ich kann von mir behaupten diese Expedition anzuführen… König.“

,, Zauberer Merl aus Silberstedt.“ , stellte der junge Magier sich als nächstes vor.

,, Naria von Maras.“

,, Lias, Paladin Helikes.“ , war nun der Schwertmeister an der Reihe und als Galren nichts sagte, stellte sich schließlich auch noch Elin vor, auch wenn sie nur ihren Namen nannte.

Galren seinerseits beobachtete den König die ganze Zeit genau. Keiner der Namen hatte es geschafft, bei ihm irgendeine Regung auszulösen. Mit starrem, vielleicht sogar gelangweiltem, Blick musterte er die Gruppe vor sich. Aber noch musste Galren sich vorstellen und langsam aber sicher war er es Leid um das Thema herumzuschleichen.

,, Mein Name ist Galren Lahaye.“ , erklärte er schließlich, laut genug, das seine Worte von den Wänden des Saals wiederhallten. ,, ich denke ihr kennt ihn bereits, den ich bin hier, weil ich meinen Vater suche. Varan Lahaye.  Ich weiß bereits, dass vor zwei Jahrzehnten  jemand vor uns hier ankam. Was mich interessiert ist, was mit ihnen geschehen ist.“

Der König erwiderte nichts, aber zum ersten Mal bekam seine starre Mine Risse. Sein Blick wanderte zu Hadrir, der sofort die Augen niederschlug und ein Stück vom Thron zurück trat. Offenbar hatte er schon zu viel verraten, als er die anderen Fremden erwähnte… Aber das war nicht seine Schuld, dachte Galren. Und es hätte schon gar nicht etwas geändert.

,, Falls ihr darüber nachdenken solltet, Hadrir hier zu bestrafen solltet ihr euch vielleicht klar machen, das ich diese Frage ohnehin gestellt hätte. Ich weiß, dass er es hierher geschafft hat. Und ich weiß, das sein Schiff später in meiner Heimat angespült wurde. Was ich nicht weiß ist, was mit ihm geschah. Also bitte… es geht mir nur darum endlich einen Schlussstrich ziehen zu können, eure Majestät. Weder habe ich vor eurem Volk zu Schaden noch einer meiner Gefährten. Aber ich werde auch nicht mit leeren Händen gehen.“

Stille senkte sich erneut über die Halle und Hadrir sah ihn einen Moment mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Unsicherheit an. Als der König schließlich sprach, war seine Stimme barsch und er kurz angebunden.

,, Ja ich weiß von wem ihr sprecht. Varan Lahaye war hier… aber ich fürchte ihr kommt zu spät. Euer Vater verließ uns bereits vor vielen Monden wieder. Es tut mir leid, das eure Reise umsonst war.“

Nein, dachte er, das tat es nicht. Und trotzdem bekam die Stimme des Mannes gegen Ende etwas Mitfühlendes. Etwas, das Galren nicht von ihm erwartet hatte. ,, Ich weiß durchaus welche Strapazen man auf sich nehmen muss um die Stürme zu überwinden. Sagt mir… wie habt ihr das fertig gebracht?“

,, Nun… ich wusste einfach was nötig war um uns hindurchzubringen… schätze ich.“

Zum ersten Mal huschte der Anflug eines Lächelns über Brunars Mine, als hätte er mit dieser Antwort gerechnet. ,, Ich erinnere mich, das euer Vater genau so war, Junge. Er nannte es glaube ich… Wegfindung.“

Wegfindung… Es schien zu passen, dachte Galren und irgendwie… es war seltsam dem ganzen endlich einen Namen geben zu können. Seltsam, aber erleichternd. Es änderte nichts. Aber es waren gleichzeitig die ersten Worte seines Vaters, die ihn seit zwanzig Jahren erreichten wenn auch über Umwege. Er wusste immer, dass sein Vater die gleiche Begabung gehabt hatte. Und doch hatte er ihm nie viel darüber verraten. Das war immerhin etwas… und doch so wenig, das Galren seine Enttäuschung nicht ganz verbergen konnte.

,, Verzeiht, aber diese Stürme… Hadrir meinte eben sie wären immer da?“ Merl hatte die Arme in den Ärmeln seiner Robe verschränkt und blinzelte Neugierig zum König herauf.

,, Zumindest solange mein Volk sich zurück erinnern kann. Sie haben sich erst nach unserer Ankunft hier gebildet, aber seitdem sind sie beständig stärker geworden. Viele haben schon versucht, hindurch zu gelangen aber die wenigsten hatten Erfolg.“

,, Aber woher kommen sie ? ich meine… ich habe keinerlei Magie gespürt als wir hindurch sind… oder vielleicht war ich zu beschäftigt damit am Leben zu bleiben.“ , murmelte Merl. ,, Naria ?“
,, Nein.“ , antwortete die Gejarn ruhig. ,, Da war nichts.“
,, Die Natur kann überraschend mächtig sein.“ , meinte Lias ,, Nicht alles ist Magie.“

,, Das leugne ich auch gar nicht, aber ein Sturm der Ewigkeiten  anhält ?“ , fragte Merl. ,, Die Zwerge traten ihre Reise vor  mehreren Jahrhunderten an…“

,, Ich bezweifle, das ihr eine Antwort findet werdet.“ , meinte der König kalt. ,, Und wenn ich euch eine Empfehlung geben darf, dann würde ich an eurer Stelle dorthin zurückkehren wo ihr herkamt. Und zwar so schnell wie möglich. Nehmt dies nicht als Drohung… sondern als gut gemeinten Ratschlag. Es gibt Kräfte in dieser Stadt die Fremden gegenüber alles andere als Nachsichtig sein werden.“

Wollte der König ihnen das jetzt wirklich als Nachstich verkaufen? Galren hatte langsam genug von der Art des Mannes. Warum bloß schien er sie so schnell wie möglich wieder loswerden zu wollen? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er Zeit gewinnen musste. Wenn es hier Antworten gab, dachte Galren würde er sie offenbar selber suchen müssen.

,, Ich fürchte, das wird nicht so einfach sein.“ , erklärte er und genau genommen log er damit nicht einmal. ,, Bevor wir nicht unser Schiff repariert haben, werden wir leider hier bleiben müssen. Ich schätze würden wir so versuchen euch zu verlassen, würden wir kentern bevor wir die Hafenausfahrt erreichen. Dann säßen wir endgültig hier fest, Herr.“

Der König musterte ihn einen Moment aus seinen seltsamen Augen, die um so vieles älter zu sein schienen als der Rest seines Körpers. ,, In diesem Fall stelle ich euch alle Handwerker und alles an Material zur Seite, das ihr braucht. Je eher ihr euer Schiff wieder seetauglich macht, desto besser. Und Hadrir hier wird euch dabei so gut es geht unterstützen… wo er scheinbar so gerne mit euch Plaudert.“

Der junge Zwerg verbeugte sich lediglich kurz und scheinbar war die Audienz damit auch beendet. Der König bedeutete dem Mann lediglich, sie aus der Halle zu führen und Galren folgte der Aufforderung schließlich wiederwillig. Götter, das hier war so weit von allem entfernt, das er sich vorgestellt hatte…  Er wurde langsam, als sie sich schließlich der Tür näherten, die aus dem Thronsaal zurück in die Vorhalle führte.

,, Eine Frage müsst ihr mir noch beantworten bevor ich gehe.“ , erklärte er und drehte sich erneut zu Brunar um. ,, Mein Vater war hier… sagt mir hatte er einen Zauberer mit sich ?“

,, Nein. Und ich weiß auch nicht was das…“

,, Gibt es unter eurem Volk Magier ?“

Der König runzelte die Stirn. ,, Nein. Wir wissen zwar davon, aber seit Jahrhunderten ist keiner mit der entsprechenden Begabung geboren. Warum interessiert euch das?“

,, Oh… ich war nur Neugierig.“ , meinte Galren als er schließlich weiterging. In Wahrheit wusste er nun, das der König ihn erneut angelogen haben musste. Irgendjemand in dieser Stadt oder in der Crew seines Vaters musste über Magie verfügen. Den wer hatte sonst die Karte versiegelt und ihm zukommen lassen? Blieb nur noch die Frage worüber genau der König log…

Den ganzen Weg durch die Halle hindurch spürte er den Blick des alten Königs im Nacken. Brunar Silberstein saß lediglich wie selber zu Kristall erstarrt auf seinem Amnethystthron und was Galren nicht mehr sah, war wie das angespannte Gesicht einer erschöpften und besorgten Mine wich.

,, Ich hoffe für uns alle, das ihr wisst, was gut für euch ist.“ , murmelte er und es klang überraschend mitfühlend.

 

,, Dieser Kerl…“ , meinte Armell, als sie schließlich die Vorhalle betraten. ,, Sagt mir bitte , das nicht alle eures Volkes so arrogant sind ?“

Hadrir zögerte mit einer Antwort. Der junge Zwerg war stehen geblieben, nachdem die Türen zum Thronsaal wieder hinter ihnen geschlossen worden waren. Nachdenklich schlug er seinen grünen Umhang zurück unter dem der Griff eines Kriegshammers und eines Kurzschwert aufblitzten.

,, Es tut mir wirklich leid.“ , meinte er schließlich. ,, Unsere Gastfreundschaft hat in den letzten Jahren etwas gelitten, fürchte ich. Und Verzeiht, aber ich fürchte mehr werdet ihr nicht bekommen…“

,, Wir können nicht nach mehr fragen.“ , meinte Lias beschwichtigend. Offenbar war es Hadrir regelrecht peinlich, wie der König sie hatte abblitzen lassen. Und doch offenbar war er nicht betreten genug um ihnen mehr zu erzählen, falls er etwas wusste.

,, Euch mag das so vorkommen, Gejarn… Lias, oder ?

Lias nickte. ,, Es erstaunt mich, das sich bisher niemand über uns gewundert hat.“

,, Nun so lange haben wir Canton nicht hinter uns gelassen, das wir vergessen hätten, wer dort lebt. Eigentlich ist es gar nicht so lange her. Aber wie gesagt, ich fürchte, uns fehlt es heutzutage an Manieren, junger Lahaye. Als euer Vater hier ankam haben wir noch Feste gefeiert. Seitdem hat sich in dieser Stadt viel verändert, belassen wir es dabei…“

,, Warum ?“ , wollte Elin wissen. ,, Ich meine habt ihr alle Angst vor uns ?“
,, Ich fürchte, die meisten haben eher Angst davor, das der Prophet eure Ankunft ausnutzen könnte…“

,, Wer ist das überhaupt ? Ihr habt ihn jetzt schon ein paar Mal erwähnt…“ , stellte Naria fest.
,, Nun, wenn ich das so genau wüsste… Er isoliert sich normalerweise so weit es geht, ich glaube seit Jahren hat ihn kaum einer in den Straßen der Stadt gesehen. Aber wenn ihr länger hier bleibt lernt ihr ihn ja vielleicht noch kennen. Ich hoffe allerdings, das dem nicht so ist…“
,, Und würdet ihr mir auch erklären wieso ? Wenn ihr mir keinen guten Grund nennen könnte vielleicht sollte ich ihn dann erst recht aufsuchen. Vielleicht ist er ja verständiger als euer König.“

Hadrir schlug getroffen die Augen nieder. ,, Glaubt mir, er kann euch nicht helfen. Im Gegenteil. Sagen wir einfach zwischen ihm und dem König gibt es… gewisse Spannungen und eure Ankunft wird sie fürchte ich nur vergrößern. Vielleicht ist es sogar der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt… Aber davon sollten wir nicht hier sprechen.“ Er nickte in Richtung der zwei Wachen, die vor der Tür zum Thronsaal standen. ,, Morgen früh können wir uns treffen, dann kann ich euch vielleicht mehr erzählen. Und die Stadt zeigen falls ihr das wünscht. Unsere Gastfreundschaft mag nicht mehr sein, was sie einmal war, aber ich kann zumindest versuchen, die Traditionen hoch zu halten.“

Er lächelte und es war vielleicht die erste Aufrichtige Emotion die Galren sah, seit sie den Palast betreten hatten. Hadrir stand auf ihrer Seite, so seltsam es schien.

,, Gerne.“ , meinte er. ,, Und ich glaube jetzt ist es an mir um Verzeihung zu bitten. Das eben… war nicht gegen euch gerichtet, Hadrir.“ Galren reichte dem Mann eine Hand und nach kurzem Zögern ergriff dieser sie. ,, Aber wie zuvor, eine Frage hätte ich noch, damit ich heute etwas ruhiger schlafen kann.“

,, Und die wäre ?“

,, Was hat es eigentlich mit den ganzen Runen auf den Gebäuden hier auf sich ? Ich meine der Palast ist praktisch überzogen damit…“

,, Und trotzdem reicht der Platz fast nicht.“ , meinte Hadrir grinsend als wäre es ein Witz. ,, Diese Runen erzähle die Geschichten der Familien , denen die Gebäude gehören,  bei den meiste beinhalten sie nur die Taten der wichtigsten Ahnen aber der Palast hier listet die Geschichte jedes einzelnen Königs der Zwerge bis in die ferne Vergangenheit auf. Jedes Haus hier hat seine Geschichte und vor allem die Adelshäuser schmücken sie gerne etwas aus. Aber dazu später mehr… ich kann euch zum Dock zurückbringen falls ihr es wünscht. Und ich bin mir sicher es wird sich ein Gasthaus finden, das euch aufnimmt…“

 

 

Kapitel 47 Abend

 

 

 

Als sich die Nacht über die beiden Städte senkte, loderten dutzende von Laternen in den Straßen auf. Es gab niemanden, der sie entzündete, das Öl flammte lediglich wie auf ein magisches Zeichen hin auf und erhellte die dunkler werdenden Gassen der Oststadt Sunse. Sunri war nur ein Schemen aus grauen Mauern und Häusern in der Ferne, aber wenn Hadrir sein Versprechen hielt, würden sie Morgen vielleicht dorthin gelangen.

Trotz allem konnte Galren sich der eigenen Schönheit dieses Ortes nicht entziehen. Selbst die gewaltigen Paläste und der Damm, der sich nun als dunkler, kaum ausgeleuchteter Schatten abhob, hatten eine Anmut, die gar nicht zu ihren monumentalen Ausmaßen passen wollte.  Das kurze Gespräch nach dem Ende der Audienz hatte Galren wieder etwas versöhnt. Mochte sein, das man sie hier nicht willkommen hieß, aber nicht alle waren gegen sie. Und er hatte nach wie vor einen guten Grund hier zu sein.  Wenn die Abweisende Art des König ihn nicht überzeugt hätte, das er etwas zu verbergen hatte, dann sicherlich die Lügen, die er bemerkt hatte… Aber was auch immer hier vor sich ging, es würde sich kaum heute Nacht aufklären , dachte er , während er an der Reling der Immwerind lehnte. Nach ihrem Treffen mit dem König  waren sie fürs erste zum Schiff zurück gekehrt um Hedan zu informieren und  ihre Sachen zu holen und während Merl, Armell und Naria bereits um Gasthaus vorausgegangen waren, war er zurückgeblieben und betrachtete die schlafende Stadt. Müde war er kaum, auch wenn die Aussicht nach all den Wochen wieder in einem richtigen Bett zu liegen etwas Verlockendes hatte.

Eine Bewegung riss ihn schließlich aus seinen Gedanken und mit kaum hörbaren Flügelschlägen landete eine schwarze Krähe direkt vor ihm auf dem Geländer. Einen Moment war er sich nicht sicher…

,, Sentine ? Was machst du denn hier?“ Er streckte eine Hand aus, doch bevor er das Gefieder berühren konnte, hackte der Vogel nach ihm und er schaffte es grade noch dem Schnabel zu entgehen. Im gleichen Moment flatterte Sentien auch wieder davon und verschwand irgendwo in der Takelage des Schiffs. ,, Verrücktes Vieh…“

,, Hat man euch nie beigebracht, das man keine Tiere ärgert ?“ , fragte eine belustigt klingende Stimme hinter ihm.  Elin und Lias kamen grade die Treppe  zum Unterdeck herauf jeder einen schweren Seesack über der Schulter. Doch wo der Löw das Gewicht mit Leichtigkeit trug, wankte die kleinere Gejarn einen Moment unter der Last auf ihren Schultern. Trotzdem bedachte sie Galren mit einem breiten Lächeln.

,, Ich habe sie nicht geärgert.“ , erklärte er düster. ,, Ich glaube beinahe sie ist wegen irgendetwas… schlecht drauf.“

,, Nach heute kein Wunder.“ , meinte Lias und setzte sein Paket ab, bevor er zu ihm an die Reling trat. Er schien auch nicht besser gelaunt zu sein als der Vogel. Dieser saß mittlerweile oben auf einem der Schiffsmasten und beobachtete sowohl sie als auch die Stadt mit den Augen einer Eule. ,,  Ich schätze, dass ist nicht ganz was du dir erhofft hast, oder ?“

,, Nein.“  Galren schnippte einen Holzsplitter vom Geländer ins Wasser. ,, Ehrlich gesagt ich weiß nicht einmal, wie ich mich bei der ganzen Sache fühlen soll, Lias. Enttäuscht, vielleicht.  Mit jeder Antwort, die ich bekomme werfen sich nur neue Fragen auf. Und ich bezweifle, dass es einfach wird  ein Paar davon zu beantworten.“

Mittlerweile war Sentine wieder von ihrem Aussichtspunkt herabgesegelt und hatte sich auf Elins ausgestrecktem Arm niedergelassen. Innerhalb eines Herzschlags wurde aus der Eule eine Maus, die sich offenbar bereits wieder weniger aggressiv, auf der Schulter der Luchsin niederlies. Mutig, dachte Galren, ausgerechnet vor einer großen Katze so eine Form anzunehmen.

,, Mein Vater hat immer gesagt, es könnte schlimmer kommen.“ , erklärte Elin derweil. ,, Ich weiß es hilft euch nicht, aber… ich denke das ist das einzig positive hier dran.“

,, Es könnte schlimmer sein ?“ , fragte Galen und zwang sich zu einem kurzen Lächeln.

,, Genau das.“

,, Ich hoffe wirklich, das uns erspart bleibt herauszufinden, wie viel schlimmer.“ Lias Blick ging auf die Stadt hinaus, bevor er sich wieder abwendete und zwei schwere Stäbe aus seinem Gepäck zog.

,, Du hast  nicht wirklich vor die alten Übungswaffen noch mit dir  herum zu schleppen, oder ?“ , fragte Galren.

,, Nicht unbedingt.“ Er warf ihm einen der Stäbe zu. ,, Wie sieht es aus ? Wagst du eine Runde?  Du hast dich bisher ganz gut gemacht, aber glaub nicht das ich deswegen Nachsichtiger wäre…“

Es würde ihn zumindest ablenken, dachte Galren. Warum also nicht…

,, Sicher ,das du nicht nur zweigen willst, das du nach deinem Patt mit Naria noch immer gewinnen kannst ?“

,, Das werde ich dir schon beweisen…“ , erwiderte der Gejarn, während sie von der Reling zurücktraten.

Elin schüttelte lediglich den Kopf und ob ihr Bündel wieder auf. ,, Wenn es euch nichts ausmacht, mache ich mich auf den Weg.“

,, Aber passt auf euch auf.“ , erwiderte Lias. ,, Der König wird nicht der einzige sein, der uns alles andere als willkommen heißt.“

,, Sie geht doch ohnehin fast als Zwerg durch.“ , meinte die Stimme des Kapitäns, der in diesem Moment aus der Kajüte trat. ,, Während ihr das Vergnügen hattet euch die Stadt anzusehen habe ich mir mit der Crew das Schiff vorgenommen. Die Schäden sind nicht so schlimm wie Gedacht, aber wenn wir die Rückreise schaffen wollten… Eine Woche brauchen wir wohl mindestens, bis es wieder losgehen kann.“

,, Macht zwei daraus.“ Galren stützte den Kampfstab auf eine Schulter. ,, Es mag euch sinnlos erscheinen, aber ich will wenigstens etwas Zeit gewinnen, Hedan.“

Doch zu seiner Überraschung nickte der Kapitän nur, anstatt zu diskutieren. ,, Die Crew wird eine Pause nötig haben.“ , erklärte er grinsend. ,, Die gönne ich ihr. Und ihr, tut was immer ihr tun wollt. Vielleicht kann ich auch ein paar kleine Problem, nun,  erfinden. Wisst ihr wenn der König uns schon Material stellen will kann ich es auch nutzen.  Ich denke die gesamten Planken auf dem Unterdeck können erneuert werden.“

,, Mir gefällt die Vorstellung nicht sie derart anzulügen.“ , meinte Elin unsicher.

,, Sagt die Diebin.“ , stichelte Hedan. ,, Es heißt  das oder mit leeren Händen abziehen. Ich bezweifle das der König uns länger als nötig dulden wird. Und es ist ja nicht mal eine Lüge. Die Planken könnten wirklich erneuert werden. Nur muss ich ihnen ja nicht sagen, dass das auch Zeit hätte.“

,, Wie dem auch sei… wir sehen uns morgen ?“ , fragte Elin

Galren nickte. ,, Und tut mir einen gefallen und verlauft euch nicht.“ Oder besser, seht euch nicht gleich die ganze Stadt auf eigene Faust an, dachte er. Er mochte Elin, aber er würde ungern erklären müssen, wieso einer der ihren Nachts die Stadt unsicher machte. Und das, traute er ihr durchaus zu…

Einen Moment sah Galren ihr nach, bevor die Dunkelheit sie verschluckte. Lias ersten Schlag bemerkte er deshalb fast nicht. Aber auch nur fast. Aus den Augenwinkeln nahm er die Bewegung war und wirbelte herum um den Schlag zu parieren. Sofort spürte Galren wie seine Fragen und Gedanken in den Hintergrund rückten. Für den Moment zählte nur das jetzt. Und das Lias ihn nicht wie einen Anfänger verdrosch weil er ihn auf dem falschen Fuß erwischt hatte. Die Zeiten wo der Gejarn ihm haushoch überlegen war, waren lange vorbei. Aber er war auch weit davon entfernt es völlig mit ihm aufnehmen zu können…

Hedan brachte sich eilig in Sicherheit, als die beiden sich ihren Weg über das Deck kämpften, keiner bereit, dem anderen einen Vorteil zu lassen. Mehrmals traf Lias ihn am Arm, dafür jedoch konnte er dem Gejarn mehrmals fast am Hals treffen. Sie hatten eine einfache Regel aufgestellt: Der Kampf endete erst, wenn einer von ihnen auch einen potentiell tödlichen Treffer anbrachte. Und das konnte mittlerweile dauern…

,, Ihr lasst euch zu leicht ablenken.“ , meinte Lias, während Galren einen weiteren Hieb nur knapp parierte. Doch diesmal hatte der Gejarn einen Fehler gemacht und blitzschnell stieß er die Waffe seines Gegners beiseite und setzte nach. Lias konnte sich nur noch dadurch retten, dass er an Boden verlor und in Richtung Schiffsreling zurück wich.

,, Mir scheint ich bin nichtderjenige, der hier abgelenkt ist.“

Lias grinste. ,, Und vielleicht will ich dich in Sicherheit wiegen.“  Er machte einen Satz nach vorne und trieb Galren mit einem Hagel aus präzisen Schlägen wieder zu ihrer Ausgangsposition in der Mitte des Decks. ,, Seit wir hier sind bist du so angespannt das ich dich kaum wiedererkenne.“

Er ließ die Waffe sinken und Galren tat es ihm gleich.

,, Das ist die erste echte  Spur meines Vaters  seit der Karte.“ , erklärte er. ,, Und ich weiß, dass dieser König, Brunar, irgendetwas zu verbergen hat. Er hat gelogen, Lias.“

,, Im Bezug worauf ?“ Ohne Vorwarnung ging der Gejarn wieder zum Angriff über und sie setzten ihren Kampf fort.

,, Was meinen Vater angeht. Er meinte er hätte keine Zauberer dabei gehabt und das es hier keine gäbe. Das kann aber nicht sein. Jemand hat diesen Brief mit einem Siegel versehen. Und zwar einem Siegel, das selbst der Orden nicht brechen konnte. Also…“

,, Also sollten wir herausfinden, wer das war.“ , schloss Lias. ,, Erfahren wir das, könnte er mir vielleicht erklären, wieso er es getan hat…  Wenn möglich will ich den Weg meines Vaters in dieser Stadt nachvollziehen.“

,, Du wirst Hadrir darum bitten dich dorthin zu bringen wo Varan sich aufhielt ?“

,, Das ist der Plan. Der einzige, den ich im Augenblick habe…“ , gab er zu. Es war  reines Glücksspiel, das wusste er selber. Und die Wahrscheinlichkeit dabei etwas Nützliches zu erfahren…

,, Vielleicht kann ich ein Auge für euch aufhalten ?“ , fragte jemand von der Reling aus.

,, Ich dachte ihr wolltet gehen ?“ , fragte Lias, als sie sich zu der Stimme umdrehten.

Elin war nicht gegangen. Die Gejarn hing stattdessen an der Reling, die Arme auf den oberen Teil des Geländers gestützt. Wasser tropfte aus ihrer Kleidung und den Harren. Offenbar war sie vom Kai aus zurück zum Schiff geschwommen… und dann ohne einen Laut die Bordwand hinauf geklettert.

,, Ich… tut mir leid, dass ich gelauscht habe. Aber ich wollte wissen, was ihr vorhabt.“

,, Und ihr glaubt ihr könnt mir helfen ?“ Es war eine schwache Hoffnung…

,, Ich will es zumindest versuchen. Immerhin schulde ich euch noch was. Also, wenn ich irgendetwas tun kann, sagt Bescheid.“ Mit diesen Worten ließ Elin die Reling los und landete mit einem Platschen im Wasser des Hafenbeckens.

,, Schlimmer als ein Floh.“ , kommentierte Hedan das ganze nur kopfschüttelnd. ,, Viel, viel schlimmer.“

Lias lachte. ,, Mir scheint die Kleine hängt richtig an dir.“

,, Wortwörtlich alter Freund. Ich habe sie immerhin davor gerettet, als Fischfutter zu enden. Nicht dass ich nicht auch versucht hätte dich zu fangen aber ich glaube, es wäre mir um einiges schwerer gefallen, dich zu halten.“

,, Ich dachte, sie hätte sich das vielleicht mehr zu Herzen genommen…“ , meinte Hedan. ,, Wenn uns morgen ein Mob wütender Zwerge verfolgt weil sie ihre Wertgegenstände vermissen…  Ach wem mache ich was vor,  ich würde sie vermutlich trotzdem raushauen.“

Galren lachte zum ersten Mal wieder ohne das ständige, drückende Gefühl seiner eigenen Gedanken. Lias stoß spürte er dagegen schon gar nicht mehr.

,, Konzentration, Junge…“

 

 

Merl zog überrascht die Hand zurück, als das Wasser in das Becken vor ihm  strömte. Es war warm, beinahe heiß. Von etwas vergleichbarem hatte er bisher nur in den Bädern Varas gehört und diese wurden mit Magie beheizt… was dem Sangius-Orden ein stetiges einkommen verschaffte und die Stadt ein kleines Vermögen kostete. Seine Gedanken drifteten ab, während er zusah, wie das Marmorbecken, das in einer Ecke des Zimmers angebracht war, langsam volllief. Eigentlich hatte er nur herausfinden wollen, welchem Zweck die Hähne darüber dienten. Nun jetzt wusste er es. Fließendes Wasser…  Etwas, das man in Canton eher selten fand. Aber eigentlich hätte er darauf kommen sollen, nicht? Diese Stadt lebte scheinbar davon, Wasser überall hin bringen zu können, auch bis hinauf auf den Wall. Aber er hatte keine Heizkessel oder ähnliches irgendwo gesehen es sei denn… Die Vulkane… natürlich. Es war einfach, wenn man einmal dahinter blickte. Offenbar hatten die Bewohner dieser Stadt gelernt sich mit dem Feuer zu arrangieren. Und doch war dieser Ort so seltsam…fremd…

Er konnte einen Moment nicht anders, als sich nach den Schneebedeckten Gipfeln rund um Silberstedt zurück zu sehnen. Aber die Lagen jetzt eine halbe Welt entfernt, sagte er sich. Alles was er kannte war unerreichbar weit fort… Merl nahm das Amulett um seinen Hals kurz in die Hand. Der glatte blaue Stein in seiner Silberfassung war ihm nach wie vor genau so ein Rätsel. Nach wie vor wusste er nicht, wieso Zachary ihm so eine Macht anvertrauen sollte. Wie gerne er jetzt mit ihm gesprochen hätte. Sein Meister hätte sich sicher einen Reim auf das Seltsame Verhalten des Zwergenkönigs machen können. Er jedoch war nur ratlos. Und dann war da noch dieser Mann, den Hadrir erwähnt hatte. Der Prophet…

Sie hatten gefunden was sie gesucht hatten und noch mehr. Ein ganzes Volk, das noch vor dem Aufstieg der momentanen Kaiserdynastie verschwunden war.  Doch schien es nichts zu ändern. Dieser Ort hatte seine eigenen Geheimnisse, seine eigene Geschichte über die er nicht das Geringste wusste…

Merl schreckte aus seinen Gedanken auf, als ihm etwas Warmes auf die Füße tropfte. Das Becken…  Rasch drehte er den Hahn wieder zu, bevor noch der ganze Boden überflutet wurde und wusch sich rasch das Gesicht. Dreck und Salz hatten sich in einer richtigen Schicht darüber gelegt und es tat gut sich zumindest einmal wieder etwas sauber zu fühlen. Sein Umhang lag quer über einen Stuhl am einzigen Fenster des Raums, das auf die beleuchteten Straßen hinausging. Das Zimmer, das man ihm gegeben hatte  war größer als er anfangs vermutet  hatte. Eigentlich schien es fast für einen Menschen gemacht. Es gab einen zwar kleinen, aber nicht unbequem niedrigen Schreibtisch in der Nähe des Fensters und ein Bett mit das mit dem grünen Bezug gar nicht zu den dunklen Holzwänden passen wollte. Vielleicht hatte Hadrir ja veranlasst, das man rasch einige Möbel auftrieb, die ihnen gerecht wurden. Der Mann schien der einzige Lichtblick heute gewesen zu sein, sah man von den wenigen freundlichen Minen ab, die sie noch im Hafen empfangen hatten.

Als es an der Tür klopfte, wurde er abermals zurück in die Wirklichkeit geholt. Draußen war nach wie vor alles dunkel und die letzten Stimmen und Schritte der Einwohner waren schon vor Stunden verstummt. Also wer konnte das sein? Merl trocknete seine Hände rasch an seiner Hose und öffnete die Tür.

Armell stand vor ihm. Offenbar hatte sie die Gelegenheit genutzt um ihr altes, von der Reise ausgebleichtes Kleid gegen ein neues in blau und grün zu tauschen. Allerdings wirkte sie bei weitem weniger entspannt als er.

,, Ich… weiß das kommt vielleicht ungelegen , aber kann ich kurz reinkommen ?“

Merl trat wortlos beiseite, so dass die Fürstin an ihm vorbei in das Zimmer treten konnte.Das schien gar nicht zu der Armell zu passen, die er kannte.  Rasch schloss er die Tür, während Armell sich auf die Bettkante setzte.  Einen Moment war er versucht, für sich den Stuhl vom Fenster zu holen, kam sich dann aber nur lächerlich dabei vor. Schließlich ließ er sich einfach ihr gegenüber nieder.

,, Ist etwas passiert ?“ , wollte er wissen. Nach heute hätte Merl  eigentlich damit rechnen können.

,, Nein.. Götter, Merl. Nein…“ Sie lachte. Das hatte er wieder großartig hinbekommen, dachte er. ,, Ich…  Ihr werdet mich auslachen, aber ich kann bloß nicht schlafen.“

Armell zu verlachen wäre vermutlich das letzte was er in seinem Leben je tun wollte, dachte er. Aber das wusste sie natürlich nicht, nicht wahr? Und innerlich war Merl dankbar dafür. Wüsste die Fürstin was er wirklich für sie empfand… sie würde ihn kaum noch einmal so besuchen. Oder mit ihm reden, was das anging. Nein, seine Gefühle gehörten nur ihm und das war gut so. Er war derjenige der damit klar kommen musste.

 ,, Eigentlich wollte ich euch auch nicht zur Last fallen“ , fuhr Armell derweil fort. ,, Aber ich hatte gehofft ihr wärt noch wach. Das alles heute… Ich denke ich muss mit jemanden reden. Und nun ja.. ihr seid der erste, der mir eingefallen ist. Das mag dumm klingen aber… ihr habt immer auf alles irgendeine Antwort. “

Merl nickte, konnte jedoch nicht ganz verhindern, dass er rot wurde. Wenn sie wüsste wie wenig er wirklich Verstand. Er war ein Schüler, sonst nichts. Aber immerhin konnte er für sie da sein, dachte er. Vielleicht half es ihm auch selber etwas Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Und vielleicht einmal das seltsame Funkeln in ihren Augen sehen, während er versuchte etwas zu erklären…

,,Alles weiß ich auch nicht.“ , meinte er betreten. ,, Es ist seltsam. Vor einem Tag hätte ich nicht einmal vermutet, nun… das wir hier landen schätze ich. Und der Empfang hätte freundlicher sein können.“

,, Ehrlich gesagt es gibt einige meiner Gläubiger die mich freundlicher Begrüßen. Aber irgendwie kann ich es verstehen… wie lange haben sie sich schon hier draußen isoliert?“

,, Ich  habe keine Bücher hier aber wenn ich mich richtig an Zacharys Bibliothek erinnere dann… sind seit dem mindestens zwanzig Kaiser gekommen und gestorben. Aber das ist es nicht Armell… Diese Leute haben Angst ja, aber… nicht vor uns, nein das glaube ich nicht.“

,,Vor was dann ?“ Sie runzelte die Stirn als wüsste sie nicht, ob er seine Worte auch ernst meinte.

,, Ich… Nun ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts, Armell.“ , gab er zu. ,, Nicht hier zumindest. Wir sind so weit weg von allem…“ Von allem was er kannte… Nicht einmal sein erarbeitetes Wissen hatte hier draußen noch einen Wert. Götter, selbst wenn es Aufzeichnungen über die Geschichte dieser Stadt gab er würde sie nicht einmal lesen können. Er war verloren. Endgültig. ,, Tut mir leid.“

Nein, er konnte ihr nicht helfen. Und das war vielleicht die schwerste Erkenntnis von allem. Diesmal nicht.

,,Merl…“ Sie schüttelte den Kopf, schenkte ihm aber im selben Augenblick ein seltsames Lächeln. Eines, das ihm erneut in Erinnerung rief, wie nahe sie mittlerweile beieinander saßen. Armell nahm eine seiner Hände in ihre. ,, Ich bin nicht hier nur weil ich unbedingt eine Antwort erwarte ich… Wir sind Freunde, oder?“

Er brachte ein nicken zustande.

,, Also hör auf so zu tun, als würde ich von dir unbedingt etwas verlangen. Keiner von uns tut das. Und ich weiß gut genug wie das ist, wenn man sich gezwungen fühlt irgendwelche Erwartungen zu erfüllen.“

Es war beinahe unheimlich, wie sehr ihre Worte ins Schwarze trafen, dachte er. Zumindest wenn er ehrlich zu sich selbst war. Und doch schien es sie wirklich nicht zu stören, das er einmal keine Antworten parat hatte. Im Gegenteil, sie lächelte ihn nur aufmunternd an und ihre Hand verschwand nicht von seiner.

,, Ich schätze, das hätte auch von Zachary stammen können.“ , meinte er. ,,  Vielleicht habt ihr recht. Und vielleicht habe ich zu viel Zeit alleine  im Rabenkopf verbracht.“

,, Und schon wieder… du hast mir mal gesagt ich soll nicht zu hart mit mir selbst sein… und trotzdem gelingt es dir selber nicht. Es geht nicht darum was andere von dir erwarten…“

,, Das sagt ihr so einfach… aber ich schätze ihr hattet in eurem Leben mehr als genug Bewunderer…“

Die Worte klangen vorwurfsvoller als er Ursprünglich geplant hatte, als hätte seine Stimme plötzlich ihren eigenen Willen. Merl schloss die Augen. Und einmal mehr hatte er bewiesen, dass er es nicht lassen konnte sich im falschen Moment zu verhaspeln.

Doch Armell reagierte überraschend gelassen. ,, Nein, eigentlich hatte ich das nie.“ , erklärte sie und klang dabei eher amüsiert als beleidigt. ,,  Ich meine, niemand bei halbem Verstand würde sich mit einer Familie einlassen, die alles verloren hat. Nun zumindest keines der Adelshäuser Cantons. Für die bin ich nach wie vor nur die Tochter einer Gruppe von Verrätern, vergesst das nicht.“

,, Ich meinte das eigentlich nicht nur politisch.“ , erklärte Merl. Was tat r hier eigentlich grade? , fragte er sich. Nun für einen Rückzieher war es ohnehin zu spät. ,, Es.. ich meine es gibt doch sicher jemanden der euch... etwas mehr bedeutet? Jemanden der… den ihr liebt ?“

Armell zögerte einen Moment und er spürte, wie sie ihre Hand seinem Griff entzog. ,, Da gibt es tatsächlich jemanden.“  Ihre Stimme klang belegt, abwesend…

Merl schloss die Augen. Jetzt oder nie sagte er sich. Und vielleicht war er dem Thema schon zu lange ausgewichen. Jahre zu lang. Aber warum jetzt ? Er wusste es nicht, er wusste nur, das der entscheidende Schritt getan war und er jetzt entweder alles auf eine Karte setzte… oder nie wieder den Mut dafür finden würde.

,, Und wer…“ Er beugte sich vor, so vorsichtig wie möglich, während seine Hände wie von selbst zu ihrem Gesicht wanderten. Als er seine Lippen schließlich sanft auf ihre drückte, wich sie nicht zurück. Aber sie erwiderte den Kuss auch nicht.  ,,… ist das ?“

Bei den letzten Worten versagte ihm schließlich die Stimme, Hatte er das grade wirklich getan? , fragte Merl sich. Offenbar, den Armell saß einen Moment wie erstarrt da und er wappnete sich bereits für die unvermeidliche Abfuhr.  Wenigstens, dachte er, hatte er es hinter sich. Doch die blieb aus. Stattdessen hörte er drei Worte. Drei leise, fast gehauchte Worte.

,, Du.“ , antwortete Armell. ,, Nur du.“ Er konnte ihren warmen Atem spüren, das schwache schimmern in ihren Augen sehen und ihre Lippen, die sich noch feucht von ihrem ersten Kuss wieder auf seine senkten. Geschah das grade wirklich oder träumte er nur? Wenn  dann kümmerte es ihn nicht, als er den Kuss erwiderte und sie zurück auf das Bett sanken.

,, Ich habe dich immer geliebt.“ , kicherte sie zwischen weiteren Küssen. Seine Hände wanderten wie von selbst ihren Körper entlang  und Armell ermutigte ihn nur weiter, ergriff seine Hände und führte sie zu den Verschnürungen ihres Kleids. ,, Aber verdammt du hast auch lange genug gebraucht um selbst darauf zu kommen. Ich war schon fast soweit dich selbst zu fragen, aber ich kenne dich Merl. Du hättest doch alles abgestritten.“

,, Aber du…“ Sie unterbrach ihn mit einem weiteren Kuss, während ihre Hände seinen Körper hinab wanderten und über die hervortretende Beule in seinem Schritt strichen. Merl stöhnte unter der Berührung kurz auf.  Währenddessen hatte er es endlich geschafft, das Oberteil ihres Kleids zu lösen, so dass der Stoff ihre Brüste freigab. Die weiße Haut mit den zarten, rosa Knospen in ihrer Mitte wirkte im Kontrast zur dunklen Farbe des Zimmers beinahe strahlend. Er dachte längst nicht mehr darüber nach, was er tat, als er sie liebkoste und der Berührung einen winzigen Strom aus Magie folgen ließ. Er spürte wie sich ihre Brustwarzen unter seinen Händen aufrichteten und sie sich ihm entgegendrückte. Langsam und unendlich zärtlich arbeitete er sich von ihren Brüsten hinunter über ihren Bauch und schob schließlich den Rock ihres Kleides hoch, der sich über ihrem Bauchnabel zusammenbauschte. Währenddessen stahl Armell erneut einen Kuss von ihm. Ihre beiden Körper zitterten mittlerweile leicht. Vor Aufregung. Vor Verlangen. Und nach und nach verschwand auch seine eigene Kleidung unter ihren tastenden Händen, die über seine Brust strichen und weiter hinab über seine Männlichkeit.

Sie stöhnte leise unter seinen Berührungen und auch dem Stöhnen wurde ein Keuchen als seine Finger sich der Nässe zwischen ihren Beinen näherten. Ihr Becken hob sich ihm entgegen und ihre Hände ergriffen schließlich seine, führten ihn dorthin, wo sie ihn haben wollte. Ihr Atem ging mittlerweile genau so schwer wie seiner, als er es wagte die Finger zu bewegen.  Merl spürte ihre Wärme, hörte ihren Atem und ihre erstickten Laute der Lust. Auf eine Art, die nichts mit dem Akt selbst zu tun hatte machte es ihn glücklich, der Grund dafür zu sein und schließlich drängte sie ihn dazu, zwischen ihre Beine zu kommen.  Einen Moment verharrte er vor ihren Schamlippen  bis sie im schließlich ihr Becken entgegen hob und ihn in sich aufnahm. Armell schlang die Beine um ihn, als er versuchte langsam in sie einzudringen und zog ihn an sich. Sie begannen sich langsam zu bewegen, während ihre Hände über seinen Rücken wanderten und Merl weiter ihre Brüste liebkoste.  Langsam aber sicher verlor er die Beherrschung und auch Armell begann sich schneller, drängender unter ihm zu bewegen. Er wollte sich zur Zurückhaltung zwingen,  brachte sie ihn jetzt doch  immer schneller an ihr Ziel. Schließlich spürte er, wie sie unter ihm erzitterte und ihr Becken sich mit schnellen, harten Impulsen gegen seines drängte. In diesem Moment war für ihn das Maß des Ertragbaren erreicht…

Melr wusste nicht mehr, wie lange sie danach schweigend nebeneinander lagen. Armell hatte ihren Kopf auf seine Schulter gebettet, ihre Haare ein dunkler Wasserfall, der sich über die Kissen ausbreitete. Gedankenverloren oder vielleicht eher, zum ersten Mal nicht in Gedanken  strich er ihr über den Kopf... und konnte sich nicht erklären wie er jemals so viel Glück haben konnte, als sie schließlich langsam in den Schlaf abdrifteten.

 

Kapitel 48 Die Häuser

 

 

Als Merl die Augen aufschlug, lag Armell nicht mehr neben ihm. Er hatte gespürt, wie sie aufstand, als sich das Gewicht im Bett verlagerte und ihre Wärme schließlich von seiner Seite verschwand. Und vielleicht war alles doch nur ein Traum gewesen, dachte er, bevor er sich im Zimmer umsah. Armell war nicht gegangen wie er mit einem seufzen feststellte und er hatte definitiv nicht geträumt.

Ihre Silhouette zeichnete sich gegen das Morgenlicht ab, welches gedämpft durch das Fenster fiel. Ein kurzes kaum sichtbares Lächeln husche über ihre Züge, während sie sich anzog. Offenbar hatte Armell noch nicht gemerkt, dass er wach war. Rasch zog sie sich den Rock wieder über und zog das Kleid über den Kopf, das gestern vergessen irgendwo auf dem Zimmerboden gelandet war.  Die Falten daraus zu streichen war jetzt zumindest sinnlos, dachte Merl und konnte nicht darum herum erneut festzustellen wie schön sie eigentlich war. Ihr war es vielleicht selbst nicht klar, sah Armell doch scheinbar immer nur das Erbe einer Schande an der sie keinen Anteil gehabt hatte. Nein… Für Merl wirkte sie in diesem Moment im Zwielicht, halb angekleidet und in Gedanken eine leise Melodie summend wie das schönste Wesen, das er je erblickt hatte. Und er wusste er würde keinen Tag mehr ohne diesen Anblick leben wollen… Er konnte sich nur Fragen wie er jemals zu diesem Glück gekommen war, egal wie lange es gedauert haben mochte. Und wenn er ein weiteres Jahrzehnt gebrauch hätte um den Mut aufzubringen ihr die Wahrheit zu sagen es hätte sich immer noch gelohnt…

Armell hatte mittlerweile innegehalten, eine Hand am Verschluss ihres Rocks und sah zu ihm herüber.

,, Du bist wach.“ , stellte sie fest und klang dabei beinahe Entschuldigend. Sie  setzte sich erneut neben ihn. ,, Ich wollte dich nicht wecken, bis es nötig wäre.“ Merl selber brachte wieder einmal kein Wort heraus, während die junge Fürstin scheinbar auf irgendeine Reaktion seinerseits wartete.

,, Ich…“ Er zögerte. ,, Was genau sind wir ?“

Armell sah ihn einen Moment an, als verstünde sie nicht, worauf er hinaus wollte. Dann jedoch schien ihr ein Licht aufzugehen. Statt einer Antwort, fing sie an zu lachen , bevor sie die Arme um ihn warf und ihn an sich zog. Ehe er noch reagieren konnte, hatte sie ihm bereits einen Kuss auf die Lippen gedrückt.

,, Ich liebe dich.“ , erklärte sie ernst. ,, Und das ist was zählt. Ich glaube nicht das man dafür einen anderen Namen braucht.“

Merl erwiderte den Kuss und wie von selbst Wanderten seine Hände ihre Taille hinauf. AM liebsten hätte er sie einfach wieder ins Bett gezogen, aber sie entwand sich ihm geschickt.

,, Wir sollten uns langsam beeilen, wenn wir noch rechtzeitig zu den anderen stoßen wollen. Hadrir wollte uns die Stadt zeigen, du erinnerst dich?“

Ihr Blick verriet das sie sich genauso wie er grade etwas viel besseres vorstellen konnte. Und vermutlich hätte er sie auch dazu bekommen Pflichten und Verantwortung wenigstens einmal zu vergessen, dachte er fasziniert. Sie schien ihn geradezu stumm darum zu bitten. Aber natürlich hatte sie Recht. Und so stand er schließlich auf und warf sich seine Roben über. Ihr Geruch hing noch immer in den Kleidern… Schließlich Band er seine Stiefle zu und folgte ihr.

Ihre Zimmer befanden sich im zweiten Stock des Gasthauses. Während das Obergeschoss aus Holz gezimmert war und sich damit etwas von dem allgegenwärtigen, grauen Stein abhob, war der untere Teil aus dunklem Granitplatten aufgebaut. Es war überraschend kühl, als die beiden die Treppe hinab in den Schankraum stiegen. Um diese Zeit war der große Saal noch so gut wie verlassen und die einzigen zwei Gestalten, die sie begrüßten waren der Wirt, ein rothaariger Zwerg dessen  Backenbart aussah, als stünde sein Gesicht in Flammen und Naria, die, eine dampfende Schüssel Suppe vor sich  auf einer Bank saß.

Die Gejarn wirkte übernächtigt, als sie sich zu ihr setzten und Merl fragte sich kurz ob sie überhaupt geschlafen hatte.

Er erhielt die Antwort, als der Wirt von der Theke aus zu ihnen rief : ,, Gehört die zu euch ? Muss wohl, ich bezweifle ja, das zwei Schiffe mit Fremden hier angekommen sind. In dem Fall könntet ihr sie bitten in Zukunft lieber auf ihrem Zimmer zu bleiben? Sie hat mir gestern Nacht bestimmt die Hälfte meiner Gäste verscheucht.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und die roten Nähte auf seinem Hemd spannten sich dabei gefährlich.

,, Was habt ihr getan ?“ , wollte Armell wissen.

Naria nahm langsam einen Schluck Suppe, bevor sie antwortete: ,, Nur ein paar Experimente. Wisst ihr das kleinere Zauber von diesem Kerl,“ , sie nickt ein Richtung des Wirts. ,, Abprallen  wie Geschosse von einem Mithril-Panzer ?“

,, Und das musste ihr unbedingt ausprobieren ?“ , knurrte der Wirt, während er einige Gläser polierte. ,, Hört mal, mich kümmert wenig wer ihr seid oder was ihr tut  , von mir aus könnt ihr die Geister eurer ganzen Ahnenlinie  hier aufmarschieren lassen, aber wenn mir das das Geschäft versaut wird Hadrir eine neue Unterkunft für euch finden müssen. Königlicher Befehl hin oder her.“

,, Mir scheint eine Menge Leute in dieser Stadt misstrauen uns.“ , stellte Merl fest. Ihm waren die kalten Blicke nicht entgangen, die ihm und den anderen gegolten hatten, als sie sich ihren Weg zum Palast gesucht hatten.

,, Tja… ich sage mal ihr gewöhnt euch besser dran, falls ihr vorhabt nach Sunri zu gehen. Hier ist es nicht so schlimm, aber die Leute in der Weststadt haben ihre Probleme mit Fremden. Mehr sag ich dazu nicht. Leider sind ihre Thanen auch einige meiner besten Kunden.“

,, Thanen ?“

,, Stein und Eisen… ich muss euch nicht wirklich erklären wie unsere Gesellschaft funktioniert, oder ?“ Er seufzte schwer. ,, Hadrir zahlt mir bei weitem zu wenig dafür… Ein Thane ist der Vorstand eines Adels-Hauses ob es nun über viel Macht verfügt oder nicht. Wir unterstehen alle einem. Ich beispielsweise bin der Familie  Karn zugehörig.“ Er deutete auf die roten Linien auf seinem Hemd. ,, Ich deine Meinen Thanen mit einem Teil meines Gewinns und er vertritt das gesamte Haus  dafür vor dem König. Ich könnte dieses Gasthaus anders gar nicht betreiben. Es braucht die Zustimmung des  Haus-Thanen und des Königs.“

,, Klingt nach ziemlich viel Macht für eine einzige Person.“ , stellte Naria fest. ,,Und wie wird so ein Thane bestimmt ?“

,, Das unterscheidet sich von Haus zu Haus.“ Der Wirt kam hinter der Theke hervor und trat erstaunlich schnell für seine Größe an ihren Tisch. Geschickt zog er sich einen Stuhl heran und lies sich bei ihnen nieder. ,, Der Karn-Tharne wird von allen Mitgliedern des Hauses gewählt. Und die Thanen wiederum wählen, wenn es an der Zeit ist, den König. Aber in vielen Häusern wird der Thane auch durch Erbfolge bestimmt. Oder durch eine Mischung aus beidem. Stellt sich das ganze Haus beispielsweise geschlossen gegen seinen Thanen tritt er meist zurück… oder lebt zumidnest nicht mehr sehr lange. Ist aber erst zwei , drei Mal in meinem Leben vorgekommen. Habe nie zu genau darauf geachtet.“

Seltsam, wie der Mann sprach, als wäre das eine lange Zeit, dachte Merl. Wie alt war er? Dreißig ? Vielleicht etwas älter…

,, Nun, zumindest erspart mir das einen Teil der Erklärungen.“ , meinte eine Stimme die aus Richtung des Eingangs kam. Hadrir, nun nicht mehr in Rüstung sondern in eine einfache, grüne Tunika gekleidet, stand in der Tür und hinter ihm konnte Merl Galren und Lias erkennen. Nur von Elin gab es keine Spur… Wo mochte sie wieder stecken?

,, Verzeiht, aber ihr habt nicht zufällig gestern noch jemanden außer uns hier gesehen ?“ , fragte er an den Wirt gerichtet. Dieser kratzte sich einen Moment den Bart, während er nachdachte.

,, Nicht das ich… wüsste…“ Er stockte als erneut Schritte auf der Treppe zu hören waren und im nächsten Moment eine in zerrissene Leinenkleidung gehüllte Gestalt mit weißem Fell zu ihnen huschte. ,, Und wie bei der Seele des Steinst seid ihr hier reingekommen ?“

Elin wirkte wie die Unschuld selbst, während sie erklärte: ,, Ich bin geklettert. Die Tür hier unten war verschlossen aber oben gab es ein Fenster also…“

,, Hadrir…“ , knurrte der Wirt klang jedoch eher belustigt als böse. ,, Ihr schuldet mir mehr als nur Geld für das , alter Freund. Und euer Vater schuldet mir einen gefallen, erinnert ihn daran bei Gelegenheit.“

,, Ich glaube kaum, das er mit euch feilschen wird.“ , erklärte der andere Zwerg mit einem milden Lächeln. Es war immerhin der freudigste  Gesichtsausdruck mit dem Merl den Mann bisher gesehen hatte. Die anderen setzten sich einer nach den anderen ebenfalls zu ihnen.

,, Verzeiht, aber wie meintet ihr das eben genau, als ihr sagtet, das wir in der Weststadt vermutlich weniger willkommen wären als hier ?“ , wollte Merl wissen, als alle beisammen waren. Selbst Sentine tauchte wieder auf und lies sich als Fledermaus von einem der Balken über ihnen hängen, die die Decke trugen.

,, Genau so.“ , fuhr Hadrir für den Wirt fort und seine Stimme wurde wieder düsterer. ,, Ich müsste euch sowieso warnen. Also kann es auch jetzt sein. Eure Ankunft hier  zeigt allen deutlich eine Sache : Das es einen sicheren Weg durch die Stürme gibt und damit auch in das, was manche hier unsere wahre Heimat nennen würden.“

,, Also ich würde diesen Weg nicht grade sicher nennen.“ , stellte Elin fest.

,, Das ist egal. Allein die Vorstellung, dass es einen gibt wird schon für Unruhe sorgen. Mehr, als wir sowieso schon haben. Seit mein Volk vor Jahrhunderten die Nebelküste erreichte hat es unter uns jene gegeben, die auf eine Rückkehr hoffen. Jene die meinten, Canton zu verlassen sei ein Fehler gewesen. Bis vor kurzem allerdings waren es wenige und man hat ihnen auch kaum Gehör geschenkt. Und dann kam euer Vater, Galren.“ Der Zwerg schwieg einen Moment während er seine Gedanken ordnete. ,,  Er hat bereits gezeigt, dass es eine Passage geben musste aber das hätte auch nur der eine glückliche Zufall sein können. Ihr jedoch beweist endgültig, dass dem nicht so ist. Und jetzt verkündet der Prophet bereits seit Jahren unsere Rückkehr in die alte Heimat stünde kurz bevor. Durch euch werden seine Anhänger darin nur bekräftigt. Und je länger ihr bleibt, desto mehr Macht werden seine Worte gewinnen fürchte ich. Und  da bin ich nicht der einzige…“

,, Der Prophet den ihr erwähnt habt ist also… was, ein Prediger ?“ , wollte Galren wissen.

,, Ich weiß nicht als was ich ihn bezeichnen würde. Das Wort ist jedenfalls zu harmlos. “ , meinte Hadrir. ,, Seit er aufgetaucht ist, herrscht ständige Konkurrenz zwischen seinen Anhängern und jenen, die eine Rückkehr für ausgeschlossen, ja sogar gefährlich halten. Wenn es nach ihnen ging würden wir die Stadt vermutlich gleich abriegeln, man könnte sie also mit gutem Recht Isolationisten nennen. Gleichzeitig erklärt der Prophet unsere Zeit hier laufe ab ohne jedoch zu erklären warum. Der König dementiert das natürlich. Trotzdem, seine kryptischen Andeutungen haben viele Überzeugt.“

,, Und unsere Ankunft hier wird, wie ihr sagt die Argumente derer stärken, die sich der Welt wieder zuwenden wollen.“ , stellte Merl fest.

,, Und zwar gewaltig. Die Isolationisten wissen das und sie sammeln sich vor allem in der Weststadt, Sunri um ihr stärkstes Haus, die Familie Mardar. Umgekehrt die Anhänger der Rückkehr. Ihr könntet das Gleichgewicht  zwischen den beiden Seiten in dieser Stadt kippen, ohne etwas zu tun.“

,, Das erklärt zumindest warum man uns nicht grade willkommen heißt.“ , sagte Armell. ,, Und was genau ist euer König ? Zu welcher Seite gehört er... und wichtiger ihr?“

,, Ich dienen ihm nur… und was König Brunar angeht, so  versucht er nur zu vermitteln. Und ich wünsche ihm Erfolg dabei.“ , erklärte er kurz angebunden.  Merl konnte nicht anders, als kurz misstrauisch zu werden, aber Hadrir schien bisher ihr einziger wirklicher Verbündeter… ,, Aber das spielt fürs erste keine Rolle. Solange ihr in meiner Nähe bleibt steht ihr unter dem Schutz des Königs, wir sollten also ungestört überall hin gelangen.“

,, Ich muss gar nicht überall hin.“ , erklärte Galren. ,, Ich will den Weg meines Vaters zurück verfolgen. Wo war er überall wo hat er hier viel Zeit verbracht… diese Orte interessieren mich.“

,, Ich verstehe.“ , meinte der Zwerg. ,, Nun dabei kann ich euch zumindest weiterhelfen. Er hat sich vor allem in den Gärten umgesehen soweit ich weiß und ich glaube er hat einmal geschlagene drei Tage in den Bibliotheken verbracht…“ Er zögerte. ,, Und dann wäre da noch der Tempel.“

,, Dann sollten wir uns dort umsehen.“ , erklärte Galren und stand entschlossen vom Tisch auf.

 

 

Kapitel 49 Am Tor

 

 

 

Der Tempel den Galren sich ansehen wollte, lag in der Weststadt, so dass sie erneut den Mauerbogen zwischen den beiden Städten überqueren mussten.  Jetzt am frühen Morgen waren die Gärten noch zum Großteil verlassen und dünne Nebelschleier, welche von den überall vorhandenen Teichen und Wasserbrunnen herrührten, trieben zwischen den grünen Pflanzen. Und fürs erste schien es, saßen sie hier fest. Die Posten die am treppenbogen zur Weststadt wache hielten wollten Hadrir und sie anscheinend nicht passieren lassen. Nach allem, was ihnen der Zwerg allerdings über die Feindschaft der Häuser dort gegenüber ihnen erzählt hatte, war das wohl kaum verwunderlich. Und so blieb ihnen fürs erste nur, abzuwarten, ob der Mann seine Brüder überzeugen konnte, den Weg frei zu geben.

Armell war zwischen den Bäumen hindurch getreten, die abseits der Pfade wuchsen und stand nun an einem hüfthohen Steinwall, alles was sie von einem tausende Fuß tiefem Sturz hinab auf die Klippen bewahrte. Die beiden Städte lagen zu ihren Füßen und all die Paläste, Türme und steinernen Hallen wirkten kaum größer als Spielzeug. Sie hatte das Gefühl unendlich weit über das blaue Meer hinaus blicken zu können, bis zu dem Punkt an dem die endlosen Stürme eine dunkle Linie bildeten, eine Barriere… eine die sie durchbrochen hatten. Aus irgendeinem Grund jagte ihr der Gedanke einen Schauer über den Rücken. Dabei war das hier doch genau das, was sie gewollt hatte. Wenn sie jetzt zurückkehren würden… es gäbe niemanden mehr, der ihre Namen nicht kennen würde. Und es würde die alte Schande ihrer Familie mehr als überdecken es würde sie aus den Köpfen löschen. Der Name D'Ambois würde nicht mehr gleichbedeutend sein mit einem Verräter. Und damit hatte sie ihr Ziel doch eigentlich längst erreicht. Aber auch Armell konnte nicht leugnen, dass diese Stadt ein Geheimnis umgab, eines, das Hadrir ihnen zwar erläutert hatte, das aber immer noch sehr viele Fragen offen ließ. Fragen und Bedrohungen, dachte sie und fröstelte trotz der bereits ins unangenehme  steigenden Temperaturen. Vielleicht war es besser, wenn sie nicht herausfanden, was sich unter der so ruhigen, kalten Hülle dieses Ortes verbergen mochte.

Ihr Blick schweifte zu den Schiffen im Hafen. Die Immerwind war nicht mehr als ein Schatten um den emsig Personen, nicht größer als Ameisen wimmelten.  Die Arbeiter, die ihnen der König zur Verfügung gestellt hatte… Hoffentlich ließen sie sich Zeit, dachte die junge Adelige. Es war der einzige Grund, der ihr hierbleiben rechtfertigte… und damit der alles entscheidende Faktor. Aber Hedan würde schon dafür sorgen, dass sie so viel Zeit bekamen, wie möglich. Zumindest lange genug, damit Galren seine Neugier befriedigen konnte, den eines war ihr jetzt schon klar: Würden sie morgen abziehen, der Mann würde sie nie im Leben wieder in die Heimat begleiten. Er schien beinahe besessen von der Idee, hier irgendetwas zu finden aber was das sein sollte… Armell würde es ihm nicht ins Gesicht sagen, dafür respektierte sie ihn mittlerweile  zu sehr, aber sein Vater war tot, vielleicht schon Jahrzehnte lang. Vielleicht wurde er auch langsam verrückt… andererseits, vermutlich waren sie das alle um sich überhaupt auf diese Expedition eingelassen zu haben.

,, Hey…“ Der Ruf wurde vom Geräusch raschelnder Blätter begleitet und schließlich tauchten ein mit weißem Pelz bedecktes Gesicht und schließlich auch der Rest Elins zwischen den Bäumen und Sträuchern auf. Gras und Dreck hatten sich in den Haaren der jungen Gejarn verfangen, die sie jedoch kaum beachtete. Stattdessen lächelte sie dieses kaum merkliche grinsen, das Armell irgendwie mit Kindern in Verbindung brachte, die etwas ausgefressen hatten.

,, Sagt mir nicht ihr habt etwas angestellt ?“ , fragte sie und wie zur Antwort hörte die Fürstin, wie hinter ihr etwas durchs Gebüsch brach. Statt einer Antwort packte Elin nur ihre Hand und zog sie ohne ein Wort von der Brüstung zurück. Für ihre Größe war sie erstaunlich kräftig und Armell beschloss, das Fragen auf Nachher zu verschieben. Für den Moment folgte sie Elin nur, die einen Moment an den Bäumen vorbei lief und sie dann scheinbar willkürlich in den Schatten einer alten  Weide zog, deren Zweige fast bis auf den Boden reichten. Während sie sich noch wunderte, wovor sie sich überhaupt versteckten, brachen auch schon zwei Zwerge in voller Rüstung durch das grüne Dickicht und sahen sich irritiert um.

,, Stein, die ist schnell.“ , stellte einer von ihnen fest, während die beiden Begannen, die Baumreihe abzuschreiten. Armell bezweifelte, das man sie übersehen würde, sollten die beiden Soldaten bis zu ihrem Versteck gelangen. Doch Elin gab ihr lediglich ein Zeichen, ihr zu folgen und trat langsam zwischen den tief hängenden Zweigen zurück. Obwohl der Boden mit trockenem Laub und Ästen übersäht war, schien die Gejarn jedoch immer genau zu wissen wohin sie treten musste und Armell strengte sich an, es ihr möglichst gleich zu tun. Götter, wenn sie hier raus kamen schuldete die Kleine ihr eine lange Erklärung für das alles. Ohne einen Laut führte Elin sie zurück durch die Gärten auf den Hauptpfad, während das Geräusch der das Unterholz absuchenden Zwerge hinter ihnen zurück blieb. Erst, als die Männer nicht mehr zu hören waren, wagte Armell es zu sprechen.

,, Was bitte war das jetzt wieder ?“

,, Ich hatte das Warten lediglich satt.“ , erklärte Elin säuerlich. ,, Ich schätze mal Hadrir hätte noch eine Stunde auf sie einreden können…“

,, Moment, das heißt das waren…“

,, Die Wachen vom Tor.“ Die Gejarn grinste, während sie etwas aus der Tasche zog und um den Finger wirbelte. Es war ein Ring mit dem darauf eingeprägten Emblem einer Hacke und einem Stützbalken, wie er in einem Minenschacht Anwendung finden mochte . ,, Ich schätze mal, das hier werden sie schon finden.“

Mit diesen Worten schleuderte Elin den Ring soweit es ging von sich, irgendwo in die Gärten. Armell sah dem Gegenstand nur ungläubig nach. Das war doch wohl nicht wahr. Was dachte die Kleine sich dabei? Das könnte sie in mehr Schwierigkeiten bringen, als gutes daraus erwachsen würde, da war sie sich sicher und… Götter, das hier war doch kein Spiel! Nach allem was sie wusste hätten diese Männer sie töten können, hätte man sie erwischt…

,, Ihr habt sie bestohlen.“

,, Stehlen wäre, wenn ich es behalten würde.“ , meinte die Luchsin entschieden. Keine Sorge, wenn sie den Ring nicht finden suche ich ihn später eben. Ich habe gehört wo er hingefallen ist.“

,, Das könnt ihr ?“ Armell vergaß einen Moment ihre Wut. ,, Ich meine… seit ihr euch im klaren darüber… Elin, das geht nicht.“

,, Das geht schon.“ , meinte die Gejarn grinsend. ,, Ich habe es grade getan.“

,, Ihr seid kein Kind mehr, Elin, euch muss doch klar sein, was das bedeuten könnte… ich meine, was ihr getan habt…“

,, Ich habe euch geholfen.“ , erwiderte sie und das Lächeln erlosch. ,, Ich habe dafür gesorgt, dass wir weiterkommen, das Galren nach Spuren seines Vaters  suchen kann. Wenn euch das nicht passt, könnt ihr gerne hier warten, bis die Wachen zurückkommen und versuchen mit denen zu… reden.“

Die Worte trafen sie wie ein Schlag, vor allem da sie  von der sonst immer so unbeschwerten Gejarn stammten…

Elin beschleunigte derweil  ihre Schritte und ließ Armell auf dem Weg zurück, während sie sich wieder dem Palast des Königs in der Mitte des Damms näherten. Elin wusste doch sicher selbst, das sie Recht hatte… und trotzdem fühlt sie sich jetzt mies. Götter, man konnte der Kleinen nicht böse sein. Sie hatte eben versucht auf ihre chaotische Art etwas zu tun. Aber Armell musste sicherstellen, dass es bei dem einen mal blieb.  Sie konnten sich hier keine Fehler erlauben, ganz bestimmt nicht.

,, Elin… wartet, das.. ich habe das nicht so gemeint.“ Armell musste fast rennen um wieder zu der Gejarn aufzuschließen, die bereits das andere Ende des Palastes erreicht hatte, während Armell noch nicht einmal am Tor vorbei war. Doch als sie schon glaubte, Elin würde gar nicht mehr stehen bleiben, wurde sie schließlich langsamer.

,,Oh doch, das habt ihr.“ Offenbar fühlte Elin sich wirklich getroffen.

Armell holte tief Luft. Leugnen hatte keinen Sinn. ,, Ja das habe ich. Aber es tut mir leid. Ich weiß, das ihr uns nur helfen wollt, aber... so etwas könnt ihr vielleicht mit Leuten machen die ihr kennt, doch wir wissen nach wie vor nichts über diese Stadt. Überlegt einmal, wenn diese Männer Isolationisten waren, was dann? Dann werden sie nicht nur sofort ihr Haus informieren wenn wir uns einfach durch die Tore stehlen, sondern von nun an nur noch misstrauischer sein. Und wenn sie euch erwischt hätten… ich bezweifle, dass sie sich die Gelegenheit entgehen lassen würden einen von uns loszuwerden. Wenn ihr versteht… Und das Recht wäre dabei noch auf ihrer Seite. Man könnte uns sogar direkt der Stadt verweisen. Ich weiß das ihr gute Absichten hatte, aber darf ich euch bitten in Zukunft einfach… Bescheid zu geben, bevor ihr etwas unternehmt ? Zumindest solange wir wissen, woran wir hier sind?“

,, Politik. Und genau deshalb sind meine Eltern aufs Land gezogen, glaube ich“ , seufzte Elin, klang dabei jedoch weiterhin überraschend ernst. Ihre kindliche Art schien verschwunden und für den Moment wirkte sie um einiges Erwachsener, als sie sein sollte. Eine Seite, die Armell noch nie an ihr gesehen hatte.  ,, Ich… bin es vielleicht einfach nicht gewohnt auf andere Achten zu müssen, Armell. Aber ich will es versuchen. Wenn ich bisher unterwegs war, dann meist alleine. Ihr offenbar nicht, ihr sorgt euch um die anderen um Galren, Lias… und den Zauberer, Merl. Er bedeutet euch etwas, oder?“
Armell musste nicht über die Antwort nachdenken, sie war ihr seit Jahren bekannt. ,, Ich… ich liebe diesen Mann, Elin. Woher auch immer ihr das wisst. Und wenn mir die anderen alle egal wären um seinetwillen… gefährdet unser Leben nicht leichtsinnig. Ich bin mir nicht sicher ob ich das so einfach verzeihen könnte.“ Sie wollte nicht so drohend klingen, wie sie es schließlich tat. Elin schien vor ihr noch ein Stück zusammenzuschrumpfen.

,, Ich verstehe.“ , antwortete sie schließlich Kleinlaut.

,, Und jetzt kommt.“ , meinte Armell schließlich um einiges freundlicher. ,, Wen die Wachen schon aus dem Weg sind, sollten wir das auch ausnutzen, was meint ihr ?“

Von einem Moment auf den anderen schien der Ernst wie Staub von Elin abzufallen und sie machte einen kleinen Satz. ,, Auf geht’s. Und… könntet ihr den anderen nicht verraten, was ich getan habe.. bitte ?“

Amrell schüttelte den Kopf. ,, Ich dachte ihr wolltet Eindruck machen ?“

,, Nein ich… zahle nur etwas zurück.“ , erklärte sie. ,, Ich habe ungern Schulden. Und ich halte meine Versprechen alles andere ist… nicht gut fürs Geschäft, würde meine Mutter wohl sagen.“

,, Irgendetwas sagt mir, dass es sehr interessant wäre eure Eltern einmal kennenzulernen.“

Vor ihnen kam nun endlich das Tor zur Weststadt in Sicht, ein gewaltiger Steinbogen, der dem am anderen Ende des Walls nachempfunden war. Die anderen warteten bereits auf sie, vor allem Hadrir, der fragend eine Augenbraue hochzog, als er die nach wie vor mit Laub und Ästen bedeckte Elin bemerkte.

,, Die Wachen sind verschwunden.“ , meinte er. ,, Ich denke einmal ihr hattet nicht zufällig etwas damit zu tun , nein ?“

,, Nein.“ , antwortete Elin.

,, Nun…“ Der Zwerg zuckte mit den Schultern. ,, So oder so, wir sollten die Gelegenheit wohl nutzen. Nächstes Mal sorge ich dafür, dass der König uns einen Passierschein ausstellt. Ich will mal einen dieser Mardar-Häusler sehen, der uns dann noch aufhält…“

Die Wachen waren also Mardar gewesen? , dachte Armell. Wenn sie sich richtig erinnerte, dann hatte Hadrir gemeint dass es sich dabei um eines der stärksten Häuser in der Weststadt handelte.  Das machte die Sache nicht wirklich besser… Aber um jetzt noch etwas zu ändern war es ohnehin zu spät sagte sie sich.

,, Sagtet ihr nicht, wir stünden ohnehin unter dem Schutz eures Herrn ?“ , fragte Galren.

,, Schutz ist ein Wort, das in der jetzigen Situation nicht mehr so viel Gewicht hat, wie mir lieb wäre. Und es bedeutet nun mal nicht Wegfreiheit. Es steht einem Thanen durchaus zu, den Teil einer Stadt der ihm untersteht abzuriegeln wenn er es wünscht. In diesem Fall gehört das Tor leider bereits zu Sunri und damit dem Haus Mardar. Hoffen wir das uns weitere Begegnungen dieser Art erspart bleiben…“

 

Kapitel 50 Der Tempel

 

 

 

 

Als sie den Fuß der Treppe erreichten, stand die Sonne bereits hoch am Himmel und brachte die Glimmereinschlüsse im Granit der Stadt zum Glitzern. Auf den ersten Blick unterschieden sich die Reihen aus größeren und kleineren Steinbauten nicht groß von ihren Gegenstücken auf der anderen Seite der Siedlung, wären da nicht zwei gewaltige Marmortürme gewesen, die sich über die Dächer erhoben. Galren hatte sie bereits vom Wall aus gesehen, doch erst jetzt wurde ihm klar, wie unpassend sie eigentlich wirkten, wenn man den Rest von Sunri betrachtete. Dünne  Bögen spannten sich zwischen den Türmen  und auf die Entfernung wirkte der weiße Stein so filigran wie Spinnweben.  Fenster aus gefärbtem Glas schimmerten unter den Dächern der beiden Bauwerke. Die Bauart  war so vollkommen anders, als alles, was er bisher hier gesehen hatte… und gleichzeitig wusste er mit absoluter Sicherheit, das es wichtig war, das dort ihr Ziel liegen würde. Er konnte den Weg durch die Gassen beinahe vor sich sehen, den sie nehmen würden, jeden Schritt, wie lange es dauern würde… und fühlte erneut, wie etwas an ihm zog, ihn zu rufen schien. Er schüttelte den Kopf. Der Pfad vor seinem inneren Augen verschwand, genauso wie das Gefühl, geschoben zu werden. Aber nicht ganz. Er spürte, wie seine Hände zitterten… Wenn er nicht aufpasste würde er irgendwann noch einfach loslaufen ohne nachzudenken. Wie eine Marionette… Und wer war dann der Puppenspieler? Was war nur los mit ihm?

,, Alles in Ordnung ?“ Die Stimme holte Galren schließlich ruckartig zurück in die Wirklichkeit. Es war Naria, die ihn wieder mit diesem seltsamen, halb besorgten, halb neugierigem Blick musterte.

,, Ja es…“ Er wischte sich einen Schweißtropfen vom Gesicht, der nicht von der Hitze stammte. ,, Es geht mir gut. Aber ich glaube ich wäre euch unendlich dankbar, wenn ihr etwas findet, das meine… Fähigkeiten etwas betäubt.“

Die Gejarn zog eine Augenbraue hoch. ,, Und ihr seid euch sicher, dass es euch gut geht ?“ , fragte sie, als sie sich wieder in Bewegung setzten, Hadrir und den anderen folgend. ,, Verzeiht, aber ihr habt grade ausgesehen, wie ein wandelnder Toter.“

,, Ja… Also eigentlich nein.“ Galren  seufzte. Er traute Naria vielleicht nicht ganz, aber die Wahrheit war in diesem Moment vielleicht doch die beste Option. Wobei die Frage blieb, was die Wahrheit überhaupt war. ,, Ich weiß nicht wie ich es erklären soll, aber meine Fähigkeiten scheinen sich immer mehr… zu verselbstständigen. Und das nicht erst, seit wir hier sind.“

,, Das ist allerdings beunruhigend. Und ihr seid euch sicher, das ihr euch nicht täuscht?“

,, Nein. Wie gesagt ich wäre euch einfach dankbar, wenn ihr mir den Gefallen tun könntet.“

Naria schien eine Weile nachzudenken. ,, Ich kann schlecht euren Verstand betäuben, aber falls das worunter ihr… leidet… magischer Natur ist, gibt es vielleicht eine Möglichkeit. Manche Pflanzen können Magie in gewisser Weise betäuben, Schattenpilze beispielsweise. Soweit ich weiß verwendet der Orden sie allerdings auch um die Macht seiner Zauberer künstlich zu steigern.“

,, Meintet ihr nicht grade, es würde Magie unterbrechen ?“

,, Ihr hört mir ja zu.“ Die Gejarn kicherte. ,,  Genau das ist der Punkt warum ich euch nicht einfach welche geben würde. Genau genommen führt es zu einer Stauung. Die Magie ist nicht weg, sondern nur blockiert. Wird in diesem Zustand Magie angewandt, und ein Zauberer tut das praktisch ständig bewusst oder unbewusst,  sammelt sie sich ohne loszubrechen, wie hinter einem Damm. Lässt die Wirkung dann nach… nun der Effekt bei einer zu hohen Dosis  kann ziemlich katastrophal sein. Wie in von euch und jedem im Umkreis eines halben Tagesmarsches bleibt nur ein Krater übrig katastrophal. So gesehen stellen sie also ein Zauberergift da. Einem Nicht-Magier hingegen passiert nicht das Geringste. Und ich weiß nicht, in welche Kategorie ihr fallt.“

,, Ich dachte wir hätten geklärt, das ich kein Zauberer bin.“ , meinte er.

,, Das nicht, aber eure Gabe ist definitiv magischer Natur. Falls sie also von euch stammt, könnte ein Zauberergift euch also töten, wenn ich es falsch dosiere.“

,, Von wo sollten meine Fähigkeiten denn sonst stammen ? ich meine ich bin damit geboren worden… denke ich.“

,, Das ist die Frage, nicht ? Wäre ich auf Maras oder zumindest noch in Canton könnte ich vielleicht Nachforschungen anstellen ob ihr en Einzelfall seid…“

,,Bin ich nicht.“ , erklärte Galren. ,, Mein Vater… ich vermute, dass er die gleiche Begabung hatte. Zumindest wusste er davon und auch der König meinte, er hätte es erwähnt.“

Naria schien diese Erkenntnis nicht wirklich zu beruhigen. ,, Und es hat euch beide hierher geführt. Ich habe keine Ahnung ob das etwas bedeutet aber… wir haben auch so schon genug Gründe um vorsichtig zu sein, schätze ich. Also, wollt ihr immer noch, das ich versuche eure Begabung zu lähmen?“

,,Nein.“ , antwortete Galren schließlich. Im Moment verblasste der kurze Drang, einfach dem Pfad in seinem Verstand zu folgen wieder. Und darauf aus sich zu vergiften war er dann doch nicht. Aber sollte es schlimmer werden… Er seufzte. Wenn er wenigstens einen Faden in diesem Spinnennetz aus Lügen, Magie und Feindseligkeiten  bis zum Ende verfolgen könnte, vielleicht würde dann alles leichter. Im Augenblick jedoch schien er sich nur mehr und mehr darin zu verwickeln. Und sie waren noch keine zwei Tage hier.

Mittlerweile hatten sie den Aufgang zur  Mauer ein gutes Stück hinter sich gelassen und folgten Hadrir durch eine Gasse zwischen großen, nur halb geschlossenen Häusern.  Rinnen und Rohre verliefen zwischen den Dächern und Galren konnte das Rauschen von Wasser in ihnen Hören.

Die offene Seite der Häuser lag zur Straße hin und inmitten des so entstehenden, geschützten Hohlraums erhoben sich mehrere, große Kupferfarbene Kessel. Diese Waren nach oben hin mit einem kompliziert wirkenden System aus Röhren bestückt, die entweder von den Kesseln Weg führten oder schlichte Rücklaufsysteme bildeten, alle von verschiedener Höhe…

Unter dem Kessel wiederum befand sich ein großes Gitter aus dem ab und an rot glühende Funken aufstiegen. Galren brauchte nur den feurigen Schein zu sehen um zu wissen, dass dort, nur ein paar Fuß tief unter der Erde, ein Lavastrom dahinfloss. Die aufsteigende Hitze brachte, was immer in den Kesseln war, zu blubbern und dutzende von Zwergen arbeiteten an jedem einzelnen der Kessel, öffneten Ventile an den Rohren oder beobachteten den Flüssigkeitsstand in einem der zahlreichen Steigrohre.  Was  sollte diese Apparatur? In Maillac hatte es mal eine Gruppe von Schwarzbrennern gegeben und auf den ersten Blick erinnerte es tatsächlich an eine Destille, aber weder konnte er den stechenden Geruch von Alkohol riechen, noch irgendwelche Fässer oder ähnliches entdecken.

Merl kam ihm mit der Antwort zuvor.

,, Ihr destilliert hier Wasser, oder ?“ , wollte der junge Zauberer von ihrem Führer wissen. Dieser blieb stehen und strich sich einen Moment über den Bart.

,, Richtig. Leider sind diese Anlagen aber alles andere als Effektiv. Zumindest bei einer Stadt dieser Größe. Den Großteil unseres Trinkwassers gewinnen wir nach wie vor aus den Kavernen unter der Stadt. Und daran wird sich wohl so bald auch nichts ändern. Kommt, der Tempel ist nicht mehr weit. Ich denke, das wird euch etwas für den rauen Empfang entschädigen.“ Der Mann wirkte plötzlich geknickt.

,, Ihr könnt nichts dafür.“ , meinte Lias, als sie die Wasser-Destillerien schließlich hinter sich ließen. ,, Und ich bezweifle das euch das jemand vorwerfen würde. Ein Mann kann nicht die gesamte Welt in Ordnung bringen, egal wie viel Macht er haben mag. Aber er kann zumindest sein Bestes tun und ich glaube, das tut ihr.“  Offenbar tat es Hadrir nach wie vor leid, wie der König sie willkommen geheißen hatte. Aber das durfte er sich nicht so zu Herzen nehmen, dachte Galren.  Es war nicht er, der dafür verantwortlich war.

,, Das entschuldigt es allerdings nicht.“ , erklärte der Zwerg und richtete sich ein Stück weit auf. ,, Ich wünschte, ihr wärt ein paar Jahrzehnte früher hier angekommen. In meiner Kindheit blühte diese Stadt. Jetzt… wird sie langsam aber sicher zerrissen und ich kann nur dabei zusehen.“

,, Ihr sorgt euch wirklich um euer Volk, oder ?“

,, Ist das nicht offensichtlich ? Aber manchmal scheint mir ich bin der einzige, der erkennt, dass wir uns selbst zwischen zwei Extremen zerstören. Ich… und vielleicht der König.“ Hadrir zuckte mit den Schultern. ,, Ich kann nur hoffen, dass er weiß was er tut.“

Eine Weile setzten sie ihren Weg schweigend fort, bis sie aus den Straßen hinaus auf einen gewaltigen Platz traten, der fast im Zentrum der Weststadt liegen musste. Vor ihnen erhob sich der Tempel. Die Türme, die Galren von der Treppe aus gesehen hatte, waren keine einzelnen Gebäude, sondern ragten am Vorderen Ende des in seinem Grundriss etwa rechteckigen Baus auf. Filigrane Marmorsäulen stützten ein mit roten Ziegeln bedecktes Dach, das etwas über die Außenmauern hinaus ragte und damit auch eine kurze Treppe beschattete, die zu einem Podest rund um das Bauwerk hinauf führte. Bunt glitzerten dutzende von Fenstern die sich an den Seitenwänden des Tempels entlang zogen. Die einzelnen Glasmosaike zeigten Szenen aus dem Leben der Stadt, vor allem Handwerker und Schmiede, aber auch Darstellungen von lodernden Feuern und den um die Stadt aufragenden Vulkane. Es war eine Darstellung von Gegensätzen, wie Galren klar wurde, auf der einen Seite die zerstörerische Kraft der Natur und auf der anderen das Handwerk und der Erfindungsreichtum der Zwerge. Auf seine Art schien was er hier sah  das gesamte Wesen dieses Volkes zu verkörpern.

Über dem offen stehenden Tor des Tempels wiederum war nur ein einziges Fenster eingelassen und dieses zeigte eine in die grauen Roben eines Gelehrten gekleidete Gestalt, die neben einer Schriftrolle allerdings auch einen Schmiedehammer hielt, dessen Kopf rötlich glühte, als wäre er grade erst geformt worden. Und das Gesicht des Mannes wies, wenn es auch nur aus Glas gefertigt war, Züge auf, die nicht zu einem Zwerg passten. Er war hochgewachsen mit langen, grauen  Haaren und bartlosem Gesicht. Und seine Ohren wirkten auch seltsam, irgendwie zu spitz und zu lang um ganz menschlich zu sein.

,,Gundur.“ , erklärte Hadrir ohne, dass er etwas gesagt hätte. ,, Der Herr des Feuers und Schutzpatron dieser Stadt. Angeblich war er es selbst, der mein Volk über das Meer führte, aber die Wahrheit wissen vielleicht nur noch die Ältesten unter uns. Angeblich brachte man unser Volk als Wächter nach dem Krieg der Götter hierher, aber als Wächter über was...“ Er zuckte mit den Schultern.

,, Krieg der Götter ?“

Der Zwerg nickte. ,, Der Herr der Ordnung, ein Wesen von unglaublicher Macht, lieferte sich eine Schlacht mit den übrigen Göttern und wurde schließlich vernichtet. Doch gleichzeitig starben auch die meisten unserer Schutzherren in diesem Konflikt wie es heißt. Am Ende blieben nur ein dutzend dieser Unsterblichen übrig und diese verteilten sich über die Welt um ihr Schicksal wieder in geregelte Bahnen zu lenken und  uns hierher zu führen, zogen sich danach aber endgültig zurück. Ich denke mal das meiste davon ist nur Mythos. Und vielleicht enthält es auch einen wahren Kern, wer weiß. Wir sollten jedenfalls hinein gehen, wenn ihr euch umsehen wollt…“

Galren nickte und gemeinsam gingen sie schließlich die tufen zum Tor hinauf. Das Innere des Tempels war von farbigen Lichtbahnen erleuchtet, die durch die großen Fenster fielen. Zwischen vier großen Säulen, die das Dach trugen, standen dutzende von Bänken die entweder auf den Hauptaltar ganz am Ende des Gebäudes gerichtet waren oder zu kleineren Schreinen die in Nischen aufgestellt worden waren. Galren zählte zwölf davon. Zwölf Schreine für zwölf Unsterbliche. Ihre Schritte hallten durch den Saal, als sie durch das Tor traten und er fühlte wie sich erneut eine Hand in seinen Rücken zu legen schien, eine Kraft, die ihn hin zum Hauptaltar, einem großengsplitterten Marmorblock, hinzog. Das Material des Felsens wirkte Alt, dachte er. Kleinere Brocken waren im Laufe der Jahrhunderte herausgebrochen, die Bruchkanten von der Zeit abgeschliffen. Nicht so jedoch bei dem Spalt, der den Altar fast in zwei Hälften teilte. Galren beschleunigte seine Schritte, wurde jedoch langsamer, als er den Tumult hinter sich bemerkte. Die anderen waren alle am Eingang stehen geblieben und Merl sogar direkt davor. Der junge Zauberer hatte beide Hände vorgestreckt, als würde er nach etwas tasten, das gar nicht da war… und dann wirkte es plötzlich tatsächlich so, als würden seine Finger auf etwas Festes stoßen. Sie bogen sich sogar leicht…

,, Merl ?“ , fragte Armell besorgt. ,, Was ist los ?“

,, Ich… komme nicht durch die Tür.“ , erklärte er, Panik in der Stimme. ,, Da ist eine Barriere…“

 

Kapitel 51 Altes Volk

 

 

 

,, Was meint ihr damit, ihr kommt nicht hindurch ?“ , wollte Naria wissen.

Die Gejarn lief einmal um den Magier herum, wie um zu demonstrieren, dass es nichts gab, das ihnen im Weg stand, aber Merl blieb wo er war, die Arme nach wie vor ausgestreckt gegen etwas, das sie alle nicht sehen konnten.

,, Genau das.“ , erklärte er irritiert und trat einen Schritt von dem Tor zurück. ,, Es geht nicht weiter…“

,, Wir sind alle drüber gekommen.“ , bemerkte Naria und um ihre Worte zu unterstreichen, trat sie zurück über die Torschwelle des Tempels und zurück. Zumindest ihr stand dabei nichts im Weg und auch die anderen waren ohne Wiederstand hinein gelangt, soweit Galren das beurteilen konnte. Warum also  Merl nicht ?

,, Nun es ist jedenfalls da.“ , meinte der Zauberer und tastete sich an der unsichtbaren Mauer entlang. ,, Und ziemlich massiv… Ehrlich gesagt nicht mal die Barrieren die mein Meister in Silberstedt aufgestellt hat, waren so stark. Ich glaube nicht, das ich da hindurch komme…“

,, Ich spüre nicht mal irgendwelche Magie, Merl.“  Naria folgte  seiner Geste, griff jedoch nur durch Luft. ,, Wenn da etwas ist dann…“ Sie stockte, als ihr Blick auf die Fliesen der Türschwelle viel. Wortlos ließ sie sich auf ein Knie nieder und wischte mit einer Hand Staub und Dreck beiseite, der sich im Laufe der Jahre dort angesammelt hatte. Darunter kamen in den Stein gemeißelte, nun jedoch verblasste, Runen zum Vorschein. Doch noch immer ging ein schwaches Glühen von den in sie eingelassenen Kristallen aus. Das Licht flackerte und verschob sie, während Merl an der Barriere entlanglief um nach einer Lücke zu suchen.

,, Dieser Ort wurde nicht von eurem Volk erbaut, Hadrir, kann das sein ?“ , wollte Naria wissen, während sie die Runen untersuchte. Auch Merl, der auf der anderen Seite der Tür gefangen war, hatte sich auf ein Knie niedergelassen und betrachtete die leuchtenden Schriftzeichen.

,, Nein…“ , erklärte der Zwerg unsicher. ,, Aber als mein Volk diesen Ort fand, war er kaum mehr als eine Ruine, das meiste haben wir einfach wieder aufgebaut, soweit es uns möglich war.“

,, Und ich vermute, das gesamte Fundament war noch Intakt ?“ , fragte nun Merl. ,, Wenn das ein Schutzzauber ist, läuft er vermutlich um das gesamte Gebäude herum. Ich wette wenn ich versuchen würde ein Fenster einzuschlagen würde ich genau so wenig hinein gelangen.“

,, Was meint ihr damit, dieser Ort wurde nicht von den Zwergen erbaut ?“ Armell sah ratlos zwischen Merl und Naria hin und her.

,, Ich glaube ich weiß es.“ , meinte Lias schließlich. ,, Diese Architektur, ich konnte mir nicht sicher sein, aber jetzt wo Hadrir es selbst zugibt, aber ich kenne sie. Aus der inneren Stadt Helikes. Das hier ist die Bauart des alten Volkes. Helike steht wortwörtlich auf den Ruinen einer ihrer Siedlungen.“

Noch ein Rätsel, dachte Galren. Das alte Volk war also hier gewesen… und das offenbar lange bevor die Zwerge hier ankamen. Aber er hatte bisher nirgendwo andere Spuren von ihnen gesehen. Nur hier. Alos hatte dieser Tempel alleine gestanden? Die Ausmaße waren zu gewaltig um ein simpler Wegschrein zu sein. Und noch wichtiger… was war jetzt mit Merl ?

,, Du  kommst immer noch nicht hindurch, oder ?“ Armell sah ihn besorgt an und trat, ohne zu zögern, wieder zu ihm nach draußen.

,,Nein.“ , erklärte der junge Magier seufzend. ,, ich schätze mal, ich muss den Schutzzauber vorhin aktiviert haben.“

,, Bleibt die Frage, warum er euch draußen hält und uns nicht.“ , meinte Naria, die nach wie vor mit den Runen beschäftigt war. Ihr Blick hatte etwas abwesendes, während sie ein kleines Buch aus ihrem Umhang zog und anfing darin zu Blättern. Die Seiten waren vergilbt und brüchig und Galren konnte einen Blick auf Zeichnungen von Runen und Symbolen erhaschen, die denen auf den Fliesen am Tor verdächtig ähnlich sahen. ,, Ich bin kein Experte, was so etwas angeht, aber offenbar sind diese Runen darauf ausgelegt… ein Mitglied des alten Volkes fernzuhalten.“

,, Sie wollten diesen Ort vor sich selbst abriegeln ?“ , fragte Elin. ,, Wozu ?“

Die Gejarn zuckte mit den Schultern. ,, Ich habe keine Ahnung. Aber ich schätze mal, es gab auch Dinge, die sie voreinander geheim halten wollten.“

Und vielleicht war dieser ganze Ort ein Geheimnis gewesen? , fragte Galren sich. Das würde erklären, warum jemand ihn in einer Feuerwüste mitten im Nirgendwo errichtet hatte. Sein Blick wanderte durch den Tempel hin zu dem gesplitterten Marmorblock. Irgendetwas zog ihn nach wie vor dorthin, so sehr er auch versuchte, es zu ignorieren…

Merl zögerte. ,, Das erklärt allerdings  warum er mich draußen hält.“ , meinte er schließlich. ,, Das ist… nun jeder Magier stammt auf irgendeine Art direkt vom alten Volk ab, auch wenn zwischen damals und heute mehrere hundert Generationen liegen dürften. Wir sind praktisch das, was dabei herauskam, als die Letzten ihrer Art menschliche Gefährten nahmen. Also hält dieser Zauber mich schlicht für ein Mitglied des alten Volkes.“

,, Dann müsste er mich allerdings auch dafür halten.“ , begab Naria zu bedenken. ,, Meine Magie stammt aus der gleichen Quelle wie eure, ich habe lange genug darüber gerätselt um das zumindest sicher zu wissen. Und momentan sperrt die Barriere  nur euch aus. Dieser Zauber wurde geschaffen um Magier auszusperren, doch reagiert er nur auf euch, obwohl wir beide das Erbe des alten Volkes besitzen.“

,, Ich bin mir nicht sicher ob ich verstehe worauf ihr hinaus wollt.“ , bemerkte Armell düster. Galren jedoch begann langsam zu ahnen, worum es Naria ging. Und wenn das was er vermutete auch nur zum Teil der Wahrheit entsprach… zu was machte das Merl dann?

,, Ihr irrt euch.“ , erklärte der junge Zauberer überraschend kühl.

,, Es würde einiges erklären.“ , erwiderte die Gejarn. ,, Eure Überempfindlichkeit für Magie beispielsweise.. und gleichzeitig eure Schwierigkeiten damit. Der Zauber ist gegen das alte Volk und seine Abkömmlinge gerichtet, aber er reagiert nicht auf mich…  Das heißt ihr müsst sehr viel mehr von ihrem Erbe in euch tragen als ein gewöhnlicher Magier. Sehr viel mehr, würde ich vermuten. Wer waren eure Eltern?“
,, Das geht euch so was von überhaupt nichts an.“ Merl war vor ihr zurück gewichen. Wenn Galren eines wusste, dann das es schon einiges brauchte um den jungen Magier aus der Fassung zu bringen. Und er hatte noch nie erlebt, dass er wirklich wütend auf jemanden gewesen wäre…

,, Würde mir bitte jemand erklären, was hier eigentlich vor geht ?“ , forderte Armell.

,, Beantwortet mir einfach die Frage.“ , behaarte Naria ohne die Fürstin zu beachten.

,, Er…“ Merl stockte. ,, Zachary hat mir nie viel von ihnen erzählt. Vielleicht hat er auch einfach nicht mehr über sie herausgefunden. Nur das sie im Krieg umgekommen seien.  Ich wurde in den Ruinen Silberstedts gefunden… einige Tage nach dem Ende der letzten Kämpfe. Er… hat mich aufgenommen weil er nach einem Schüler suchte, das war alles, aber wenn was ihr sagt stimmt…“

,, Oder euer Meister wusste bereits, was ich euch jetzt sage : Ihr seid kein einfacher Magier. Ihr seid ein direkter Nachkomme. So verrückt das klingt, aber damit ein Zauber  wie dieser auf euch reagiert könnt ihr kaum weniger als… ein halbes Mitglied des alten Volkes sein. Vielleicht ein Viertel. Ein   Elternteil  oder zumindest  eure Großeltern gehörten zum alten Volk.“

,, Das ist doch Unsinn…“ Merl schüttelte entschieden den Kopf. ,, Ihr seid völlig verrückt, wir spekulieren hier über etwas das… das… Götter, Zachary muss es gewusst haben. Er muss das die ganze Zeit gewusst haben, aber er hat mir nichts gesagt, kein Wort… Deshalb hat er mich aufgenommen. Seine gesamte Forschung über Seelenwanderung über das Wesen der Magie des alten Volkes… Ich bin ein verdammtes Studienexemplar…“

Der junge Magier wendete sich ab, doch bevor er einen Schritt machen konnte, war Armell da und zog ihn an sich.

,, Merl hör mir zu. Du kennst ihn genau so gut wie ich. Ich bezweifle das er dich so gesehen hat und ich bezweifle das er dir aus Bosheit irgendetwas verschwiegen würde. Denk nach, das alles seine ganze Arbeit…“

,,Für mich…“ , murmelte der junge Zauberer fast unhörbar leise. ,, Alles was er getan hat.“

,, Er wollte auf den richtigen Moment warten, da bin ich mir sicher. Wenn er dir erklären konnte, wie du damit umzugehen hast. Das, genau jetzt, wollte er verhindern.“

Naria schien nun selbst etwas betreten, während die beiden sich wieder voneinander lösten. ,, Es tut mir leid.“ , erklärte sie. ,, Ich bin mir sicher, es ist wie Armell sagt. An eurer Stelle würde ich deswegen nicht schlechter von eurem Meister denken. Es ist wie es ist oder vielleicht täusche ich mich auch. Aber es ist die einzige Erklärung die mir einfällt. Und es würde auch bedeuten, wir wüssten, warum ihr langsamer lernt als die meisten. Es kann sein, das ein normaler Zauberer euch einfach nicht mehr beibringen kann, als ihr schon wisst. Wo Ich, Zachary und alle anderen Zauberer nur Stufen auf einer Leiter darstellen… seit ihr einfach eine völlig andere Kategorie.“

Merl schien sich wieder etwas zu beruhigen. ,, Ich schätze… ich werde ihn fragen müssen, wenn wir zurück kommen.“

,, Und vielleicht hilft es euch auch.“ , meinte die Gejarn. ,, Man ist nun mal, als was man geboren wird, daran kann man nichts ändern. Man kann nur damit Leben und das Beste daraus machen. Ich bin der zweite Gejarn-Zauberer der je geboren wurde also… ich weiß wovon ich spreche.“

,, Nun… ich stecke nach wie vor hier fest.“ , erwiderte Merl grinsend. ,, Ihr habt nicht zufällig eine Idee, wie mich dieses… Wissen durch die Tür bringt?“

,, Ich denke schon.“ Naria kniete sich wieder über die Runen am Boden. ,, Der Zauber ist ziemlich alt, ich sollte ihn also eigentlich von hier drinnen brechen können.“ Sie streckte eine Hand aus und bedeckte eines der glühenden Symbole damit.

Galren wanderte derweil unruhig durch das Kirchenschiff auf und ab. Mehr Rätsel, diesmal über Merl. Das war vielleicht wirklich das letzte, was ihnen gefehlt hatte. Aber der junge Zauberer schien es überraschend gut zu verkraften… vielleicht auch nur weil sie nach wie vor nicht sicher sein konnten ob es auch stimmte. Sein Blick ging erneut n Richtung des Altars. Der Block war ganz offenbar von irgendetwas mittig  in zwei Teile gespalten worden. Die scharfen, zackigen Kanten stachen hervor und die gebrochenen Kristalle glitzerten im einfallenden Licht, wo andere Brüche und Beschädigungen im Stein schon lange Stumpf geworden waren. Er musste nicht erst Hadrir fragen um zu wissen, dass der Block schon hier gewesen war, als die Zwerge kamen. Er wirkte bereits uralt…

Und noch etwas fiel Galren auf. Unter dem Staub und von Äonen von Stiefeln so gut wie abgeschliffen waren weitere Runen auf dem Boden angebracht worden. Und nicht nur dort. Sie zogen sich die Mauern hinauf und liefen sogar an der Decke entlang und mancherorts formten sie sogar einen kompletten Kreis, der das Innere des Gebäudes umrundete. Doch anders als die Barriere am Tor waren die Symbole hier erloschen und dunkel, ihre Kraft wohl schon vor Jahrtausenden erloschen.

Das war eine Festung, dachte Galren. Ein Bollwerk aus Magie. Halb war er froh, dass nur die äußerste Verteidigungslinie die Zeit offenbar überstanden hatte. Andererseits machte es ihn auch Unruhig. Warum machte man sich so viel Mühe jemanden von diesem Ort fern zu halten? Oder ging es eher darum etwas… drinnen zu halten? Die Antwort lag am Steinaltar, das spürte er, irgendetwas dort rief ich, griff mit unsichtbaren Fingern nach ihm. Ohne dass er etwas dazu beitrug spüre er, wie seine Beine sich in Bewegung setzten und ihn in Richtung Altar trugen. Er hörte kaum, wie die Barriere am Tor flackernd erlosch, als Naria ihre Arbeit beendete und die Rufe seiner Gefährten klangen seltsam fern. Er drehte den Kopf und sah wie Hadrir versuchte ihn einzuholen. Ohne langsamer zu werden, stieß er den Zwerg weg  und stand plötzlich vor dem gespaltenen Altar. Sein freier Wille schien nicht mehr zu existieren, sein Körper handelte von selbst, als er hinauf kletterte einen Moment ratlos auf die Lücke im Stein starrte. Das Gefühl der Distanziertheit, das er nicht mehr Herr über sich selbst war, verschwand. Dafür machte sich eine Erkenntnis breit, die ihn schwerer traf, als ein echter Schlag das je könnte. Hier war… Nichts.

 

 

 

 

Kapitel 52 Das fehlende Schwert

 

 

 

,, Hier ist nichts.“ , rief er und wusste selber nicht, was ihn daran so entsetzte. Götter er wusste nicht einmal, was er hier grade tat. In Galrens Kopf drehte sich alles. Der Altar war auf breiter Fläche zerbrochen, so dass eine Lücke entstand, durch die er ohne Probleme ins Innere des Felsens sehen konnte. Auf den ersten Blick hätte  er es trotzdem  fast übersehen… Galren fuhr mit einer Hand die glatt geschliffene Aussparung mitten im Fels entlang. Etwas, war im Marmor eingeschlossen gewesen, dachte er.  Und von den Umrissen im Stein her wusste er auch was es war. Das war kein simpler Bruch oder eine Täuschung.  Was er dort sah, war die Silhouette eines Schwerts, die sich im Stein abzeichnete. Aber eben nur die Umrisse, von der eigentlichen Waffe fehlte jede Spur. Etwas war hier gewesen. Und er konnte nach wie vor spüren, ein Echo, das durch seinen Geist hallte. Ein Echo so stark, dass es ihn hergezogen hatte. Es war seine Gabe, die Wegfindung die ihn geführt hatte und doch war das Gefühl ungleich stärker und anders. Er hatte keine Kontrolle darüber gehabt. Der Punkt war… es gab hier nichts mehr. Er war zu spät. Und doch konnte es nicht so lange her sein. Der Bruch im Stein war frisch.

,, Galren ?“ Die anderen kamen nur langsam näher, nun auch Merl im Schlepptau, der ihn besorgt musterte. Sein eigener Schock schien bereits wieder vergessen… oder zumindest konnte er es ziemlich gut verbergen, dachte Galren. ,, Was ist nicht hier ?“

,, Ich weiß es nicht.“ Er flüsterte die Worte mehr, als das er sie laut aussprach. Nur langsam gewann er die Kontrolle über sich und seine Gedanken zurück. ,, Hadrir… war dieser Altar schon Teil des Tempels als ihr ihn fandet ?“

Der Zwerg nickte. ,, Er steht sogar immer noch am selben Fleck“ , erklärte er. ,, Er ist auch zu groß um ihn durch die Tore zu bringen und das Gebäude abzutragen nur um einen Stein aus dem Weg zu haben wollte dann auch niemand.“

,, Und er war schon zerbrochen ?“

Hadrir zögerte. ,, Ja, wie gesagt er war einfach zu groß um ihn zu entfernen, also wurde er zu einem Altar umfunktioniert.“

Galren setzte sich einfach auf eine Kante des Steins und dachte nach. Lügner, dachte er zum wiederholten Mal. Götter was ging in dieser Stadt nur vor sich? Seit sie Canton verlassen hatten, stolperte er praktisch von einem Geheimnis ins andere und nirgendwo war eine Antwort in Sicht, eine Möglichkeit sich einen Reim darauf zu machen. Etwas war in diesem Stein gewesen und jemand hatte ihn zerbrochen und es an sich genommen. Und das definitiv nicht vor mehreren Jahrhunderten. Aber kannte Hadrir die Wahrheit? Oder erzählte er ihnen nur, was der König von ihm hören wollte? Irgendwie glaubte er nicht, dass der Mann sie gerne anlog, wenn das der Fall war. Es änderte aber nichts daran, dass er die Wahrheit am liebsten aus ihm herausgeschüttelt hätte.

Die anderen waren mittlerweile ebenfalls an den  Altar herangetreten und sahen, was einmal darin verborgen gewesen war. Aber es nützte ihnen nichts, nur ein weiteres nutzloses Puzzleteil.

,, Und ihr wisst wohl auch nicht, was einst in diesem Block eingeschlossen war oder wo es hingekommen ist ?“ , fragte Naria, die erneut ihr Buch und nun auch eine kleine silberne Schreibfeder in der Hand hielt. Offenbar waren ihr die ausgebleichten Runen an Böden und Decken des Tempels nun ebenfalls aufgefallen und routiniert begann sie, sie abzuzeichnen.

Hadrir musterte sie dabei skeptisch, sagte aber nichts. Wenn er jetzt panisch werden würde, dachte Galren, bräche sein Kartenhaus endgültig zusammen. Der Zwerg  konnte nicht erwarten, dass er eine weitere Lüge hinnehmen würde. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Nein, sagte er sich. Das war nicht er. Und er war auch nicht hier um das Rätsel dieses Tempels zu lösen, er wollte etwas über seinen Vater herausfinden. Und wenn er das grade tat ? Hadrir hatte gemeint, sein Vater sei oft hier gewesen und das glaubte er ihm auch. War auch ihm der zerbrochene Altar aufgefallen? Hatte er die gleichen Fragen gestellt? Oder war der Stein damals vielleicht noch intakt… Er wusste nicht welche Möglichkeit ihn mehr beunruhigte.

,, Tatsächlich habe ich mich selbst immer gefragt, was einmal hier war.“ , meinte eine Stimme , die zu einem älteren Zwerg in weißen Roben gehörte. Vielleicht einer der Priester des Tempels, auch wenn dieser Ort bisher überraschend leer wirkte.Die grauen Haare und die hohe Stirn  gaben ihm das Aussehen eines Gelehrten. Aber seine Augen… Panisch huschten sie zu Hadrir der kaum sichtbar nickte. ,,Es scheint jedenfalls zu fehlen.“

,, Ich verstehe schon.“ , erklärte Galren wütend und stand auf. ,, Ich habe langsam das Gefühl niemandem in dieser Stadt ist daran gelegen mir einmal die Wahrheit zu sagen. Nun gut. Aber glaubt nicht, das ihr mich dadurch schneller los werdet.“

Mit diesen Worten stürmte er an dem alten Mann vorbei und durch die Tempeltore zurück auf die Straße.

,, Galren, wartet !“ Hadrir setzte ihm als erster nach, bevor schließlich auch die anderen folgten. ,, Ihr könnt nicht einfach da draußen rumlaufen, das ist gefährlich !“

Die misstrauischen Blicke, die man ihm zuwarf, als er sich ziellos einen Weg durch die Straßen bahnte, beachtete er schon gar nicht mehr. Er wollte hier nur weg, am besten so weit wie möglich. Angst sich zu verirren musste er wohl keine haben. Der Tempel und die Mauer waren von überall sichtbar. Mittlerweile konnte er nicht einmal mehr die Schritte der anderen hinter sich hören, nur noch das vereinzelte Klacken von Stiefeln auf Stein. Solange es nur nicht der Zwerg war, der ihn als erstes einholte..., dachte er. Diese Leute wussten alle etwas, dachte er. Vielleicht nicht genau, was hier gespielt wurde, aber niemand schien gewillt ihm mehr als das nötigste zu sagen. Und hier in der Weststadt hatte er wohl erst recht keine Chance.

,, Galren, werdet ihr jetzt mal langsamer oder muss ich euch ewig nachlaufen ?“ Es war Elin, die als erstes wieder zu ihm aufschloss. Wussten die Götter, wie ausgerechnet sie es geschafft hatte mit ihm Schritt zu halten. Auf der anderen Seite sollte das Mädchen ihn eigentlich längst nicht mehr überraschen können.

,, Wenn ihr wollt.“ , meinte er, wurde aber trotzdem langsamer. ,,Ich habe langsam das Gefühl, niemand in dieser Stadt will, das wir irgendetwas außer dem nötigsten erfahren. Ich weiß nicht einmal mehr, was ich hier noch glauben kann. Ich meine… der König sagt mein Vater wäre freiwillig wieder abgereist… aber auch das ist eine Lüge. Irgendjemand hat die Karte versiegelt, die ich bekommen habe. Vielleicht hat man ihn sogar gezwungen zu gehen, so wie sie es mit uns versuchen,, unvorbereitet, so das er wusste das er es nicht zurück schaffen würde. Dann haben sie ihn getötet… das würd zumindest erklären, wieso niemand mir die Wahrheit sagen will.“

,,Vielleicht haben sie nur Angst.“

Er lachte. ,, Das bezweifle ich sogar keine Sekunde lang. Panik. Ihr habt den Priester gesehen, oder? Er fürchtete sich irgendetwas Falsches zu sagen… weil Hadrir da war. Hier geht es um mehr als darum, dass man uns nicht leiden kann, Elin. Hier steckt mehr da hinter und ich habe keine Ahnung was. Ich weiß nur das ich langsam anfange diesen Leuten hier genau so wenig zu trauen, wie sie uns.“

,, Vor ein paar Tagen konntet ihr es noch gar nicht abwarten, das wir unser Ziel erreichen.“ , stellte Elin fest. ,,Ich schätze mal…“

,, Das ich das hier nicht erwartet habe.“ , beendete Galren den Satz. ,, Nein. Das hat keiner von uns. Und ich bin kurz davor die Geduld zu verlieren, wenn ich ehrlich bin.“

,, Geister, das klingt nicht mal mehr nach euch.“

,,Nein.“ , gestand er. ,, Ich… habe keine Ahnung was eben im Tempel mit mir passiert ist. Und das macht mir mehr  Angst als alles andere zusammen. Elin ich hatte keine Kontrolle mehr über was ich tue.“

,, Würde es helfen wenn ich mich noch einmal für euch umhöre ?“ , fragte sie schließlich.

,, Das würdet ihr tun ?“

,, ich bin ein wenig unauffälliger als ihr. Nichts für ungut. Und außerdem nicht kurz davor Hadrir für eine Antwort auf meine Größe zu Recht zu stutzen. Die Leute reden mehr, wenn sie sich unbeobachtet fühlen.“

Galren zögerte. Irgendwie machte es ihn ruhiger seinen ganzen Ärger einfach in Worte zu fassen. Er zwang sich dazu, tief durchzuatmen. Nach wie vor war der Schatten der sich im Tempel auf seinen Geist gelegt hatte nicht ganz gewichen. Und vielleicht würde er das auch nicht, aber zumindest gewann er zunehmend wieder die Oberhand, je mehr seine Wut sich verflüchtigte. Mittlerweile waren sie stehen geblieben und Galren hörte bald, wie die anderen die Straße hinauf gelaufen kamen. Hadrir hatte sich erstaunlicher weiße an die Spitze gesetzt und obwohl er außer Atem war, schien der Mann ein besserer Läufer als man bei seiner Statur vermuten würde.

,, Alles in Ordnung ?“ , wollte Lias wissen, als er sie schließlich einholte und Galren antwortete mit einem kurzen nicken.

,, Mir geht es… nun besser, denke ich.“

,, Ich habe doch gesagt ihr sollt stehen bleiben.“ , schnaufte er wütend. ,, Das hier ist nicht die Oststadt, die Leute hier werden es nicht auf sich sitzen lassen, wenn ihr hier ohne Begleitung herumrennt.“

,,Sicher.“ , meinte Galren ungerührt. ,, Vielleicht erinnere ich mich wieder daran, wenn jemand hier bereit ist, mit mir zu reden.“

Der Zwerg schüttelte lediglich den Kopf. ,, Ich versuche euch so gut es geht zu helfen.“ , rief er. ,, Wenn das allerdings euer Dank dafür ist, kann ich mir die Mühe auch sparen. Habt ihr eine Ahnung was allein eure Anwesenheit hier anrichten kann?“

,,Nein,  ich…“ Zu seiner Überraschung musste Galren feststellen, dass er dem Mann seine Worte dieses Mal glaubte. Er wollte ihnen wirklich helfen. Aber wie es aussah, war er wohl selber gebunden. Stellte sich nur die Frage, wer ihm den Mund verbot… Die Antwort schien offensichtlich. Brunar. Wenn jemand wusste was genau damals geschehen war, als sein Vater hier eintraf, dann war das der König. Und offenbar war er darauf aus, es um jeden Preis vor ihnen geheim zu halten. ,, Vielleicht sollten wir einfach zurück gehen.“

Hadrir nickte und mit fügte mit versöhnlicher Stimme hinzu: ,, Ich bezweifle allerdings, das ihr woanders mehr erfahren werdet. Es tut mir wirklich leid. Das könnt ihr mir glauben. Aber diese Stadt ist gegen euch.“

,, Und wenn ich mich an die Anhänger eures Propheten wende ?“

,, Zu welchem Zweck ? Sie werden euch nur  das sagen, was der Prophet von ihnen hören will. Wenn ihr glaubt die Isolationisten seien störrisch… Diese Leute interessiert nicht, was in dieser Stadt geschieht, sie haben sie schon aufgegeben.“

,, Und ihr nicht ?“

,, Nein.“ Hadrir seufzte. ,, Ihr seid in dunkeln Zeiten hergekommen, aber  ich werde nicht zulassen, das diese Stadt wortwörtlich zerbricht. Nicht solange ich etwas dagegen tun kann. Das hier ist unsere Heimat. Aber wenn es sie bleiben soll müssen die Isolationisten akzeptieren dass wir eben nicht alleine auf dieser Welt sind. Und der Prophet müsste seinen Anhängern klar machen dass man nicht einfach weglaufen kann, wenn die Dinge düster aussehen. Oder besser, wenn einem das jemand einredet.“

Sie hatten sich mittlerweile wieder in Bewegung gesetzt und folgten Hadrir durch einen Bezirk mit kleinen Gebäuden und Hallen, aus denen das Geräusch von Hämmern und das Klicken von Zahnrädern drangen. Selbst unter Galrens Füßen schien der Boden leicht zu zittern. Als würde darunter alles mit Maschinen und Pumpen angefüllt sein und tatsächlich. Soweit er wusste, lag das wohl durchaus im Bereich des Möglichen. Hatte Hadrir nicht erwähnt, die Zwerge würden ihr Wasser tief aus dem Fels unter der Stadt beziehen? Wenn ja, dann war das hier oben vielleicht so eine Art Zugangspunkt? Als er beim Vorübergehen in eine der Hallen spähte, wusste er, dass er Recht hatte.

Gewaltige Apparaturen, deren Funktionsweise er nicht  erkennen konnte standen darin und unter dem Lärm den Zahnräder und Federn verursachten, war auch das Rauschen des  Wassers zu vernehmen, das in stetigen Strömen aus Röhren und von dort in Behälter aus Stahl und Holz strömten. Bevor er jedoch dazu kam, danach zu fragen, kamen eine Reihe von Männern in Sicht, die offenbar an der Straße warteten. Als sie die kleine Gruppe erspähten, stellten sie sich ihnen langsam, einer nach dem anderen in den Weg. Galren runzelte die Stirn. Das bedeutete sicher nichts gutes.

Hadrir schien das gleiche zu denken, denn ohne zu zögern drehte er sich um und wollte sie den Weg wieder zurückführen. Weit jedoch sollten sie nicht kommen, als sich eine zweite Reihe Männer offenbarte, die wohl im Schatten einer der Hallen gelauert hatte. Sie waren eingekesselt zwischen den dröhnenden Maschinen zu ihrer linken und Rechten und den ruhig abwartenden Zwergen vor und hinter ihnen…

 ,, Das hat grade noch gefehlt.“ , murmelte Hadrir. ,, Tut mir einen gefallen und überlasst das reden mir.“

 

Kapitel 53 Die Katakomben

 

 

 

Die zwei Gruppen, die sie eingekesselt hatten, kamen langsam näher. Es waren mindestens zwei Dutzend, allesamt in schwerer Panzerung, deren Helme ihre Gesichter im Schatten ließen. Das hieß bis auf einen, einen Mann, den man für einen Zwerg wohl als hochgewachsen bezeichnen konnte, überragte er die restlichen Kämpfer doch allesamt um einen Kopf. Schwarze Haare fielen ihm bis fast auf die Schultern. Sein Bart war sauber bis auf das Kinn zurückgeschnitten, nach allem was sie bisher hier gesehen hatten äußerst ungewöhnlich. Wo die anderen Soldaten schwarze oder grüne Umhänge trugen, viel ihm ein purpurner, fast ins violett gehender Mantel über die Schultern, in dessen Stoff jemand das Emblem einer Hacke gestickt hatte, die an einem Stützbalken lehnte. Das gleiche Symbol fand sich auch auf der Brustplatte seiner Rüstung wieder und in weniger prunkvollen Ausführungen auch auf den Panzern seiner Gefolgsleute. Diese hatten mittlerweile die Waffen bereits im Anschlag. Merl spürte, wie er anfing zu zittern, als er zusah, wie die Männer näherkamen. Das hier war kein Spiel… Seine Hand wanderte zu der Kette um seinen Hals und berührte kurz das blaue Juwel daran. Er wollte es nicht wieder benutzen. Die Erinnerungen an Parlors Tod waren nach wie vor frisch und präsent. Aber wenn man ihm keine Wahl ließ, wenn diese Männer seine Freunde bedrohten, Armell, Galren, Lias all die anderen, selbst Hadrir ? Das würde er nicht zulassen. Merl ließ die Kette los und richtete sich ein Stück auf.

Hadrir ging dem Mann in dem purpurnen Umhang derweil mit weit ausgebreiteten Armen entgegen.

,, Marschall Algim Mardar.“ , rief er und die unterschwellige Wut in seiner Stimme brachte sogar einige der Männer dazu kurz langsamer zu werden. ,, Darf ich fragen, was ihr glaubt hier zu tun ?“

,, Ich rette unsere Stadt, Hadrir. Ich schlage vor, ihr steht mir dabei nicht im Weg. Das hier geht euch nichts an. Gebt uns einfach die Fremden.“

,, Oder was ?“ , fragte der Zwerg grimmig. ,, Wollt ihr mich dann töten ja ? Ist euer Thane derart verkalkt, das er glaubt, der König würde sein Haus dann nicht als schwellende Ruine hinterlassen?“

Der als Algim angesprochene Mann seufzte. ,, Ich habe euch gewarnt und ich warne euch nur noch einmal. Trete beiseite und ihr dürft Leben. Ich würde nur ungern königliches Blut vergießen, aber wenn ihr euch weiterhin weigert…“

,, Ja, ja das tue ich. Wir stehen unter dem Schutz des Königs. Eure Männer werden sich jetzt zurückziehen oder glaubt mir, ich werde persönlich dafür sorgen, dass man euch allein ins Ödland treibt!“
 ,, Nun ihr könnt gerne versuchen an uns vorbeizukommen.“ , meinte der Marschall überheblich. Mit einer Hand warf er seinen Umhang zurück und offenbarte so den Griff eines Langschwerts und einer Armbrust, die an seinem Gürtel hingen. ,, Die Fremden werden uns begleiten, oder sie gehen nirgendwo hin. Aber bitte.. gebt mir nur einen Grund… Mein Thane mag nicht darauf aus sein, sie zu verletzen… ich teile seine Ansichten was das angeht allerdings nicht.“

Hadrir erwiderte nichts, aber auch seine Hand wanderte zum Griff des Hammers an seiner Seite. Die Augen des Zwergs zuckten zwischen dem Dutzend Männer vor ihm hin und her, dann wieder zu seinen Gefährten, dann zu den Hallen mit den Pumpwerken. Plötzlich nahm er mit einem resignierten Seufzten die Hand von der Waffe.

,, Ich hoffe ihr wisst, das ich euch das nie verzeihen werde, Algim. Aber ich kann das auch nicht alleine entscheiden. Meine Gefährten könnten doch entscheiden zu kämpfen… das sollte ich ihnen ausreden. Ist es zu viel verlangt, wenn ich darum bitte, mich kurz mit diesen Männer alleine unterhalten zu können?“

,, Wenn ihr glaubt, ich lasse euch mal eben aus den Augen, dann seid ihr ein noch größerer Narr als ich dachte.“

,, Nichts dergleichen.“ , gab Hadrir zurück. ,, Wir würden lediglich zu den Pumpwerken gehen. Der Lärm würde es euch unmöglich machen uns zu hören, aber das Gebäude ist übersichtlich… und es gibt nur einen Ausgang nicht wahr?“ Die Augen des Zwergs verengten sich zu schlitzen, als er auf die Antwort wartete. Der Marschall schien zu zögern ob er dem Mann trauen konnte.

,, Ich gebe euch genau so viel Zeit, wie ich brauche, um die Halle einmal zu umrunden.“ , erklärte er kühl. ,, Der Rest meiner Männer wird sich darum verteilen. Wenn ihr also glaubt irgendwie anders dort wieder herauszukommen…“

Hadrir nickte lediglich. ,, Danke.“ Und an sie gerichtet erklärte er lediglich: ,, Kommt mit. Wir sollten uns beeilen.“

,, Das solltet ihr.“ , brummte Algim. ,, Ich gehe jetzt los.“ Mit diesen Worten ging er in Richtung Halle davon und ihnen blieb kaum etwas anderes übrig, als ihm zu folgen, als seine Männer weiter auf sie zutraten und schließlich in Richtung der offen stehenden Tore trieben. Der aus groben Steinplatten gefertigte Boden vibrierte unter ihren Füßen, als sie eintraten. Mit einem hatte Hadrir schon einmal recht, dachte Merl, der Lärm hier war wirklich Ohrenbetäubend, aber seltsamerweise nicht unangenehm, wie er fand. Das Rauschen des Wassers war überall, zusammen mit dem metallischen Klingen tausender Zahnräder…

Draußen nahm die Wachen des Marschalls mittlerweile ihre Positionen ein, ein breiter Bogen aus düster dreinsehenden Männern, die allesamt die Waffen im Anschlag hielten. Jetzt hieß es hoffen, das Hadrir vielleicht doch einen Plan hatte… und sie nicht nur hier her gebracht hatte um über ihre Auslieferung zu verhandeln. Wie lange würde Algim brauchen um das komplette Pumpwerk einmal zu umrunden? Nicht sehr lange, wie Merl feststellte. Und Hadrir führte sie nach wie vor weiter auf die gewaltige Apparatur im Zentrum der Anlage zu, einen Turm von doppelter Manneshöhe, aus dem Rohre in alle Richtungen führten. Die Konstruktion war ein Stück versetzt zur Höhe des restlichen Bodens angelegt,  und um sie herum verlief ein breiter Spalt, der gradewegs in die Tiefe führte. Wie weit, konnte Merl nicht einmal abschätzen. Was hatte Hadrir nur vor ?

,, Wir müssen uns beeilen.“ , rief der Zwerg über den Lärm der Maschinen hinweg und hielt auf ein Geländer zu, das die Pumpe umgab. Ohne lange darüber nachzudenken, setzte er darüber hinweg… und war plötzlich verschwunden. Merl und die anderen stürzten rasch die letzten Schritte zum Geländer, nur um einen kerngesunden Hadrir vorzufinden, der auf einer Plattform, ein gute Handbreit über dem Abgrund stand. Diese war aus dunklem Stein gefertigt, der feucht vom Kondenswasser in der Dunkelheit glänzte. Von der Plattform aus führten direkt in den Fels der die Pumpe umgab geschlagene Stufen abwärts. Aber hatten nicht sowohl Hadrir als auch der Marschall vorhin behauptet, es gäbe nur einen Ausgang? Wo führte dann diese Treppe hin?

,, Habt ihr vor noch lange vor zu warten ? Kommt schon, beeilt euch, ansonsten nimmt Algim euch sicher gerne mit.“

,, Habt ihr nicht gesagt es gäbe keinen anderen Ausweg ?“ , wollte Armell wissen, die als erste über das Geländer kletterte und sich nach unten fallen ließ.

,, So gesehen , gibt es auch nur einen. Niemand würde je glauben, dass wir uns hier herunter wagen.“ , erklärte Hadrir, während die anderen ihr schließlich folgten. Merl ging als letztes und einen Moment hing er unschlüssig über der Brüstung. Es war nicht so tief, sagte er sich. Die Plattform war eigentlich nicht zu verfehlen… und trotzdem machte ihn der tiefe, schwarze Abgrund jenseits der Treppe unruhig. Schließlich schloss er die Augen und lies einfach los. Der Aufprall als er wieder am Boden aufkam, war härter als er gedacht hatte und er wäre vermutlich gestolpert, hätte Armell ihn nicht im letzten Moment festgehalten.

Währenddessen war Hadrir bereits dazu übergegangen, die ersten Stufen hinab zu steigen. Moose und Algen wuchsen auf dem uralten, glitschigen Stein und zogen sich auch die Wände hinauf.

,, Wie meintet ihr das, niemand würde sich hier herunter wagen ?“ , wollte Naria wissen. Die Gejarn hatte sich die Kapuze ihres Umhangs tief ins Gesicht gezogen um sich vor dem herabtropfenden Wasser zu schützen.

,,Ich meine damit, das Algim nie  vermuten würde, das wir freiwillig diesen Weg nehmen. Die Treppe führt gradewegs in die Katakomben der Stadt, das da unten ist das reinste Labyrinth… und generell ist es nicht sehr sicher. Viele Tunnel und Maschinen sind marode und stammen noch aus der Zeit als wir das erste Mal Fuß auf dieses Land setzten. Aber ich ziehe die Dunkelheit der Gnade des Marschalls definitiv vor. Egal was sich hier unten alles eingenistet haben mag.“

Dagegen konnte Merl nichts sagen. Vermutlich war alles besser, als den Leuten ausgeliefert zu sein, die sie Abgrundtief hassten.

,, Wird er uns nicht verfolgen ?“ , fragte er , nachdem sie bereits ein gutes Stück in die Tiefe gestiegen waren, ohne das über ihnen etwas zu hören gewesen wäre. Die Treppe schien sich endlos in einer Spirale nach unten zu winden, ohne dass sich ihre Umgebung groß änderte. Nur das Licht über ihnen wurde immer fahler, so das Merl schließlich ein kleines Licht heraufbeschwor um noch einigermaßen sehen zu können.

,, Das würde er nicht wagen. Wenn er seine Leute in die Tunnel schickt kann er sicher gehen, die Hälfte nie wieder zu sehen. Diese Schächte nehmen leicht die doppelte Fläche der eigentlichen Stadt ein. So gesehen steht die gesamte Metropole auf durchlöchertem Fels. Wer sich hier unten nicht auskennt ist schnell verloren.“

,, Und wir nicht ?“

,, Das habe ich nicht gesagt. Aber ich war öfter hier unten als die meisten. In letzter Zeit hat der König wiederholt Expeditionen in die Dunkelheit geschickt. Leider konnte ich nicht herausfinden wieso. Und ich habe als Kind hier unten gespielt. Damals haben sich unsere Arbeiter noch regelmäßig in die Tunnel gewagt. Heute nur noch, wenn etwas repariert werden muss.“

,, Was ich nicht verstehe ist, wieso der König den Isolationisten oder den Propheten-Anhängern überhaupt Soldaten lässt, wenn er sie angeblich zur Vernunft bringen will.“ , meinte Armell nachdenklich. Ihre Stimmen hallten mittlerweile gespenstisch von den Wänden wieder.

Hadrir schüttelte den Kopf. ,, Ihr versteht nach wie vor nicht. Die Macht des Königs kommt von den Häusern. Nicht umgekehrt. Jedes Haus verfügt über eine eigene kleine Streitmacht, die vom jeweiligen Marschall, meist ein naher Verwandter des Thanen, befehligt wird. Der König hingegen, verfügt nicht über eigene Truppe, deshalb greift er für seine Wachen auch immer auf Soldaten aller Häuser zurück. Etwas anderes bleibt ihm auch gar nicht übrig.  Das Misstrauen das diese Männer sich untereinander entgegenbringen verhindert, dass ein einzelnes opportunistisches Haus etwas gegen den Herrscher unternimmt. Aber wenn der König anordnen würde, ein Haus ohne vorherige Provokation zu entwaffnen, würde der Rest das nie auf sich sitzen lassen. Sie sähen sich bedroht… das Ergebnis könnt ihr euch vorstellen. Und würde der König offen eigene Truppen ausheben würde das erst recht zu einem Bürgerkrieg führen“

Hadrir schien ziemlich viel darüber zu wissen, wie die Politik dieser Stadt funktionierte, dachte Merl. Eigentlich wohl sogar zu viel, für einen einfachen Soldaten. Nun zumindest erklärte das, wieso die Posten am Königspalast alle unterschiedliche Embleme auf ihren Panzerungen trugen.  Alles bis auf Hadrir natürlich. Der junge Magier musterte ihren Führer  erneut.

,, Klingt nach einem gefährlichen Spiel.“ , stellte er fest. Merl meinte nun endlich so etwas wie einen Boden erkennen zu können. Das silbrige Licht  seines Zaubers spiegelte sich in den Pfützen am Grund des Schachts wieder. Die Rohre und Mechanismen der Wasserpumpe mündeten in einer großen Steinplatte. Vermutlich verliefen sie ab hier durch einen anderen Tunnel.

,, Deshalb ist die Situation ja so verfahren wie sie ist.“ , grummelte der Zwerg, während sie nun endlich den Boden erreichten. In dem kreisrunden Schacht stand ihnen das Wasser fast bis zu den Knien. Und es war eiskalt, wie Merl erfahren musste, als er den Fuß von der letzten Stufe nahm.

Hadrir , dem das Wasser sogar bis zur Hüfte ging, ignorierte die Kälte augenscheinlich und watete ohne langsamer zu werden in Richtung einer geschlossenen Gittertür. Zwar war diese mit einer großen Kette gesichert, aber die ständige Feuchtigkeit hier unten hatte davon kaum mehr als ein von Rost zusammengehaltenes Band übrig gelassen. Die Kette brach unter einem Fausthieb des Zwergs und die Tür schwang auf. Dahinter lag ein Gang, der leicht nach oben steigend wieder aus dem Wasser hinaus führte nur um dann im Dunkeln zu verschwinden. 

,, Bevor wir weitergehen… darf ich fragen welche Rolle ihr in all dem hier dann spielt ? Als wir hier ankamen, habt ihr kein Wappen getragen. Wieso nicht ?“

,, Der König hat kein eigenes Wappen.“ , erklärte Hadrir lediglich, bevor er in den Tunnel trat.

,, Aber seine Wachen schon.“ , hackte Merl nach. Irgendetwas and er Sache war faul an der ganzen Art, wie man Hadrir behandelte. Der Marschall schien so etwas wie Respekt für ihn übrig gehabt zu haben, der Wirt in der Taverne tat praktisch was er ihm sagte und der Priester im Tempel… er hatte sogar Angst vor ihm gehabt. ,, Also warum tragt ihr kein Wappen ?“

Der Zwerg war langsamer geworden. ,, Wenn ihr es unbedingt wissen wollt… Mein voller Name ist Hadrir Silberstein….“

 

 

Kapitel 54 Tunnelschleicher

 

 

Eine Weile sagte niemand ein Wort, während sie ihren Weg fortsetzten. Der Tunnel, dem sie folgten wurde rasch höher und breiter, so dass sie nicht mehr halb geduckt hinter Hadrir laufen mussten.

,,Das heißt ihr seid Brunars…“ , setzte Galren an.

,, Ich bin der Sohn des Königs.“ , unterbrach er ihn. ,, Aber ich glaube ihr solltet mittlerweile verstehen, wie wenig das hier bedeutet. Es heißt nicht einmal, das ich sein Nachfolger bin, jedes Haus könnte den nächsten König stellen, wenn es stark genug ist. Am Ende entscheiden die Thanen über Nachfolger nicht die Erblinie. Glaubt mir also das es einen Grund gibt warum ich nicht darüber rede.“

Galren erwiderte nichts mehr, während Hadrir sie weiter durch den Tunnel führte. Dieser war mittlerweile zu einem breiten Gang geworden und schien sich immer noch weiter zu verändern. Das war keine simple Nische im Fels, dachte er. Es war wie der Zwerg gesagt hatte, die Stadt stand auf völlig durchlöchertem Felsen. Langsam aber sicher wichen die Wände noch weiter zurück und gaben einem gewaltigen Abgrund frei. Alles was von ihrem Tunnel blieb, war ein mächtiger Steinbogen, der sich durch die Leere zog um irgendwo auf der anderen Seite wieder in der Felswand zu verschwinden. Es war erstaunlich warm hier, dachte Galren. Das Feuer, das das Land oben verzehrte, zog sich auch hier unten durch den Stein.

Lichtstrahlen vielen von irgendwo weiter oben hinab und erlaubten es so, sich zumindest ein wenig zu orientieren. Dort, wo sie helle Schatten auf die Wände zeichneten, sprossen Pflanzen, Farne, Moose und Flechten. Und mit dem Licht kam auch Wasser. Galren konnte nichts als einige helle Flecken irgendwo in der Felsdecke über ihnen erkennen, doch in stetigen Rinnsalen und kleinen Wasserfällen strömte das kühle Nass die Felsen hinab, bevor es irgendwo in der Tiefe versickerte. Dort unten spannte sich eine Unzahl weiterer steinerner Wege, die aus allen Richtungen kamen und sich dort verloren, wo die spärliche Helligkeit sie nicht mehr erreichen konnte. Dieser Ort war gewaltig, dachte Galren. Es musste Jahre und wer wusste wie viele Leben gekostet haben, das hier aus dem Fels zu schlagen und doch war es nur eine riesige Weggabelung. Gab es noch mehrere dieser Art? Wenn ja, dann waren sie tatsächlich in ein Labyrinth ohne Ausweg getreten, als sie Hadrir hier herab gefolgt waren. Irgendwo aus der schwarzen Tiefe konnte er das vertraute Sirren und Wummern der Maschinen hören, die das Wasser von dort unten hinauf in die Stadt brachten.

Galren  wurde langsamer, als er in die Dunkelheit spähte. Manche der Bögen unter ihnen waren zu steinernen Ringen ausgebaut worden, durch die reißende, künstliche Flüsse strömten. Er wusste nicht, was unangenehmer wäre. Zu stolpern und haltlos in die Tiefe zu stürzen oder in einem dieser Ströme zu landen und von der Wucht der Wassermassen mitgerissen zu werden…. Wohin auch immer. Sentine jedenfalls schien diese Angst nicht zu kennen, sondern verwandelte sich spontan in ein Glühwürmchen, das  als kaum sichtbarer Funke um die Brücke und zu den steinernen Wasserrinnen hinab huschte.

 Er wollte sich bereits abwenden, als ihm auffiel, dass Lias hinter ihnen zurück geblieben war. Der alternde Gejarn schleppte sich mit sichtlich mehr Mühe voran, als noch auf dem Weg die Treppe hinab.

,, Alles in Ordnung ?“ Rasch stürzte er an die Seite seines alten Freunds

,, Ich muss mich nur kurz setzen.“ , erklärte er, während er sich von Galren bis zum Ende des Bogens helfen lies. Dort gab es einen kleinen Felsvorsprung, bevor ihr Weg wieder im Gestein verschwand und er half dem Löwen sich hinzusetzen.

,, Das Bein ?“ , fragte Galren besorgt

,, Ich hätte nicht gedacht das mich das nochmal einholt. Aber ich schätze Treppenlaufen und kaltes Wasser sind dann doch zu viel.“ Lias rang sich ein gequältes Lächeln ab. ,, Gebt mir nur eine Minute.“

,, Wir sollten nicht zu lange verweilen.“ , meinte Hadrir besorgt.

,, Wieso nicht ?“ , fragte Armell. ,, Ich dachte ihr sagtet,  das der Marschall uns nicht bis hier hinab folgen würde ?“

,, Das ist auch nicht, was mir Sorgen macht.“ Der Zwerg war an den Rand des Vorsprungs getreten und starrte nach unten, als könnte er in der Dunkelheit etwas erkennen, das ihnen verborgen blieb.

,, Punkt ist, wir gehen nicht ohne Lias weiter.“ , erklärte Galren entschieden und vielleicht etwas zu laut.

,, Das habe ich auch nie vorgeschlagen, junger Mensch. Aber ich würde empfehlen, ihr zügelt eure Stimme. Diese Tunnel sind nicht so verlassen, wie sie scheinen.“

,, Was meint…“ , setzte er an, doch dann hörte er es selbst. Ein seltsam schriller Laut, wie das Gelächter eines Mannes, dem man die Kehle verbrannt haben mochte. Irgendwo unter ihnen huschte ein Schatten an der Wand entlang… In der Vertikalen… Galren blinzelte mehrmals um sicher zu gehen, das er sich nicht täuschte. Was immer es war, es war jedenfalls weg, als er wieder hinsah.

,, Das.“ , erklärte Hadrir düster. ,, Tunnelschleicher. Früher haben wir sie regelmäßig ausgemerzt und so auf Distanz gehalten aber seit hier unten alles verlassen ist…“

,, Sind sie  gefährlich ?“ , wollte Merl wissen.

,, Das kommt darauf an. Ein einzelnes Tier würde nie einen Zwerg angreifen. Und vermutlich auch keinen Menschen. Aber ein Rudel… und sie jagen fast immer in Gruppen.“

,, Kannst du aufstehen ?“ , fragte Galren an Lias gewandt.

,, Ehrlich gesagt, da ich keine Lust habe von irgendetwas gefressen zu werden… ja.“ Der Löwe streckte ihm eine Hand hin und er zog ihn wieder auf die Füße. Trotz der schmerzverzerrten Mine die der Mann dabei zeigte, machte er keinen Laut. Nur Hadrir atmete erleichtert auf und winkte ihnen zu, ihm zu Folgen.

,, Wir werden einmal bis zum Boden der Schächte steigen müssen.“ , erklärte er gedämpft, als sie den nächsten Tunnel betraten. ,, Von dort aus können wir dann einfach die unterirdischen Seen überqueren und sollten in der Oststadt wieder ans Tageslicht kommen. So umgehen wir Algims Männer und die Mardar vollkommen.“
,, Und ihr kennt euch hier unten wirklich gut genug dafür aus ?“

,, Solange wir auf dem Weg bleiben, den ich kenne, ja.“ Er deutete ihnen voraus auf die erste von vielen Kreuzungen. ,, Links geht es zurück zur Oberfläche und rechts… nun rechts ist unser Weg.“

Danach wusste Galren nicht mehr, wie lange sie durch die Dunkelheit liefen. Ab und an erreichten sie eine weitere große Kammer wie die, die sie zu Beginn durchquert hatten, jedes Mal auf einer anderen Ebene. Das hier unten war wirklich eine Stadt unter der Stadt… nur das sie vollkommen verlassen und bis auf die Maschinen und das Rauschen des Wassers vollkommen still waren. Keiner von ihnen sagte mehr als das nötigste, selbst Elin nicht und auch Merl schienen die Fragen ausgegangen zu sein, während sie einer großen Wasserrinne über einen weiteren Abgrund folgten. Offenbar war diese schon länger nicht mehr geflutet gewesen, denn auf dem grauen Stein waren die Algen vertrocknet und wo einstmals ein kleiner Fluss dahingeschossen war, waren nur vereinzelte Pfützen geblieben. Und dann hörte Galren es erneut.

Ein Laut, fast wie bösartiges, verstümmeltes Gelächter, der dafür sorgte, dass sich ihm die Nackenhaare aufstellten.  Dem ersten Schrei antwortete ein zweiter… diesmal näher, da war Galren sich sicher, dann ein dritter von dem er hätte schwören können, das er genau von hinter ihm kam.

,, Hadrir ?“ Elins Stimme klang dünn, während ihre Augen nach dem Ursprung der Laute suchten. Galren bemerkte wie sie zitternd  einen länglichen Gegenstand aus ihrem Gürtel zog und erkannte eine Pistole. Er würde erst gar nicht fragen, woher sie die hatte,  damit war zumindest niemand von ihnen unbewaffnet.

 Der Zwerg seinerseits war wortlos stehengeblieben und zog langsam, ohne das viel zu hören gewesen wäre, den Hammer. Merl wich derweil etwas zurück und Naria packte den Kampfstab den sie trug mit zwei Händen. Galrens eigene Hand war klatschnass geschwitzt, als er sie auf den Schwertgriff legte. Lias würde sicher das Gleiche tun. Langsam sah er sich in alle Richtungen um. Es war still geworden. Den drei Rufen eben war kein weiterer mehr gefolgt. Vielleicht hatten sie Glück…

Dann jedoch geschah es. Das Din schoss von irgendwo unter der Rinne hoch in der sie standen. Zwei gewaltige, mit Krallen bewährte Pranken tauchten plötzlich am Rand auf und katapultierten es in einem Sprung auf sie zu. Es war pechschwarz, das war alles, das Galren sicher erkennen konnte, bevor es ihn von den Füßen riss. Die Klauen gruben sich in seine Schultern und er schrie vor Schmerzen auf. Kiefer voll mit hunderten, nadelspitzer, durchsichtiger Zähne schnappten nach seinem Hals, wollten sich hineingraben… Der Atem des Dings roch bereits nach tot. Nach Blut, Moder und Aas und Dingen über die er gar nicht näher nachdenken wollte.  Aber seine Hand war am Schwertgriff geblieben. Mit dem wenigen Freiraum, die ihm die Krallen in seinen Schultern ließen, bekam er die Waffe endlich gezogen und stieß zu. Der Körper des Wesens war weich, fast wie Pudding und die Klinge versank bis zum Heft darin. Sie wieder hinauszuziehen jedoch war eine ganz andere Sache. Er hätte sie auch in einen Bottich mit Teer werfen können. Das Fleisch dieser Kreatur war zäh und klebrig, mehr wie eine Flüssigkeit und die Wunde schien sie auch nicht wirklich zu bremsen… Und dann schaffe er es nicht mehr ganz den schnappenden Kiefern auszuweichen. Galren spürte, wie ihm Blut den Hals hinab lief, wo die messerscharfen Zähne ihn streiften. Die  durchscheinenden Stümpfe sogen sich damit voll…

Endlich bekam er Atruns Kline  frei und führte es in einem Bogen aufwärts gegen den Hals des Monsters. Erneut gab es fast keinen Wiederstand und die Waffe trat im Maul der Kreatur wieder aus und zerschmetterte die kristallinen Zähne. Diesmal schien er es wirklich verletzt zu haben. Blut, vor allem seines, spritzte, als es sich heulend zur Seite warf und am Boden Wand. Durch die Bewegungen schnitt das Schwert noch tiefer und mit einer Umdrehung lag es schließlich still.

Was er vor sich hatte, schien nichts ähnlich, das er je gesehen hatte. Sein erster Gedanke galt einer Mischung aus einem gewaltigen Lurch und einem Blutegel. Der Körper, der von sechs muskulösen Beinen getragen wurde, schien keine wirklich feste Form zu haben, sondern war nur eine von schwarzer Haut und Schuppen übersäter Klumpen, der ständig seine Form zu verändern schien.  Diese Dinger schienen mehr zu fließen, als sich wirklich zu bewegen. Klebriger Schleim tropfte davon herab auf den Boden, fast wie Blut. Der Kopf wiederum bestand zum Großteil aus dem mit kristallinen Zähnen bewährten Maul und winzigen, verkümmerten Augen.

Und es war bei weitem nicht das einzige Monstrum seiner Art. Mindestens ein Dutzend Tunnelschleicher sprangen von den Wänden und sogar von unterhalb der Rinne zu ihnen herauf und die anderen hatten ihre Liebe not, sie auf Distanz zu halten.

Lias trennte das Bein einer der Kreaturen ab, die nach ihm schlug, doch anstatt das die Attacke die Kreatur verkrüppelt hätte, strömte nur etwas wie dunkler, zäher Schleim aus der Wunde… und begann bereits wieder eine neue Kralle zu formen. Der Löwe schien es nicht zu bemerken, denn er wandte sich bereits wieder einem neuen  Tunnelschleicher zu, der sich in seine Flanke schleichen wollte. Die vermeintlich verwundete Bestie jedoch, machte sich nur zum Sprung bereit um dem Mann die Kehle herauszureißen.

,, Lias !“ In letzter Sekunde wirbelte der Gejarn herum und erkannte seinen Fehler. Der Tunnelschleicher setzte zum Sprung an, fand aber nicht länger ein Ahnungsloses Opfer vor sich. Trotzdem riss er Lias glatt von den Füßen, der den Schwung nutzte um seinem Gegner das Schwert in den wabernden Körper zu treiben. Erneut schien die Wunde das Monster nicht wirklich zu stören und Galren sah schon halb, wie die Kristallzähne sich in den Hals des Gejarn gruben. Bevor es jedoch dazu kam, schoss plötzlich eine Feuerlanze aus dem Tunnelschleicher hervor. Der Gestank von verbranntem Fleisch schlug Galren entgegen, während die Kreatur zusammensackte. Naria versetzte der Kreatur einen Tritt, der sie von Lias hinunter beförderte, bevor sie Lias eine Hand reichte um ihm auf die Füße zu helfen.

,, Das hätte ich wirklich auch alleine geschafft.“ , brummte der Löwe, bevor er die Hand schließlich ergriff.

Naria schüttelte lediglich grinsend den Kopf. ,, Ihr seid sturer als meine Mutter, alter Mann und das will was heißen. Hoch mit euch.“

Hadrir seinerseits hielt sich die Tunnelschleicher sowohl mit Schwert als auch mit dem Hammer vom Leib. Und er gign dabei um einiges geschickter vor als sie. Jedes Mal wenn sich eines der Monstren auf ihn stürzen wollte, endete es aufgespießt auf seinem Schwert und bevor es zuschnappen konnte, zertrümmerte er ihm den Schädel mit dem freien Hammer. Elin, Merl und Armell waren derweil soweit es ging von den Kämpfen zurück gewichen und wenn doch einmal eine der Kreaturen durchkam, wurde sie entweder durch einen Zauber von Merl gefällt oder fiel einer Kugel zum Opfer. Langsam aber sicher schlugen sie den Angriff zurück, etwas das scheinbar auch diesen Kreaturen bewusst wurde. Langsam und eines nach dem anderen verschwanden sie so schnell wie sie gekommen waren wieder in den Schatten…

Doch Hadrir schien in keiner Weise beruhigt dadurch. ,, Weg hier, bevor mehr auftauchen !“ , rief er ihnen zu.

,, Mehr ?“ , fragte Merl entsetzt, während sie dem Zwerg hinterher hechteten.

,, Diese Dinger geben nicht auf, wenn sie frisches Blut wittern. Nicht bevor ihre Beute nicht tot ist… oder das ganze Rudel ausgelöscht.“

,, Ähm… und wie groß ist so ein Rudel ?“ , wollte Naria wissen.

,, Oh ich schätze, vierzig bis hundert Tiere, ich habe auch schon von welchen mit  zweihundert gehört.“

Hatten sie zuvor keinen Grund gehabt loszurennen, so hatten sie spätestens jetzt einen…

 

 

Kapitel 55 Wasser

 

 

 

Keiner von ihnen achtete mehr wohin sie liefen, während hinter ihnen immer wieder das Kreischen und gurgelnde Lachen der Tunnelschleicher zu hören war. Aber immerhin schien es leiser zu werden, dachte Galren. Hadrir bog scheinbar wahllos in Tunnelabzweigungen ein und Höhlen und Schluchten flogen geradezu an ihnen vorbei.  Er jedenfalls hatte schon lange jegliche Orientierung verloren. Aber so lange sie nur von hier weg kamen, war es ihm egal. Der Biss in der Schulter und die Stellen, wo das Monster ihn mit seinen Klauen erwischt hatte, brannten höllisch und vor allem die tiefen Schnitte der Zähne schienen nicht aufzuhören zu bluten. Riesige Blutegel, dachte er, das traf es ziemlich gut.

Lias, der nach wie vor seine liebe Mühe hatte Schritt zu halten, wurde von Merl und Naria gestützt, während sie in einen weiteren Tunnel einbogen. ,, Wenn wir nur die unterirdischen See finden, haben wir es geschafft.“ , rief Hadrir ihnen zu, während auch die letzten fernen Laute endlich verstummten.  ,, Die können nicht sonderlich gut schwimmen.“
Trotzdem liefen sie noch ein gutes Stück weiter, bevor der Zwerg endlich langsamer wurde und ihnen gestattete, anzuhalten. Schwer atmend lehnte Galren sich gegen die kühle Felswand in seinem Rücken und schloss einen Moment die Augen.

,, Das sieht wirklich übel aus.“ , meinte Lias, als er die Wunde an Galrens Schulter bemerkte. ,, Das Ding hätte dich fast zerfleischt.“

,, Ja, danke, das heb ich gemerkt.“ , gab er zurück, während Hadrir nun ebenfalls zu ihnen trat. ,, Glaubt mir, das schmerzt sogar schlimmer als es aussieht.“

,, Keine Sorge, das lässt nach.“ , erklärte der Zwerg, während er eine Feldflasche von seinem Gürtel löste und den Inhalt prompt über den Biss kippte. ,, Der Speichel dieser Dinger verhindert, das Blut gerinnen kann, wenn man ihn nicht auswäscht. Ich habe allerdings auch schon Männer gesehen, die an kleineren Wunden verblutet sind. Jetzt müsst ihr euch zumindest nur noch um das Gift sorgen“

,, Gift ?“

,, Tunnelschleicher  sind hochgefährlich. Ich fürchte, ihr habt vielleicht noch zwei Stunden. Tut mir leid…“

,, Wie bitte ?“ Galren fühlte wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich, genauso sicher, wie wenn das Monster sich in ihn verbissen hätte. ,, Und das sagt  ihr uns jetzt…“

Einen Moment schweig der Zwerg lediglich, dann jedoch fing er ohne Vorwarnung an zu lachen. Laut genug, dass es von den Felsen wiederhallte und sich in alle Richtungen verteilte. Wenn die Tunnelschleicher ein so gutes Gehör hatten, wie Galren vermutete, waren sie jetzt vermutlich taub…

,, Oh verzeiht, ich dachte ihr glaubt mir längst kein Wort mehr ?“ Es lag keine Freude in diesen Worten, noch nicht einmal Schadenfreude und auch das Lachen klang hohl. ,, Seltsamerweise , wenn selbst ihr wisst, das es um euer Leben geht, dann hört ihr mir plötzlich zu. Tunnelschleicher sind nicht giftig. Und der Biss wird in ein paar Tagen  anfangen zu verheilen. Was in dieser Stadt wirklich gefährlich ist, Galren ist die falschen Fragen am falschen Ort zu stellen.  Und ihr habt seit eurer Ankunft hier nichts anderes getan. Ihr habt in dem einen Tag den ihr hier seid,  Aufmerksamkeit des gefährlichsten Feinds erregt, den ihr hier haben könntet. Vielleicht versteht ihr das langsam, anstatt mir die Schuld dafür zu geben, dass die Dinge nun mal stehen, wie sie stehen. Ich versuche euch trotz allem noch  zu schützen, so gut es mir eben möglich ist.“

Jedes Wort Hadrirs traf ihn bis ins Mark. So ungern Galren es zugab, aber letztendlich hatte der Zwerg recht. ,, Es… Ich muss mich wohl entschuldigen.“ , erklärte er leise. ,, Ich weiß ihr versucht euer bestes. Und das obwohl die ganze Stadt gegen uns ist.“ Und womöglich sogar Hadrirs eigener Vater, wie es aussah. Am Ende war er genauso gebunden wie alle anderen in dieser Stadt. Und trotzdem riskierte er sein Leben für sie.

,, Wichtig ist erst einmal, das wir wieder hier raus kommen.“ , erklärte der Zwerg klang allerdings bereits ein gutes Stück milder gestimmt. ,, Im Augenblick habe ich keine Ahnung, wo genau wir uns befinden. Nur das ich keine Tunnelschleicher mehr höre… oder rieche.“

Galren erinnerte sich nur ungern an den Atem der Bestie, die ihn angefallen hatte. Oh nein, auf eine Wiederholung dieser Begegnung konnte er definitiv verzichten.

,, Vielleicht kann ich euch damit weiterhelfen.“ , meinte er. Nach den Geschehnissen im Tempel wusste er nicht mehr ob seine Fähigkeiten wirklich noch die Bezeichnung,, Gabe“ verdienten oder ob es sich dabei nicht doch um einen heimtückischen Fluch handeln mochte. Aber es war ihre Chance hier heraus zu kommen, dachte Galren . Er konnte das ferne Klingen in seinem Geist nach wie vor hören, ein Schatten, der nicht mehr weichen wollte und stetig an seinen Nerven zehrte. Und wenn es nur seine Nerven gewesen wären, die dieses… Etwas angriff, dann wäre er wohl damit klar gekommen. Er fürchtete jedoch, dass es tiefer gehen könnte, als er sich vorstellen wollte. Ein Keil, den jemand oder etwas in seinen Geist getrieben hatte in dem kurzen Moment in dem er die Kontrolle verlor.

,, Ihr könnt uns wirklich hier heraus führen ?“ , fragte Naria.

Galren nickte. Das ja… die Frage war, was geschehen mochte, wenn er seine Gabe erneut einsetzte. Ein Teil von ihm fürchtete sich jetzt davor. Der andere… schien sich nicht darum zu kümmern, drängte ihn geradezu danach. Nicht dazu, nach dem Pfad in die Sicherheit zu suchen, sondern dem zum Herzen des Ganzen, vielleicht auch zurück zum Tempel… aber dieser Teil von ihm wollte dem nagenden Pfeil in seinem Verstand nachgeben.

,, Ich denke ihr solltet langsam gelernt haben mir zu vertrauen.“ , meinte er. Nur wusste er nicht mehr ob er sich noch selbst trauen konnte… Doch seine Gabe gehorchte ihm wie immer und gleichzeitig schien sie stärker. Der Pfad vor ihm war keine verblasste Linie, es war eine Straße aus Licht und Formen, die die Dunkelheit im Kontrast zu formlosen Schatten verbrannte. Ihm blieb gar nichts anderes mehr übrig als dem Weg zu folgen, den er geschaffen hatte.

,,Hier entlang.“ , murmelte er mehr, als das er mit jemanden sprach. Die Welt außerhalb des Pfads hatte aufgehört zu existieren. Trotzdem hörte er die Stimmen seiner Gefährten noch, wenn auch gedämpft und leise, als würden sie zuerst hinter ihm zurück bleiben. Doch ihn kümmerte es nicht.

Als Galren das nächste Mal wieder wahrnahm wo er sich befand, erlosch der Weg vor ihm und seine Umgebung kehrte mit einem Schlag zurück. Es war beinahe wie ein Schock. Eben war er noch ohne jeden Gedanken seinen Pfad entlanggewandert, dann holte die Wirklichkeit ihn ein und alles versank in Dunkelheit. Galren fand sich am Ufer einer großen Wasserfläche wieder.  Der Boden der Kaverne  fiel leicht zum See hin ab, der sich so weit erstreckte, dass sein anderes Ende bereits wieder in der Dunkelheit verschwand. Steinsäulen, so groß und breit wie Häuser ragten aus seiner Mitte Empor und stützten die Decke, während das wenige Licht vom Wasser reflektiert wurde. Bizarre Muster wanderten über Felsdecken und Wände.

Ein verfallener Holzsteg führte direkt vor ihm ein Stück auf den See hinaus und ein halbes Dutzend wenig vertrauenserweckender Boote schaukelte mit jeder Bewegung des Wassers. Diese wiederum waren an langen Stangen befestigt, die aus dem Nass ragten… doch irgendetwas machte Galren stutzig.

,, Kann es sein, das der Wasserstand früher viel höher war ?“ , fragte Armell und deutete auf den Steg hinaus. Tatsächlich waren die Stützen, die ihn einstmals am Ufer getragen hatten gebrochen. Die weiter draußen auf dem See hielten zwar noch, aber die Lücke zwischen dem Beginn der Holzplattform und dem Wasser des Sees war kaum zu übersehen. Das gleiche galt für die Pfosten, an welchen die Boote befestigt waren. Algen, Krebsschalen und Kalk bedeckten sie bis weit über die sichtbare Wasserlinie hinaus. Wenn dieser See seinen eigentlichen Stand gehabt hätte, würde diese Höhle fast vollkommen unter Wasser stehen…

,, Ich…. Weiß nicht.“ Hadrir klang plötzlich mehr als nur unsicher. Der Zwerg schien tatsächlich entsetzt darüber, den Wasserstand hier zu sehen, dachte Galren.   ,, Ich war lange nicht mehr hier unten, nicht seit der König verfügt hat, dass man die Katakomben abriegelt…  Wir… müssen ans andere Ufer.“ Mit diesen Worten trat er hinab an die Boote und entzündete mit zitternden Händen eine der Laternen , die am Heck der einzelnen Kähne hingen. Bald leuchteten ein halbes Dutzend kleiner Flammen durch die Nacht.

,, Ist das wirklich sicher ?“ , wollte Merl wissen, als sie sich den Schiffen näherten. Bevor Hadrir ihm jedoch antworten konnte, war ihm Elin bereits vorausgelaufen und hatte die Vertäuung eines der Boote durchtrennt.

,, Wir werden es zumindest nicht herausfinden, wenn wir abwarten und auch Moos ansetzten.“ , meinte sie und war bereits hineingesprungen, ehe jemand reagieren konnte. Zwar schwankte das ganze einen Moment bedrohlich, doch weder ging das Boot sofort unter, noch fiel sie.

,, Die Boote sind nicht grade in bestem Zustand.“ , erklärte Hadrir nachdenklich ,, Aber es ist unser einziger Weg hinüber. Anders gelangen wir auch nicht zum Ausgang in der Oststadt. Ich schätze, zwei Leute sollten sie tragen können.“ Mit diesen Worten durchtrennte er selber ein Tau und stieg vorsichtig in die dazugehörige Nussschale. ,, Ich rudere voraus und ihr folgt mir dann.“

Einer nach dem anderen verteilten sie sich nacheinander zu zweit auf die Boote. Am Ende blieben Merl und Armell zusammen, während Lias und Naria sich eher wiederwillig die Überfahrt teilten… und Galren blieb nur noch sein Glück mit Elin zu versuchen. Wenigstens saß diese mittlerweile still und ruhig im Boot, während sich die einzelnen Lichtpunkte langsam über das schwarze Wasser verteilten. Der See war wirklich riesig, dachte Galren nach einem weiteren Ruderzug. Seine Schulter schmerzte nach wie vor, doch Hadrir würde wohl Recht behalten. Das gröbste hatte er überstanden nachdem der Zwerg den Biss ausgewaschen hatte.

Außerhalb des Lichtkreises, den die Laterne um sie beschrieb gab es scheinbar nichts mehr, das einzige Geräusch stammte von den Rudern, wenn sie aufs Wasser trafen. Galren wiederstand dem Drang, seine Gabe erneut zu nutzen um nachzusehen ob sie noch auf dem richtigen Weg waren. Er musste sich eben darauf verlassen, das sie kaum sichtbaren Lichtpunkte, die sich in einer grade Linie über den See zogen wirklich die anderen waren… und kein Streich seiner Augen. Je mehr sich seine Augen jedoch an die Dunkelheit gewöhnten, desto mehr Lichter schien es hier unten zu geben. Auf den ersten Blick waren sie kaum sichtbar und die Laterne überstrahlte sie bereits… doch über ihnen in den Schatten und Felsspalten der Höhlendecke glomm etwas. Moose und Algen und seltsam fadenartige Pflanzen, die keins von beiden zu sein schienen und einen fahlen, gespenstischen Lichtschein abgaben. Und doch konnte er nicht leugnen, dass sie etwas Faszinierendes an sich hatten…

,, Das ist wunderschön.“ Das Boot schwankte kurz, als Elin aufstand um nach einer der niedriger hängenden Pflanzen zu greifen. Sie hatte sie jedoch kaum gestreift, als  sie die Hand auch schon wieder mit einem kurzen Aufschrei zurück riss. Das Boot schwankte einen Moment, als sie wieder auf die Sitzbank zurück fiel und ihre Hand an den Körper presste. Selbst auf die Entfernung konnte Galren die feine Blutspur erkennen, die sich über den Handrücken zog…

,, Hier unten ist uns wirklich nichts freundlich gesinnt wie ?“ , fragte er. ,, Lasst mal sehen.“
,, Als ob das über der Erde anders wäre…“, murmelte die Gejarn plötzlich offenbar gar nicht mehr von der Schönheit der Pflanzen hier überzeugt. Trotzdem ließ sie ihn kurz einen Blick auf die verletzte Hand werfen. ,, Aber darauf könnte ich wirklich verzichten.“

,, Hey, ich wurde von einem riesigen Blutegel angefallen.“ , meinte er grinsend. Was immer die Pflanze war, sie hatte Haut und Fell auf der Hand der Gejarn tief verätzt… zumindest war Elin  schlau genug gewesen, sie nur zu streifen. Aus der Hakenförmigen, schwarz geränderten  Wunde sickerte langsam Blut. Wie das ganze Aussehen mochte, würde jemand ein Blatt oder einen Stängel dieser Pflanze abreißen wollte er sich gar nicht vorstellen. ,, Wir können jederzeit tauschen.“

,, Nein danke, den könnt ihr behalten.“ , erwiderte sie lachend. Galren schöpfte mit der holen Hand Wasser und lies es über die Wunde laufen. Er spürte, wie sie zusammenzuckte und das Lächeln plötzlich eher in eine Grimasse umschlug.

,, Verzeihung.“

,, Ich glaube der Wurmbiss ist mir grade doch sympathischer geworden.“ , murmelte sie. ,, Aber wenigstens wissen wir jetzt woher das ganze Wasser oben stammt. Diese Höhle ist riesig…“

,, Und das Wasser ziemlich tief. Aber so viel es aussehen mag, habt ihr Hadrirs Mine eben gesehen?“

,, Man könnte meinen jemand habe ihm erklärt, das er für den Rest seiner Tage für uns zuständig ist.“

,, Ich glaube das würde ihm gar nicht so viel ausmachen. Er ist ein guter Mann, Elin… oder zumindest glaube ich das… Ich weiß nicht was ich von dieser Stadt halten soll. Oder wem ich hier überhaupt trauen kann. Aber Hadrir ist vielleicht einer davon.“
,, Aber er war entsetzt, als er das Wasser gesehen hat… warum ?“

,, Weil es zu wenig ist.“ , murmelte Galren. ,,Viel zu wenig. Wenn das hier alles ist… die Stadt oben ist riesig. Das Reservoir hier unten reicht ihnen vielleicht noch ein Jahr. Zwei, wenn sie es rationieren würde… “

Eine Vermutung, die ihnen Hadrir einige Minuten später, als endlich das Ufer in Sicht kam, bestätigte.

Auch hier waren die Auswirkungen des gesungenen Wasserspiegels deutlich zu sehen. Die Treppe, die einstmals als Anlegestelle für die Boote gedient hatte, lag fast eine Armlänge über dem Wasserspiegel, so dass sie sich strecken mussten um überhaupt hinauf zu kommen. Der Zwerg seinerseits sah nur kopfschüttelnd auf den See hinaus.

,, Hier sollte eigentlich alles komplett unter Wasser stehen.“ , rief er entsetzt. ,, Das ist… Das ist völlig unmöglich. Als ich das letzte Mal hier war konnte man nicht einmal Übersetzen, weil der See bis fast unter die Höhlendecke stand…“

,, Was werdet ihr tun ?“

Hadrir antwortete einen Moment nicht. ,, Der König.“ , erklärte er schließlich. ,, Er…  er muss das doch wissen .Es… es muss eine gute Erklärung hierfür geben. Die Häuser wären sonst in heller Aufruhr.“ Es sei denn, dachte Galren, sie wüssten ebenfalls von nichts. Oder sie steckten alle unter einer Decke? Zumindest den Isolationisten konnte wohl kaum recht sein, wenn jemand erfuhr, dass ihnen das Wasser ausging. Er wusste nicht, welche Möglichkeit ihm weniger gefiel. ,, Ich werde mit ihm sprechen, sofort.“ , fuhr der Zwerg derweil for.t ,,Die Oberfläche ist nicht mehr weit, sobald wir dort sind, verlasse ich euch. Ich bitte euch nur um eines… behaltet das hier für euch. Zumindest solange, bis ich Gelegenheit hatte mit ihm zu sprechen.“

Kapitel 56 Konfrontation

 

Als Hadrir an diesem Abend den Kristallsaal betrat, kam ihm dieser Ort um einiges düsterer vor als sonst. Normalerweise schienen die Juwelen und Edelsteine, die Boden und Wände der Halle schmückten mit einem inneren Feuer zu brennen, doch heute schenkte er dem Punk keine Beachtung. Etwas, das vor allem an seiner eigenen Stimmung lag… Aber tatsächlich waren die Feuer, die in großen Steinschalen entlang des Gangs loderten gedämpft, die Kohlen zu Glut heruntergebrannt. Doch der König musste ihn erwartet haben, dachte er. Man hatte ihn sofort empfangen, als er durch die Palasttore tra-

Das halbe Dutzend Wachen, die in dem Raum Spalier standen beäugten ihn, manche neugierig, andere misstrauisch. Vermutlich hatte die Nachricht über ihr Eindringen in die Weststadt bereits den Palast erreicht. Vielleicht sogar die, von ihrem Zusammenstoß mit dem Haus Mardar.

Hadrir konnte ihr Wappen auf mehr als einem Burstharnisch erkennen. Vielleicht waren sogar welche darunter, die sie zuvor auf der Straße gefangen nehmen wollten. Oder schlimmeres. Aber hier war es ihm egal. Solange sie im Palast waren unterstanden diese Männer dem König und niemandem sonst.

,, Wie lange hast du geglaubt, dauert es, bis ich es herausfinde ?“ , Seine Stimme hallte durch den Saal, während er auf den Thron zutrat. König Brunar Silberstein zuckte unter den Worten zusammen und die Wachen legten ob der Wut darin ihre Hände an ihre Schwerter. Der König, sein Vater, wirkte älter, als noch gestern. Statt der prunkvollen purpurfarbenen Roben trug er nun ein schlichteres Wams. Silberfäden glitzerten auf dem braun-schwarz gerippten Stoff und dem weißen Umhang, der ihm über die Schultern fiel. Es ließ ihn kleiner wirken, dachte Hadrir. ,, Das Wasser geht zur Neige und du hast davon gewusst !“

Brunars Augen waren müde, als sie dem lodernden Blick seines Sohnes begegneten. Das Alter das sich darin spiegelte hatte alle Erhabenheit verloren. ,, Blödsinn.“ , erklärte er stur. ,, Glaubst du nun auch schon die Gerüchte, die der Prophet in die Welt setzt , Hadrir ? Ich dachte du wärst klüger.“

,, Das hat nichts mit Gerüchten zu tun… Vater-König. Ich war in den Katakomben…“

Von einem Moment auf den anderen schien sich die ganze Stimmung im Raum zu wandeln. Brunar sank auf dem Thron noch mehr in sich zusammen, erwiderte aber nichts. Die Wächter im Raum rührten sich nervös, das Klirren ihrer Panzer und Waffen das einzige Geräusch, das die einsetzende Stille durchbrach.

,,Herr…“ , setzte einer von ihnen an. ,, Wünscht ihr, das wir ihn entfernen ?“

Das sollten sie versuchen, dachte er. Rasch schätzte er seine Chancen ein. Die beiden Wachen die ihm am nächsten Standen waren mit Lanzen bewaffnet, die hier drinnen jedoch kaum ihre volle Wirkung zeigen würden. Die danach folgenden trugen jedoch Gewehre mit breiten Axtklingen unter dem Waffenlauf… Im Zweifelsfall würden sie ihn überwältigen können. Und er war sich nicht mehr sicher ob sein Vater das einer Auseinandersetzung nicht längst vorziehen würde. Er hatte sie alle getäuscht… also warum sollte Hadrir sich nicht auch in ihm als Person getäuscht haben?

,, Nein.“ Die Stimme des Königs hatte alle Schärfe von zuvor verloren. Für Hadrir konnte es kein eindeutigeres Schuldeingeständnis geben. Bis grade eben hatte er noch Hoffnung gehabt. Hoffnung, dass sein Vater nichts davon wusste, dass er ihn Auslachen ihn vielleicht sogar schelten würde. Die Wellen des Zorns die in ihm rumorten seit er wieder ans Tageslicht gekommen war, türmten sich zu neuen Höhen auf. Die Lügen endeten hier…

,, Lasst uns alleine.“ , wies der König seine Wachen an und die Männer folgten der Aufforderung schließlich schweigend. Hadrir wartete nur, bis die Tür des Thronsaals hinter ihnen ins Schloss viel, bevor er seiner Wut seiner angestauten Frustration freien Lauf ließ.

,, Ihr wusstet das die ganze Zeit, oder ?“ , schrie er und schwang im gleichen Moment den Hammer gegen eine der Edelsteinfließen. Die Fließe zersprang mit einem hohen Knall und Splitter segelten nur eine Handbreit am Kopf des Königs vorbei, gruben sich in den kristallthron und hinterließen hässliche Kratzer in den einst klaren Steinen. Brunar blieb davon ungerührt, während Hadrir fortfuhr. ,, Sag mir… Vater, was für ein Spiel spielst du hier eigentlich? Bisher habe ich geglaubt unser Ziel sei es, diese Stadt wieder zu einen. Aber wie sich herausstellt ist sie zum Untergang verdammt.“

,, Ich habe bereits Schürfer in die Tunnel geschickt.“ , erklärte der König nach wie vor mühsam beherrscht. ,, Die alten Tunnel werden erweitert.“

,, Und was haben diese Männer bisher zu Tage gefördert außer Tunnelschleichern ?“ , fragte Hadrir grimmig. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. ,, Wie tief glaubst du kannst du das Gestein aufbrechen bis uns das Feuer verschlingt ? Wir haben vor Jahren aufgegeben nach neuen Wasserquellen zu suchen weil uns versichert wurde, die gefundenen Reserven würden für Jahrhunderte reichen. Mit dem was noch da ist, wird diese Stadt keine weitere Generation sehen!“

,, Ich brauche nur mehr Zeit.“ , erkläre der König. ,, Ich… Ich werde nicht zulassen, dass irgendeine Seite in diesem Konflikt noch mehr Acht gewinnt? Verstehst du das? Schon gar nicht der Prophet. Und wenn die Situation bekannt würde…“

,, Also riskierst du stattdessen die Vernichtung unseres Volkes !“ Hadrir wusste, was seinen Vater dazu trieb, die Wasserreserven geheim zu halten. Aber heilige Ahnen, das war nebensächlich wenn sie alle verdursten würden.

,, Ich werde ihm jedenfalls nicht erlauben seine Ziele am Ende noch durchzubringen.“ , erklärte Brunar grimmig und mit einem Funken der alten Stärke. ,, Dem Propheten zu erlauben unser Volk zu benutzen wird es genauso sicher vernichten, Hadrir. Und die Isolationisten… Sie würden am liebsten jeden umbringen, der ihren Zielen nicht auf Linie folgt. Den alten Weg, wie sie es nennen. Verfluchte Barbaren. Unser Volk war einmal zu höherem Bestimmt, als von einem internen Konflikt aufgerieben zu werden. Ich kann sie nicht wissen lassen, dass uns die Zeit davon läuft… Niemand darf das erfahren.“

Hadrir überging die Bitte. Wenn man ihn fragen würde müssten es alle wissen. Das war nicht tragbar, das ging gegen alles zu was sich der König seinem Volk gegenüber verpflichtet hatte. ,, Wie lange weißt du es schon ?“ , verlangte er zu wissen. ,, Du hast bereits vor Jahren angeordnet, das die Katakomben zu meiden sind… damit niemand entdeckt wie es wirklich um uns steht, oder ?

,, Seit fast zwanzig Jahren.“ , murmelte Brunar leise. ,, Seit dem Tag an dem ich mit Varan Lahaye in die Tiefe stieg und wir feststellen mussten, das der Wasserspiegel im See sank. Jahrhunderte lang hat  er sich kaum verändert, gespeist durch das Grundwasser im Gestein. Aber dann begann er zu schwanken… Es gab ein Erdbeben… als er den Tempel betrat, damals. Als der Stein zersprang. Das muss die unterirdischen Flüsse blockiert haben. Und es will uns nicht gelingen sie wieder freizulegen.“

,, Moment… das heißt Varan Lahaye  wusste ebenfalls davon ?“ Und wenn Galrens Vater das Geheimnis des Königs kannte, wen sie es gemeinsam entdeckt hatten… was im Namen aller Ahnen bedeutete das dann für ihn? Hadrir lief ein Schauer über den Rücken, wenn er darüber nachdachte. Nein… Seine Stimme zitterte, als er weitersprach. ,, Ist das etwa der Grund aus dem…

,, Nein !“ Der König sprang fast von seinem Thron auf. ,, Nein… Er existiert nicht mehr, Hadrir. Das weißt du so gut wie ich. Wenn jemand davon erfahren würde, wären wir nicht in der verfahrenen Situation in der wir jetzt sind. Mein Kopf würde vermutlich auf den Stadtmauern verwesen während ihr alle dem Propheten über das Meer folgt… Und deshalb musst du schweigen.“
 ,, Nun ich bin jedenfalls nicht der einzige der davon weiß. Was glaubst du soll ich Galren und den anderen sagen? Das sie still halten sollen weil du, ein Mann der ihnen bisher nur Steine in den Weg gelegt hat und mir befahl noch welche dazuzulegen,  sie darum bittet? Und was tust du wenn der Prophet sie selbst aufsucht, wenn…“

,, Das wird er nicht wagen.“ , donnerte Brunar. ,, Nein. Er kann sich nicht sicher sein ob sie ihm tatsächlich helfen würden. Grade wenn sie die Wahrheit kennen… Dieser Mann hat noch nie etwas getan von dem er nicht wusste, dass es seinen Plänen dienen würde. Wir haben noch Zeit.“

,, Also soll ich noch mehr Lügen ja ?“ , fragte Hadrir mit düsterer Stimme. Langsam war er es leid. Eigentlich hätten die Täuschungen hier ein Ende haben müssen. Doch der König spielte sein Spiel stur weiter. ,, Ich lüge sie schon über so viel an, ich lüge sogar darüber in welcher Gefahr sie hier wirklich schweben. Die Häuser sind das geringere Übel, das weißt du. Aber sie haben uns bereits angegriffen…“

,, Wie bitte ?“ Der König schien erneut ernsthaft überrascht, während er von dem Angriff und ihrer Flucht durch die Katakomben erzählte. Doch langsam konnte Hadrir nicht mehr sicher sein, was er diesem Mann noch glauben konnte. Einen Moment verstand er die Frustration, die Galren und die anderen spüren mussten wenn er sie wieder in eine vorbereitete Sackgasse führte…“

,, Ach komm schon, nach dem ich all das gesehen habe, wer sagt mir, das du das Ganze nicht orchestriert hast ? Ein weiterer Versuch deine Probleme aus der Welt zu scheuchen aber wo dir die Lügen nicht weiterhelfen bedienst du dich eben der Isolationisten.“

,, Hadrir ! Du weißt genauso gut wie ich, das ich nie so weit gehen würde. Ich will sie hier nicht haben aber ich will sie auch nicht tot sehen. Ansonsten hätte ich es in dem Moment getan in dem man mir berichtet hat, dass ein fremdes Schiff aus den Stürmen gekommen ist. Sie hätten nie den Hafen erreicht.“

,, Und das soll ich dir glauben ? Ich weiß ja nicht einmal mehr, wer du bist… der König dem ich die Treue geschworen habe jedenfalls nicht…“ Nach wie vor zitterte er, aber nicht länger vor Wut. Diese war längst verraucht. Was blieb war Enttäuschung, das Gefühl Betrogen worden zu sein. Er hatte alles getan was Brunar von ihm verlangt hatte, so schwer ihm das fiel. Und trotzdem hatte sein eigener Vater es nicht für nötig gehalten ihn in alles einzuweihen. Und nach wie vor gab es Dinge, die er nicht wusste oder verstand…

,, Dann sage mir Hadrir, was würdest du an meiner Stelle tun ? Egal wie deine Entscheidung aussähe, denk nach und du siehst in der jetzigen Situation würde sie uns alle verdammen.“

Die Wahrheit war, dass er keine Antwort wusste. Die Isolationisten zu unterstützen würde bedeuten alles zu vernichten, wofür sie einmal hatten stehen wollen und damit die Seele ihres Volkes zu ermorden. Jeden Rest an offenem Geist und an Aufgeschlossenheit an allem, was sie groß gemacht hatte auszumerzen… Und den Leuten die Wahrheit zu sagen und damit den Propheten zum Sieg zu verhelfen… nun wer wusste schon, was der Prophet tun würde. Der Mann war nie berechenbar gewesen außer in seinem ewigen Streben danach sie zur Rückkehr zu überreden. Nur das es sie vielleicht genauso sicher vernichten würde.

,, Bitte vertrau mir noch dieses eine Mal… Vielleicht findet sich ein Ausweg für uns.“

,,Galren wird sicher nicht so einfach aufgeben.“

,, Nein und das wird sein Untergang sein. Wenn sie viel länger hier bleiben ist er bald genau so verrückt, wie der alte Lahaye. Es hat bereits angefangen m nach allem was du mir erzählt hast.“

,, Und ich schätze nicht einmal davor darf ich ihn warnen.“

,, Würde er dir glauben ? Und glaube nicht, das mir es leicht fallen würde so etwas zu sagen, aber so stehen die Dinge nun einmal. Varan war mein Freund bevor er sich veränderte, vor… all dem. Du musst sicherstellen, dass sie Schweigen Hadrir. Das ist der einzige Schutz den sie im Augenblick haben, den meinen ist nichts wert.“

Damit musste er dem König erneut Recht geben. Weder er noch Brunar konnten Galren oder die anderen beschützen. Brunar nicht, weil er kein Interesse daran hatte und er nicht, weil ihm ohne den König schlicht jegliche Macht dazu fehlte. Wenn es nur einen Weg gäbe das alles zu beenden ohne das irgendjemand dabei zu Schaden käme. Es hatte mal eine Zeit gegeben, in der hatte ihr Volk versucht seine Probleme mit Logik und Erfindungsgabe zu lösen. Was war von diesen nobleren Tagen geblieben? Ein Gespinst aus Hass, Angst und über allem der Schatten des Propheten, der seine Fäden zog…

 

Kapitel 57 Veränderungen

 

 

Elin hatte bisher nicht gewusst, dass man den Himmel vermissen konnte. Aber so war es, als sie sich schließlich alle an Bord der Windrufer einfanden. Die Sonne war längst untergegangen und im Licht der Stadt zeigten sich nur eine Handvoll Sterne am dunklen Himmel. Obwohl sie nur kurze Zeit in den Katakomben verbracht hatten... ihr war erst klar geworden wie bedrückend die überall aufragenden Felswände waren, als sie schließlich ans Tageslicht zurück kehrten. Normalerweise war das ein Gefühl, das sie nicht kannte... Es war nicht so wie wenn man sich versteckte. Das war etwas völlig anderes, heimeliges mit dem Adrenalinrausch wenn es funktionierte und scheinbar jeder an einem Vorüberging ohne einen zu sehen. Dort unten im Fels hingegen hatte sie den Eindruck ständiger Bedrohung nie abschütteln können. Es war ein beeindruckender Ort, dachte sie. Aber kein Schöner...

Die Gejarn betrachtete gedankenverloren  ihre verätzte Hand um die sich mittlerweile  ein dünner Streifen Stoff Wand und die Wunde verdeckte. Sie war nicht so tief, wie sie anfangs gedacht hatte, aber was immer die Pflanzen in den Höhlen auch für ein Gift absonderten, es hatte das Fell auf ihrer Haut sauber weggebrannt. Vermutlich hatte sie das auch vor dem Schlimmsten bewahrt.

Der Duft von bratendem Fleisch stieg ihr in die Nase. Unten am Pier hatte sich ein Großteil von Hedans Crew versammelt und auf einem großen Feuer, das sie in einer niedrigen Kuhle errichtet hatten, drehte sich ein ganzes Schwein, das der Kapitän wohl irgendwie ihren Gastgebern abgeschwatzt hatte. Mochten die Geister wissen, wie. Aber nach der Reise, die sie hinter sich hatten, hatten sich die Leute wohl eine Belohnung verdient. Langsam schien sie zu verstehen, wieso die Crew Hedan trotz seiner Art derart respektierte. Sie hatte bereits einen Funken davon gesehen, als sie sich an jenem fast vergessenen Morgen ein Wettschießen geleistet hatten. Der Kapitän mochte nicht immer die beste Laune haben und es viel ihm wohl auch nicht leicht Fehler einzugestehen... aber er war nicht nachtragend, dachte Elin. Das und obwohl er das sicher nie zugeben würde im Grunde ein guter Mann. Und er sorgte sich wirklich um sie alle. Wieder etwas, das er wohl niemals zugeben würde, würde sie ihn fragen.

Als sie Schritte hinter sich auf den knirschenden Planken hörte, drehte sie sich um und erkannte Galren. Dem Mann zog sich ein Verband über die komplette Schulter bis über den Arm hinab und verdeckte damit den Biss des Tunnelschleichers. Naria hatte nur kurz versucht, die Wunde mit Magie zu heilen, aber schließlich aufgegeben.

Galren hatte nicht nachgefragt, was das Problem war. Und Elin fürchtete sich, es an seiner Stelle zu tun. Der Mann schien seit einigen Stunden nicht mehr ganz der Alte zu sein, dachte sie. Und vielleicht konnte die Magierin das genau so spüren, wie sie es sehen konnte.

Statt also ihren Heilzauber fortzusetzen hatte sie dem Menschen nur einen Verband angelegt und ohne zu zögern eine Art Tee aus getrockneten schwarzen Pilzen und verschiedenen anderen Kräutern bereitet. Galren hatte sich lediglich kurz gedämpft mit ihr unterhalten und selbst mit ihrem Gehör hatte sie nur ein paar Brocken aufschnappen können. Der Beunruhigendste davon : ,, Es wird schlimmer.“

Als er jetzt auf das Deck hinaus trat hielt er wohl schon mindestens die zweite wenn nicht die dritte Tasse in der Hand, nachdem er die erste in einem Zug geleert hatte. Sie wünschte, er würde wenigstens sagen, was mit ihm nicht stimmte. Aber die Zauberin schien bisher die einzige zu sein, der er sich anvertraut hatte.  Wenigstens, dachte Elin, lächelte er wieder etwas, als er zu ihr an die Reling trat und auf das dunkler werdende Meer hinaus blickte.

,, Das hat mir Naria für euch mitgegeben.“ , erklärte er und hielt ihr eine kupferfarbene Dose hin. ,, Sie meinte, das sollte die  Schmerzen lindern und verhindern das sich das Gift noch tiefer frisst, falls es noch da ist.“

Elin nahm die Dose an sich und öffnete sie. Skeptisch betrachtete sie die grünlich-gelbe Paste in dem Behältnis. Allein der Geruch der davon aufstieg, konnte einem die Tränen in die Augen treiben, scharf und stechend wie manche der Gewürze, die man auf den Märkten Lasantas fand.

,, Ich schätze ich nehme in Zukunft doch den Tee.“ , murmelte sie leise, bevor sie die Dose wieder schloss.

Galren fing im gleichen Moment an zu lachen, so das er fast die Hälfte  des Tees über sich oder die Planken verteilte. Es war jedoch kein freudiger Laut, wie sie feststellte. Und trotzdem hörte er nicht auf, bis er schließlich schwer atmend über der Reling hing... und den leeren Becher in weitem Bogen davon schleuderte.

,, Wisst ihr was das schlimmste daran ist ?“ , fragte er und der Ton in seiner Stimme machte ihr zum ersten mal Angst. Es sollte nicht das einzige mal in den kommenden Wochen bleiben... ,, Es hilft nicht einmal mehr...“

Elin wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Was immer den Mann befallen hatte ging tiefer als eine normale Verletzung, dachte sie. Und das war unheimlich. Sie drehte die Salbendose in ihrer Hand nervös hin und her.

Galren schien ihr zögern jedoch misszuverstehen. ,, Wenn ihr wollt kann ich das auch Auftragen.“ , meinte er, aber wenigstens hatte seine Stimme etwas von ihrem bitteren Unterton verloren. ,,  Wie ich Naria kenne , wird das ohnehin nicht sonderlich angenehm.“

 Eigentlich tat die Wunde kaum noch weh. Tatsächlich schien das Gewebe darum seltsam taub zu sein... Aber ein Teil von ihr hätte nichts dagegen. Ob es nun nötig war oder nicht. Wieder so ein Gefühl, das sie nicht kannte. Seine Berührung in den Katakomben,  so kurz sie gewesen war, hatte etwas gehabt, das nicht zu der sonstigen Getriebenheit des Mannes passen wollte. Besonders, seit sie in der Stadt waren. Geister, seit sie hier waren beachtete er keinen von ihnen mehr besonders, selbst Lias nicht, und schien nur noch darauf aus, irgendwie voran zu kommen. Vielleicht machte ihr diese gnadenlose Zielstrebigkeit sogar Angst. Zumindest, dachte Elin, würde sie jeden bemitleiden der sich je den Zorn dieses Mannes zuzog. Er würde ihn bis ans Ende der Welt jagen und mit seinen Fähigkeiten wohl auch finden. Nur das was er eigentlich suchte, Wissen über das Schicksal seines Vaters über die Geschehnisse in dieser Stadt, das blieb ihm verwehrt.  Elin mochte seine andere Seite ,definitiv mehr, auch wenn sie sie bis jetzt erst selten gesehen hatte...

Und so nickte sie schließlich nur, während der Mann sich zum zweiten mal heute ihre Hand ansah. Tatsächlich musste er dazu sogar auf ein Knie gehen und lies die offene Salbendose irgendwo zu seinen Füßen stehen.

,,Zeigt mal her.“ , meinte Galren, während er den Stoff um die Wunde löste. Er stippte nur einen Finger auf die Salbe und trug sie mit einer unglaublichen Vorsicht entlang der schwarz verbrannten Haut auf. Seine ganze Gestik und Mimik sprach von einem seltsamen Mitgefühl, das seinem vorherigen Auftreten derart entgegengesetzt zu sein schien, das Elin nicht einmal sicher sagen könnte, ob sie noch den selben Menschen vor sich hatte. Trotzdem zweifelte sie keinen Moment daran, das er genau dieses Mitleid jedem entgegenbringen mochte, der es sich verdient hatte.

Das änderte sich jedoch schlagartig wieder mit Hadrirs Rückkehr....

 

Galren entdeckte den Zwerg bereits, bevor er in den Schein des flackernden Feuers vor dem Schiff trat. So spät am Abend waren nur noch wenige Leute auf den Straßen der Oststadt unterwegs und er hatte die Rückkehr des Mannes bereits erwartet. Hadrir schien keine guten Nachrichten zu bringen, dachte er. Die Mine des Zwergs war düster, als sie von den flackernden Flammen beleuchtet wurde und er trat ohne zu Zögern zu ihm und den anderen herüber.

Mittlerweile hatten sie sich alle um das Feuer niedergelassen über dem nach wie vor das Schwein briet, das Hedan aufgetrieben hatte. Der Zwerg jedoch machte keine Anstalten, sich zu ihnen zu setzen.

Große Töpfe in denen die restlichen Vorräte von Bord der Immerwind vor sich hin köchelten standen am Rand der Flammen und erfüllten die Luft mit dem Duft von Röstzwiebeln, bratenden Gemüse und zu einem Brei eingeweichtem Schiffszwieback.

,, Es stimmt.“ , erklärte Hadrir  leise.

,, Was stimmt ?“ , wollte Galren wissen.

,, Mein V... Der König weiß das die Wasserreserven in den Höhlen zur Neige gehen. Er weiß es seit Jahren, er hat es zugegeben...“

,, Dann müssen wir euer Volk warnen.“ , meinte Armell und stand von ihrem Platz am Feuer auf. ,, Hadrir, wenn das stimmt, wenn diese Stadt von ihrem Grundwasser abhängig ist, dann sind sie verloren, wenn sie nichts unternehmen.“

,, Und wer würde uns glauben ?“ , fragte der Zwerg. ,, Es wäre unser Wort gegen das des Königs...“
,, Ihr seit sein Sohn.“ , begehrte Armell auf. ,, Das wird ja wohl etwas wert sein. Wer würde glauben das ihr euch derartig gegen euren Vater stellt ? Ich meine, was er da tut das ist... Er belügt sein gesamtes Volk.“

,, Ich habe euch doch schon erklärt, wie wenig das alles Wert ist.“ , seufzte Hadrir. ,, Und ich... Ich werde nichts sagen. Ich habe König Brunar geschworen ihm zu vertrauen. Und das tue ich auch. Es tut mir leid.“

,, Seid ihr verrückt ?“ , wollte Lias wissen. ,, Ihr seit weiter einem Mann hörig, der euch alle Verraten hat ? Das ist genau die Art von falscher Loyalität die beinahe meine Heimatstadt vernichtet hätte. Glaubt mir also wenn ich euch sage, das ihr niemals Erfolg haben werdet. Wenn euer Herr, sei es nun euer Vater oder nicht, sich derart gegen alles stellt... dann dürft ihr ihm doch nicht noch folgen !“

,, Es ist wie es ist.“ , erklärte Hadrir und amte dabei fast den Tonfall seines Vaters nach. ,, Alles was wir tun würde zum Kollaps dieser Stadt führen. Erfahren es die Isolationisten, laufen plötzlich alle dem Propheten nach. Nichts zu sagen hingegen ist die einzige Möglichkeit zumindest Zeit zu gewinnen. Es gibt keinen anderen Weg, so leid es mir tut.“

,, Und was wollt ihr tun wenn ich mich dazu entscheide einfach jemanden in die Katakomben zu führen ?“ , fragte Galren, seine Stimme tödlich leise. Er hatte dem Austausch still gelauscht. Und er hatte genug gehört.  ,,Das könnte ich, das wisst ihr. Selbst wenn ihr alle Eingänge verriegelt, wenn euch auch nur einer entgeht, werde ich ihn finden. Und uns einzusperren oder zu töten würde euren Berichten nach wohl genau so zu einem Kollaps führen.“

,, Das wäre als würdet ihr jemanden auffordern, Selbstmord zu begehen. Der König war schlau genug die Angst vor den Katakomben in meinem Volk zu schüren. Würdet ihr jemanden diesen Vorschlag unterbreiten, er würde wohl eher glauben ihr wolltet ihn in eine Falle locken und ermorden.“ Die Stimme des Zwergs klang sicher, aber traurig.

,, Verdammt !“ Galen war aufgesprungen, bevor ihn jemand aufhalten konnte und trat einen der Töpfe am Feuer in die Flammen. Funken stoben auf, als der Inhalt des Gefäßes Feuer fing. Während seine Stimme noch verklang, sah er zu, wie das Wasser aus dem Topf verdampfte. ,, Ihr wollt euch umbringen kann das sein ?“ , fragte er. ,, Ihr treibt euch selbst in den Untergang, nur damit ihr das wisst...“

,, Es ist... wie es ist. Ich kann nichts tun, Galren. Was würdet ihr den tun wenn euch euer Vater um Hilfe bitten würde... auch wenn ihr wüsstet, das seine Ziele nicht ganz das sind, was ihr euch erhofft hattet ?“

,,Mein Vater ist tot.“ , erwiderte Galren bitter. ,, Und ich bin mir langsam nicht mehr sicher ob ihr dabei nicht eure Finger im Spiel hattet...“

,, Ich versuche euch nur zu helfen....“ , murmelte der Zwerg getroffen. Und Galren war geneigt ihm zu glauben. Man konnte sich seine Loyalitäten nicht immer aussuchen. Aber ein Teil seines Verstandes, ein Stolz der vorher nicht da gewesen war, wollte ihn zwingen hart zu bleiben.  ,, Obwohl ich eingeschränkt bin. Es tut mir leid...“

Hadrir wendete sich zum gehen und Galren schloss die Augen. Sollte er weglaufen. Es machte nichts mehr besser...

,, Wartet...“ Es war Armells Stimme, die nun doch ein Stück versöhnlicher klang. ,, Ich weiß, das ihr nichts hiervon wollt, Hadrir. Nd ich bin mir sicher, Galren versteht es auch. Ob er es zugeben will oder nicht. Ich... wir würden uns sicher freuen eich einlanden zu können.“ Die junge Adelige machte ein Geste in Richtung eines freien Platzes am Feuer.

Der Zwerg schien einen Moment unsicher, bis Elin ihn schließlich am Arm ergriff und Hadrir ohne viel Gegenwehr an den Angebotenen Platz zog. Der plötzlich so verdutzt dreinschauende Zwerg löste einen allgemeinen Lachanfall unter Hedan und seiner Crew aus und selbst Galren rang sich ein kurzes, kaum sichtbares Lächeln ab...

Ein nagender Teil seines Bewusstseins wollte den Zwerg nach wie vor nicht hier haben. Aber im Augenblick gewann wieder die Vernunft die Oberhand über falschen Stolz. Hadrir war ihr einziger Verbündeter. Und er tat alles um ihnen zu helfen ohne die Grenzen zu übertreten, die der König ihm aufgezwungen hatte...

 

Kapitel 58 Am Feuer

 

 

Mittlerweile waren von dem lodernden Feuer nur noch ein paar glühende Kohlen geblieben, auch wenn der Geruch nach Gebratenem und dem Starkbier der Zwerge nach wie vor in der Luft hing. Letzteres war ein süßliches, fast schwarzes Gebräu von dem Hedan offenbar einige Fässer hatte auftreiben können. Merl hatte sich so gut es ging davon ferngehalten, während sie um das Feuer herumsaßen und aßen. Die Erinnerung brachte ihn nach wie vor zum Lächeln. Obwohl der Tag alles andere als gut verlaufen war, an diesem Abend hatten sie gegessen, geredet , gelacht  und getrunken ohne das ständige Gefühl der Bedrohung, das über der Stadt zu hängen schien. Selbst Hadrir lachte mit ihnen, als Hedan schließlich auf die Idee kam, Elin ihren Krug wegzunehmen.

Die junge Gejarn schien dem Bier um einiges mehr zuzusprechen als er selbst und hatte bereits den dritten oder vierten Becher geleert, bis der Kapitän dazwischen ging. Vielleicht war das ganze um einiges trinkbarer als der Rum, den Hedan ihr einmal Angeboten hatte, seine Wirkung hatte es jedoch trotzdem. Elin schwankte mittlerweile deutlich, wenn sie versuchte aufzustehen und

,, Ich glaube ihr hatte genug.“ , erklärte Hedan und es viel ihm überraschend leicht, der angetrunkenen Gejarn den Krug abzunehmen. Diese sah einen Moment verwirrt auf ihre leere Hand, als ob ihr nicht ganz klar wäre, was grade passiert war. Der Kapitän fand darin nur seine Vermutung bestätigt und stellte den halb vollen Krug außer Reichweite neben sich.

,, Ich glaube, das werdet ihr dann auch nicht vermissen…“ , meinte Elin darauf nur. Offenbar hatte Hedan die Rechnung ohne  ihr Geschick gemacht, das noch nicht unter dem Bier gelitten hatte. Mit einem triumphierenden, schiefen grinsen hielt sie eine glitzernde Silbermünze hoch. Der Beutel aus dem sie stammte war scheinbar wie aus dem Nichts auf ihrem Schoß aufgetaucht.

Mit weit aufgerissenen Augen tastete der Kapitän nach seiner Gelbbörse und fand sie zur allgemeinen Belustigung der Umstehenden tatsächlich nicht mehr. Einzelne Lacher kamen aus der Menge, als er schließlich nach dem Bierkrug griff und der Gejarn zurückreichte.

,, Ich will verflucht sein wenn ich jemals herausfinde, wie ihr das macht.“ , murmelte er , grinste dabei jedoch und Elin reichte ihm den Beutel zurück. Einen Moment überlegte er, diesen wieder an seinen Gürtel anzubringen, ließ ihn dann jedoch in seiner Tasche verschwinden. ,, Ich schätze es ist ziemlich egal, was ich damit mache, ihr findet ihn trotzdem oder ?“

Hadrir lachte schallend und verschüttete dabei fast sein eigenes Bier. ,, Ihr könnt sie ja losschicken um meinem Vater die Krone zu stehlen. Vielleicht redet er dann mit euch.“

Merl konnte nicht anders als in das Lachen des Zwergs mit einzustimmen und selbst über Galrens Züge huschte zumindest der Anflug eines Lächelns. Eigentlich konnte er den Mann gut verstehen, seine Frustration zumindest. Sie alle hatten ihre Aufgabe bereits erfüllt, in dem sie nur hierher gelangt waren. Armell hatte ihr Ziel längst erreicht und Hedans Aufgabe wäre nur, sie wieder zurück zu bringen. Und er selber… vielleicht hatte er bereits mehr gefunden als er wollte. Aber das war ein geringer Preis, dachte er, während er einen Arm um Armell legte. Die Adelige ließ sich gegen seine Schulter sinken. Nach wie vor fürchtete er morgen einfach aufzuwachen und festzustellen dass er alles nur geträumt hätte. Und allein das Wissen, das dem nicht so sein würde, das Armell ihn tatsächlich liebte… Nein eigentlich, dachte er, konnte er Galren nicht verstehen. Er war der einzige von ihnen der bisher absolut nichts hatte. Und mit jedem Tag hier wurde er nur mehr enttäuscht.

Vielleicht hatte er ja sogar noch die schwache Hoffnung das alles einfach…klar werden würde sobald sie einmal hier waren. Dass das Schicksal seines Vaters sich schon erschließen würde… In diesem Sinne war er mehr als nur enttäuscht worden.

,, Ehrlich gesagt finde ich das weniger witzig.“ , bemerkte Hedan, der als einziger Ernst geblieben war. ,, Das gefällt mir alles nicht. Wenn es nach mir ginge sollten wir die Segel hissen und zusehen das wir wieder hier weg kommen… aber selbst das ist für die nächsten Tage keine Option.“

,, Zwei Wochen.“ , erinnerte Galren ihn und der kaum merkliche drohende Unterton brachte selbst den Kapitän einmal zum Zögern. ,, So viel Zeit müsst ihr mir lassen.“

,, Nichts anderes hatte ich vor.“ , gab der Kapitän kühl zurück. ,, Aber wenn ich eines nicht mag, dann der Gnade von jemanden ausgeliefert sein. Schon gar nicht der eures Königs.“ Er sah zu Hadrir.  Von einem Augenblick zum nächsten hatte sich die Stimmung merklich abgekühlt. Der Zwerg erwiderte nichts, während es am Feuer langsam still wurde.

,, Ich würde sagen zur Sicherheit holen wir uns einfach  tatsächlich seine Krone. Würde euch das beruhigen Hedan ? “ Es war Narias Stimme, die das Schweigen brach. Die Schakalin saß mit unterschlagenem Beinen und hochgeschlagener Kapuze da, trotzdem konnte Merl das schwache Lächeln auf ihrem Gesicht sehen. Einen Moment lang folgte noch schweigen, dann jedoch fing erst der Kapitän und schließlich der ganze Rest der Besatzung an zu lachen.

,, Ja, doch.“ , meinte Hedan während er sich nach wie vor kichernd eine Träne aus den Augenwinkeln wischte. ,, Was meint ihr, Hadrir, könnt ihr euren Vater eine Weile ablenken ? Ich könnte das Ding auch verlaufen und mich zur Ruhe setzen. Würde mich vor weiteren Abenteuern dieser Art bewahren.“

So unglaublich es schien, die sonst so verschlossenen Zauberin hatte grade mit wenigen Worten die gesamte Stimmung verändert. Merl musterte sie einen Moment und konnte nicht anders als sich zu fragen ob das völlige Absicht oder Zufall gewesen war. Doch Naria schien von den anderen bereits kaum mehr Notiz zu nehmen, während sie in ihrem zerfledderten Notizbuch blätterte. Vermutlich ging sie die Runen des Alten Volkes durch, die sie im Tempel abgezeichnet hatte. Nun mit etwas Glück half ihnen das ja weiter…

Der Rest des Abends verlief in einer Mischung aus Gesprächen die sich um Nichts und alles treten und den letzten Bratenresten, die Hedan unter der Crew aufteilte. Auch das Bier, von dem Merl nach wie vor nicht wusste woher der Kapitän es überhaupt hatte, ging bald zur Neige, so das die ersten sich auf dem Weg zurück zum Schiff oder in die Stadt machten.

Jetzt, Stunden später, saß Merl im Schneidersitz an den heruntergebrannten Kohlen. Außer ihm waren nur noch ein paar Matrosen hier, die  es nicht mehr zurück an Bord geschafft hatten und an Ort und Stelle eingeschlafen waren. Galren, Naria und all die anderen waren vermutlich längst zurück im Gasthaus und Hadrir hatte sich bereits vor einer Ewigkeit verabschiedet. Nur er fand keine Ruhe. Jetzt wo der Trouble endete hatte er zum ersten Mal wirklich Zeit über alles nachzudenken. Für einen einzigen Tag hatten sie gleichzeitig viel… und gar nichts erfahren. Möglichkeiten, ja, Andeutungen und Hinweise, aber nichts Konkretes. Vor allem Hinweise auf ihn selbst. Naria wusste vielleicht mehr über praktische Magie als er, aber das hieß doch nicht, dass sie Recht hatte, was ihn betraf. Oder ? Die Frage ließ ihn nicht mehr los. Genau so wenig wie die, ob Zachary ihr Wissen denn teilte, wenn sie recht hatte. Am Ende blieb ihn ja sowieso nur abzuwarten und so begann er schließlich, sich wieder in die Übungen zu versenken, die ihm sein Meister gezeigt hatte. Es kam ihm so lange vor, seit dem letzten Mal, dabei konnten es aller höchstens ein paar Tage gewesen sein. Merl wusste nicht, wie lange er dasaß und versuchte sich zu entspannen oder kleinere Zauber aufrecht zu erhalten. Jede Übung diente einem Zweck, sagte er sich. Aber nach den Wochen auf See musste er sich eingestehen, dass der Zweck dieser Übungen ihm immer weniger praktisch erschien. Es schien, Zachary wollte ihm mehr Selbstbeherrschung lehren als wirklich etwas Neues beibringen.

,, Du sitzt da, als würdest du auf deine eigene Hinrichtung warten…“

Armells Stimme riss ihn endgültig aus seiner Konzentration und heimlich war er sogar dankbar dafür.

,, Was machst du denn hier ?“ , fragte er, als sie sich zu ihm setzte. Sentine an ihrer Seite hatte wie so oft die Gestalt eines Zaunkönigs angenommen, der auf ihrer Schulter kaum auffiel ,, Ich dachte du wärst schon lange vorgegangen.“

,, Bin ich auch aber… ich habe auf dich gewartet. Allerdings könnte ich dich wohl dasselbe fragen. Was machst du noch hier?“ Armell schlang die Arme um die Knie, während sie auf eine Antwort wartete.

,, Ein paar der Übungen, die Meister Zachary mir gezeigt hat.“ , erklärte er.  ,, Ich hatte sie fast vergessen aber jetzt… nach dem Tempel… wenn ich herausfinden will, was ich bin, sollte ich wohl erst einmal meine Fähigkeiten meistern. Nicht wahr? Vielleicht helfen mir diese Übungen ja dabei…“

,, Ich glaube nicht, das sie dir viel helfen wenn du dasitzt wie eine Statue mit Muskelkater. Du bist ja völlig verkrampft.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, drückte sie ihm einen Kuss auf die Lippen. ,, Und nur damit du das weißt, es ist mir völlig egal ob Naria mit ihren Behauptungen recht hat oder nicht. Und es wird mich auch nie interessieren. Du bist du. Daran ändert sich nichts.“
,, Danke.“ , brachte Merl schließlich hervor. ,, Ich denke… das hilft. Vielleicht fällt es mir auch einfach nur schwer, mich nach heute noch zu entspannen.“

,, Was genau versuchst du denn zu tun ?“ , wolle Armell wissen.

,, Nun bei dieser Art von Übung geht es wohl vor allem darum, seine Angst abzulegen. Oder trotz ihr noch auf sich selbst konzentriert zu bleiben. Auch wenn ich nicht weiß, was Zachary damit bezwecken will im Hinsicht auf Narias Behauptung macht es leider Sinn…“

,, Ich würde sagen es macht immer Sinn, seine Angst beherrschen zu lernen. Wenn du das könntest hätten wir keine Expedition ins Nirgendwo gebraucht um uns zu finden. Oder ?“

Merl  schüttelte grinsend den Kopf. ,, Das stimmt. Aber erinnerst du dich was ich dir über die Seelenwanderung des alten Volkes erzählt habe?“

,, Das sie keine Angst davor haben durften ? Du glaubst also Zachary hat versucht dir beizubringen was dafür nötig war?“

,, Oder vielleicht hofft er auch, dass ich die fehlenden Teile finde, wenn ich es versuche. Ich… Wir haben seit Jahren daran gearbeitet und nach wie vor nicht alle Puzzleteile gefunden. Wenn er mir nur gesagt hätte…“
Armell legte ihm eine Hand auf den Arm bevor er weitersprechen konnte. ,, Und was wäre passiert, hätte er es getan ? Das er glaubt das du der Schlüssle zu seinen Jahrzehntelangen Forschungen bist? Das alles was er diese Jahre getan hat… am Ende für dich war? Damit du ergründen kannst wer du wirklich bist?“
,, Ich wäre vermutlich so nervös geworden, das ich keinen zusammenhängenden Satz mehr herausgebracht hätte.“ , gestand er. Und das war nur die halbe Wahrheit. Vermutlich hätte er sogar aufgegeben. Sein altes Selbst hätte das. Aber er hatte sich verändert nicht… erneut musste er sich fragen ob Zachary das alles nicht irgendwie geplant hatte. Zumindest hatte er wohl darauf gehofft, nicht?
,, Und jetzt ?“
,, Jetzt nicht mehr. Ich meine… das ist…“

,, Der Grund aus dem du uns begleiten musstest.“ , beendete Armell den Satz und hauchte ihm einen weiteren Kuss auf die Wange. ,, Das und andere Dinge… Wir haben immer aufeinander geachtet.“

Er nickte. ,, Ja… Warn mich also bitte, sollte ich plötzlich aufhören zu existieren, wenn ich eine dieser Übungen versuche, ja? Wobei das wohl beweisen würde das Naria recht hat. Wenn nicht… bin ich eben auch nicht schlauer als vorher.“

,, Ich schätze jedenfalls für heute Abend hat es keinen Sinn mehr noch weiter hier draußen zu sitzen.“ , meinte Armell schließlich  und stand auf. ,, Kommst du mit ?“

Sie streckte ihm eine Hand hin und ehe Merl auch nur darüber nachdachte, hatte er sie bereits ergriffen und lies sich auf die Füße und in eine kurze Umarmung ziehen.

,, Ich weiß nicht ob alles irgendwie gut werden wird…“ , setzte er an.

,, Aber wir achten ja aufeinander nicht ?“

Ihre Lippen fanden sich erneut und für den Moment war das die einzige Antwort die er brauchte. Nur hoffentlich würde auch jemand auf die anderen achten, dachte Merl .

 

Kapitel 59 Elin auf Abwegen

 

 

 

 

Elin sah zu, wie der Stein über das Wasser sprang. Konzentrische Kreise, die jedoch sofort wieder von den Wellen unterbrochen wurden, stiegen dort auf, wo er das Meer berührte. Sie wartete, bis er in den Fluten versank, bevor sie einen weiteren aufhob, zielte und mit einem Arm ausholte.

Zwei Wochen waren sie jetzt hier und der Tag an dem Hedan ihre Abreise nicht mehr aufschieben konnte, rückte näher. Trotzdem waren sie keinen Schritt weiter gekommen. Ihnen lief die Zeit davon… und das einzige, was sie bisher erreicht hatten, war ein paar Brocken der Zwergensprache aufzuschnappen. Elin selbst verstand mittlerweile genug davon um die Schilder und die Runen auf Häusern und Gebäuden lesen zu können, aber auch das half ihnen kaum weiter.

Der König war nach wie vor uneinsichtig und Hadrir führte sie weiter überall dorthin, wohin Galren wollte… nicht das sie dort mehr Antworten erhalten hätten als Anderswo.  Sie waren in den Bibliotheken der Stadt gewesen und hatten fast jedes Regal dort durchforstet und selbst in den Gasthäusern wo sich Varan Lahaye angeblich aufgehalten hatte, schien sich niemand an ihn zu erinnern… oder besser, sie wollten es nicht, dachte Elin. Diese ganze Stadt versank geradezu unter einem Schleier aus Lügen und Halbwahrheiten und ihr blieb nur übrig sich zu fragen, wo sie hier bloß hinein geraten waren. Und was Galren anging, so schien er mit jedem Fehlschlag bloß launischer und verschlossener zu werden. Selbst Lias hatte mittlerweile seine Schwierigkeiten überhaupt an ihn heranzukommen und der Mann war Elin immer ein wenig wie sein Großvater vorgekommen, wäre das nicht völlig unmöglich. Allerdings, wer könnte es ihm noch verübeln… Der Abend als sie aus den Katakomben entkommen waren schien lange vergessen.  Der einzige Ort, an dem es bisher zumindest so etwas wie einen Hinweis auch nur den Beginn einer Spur gegeben hatte, war der Tempel. Aber grade dorthin konnten sie nach ihrem Zusammenstoß mit dem Marschall des Hauses Mardar nicht mehr zurückkehren. Oder wenigstens behauptete Hadrir das.

Elin wusste nicht wie viel sie dem Zwerg einfach glauben konnte, aber mit einem zumindest hatte er unrecht. Sicher, wenn sie alle in der Weststadt auftauchten würde das auffallen. Aber niemand rechnete mit ihr, dachte sie, während sie von der Reling zurück trat. Sie hatte gesagt sie würde Galren helfen und vielleicht fand sich ja eine Möglichkeit etwas in Erfahrung zu bringen, wenn sie den Tempel noch einmal aufsuchte. Nur diesmal ohne Hadrir , der die Priester einschüchterte. Die Leute dort logen, das spürte sie genauso wie alle anderen. Vielleicht über etwas sehr wichtiges. Und gleichzeitig hatten sie Angst. Vielleicht brachte es zumindest etwas Licht in diese Sache wenn sie alleine mit ihnen Sprach…

Doch wenn der Zwerg irgendwie erfuhr, was sie vorhatte, würde er darauf bestehen, sie zu begleiten, das war Elin jetzt schon klar. Nein, sie musste in die Weststadt und wieder zurück sein, bevor jemand überhaupt bemerkte, dass sie fehlte.

Und so war sie an diesem Morgen bereits kurz vor Sonnenaufgang aufgestanden um sich aus dem Gasthaus zu schleichen. Die Straßen waren um diese frühe Stunde noch in Nebel getaucht, der vom Meer her aufzog und sich als feiner Wasserfilm auf allem Niederschlug. Bereits die ersten Sonnenstrahlen würden ihn jedoch bereits wieder verdunsten lassen und einen weiteren unsäglich heißen Tag beginnen. Langsam gewöhnte sie sich an die, selbst im Vergleich zu Lasanta extremen, Temperaturen.

Elin war noch im Dunkeln durch die Straßen zum Schiff zurück geschlichen um den Sonnenaufgang abzuwarten. Jetzt würde die Stadt bald wieder zum Leben erwachen und die Gassen so voll werden, dass sie den Aufbruch wagen konnte. Wenn sie losgehen würde, während die Straßen noch leer waren, würde sie nur mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als ohnehin schon und das war das letzte was sie wollte. Wenigstens, dachte Elin, ragte sie nicht wie die anderen mehrere Köpfe über der restlichen Menge auf.

Als sie schließlich den Aufstieg hinauf zum Damm zwischen den beiden Stadtbezirken begann, trieben immer noch vereinzelte Nebelwolken zwischen den Häusern dahin. Die Gärten jedoch waren bereits gut besucht und so viel es ihr recht leicht in der Masse unterzutauchen. So gut das eben ging wenn man die einzige Gejarn weit und breit war, dachte Elin.

Sie hatte sich einen Stoffstreifen über den Kopf gebunden und einen Mantel von Naria ausgeliehen. Oder zumindest hatte sie vor ihn zurück zu bringen. Die Magierin würde vielleicht gar nicht merken, dass er fehlte. Der graue Umhang war ihr ohnehin ein gutes Stück zu groß und schleifte hinter ihr über den Boden. Aber zumindest verbarg er ganz gut was sie war.

Als das Tor zur Weststadt in Sicht kam, wurde sie langsamer. Der gewaltige Steinbogen ragte wie der Eingang einer Höhle vor ihr auf und die großen Gattertore mit denen er bei Bedarf geschlossen werden konnte, standen weit offen. Vielleicht konnte sie einfach mit dem Strom der übrigen Zwerge hindurch gelangen… Aber konnte sie das Risiko eingehen? Elins Augen suchten nach den bewaffneten Gestalten der Torwachen, fanden sie aber nicht. Waren die Männer etwa abgezogen worden, nachdem der König sie verwarnt hatte?

Die Gejarn blieb schließlich stehen und wich von den Sandwegen zurück in die Gärten. Das trockene Gras kitzelte an ihren Füßen, während die übrigen Passanten an ihr vorbei und durch das Tor zogen. Die meisten schienen zum Glück kaum Notiz von ihr zu nehmen. So umständlich die Verkleidung war, sie funktionierte für den Moment. Eine Wache jedoch würde das kaum täuschen. Vermummte Gestalten mussten Aufmerksamkeit auf sich ziehen…

An sich sollte sie sich doch freuen, dachte Elin. Sie hatte bereits befürchtet am Wall entlang klettern zu müssen um die Passage zu umgehen. Zwar war ihr Höhenangst fremd, aber die Torheit darin war ihr mehr als bewusst. Nicht nur, das ein einziger Fehltritt bei dieser Höhe ihren Tod nach sich ziehen musste, man könnte Elin auch von jedem Punkt der Stadt aus sehen. Und wenn nur zufällig jemand vom Mauerrand nach unten sah, musste man sie entdecken. Was tat man nicht alles für Leute die man mochte… auch wenn sie sich immer mehr zu verändern schienen…

Die Gejarn war mittlerweile   bis zu einem künstlichen Teich zurück gewichen, nach wie vor die Sandstraße im Blick.  Das Wasser plätscherte aus einem großen zweistöckigen Brunnen und über eine Rinne in das Becken hinab. Der Anblick rief ihr nur in Erinnerung wie verfahren die ganze Situation eigentlich war. Die Zwerge würden ohne den ständigen Wasserfluss kaum lange überleben… und ihr König log sie darüber an, wie begrenzt ihre Vorräte mittlerweile eigentlich waren. War das ein einzelnes Problem? Oder doch Teil der Gründe aus denen man ihnen in dieser Stadt  solche Verachtung entgegenbrachte ? Sie würde es nicht herausfinden in dem sie hier abwartete. Die übrigen Reisenden kamen unbehelligt durch die Tore und nirgendwo war ein Posten zu sehen. Aber was wenn sie schlicht am anderen Ende des Abstiegs warteten ? Nun, das war ein Risiko das sie eingehen musste, dachte Elin und trat zurück auf den Weg.

Es gab keine Wachen. Weder am Tor noch auf dem Weg die unzähligen Treppenstufen zur Weststadt hinab und auch nicht, als die Gejarn schließlich wieder in den Straßen verschwand. Zwar hatte sie sich den Weg zum Tempel den Hadrir das letzte Mal genommen hatte nicht gemerkt, doch die weißen , im Licht der Morgensonne gleißend hellen, Türme waren von überall zu sehen. Alles was Elin tun musste war, ihnen zu Folgen und darauf zu achten, sich möglichst in der Mitte des Wegs zu halten. Die Leute um sie herum gaben ihr zumindest etwas  Schutz, sollte sie doch einmal einen Posten übersehen.

Ihre Bedenken jedoch, waren unbegründet gewesen. Ohne Zwischenfälle erreichte sie schließlich den großen Marmorbau im Zentrum der Stadt und stieg die ausgetretenen Stufen zum Eingang hinauf.

Im inneren des Tempels war es ruhig und neben ihr waren vielleicht ein halbes Dutzend Gläubigen Anwesend, die vor den verschiedenen Altären knieten oder still auf den Bänken saßen.

Vor dem großen Marmorblock ganz am Ende des Gebäudes jedoch hatte sich eine kleine Gruppe Priester in  weißen Roben versammelt, die leise sangen.

Normalerweise hätte sie sich nicht weiter darum gekümmert, aber irgendetwas hielt sie davon ab, die Versammlung einfach mit ihren Fragen zu unterbrechen. Stattdessen setzte sie sich ruhig auf eine der Bänke und wartete, bis die Männer und Frauen ihren Gesang beendeten. Auch wenn sie die Worte nur bruchstückhaft verstand, hatte es etwas beruhigendes, dachte sie, während ihr Blick durch den Saal wanderte. Das Bildnis des Herrn des Feuers sah ernst und schweigend vom Torbogen in den Saal und das Sonnenlicht, das durch die übrigen Fenster schien, tauchte den weißen Marmor in tausend verschiedenen Farben und Schattierungen.

Elin konnte später nicht einmal mehr sagen, wie lange sie so dasaß, aber schließlich verstummten die Stimmen der Priester. Die kleine Gruppe am Altar teilte sich und sie stand auf um einen von ihnen abzupassen. Der Mann, den sie schließlich anhielt, trug einen langen weißen Bart und als er sich zu ihr umdrehte, hatten seine Augen den gleichen seltsamen, uralten Blick, wie auch der König. Müde und gleichzeitig auf eine Art wach, die sie sich nicht erklären konnte.

Als er sprach, war seine Stimme überraschend sanft und leise. Eine Gesangsstimme, dachte Elin auch wenn er nicht sang.

,, Ja ? Was kann ich für euch…“ Er hielt mitten im Satz inne, als ihm klar wurde, dass er keinem Zwerg gegenüber stand. ,, Ihr… Ihr seid eine der Fremden, die mit Hadrir hier waren, oder?“

,, Das bin ich.“ , erklärte sie. ,, Und ich möchte euch nichts Böses, im Gegensatz zu dem, was jeder in dieser Stadt zu glauben scheint.“

Der Priester nickte und ein kurzes Lächeln stahl sich auf seine Züge. ,, Vielleicht. Und was wünscht ihr, das ihr euch alleine hier her wagt?“ Sein Blick schweifte rasch durch den Tempel und über die wenigen anwesenden Gläubigen. ,, Wie ich sehe sind eure Freunde nicht hier.“

,, Nein, aber ich suche nach Antworten für einen.“ , erklärte Elin.

Erneut nickte der Mann und er sah zurück zum zersplitterten Haupt-Altar, wo die übrigen Priester bereits damit begannen, eine neue Hymne anzustimmen. ,, Ich kann mir auch denken, worum es dabei geht. Ich kann euch nicht alles sagen. Nicht hier und nicht wenn ich den morgigen Tag erleben will. Aber ich bin mag keine Lügen. Und wenn ihr bereits seit euch dem Risiko auszusetzen hierher zu kommen… dann glaube ich verdient euer Freund ein paar Antworten.“

,, Dann sagt mir zuerst eines.  Kanntet ihr Varan Lahaye ?“

,, Ich kannte ihn einmal, könnte man sagen. Einer der Männer, der mit euch hier war… Das war sein Sohn, oder?“

Elin nickte. ,, Für ihn sind eure Antworten.“

,, Ich habe ihn gleich erkannt. Sie sehen sich ziemlich ähnlich, wisst ihr? Varan hatte in seiner Zeit hier immer diese gleiche, getriebene Art an sich. Trotzdem habe ich ihn als einen Menschen kennen gelernt der zu einem seltsamen Mitgefühl mit allem und jedem fähig war.“ Das, dachte Elin, klang tatsächlich sehr nach Galren. ,, Wisst ihr was das erste war, was er tat als er hier ankam? Er und der König hatten sich die Oststadt angesehen und es gab einen unterirdischen Einsturz. Eine halbe Straße ist in die Tiefe gerutscht, mitsamt allen, die das Unglück hatten, sich darauf zu befinden und was tat er? Er sprang hinterher. Hat sie ohne Hilfe wieder aus den Katakomben nach oben geführt. Es gab kaum jemanden hier, der ihn nicht respektiert hat, die meisten nannten ihn einen Helden. Und doch schien er nie wirklich zur Ruhe zu kommen.“

,, Und könnt ihr mir auch sagen, was aus ihm wurde ?“

Diesmal zögerte der Priester. ,, Ein wenig. Was hat euch der König erzählt, was aus ihm wurde?“

,, Das er lange fort ist.“ , erklärte Elin.

,, So gesehen ist das nicht einmal eine Lüge, aber…“ Er stockte und seine Augen richteten sich auf irgendetwas hinter Elin. Bevor sie noch reagieren konnte, hatte er sie an den Schultern gepackt und schubste sie in Richtung eines der Seitenaltäre. Der Mann war erstaunlich kräftig und Elin stolperte hinter den hüfthohen Steinblock. Sie wollte fragen, was das sollte, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie dem Blick des alten Priesters folgte.

Die übrigen Gläubigen strömten mittlerweile alle in Richtung Ausgang, an dem Mann vorbei der dort stand. Groß für einen Zwerg und mit langen  schwarzen Haaren, die heute jedoch im Nacken zusammen gebunden waren . Auch trug er keine Rüstung mehr, doch der rote Umhang um seine Schultern wies immer noch das gleiche Wappen auf. Stützbalken und Hacke. Das Symbol des Hauses Mardar. Dem Mann wiederum folgten vier weitere Gestalten, die ebenfalls das Wappen trugen. Das und gezückte Schwerter, Feuerwaffen und Streithämmer…

Wie um ihre letzten Zweifel auszuräumen, trat der Priester mit erstarrter Mine auf die fünf Eindringlinge zu. ,, Marschall Algim Mardar. Was verschafft mir die Ehre eures Besuchs?“

 

 

Kapitel 60 In der Falle

 

 

Elin kauerte sich so gut es ging hinter den Altar, während Algim in den Tempel trat. Ein besonders gutes Versteck war es nicht, aber besser als alles andere… Ihr Blick schweifte zum Tor, wo soeben die letzten Gläubigen verschwanden und auch die Priester, außer dem, mit dem sie sich eben noch unterhalten hatte, waren verschwunden. Sie saß in der Falle, dachte Elin. Jetzt noch aufzuspringen und zu versuchen durch die Türen ins freie zu entkommen… Nein, so sehr traute sie ihrer Verkleidung nicht.

Der Marschall schien zum Glück kaum auf seine Umgebung zu achten, während er auf den Priester zutrat. Seine vier Begleitet bildeten derweil einen Bogen in seinem Rücken und waren wohl mehr darauf bedacht zu verhindern, dass jemand den Tempel wieder  betrat.

,, Ist sonst noch jemand hier ?“ Seine Stimme war leise, der drohende Unterton darin nicht zu überhören.

Der Priester wich vor Algim zurück, der die Hand locker auf den Griff eines Kurzschwerts gelegt hatte. Darunter war grade noch der Griff einer gespannten Armbrust zu erkennen, die halb unter seinem Mantel verborgen war.

,, Ihr kommt hierher mit Waffen , verschreckt die Leute und erwartet Antworten von mir ?“ Auch wenn seine Stimme zitterte, war sie laut genug, das ein paar von Algims Männern wegsahen. Elin konnte dem Alten nur Respekt zollen. Irgendwie hatte er es geschafft die Kontrolle über die Situation zurück zu gewinnen, obwohl grade fünf bewaffnete Männer seinen Tempel gestürmt hatten. ,, Ihr könnt gehen, eure Waffen ablegen und dann wiederkommen. Vielleicht reden wir dann…“
Es war in diesem Moment, das der Marschall zuschlug. Es gab keine Warnung, kein weiteres Wort. Nur das Geräusch als die Faust des Mannes den Alten ins Gesicht traf und von den Füßen holte.

Elin wich noch weite in ihr Versteck zurück.

Bevor der Priester sich wieder aufrappeln konnte, hatte Algim ihm bereits einen Fuß auf die Brust gesetzt.

,, Nur damit wir uns ganz sicher verstehen,“ , begann er. ,,Ich habe keine Zeit für Spielchen und ich bin es leid zum Narren gehalten zu werden. Ich weiß dass einer der Fremden in der Weststadt gesehen wurde. Heute. Und das hier wäre wohl einer der Orte, der sie am meisten interessieren würde nicht?“

Sie musste sich davon abhalten, laut zu Fluchen. Also hatte sie doch jemand entdeckt? Dabei war sie so sicher gewesen auf alles geachtet zu haben. Und offenbar hatte der Marschall übelste Laune… Vermutlich war  er nicht grade erfreut darüber gewesen, festzustellen, dass sie ihm entwischt waren.

,, Tut mir wirklich leid, aber wenn jemand hier war, dann habt ihr sie eben alle verscheucht, fürchte ich.“ , brachte der alte Priester hervor. ,,Und ich glaube nicht, das euer Thane sehr erfreut wäre zu hören, das ihr hier bewaffnet eindringt einen Priester des Feuers verletzt.“

,, Diese Stadt gehört uns, alter Mann. Und ich bezweifle wirklich das ihr irgendetwas sagen würdet. Zu ihm oder sonst irgendjemanden.“ Trotzdem nahm Algim zumindest den Fuß von der Brust des Alten, so dass dieser wieder frei atmen konnte.

Nach Luft ringend brauchte der Mann eine Weile um wieder auf die Füße zu kommen. Während er allerdings noch scheinbar mit sich Rang, sah er blitzschnell zu Elin herüber. Aus der angestrengten Mine wurde ein schwaches Lächeln.

,, Ach ? Habt ihr also Angst, irgendjemand könnte endlich die Wahrheit erfahren, ja?“ Er stand auf und deutete auf den zersplitterten Altar. ,, Dieser verfluchte Stein hat uns fast alles gekostet. Und doch enthielt er nur Wahnsinn. Wahnsinn, der durch die Straßen unserer Stadt sickerte und alles vergiftet hat. Auch euch, wie mir scheint.“

,, Ach ihr glaubt mich interessiert das ?“ , fragte Algim und seine Stimme bekam etwas höhnisches. Er machte einen Schritt vor und hatte den Priester erneut gepackt.  ,, Nein. Aber wenn er erfährt, dass er noch lebt… vielleicht sollte ich euch einfach die Zunge herausschneiden was meint ihr?“

Die Hand des Marschalls wanderte erneut zum Schwert.

Elins umklammerte derweil den Griff der Pistole, die Hedan ihr Geschenkt hatte. Auch wenn sie sich dadurch verriet, sie würde nicht einfach zulassen, dass dieser Kerl den einzigen Mann, der ihr Rede und Antwort stehen wollte, verletzte.

Der Priester kam ihr jedoch zuvor. ,, Mir. Dem König. Seinem Sohn. Und dutzenden anderen. Ich wünsche euch viel Erfolg dabei.“

Warum nur wollten sowohl Hadrir als auch der Marschall unbedingt, dass die Leute aus dem Tempel schwiegen? Algim wollte nicht das sie etwas erfuhren, das war klar. Elin wagte sich vorsichtig hinter dem Altar hervor. Im Augenblick war alle Aufmerksamkeit ohnehin auf den Marschall und den Alten gerichtet. Das wäre eigentlich der Moment gewesen in dem sie sich zum Tor hinaus stehlen sollte, aber… sie musste mehr hören. Wenn sie jetzt ging, wäre sie auch nicht Schlauer als vorher.

Der Priester, der zu ihr herübersah schüttelte kaum merklich den Kopf. Sieh zu das du hier wegkommst, schien er sagen zu wollen.  Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie stattdessen schnell wie ein Schatten von ihrem Versteck zum Hauptaltar huschte und sich dahinter in Sicherheit brachte.

Zitternd drückte sie sich gegen den kalten Marmor und erwartete jeden Moment, dass doch noch jemand auf sie aufmerksam wurde. Das hier war kein Spiel wie an Bord der Immwerind, als sie zumindest noch einen Joker gehabt hatte. Das hier war absoluter Ernst und wenn sie daran dachte, wie beiläufig der Marschall den Priester niedergeschlagen hatte…

,, Wisst ihr ich kann es wirklich nicht Leiden, wenn man sich über mich lustig macht, alter Mann.“

,, Oh glaubt mir, nichts läge mir ferner.“ , erwiderte der Priester. ,, Ich wäre euch nur sehr verbunden, wenn ihr endlich hier verschwinden würdet. Von mir erfährt niemand etwas. Das schließt allerdings auch euch ein.“

Diesmal schlug Algim ihn nicht bloß, sondern stürzte sich regelrecht auf ihn. Elin war sich sicher, er würde ihn diesmal umbringen. Der Mann stolperte zurück in Richtung des Hauptaltars und  zog den Marschall dabei mit sich mit. Die beiden stürzten fast gleichzeitig auf den schweren Marmorblock. Und beide sahen sie Elin, die dahinter hockte.

Algims Blick traf ihren und die Mine des Zwergs zeigte einen Moment nur grenzenlose Überraschung.

Elin jedoch reagierte sofort. Ihre Hand lag nach wie vor am Pistolengriff. Sie zog die Waffe, zielte und feuerte ohne nachzudenken. Die Kugel traf den Marschall vor die Brust und warf ihn Rückwärts, weg von dem Priester, der benommen liegen blieb.

Elin war es egal ob sie Algim grade getötet hatte oder nicht, sie lief einfach los. Mit einem Satz war sie über den Altar hinweg. Dann wich sie den Begleitern des Marschalls aus, die grade noch herbeigerannt waren um ihren Anführer davon abzuhalten, den Priester zu töten. Die Männer waren viel zu verdutzt über ihr plötzliches auftauchen um viel zu unternehmen und während der Schuss noch im Tempel verhallte, war sie bereits zu den Toren hinaus.

Währenddessen kam Algim schwankend wieder auf die Füße. Blut lief von einer Winde in seiner linken Seite herab. Die Kugle hatte ihn offenbar nur gestreift, trotzdem bebte die gesamte Gestalt des Mannes vor unterdrückter Wut.

,, Steht nicht dumm rum, sondern schnappt sie.“ ,  rief er wütend.,, Lebendig oder Tot, aber sie entkommt uns nicht !“  Elin war jedoch längst zur Tür hinaus und hechtete über den Vorplatz des Tempels. Die Männer, die ihr rasch nachsetzten waren um einiges langsamer als sie und während die Gejarn bereits die Straße erreicht hatte, waren Algims Leute noch nicht einmal ganz zum Tor hinaus. Rasch entledigte sie sich des langen Mantels, der sie ohnehin nur behindern wollte und bog in die erstbeste Gasse ein. Ob sie sich verirrte oder nicht war jetzt nebensächlich. Nackte Angst trieb sie weiter. S9ie hatte den Blick in den Augen des Marschalls gesehen. Dieser Mann wollte sie nicht einfach festsetzen. Wenn sie jetzt erwischt wurde, würde man sie töten, egal was die Folgen für die Politik dieser Stadt sein mochten…

Aus den Augenwinkeln erspähte sie eine Leiter, die auf das Dach einer Wasserdestillerie führte. So schnell Elin konnte, kletterte sie herauf und hielt kurz inne um sich einen Überblick zu verschaffen.

Das aus Blech gehämmerte Dach der Destillierie war leicht abschüssig und der nach unten geneigte Rand ging über eine Reihe Bottiche mit kochendem Wasser hinaus. Auf der ihr gegenüber liegenden Seite jedoch schlossen sich die Dächer weiterer Gebäude an und in der Ferne konnte sie die Mauer und den Palast erspähen. Wenn sie auf den Dächern blieb, fand sie in jedem Fall zurück…

Unterdessen hatten ihre Verfolger jedoch bereits einiges an Weg aufgeholt und als sie sich endlich wieder in Bewegung setzte, erklomm der erste von Algims Männern bereits die Leiter.

Elin hechtete derweil weiter, das Blech schwankte unter ihren Füßen, hielt jedoch. Sie würden sie nicht einholen, dachte Elin erleichtert. Das Dach würde sie nicht tragen und solange sie hier oben blieb würde es ihnen schwer fallen sie zu Verfolgen. Sie…

Ein Bolzen jagte knapp an ihrem Gesicht vorbei und machte diese Hoffnung zunichte. Es war Algim selbst, der nach zwei seiner Männer das Ende der Leiter erreicht hatte. In der Hand hielt er nach wie vor die Armbrust und machte sich bereits daran, diese neu zu spannen, während seine zwei Gefährten ihr nachsetzten.

Das Dach unter Elins Füßen begann sich zu biegen, als die beiden Kämpfer versuchten, zu ihr aufzuschließen. Ihre Panzerungen waren freilich viel zu schwer und die gesamte Konstruktion unter ihnen begann gefährlich zu knarzen. Die Gejarn beeilte sich nun umso mehr, das nächste Dach zu erreichen. Wenn diese Männer so weitermachten, würden sie noch alle in ihren Tod stürzten, dachte sie.

Im nächsten Moment brach ihr Fuß durch das dünne Material und sie schrei vor Schmerz auf, als die scharfkantigen Bruchstellen in ihre Haut schnitten. Wenigstens blieb sie nirgendwo hängen, sondern konnte sie sofort wieder aufraffen, wenn nun auch leicht humpelnd. Blut lief ihr Bein hinab.

Im nächsten Moment hatte sie auch schon einer von Algims Männern eingeholt, ein stämmiger Zwerg in grauer Rüstung, der einen Streithammer mit scharfkantigen Dornen nach ihr schwang. Elin wich dem Angriff aus und versetzte dem Mann einen Stoß, der in Rückwärts taumeln ließ. Einen Moment hielt er sich noch auf den Beinen, dann stürzte er jedoch Rückwärts vom Dach und in die Kessel darunter. Das Gewicht seiner Rüstung zog ihn sofort nach unten, doch seine letzten Schreie verfolgten Elin noch, als sie bereits weiterrannte. Mit einem Satz war sie auf dem nächsten Dach, doch bevor sie noch einen festen Stand wiederfinden konnte, traf sie ein Bolzen in die Schulter. Einen Moment schwankte sie noch, doch ihr Körper wollte Elin nicht mehr richtig gehorchen. Alles fühlte sich irgendwie taub an, viel zu weit weg... dann gaben ihre Beine unter ihr nach und sie stürzte auf das leicht abschüssige Blechdach.

Elin blieb liegen wo sie war, ihre Beine wollten sich einfach nicht bewegen, genau so wenig wie der Rest. Seltsamerweise spürte sie den Treffer überhaupt nicht mehr. Sie konnte den Bolzen sehen, der sich bei ihrem Fall gelöst hatte, ein dünner Holzpfeil mit einer Spitze, die glitzerte wie gebrochenes Glas. Und das war es auch, dachte sie benommen. Eine Hohlspitze aus scharfkantig geschliffenem Glas, die beim Aufprall gesplittert war. Irgendein Gift… Die Welt um sie herum schien nicht stillstehen zu wollen, während sie darum kämpfte, die Lähmung irgendwie abzuschütteln. Es war vergebens.

Wenige Augenblicke später wurde Elin  bereits unsanft auf die Füße gerissen, als vier Schatten um sie herum auftauchten. Nach wie vor wollten ihre Beine sie nicht tragen und sie spürte kaum, wie man ihr die Arme verdrehte und auf dem Rücken zusammenband.

Das letzte, was sie schließlich sah, bevor sie endgültig das Bewusstsein verlor, war ein wütender Algim Mardar, der sich die blutende Seite hielt, in einer Hand nach wie vor seine Armbrust. In der anderen wirbelte er einen zweiten Bolzen mit Glasspitze.

,, Was machen wir mit ihr ?“ , wollte einer seiner Männer wissen. ,, Sollen wir sie töten ?“

Algim schüttelte den Kopf und lies den ungenutzten Bolzen in einem Köcher an seinem Gürtel verschwinden. ,, Nein. Ich glaube ich habe eine viel bessere Idee… bringt sie zum Thanen. Vielleicht haben wir grade die Lösung für all unsere Probleme gefunden.“

 

Kapitel 61 Bedingungen

 

 

,, Hat jemand von euch Elin heute schon  gesehen ?“ , fragte Hedan, als sie an Bord zurückkehrten.

Es war erstaunlich ruhig geworden an Deck der Immerwind, hatten sich die letzten Wochen doch noch dutzende von Handwerkern und Matrosen auf dem Schiff zusammen gedrängt. Doch die Reparaturen, sowohl die nötigen als auch die, welche der Kapitän sich ausgedacht hatte, waren so gut wie abgeschlossen

Die Sonne war bereits im Begriff unterzugehen und tauchte die Segel des Schiffs und die  Granitbauten der Stadt in leuchtende Gold und Orangetönen.   Ein weiterer fruchtloser Tag ging zu ende, dachte Galren. Ein Tag den sie erneut damit verbracht hatten, die dutzenden von Orten zu durchforsten, an die Hadrir sie führte. Und doch gab es weiterhin keinerlei Hinweise, die ihm weiterhelfen würden.  Langsam wusste er nicht mehr, warum er überhaupt noch weitermachte. Wo immer sie hinkamen gab es keinerlei Antworten außer Schweigen und mehr Lügen. Aber ein Teil von ihm wehrte sich mit allen Mitteln, das auch zuzugeben. Nein, er war nicht umsonst hierhergekommen und er würde auch nicht mit leeren Händen abziehen. Niemals.

,, Galren ?“ Hedan packte ihn mit einer Hand an der Schulter, vielleicht etwas zu fest, als das es noch als Freundschaftlich zählen konnte. ,, Hört ihr mir überhaupt zu ?“

Er blinzelte einen Moment. Was hatte der Kapitän eben gesagt… Götter es viel ihm zunehmend schwerer sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren. Das war Elin von der sie hier redeten, sie konnte überall sein.

,, Sie war nicht bei uns.“ , erklärte Lias an seiner Stelle. ,, Heute Morgen war sie schon nicht mehr am Gasthaus. Ich dachte eigentlich, sie wäre bei euch…“

,, Ich habe sie den ganzen Tag noch nicht gesehen.“ , antwortete Hedan. Die Sorge in seiner Stimme war nicht zu überhören. ,, Deshalb hatte ich ja gehofft, sie hätte euch vielleicht  begleitet. Es sieht ihr ähnlich zu verschwinden. Aber nicht für so lange.“

Er sah zu den anderen, die grade eben erst die Laufplanke zum Schiff hinauf kamen.  Armell, Merl, Hadrir und Naria schienen die Sorge des Kapitäns langsam zu Teilen, nachdem er die Situation erläutert hatte. Sicher, Elin mochte sich gerne davonstehlen, aber das sie einen ganzen Tag nicht mehr auftauchte…

,, Hadrir, was meint ihr, könnte ihr etwas passiert sein ?“ , wollte Galren von dem Zwerg wissen. Nach wie vor schien ihm das alles seltsam fern, als betreffe es ihn überhaupt nicht… aber Elin hatte bereits ihr Leben für sie riskiert, erinnerte er sich. Er schuldete es ihr zumindest sicherzugehen.

,, Ich bezweifle es.“ , meinte Hadrir. ,, Die Oststadt ist noch der sicherste Ort für euch und ich bezweifle das es hier jemand wagen würde gegen euch vorzugehen. Wie gesagt, der Prophet hat hier die meisten Anhänger.“

Mit denen ich immer noch nicht sprechen konnte, dachte Galren grimmig. Elin rückte sofort wieder in den Hintergrund. Warum schien der Zwerg und damit auch der König so erpicht darauf sie von diesen Männern fernzuhalten?

,, Ich schlage vor, wir suchen sie.“ , mischte sich Hedan schließlich wieder ein.

Armell stimmte ihm mit einem Nicken zu. ,, Auch wenn ihr meint ihr könnte nichts passiert sein, Hadrir, ich mache mir lieber einmal zu viel Sorgen als einmal zu wenig.“

,, Bleibt nur di Frage, wie wir sie finden.“ , grummelte Hedan. ,, Wenn die Kleine eines kann, dann sich verstecken.“

,, Was ist mit euch Galren ?“ Naria war zu ihm getreten. ,,  Könntet ihr sie finden wenn ihr wolltet ?“

Galren zögerte einen Moment zu antworten. Das ja, dachte er. Seine Fähigkeiten schienen in den letzten Wochen nur noch mehr gewachsen zu sein. Eine vom Weg abgekommene Gejarn aufzuspüren wäre grade noch eine Fingerübung. Früher hingegen hätte er so etwas noch nicht einmal versucht. Es wäre schlicht nicht möglich gewesen, das wusste er so sicher, wie dass Steine fielen. Und doch… langsam war er sich nicht mehr sicher ob er seine Gabe noch so leichtfertig benutzen konnte.  Und trotzdem,  er wurde das Gefühl nicht los beständig mehr die Kontrolle darüber zu verlieren. Es zwang ihn in einen Pfad entlang und er hatte keine Ahnung wo er endete…

Seine Fähigkeiten wuchsen. Die Gefahr wuchs allerdings mit. Er sollte sich auf seine eigentliche Aufgabe hier konzentrieren, meinte eine Stimme in seinem Kopf. Eine die gar nicht nach ihm selber klang. Düster, fordernder. Das war wichtiger als alles andere. Elin käme schon zurecht.

Auf der anderen Seite… er schuldete ihr etwas, oder nicht? Er war doch nicht so weit alles und jeden zu verlassen nur weil es ihn nicht voranbrachte? Nein…

Zumindest brachte es die andere Stimme für den Moment zum Schweigen.

,, Ich denke schon.“ , erklärte er schließlich seufzend. ,, Gehen wir also Flöhe hüten…“ Mit einem hatte Hedan nach wie vor Recht, das Mädchen war schlimmer… irgendwie brachte ihn der Gedanke jedoch zum Lächeln. Zum ersten Mal seit langem…

,, Ich werde euch begleiten.“ Hedans Stimme verriet, das das keine Frage war, trotzdem schüttelte Galren den Kopf.

,, Nein. Ich schlage vor, ihr , Naria, Merl und Sentine bleibt hier. Vielleicht taucht sie doch noch auf. Wenn, dann könnt ihr Sentine zu uns schicken. Ich bin mir ziemlich sicher sie findet Armell in jedem Fall. Je weniger wir sind, desto schneller sind wir wieder hier.“ Mit diesen Worten schloss er die Augen und begann sich auf die Gejarn zu konzentrieren. Galren versuchte nicht, es kontrollieren zu wollen, er sah lediglich fasziniert dabei zu, wie die Welt um ihn herum in goldenem Licht versank, bis sich ein einziger, greller Pfad herausschälte. Alles andere Verblasste zu nicht viel mehr als grauen Schemen, die ihm wage vertraut vorkamen. Selbst die Stimmen der anderen kamen scheinbar von weit weg, als er begann dem Weg zu folgen, den er erschaffen hatte.

Ungerührt sah er zu, wie die Stadt an ihm vorüberzog und selbst als der Boden begann leicht anzusteigen registrierte er es kaum.

,,Galren wartet…“ Die Stimme drang durch den magischen Irrgarten um ihn herum und brachte ihn zum Flackern. Beinahe, als würde ein Vorhang zurückgezogen, brach die Wirklichkeit wieder über ihn herein. Die Farbe kehrte in seine Umgebung zurück und Galren erkannte endlich, wo sie sich befanden.

Die Gärten um den Königspalast… Zahllose Wasserfontänen und Teiche glitzerten im Licht der untergehenden Sonne wie Ströme aus geschmolzenem Gold und die purpurfarbenen Schatten unter dem dichten Blätterwerk der Bäume und Büsche zeichneten irre Muster auf den Boden. Es waren nur noch wenige Leute unterwegs, die von ihnen Notiz nahmen, darunter ein paar Stadtwachen mit den unterschiedlichsten Emblemen, ansonsten jedoch war die Parkanlage gespenstisch Still.

Vor ihnen wiederum, ein Stück den geschlängelten Sandweg entlang erhob sich ein gewaltiges Steinrund. Das Tor, das hinab vom Damm und zurück in die Stadt führte. Aber es war nicht das, durch das sie gekommen waren…

,, Seit ihr sicher, dass sie hier entlang ist ?“ , fragte Hadrir.

Galren nickte lediglich. Seine Konzentration war angeschlagen nicht völlig geschwunden. Der Pfad war verwaschen aber nach wie vor greifbar. Und er wusste mit absoluter Sicherheit, dass er zu Elin führte. Egal wo sie sich grade aufhielt.

,, Das ist das Tor zur Weststadt, oder ?“ , fragte Lias grimmig. ,, Was hat das zu bedeuten ?“

,, Nichts Gutes.“, erklärte der Zwerg angespannt. ,, Wenn sie wirklich hier ist, nehme ich meine Worte zurück. Ich fürchte eure Freundin ist nicht nur in Gefahr, es könnte vielleicht schon zu spät sein. Kommt, wir sollten uns beeilen, wenn wir noch eine Chance haben wollen.“

Das wiederum brauchte er Galren nicht zweimal sagen. Sofort schloss er die Augen und tauchte erneut in den Pfad ein. So schnell ihn seine Füße trugen, folgte er dem leuchtenden Band unter seinen Füßen, die Schritte der anderen nur knapp hinter ihm. Er verlor jedes Gefühl für Zeit und Raum, aber am Ende konnten sie nicht lange Unterwegs gewesen sein. Als Galren die Augen das nächste Mal öffnete, war es nach wie vor Hell, wenn die Sonne mittlerweile auch schon zur Hälfte hinter dem Horizont verschwunden war.

Vor ihm ragte ein großes Anwesen auf, das von einem ummauerten Garten umgeben war. Zwei große Teiche umflossen das Gebäude einmal fast vollständig und mehrere Weidenbäume hingen mit ihren Ästen im trüben Wasser. Blumen und Sträucher wuchsen über das komplette Gelände verteilt wie bunte Sprenkel inmitten des grün-schwarzen Teppichs.

Ein einziger, gepflegter Pfad führte über eine kurze Brücke hin zu einer Freitreppe, über die man auf eine von Säulen getragene Terrasse gelangte. Große Fenster gewährten einen Blick in das Innere des Gebäudes, das von Fackelschein und Kerzen erhellt war. Doch nirgendwo war eine Bewegung auszumachen, wie Galren feststellte. Nur einmal meinte er kurz jemanden zu sehen. Im  zweiten Stock des Anwesens hinter einem der Fenster. Schwere Vorhänge verhinderten, dass er viel erkannte, aber was er sah, war die Silhouette eines Zwergs dessen weißer Bart sich gegen den grauen Stein des Bauwerks abhob. Dunkle, müde Augen musterten sie alle, wie sie am Tor des Anwesens standen, bevor die Gestalt wieder verschwand, scheinbar mit dem Kopf schüttelnd.

Galren schlug probehalber gegen die schweren Tore. Geschmiedetes Eisen, das in kunstvollen Formen ineinander verflochten war aber auch erstaunlich stabil war. Es gab nicht nach. Ihr Weg weiter war versperrt…

,, Galren, wohin bei allen Unsterblichen habt ihr uns hier geführt ?“ , fragte Hadrir beinahe panisch. ,, Das ist das Anwesen der Mardar…“ Der Zwerg deutete auf eine in Stein geschnittene Insignie direkt über der ausladenden Eingangstür des Hauses. Das Symbol einer Hacke und eines Stützbalkens.

Wenige Augenblicke später wusste Galren, das Hadrir recht hatte, als die Türen geöffnet wurden und drei Gestalten nach draußen traten. Zwei davon waren Wächter in schweren Panzern verziert mit dem Wappen ihres Hauses. Der dritte jedoch war ein viel zu gut gelaunter Algim Mardar. Der Marschall. Galren wusste bereits, was das triumphierende Grinsen des Mannes zu bedeuten hatte, noch ehe er das Tor erreichte. Es gab nur einen Grund, aus dem sie hier waren…

,, Sieh mal einer an.“ , meinte der Marschall höhnisch. ,, Bittsteller. Der Thane sagte ihr würdet kommen und da seid ihr…“ Algim blieb hinter dem nach wie vor geschlossenen Tor stehen und fühlte sich dabei offenbar in Sicherheit. Seine Zwei Wachen jedoch traten nervös einige Schritte vor um zwischen ihrem Herrn und der vermeintlichen Bedrohung zu stehen.

Das bisschen Stahl würde ihn jedenfalls nicht schützen, dachte Galren. Seine Hand legte sich wie von selbst auf Atruns Griff. Die Klinge würde das Tor im Zweifelsfall glatt durchtrennen… und den Schädel des Marschalls gleich mit.

,, Ich glaube ihr habt jemanden, der zu uns gehört.“ , erklärte Armell kühl und Lias legte wohlweislich eine Hand auf Galrens Arm. Jetzt nicht, sagte sein Blick. Später ,wenn es nötig wird.

Galren hingegen hätte die Sache am liebsten jetzt und hier beendet. Es gab wichtigeres, als der Genugtuung dieses Narren zu dienen, um das er sich zu kümmern hatte. Aber wenn er jetzt zuschlug was war dann mit Elin? , fragte eine andere Stimme. Verdammt sei Elin, antwortet eine zweite. Ihm lief die Zeit davon.

,, Das haben wir.“ , erklärte Algim nach wie vor grinsend. ,, Und was wollt ihr bitte dagegen tun ?“

,, Sie vielleicht nichts, aber ich.“ , mischte sich Hadrir ein. ,, Was ihr hier tut, wird der König niemals dulden, Algim. Einen Angriff auf seine Gäste…“
,, Ach wirklich ?“ Der Marschall schien von der Drohung nicht grade beeindruckt. ,, Nun ich sage eure Freundin hat mich zuerst angegriffen.  Und sie hat einen meiner Männer getötet. Er wurde bei lebendigem Leib gekocht. Also nur zu Hadrir, schaltet euren Vater ein. Ich übergebe ihm die Gejarn gerne… damit er sie wegen Mordes hinrichtet.“

,, Das würde er nicht tun.“, rief Armell. ,, Ihr habt keine Beweise ihr… Hadrir, das würde er nicht tun?“

Der Zwerg war still geworden und sah zu Boden. Für Galren war das Antwort genug. ,, Er ist nach wie vor der Marschall eines Hauses. Seit Wort steht im Zweifelsfall über dem von Elin. Und ihr wart nicht dabei. Würde der König das nicht respektieren…“

,, Schon gut.“ , meinte Lias betraten. ,, Ich kann mir auch vorstellen was ihr wollt…“

,, Nicht viel.“ , erklärte der Marschall ruhiger. ,, Ihr wollt sie wiedersehen… gut. Dann verschwindet hier. Macht alles abfahrbereit und schwört dem König bei eurem Leben  nie zurück zu kehren. Heute noch !“

,, Nein !“ Galren sprach, bevor er überhaupt darüber nachachte. Das wäre das Ende… ,, Niemals. Darauf könnt ihr lange warten!“

,, Galren…“ Armell sah ihn entsetzt an. ,, Ihr wollt damit nicht sagen das ihr Elin aufgeben würdet…“

,, ich werde jedenfalls nicht gehen.“

,, Dürfen wir uns kurz ungestört beraten ?“ , fragte Hadrir angestrengt, bevor die Situation komplett außer Kontrolle geraten konnte.

,, Ich gebe euch Zeit, bis das Licht aus den Straßen verschwindet. Falls ihr glauben solltet, das reicht um euch irgendetwas auszudenken, gebt ihr mir nicht euer Wort, bis die Sonne ganz untergegangen ist, töte ich die Kleine einfach. Sie hat für mich keinen Wert, wenn ihr nicht tut was ich sage.“

,, Euer Thane…“ , setzte Hadrir an.

,, Wird denken sie sei tragischer weise ihren Verletzungen erlegen. Im Augenblick ist sie noch Bewusstlos und der Thane weiß nur, was ich ihm sage. Er ist alt, ein zahnloser Löwe, aber glaubt nicht, das träfe auf mich zu…“ Wie um seine Worte zu unterstreichen zog Algim ein Kurzschwert aus seinem Gürtel und ließ die Klinge über seine Handfläche gleiten. Blut quoll daraus hervor. ,, Das Schwöre ich euch nämlich….“ Ein paar Tropfen fielen auf den gepflasterten Weg oder versickerten als rote Punkte in der Erde des Gartens.

Keiner von ihnen erwiderte mehr etwas, bevor Hadrir sie schließlich weg vom Anwesen und in eine Seitengasse führte.

,, Galren, was ist los mit dir ?“ , fuhr Lias ihn an, sobald sie außer Hörweite waren. ,, Das ist Elin von der wir hier reden. Und ich muss leider sagen ich glaube diesem Bastard sofort wenn er sagt, dass er sie töten würde.“

,, Ich… wir müssen zumindest irgendwie Zeit gewinnen.“ , erklärte er. ,, Wir können nicht einfach abziehen.“ Nicht jetzt jedenfalls. Nicht bevor er wenigstens irgendeine Spur hatte…

,, Galren, wir haben längst erreicht, was wir wollten.“ , schaltete sich Armell ein. ,, Das hier ist kein Leben wert.“

,, Korrigiere, Armell, ihr habt was ihr wolltet. Ihr könnt mit der Nachricht von Ruhm und Ehre jederzeit heimkehren. Aber wenn ich jetzt verschwinde, finde ich die Wahrheit nie heraus. Sagt mir, wärt ihr an meiner Stelle könntet ihr euren Frieden finden?“

,, Galren so schwer es mir fällt dir das als dein Freund zu sagen, aber auch das ist keinen Toten Wert.“

,, Ich will nur etwas Zeit gewinnen…“

,, Wofür denn,  um einem Phantom nachzujagen ?“ Lias war auf ihn zu getreten und hatte ihn an den Schultern gepackt. ,, Ich bitte dich, wir werden hier keine Antworten finden, egal wie lange wir bleiben. Jeder hier ist gegen uns. So kommen wir nicht voran… Bitte versuch dich damit abzufinden.“

Das hier ist wichtiger. Elins Leben ist wichtiger.“

,, Und genau da sind wir nicht einer Meinung.“ , antwortete er kühl. ,, Ich brauche doch nur mehr Zeit, Lias.“

Der Löwe seufzte schwer. ,, Ich vertraue dir. Als meinen Freund. Aber was du verlangst…“ Er schloss kurz die Augen. ,, Also schön. Wenn du meinst du kannst irgendwie Zeit gewinnen ohne Elin dabei zu gefährden, bitte, versuch es. Aber selbst wenn du es schaffst, eines musst du mir jetzt versprechen. Wenn die Zeit gekommen ist zu verschwinden, wenn Elin frei kommen soll, dann wird es keine Verzögerung mehr geben. Einverstanden ?“

Galren zwang sich zu einem schwerfälligen Nicken, bevor sie sich auf den Rückweg machten.

,, Wir können nicht jetzt abreisen.“ , erklärte Galren, als sie zum Tor des Anwesens zurückkehrten. ,, Sicher, wir haben das Schiff repariert , aber momentan haben wir weder die Vorräte noch die Ausrüstung um es bis nach Canton zurück zu schaffen.“

,, Und das interessiert mich genau… warum ?“

,, Denkt einmal nach.“ , schaltete sich Lias ein, der ihn nun unwillig unterstützte. ,, Unser Kapitän würde sich weigern aufzubrechen. Der Mann setzt nicht das Leben seiner gesamten  Crew für eine einzelne Person aufs Spiel.“ Und für die meisten Menschen stimmte das wohl auch, dachte er. Aber Hedan schien die Kleine schon eher als seine Tochter als irgendetwas anderes zu sehen. Ihn später klar zu machen, was sie taten wäre vermutlich um einiges schwerer als Lias und Armell zu überzeugen. ,, Wenn ihr Elin dann tötet, habt ihr euer einziges Pfand verspielt. Aber genau das wollen wir nicht. Eine Woche, mehr erbitte ich nicht von euch.“

Der Löwe machte tatsächlich eine kurze Verbeugung auch wenn sich dabei Schweißtropfen auf seinem Gesicht bildeten, als er das verkrüppelte Bein belastete. Doch es schien seine Wirkung zu zeigen, mehr als ihre Worte. Vielleicht war Algim eitel oder er wusste, dass ihm kein Spielraum mehr blieb, selbst wenn sie blufften.

,, Eine Woche. Heute in Sieben Tagen legt ihr ab oder die Kleine geht auf ihre letzte Reise, das Versprechen steht…“

 

 

Kapitel 62 Der Thane

 

 

 

Als Elin erwachte, war sie alleine. Nach wie vor schwankte die gesamte Welt um sie herum, selbst wenn sie den Kopf still hielt und ihr war Übel. Wenigstens konnte sie sich wieder bewegen. Viel jedoch nützte ihr das nicht.

Über ihr erstreckte sich eine graue Steindecke und irgendwo in der Ferne konnte die Gejarn das Rauschen von Wasser hören. Ihre Kehle war so stabtrocken, das ihr selbst das Schlucken schwer fiel.

Der Raum in dem sie sich befand war winzig, grade so groß, dass sie aufstehen konnte, hätte sie sich dazu in der Lage gefühlt. Wände aus gemauertem Stein zwischen denen Erde und Wurzeln hervorragten umgaben sie auf allen Seiten und durch eine grob gearbeitete Gittertür viel schummriges Licht. Sie konnte einen leicht ansteigenden Gang erkennen, auf dem in großen Abständen Fackeln oder Öllampen brannten.

Glühende Nadeln schienen sich in ihre Schulter zu graben, als sie sich schließlich zumindest in eine sitzende Position aufrichtete. Irgendjemand hatte sich offenbar die Zeit genommen, die Pfeilwunde oberflächlich zu versorgen. Ein weißer Verband zog sich über die Schulter und ein Stück weit den Arm hinab. Wo war sie hier bloß? , fragte Elin sich, während sie darauf wartete, das die Welt endlich wieder stillstand. Die Antwort war einfach: In Schwierigkeiten. Das letzte an das sie sich erinnern konnte, war nach wie vor Algim… und der Bolzen der sie getroffen hatte. Sie musste hier raus, möglichst sofort. Schwankend kam sie auf die Füße und wankte auf das Tor zu.

Geister, was immer der Marschall auch benutzt hatte um sie zu betäuben es wirkte nach wie vor viel zu gut. Elin musste sich einen Moment am Gitter abstützen und warten, ob ihre Beine sie tragen würden. Langsam tastete sie mit einer Hand nach dem Schloss der Tür. Ein massiver Eisenblock war alles, was sie zu fassen bekam. Auf dieser Seite gab es nicht mal ein Schlüsselloch… und was wollte sie überhaupt  nehmen um es aufzubrechen? Der Boden ihrer Zelle war nur mit Stroh und einigen Decken versehen und Elin brauchte nicht erst ihre Taschen durchsuchen um zu wissen, dass sie nichts mehr bei sich trug…

Das Geräusch von sich nähernden Schritten riss sie aus ihren Gedanken, wie sie so am Gitter lehnte, darum bemüht auf den Beinen zu bleiben. Schwankende Schatten zeichneten sich gegen das Feuer der Lampen ab. Mindestens zwei Personen, dachte Elin ernüchtert. Mit einem wäre sie vielleicht fertig geworden… wenn auch nicht in ihrem Zustand. Zwei… konnte sie vergessen.

Die Gejarn ließ sich auf das Stroh zurück sinken und schloss die Augen. Es ging ihr nicht gut, sie kam hier nicht raus… und wenn sie sich schlafend stellte würden ihre beiden Wärter vielleicht etwas unachtsamer. Das eine Auge nur einen Spalt geöffnet starrte sie auf den Gang hinaus, auf dem nun zwei Männer in Sicht kamen.

Der erste war Algim, groß für seine Art und mit zusammengebundenen schwarzen Haaren. Seine Kleidung war schlichter, als sie es bisher von ihm gewohnt war, grau und schwarz mit dem purpurnen Wappen seines Hauses auf dem Gürtel und einem Dolch, der unter einem Schulterumhang sichtbar wurde.

Den zweiten Mann kannte sie nicht. Er ging leicht gebeugt vom Alter und wirkte damit im Vergleich zu Algim geradezu winzig. Die Hände stützten sich auf einen Gehstock mit rundem Knauf, der im Licht der Fackeln glitzerte wie geronnenes Feuer. Das war vermutlich der größte Rubin, den sie je sehen wollte und wer immer Algims Begleiter war, er trug ihn mit sich spazieren…

Dunkle Augen mi dem seltsamen, zeitlosen Blick den sie schon anderswo gesehen hatte musterten sie interessiert. Das dazugehörige Gesicht wiederum war von Falten Zerfurcht und die langen weißen Haare und der wild wuchernde Bart des Zwergs taten ihr Übriges. Er musste wirklich uralt sein, dachte Elin… Und doch schien der Geist hinter diesen seltsamen Augen hellwach zu sein.

Der Oberkörper, gehüllt in ein dünnes Wams aus weinfarbener Seide, wirkte dagegen eingefallen und ausgezehrt. Vielleicht war er einmal kräftig gewesen, davon war jetzt jedoch nur noch wenig geblieben. Trotzdem zweifelte Elin keine Sekunde lang daran, das seine  leicht gekrümmten Finger jederzeit ein Messer packen und zustoßen konnten.

,, Das ist sie Herr…“ , erklärte Algim gedämpft. Vermutlich weniger, um sie nicht zu wecken, als aus Respekt dem Alten gegenüber. ,, Ich denke  ihr versteht das ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen konnte.“

,,Ja…, ja ich verstehe.“ , murmelte der alte Zwerg nachdenklich. ,, Mehr als ihr offenbar.  Sie ist längst wach. Ihr könnt aufhören so zu tun als würdet ihr noch schlafen, Kleine. Ihr mögt meinen Marschall hier täuschen können, aber glaubt nicht, das sei bei mir so einfach. Nein, nein. So senil bin ich noch nicht.“ Das Lachen des Alten klang so seltsam ernst.

Elin überlegte einen Moment ob es nicht doch klüger wäre, sich weiter schlafend zu stellen… aber der Alte hatte sie auf den ersten Blick durchschaut… Es hatte kaum einen Zweck wenn sie…

,, Ich kann auch wieder gehen wenn ihr so müde seid. Vielleicht komme ich dann in ein, zwei Wochen wieder…“ , meinte er belustigt und riss sie damit aus ihren  Gedanken.

Die Gejarn schlug die Augen auf und setzte sich umständlich auf. ,, Wer seid ihr ?“ , wollte sie wissen.

,, Eine gute erste Frage. Schlägt das übliche: Wo bin ich? und Was habt ihr mit mir vor? um Längen. Vielleicht nicht die, die ich an eurer Stelle zuerst stellen würde, aber nichts desto trotz so gut wie jede andere… Algim, wärt ihr so nett?“

,, Herr… Ich glaube nicht das das eine gute…“

,, Habe ich nach deiner Meinung gefragt ?“ Die Stimme des anderen Zwergs gewann so plötzlich an Schärfe, dass selbst Elin zusammenzuckte. Algim hingegen trat respektvoll zurück… und machte sich daran ihre Zellentür zu öffnen.

Elin sah nur erstaunt zu, wie die Tür aufschwang und der Marschall zurücktrat um sie hinaus zu lassen. Ein Blick in seine Augen genügte um zu wissen, was er davon hielt. Gar nichts. Wenn es nach ihm ginge würde sie in dieser Zelle bleiben, bis ihm etwas Besseres einfiel.

,, Ihr habt meine Frage nicht beantwortet, Herr….“, setzte sie an und obwohl sie keinen Grund hatte höflich zu sein, setzte sie zu einer kaum sichtbaren Verbeugung an.

Den Alten schien das furchtbar zu amüsieren. ,, Ich sehe schon. Man macht euch nichts vor.  Ich mag Leute die Denken können. Wir werden sehr gut miteinander auskommen scheint mir. Mein Name ist Kasran Mardar. Meines Zeichens Thane dieses Hauses….“

Elin konnte den Alten nur sprachlos anstarren. Nachdem sie Algim erlebt hatte, war das nicht wirklich das was sie sich unter seinem Thanen vorstellte. Hatte Hadrir nicht einmal erklärt, der Marschall wäre immer ein naher Verwandter des Hausvorstands? Wenn ja, dann war Algim wohl eher eine Ausnahme, der Mann schien absolut nichts von ihm zu haben.  Aber sie konnte sich auch täuschen. Vielleicht spielte dieser Kasran auch nur mit ihr…

,, Also dann, wollt ihr noch lange mit offenem Mund dastehen oder sollen wir nach oben gehen und alles bereden, ja ?“

,, Oben ?“

,, Ich bin Alt, Kleine. Werdet ihr auch mal sein also lacht ruhig solange ihr noch könnt, aber die feuchte hier unten tut mir nicht gut. Und Algim ist manchmal… nicht in der Lage meine Befehle völlig zu verstehen wie mir scheint.“ Sie konnte sehen wie der Marschall sich anspannte. ,, Also sollten wir sehen das wir hier heraus kommen.“

Er wartete erst gar nicht ab, ob sie ihm auch folgte, sondern gab Algim lediglich ein Zeichen und setzte sich den von Fackeln beschienenen Gang hinauf in Bewegung. Elin sah ihm einen Moment nur ratlos nach. Dann folgte sie den beiden schließlich wiederwillig. Was blieb ihr auch anderes übrig?

In der anderen Richtung Endete der Gang vor einer Wand…

Bereits nach wenigen Schritten ging der schmale Korridor in eine aus dem Fels geschlagene Treppe über, die spiralförmig nach oben führte. Je weiter sie kamen, desto feiner wurden auch die Stufen und schließlich erreichten sie eine Stelle, ab der die Wände mit Brettern verschlagen waren.

,, Herr, ich muss erneut protestieren.“ , rief Algim, vielleicht lauter als angebracht wäre, als sie eine Tür am Ende der Treppe erreichten. ,, Sie hier hoch zu bringen… wollt ihr eigentlich das sie entkommt ?“

,, Junge, ich bin alt, nicht taub. Bei dir hingegen bin ich mir da weniger sicher.  Das letzte Mal als ich dir sagte, ich will das die Fremden gehen oder das du sie zu mir bringst hast du offenbar verstanden ich will sie tot sehen “ , erwiderte Kasran ruhig und sah herablassend zu seinem Marschall. ,, Und wenn ich wollen würde das sie entkommt. Wer wärst du mich daran zu hindern? Ein wenig vertrauen bitte…“

,, Ein wenig ist gut.“ , brummte Algim, bevor er die Tür aufstieß und sie in ein weiteres Treppenhaus hinaus traten. Dieses war jedoch um einiges großzügiger angelegt und Tageslicht flutete von weiter oben durch zahlreiche Fenster herein. Breite Sandsteinstufen führten in einer weiten Spirale nach oben und erneut nach unten. Das war es jedoch nicht, was Elin kurz die Sprache verschlug. Die gesamten Wände der Treppe waren mit Edelsteinen überzogen. Drusen standen in kleinen Erkern, große Kristallplatten, schwerer als sie selbst, waren mit eisernen Stiften in den Wänden verankert und  geschliffene wie roh belassene Juwelen nahmen die gesamten Zwischenräume ein.

Das gesamte Treppenhaus war eine einzige Galerie für die Schätze, welche die Zwerge dem Boden entrissen hatten. Innerlich fragte Elin sich ob es dafür einen bestimmten Grund gab oder ob es nur Dekoration war. Bevor sie den Mut aufbringen konnte zu Fragen, war Kasran bereits auf halbem Weg die Stufen hinauf. Nur Algim war mit grimmigem Blick neben ihr stehen geblieben.

,,Geht.“ Seine Stimme war tödlich leise geworden. ,, Und ich rate euch, versucht nichts dummes. Das nächste Mal ist der Bolzen aus Stahl. Und dann ziele ich nicht auf eure Schulter.“

Elin nickte lediglich. Ein Teil von ihr wollte ihm sagen das sie das nächste Mal auch nicht daneben schießen würde. Aber das hätte das Pulverfass, das der Mann momentan darstellte wohl endgültig zum Explodieren gebracht. Sie war nicht darauf aus herauszufinden ob der Thane ihr dann zur Hilfe käme. Genauer gesagt wurde sie aus dem Alten kein bisschen Schlau. Er schien so freundlich und gleichzeitig verbarg sich hinter all dem eine Härte, die jedes Wort Lügen zu strafe schien.

 Sie folgten Kasran schließlich in ein großzügig angelegtes Esszimmer durch dessen Fenster Elin einen Blick in den Garten des Hauses werfen konnte. Eine Grünfläche, bewachsen von Weiden und durchzogen von Teichen. Hinter einer hohen Mauer, die das Grundstück umgab erhob sich wiederum  die Weststadt, sie konnte die Türme des Tempels erkennen…

,, Setzt euch doch bitte…“ Der Thane hatte bereits am einer großen Tafel Platz genommen, die bis auf einige versilberte Kerzenhalter leer war und deutete auf eine Reihe hoher Lehnstühle entlang des Tischs. Zögerlich nahm Elin schließlich Platz und Kasran klatschte einmal in die Hände. Sofort tauchte eine Dienerin hinter einem Vorhang auf und verneigte sich kurz wortlos. Die Frau schien Elin mehr wie eine Kämpferin, wie eine einfache Bedienstete auch wenn sie die Kleidung einer solchen trug. Das hieß bis auf die zwei Messer, die aus ihren Stiefeln ragten… War sie gleichzeitig also eine Art Leibwächterin?

,, Ich kann mir vorstellen das Algim  etwas… grob war als es darum ging euch hierher zu bringen. Wein ? “ , fragt Kasran beiläufig und rief ihr damit in Erinnerung wie durstig sie eigentlich war. Fast hätte sie einfach genickt. Nein. Kein Wein. Das letzte was sie grade gebrauchen konnte, wäre Alkohol.

,, Wasser, bitte…“

,, Hmm… schade. Ich habe erst letzte Woche ein paar exzellente Fässer von den Farmern am südlichen Ufer erhalten. Großartig glaubt mir… Nun ja. Wasser, Wein und was ist mit euch Algim ?“

Der Marschall schwieg lediglich. Er hatte nicht einmal am Tisch Platz genommen sondern war im Türrahmen stehen geblieben.

,, Dann nur wir beide.“ , meinte der Thane an die Dienerin gerichtet. ,,Und bitte meine Liebe , ihr könnt das Messer loslassen.“ Erst jetzt viel ihr auf, das die Frau eines der Messer aus ihren Stiefeln längst in der Hand verborgen hielt. Also war sie tatsächlich so etwas wie eine Leibwächterin? ,, Sie hier…“

,, Elin.“ ,stellte sie sich vor.

,, Elin ist mein Gast. Von ihr geht keine Bedrohung aus.“ Das Messer verschwand genau wie die Frau. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sie mit einem Tablett mit zwei großen Kristallkelchen zurückkehrte, einen davon gefüllt mit goldenem Wein, der andere mit Wasser

,, Danke.“, meinte Elin, als sie das Glas entgegennahm und vorsichtig daran nippte. Erneut erwiderte die Frau kein Wort, sondern verbeugte sich nur, bevor sie dem Thanen seinen Wein brachte. Irgendwie machte ihr diese Stille Angst, dachte die Gejarn.

,, Seit ihr… stumm ?“ , fragte sie vorsichtig unsicher ob die Frau die eben bei ihrem Anblick noch ein Messer gezückt hatte, das vielleicht böse auffassen konnte.

,, Sie war es nicht immer.“ , erklärte Kasran an ihrer statt und seine Stimme wurde sanft. ,, Aber ich verlange von allen meinen Gefährten und Wächtern, das sie Schweigen. Die  Stimmbänder wurden jedem einzelnen entfernt…“

Und da, dachte Elin, war er, der Haken an der ganzen Sache…

 

 

 

Kapitel 63 Ewiges Schweigen

 

 

Elin sah nur wortlos in Richtung der stummen Dienerin, die sich eben anschickte, den Raum wieder zu verlassen.

,, Soll das heißen ihr habt alle eure Diener gezwungen…“ , setzte sie an, doch kam die Gejarn nicht dazu, den Satz zu beenden.

,, Nein !“ Kasran klang wütend, als er von seinem Platz aufsprang. Wein spritzte auf den Tisch, als  er das Glas vor sich fast umriss. ,, Nein… Das würde ich niemals tun. Ich habe keinen einzigen von ihnen je dazu gezwungen. Jeder meiner Gefährten trank aus freien Stücken das Wasser der Stille. Ihr Zeichen dafür, das nie eines meiner Geheimnisse diese Hallen verlässt. Ich vertraue diesen Männern und Frauen mehr als meinem Marschall, Kind. Jeder von ihnen würde für mich sterben und ich lege meine Hand für sie ins Feuer wenn es sein muss. Das Wort Diener wäre eine Beleidigung, das Wort Leibwächter ist zu schwach. Ich nenne sie nur meine Gefährten.“

Elin konnte sehen das seine Arme zitterten, als er sich darauf stützte. Offenbar hatte sie einen wunden Punkt getroffen, dachte sie. Und was bitte war dieses Wasser der Stille?

Unruhig sah sie auf den Kelch vor sich. Ihr Durst war weg.

Der Thane war offenbar ihrem Blick gefolgt, denn plötzlich fing er an, Lauthals zu lachen.

,, Habe ich eben gesagt ich zwinge niemanden dazu ? Keine Sorge selbst wenn, hättet ihr es längst gemerkt. Das Wasser der Stille ist eine ätzende Substanz die aus einigen Pflanzen der Katakomben gewonnen wird… Es verbrennt ihre Stimmbänder, sonst nichts.“

Elin hatte keine Probleme damit, sich vorzustellen welche. Und sie hatte nur einen Tropfen davon abbekommen. Wie fanatisch Loyal musste ein Mensch oder Zwerg sein um sich so etwas freiwillig zu unterziehen? Langsam verstand sie, was der Thane damit meinte, er traue diesen Leuten. Niemand, der nicht Loyal bis zur Selbstaufgabe  wäre würde so etwas tun.

,, Ich bin eine Gefangene ?“ , stellte sie schließlich die Frage, auf die es ankam. Langsam nahm sie doch wieder das Wasser. Wenn man sie töten wollte, wäre das längst geschehen.

,, Ach… das ist so ein hartes Wort. Meint ihr nicht auch Algim ?“

,, Es ist wie es ist.“ , brummte der Zwerg.

,, Und die Würfel gefallen, ja…“ Kasran ließ sich auf seinen Platz zurück sinken und nahm einen tiefen Schluck Wein. ,, Ich würde vorschlagen ihr seht euch mehr als ein Gast auf Zeit. Ich erlaube euch, euch im Haus frei zu bewegen und wir finden sicher ein bequemeres Quartier für euch falls ihr den Steinboden nicht vorzieht. Aber wenn ich ihr wäre, würde ich davon absehen das Grundstück zu verlassen. Algim hier ist nicht der einzige mit einer Armbrust und wo er genug Verstand hat, zumindest manchmal auf mich zu hören sind einige seiner Männer etwas… überempfindlich. Wir verstehen uns.“ Sein Blick bekam etwas Trauriges. ,, Manche Dinge sind einfach nötig.“

Elin ermahnte sich weiter vorsichtig zu sein aber… die Freundlichkeit des Mannes schien echt. Geister, Kasran schien es beinahe Leid zu tun, sie Gefangen zu halten. Das änderte allerdings wenig daran, dass sie bei erster Gelegenheit weg wäre, sagte sie sich. Keine Falle war perfekt.
,, Ich nehme an ihr wollt die anderen zur Abreise zwingen?“ , fragte sie vorsichtig. Nach wie vor war Elin sich nicht sicher, wo sie überhaupt stand. Algim musterte sie beide nur unruhig von seinem Platz von der Tür aus, die Arme vor der Brust verschränkt und eine Hand auf halbem Weg zum Griff des Messers, das er trug. Das Misstrauen des Mannes schien sich langsam von ihr weg und auf den alten Zwerg zu richten.

,, Natürlich werde ich das.“ , erklärte Kasran ruhig. ,, Wenn alles gut geht, verlasst ihr die Stadt dann mit ihnen. Deshalb rate ich euch: Lasst den Dingen einfach ihren Lauf und alles wird gut. Eure Freunde schienen mir recht… einsichtig. Das hieß bis auf den einen. Braune Haare, ziemlich nervös, hatte etwas von seinem Vater, wie heißt der Junge?“

,,Galren.“ Der Thane musste ihn meinen.

,, Der schien gar nicht froh darüber zu sein. Ich glaube sogar es wäre ihm lieber gewesen eure übrigen Freunde hätten euch einfach vergessen… Zumindest nach dem, was Algim mir berichtet hat.“

,, Ich glaube er war kurz davor die Sache einfach zu vergessen.“ , bestätigte der Zwerg. ,,Ehrlich gesagt, das hat sogar mich kurz überrascht. Ich dachte eigentlich jeder müsste klein bei geben wenn man seine Leute in der Hand hat. Der nicht. Auf seine Weise bewundernswert.“

Elin konnte den Stich, den ihr diese Worte versetzten nicht leugnen. Aber was war das Wort des Marschalls schon Wert? Er versuchte am Ende nur sie gegeneinander auszuspielen, vielleicht damit sie gefügiger wurde. Nein. Der Galren den sie kannte wäre doch der erste, der die anderen anhielt diesen  Ort auseinander zu nehmen um sie zu finden. Allerdings war der Galren den sie kannte vielleicht nicht mehr ganz da… Allein das der Mann Galrens Verhalten für Bewundernswert hielt… Sie sah zu Algim herüber. Nein, der wäre noch am eheste in der Lage jemand zurückzulassen um seine Ziele zu erreichen.

,, Nun ich will mir zumindest nicht nachsagen lassen, das ich meine Gäste schlecht behandle.“ Kasran stand mit einem Ruck auf. ,, Kommt mit.  Ich denke wir sollten ein Zimmer für euch finden. Oder doch der Steinboden ?“ Er sah Elin mit einem schelmischen grinsen an, das ihn ein halbes Jahrhundert jünger wirken ließ.

Sie schüttelte den Kopf.

,, Na bitte. Folgt mir.“ Der Thane ging voraus und sie folgte ihm schließlich nach kurzem Zögern, nach wie vor seinen Marschall im Rücken. Algim schien mittlerweile weder ihr noch Kasran den Rücken zukehren zu wollen. Ihre Weg führte sie zurück in die Mineraliengalerie und die Treppe hinauf in das obere Stockwerk des Gebäudes. ,, ich habe nichts gegen euch oder eure Gefährten, was das angeht. Ich hoffe also ihr nehmt das alles nicht zu persönlich. Stünden die Dinge anders, wir konnten Verbündete sein. Aber ich kann euch hier nicht dulden… nicht im Augenblick jedenfalls…“

Die Stimme des Thanen war  düster geworden, während er weitersprach. Am oberen Ende der Treppe angekommen, entschuldigte er sich schließlich einen Moment und trat durch eine Tür, die von den Stufen abging. Damit blieben Elin und der Marschall alleine zurück. Algim lehnte am Geländer der Treppe und lies sie nicht aus den Augen. Sie hingegen versuchte das genaue Gegenteil.

Statt dem brennenden Blick des Zwergs zu erwidern wendete sie sich den Steinen und Juwelen zu. Das war jedenfalls  deutlich angenehmer als sich mit Algim messen zu wollen…

,, Mein Thane mag nachsichtig mit euch sein.“ , begann er in ihrem Rücken zu sprechen. ,, Glaubt nicht ich bin das. Ein Streich nur von euch, ein Versuch… und ich werde dafür sorgen, das Kasran seine Pläne ändern muss.“ Er musste die Drohung sie zu töten nicht laut aussprechen…

,, Ich dachte ihr teilt seine Ziele.“

,, Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was der Alte vorhat.“ , erklärte der Marschall und klang dabei tatsächlich mehr resigniert als wütend auf sie. ,, Nehmt es als Warnung oder auch nicht, aber glaubt mir er ist um einiges gefährlicher als ich… auf seine ganz eigene Art. Und wenn er das will, werdet ihr das erst merken wenn es viel zu spät ist.“

Elin tat ihr bestes, den Mann einfach zu ignorieren und konzentrierte sich weiter auf die Wände. Direkt vor ihr befanden sich mehrere geschliffene Bergkristalle und fasziniert stellte sie fest, dass sie eine exakte Kopie des Tempels in der Stadtmitte bildeten. Irgendjemand musste Jahre damit verbracht haben, die Steine zu bearbeiten. Die Replik war aus einem Stück und ein einziger Fehler, ein Bruch in den hauchdünnen Kristallsäulen etwa, hätte bedeutet der Künstler müsste von vorne anfangen. Das war ein Lebenswerk was sie hier vor sich hatte…

,, Gefallen sie euch ?“ , fragte eine Stimme hinter ihr. Kasran war zurückgekehrt und musterte sie neugierig.

,, Sie sind wunderschön.“ , gestand sie.

,, Ja. Aber sie sind zu mehr da. Das meiste was ihr hier seht stammt aus den Höhlen unter der Stadt. Oder besser aus der Ära als diese angelegt wurden. Meine Familie unser gesamtes Haus bestand damals ausschließlich aus Tunnelgräbern. An so etwas wie dieses Anwesen war damals nicht einmal zu denken.“ In den Augen des alten Zwergs schien ein seltsames Feuer zu lodern, als er weitersprach. ,, Wir haben diese Stadt aus Dreck und unserem eigenen Blut aufgebaut, Elin. Ich erwarte nicht einmal das ihr versteht was es heißt sie jetzt in diesem Zustand zu sehen. Es war harte Arbeit. Einfache Zeiten  Aber um Längen besser als das hier.“

,, Woher wollt ihr das wissen ?“ Sie war mittlerweile fest entschlossen herauszufinden, wo ihre Grenzen lagen. Nach wie vor, sie würde hier herauskommen, sobald sich eine Lücke fand, aber es gab mehr als ein Gefängnis hier. Wie weit durfte sie mit ihren Fragen gehen? ,, Es klingt mehr als würdet ihr eure Ahnen… nun ich glaube das Wort ist romantisieren ?“

,, Ahnen , ja ?“ Kasran lachte erneut laut und zeigte gelblich verfärbte Zähne. ,, Kindchen ich weiß es. Ich war dabei.“

Elin sah ihn einen Moment sprachlos an. Hatte er den Verstand verloren, konnte das sein? Es würde so vieles erklären, seine überbordende Freundlichkeit, Algims misstrauen…

,, Euer Volk kam hier an, als das alte Volk verschwand. Oder kurz danach.“ Elin sah zu Algim, der jedoch ernst und ausdruckslos blieb. ,, Das war vor fast einem Jahrtausend. Wenn ihr beim Aufbau dieser Stadt dabei wart…“

,, Man hat es euch nicht gesagt ?“ Nun war es an Algim überrascht zu klingen. ,, Ich wusste das eure Art kurzlebig ist, aber nicht das ihr alle schwer von Begriff seid. Ich bin 87 Jahre alt. Euer Hadrir ist knapp 100.“
,, Und ihr…“ Sie sah zu Kasran. Das erklärte einiges. Vor allem diesen zeitlosen Ausdruck, den sie gesehen hatte. Beim König. Bei den Priestern am Tempel und auch beim Thanen der Mardar.

,, Ich bin älter als der König, Kindchen und Brunar Silberstein regiert uns seit nunmehr 700 Jahren. Ich habe gesehen wie mein Volk hier ankam. Meine Hände gruben das Gestein aus dem diese Stadt entstand. Ich sah es groß werden, heranwachsen… ich sah seine Blüte. Und ich werde es nicht in Schutt und Asche zurück sinken lassen. Niemals. Würden wir in unsere alte Heimat zurückkehren wie es der Prophet fordert, stünde uns das gleiche Leid noch einmal bevor. Oder schlimmeres. Wenn dieser Mann seinen Willen bekommt fürchte ich, könnten wir alle verloren sein. Der König glaubt, er könnte noch verhandeln, aber sagt mir, kann ich mit jemanden verhandeln der nur eines anzubieten hat: Den sicheren Tod? Der Prophet ist irre sonst nichts, er verlor seinen Verstand viele Mond zuvor…“

Elin erwiderter nichts, doch grade glaubte sie zu verstehen, was die Isolationisten tatsächlich fürchteten. Wenn sie alle zum Schlage Kasrans gehörten, wenn sie gesehen hatten, welches Leid ihr Volk ertragen hatte um hier eine Bleibe zu finden… Ja, sie glaubte ihre Angst einen Moment zu teilen.

,, Sie hat kein Recht, das alles zu wissen.“ , mischte sich Algim ein. ,, Das geht einen fremden nichts an und…“

,, Sie hat jedes Recht zu wissen, wieso sie hier ist.“ , unterbrach der Thane ihn. ,, Wir verstehen uns ?“

,, Natürlich… mein Thane.“ Algim verbeugte sich, doch Elin konnte sein Gesicht sehen. Gefährlich, war das einzige das ihr dazu einfallen wollte. ,, Vielleicht sollten wir also später… weiterreden… Ich werde in der Stadt erwartet.“ Mit diesen Worten machte er auf der Treppe kehrt und verschwand die Stufen hinab.

Elin sah ihm nach. Seltsam… eben konnte er sie keinen Herzschlag aus den Augen lassen und jetzt hatte er es plötzlich eilig? Was hatte der Marschall vor? Ihr wollten nicht viele Gründe einfallen, aus denen dieser Mann jetzt ging. Fast alle hatten etwas mit ihren Gefährten zu tun. Und keine der Möglichkeiten wollte ihr gefallen.

Nun, dachte sie, dann hast du nur noch einen Grund hier so schnell wie möglich zu verschwinden. Irgendwie war sie in die Situation geraten der Dreh und Angelpunkt für die Pläne der Isolationisten zu werden. Würden die sich wundern, wenn die Tür ihnen plötzlich ins Haus fiel…

 

 

 

Kapitel 64 Abwarten

 

 

 

Zwei  Tage, dachte Galren grimmig. Zwei  Tage ohne dass etwas geschah. Jetzt am Nachmittag, wo die Sonne hoch über den Dächern der Stadt stand, war mehr als die Hälfte ihrer Zeit abgelaufen. Und trotzdem war er keinen Schritt weiter. Er hatte die letzten zwei Tage damit verbracht Hadrir durch die Straßen zu scheuchen und selbst die Nächte hatte er kaum ein Auge zugetan. Vergebens. Vielleicht hatte Armell am Ende Recht, dachte er. Er würde keine Antworten finden. Nicht mehr zumindest. Aber er konnte doch nicht einfach Aufgeben…

 Und als er heute Morgen wieder los wollte, hatte von dem Zwerg jede Spur gefehlt. Vermutlich schlief er nach den Strapazen einfach länger, aber Galren hatte keine Zeit dafür auf ihn zu warten…

Und so hatte er Lias schließlich begleitet, als dieser zum Anwesen der Mardar zurückkehrte. Oder besser, der Löwe hatte darauf bestanden, dass er mitkam.

Und jetzt lagen sie seit mehreren Stunden in einer Seitengasse vor dem Anwesen auf der Lauer. Galren hockte auf dem gepflasterten Boden und kratzte mit einem Messer Staub und Erde aus den Fugen im Stein. Lias hingegen stand ihm gegenüber, den Blick nach wie vor auf das Tor gerichtet.

Sie hatten vor einer Weile gesehen, wie Algim das Haus mit einer Eskorte  verlassen hatte um in den Straßen der Weststadt zu verschwinden. Etwas, das sich laut Lias Aussage bereits mehrfach wiederholt hatte. Meist kehrte der Marschall dann nach einigen Stunden zurück, manchmal mit, manchmal ohne Leibwächter. Ansonsten jedoch könnte hier auch alles verlassen sein, so wenig tat sich. Und es war nicht so, dass sie gegen Algim vorgehen könnten, dachte Galren düster. Hadrir hatte sie ausdrücklich davor gewarnt ihrerseits zu versuchen, den Mann in ihre Gewalt zu bringen. Das würde nur dazu führe, das der König einschreiten musste. Was dann geschehen mochte, wollte er sich nicht einmal vorstellen. Vermutlich würde er sie am Ende noch zwingen, den Marschall frei zu lassen und Elin hinrichten. Oder schlimmeres… Armell und Hadrir versuchten bereits seit Tagen eine Audienz bei Brunar zu bekommen um in Ruhe mit ihm zu sprechen, doch entweder verstand der König nicht wie ernst die Lage war… oder er versuchte Zeit zu schinden indem er sie warten ließ.

Er   steckte das Messer zurück in seinen Gürtel und stand auf. Das ganze hier war doch Zeitverschwendung. Selbst wenn sich eine Gelegenheit fand, Elin zu retten, was würde es ihnen bringen sie zu ergreifen? Den Mardar ihr einziges Pfand zu nehmen… Algim war sicher nicht so geduldig abzuwarten wie sich die Dinge dann entwickelten. Nein, wenn Galren den Mann richtig einschätzte, würde er dann versuchen sie mit Gewalt aus der Stadt zu jagen. Das würde er nicht mit sich machen lassen. Besser, Elin blieb wo sie war.  Wenn sie frei käme müssten sie sofort weg so oder so… das schien allerdings nur ihm klar zu sein.

Ach wirklich ? , fragte eine Stimme in seinem Hinterkopf, die lange verstummt war. Nur ein Flüstern gegen den Teil seiner Selbst, der ihn zur Eile drängte, der wollte dass er weiter suchte und wenn es Jahre dauerte… Bist du dir da ganz sicher?  Das ist Elin von der du so denkst. Kannst du dir überhaupt sicher sein, das Algim sein Wort hält, ja? Kannst du das verantworten? Nur um mehr Zeit für deine fruchtlose Suche zu gewinnen, sie einer Gefahr aussetzen die du nicht mal abschätzen kannst?

Galren brachte die Stimme mit einer wegwerfenden Handbewegung zum Schweigen. Ihm war schwindlig und in seinem Kopf hämmerte es. Er schob es auf den Schlafmangel…

,, Alles in Ordnung ?“ , fragte Lias besorgt, während Galren  den Kopf einen Moment gegen die Steinwand in seinem Rücken sinken ließ.

,, Mir geht es bestens.“ , erwiderte er gereizt. ,, Mir läuft die Zeit davon, ich habe keine Ahnung was ich tun soll und du und die anderen haltet mich für verrückt. Ich sehe es doch. Götter ich frage mich selbst ob ich nicht verrückt werde…“
,, Wir machen uns nur alle Sorgen um dich, Junge. Ich vor allen anderen. Du bist nicht mehr derselbe seid wir hier sind, du veränderst dich…“ Der  Gejarn seufzte. ,, Darf ich ganz ehrlich mit dir sein ?

,, Lias du hast mich noch nie danach gefragt ob ich deine Meinung hören will…“ Galren konnte seinen Lehrmeister und Freund nur erstaunt mustern. Solange er zurück denken konnte, war es grade Lias gewesen, der sich ihm gegenüber nie zurück hielt. Verdammt, er hatte dem Mann nach wie vor den Großteil seiner blauen Flecke zu verdanken… Hatte er sich wirklich so sehr verändert, das Lias Angst vor ihm haben konnte?

,, Ich habe auf dich geachtet, seit du ein Kind warst, Galren. Und doch glaube ich, das ich den Mann der aus dir wird nicht mehr kenne. Kannst du mir ins Gesicht sagen, dass es dir nicht selber auffällt?“

,, Ich bin immer noch ich.“ , erwiderte er und brachte ein gequältes Lächeln zustande. Nein, er wusste nicht ob das noch stimmte.

,, Und wie lange noch ? Dieser Ort tut dir nicht gut, Galren. Nichts hier tut das. Es wird gut sein, wenn wir wieder nach Canton zurückkehren.“

,, Ich werde nicht gehen.“

,, Weder du noch ich noch die anderen haben dabei noch eine Wahl, glaube ich.“ , erwiderte der Gejarn. ,, Oder wärst du wirklich bereit, Elin und alle anderen dafür zu Opfern ? Wenn es sein muss, Junge, schleif ich dich mit an Bord. Du hast mir etwas versprochen.“

,, Keine Aufschübe mehr.“ Er schloss einen Moment die Augen. ,, Ich weiß.“

,, Und du wirst dich daran halten.“ Die Stimme des Löwen bekam einen warnenden Unterton. ,, Bist du noch der Mann den ich kenne, wirst du dich daran halten, Galren.“

,, Nichts anderes habe ich vor…“ und dennoch fühlte er sich ertappt. Lias schien genau zu wissen, was in ihm vorging, selbst die Gedanken, die er sofort wieder dorthin verbannte wo sie herkamen.

Lias machte sich derweil daran, eine Leiter zu erklimmen die zum Dach eines Hauses führte, das dem Anwesen genau gegenüber lag.

,, Ich will versuchen einen Blick in die Gärten zu werfen. Es ist zumindest besser als abzuwarten, bis Algim zurückkommt. Weiß Laos, was der Mann die ganze Zeit treibt.“

,, Es kann nicht viel schlimmer werden als ohnehin schon.“ , murmelte Galren während der dem Gejarn auf das Dach folgte. Die Ziegle knirschten unter seinen Füßen, als Lias ihm hinauf half, hielten aber. Unter ihnen zogen sich die Gassen und Straßen entlang und auf der anderen Seite ragte schließlich das  von einer Mauer umgebene Anwesen auf. Der Wall war so hoch, dass man die Gärten um das Gebäude herum nur einsehen konnte, wenn man fast direkt vorm Tor stand. Oder wie sie, weit über dem Boden war. Geduckt schlichen sowohl er als auch der Löwe bis an den Rand des Dachs, das von einem niedrigen Gitter umlaufen war. Nicht genug um einen Sturz zu verhindern, aber es bot ihnen etwas Sichtschutz. Würde jemand aus den Gärten nach oben sehen, musste er sie zwangsweise entdecken…

Doch auch hier tat sich nichts. Lediglich ein kleiner Brunnen in der Mitte der künstlichen Teiche lies kleine Wellen auf der Wasseroberfläche entstehen. Die schweren Vorhänge in den meisten Fenstern waren zugezogen oder nur halb geöffnet, so dass sie auch keinen Blick ins Innere des Hauses werfen konnten.

,, Es ist viel zu ruhig.“ , meinte Galren irritiert. ,, Man möchte meinen, die Mardar würden damit rechnen, dass wir nicht untätig bleiben.“

,, Nun zumindest haben sie Wachen aufgestellt.“ Lias nickte in Richtung einer Gestalt, die halb unter den Weiden-Bäumen im Garten  verborgen stand. Statt der üblichen Stahlpanzerung, die Galren bisher hier gesehen hatte, trug sie einen Rock aus dunklem, schweren Leder und statt einer der Feuerwaffen der Zwerge konnte Galren eine Armbrust erkennen, die ihr über die Schulter hing.

Jetzt wo ihn der Gejarn einmal darauf aufmerksam gemacht hatte, entdeckte er über ein Dutzend der stummen, regungslosen Gestalten. Doch etwas war seltsam an ihnen, dachte er.

,, Sie stehen alle mit dem Rücken zu uns.“ , stellte er überrascht fest.

,, Die sind auch nicht dazu da uns draußen zu halten.“ , meinte Lias. ,, Nein, die beobachten das Haus um zu verhindern, dass jemand es verlässt. Zumindest heißt das, Elin ist wirklich hier.“

,, Du hast daran gezweifelt ?“

,, Das erste was ich tun würde, wenn ich eine Geißel habe die meine Feinde nicht zurück bekommen sollen ist, sie an einen Ort bringen, den er wahrscheinlich nicht kennt. Das sie im Anwesen ist, wäre die erste Vermutung von jedem.“

,, Du meinst sie fürchten uns also nicht ?“

,, Genau das. Aber das ist vielleicht auch der Punkt. Wenn wir geschlossen losschlagen würden hätten wir eine Chance.“

Galren konnte Lias nur entsetzte ansehen. Nein, das auf keinem Fall… Sicher, sie könnten Elin befreien aber das verkürzte die Zeit nur, die ihm blieb. Das konnte er nicht riskieren…

Sein Blick wanderte zurück zum Anwesen.

,,Vielleicht ist es auch nur eine Falle.“

,, So oder so, heute erreichen wir nichts mehr.“ , gab der Gejarn zu. Danach saßen sie eine ganze Weile schweigend beieinander und sahen zu, wie die Schatten der Häuser länger wurden, je tiefer die Sonne wanderte. Galren ließ sich schläfrig gegen einen Kamin sinken und schloss die Augen. Doch bevor er ganz einnicken konnte, wanderte sein Blick noch einmal in die Tiefe, in die Gasse aus der sie vorhin hinauf geklettert waren… Dort unten stand jemand und sah zu ihnen herauf…

Sofort war Galren hellwach. Lias schien noch nichts mitbekommen zu haben und auch die fremde Gestalt verhielt sich nicht so, als wüsste sie, dass sie entdeckt war.

Der Mann, zumindest glaubte Galren das die Statur mehr einem Mann als einer Frau entsprach, trug ein bodenlanges, schwarzes Gewand. Nur wenig Licht fiel unter die hochgeschlagene Kapuze seines Mantels, die er mit einer Hand festhielt. Das wenige, was Galren vom Gesicht des Fremden erkennen konnte, reichte ihm jedoch um zu wissen, dass er kein Zwerg war. Weder trug er einen Bart noch war er besonders klein. Tatsächlich war sich Galren sicher, dass er ihn ein Stück überragen würde, stünden sie beide auf dem Boden. Ein anderer Mensch… hier… Und er stand einfach nur da und musterte sie stumm.

Unwillkürlich musste Galren an den Tag ihrer Ankunft zurück denken, an den Schatten, den er auf der Mauer gesehen hatte… Im Nachhinein war ihm das ganze mehr wie ein Tagtraum oder eine Illusion vorgekommen. Und doch stand er da.

,, Lias…“ Galren wagte es nicht, den Fremden aus den Augen zu lassen. Seine Stimme war kaum Lauter als ein Flüstern. ,, Siehst du , was ich sehe ?“

Noch bevor der Gejarn den Kopf drehen konnte, setzte sich die Gestalt unten auf der Straße plötzlich in Bewegung. Nicht schnell, so als wüsste sie, das sie entdeckt war, sondern sie drehte sich einfach um und ging die Gasse hinab, als hätte sie plötzlich das Interesse verloren.

,, Galren ?“

Der Gejarn sah ihn nur verständnislos an, als er plötzlich Aufsprang und sich daran machte, die Leiter hinab zu klettern.

,, Ich erkläre es dir  später ich… warte einfach hier.“ R hatte keine Zeit mit Reden zu verschwenden. Mit einem Satz war er unten auf der Straße, während Lias grade erst wieder umständlich auf die Beine kam. Bei einer Verfolgung wäre ihm der Gejarn leider nur im Weg… und er war es langsam Leid, das seine Antworten davon liefen. Galren sah die Gasse hinab und konnte grade noch einen Schemen ausmachen, der um eine Häuserecke bog. So schnell ihn seine Füße trugen, hechtete er der Gestalt hinterher, während Lias ihm noch etwas nachrief. Vermutlich das er warten sollte, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Der Gejarn hatte grade erst begonnen die Leiter hinab zu klettern.

,, Wir sehen uns am Schiff wieder.“ , rief er ihm zu und hoffte, das Lias auf ihn hören mochte. Er war bei weitem kein Läufer mehr. ,, Geh. Ich komme alleine zurecht.“

Es war an der Zeit Licht in diese ganze Sache zu bringen und ein Mensch hier in dieser Stadt, musste einfach etwas wissen…

 

 

Kapitel 65 Verloren

 

 

 

,, Wartet. Ihr dort… einen Moment nur.“ Galren  beschleunigte seine Schritt um zu dem Mann in der schwarzen Robe aufzuschließen, doch dieser schien ihn gar nicht zu beachten. Stattdessen lenkte der Fremde seine Schritte nur im gleichen Tempo in eine weitere Querstraße und verschwand kurz außer Sicht.

Er rannte jetzt um wieder zu ihm aufzuschließen. Der Mann war vielleicht seine einzige Chance, doch noch etwas in Erfahrung zu bringen und wenn er ihn verlor…

Galren wurde langsamer, als er um die Häuserecke rannte und sich plötzlich mitten auf einer belebten Hauptstraße wiederfand. Jetzt am frühen Abend waren noch hunderte von Leuten unterwegs und er stolperte fast in eine Gruppe Zwerge in weißen Roben hinein. Einen Moment war Galren fest davon überzeugt, den Fremden verloren zu haben, während er sich umsah. Dann jedoch sah er ihn wieder, einen Schatten, der über der Menge aufragte. Spätestens jetzt gab es für ihn keinen Zweifel mehr, das es sich bei dem Mann um einen Menschen handeln musste. Das oder ein Zwerg auf Stelzen, dachte er und der Gedanke brachte ihn kurz zum Lächeln. Nein. Die Auflösung des ganzen war zum Greifen nahe, er müsste bloß die Hand ausstrecken und den Mann ergreifen.

So schnell es ihm möglich war, drängte er sich durch die Menge und ignorierte die Flüche, die man ihm hinterherwarf, wenn er jemanden anrempelte. Darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Doch so sehr er sich auch beeilte, der Schatten war schneller, schien beinahe durch die Menge zu fließen wo er sich umständlich einen Weg bahnen musste…

Galren beachtete das Chaos nicht weiter, das er verursachte. Seine  Augen blieben fest auf den fliehenden  Mann gerichtet. Wenn er ihn jetzt aus den Augen verlöre wäre alles vorbei…

Und dann bog der Verfolgte  endlich von der Hauptstraße ab und in eine weitere Seitengasse. Galren stieß den letzten Zwerg zwischen ihm und dem Mann einfach beiseite, bevor er ihm erneut hinterherhechtete, eine Hand am Schwertgriff. Wenn nötig würde er ihn zum Anhalten zwingen… und dazu ein paar Antworten auszuspucken…

Doch nichts davon war nötig. Galrens Schritte wurden langsamer. Vor ihm nur noch wenige Schritte die Straße hinab endete der Weg in einer Sackgasse vor den Häusermauern. Der Fremde war mit dem Rücken zu ihm stehengeblieben, trotzdem war Galren so, als ob er den Blick des Mannes spüren konnte.

,, Habt ihr gefunden, was ihr gesucht habt ?“ , fragte er ohne sich umzudrehen. Irgendwie hatte die Stimme etwas vertrautes, dachte Galren auch wenn er nicht festmachen konnte woran es lag. Wenn er nur sehen könnte, wer ihm da eigentlich gegenüberstand.

,, Noch nicht, aber ich glaube ihr werdet mir ein paar Fragen beantworten.“ , erklärte Galren gereizt. Was sollte das? Der Mann hatte gewusst dass er hinter ihm her war, er hatte ihm mehrmals zugerufen doch anzuhalten. Und jetzt plötzlich manövrierte er sich selbst in einen Engpass?

,, Werde ich das ?“ Die Gestalt drehte sich um, der weite, dunkle Mantel den sie trug wirbelte um sie herum und ließ die schlichte, aber sauber geschnittene Kleidung darunter erkennen. Und eine leere Schwertscheide… Die dazugehörige Waffe blitzte in der Hand des Fremden auf wie ein Gestaltgewordener Schatten. Eine pechschwarze Klinge , die wirkte als sei sie aus dem vulkanischen Glas gefertigt, das die Hänge der Feuerberge bedeckte. Galren lief beim Anblick der Waffe ein Schauer über den Rücken. Wenn das Schwarze Schwert weiß wurde… Die Worte eines toten Einsiedlers echoten wie eine böse Vorahnung durch seinen Verstand.

Langsam zog Galren seine eigene Waffe. ,, Ich will euch wirklich nicht verletzen. Aber ich werde euch auch nicht einfach gehen lassen.“

Die Antwort war ein Lachen, gefolgt von einem Feuerball, welcher  in der freien Hand seines Gegners Gestalt annahm und auf ihn zuraste. Magie… Galren handelte instinktiv und brachte das Schwert zwischen sich und den Angriff. Wellen aus Hitze schlugen ihm entgegen, als das Zauber-projektil verlosch und scheinbar von der Klinge absorbiert wurde. Kaum sichtbare, bläuliche Flammen leckten über die Oberfläche des Schwerts. Bevor der Zauber sich wieder Bahn brechen konnte, richtete er die Waffe weg von sich und den Fremden. Keinen Herzschlag später schlugen bereits Feuerwellen aus dem Kristall der Klinge und fraßen sich in den Stein einer Hauswand.

,, Wie gesagt. Ihr kommt hier erst weg wenn ich ein paar Antworten habe.“

,, Ach ? Sage mir kannst du es schon  hören? Hörst du es rufen?“

,, Hören ?“ Galren sah den Schatten nur an. ,, Was soll ich  hören ?“ Flüstern, dachte er. Im Tempel. Als er sich dem Altar genähert hatte. Ja er hatte etwas gehört. Ein fernes Echo, das nach wie vor durch seine Träume schlich.

Statt etwas zu sagen, griff der Fremde an. Galren parierte den ersten Schlag der Schattenklinge grade noch rechtzeitig. Die Wucht des Aufpralls fuhr ihm bis ins Mark und bevor er sich noch fangen konnte, setzte sein Gegner bereits nach und stieß nach seinen Rippen. Galren wich aus und stieß abwärts… Stahl prallte auf Stahl, als der Fremde den Hieb mühelos abfing. Mit einem Schritt zur Seite löste er seine Klinge wieder und versuchte sie an Galrens Abwehr vorbei und ihm ins Herz zu stoßen.

Es gelang ihm grade noch so, den Angriff abzufangen, keinen Daumenbreit bevor die Klinge ihn getroffen hätte. Sein Gegner und er erstarrten einen Moment, Galren nur eine Drehung des Handgelenks von seinem Tod entfernt. Schwer Atmend sah er zum im Schatten liegenden Gesicht des Mannes. Götter, er war ihm haushoch unterlegen, wie ihm langsam klar wurde. Wer immer dieser Mann war, er ließ ihn wie einen Anfänger aussehen…

Galren nutzte den  Moment der Erstarrung und schlug die Klinge, die ihm so gefährlich nah gekommen war beiseite. Kurz schien es tatsächlich so, als könnte er doch die Oberhand gewinnen. Der Fremde stolperte zurück, den Schwertarm nach dem  Stoß  weit von sich gestreckt.

Jetzt hab ich dich, dachte Galren und stieß nach den Beinen seines Gegners. Er wollte ihn nicht töten, nur kampfunfähig machen…

Doch plötzlich war das schwarze Schwert wieder da, ein einziger Hieb prellte ihm die Waffe aus der Hand. Scheppernd schlug Galrens Klinge auf dem Boden auf. Im nächsten Moment wurde er selbst von den Füßen geholt und erwartete jeden Moment, dass ihn der schwarze Stahl fand. Doch der tödliche Schlag blieb aus. In der Gasse, die eben noch vom Klirren der Schwerter wiederhallte, war es totenstill geworden…

Er war alleine, dachte Galren resigniert, als er sich schließlich den Staub abklopfte und wieder auf die Füße kam. Zögerlich hob er das verlorene Schwert wieder auf und sah sich in alle Richtungen um. Nichts. Der Mann war verschwunden, so schnell wie er gekommen war.

,,Verdammt…“ Galren schlug mit der Faust gegen die Mauern der Gasse. Das war seine größte Chance seit langem gewesen. Und jetzt war sie weg und er stand mit mehr Rätseln da als je zuvor.

Oder doch nicht ? Eine Möglichkeit blieb ihm noch, dachte Galren. Er konnte nach dem Mann suchen. Nicht mit den Augen, nicht indem er die Straßen abging. Er könnte versuchen ihn mit der Wegfindung zu erreichen. Wenn es ihm erlaubte Elin zu finden, wieso nicht auch jeden anderen? Einen Versuch zumindest war es Wert. Galren trat in die Mitte der Gasse uns konzentrierte sich, versuchte nach dem Weg zu greifen, den der Mann genommen hatte. Es gab keine Fußspuren aber die brauchte er auch nicht… Goldene Funken tanzten hinter  seinen geschlossenen Liedern doch sonst tat sich nichts. Galren spürte, das seine Fähigkeiten noch da waren, wie sie versuchten, nach etwas zu greifen… und abrutschten.  Er wusste nicht wie er es sonst beschreiben sollte. Normalerweise tat sich der Pfad sofort auf. Diesmal jedoch war es fast so, als würde er versuchen durch eine Wand aus schwarzem, zähem Teer zu gehen. Es war ihm einfach nicht möglich…

Galren gab auf und trat enttäuscht einen Schritt zurück. Nichts, dachte er resigniert. Es tat sich kein Weg auf dem er folgen konnte... Soviel also zu dieser Möglichkeit.

Eine Weile blieb er einfach stehen wo er war. Die einzige Möglichkeit auf Antworten und sie war ihm entkommen. Dass ihm das ganze fast das Leben gekostet hatte, registrierte er ohnehin kaum. Seine letzte Chance war weg.

Ohne echte Eile schleppte er sich zurück durch die Straßen der Weststadt. Lias wäre sicher längst zum Schiff zurück um die andere zu informieren. Kurz überlegte Galren die Sache einfach für sich zu behalten. Es hatte sich ja nichts geändert. Außer das er einmal mehr im Staub gelandet war, wortwörtlich und auch symbolisch.

Und dann sah er es. Genau vor ihm auf der Straße ging eine in einem dunklen Mantel gehüllte Gestalt. Eine, welche die sie umgebenden Zwerge um zwei Köpfe überragte. Götter, konnte er so viel Glück haben ? Nach dem Desaster der letzten Tage warum nicht? Galren beschleunigte seine Schritte erneut und diesmal schien der Fremde seine Anwesenheit nicht mitzubekommen. Eine Hand ausgestreckt hechtete er auf den Mann zu und riss ihm die Kapuze vom Kopf. Seine andere Hand griff fast gleichzeitig nach seinem Messer und zog die Klinge…

Erst da bemerkte er seinen Fehler. Der Umhang, den die Gestalt trug war nicht schwarz, wie der den r suchte, sondern braun. Braun mit roten Ziernähten.

,,Galren ?“ Das Gesicht des jungen Zauberers, das verängstigt zu ihm aufsah machte ihm endgültig klar, wie sehr er sich getäuscht hatte.

,, Merl ?“ Er ließ ihn los und schob das Messer zurück in die Scheide. ,, Was macht ihr den hier ?“

,, Ihr.. ich…“ Kurz wirkte der Zauberer so nervös, wie Galren ihn selten erlebt hatte und er fragte sich einen Moment ob er ihn wirklich derart erschreckt hatte. Dann jedoch fing er sich wieder. ,, Ihr meint , außer Überfallen zu werden ?“

,, Ich… das tut mir leid. Ich habe euch verwechselt.“

,, Nun Naria ist auf der Immwerind. Und ich hoffe wirklich, sie hat nichts getan weshalb ihr ihr mit einem Messer zur Leibe rücken wollt…“

,,Nein ich meine…. Jemand anderen. Niemanden von uns. Es… ist auch egal. Ich weiß immer noch nicht, was ihr hier eigentlich zu suchen habt.“

,, Ich hatte… etwas zu erledigen.“ , erwiderte der Magier nur kurz angebunden. ,, Nun es.. ich…“ Statt weiterzusprechen zog er lediglich einen Beutel unter seinem Umhang hervor und reichte ihm Galren.

Überrascht vom Gewicht, zog dieser die Kordel auf, die ihn zusammenhielt. Eingeschlagen in das große Stück Leder waren ein halbes Dutzend kleinerer Beutel, allesamt sorgfältig verschnürt.

,, Merl, wenn das ein Scherz sein soll…“ , setzte er an, während er einen der kleineren Beutel öffnete. Halb erwartete Galren einen weiteren Beutel vorzufinden, stattdessen jedoch schimmerte ihm etwas entgegen, das aussah, wie blauer Sand. Er schloss das Säckchen wieder und öffnete ein anderes. Wieder Pulver. Diesmal in Rot.  ,, Farbe ?“ , fragte er vorsichtig. ,, Ich wusste nicht das ihr Malen könnt.“

,, Kann ich auch nicht das ist… Na ja ich dachte an Armell. Es gibt ein paar Schmuckhändler in der Stadt aber, weder wüsste ich mit was ich die bezahlen sollte noch wie. Also dachte ich, ich mache selber etwas. Farbe, Sand, ein kleiner Feuerzauber. Mehr braucht es dafür nicht. Ein Ring vielleicht oder eine Kette…“

Warum nur, dachte Galren, hatte er das Gefühl, das er grade angelogen wurde? Sicher, die Farben mochten für Armell sein, aber wie kam Merl nur dazu jetzt an so etwas zu denken? Es gab im Augenblick so viele andere Dinge um die sie sich Sorgen mussten… Und Merl war nicht die Art Mann, die ihren Kopf über die Liebe verlor. Zumindest nicht so.

,, Und ihr seid nur deshalb hier ?“ , fragte er skeptisch. Noch wichtiger, wieso wagte er sich deshalb in die Weststadt? Das ganze klang mehr, als wollte er eine Ausrede parat haben, für genau den Fall, das ihn jemand sah…

,, Sicher. Und meint ihr, das würde ihr gefallen? Wenn nicht dann… nun muss ich mir etwas anderes überlegen, schätze ich.“

,, Bestimmt.“ Merl was tust du wirklich? , dachte Galren. Jetzt fingen schon seine Freunde an ihn auch noch anzulügen. Trotzdem… wenn der Magier ihm nicht sagen wollte, was ihn hertrieb dann… musste er ihm eben fürs erste vertrauen. Das zumindest hatte er sich verdient. Doch was immer er in der Weststadt  gesucht hatte, war nicht bloß farbiger Sand… ,, Ich denke , wir sehen uns später ?“

Galren klopfte dem Mann kurz auf die Schulter, bevor er sich wieder auf den Weg machte. Merl nickte lediglich kurz, bevor sich ihre Wege wieder trennten. Wo immer er hin wollte, dachte Galren, er ging nicht zurück zum Schiff…

 

Kapitel 66 Ring

 

 

Merl atmete erleichtert auf, als das Gasthaus in Sicht kam. Er hatte mit so ziemlich allem gerechnet nur nicht mit Galren. Nun, wenigstens war der Mann offenbar zu sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt um sich zu viele Fragen zu stellen. Vielleicht…hätte er etwas sagen sollen. Aber für den Moment war es zu früh.

Der junge Magier schlug den Umhang zurück, als er aus der brennenden Sonne und in die Taverne trat. Die dicken Steinmauern verhinderten, dass die Hitze des Tages ihren Weg hier herein fand, trotzdem war außer ihm niemand hier. Entweder, weil sich herumgesprochen hatte, das die Fremden aus Canton hier ihr Quartier bezogen hatten oder weil Hadrir den Wirt bezahlte um das Haus leer zu halten. So oder so, außer ihm war nur der rothaarige Zwerg hier, der ihn nur mit einem stummen Nicken bedachte, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwendete.

Merl selbst suchte sich einen Platz im hintersten Winkel des Schankraums, wo sich ein großer Tisch befand und setzte sich dahinter.  Das einzige Licht hier hinten viel durch ein rundes Fenster über seinem Kopf direkt auf die schwere, dunkle Tischplatte.

Er würde etwas Platz brauchen und wollte nicht riskieren etwas mit dem Zauber zu verbrennen, den er vorbereitet hatte. Der Wirt hatte genug unter Naria zu leiden, die es sich mittlerweile scheinbar zur Aufgabe gemacht hatte, auch noch seine letzten Gäste zu vergraulen.

,, Lasst mich raten, ihr denkt grade an mich ?“ , fragte die Stimme der Gejarn aus den Schatten zu seiner Rechten. Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde er überrascht. Er hatte Naria nicht einmal gesehen, bis sie sich bewegte, ein grauer Schatten, der sich elegant ihm gegenüber niederließ.

,, ich mache mir generell um euch alle Sorgen.“ , erwiderte er und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, das sie ihn tatsächlich erschreckt hatte. Manchmal hatte die Gejarn etwas Unheimliches an sich, dachte Merl. Auf der anderen Seite, war sie auf einer Insel voller Magier aufgewachsen… und auch Zachary konnte so sein, dachte er. Manchmal hatte er selber nicht gewusst ob er sich nun vor seinem Meister fürchten sollte oder nicht. Sahen die anderen ihn vielleicht manchmal genauso an? Es war eine seltsame Frage. Merl hatte sich bisher nie für jemanden gehalten, der Leute erschrecken konnte. Auf der anderen Seite hatte er bis vor kurzem auch noch nie die Macht einer Träne angezapft. Das Amulett mit dem blauen Kristall hing nach wie vor um seinen Hals. Und bis vor kurzem hatte er sich auch noch nicht mit dem Gedanken abfinden müssen, vielleicht direkt vom alten Volk abzustammen. Erneut wünschte Merl sich, es  gäbe  einen Weg mit Zachary zu sprechen, ihn schlicht nach der Wahrheit zu fragen… aber sein Meister war eine Welt entfernt. Nach wie vor in Gedanken versunken stellte er den großen Beutel mit den Farben und dem Sand vor sich auf dem Tisch und begann, die einzelnen Säckchen vor sich aufzuschichten.

Naria sah ihm nur wortlos dabei zu. Die Farbstoffe wirkten im Licht, das auf sie fiel unnatürlich grell im Vergleich zum restlichen Raum.

,, Und seid ihr schon dahinter gekommen, wer ihr seid ?“ , fragte  sie schließlich.

,, Ich.. ich versuche im Augenblick nicht zu sehr darüber nachzudenken.“ , antwortete Merl. ,, Warum interessiert euch das so ?“ Er begann langsam zu arbeiten, ließ eine Hand voll Sand und blauer Farbe vom Tisch aufsteigen und sie mit der kleinsten Flamme, die er heraufbeschwören konnte zu schmelzen. Früher hätte er sich auch niemals unterhalten und gleichzeitig einen Zauber wirken können. Vielleicht schlugen Zacharys Übungen ja doch an.

,, Vielleicht bin ich nur Neugierig. Und vielleicht mache ich mir auch Sorgen. Um euch alle. Und um Galren… Wisst ihr das ich ihm Schattenpilze gegeben habe?“

,, Ihr habt was ?“ Merl hatte Mühe die Konzentration aufrecht zu erhalten und fing den glühenden Glastropfen grade noch ab, bevor er die Tischplatte traf. ,, Wollt ihr ihn umbringen ? Ich… seine Begabung ist Magie, Naria.“

,, Er hat mich darum gebeten, Merl. Nachdem wir aus den Katakomben entkommen sind. Und das Problem dabei ist, das es nicht wirkt.“

,, Also…“ Die Schlussfolgerung daraus  gefiel ihm nicht.

 ,, Ist Galrens Begabung entweder keine Magie und wenn sie das nicht ist, bin ich ein Kaninchen… oder seine Fähigkeiten stammen nicht von ihm selbst.“

,, Ich weiß nicht welche Möglichkeit beunruhigender ist.“

,, Glaubt mir ich weiß es. Und es ist nicht die bei der ich als Hase Ende.“ , erwiderte Naria. ,, Das Problem ist ich kann auch nicht herausfinden, woher Galrens Begabung nun stammt. Eigentlich sollte ich in der Lage sein, sie dann zu ihrem Ursprung zu verfolgen aber…“

,,Ihr habt es versucht, oder ?“ Merl ließ das geschmolzene Glas zu einem Faden zerfließen, bevor er eine weitere, glühende Kugel aus Farbe und Sand erschuf und anfing sie hineinzuweben. ,, Und was habt ihr gefunden ?“

,, Kälte Merl.“ Naria schien bei den Worten tatsächlich zu zittern. ,, Mehr war da einfach nicht. Als ob man einer Spur folgt und plötzlich in einen kalten Sumpf fällt. Langsam weiß ich nicht mehr, was mir in dieser Stadt mehr Sorgen machen soll… Die Magie, die es angeblich nicht gibt, der König der offenbar gewillt ist sein Volk verdursten zu lassen oder die Häuser die uns bedrohen.“

Unwillkürlich fühlte Merl sich zurückversetzt  zu jenem Abend, als er und Galren durch die Hallen des Kaiserpalastes wanderten. ,, Kaiser Kellvian  meinte, die Karte, die mit dem Schiff von Galrens Vater angespült wurde, wäre mit einem Zauber versiegelt gewesen, wie ihn selbst der Sangius-Orden noch nie gesehen hatte. Selbst Ordensmeister Quinn war angeblich nicht in der Lage es zu brechen und ich kenne ihn. Er hat Zachary oft besucht… Wenn dieser Mann von etwa sin den Schatten gestellt wird ist das mehr als beunruhigend. Jemand unvorstellbar mächtiges wollte sichergehen das uns diese Karte erreicht.“

,, Das heißt… wir sind in einer Falle, Merl.“ , meinte die Gejarn düster. ,, Das oder ich habe nach wie vor keine Ahnung was hier eigentlich vor geht.“

,, Das macht euch mehr Angst als alles andere, kann das sein ?“ Er rang sich ein schwaches Lächeln ab, während er einen weiteren Glasstrang in den entstehenden Ring einlegte.

Naria lachte kurz ,, Etwas das ich weder fassen noch begreifen kann, Merl ?Oh ja, das macht mir wirklich Angst…“ Schwungvoll stand sie auf und zog sich dabei die Kapuze ihres Umhangs wieder ins Gesicht. ,, Nun, ich werde euch nicht länger belästigen. Tut mir nur einen gefallen und steckt hier nichts in Brand… ich glaube der Wirt ist immer noch wütend auf mich.“

Merl folgte ihrem Blick in Richtung des rothaarigen Zwergs hinter dem Tresen, der nur stumm weiter Gläser polierte. Aber seine Aufmerksamkeit  wanderte immer wieder misstrauisch zu ihnen und dem schwebenden Ring aus glühendem Glas.

Während Naria sich entfernte, fügte Merl rasch die letzten fehlenden Teile ein und umgab seine Hände mit einem schützenden Zauber. Geduldig strich  er letzte Kanten glatt und brachte einige letzte Windungen in das Material, als handle es sich bei dem Ring um Kaumasse und nicht geschmolzenen Sand. Dann ließ er es langsam auskühlen. Die Farben waren nicht so hell, wie er gehofft hatte, sondern eher düster. Kühles fast schwarzes Blau, Rot, das eher ins Rostfarbene ging…

Nun daran konnte er jetzt nichts mehr ändern, dachte Merl, während er den Ring an sich nahm und ebenfalls von seinem Platz Aufstand. Armell würde sicher bald zurückkehren, war sie doch schon am Morgen mit Hadrir in Richtung des Palastest aufgebrochen. So wie schon die letzten Tage zuvor…

Der König ließ sie nur ein ums andere Mal vertrösten und selbst Hadrir schien für Brunar Silberstein keinen Unterschied mehr zu machen. Wenn sich nicht bald eine Lösung auftat würden sie wirklich darauf vertrauen müssen, das Algim Mardar sein Wort hielt. Was sonst geschehen würde, darüber wollte Merl nicht einmal nachdenken, während er die Stufen zu den Zimmern hinauf stieg.

 

Armell kehrte schließlich kurz nach Sonnenuntergang zurück. Erschöpft wie sie war, fiel sie mehr zur Tür herein, als das sie ging. Lose Haarsträhnen hingen ihr ins Gesicht, als sie sich wortlos gegen ihn sinken ließ. Sie hatten in den letzten Tagen alle nicht viel Ruge gehabt, dachte Merl, während er sie einen Moment einfach nur festhielt. Aber sie hatte sich  leicht die schwerste Aufgabe von ihnen allen gesucht. Mit dem König zu reden, der ihnen nicht zuhören wollte. Dem Mann, von dem sowohl Algim als auch Hadrir sie eigentlich gewarnt hatten. Aber was für eine Wahl hatten sie denn? Und dann kam sie genau so wenig weiter, wie Galren.

,, Wie lief es ?“ , fragte er vorsichtig.

,,  Ich glaube ich kann nie wieder eine Halle betreten ohne mich zu Fragen, wie viele endlose Bittsteller vor mir ihre Anträge bringen werden. Ich habe mich lange genug mit dem Hochadel Cantons rumgeschlagen um zu wissen, dass ich nicht erwarten kann, das man immer gehört wird, aber hier geht es um Entführung… Eine, die sein verdammter Sohn bezeugen kann. Götter Merl ich hätte diesem Mann am liebsten die Krone in den Hals gestopft damit er daran erstickt. Aber Hadrir hat zumindest erwirkt, das er uns Morgen anhören wird. Ich werde ein ernstes Wort mit diesem König reden müssen.“ Es klang eher träge als Aufmüpfig und das war ihr offenbar selbst klar.

,, Keine Sorge. Wir bekommen das irgendwie hin.“ Er versuchte zuversichtliche rzu klingen, als er sich fühlte. Wir holen Elin da raus.“

Armell nickte, auch wenn ihre Mine ihre Zweifel mehr als deutlich verriet. ,, Ich weiß nicht um wen von euch beiden ich mir im Augenblick mehr Sorgen machen soll. Du warst heute Morgen verschwunden…“

,, Ich weiß ich habe eine Kleinigkeit in der Stadt zu erledigen gehabt. Oh und ich bin Galren über den Weg gelaufen… ich habe auch keine Ahnung, was er plant, aber er hätte mich fast geschlagen glaube ich.“ Das Messer in der Hand des Mannes, erwähnte er besser nicht, dachte Merl. Es war nicht Armells Aufgabe sich um alle zu Sorgen. Auch er konnte und würde seinen Teil tragen. Und Galren war ohnehin… angespannt, seit sie hier waren.

,, Waren Galren und Lias heute nicht in der Weststadt ?“ Sie sah ihn an, einen Hauch von misstrauen in ihren Worten.

Merl antwortete nicht sofort. Einen Moment war er tatsächlich versucht, ihr alles zu erzählen, selbst das, was er Galren verschweigen musste. Bevor er jedoch dazu kam, legte sie ihm einen Finger auf die Lippen.

,, Schon gut. Ich will es nicht wissen, wenn du nichts sagen willst. Aber Merl… was immer du tust pass auf dich auf. Diese ganze Stadt ist wahnsinnig und ich verliere dich nicht auch noch an diese Irren…“

Armell ahnte etwas, das war ihm klar. Natürlich konnte sie es unmöglich wissen… aber seine Sorgen spüren, das konnte sie sehr wohl.

,, Wie gesagt ich hatte etwas zu erledigen.“ Er zog den das mittlerweile völlig erkaltete Schmuckstück aus der Tasche und hielt es einen Moment hinter seinem Rücken verborgen. Unsicherheit befiel ihn. Er hatte schon unten gesehen, dass der Ring alles andere als perfekt war. Dann jedoch sagte er sich das es keine Rolle spielte. Sie gehörte ihm und er ihr, daran gab es nichts zu rütteln. Armell würde es nicht stören und doch konnte er seine alte Scheu nicht ganz überwinden.

Die junge Adelige löste sich von ihm und versuchte an ihm vorbei zu spähen und griff mit ihrer Hand nach seinen. ,, Was hast du da ?“ Mit einem schelmischen Grinsen drehte er sich zur Seite und lies sie so ins Leere laufen. Erst jetzt nahm er die Hand hinter dem Rücken hervor und hielt ihr den Ring hin.

,, Ich weiß das es nicht viel ist und ich musste deine Größe schätzen,  aber ich habe ihn selber gefertigt, soweit ich konnte.“

Statt direkt zu antworten, nahm sie den Ring mit seinem düsteren Farbenspiel an sich und setzte sich rückwärts auf die Bettkante.

,, Gefällt er dir ?“

,, Das ist…wunderschön…“ Armell steckte das Glasjuwel an einen Finger und betrachtete es von allen Seiten. ,, Du hast den gefertigt ?“

,, Ehrlich es ist nichts…“ , erklärte er und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihre Worte ihn wirklich freuten. Die junge Adelige schlang jedoch lediglich von hinten die Arme um ihn und zog ihn an sich.

,, Wenn wir heimkommen, gehe ich nach Freybreak zurück. Dann kann ich endlich anfangen, den Ort wieder aufzubauen… mit dir wenn du das willst?“

,, Natürlich…“ Er wusste, sie spürte nach wie vor, dass etwas nicht stimmte. So sehr sie und er es auch zu überspielen versuchten. Und doch, was war schöner, als ihre Träume zu hören… und sie ihr zumindest mit Worten zu erfüllen.

,, Ich wünsche es mir.“ , murmelte Armell, während sie sich zurück sinken ließen. ,, Aber kannst du es auch versprechen ?“

Nein, dachte Merl traurig. Das konnte er nicht. Nicht in der Lage in der sie waren. Und trotzdem hätte er sich fast zu der Lüge überredet. Es hatte etwas tröstliches, sie so nah bei sich zu wissen…

,, Ich glaube nicht das…“ Armell unterbrach seinen Protest mit einem Kuss, während ihre Hände an seinem Körper entlangwanderten.  Ihre Hände wanderten tiefer und unter den Bund seiner Hose.

Merl saß praktisch auf ihrem Schoß, sie immer noch einen Arm  um ihn geschlungen, während ihre freie Hand seinen Körper erkundete.

,,Was…“

,,Shhh…“ , unterbrach sie ihn. ,,Alles gut.Ich will dich spürenn. Für den Moment genieß das hier…“ Ihre Hand wanderte über seinen Bauch und tiefer in seine Hose, umfasste das bereits halb erigierte Glied. Merl konnte nicht anders als unter ihrer Berührung zu erschauern. Armells Finger waren kühl, fast unangenehm kalt… und trotzdem reagierte er darauf. Mit wenigen geübten Handgriffen hatte sie den Gürtel seiner Hose geöffnet. Armell begann ihn  zu streicheln, ohne jeden Druck, jede Berührung nur ein kleiner Vorgeschmack.  Merl schloss die Augen, sein Atem ging bereits schwerer, während ihre Hände arbeiteten… und doch kam die Erlösung nicht näher. Jede ihrer Berührungen war so sanft und genau so langsam wie die vorherige. Auf… ab… Seine Hüften wollten der Bewegung folgten, wollten weiter gehen, suchten nach mehr… Armell jedoch drückte ihn sanft zurück auf ihren Schoss, während ihre andere Hand nach wie vor ihr beständiges Tempo hielt. Merl spürte ihre Lippen in seinem Nacken. Er wusste nicht, wie lange es dauerte, wie lange er einfach nur die Augen schloss und die süße Folter über sich ergehen ließ. Langsam aber sicher forderte die Lust doch seinen Tribut von ihm.  Schließlich umschloss sie sein Glied fest mit einer Hand und begann ihn schneller zu massieren, , rhythmisch zugreifend und wieder loslassend, während sie süße Worte in sein Ohr flüsterte.

 Ihr Arm verschwand von Merls Hüfte und er reagierte auf die nun fordernde Berührung, begann sich ihrem Rhythmus anzupassen…  Er wusste nicht wie lange es dauerte, bis er sich schließlich in ihre Hände ergoss. Als es vorbei war, ließ er sich ausgelaugt gegen sie sinken. Armells Hand jedoch blieb wo sie war, die junge Adelige schien sich überhaupt nicht zu rühren. Und dann spürte er Wassertropfen auf seiner Wange. Sie weinte… Sofort begann Merl sich unwohl zu fühlen, er wollte sich von ihr lösen, sie irgendwie trösten… war es wegen dem was er vorher gesagt hatte?

,, Armell…“ Seine eigene Stimme zitterte, als er den Kopf drehte. Erneut unterbrach sie ihn mit einem Kuss.

,, Ich kann dir kein Versprechen abnehmen, das du nicht halten kannst, oder ?“ , fragte sie leise und zog ihn erneut dichter an sich. In diesem einen Moment war sie einmal nicht stark, war sie einmal nicht die Frau, die der halben Welt für ihre Stadt die Stirn geboten hatte.  ,, Aber kannst du mich lieben ?“

Als Antwort küsste er ihre Tränen Weg. Das zumindest konnte er. So lange sie es wollte. Er gehörte ihr mit allem was er war… und doch konnte er dieses eine Versprechen nicht geben…

 

Kapitel 67 Sturz

 

 

Anfangs hatte Elin noch gehofft, schnell einen Ausweg für sich zu finden, doch je mehr Zeit verging, desto klarer wurde ihr, das Kasran alles andere als dumm war, so freundlich er sich nach außen auch geben mochte.  Doch davon lies die Gejarn sich noch lange nicht abschrecken. Nach wie vor, das perfekte Gefängnis gab es nicht und das hier war ein Haus mit dutzenden von Gängen, Türen und Fenstern, keine Festung. Mehr als genug Möglichkeiten unbemerkt zu verschwinden, wenn sich die Gelegenheit bot. Weder der Thane noch Algim konnten sie ständig im Auge behalten und wenn die beiden glaubten sie würde schlicht ruhig bleiben, hatten sie sich verschätzt.

So dachte sie da zumindest noch. Drei Tage war sie nun hier eingesperrt und ihre Hoffnungen waren zunehmend kleiner geworden.

Zuerst hatte sie versucht, sich durch die Gärten zu schleichen. Das Anwesen zu verlassen war dabei noch ihre leichteste Übung. Sicher, es gab viel Personal und sich unerkannt von einem Stockwerk ins andere zu bewegen erforderte mehr als etwas Planung, aber wenn man einmal eine Lücke im Zeitplan von Soldaten und Dienern des Hauses fand kam es nur noch darauf an schnell genug zu sein.

Draußen jedoch stieß sie bereits sofort auf das zweite Hindernis, die Teiche die um das Haus herum verliefen. Wollte sie nicht schwimmen und die Wasserfläche bot keinerlei Deckung, musste sie über den schmalen Steg, der von der Tür des Anwesens zur Mauer führte. Und dieser war genauso wie die Ufer bewacht. Auf den ersten Blick wäre ihr das halbe Dutzend Posten, die in den Schatten unter Bäumen und Sträuchern versteckt standen, fast entgangen. Das tödliche Glitzern von Stahl jedoch warnte sie grade, bevor sie noch den Weg über die Brücke riskieren konnte. Die Männer hatten sie sofort entdeckt und lauerten, Armbrüste im Anschlag und mit eingelegten Bolzen darauf, das Elin versuchte an ihnen vorbei zu kommen.  Die Worte des Thanen kamen ihr wieder in Erinnerung… und sie bezweifelte, dass Kasran nur bluffte. Entdeckte man sie, war sie tot oder man würde sie zurück ins Haus schleifen, diesmal in Ketten.

Und auch nachts wurde es kaum besser, dann erleuchteten hunderte von Laternen das gesamte Gelände, die es fast unmöglich machen würden, sich zu verbergen. Nein, wenn sie hier in einem Stück raus wollte, schied der direkte Weg aus.

Später in derselben Nacht versuchte sie, auf das Dach des Hauses zu gelangen. Zwar konnte Elin  von den Fenstern  zweiten Stock aus das leicht überstehende Dach erkennen, aber nach oben zu gelangen war dann doch etwas ganz anderes. Erneut musste sie aufpassen, dass grade keiner von Kasrans Angestellten in der Nähe war, aber spät abends schien das Haus beinahe ausgestorben. Die Dienerschaft und auch die schweigende Leibwache des Thanen bezogen ihr Quartier in einem kleinen Wirtschaftsbau ganz am anderen Ende des Anwesens.

Sich danach aus dem Fenster zu schwingen um nach der etwas vorstehenden Dachkante zu greifen war da schon riskanter. Einen Moment hing die Gejarn in der Schweb, ihre Füße noch auf der Steinbank des Fensters und ihre Hände nach Halt auf den glatten Schindeln kratzend. Dann bekam sie die Regenrinne zu fassen und lies zu, das ihre Füße den Halt verloren. Elin spähte hinab in den Garten, während sie sich rasch nach oben und damit in Sicherheit zog. Wenn einer der Posten dort unten sie sah, wäre alles vorbei. Doch nichts geschah und die Gejarn gelangte sicher auf das Dach des Anwesens.  Viel nützen tat es ihr nicht. Elin musste feststellen, dass die nächsten Gebäude viel zu weit weg waren um einen Sprung zu riskieren. Das und die meisten waren so niedrig, das allein der Sturz ihre Knochen brechen würde… Sicher, sie käme vielleicht hier raus, läge dann aber mit einem gebrochenen Bein auf einem Flachdach ohne zu wissen wo genau sie war und ohne die Möglichkeit sich in Sicherheit zu bringen…

Fast wäre sie versucht gewesen, es trotzdem zu tun. Elin fühlte sich unter den stummen Diener und Wachen des Thanen nur  zunehmend isoliert und die Männer und Frauen waren Aufmerksam als hinge ihr Leben davon ab. Vermutlich tat es das sogar.

Von Kasran hingegen  sah sie Tag zu Tag weniger und der war der einzige, der Überhaupt mit ihr sprach. Das hieß neben Algim und der begnügte sich meist mit einer kurz angebundenen, wütenden Antwort. Der Thane hatte einmal gemeint, das Algim eben nur die Faust und nicht der Kopf seines Hauses sei, aber Elin nahm das nur als Anlass, ihm noch mehr aus dem Weg zu gehen, wenn möglich. Sie hatte den Mann erlebt und selbst wenn nicht, er hatte etwas an sich, das dafür sorgte, das sich ihr das Fell streubte.

Sie war wahrhaftig gefangen… Eine Weile saß Elin nur auf dem Dach, während die Sterne am Himmel langsam verblassten und  haderte mit sich. Das war  die beste Möglichkeit zur Flucht, die sie bisher hatte… Das war Selbstmord, erwiderte eine andere Stimme.

Seltsam nur, das sie bisher absolut nichts von den anderen gehört oder gesehen  hatte. Ihr war durchaus klar, was Kasran mit ihr bezweckte, aber das Galren und die anderen das so einfach hinnahmen… damit hatte die junge Gejarn tatsächlich nicht gerechnet. Zumindest das Haus beobachten würden sie doch, dann konnte sie auch riskieren sich etwas zu brechen.

Aber darauf kannst du dich nicht verlassen, sagte sie sich selbst. Wenn sie sich verschätzte, würde sie nur wieder gefangen werden und diesmal ohne sich überhaupt noch bewegen zu können. Nein.

Nur weil sie bisher keinen Ausgang gefunden hatte, hieß das nicht, dass es keinen gab. Zumindest redete Elin sich das selbst ein, als sie schließlich Aufstand und wieder ins Innere des Anwesens kletterte.

An Schlaf war für sie ohnehin nicht zu denken und so wanderte sie nur unruhig von einem Ende des Hauses zum anderen. Die Sonne begann grade erst aufzugehen, als Elin schließlich die große Treppengallerie erreichte, durch die Kasran sie am ersten Tag geführt hatte. Frustriert setzte sie sich schließlich auf die Stufen und sah durch eines der kleinen Fenster hinaus in den Garten. Die ersten Sonnenstrahlen fanden ihren Weg zwischen dem dichten Blätterwerk der Weiden hindurch und spiegelten sich auf den Teichen. Der Geruch von geschnittenem Gras, den der Wind durch das offene Fenster wehte, mischte sich mit dem von vulkanischer Asche.

Elin wusste später nicht mehr genau, wie lange sie so dasaß und vermutlich war sie schließlich doch kurz eingeschlafen. Als sie hochschreckte war es draußen bereits um einiges heller. In der Ferne konnte sie das Klirren von Geschirr und das Rufen der Dienerschaft hören, die sich bereits daran machten, das Frühstück vorzubereiten. Aber das war es nicht, was sie geweckt hatte…

Elin streckte sich und warf einen Blick auf ihren Kribbelnden Handrücken. Ein runder Käfer von der Größe eines Fingernagels hatte sich darauf niedergelassen, rot mit dunklen Punkten. Seltsam, sie hatte hier bisher noch keinen davon gesehen. Tatsächlich waren ihr hier kaum Tiere aufgefallen. Aber die großzügigen Parkanlagen, welche die ganze Stadt durchzogen mussten wohl auch einigen davon Zuflucht bieten.  Elin wollte das Insekt schon abschütteln, als es plötzlich seine Form veränderte. Aus dem Käfer wurde ein winziger Vogel, der sich ohne Scheu in ihrer Handfläche niederließ und sie neugierig ansah. Diese dunklen Augen  wirkten um einiges zu Intelligent für ein Tier…

,, Sentine ?“ , fragte Elin  ungläubig und ihre Stimme überschlug sich fast. ,, Bist du das wirklich ?“

Und wichtiger, was machte sie hier?

Der kleine Vogel stakste Unruhig von einem Bein aufs andere, wie um ihr zuzunicken, dann flatterte er bereits wieder auf und lies sich auf ihrer Schulter nieder.  Als Elin nach wie vor sitzen blieb wo sie war, zwickte Sentine sie kurz in den Hals nur um dann erneut auf und ab zu hüpfen. Fast konnte man meinen, der Vogel wäre genauso frustriert mit ihr, wie sie über ihre Unfähigkeit einen Ausweg…

Elin sah zu Sentine. Das war verrückt. Und doch rückte es das Verhalten des Vogels in ein völlig neues Licht. Bei jedem Hüpfer wanderte sie ein Stück weiter nach links. In Richtung der Stufen in Elins Rücken…

,, Da runter ?“ , fragte sie vorsichtig und als wollte das Wesen seine Erleichterung zum Ausdruck bringen, das sie endlich verstand, flatterte es erneut auf und landete auf dem Treppengeländer.

Elin zuckte mit den Schultern. Was hatte sie groß zu verlieren. Außer etwas Selbstachtung weil sie einem Vogel vertraute…

Rasch hastete sie die Stufen hinab. Sentine machte sich derweil einen Spaß daraus, bis zum höchsten Punkt des Treppenhauses zu fliegen nur um sich dann wieder auf ihre Höhe fallen zu lassen. Noch schlief der Großteil des Hauses, aber das würde sich bald ändern und dann wäre es schwer zu erklären, wieso sie einem Spatz hinterherlief.

Elin sollte jedoch nicht weit kommen.

,, Wer hat den verdammten Vogel hier hereingelassen ?“ , schallte eine Stimme von weiter oben und ihr blieb fast das Herz stehen, als Algim nach Sentine schlug. Diese war jedoch bei weitem flinker als er und flatterte nur zu einem sicheren Fensterplatz in luftiger Höhe. Der Marschall spähte derweil zu Elin hinab und sein Gesicht wurde düsterer. ,, Und vielleicht verratet ihr mir, wo ihr hinwollt ?“

Algim kam die Stufen mit gemächlichen Schritten hinab.

,, Euer Thane hat mir erlaubt mich im Haus frei zu bewegen, oder ?“ , erwiderte sie, nicht ganz so bissig wie sie ursprünglich gewollt hatte. Wie lautete das Sprichwort ihres Vaters? Es konnte immer schlimmer kommen. Der Zwerg hätte sich keinen ungünstigeren Moment zum Auftauchen aussuchen können.

,, Sicher, aber ich sehe ihn hier nirgendwo… ihr etwa ?“ , fragte Algim und der Ton in seiner Stimme wollte ihr überhaupt nicht gefallen. ,, Mein Thane scheint einen Narren an euch gefressen zu haben und ich weiß noch immer nicht, was er eigentlich plant. Glaubt jedoch nicht, das uns das allen so geht. Ihr habt nichts als Ärger mit euch gebracht, seid ihr in dieser Stadt aufgetaucht seid und das, wo wir hier Jahrhunderte geschützt waren. Aber kaum taucht zum ersten Mal ein fremder hier auf, bricht das Chaos aus…“

,, Wir sind es nicht, die hier das Problem sind.“ , erwiderte Elin. Ein  Teil von ihr wusste, dass es sinnlos war mit dem Mann zu reden. Sie sollte ihn schlicht ignorieren und warten bis er endlich ging, aber… sie konnten doch nicht alle so blind sein? ,, Eure Wasservorräte gehen zur Neige, Algim. Ob ihr mir nun glaubt oder nicht, aber in dieser Stadt gibt es keine Zukunft für euch.“ Zumindest nicht wenn sie sich nicht zusammenrissen. Gemeinsam fanden sie ja vielleicht eine Lösung, aber so zerstritten wie alle hier waren… Nein, niemals. Und das würde ihr Ende bedeuten.

,, Oh ja natürlich.“ Algim lachte. ,, Sonst noch etwas, vielleicht eine Lüge, die nicht ganz so… verzweifelt ist ?“

Vielleicht würde Kasran ihr eher zuhören, dachte Elin. Und ihr zumindest Gelegenheit geben, sich zu erklären. Aber  sie hatte den Mann seit Tagen nicht gesehen und wenn es nach ihr ginge, wäre sie ohnehin bald hier raus.

,, Glaubt was ihr wollt.“ , erklärte sie. ,, Wenn ihr mich jetzt einfach gehen lassen würdet…“

Elin wollte sich umdrehen und weggehen, aber Algim packte sie am Arm und riss sie grob zurück.

,, Nein, das werde ich nicht. Glaubt mir, wenn der Alte nicht wäre ich würde dafür sorgen, dass keiner von euch diese Stadt mehr verlässt… Wieso eine Bedrohung nur verschieben wenn man sie ausschalten kann?“ Seine Finger gruben sich schmerzhaft in ihren Arm und seine Nägel ritzten ihre Haut an. Es war, als hätte er es sich zur Aufgabe gemacht sie genau wissen zu lassen, wie wenig sie alle für ihn Wert waren. Aber weder interessierte es Elin noch war sie bereit das länger über sich ergehen zu lassen. Es gab eine Grenze, die ihr Stolz ihr setzte und die hatte der Mann grade übertreten.

,, Lass mich endlich ! „ Mit einem Ruck befreite sie ihren Arm, während sie ihm gleichzeitig eine Faust vor die Brust stieß. Die Finger des Zwergs, die sich in ihre Haut gruben erschlafften und ließen los. Im selben Moment verdrehte sie ihm das Handgelenk und auch die letzte Kraft wich aus dem Griff des Zwergs. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, das Elin sich wirklich wehren konnte. Wie auch, sie war kleiner als er und aus Algims Sicht kaum mehr als ein Kind.

Der Stoß, den sie ihm versetzte geriet jedoch etwas zu hart. Einen Moment schwankte Algim auf der Treppe sah sie mit weit aufgerissenen, schreckensstarren Augen an… dann verlor er das Gleichgewicht. Seine Hände griffen nach ihr, nach dem Geländer, nach irgendeinem Halt, doch sie wich ihm instinktiv aus. Mit einem Aufschrei stürzte der Marschall die Treppe herab. Sich mehrmals überschlagend konnte Elin das Holz knacken hören, als er aufkam. Es musste das Holz sein, sagte sie sich. Als sein Sturz schließlich zu einem Halt kam, blieb der Zwerg regungslos liegen, die Gliedmaßen von sich gestreckt. Blut sickerte aus einer Wunde an der Stirn des Mannes und färbte seine schwarzen Haare noch eine Spur dunkler.

Geister, das hatte sie nicht beabsichtigt…

 

 

Kapitel 68 Flucht

 

 

 

Elin rannte die Stufen hinab bis zu der Stelle an der Algim liegengeblieben war. Nach wie vor gab der Mann kein Lebenszeichen von sich. Ein kleiner Blutstrom lief aus einer Wunde auf der rechten Stirnseite des Zwergs und über seine Wange.  Sie wäre am liebsten einfach losgelaufen, wieder Sentine hinterher und hoffentlich in Richtung Ausgang. Aber… Elin musste sichergehen.

Unsicher stand sie einen Moment über den gefallenen Mann gebeugt. Dann streckte sie vorsichtig eine Hand aus um an Algims Hals nach einem Puls zu tasten oder nach dem Windhauch eines Atmens. Elin zuckte zusammen, als sie tatsächlich warmen Atem auf ihrem Handrücken spürte. Algim lebte noch… Bevor sie jedoch dazu kam, darüber nachzudenken was sie jetzt tun sollte, rührte der Zwerg sich stöhnend. Seine Augen öffneten sich, brennenden Kohlen gleich und er schlug ohne Vorwarnung zu.

Der Hieb holte Elin sofort von den Füßen, zu überrascht, sich irgendwie zu verteidigen. Sie krachte gegen das Geländer der Treppe, das Holz ächzte unter ihrem Gewicht und plötzlich sah sie sich selbst wie Algim zuvor haltlos die Stufen hinabfallen. Um sie herum drehte sich alles und die Gejarn drohte endgültig das Gleichgewicht zu verlieren. Bevor es jedoch dazu kam, hatte eine Hand sie gepackt und zurück gerissen. Elin stolperte gegen die sicherere, stabile Wand und sank halb bewusstlos daran herab. Benommen nahm sie den in dunklen Samt gekleideten Schatten Algims wahr, der ungerührt zusah, wie die Gejarn versuchte trotz der pochenden Schmerzen irgendetwas zu tun.

Elin war sich absolut sicher nun sterben zu müssen, während der Zwerg sich über sie beugte… und schweigend den Kopf schüttelte. Der Anflug eines kalten Lächelns huschte über seine Züge, verschwand jedoch genau so schnell wieder, wie er gekommen war. Stattdessen wischte er sich lediglich mit einem Stoffstreifen das Blut von der Stirn und setzte sich dann Elin gegenüber hin, locker an das Geländer gelehnt. Wortlos hielt er ihr das Tuch hin und erst jetzt wurde ihr klar, dass sie selbst blutete. Algims Schlag hatte eine große Platzwunde hinterlassen, die sich über ihre Schläfe zog.

Die Gejarn konnte sich nur fragen, was das jetzt wieder sollte. Er hatte eben verhindert, das sie in den Tod stürzte und nun schien er sich plötzlich Sorgen zu machen? Vermutlich fürchtete Algim nur, was sein Thane wohl tun würde, wenn er erfuhr, dass er sie beinahe getötet hätte. Das letzte was sie jetzt wollte war, auch noch mit dem Blut dieses Bastards in Berührung zu kommen. Trotzdem nahm sie das Tuch zögerlich entgegen und legte es dann beiseite.

Algim musterte sie nur von seinem Platz aus, das wütende Feuer in seinen Augen zumindest für den Moment erloschen.

Die Stimme des Zwergs war kaum mehr als ein Flüstern. ,, Sagt mir eines.“ , begann er. ,, Warum habt ihr mich grade nicht einfach liegen lassen ? Und sagt mir jetzt nicht ihr wüsstet nicht, was passieren würde, sollte ich überleben. Ihr hättet dafür sorgen können, dass ich nicht wieder aufwache. Ihr bräuchtet nur erklären ich sei gestürzt. Vermutlich würde mein Thane euch sogar glauben.“

Algim schien es wirklich nicht zu verstehen. Wie wurde jemand nur so? Algim mochte das Schwert seines Hauses sein, aber wie kam es das er nicht wusste was Empathie war? Oder Schuld ?

,, Ich schätze euch zu erklären, was Mitleid ist , würde Jahre dauern.“ , erklärte sie kühl. Es sollte sie nicht kümmern, sagte Elin sich. Der Mann war nach Kasrans Aussage älter als die meisten Menschen je wurden. Wie konnte es sein, das er Mitleid nicht begriff?

,,Ich sehe ihr habt eure Dreistigkeit nach wie vor nicht verloren. Aber falls es euch entgangen sein sollte, ein paar Jahre sind nichts für mich.“

Und das, wurde  Elin plötzlich klar, war der Punkt. Aus ihrer Sicht mochte Algim bereits uralt sein. Aus Sicht seines Volkes hingegen, da war er nicht mehr als ein Kind.

,, Habt ihr je Zweifle an dem was ihr tut ? Oder warum ?“

Der Zwerg zögerte. Offenbar hatte er nicht mit einer Gegenfrage gerechnet. Und ganz sicher nicht mit so einer. ,, Für eine Gefangene stellt ihr ziemlich unbequeme Fragen auf die ihr keine Antwort verdient. Aber ihr wart ehrlich zu mir also will ich es auch sein. Um die weniger persönliche Frage zuerst zu beantworten, ich wurde Ausgebildet seit ich zehn war. Fünfzig Jahre lang habe ich alles gelernt was man vom zukünftigen Marschall erwarten würde es gibt für mich kein warum. Keine Alternative. Das ist der Pfad für den ich geboren wurde, kleine Gejarn. Und ich werde ihm bis zu meinem letzten Atemzug verfolgen. Es gibt keinen Platz für Zweifel.“

Das, dachte Elin, klang beinahe zu sehr nach Galren.  Und wer hatte Algim letztendlich zu dem Gemacht was er war ? Kasran, sein Thane. Wie viel mehr musste es ihn da Schmerzen, das der selbe Mann, der ihn zur Waffe gemacht hatte ihn nun dafür Schalt, dass er seine Aufgabe erfüllte?

Einen Moment wirkte dieser ach so furchtbare Krieger nur all zu menschlich. Verloren in einer Rolle, die er nie gewählt hatte. ,, Wenn das die weniger persönliche Antwort ist…“

,, Mein Haus führt seinen Ursprung direkt auf den Herrn des Feuers und die Zeit vor unserer Flucht selbst zurück. Auch wenn die Wahrheit wohl nicht einmal mehr Kasran kennt. In seinem verschlungenen Geist gibt es Türen, die er nicht mehr zu öffnen wagt, Erinnerungen die er sich entschieden hat zu vergessen, wie mir scheint. Er ist selbst für einen Zwerg unglaublich alt. Aber eine Sache gibt es, die sich nie geändert hat. Wir sind seit jeher der Schild unseres Volkes gewesen. In der alten Heimat haben wir es mit dem Schwert geschützt. Nach unserer Ankunft hier haben wir die Wälle dieser Stadt aus dem Boden gestampft. Und jetzt seid ihr hier und der Prophet will uns alle in den Untergang führen. Erneut. Es gibt hier keinen Platz für Zweifel. Ich tue was ich für richtig halte.“ Algim stand auf. Der kurze Moment in dem er jeglichen Schrecken für Elin verloren hatte schwand. Stattdessen kehrte das Feuer in die Augen des Zwergs zurück. ,, Wenn es nach mir ginge, wärt ihr alle längst Tod und das Problem gelöst. Wenn eure Freunde in vier Tagen nicht das Weite suchen, wird es mir ein Vergnügen sein, diesen Fehler zu korrigieren.“

Er spuckte die Worte fast aus und erneut war es der unverhohlene Hass darin, der Elin einen wimmernden Laut entlockte. Algim war verrückt und brutal. Das dies nicht seine Schuld sein mochte, speilte in diesem Moment keine Rolle. Er wusste genau wie sie, dass er sich von diesem Pfad sehr wohl abwenden konnte. Das konnte man immer, dachte Elin. Niemand konnte einem sein Schicksal aufzwingen. Aber leider war die Wahrheit für den Marschall eine ganz andere. Er ging in seiner Rolle auf...

Algim stapften an ihr vorbei die Treppe hinauf ohne sie noch eines weiteren Blickes zu würdigen.

Elin hingegen blieb sitzen wo sie war, auch als Sentine wieder an ihre Seite flatterte. Der kleine Vogel schien sie besorgt zu mustern, als wollte er fragen ob sie weiter könnten.

,, Es geht schon.“ , erklärte sie leise, während sie sich schwerfällig aufrichtete. Nach wie vor stand sie nicht ganz sicher, aber Elin würde auch keinen Moment länger zögern. ,, Zeig mir wie man hier raus kommt…“

Als hätte Sentine nur auf ihr Kommando gewartet, segelte der Vogel die gewundene Treppe hinab. Die Gejarn musste sich beeilen um überhaupt noch mit ihr Schritt halten zu können und die Holzvertäfelten Wände rasten geradezu an ihr vorbei. Fenster jedoch gab es hier keine mehr.

Elin sah die Tür hinter der das Verließ lag, in dem sie vor einigen Tagen aufgewacht war. Hier war es überraschend kalt und sie verlangsamte ihre Schritte etwas. Sich das Gewicht der Erde um sie herum vorzustellen hatte etwas Beunruhigendes und immer noch führte die Treppe abwärts. Bisher war sie noch nie so weit unten gewesen, aber Sentine schien genau zu wissen wohin sie wollte. Z8elstrebig führte das Wesen sie bis zum Ende der Treppe, wo diese in einem großen, höhlenartigen Gewölbe mündete. Die Wände des Raums verschwanden in der Finsternis. Zögerlich trat sie unter einem, aus stabilen Holzpfosten errichteten, Türrahmen hindurch und sah sich um. Es gab nur eine einzige Lichtquelle, die den Raum etwas erhellte, eine Öllampe, die von einem Haken in der blanken Decke hing.

Elin streckte eine Hand danach aus und nahm sie an sich, während sie weiter in das Gewölbe hinaus trat. Sentine hatte sich mittlerweile in eine Fledermaus verwandelt und hängte sich prompt an den Boden der Laterne. So viel also dazu, sich den Weg zeigen zu lassen, dachte die Gejarn.

Kisten und Säcke mit Vorräten waren im ganzen Raum verteilt übereinander gestapelt. Ein wenig erinnerte das ganze sie an ihr Versteck im Laderaum der Immerwind aber... seit dem schien  so viel Zeit vergangen zu sein.

Auf den ersten Blick zumindest konnte sie absolut nichts entdecken, was einem Ausgang gleich käme, keine Leiter oder eine Tür die weiter führte. Aber Sentine hatte sie nicht aus einer Laune heraus hier heruntergeführt… falls das Wesen so etwas überhaupt hatte.

Eilig ging sie die Wände ab, die aus kaltem, grob behauenem Stein bestanden, fand aber wie schon erwartet nichts. Das hier war der Keller, wo sollte es hier auch schon hingehen? , dachte sie fröstelnd.

,, Du könntest mir ruhig helfen.“ , murmelte sie und kam sich im gleichen Moment dumm vor auf eine Fledermaus einzureden, die ungerührt mit jeder Bewegung der Laterne hin und her schaukelte.

Sentine reagierte nicht und machte auch keine Anstalten irgendetwas zu tun. ,, Na vielen Dank auch.“

Sie durfte sich hier nicht zu lange aufhalten. Ihr fehlen würde früher oder später bemerkt werden,

das war ihr klar und dann würde Kasran das Haus auf den Kopf stellen lassen. Und danach vermutlich die Weststadt. Bis dahin musste sie sich bereits weit weg befinden.

Elin trat resigniert gegen eine der Kisten, die von Moos und Moder überzogen auch prompt unter dem Treffer nachgab. Schwammiges Holz knirschte, bevor sich ein Strom aus Kartoffeln und Weizenkörnern über den Boden ergoss. Elin machte lediglich einen Schritt zurück und sah zu, wie die Körner in einem Riss im Fußboden verschwanden. Ein Riss in dem eine beachtliche Menge Getreide verschwand… Einer aus dem das gurgeln von Wasser heraufdrang…

Die Gejarn ließ sich rasch auf ein Knie nieder und spähte in den Riss, die Laterne so dicht neben ihr Gesicht haltend, wie möglich, ohne sich zu verbrennen. Tatsächlich glitzerte dort unten Wasser in der Tiefe. Der Grund um den Spalt herum war weich, als hätte die beständige Feuchtigkeit ihn genauso angegriffen wie die Kisten hier unten. Elin ertastete weiches Holz.

Vielleicht war hier einmal so etwas wie eine Luke gewesen, dachte sie, aber Jahrhunderte aus Staub und wohl auch einige Umbaumaßnahmen hatten sie praktisch unsichtbar werden lassen. Nun jedoch waren die Angeln lange verrostet und das Material so schwach, das sie nur ein wenig daran ziehen musste um es abzulösen.

Was darunter zum Vorschein kam, erinnerte sie an die Wasserrinnen, die sie in den Katakomben gesehen hatte nur kleiner. Klares, eiskaltes Wasser schoss in einem stetigen Strom dahin.

Selbst ein Zwerg würde niemals durch die Röhre passen, dachte Elin.  Aber sie selber war bei weitem nicht so massig. Es wäre einen Versuch Wert auch wenn sie keine Ahnung hatte, wo der Tunnel endete. Im schlimmsten Fall irgendwo in den Katakomben. Ein Todesurteil ohne einen Führer der sich auskannte. Im Besten vielleicht an einem der Stadtbrunnen. So oder so, es war ihre bisher beste Chance.

Elin schreckte kurz zurück, als das kalte Wasser ihre Stiefel und Hosen durchtränke. Es war nicht sehr tief, aber da sie sich nur geduckt bewegen konnte, war sie sofort triefnass.

Sentine hingegen hatte dieses Problem nicht und landete uneingeladen auf ihrer Schulter, um sich über dem Wasserspiegel zu halten. Bevor sie losging, zog sie noch rasch eine der morschen Kisten über die Lücke im Fußboden, die sie aufgebrochen hatte. Es war keine besonders gute Tarnung, aber besser, als ein Loch mitten im Raum zu hinterlassen. Das würde sofort zu fragen führen. Aber vom Zustand der Vorräte hier unten war das Lager wohl sowieso vergessen worden. Zumindest hatte sie nie einen Diener gesehen, der Waren von hier unten geholt hätte…

Grün leuchtendes Moos hing von der Tunneldecke hinab, manchmal so tief, das es fast das Wasser berührte. Elin riss einen Streifen aus ihrem Hemd und machte sich daran, die Pflanzen beiseite zu schieben, tunlichst darauf bedacht, dass sie auf keinen Fall ihre Haut berührten. Das würde kein Spaziergang…

 

Kapitel 69 Audienz

 

 

Armell ging unruhig vor dem Tor zum Thronsaal auf und ab. Sie und Hadrir warteten jetzt seit fast zwei Stunden darauf, dass der König sie endlich rufen ließ. Unruhig wanderte sie über den Kreuzweg zwischen den Gärten in der Vorhalle des Palastes. Das beruhigende Plätschern des Wassers hörte sie kaum, so wie sie geflissentlich die Blicke der Palastwachen ignorierte, die ihr bei jedem Schritt folgten. Fast die Hälfte der Männer war Mardar, wie Armell mit einigem Unbehagen feststellte. Wenn sie wollten, wären sie tot.

,, Der König steht zu seinem Wort.“ , meinte Hadrir, der ihre Unruhe wohl spürte. ,, Er wird uns nicht versetzen.“

,, Das nicht, aber die Wachen eures Vaters sehen aus, wie hungrige Löwen.“

,, Sie werden hier drinnen nichts versuchen.“ , erklärte der Zwerg düster. ,, Nicht wenn Algim seinen Kopf behalten will. Ein Angriff im Königspalast wäre eine offene Kriegserklärung an alle Häuser.“

Zumindest an alle Häuser, die den König unterstützten, dachte Armell. Aber wie viele waren das überhaupt noch ? Die Hälfte ? Ein Viertel ?

,, Wie viele Anhänger hat König Brunar den noch ?“

,, Etwa die Hälfte aller Häuser steht mittlerweile auf der Seite der Isolationisten, wo die Prophetenanhänger etwa ein Drittel ausmachen. Der Rest verteilt sich auf Königstreue und Unentschiedene, meist die kleineren Häuser ohne eigenes Militär. Ja ich weiß… das klingt nicht gut. Aber der König wird uns nicht enttäuschen.“

,, Und da seid ihr euch sicher ?“

,, Ich war es einmal.“ , gab Hadrir zu. ,, Und ich bedaure zu tieft, was die Jahre aus ihm gemacht haben. Mein Vater hat nicht mehr den Mut den Häusern entschlossener entgegenzutreten fürchte ich. Das war nicht immer so, es gab eine Zeit, da hatte das Wort des Königs Gewicht aber… in den letzten Jahren hat er immer mehr zugelassen dass wir zerbrechen. Diese Stadt, die Häuser… und ich glaube mit ihm hat es seinen Anfang genommen. Der König ist nicht mehr der Mann, den ich einmal kannte… verzeiht.“

,, Das ist doch nicht eure Schuld.“ Armell sah den Zwerg mitleidig an. Was konnte Hadrir dafür, dass sein Vater jetzt, wo es darauf ankam, versagte? Nichts. Wenn es jemanden in dieser Stadt gab der wirklich alles tat um ihnen zu helfen, dann doch er. ,, Hört auf euch etwas einzureden für das ihr nichts könnt.“

,, Und was wisst ihr schon davon ?“ , fragte der Zwerg plötzlich gereizt. ,, Ich habe zugesehen, wie diese Stadt langsam vor die Hunde geht und ich kann nichts aber auch gar nichts mehr dagegen tun. Vielleicht hat Vater am Ende Recht…“ Hadrir ließ sich auf die steinerne Ummauerung eines der Gärten sinken, die Hände resigniert im Schoß gefaltet. ,, Wir würden zumindest Zeit gewinnen… ohne euch.“

,, Hadrir…“

,, Aber ist es nicht wahr ?“ , fragte er leise. ,, Mein Volk lebt lange, Armell. Wir sind normalerweise langsam, handeln selten überstürzt… doch seit eurer Ankunft hier hat sich mehr verändert als in dem Jahrzehnt zuvor. Die Lage war zumindest halbwegs stabil… Also sagt mir, was wisst ihr schon davon?“

,, Eine Menge.“ , antwortete sie und setzte sich zu ihm. ,, Wisst ihr meine Heimat wurde vor zwanzig Jahren von einem Krieg erschüttert. Der Adel Cantons zerstritt sich über die Nachfolge unseres alten Kaisers, obwohl sein Erbe längst anerkannt worden war. Ein Teil der Lords und Fürsten allen voran ein Mann namens Andre de Immerson schlossen sich zu einem Bund zusammen um den Kaiser zu stürzen und das Reich unter ihre Kontrolle zu bringen. Ungeachtet aller Eide die sie geschworen hatten. Dieser Krieg hielt kein Jahr an, doch hat er das Land zerschmettert, fast keine größere Stadt im Land war unbeschädigt geblieben und die Toten sind angeblich erst zwei Jahre später alle begraben gewesen.“
,, War ihr Verrat den  Gerechtfertigt ? Ist ein König schwach, wen wundert es, das sich seine Untertanen gegen ihn wenden. Vielleicht ist es sogar besser, als wenn man ihn regieren lassen würde.“

,, Ich bezweifle es. Sie mögen den neuen Kaiser, Kellvian Belfare , für schwach gehalten haben ja… aber es ging nie darum das Imperium zu sichern. Der neue Kaiser hatte erst kurz vor Ausbruch der Kämpfe Frieden mit einem der ältesten Feinde Cantons geschlossen, etwas das vorher für Unmöglich angesehen wurde und das ohne einen einzigen Mann zu verlieren oder einen Fuß breit Boden abgeben zu müssen. Nein, sie hatten nur die Gelegenheit gewittert, das Chaos auszunutzen und sich zu bereichern. Kein einziger dieser Fürsten kann von sich behaupten nur aus Sorge oder Selbsterhaltung gehandelt zu haben.“
,,Warum erzählt ihr mir das alles?“ Der Zwerg machte eine wegwerfende Handbewegung und sah sie verständnislos an. ,, Es hat nichts mit mir zu tun. Weder beabsichtige ich meinen König zu hintergehen noch wäre ich in der Lage dazu.“

,, Ich erzähle euch das, weil meine Eltern Teil dieses Verrats waren, Hadrir. Sie schlossen sich Andre und seinem Bund an als dieser auf der Höhe seiner Macht war. Nicht vorher. Nicht später. Sondern in dem Moment wo es ihnen…günstig erschien. Ich habe lange Zeit gedacht, ich sei mit dafür verantwortlich, Hadrir. Das ihre Schuld auch meine wäre. Aber das ist es nicht. Es ist mir nicht möglich, Dinge die geschehen sind wieder gut zu machen. Aber ich muss mich deshalb nicht dafür schämen als wer oder was ich geboren wurde. Meine einzige Aufgabe ist, mit diesem Erbe zu leben und den Fehler nicht zu wiederholen. Also sagt mir… welche Schuld tragt ihr da?“

,,Keine Schuld, Armell.“ , erklärte Hadrir und rang sich zu einem blassen grinsen durch. ,, Verantwortung. Und ihr habt Recht. Vielleicht sollte ich aufhören mir die Schuld für Dinge zu geben die ich nie beeinflussen konnte oder wollte. Und vielleicht fangen wir hier damit an…“

Der Zwerg stand auf und bedeutete ihr einfach, ihm zu Folgen. Mit entschlossenen Schritten trat er auf die Wachen am Tor zum Thronsaal zu. Beide Männer waren schwer bewaffnet und in die verzierten Brustpanzer, die sie trugen, war das Wappen des Hauses Mardar, Spitzhacke und Balken, eingraviert worden.

,, Ich nehme an der König hat noch nicht nach uns gerufen ?“ , wollte Hadrir wissen.

,, Nein, Herr.“ So höflich die Worte waren, Armell kam nicht darum herum die Feindseligkeit zu bemerken, mit der die beiden Männer sie musterten. ,, Und wie ihr wisst, er ist ein beschäftigter Mann. Ich würde euch empfehlen einfach Morgen wiederzukommen.“

,, Nein, das glaube ich nicht.“ , erwiderte der Zwerg ruhig. ,, Mein Vater wird mich empfangen. Ich habe ihm das Versprechen angenommen, dass er die Fremden heute noch anhören würde. Ich bin sicher euch liegt nichts daran euren König zu entehren. Also wenn ihr uns passieren lassen würdet, werde  ich ihn gerne für euch daran erinnern…“

Der Wachposten knirschte mit den Zähnen, während er wohl überlegte, wie er Hadrir doch noch abweisen konnte.

,, Ich werde den König selber fragen.“

,, Und ihm sagen das ihr seinen Sohn vor der Tür habt stehen lassen ?“ , warf Armell ein. Das ging jetzt lange genug. Entweder Brunar Silberstein empfing sie jetzt oder sie würden auf seine Hilfe verzichten. Zum Spielball machen ließ sie sich nicht mehr. ,, Oder werdet ihr, sobald wir durch diese Tür gehen euren Thanen informieren, damit er auch ja jedes Wort das wir sprechen mitbekommt ?“

,,Vorsicht…“ Der Mann lies eine Hand in Richtung Schwertgriff wandern, doch Hadrir war schneller und legte seine Hand wiederum auf die des Wächters.

,, Zieht eure Waffe in diesen Hallen und ich werde dafür sorgen das morgen früh von eurem Haus nur noch Ruinen übrig sind. Darauf könnt ihr euch verlassen.“

,, Das will ich sehen.“

,, Gut. Versucht es. Greift an. Aber wenn ihr das tut, glaubt mir, ihr beide werdet heute noch sterben. Wenn nicht durch unsere Hand dann durch Kasrans. Glaubt ihr euer Thane wird  zwei Meuchelmördern Zuflucht gewähren und sich damit vor der ganzen Stadt entehren? “Hadrir flüsterte nur, doch die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Mann schien sichtlich in sich zusammenzuschrumpfen obwohl sein gegenüber unbewaffnet war. ,, Also. Wärt ihr nun so freundlich, dieses Tor zu öffnen?“

Der Posten zögerte noch einen Moment, dann jedoch gab er seinem Gefährten ein Zeichen und beide traten zurück um die schweren Flügeltüren aufzustoßen.

Hadrir trat gefolgt von Armell in den von Feuerschalen erhellten Thronsaal. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, die Halle überfüllt vorzufinden, so lange wie man sie hatte warten lassen, doch das Gegenteil war der Fall. Lediglich ein halbes Dutzend Zwerge in bunten Seidengewändern waren Anwesend und die meisten von ihnen verschwanden, sobald die zwei eintraten. Wohin konnte die Adelige nicht sicher sagen, vielleicht durch geheime Durchgänge in den mit geschliffenen Kristallscheiben behängten Wänden.

Burnar Silberstein saß inmitten des Kristall-Throns. Der violette Schimmer der von den Steinen ausging ließ den Mann noch älter wirken. Mit düsteren, ausdruckslosen Augen sah er zu, wie die Armell und Hadrir die Halle hinab auf ihn zukamen. Heute gab es hier keine Wachen, wie die Adelige überrascht feststellte. Offenbar hielt der König auch seine Posten außerhalb des Thronsaals…

,,Vater. Wir wissen beide, das es so nicht weiter geht.“ , rief Hadrir, noch bevor sie den Thron ganz erreichten und ohne sich zu verbeugen. ,, Siehst du, was aus unserer Stadt wird ? Wer alles unter deiner Sturheit leidet?“

Der Zwerg schien endgültig genug zu haben, als er auf das Podest stieg auf dem der Thron stand. Armell sah wie Hadrir zitterte, doch nicht vor Angst, sondern unterdrückter Wut.

,, Und glaubst du ich leide nicht darunter ?“ , fragte Brunar leise.

,, Nein. Und doch lässt du zu, dass die Mardar tun und lassen, was sie wollen? Bist du der König oder nur ein Zuschauer, das dein Wort in dieser Stadt nichts mehr zu gelten scheint!“

,, Ich habe eure Freunde gewarnt.“ , erklärte er und sein Blick wanderte zu Armell. ,, Was jetzt geschieht liegt schlicht nicht mehr in meiner Macht, sondern on der Kasrans.“

,, Oh doch, wir beide wissen das du sehr wohl etwas tun könntest!“ , fiel ihm Hadrir ins Wort, bevor Armell auch nur die Gelegenheit hatte, selber etwas zu erwidern. ,, Und glaub mir, ich gehe nicht bevor du es tust.“

,, Du vergreifst dich im Ton, Hadrir.“ Auch wenn es wohl wie eine Warnung klingen sollte, der König klang so müde, Armell war sich nicht sicher ob sie je einen Mann gehört hatte, der sich so…hohl anhörte. So absolut erschöpft. ,, Ich werde keinen Bürgerkrieg für irgendeine dahergelaufene riskieren, die sich nicht an ein paar simple Regeln halten konnte. Sag das deinen…Freunden auch ruhig so.“ Die müde Stimme des Königs schien Hadrirs Zorn abzukühlen wie ein Guss kaltes Wasser.

Trotzdem war der Zwerg noch nicht bereit, klein bei zu geben.

,, Und wenn nicht, was dann, Vater ?“ , fragte er. ,, Tust du dann endlich etwas, ja ? Lässt du mich dann aus dem Palast werfen?“

,, Die Unsterblichen mögen verhindern, dass es so weit kommt.“ Er hatte nicht Nein gesagt, dachte Armell. Hadrir schien seine ganze Frustration, die ganze Wut und alle Schuldgefühle mittlerweile gegen den König zu richten. Aber ihr war klar, dass sie so nichts erreichten. Vielleicht war es Zeit, einen etwas versöhnlichen Ton anzuschlagen.

,, Wir kamen unter eurem Schutz in diese Stadt, Herr… Ich verstehe nicht, wie ihr das ignorieren könnt.“

,, Ich ignoriere Mardars Taten nicht.“ , erwiderte der König.,, Aber ich habe zu aller erst meine Stadt zu schützen. Ihr wurdet mehrfach gewarnt. Und doch habt ihr euch entschieden zu bleiben. Jeder Versuch eure Freundin mit Gewalt zu befreien würde zwangsweise im Chaos enden. Freiwillig werden die Mardar nicht nachgeben. Und militärisch gegen ihn vorzugehen bedeutet einen Eklat ohne gleichen… Das würde uns direkt in einen Bürgerkrieg führen.“

Hadrir schüttelte den Kopf. ,, Vater, da sind wir längst. Nur das er noch nicht offen geführt wird.“

,, Es ist zu riksant.“

,, Riskanter als wenn eure Leute verdursten ?“ , fragte Armell und bereute es gleich darauf. Sie hatte sich eigentlich vorgenommen diplomatischer vorzugehen, aber Brunars komplette… Schicksalsergebenheit machte das schlicht unmöglich. Der Mann legte die Hände in den Schoß, während seine Welt brannte und hoffte, der nächste Regenschauer möge die Flammen für ihn löschen, bevor sie ihn erreichten.

,, Ich glaube ihr versteht nicht, wie gefährlich ein offener Krieg wirklich für uns ist. Unserem Volk werden nur selten Kinder geschenkt. Ein bitterer Ausgleich für unsere Leben, die Jahrhunderte dauern können. Ein Toter ist nicht leicht zu ersetzen, doch stellt euch vor was ein wahrer krieg uns abverlangt. Es würde unser Ende bedeuten oder wir bräuchten Jahrhunderte um uns wieder davon zu erholen. Deshalb ist, was der Prophet vorschlägt ja auch Wahnsinn. Wir können keine Risiken eingehen, wie euer Volk. Das Wasser hingegen reicht noch auf Jahre hinaus. Wir werden neues finden…“ Damit schien die Sache für den König beschlossen zu sein.

,, Möget ihr recht haben.“ , murmelte Armell.

,, Ich an eurer Stelle würde mir nur Sorgen um Mardar und ihren Thanen machen. Der Mann ist selbst für einen Zwerg uralt. Und das nicht, weil er zimperlich wäre. Im Gegenteil. Er weiß genau was er tut… und mir sind die Hände gebunden. Am besten ihr tut einfach, was sie verlangen…“

,, Also lässt du uns wieder mit leeren Händen abziehen ?“ Hadrir sah den König nur fassungslos an.

,,Es tut mir leid. Aber ich werde euch in vier Tagen begleiten. Mardar wird sich an seine Abmachung halten, das zumindest kann ich sicherstellen. Aber mehr werde ich  nicht tun…“

,,Aber…“ , setzte Armell an.

,, Das ist mein letztes Wort. Geht nun, bevor ich dafür Sorge das man euch entfernt.“

 

 

 

Die Sonne brachte das Meer jenseits des Hafens zum Leuchten. Unerbittlich brannten ihre Strahlen auf den dunklen Granit der Stadt herab und trieben die meisten ihrer Bewohner in den Schutz ihrer Gärten und Häuser. Sie jedoch hatten sich an Deck der Windrufer versammelt und warteten ungeduldig darauf, dass sowohl Armell als auch der Zwerg von der Entscheidung des Königs berichteten. Lias schüttelte nur fassungslos den Kopf, als die beiden  von ihrer Audienz berichteten.

Und auch Galren glaubte jedem Wort glaubte er weniger, was er zu hören bekam und doch… es schon zu sehr zu dem zu passen, was sie bisher in dieser Stadt erlebt hatten. In seinem Inneren brodelte es.

,, Ihr meint er wird allen Ernstes einfach.. nichts tun?“ , fragte der Löwe.

,, Es sieht so aus.“ , erklärte Armell erneut. ,, Der König scheint überzeugt, dass es keinen Weg gibt, wie er uns helfen könnte… oder wollte, glaube ich eher.“

Betretenes Schweigen senkte sich über die kleine Gruppe an Deck. Merl hatte sich auf einem Fass unter dem repartierten Schiffsmast niedergelassen. Naria schwieg zu all dem, wie sie es auch sonst so oft tat und Galren schloss lediglich die Augen. In seinem Kopf hämmerte es. Der König war ihre letzte Chance gewesen…Hadrir wagte es kaum von seinem Platz direkt an der Laufplanke zum Hafen aufzusehen, wohingegen weder Lias noch Hedan lange stillzustehen schienen. Beide Männer liefe unruhig an Deck auf und ab, der eine in eigene Gedanken gesunken, der andere Laut fluchend.

,, Ich sage es reicht.“ , erklärte der Kapitän kalt. ,, Hadrir, wenn euer Vater nichts unternehmen will, dann müssen wir das eben selber tun. Es geht hier nicht um einen seiner Leute sondern um einen der unseren…“

Lias stimmte ihm mit einem Nicken zu. ,, Das Haus ist nur schwach bewacht. So wie es aussieht, verlassen sie sich darauf, dass wir den Frieden des Königs halten. Aber wenn wir geschlossen zuschlagen… dann haben wir eine Chance.“

,, Sagt mir nur Bescheid, wenn ihr losschlagen wollt.“ , antwortete Hedan. ,, Ich stehe in jedem Fall hinter euch. Mir bedeuten eure Gesetze und eure Politik nichts, Zwerg. Die Kleine hingegen schon.

,, Euer Vater würde das kaum dulden, oder ?“ , fragte Galren. Ihm gefiel die Idee nicht. Nicht weil Brunar befürchtete, dass es einen Bürgerkrieg auslösen konnte, aber wenn sie ein Haus angriffen… dann waren ihre Tage in dieser Stadt gezählt und zwar sofort. Er hätte keine Chance mehr, irgendetwas in Erfahrung zu bringen. Endgültig.

,, Der König kann einen offenen Angriff auf ein Adelshaus niemals einfach ignorieren.“ , erklärte der Zwerg derweil und bestätigte damit Galrens Befürchtungen. ,, Vermutlich werden wir fliehen müssen, sobald wir Elin haben. Dadurch machen wir uns die ganze Stadt zum Feind und der König wird uns ausweisen  wenn nicht sogar in Ketten legen. Letzteres, Vorausgesetzt man erwischt uns. Sobald wir Elin haben, müssen wir weg.“

,, Uns ?“ , wollte Armell wissen.

Der Zwerg nickte und zog den Streithammer aus einer Schlaufe an seinem Gürtel.  ,, Es ist mir herzlich egal. Ich bin dabei, was immer ihr auch tut. Soll mein Vater entschieden ob ihm sein falscher Friede oder sein Sohn wichtiger ist. Meine Entscheidung steht jedenfalls.“ Hadrir grinste, bevor er die Waffe wieder sinken ließ. Die ganze Haltung des Zwergs schien sich etwas verändert zu haben, wirkte freier, als noch einige Augenblicke zuvor. ,, Das geht zu weit.“

Galren sah einen Moment nur wortlos von einem zum anderen. ,, Der König wird uns davonjagen.“ Es war eine Feststellung keine Frage.

,, Und ?“ , wollte Merl  wissen. ,, Galren, wir ersparen Elin ein Tage der Gefangenschaft. Und das setzt voraus, das Algim überhaupt daran denkt sich an sein Wort zu halten. Besser jetzt… als vielleicht nie.“

Galren seufzte. Wie sollte er ihnen den klar machen, dass es einfach… wichtig war, das er mehr Zeit bekam. Ihm war klar, dass die anderen einfach nicht sehen konnte, wie greifbar die Lösung zu allem sein musste. Und erst seine Begegnung mit dem Mann in der Weststadt. Sie konnten noch nicht weg, das war einfach unmöglich.   ,, Sieht den niemand außer mir, das wir uns damit alle unsere Chancen zerstörten ?“

,, Eine Chance auf was, Galren ?“ , fragte Lias. ,, Ich habe es dir schon einmal gesagt, solange diese ganze Stadt scheinbar nur das Ziel kennt uns loszuwerden… ist es vielleicht das beste ihr diesen Gefallen zu tun. Ich weiß wie es dir dabei geht aber… wir reden hier davon, dass du das Leben von jemand riskieren willst. Für nichts. Ich kann dir dabei nicht helfen, Galren… ich sage, wir holen Elin, heute noch, dann sehen wir zu das wir hier wegkommen und in ein paar Jahren, wenn man uns vergessen hat, können wir versuchen noch einmal zurück zu kehren. Vielleicht stehen die Dinge dann anders.“

,,Vielleicht…“ Galren wendete sich von dem Gejarn ab und sah aufs Meer hinaus. In Richtung Heimat. Ein ferner Teil von ihm wusste, dass es das richtige wäre. Der andere jedoch war absolut davon überzeugt dass er nicht gehen durfte. Verließen sie die Stadt jetzt würde er nie zurückkehren… und niemals seine Antworten finden. Für immer getrieben von dem, was er nicht wissen konnte.

Aber bist du das nicht längst? Galren wischte die Frage weg, wie eine lästige Fliege.

Seltsamerweise war es ausgerechnet Naria, die ihm plötzlich zur Hilfe kam.

,, Ich muss Galren allerdings teilweise recht geben. Es wäre keine gute Idee, einfach das Anwesen der Mardar zu stürmen. Wenn auch nicht aus seinen Gründen. Wenn wir Elin nicht finden, wenn sie beispielsweise woanders untergebracht ist oder Algim sie versteckt, was tun wir dann? Ich meine nachdem wir grade sämtliche Gesetze dieser Stadt auf einmal gebrochen haben? Ohne sie fliehen?“

,, Wir können doch nicht einfach abwarten ! , warf Hedan ein.

Die Gejarn schüttelte den Kopf. ,, Das sage ich ja nicht, aber… vielleicht haben wir wirklich die beste Chance, alle Heil aus der Sache raus zu bringen, wenn Algim sie freiwillig rausgibt.“

,, Ich glaube da kennt ihr ihn schlecht.“ , meinte Hadrir. ,, Wenn dann müssten wir wirklich abwarten, bis er sich in vier Tagen mit uns trifft und wenn bis dahin kein Wunder geschieht…“

,, Auf Wunder können wir kaum hoffen.“ , sagte Armell. ,, Aber wir können selber etwas tun, das ist meiner Meinung nach besser als sich auf die Gnade des Marschalls zu verlassen.“

Galren wendete sich von den Streitgesprächen ab. Sie kamen ja doch keinen Schritt weiter. Die Stimmen der anderen hallten leer in seinen Ohren wieder. Ein Wunder das die Gejarn irgendwie zurück brachte… ja. Das bräuchten sie wirklich. Aber Elins Befreiung würde nichts besser machen. Nicht für ihn.

Erst nach einer Weile fiel ihm auf, dass es Totenstill um ihn herum geworden war. Sämtliche Gespräche waren fast zeitgleich verstummt, während Hedan, Armell und die anderen allesamt auf eine kleine Gestalt sahen, die sich soeben die Schiffswand hinaufzog. Offenbar war sie bis hierher geschwommen. Triefnass und mit zerrissenen und stellenweise verätzten Kleidern.

Elin schlotterte vor Kälte obwohl es helllichter Tag war und ihr generell erbärmlicher Zustand wurde durch eine große Platzwunde an ihrer Stirn nur noch unterstrichen. Trotzdem strahlte sie.

,, Das nächste Mal, warn mich bevor ich vom Wasser ins Meer gespült werde.“ , meinte sie an den kleinen Vogel gerichtet, der auf ihrer Schulter saß. Erst jetzt schien ihr aufzufallen, das sie alle sprachlos anstarrten, als wäre sie ein Geist. ,, Also, ich nehme an ihr habt euch Sorgen um mich gemacht ja ?“

Hatte Galren eben noch gedacht es bräuchte ein Wunder? , fragte er sich. Nun die Kleine hatte ihres offenbar in Sentine gefunden. Nur dummerweise machte das die Sache nicht einfacherer.

Keiner der anderen merkte, wie sich seine Züge verdüsterten, während die Stille endlich brach und sie mit tausend Fragen auf Elin einstürzten…

 

Kapitel 70 Verdammung

 

 

 

Elin war nur froh, wieder hier zu sein, als man sie unter Deck brachte, in ein dutzend Mäntel  gehüllt, die langsam die Wärme in ihre Glieder zurück brachten. Auf dem letzten Stück Weg durch die Tunnel hatte sie schwimmen müssen und war mehr als einmal mit vorbeitreibenden Moosstücken in Kontakt gekommen. Der Saft der Pflanzen hatte schwarze Flecken auf ihrer Kleidung hinterlassen. Ihr war selber klar, wie viel Glück sie gehabt hatte, vor allem, als die Tunnelmündung sie schließlich ins Meer spülte, keine drei Steinwürfe vom Rumpf der Immerwind entfernt.

Alle hatten sich um sie herum versammelt, während Elin von ihrer Flucht erzählte und Naria sich ihre Verletzungen  ansah. Die meisten waren nur Oberflächlich. Kratzer, die sie sich in den Tunneln zugezogen hatte , ein paar Verbrennungen wo sie einer der Grünpflanzen nicht mehr ausweichen konnte… Lediglich die Kopfwunde rief sich noch immer bei jeder Bewegung wieder in Erinnerung. Ein schmerzhaftes Pochen, das manchmal so stark wurde, das ihr schwindelte. Das würde eine Narbe geben, das wusste sie jetzt schon. Und dennoch könnte es die Gejarn nicht weniger kümmern. Sie hatte es geschafft. Und die anderen schienen ihre Erleichterung zu teilen. Alle… außer Galren.

Aber vielleicht zeigte der Mann das nur nicht so offen? Oder er war mit seinen Gedanken einfach schon wieder Meilen voraus… Trotzdem musste sie unwillkürlich kurz an Kasrans Worte denken. Das es Galren gewesen war, der so völlig uninteressiert an den Forderungen des Thanen gewesen sei….

So oder so, seine Gesichtszüge blieben völlig Nichtssagend, während er sich am Rand der kleinen gruppe hielt, die sich um eine Nische im Bauch des Schiffes gesammelt hatte. Elin selbst saß auf einer kleinen Bank und ließ zu, das Naria die Wunde an ihrer Stirn mit irgendetwas auswusch, dessen Geruch furchtbar in der Nase stach… und noch einmal so schlimm brannte, wenn es mit der offenen Haut in Kontakt kam.

Elin versuchte sich irgendwie von den Schmerzen abzulenken und ihr Blick wanderte wieder zu Galren. Sie lächelte ihm kurz zu. Nicht ihr übliches, schelmisches Grinsen, das wollte ihr bei ihm einfach nicht gelingen.

Doch der Mann reagierte nicht einmal ansatzweise, wie sie gedacht hatte. Er machte lediglich eine kaum wahrnehmbare wegwerfende Handbewegung… bevor er sich einfach wegdrehte. Er sagte kein Wort, es gab nicht einmal die kleinste Veränderung in seinem seltsam blassen Gesicht. So wenig Elin das zugeben wollte, so sehr sie sich sagte, dass es ja nichts zu sagen hatte… es tat weh. Sie schien ihm schlicht völlig egal zu sein… Elin wäre am liebsten aufgestanden um ihn zur Rede zu stellen, egal ob sie dann als Idiotin dastünde. Das schien nicht der Galren zu sein, den sie kannte und sie war erst wenige Augenblicke wieder hier. Als hätte jemand den Mann mit jemand völlig anderem Ausgetauscht. Was war nur los mit ihm?

,,Aua…“ Scharfer Schmerz riss sie zurück in die Wirklichkeit. Naria hatte erneut irgendeine Tinktur auf die kleineren Verätzungen aufgetragen, welche ihre Arme und Beine überzogen. ,, Ihr schimpft euch doch Magierin. Könntet ihr die nicht mal nutzen?“ , fragte Elin ungehalten und erntete damit nur ein Schmunzeln von Seiten der Gejarn.

,, Wisst ihr wie schmerzhaft ein Heilzauber sein kann ?“ , wollte sie im Gegenzug wissen. ,, Es gibt einen Grund warum ich es auf mich genommen habe, zu lernen Leuten ohne Magie zu helfen. Die meisten fürchten sich sogar davor…“

,,Nein…“ Halb tat es ihr schon wieder Leid die junge Magierin  angefahren zu haben und sei es auch nur aus dem Affekt heraus. So unheimlich Naria sein konnte, sie tat alles um ihnen zu helfen. Halb rechnete sie damit, das Galren sie fragen würde, ob ich nun doch der Tee lieber wäre. Aber der Mann war tatsächlich nirgendwo mehr zu sehen… Elin lehnte sich zurück in die Polster und wartete einfach darauf, dass das Brennen nachließ. Am Ende fühlte sie sich zum ersten Mal seit einer Weile wieder sicher. Alles andere würde sich schon klären.

,, Ihr seid wirklich wie ein verdammter Floh.“ , meinte Hedan grinsend. ,, Die wird man auch nicht mehr los wenn man sie einmal hat. Aber was bei allen Seegöttern ist mit euch passiert? Das nenne ich mal einen blauen Fleck…“

Er deutete auf die Platzwunde, die nach wie vor nicht aufgehört hatte zu bluten, während Naria ihre übrigen Kratzer versorgte. Trotz seines lockeren Tonfalls konnte Elin die Sorge in seiner Stimme hören. Sorge und Wut, weil er die Antwort offenbar schon ahnte.

,, Der Marschall schlägt wie ein Mädchen.“ , erklärte sie nur ernst und der Kapitän brach fast im gleichen Augenblick in schallendes Gelächter aus. Schwer atmend und nach wie vor gelegentlich kichernd, griff er schließlich hinter sich und förderte zwei Zinnbecher und eine kleine Silberflasche zutage.

,, Zwergenmädchen vielleicht.“ , meinte Hedan und lachte erneut kurz auf. ,, Aber wenn die schon so zuschlagen, glaubt mir, dann will ich in dieser Stadt nie in eine Kneipenschlägerei geraten.

Glaubt mir ich kenne Gestandene Männer die  nach so was heulend am Boden lägen und sich nicht mehr rühren würden… Hier.“

Mittlerweile hatte er die beiden Becher mit einer goldenen Flüssigkeit gefüllt und bot ihr einen davon an.

,, Was ist das ?“ , Elin zögerte kurz, während sie an dem Getränk schnupperte. Es hatte etwas vertrautes, den würzigen Geruch von Obstgärten im Spätherbst, wenn die Früchte Schwärme aus Wespen anzogen…

,, Pflaumenschnaps aus Risara. Ich sage ihre Weine sind um Längen besser, aber das Betäubt um einiges schneller. Ich habe dort mal einen Mann gekannt, der damit prahlte ein Fass ihrer Süßweine alleine leeren zu können. Aber nach einer Flasche von dem Zeug ist er umgekippt ohne noch einen Ton von sich zu geben.“

Elin zuckte lediglich mit den Schultern und stürzte den Inhalt des grade einmal Daumentiefen Bechers hinunter. Hedan lachte lediglich als sie kaum einen Herzschlag später darum kämpfte, die Fassung zu bewahren. Geister, der Mann hatte nicht übertrieben. Sie fühlte sich einen Moment als hätte sie flüssiges Blei getrunken. Blei mit einem alles Überdeckenden, Übelkeit erregenden Zimtgeschmack.

,, Ich nehme an, euer Bekannter ist kleiner als ich gewesen.“ , murmelte sie schließlich, als sie ihrer Stimme wieder traute.

,,Scheint so. Naria. Sie wird doch wieder, oder?“ , fragte Hedan, als die Gejarn sich daran machte, die Platzwunde auf Elins Stirn endgültig mit einem sauberen Leinen-Streifen zu verbinden.

,, Sicher. Allerdings würde ich ihr empfehlen eine Weile nicht zu klettern zu rennen oder… generell irgendetwas zu tun außer sehr langsam zu gehen. Da ich allerdings weiß, das ihr sowieso nicht auf mich hörten werdet…“ Naria rang sich ein kurzes Lächeln ab, bevor sie Elin eine Handvoll olivgrüner, fleischiger Blätter in die Hand drückte. ,, Wenn euch schlecht wird, versucht eines davon zu kauen.“

,, Besser, Elin nimmt sie mit. Sie muss ohnehin so schnell wie möglich zurück!“ Die Stimme brachte sie alle dazu den Kopf zu drehen. Ihr Urheber stand auf den Stufen, die hinauf zum Deck des Schiffes führten. Trotz des Lichts, das durch die Öffnung hereinfiel schien es dort, wo er stand irgendwie… dunkler zu sein als hier bei ihnen. Aber vielleicht war das auch nur die Erschöpfung, dachte Elin. Was ihr viel mehr Gedanken machte, war die Art, wie der Mann sprach. Und wovon…

Galren trat langsam die restlichen Stufen hinab und auf sie zu.

Hadrir war der erste, der seine Stimme wiederfand. ,, Entschuldigt mich ? Aber sie ist grade erst zurück. Was glaubt ihr…“

Er ließ dem Zwerg keine Zeit auszusprechen, sondern wendete sich jetzt direkt ihr zu.  ,, Ihr müsst sofort zurück, bevor euer Fehlen noch jemanden auffällt…“

Zum ersten Mal seit sie wieder hier war zeigte sich eine Emotion auf Galrens Gesicht… Wut. Er schien schlicht und ergreifend aufgebracht darüber das… ja was? Das sie entkommen war?

,, Hast du den Verstand verloren ?“ , fragte Lias.

,, Ihr könnt unmöglich auch nur daran denken, das Mädchen wieder in Gefangenschaft zu schicken.“ , begehrte Hedan fast zeitgleich auf. Beide Männer standen Galren gegenüber, einer nur sprachlos, der andere wütend.

,, Ich habe die Dinge selten klarer gesehen.“ , erwiderte der Mann kühl. ,, Wenn ihre Flucht entdeckt wird, glaubt ihr die Mardar lassen das auf sich sitzen ?“

,,Nein. Genau deshalb verschwinden wir jetzt auch baldmöglichst von hier.“ , mischte sich nun auch Armell ein.

,, Ich brauche mehr Zeit.“ , erwiderte Galren.

Die junge Adelige schüttelte ungläubig den Kopf. ,, Ach, und ich nehme an Elin hat dabei kein Wort mitzureden, ja ?“

,, Das habe ich nicht gesagt…“ Er sah plötzlich wieder in ihre Richtung. Nicht das Elin in der Lage gewesen wäre eine Antwort zu geben. Sie sollte was? Zurück ? Unbewusst strich sie über den Verband an ihrer Stirn. Die Schmerzen die grade angefangen hatten nachzulassen, waren sofort wieder da. Das konnte Galren unmöglich ernst meinen das… Der Mann den sie kannte tat so etwas einfach nicht… Und doch schien es ihm absolut ernst, wie er mit vor der Brust verschränkten Armen auf eine Antwort wartete. Es gab nur eine Antwort. Aber gleichzeitig würde er sie dafür hassen. Er scheint dich jetzt schon nicht zu mögen, erwiderter eine sarkastische Stimme in ihrem Kopf.

,, Du wirst nichts dergleichen tun.“ Lias legte ihr eine Hand auf die Schulter und trat an ihr vorbei auf Galren zu. Die Arme weit ausgebreitet als wollte er sich als Schild zwischen sie alle und den Menschen stellen. ,, Bitte… Ich liebe dich wie den Sohn den ich nie hatte also… bitte… tu mir und dir das nicht an. Hörst du dir überhaupt noch selbst zu?“

,, Das tue ich sehr wohl.“ Es gab keine Spur des Zögerns in seiner Stimme.

,, Ich nehme an, der Tee den ich euch gegeben habe wirkt nicht…“ , stellte Naria leise fest, während sie sich von Elins Seite erhob. Mit wenigen Schritten war sie neben Lias und Hedan.

,,Hört endlich damit auf.“ Nun stellte sich auch Merl und mit ihr Armell an ihre Seite. ,, Bitte.“

,, Nein. Das hat er nie glaube ich.“ Es schien ihn gar nicht zu kümmern. ,, Also, was ist jetzt ?“

,,Galren…“ Lias trat noch weiter auf ihm zu und ließ die Arme sinken. Seine Stimme war sanft, nicht  wütend oder aufgebracht. Erst als kaum ein Schritt Platz mehr zwischen ihm und dem halb wahnsinnigen Menschen war, blieb er stehen. ,, Sei ehrlich, wann hast du das letzte Mal auch nur  geschlafen ?“

Einen Moment glaubte Elin, das Lias irgendwie zu ihm durchkam. Galren machte einen halben Schritt zurück und schloss die Augen. Dann jedoch holte er mit der Faust aus und schlug zu. Sie konnte hören, wie der Schlag Lias mitten ins Gesicht traf.

,, Du bist nicht mein Vater.“ , zischte Galren leise, doch in der einsetzenden Stille war es unüberhörbar. ,, Also hör auf so zu tun, als ob.“

Der Hieb hatte Lias kaum verletzt, doch was Galrens Faust nicht schaffte, schafften seine Worte. Elin konnte geradezu sehen, wie der Mann nach Worten suchte und wie seine Augen eine Spur dunkler zu werden schienen. Einen Moment lang starrte er den Mann nur wortlos an, voller Entsetzen und auch Galren zitterte. Sie konnte spüren, das ein Teil von ihm sich am liebsten sofort entschuldigen wollte doch auch ihm kam kein Wort mehr über die Lippen. Das war ein Alptraum… Algim hatte sie in Wirklichkeit bewusstlos geschlagen oder sie ertrank grade in den Tunneln oder… alles nur nicht das.

,,Nein.“ , murmelte Lias schließlich. Seine Stimme war tödlich leise geworden. ,, Und es wurde vielleicht Zeit, das du mich daran erinnerst. Tu was du willst… aber ohne mich.“

Mit diesen Worten trat der Gejarn an Galren vorbei und verschwand mit eiligen Schritten die Treppe hinauf. Es dauerte scheinbar eine Ewigkeit, bis sich wieder einer von ihnen rührte und diesmal war es Armell.

,, Galren, das geht jetzt zu weit. Ihr habt hier nicht alleine das sagen.“ , erklärte sie. ,, Ganz im Gegenteil. Diese Expedition hat ihr Ziel erreicht. Und so Leid mir das für euch tut… sie ist jetzt und hier beendet. Und ich denke Hadrir und die anderen werden mir da zustimmen. Wir kehren morgen nach Canton zurück. Mit Elin und ob mit oder ohne euch ist mir dann ehrlich gesagt egal !“

,,Ist… schon gut.“ Elins eigene Stimme schien von weit herzukommen, als sie schließlich aufstand. Sofort richtete sich die Aufmerksamkeit aller auf sie. Ihre nächsten Worte kamen ihr selber fremd vor, als würde jemand anderes sie für sie sprechen. ,, Ich mache es. Ich gehe zurück.“

,,Ihr wisst nicht, was ihr sagt, Mädchen.“ , rief Hedan. Leider, dachte Elin, wusste sie das nur zu gut.

,, Ihr sagtet doch, ich solle sie fragen.“ , erwiderter Galren und der kalte Ton in seiner Stimme war alles, was sie hören musste. Es reichte… Alles war grade besser als einen weiteren Augenblick hier zu bleiben. Ein Wort, das wäre alles.  Und trotz allem konnte sie es nicht übers Herz bringen... Sie konnte Galren nicht einfach aufhalten und das alles beenden. Und warum nicht ?

,,Ich komme zurück.“ , erklärte sie nur leise. Sie wusste es nicht. Den der Mann den sie zu kennen glaubte war ganz ohne Zweifel Tod, so sehr sie das leugnen wollte…

 

 

Kapitel 71 Rückkehr

 

 

 

Der Weg zurück durch die Tunnel erschien ihr um ein vielfaches länger, als zuvor. Vielleicht weil Sentine dieses Mal nicht bei ihr war. Oder weil Elin sich nach wie vor dagegen sträubte eine simple Tatsache anzuerkennen. Galren hatte sie zurück geschickt…

Sie achtete kaum auf die von der Decke hängenden Pflanzen, die ihr Haut und Kleider versengten.

Galren ausgerechnet von allen. Der Gedanke wollte sich einfach nicht setzen. Geister, sie war so froh gewesen ihn und die anderen gesund wiederzusehen. Und Galren sah aus, als würde er sie am liebsten umbringen. Weil sie entkommen war…  Und jetzt… Elin fand sich in einem seltsamen Wechselbad aus Gefühlen wieder. Wut, Schmerz, Unsicherheit… Aber vor allem grenzenlose Enttäuschung. Zum ersten Mal in ihrem Leben wusste sie, was Verbitterung hieß. Sie hatte bis zuletzt versucht zu leugnen, was nicht zu übersehen war.  Und warum gehst du dann jetzt trotzdem zurück? , fragte sie sich selbst. Warum tust du trotz allem was er wollte?

Weil sie trotz besserem Wissens hoffte, dass der alte Galren doch noch irgendwie existierte. Der Mann der sie unter Einsatz seines Lebens hierhergeführt hatte, der sich für sie und alle anderen Eingesetzt hatte wann immer es nötig schien. Der dem sie es nicht antun konnte, ihm in den Rücken zu fallen… selbst wenn es zu seinem besten wäre. Diesem Mann gab sie drei weitere Tage.. Nicht dem Besessenen. Nicht dem Mann, der seine Freunde und Gefährten nicht einmal mehr zu erkennen schien, wenn sie nicht taten was er wollte… Der Mann, der sie nur als ein Problem sah, das er lösen musste.

Galren schien jeden Sinn für irgendetwas anderes als seine Jagd nach Phantomen verloren zu haben. Dabei gäbe es mehr als genug Gründe tatsächlich noch zu bleiben. In ein paar Tagen würden sie einfach abziehen und die Zwerge hier in einem wachsenden Konflikt zurücklassen… einem Konflikt in dem niemand wusste, das ihnen langsam aber sicher das Wasser ausging.

Elin hatte es bisher nicht gewagt, Kasran davon zu erzählen. Algims Reaktion war ihr Lektion genug gewesen, das sie vermutlich gut daran tat, aber… musste sie es nicht zumindest versuchen?

Galren mochte das alles egal sein, aber das hieß nicht, dass es ihr genauso gehen musste… Und sie war die einzige, die in der Position wäre, den Thanen zu informieren, oder?

Vor sich konnte Elin jetzt einen schwachen Lichtschimmer erkennen, der nicht von Moos und Algen herrührte. Das war nicht der grünliche Schimmer phosphoreszierende Pflanzen sondern das flackernde, unstete Licht einer Laterne. Es drang irgendwo weiter vorne durch eine Lücke in der Decke des Tunnels, den sie nur als hellen Streifen erkennen konnte. Der Ausstieg, dachte Elin.

Doch anstatt erleichtert zu sein blieb sie einen Moment stehen und ließ sich gegen die runden Steinwände in ihrem Rücken sinken. Die Gejarn atmete mehrmals tief durch, während sie ein paar der Blätter kaute, die Naria ihr gegeben hatte.

Sie wollte nichts weniger, als zurück in dieses Haus. Und doch hatte sie sich irgendwie selbst davon überzeugt, dass es ihre beste Möglichkeit wäre…  Elin spürte wie ihre Hände sich zu Fäusten ballten. Das war Galrens Schuld. Nein, nicht Galrens… aber die Schuld des Dings, das jetzt irgendwie seinen Namen trug. Der Mann den sie kannte war weg.

Rede dir das nur ruhig weiter selber ein, wenn du dich dann besser fühlst, sagte sie sich selbst. Aber es ändert wenig daran, dass du trotz allem wieder hier bist. Weil du ein hoffnungsloser Fall bist, Elin. Du warst von Anfang an nicht auf dieser Expedition vorgesehen… Hier wird Algim dich vielleicht töten… dort Galren. Also was genau glaubst du damit  zu erreichen? Sie wusste es nicht. Sie wusste ja nicht einmal, wohin sie gehörte. Nur das sie trotz allem wieder aufstand und schließlich weiterging.

Die Kiste stand noch genauso über der Öffnung im Boden des Kellers, wie sie sie zurück gelassen hatte. Spärliches Licht, das sie schon zuvor bemerkt hatte, drang durch die Lücken im Holz, während sie das Hindernis bei Seite schob und sich nach oben auf den Fußboden hangelte. Um sie herum war alles ruhig, als sie schließlich im Keller des Anwesens auf die Füße kam. Alles war noch genauso wie sie es zurück gelassen hatte und sie konnte ihre eigenen Fußabdrücke noch im Staub erkennen, der sich überall gesetzt hatte. Sonst jedoch war wohl niemand hier gewesen. Das war gut. Wenn noch niemand hier nachgesehen hatte, war ihr fehlen vielleicht nicht entdeckt worden.

So schnell sie konnte, hastete die Gejarn die Stufen der Wendeltreppe hinauf, immer darauf lauschend ob ihr jemand entgegen kam. Es würde ihr schwer fallen zu erklären, wieso von allen Orten, sie sich für den verstaubten, alten Keller des Anwesens interessierte. Und im Zweifelsfall war der Wassertunnel nach wie vor ihre einzige Möglichkeit zu entkommen. Vielleicht, wenn sie sich nur nachts rausschleichen würde…

Und was würdest du dann tun? , fragte sie sich erneut selbst. Nein. Sie wollte und konnte weder Galren noch den anderen so bald wieder gegenübertreten. Geister, was war in den letzten Tagen nur passiert… oder hatte sie die Veränderung nur nicht bemerkt? Auf dem Hinweg waren sie eine ungleiche Truppe gewesen sicher, aber sie hatten sich irgendwie aufeinander verlassen können. Jetzt… zerbrach alles.

Elin erreichte endlich das obere Stockwerk des Gebäudes, wo sich auch der Raum befand, den Kasan ihr zur Verfügung gestellt hatte, für die Größe des gesamten Hauses nicht mehr als eine Abstellkammer, aber nach wie vor geräumiger als die meisten Zimmer, in denen sie je übernachtet hatte. Und ihre Eltern waren oft auf Reisen gewesen, erinnerte sie sich. Und meist hatte Elin sie dabei auch begleitet. Es war als könnten beide einfach nicht lange an einem Ort bleiben auch wenn sie letztlich immer wieder zu ihrem  Haus an der östlichen Sonnensee zurückgekehrt waren. Die Erinnerung hatte etwas Tröstliches. Auch wenn es so etwas wie ein wirkliches festes Zuhause für sie nie gegeben hatte… es war das was dem immer noch am nächsten kam. Und doch war es nicht Heimweh, das sie für sich einnahm. Es war der simple Wunsch diese ganze Sache endlich einfach zu einem Abschluss zu bringen. Irgendwo musste es einen Schlussstrich geben, bald.

Sie streckte die Hand nach einer Tür aus, die von der Treppe wegführte. Bevor sie jedoch dazu kam, sie zu öffnen, konnte Elin Stimmen von der anderen Seite hören.

,, Was soll das heißen sie ist verschwunden ?“ Das war Kasrans Stimme. Ihr war sofort klar, dass er sie meinte, trotzdem klang der Thane offenbar mehr ungläubig als besorgt.

,, Ich kann sie nirgends mehr finden und ich habe die halbe Dienerschaft befragt.“ Das war Algim, der aufgebracht auf seinen Herrn einredete. ,, Die Wachen im Garten schwören mir ebenfalls sie dass sie nichts gesehen haben, nicht einmal einen Windhauch. Angeblich haben sie die Gejarn ein paar Mal übers Grundstück schleichen sehen. Sie hätten sie bemerkt, wenn sie diesen Weg genommen hätte.“

,, Also was ?“ , wollte Kasran wissen und klang nach wie vor in keiner Weise alarmiert. Elin wusste, das sie schnell handeln musste, bevor sich das änderte. Wenn auch der Thane misstrauisch wurde, würde es schwer werden sich hier herauszureden… ,, Ist sie plötzlich einfach geflogen ? Algim, denk nach, bevor du mich wegen so etwas aus meiner Besprechung mit Olin holst. Er ist vor wenigen Minuten erst zurückgekommen und der Arme tut sich mit dem Schreiben so schwer. Glaubst du wirklich ich würde zulassen…“

Elin öffnete die Tür und trat ein. Die Tür zu ihrem Zimmer stand offen, davor Algim und Kasran. Ersterer trug einen schweren Verband um den Kopf, wo er sich bei seinem Sturz auf der Treppe verletzt hatte. Der Thane der Mardar hingegen hatte sich auf seinen Gehstock gestützt und die Augen halb geschlossen, als wäre das Gespräch für ihn eher ermüdend. Das Glitzern in seinen Augen jedoch verriet, dass er nach wie vor jedes Wort mitbekam. Und so wunderte es Elin auch kaum, als er sich sofort zu ihr umdrehte. Wenn Kasran über ihr Auftauchen überrascht war, so zeigte er es zumindest nicht.

,, Siehst du ?“ , fragte er an den Marschall gerichtet. ,, Da ist sie doch.“

Algim starrte sie lediglich entgeistert an. In seinem Gesicht zuckte irgendwo ein Muskel, während er scheinbar zu verstehen versuchte, wo und warum sie wieder aufgetaucht war. Bevor Kasran oder sie jedoch etwas sagen oder reagieren konnten, stürzte er plötzlich vor. Elin spürte nur, wie sie den Boden unter den Füßen verlor. Sie versuchte noch sich zu wehren, dem Angriff irgendwie zu begegnen, doch ihre Schläge schienen von dem Mann abzuprallen wie Holzpfeile von Stahl. Getrieben von rasender Wut, krachte Algim gegen Elin  und schleuderte sie gegen die Wand.

Die Gejarn bekam keine Luft mehr, als ihre Füße nur noch Luft traten und der Mann sie hochhob, als wöge sie nichts.

,, Was für ein Spiel spielt hier ihr eigentlich ?“ , schrie er, während Elin versuchte, irgendwie den Griff um ihre Kehle zu lockern. Ihre Lungen brannten und ihre Augen tränten und so sehr sie auch versuchte etwas, irgendetwas zu sagen, sie bekam kein Wort heraus… ,, Ich weiß nicht, was ihr plant, aber ich werde nicht dabei zusehen wie ihr…“
,, Algim. Lass sie los..“ Kasran war neben den Marschall getreten und hatte eine Hand auf seinen Arm gelegt. Doch nach wie vor wurde der Druck auf ihren Hals nur das unmerklichste Stück schwächer.

 ,,Jetzt.“ , zischte der Thane, als Algim seiner Aufforderung nach wie vor nicht nachkam.

Endlich ließ der Mann sie los und Elin fiel nach Atem ringend zu Boden. Sie bekam nur noch mit, wie sein Schatten sich entfernte und leise, so das wohl selbst Kasran es nicht hörte, flüsterte er: ,, Glaubt mir, der Alte wird nicht ewig da sein um euch zu schützen.“ Zum Wiederholen mal an diesem Tag drohte sie schlicht, das Bewusstsein zu verlieren. Am liebsten wäre es ihr auch gewesen. Was kümmerte sie Algims Hass nach allem noch…

Eine Weile blieb sie liegen wo sie war, die Hände über den Kopf gelegt, und wartete darauf, dass die rasenden Schmerzen in ihrer Brust und ihrem Schädel nachließen. Ihr war doch klar gewesen, was passieren würde, sollte der Marschall ihr Fehlen bemerkt haben. Und doch kümmerte es sie kaum, der Schmerz, so stark er auch war, war nach allem nur ein Echo, eine letzte Note im absoluten Chaos, das die letzten Stunden darstellten.

,, Es tut mir wirklich leid.“, konnte sie Kasrans Stimme hören und spürte, wie der alte Mann ihren Arm fasste um ihr aufzuhelfen. ,,Ich hoffe, Algim hat euch nicht zu sehr nachgesetzt.“

,, Der Mann ist ein Bastard. Ich verstehe nicht einmal wie ihr so jemanden trauen könnt…“
,,Trauen ?“ Der Thane schüttelte den Kopf. ,, Ich sagte euch bereits, ich traue jedem einzelnen meiner Gefährten mehr. Und er ist brutal, das werde ich nicht leugnen. Aber wo ich die offene Hand sein will… brauche ich manchmal auch eine Faust. Am Ende des Tages ist er vor allem ein nützliches Werkzeug…“

,, Er macht die Drecksarbeit für euch.“

,, So würde ich das nicht nennen. Leider tut er in letzter Zeit viel zu viel ohne mein Zutun. Eure ganze Anwesenheit hier ist eine Folge davon. Ich mache nur das Beste daraus.“  Irgendwie tat Kasran ihr fast leid. Am Ende des Tages war grade der Thane sogar noch der Vernünftigste in diesem ganzen Chaos. Auch wenn Elin wusste, dass sie daran zweifeln sollte… der Mann hielt sie ungern Gefangen. Und trotzdem zögerte er nicht, war er Überzeugt war, das Richtige für sein Volk zu tun. Aber tat sie nicht selbst etwas ganz ähnliches? Weil sie hoffte… worauf, das wusste Elin nicht. ,, Manche können nichts anderes, als andere zu verletzen. Es tut mir leid, das euch das so bewusst werden muss.“

Elin musste sich erst wieder in Erinnerung rufen, das Kasran eigentlich von Algim sprach… und nicht von Galren.

Die Gejarn nickte  lediglich während sie versuchte an dem Zwerg vorbei und in ihr Zimmer zu gelangen, aber Kasran ließ sie noch nicht vorbei. Einen Moment lang fiel die Maske aus Freundlichkeit und Entspannter Ruhe von ihm ab, während er sie ernst musterte.

,, Ich weiß, das ihr heute entkommen seid.“ , flüsterte er.

,, Ihr wisst…“ Elin war zu überrascht um sich zu verstellen oder eine Lüge zu versuchen. ,, Aber warum habt ihr Algim dann fortgeschickt ? Warum…“

,, Weil ihr wieder hier seid. Und weil ich euch lebend brauche.“ , erklärte der Thane. ,, Ehrlich gesagt ich finde das faszinierend. Ich meine ich habe mich darauf vorbereitet, das ihr vielleicht einen Ausweg findet aber nicht, das ihr Freiwillig zurückkehrt.“  Elin fragte sich nicht länger, wieso der Thane und sein Marschall sich so sehr voneinander unterschieden. Die Wahrheit war vielleicht, dass sie es nicht taten. Sie waren am Ende nur Seiten einer Medaille…

Einen Moment war sie trotzdem versucht, ihm ihr Wissen über die schwindenden Wasservorräte der Stadt anzuvertrauen. Elin wollte es hinter sich bringen , aber wenn KAstan ihr nicht glaubte, nur weil sie voreilig war… Geister, sie musste sicher gehen. Trotz dem Schmerz der sich in ihrer Brust festgefressen hatte und dem sie keinen Namen geben konnte. Dem Gefühl, das ihr ebenfalls alles egal sein könnte…Aber sie musste sich sicher sein.

,, Ich…“ Elin suchte nach einer Antwort, die Kasran genügen würde, ohne dabei zu viel zu verraten. Noch nicht. ,, Sie wollten mich ohnehin nicht zurück.“

Das war zwar nicht ganz die Wahrheit, aber der Rest ging den Thanen auch nichts an. Galren vor allem wollte sie nicht zurück… und das war auf seine Art schlimmer, als wenn sich alle geschlossen gegen sie gestellt hätten. Dann wüsste sie wenigstens genau woran sie war… so jedoch blieb ihr nur, sich zu Fragen wie sie dumm genug hatte sein können, sich so in jemanden zu täuschen.

,, Es tut mir leid das zu hören.“ , meinte Kasran und das Mitleid in seiner Stimme klang nach wie vor Aufrichtig. ,, Ich schätze ihr habt meine Warnung ignoriert, ja ?“

,, Warnung ?“
,, Glaubt ihr, als  ich sagte mindestens einer  eurer Freunde war zögerlich als sie von eurer Entführung erfuhren war  das Gehässigkeit ? Ich finde Leute haben ein Recht auf die Wahrheit, grade wenn sie sowieso in einer aussichtslosen Situation sind. Manche Leute zeigen erst ihr wahres Lebst, wenn sie wirklich gefordert sind.“

,, Also was… werdet ihr jetzt tun ?“

Kasran zuckte mit den Schultern. ,, Was hat sich geändert ? In ein paar Tagen werdet ihr frei und auf hoher See sein  und ich kann mich daran machen, dieser Stadt wieder Ruhe und Frieden zu bringen. Dann wir sie erneut aufblühen, wir werden unsere Schwierigkeiten und Streitereien schon überkommen… das hat mein Volk immer getan. Und wenn wir eines sind, dann stur genug fast alles auszusitzen wenn es sein muss. Was nicht immer gut ist, vermute ich. Ich würde euch nur empfehlen nicht noch einmal zu versuchen, zu entkommen. Ich habe zwar noch keine Ahnung wie ihr das gemacht habt und ihr werdet es mir wohl kaum verraten aber ich werde meine Wachen verdoppeln. Ob ihr mir glaubt oder nicht, ich fände es traurig von eurem Tod zu erfahren.“

Mit diesen Worten ließ er Elin endlich vorbei. Wortlos ließ die Gejarn den alten Zwerg stehen wo er war und warf die Tür hinter sich zu. Sie rollte sich auf dem Bett zusammen und versuchte die Tränen zurück zu halten.

Sie hatte selten in ihrem Leben geweint. Elin konnte die Momente an die sie sich erinnerte  an einer Hand abzählen. Das letzte Mal war sie nicht einmal zehn gewesen… Sie hatte trotz der Warnung ihres Vaters eines der Schwerter in ihrem Haus aus seiner Vitrine genommen und am Ende im Spiel eines der Nachbarskinder damit geschnitten. Und es war ihre Mutter gewesen, die als erstes davon erfahren hatte. Sie wurde nie laut, wenn sie wirklich wütend war, erinnerte sich Elin. Und das machte es sogar schlimme.  Am Ende hatte Elin sie nur in den Arm genommen und um Verzeihung gebeten. Es hatte nichts ungeschehen gemacht und trotzdem fühlte es sich wenigstens so an, als sei danach alles wieder besser. Hier jedoch wurde nichts wieder gut.

Sie wischte eine Träne weg. Nein… in dieser Stadt wurde alles mit jedem Augenblick nur schlimmer.

 

Kapitel 72 Brief

 

 

Es war dunkel geworden im Haus und nur das Licht einer einzigen Kerze erhellte den Gang, als Kasran sich auf den Weg hinab ins Erdgeschoss machte. Das Zimmer des schlafenden Mädchens ließ er dabei hinter sich, nicht jedoch ohne sich zu vergewissern, dass Algim das Stockwerk verlassen hatte.

Schlafend ja ? , fragte er sich selbst. Nein, das ist nicht was du gehört hast. Elin weinte. Aber du hast in deinem Leben mehr als genug Leute zum Weinen gebracht. Weinen betteln, flehen…

Was bedeutet einer mehr?

Der Thane lehnte sich einen Moment mit dem Rücken an die Wand und massierte seine Schläfen. Die Dinge wurden langsam gefährlich. Früher war es ihm leichter gefallen, sich auf die vielen kleinen Dinge zu konzentrieren, die Pläne und das politische Ränkespiel dieser Stadt. Die Manipulationen… was nötig war um zu Überleben und voran zu kommen. Aber früher, das war vor einem guten Jahrhundert gewesen. Es hatte seine Gründe warum er Algim mit immer mehr Verantwortung betrauen musste, so wenig ihm der Mann behagte. Nein, es wurde mit den Jahren nicht leichter… Vielleicht würde der Marschall das auch eines Tages verstehen.

,, Eines muss ich euch lassen, alter Mann. Das Mädchen scheint euch aus der Hand zu fressen, auch wenn ich nach wie vor nicht verstehe, was ihr  überhaupt vorhabt.“

Ein Schatten war auf den Stufen der Treppe aufgetaucht, kaum zu erkennen im schwachen Kerzenschein. Doch das schimmern der  Silberfäden auf Algims  Umhang, die das Wappen der Mardar formten, verrieten ihn.

,,Glaube nicht, das würde mir Spaß machen.“ , erwiderte Kasran und fragte sich gleichzeitig wie viel von ihrem Gespräch der Mann mitgehört hatte. Es spielte auch keine Rolle. ,, Das einzige, was du im Augenblick wissen musst ist, das sie unter meiner Beobachtung steht. Wie die Dinge jetzt aussehen, wird sie uns nicht erneut verlassen.“

,,Erneut verlassen…“ Was sich auf dem im Halbdunkeln verborgenen Gesicht des Marschalls wiederspiegelte war grenzenlose Überraschung. Das beantwortete die Frage, wie viel er gehört hatte. Nicht genug um relevant zu sein. ,, Ihr wisst, das sie entkommen ist ? Und mehr noch ihr habt es geschehen lassen? Warum ?“

Natürlich verstand Algim es nicht. Und wie auch. Aber er hatte Galren nur einmal sehen brauchen um zu wissen, dass der Mann genau wie sein Vater wurde. Dieser Ort hatte einen zerstörerischen Einfluss auf die Menschen wie es schien. Oder vielleicht auch nur auf Lahayes Familie. So oder so, es machte die Sache berechenbar.

,, Es gibt andere Möglichkeiten jemanden für sich zu gewinnen, als Gewalt und Furcht, weißt du. Olin hat das Schiff der Fremden nicht aus den Augen gelassen. Dieser Mann macht scheint die Fähigkeit zu haben, sich in Luft aufzulösen wenn er unentdeckt bleiben will.“

,, Euer Spion…“

,,Mein treues Auge. Und dank ihm weiß ich genau wo sie war. Zusammen mit einigen anderen Dingen. Das kann uns durchaus nützlich werden.“
,, Ich sehe nicht wie. Wir wollen die Fremden nur loswerden, was kümmert es uns da, ob unsere Geißel freiwillig bleibt oder nicht.“

Natürlich verstand Algim es nicht. Dafür war er zu Kurzsichtig. Auf die lange Sicht würde es nicht reichen, Elin und die anderen einfach zurück zu schicken. Sie mussten die Macht die der Prophet durch ihre Ankunft hier gewonnen hatte wieder brechen.

,, Ich sollte dir eigentlich sogar dankbar sein für deine  Ignoranz. Dein  Verhalten bringt sie nur mehr auf meine Seite. Aber im Gegensatz zu dir  liegt mir nichts daran liegt mir nichts daran, der Kleinen unnötiges Leid zuzufügen. Sie wird verletzt genug sein, bevor das alles vorbei ist.“

,, Und wann wird es vorbei sein, Kasran ? Ein paar Tage noch. Also wie sieht euer Plan aus?“

,, Du wirst es schon erfahren, wenn die Zeit gekommen ist. Geh jetzt.“

Einen Moment war der Thane überzeugt, dass Algim nicht auf ihn hören würde. Der Marschall blieb stehen, wo er war und sah ihn nur herausfordernd an.

,, Ich bin das Warten Leid, alter Mann. Diese Tollheit geht jetzt lange genug.“ Mit diesen Worten drehte der Zwerg sich um und verschwand durch die Tür und die Stufen hinab.

,, Und genau darauf hoffe ich.“ , murmelte Kasran, der noch einen Moment stehen blieb wo er war. Mit einem hatte Algim Recht ob ihm das Bewusst war oder nicht. All das hier musste bald sein Ende finden. Manchmal fürchtete er wirklich, die letzte vernünftige Person in dieser Stadt zu sein. Und wenn dem so war, dann hatte er schon versagt…

 

Zwei Tage später war Elin kurz davor den Verstand zu verlieren. Kasran hatte nicht gescherzt als er meinte, er würde die Wachen verstärken. Mittlerweile war es ihr unmöglich das Haus irgendwie zu verlassen und sei es auch nur um einen Moment hinaus in die Gärten zu gelangen. Und selbst der Weg aufs Dach war ihr versperrt, nachdem Algim kaum noch von ihrer Seite zu weichen schien. Nur Nachts hätte sie den Versuch wagen können, doch mit all den neuen Posten…

Sie hatte aufgegeben  zu zählen, wie oft sie jeden Flur und jedes Zimmer des Anwesens bereits durchmessen hatte. Aber sie konnte auch nicht irgendwo sitzen bleiben und die Hände in den Schoß legen. Dann würde sie anfangen nachzudenken und nachdenken machte alles noch schlimmer.

Es wäre ja nur noch kurz, sagte sie sich dann immer. Dann wäre sie frei. Aber sie sehnte diesen Tag nicht wirklich herbei. Es würde nichts ändern. Ja sie wäre wieder frei, aber das hätte sie bereits zuvor sein können. Sie wollte Galren nicht wieder unter die Augen treten. Nicht dem Mann, der er geworden war. Und gleichzeitig wollte sie nicht hier eingesperrt bleiben… Eigentlich wollte sie gar nichts mehr…

Zumindest war Algim an diesem Morgen nirgends zu sehen, dachte Elin, während sie sich wortlos an einem Tisch im oberen Stockwerk des Anwesens setzte. Sie wusste nicht ob die Diener des Thanen wussten wer sie war, aber zumindest schien Kasran ihnen aufgetragen zu haben für sie zu sorgen und so stand bereits ein Korb Brot bereit, den sie jedoch schlicht ignorierte. Der Appetit war ihr ohnehin vergangen. Lediglich eines der Messer am Tisch ließ sie Gedankenverloren durch die Finger wandern. Stumpf, natürlich. Und was würde es ihr auch nützen wenn nicht. Algim zu töten dazu konnte sie sich ohne Probleme überwinden, dachte Elin. Aber nicht Kasran. Und damit war nicht einmal das ein Ausweg aus diesem ganzen Dilemma.

Unruhig stand sie erneut auf .lies das Messer liegen wo es war und stieg die Treppe hinab ins Untergeschoss des Hauses. Hier befanden sich vor allem die Quartiere für Diener und Gefährten des Thanen, sowie Küchen und Vorratskammern und eine Schreibstube mit Blick hinaus in die Gärten. Fast eine komplette Wand war durch mit Blei verfuge Glasscheiben ersetzt worden, so dass man beinahe glauben konnte, im freien zu sitzen. Es war einer der wenigen Orte in denen Elin nicht das Gefühl hatte vollkommen eingesperrt zu sein. Dafür, dass der Tag für die Angestellten des Thanen längst begonnen hatte, war es überraschend ruhig, als sie an den Küchen und den Kammern der Bediensteten vorbei ging. Die Tür zum Schreibzimmer wiederum war geschlossen, als Elin sie erreichte und noch bevor sie die Hand nach der Klinke ausstrecken konnte, hörte sie Stimmen.

,, Ihr wisst genau so gut wie ich, dass das hier Hochverrat ist.“ , meinte eine Stimme, die Elin nicht kannte. Seltsam genug, dass jemand außer ihr, Algim und Kasran in diesem Haus sprach… Die Gefährten des Thanen waren alle stumm, die Wachen hatten ihr ohnehin nicht viel zu sagen und die Diener waren genau so leise wie unauffällig. ,, Ich traue dem Alten durchaus zu, uns auszutricksen. Wenn Kasran…“

,,Der Thane wird nicht vor heute Abend zurück sein, da bin ich mir sicher.“ Das war Algim. Und so wie es klang, war der Mann bester Laune. ,, Wir haben also genügend Zeit…“

Elin zog die Hand geräuschlos von der Türklinke und blieb stehen. Eigentlich hätte sie einfach wieder gehen  sollen. Wenn Algim hier unten Beschäftigt war, kam sie vielleicht aufs Dach hinauf und wenn nicht so war sie wenigstens einmal eine Weile unbeobachtet. Doch ihre Neugier war letztlich stärker. Elin hatte das Gefühl in ihrer Lethargie über die letzten Tage fast vergessen, jetzt jedoch war es einmal wieder da und sie hieß es willkommen. Eine Ablenkung, etwas das sie aus dem ewigen Warten riss. Was hatte der fremde Sprecher eben gemeint? Das was immer Algim plante Hochverrat wäre… Geräuschlos sank Elin auf die Knie und versuchte durch das Schlüsselloch zu spähen. Was sie sah waren erst einmal die zum Garten hin geöffneten Fenster und viel wichtiger war, was sie nicht sah… Die Wachen draußen waren alle so gut wie verschwunden. Vielleicht hatten sie Kasran begleitet oder waren auf der anderen Seite des Anwesens postiert worden solange Algim sich mit seinem Gast unterhielt.

Dieser wiederum stand auf der anderen Seite des Tisches und war in eine goldfarbene Robe mit dem Wappen der Mardar gekleidet .Ihm gegenüber saß Algim in einem hohen Lehnstuhl hinter einem Schreibtisch. Der Marschall hatte sich entspannt zurückgelehnt und spielte mit etwas zwischen seinen Fingern, das für Elin nach einem Siegel aussah. Vor ihm auf dem Tisch wiederum lag ein zusammengefalteter Brief und am Fuß einer Kerze sammelte sich langsam flüssiges Wachs.

,, Solange ihr dafür sorgt, Ratsherr, das dieser Brief alle wichtigen Mitglieder unseres Hauses erreicht, wird Kasran morgen früh bereits weniger als nichts sein. Es ist unser Glück, das mir der Alte immerhin genug vertraut um sein persönliches Siegel zu führen.“ Mit diesen Worten goss Algim etwas Kerzenwachs über den Brief und drückte den Stempel hinein, den er bis jetzt zwischen den Fingern gehalten hatte. Das Wappen der Mardar mit einem stilisierten Edelstein darüber blieb als Abdruck zurück. Algim kratzte etwas überschüssiges Wachs vom Papier, bevor er ihn es schließlich dem Mann in der goldenen Robe reichte.

,, Und ihr seid euch sicher, dass das die Sache entscheiden wird, egal was der Thane tut ? Wenn nicht sind wir unsere Köpfe los. Kasran lässt in solchen Dingen nicht mit sich spaßen. Ich habe ihn erlebt als der letzte versucht hat, ihn auszuschalten. Es hat seinen Grund warm wir die ersten in 200 Jahren sind, die es wieder versuchen.“

,, Er wird nicht mehr Thane sein, wenn das vorbei ist. Sorgt nur dafür, dass die Versammlung des Hauses Bescheid weiß und sich morgen früh mit mir trifft.“

,, Wie ihr wünscht.“ Der Fremde in der Robe verneigte sich bevor er sich daran machte, den Raum zu verlassen. Elin schlug das Herz bis zum Hals, als sie hörte wie seine Schritte sich der Tür näherten. Mit einem Satz war sie auf den Beinen und drückte sich flach gegen die Wand neben dem Durchgang.

Sie sollte einfach verschwinden, sagte sie sich selbst. Sollte dieser irre Marschall doch machen was er wollte. Doch gleichzeitig… was immer Algim genau  plante, hatte Kasran das verdient? Einfach so ausgeschaltet zu werden? Sie war nicht Galren, dem scheinbar alles egal geworden war.

Und doch wusste Elin, wenn sie sich jetzt zu weit aus dem Fenster lehnte, würde sie sterben. Der Thane war nicht hier und Algim könnte es sich nicht einmal erlauben sie am Leben zu lassen, wenn er sie nicht ohnehin hassen würde.

Die Tür schwang knarzend auf und Elin betete inständig, der Fremde würde sich nicht umdrehen, wenn er die Tür schloss. Wenn doch musste er sie in jedem Fall sehen. Doch der Mann ging einfach nur den Gang hinab, weg von ihr, während die Tür wieder hinter ihm ins Schloss viel. Einen Moment war die Gejarn sich sicher, das schon ihr rasender Herzschlag sie verraten musste und so wartete sie einen Moment ab, bis ihr Puls sich wieder beruhigt hatte. Dann erst machte sie sich daran, dem Mann in Gold zu folgen. Elin wusste, dass sie ihn erwischen musste, bevor er das Haus verließ. Wenn nicht, würde sie ihm nicht mehr folgen können.

Vorsichtig näherte sie sich dem Mann, der dem Korridor in Richtung der Küchen folgte. Einmal musste sie stehenbleiben, als ihr ein paar Diener mit Körben voller Geschirr entgegen kamen und als der Mann dann um eine Ecke verschwand, war sie sich fast sicher, ihn nichtmehr einzuholen, bevor er die Haustür erreichte. Doch Algims Bote war ebenfalls langsamer geworden. Jetzt oder nie, sagte Elin sich. Sie konnte sehen wo der zusammengerollte Brief aus seiner Tasche ragte. Zitternd streckte sie eine Hand aus, bekam das Papier zu fassen. Einen Moment drohten ihre verschwitzten Finger einfach abzurutschen, dann jedoch schlossen sie sich um den Brief, der aus der Tasche des Mannes glitt. Elin erstarrte, wo sie war, halb darauf gefasst, dass der Bestohlene etwas bemerken würde. Doch nichts dergleichen geschah. Er ging lediglich weiter, stieß einen Diener aus dem Weg, der ihn gezwungen hatte, langsamer zu werden und verschwand außer Sicht.

Elin sackte wo sie war in sich zusammen, gegen die Wand gelehnt und um Fassung ringend. Sie lebte noch, sie hatte den Brief… und jetzt? Ihre Finger strichen über das Siegel auf dem Umschlag. Sie musste warten bis Kasran zurück kam und ihm dann sofort diesen Brief zeigen… Am liebsten hätte sie nachgesehen was darin stand, aber der Thane musste das intakte Siegel sehen oder er glaubte ihr eventuell nicht.

 

 

Kapitel 73 Das Wasser der Stille

 

 

 

 

Ein Feuer prasselte im Kamin des großen Saals, in dem sie wartete. Draußen war es mittlerweile dunkel geworden und die Glut spiegelte sich auf dem Glas der Fenster. Bücherregale doppelt so hoch wie ein Mann ragten an jeder freien Wand auf und uralte, abgewetzte Teppiche, deren verblasste Farben von alter Pracht sprachen, bedeckten den Boden. Elin  selbst saß auf einem niedrigen Hocker, während Kasran sich in einen schweren Sessel hatte fallen lassen

Sie nippte vorsichtig an den Wein, den einer von Kasrans Dienern gebracht hatte, während die Augen des Thanen wieder und wieder über die Zeilen des Briefes wanderten. Der Schein der Flammen brachte seine ergrauten Haare zum Leuchten und die Gejarn meinte zu sehen, wie seine Augen feucht wurden, während er das Papier schließlich zusammenfaltete. Er ließ die Arme sinken und schüttelte wortlos den Kopf, während sein Blick zu ihr wanderte. Die uralten Augen des Zwergs schienen auf irgendetwas hinter ihr fokussiert zu sein, als bemühe er sich darum, sie gar nicht zu beachten.

Zwei von Kasrans Gefährten, eine Frau und ein Mann, die mit ihnen im Raum standen und an den Türen warteten traten vor.  Stumm wie sie waren sprach keiner von ihnen ein Wort, doch war klar, dass sie auf Befehle warteten.

,, Bringt mir Algim hierher.“ Die Stimme des Thanen bebte vor unterdrückter Wut. ,, Bringt ihn mir her, sofort. Es ist mir völlig egal, was er grade macht und wenn ihr ihn nackt vor mich zerrt. Er kommt mit euch oder stirbt auf der Stelle.“

Die beiden Gestalten nickten und verschwanden fast ohne einen Laut aus der Tür. Die Stille war offenbar bereits Teil ihres Lebens geworden, so vorsichtig bewegten sie sich. Elin konnte nicht anders, als an ein Raubtier zu denken, ein gefährliches Ding, das im Schatten lauerte… und nur einen Meister kannte. Dieser wiederum hielt den Brief kraftlos in einer Hand, während die andere am Rubinknauf seines Gehstocks trommelte. Nach wie vor hatte Elin keine Ahnung was in dem Stück Papier stand… nur das sie Kasran bisher noch nie wütend gesehen hatte. Und es auch nie wieder wollte. Der Mann sagte kein Wort, während sie warteten und sie wagte es auch nicht ihn anzusprechen. Doch als die Minuten verstrichen und weder Algim noch einer der Gefährten zurückkehrte, siegte ihre Neugier.

,,W… Was stand in dem Brief?“ , fragte sie vorsichtig. Eine Weile war sie sich nicht einmal sicher, ob Kasran ihr Antworten würde. Stumm starrte der Zwerg in die Flammen und warf Holz nach.

,, Mein Erklärung an die Versammlung des Hauses, das ich meinen Posten als Thane niederlege und ihr könnt raten wer mein Nachfolger werden würde.“ , erklärte er kalt. ,, Oh ich muss sagen ich habe den Jungen unterschätzt. Ich wusste das er etwas tun würde oh ja, aber nicht was. Und das… Wie lange muss er daran gefeilt haben, der Text klingt sogar nach mir. Algim mag brutal sein aber ich habe nie gedacht, das er besonders heimtückisch sein könnte…“ Kasran sah zu wie der Ast, den er soeben in die Flammen geworfen hatte, Feuer fing und langsam verglühte. ,, Vielleicht lernt er am Ende doch, nur nicht die richtigen Dinge…“

Danach schweig der Thane wieder und Elin wagte es nicht, erneut eine Frage zu stellen. Endlich jedoch wurden die Türen des Saals wieder geöffnet und Algim wurde von jemand hineingestoßen. Blut lief von mehreren Schnitten an seinem Arm und Elin stellte fest, das nur noch einer der Gefährten zurückgekehrt war, der Mann. Auch er war verletzt, Blut troff aus einer Schnittwunde über seiner Brust. Kalt und stumm stieß er den Marschall mit dem Knauf seines eigenen Schwerts vorwärts, bis er auf den ausgebleichten Teppichen vor dem Kamin landete.

Kniend sah Algim zuerst zu ihr, wohl verwirrt, was sie hier zu suchen hatte, dann jedoch bemerkte er Kasran… und viel wichtiger den Brief den dieser in der Hand hielt. Plötzliches verstehen flackerte in seinen Zügen und er sprang auf die Füße.

,, Ihr !“ Bevor er jedoch auch nur dazu kam, denen einzigen Schritt auf Elin oder Kasran zuzumachen war der überlebende Gefährte auch schon da und stieß ihn grob zu Boden. Mit einem Schlag in die Magengrube sank der Marschall erneut auf die Knie. Elin konnte einen Moment nicht anders, als Mitleid mit ihm zu empfinden. Algim wusste, dass er verloren hatte.

,,Dürfte ich vielleicht erfahren, was das zu bedeuten hat ?“ , fragte er und versuchte dabei möglichst ahnungslos zu klingen, etwas, das ihm nicht ganz gelang. Sie konnte die Panik in seiner Stimme hören.

,, Würdest du nicht bereits wissen, warum ich dich rufen ließ, hättest du dann meine Wächter angegriffen ?“ , fragte Kasran.

,, Wenn zwei Stumme mitten in der Nacht in meine Gemächer stürmen um…“

Algim kam nicht dazu, den Satz zu beenden, als Kasran mit dem Stock zuschlug. Der Marschall klappte vor dem Feuer in sich zusammen und Blut lief von seiner Wange, wo der Rubin einen langen Schnitt hinterlassen hatte.

,, Einer meiner Gefährten ist tot.“ , erklärte der Thane mit zitternder Stimme. ,, Und mein eigener Marschall hintergeht mich. Sagt mir Algim, kannst du  mir einen Grund geben,  dich nicht gleich hier zu töten…“

,, Ihr braucht mich noch…“

Die Antwort bestand aus einem trockenen Lachen Kasrans. ,, Ich brauche euch so sehr wie die rote Pest. Also wenn ihr diesen Raum Lebend verlassen wollt, dann hört ihr mir besser ganz genau zu…“

Der Thane gab dem Mann, der Algim bewachte ein Zeichen und dieser zerrte ihn hoch und auf die Knie. Währenddessen beugte der alte Zwerg sich vor und brachte sein Gesicht auf Algims  Höhe. ,, Ich werde nicht zulassen, das euer Ego unsere Pläne durchkreuzt. Verstehen wir uns?“

Als der Marschall nicht sofort antwortete, schlug der Gefährte erneut zu und brachte den Mann damit zum wanken. Algim spukte Blut und versuchte offenbar Worte zu formen, nur aufrecht gehalten von Griff seines Bewachers.

,,Hört auf.“ Elin bemerkte erst, das sie gesprochen hatte, als Kasran sich in ihre Richtung drehte.

,, Warum ? Was hat dieser Mann getan um eure Gnade zu verdienen, Mädchen? Es gibt Dinge, die man nicht verzeihen kann oder darf. Und ich fürchte Algim tut keine einzige seiner Taten überhaupt Leid.“

,, Das…“ Das stimmt schlicht nicht hatte sie sagen wollen. Aber traf es letztlich nicht doch zu? Manche Dinge waren unverzeihlich, oder? Zumindest hörten die Schläge auf.

,, Steh auf.“ , befahl Kasran dem Marschall und Algim kam schwankend und blutend wieder auf die Füße. ,, Sagt mir Elin, was würdet ihr mit ihm machen ?“

,, Es… Ich bin nicht diejenige die das zu entscheiden hat.“ , erklärte sie zögerlich.

,, Nun jetzt seid ihr es.“ , erwiderte der Zwerg kühl. ,, Ich lege sein Schicksal in eure Hände, ihr hattet am meisten unter ihm zu leiden, also  was immer ihr sagt wird geschehen.

,, Könnt ihr ihn nicht einfach… gehen lassen ? Er ist gestraft genug.“ Und aus Algims Sicht mochte das sogar Stimmen. Der so stolze und überhebliche Marschall sah Ängstlich wie ein kleines Kind zu ihnen, hilflos  auf sein Urteil wartend… Jegliche Aggressivität oder Hochnäsigkeit war von ihm gewichen. Das was dort vor dem Kamin stand hätte auch ein völlig anderer Zwerg sein können.

,, Du könntest  dankbar sein Algim. Die Kleine meint ich sollte dich leben lasse. Und was sagst du dazu?“

Der Marschall antwortete nicht, aber seine Augen sprachen ihre eigene Sprache. Das änderte nichts. Wenn, dann hatte sich sein Zorn gegen sie eher noch verhundertfacht und nur die Tatsache, dass der Gefährte ihn festhielt rettet ihr vermutlich das Leben. Und doch brachte Elin es nicht über sich, der Sache ein Ende zu machen. Die Geister wussten, dieser Mann hätte den Tod verdient… Aber wenn sie ihn jetzt sterben ließ, zu was machte sie das dann?

,, Ich möchte, das ihr Algim nach unserem Gespräch wegbringt.“ , meinte der Thane an den Wächter gerichtet. ,, Er steht ab jetzt unter Hausarrest und wo immer er hin will, sollen ihn mindestens fünf Mann begleiten. Gefährten, nicht Mardar-Soldaten. Ich traue seinen eigenen Männern durchaus zu eher ihm gegenüber Loyal zu sein als mir. Und sollte er etwas versuchen, irgendetwas, habt ihr meinen Segen ihn auf der Stelle zu töten. Gleiches gilt sollte jemand versuchen ihn aus eurer Wache zu entfernen. Er lebt nur weiter, solange ihr weniger als zehn Schritte um ihn seid.“

Der Mann, der den Marschall nach wie vor festhielt, nickte lediglich. Algim wiederum sagte kein Wort, sondern starrte lediglich zu Boden.

,, Ich bin euch zu mehr als nur dank verpflichtet.“ , meinte Kasran währenddessen an Elin gerichtet. ,, Ihr habt mehr getan als nur meinen Posten zu retten, denn ich bezweifle das Algim gegenüber einem von uns so gnädig gewesen wäre, wie ihr. So wie die Dinge stehen schulde ich euch mindestens die Freiheit. Doch das ist für mich leider keine Option. Stünde nicht so viel auf dem Spiel ich würde euch gehen lassen.“

,, Ich verstehe.“ Genau genommen war sie froh darum. Nach wie vor, wo wollte sie denn hin? Zurück zu Galren, der schlicht und ergreifend wahnsinnig geworden war ? Damit er seine Suche noch weiter fortsetzen konnte? Nein… besser es fand ein Ende. ,, Ich weiß ohnehin nicht ob ich überhaupt zurück wollte…“

,, Genau deshalb habe ich euch ein anderes Angebot zu machen.“ Er gab dem Gefährten ein Zeichen, worauf dieser Algim zum ersten Mal losließ und aus dem Raum verschwand. Der Marschall sank nur benommen  auf den Boden, während er zwischen Elin und Kasran hin und her sah.

,, Das kann nicht euer ernst sein.“ , erklärte er. Elin verstand nach wie vor nicht, was vor sich ging oder was daran grade Algim so entsetzen sollte.

,, Ich habe lange darüber nachgedacht. Ihr seid ohne Zweifel fähig, das habt ihr heute unter Beweis gestellt. Und auch, dass man sich auf euch verlassen kann.“ Während er sprach ging die Tür des Saals erneut auf und der Mann den Kasran ausgeschickt hatte kehrte zurück. In seinen Händen ruhte ein schwerer Kristallkelch aus ineinander verflochtenen Glasbögen und überladen mit goldenen Verzierungen. Der Fuß auf dem das Gefäß stand hatte die Form eines aus dem Kristall geschnittenen Schädels, die Zähne zu einem ewigen,  stummen Schrei geteilt. Eine klare, bläulich schimmernde Flüssigkeit schwappte darin. Sie wusste, was es war, noch bevor der Thane schließlich weitersprach. ,, Das heißt… ich biete euch einen Platz in meinem Haus an. Wenn ihr ihn den wollt. Als Schweigerin seid ihr keine Gefahr und damit würde ich euch eure Freiheit garantieren. Und um ehrlich zu sein… ich könnte jemanden wie euch gebrauchen. Dank euch habe ich meine Faust in Algim behalten, aber ich brauche ein neues Auge. Olin, mein Meisterspion wird langsam alt. Aber meine Augen müssen genau so schweigen, wie ich es von all meinen ergebenen Gefährten verlange, kennen sie doch mehr Geheimnisse als alle anderen zusammen. Das ist also mein Angebot: Bleibt wenn eure Freunde gehen. Ich kann euch hier gebrauchen und ich würde euch willkommen heißen. Nehmt ihr mein Angebot an trinkt ihr aber  das Wasser der Stille.“

Als der Thane geendet hatte, trat Kasrans Gefährte, der nach wie vor den Kelch hielt, auf sie zu und sank auf ein Knie. Mit einer beinahe ehrfürchtig zu nennenden Geste hielt er ihr den Kelch hin.

Niemand sagte ein Wort, nicht Kasran, nicht Algim. Eine Weile verharrte einfach alles, als hätte die Zeit aufgehört zu laufen. Lediglich das Knistern des Feuers gab Elin ein Gefühl dafür, wie viel Zeit verging. Der Thane lehnte sich auf seinen Platz zurück, während der Marschall sich nur wie nach Hilfe suchend umsah.

Es war ein Ausweg, dachte sie.  Wortlos nahm Elin das schwere Gefäß schließlich entgegen. Schwer und Kühl lag es in ihrer Hand, während sie es anhob. Seltsamerweise roch das Wasser nach überhaupt nichts, wie sie feststellte. Der Mann, der ihr den Kelch gereicht hatte, zog sich geräuschlos zurück und verschwand. Nur noch Kasran und der Marschall verblieben im Saal, beide auf ihre Art angespannt.

In dem Moment, wo Elin  den Kelch schließlich an die Lippen hob, merkte sie, das sie zitterte….

 

Kapitel 74 Zweite Rückkehr

 

 

Elins Hände zitterten, den Kelch nach wie vor umklammert. Wenn sie das jetzt tat… was verlor sie schon noch groß? Aber sie konnte etwas gewinnen… Kasran hatte gemeint er traue seinen Gefährten mehr als Algim. Würde sie trinken… der Thane musste sie einfach beachten, wenn sie ihm von den Wasservorräten und dem Verrat des Königs berichtete. Sicher sie würde alles aufschreiben müssen, aber das würde sie nicht aufhalten. Es war ihre beste Chance…

Aber war sie wirklich bereit, das alles für eine Chance aufzugeben? Die dunkle Hoffnung, das Kasran ihr vielleicht glaubte und dann auch entsprechend handelte? Aber wenn nicht, machte sie sich dann nicht mitschuldig am Untergang der Stadt?

Sie schaffte es nicht, den Kelch so zu stürzen, dass etwas von seinem Inhalt ihre Lippen berührte. Ihre Arme fühlten sich an wie aus starrem Holz, ohne Kraft ohne jede Beweglichkeit. Elin verharrte wo sie war, wie eine Statue. Sie konnte es nicht. Zumindest nicht so… Was tat sie den hier anderes, als zuzugeben, dass alle Hoffnung verloren war? Sie wäre nicht mehr in der Lage den anderen überhaupt zu erklären, was sie tat. Oder warum. Es gab immer noch Leute denen sie etwas bedeutete. Es gab ungesagte Dinge, die ausgesprochen werden musste… Ihr Blick wanderte zu Kasran, der sich seelenruhig auf seinem Platz zurückgelehnt hatte. Ihr lief ein Schauer über den Rücken, als sie den Ausdruck auf seinem Gesicht sah. Schlichte, vollkommene Zufriedenheit. Wie jemand… der genau da war, wo er sein wollte und nicht jemand der grade eben erst von einem seiner engsten Vertrauten hintergangen wurde… Der Thane schien nicht einmal zu bemerken, wie sie ihn beobachtete… Dafür jedoch waren auch Algims Augen wie gebannt auf seinen einzigen Herrn gerichtet und das Entsetzen in seinen Zügen wich Verstehen.

Langsam setzte Elin den Kristallkelch ab. Der kurze Moment ihres eigenen Wahnsinns, war vorbei. Klirrend traf Kristall auf Holz als sie den Kelch auf einem niedrigen Beistelltisch am Feuer stellte.

,, Darf ich darüber nachdenken ?“

Als sie zu Kasran sah, war der Ausdruck auf seinem Gesicht,  der sie so erschreckt hatte fort. Dort saß nur noch der Mann den sie mittlerweile zu kennen glaubte. Alt, niedergeschlagen und scheinbar ein wenig Enttäuscht. Doch seine Stimme war freundlich, sogar Verständnisvoll, als er schließlich sprach: ,, Natürlich. Nehmt euch so viel Zeit wie ihr braucht. Mir ist selbst klar, dass dies keine leichte Entscheidung ist. Und ist sie einmal gefallen ist sie endgültig. Dennoch, ich heiße euch jederzeit willkommen.“

Elin atmete erleichtert auf. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, hätte der Mann sie direkt vor die Wahl gestellt. Ihr war klar, das Kasrans Angebot ehrlich war… Tatsächlich reizte die Idee sie, dem Mann zu helfen. Am Ende war er vielleicht der einzige hier, der noch nicht den Verstand verloren hatte. Und mit ihrem Wissen könnte es ihm vielleicht tatsächlich gelingen diese Stadt irgendwie zu retten.  Aber sie konnte nicht so plötzlich darüber entscheiden wie sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Nicht… so. Elin wusste, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann waren ihre Gründe anzunehmen nur Ausreden. Mochte sein, dass etwas Wahres daran war, doch der eigentliche Grund… Das war keiner, bei dem sie ehrlich mit sich sein wollte. Wen wollte sie damit wirklich nutzen… oder bestrafen wenn sie das Angebot des Thanen annahm? Doch nur sich… Es ging einfach nicht. Vielleicht hoffte ein ferner Teil von ihr auch noch… Sie musste zumindest mit den anderen sprechen. Und das hieß, sie musste erneut hier raus.

,, Ich… werde euch meine Entscheidung morgen mitteilen.“ , erklärte Elin. Sie würde schnell sein müssen, wenn sie hinaus und noch vor dem Morgengrauen wieder zurück gelangen wollte.

Kasran nickte, bevor er sich dem Gefährten, der Algim bewachte zuwendete. ,, Ich möchte das ihr den Marschall wegbringt. Sein Hausarrest beginnt ab jetzt. Vergesst das nicht.“

Der stumme Mann verneigte sich nur kurz und Elin folgte ihm und Algim schließlich aus dem Saal hinaus. Elin atmete erneut tief durch, als sie hörte, wie die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Die ganze Tragweite dessen, was sie grade fast getan hatte, wurde ihr erst nach und nach bewusst und je länger sie darüber nachdachte… Die Gejarn schüttelte den Kopf und machte sich daran an Algim und seinem Bewacher vorbei in Richtung Treppe zu gehen. Ihr lief die Zeit davon.

Doch bevor sie auch nur zwei Schritte machen konnte, packte der Marschall blitzschnell ihr Handgelenk. Halb rechnete sie damit, dass er auf sie losgehen würde oder vielleicht wollte er ihr auch nur einen letzten Fluch hinterherwerfen. Elin konnte sehen, wie der Wächter hinter ihm sich bereit machte, Algim niederzuschlagen, sollte es nötig werden. Doch als er sprach war seine Stimme zum ersten Mal seit langem nicht von Wut gezeichnet.

,, Offenbar seit ihr ihm jetzt schon ein williges Werkzeug.“ , meinte er düster. ,, Und ich war es auch…ich habe es nur zu spät gemerkt.“

Elin bedeutete dem Wächter, dass alles in Ordnung sei. Auch wenn sie sich mit Algim so nah alles andere als wohl fühlte… ,, Wovon sprecht ihr ?“ , verlangte sie zu wissen. Sie musste zu ihm Aufblicken doch der Mann den sie sah hatte nur noch wenig von seiner einstigen Überheblichkeit behalten.

,, Kasran. Ob es euch klar ist oder nicht, aber der Alte hat euch jetzt genau da wo er euch die ganze Zeit haben wollte, Kleine. Glaubt ihr er hat sich für über 400 Jahre als Thane gehalten weil er so Freundlich ist?“

,, Nein.“ Elin weigerte sich nach wie vor zu verstehen. Ein Teil von ihr Begriff ganz genau, worauf der Marschall hinaus wollte.

,, Was für einen größeren Sieg könnte es für ihn geben, als einen Feind offen auf seine Seite zu ziehen. Denkt darüber nach. Das sieht dem Alten ähnlich. Er würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Er würde eure Freunde loswerden und den Propheten Lügen strafen. Den welchen anderen Grund könnte es schon dafür geben, das ihr stattdessen Kasran folgt?“

,, Aber ich…“

,, Und ihr würdet ihm nicht einmal wiedersprechen können.“ , schnitt Algim ihren Protest ab. ,, Es ist mir egal warum ihr ihm wirklich folgen solltet , oder warum er solche Hoffnungen in euch setzt, der Punkt ist, ihr wärt danach wenig mehr als eine Figur auf seinem Schachbrett. “

Die Anschuldigungen des Marschalls trafen sie wie ein Schlag… aber gleichzeitig, wie viel konnte sie grade Algim schon glauben? Kasran war nicht derjenige gewesen, der einen Verrat geplant hatte…

Wenn, dann war es eher so, das Algim versuchte ihr ein letztes Mal Angst zu machen, wenn nicht mit Waffen, dann eben mit Worten. Das war alles…

Elin riss sich mit einem Ruck los und trat an Algim vorbei, der ihr mit einem Ausdruck aus Missgunst und dem alten Hass nachsah. Es könnte sie nicht weniger kümmern, dachte die Gejarn, als sie schließlich die Stufen erreichte und sich daran machte, in den Keller hinab zu steigen.

 

 

Das Deck der Windrufer lag im Dunkeln, als sie schließlich weit nach Mitternacht aus dem Hafenbecken auftauchte. Lediglich zwei nur noch schwach glimmende  Laternen hoben den dunklen Schatten der Bordwand von der umgebenden Schwärze ab. Soweit Elin das sagen konnte, war bereits niemand mehr hier… und ihr konnte es recht sein. Das hieß zumindest, das Galren ebenfalls nicht hier sein würde. Aber jemand anderes würde hier sein, das wusste sie sicher.

Geräuschlos kletterte sie bis zur Reling hinauf und zog sich hoch, bis sie die Planken des Schiffsdecks unter den Füßen spürte. Wasser troff aus ihrer Kleidung und ihr war mal wieder eiskalt von der Zeit in den Tunneln, aber immerhin… sie hatte es geschafft, dachte die Gejarn. Und sie war wieder draußen. Elin stand einen Moment nur da, halb über die Reling gebeugt und atmete die klare Nachtluft ein, die vom Meer her herangeweht wurde. Ihr war klar, dass sie nicht viel Zeit hatte, doch diesen Moment musste sie riskieren. Erst nach und nach wurde Elin bewusst, wie lang diese vergangenen Tage wirklich gewesen waren. Kürzer als der erste Teil ihrer Gefangenschaft aber ungleich schwerer. Jetzt jedoch… war sie frei zu tun, was immer sie wollte. Ob das nun hieß mit den anderen zurückzukehren oder sich tatsächlich Kasran anzuschließen war egal. Sie könnte auch einfach verschwinden, dachte sie und der Gedanke hatte etwas Verlockendes. Sich wieder im Laderaum verstecken und warten bis die anderen den Rückweg antreten mussten oder sogar in der Stadt bleiben. Am Ende war es ihre Entscheidung. Auf seine Art hatte der Schock, den sowohl Kasran als auch Algim ihr versetzt hatten etwas Heilendes. Sie war  keinem etwas schuldig. Nicht mehr zumindest, sagte Elin sich.

,,He… Ihr da !“ Eine Stimme aus der Dunkelheit riss sie aus ihren Gedanken. Ein schwankender Schatten kam über das Deck auf sie zu und bevor Elin noch dazu kam, etwas zu erwidern, flammte in seiner Hand eine Laterne auf und ließ ein wettergegerbtes Gesicht mit grau melierten Haaren erkennen. Hedan…

,, Elin ?“ Der Kapitän hätte die Lampe beinahe fallen lassen, als er sie erkannte. ,, Götter, seid ihr das wirklich ?“

,, Ich bins.“ , erwiderte sie nur, während sie endgültig an Bord kletterte.

,, Ich dachte wirklich wir sehen euch nie wieder. Galren hat den Verstand verloren, Kleine… das weißt du genau so gut wie ich. Ich wusste, dass ihr vernünftig werden würdet. Aber er ist immer noch mit Hadrir unterwegs, also kann er uns diesmal egal sein. Wir können morgen weg sein…“ Während der Kapitän redete, führte er sie rasch zur Kajüte und die Bewegung brachte wieder etwas Leben in ihre durchgefrorenen Glieder.

,, Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich euch begleiten werde.“ , erklärte Elin schließlich, als sie sich an den Kartentisch setzte. Es schien ein Leben her zu sein, das sie hier gewesen war, zuletzt um dem sturen Kapitän seine Fehler aufzuzeigen. Seit dem war einiges passiert…

,, Wie meint ihr das ?“ Hedan, der soeben noch zwei Krüge geholt hatte, erstarrte einige Schritte vom Tisch entfernt. ,, Elin ?“

Die Gejarn zögerte, während sie überlegte, wie sie dem Kapitän das ganze bloß erläutern sollte. Langsam begann sie alles zu erzählen, was sich seit ihrer Rückkehr in das Anwesen ereignet hatte, angefangen von dem Moment in dem sie das Schiff verlassen hatte, über den Brief bis hin zum Angebot, das der Thane ihr unterbreitet hatte.

,, Und warum bei allen Göttern, Ahnen und was es sonst noch so geben mag, solltet ihr darauf eingehen ?“ , wollte Hedan wissen und schlug mit dem mittlerweile vollen Krug auf den Tisch.

,,Wenn ihr an meiner Stelle währt… würdet ihr nicht darüber nachdenken ?“

,, Dazu rede ich zu viel und gern.“ , gab der Kapitän zurück und rang sich ein kurzes Lächeln ab.

,, Und kann ich das Schicksal dieser ganzen Stadt darüber stellen ?“ , erwiderte sie. ,, Ich weiß es klingt seltsam aber ich glaube Kasran würde uns tatsächlich glauben, sollte er erfahren, das der König die Wahrheit über die Seen unter der Stadt verheimlicht… Aber nicht wenn ich als eine Gefangene zu ihm spreche, Hedan.“

Danach schwieg er eine Weile und Elin war die Stille willkommen. Im Augenblick reichte es ihr , dazusitzen und zu trinken, während der Morgen unweigerlich näher rückte. Noch war draußen vor den Fenstern alles dunkel, doch wusste sie, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis der erste graue Schimmer des Morgens sich zeigen musste.

,, Ich kann nicht sagen, dass ich wüsste, was ihr tun sollt, Elin. Manchmal  lässt uns das Leben eben nur die Wahl zwischen einer schlechten Entscheidung… und einer noch viel schlimmeren. Es lieg an euch zu wissen, welche davon ihr nachher weniger bereut. Bereuen werdet ihr sie aber in jedem Fall.

Ich glaube genau solche Entscheidungen sind der Grund, warum die Menschen Alkohol erfanden.“

,, Trinkt ihr deshalb so viel ?“ , wollte Elin wissen.

Hedan lachte zur Antwort. ,, Sagen wir einfach ich habe meine Erfahrungen mit schlechten Entscheidungen. Manche habe ich länger bereut als andere.“

,, Sagt mir… wie immer ich mich entscheide… würdet ihr meinen Eltern einen Brief von mir überbringen, sollte ich hier bleiben ? Ich muss es ihnen zumindest erklären…“

,, Natürlich. Allerdings auch wenn ich euch nicht sage, was ihr tun sollt… ich darf doch zumindest darauf hoffen, das ihr uns begleiten werdet, Elin.“

,, Habt ihr Angst euch ohne mich auf dem Rückweg zu verirren, ja ?“

,, Ich habe Angst mich im Zweifelsfall auf Galren verlassen zu müssen.“ , gab Hedan zurück und klang dabei so Todernst, das Elin sich fragte, wie schlimm es mittlerweile wirklich um den Mann stand.

,, Er kommt nicht wieder zur Vernunft, oder ?“ , fragte sie und ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

,, Wenn ihr wüsstet… Ich erkenne den Jungen kaum wieder, Lias spricht kein Wort mehr mit ihm und Hadrir führt ihn nur noch weiter durch die Stadt, weil er ihn beschäftigen will. Ehrlich gesagt ich bin froh, dass er grade nicht hier ist. Aber solltet ihr Vorhaben uns doch zu begleiten, Elin ist heute vermutlich die beste Gelegenheit. Die anderen werden ihn vermutlich begleiten, wenn er zurückkommt. Dann könnt ihr ihn vor die Wahl stellen und wenn er nicht mit will kann er von mir aus sehen wo er bleibt.“

Kapitel 75 Entscheidung

 

 

 

Einen Moment wurde ihm schwindlig, als sich das Schiff vor ihnen aus der Dunkelheit schälte. Galren wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal geschlafen hatte. Die letzten Tage waren nur eine unbestimmte Abfolge von Bildern und Sinneseindrücken ohne dass er dabei hätte sagen können wann etwas Bestimmtes geschehen war. Nur eines wusste er, er war nach wie vor keinen Schritt weiter gekommen.

Lias lief schweigend neben ihm her, während sie die Rampe zum Deck der Immerwind  hinauf stiegen. Der Mann hatte seit Tagen kein Wort mehr mit ihm gesprochen… und trotzdem kam er immer mit, wenn er und Hadrir erneut aufbrachen um die Stadt weiter zu durchforsten. Nach was, wusste er längst nicht mehr… Vielleicht die Hoffnung irgendwo auf eine Spur zu stoßen. Aber was sollte er den sonst tun? Einfach aufgeben? Und warum nicht ? , fragte eine leise Stimme aus dem hintersten Winkel seines Bewusstseins. Weil es nicht ging, antwortete er. Dass er Lias geschlagen hatte tat ihm im Nachhinein leid aber… warum verstand den außer ihm niemand, das das hier wichtig war. Er konnte sich nicht einmal entschuldigen, ohne zuzugeben, dass sie recht hatten und das… hatten sie nicht.

Naria hatte ihm wiederholt versucht irgendwelche Zauber aufzuerlegen, das hatte er gemerkt. , doch was immer sie versuchte, entweder funktionierte es nicht oder er bekam es zumindest nicht mit. Die Schakalin verhielt sich seit Elin wieder aufgetaucht war mindestens genauso schweigend wie der alte Paladin und was Merl oder Armell anging so war keiner der beiden eine wirkliche Hilfe, dachte er grimmig. Die beiden waren ohnehin bereits zurück zum Gasthaus gegangen, zusammen mit Naria , die verschwand ohne sich auch nur zu verabschieden. Zumindest nicht bei ihm… Alle wendeten sich von ihm ab oder versuchten ihn zu meiden wo es ging…

Er jedoch wollte zurück zur Immerwind. Schlaf wäre ihm ohnehin verwehrt, nicht wenn ihm die Zeit davonlief und… Galren wurde langsamer, als er  und Lias auf das Schiffsdeck hinaus traten. In Hedans Kabine brannte noch Licht, ein warmer Schein, der die Planken in Gold tauchte. Auch wenn es dem Kapitän durchaus nicht ähnlich sah, so lange wach zu bleiben  das war es nicht, was ihn stutzig machte. Durch das kleine Fenster konnte er nicht bloß einen Schatten erkennen, sondern zwei und einer davon war ein gutes Stück kleiner als der andere. Das konnte doch nicht wahr sein!

Lias, der wohl ebenfalls merkte, was vor sich ging, versuchte ihn noch am Arm zu packen, während er auf die Tür zu marschierte und diese ohne anzuklopfen aufstieß.

,, Was macht sie hier ?“ , rief er und sein Blick wanderte sofort zu Elin, die dem Kapitän gegenüber an einem breiten Kartentisch saß, einen halb vollen Krug vor sich. Die Gejarn zuckte sichtlich zusammen, als die Tür aufflog und krachend gegen die Rückwand der Kajüte knallte. Galrens eigene Stimme klang in seinen Ohren harsch und scharf wie ein Messer. Hatte er das grade wirklich so gesagt?

,, Was glaubt ihr denn ?“ , fragte Hedan wirsch und stand halb von seinem Platz auf. Er konnte sehen, wie die Hand des Kapitäns zum Griff einer Pistole an seinem Gürtel wanderte. ,, Und was glaubt ihr dagegen tun zu wollen ?“

Galren war sich der schweren Klinge Atruns an seiner Seite plötzlich viel bewusster. Bevor jedoch irgendetwas geschehen konnte, erhob sich Elin. Ohne ein Wort drängte sie sich an ihm und Lias vorbei auf das Deck.

,, Wo wollt ihr hin ?“ , rief er , bevor er ihr nachsetzte. Erneut war Galrens Stimme lauter, als er beabsichtigt hatte. Hedan machte ebenfalls Anstalten, ihnen zu folgen, wurde jedoch von Lias zurückgehalten. Der Kapitän versuchte sich von dem Gejarn loszureißen, doch dieser Redete lediglich leise und eindringlich auf ihn ein. Galren selbst verstand kein Wort und er achtete auch nicht darauf.

,, Ich gehe ein Stück.“ , erwiderte Elin kalt und war schon die halbe Rampe zum Hafen hinab gestiegen, bevor er schließlich zu ihr aufschloss. ,, Oder wollt ihr versuchen mich daran zu hindern ?“

Das herausfordernde Funkeln in ihren Augen sagte ihm nur zu deutlich was ihre Antwort darauf wäre. Er hatte noch nicht vergessen, dass sie Hedan leicht hätte bewusstlos schlagen können… bei ihrem ersten Treffen. Götter, es schien so lange her, damals… Galren schüttelte den Kopf. Was ? Er konnte sich nicht richtig erinnern. Beinahe als würde ein Nebel über allem liegen was jenseits dieser Stadt geschehen war. Aber er wollte sie doch nicht zum Feind. Er wollte keinen der anderen verletzten… aber verstand sie den alle nicht? Doch sie verstehen dich, antwortete eine leise, geduldige Stimme, fast verstummt im Laufe der letzten Tage. Sie würden dir bis zum Ende folgen. Sieh dir Elin an, sie tut es sogar noch, nach allem. Aber du überstrapazierst die Sache. Das weißt du, wenn du ehrlich bist, Galren… Denk nur einmal daran wer du warst.

Aber das war das Problem. Es gab keine Erinnerungen. Nur Nebel, durch den einzelne Sinneseindrücke huschten. Ein Geruch, ein Gesicht… Blätter, in einem reißenden Sturm.

,, Etwas dagegen wenn ich mitkomme ?“ , fragte er schließlich.

,, Ich vermute ein Nein bedeutet euch ohnehin nichts.“ , antwortete die Gejarn schulterzuckend, bevor sie auf die Hafenmole hinaus trat. Galren folgte ihr zögernd. Irgendwie taten ihre Worte doch weh. Aber das war alles nötig, sagte er sich. Das war es doch oder?

Nein war es nicht, antwortete wieder die dünne kaum hörbare Stimme für ihn. Es war zumindest nicht das Leben seiner Freunde wert. Es war es nicht wert, das er dafür fast alle seine Gefährten gegen sich aufgebracht hatte. Und wofür genau ? Weniger als nichts , bisher.

Der Hafen glitzerte im Mondlicht und die silbrigen Strahlen ließ die Kronen der Wellen als weiß blitzende Schatten erkennen. Türme und die schweren Steinbauten der ersten Häuser warfen tiefe, scharf geschnittene  Schatten auf das Pflaster. Galren lauschte und bis auf ihre Schritte und das Rauschen der Wellen war es fast totenstill. Lediglich in der Ferne hörte er laute Stimmen, vielleicht aus einer Taverne und das verklingende Bellen eines Hundes.

,, Warum sie ihr hier ?“ , wollte Galren schließlich wissen. Sie waren mittlerweile  ein gutes Stück gegangen  und so weit draußen lagen nur noch wenige Schiffe vor Anker. Stattdessen starrte man von der Kante des Hafenbeckens nur in die Nachtschwarzen Fluten hinab wie in einen gähnenden Abgrund. Er war sich gar nicht darüber bewusst, wie dicht er am Wasser stand, keinen Schritt mehr vom Ende der Mole entfernt.

,, Der Thane der Mardar, Kasran, hat mir das Angebot gemacht zu bleiben. Und damit in die Ränge seiner Leibwächter einzutreten. Ich werde es Annehmen. Dann kann ich vielleicht etwas in dieser Stadt verändern. Diese Leute sind verdammt, wenn sie nichts tun… so egal das euch zu sein scheint.  Warum ich also hier bin?“ Ihre Stimme klang bitter, als sie sich zu ihm umdrehte. ,, Um mich zu verabschieden, Galren. Wir werden uns nicht wiedersehen.“

Ein Teil von ihm wollte wütend werden, wollte Fragen, was das sollte. Elin wendete sich gegen ihn, sagte er sich. So wie die anderen, jeder einzelne und sie ging sogar noch einen Schritt weiter. Sie wollte sich wirklich mit dem Mann Verbünden der…

Ein scharfer Schmerz in seinen Schläfen ließ ihn zusammenzucken und Galren machte einen taumelnden Schritt Richtung Wasser. Und warum ? Wer hat sie so weit getrieben, hm?

Er hatte Elin als ein überdrehtes und lebenslustiges Mädchen kennengelernt. Doch davon schien nichts mehr geblieben zu sein. Die Frau vor ihm war Todernst, jedes Wort scheinbar überlegt. Oh sie hatte ganz genau darüber nachgedacht, was sie da tat…

,, Stimme ich zu, wird Kasran mich kaum weiter als Druckmittel gegen euch nutzen können. Ich denke, Galren, ihr wisst auch was das heißt.“

Er blinzelte verwirrt, versuchte sich einen Reim darauf zu machen. Grade eben hatte noch alles in ihm danach geschrieben, die Gejarn eine Verräterin zu schimpfen was… Nach allem was er getan hatte, wollte sie noch weiter gehen?

Erneut gruben sich Unsichtbare Messer in seinen Schädel. Dann erreichst du ja was du willst, meinte er zu sich selbst. Aber um welchen Preis ? , fragte gleich darauf ein ersticktes Flüstern. Elin ist gewillt dir noch mehr Zeit zu verschaffen… Woher diese Loyalität stammte, er wusste es nicht, auch nicht womit er sie sich verdient hatte. Oh doch, das weißt du. Die Frage ist jedoch, bist du bereit dazu, die Hoffnungen eines kleinen Mädchens derart auszunutzen?

Habe ich die eine Wahl?

,,Galren ?“ Er hörte ihre Stimme kaum, merkte nicht, wie blass er geworden war, oder das sein ganzer Körper zitterte.

Wenn du das zulässt, was ist dann aus dir geworden? , fragte er sich selbst.

Es war egal, er konnte nicht aufgeben.

Aber der Preis, den andere dafür zahlen würden…

,, Es geht euch nicht gut dabei.“ , erklärte er leise. ,, Das ging es nie, aber warum… warum habt ihr nichts gesagt, warum hast du weiter gemacht … Warum…“ Warum war sie überhaupt zurückgegangen.

,, Ihr habt mich darum gebeten. Und ich hatte euch ein Versprechen gegeben… ihr erinnert euch? Galren ? Ich habe euch einfach vertrauen wollen…“

Stimmen wirbelten in seinem Kopf durcheinander, manche klangen nach ihm, andere leise, flüsternd und wieder einige brüllende Dämonen, die versuchten jeden Funken Vernunft zu übertönen, den er sich behalten hatte.

Dann soll sie das eben weiter tun…

Nein. Das konnte er ihr unmöglich antun. Keinem von ihnen. Nicht eine Sekunde länger.

Ach willst du etwa Aufgeben?

Sie hatte ihm vertraut. Und er hatte es grenzenlos enttäuscht oder nicht?

Elin schien kaum mehr etwas mit dem aufgeweckten Mädchen gemein zu haben, das Hedan einen Floh getauft hatte. Und das war allein seine Schuld…

Ach ? Suhlen wir uns jetzt wieder in Selbstmitleid, ja? Entweder du machst trotz allem weiter oder du ziehst heulend wieder nach Hause. Aufgeben liegt dir nicht, das macht man nicht…

Doch… für die richtigen Gründe. Alle litten darunter, nicht nur Elin. Lias hatte kaum ein Wort mehr mit ihm gesprochen, die anderen distanzierten sich, selbst Merl… er hatte sich einmal so gut mit dem jungen Zauberer verstanden, hatte ihn als Freund gesehen seit jenen Abend in… Er konnte sich nicht erinnern, war es in der fliegenden Stadt? Selbst das Gespräch das sie geführt hatten war kaum mehr als Fetzen in seinem Geist.

Er hatte alle verraten und enttäuscht, die mit ihm gereist waren, die ihm hatten helfen wollen... auch wenn die tosenden durcheinanderkreischenden Stimmen ihm etwas anderes einreden wollten.

Die wiederstreitenden Rufe lieferten sich einen waschechten Kampf darum, welcher Gedanke sich am lautesten Gehör verschaffte, vermischten sich zu einer gigantischen, misstönenden Symphonie.

Vernunft schrie gegen Wahnsinn, Rationalität und Mitleid gegen sein Bestreben, nicht klein bei geben zu wollen. Und Galren, mittendrin, gefangen in dem Inferno, das seine Seele zu zerreißen drohte, blieb nichts, als dabei mitgerissen zu werden, während sich glühende Nadeln in seinen Kopf bohrten. Er  konnte beinahe spüren, wie sein Geist gegen den absoluten Wahnsinn schleifte, konnte hören wie sich knirschend Stücke seiner Vernunft lösten und auf immer verschwanden. Keine der Seiten gewann hier, sein Selbst wurde lediglich zwischen den wiederstreitenden  Ideen aufgerieben.

Er musste etwas tun… sich entscheiden oder von ihm würde nichts übrig bleiben. Wer war er wirklich? Wie sollte er entscheiden was richtig wäre, wenn es nichts gab worauf er sich stützen konnte? Galren musste sich irgendwie erinnern…

Nebelfinger versuchten erneut nach seinen Erinnerungen zu greifen, lockten ihn mit der Gewissheit, dass er nur mehr Zeit bräuchte… Galren warf ihnen alles entgegen was er war, was ihn wirklich ausmachte. Nein… er würde nicht stumm akzeptieren, was aus ihm wurde, selbst wenn es ihn zerriss… Er stemmte sich dagegen und wenn das hieß, dass seine Suche hier und jetzt ihr Ende fand, dann war das ebenso…

Und dann war es, als ob plötzlich sämtliche Türen in seinem Verstand gleichzeitig aufsprangen. Der Mahlstrom wurde noch einmal intensiver. Hamad… Freybreak… Silberstedt… Wie hatte er vergessen können? Die fliegende Stadt, Lasante, ihre Reise hierher, der Sturm…

Galren stieß einen Schrei aus und sank auf die Knie, erlaubte dem Feuer, durch ihn hindurch zu tosen  und mit den reinigenden Flammen kamen Erinnerungen und Schmerz der nicht mehr nur geistiger Natur war…

 

Kapitel 76 Erwachen

 

 

 

Er blinzelte und erblickte grob behauene Steine  und tiefe Furchen zwischen ihnen, Klippen gleich. Und doch schien irgendetwas damit nicht zu stimmen. Entweder, flog er hoch darüber oder… Galren blinzelte erneut. Nur langsam, wurde ihm  der er auf Hände und Knie gesunken war und das was er dort sah, damit das Pflaster des Hafens sein musste…

Galren atmete schwer, als er sich ein Stück weit aufsetzte. Seine Finger waren bei seinem Sturz aufgerissen und mit dutzenden kleiner, brennender Wunden übersäht. Langsam hob er  sie sich vors Gesicht, hieß den Schmerz willkommen, den jede Bewegung dabei mit sich brachte. Blut lief ihm aus der Nase, obwohl ihm keine Erklärung dafür einfallen wollte. Er wischte es weg. Vielleicht war er auch nur gestürzt… Tief sog er die kühle Nachtluft ein, die in diesem Augenblick den Geschmack von Honig zu haben schien.

Langsam verstummendes Flüstern hallte durch seinen Geist, wie Nebel, der sich über einem Fluss sammelte während der Tag das Land wieder für sich beanspruchte. Galren konnte beinahe körperlich spüren, wie es verschwand, ein vergifteter Splitter, dessen Wiederhaken sich endgültig lösten, bevor er zu Nichts schwand.

Er konnte nicht anders, als festzustellen, dass er sich… freier fühlte. Leichter. Wie seit… seit jenem ersten Tag im Tempel nicht mehr… Das Echo in seinem Geist verhallte. Und doch, wenn es nur ein Schatten gewesen war, der ihn da heimgesucht hatte… was mochte seine Quelle dann erst anrichten?

Und was hatte er getan? Galren schwankte selbst noch im Sitzen, während die Erkenntnis über ihn hereinbrach. Mochte sein, das ihn etwas… Dinge zugeflüstert hatte. Aber es entschuldigte nichts. Ihm war es gelungen dagegen anzugehen, oder nicht? Er war nicht manipuliert worden, er hatte zugelassen, das es ihn langsam veränderte… zu fixiert auf seine Suche, das er es gar nicht bemerkte.

Die Lügen, die er sich selber erzählt hatte brachen unter ihm weg wie eine morsche Brücke und überließen ihn den strömenden, kalten Fluten der Wahrheit…

,,Galren ? Was ist los?“

Elin schien von seinem inneren Kamp nicht viel mitbekommen zu haben, bis zu dem Punkt an dem er schlicht in sich zusammengebrochen war. Doch die Sorge in ihrem Blick trieb ihm erneut einen Dolch zwischen die Rippen. Trotz allem… sie hatte ihn noch nicht aufgegeben gehabt, wo selbst Lias scheinbar die Hoffnung verloren hatte.

Auch wenn er normalerweise zu ihr hinab sehen musste und sie ihn selbst auf Knien grade um einen halben Kopf überragen mochte,  in diesem Augenblick kam er sich klein vor.

,,Götter, was habe ich getan… Ich habe euch alle enttäuscht ich… ich habe mich selbst verraten, Elin. Und es gibt niemanden, den ich dafür die Schuld geben kann als mir selber…“ Er blieb sitzen wo er war, zu matt um aufzustehen oder auch nur den Blick zu heben. Aber er konnte zumindest jetzt alles richtig stellen, nicht? ,, Wir… Wir können morgen früh auf hoher See sein, Elin. Ihr werdet nicht mehr zurück müssen. Das alles ging schon viel zu weit…“

Er war bereit aufzugeben, wenn es nötig war. Und das war es, dachte Galren. Das hier konnte nicht wichtiger sein als seine Freunde oder Elins Leben. Und doch hatte er es geschafft, sich selbst darüber zu verlieren… Er war bereit seine Jagd nach einem Phantom einzustellen… ein seltsamer Gedanke aber auf seine eigene Art tat er gut.

,, Und wenn wir gehen… würdest du uns begleiten ?“

,, Ich weiß es nicht.“ Aber wenn er versuchen würde, das Geheimnis dieses Ortes weiter zu lösen, würde er das tun, ohne dabei jemand anders zu gefährden. Im Augenblick jedoch wollte er nichts weiter als sich bei allen zu entschuldigen… und dann nach Hause zurückzukehren. Heim. Nach Maillac… Es würde gut tun, den kalten Stein dieser Stadt gegen das warme Licht der Holzhütten und die vulkanische Asche gegen den kalten Wind einzutauschen, der Hamad umtoste. ,, Und ich weiß, dass es vermutlich nicht viel Sinn hat aber… kannst du mir nochmal verzeihen ?“

Statt einer Antwort, streckte Elin ihm lediglich eine Hand hin und half ihm auf die Füße. Bevor Galren noch einen sicheren stand wiederfand, zog die Gejarn ihn schon in eine heftige Umarmung.

,,Vergessen und vergeben.“ , flüsterte sie leise und Galren konnte ein , nach all der Zeit, ungewohntes Lächeln nicht unterdrücken. Auch wenn Elins Umklammerung schon fast schmerzhaft war, das Gewicht, das sich von seiner Brust hob ließ ihn kaum etwas spüren.

,, Warum ?“

,, Weil du scheinbar endlich wieder der Mann bist den ich kannte, Galren. Weil ich mich einfach nicht in dir getäuscht habe….“

Eine Weile standen sie nur schweigend und umschlungen am Wasser, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend. Sie würden schnell handeln müssen, das war Galren klar. Wenn auffiel, das Elin fehlte, würden die Mardar nicht lange zögern, nach ihr zu suchen und der erste Ort an dem man sie vermuten würde, wäre das Schiff. Besser, sie waren weit weg, bevor es so weit kam.

,, Wir sollten zur Immerwind zurück.“ , erklärte er schließlich, als sie sich voneinander lösten. ,, Hedan wird etwas Zeit brauchen alles für die Abreise vorzubereiten und wenn die Sonne aufgeht, sollte man uns hier nicht mehr finden.“

Doch zu seinem Erstaunen schüttelte Elin langsam den Kopf. ,, Wir können nicht einfach gehen und die Leute hier ihrem Schicksal überlassen. Oder Galren ?

,,Nein… Aber ich werde auch niemanden dafür opfern, Elin. Du hast gehört, was Hadrir darüber gesagt hat. Man würde uns die Wahrheit schlicht nicht glauben…“

,, Ich weiß das es gefährlich ist… aber Kasran , Aglims Thane, scheint mir wirklich zu vertrauen, Galren. Wenn ich mit ihm rede, wird er vielleicht auf mich hören. Sonst sind wir nur mit daran Schuld wenn diese Stadt untergeht.“

,,Und wenn nicht, Elin ?“ , wollte er wissen. ,, Was tust du wenn er dir trotz allem nicht glaubt ? Oder vielleicht wird er sogar annehmen, dass du die Wahrheit sagst nur entscheidet er sich, dass er dieses Wissen nicht gebrauchen kann? Er würde dich töten…“

,, Wenn er mir nicht glaubt Galren, kehre ich noch vor der Dämmerung zum Schiff zurück und wir können hier weg sein, bevor jemand etwas merkt.“ , erklärte die Gejarn. Sie hatte nur auf eine seiner Fragen geantwortet… ,, Das zumindest bin ich ihm schuldig… ich muss das tun.“

Warum nur kam ihm das viel zu bekannt vor? , fragte er sich. Und wer war er, ihr das zu verweigern?

,, Elin, das kann ich nicht zulassen.“ , setzte er zu einem schwachen Protest an. Es würde nichts nützen, das war ihm klar noch bevor er ihre Hand ergriff. Aber wenn er schon töricht war, dann diesmal wenigstens aus den richtigen Gründen.

,, Ich komme zurück. Versprochen “ , antwortete die Gejarn ernst, bevor sie sich seinem Griff entwand. ,, Außerdem wärst ihr ohne mich doch ohnehin schon lange verloren.“

Bevor Galren die Möglichkeit hatte, etwas zu erwidern, hatte sie ihm einen kaum spürbaren Kuss auf die Wange gegeben… und verschwand wortlos in der Nacht.

,,Pass auf dich auf.“ , flüsterte er, wohlwissend, dass Elin ihn ohnehin nicht hören würde. Galren konnte nur zusehen, wie ihre Gestalt von der Dunkelheit verschluckt wurde, trotzdem blieb er noch eine ganze Weile stehen wo er war. Ihm war, als könnte er immer noch ihre Lippen auf seinem Gesicht spüren und gleichzeitig fragte er sich ob er Elin  wirklich noch einmal wiedersehen würde.

Schließlich, Galren wusste nicht wann genau, machte er sich langsam auf den Rückweg zum Schiff. Er hatte einiges wieder gut zu machen, dachte er. Nach wie vor hatte sich die Erkenntnis, der ganze Schrecken dessen, was er fast zugelassen hätte nicht richtig gesetzt.

Als das Schiff schließlich in Sicht kam sah er, das nach wie vor Licht brannte, diesmal nicht bloß in der Kajüte des Kapitäns, sondern auch an Deck. Doch gegen das Flackern der Laternen zeichnete sich nur eine einzige Gestalt ab, als er die Laufplanke hinauf stieg. Lias…

Der Gejarn stellte sich ihm in den Weg, sobald er einen Fuß auf das Schiffsdeck setzte, die Arme vor der Brust verschränkt.

,, Wo ist Elin ?“ , verlangte er zu wissen. Galren hatte gedacht, Lias würde vielleicht wütend sein oder ihn sogar angreifen wenn er ohne sie zurückkam. Nach dem wie er sich die letzten Tage verhalten hatte, würde er ja selber vom schlimmsten ausgehen…  Was er nicht erwartet hatte, war die absolute Kälte in der Stimme des Mannes. Götter, er musste für so vieles um Verzeihung bitten…

,, Zurück.“ , sagte er nur. Zu mehr taugte seine Stimme nicht mehr.

,, Was soll das heißen, zurück ?“ Der Löwe packte ihn an den Schultern, schüttelte ihn um eine Antwort zu bekommen. Galren holte tief Luft. Wenn es nach Elin jemanden  gab, dessen Vergebung er erbitten musste, dann war das Lias. Der Mann der ihm wie ein Vater gewesen war… und den er maßlos enttäuscht hatte.

,, Ich muss dir so viel sagen…“ Langsam fing er an, alles zu erzählen, von dem Moment, wo er und Elin das Schiff verlassen hatten über seine Erkenntnis, wie dumm er gewesen war, bis zu ihrer Entscheidung, einen letzten Versuch zu wagen, den Thanen der Mardar zur Vernunft zu bringen. Um danach hoffentlich zu ihnen zurück zu kehren. Götter, sie musste es einfach schaffen…

Während er sprach, konnte er sehen wie sich Lias entspannte. Die Kälte wich aus seiner Mine  und als Galren geendet hatte und erneut auf die Knie sank, wirkte er schon fast entsetzt.

,, Ich war ein Narr, Lias. Ich habe uns alle in Gefahr gebracht ich…“ Es war in diesem Moment, dass er die Tränen nicht mehr zurück halten konnte. Den Kopf gesenkt breitete er schlicht die Arme vor ihm aus. ,, Vergib mir noch einmal, falls es dafür nicht zu spät ist…“

Eine Ewigkeit schien zu vergehen, in denen keiner von ihnen mehr ein Wort sprach. Galren hatte auch nicht damit gerechnet, dass der Mann ihm einfach so verzeihen könnte. Der Verrat Lias  gegenüber ging weit  über verletzte Gefühle weit hinaus… und wie sollte er je wieder gut machen, was geschehen war?  Er konnte sich nicht dazu durchringen aufzusehen um Lias Blick noch einmal zu begegnen, fürchtete, was er darin sehen mochte.

,, Galren… muss ich einem  Blinden vergeben, wenn er über meine Füße stolpert ?“

,, Was ?“ Seine Stimme war kaum ein Flüstern, als er es schließlich doch wagte nach oben zu Blicken. Bevor er jedoch etwas erkennen konnte, traf ihn etwas am Kopf und fiel mit einem klickenden Geräusch vor ihm auf die Planken. Galren blinzelte verwirrt, als er erkannte, was Lias ihm da zugeworfen hatte. Es war ein etwa Armlanger Holzstab, übersäht mit Scharten und Dellen, von denen er genau wusste, woher sie stammten. Das war seine alte Übungswaffe… Unsicher nahm er das Stück Holz an sich.

,, Lias ?“

Der Gejarn hielt mittlerweile ebenfalls ein.  ,, Ich dachte, da wir dein Training in letzter Zeit etwas vernachlässigt haben, holen wir das gleich heute nach. Und während wir das tun, wirst du mir noch einmal genau erklären was eigentlich in dich gefahren ist.“

Lias streckte ihm eine Hand hin und zog ihn schließlich wieder auf die Beine. Galren wankte einen Moment doch… er fühlte sich besser. Viel besser sogar. Noch wagte er es nicht, Lias länger in die Augen zu blicken aber… Ein schmerzhafter Schlag an seiner Schulter holte ihn zurück in die Gegenwart.

,, Wie oft glaubst du muss ich dir noch sagen, das man seinen Gegner nie aus den Augen lässt ?“ , fragte Lias grinsend. ,, Aber es ist schön, dass du langsam wieder zur Vernunft kommst.“

Vernunft… ein seltsames Wort, dachte Galren, während er nur seinerseits nach Lias schlug. Dieser parierte ohne sichtbare Anstrengung und brachte ihm einen erneuten blauen Fleck über  den Rippen bei. Der Angriff war schlecht gezielt, er noch zu Aufgewühlt um sich wirklich zu konzentrieren. Aber das würde schon noch kommen. Im Augenblick war er völlig zufrieden damit zu wissen, dass zumindest zwischen ihm und Lias wieder alles wie immer werden konnte. Und was die anderen anging… Er würde sie alle bitten müssen ihm noch eine letzte Chance zu geben. Wenn es nach ihm ging, konnten sie wieder nach Hause. Nur schien es jetzt so, als müsste er Elin vielleicht davon überzeugen…

Am Ende hatte das Schicksal Sinn für Ironie…

 

Kapitel 77 Wahrheit

 

 

 

Elin beeilte sich, bei ihrem Weg durch die Dunkelheit. Der Morgen konnte nicht mehr fern sein und sie konnte es sich nicht erlauben, dass ihr Fehlen erneut Auffiel. Und doch wanderten ihre Gedanken immer wieder zu den Ereignissen der vergehenden Nacht zurück. Sie hatte jede Hoffnung eigentlich schon Aufgegeben gehabt aber… Galren schien tatsächlich, endlich, wieder zu sich selbst gefunden zu haben. Elin fühlte sich alleine dadurch schon, als wäre ihr eine gewaltige Last abgenommen worden. Als wäre die Aufgabe, die noch vor ihr lag, ganz einfach…. Aber das war sie nicht, erinnerte die Gejarn sich selbst. Ihr war durchaus klar, wie gefährlich es sein konnte, den Thanen der Mardar über die Geheimnisse seines Königs zu informieren und gleichzeitig… wie konnten sie guten Gewissens gehen ohne es zumindest versucht zu haben?

Sie musste Kasran einfach dazu bringe, sie anzuhören egal ob ihm die Wahrheit nun gefiel oder nicht und dann… wenn ihm sein Volk wirklich so viel bedeutete, wie er sagte, wenn er ihr wirklich traute… dann konnte er nicht anders, als sich gegen den König aufzulehnen und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Eine Wahrheit, welche die Zwerge vielleicht retten würde. Kasran meinte, sein Volk sei stur, aber es konnte unmöglich so blind sein, das es sich bei einer solchen Bedrohung nicht endlich zusammenraufte um zusammen nach einer Lösung zu suchen. Und wenn diese darin bestand, die Zwerge nach Canton zurück zu bringen, dann war das ebenso. Die Isolationisten konnten ihren Stolz nicht über das Leben aller stellen. Zumindest hoffte Elin das. Der Thane war ihr bisher immer vernünftig erschienen, jemand dem sie, trotz des unsicheren Stands den sie bei ihm hatte, zumindest etwas vertrauen konnte. Aber wenn sie falsch lag, wie Galren befürchtete ?

Aber er hatte sie zu seiner Vertrauten machen wollen, oder nicht? Das musste doch ins Gewicht fallen, auch wenn der Gedanke über das, was sie beinahe getan hätte, ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Das war es nicht wert, sagte sie sich und wenn sie ehrlich war, hatte sie wirklich nur annehmen wollen, weil sie hoffte, das Kasran ihr dann eher glauben würde? Nein, entweder er traute ihr oder er traute ihr nicht, ihre Fähigkeit zu sprechen zu verlieren konnte dabei kaum eine Rolle spielen. Wenn der Thane ihr erneut ein Angebot unterbreitete, würde sie es einfach höflich ablehnen, entschied Elin sich. Geister, ein wenig hatte sie sich wie ein richtiges Kind Verhalten. Sicher Galren war ihr…. Wichtig, aber sie hatte darüber fast alles andere aus den Augen verloren. Das geschah ihr nicht noch einmal, schwor Elin sich.

Hieß das aber, das Algim am Ende Recht hatte?  Wenn ja, dann hatte Kasran genau gewusst, was er tat, als er den Marschall auf sie losließ. Und sie genauso wie Algim hatten getan und reagiert, wie der Thane es wollte. Puppen die an Fäden tanzten nicht mehr…

Er hatte immerhin auch von ihrer ersten Flucht gewusst, so viel hatte er zugegeben, aber wusste er auch, wie es um Galren gestanden hatte? Wie zerrissen die anderen alle waren? Wenn ja, dann hatte sein Freundlichkeit eine perfide Methode gehabt… Er gewann einen Verbündeten, wurde seine vermeintlichen Feinde los… und gleichzeitig bliebe ihr keine Möglichkeit mehr, sich jemanden zu erklären-

Elins Schritte wurden langsamer, als sie den schmalen Lichtstreifen vor sich erkennen konnte, der zeigte, wo die Lücke in der Decke des Tunnels war. Nach wie vor stand die Kiste an ihren Platz über dem Durchstieg und sie atmete kurz erleichtert auf.

Aber hatte der Thane am Ende wirklich die ganze Zeit darauf spekuliert sie zu einem Gefährten zu machen? Wenn ja, wie mochte er reagieren, wenn er erfuhr, dass es nicht funktionieren würde?

Es spielte keine Rolle, sagte die Gejarn sich. Wenn er ihr glaubte, schön, wenn nicht, wäre sie noch vor Sonnenaufgang wieder auf der Immerwind und mit den anderen auf dem Weg nach Hause. Zuhause… Sie hatte lange nicht mehr daran gedacht. Was ihre Eltern wohl sagen würden, wenn sie wieder auftauchte? Vermutlich nicht zu viel, wie sie sie kannte. Oh sicher, sie würde sich die Predigt ihres Lebens anhören können, aber es war ja nicht so, dass sie die einzige war, die sich bei jeder Gelegenheit in ein Abenteuer stürzte.

Grinsend bei diesem Gedanken tastete sie nach dem Boden der Kiste, schob ihn beiseite und zog sich hinauf in den schwach erleuchteten Keller. Das Lächeln gefror jedoch auf ihrem Gesicht, als sie nach oben sah, halb über dem Loch im Boden baumelnd und in die kalten, dunklen Augen von Algim Mardar starrte.

Sie dachte nicht lange nach, sie reagierte nur noch. Mit einem Satz war sie auf dem harten Boden des Kellers, während der Marschall mit einer Faust ausholte. Diesmal jedoch blitzte darin die Klinge eine fast armlangen Messers auf. Diesmal wollte er sie unter allen Umständen töten…

Elin jedoch war darauf vorbereitet. Was ihr an Stärke fehlte, hatte sie Algim an Flinkheit voraus. Sie spürte den Luftzug der Klinge an ihrer Wange, als sie seinem ersten Angriff auswich, konnte den tödlichen Stahl fast schmecken, ihr Puls raste…

Und dann schlug sie selber zu, legte alle Kraft in den Hieb, der Algim an der nach wie vor bandagierten Schläfe traf. Der Zwerg taumelte mit einem Aufschrei zurück, während Elin sofort nachsetzte. Das war ihr einzige Chance, das wusste sie. Ohne auf etwas anderes zu achten, trat sie dem Mann den Dolch aus der Hand und warf den Marschall zu Boden, bevor er sich wieder fangen konnte. Doch bevor sie dazu kam, erneut zuzuschlagen, wurde sie plötzlich von vier Händen gepackt und von Algim weggerissen, der sich blutend, aber grinsend wieder erhob. Erst jetzt wurde Elin klar, dass sie nicht alleine mit ihm im Keller war. Hinter ihr hatten sich zwei Wachen in schweren Stahlpanzern postiert. So sehr sie auch ersuchte, sich ihrem Griff zu entwinden, alles was ihr das einbrachte, war ein schmerzhaftes Ziehen in ihren Muskeln, während die Männer unbeeindruckt stehen blieben, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Wenn ihr nicht schnell etwas einfiele…

,, Ich habe euch davor gewarnt, noch einen Fluchtversuch zu unternehmen.“ , drang eine Stimme aus der Tür des Kellers. Kasran trat langsam und auf seinen Rubinstock gestützt ein. Hinter ihn folgten weitere Soldaten während er sie traurig, aber wissend betrachtete.

,, Ich habe euch  gesagt, das man ihr nicht trauen kann.“ , erwiderte Algim, der sich das Blut von der aufgeplatzten Wunde auf seiner Stirn wischte.

,, Das habt ihr wohl.“ , erwiderte der Thane betrübt.,, Und ich habe euch dafür gescholten und ignoriert. Sieht aus, als müsste ich mich grade zwischen zwei Verrätern entscheiden, was meint ihr?“

Er trat auf Elin zu, die mittlerweile nicht einmal mehr versuchte, die Wachen abzuschütteln. Es hatte keinen Zweck. 

Sie hatte etwas Wichtiges vergessen… es konnte immer schlimmer kommen…

,, Ich…“ Elin suchte nach Worten. Der Mann klang wirklich verletzt, so seltsam das schien und ihr wollte nichts einfallen, das sie sagen konnte, um Kasran wieder für sich zu gewinnen.

,, Es war wohl töricht zu hoffen, ihr würdet euch meine Warnung zu Herzen nehmen Elin. Aber was tut ihr stattdessen? Ihr nutz meine Gastfreundschaft und meine Großzügigkeit aus, indem ihr euch gegen uns wendet. Oder welchen anderen Grund habt ihr, euch davonzustehlen?“

,, Ich bin nach wie vor eine Gefangene.“ , erklärte sie lediglich. War der Mann wirklich überrascht, dass sie versuchen könnte, zu fliehen? Wenn ja, warum ? Weil er glaubte, sie längst auf seiner Seite zu haben, dachte Elin.

,, Ich dachte, es wäre möglich, diese Sache sanft zu Ende zu bringen.“ , erklärte er. ,, Ich dachte wirklich man könnte euch für uns gewinnen…. Das ihr zu überzeugen wärt…“

,, Ihr meint, indem ihr mich manipuliert euch zu folgen.“ , rief sie, der Verdacht, den Algim in ihr geweckt hatte nun einen Namen gebend. Kasran erwiderte nichts, doch das brauchte er auch nicht

Sein Blick in dem sich tatsächlich so etwas wie eine Entschuldigung zu verbergen schien, war alles, das sie als Antwort brauchte. Sie hatte Recht…

,, Es geht hier um unser Überleben.“ , erklärte der Thane schließlich, während er zu Algim trat. ,, Und ich weiß, wer das eher für uns sicher kann.“

,, Jetzt reicht es aber.  Euer Volk wird sterben, wenn ihr nichts unternehmt und ich bezweifle, das euch wirklich bewusst ist, wie ernst die Sache ist. Vergesst den Propheten, Kasran. Vergesst den König. Verdammt vergesst euch selbst nur mal für einen Augenblick und hört mir zu…“ Elin warf sich erneut gegen den Griff der zwei Posten, die sie hielten und diesmal schaffte sie es sich den gepanzerten Fingern zu entwinden. Mit zwei, für sie,  großen Schritten war sie bei Kasran, der den Wachen hinter sich nur ein Zeichen gab, zu bleiben, wo sie waren.

,, Wenn ihr mir etwas zu sagen habt, sprecht.“ , erklärte der Thane ruhig. ,, Es kann wenig ändern.“

,, Ich glaube schon. Das Wasser geht euch aus. Ich war in den Katakomben, Kasran, die Seen dort unten sind praktisch verschwunden. Auf Dauer braucht euer Volk Hilfe oder ihr reißt euch endlich zusammen und sucht gemeinsam nach einer Lösung. Aber wenn ihr weitermacht, wie bisher, wird keiner Gewinnen. Ihr werdet lediglich alle in ein paar Monaten verdursten, weil ihr keine Reserven habt um zu bleiben und auch nicht genug Wasser um einen Weg über das Meer zu suchen. Bitte…“

Zu Elins entsetzen bestand die Antwort auf ihre Worte in heißerem Lachen. Algim schwankte nach wie vor von dem Schlag, den sie ihm versetzt hatte und doch schien er sich gar nicht mehr einkriegen zu wollen.

,, Natürlich…“ , erwiderte er höhnisch. ,, Wenn dem so wäre, Kleine, dann müsste der König lange davon wissen. Und warum sollte er das Geheimhalten?“

,, Na vielleicht damit der Prophet nicht plötzlich die Kontrolle erlangt ? Was glaubt ihr würde passieren, wenn er ehrlich wäre? Der König weiß durchaus davon.“ , entgegnete  Elin ihm kalt. ,, Und deshalb ist es auch so wichtig, das ihm jemand dabei hilft, einen Weg aus dieser Misere zu finden. Darum bitte ich euch. Und wenn euch euer Volkwirklich so viel bedeutet, dann werdet ihr genau das auch tun.“

,, Das ist lächerlich.“ Algim machte eine wegwerfende Handbewegung und drehe sich zu Kasran um. Elin sah hilfesuchend zu ihm. Am Ende war es nach wie vor egal, was der Marschall dachte, solange nur der Thane vernünftig wäre…

,, Ich weiß nicht ob ich euch glauben kann…“ , sagte er nachdenklich.,, Es ist wahr, das der König sich in diesem Konflikt bisher immer recht seltsam verhalten hat. Aber er verhält sich schon eine ganze Weile so und ehrlich gesagt habe ich ihm auch nie ganz vertraut….“

,, Er weiß auch schon lange von dem Wasser.“ , antwortete sie.

Algim schüttelte den Kopf. ,, Klingt, als hättet ihr euch das grade ausgedacht.“

Kasran gebot ihm mit einer Geste zu schweigen. ,, Vielleicht sagt ihr die Wahrheit, Elin. Vielleicht versucht ihr aber auch nur euch hier heraus zu reden…“

,, Das ist nicht…“ Der Thane hob eine Hand und tatsächlich hörte sie sofort auf zu sprechen.

,, Vielleicht glaubt ihr aber auch tatsächlich mir die Wahrheit zu sagen, doch seit selber einer Lüge aufgesessen. Käme ans Licht, was ihr mir grade sagt, der einzige der dabei Gewinnen würde, wäre der Prophet. Ich traue es ihm durchaus zu, diese Lüge ohne euer Wissen fabriziert zu haben. Ihr kennt diesen Mann nicht, wie wir es tun. Wenn dann ist es aber nicht eure Schuld. Punkt ist… ich kann euch nicht trauen und wenn ihr die Wahrheit sagt… nun, wir werden uns damit auseinandersetzen, wenn ihr fort seid.“

,, Fort…“
,, Ich habe vor , weiterzumachen, wie gehabt.“ , erklärte der Thane und seine Stimme klang plötzlich kalt. ,, Eure Freunde und ihr werdet diese Stadt verlassen. Und zwar spätestens Übermorgen. Keine Verzögerungen mehr und keine Ausflüchte. Und Algim….“

Der Marschall verbeugte sich kurz.

,, Ich will das ihr diese Sache übernehmt. Seht es als meine zweite Chance für euch an. Ich schlage vor, ihr nutzt sie weise.“

,, Keine Sorge, Herr, das werde ich. Ich werde alles zu eurer Zufriedenheit Regeln, das schwöre ich. Ich habe einen Kontakt unter unseren neuen… Freunden.“ Das triumphierende Grinsen auf dem Gesicht des Mannes ließ ihr das Blut in den Andern gefrieren. Das sie und die anderen quasi aus der Stadt gejagt wurden, damit konnte sie Leben aber irgendetwas an Algims auftreten war schlicht… falsch. Er hatte nicht bloß vor, die Bedingungen für ihre Freilassung zu übermitteln. Und ein Kontakt ?

Wer bei allen Geistern, war das ?

 

 

Kapitel 78 Zweites Ultimatum

 

 

 

Galren lief Unruhig an Deck der Immerwind auf und ab, den Blick auf die Sonne gerichtet, die bereits eine gute Handbreit über den Horizont gestiegen war.

Um ihn herum standen die restlichen seiner Gefährten, die im Laufe der Nacht eingetroffen waren, nachdem Hedan sie alle für die bevorstehende Abreise hatte wecken lassen. Er wusste nicht, wie oft er sie in den letzten Stunden alle um Verzeihung gebeten hatte, Lias eingeschlossen, der ihm offenbar nach ein paar blauen Flecken endgültig hatte vergeben können.

Naria war eine der ersten gewesen, die das Schiff erreichten  und nach allem, was er sagen konnte, hatte sie vermutlich nicht einmal geschlafen. Seine Versuche, sich bei ihr zu entschuldigen, hatte die Schakalin lediglich mit einem wissenden Nicken zur Kenntnis genommen. Manchmal war er einfach fest davon überzeugt, das diese Frau um einiges mehr wusste, oder zumindest vermutete, als sie je zugeben würde. Dann wieder fragte er sich, ob er überhaupt erfahren wollte, was sie wissen konnte.

Was Merl und Armell anging, so hatte es wenig gebraucht, den jungen Magier zu Überzeugen, doch Armell schien anfangs weniger bereit, ihm einfach so zu vergeben. Galren konnte später nicht sagen, wie lange sie sich angeschwiegen hatten, bis es schließlich Sentine war, die den Patt auflöste. Mit wenigen Flügelschlägen war das Wesen wie ein Geist von Armells Schulter auf seine Gewandert. Das schien den Ausschlag für die junge Adelige zu geben.

,, Es ist trotz allem schön euch wieder zu haben.“ , hatte sie mit einem unsicheren Lächeln auf den Lippen erklärt. Ihm war nur zu klar, wie viel vertrauen er verspielt hatte. Und er konnte nicht erwarten es sofort zurück zu gewinnen. Aber mit der Zeit, das wusste er, würde es ihm gelingen. Wenn er sich selbst ab jetzt treu blieb, egal was auch geschehen mochte...

Nun jedoch machte sich Unruhe in ihm breit, während er beobachtete, wie die Sonne höher stieg. Elin hatte bei Anbruch der Dämmerung wieder hier sein wollen und das war vor Stunden gewesen. Irgendetwas stimmte da nicht, Galren konnte es einfach spüren und noch zögerte er, was er tun sollte. Aber wenn sie nicht hier war, bis Hedan die letzten Vorbereitungen abgeschlossen hatte, würde er sich Lias und die anderen schnappen und das Anwesen der Mardar in Trümmer legen , bis er sie fand. Sollte der König sie danach ruhig aus der Stadt verbannen, sie hatten eh vor zu gehen. Den Leuten hier war ohnehin kaum noch zu Helfen. Vielleicht hätte er Elin auch nicht gehen lassen dürfen. Und doch, hättest du sie aufhalten können ? Nein, das hätte er nicht. Elin ließ sich so wenig etwas sagen wie... nun er selbst.

,, Ihr wird schon nichts passiert sein.“ , meinte Lias beruhigend, während Galren zur dem Hafen zugewandeten Seite des Schiffs hinüberlief. Der Löwe schien sich mehr selbst beruhigen zu wollen, als mit ihm zu reden. Wenn er das noch glauben könnte, wäre er um einiges ruhiger.

Am Hafen selbst herrschte trotz der frühen Stunde schon reges Treiben, vor allem die Fischer, die ihre Boote zu Wasser ließen und einige Straßenhändler, bei denen man Backwaren oder Trinkwasser erstehen konnte. Beinahe könnte man sich von dem Anblick dazu verleiten lassen zu glauben, die Zwillingsstädte seien friedlich... doch sie alle wussten, das sie das nicht waren. Unter der Oberfläche des normalen Lebens hier verbargen sich mehr Geheimnisse, als sie vielleicht je wissen würden und dieser Ort drohte zunehmend davon zerrissen zu werden. Am Ende hatte Elin wohl recht gehabt, zu gehen, es zumindest versuchen zu müssen, dem ganzen ein Ende zu machen...

Galren wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich die Menge aus Fischern und Händlern plötzlich teilte um einer kleinen Kolonne gepanzerter Zwerge Platz zu machen, die auf das Schiff zuhielten. Galrens Hand wanderte instinktiv zum Schwertgriff und er konnte spüren, wie sich auch die anderen anspannten. Noch war die Truppe zu weit weg, als das man die Runen und Symbole auf ihren Rüstungen erkennen könnte... Dann jedoch schallte eine ihm nur zu gut bekannte Stimme zu ihnen herauf.

,, Galren.“ Hadrir, der an der Spitze seiner Männer ging, nahm den Helm ab und winkte ihnen einen Moment zu. ,, Ich habe es nicht glauben können, als man mir Berichtete, ihr wolltet uns heute schon verlassen.“

Der , zumindest für einen Zwerg wohl junge, Mann rannte behände die Laufplanke hinauf um zu ihnen an Bord zu gelangen. Seine restlichen Leute warteten derweil unten, zu zwei Reihen formiert. Galren war erleichtert festzustellen, das er bei keinem der Männer das Wappen der Mardar erkennen konnte.

,, Das war zumindest der Plan.“ , begrüßte er den Zwerg mit einem kurzen Handschlag. Ein kurzes Lächeln huschte über Hadrirs Züge. Galren hatte nichts gesagt, aber die Veränderung war wohl auch dem jungen Königssohn nicht entgangen. ,, Wir warten nur noch auf einen der unseren. Elin ist den Mardar entkommen.“ Er hatte den Zwerg ebenfalls gebeten zu kommen, aber nicht erwartet das er mit kleinen Streitmacht hier auftauchen würde.

,, Und warum ist sie dann nicht hier ? Ich bin der letzte der euch davongejagt sehen will, aber das wird sich Algim kaum gefallen lassen. Je länger ihr zögert, desto eher wird er zuschlagen. “

,, Sie wollte noch einmal zurück.“ , schaltete sich Armell ein. ,, Kasran sollte die Wahrheit erfahren, bevor wir gehen.  Wir wissen alle, wie euer Vater dazu steht, aber wenn wir gehen, haben diese Leute zumindest ein Recht auf die Wahrheit.“

Hadrir nickte. ,, Ich kann nicht sagen, das es keine Erleichterung wäre. Auch wenn der König das ganz sicher nicht gerne hört, es würde zumindest Bewegung in die Sache bringen. Die Stadt wird langsam aber sicher immer gefährlicher. Selbst ich kann mich kaum noch ohne Begleitschutz bewegen... Es muss etwas geschehen.“

Das erklärte zumindest, warum er mit so vielen Leuten hier auftauchte, dachte Galren.

,, Momentan können wir nur hoffen, das die Kleine wieder auftaucht.“ , meinte Hedan, der grade die letzten Anweisungen gab um das Schiff seetüchtig zu machen. Die Immerwind war bereits seit Wochen vollständig repariert und die Laderäume bis zur Decke gefüllt. Es bräuchte nur noch ein Zeichen und sie könnten sich auf den Weg machen. Nach Hause...

Galren fühlte sich nach wie vor unsicher bei der Vorstellung, aber... wenn er eines wusste, dann, das es die richtige Entscheidung war. Wenn nicht für ihn, dann für alle anderen. Er konnte nur hoffen, das diese Einsicht nicht zu spät gekommen war. Wie um seine düsteren Vorahnungen zu unterstreichen, hallte ein lautes ,, Stop, im Namen des Königs!“ von der Mole herauf. Dem Ruf folgte das Scharrende Geräusch von Stahl als Klingen gezogen  wurden und die leisen Klicklaute von Abzugshähnen, die gespannt wurden.

Hadrir, er und die anderen fuhren sofort herum um zu sehen, was der Grund für den Lärm war.

Die Leibwache des Zwergs hatte einen Halbkreis vor dem Aufstieg zum Schiff gebildet, die eine Hälfte von ihnen  war auf ein Knie gesunken, die Gewehre im Anschlag, während die andere Hälfte die Lücken zwischen ihnen mit gezückten Schwertern schloss. Eines musste Galren ihnen lassen, auch wenn sie aus den unterschiedlichsten Häusern zusammengewürfelt waren, der Königswache fehlte es ganz offenbar nicht an Disziplin.

Den einzelnen Mann, den sie umringten schien das jedoch wenig zu beeindrucken. Unter dem purpurfarbenen Umhang den er trug schimmerte ein schwerer Panzer, in dem das Wappen des Hauses Mardar gestanzt worden war. Dunkle Augen sahen zu ihnen herauf, während er sich eine Strähne schwarzen Haars aus dem Gesicht strich.

,, Pfeift eure Hunde zurück, Hadrir , bevor ich das Übernehme.“ Algim trat ohne abzuwarten ob der Zwerg seine Männer auch tatsächlich zurückbeordern würde, zwischen ihnen hindurch. Einen Moment sahen die Wachen unsicher zu Hadrir, der jedoch lediglich mit den Schultern zuckte, bevor sie  dem Marschall entgegengingen.

,, Was habt ihr hier zu suchen ?“ , verlangte er zu wissen.

,, Nun es interessiert eure Freunde vielleicht, das euer Plan gescheitert ist.“ Die Stimme des Mannes troff geradezu vor Selbstgefälligkeit, während er am Anfang der Laufplanke stehen blieb.  ,, Ihr könnt nicht wirklich jemals geglaubt haben, jemand würde eure Lügen schlucken. Auch wenn ich fürchte, das Kasran nach wie vor viel zu viel Nachsicht mit euch zeigt, die Gejarn ist wieder in unserer Hand.“

,, Was habt ihr mit ihr gemacht ?“ , verlangte Galren zu wissen. Alle seine Vorahnungen schienen sich grade zu bewahrheiten...

,, Noch gar nichts. Und leider wird das auch so bleiben. Mein Thane hat kein Interesse daran euch für eure Dreistigkeit eine Lektion zu erteilen, im Gegensatz zu mir. Die Kleine lebt... und ihr könnt sie mitnehmen, so fern ihr tut, was ich verlange. Ihr werdet die Stadt verlassen, sobald man sie euch übergibt. Der König wird zugegen sein, deshalb treffen wir uns morgen früh auf dem Damm. Solltet ihr nicht auftauchen, stirbt Elin.“

,, Wir ziehen gleich jetzt ab.“ , erklärte Galren. ,, Nur... lasst sie gehen.

Merl schüttelte den Kopf. ,, Es muss einen besseren Weg geben, wir können diese Leute nicht ihrem Schicksal überlassen.“

,, Können wir schon.“ , bemerkte Naria und die Kälte in ihrer Stimme schien selbst Algim kurz dazu zu bringen seine Selbstsicherheit zu verlieren.

,, Wie könnt ihr so etwas sagen ?“ , fragte der junge Magier aufgebracht.

,, Weil es die Wahrheit ist, Merl. Weder wollen diese Leute unsere Hilfe noch glaube ich, das sie sie verdienen. Das geht jetzt lange genug Algim.“

,, Damit zumindest habt ihr recht. Aber wenn ihr glaubt, das wir unseren Zeitplan den Wünschen irgendeines...Fremden anpassen, dann habt ihr euch getäuscht. Morgen früh. Und dabei bleibt es. Ihr kennt die Bedingungen und es gibt nichts zu verhandeln. Und ehrlich gesagt wenn es nach mir ginge, würde ich die Kleine töten und euch gleich mit. Also bitte... tut mir den gefallen... versucht mir weiter irgendwelche Bedingungen zu stellen... “

,, Ihr vergreift euch im Ton, Algim.“ Ohne das sie etwas davon mitbekommen hatten, hatte sich Hadrir zwischen Galren , die anderen und den Marschall geschoben. ,, Und ehrlich gesagt, bin ich es für heute leid freundlich zu sein. Ihr habt gesagt, was ihr zu sagen hattet. Ich schlage vor ihr verschwindet.“

,, Und wenn nicht ?“ , funkelte Algim ihn herausfunkelnd an.

,, Ich hatte gehofft, ihr würdet fragen. Männer, wenn dieser... Bastard bei drei noch hier ist, nehmt ihn in Gewahrsam. Wenn er sich wehrt, tötet ihn. Es ist mir völlig egal, was der König davon halten mag, ich habe euch aufgefordert zu gehen... und diese Leute stehen unter meiner Verantwortung. Es ist mein gutes Recht, dem Nachdruck zu verleihen...“

Einen Moment blieben sowohl der Marschall als auch Hadrir stehen wo sie waren, keiner bereit zurückzuweichen, oder Aufzugeben.

,, Eins...“

,, Glaubt ihr wirklich ihr könnt mir drohen ?“

,,Glaubt ihr ,ihr wollt das herausfinden ? Zwei...“

,,  Ich werde euch genau so sterben sehen, wie die Fremden die ihr zu schützen versucht.“

,, Drei.“ Hadrir sah den Mann nur mit kaltem Blick an. Doch keiner seiner Männer rührte sich.

Algim fing an zu lachen. ,, Ich wusste ihr habt nicht den Mut dazu.“ , sagte er höhnisch. ,, Ich wusste ihr...“

Hadrir schlug schneller zu, als Galren  der Bewegung folgen konnte. Zwar trug der Marschall einen schweren Körperpanzer, doch sein Gesicht war frei. Heulend stolperte er zurück , als die behandschuhte Faust ihn traf. Er meinte Blut zwischen den  Fingern des Marschalls  hervorsickern zu sehen, als er halb blind vor Wut und Schmerzen die Planke hinab stolperte.

,, Muss ich mich noch deutlicher Ausdrücken ?“ , fragte Hadrir, der ihm folgte, bereit nachzusetzen. An den Panzerschuppen au der Rückseite seines Handschuhs hingen einige feine, rote Sprenkel.

,, Das werdet ihr bereuen...“  , presste Algim hervor, ehe er sich mit einem Ruck umdrehte und die Mole hinab verschwand.

,, Ich hoffe wirklich ich sehe diesen Kerl nie wieder.“ , bemerkte Armell , während sie ihm nachsahen. Besorgt sah sie zu Hadrir, der den Handschuh abstreifte und einfach neben sich fallen ließ. ,, Aber was ist mit euch ? Wird das keine Folgen für euch haben ?“
,, Und wie.“ , antwortete der Zwerg, grinste dabei jedoch von Ohr zu Ohr. ,, Oh ja, ich werde mir die Standpauke meines Lebens dafür anhören dürfen, vielleicht muss ich mich sogar mit einem anderen Mardar duellieren... aber wisst ihr was ? Das war es mir absolut wert... Ich fürchte nur, es wird Elin wenig nützen...“

,, Wir können sie nicht befreien, oder ?“ , fragte Galren betrübt.

,, Nein. Ich fürchte nicht. Damit werden sie jetzt spätestens rechnen... Ich glaube wirklich, wir können diesmal nur tun, was sie verlangen.“

,, Das werden wir noch sehen.“ ,murmelte Merl, der Naria einen strafenden Blick zuwarf. Untypisch für den Magier, aber die Gejarn schien sich ohnehin kaum daran zu stören.

,, Ich sage nur wie ich die Dinge sehe. Es tut mir leid... aber wie Hadrir schon sagte, diesmal haben wir keine Wahl...“

 

Kapitel 79 Hinterhalt

 

 

 

 

Merl wartete nur so lange, bis er sicher sein konnte, das alle schliefen. Im Zimmer des Gasthauses war es mittlerweile stockdunkel, doch seine Augen hatten genug Zeit gehabt, sich an die Finsternis zu gewöhnen. Er konnte Armell neben sich spüren, ihre Gestalt nur ein Schemen unter den Decken. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, setzte er sich auf und schlug die Decke zurück. Einen Moment verharrte er, lauschte ihrem regelmäßigen Atem... dann murmelte er einen leisen Zauber, der sie hoffentlich bis zu Morgen weiterschlafen lassen würde. Erst jetzt wagte Merl  es, sich ganz aufzusetzen und zog sich an, bevor er das Zimmer verließ.

 Als er wenige Minuten später aus der Tür des Gasthauses trat fröstelte er einen Moment. Die Nächte hier waren eigentlich so warm, das man den Unterschied zum Tag kaum mitbekam, aber heute erschien ihm die ganze Stadt irgendwie...kalt. Merl wusste, worauf er sich einließ. Vielleicht hätte er sich Armell anvertrauen sollen, überlegte er... aber sie würde ihn niemals alleine gehen lassen. Er wusste worauf er sich einließ, sagte er sich wieder. Er wusste nur nicht, ob er auch zurückkehren würde. Den braunen Umhang eng um sich geschlungen machte er sich auf den Weg durch die verlassenen Straßen in Richtung Stadtmauer. Bisher hatte er die Stadt nie verlassen... doch das würde sich heute Nacht ändern müssen. Mit einer Handbewegung rief er ein kleines Licht herbei, das über seiner Handfläche schwebte.

Naria würde nicht recht behalten, sagte er sich, während vor ihm der Hafen in Sicht kam. Doch das hieß auch, das es an ihm lag, dafür zu Sorgen. Mochte sein, das die Zwerge nicht sahen, was auf sie zukam, aber das hieß nicht, das sie ihre Hilfe nicht verdienten. Und genau deshalb musste er auch persönlich mit Kasran sprechen. Der Thane hatte vielleicht nicht auf Elin gehört, aber nach allem, was er bisher über ihn gehört hatte, war der Mann nicht unvernünftig. Wenn er von zwei Leuten die gleiche Geschichte erzählt bekäme, vielleicht würde das den Ausschlag geben.  Er hatte lange gebraucht um Algim so weit zu bringen, doch nach gestern hatte der Marschall schließlich eingewilligt. Seltsam, hatte Merl ihn doch in den Tagen zuvor mehrmals aufgesucht ohne, das der Mann sich auch nur im geringsten Einsichtig gezeigt hätte. Vielleicht hoffte er ja auch nur, das Kasran seinem Gesuch keine Ohren schenkte um seine eigene Demütigung damit zu überspielen. Aber, er würde vorsichtig sein, sagte sich der junge Magier. Angst jedoch spürte er kaum. Nervosität ja, aber er hielt sie unter Kontrolle, erlaubte sich nicht, sich davon beherrschen zu lassen... Diese Reise hatte ihn verändert, dachte er Gedankenverloren. Vielleicht war es das, was Zachary sich erhofft hatte... So oder so, heute würde sein Meister Grund haben stolz auf ihn zu sein.

Merl ging am schwarz schimmernden Wasser entlang, bis er das Ende des Hafenbeckens erreichte. Aus dem Meer ansteigend, begann die Mauer, die sich Bogenförmig um diesen Teil der Oststadt zog. Der Wall bildete einen fast perfekten Kreis, nur dort unterbrochen, wo die Siedlung  ans Meer grenzte. Unsicher begann er an dem Hindernis entlang zu laufen. Irgendwo musste es ja ein Tor geben und da die Zwerge hier kaum Feinde von außen zu fürchten hatten, war es wohl kaum bewacht. Wenn doch... nun, er würde einen Weg finden, sagte er sich.

Kasran hatte zwar zugestimmt sich mit ihm zu treffen, doch nicht vor den Augen der ganzen Stadt, sollten diese nun schlafen oder nicht. Also würde der Thane am Südlichen Strand auf ihn warten...

Der junge Zauberer wurde einen Moment langsamer, als ein von zwei fackeln erhellter durchlass in der Mauer sichtbar wurde. Mit einer Geste löschte er das magische Licht , das eben noch zwischen seinen Händen geglommen hatte und näherte sich vorsichtig. Falls es doch Wachen gab wollte er sie sehen, bevor sie ihn bemerkten.

Als er nur noch wenige Schritte vom Tor entfernt war, hielt er erneut inne. Die Nacht war bisher so ruhig gewesen, das seine eigenen Schritte ihm gespenstisch laut erschienen waren. Nun jedoch war da zum ersten mal ein anderes Geräusch. Ein leises Pfeifen, wie von einem Luftzug... und dann stieß plötzlich etwas aus dem Himmel zu ihm herab und landete kaum eine Armlänge von ihm entfernt auf dem Boden. Merl zuckte zusammen und konnte sich grade noch davon abhalten, laut aufzuschreien.

Er musterte den großen, schwarzen Raben unsicher und das Tier sah mit hellen, gelblich glühenden Augen zurück. Zu Intelligent und Verständig für einen einfachen Vogel...

,,Sentine ?“ , fragte er unsicher und einen Moment fürchtete er, das als nächstes auch Armell auftauchen würde. Doch das blieb aus. Nur der Rabe hüpfte aufgeregt von einem Bein aufs andere.

Merl versuchte, an ihm vorbei zu kommen, was jedoch nur dazu führte, das er nach ihm hackte. Es gelang ihm nicht mehr ganz, den Fuß zurück zu ziehen und der rasiermesserscharfe Schnabel Sentines hinterließ eine tiefe Kerbe im Leder seines Stiefels. Wäre er stehen geblieben, die Attacke hätte ihm vermutlich einen Zeh gekostet...

,, Was soll das ?“ , fragte er aufgebracht und kam sich im selben Augenblick dumm vor, mit einem Vogel zu diskutieren. ,, Geh wieder zu Armell. Los !“ Er trat nach Sentine, traf aber nur sich verformende Schatten, die im gleichen Augenblick zur Gestalt einer fauchenden Katze verschmolzen.

Sie wollte ihn um keinen Preis vorbeilassen, dachte Merl frustriert. Und ihm lief die Zeit davon. Wer wusste schon, wie lange Kasran sich gedulden würde...

,, Ich will dir wirklich nicht weh tun , aber wenn du nicht sofort bei Seite gehst...“ Er rief eine Flamme herbei , die über seine Fingerspitzen sprang und tanzte. Sentine wich mit einem kläglichen Laut vor ihm zurück, bevor ihre Gestalt erneut verschwamm und sich zu einem winzigen Zaunkönig verdichtete. Merl seufzte und beeilte sich an ihr vorbei zu kommen. Diesmal unternahm das Wesen nichts, um ihn aufzuhalten, sondern flatterte lediglich stumm auf seine Schulter.

Er stieß ein leises seufzen aus. Nun wenigstens wäre er nicht ganz alleine...

Die Tore waren tatsächlich nicht bewacht, als er sie passierte und zum ersten mal einen Schritt in das Umland der Stadt setzte. In der Nähe der Stadt hatte sich ein kleiner Grüngürtel gebildet, in dem sich Haine mit Obstbäumen und Gärten aneinander reihten, genau so  wie einige größere Felder. Mit Sand ausgestreute Wege führten zwischen der dichten Vegetation hindurch , doch Merl beachtete sie gar nicht weiter. Sein Ziel lag nicht hier, sondern unten am Meer, wo das Land nach wie vor verbrannt und unbestellt war. Asche , die der von der See kommende Wind aufgewirbelt hatte, sammelte sich in seiner Kleidung .

Er trat unter den Zweigen eines  Apfelbaumes hindurch, dessen Früchte noch grün waren. Selbst die Jahreszeiten mussten hier anders verlaufen, dachte er. In Canton würde jetzt Winter herrschen... bis sie wieder zurück wären könnte schon fast wieder Frühjahr sein... Hier jedoch stand alles in voller Blüte.

Vulkanisches Glas knirschte unter seinen Stiefeln, als er schließlich den Strand erreichte. Vom Meer zu feinem Staub zermahlenes Obsidian  verteilte  sich so weit er sehen konnte die Küste hinauf, bis zu dem Punkt an dem die Nacht den schwarzen Grund und den Horizont eins werden ließ.

Merl lauschte dem Geräusch der Wellen, die über den dunklen Sand spülten. Weiter hin zum Innland, wo die Gärten endeten, hatten Asche und vulkanisches Gestein Dünen und Hügel gebildet, die sich bis zu den Feuerbergen am Horizont auftürmten. Selbst jetzt noch konnte Merl den feinen, roten Schimmer erkennen, der die  Vulkangipfel einhüllte.

Langsam ging er den Strand entlang, immer darauf achtend, ob sich vor ihm etwas bewegte. Doch entweder war Kasran noch nicht hier oder er tatsächlich zu spät... Noch bevor er jedoch dazu kam, sich selbst zu verfluchen, trat eine Gestalt hinter einer der Dünen hervor. Im gleichen Moment flog Sentine von seiner Schulter auf und war mit wenigen Flügelschlägen in der Nacht verschwunden. Merl sah ihr einen Moment wehmütig nach. Jetzt war er tatsächlich alleine...

Fast, wollte ihn der Mut verlassen, als er sah, wer ihm dort über den Strand entgegenkam. Algim Mardar machte sich gar nicht die Mühe ihn zu begrüßen.

,, Ich dachte wirklich nicht, das ihr so dumm sein würdet, hier aufzutauchen.“ , erklärte er und der Ton in seiner Stimme jagte Merl einen Schauer über den Rücken. Oh ja... er war dumm gewesen, dachte er. Dumm zu glauben, der Marschall könnte sich an eine Abmachung halten...

Hinter Algim tauchten nun noch weitere Schatten bei den Dünen auf, allesamt mit dem Wappen des Hauses Mardar auf ihrer Kleidung. Merl konnte das glitzern des Stahls in ihren Händen sehen, während Algim ein Stück vor ihm stehen blieb.

,, Wo ist Kasran ?“ , verlangte er zu wissen und versuchte gleichzeitig den Marschall als auch seine restlichen Männer im Auge zu behalten. Diese nahmen der Reihe nach auf den Dünen Aufstellung und Merl erkannte, das jeder eine Armbrust in den Händen trug. Gespannt und auf ihn gerichtet...

,, Ich fürchte mein Thane wird diesem kleinen treffen hier heute nicht beiwohnen. Er weiß nicht einmal, das wir hier sind.“ , erklärte Algim kalt. ,, Kasran ist zu weich.“

,, Euer Volk braucht Hilfe, Algim. Das müsst doch selbst ihr erkennen können.“ Merls  rechte Hand wanderte zu seinem Hals und schloss sich um das Amulett das dort hing. ,, Wir können reden... Ich verstehe nach wie vor nicht einmal  alles, was in dieser Stadt vor sich geht.“

,, Und wenn ihr es wüsstet, würdet ihr schleunigst zusehen, das ihr nach Hause kommt. Ich tue euch also einen gefallen. Vielleicht brauchen wir Hilfe... aber ganz sicher nicht von euch.“ Merl konnte die nässende Wunde sehen, die Hadrirs Handschuh hinterlassen hatte. Tiefe , blutende Furchen die sich bis knapp unter Algims  linkes Auge erstreckten. ,, Im Gegenteil. Der Thane mag es nicht sehen wollen, aber selbst euch gehen zu lassen ist ein Fehler. Einer, den ich dem senilen alten Mann nicht erlauben werde...“

,, Ihr wollt uns allen ernstes unter den Augen eures Königs und eures Thanen töten ?“ , fragte Merl und schüttelte den Kopf. So dumm konnte Algim nicht sein so... zerfressen von Hass. Was hatten sie den je getan um sich den zu verdienen ? ,, Glaubt ihr wirklich ich lasse das zu ?“

,, Im Gegenteil, kleiner Mensch, ich habe vor, hier anzufangen. Ihr werdet keine Gelegenheit haben eure Freunde zu warnen... Tötet ihn !“

Merl schloss die Augen. Also war es so gekommen, wie er es befürchtet hatte, seit Algim hinter den Dünen aufgetaucht war... Naria hatte gemeint, die Zwerge würden eine Resistenz gegenüber Magie besitzen. Er bezweifelte jedoch, das sie einer Träne etwas entgegenzusetzen hatten. Und er bezweifelte, das Algim wirklich wusste, worauf er sich eingelassen hatte.

Merl hörte das Geräusch von zwanzig oder mehr Armbrustbolzen, die gleichzeitig losschnellten, sah das glitzern der stählernen Spitzen in der Luft...

Mit einer Handbewegung steckte er die Projektile in Brand und lies sie als Glutregen über dem Strand niedergehen. Nur weitere Ascheflocken, die sich mit dem vulkanischen Staub vermischten.

Algim hatte derweil ein Schwert gezogen und stürmte auf ihn zu. Merl lies die Luft um ihn herum zu einer Faust werden, die seinem Willen folgte und fegte den Marschall von den Füßen. Der völlig verdutzte Zwerg schrie, als ihm die Beine unter dem Körper weggerissen wurden und er bäuchlings im Sand landete. Die Schützen auf den Dünen wiederum versuchten derweil krampfhaft ihre Waffen wieder zu spannen.

Merl ließ ihnen keine Gelegenheit dazu, sondern brachte den schwarzen Sand unter ihren Füßen ins Rutschen. Mehr als einer wurde lebendig begraben, als sie der Reihe nach ins straucheln kamen und in den Grund stürzten, der sich plötzlich wie Wasser zu verhalten schien. Nein, sie hatten wirklich nicht gewusst, wem sie eine Falle stellen wollten, dachte Merl betrübt, als er auf Algim zuging.

Der Marschall versuchte kriechend  von ihm weg zu kommen, doch jedes mal wenn es so aussah, als könnte er wieder auf die Beine kommen, entfesselte Merl nur einen weiteren Schlag, der ihm fast die Knochen brechen musste.

Als wöge der Zwerg  nicht mehr als eine Feder , riss er ihn schließlich auf die Füße.

,, Was... wollt ihr mich jetzt töten ? Dann stirbt die Kleine...“ Algims Stimme zitterte und

Angst glitzerte in den Augen des Marschalls. Merl war drauf und dran seine Worte auf die Probe stellen zu wollen. Dieser Mann hatte Elin entführt und ihr wussten die Götter was angetan. Dieser Mann hatte geplant, sie alle zu töten, einschließlich Armell.  Sein Griff wurde fester. Es brauchte nur einen Gedanken und von Algim würde nur Asche im Wind bleiben... Man würde nicht einmal erfahren, das er ihn getötet hatte.

Und würde ihm das irgendetwas bringen ? , fragte er sich selbst. Nein. Es machte weder etwas ungeschehen, noch brachte es Elin die Freiheit. Angewidert wollte er Algim wegstoßen, doch der Mann kam ihm zuvor.

Merl spürte einen scharfen Schmerz, als ihn etwas  zwischen die Rippen traf. Im gleichen Moment stolperte der Marschall Rückwärts, ein Kurzschwert in der Hand, das er irgendwo unter seinem Mantel verborgen haben musste. Blut troff davon herab und Blut sickerte auch unter Merls Robe hervor, als er die Hand von der Wunde nahm...

,,Nein!“ Die Stimme schien wie aus weiter Ferne zu kommen, doch als er sich umdrehte sah er Armell, gefolgt von einem Schatten, der nur Sentine sein konnte. Sie hatte sie geholt, dachte er und wusste nicht mehr genau, wieso das eine schlechte Sache war. Dann gaben seine Beine unter ihm nach. Noch im fallen sah er, wie Algim an ihm vorbei trat und das Schwert in der Hand auf die Adelige zuhielt...

 

 

Kapitel 80 Merls Tod

 

 

 

 

Armell konnte nur ohnmächtig zusehen, wie die Klinge traf, wie Merl getroffen zur Seite wegsackte. Einen Moment glaubte sie sich in einem Alptraum...

Doch das war kein Traum, wie sie nur zu gut wusste. Sentine hatte dafür gesorgt, das sie innerhalb weniger Augenblicke hell wach gewesen war, als sie bei ihr im Zimmer aufgetaucht war. Armell hatte sie noch nie derart aufgeregt erlebt und als sie dann bemerkte, das Merl nicht mehr bei ihr war...

,, Ihr macht es mir zu einfach.“ , rief Algim, während er achtlos an Merls gefallener Gestalt vorbeitrat. Das Schwert in seiner Hand glänzte noch von Blut... Merls Blut. Wut stieg in ihr auf bei dem bloßen Gedanken, das dieser Bastard ihn verletzt hatte ihn... Nein daran würde sie nicht einmal denken.

Sie selbst war vollkommen unbewaffnet, bis auf das Messer, das sie immer mit sich trug. Armell wusste selber, wie schlecht ihre Chancen standen, während sie die Klinge in der Faust wog. Algim trug zu allem Überfluss nach wie vor seine Rüstung... der Dolch würde niemals durch den Stahl kommen. Aber sie wollte Algim wehtun. Selbst wenn sie nicht mehr hier raus kam, er würde es wenigstens auch nicht.

Mit einem Auifschrei stürmte sie vor und der Angriff schien den Marschall tatsächlich kurz aus dem Konzept zu bringen. Mit einem erschreckten Ausdruck auf dem Gesicht riss er das Schwert hoch und parierte den Dolchhieb, der auf seinen Hals gezielt hatte. Doch jetzt hatte Armell plötzlich einen Vorteil. So nahe behinderte das schwere Schwert Algim eher. Sie stieß Blind zu und das Messer prallte funkenschlagend vom Stahl der Rüstung des Marschalls ab. Dann endlich fand sie eine Lücke und die Klinge drang zwischen zwei Panzerplatten an der Schulter des Zwergs. Mit einem Schmerzensschrei packte Algim ihre Hand, nach wie vor am Griff des Dolchs  und verdrehte ihr den Arm, so das sie das Messer loslassen musste.  Sie konnte grade noch verhindern, das der Mann sie schlicht zu Boden riss, als er auch schon mit dem Schwert nach ihr stieß. Die Klinge hinterlies einen tiefen Schnitt in ihrem Arm, als sie versuchte, sich mit der freien Hand  zu schützen. Als wäre das Schwert auf Papier und nicht auf Fleisch getroffen, drang widerstandslos durch Kleidung, Knochen und Haut und trat auf der anderen Seite wieder aus.

Armell schrie auf, als die Schmerzen einen Moment jedes Denken unmöglich machten. Blut durchtränkte ihre Kleidung, tropfte zwischen ihren Fingern herab und vermischte sich mit dem Meerwasser, das sich in kleinen Pfützen am Strand sammelte.

Mit einem bösartigen Geräusch riss Algim das Schwert wieder aus der Wunde und hob die Waffe zu einem weiteren Streich.

Dann jedoch erstarrte der Marschall plötzlich, die Waffe bereits zum Schlag erhoben. Armell blinzelte nur verwirrt, während die Augen des Zwergs sich vor wachsendem Schrecken weiteten, als er zu Merl sah. Der junge Zauberer hatte es irgendwie geschafft, sich wieder aufzurichten. Blut strömte aus einer tiefen Wunde in seiner Brust, doch in seinem Gesicht war davon nichts das geringste zu sehen. Im Gegenteil, Merl wirkte nur ruhig und absolut konzentriert, schien weder Schmerz noch den Blutverlust zu bemerken, sein Blick auf Armell gerichtet, als würde er den Zwerg gar nicht wahrnehmen.

In diesem einen Augenblick schien Algim etwas zu begreifen, etwas sehr wichtiges... das er Sterben würde, das ihn nichts davor retten konnte und das niemand dafür verantwortlich war außer er selbst. Er, der Mitleid immer abgelehnt hatte, der niemals glauben würde, was ein Mensch einem anderen bedeuten konnte.  Und das er das unmögliche geschafft hatte... Merl wütend zu machen. Bevor der Marschall noch dazu kam, ein weiteres Wort zu sagen, wurde er mit knochenbrechender Gewalt von den Füßen gerissen. Armell konnte sehen, wie seine Rüstung sich eindellte, als hätte ihn die Faust eines wütendenden Gottes getroffen und hörte, wie sämtliche seiner Rippen gleichzeitig brachen. Er war auf der stelle Tod und der nun leblose Körper wurde devongeschleudert wie eine seltsam verdrehte Puppe.

Im gleichen Augenblick, als hätte Merl mit Algims Lebensfaden auch seinen eigenen durchtrennt, sank er auf die Knie. Armell war bei ihm, bevor er ganz stürzen konnte und fing den schwer verletzten Magier auf. Vorsichtig bettete sie ihn auf dem Boden, seinen Kopf in ihrem Schoß.

Sie konnte sehen, wie schwer er verletzte war, das Blut das aus Merls Wunden strömte durchtränkte was von ihren Kleidern noch nicht rot war mit Blut.

,,Merl... Das wird alles wieder gut. Ich bin hier, Sentine hat mich geholt...ich...“ Sie strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht, versuchte sich zu sagen, das sie ihre eigenen Worte glaubte, das die anderen schon nach ihnen suchen würden... Sie konnte ihn so nicht bewegen.... und sie konnte ihn auch nicht zurücklassen. Ihre laienhaften Versuche irgendwie die Blutungen des jungen Zauberers zu stillen waren vergeblich, jeder Stoffstreifen, jeder improvisierte Verband sofort durchweicht von Merls devonströmenden Leben...

,, Alles in Ordnung.“ , murmelte er schwach, während sich ihre Augen mit Tränen füllten. Das konnte nicht sein, es durfte nicht... Eine warme Hand wischte über ihre Wange und die Tränen. Merl. ,, Ich dachte wirklich, ich könnte es schaffen, Armell... alles richtig stellen... Er hatte nie vor uns gehen zu lassen, das sollte von Anfang an eine Falle sein...“

,, Ruhig.. das... die anderen müssen bald hier sein.“ , erwiderte sie. ,, Naria kann dir helfen. Da bin ich mir sicher. Du...“

,, Es wird alles gut, Armell.“ Er ergriff ihre Hand und  sein Blick war nach wie vor so klar, wie in dem Moment, in dem er Algim getötet hatte. Nur zu spät, viel zu spät... ,, Glaubst du das ?“

Sie schüttelte den Kopf. Nein, Nein das glaubte sie nicht. Und es war ihr auch unmöglich irgendetwas anderes zu denken... Merl verblutete hier... in ihren Armen... und doch versuchte er sie noch immer zu beruhigen, war sie noch immer das erste um das er sich Sorgen machte.

,, Ich liebe dich.“ , erklärte sie unter Tränen. ,, Und ich weiß wirklich nicht wie... ob...“ Wie sie ohne ihn je weitermachen könnte. Was bedeutete es noch, wenn sie nach Freybreak zurückkehrte ohne ihn, ohne Merl, ohne den jungen schüchternen Magier, den sie so lieben gelernt hatte.

,, Ich weiß. Und wir werden uns wiedersehen, Armell. Das weiß ich. Aber die anderen brauchen dich jetzt mehr denn je. Du musst dafür Sorgen, das sie sicher zurück kommen. Tust du das für mich ?“

,, Du wirst selbst dafür Sorgen.“ , erklärte sie und wusste, das es eine Lüge war.

,, Ich wünschte... das könnte ich, Armell. Ich wünschte es gäbe einen anderen Weg... aber ich fürchte mich nicht mehr.“ Einen Moment noch, einen kurzen Moment, schlossen sich seine Finger kraftvoll um die ihren, als wollte er sie ein letztes mal beruhigen , ein Finger strich über ihren Handrücken und den Ring, den er ihr Geschenkt hatte. Dann erschlaffte der Griff des Zauberers plötzlich und etwas in seinem Blick schien zu verschwinden. ,, Wir sehen uns wieder...“

Merls letzte Worte waren kaum ein Windhauch. Mit zitternden Händen schloss sie ihm die Augen, blieb ansonsten jedoch sitzen wo sie war, wartete, worauf das wusste sie nicht, vielleicht ein Wunder. Tränen, die sie sich ein Leben lang immer versagt hatte liefen über ihre Wangen, benetzten das Gesicht und die Haare des toten Magiers in ihren Armen. Hätte es in ihrer Macht gestanden, sie hätte alles gegeben um ihn auch nur einen Moment zurück zu haben. Vielleicht konnte sie irgendwo die Kraft finden, weiterzumachen... und sei es nur, weil Merl genau das gewollt hatte... selbst mit seinen letzten Worten immer zuerst bei den anderen... Aber die kalten Messer, die sich in ihre Seele bohrten würde das nicht verschwinden lassen.

Armell wusste nicht, wie lange sie so dasaß. Es musste lange genug sein, damit die Sonne wieder aufging. Anders konnte sie sich die plötzliche Helligkeit nicht erklären , die sie einhüllte, das Land einen Moment fast wie mitten am Tag erschienen ließ...

Doch außerhalb des kleinen Lichtkreises, der sie umgab blieb es so dunkel wie eh und je... Erst jetzt wagte sie es erneut zu dem leblosen Körper in ihren Armen hinab zu sehen. Einen Moment glaubte sie tatsächlich den Verstand verloren zu haben. Weiße, reine Flammen schlugen aus Merls Körper, leckten über seine Kleidung und verzehrten nach und nach seine Gestalt. Doch so hell und hoch das Feuer auch loderte, Armell spürte keinerlei Hitze davon ausgehen... nur Licht.

Wortlos sah sie zu, wie die Flammen Merl komplett einhüllten und innerhalb weniger Herzschläge nichts zurückließen als Asche, weiß wie Mehl , die zwischen ihren Händen hindurchrieselte. Das meiste jedoch wurde sofort vom aufkommenden Wind erfasst und aufs Meer hinaus geweht. Von Merl blieb nichts, außer einige Glutfunken die noch kurz durch die Dunkelheit tanzten. Das, und ein blauer Edelstein an einer Silberkette. Vorsichtig nahm Armell ihn an sich und wischte die Asche davon herab.

Fast war ihr, als könnte sie seine Stimme hören, die sie bat, es zurück zu bringen, wenn sie konnte.

Das  würde sie, sagte sie sich. Sobald sie die Kraft fand, aufzustehen. Merl war fort... was immer grade geschehen war, er hatte sie verlassen. Und doch nicht ganz, das spürte sie einfach. Sie würden sich wiedersehen...

 

Sie fanden Armell schließlich bei Tagesanbruch am Strand sitzend. Galren musterte das Chaos um sie herum stumm. Ein halbes duzend toter Zwerge lagen halb vergraben unter einer Düne am Süd-Ende des Strands und etwas von ihnen entfernt befanden sich die Überreste eines weiteren Zwergs, dem offenbar sämtliche Knochen auf einmal zerschmettert worden waren. Das einzige, was nicht verdreht und entstellt war, war sein Gesicht. Algim...

Weiter den von Blut durchtränkten Strand hinab wiederum , fast dort wo die Wellen den Sand überspülten, saß Armell, einen Umhang um die Schultern geschlungen und hielt etwas in den Händen. Ihr Blick ging aufs Meer hinaus, das durch die ersten Sonnenstrahlen einen goldenen Schimmer angenommen hatte. Tränen glitzerten auf ihren Wangen und um sie herum glitzerte weiße Asche inmitten der dunklen Obsidiantrümmer. Galren wagte es einen Moment nicht, sich ihr zu nähern.

,,Armell ?“ , fragte er vorsichtig.

,, Er ist fort, Galren.“ , antwortete sie nach einer Weile. ,, Merl ist weg.“

Lias und die anderen, die sich mittlerweile ebenfalls eingefunden hatten, bildeten einen Halbkreis um ihn und die Fürstin.

,, Was meint ihr mit fort ?“ , wollte der Löwe wissen, während er respektvoll ein Stück näher trat.

,, Ich kann nicht erklären was passiert ist.“ Ihre Stimme war von Erschöpfung gezeichnet, als sie sprach, Armells Hände schlossen sich um den Talisman in ihren Händen.  ,, Aber Merl hat uns verlassen, Lias. Und er kommt nicht zurück...“ Ihre Stimme zitterte, als sie langsam begann, die Ereignisse der Nacht zusammen zu fassen.

,, Verdammt.“ Galren schüttelte den Kopf, als er sich erneut am Strand umsah. Merl tot... Das alleine war schon unvorstellbar. ,, Und uns läuft die Zeit davon. Kasran wollte uns Elin heute Mittag übergeben...“

,, Ihr glaubt doch nicht wirklich, das er sich noch an unsere Abmachung hält nach... dem hier ?“Naria deutete auf die toten Zwerge.

,, Ich hoffe es zumindest. Wenn nicht, werde ich dafür Sorgen, das er es bereut. Wir... Das alles hat schon zu viel gefordert, Naria. Es endet heute, egal wie. Schafft ihr es uns zu begleiten, Armell ?“

,,Ja... Ja natürlich.“ , murmelte sie schwach, erhob sich jedoch langsam. Die Asche hatte einen dunklen Schleier auf ihrer Kleidung hinterlassen und ihre Augen wirkten leer, ausgebrannt. Doch ohne zu zögern ließ sie das Amulett in einer Tasche verschwinden und trat zu ihnen.

,, Hedan, ich weiß nicht, was da heute passieren wird. Nur für den Fall, will ich das ihr eure Crew bewaffnet. Wenn wir nicht vor Sonnenuntergang zurückkehren... hisst die Segel und verschwindet hier.“

,, Wir gehen ganz sicher nicht ohne euch und auch nicht ohne Elin.“ , erwiderte der Kapitän nur grimmig.,, Ich verliere keinen Mann mehr.“

,, Und wenn ihr nicht geht, verliert ihr vielleicht alle.“ Lias sah Hedan ernst an. ,, Algim mag tot sein, doch ich will mich nicht darauf verlassen, das dieser Kasran irgendwie vernünftiger sein könnte, als sein Marschall.“

,, Ich fürchte uns wird nichts anderes übrig bleiben.“ , erwiderte Galren. ,, In ein paar Stunden ist es so weit. Und ehrlich gesagt bin ich froh, wenn ich diesen Ort nie wieder sehen muss.“

 

 

Kapitel 81 Übergabe

 

 

 

Der Damm war so gut wie verlassen, als sie in die Gärten hinaus traten. Lediglich ein halbes duzend Wachen hatten sich vor den Toren zu den Städten postiert . Keiner der Männer sprach ein Wort, als die kleine Gruppe Fremder an ihnen vorbei trat. Selbst Armell, die den verletzten Arm in einer Schlaufe trug, würdigten sie kaum eines Blickes. Hoffentlich war die Nachricht über den Tod des Marschalls noch nicht bis hierher gelang. Galrens einzige Hoffnung war, das Kasran erst gar nicht erfuhr was aus Algim geworden war. Nicht, bevor sie die Stadt nicht weit hinter sich gelassen hatten.

Seine Schritte halten unangenehm in der Stille wieder, als er sich einen Weg durch die Pflanzungen suchte. Selbst die zahllosen Brunnen, welche die dichte Vegetation hier oben speisten waren anscheinend verstummt...

Hadrir und der König warteten bereits auf sie, als der Palast in sicht kam. Die Tore des gewaltigen Bauwerks standen offen , davor hatten sich mindestens zwei duzend weitere, bewaffnete Zwerge eingefunden, die den Sandpfad in alle Richtungen absicherten. In ihrer Mitte wiederum hatte sich ein kleinerer Ring aus Wächtern gebildet, die eine große Sänfte umstellten. Und darauf, in einen schweren, blauen Samtmantel gekleidet, saß Brunar Silberstein. Trotz seiner erhöhten Sitzposition zwischen Kissen und schweren Polstern wirkte der König der Zwerge irgendwie... eingefallen, als er sie mit einem kurzen nicken begrüßte.

Hadrir wiederum stand zu Füßen der Sänfte, in seiner typischen, schmucklosen Rüstung und dem grünen Umhang, in dem er ihnen zum ersten mal begegnet war. Was Brunar nicht aufgefallen war, nahm er dafür um so schneller war. Ohne auf den Protest seines Vaters zu achten, löste er sich aus den Reihen der Wächter und kam ihnen entgegen.

,, Was ist passiert ?“ , fragte er beunruhigt. ,, Merl ist nicht bei euch und... ihr seid verletzt, Armell.“

,, Ich weiß.“ , antwortete die Adelige leise. ,, Merl kommt nicht mehr...“

,, Ich verstehe nicht... was...“

Lias legte dem Zwerg eine Hand auf die Schulter. ,, Algim hat ihn getötet, Hadrir. Ich weiß nicht, was den Jungen dazu getrieben hat, sich jemals  auf ein Treffen mit diesem Bastard einzulassen aber... es war eine Falle.“

 ,, Ich fürchte, das war ich.“ , sagte Naria kleinlaut. ,, Ich war es, die meinte ihr würdet unsere Hilfe nicht verdienen. Und wenn Merl sich das so zu Herzen genommen hat wie ich glaube... Es war meine Schuld, Armell.“
Die junge Adelige schüttelte den Kopf. ,, Das war es nicht, Naria. Oder habt ihr auch das Schwert geführt, das ihn traf ? Nein... das war ganz alleine der Marschall. Ihr konntet nicht wissen, was geschehen würde. Aber Algim hat sich aus freien Stücken dazu entschieden. Und er hat dafür bezahlt...“

,, Er ist ebenfalls tot ?“ , fragte Hadrir entsetzt. ,, Wie weit treibt uns der Wahnsinn noch, der diese Stadt befallen hat... Weiß Kasran davon ?“

,, Ich hoffe noch nicht.“ , erklärte Galren. ,, Wir sind nur hier um Elin zurück zu holen. Danach seht ihr uns nie wieder. Und ich kann euch wohl nicht davon überzeugen, mit uns zu kommen, wenn wir die Stadt verlassen, oder ?“
Hadrir lachte. ,, Nein... ich fürchte nicht. So verlockend das Angebot ist... mein Platz ist nach wie vor bei meinem Volk. Egal wie stur es sein mag... das sind nach wie vor meine Leute.“

,, Leute, die euch die Wahrheit nicht einmal glauben würden, wenn ihr sie ihnen zeigt.“ Narias Stimme klang bitter. ,, Ich  bin die letzte die jemals ein ganzes Volk verdammen sollte, Hadrir, aber ihr seid so ziemlich der einzige, dem ich jemals den Rücken zudrehen würde. Nicht eurem König. Nicht sonst wem.“

,, Es ist wie es ist.“ , erwiderte der Zwerg resigniert, bevor er sich abwendete und ihnen voraus zum Tor des Palastes ging. Während Galren ihm, die anderen im Schlepptau, folgte, sah er das auch auf der anderen Seite der Gärten Bewegung aufkam. Purpurfarbene Umhänge und glitzernder Stahl, die zu etwa zwanzig Soldaten gehörten. Galren brauchte das Wappen nicht sehen um zu wissen, das das nur Kasrans Männer sein konnten und der Mann in ihrer Mitte musste demnach der Thane selbst sein.

Nach allem, was er über ihn gehört hatte, hatte er eigentlich jemanden erwartet, der Algim um einiges ähnlicher sein würde. Doch Kasran, in roten Samt gekleidet und auf einen mit Rubinen verzierten Stab gestützt, schien nichts mit dem Marschall gemein zu haben, sah man von einigen ähnlichen Gesichtszügen ab. Und er war alt, dachte Galren, doch nicht auf die gebrechliche Art. Seine dunklen Augen schimmerten Aufmerksam, als er die Gruppe um den König herum musterte.

Und dann sah Galren sie. Elin ging knapp hinter dem Thanen, flankiert von zwei weiteren Zwergen, die ihr nicht von der Seite wichen. Ansonsten jedoch schien es ihr zumindest Gutzugehen, trotzdem musste er sich davon abhalten, zu ihnen hinüberzulaufen um sich selbst davon zu überzeugen. Das würde jetzt nichts bringen, sagte er sich, höchstens ihr aller Leben gefährden...

Kasrans Leute kamen etwa hundert Schritte von ihnen entfernt zum stehen und nur der Thane selbst ging noch ein Stück weiter, bis er auf halbem Weg zwischen ihnen und seinen Leuten stand.

,, Wer von euch spricht für die Fremden ?“ , fragte er. Die Stimme des Mannes war überraschend warm, fast tröstlich, mit Algim nicht einmal ansatzweise zu vergleichen...

,, Das bin ich.“ , erklärte Galren schließlich, als sich niemand meldete. Genau genommen... es stimmte, oder ? Auch wenn er so einiges an Vertrauen verspielt hatte... er hatte sie alle bis hierher geführt. Und jetzt war es an ihm, dafür zu Sorgen, sie hier auch wieder rauszubringen, vor allem Elin. Wenn er doch nur früher zur Vernunft gekommen wäre... das hätte alles anders laufen können. Verdammt, Merl könnte  noch Leben...

Langsam trat er auf Kasran zu, die Hand auf den Schwertgriff gelegt und in seinen von der Reise mitgenommenen und verschmutzten Kleidern. Unter den Fürsten dieser Stadt und inmitten des glänzenden Stahls ihrer Wächter musste er wirken wie ein Bettler... doch auf seine Art, war er weiser als sie alle zusammen. Auch wenn der Preis dafür hoch gewesen war...

,, Also bevor wir anfangen, vielleicht könnt ihr mir erklären, wieso mein Marschall verschwunden ist ?“ , fragte Kasran. ,,Es scheint ich kann ihn nirgends finden.“

So viel zu seiner Hoffnung, das niemand vom Tod des Zwergs erfahren würde, bevor sie nicht in Sicherheit wären.

 

,, Einer der meinen ist Tod, gestorben durch seine  Hand.“ , rief Galren , während er auf Kasran zutrat. ,, Und er hat dafür bezahlt.“

Kurz kam Unruhe in die Reihen der Mardar-Wächter, als Elin versuchte, an ihnen vorbei zu kommen.

,, Wer ?“ Ihre Stimme schien zu versagen, während ihre beiden Bewacher wieder zu ihr Aufschlossen. Galren konnte die Sorge in ihrem Gesicht sehen.

,,Merl... Merl is Tod, Elin.“ Und am Ende war es nicht weniger seine Schuld, als die Algims... Er sah zu Boden, während Elin Sorge zu Unglauben und schließlich in Wut umschlug.

,,Ihr.“ , murmelte sie an Kasran gerichtet. ,, Ihr habt ihn losgelassen, ihr habt dieses Monster von einem Mann geschaffen...“

,, Ich wusste nicht ,was er tun würde.“ , verteidigte der Thane sich.

,, Sagt mir also , wer hat Algim befohlen uns anzugreifen , wenn nicht ihr ?“ , verlangte nun Armell zu wissen. Die junge Adelige stieß einen der Wächter des Königs beiseite und trat zu ihnen. ,, Wer?“

,, Er hat ohne meine Anweisungen gehandelt. Ich habe schon vermutet, das so etwas passiert sein musste... Algim war ein Narr, so gegen mich zu handeln. So gesehen habt ihr mir mit seinem Tod einen gefallen getan. Euer Verlust tut mir leid... aber er hat dafür bezahlt.
,, Das bringt mir weder Merl zurück, noch ändert es irgendetwas. Und tut nicht so, als hättet ihr Mitleid. Gebt uns Elin und wir sind fort.“

Der alte Thane stand wie erstarrt da,. Galren fürchtete schon , das Kasran sich nicht dazu durchringen würde. Das er sie irgendwie hintergehen wollte.

,, Wir haben eine Abmachung.“ , erklärte der Zwerg jedoch schließlich. Schwerfällig drehte er sich zu den Wachen um, die Elin umgaben und gab ihnen ein Zeichen.

Die Gejarn schüttelte den Griff der Männer ab, noch bevor diese dazu kamen etwas zu tun und rannte auf Galren und die anderen zu. Dieser zog sie rasch an sich, unendliche Erleichterung durchströmte ihn. Wenigstens einen konnte er retten. Wenigstens einen... Und doch war das nicht genug, oder ?

Einen Moment erwiderte Elin die Umarmung nur wortlos. Galren konnte ihren Herzschlag spüren, bis er sich schließlich doch von ihr löste und sich wieder Kasran zuwendete. Der Thane hatte sich nach wie vor nicht von der Stelle bewegt. Der aufkommende Wind trieb ihm die Kleider um den dürren Körper, während er  sich auf seinen Stock stützte, beobachtend, wartend...

,, Und jetzt verlasst uns.“ , verlangte er mit fester, kalter Stimme. ,, Ihr habt in diesen Landen nichts mehr verloren.“

,, Damit zumindest habt ihr recht.“ Galren würdigte ihn nicht einmal eines weiteren Blickes, sondern drehte sich nur grußlos um. Stattdessen sah er nun direkt zum König, der die ganze Szene wortlos beobachtet hatte.  ,, Da ihr sowieso nicht hören würdet, Da euer eigener König nicht in der Lage ist euch zu retten... hoffe ich das ihr eure Fehler erkennt, bevor es dafür zu spät ist. Aber ich... werde mich nicht mehr darum bemühen.“

Er wollte gehen, doch noch während er sich abwendete, war es Armell, die erneut vortrat.

,, Kasran bitte... Hört uns wenigstens ein letztes mal an. Merl ist dafür gestorben euch die Wahrheit bringen zu wollen. Ihr wisst das euer Volk so nicht überleben wird, aber ihr wollt es nicht sehen.“

Galren hätte ihr am liebsten gesagt, das es sinnlos war, das sie diese Leute eben ihrem Schicksal überlassen sollten...  Aber konnten sie das ?

Elin beantwortete die Frage für ihn, als sie ebenfalls vortrat. ,, Ihr habt mir nicht geglaubt... aber denkt doch nur einmal nach, wenn euch euer Volk wirklich etwas bedeutet, was tut ihr ihm dann an, wenn ihr alle Warnungen ignoriert ? Geht selber in die Katakomben. Schickte jemanden dem ich trauen könnt. Nur... ignoriert uns nicht einfach.“

,, Wie ich schon sagte, Elin, ich glaube euch , das ihr glaubt die Wahrheit zu kennen. Aber in dieser Stadt tun das viele und es gibt viele, die eine Lüge so gut verkaufen können, das ihr sie für die Wahrheit halten würdet.“ Kasran wendete sich an den König, der auf seinem erhöhten Sitzplatz noch ein Stück in sich zusammenzufallen schien. ,,König Brunar... klärt das endlich auf. Sagt diesen Fremden, das sie einer Lüge aufgesessen sind, damit wir unseren Frieden haben.“

Hadrir , der wieder an die Seite seines Vaters zurückgekehrt war, lies sich respektvoll auf ein Knie fallen. ,, Vater... ich weiß du wirst mich dafür hassen, aber die Zeit ist um. Dieses Spiel geht jetzt lange genug und ich werde nicht weiter dabei zusehen, also , jetzt rück endlich mit der Wahrheit raus.. oder ich tue es für dich.“

,, Das wagst du nicht...“ , hauchte Brunar, die Augen schreckensweit.

,, Das tue ich. „ , erklärte Hadrir düster und schielte zu den Wachen, die ihn und den König  umgaben. ,, Und ich wage noch viel mehr. Du kannst mich töten lassen, sicher, aber was tust du dann anderes als dich schuldig zu bekennen ? Bitte... lass es nicht so weit kommen. Ich gebe dir die Gelegenheit das alles selber aufzuklären... Sei heute  der König den dein Volk braucht.“

,,Man würde uns beide vielleicht töten.“

,, Und schweigst du weiter, stirbt unser ganzes Volk.  Jetzt sprich... und wähle unser Schicksal. Hadrir erhob sich mit einem Ruck und stieg  von der Sänfte hinab zu Galren und den anderen.

Langsam erhob der König sich von seinem Platz. Zitternd suchten seine Hände nach Halt an der Lehen des Throns, während er über die Schar aus versammelten Zwergen, Menschen und Gejarn blickte, als nehme er sie zum ersten mal wirklich war.

,, Mein Zögern hat schon zu viel gekostet.“ Die Worte schallten über den Damm und hinab in die Stadt, als Brunar Silberstein endlich einen festen Stand fand. ,,Ich bitte euch nur mich anzuhören, bevor ihr über meine Taten urteilt...“

 

 

Kapitel 82 Der Bote

 

 

,, Die Fremden sprechen die Wahrheit.“ Die Stimme des Königs schien mit jedem Wort sicherer zu klingen. So unglaublich es schien, dachte Galren... der Mann schien sich endlich aus seiner Lethargie zu erheben. Vielleicht gab es doch noch einen Funken Hoffnung für die Zwerge. Sofern Kasran nur bereit war zuzuhören. ,, Die unterirdischen Seen trocknen aus, Kasran. Vermutlich wurden ihre Zuflüsse bei dem Erdbeben vor 20 Jahren blockiert. Ihr erinnert euch ?“

,, Und wie ich mich an diesen Tag erinnere, Bruna.“ , erwiderte der Thane düster. ,, Es scheint unsere gesamten Probleme hätten mit ihm angefangen. Die ganze Stadt hat gezittert, als der Stein im Tempel brach.“

,, Ihr meint den Altar ?“ , fragte Galren. Was hatte das mit allem zu tun ? Nach wie vor, diese Leute verschwiegen ihm etwas und was immer es war, selbst jetzt wollten sie nicht damit ehrausrücken.

Kasran nickte. ,, Ich schätze es macht auf eine perfide Art Sinn.“ Er wendete sich einen Moment von ihnen ab und sah auf die Stadt hinaus, die sich zu beiden Enden des Damms erstreckte. ,, Ihr wisst, was das bedeutet, König, oder ?“

,, Es bedeutet, das wir nicht bleiben können, Kasran. Ob wir wollen oder nicht. Ich... Ich habe das viel zu lange hinaus gezögert. Ich dachte, wir könnten eine Lösung finden... und das können wir immer noch. Aber nicht wenn wir dadurch unser ganzes Volk in Gefahr bringen. Diese Fremden sind die einzigen, die einen Weg durch die Stürme hindurch kennen. Ohne sie, sind wir hier Gefangen.“

,, Ja...“ Der Thane ging, die Hände auf den Rücken verschränkt , auf und ab, die Stirn in tiefe Falten gelegt. ,, Und ich habe keine Wahl als euch zu glauben, Brunar. Die Unsterblichen wissen, wir waren selten einer Meinung, aber wir beide Wissen wiederum, wer unser wahrer Feind ist. Ihr würdet das nicht behaupten ohne sicher zu sein.“

,, Könnt ihr die übrigen Isolationisten den überzeugen, die Stadt hinter sich zu lassen ?“ , wollte Galren wissen.

,, Vermutlich.“ , erwiderte der alte Zwerg nachdenklich. ,, Ich bin mir nicht...“ Er brach ab. ,, Ich bin zum ersten mal seit sehr langer Zeit wahrhaft verunsichert, junger Mensch. Hatte beinahe vergessen, wie sich das anfühlt. Und ich fürchte, ihr wart die Leittragenden meines Irrtums...“

Kasran senkte den Kopf, während er sprach, die Augen niedergeschlagen und halb geschlossen.

,, Was auch immer ich davon halten mag... ihr habt wohl getan, was ihr für das beste hieltet.“ , meinte Hadrir.

,, Das beste.“ Armell schüttelte den Kopf. ,, Ich fürchte für Merl kommt diese Einsicht etwas zu spät...“

,, Das zumindest, war nicht mein Werk.“ , erklärte Kasran grimmig. ,, An meinen Händen klebt kein Blut.“

,, Sagt ihr.“ , erwiderte die junge Adelige. Zumindest, dachte Galren, würden sie die Wahrheit nicht mehr erfahren. Der einzige Mann, der ihnen dazu hätte Auskunft geben können, lag Tod am Strand vor der Stadt. Genau so gut könnte Kasran Algim auch befohlen haben, sie in eine Falle zu locken. Eines zumindest wusste er... er würde ein Auge auf den Thanen haben, auch wenn es so aussah, als würde er zur Vernunft kommen.

Leise trat er zu Elin, während die Zwerge und Armell weitersprachen. Er würde Kasran im Auge behalten, aber was konnten sie schon mehr tun ? Auch wenn es der jungen Adeligen deutlich schwerer fallen würde, das zu akzeptieren. Jetzt ging es eher darum, was der König tun wollte.

Im Chaos, das auf die Übergabe folgte hatte er keine gelegenweit gehabt, sich nach Elin zu Erkundigen. Naria hatte die junge Gejarn etwas Abseits des Palasttores zu einem kleinen Teich gebracht, wo die Schatten Stimmen und die schlimmste Hitze abhielten.

Die Füße im Wasser baumelnd lies sie zu, das die Magierin sich erneut ihre Wunden ansah. Elin sah auf, als sie ihn kommen hörte und nickte Galren kurz zu, während er sich zu ihnen setzte.

,, Geht es dir gut ?“   Auf den ersten Blick waren hatte sie nur ein paar Schrammen, sah man von der Platzwunde am Kopf ab, die langsam zu verheilen begann.

,, Das gibt eine Narbe.“ , bemerkte Naria beiläufig, bevor sie  antworten konnte. ,, Ansonsten wird sie Hedan bald wieder den letzten Nerv rauben.“

,, Ich kann durchaus für mich sprechen.“ , erklärte Elin. ,, Ja, es geht mir gut, aber...Merl ?“

,, Als wir dazukamen war schon alles vorbei. Er... Algim hatte ihn in eine Falle gelockt.  Ich weiß nicht sicher was geschehen ist... nur das er fort ist.“

,, Fort ?“

,, Armell meinte sein Körper habe sich einfach in... Licht aufgelöst.“ , erklärte Naria mit einer Spur Beunruhigung in der Stimme. ,, Ich kann nicht sagen was das bedeutet aber vielleicht... er war kein gewöhnlicher Mensch.“

Galren schüttelte den Kopf. ,, Nein... das war er nicht. Ihr meint wirklich er könnte es geschafft haben ? Die Seelenwanderung meine ich ?“

Die Magiern zuckte mit den Schultern.

,, Wenn ja... wo ist er dann jetzt ?“ , wollte Elin wissen.
,, Ich will nicht, das ihr euch Hoffnungen macht. Genau so wahrscheinlich ist, das er einfach... fort ist, Elin. Was immer er getan hat ist Magie die ich mir nicht einmal vorstellen will. Seine Seele könnte sonst wo sein oder vielleicht wurde sie auch einfach bei dem Versuch zerschmettert. Freundet euch besser mit dem Gedanken an, das Merl so oder so verloren ist. “ Mit diesen Worten stand sie auf und rat zu den anderen zurück. So weit Galren die Situation überschauen konnte, waren der König und Kasran nach wie vor am diskutieren. Es gab wohl einiges, was die beiden sich über die Jahre, die die Spaltung der Stadt jetzt dauerte nicht gesagt hatten. Hadrirs Mine schien jedoch nur von Erleichterung zu sprechen... Immerhin, vielleicht hatten sie endlich einmal Glück und es konnte noch alles gut werden. Zumindest besser...

,,Das war alles meine Schuld, Elin. Wenn ich nicht so verdammt stur gewesen wäre, hätten wir längst weg sein können.“

,, Aber du konntest nicht wissen, was passieren würde, oder ?“
,, Vielleicht nicht aber ich habe gesehen was dir passiert ist. Das hätte als Warnung reichen sollen... Ich habe euch immer noch alle enttäuscht.“

Sie schüttelte den Kopf. ,, Hör endlich auf dich selbst fertig zu machen. Und jetzt steh auf und geh zu den anderen- Was stimmt ist, das wir dich immer noch alle brauchen. Wir... ich und auch Hadrir wenn wir sein Volk wirklich in Sicherheit bringen wollen.“

,, Das ist die Frage.“ , meinte Galren nachdenklich, während er aufstand. ,, Du kommst wirklich klar ?“

Elin nickte. ,, Ich habe nur fast vergessen, wie sich die Sonne anfühlt.“ , murmelte sie, während sie die Augen schloss, die Füße nach wie vor im Wasser.

Einen Moment stand Galren einfach nur da, gegen einen der Bäume gelehnt und beobachtete sie. Elin schien gar nicht zu merken, das er noch da war... oder vielleicht war es ihr auch egal. Das altbekannte, schelmische Lächeln, das er so gut kannte, huschte kurz über ihre Züge, bevor sie sich im Gras zurücklehnte. Was auch immer noch passieren mochte... sie war jetzt in Sicherheit. Leise drehte er sich schließlich um und ging zu den anderen zurück.

 

 

 

Als Galren schließlich auf den Platz vor den Palasttoren zurückkehrte, wurde er scheinbar schon erwartet. Der König stand mittlerweile auf dem Boden, zusammen mit Kasran und umringt von einem duzend Wachen der unterschiedlichsten Häuser.

,, Wir können nicht alle sofort wegbringen.“ , erklärte er und klang dabei entschlossener, als irgendjemand ihn je erlebt hatte. ,, Deshalb will ich, das ihr mir aus jedem Haus einhundert Männer und Frauen zusammensucht, die unsere Vorhut bilden werden. Der Rest folgt der Flotte dann Schrittweise und im Abstand von einigen Tagen.“

,, Und wie sollen die Nachzügler die Stürme überwinden, Herr ?“ , fragte Kasran, der sich neugierig vorgebeugt hatte. In den Augen des alten Zwergs glomm ein Feuer, das selbst die Rubine die er trug verblassen ließ.

,, Ganz einfach, die Vorhut wird einen Weg für sie finden. Das Wetter ist unberechenbar, aber wenn wir mit so vielen einen Weg finden... es muss eine Lücke geben, Kasran. Auch wenn keiner der Navigatoren von damals noch lebt und wir beide nichts als Kinder waren... irgendwie sind wir schon einmal hindurch gelangt. Und mit der Hilfe der Fremden werden wir eine Sichere Route finden und für die Nachzügler auskundschaften. Sobald das getan ist, wird eines der Schiffe umkehren und die Besatzung kann den Rest führen.“

,, Ihr werdet es also tatsächlich tun ?“ , fragte Galren, als er nähertraut. ,, Ihr bringt euer Volk nach Canton ?“

,, Ich wüsste nicht, welche Wahl ich habe. Wir werden eine kleine Expeditionsflotte vorausschicken, Galren, die euch auf dem Rückweg begleiten wird. Ich eingeschlossen. Dann können wir mit eurem Kaiser über eine endgültige Rückkehr sprechen. Es wird seltsam sein...“

,, Was ?“

,, In die alte Heimat zurück zu kehren. Es gibt in der ganzen Stadt vielleicht noch vier, die sie je gesehen haben. Trotzdem müssen wir schnell handeln. Ich will keine Zeit verlieren, mit etwas Glück brechen wir noch vor dem nächsten Morgengrauen auf. Die übrigen Häuser werden nach und nach informiert werden. Die, die bleiben wollen, sollen das tun... aber nur nachdem sie die Wahrheit kennen. “

 ,, Ich habe euch selten so sprechen gehört.“ , meinte Hadrir.

,, Und ich weiß nach wie vor nicht, ob ich das richtige tue... Sohn. Es kann auch sein, das man uns abweist. Dann wären wir plötzlich heimatlose.“

Armell war ebenfalls zu ihnen getreten. Auch wenn Trauer , Müdigkeit und Anstrengung tiefe Spüren in ihrem Gesicht hinterlassen hatten... wenigstens schien sie wieder etwas mehr zu sich selbst zu finden.

,, Ich kann nicht versprechen, das man euch aufnimmt.“ , erklärte sie. ,, Aber ich kenne Kellvian. Er wird euch zumindest anhören, das könnt ihr mir glauben. Und was danach passiert, wird sich zeigen. Er ist niemand, der jemanden ohne guten Grund abweisen würde.“

,, Dann liegt es nur noch an euch... Galren.“ , erklärte Kasran. ,, Ich weiß, das wir nicht auf gutem Fuß stehen und das verlange ich auch gar nicht. Ich bitte euch trotz allem um Hilfe. Ihr seid der einzige, der uns den Weg weisen kann. Aber werdet ihr es auch tun ?“

,, Ich bin bereit euch nach Canton zu bringen, Kasran.“ Galren musterte den alten Thanen der Mardar düster. Nach wie vor stand die Möglichkeit im Raum, das er es gewesen war, der Algim befehligte. Nach wie vor konnte das alles ein abgekartetes Spiel sein. ,,  Aber ganz sicher nicht um euretwillen. So spät eure Einsicht kommen mag, ich will nicht euer ganzes Volk dafür büßen lassen.“

,, Und ihr könnt gleich morgen mit uns aufbrechen ?“ , fragte Brunar.

Galren nickte. Und je eher sie hier weg kamen, desto besser. Mittlerweile wollte er diesen Ort wirklich nur noch hinter sich lassen.

,,Hauptsache, wir sind schnell genug das... er nichts davon mitbekommt.“ , bemerkte Kasran.

,, Er ?“ Galren trat auf den Thanen zu. ,, Von wem sprecht ihr ?“

,, Der Prophet. Was glaubt ihr warum ich so misstrauisch bin ? Wir tun grade genau das, was er die ganzen Jahre über erreichen wollte. Und doch bleibt mir keine Wahl, ob er nun seine Hand bei dem ganzen im Spiel hatte oder nicht...“

Galren seufzte. Da hatte er grade geglaubt, das sich alles auflösen würde und stattdessen  fiel Kasran wieder zurück in die zerrissene Politik dieser Stadt. Wen interessierte noch was irgendeinem Propheten nützte oder schadete, wenn das Schicksal seines gesamten Volkes auf dem Spiel stand ?

,, Jetzt reicht es aber langsam wirklich. Wer ist dieser Mann, das ihr ihn so fürchtet, Kasran ? Brunar ? Hadrir ?“ Er sah alle drei der Reihe nach an, ohne das einer von ihnen etwas erwiderte. ,,Ihr wollt fliehen, bevor er Gelegenheit hat darauf zu reagieren, warum ? Ich habe langsam ein Recht auf die Wahrheit, wenn ich euch führen soll, also, was verschweigt ihr mir alle ?“

Brunar seufzte schwer. ,, Junge,  es gibt Dinge die du besser nicht weißt. Und doch...“

Bevor der König aussprechen konnte, teilte sich die sie umgebende Menge aus Soldaten plötzlich um einen einzelnen Mann durchzulassen. Der Zwerg, der vor ihnen auf die Knie sank trug schlichte Kleidung und eine schwere Umhängetasche, in der bei jedem Schritt Papiere raschelten. Ein Bote, dachte Galren.

,, Herr.“ Er verneigte sich erneut, als der König ihm schließlich bedeutete, aufzustehen.

 ,, Wie seit ihr an den Wachen vorbei gekommen ?“ , verlangte Brunar schroff zu wissen. Offenbar kannte er den Mann oder zumindest seine Botschaft , den Galren konnte sehen, wie seine Hände nervös zum Griff eines Messers an seinem Gürtel wanderten.

,, Vielleicht solltet ihr in Zukunft keine Wächter eines Hauses rekrutieren, das loyal zum Propheten steht... Herr. Ich habe eine Nachricht für die Fremden zu überbringen. Mein Herr möchte euch sprechen. Möglichst sofort.“

Galren zögerte. Was war das jetzt wieder für eine schräge Nummer ? Sie waren kurz davor, alles friedlich zu lösen und dann , nach all den Wochen, tauchte zum ersten mal überhaupt ein Anhänger des Mannes auf, der für all das der Auslöser sein mochte ? Wenn das mit rechten Dingen zuging, war er vielleicht doch noch nicht ganz bei Verstand.

,, Also... plötzlich nach all der Zeit will der Prophet mit uns sprechen ?“ Galren schüttelte den Kopf. ,, Wie wäre es damit, sagt eurem Herrn, damit hätte er zu mir kommen können, bevor man angefangen hat, meine Leute zu bedrohen und zu entführen.“

,, Verzeiht, aber ich hinterfrage die Anweisungen nicht, die ich bekomme, ich führe sie nur aus. Man hat uns Geboten uns aus allen rauszuhalten, bis der Prophet andere Anweisungen gibt. Das heißt bis jetzt.“

Und warum sollte ich gehen ? Warum sollte mich noch interessieren was mir dieser Mann zu sagen hat ?“

,,Galren...“ Lias legte ihm eine Hand auf die Schulter. ,, Ich will nicht länger hier bleiben als du auch aber...“

Aber am Ende würde er trotzdem gehen, nicht ? Und sei es nur um endgültig mit dieser Stadt abzuschließen. Er würde zu diesem Mann gehen , ihm sagen was er von ihm und seiner Art hielt und dann verschwinden.

,, Dieser Mann... irgendetwas stimmt nicht mit ihm.“ Naria ,die sich geräuschlos zu ihnen gesellt hatte, musterte den Boten eindringlich. ,, Galren, fragt ihn ob er etwas bei sich trägt.“

,, Das tue ich in der tat. Verzeiht... ich hätte es fast vergessen. Der Prophet hatte schon befürchtet, das ihr vielleicht schwer zu überzeugen sein würdet, deshalb gab er mir das hier für euch. Er meinte ihr wüsstet schon, was es ist.“

Der Bote zog ein Stofftuch aus seiner Tasche und faltete es langsam auf. Auf dem weißen Samt wirkte das Ding, das er ihnen zeigte fast wie eine Lücke in der Welt. Absolute schwärze innerhalb von reinem Weiß. Es war ein Splitter, dachte Galren. Haarfein und kaum länger als ein solches. Oh ja, er wusste was es war. Er hatte es schon einmal gesehen. Eine Verfolgung durch die Straßen der Stadt. Eine schwarze Klinge, der er sich nur knapp erwehren konnte...

Er streckte eine Hand danach aus, doch Naria hielt ihn zurück.

,, Ich mache das.“ , erklärte sie einen Ton in der Stimme, den er bei ihr noch nie gehört hatte. Angst Die Gejarn  schien sich dafür zu wappnen, als sie eine Hand ausstreckte und den Splitter ergriff. Kaum einen Herzschlag später lies sie ihn bereits wieder fallen und zog die Finger zurück, als hätte sie sich verbrannt. Der Splitter hing wieder auf dem Tuch, als sei nie etwas geschehen.

,, Geht es euch gut ?“ , fragte Lias besorgt. Mittlerweile war auch Elin herbeigelaufen, die nur verwundert zusehen konnte, wie die Schakalin eine Hand schützend unter den Arm klemmte.

,,Es ist kalt.“ , murmelte Naria, mehr zu sich selbst, als das sie mit einem der umstehenden Redete.

,,Kalt ?“ Der Löwe streckte eine Hand nach dem Kristall aus, drehte ihn achtlos in der Hand und legte ihn schließlich wieder zurück. ,, Fühlt sich ganz normal an.“

,,Glaubt mir hättet ihr das geringste Gespür für Magie würdet ihr das nicht sagen. Galren... was immer ihr tut seid bloß vorsichtig damit.“

Er nickte. Mit einem mulmigen Gefühl nahm er den Splitter an sich. Sofort wusste er, Naria hatte recht. Der Stein fühlte sich kalt an. Wie Eis aus den Tiefen des Nordens... Galren war einmal im Winter in einen See eingebrochen aber diese Kälte war nichts im Vergleich zu dem, was von diesem kleinen Stück Kristall auszugehen schien. Er war unfähig sich zu bewegen oder den Stein loszulassen,  überzeugt davon, das seine Hand längst tot und schwarz wäre... und gleichzeitig spürte er ein Ziehen. Als würde etwas ihn mit Macht zu sich rufen... mit flüsternden Stimmen, die ihn davon zu überzeugen versuchten, das sein Platz hier war, das er noch etwas zu tun hatte... Wenn er nur auf sie hören würde...

Galrens Lächeln war so kalt wie der Kristall selbst, als er sie schließlich wiedererkannte. Nein. Er schloss die Augen und zerdrückte den Splitter zwischen seinen Fingern. Schwarzer Staub rieselte hervor, als er sie wieder öffnete und die Stimmen sowie das Gefühl gezogen zu werden, verschwanden.

Er wendete sich an den Boten, der sich nach wie vor nicht von der Stelle gerührt hatte.

,,Jetzt ,sagt mir wo ich euren Herren finde.“

 

Kapitel 83 Varan

 

 

 

Der Tempel ragte wie ein Gebirge vor ihnen auf. Die normalerweise in der Sonne gleißenden Marmormauern wirkten heute düster und spiegelten lediglich den grauen Himmel wieder. Zwar hatte Hadrir gemeint, es würde hier niemals regnen, doch wenn Galren sich die Wolkenberge ansah, die sich über dem Meer aufbauten hatte er da plötzlich seine Zweifel. Es war, als würden die ewigen Stürme vor der Küste spüren, was vor sich ging und versuchten, sie schon vor ihrer Abreise zu erreichen. Das wenige Licht, das seinen Weg durch die Schatten fand wirkte verzerrt und schien mit einem kranken, violetten Ton.

Galren wartete vor  den Stufen die zum Tor des Tempels hinauf führten auf die anderen, während er zu dem nun düster wirkenden Bau hinauf sah. Wenn der Bote nicht gelogen hatte, wollte der Prophet sie genau hier erwarten. Erneut fragte er sich, ob es richtig war, dem Mann überhaupt noch gegenüber zu treten. Es wäre nicht nötig. Morgen früh würden sie alle aufbrechen... und diesen Ort wahrscheinlich für immer hinter sich lassen. Und doch musste er jetzt die Wahrheit wissen.

Ihm war, als könnte er immer noch die Kälte spüren, die von dem Kristall ausging . Er musste einfach wissen, was es damit auf sich hatte.

Und wenn er genau darauf setzt ? , fragte er sich selbst. Du hast es gespürt... wie es dich zu sich ziehen wollte. Was ist wenn das genau der Plan war ?

Aber das würde er nicht herausfinden, in dem er hier herumstand, oder ?

,, Alles in Ordnung ?“ , fragte Lias, der sich neben ihm gestellt hatte und zu den weißen Doppeltürmen des Tempels hinauf blickte.

,,Ich weiß es nicht. Sag du mir, was ich tun soll. Gehen wir jetzt... ist alles gut. Aber betreten wir dieses Gebäude, weiß ich nicht was uns erwartet.“

,, Und du gibst trotzdem keine Ruhe, bist du es weißt.“

,, Was wenn ich nur wieder anfange mich selbst zu verlieren...“ Er wusste durchaus das Selbstzweifel ihn nicht weiterbrachten aber nach dem was in den letzten Tagen mit ihm geschehen war... wie sollte er überhaupt noch sicher sein ob irgendetwas was er tat von ihm selbst motiviert war oder nicht ?

,,Nein... ich glaube das würden wir merken. Du warst schon immer Neugieriger als gut für dich ist. Und ich gehe mit dir, wohin auch immer es dich verschlägt.“ , erklärte der alte Löwe entschlossen.

,,Ich ebenfalls. Nicht nur für Merl.“, erklärte Armell leise und Sentine lies ein zustimmendes schilpen hören.  Galren nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis. Sie war diejenige gewesen, die ihm am schwersten verzeihen konnte. Und doch tat sie es. 

,, Jemand muss ja ein Auge auf euch alle haben.“ , murmelte Naria. ,, Aber nur damit später niemand behauptet ich hätte nichts gesagt,  ich bekomme eine Gänsehaut von diesem Ort.“

Nicht nur das, dachte Galren. Er hatte die Gejarn selten so...aufgekratzt erlebt. Seit sie den Stein in der Hand gehabt hatte, schien sie sich nicht mehr wirklich beruhigt zu haben. Er konnte sehen, wie sich das Fell in ihrem Nacken sträubte. Ihm machte dieser Ort vielleicht Angst. Naria hingegen schien einer Panik nahe... was gar nicht zu ihr passen wollte. Wenn jemand in den vergangenen Wochen immer bemüht gewesen war, ruhig und objektiv zu sein, dann doch sie.

,, Ich werde euch ebenfalls begleiten, bis das alles ausgestanden ist.“ , erklärte Hadrir. Der Zwerg hatte sie nach der Ankunft des Boten bis hierher geführt, wenn auch unter Kasrans Protest. ,, Aber eine Warnung noch, Galren. Ich kann euch  nicht sagen was euch erwartet, aber ich weiß es. Lasst euch  nicht täuschen. Was immer ihr seht der Mann für den ihr  ihn haltet  ist lange tot. Glaube mir das bitte...“
,, Danke.“ Es machte nichts besser, sagte Galren sich. Aber es tat trotzdem gut. Er wollte sich bereits umdrehen um es hinter sich zu bringen, als ihn eine laute Stimme dazu brachte noch einmal stehen zu bleiben.

,, Hey, ihr habt mich doch nicht etwa vergessen.“ Galren wusste nicht ob er wütend sein oder lachen sollte, als er sich zu ihr umdrehte. Elin stand sichtlich empört auf dem Tempelplatz und musterte sie alle strafend.

Schließlich lachte und schimpfte er gleichzeitig. ,, Du solltest doch zu  Hedan zurück zum Schiff. Ich fürchte er bekommt einen Anfall, wenn du wieder verschwunden bist.“ Das oder er fing auf eigene Faust an die Stadt auseinander zu nehmen bis er sie fand.

,, Bis der Alte merkt, das ich weg bin könnte es noch etwas dauern.“ , erwiderte sie. ,, Ich habe mittlerweile etwas Übung darin, falls du dich erinnerst.“

,, Nein...“ Vermutlich würde er es sogar den Rest seines Lebens nicht mehr vergessen.

,, Ich bin in jedem Fall dabei... „ Und unsicherer fügte sie hinzu : ,,Was auch immer ihr vorhabt.“

,, Wir gehen in die Höhle des Löwen.“ , erwiderte Lias.

,, Dann solltet ihr euch ja auskennen.“ , gab Elin zurück.

,, Nur sprichwörtlich meine ich nicht... ach was solls.“ Der Gejarn zuckte resigniert mit den Schultern, bevor er sich wieder Galren zuwendete. ,, Ich sage du gehst vor.“

Galren rang sich ein müdes Lächeln ab, dann stieg er endlich die Stufen zum Tempel hinauf.

 

Sämtliche Lichter innerhalb der Halle waren gelöscht worden, als sie eintraten. Auf den ersten Blick wirte der Ort vollkommen verlassen, dachte Galren. Keine Gesänge hallten vom Stein wieder und die Bänke, die in ordentlichen Reihen beieinander standen waren unbesetzt. Selbst die Priester mussten gegangen sein...

Balken aus schummrigen Licht fielen durch die hohen Buntglasfenster, drangen jedoch nur wenige Schritte tief, bevor sie von der Dunkelheit verschluckt wurden. Als ob die Luft selbst irgendwie... dichter geworden wäre und nun nichts mehr hindurchließ.

Galrens Hand wanderte zum Schwertgriff, als er vorsichtig weiterging, immer darauf bedacht, die Schatten im Augen zu behalten. Manchmal schienen sie sich wie lebendige Wesen zu verschieben und zu bewegen... Er schob es auf die schlechten Lichtverhältnisse.

,, Hadrir... warum ist hier niemand ?“ , fragte Armell unruhig.

,, Ich weiß es nicht.“, antwortete der Zwerg und strich über den Griff des Streithammers an seinem Gürtel. Mit der anderen Hand schob er langsam seinen Umhang zurück damit er ihm im Zweifelsfall nicht im Weg wäre. ,, Kann sein, das Vaters Nachricht sie schon erreicht hat und alle zu ihren Häusern zurückgekehrt sind. Aber sie würden den Tempel nicht unbesetzt lassen, da bin ich mir sicher.“

,,Galren... mir gefällt das alles nicht. Ganz und gar nicht.“ Naria hatte die Arme um den Körper geschlungen und der Atem stand ihr als sichtbare Wolke vor dem Gesicht. Wer hätte Gedacgt, das grade sie von allen einmal Angst haben würde ? Trotzdem zwang sie sich einen Schritt nach dem anderen zu machen und ihnen zu folgen.

,, Was ist los ?“ , fragte Lias. Galren fehlte ihr Gespür für Magie, aber er hatte einen Vorgeschmack davon bekommen, als er den Splitter berührt hatte. Was immer hier war, Naria konnte es spüren...

,, Ich habe keine Ahnung. Nur das jede Faser meines Körpers schreien möchte : Lauft !“

Und dann sahen sie ihn. Er kniete  vor dem Altar, ein Schatten unter Schatten, direkt vor dem Riss, der den ansonsten massiven Felsen durchzog.

Galren und die anderen blieben stehen, als er sich langsam erhob, mit dem Rücken nach wie vor zu ihnen. Trotzdem erkannte Galren den langen schwarzen Mantel wieder, genau wie die scheinbar mühelosen, fließenden Bewegungen.

,, Also... hast du deinen Weg schließlich hierher gefunden.“ Die Stimme des Mannes brachte die Luft spürbar zum schwingen. ,, Wie ich befürchtet hatte, reichte unsere Zeit einfach nicht. Du warst nicht bereit bei unserem ersten Treffen und du bist es jetzt noch weniger.“

,, Ihr seid der Prophet.“

,, Ein Name von vielen.“ , antwortete er ruhig.

,,Ihr habt mich rufen lassen.“ , erklärte Galren und trat einen Schritt auf ihn zu. Er hatte langsam genug von Rätseln und Andeutungen. ,, Also wie wäre es wenn ihr mir ein paar Fragen beantwortet... und mich gefälligst ansehe wenn ich mit euch rede.“

Eine Weile blieb die Gestalt des Propheten nur stehen, wo sie war. Naria hingegen fing an Galrens Seiten an zu zittern wie Espenlaub.

,,Das ist... völlig unmöglich.“ sie sah mit weit aufgerissenen Augen zu Galren und wieder zu dem Mann am Altar, der sich schließlich umdrehte. Er konnte es später nicht sagen, aber die Gejarn musste bereits etwas geahnt haben. Wie lange und wie viel darüber konnte Galren nur spekulieren...

,, Wie du wünschst.“ , erklärte der Prophet leise, während seine Hände zur Kapuze seines Umhangs wanderten und sie zurückschlugen. In diesem einen Moment überschlugen sich die Ereignisse.

Galren starrte wie versteinert in das Gesicht eines Mannes, den er seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte. Varan Lahaye  war älter geworden und nicht wenige graue Strähnen durchzogen die wirren, schwarzen Haare. Die Wangen des Mannes wirkten eingefallen, seine Züge ausgezehrt und angestrengt, doch gab es für Galren keinerlei Zweifel, wen er vor sich hatte. Und sie hatten es alle gewusst, oder ? Hadrir und der König und Kasran und... Sie mussten es alle gewusst haben. Und warum hatte man es ihm verschwiegen ? Aus Angst, das er sich auf seine Seite schlagen würde ?

Hinter den Augen Varans brannte ein Feuer, das Galren wiedererkannte... Besessenheit, vollkommene Vereinnahmung... hatte er vor einigen Tagen noch genau so ausgesehen ? , fragte Galren sich, während er ungläubig auf seinen Vater zutrat. Von dem Mann schien etwas auszugehen, das er nicht benennen konnte, ein Gefühl der...Falschheit, das er sich nicht erklären konnte. Und doch war das dort vor ihm sein Vater.

,, Hallo Galren. Es ist lange her...“ , meinte er und breitete die Arme aus, wie um ihn willkommen zu heißem. Einen Moment wurde das Schwert, das er mit sich trug sichtbar, verhüllt noch von einer weißen Lederscheide, aber Galren brauchte die Klinge auch nicht sehen. Und langsam aber sicher fielen einige Puzzleteile an ihren Platz. Das Erbeben von dem der König und Kasran gesprochen hatten musste sich ereignet haben, als sein Vater hier ankam. Es hatten den Altar zerstört... und er hatte das Schwert an sich genommen. Die Waffe, die sogar nach ihrem verschwinden noch nach ihm gerufen hatte, deren Echo ihn bis hierher gezogen hatte... Und dann ? Was war passiert , das sein Vater zwanzig Jahre hier geblieben war ? Und wichtiger, wenn sein Vater hier war, wer war dann auf dem Schiff gewesen... und wer hatte die Karte versiegelt, die alles erst in Gang gesetzt hatte ?

Während er noch darüber nachdachte, wanderte Varans Blick der Reihe nach über seine Begleiter, die dort erstarrt waren wo sie standen. Im gleichen Augenblick verlor Naria das Bewusstsein und fiel wie ein Stein, dem jemand einen Stoß versetzt hatte. Lias fing sie grade noch rechtzeitig auf um zu verhindern, das sie mit voller Wucht auf dem Boden aufschlug. Das Chaos war einen Moment lang vollkommen, Rufe wurden Laut und Waffen gezückt, während sich einige  von Galrens Gefährten um die ohnmächtige Gejarn sammelten.

Nur er  und Varan blieben stehen wo sie waren, einige Schritte auseinander. Er hatte gefunden, was er gesucht hatte, dachte Galren. Er wusste jetzt was aus seinem Vater geworden war, warum man ihm das alles verschwiegen hatte... Und doch blieb eine große Frage offen.... Wozu das ganze ?

Sein Vater musste seit dem ersten Tag gewusst haben, das sie in der Stadt waren und spätestens am zweiten musste ihm doch jemand Berichtet haben, das sein Sohn unter den fremden war, die übers Meer gekommen waren. Verdammt, sie hatten sich doch bereits gegenübergestanden... und doch hatte Varan seine Identität bis zuletzt für sich behalten, bis zu dem Moment wo er sich zeigen musste oder für immer in den Schatten bliebe.

,, Wozu ?“ , fragte Galren und fügte lauter hinzu : ,,Wozu das alles verdammt ?! Es sind Leute gestorben, während du dich irgendwo vor mir Versteckt hast, die halbe Stadt ist  in der Zwischenzeit Wahnsinnig geworden, wir hätten fast einen Bürgerkrieg ausgelöst und nach zwanzig  Jahre, zwanzig verfluchten Jahren und mehreren Wochen, die ich nach irgendeinem Hinweis über dich Suche, ist alles was du mir zu sagen hast... das ?“

Seine Stimme verhallte zwischen den Marmorwänden des Tempels. Er war jetzt nur noch einen Schritt von Varan entfernt, genau auf Augenhöhe mit dem Vater , der scheinbar nichts besseres zu tun hatte, als seine Spielchen mit ihm zu spielen. Das war nicht der Mann an den er sich erinnerte, nicht einmal annähernd. Und doch zeigte sich absolut keine Regung, keine Spur von Bedauern auf den Zügen Varans... seines Vaters... des Fremden.

 

 

Kapitel 84 Unsicherheit

 

 

 

,, Wir waren noch nicht bereit einander wieder gegenüberzutreten, Galren. Ich weiß du kannst das nicht verstehen, aber es gibt Dinge auf die ich warten musste und leider läuft mir nun die Zeit davon dies weiter zu tun. Du, vor allen Dingen, bist nicht bereit...und doch brauche ich deine Hilfe. Nur deshalb  bist du letztendlich hier.“

Du wiederholst dich nur, dachte Galren. Aber warum war er nicht bereit ? Der Splitter fiel ihm ein, zusammen mit was auch immer in ihn gefahren war, als er Elin den Mardar überließ. War es das, wovon sein Vater sprach ? Wenn ja... hatte Varan darauf gewartet, das er wieder zur Vernunft kam und er war einfach noch nicht lange genug wieder bei Verstand... oder das genaue Gegenteil ? Alleine der Gedanke jagte ihm einen Schauer über den Rücken.  Und jetzt wo er kurz davor war die Stadt zu verlassen.... da war seinem Vater  keine Wahl mehr geblieben als ihn zu rufen. Was immer er diesem Mann an vertrauen entgegenbringen konnte war bereits aufgebraucht.

Varan, der Prophet, sprach, als müsste ihm  längst alles klar sein, in einem Tonfall, der nichts mit dem Mann zu tun zu haben schien, den er einstmals kannte. Hadrir hatte ihn gewarnt, sagte er sich. Doch Verstanden hatte er es da noch nicht. Jetzt schon.

Galren schüttelte den Kopf und wendete sich von seinem Vater ab. Das war ganz und gar nicht, was er erwartet hatte, dachte er. Enttäuschung und Wut vermischten sich mit den tausend Fragen, die er hatte. Sein Blick streifte die anderen, die sich um Naria gescharrt hatten. Die Gejarn

war nach wie vor bewusstlos, ihre Augen geschlossen. Bisher hatte niemand es gewagt, außer ihm

das Wort zu ergreifen. Und das hier ging sie auch nichts an, dachte er. Das war eine Sache zwischen ihm und seinem Vater. Und er würde nicht gehen bevor er nicht ein paar Antworten bekam.

,,Meine Hilfe... Wie wäre es, wenn du dich erst einmal erklärst ?“ , begehrte Galren  wütend auf.

Zum ersten mal war so etwas wie eine echte Emotion in den Augen des Propheten zu sehen. Er wendete sich ab, vielleicht beschämt, vielleicht auch nur weil es ihm egal war.

,, Du musst verstehen, das meine Rolle jetzt eine andere ist, Galren. Was Teil des Grundes ist, aus dem du hier bist, ob es dir bewusst ist oder nicht. Du bist kein Kind mehr, du solltest das verstehen.“

,, Ich verstehe, das du dich vor mir versteckt hast. Ich verstehe, das du mich angegriffen hast...“

,, Ich war mir sicher, dich nicht zu treffen. Und ich... ich musste dich einfach sehen, Galren. Ich habe darauf spekuliert aber... dich nach all diesen Jahren zu sehen... Es tut mir leid...“ Varan hielt inne, den Blick zum Altar gerichtet. Als er sich wieder umdrehte wirkten seine Augen wässrig, seine  gesamte Gestalt müde von zu vielen durchwachten Nächten. Beinahe wirkte es so, als würde er Galren erst jetzt wirklich wahrnehmen.  ,, So viel Zeit ist vergangen... ich war so viele Jahre hier... Ich wusste nicht wie du reagieren würdest. Verzeih mir. Es fällt schwer mir einzugestehen, was ich alles getan habe, Galren. Sohn... Ich hätte zurück kehren können, aber was wäre dann gewesen ? Diese Leute hätten den Tod gefunden.“

,, Das tun sie vielleicht immer noch.“ Trotzdem klang das fast wieder nach dem Mann, den er einmal gekannt hatte. Voller Sorge und Mitgefühl, aber auch dem Wissen, das er dabei einen Fehler gemacht haben könnte.

,, Es ist unsere Aufgabe, genau das zu verhindern.“ , erklärte Varan. ,, Die Zwerge haben den Weg vergessen, den sie einst über das Meer nahmen , du wirst ihn ihnen wieder zeigen. Wir werden  es sein, die diese Leute retten !“

Trotz seiner Worte konnte Galren das flackern der Gier das in den Augen seines Vaters loderte nicht übersehen. Seine Absichten mochten Nobel sein, so wenig er seine Methoden verstand, aber sein Antrieb dabei... Er war davon Besessen, so wie Galren von seiner Spurensuche. Und vielleicht noch mehr. Varan hatte kein anderes Ziel mehr, als das zu tun, was er seit über zwei Jahrzehnten versuchte, die Zwerge in Sicherheit zu bringen.

Aber ein Problem gab es dabei... ,, Du könntest das genau so gut selber tun, warum ich ?“

Sein gegenüber schüttelte den Kopf. ,, Meine Gabe steht mir nicht mehr so zur Verfügung wie einst, Junge. Du kannst die Pfade noch sehen, ich nicht...“ Zumindest klang er entschuldigend, während er sprach, dachte Galren. Vielleicht war  doch noch etwas von dem übrig, was einst sein Vater gewesen war. ,, Lasst mich einmal nach euer Freundin sehen.“

Mit fließenden Schritten trat der Prophet an Galren vorbei und auf die zusammengesunkene Gestalt Narias zu. Er folgte ihm wortlos. Das  lief in keiner weise so wie er es sich je vorgestellt hätte...

Lias stellte sich Varan in den Weg, bevor er die Magierin erreichte. Ragend legte der Mann nur den Kopf auf die Seite und musterte den Löwen eindringlich.

,, Lias, oder ?“ Wiedererkennen und etwas, das freudige Überraschung sein mochte huschte über  seine Züge. ,, Es ist lange her...“

,, Das ist es in der Tat.“ Der Gejarn machte keine Anstalten, ihn vorbei zu lassen. ,, Was soll das alles hier ?“

,, Alles zu seiner Zeit.“ , meinte Varan ruhig und legte dem Mann eine Hand auf die Schulter. Zu Galrens Überraschung trat Lias daraufhin auch tatsächlich zur Seite. Ohne zu zögern lies er sich neben Naria auf ein Knie sinken ,, Verzeiht, ich kann diese Wirkung auf manche haben... ich bin nicht mehr ganz wer ich einst war.“

Mit diesen Worten streckte er eine Hand aus und legte sie der Gejarn sanft auf die Stirn. Kurz schimmerte ein schwaches, blaues Licht zwischen seinen Fingern.

Flattert schlug Naria die Augen auf und stieß den Mann noch im selben Moment von sich, während sie von ihm zurück wich. Nackte Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben.

,,Bleibt  weg von mir.“ , rief sie. ,, Galren, das ist...“
,, Mein Vater.“ , beendete er den Satz für sie. ,, Naria was ist los ?“

,, Ich weiß es... nicht ehr.“ Einen Moment sah sie zwischen Galren und Varan hin und her. ,, Eben war ich mir noch vollkommen sicher das da noch etwas anderes war aber... es ist weg.“

,, Das eben war Magie, oder ?“ , fragte Galren derweil. Die Erkenntnis traf ihn wie einen Schlag, auch wenn er nach wie vor nicht wusste wie oder warum... Sie hatten einen Zauberer gesucht, einen Mann, der die Karte vorbereitet hatte. Einen, den es angeblich in der Crew seines Vaters nicht gegeben hatte. ,, Du warst es, der die Karte versiegelt hat...“

,, Ich wusste, sie würde ihren Weg zu dir finden und danach würdest du auch einen Weg finden zu mir zu gelangen. Du bist der einzige, der überhaupt dazu in der Lage wäre, Galren. Wir werden es sein, die diese Leute retten, Sohn.“

Erneut trat die verrückte Begeisterung seines Vaters für diese Idee deutlich zu Tage. Das war doch nicht normal. Sicher, die Zwerge brauchten jemanden, der sie übers Meer führte, aber so wie sie hier behandelt worden waren... wie konnte sich dieser Mann dafür so begeistern ? Er war zwanzig Jahre hier gewesen, wer wusste schon was die Häuser schon alles versucht haben mochten um ihn loszuwerden.

Galren schloss einen Moment die Augen. Varan war Besessen. Aber vielleicht, wenn es ihnen wirklich gelang, Canton wieder zu erreichen, vielleicht konnte er dann auch darüber hinwegkommen. Er hatte es gekonnt, dachte Galren, aber es hatte ihn unsägliche Mühen gekostet. Und er hatte nur einige Tage damit zu kämpfen gehabt. Aber sein Vater ? Zwei Jahrzehnte waren eine Ewigkeit...

,, Und das werden wir auch.“ , hörte er sich selber sagen. ,, Aber zuerst musst du mir sagen was mit dir passiert ist... wie... Du bist kein Magier.“

,, Ich sagte ja bereits, über meine Gabe kann ich nicht mehr verfügen. Meine Rolle hat sich gewandelt, Galren.“

,, Deine Rolle in was ?“ Er hätte seinen Vater am liebsten an den Schultern gepackt und geschüttelt. Der kurze Moment in dem er fast wieder er selbst zu sein schien war vorbei. ,,Naria ist so etwas überhaupt möglich ?“

Die Gejarn zuckte nur mit den Schultern und Galren ließ den Kopf hängen. Das ergab doch alles keinen Sinn... oder ? Schweigen senkte sich über die Gruppe. Er kam einfach nicht an seinen Vater heran, was auch immer er versuchte.

,, Seit ihr eigentlich völlig verrückt, alter Mann ?“ Es war Elin, die ihm diese Worte ohne zu zögern an den Kopf warf.,, Ihr wollt mir jetzt allen ernstes erzählen ihr habt hier zwanzig Jahre herumgesessen und darauf gewartet, das Galren vielleicht, auftaucht und jetzt wo er hier ist, erwartet ihr mal eben, das wir euch alle helfen , ja ? Und ihr hieltet das ernsthaft für eine gute Idee ?“

Einen Moment blinzelte Varan nur irritiert und Galren konnte nicht einmal raten, was in ihm vorging. Vorsichtig trat er zwischen ihn und Elin. Götter, das ist dein Vater, sagte er sich. Und gleichzeitig nicht, ermahnte er sich. Er hatte den Propheten vor sich, der Mann der vor einem halben Leben einmal sein Vater gewesen sein mochte... jetzt jedoch konnte er nicht mehr sicher sein, was er war.

Dann jedoch lachte er. Kurz glaubte Galren, das sich ein Schatten von ihm hob und für diesen einen Augenblick stand da wirklich nur Varan Lahaye, nicht der Prophet, der Besessene mit nur einem Ziel.

,, Ziemlich vorlaut die Kleine, wo hast du sie aufgelesen ?“

,, Ob du es glaubst oder nicht, sie war ein blinder Passagier.“

Sein Vater kicherte noch etwas in sich hinein, dann wurde er jedoch wieder ernst. ,, Ich brauche dich schlicht Galren.“ , erklärte er und trat auf ihn zu. ,, Bitte.“ Varan nahm seine Hände in die eigenen und einen Moment schienen Feuer und Müdigkeit aus seinem Blick zu verschwinden. Erneut sah Galren nur seinen Vater vor sich, älter, aber ernsthaft besorgt... um sie alle.

,,Ich habe bereits zugestimmt, die Zwerge in Sicherheit zu bringen. Das ändert daran nichts.“

Seine Entscheidung stand. Und vielleicht, wenn sein Vater sein Ziel erreichte... vielleicht kam er dann auch wieder zur Vernunft. Es könnte wieder alles werden wie einst. Galren wusste selber, wie schwach diese Hoffnung war, aber was konnte er sonst schon groß tun ?

,, Du bist gekommen, weil du Antworten gesucht hast.“ , meinte sein Vater. ,, Ich hoffe du hast ein paar bekommen. Ob du es mir glaubst oder nicht, aber keiner von uns ist Zufällig hier.“ Mit einer flüssigen Bewegung zog Varan  das Schwert aus der Scheide und hielt die pechschwarze Klinge vor sich. Im Zwielicht, das im inneren des Tempels herrschte war die Waffe fast unsichtbar, sah man vom versilberten Heft ab. Das wenige Licht, das durch die Fenster drang spiegelte sich darauf und Galren

war beinahe, als könnte er die Luft hören, die bei jeder Bewegung über die Schneide floss. Ein leises Singen, fast Stimmen ähnlich... ,, Meine Gabe hat mich zu dieser Waffe geführt. Und jetzt hat die gleiche Begabung dich hierher gebracht. Damit du einen Weg zurück finden kannst. Wie es gedacht war...“

,, Ich hätte mich auch entscheiden können, nicht zu gehen.“

,,Nein.“ Varan schüttelte den Kopf und schob die Klinge wieder an ihren Platz an seinem Gürtel. ,, Das hättest du nicht. Ich hatte lange Zeit mir darüber Gedanken zu machen, Junge. Die Gabe eines Sehers kann dir Pfade zeigen zwischen denen du wählst. Das jedoch über was du verfügst zeigt dir nur einen einzigen, ob es dir klar ist oder nicht und es wird dich auf ihm Entlangführen bis du ihn vollendest.“

,, Vollenden, was denn ?“ , wollte Lias wissen.

,, Unserer Rückkehr nach Canton, nehme ich an. Die Gabe wurde von selben Leuten geschaffen vermute ich die auch dieses  Schwert schufen. Als Wegweiser. Damit wir hier sind, Galren.“

,, Du sprichst als hätte jemand Jahrhunderte im voraus gewusst, das die Zwerge hierher kommen würden.“ Er hingegen glaubte  das nicht. Aber die Klinge hatte ihn  angezogen, das konnte er nicht länger leugnen. Was also war hier die Wahrheit ? Zufall war es nicht. Aber das diese Klinge nur als Lockvogel dienen sollte ? Jemand hatte sie hierher gebracht, ja. Das alte Volk wenn dieser Tempel  wirklich schon vor den Zwergen hier gewesen war. Und wenn es dabei nie um die Zwerge gegangen

war ? Irgendjemand hatte sich die Mühe gemacht, dieses Ding bis ans sprichwörtliche Ende der Welt zu schaffen. War es dann eine gute sie wieder dorthin zurückzubringen, woher sie stammte ?

Parlors Worte fielen ihm wieder ein. Die Warnung vor einer schwarzen Klinge, die weiß wurde. Wenn er bereit war, das nicht länger als Gefasel eines Irren abzutun... was um aller Götter willen hatte er dann hier gefunden ? Mehr, als er je finden wollte, so viel war ihm jetzt schon klar.

 

 

Kapitel 85 Angebot

 

 

 

Als Galren am nächsten Morgen den Hafen erreichte, war dort alles bereits in heller Aufregung. Eine Unmenge an Leuten drängte sich auf den Pier zusammen und so groß die gesamte Hafenanlage auch sein mochte, bot sie doch kaum Platz für die Massen. Weitere tausend Männer kamen hinzu, die Kisten durch das Gedränge trugen und weitere, die versuchten ihnen einen Weg zu bahnen.

Über ein  duzend Schiffe ankerte Bug an Bug , jeder einzelne Landungssteg war besetzt...

Der König schien sein Versprechen wirklich wahrmachen zu wollen, noch heute aufzubrechen, dachte er, als er sich einen Weg bis zur Immerwind durchgekämpft hatte. Das Schiff war schon lange bereit abzulegen und wenn Hedan doch noch etwas brauchen sollte, würde Brunar es ihm wohl zur Verfügung stellen.

Nach wie vor fiel es ihm schwer, den letzten Tag zu verarbeiten. Selbst nachdem sich die Erkenntnis langsam gesetzt hatte, das sein Vater die ganze Zeit hier gewesen war... das war der kleinerer Haken an der Sache. Er konnte sich beim besten Willen keinen Reim auf all das machen. Nicht völlig jedenfalls...

Galren war wenig überrascht, festzustellen, das der König, in Begleitung Kasrans und Hadrir, bereits auf ihn wartete, als er sich dem Schiff näherte. Vor allem der Thane der Mardar war mit seinem roten Mantel kaum zu übersehen, ein leuchtender Farbfleck inmitten von grauer Arbeitskleidung und glänzendem Stahl. Ein kleiner Ring aus Wachen stand um die drei Zwerge herum und hielt die meisten Schaulustigen und Arbeiter davon ab, ihnen zu nahe zu kommen.

,, Ich hatte mir schon gedacht, das ihr früher oder später hier auftaucht.“ , meinte Hadrir und kam ihm entgegen, einen unsicheren Ausdruck auf dem Gesicht. ,, Alles in Ordnung ?“

,, Ihr habt es gewusst, die ganze Zeit, oder ?“ Seine ganze Wut war bereits verraucht, als er seinen Vater in dessen momentanen Zustand gesehen hatte. Ein Schatten des Mannes, der er einmal war mit nur wenig, das noch an ihn erinnerte. Konnte er noch wütend auf diesen Mann sein, oder die Leute, die versucht hatten, ihn vor der Wahrheit zu bewahren ?

,, Ich wünschte ich könnte sagen , das stimmt nicht, aber...ja.“

Galren schüttelte den Kopf und wendete sich an Kasran und Brunar.

,, Warum habt ihr es mir verschwiegen ? Nur aus Angst, das ich ihn dann vielleicht unterstützen würde ?“

,, Tut ihr das jetzt nicht ?“ , warf Kasran ein. Obwohl die Bemerkung alles andere als höflich war schwang keine Spur von Arroganz in der Stimme des Thanen mit. ,, Man könnte meinen , all unsere Befürchtungen erfüllen sich. Und doch was bleibt mir anderes übrig, als euch auch noch dabei zu unterstützen ?“

,, Das heißt ihr glaubt uns.“ , stellte Galren fest.

,, Ich habe eine Gruppe meiner eigenen Leute noch in der Nacht hinab in die Katakomben geschickt.“

Das sollte dann wohl heißen, ja. ,, Nur verratet mir eines, Galren... was glaubt ihr zu erreichen? Ich meine außer einen Haufen Fremder in die Fremde zu bringen.“

,, Ich hoffe den Mann den ich kannte irgendwann wiederzufinden.“ , erwiderte er. ,, Und jetzt könntet ihr mir etwas verraten... was ist eigentlich aus der Mannschaft meines Vaters geworden ?“

,,Ich fürchte, das wisst ihr. Nachdem er das Schwert gefunden hatte und seine Crew nicht länger bleiben wollte, bestand Varan darauf, das sie zumindest eine Nachricht von ihm mit sich nehmen, wenn sie schon nicht blieben. Und nach allem was ihr uns erzählt habt, ist diese Nachricht auch angekommen.“

,, Aber die Crew nicht mehr.“ , stellte Hadrir fest.

Nein. Aber sein Vater hatte doch nicht gewusst, das die Männer, die er Ausschickte ihr Ziel nicht Lebend erreichen würden. Oder doch ? Galrens Blick ging aufs Meer hinaus , bis zu der nur zu erahnenden Front aus Sturmwolken. Der Himmel war mittlerweile wieder klar und es war tatsächlich kein einziger Tropfen Regen gefallen. Dieses Land war wirklich trostlos, bis auf das, was die Zwerge daraus gemacht hatten. Und selbst darüber konnte man sich Streiten...

Aber es war etwas anderes, das Galren dazu brachte, innezuhalten. Hatte sein Vater schon über die Natur der Stürme dort draußen Bescheid gewusst, als er seine Crew ziehen ließ ? Wenn ja, dann hätte er sie tatsächlich in den sicheren Tod ziehen lassen. Ohne ihn, ohne jemanden der den sicheren Pfad für sie finden konnte mussten sie scheitern... Wer wusste schon, wie lange das zerschmetterte Wrack über die Wogen gespült worden war, bis es durch Zufall an Cantons Küsten strandete ?

,, Wir dachten, wenn ihr nicht findet, was ihr sucht, dann werdet ihr ebenfalls abreisen. Leider haben wir uns damit geirrt.“ , stellte der König fest. ,, Aber genug davon. Wir sind fast so weit, das wir aufbrechen können. Die Besatzung für die erste Überfahrt ist bereits zusammengestellt und eure Freunde sind bereits an Bord eures eigenen Schiffs. Sobald wir den Hafen verlassen haben, werden die übrigen euch folgen. Danach liegt es an euch Galren. Wenn es einen sicheren Weg nach Canton gibt, dann müsst ihr ihn finden. Wenn ihr mich entschuldigen würdet... es gibt noch einige Dinge um die ich mich kümmern muss.“

Mit diesen Worten wendete der König sich ab und sowohl Hadrir als auch Kasran folgten ihm langsam, ersterer, nicht ohne sich noch einmal umzudrehen.

,, Es ist irgendwie... seltsam sie so zusammenarbeiten zu sehen.“ , meinte er.

,, Ich dachte ihr würdet euch freuen.“

,, Freuen ?“ Hadrir schüttelte den Kopf und tatsächlich wirkte er alles andere als glücklich.. ,, Kasran und mein Vater  tun, was sie müssen, Galren. Ihnen ist klar, das wir so nicht überleben werden. Ich fürchte nur, was passieren könnte, wenn wir das hier alles wirklich überstehen sollten.“

,, Was sollte passieren ?“ , fragte Galren. Hadrir sah derweil den beiden sich langsam entfernenden Zwergen nach.,, Bisher scheinen sie ja ganz friedlich.“

,, Ihr müsst ja auch nicht so viel Zeit  mit ihnen verbringen wie ich. Götter, ich warte darauf, das die beiden sich darüber streiten welche Farben die Segel haben sollten. Sie sind sich einig, das wir fort müssen. Das wars aber leider auch schon. Ihr habt selbst erlebt, wie gespalten diese Stadt ist. Glaubt ihr, das wird einfach verschwinden ? Nein. Manche der Konflikte zwischen den Häusern mögen  indirekt durch die Krise gestärkt worden sein, aber andere sind so alt wie unser Volk. Und wir sind schon einmal geflohen, Galren. Gelehrt hat es uns nichts.“

Er hatte Hadrir schon oft nachdenklich und auch frustriert über das Verhalten seines Volkes erlebt, aber selten so niedergeschlagen... trotz ihres scheinbaren Erfolgs. Und im stillen gab er ihm sogar recht. Mochte sein, das Kasran die Isolationisten auf Linie hielt bis sie Canton erreichten und der König das gleiche mit seinen Getreuen tat... aber was danach werden würde...

Nicht zum ersten mal fragte sich Galren ob er wirklich das richtige tat. Ob es nicht eine andere Möglichkeit gab. Doch diesmal ging es dabei nicht um seinen Vater und dessen Vorhaben, das er nach wie vor nicht verstand. Und erneut gab es nur eine Antwort : Nein. Sie waren nicht mehr in der Situation irgendetwas zu beeinflussen, es sei den er würde sich weigern, den Zwergen ihren Weg zu zeigen. Und das wäre Mord... Die Wahrheit war : Die Sache war längst nicht mehr unter seiner Kontrolle. Hoffentlich war sie wenigstens unter jemands Kontrolle.

Hadrir verabschiedete sich mit einer kurzen Geste, bevor er sich den  grünen Umhang über die Schultern warf und sich beeilte zu seinem König und dem Thanen aufzuschließen. Die beiden Männer waren schon fast in der Menge verschwunden und nahmen ihren Ring aus Wachen mit. Trotzdem hielten die übrigen Leute am Hafen abstand von ihm, dachte Galren. Im Gegenteil, sie wichen sogar zurück und bildeten eine kleine Gasse. Doch nicht für ihn, erkannte er seinen Fehler.

Der Mann, der auf ihn zutrat überragte die Zwerge um mehr als zwei Köpfe. Wenigstens, dachte Galren, war er dieses verdammte, schwarze Gewand losgeworden. Stattdessen trug er einen leichteren Mantel aus braunem Stoff, in dem goldene Ziernähte glitzerten.  Darunter glänzte ein weißes Hemd und der Griff des Schwerts, das Varan Lahaye nach wie vor mit sich trug.

Aber immerhin sah er nicht mehr ganz so... Fremd aus ,dachte Galren. Die dunklen Ringe und die Anzeichen der Müdigkeit schienen ebenfalls etwas verschwunden, während sein Vater mit großen Schritten auf ihn zukam.

,, Diese Narren haben auch lange genug gebraucht um endlich zusammen zu arbeiten.“ , meinte er und grinste tatsächlich, während er den drei Zwergen nachsah. Beinahe wäre Galren bereit gewesne zu glauben, alles gestern wäre nur ein Alptraum gewesen, ein Streich dem ihm sein eigener, übermüdeter Verstand gespielt hatte und das Bild eines verwirrten, unsteten Mannes gezeichnet hatte. Beinahe. Und dann sah er seinem Vater in die Augen.

,, Du kommst mit uns ?“ , fragte er in der Stillen Hoffnung ihn etwas aus dem ganzen rauszuhalten. Ihn vielleicht sogar etwas zur Vernunft zu bringen, wenn er nur einmal weg von hier käme. Dieser ganze Ort tat keinem von ihnen gut... Und wie sollte man in einem solchen Strudel aus Missgunst und Misstrauen auch nicht langsam den Verstand verlieren ?

,, Nein. Ich beabsichtige mit dem König zu reisen, Galren. Damit sind die Vertreter aller wichtigen Fraktionen in dieser Stadt im selben Boot. Wortwörtlich.“

Natürlich... soviel zu diesem Plan, dachte Galren. Oder besser, dieser wagen Hoffnung. Etwas anderes hatte er im Moment nicht.

,, Und sie lassen dich bewaffnet mit ihnen an einem Tisch sitzen ?“ , fragte er. Er würde seinen Vater nicht davon abbringen können, das war ihm klar. Und doch änderte es wenig daran, das ihm ein kalter Schauer den Rücken hinab lief. Ein Schauer, der zu eisigen Fingern mit bösartigen Klauen wurde, wenn er daran dachte, was sein Vater in dieser Stadt gefunden hatte.

,, Ich werde das Schwert jedenfalls  nicht hier lassen, Galren.“ , erklärte Varan, als hätte er seine Gedanken gelesen.

,,Vater ich bitte dich...  Es gibt doch sicher jemanden der es für dich verwahren könnte. Irgendjemanden hier.“

,, Es gibt nur einen, dem ich das anvertrauen würde.“ Varan zog das Schwert blank. Die Pechschwarze Klinge wirkte im Sonnenlicht nur noch dunkler, als hätte jemand einfach ein Stück aus der Welt geschnitten wo nichts geblieben war. Nur die Umrisse einer Waffe... Mit einer Bewegung drehte er die Waffe in der Hand und bot sie Galren mit dem Heft zuerst an. ,, Dann nimm du es also. Wenn du dich damit sicherer fühlst...“

Das war ganz und gar nicht, was er gemeint hatte, dachte Galren. Aber war das nicht besser, als die Alternative ? So instinktiv wie er seinen Weg fand, so sicher wusste er das dieses Ding einfach...böse war. Also dann ? Nimm es und wirf es weg, sagte er zu sich selbst. Das Hafenbecken ist gleich hinter dir, du musst nur die Hand ausstrecken...

Vorsichtig hob er den Arm. Seine Finger näherten sich dem versilberten Heft, das im Gegensatz zu der Schattenklinge im Licht glänzte. Galren konnte sehen wo das Silber im Laufe der Äonen schlicht abgewetzt worden war, so das der blanke Stahl darunter zu Tage trat.  Ihm war, als könnte er erneut hören, wie die Luft über die Klinge strömte. Jede kleinste Verwirbelung erzeugte einen Ton. Er konnte Stimmen darin erkennen, leise, flüsternd, sah das Feuer das in den Augen seines Vaters brannte... Ein Teil von ihm wollte zupacken. Die Waffe an sich nehmen. Behalten...

Das war Wahnsinn, sagte er sich. Und doch schien er keine Kontrolle darüber zu haben. Es kostete ihn unglaubliche Mühen auch nur den Blick abzuwenden.

 Langsam , fast wie gegen einen Wiederstand, zog er die Hand zurück und erst jetzt fiel Galren auf, das er zitterte. Ihm war kalt, ohne das er sagen könnte wieso. Warm schien die Sonne auf ihn und Varan hinab und er hatte schon fast wieder vergessen, was ihn grade solche Angst gemacht hatte...

,, Ich habe bereits eine Waffe. Also... vielleicht hast du recht. Behalte es...“

,, Dann eben nicht.“ Varan zuckte mit den Schultern, während er das Schwert sinken ließ. ,, Ich weiß wir haben viel zu bereden, Galren... ich weiß auch ,das dass hier vielleicht nicht ist, was du erwartet hast aber... vertrau mir einfach, ja ?“

Galren fand sich unfähig eine Antwort zu geben, die nicht nach einer Lüge klang. Er wollte nichts lieber tun als das. Aber er konnte es schlicht nicht. Seinem Vater hätte er vertrauen können... aber war das dieser Mann überhaupt noch ? Götter, wenn er nur wüsste, was er tun sollte.

 

 

 

 

Kapitel 86 Auf Kurs

 

 

Elins hatte die Beine an den Körper gezogen und lauschte dem Kreischen der Möwen, die sie begleiteten, seit sie den Hafen verlassen hatten. Der Wind peitschte ihr die Haare um den Kopf, während sie nach unten auf das blaue Meer hinaus sah.

Wie Perlen an einer Schnur reihten sich mindestens ein duzend Schiffe hintereinander auf und folgten der Immerwind, während sie Wand aus dunklen Wolken vor ihnen immer näher kam.

Im Hafen hatte jedes einzelne davon noch gewaltig gewirkt, gefertigt  mehr aus Metall denn aus Holz und Bestückt mit genug Besatzung und Vorräten um Monatelang unabhängig zu sein. Sie konnte sich nach wie vor nicht erklären, wie so etwas wie ein Zwergenschiff überhaupt schwamm . Die gewaltigen, weißen Segel waren breit genug um ein Gebäude darin einzuwickeln und der aufkommende Wind trieb sie nun stetig ihrem Ziel zu. Auch wenn es Wochen dauern würde, bis sie Cantons Küste erreichten, das erste  großes Hindernisse lag direkt vor ihnen.

Langsam stand Elin von ihrem Platz im Krähennest der Immerwind auf. Dieses war kaum mehr als eine simple Holzplattform, grade breit genug für eine Person, die sich an den Hauptmast des Schiffs klammerte. Über ihrem Kopf wehte eine inzwischen zerrissenen und mitgenommene Flagge des Kaiserreichs. Das einstmals kräftige Dunkelblau war zu etwas verblasst, das eher der Farbe des Himmels im Winter entsprach und die zwei in Gold und Silber gehaltenen Wappentiere waren nur noch zu erahnen.

Das Holz unter Elins  Füßen war glatt geschmirgelt von Wind und Salz und sie hielt sich mit einer Hand am Schiffsmast fest, während sie sich an den Abstieg machte. Der Gedanke an das letzte mal reichte ihr um möglichst nicht hier oben sein zu wollen, wenn der Sturm losbrach. Das hieß, falls Galren keinen Weg herum oder hindurch fand. Seit einem Tag kreuzten die Schiffe nun schon an der Sturmbarriere entlang , immer den Anweisungen des Kapitäns und Galrens folgend. Hoffentlich gab es wirklich eine sichere Passage, sonst würden sie ihr Glück wohl so versuchen müssen.

In der Zwischenzeit hatte sie nur mehr als genug Zeit zum nachdenken. Über alles... Sie hatte Kasran seit der Übergabe auf dem Damm nicht wiedergesehen und wenn Elin ehrlich zu sich selbst war, war sie froh darum... Nach wie vor war ihr nicht klar, wie weit der alte Zwerg  bei all dem seine Finger im Spiel hatte. Trotz seiner vielleicht noblen Absichten, er hatte  sie schlicht einem Mann überlassen, der sie töten wollte, darauf gesetzt sie auf seine Seite zu ziehen und wenn sie je herausfand, das er bei Merls Tod seine Finger im Spiel gehabt hatte...

Und Galren ? Vielleicht sollte sie froh sein, den Mann momentan ebenfalls kaum zu Gesicht zu bekommen. Zum Großteil konnte sie ihm verzeihen, sagte sie sich. Ein Teil von ihr wollte ihn trotzdem am liebsten zumindest wütend auf ihn sein. Der andere... Elin schüttelte den Kopf.

Vielleicht war es ganz gut, wenn sie sich alle eine Weile trennten, sobald sie Canton erreichten.

Bis nicht klar war was sie  für diesen Mann empfand wollte sie zumindest etwas Abstand zwischen sich und ihn bringen.

Als Elin wieder festen Boden unter den Füßen hatte , schlugen ihr bereits laute Stimmen entgegen. Lias und Naria standen vor der Treppe zum Unterdeck des Schiffs und unterhielten sich... wenn man das eine Unterhaltung nennen konnte.

Die Schakalin hatte die Arme in die Hüten gestemmt, während der Wind ihr den grauen Mantel gegen den Körper presste. ,, Wir beide wissen, das ihr einfach nur unglaublich voreingenommen seid, was das Thema betrifft, Lias. Wenn ich so etwas sagen, dann könnt ihr mir das auch glauben !“

,, Was ist los ?“ , wollte Elin wissen. ,, Ich dachte ihr vertragt euch...“

,, Nein.“ Lias schien sie überhaupt nicht zu beachten, sondern sprach einfach weiter, als hätte er sie nicht bemerkt. ,, Magie ist gefährlich, Naria. Meine Sicht darauf hat sie nie geändert. Und nachdem ihr im Tempel umgekippt seid, solltet ihr das vielleicht auch nachvollziehen können...“
,, Das war...“ Naria blinzelte. ,, Etwas völlig anderes. Glaube ich.“

,, Glaubt ihr ?“

,, Ich kann mich nach wie vor nicht richtig erinnern. Ich... Lias ich hätte schwören können, als wir vor ihm standen war Varan Lahaye nicht alleine.“

,, Was meint ihr mit nicht alleine ? Der Tempel war völlig verlassen...“

Elin sah schlicht wortlos von einem zum anderen, da sie ohnehin niemand zu beachten schien. Wovon sprach Naria da ? Sie hatte genau so wenig jemanden gesehen, wie die anderen, abgesehen von Galrens Vater. Und was sie von diesem Mann halten sollte...
,, Das da noch etwas anderes war, Lias. Eine... Irgendetwas eben. Ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll. Nur das mir so etwas bisher nur einmal untergekommen ist.“

,, Einmal ? Wann ?“

,,Während Galren nicht... ganz er selbst war... habe ich versucht herauszufinden ob das etwas mit seiner Gabe zu tun haben könnte. Ich weiß das kommt etwas spät, aber da euch Magie ohnehin bloß Angst macht, dachte ich nicht, das es euch interessiert.

,, Ich habe keine Angst davor es ist nur völlig unnötig. Gefährlich und unnötig.“

,, Natürlich.“ Naria grinste in sich hinein, was Lias damit quittierte, das er die Arme vor der Brust verschränkte und sie stumm anstarrte. ,, Jedenfalls habe ich etwas gefunden. Ich hatte bisher nur mit Merl darüber gesprochen, weil ich niemanden beunruhigen wollte, aber...“ Sie schweig einen Moment. Noch hatte sich bei keinem von ihnen wirklich gesetzt, das der junge Zauberer nicht mehr bei ihnen war. Doch Armell setzte es nach wie vor am meisten zu, dachte Elin. Seit sie aufgebrochen waren, hatte sie die junge Adelige kaum an Deck gesehen... Und sie wusste nicht, was sie dagegen tun oder auch nur sagen sollte. Es lag ihr einfach nicht jemanden aufzumuntern... Nicht so jedenfalls.

 ,, Die Gabe über die Galren und wohl auch sein Vater verfügen ist nicht auf die Art angeboren wie es die Fähigkeit zur Magie ist.“ , fuhr Naria fort. ,,Sie hat eine Quelle, die nicht bei einem der beiden liegt.“

,, Sondern...“

,, Das habe ich versucht herauszufinden. Und es ist mir nicht gelungen. Könnt ihr euch vorstellen wie es wäre, in einen tiefen, kalten Sumpf gestoßen zu werden ?“

,, Ich kann euch sagen wie es ist halb unter brennenden Trümmern begraben zu werden.“ Elin wusste nicht, was Lias damit sagen wollte, aber Narie offenbar schon.

,, Ich fürchte, meine Mutter könnte euch ein paar Takte dazu sagen. Nun, so ähnlich hat es sich angefühlt, wenn ich nach dem Ursprung von Galrens Fähigkeiten gesucht habe. Der Tempel hingegen war... schlimmer.“ Naria lies den Kopf hängen.
,, Also...“ , versuchte Elin erneut sich gehör zu verschaffen. ,, Würdet ihr mir erklären, worüber genau ihr eigentlich streitet ?“

,, Das Magie gefährlich ist.“ , wiederholte Lias sich und lächelte kurz, während er hinzufügte :  ,, Aber vielleicht sind es nicht alle Magier.“

,, Womit wir wieder am Anfang wären.“ , seufzte Naria. ,, Mit euch darüber zu diskutieren ist, verzeiht , als wollte ich einem Schaf Architektur beibringen. Ich habe versucht Lias klar zu machen, das diese Barriere wohl nicht natürlichen Ursprungs sein kann.“

,, Und warum sollte sie das nicht sein ?“

,, Ihr versucht das unleugbare zu leugnen. Jedenfalls, ich habe Grund zu der Annahme, das das da draußen nur ein einziger, gewaltiger Zauber ist. Ein ziemlich exotischer. Um Ehrlich zu sein verstehe ich nicht mal, was ihn speist oder wie. Aber wenn er wirklich dafür Gedacht ist jede von der Nebelküste fern zu halten, wie ich vermute dann muss er einmal die Welt umspannen um wirklich effektiv zu sein.“

,, Die Welt ?“ , fragte Elin ungläubig. ,, Ihr meint... alles ?“ Sie hatten nur ein paar mal Magie gesehen und meist hatten auch diese lokalen Zauberer bereits etwas beeindruckendes gehabt. Aber auch ihr war klar, das ein Zauberer nicht über unbegrenzte Reserven verfügte. Irgendwann brachte er sich selbst um oder musste aufhören. Ein Zauber, der quasi einen kompletten Ozean in zwei Hälften teilte... Elin verstand wieso Naria sich nicht erklären konnte, was ihn aufrecht erhielt.

,, Aber wir wissen bereits, das es eine Lücke geben muss. Zumindest, wenn die Zwerge wirklich ohne Hilfe hier her gekommen sind.“
,, Nun sie hatten einen Unsterblichen...“ , bemerkte Lias. ,, Diesen Herrn des Feuers, offenbar.“

,, Die Unsterblichen sind ein Mythos, Lias. Auch wenn es erklären würde, was diesen verdammten Sturm aufrecht erhält. Es überrascht mich allerdings, das ihr ihn überhaupt kennt. Ich habe zumindest noch von keinem gehört, der je einem Begegnet wäre. Also, sie sind ohne Hilfe hierher gekommen, also muss es eine Lücke geben und wenn das alles nichts als ein gewaltiger Zauber ist, dann weiß ich auch, wie diese Aussehen könnte. Irgendwo muss es einen Punkt geben, an dem die beiden Fronten des Zaubers aufeinandertreffen. Und wie ein Feuer dem anderen die Grundlage verbrennt, so kann auch ein Zauber nicht am gleichen Ort wie ein anderer existieren. Der schwächere würde verpuffen. Da es sich in diesem Fall aber um ein und denselben handeln würde, müsste er sich an genau diesem Punkt aufheben. Die Lücke wäre im vergleich zu den Ausmaßen  der gesamten Barriere winzig, aber vielleicht grade groß genug für unsere Zwecke. “

,, Um ein Schiff hindurch zu bringen, also.,“ , stelle Elin fest. ,, Warum habt ihr das noch niemanden gesagt ?“

,, Weil ich mir bis jetzt nicht sicher war. Und weil Lias sich eingemischt hat. Wir sind der Barriere erst seit ein paar Tagen wieder so nah und beim letzten mal hatte ich besseres zu tun als darauf zu achten ob es irgendwo Spuren von Magie gibt. Die gibt es  und nun ,ich verstehe ja nicht einmal den Zauber der dem ganzen zugrunde liegt, aber mit ein bisschen Glück sollte ich die Passage finden können. Wir sind im Augenblick genau Richtung Norden unterwegs und wenn auch nur ein wenig, aber die Barriere scheint in dieser Richtung beständig schwächer zu werden.“

,, Worauf warten wir dann noch ? Sagen wir Hedan bescheid.“ , meinte Elin und lief den beiden Gejarn voraus in Richtung der Kajjüte des Kapitäns.

Sie fanden Hedan über seinen Kartentisch gebeugt und leise mit sich selber sprechend. Eine Pfeife brannte in seinem Mundwinkeln während er die alte Karte betrachtete, die Galren aus Canton mitgebracht und die sein Vater angefertigt hatte. Es war nicht viel, aber die einzige Orientierung, die sie in diesen Gewässern überhaupt hatten. Galren war ebenfalls bei ihm und saß neben dem Tisch auf einem Lehnstuhl, die Augen halb geschlossen.

Als sie eintraten, sah er als erster auf, während der Kapitän zuerst die Pfeife aus dem Mundwinkel nahm und auf dem Tisch abstellte.

,,Die Damen,  wir sind offiziell in Schwierigkeiten.“ , brummte Hedan. ,, Unser Herr Wegfinder hier streikt und was diesen Kartenfetzen angeht, sind wir längst zu weit nach Norden abgedriftet, als das der uns noch von Nutzen wäre.“

Galren nickte, während er aufstand.. ,, Die Zwerge haben die Gegend hier kaum kartographierot, ich habe Hadrir schon gefragt. Wenn wir noch weiter vom Kurs abweichen riskieren wir uns zu verlieren. Entweder, wir finden diese Passage bald... oder wir müssen den direkten Kurs wagen.“
,, Ich schätze, dann habe ich einmal gute Nachrichten.“ , meinte Naria. ,, Ich erkläre es euch gerne genauer, aber wenn ich mich nicht irre, dürfte das, was wir suchen nicht mehr weit sein. Die Stürme verlieren unmerklich an Wucht, Galren.“ Elin hörte erneut zu, als die Schakalin von ihrer Vermutung berichtete. ,, Es wird kein einfacherer Weg sein. Vermutlich ist die Passage kaum breit genug für ein Schiff und was passiert, wenn man aus dieser beruhigten Zone in die Stürme gerät... Vermutlich würden die wirkenden Gezeitenkräfte einen einfach zerreißen.“

,, Dann sollten wir verhindern, das es dazu kommt.“ , stellte Galren fest. ,, Solltet ihr recht haben, führen wir die Schiffe eines nach dem anderen hindurch. Gebt es an die Zwergenschiffe weiter, nur für den Fall, das sie es vor uns entdecken. Sie sollen warten. Elin, ich werde dich dafür brauchen.  Du bist bei weitem die beste Navigatorin die wir haben. Ich verlasse mich lieber auf dich als auf die Zwerge.“

Kapitel 87 Die Passage

 

 

 

Naria hatte sich nicht geirrt. Früh am nächsten Morgen wurde Galren vom Ruf des Ausgucks geweckt und hastete an Deck. Was er dann vor sich ah, würde er den Rest seines Lebens nicht mehr vergessen, das wusste er im gleichen Moment, wo er das oberen Ende der Treppe erreichte und erstarrt innehielt.

Die Passage schien ihm wie einem Fiebertraum entwachsen und erst jetzt bekam er einen Eindruck von den Kräften, die hier gegen sie wirkten. Es war, als hätte ein Gott zwei saubere Schnitte geführt und dann die entstandene Lücke vergessen wieder zu Füllen. Links davon tobten die Stürme. Galren konnte die Wellen und die aufgewühlte See spüren. Rechts davon ebenso. Dunkle, schwarze Quellwolken überzogen den Himmel  soweit das Auge reichte. Blitze zuckten herab, griffen nach Masten und Segeln um sie in Brand zu setzen. Und mittendrin... nichts. Der Sturm lies nicht etwa  nach oder verzog sich... er war einfach gar nicht mehr da. Auf einem Streifen kaum doppelt so groß wie die Immerwind schimmerte das Wasser blau und glatt wie Glas und die Wolken schienen an einer unsichtbaren Wand abzudriften, die sich irgendwo über ihnen befand. Einmal sah Galren, wie ein Blitz herabzuckte, der genau in diesen friedlichen Korridor hätte einschlagen müssen. Er verpuffte einfach, sobald er die Schnittstelle verließ, an der auch die Wolken endeten.

Hadrir neben ihm schüttelte lediglich den Kopf, während er das seltsame Schauspiel verfolgte. Die Morgensonne tauchte das Wasser im Korridor in rotes Licht, während die Fluten rund herum so dunkeln und bedrohlich wie immer blieben.

,, Das ist absoluter Wahnsinn.“ , erklärte der Zwerg neben ihm. Er und Elin waren sobald die Passage in Sicht kam auf das Schiff das der König, Hadrir und auch Kasran und Varan für sich in Anspruch nahmen, gewechselt. Heimlich hatte Galren darauf gehofft, dabei auch eine Gelegenheit zu finden, mit seinem Vater zu sprechen, doch blieb ihm das in der aufkommenden Hektik verwehrt. Segel wurden gerafft, während die Mannschaft tat, was sie konnte um das Schiff soweit es ging zu verlangsamen.

Eine  Hälfte des Schiffs trieb bereits inmitten des Übergangs. Die unsichtbaren Mauern, welche das Unwetter davon abhielten sie zu erreichen, waren nun spürbar und Galren trat fasziniert an die Reling.  Man sah sie wirklich nur, wenn man wusste, wie man schauen musste. Ein leichtes Flirren in der Luft, so wie an heißen Tagen, unmittelbar an der Stelle, wo tosendes und ruhiges Wasser aufeinander trafen. Er müsste sich nur vorbeugen und könnte eine Hand ausstrecken um diese  Barriere zu berühren, so nah waren sie ihr inzwischen gekommen.

Aus Neugier hob Galren  einen Fischerhaken auf, der neben ihm am Geländer lehnte und tastete damit nach den Rändern der Passage. Im gleichen Moment, wo ein Teil des Stocks die Barriere überquerte, wurde er in zwei Hälften gerissen , als hätte Galren ihn unter eine Guillotine und nicht bloß durch die Luft bewegt. Das abgetrennte Ende wurde sofort von den Stürmen jenseits der Passage erfasst und in hohem Bogen in die Luft geschleudert. Naria hatte sie gewarnt, dachte Galren. Und auch damit sollte sie Recht behalten. Er warf das abgebrochene Stück des Stabs, das er noch in der Hand hielt weg. Dort, wo eben noch der Haken gewesen war, befand sich nun nichts mehr, als eine saubere Schnittfläche aus poliertem Holz…

,, Also gut… wir versuchen besser nicht, das nachzumachen.“ , stellte er fest und zum ersten Mal seit auftauchen der Passage verspürte er einen Hauch von Angst. Das hier ging weit über sein Verständnis und ein Fehler bedeutete den Tod.

,,Wenn wir auch nur ein Stück zu weit zur Seite getrieben werden, sind wir verloren, Galren. Es muss einen anderen Weg geben.“ Hadrir sah besorgt zu, wie das Schiff stetig näher auf die enge Schneise zwischen Sicherheit und Tod zutrieb.

,, Das hier, ist der andere Weg.“ , erklärte er  gereizt und drehte sich zu dem Zwerg herum. ,, Eure Alternative ist, direkt durch den Sturm zu segeln. Das würden wir nicht überleben.“ Er wollte Hadrir nicht anfahren, aber seine eigene Anspannung war bereits jenseits von Gut und Böse.

Elin war derweil vollauf damit beschäftigt, den Steuerleuten Anweisungen zu geben. Schien sie anfangs noch unsicher, war sie mittlerweile scheinbar voll in ihrem Element. Galren sah ihr dabei zu, wie sie Karten und Bücher über den Haufen warf.

,, So kommen wir nicht weiter.“ , erklärte sie. ,, Wir haben das gleiche Problem wie zuvor. Niemand hat diese Gegend , geschweige denn diese Passage, je kartographiert. Uns bleibt nur, auf Sicht zu segeln und das Beste zu hoffen.“
,, Dieser Korridor erstreckt sich über Meilen.“ , begehrte Hadrir auf. ,, Und uns bleibt kaum Platz zum Navigieren. Wenn er irgendwo einen Bogen macht, haben wir keine Chance ihm zu folgen, wir würden in die Stürme geraten.“

,,Ich weiß. Es ist nicht so, das uns eine Wahl bleibt“ , erklärte Elin grimmig. Galren konnte sehen, wie es in ihren Augen blitzte. ,, Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit. Galren…. Können wir uns auf dich verlassen? Wenn dieser Korridor irgendwohin außer geradeaus führt, musst du uns warnen…“

 Er zögerte mit seiner Antwort. Seine Gabe hatte ihn im Stich gelassen, als er nach der Passage gesucht hatte. Was bedeutete das, wenn er versuchte, sie hier zu nutzen, jetzt wo er sie vor sich hatte? Galren wusste, er müsste nur nach dem Weg greifen und er wäre da. Mehr als ein Gedanke war nicht mehr nötig. Aber konnte er sich darauf verlassen? Versagte er hier, war es für sie alle zu spät.

Schließlich jedoch nickte er und trat wortlos an den Bug des Schiffs. Man verließ sich auf ihn. Und er hatte nicht vor dieses Vertrauen jetzt zu enttäuschen. Die Welt um ihn herum hörte mit jedem Schritt den er tat, weiter auf zu lärmen und verschwand zunehmend aus seiner Wahrnehmung. Dafür schien das Wasser, das sie umgab jetzt in einem hellen, fast blendenden, Ton zu glitzern. Als wären die Wogen aus flüssigem Gold geformt. Der Pfad, der dünne Lebensfaden, dem sie folgen oder verloren gehen würde, lag deutlich vor ihm.  Aufs Äußerste konzentriert spürte er kaum, wie das Schiff sich wieder in Bewegung setzte.

Hadris Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten, wie Galren feststellte, als er den Pfad absuchte, der sich vor ihm auftat. Statt eine grade Linie zu formen, war er gewunden wie eine Schlange und stellenweise wurde er scheinbar noch schmaler als ohnehin schon. Kurz fragte er sich, ob es überhaupt möglich sein würde, das Schiff heil hier hindurch zu bringen. Er dachte kurz zurück an den Stock und das mulmige Gefühl, das das alles ein großer Fehler sein könnte, machte sich breit.

So gut er konnte, prägte er sich die Gefahrstellen ein, bevor er zu Elin zurücklief.

,, Die erste Kurve geht nach rechts.“ , erklärte er , als er die Gejarn am Steuer des Schiffs fand, wo sie mit dem Steuermann redete. Dieser versuchte  krampfhaft das Schiff auf einem schnurgraden Kurs zu halten. Galren konnte die Schweißtropfen auf der Stirn des Mannes sehen.

,, Danach folgt eine Engstelle.  Ihr seht sie noch nicht, aber wenn wir nicht sofort unseren Kurs ändern, schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig. Sobald wir durch sind, müsst ihr das Schiff wieder auf einen graden Kurs bringen. Die Passage wird direkt dahinter zu einem Nadelöhr.“

Der Zwergensteuermann sah ihn nur entsetzt an. ,, Wir werden das nie schaffen… habt ihr eine Ahnung wie schwerfällig dieses Schiff ist…wir…“

,, Wir können auch nicht mehr umkehren.“ , fiel Elin ihm ins Wort. ,, Es gibt nicht genug Platz dafür. Es gibt keine andere Möglichkeit mehr, als weiter zu machen.“

Galren konnte sehen, wie der Mann tief Luft holte und ein stilles Gebet murmelte, während er das Schiff nach rechts zog. Die ganze Mannschaft schien gleichermaßen auf ihren Plätzen erstarrt, während die gewaltige Konstruktion aus Holz und Metall sich langsam neigte und dem langsam seitlich führenden Korridor aus schützender Magie folgte. Holz und Leinen knirschten, doch der erwartete Aufprall und der Ruck wenn das Schiff auseinandergerissen wurde, blieben aus.

Galren hielt sich an einem Tau fest, während sie endlich aus der Kurve hinaus trieben… und dann geschah es. Trotz aller Bemühungen waren sie zu weit zur Seite geraten und die plötzlich näher beieinander liegenden Wände der Passage kamen mit der linken Schiffsseite in Kontakt.

Das gesamte Schiff zitterte, als die vorgewölbten Planken des Schiffsrumpfs sauber abgeschliffen wurden, wo sie über die unsichtbare Grenze ragten. Metall und Holz wurden gleichermaßen in die Luft geschleudert und gingen als Schauer über das Deck nieder. Männer schrien und brachten sich in Deckung. Andere blieben nur wie erstarrt stehen wo sie waren und sahen zu, wie das Schiff wie in einer gewaltigen Sägemühle geschliffen wurde. Die kleinste Kursänderung und sie würden endgültig über die Grenze kommen und das Schiff in zwei Hälften gerissen werden.

Der Steuermann, der sich hinter das Ruder duckte, wagte es nicht, das Steuerrad auch nur einen Fingernagel breit zu bewegen, während der Korridor vor ihnen endlich wieder breiter wurde.

Die erste Hürde wäre genommen, dachte Galren erleichtert. Er konnte das glitzern der offenen See bereits sehen, irgendwo am Ende der nur noch leicht gewundenen Passage. Er ließ das Tau los und sah zu, wie das Schiff an den Barrieren vorbei trieb.

Elin würde sie von hier ab auch alleine durchbringen, dachte Galren. Trotzdem rief er sich erneut den Pfad in Erinnerung, den er gesehen hatte. Es gelang ihm mühelos. Seine Fähigkeiten waren mittlerweile so gefestigt, das er kaum mehr darüber nachdenken musste. Und warum konnte er dann  die Passage selbst damit nicht finden? Nach wie vor konnte er nicht behaupten zu verstehen, was hier vor sich ging. Waren die Stürme als Hindernis für jemanden wie ihn gedacht gewesen? Oder waren sie von all dem unabhängiges Phänomen?  Wenn  nicht, dann kam er besser dahinter, was ihre Erschaffer so gefürchtet hatten, bevor sie Canton erreichten…

Es würde nicht mehr lange dauern. Und doch wäre dadurch grade einmal ein Schiff in Sicherheit. Zwölf weitere würden folgen müssen.

In Gedanken versunken, merkte er kaum, wie jemand neben ihn trat. Kein Zwerg, dazu war die Gestalt zu groß.

,, Was meinst du, wie weit ist es, bis wir Canton erreichen ?“ Varan Lahaye ließ den Blick auf den Horizont geheftet, während er sprach.

,, Noch zwei Wochen, vielleicht drei.“ , erwiderte er. ,, Auf dem Weg hierher haben wir einen Umweg machen müssen, diesmal dürfte es schneller gehen.“

Galren wagte es nicht aufzusehen, wollte das Feuer nicht noch einmal sehen, das in den Augen seines Vaters brannte. Er hatte nur die schwache Hoffnung, dass der Mann als der er ihn kannte nicht völlig verschwunden war. Wenn sie nur erst wieder Zuhause wären… vielleicht würde dann alles besser. Langsam hob er nun doch den Kopf und sah zu seinem Vater, der sich auf die Reling stützte, den Blick nach wie vor in die Ferne gerichtet. Galren wusste, dass er nachdachte, aber über was, das konnte er nicht sagen.

,,  Vater sei ehrlich, was hast du vor ?“

,, Diese Leute retten.“ , erwiderte Varan leise, bevor er sich umdrehte. ,, Und ich hoffe, das hast du auch.“

Natürlich tat er das, dachte Galren. Alleine die Tatsache, dass sie hier waren konnte daran ja wohl keinen Zweifel lassen, oder? Er wünschte er wüsste, was sein Vater in diesem Moment dachte. Nach außen gab dieser Mann nur noch Preis, was er sie auch wissen lassen wollte. Was wenn er der Grund für das alles ist, Galren? , fragte er sich selbst. Kannst du diesem Mann überhaupt trauen? Du tust genau was er will, aber du weißt gleichzeitig nicht, was er vorhat. Was wenn du genau das tust, was die Erbauer dieser Barriere verhindern wollten?

Und wenn schon, wer sagte denn das das nicht das richtige war? Nur weil jemand etwas verhindern wollte, hieß das nicht, dass es schlecht war. Im Gegenteil. Und er würde seinen Vater nicht wegen einer Vorahnung zurück lassen…

Mittlerweile hatte das Schiff das Ende der Passage erreicht und trieb wider auf das offene Meer hinaus. Die Wolken der Stürme links und rechts von ihnen , zerfaserten an den Enden und griffen wie Finger einer Hand über den Himmel, fast , als würden sie doch noch versuchen, sie irgendwie aufzuhalten. Doch nichts dergleichen geschah. Keine Wolkenhand senkte sich über sie herab und nur der ferne Donner erinnerte daran, was dort in ihrem Rücken nach wie vor auf sie lauerte…

Aber das würde heute nicht ihre letzte Begegnung mit dem Unwetter sein, dachte Galren.

,, Lasst ein Boot zu Wasser. Ich und Elin rudern zurück und bringen das nächste Schiff durch…“

Das Wasser innerhalb des Korridors wäre ruhig genug dafür. Allerdings hatte alleine die Vorstellung in einer Nussschale inmitten der Stürme zu treiben etwas Nervenaufreibendes…

 

Kapitel 88 Sterne

 

 

 

Am Ende dauerte es den ganzen Tag, alle Schiffe durch das Nadelöhr zu schleusen. Immerhin lohnte es sich letztlich, den ohne die Passage, dessen war Galren sich am Abend sicherer den je, hätten sie den Weg niemals überlebt. Zwar war der schmale, sichere Pfad zwischen den beiden Sturmfronten auch alles andere als einfach, aber zumindest nicht selbstmörderisch. Für Heute würden die Schiffe nicht weiter segeln, sondern trieben lediglich vor dem dunkler werdenden Himmel. Dutzende kleiner Laternen warfen ihren Schein auf das ruhige Wasser, während die Mannschaften endlich die Wohlverdiente Ruhe bekamen. Ein Ausgleich für die Anstrengungen, die der heutige Tag ihnen allen abverlangt hatte.

Galren selber steckte die Erschöpfung ebenfalls in den Knochen, als er kurz nach Sonnenuntergang an Deck der Immerwind trat. Seine Beine fühlten sich an wie Gummi, aber das war nichts im Vergleich zu dem stetigen dröhnen, das sich in seinem Kopf festgesetzt hatte. Bisher war er noch nie gezwungen gewesen, seine Fähigkeiten stundenlang und immer wieder einzusetzen. Naria hatte ihm bei ihrer Rückkehr ohne zu Fragen einen Beutel Kräuter in die Hand gedrückt. Jetzt war ihm wenigstens klar, wieso. Auf einem getrockneten Blatt kauend trat lehnte er am Schiffsmast und sah zu, wie die letzten Sonnenstrahlen am Horizont verschwanden. Aber sie hatten es geschafft, dachte er. Ab jetzt würde sie kaum noch etwas aufhalten können, bevor sie die Küste erreichten und dann…

Was dann ? Hör auf dir Hoffnungen zu machen, die dich nur enttäuschen können. Zumindest  würde sich dann alles aufklären, dachte er. Die Zwerge würden sich mit dem Kaiser arrangieren müssen und vermutlich würde sein Vater darauf bestehen, dabei zu bleiben. Zumindest wären sie wieder daheim. Er jedenfalls würde nach Hamad zurückkehren.

Morgen würden sie bereits einige der leichteren und schnelleren Schiffe vorausschicken, damit man auf ihre Ankunft vorbereitet wäre. Sonst blieb ihm nur noch, abzuwarten.

Trotzdem blieb ihm der Schlaf verwehrt und vielen seine Augen doch einmal zu, waren seine Träume unruhig und düster. So wenig er sich beim Aufwachen genauer  an sie  erinnern konnte, es hielt ihn davon ab, Ruhe zu finden.

Galren hätte ihre Schritte fast nicht gehört, obwohl es an Deck Totensill war. Er wunderte sich schon lange nicht mehr, wie es ihr gelungen war, Wochenlang unentdeckt an Bord zu bleiben. Trotzdem lächelte er stumm in sich hinein. Immerhin, er hatte sie bemerkt.

,, Du bist nicht so gut wie du denkst.“

Elin ließ sich wortlos neben ihm fallen. Einmal schienen ihr tatsächlich die Worte zu fehlen, dachte Galren. Eigentlich hatte er vorgehabt alleine zu sein aber dann würden  ihn die Zweifel bis zum Morgen vermutlich  auffressen. Elins bei sich zu wissen zeigte ihm immerhin, das er eine Sache richtig gemacht hatte. So schwer es ihm auch gefallen war… Und doch war die Einsicht fast  zu spät gekommen.

,, Ich habe auch nicht versucht mich anzuschleichen.“ , erwiderte die Gejarn. ,, Du kannst auch nicht schlafen, oder ?“

Galren schüttelte den Kopf. ,, Nein.“ Ein Bein angewinkelt starrte er zum dunkler werdenden Himmel hinauf. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die ersten Sterne zeigen würden und er fragte sich, ob sie bereits ein vertrautes Muster bilden würden. Vermutlich nicht, dazu waren sie zu weit von Hamad weg.

,, Wegen dem was uns erwarten wird ?“

,,Wegen allem. Oder vielleicht vor allem wegen meinen Vater. Ich hatte die Hoffnung eigentlich Aufgegeben auch nur eine Spur von ihm zu finden, Elin. Und dann passiert so was. Manchmal glaube ich, es wäre besser gewesen, wenn ich ihm nie wieder begegnet wäre. Zumindest besser als ihn… so wiederzusehen. Die Zwerge haben ihn gefürchtet. Wegen dem was er tun könnte. Und ich fürchte, was dieser Mann geworden ist und was ich tue. Ich helfe ihm, weil ich keine Wahl habe, aber ich habe keine Ahnung, was er damit eigentlich bezweckt. Er redet ja nicht einmal wirklich mit mir…“

Er nahm ein weiteres Blatt aus dem Beutel, den Naria ihm gegeben hatte und zerkaute es langsam

,,Genauer gesagt, er könnte auch jemand völlig anderes sein, der nur zufällig aussieht wie mein Vater.“

,, Du tust das richtige.“ , meinte sie. ,, Vergiss Varan… du hilfst nicht ihm, sondern in aller erster Linie Hadrir und den anderen. Das ist doch was zählt. Wir bringen sie alle in Sicherheit. Dein Vater mag nicht der Mann sein an den du dich erinnerst und? Macht es die Sache weniger wert?“ Elin hatte den Kopf auf die Seite gelegt und sah ihn fragend an. Galren zuckte mit den Schultern. Vielleicht nicht. Das änderte aber wenig daran, dass er sich nicht gut dabei fühlte. Das einzige, was ihn weitermachen ließ, war die schwache Hoffnung, dass sein Vater doch noch zur Vernunft kam.

,,Tue ich das wirklich ?“ Draußen auf den Wellen trieben die Schiffe, nur erkennbar als eine Ansammlung hell leuchtender Punkte in der  rasch hereinbrechende Nacht. Galren wendete sich von dem Anblick ab und Elin zu. ,, Ich habe schon einmal geglaubt, etwas tun zu müssen. Und ich weiß nicht, ob man das in Canton so sehen wird.“

,, Ich sehe das so.“ , antwortete Elin. ,, Du bist ein guter Mann. Und lass dir von niemanden etwas anderes einreden. Wir wissen wie das ausgeht.“ Ein schelmisches Grinsen huschte über ihre Züge.

Galren nickte, konnte sich aber nicht dazu durchringen sich ihr anzuschließen.  ,, Nur wenn ich mich diesmal irre, Elin, bringe ich damit alle in Gefahr. Nicht nur uns. Oder dich.“ Unbewusst hatte er eine Hand ausgestreckt. Seine Finger strichen über ihre Wange, als er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht strick.

,, Das ist nicht dasselbe.“ , erklärte Elin vielleicht etwas zu heftig. Galren ließ die Hand sinken, während die Gejarn grimmig zu Boden sah.  ,, Ehrlich gesagt wenn ich du wäre, ich würde diesem Kerl die Meinung sagen und ihn ein paar Jahre auf Parlors Insel zurück lassen, bis er sich wieder gefangen hat. Er ist irre aber nicht so verrückt, dass das sein Verhalten rechtfertigen würde. Du bist sein Sohn, du bist gekommen um ihn zu suchen. Was er dir Schuldet, das mindeste, sind ein paar Antworten. Und ich meine damit keine kryptischen Andeutungen.“

Diesmal lachte Galren. ,, Weißt du ich hoffe jeden Tag, das er sich vielleicht wieder zur Vernunft kommt. Da ist noch so viel an ihm, das mich an den Mann erinnert, der er einmal war… Vielleicht bringe ich ihn, wenn das alles vorbei ist, nach Hamad zurück. Allerdings bezweifle ich, das er gehen würde. Aber wenigstens weiß ich jetzt wie es euch mit mir ergangen ist.“

,, Noch einmal, das ist nicht deine Schuld.“ Die Gejarn ließ den Kopf gegen seine Schulter sinken. Immerhin waren sie im Sitzen etwa gleich groß. Eine Weile saßen sie nur schweigend und aneinander gelehnt da.

Galren wünschte, er könnte das glauben. Die Wahrheit war jedoch, dass er sich nicht einmal mehr sicher sein konnte, was seine Schuld war und was nicht. Er hatte sich selbst fast vollkommen Verloren bis… ja bis was eigentlich? Elin hatte ihn gerettet. Irgendwie. Die eine Person die am meisten Grund gehabt hätte sich für immer von ihm abzuwenden und doch war sie zurückgekommen und sei es auch nur um Lebewohl zu Sagen. Vorsichtig legte er einen Arm um die schmale Gestalt an seiner Seite.

Über ihnen gingen mittlerweile die Sterne auf, weiße Lichter, irgendwo in der Ferne. Er wusste, dass es Menschen gab, die behaupteten, in den Sternen ihre Götter zu sehen, manche sogar, die meinten, daraus ihr Schicksal ablesen zu können. Nun, wenn  ihm diese kalten Leuchtfeuer irgendetwas sagen wollten, so verstand er es nicht.

Lias hatte ihm einmal erzählt, die verstreuten Drachenanbeter in den Wüste um Helike glaubten, das jeder einzelne Stern ein Drache sei, der über der Welt wartete, bis ihre Zeit wieder gekommen wäre. Andere meinten, es seien die Seelen der Drachen, die nach Laos aufstand gestorben waren und es nicht mehr Wagten, sich ihren Ahnen im Jenseits anzuschließen, wohlwissend, dass der Drachentöter dort bereits auf sie wartete.

,,Und was glaubt dein Volk ?“ , hatte Galren ihn gefragt, worauf der Löwe gestand , das er es nicht wüsste.

,, Die Traditionen der wilden Gejarn-Clans  gibt es in Helike nicht mehr. Die Drachen holten sich Sklaven aus den Gebieten, die ihr heute die Herzlande nennt, so kam mein Volk überhaupt erst nach Helike. Aber was diese an Bräuchen mitgebracht haben mochten, es verschwand wohl spätestens nach Laos Aufstieg. Die Archonten, die auf Laos folgten,  haben vieles an Aufzeichnungen aus dieser Zeit  vernichtet oder weggeschlossen. Und das ging Jahrhunderte lang so. Ich bezweifle also, das sich darüber überhaupt noch etwas finden ließe.“

Nun, vielleicht wusste Elin die Antwort ja. Nach allem, was er von ihr wusste, war sie zwar auch nicht in einem Clan aufgewachsen, doch stammte sie zumindest aus Canton. Er drehte Vorsichtig den Kopf um sie nicht ausversehen von seiner Schulter zu stoßen. Seine Frage würde warten müssen, stellte er fest.  Elin hatte die Augen geschlossen und schlief bereits tief und fest. Jetzt stand er plötzlich vor einem ganz anderen Problem. Wie bei allen Göttern sollte er  aufstehen ohne sie zu wecken?

Galren lehnte sich resigniert gegen den Mast in seinem Rücken. Vielleicht war das auch nur ihre Art ihn davon abzuhalten ruhelos auf dem Schiff umherzuwandern. Nun… es war nicht der unbequemste Platz zum Schlafen, sagte er sich und musste unwillkürlich grinsen.

 

Hadrir wurde unsanft geweckt, als die Tür zu seiner kleinen Kabine aufflog. Die Zwergenschiffe waren groß genug um den Delegationen der Häuser, die sein Vater zusammengestellt hatte, zumindest etwas Privatsphäre zu bieten.

Fahles Mondlicht viel durch ein rundes Fenster direkt über dem schmalen Bett. Aufrecht sitzend, rieb er sich den Schlaf aus den Augen, während sein Verstand noch zu erraten versuchte, was vor sich ging. Seine freie Hand wanderte derweil jedoch bereits unter das Kopfkissen und fand den Griff des dort verborgen liegenden Messers. Eine Angewohnheit, die ihm schon ein paar Mal das Leben gerettet hatte. Es rettete ihn jedoch nicht davor, geblendet zu werden, als der Eindringling den Docht der Laterne Höherdrehte, die er in der Hand hielt.

Im flackernden Schein der Lampe konnte Hadrir einen roten Mantel erkennen, der dem Mann bis über die Hüften viel. Rubine glitzerten am Kragen des seidenen Kleidungsstücks. Der Kopf, der zu seinem ungebetenen Gast gehörte, war von dünnen, grau-weißen Haaren bedeckt und zwei dunkle, uralte Augen musterten ihn aus einem Gesicht, das von Falten durchfurcht war. Manche schienen vom Lachen zu stammen… die meisten jedoch von tiefer Sorge und einer Bitterkeit, die ebenso gut in Härte umschlagen konnte. Hadrir starrte in das Gesicht von Kasran Mardar.

Der Schreck setzte sich grade noch früh genug, das er dem Mann nicht das Messer in die Kehle trieb. Wäre der Thane in der Stadt plötzlich in seinem Zimmer aufgetaucht, es wäre ziemlich sicher, dass einer von ihnen den Raum nicht mehr Lebend verlassen hätte. Doch so viel hatte sich in den letzten Tagen geändert. Alte Feindschaften würden Ruhen müssen, bis sie die Küste erreichten. Und hoffentlich auch noch etwas Länger.

Das Messer in der Hand saß HAdrir einen Moment unschlüssig auf der Bettkannte. ,, Was bei allen Unsterblichen tut ihr hier ?“ , verlangte er zu wisse. ,, Ich hätte euch fast getötet…“

,, Unwahrscheinlich.“ , erwiderte Kasran träge. ,, Im Gegensatz zu eurem Vater-König  verfügt ihr über ein gutes Maß mehr an praktischer Vernunft. Und über ein gutes Maß weniger an Sturheit. Vielleicht hätte ich eher jemanden wie euch zu meinem Marschall machen sollen. Oder besser auch nicht. Ich fürchte ihr habt auch ein sehr viel höheres Maß an Skrupel…“

Hinter dem Thanen kamen zwei weitere Männer ins Licht, die sich links und rechts neben die Tür stellten. Hadrir kannte sie. Schweiger. Gefährten. Die stumme Leibwache Kasrans. Was ging hier vor sich? Er ließ irritiert das Messer sinken, während die letzten Reste des Schlafs verflogen.

,, Also was habt ihr hier zu suchen ?“

,, Ganz einfach, euer Vater plant etwas und ich will wissen was.“ Kasran setzte sie wie Selbstverständlich ans Fußende des Betts. ,, Der König trifft sich ohne die Häuser anzuhören mit Varan Lahaye. Alleine. Ihr müsst mir vergeben, wenn mich das etwas stutzig macht… Ehrlich gesagt ich war der festen Überzeugung, ihr wäret ebenfalls zugegen. Das hätte mir Gelegenheit gegeben eure Kabine nach einem Hinweis zu durchforsten. Stattdessen finde ich euch hier.“

Die unverhohlene Offenheit des Zwergs ließ ihn vorsichtig werden. Kasran war niemand, der seine Gedanken und Pläne preisgab, außer er erhoffte sich davon etwas.

,,, Ich weiß von nichts.“ , erklärte er und sah grimmig zu den zwei Leibwächtern des Thanen. ,, Und ihr kommt hier in mein Zimmer und bedroht mich. Was glaubt ihr, wird passieren, wenn jemand davon erfährt?“

,, Weder habe ich euch bedroht noch sonst irgendetwas.“ , antwortete der Thane ruhig. ,, Ihr seid derjenige mit dem Messer in der Hand hier, Hadrir. Ich will nur etwas wissen… Was hat der König vor?“

 

Kapitel 89 Lauschen

 

 

 

,, Was bringt euch dazu zu glauben, ich wüsste alles, was der König tut ? Ich weiß von nichts.“

Hadrir stand, ohne sich um die drei Eindringlinge zu kümmern, auf und warf sich ein Hemd über. Das Messer behielt er dabei jedoch nach wie vor in der Hand. Er fuhr die auf dem Heft eingelassenen Insignien mit dem Finger nach. Es war ein Tunnelschleicher und es befand sich dort seit nunmehr fast hundert Jahren. Ein alter Freund hatte es dort eingekerbt, bei ihren Streifzügen durch die Tunnel unter der Stadt. Das Wappen eines Hauses, das es nie geben würde.

Im Halbdunkel und gegen das Licht der Laterne konnte er nicht erkennen ob und wie Kasrans zwei Gefährten bewaffnet waren. Mit dem alten Thanen wurde er fertig. Die beiden Männer hingegen waren das eigentliche Problem.

Auch wenn Kasran im freundlichste Plauderton sprach… diese Situation war bereits völlig außer Kontrolle. Was hatte der Mardar behauptet? Sein Vater würde sich in diesem Moment mit dem Propheten treffen? Etwas Unwahrscheinlicheres wollte ihm kaum einfallen. Varan Lahaye war mit der Hauptgrund, warum sie hier waren, etwas, das sowohl sein Vater als auch Kasran hatten verhindern wollen. Brunar Silberstein würde sich mit diesem Mann nur an einem Tisch setzen, wenn es absolut nötig wäre. Das gefiel ihm nicht… noch weniger als drei Mardar in seiner Kabine sitzen zu haben.

,, Zum Glück für euch, seid ihr auch ein ziemlich schlechter Lügner. Ich glaube euch.“ , meinte der Thane , während er sich an einem Tisch in einer Nische der Kabine niederließ. Oder besser, dachte Hadrir, an dem Holzstück, das einen Tisch darstellen sollte. Für ein Schiff war der Raum zwar Großzügig, trotzdem konnte man sich mit den vier Leuten hier drinnen kaum umdrehen ohne in jemanden hinein zu stolpern.

,,,Ich war mir sicher, ihr wäret informiert worden.“ , fuhr Kasran derweil fort. ,, Das Macht die Sache aber nicht besser.“

Er  faltete die Hände vor sich auf dem Tisch, scheinbar in Gedanken versunken. Manchmal glaubte Hadrir ein unwirtliches Funkeln in den Augen des Mannes zu sehen, ein rötlicher Schein, der nicht nur von reflektiertem Kerzenlicht stammte. Es hieß sein Haus stamme direkt von einem Unsterblichen ab und in diesen Momenten war Hadrir versucht das auch zu glauben. Es würde zumindest auch das selbst für einen Zwerg unnatürlich lange Leben des Thanen erklären.

,, Also, nur damit ich das richtig verstehe… ihr kommt zu mir um mir zu berichten, dass mein Vater sich mit dem Propheten trifft, aber ihr wisst genau so viel wie ich über das warum… Kasran ich glaube euch viel, aber nicht, das ihr nicht längst mehr wüsstet, als ihr zugebt.“

,, Ihr könnt glauben, was ihr wollt. Punkt ist, ich werde es bald wissen.“ Der Zwerg gab einem seiner Gefährten ein Zeichen. ,, Du, geh und sie, was du in Erfahrung bringen kannst. Belausch den König. Aber riskier unter keinen Umständen, das man dich bemerkt.“

Der Mann verbeugte sich kurz, bevor er fast geräuschlos auf dem Gang verschwand. Erst, als seine Schritte nicht mehr zu hören waren, wendete sich Kasran wieder ihm zu.

,, Was euch angeht, Hadrir, so bestehe ich darauf, das ihr hier wartet.“

,, Und mit darauf bestehen meint ihr, dieser Kerl dort wird vor meiner Tür sitzen.“ , stellte er trocken fest und deutete auf den zweiten von Kasrans Gefährten. Wie viele seiner Anhänger genau hatte Kasran eigentlich mit an Bord gebracht? Hoffentlich nicht zu viele. Jedem Haus waren hundert Mann erlaubt worden… So viele Gefährten konnte er unmöglich haben…

,, Das ist nichts persönliches, aber ich werde nicht zulassen, das ihr euch einmischt. Wenn der König euch nicht eingeweiht hat, dann wird er durch euch auch nicht erfahren, dass ich von dem treffen weiß.“ Er nickte dem verbliebenen Mann zu. ,, Sorgt dafür das Lord Silberstein in seiner Kabine bleibt. Wie ist mir egal aber ich würde es… bedauern sollte er sterben.“

Hadrir sah Kasran nur stumm nach, während dieser aus dem Raum trat und ihn zusammen mit seinem Wächter zurück ließ. Der Mann war massig gebaut, selbst für einen Zwerg. Auf seinem kahlrasiertem Schädel spiegelte sich der Schein der Lampe und einige Goldringe mit dem Wappen der Mardar glitzerten in seinem dichten Bart. Zwar trug er keine Rüstung, aber das dicke Lederwams würde ihn wohl zumindest vor Schlägen schützen und was seine Waffen anging… Ein Kurzschwert mit um Heft hin rasch  breiter werdender Klinge hing an seinem Gürtel. Hadrir hatte schon früher Bekanntschaft mit solchen Fecherklingen gemacht. Gut zu verstecken, wenn man sie beispielsweise an Bord eines Schiffes schmuggelte und sowohl geeignet mit der Spitze einen Panzer aufzubrechen sowie tiefe Wunden mit der Klingenseite zu schlagen.

Dem Posten schien aufzufallen, wie Hadrir ihn musterte, den er trat ein Stück zurück und seine rechte Hand rutschte demonstrativ ein Stück näher an den Schwertgriff.

Hadrir zucke mit den Schultern und ließ das Messer sinken, bevor er sich auf die Bettkante setzte. Je nachdem wie gut der Mann mit seiner Waffe umgehen konnte und er hatte das Gefühl das nicht herausfinden zu wollen, würde er nicht ohne weiteres an ihm vorbei kommen. Aber wenn sein Vater , noch wichtiger, der König, sich mit Varan Lahaye traf… dann musste er herausfinden um was es dabei ging. Am besten vor Kasran. Und das hieß, er musste hier schnell raus.

Der Gefährte stand nur weiter in der Tür, die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Mine war so ausdruckslos, das Hadrir nicht zu sagen vermochte, ob er ihn beobachtete oder nur Zeit absaß. So oder so, ihm blieb keine andere Wahl.

,, Ich schätze euch zu bitten mir ein Glas Wasser zu bringen ist zu viel, ja ?“ Der Mann reagierte nicht einmal mit einem Kopfschütteln. ,,Ihr seid aber auch nicht grade der Gesprächigste, wie ?“

Wenn sein gegenüber die Beleidigung verstand, so zeigte er es zumindest nicht. Also gut, dachte Hadrir. Das würde wehtun. Und vermutlich nicht funktionieren…

Mit einem Satz stürzte er sich auf den Mann, das Messer auf seinen Arm gerichtet. Er wollte ihn nur töten wenn es nötig wäre, aber Kampfunfähig musste er ihn machen. Bevor er jedoch traf, schnellte der Arm des Wächters vor und traf ihn mitten ins Gesicht. Hadrir sah einen Moment schwarz, während er zurückstolperte. Das Messer wurde ihm aus der Hand getreten und schlug klirrend irgendwo auf dem Kabinenboden auf. Im nächsten Moment stolperte er rückwärts gegen den Tisch.

Grade echtzeitig klärte sich seine Sicht wieder. Kasrans Gefährte hatte wieder zu ihm aufgeschlossen und holte erneut aus, beide Fäuste zum Schlag erhoben. Töten sollte er ihn nicht. Seine Knochen zu brechen war offenbar etwas anderes…

Hadrir warf sich zur Seite und die Fäuste des Mannes trafen auf den Tisch. Das massive Holz splitterte unter der Wucht des Schlags und kleinere und größere Holzstücke flogen durch die ganze Kabine. Eines erwischte Hadrir an der Stirn und riss eine lange, blutende Wunde, während der Gefährte stumm aufschrie. Seine Hände waren von Splitter zerschnitten und Blut troff davon herab.

Wenigstens, dachte Hadrir, konnte der Mann keine Hilfe rufen…

Das war ihm jedoch ein geringer Trost, als er rückwärts von dem wankenden Zwerg wegzurutschen versuchte, der mit ausgestreckten Armen auf ihn zukam. Plötzlich jedoch hielt er inne. Eine seiner Hände hatte etwas ertastet, einen länglichen Griff. Mit einem Symbol darauf, dass er kannte wie das Profil seiner Finger. Er packte das verlorengeglaubte Messer fester und sprang auf. Das war seine letzte Chance, das wusste Hadrir. Mit aller Kraft schlug er seinem Gegner den Knauf gegen den Kopf.

Dieser sackte in sich zusammen, al s sein Körper jegliche Spannung verlor.

Hadrir stand einige Augenblicke schwer atmend über den Gefallenen gebeugt. Das war viel zu knapp gewesen. Rasch überprüfte er, ob der Mann noch atmete. Erleichtert stellte er fest, das dies der Fall war. Immerhin, Kasran würde ihm keinen Mord anhängen. Allerdings würde der Wächter den Rest der Reise wohl mit einer Gehirnerschütterung über die Reling gebeugt verbringen.

Rasch trat er aus seiner Kabine hinaus auf den menschenleeren Gang. Offenbar hatte der Lärm niemanden alarmiert und Kasran auch keine weiteren Poste aufgestellt. Das war gut…

Nach kurzer Überlegung zog Hadrir die Tür seiner Kabine zu und schloss ab. Besser, er gign auf Nummer sicher. Für den Fall, das der Gefährte wieder zu sich kam, könnte er wenigstens nicht sofort zu seinem Thanen laufen.

Halb rennend lief er über das Unterdeck hin zur Treppe die hinauf aufs Schiff führte. Der gewundene Aufgang verlief direkt um das Hauptgeschütz des Zwergenseglers herum, eine gewaltige Konstruktion aus bronzefarbenem Metall, in deren Schlund Hadrir bequem Platz gefunden hätte. Und genug Lärm machte um die ganze Stadt zu wecken, dachte er. Als die Waffen einmal getestet wurden, war er dabei gewesen. Es hieß die Glocken im Tempel hätte noch drei Tage später von den Nachwirkungen vibriert und das einige der Kristalle im Palast hatten ersetzt werden müssen, weil sie gesprungen waren.

Sobald er das obere Ende des Aufgangs erreichte, duckte er sich in den Schatten der Waffe und spähte über das Deck.

Tatsächlich drang Licht aus dem hohen Aufbau, am anderen Ende des Schiffs, der die Kajüte beherbergte. Also war irgendjemand och dort… und wach. Darüber wiederum, über zwei parallel verlaufende Treppen zu erreichen, lag das Ruder. Auf den ersten Blick wirkte alles hier oben verlassen. Aber wo war dann Kasrans zweiter Mann?

Als er schließlich eine Bewegung entdeckte, wäre es fast schon zu spät gewesen. Aus den tiefen Schatten direkt ihm gegenüber löste sich eine Gestalt. Der Mann hatte den Blick zum Glück wie er auf das Deck gerichtet, wohl um abzuwarten ob nicht doch irgendwo ein Wachposten lauerte.

Hadrir spürte seinen Puls rasen. Unsterbliche, wenn er Kasrans Gefährten einen Moment später bemerkt hätte… oder wenn der Mann sich umdrehen würde.

Vorsichtig machte er einen Schritt vor und packte den Mann bevor dieser noch reagieren konnte.  Angst, dass sein Gegner sie durch einen Schrei verriet, hatte er keine. Mit einem Ruck zog er den strampelnden und um sich schlagenden Gefährten zur Reling… und beförderte ihn mit Schwung darüber hinaus. Der Sturz war nicht tief und Hadrir wartete, bis der Kopf des Mannes wieder aus den Fluten auftauchte. Erst dann löste er eines der Seile von der Reling und lies es ein Stück weit zu ihm hinab. Bis der wieder hier oben war, dachte Hadrir, wäre er längst fort. Er traute Kasran nicht weiter, als dieser ihm. Besser, der Thane erfuhr nichts, was heute Abend geschah. Oder besser, zumindest erst nach ihm… und nur was Hadrir ihn wissen ließ. Das hier war nicht seine Sache…

 Zeit, dass er herausfand, was hier wirklich gespielt wurde. Direkt zum hell erleuchteten Fenster der Kajüte zu laufen wäre die Beste Möglichkeit, sofort entdeckt zu werden.

Nachdenklich ging er seine Optionen durch. Er musste sehen und hören, was da drin vor sich ging. Also was blieb ? Sein Blick wanderte zur Treppe die zum Steuerrad hinauf führten. Die Planken dort oben bildeten praktisch die Decke der Kajüte. Vielleicht konnte er von dort oben zumindest lauschen. Hadrir lief in weitem Bogen um die Fenster herum und an der Reling entlang, bis er die Treppe erreichte. So leise wie möglich stieg er die Stufen hinauf, bis sich vor ihm das Ruder aus der Dunkelheit schälte. Unter sich konnte er tatsächlich schwaches Stimmengemurmel vernehmen allerdings zu undeutlich, als das viel zu verstehen gewesen wäre.

Leise ließ Hadrirr sich auf ein Knie sinken und drückte ein Ohr an das Holz unter sich. Durch einen breiten Spalt zwischen zwei Brettern konnte er ein wenig vom inneren der Kajüte ausmachen. Offenbar befand er sich direkt oberhalb eines Tisches. Darunter schimmert ein roter Teppich und auf dem dunkel gestrichenen Holz stand etwas. Eine Kiste, mehr ein kleines Schmuckkästchen, das mit Goldenen Verzierungen beschlagen war…

Was sollte das sein ? Auf dem vergoldeten Holz lag eine Hand, die aus einem grauen Hemd hinausragte. Auch wenn er es nicht sicher sagen konnte, das musste Varan Lahaye , der Prophet sein.

Wenn er sich anstrengte, meinte er sogar, grade den Griff des Schwerts an seiner Hüfte zu erkennen.

Ihm gegenüber jedoch saß der Mann, den er eigentlich gehofft hatte, nicht hier zu finden. Brunar Silberstein…

 

Kapitel 90 Die Truhe

 

 

Die Kabine war dunkel, abgesehen von einer Reihe Kerzen auf dem Tisch, die das Kästchen darauf beleuchteten. Der goldenen Wiederschein spiegelte sich auf den Gesichtern zweier Männer, einer davon hoch gewachsen und mit von grauen Strähnen durchzogenen, dunklem Haar. Seine Züge wirkten ausgezehrt und vor der Zeit gealtert, der Blick seiner Augen fiebrig. Ein grauer Wollmantel, auf dem die Feuchtigkeit draußen kleine Tröpfchen hinterlassen hatten, fiel ihm um die Schultern. Darunter kamen ein weißes Hemd und ein silberner Schwertgriff zum Vorschein.

Ihm gegenüber wiederum saß der König der Zwerge, in einem Gewand aus schwerem Samt, der im Lichtschein wie Gold funkelte. Müde lehnte er sich auf einem hohen Lehnstuhl zurück, die Arme auf dem Tisch abgestützt. Das Gesicht unter dem Bart sprach von Müdigkeit und von einem Alter, das dieser Mann erst in den letzten Wochen wirklich zu spüren begann.

Hadrir sah stumm auf die Szene herab.

,, Bisher läuft alles nach Plan.“ , begann Varan Lahaye schließlich zu sprechen. ,, Nicht nach eurem natürlich, aber wir werden Canton bald erreicht haben.“

,, Aber nach eurem schon ?“ , fragte der König. ,, Ich würde sagen, der Junge hat euch überrascht. Er hat mich überrascht. Ihr habt geglaubt ihr könntet ihn so einfach gewinnen, aber er misstraut euch…“

Brunar sah den Propheten triumphierend an. Sicher, ein kleiner Sieg, aber was war ihnen auch sonst geblieben? , dachte Hadrir. Sein Vater war zu stolz, um zuzugeben, dass sie verloren hatten. Am Ende war ihnen nur geblieben, zu tun, was Varan wollte.

,, Er hat seine Aufgabe erfüllt.“ , meinte dieser und die Kälte in seiner Stimme jagte Hadrir einen Schauer über den Rücken. Manchmal hatte es wirklich so gewirkt, als empfinde dieser Mann noch etwas für den Sohn, den er seit zwanzig Jahren nicht gesehen hatte. Doch die Art, wie er jetzt sprach schien das alles Lügen zu strafen. Das war nicht Varan Lahaye, sondern der Mann, der er in all der Zeit geworden war. Der Prophet. Der Mann der nur ein Ziel kannte. ,, Nichts steht mehr zwischen uns und Canton als die See und nachdem wir nun auch die Barriere hinter uns haben, wird es ein leichtes sein, den Rest des Weges notfalls alleine zu bewältigen.“

,, Ihr sprecht immer noch von eurem Sohn…“ Brunar schüttelte langsam den Kopf, wobei die goldenen Bänder in seinem Bart aufleuchteten.

,, Und ihr habt den euren nie benutzt, ja ?“ Der Prophet hatte sich auf dem Tisch vorgebeugt. Das Licht der Kerzen spiegelte sich in seinen Augen und vermischte sich mit dem inneren Feuer das dort brannte zu einem irren Funkeln. ,, Sagt mir, glaubt ihr wirklich, mir Vorwürfe machen zu können ?“

,,Zumindest habe ich Hadrir nie belogen.“ , begehrte der König auf. ,, Er mag ein zu gutes Herz haben, aber ich konnte mich immer auf ihn verlassen. Ja, ich mag nicht immer einer Meinung mit ihm sein, aber… er will immer nur das Beste für alle. Am Ende… wäre die Situation vielleicht eine andere, wäre er König an meiner Stelle.“

Hätte sein Vater diese Worte je gesprochen, wenn er gewusst hätte, das Hadrir ihn hören konnte? Vermutlich nicht, entschied er für sich. Und doch sie so zu hören rief etwas in ihm wach, das er längst begraben glaubte. Eine seltsame Liebe für diesen Mann, den er lange schon zuerst seinen König und zuletzt seinen Erzeuger nannte. Was ihn bisher noch an ihn gebunden hatte, war reine Loyalität. In all seiner Sturheit, in den Bösen Worten , der Wut und den Lügen, die sie über zwei Jahrzehnte entzweit hatten… Brunar Silberstein hatte sich immer etwas Achtung für ihn bewahrt.

,,Varan was ist mit euch passiert?“ Der König sah auf und das bedauern in seiner Stimme war unüberhörbar. ,, Ich habe euch einst einen Freund genannt. Ihr habt euch verändert. Seit ihr dieses verfluchte Schwert mit euch herumtragt.“

,, Ich habe mich nicht verändert. Nach wie vor, ich will eurem Volk helfen. Und ich werde tun was ihr nicht könnt. Sicherstellen, dass es überlebt. Wenn uns das zu Feinden macht, so sei es.“

,, Wenn ihr glaubt, das erreichen zu müssen, dann seht euch um. Es ist bereits geschehen. Wir werden bald die Küste eurer Heimat erreichen. Das war es doch, was ihr wolltet.“

,, Fast.“ , meinte der Prophet. ,, Es gibt da nur noch eine Kleinigkeit um die wir uns kümmern müssen. Und das ist auch der Grund, aus dem ich euch habe herrufen lassen.“

Er stand auf und nahm die Schatulle, die nach wie vor auf dem Tisch stand an sich. Sie war klein genug um bequem in seine Handflächen zu passen, während er mit einer Hand über den mit Edelsteinen besetzten Verschluss strich. ,, Bei der Rettung eures Volkes wird mir nichts und niemand im Weg stehen. Auch kein Kaiser.“

,, Was soll das bedeuten ? Es hieß Cantons Kaiser würde uns zumindest anhören. Wir haben bereits Vorkehrungen getroffen einige Schiffe der Flotte vorauszusenden um unsere Ankunft anzukündigen. Er ist kein…. Problem.“

,, Das sagt ihr.“ Der Prophet setzte das Kästchen vor dem Zwergenkönig ab und trat zu Brunar herüber. Im Sitzen war wirkte der Mann winzig, eingefallen, alt und schwach im Vergleich zur Varan. Dieser wiederum beugte sich Verschwörerisch zu ihm herab.. ,, Aber ich habe nicht vor, das Schicksal eures gesamten Volkes in die Hände eines Mannes zu legen, der es dann mit einem Wort vernichten könnte. Ihr kennt die Macht Cantons nicht wie ich. Ihr kennt auch den Kaiser nicht. Sein eigener Adel hat sich gegen ihn gewendet, weil sie ihn nicht akzeptieren konnten. Und er hat sie niedergemacht und die Überlebenden in Verbannung oder Schande gestürzt. Glaubt ihr es würde ihm schwer fallen, das gleiche bei ein paar Fremden zu wiederholen, die ihm nicht passen? Ein ganzer Kontinent voller Menschen. Und ihr steht ihm mit einer Stadt gegenüber. Das ist kein Risiko, das ich eingehen werde.“

,, Was habt ihr vor ?“ Hadrir konnte nicht umhin, mit einer Hand nach dem Griff des Messers zu tasten, dass er bei sich trug. Varan Lahaye war wirklich unrettbar Wahnsinnig, wenn er grade Vorschlug, was Hadrir befürchtete.

,, Oh ich habe gar nichts vor, König. Ich erwarte lediglich, dass ihr etwas tun werdet. Canton mag mächtig sein, aber alle Fäden laufen bei dem Mann auf dem Bernsteinthron und den Männern zusammen, die ihn umgeben. Fällt die fliegende Stadt fällt das gesamte Reich. Die Armeen wären Führungslos, die Fürsten würden sich gegeneinander wenden... Das wäre eure Chance. Ihr könnt Canton als Bittsteller erreichen… oder als neue Herrscher. Das einzige, was darüber entscheidet ist, ob der Kaiser lebt, oder stirbt.“

,, Ich bin schon auf einen üblen Pakt eingegangen, als ich mich mit Kasran verbündet habe. Ich hatte nie gehofft, so etwas noch einmal tun zu müssen.“ , murmelte Brunar. Hadrir konnte nur den Kopf schütteln. Sein Vater konnte unmöglich darüber nachdenken, darauf einzugehen. Und dann wieder… konnte er es wagen, das Risiko einzugehen? Wem konnten sie trauen? Galren, der dem Kaiser einmal begegnet war oder Varan Lahaye, der viel Länger in Canton gelebt hatte? Zu einer Zeit, noch dazu, wo das Land in Aufruhr gewesen war. Wie es wieder sein würde, wenn sie dort ankamen, da machte Hadrir sich wenige Illusionen. Aber Varan war gleichzeitig nicht mehr der Mann, der vor all diesen Jahren zu ihnen gekommen war. Er war jetzt der Prophet. Und niemand von ihnen wusste genau, welche Pläne er sonst noch, unter dem Deckmantel sie zu retten, hegen mochte. ,, Ich nehme an, ihr habt bereits eine Idee, wie man dies anstellen sollte ? Die fliegende Stadt in unsere Gewalt bringen meine ich? Es würde doch sicher reichen, den Kaiser als Geißel zu nehmen, bis man uns zusichert, einen Teil des Landes an uns zu übergeben? Ich will keinen Mann auf Verdacht töten, den ich nicht einmal kenne.“

,, Aber ich kennen ihn. Er ist ein Magier, der seine Gabe kaum kontrollieren konnte. Es hieß er war eine Weile sogar Wahnsinnig, hat sich mit verbotener Magie und offenbar sogar einen Magier des alten Volkes eingelassen…Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen hat er sich mit irgendeiner von diesen Gejarn vermählt. Als sein eigener Adel diesen Wahnsinn nicht mehr mitmachen wollte, hat er sie zerschmettert und den Anführer des Aufstands, Andre de Immerson, von einer seiner eigenen, treuen Dienerinnen hinrichten lassen. Ihr könnt ihm nicht trauen. Nicht wenn ihr die letzte Chance eures Volkes nicht in den Wind schlagen wollt“

,, Wozu braucht ihr mich dabei ?“

,, Ganz einfach, ihr werdet es sein, der ihn ausschaltet.“ Varan deutete auf die Schatulle, die nun direkt vor Brunar stand. ,, Ihr werdet dem Kaiser ein Geschenk überreichen, wenn wir die fliegende Stadt erreichen. Es befindet sich in dieser Kiste.“

Der König zog die Schatulle zu sich heran, doch bevor er sie öffnen konnte, schlug der Prophet seine Hand weg.

,, Wenn dieses Schloss sich öffnet, ist alles vorbei Der Kaiser ist dann in unserer Hand. Und mit ihm sein Gefolge. Aber es ist wichtig, dass ihr es bis zum letzten Moment verschlossen haltet. Ich habe einen Zauber darüber gelegt, der verhindern wird, dass jemand merkt, was vor sich geht, bis es zu spät ist. Die Stadt wird auf einen Schlag unser sein. Jetzt liegt es an euch. Tut das richtige… rettet euer Volk.“

Brunar schien auf seinem Platz noch mehr in sich zusammen zu sinken, während er das Kästchen vor sich betrachtete. Hadrir konnte sehen, wie seine Finger abermals zum Schloss wanderten, als überlege er, die Schatulle einfach zu öffnen und damit ihm und dem Propheten hoffentlich ein Ende zu setzen. Und unwissend wohl auch Hadrir, der sich direkt über ihnen befand. Stumm hoffte er sogar darauf. Es wäre besser, als die Alternative. Ablehnen konnte sein Vater nicht, das sah er ihm an. Nicht nach dem Verrat, den er schon an seinem Volk begangen hatte. Es gab nur den Tod für sie alle drei… oder etwas viel Schrecklicheres.

Seltsamerweise schien der Prophet über die Geste in keiner Weise beunruhigt, obwohl er genau sah, was Brunar tat. Er trat lediglich ein Stück von ihm zurück und sah wie desinteressiert aus dem Fenster.

,, Ihr glaubt ihr könntet uns beiden ein Ende setzen, König.“ , meinte er. ,, Aber was wenn ihr euch irrt ? Oder ich Überlebe? Kasran wird euren Platz nicht einnehmen, das wisst ihr. Der Mann arbeitet aus dem Hintergrund heraus. Damit bleibe nur noch ich, dem sich eure Leute zuwenden. Wollt ihr mir euer Volk wirklich überantworten? Oder wollt ihr es zumindest selber führen?“

Brunar zog langsam die Hand zurück. ,, Dann sei es so !“ , erklärte er laut und erhob sich tatsächlich von seinem Platz. ,, Aber solltet ihr versuchen uns zu hintergehen, werde ich dafür sorgen, das ihr es bereut, Varan. Ihr wart Gast in meiner Stadt. In eurer Heimat jedoch schützt euch nichts, als euer Wort…“

Hadrirs kurzer Aufschrei ging zum Glück in den Worten des Königs unter, dennoch war er kurz davor , die Treppe hinab in die Kajüte zu stürmen und sein Glück mit Varan zu versuchen. Aber welche Chance hatte er schon gegen diesen Mann? Er kroch von der Lücke in den Planken weg. Ihm war übel wegen des Wahnsinns, den er miterleben musste wegen des Verrats zu dem der König sich herablassen wollte…

Eisige Kälte legte sich wie eine Klaue um ihn, als er schließlich gegen die Reling stieß, die Augen geschlossen und schwer atmend. Unsterbliche, was sollte er jetzt tun? Seinen Vater konfrontieren kam nicht in Frage. Brunar konnte sich nicht dazu bekennen, egal was geschah und wenn er ihn der Lüge bezichtigte… Das war aussichtslos. Und Kasran ? Nein. Der Thane brachte es fertig und nutzte das ganze nur Aus um sein eigenes Spiel zu spielen. Hadrir traute ihm kaum mehr als er Varan trauen würde.

Es gab nur eine Möglichkeit: Galren und die andere musste hiervon erfahren. Wenn jemand den Kaiser warnen konnte, dann hoffentlich sie. Er weigerte sich auch nur eine Sekunde zu glauben, das auch nur eines von Varans Worten wahr gewesen sein könnte. Armell, Galren und all die anderen würden sie nicht anlügen, was Kellvian anging, da war er sich sicher.

Und das hieß, sie mussten schnell handeln. So leise wie möglich schlich er die Treppe zum Deck des Schiffs hinab und lief los in Richtung der vier Beiboote, die über dem aufgewühlten Meer schwankten. Ein jedes davon war eigentlich dafür gedacht, zwanzig oder mehr Zwergen Platz zu bieten und es würde eine ganze Weile dauern, alleine damit die Immerwind zu erreichen. Aber alles andere würde zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen….

 

 

 

Kapitel 91 Enthüllung

 

 

Als Galren erwachte, zeigte sich grade erst der erste rötliche Schimmer am Horizont. Die Wellen schlugen in einem stetigen Tackt gegen die Bordwand des Schiffs und brachten es dabei leicht zum Schaukeln. Das Holz knarrte bei jeder Bewegung, doch ansonsten war es totenstill.

Unsicher, was ihn geweckt hatte sah er sich an Deck um, doch das einzige andere Lebewesen hier draußen lag schlafend neben ihm, die Augen geschlossen. Nach wie vor ruhte ihr Kopf auf seiner Schulter. Elin schien es jedoch nicht einmal zu merken, als er sich trotzdem erhob und ihren Kopf vorsichtig auf seinen zusammengefalteten Umhang bettete. Götter, selbst Lias hatte keinen derart festen Schlaf. Unmerklich lächelte er in sich hinein. Es war schlicht schön zu wissen, dass es ihr gut ging, nach allem was sie seinetwegen durchgemacht hatte.

Eigentlich sollte er sich einfach wieder hinlegen, aber jetzt, wo er einmal wach war, holten ihn seine Gedanken wieder ein. Canton war nur noch ein paar Wochen entfernt und jetzt, wo das schlimmste hinter ihnen lag, würde sie nichts mehr so schnell aufhalten.

Vielleicht gewann er auch langsam etwas das Vertrauen in sich selbst zurück. Elin hatte versucht es ihm zu sagen, aber er schien es erst jetzt zu verstehen. Am Ende hatte er es geschafft, das Richtige zu tun. Er war kein Sklave irgendwelcher Einflüsterungen geworden, nicht gänzlich. Seine Entscheidungen gehörten ihm.

Wenn er die Gelegenheit fand, würde er seinen Vater konfrontieren, sagte Galren sich. Auch damit hatte sie letztlich Recht. Er brauchte und hatte ein Recht, auf eine klare Antwort. Letztlich würde es keinen Unterschied machen.   Seine Entscheidung, den Zwergen zu helfen stand. Alles andere würde bedeuten ein Volk dem Tod zu überlassen. Das hieß jedoch nicht, dass er dem Mann der sich jetzt einen Propheten nannte, irgendetwas schuldete… Nicht bevor sein Vater ihm nicht ins Gesicht sagen konnte, wer er nun wirklich war. Varan Lahaye oder der Prophet. Dann könnte er auch damit abschließen, dachte Galren.

Die Wellen dröhnten mittlerweile lauter an sein Ohr als zuvor. Sein noch müder Verstand brauchte eine Weile, bis er seinen Fehler erkannte. Das war nicht das Geräusch von sich bewegendem Wasser, sondern dumpfe Schläge. Wie von Holz auf Holz…

Galren lauschte einen Moment, dann lief er in die Richtung, aus der das Geräusch kam und beugte sich über die Reling. Was er dann sah, brachte ihn dazu, sich zu Fragen ob er nicht bloß noch träumte. Direkt neben dem Kiel der Immerwind schaukelte ein großes Ruderboot aus dem gleichen Mischmasch aus Holz und Metall gefertigt, wie die Zwergenschiffe. Platz hätte es wohl für über ein Dutzend Personen geboten, doch befand sich im Augenblick nur eine an Bord. Diese mühte sich verzweifelt damit ab, das Boot einerseits auf einer Höhe mit dem Schiff zu halten und es dabei irgendwie zu vertäuen. Seewasser spülte über die niedrige Bordwand und brachte das gesamte Boot in Schräglage.

,, Braucht ihr Hilfe ?“ , rief Galren zu dem Mann hinab, den er sofort als Hadrir erkannt hatte. Der Junge Zwerg sah resigniert auf. Einen Moment schien er sich unsicher, was er sagen sollte.

,, Ich habe keine Ahnung, warum grade ihr mich als erster findet, aber bitte.“ Er machte eine winkende Bewegung mit der Hand. ,, Ich könnte ein Seil gebrauchen…“

Galren wusste zwar nicht, was Hadrir hier zu suchen hatte, noch dazu m diese Zeit, aber irgendwie freute es ihn, den Mann wiederzusehen. Während der Fahrt durch die Passage hatten sie sich nur von weitem gesehen und wenn es jemanden gab dem er hier trauen konnte… dann war das wohl nach wie vor Hadrir. Rasch verknotete er ein Tau an der Reling des Schiffs und liest es zu dem Zwerg hinab, der damit sein Boot endlich befestigte und sich daran machte, die Bordwand zu erklimmen. In Das Holz waren in regelmäßigen Abständen kleine Aussparungen eingelassen, die bequem einem Fuß oder einer Hand Platzboten und so das klettern erleichterten. Trotzdem stand Hadrir die Anstrengung ins Gesicht geschrieben. Das und eine Sorge, die er jedoch noch nicht aussprechen wollte. Doch was sonst hätte ihn um diese Zeit hierher getrieben?

,, Was ist den los ?“ Der Lärm hatte es offenbar geschafft, Elin zu wecken. Verschlafen blinzelte die Gejarn in die Runde, während sie sich aufsetzte. Gähnend streckte sie die Arme von sich und sah von Galren zu Hadrir, der weiter mit der Schwerkraft kämpfte.

,, Das wüsste ich allerdings auch gerne.“ , meinte Galren, während er dem Zwerg an Bord half. Hadrir über die Reling zu wuchten war leichter gesagt als getan und als der Mann endlich an Deck stand atmete er erleichtert auf. ,, Was macht ihr hier ?“

,, Ich fürchte, das zu erklären wird euch nicht gefallen. Könnt ihr eure Begleiter wecken? Dann muss ich es wenigstens nur einmal erzählen.“ Der Zwerg schien in sich zusammenzufallen, während er sich an einem der Schiffsmasten abstützte. Der Ton in seiner Stimme ließ Galren einen Schauer über den Rücken laufen. Nicht einmal, als er von der Täuschung seines Vaters über die Wasservorräte erfahren hatte, hatte er derart…hohl geklungen. Wütend , ja. Aber nicht resignierend.

 

 

Wenig später saßen sie schließlich alle zusammen in Hedans Kajüte. Der Kartentisch bot kaum genug Platz für sie alle. Der Kapitän brütete düster über einen Krug Bier, den er vor sich stehen hatte, während der Zwerg langsam seine Geschichte beendete. Draußen war die Welt mittlerweile in graues Zwielicht getaucht und im Ofen der Kabine brannte ein kleines Feuer. Galren jedoch spürte die Hitze kaum, obwohl er direkt neben dem Gestell aus Gusseisen saß. Die gedrückte Stimmung schien sich wie ein Tuch über jeden einzelnen von ihnen zu legen. Je näher sie Canton kamen, desto kühler wurde es auch wieder und die Nächte zeugten noch vom Winter, der jetzt grade erst zu Ende gehen dürfte.

Armell hatte die Augen halb geschlossen und schien nach wie vor nur mehr halb anwesend zu sein. Selbst Sentine verhielt sich bemerkenswert ruhig und saß, starr wie eine Statue, auf ihrer Schulter. Das Wesen in Gestalt einer Taube hatte sogar die passende Federfärbung dafür.

Niemand wagte es etwas zu sagen, doch die Gesichter aller warn auf Galren gerichtet.

Lias stocherte mit einem Finger an einem Splitter im Tisch herum, wollte offenbar vermeiden, ihm in die Augen zu sehen und NAria hüllte sich wie üblich in Schweigen, doch ohne die Spur eines Lächelns in ihrem Gesicht.

,, Was machen wir jetzt ?“ , brach Elin schließlich das Schweigen.

,, Ich glaube das einfach nicht.“ , murmelte Galren mehr zu sich selbst, als das er jemand bestimmtes meinte. ,, Nein.“ Mit einem Ruck hatte er sich erhoben und war schon auf halbem Weg zur Tür, bevor Hadrir sich ihm in den Weg stellte. ,, Ich werde ihn jetzt sofort konfrontieren, ob euch das gefällt oder nicht. Dieser Mann ist nach wie vor mein Vater. Und wenn ihr die Wahrheit sprecht….“Galren sah zu Boden. ,, Er ist nach wie vor mein Vater…“

,, Ich weiß.“ Lias legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. ,, Und doch was willst du tun ? Zu ihm stürmen und ihm erklären, das du alles weißt? Ich weiß du glaubst, du könntest ihn zur Vernunft bringen aber… was wenn das unmöglich ist? Was wird geschehen?“

,, Ich weiß es nicht.“ , gestand Galren. Er wollte auch nicht darüber nachdenken. Alleine der Gedanke war unerträglich. Ja, sein Vater war verrückt, Götter das hatte er in dem Moment gewusst, als er ihm nach all den Jahren wieder begegnet war. Aber das hießt nicht, das er seinen Verstand völlig verloren hatte.

,, Ich sage es dir. Und das ist die beste Möglichkeit wie das alles ausgehen könnte: Er würde alles abstreiten und dann? Er würde vermutlich seine Pläne ändern. Und diesmal wüssten wir nichts wie diese aussehen. Im schlimmsten Fall tötet er dich sogar, Galren.“

Hadrir sah von seinem Platz am Tisch aufs Meer hinaus, wo eines der Zwergenschiffe die Wellen teilte .,, Das ist sogar das geringere Problem.“ Der König hat bereits zugestimmt, den Propheten zu unterstützen. Wir haben unseren Zweck für sie erfüllt. Brunar lässt uns alle ausschalten, wenn wir ihm einen Grund dazu geben. Canton erreicht er von hier aus auch alleine. Hier draußen seit ihr ihm ausgeliefert, nicht umgekehrt.“

,, Nichts für ungut, aber langsam fange ich an euer Volk zu hassen.“ , meinte Naria. ,, Meint ihr wirklich der König bringt es fertig uns einfach so zu töten ? Und das nach allem ?“

,, Ihr habt gesehen, wie Politik bei uns funktioniert. Es fällt mir schwer es zu sagen aber: Ja. Im Zweifelsfall stehen seine Ziele über unserem Leben, fürchte ich. Und wenn er nichts tut, dann der Prophet.“

,,Ja… Ja Natürlich.“ Armell schien mehr mit sich selbst zu sprechen. In den Händen hielt sie die in einer silbernen Fassung eingelassenen Träne Falamirs. Das einzige, das von Merl geblieben war. Sie sah nicht einmal auf, während sie sprach ,, Dann müssen wir sie eben aufhalten.“

,, Das ist unter den gegebenen Umständen leichter gesagt als getan.“ Lias zog Galren mit sich, als er sich wieder auf seinen Platz setzte und widerwillig tat er es ihm gleich.

,, Also, unternehmen wir jetzt etwas, sind wir entweder tot, oder wir müssen damit rechnen, nicht mehr zu wissen, was der König und der Prophet tun werden. Und ich vermute, sie als Lügner hinzustellen wenn sie abstreiten etwas zu wissen wird nicht funktionieren…“

,, Die beiden sind hoch angesehen. Der einzige, der uns dabei helfen könnte, wäre vielleicht Kasran und… nun sagen wir einfach ich hatte einen kleinen Zusammenstoß mit seinen Leuten. Weder glaube ich, das er großes Interesse daran haben wird uns zu helfen, noch das wir darauf hoffen sollten.“

,, Wir können also nur den Kaiser direkt warnen, wollt ihr das damit sagen ?“ , fragte Naria. ,, Wenn ja gehen wir dabei ein ziemlich großes Risiko ein. Uns wird nicht viel Zeit bleiben und wenn Kellvian nicht vorsichtig ist und ich darf euch versichern, nach dem was meine Eltern so über ihn erzählen ist er das selten genug, kann nach wie vor alles passieren.“

,, Der König soll dem Kaiser die Truhe doch übergeben.“ , überlegte Lias. ,, Ich würde sagen, wenn möglich stellen wir ihn währenddessen. Er kann sich da nicht rausreden. Und Kellvian könnte auf Abstand bleiben. Es reicht, wenn wir die Zwerge glauben lassen, er würde sie empfangen und dann die Schatulle an uns nehmen, wenn es so weit ist. Weder der Prophet noch Brunar werden Gelegenheit haben, sich darauf vorzubereiten.“

,, Es ist der einzige Plan, den wir bisher haben.“ Allerdings nicht grade ein ungefährlicher, dachte Galren, da musste er Naria Recht geben. Vielleicht hätte der Kaiser selbst eine bessere Idee. Doch dazu mussten sie ihn erst einmal erreichen. Viele Optionen hatten sie vorher ohnehin nicht. Die Truhe auszutauschen kam ihm in den Sinn, aber an Bord gab es niemanden, der das, was Hadrir beschrieben hatte nachbauen könnte. Und selbst wenn, bliebe die Frage womit.

Und was ihn noch mehr beschäftigte…

,, Hadrir, wenn wir Erfolg haben… wenn herauskommt, das euer Vater und noch dazu euer König vorhat, den Kaiser zu töten…“

,, Das ist mir klar.“ , erklärte der Zwerg düster. ,, Ich bezweifle, dass man uns dann noch freundlich empfangen wird. Aber das ist ein Preis, den ich zu zahlen bereit bin. Mein Vater hat sich über die Jahre vielleicht zu sehr daran gewöhnt, den Dingen ihren Lauf zu lassen, Ich nicht.“ Hadrir war von seinem Platz aufgestanden und schlug mit der Faust auf den Tisch. Endlich schien er wieder so etwas wie Selbstvertrauen wiederzufinden, dachte Galren. ,, Wir werden euren Kaiser warnen und wenn das heißt, dass wir unsere Chance verspielt haben… dann sei das ebenso. Doch das wird nach wie vor der Mann entscheiden, dessen Leben ich retten will. Hoffen wir, dass das ins Gewicht fallen wird.“

Galren nickte. Er würde in jedem Fall ein Wort für Hadrir einlegen. Und auch für alle anderen Zwerge. Am Ende gab es hier nur einen Mann, der wirklich die Schuld an allem trug. Und das war bedauerlicherweise sein eigener Vater. Der König war ein Werkzeug. So wie er eines gewesen war, nicht ? Und wer genau sagt dir eigentlich, dass du das nicht noch immer bist?

Galren schüttelte den Gedanken ab. Es spielte keine Rolle. Ihm blieb gar keine andere Wahl, als zu handeln.

 

Kapitel 92 Heimat

 

 

 

 

Die fliegende Stadt schwebte wie eine Wolke über dem stillen, blauen Wasser. Eine Wolke allerdings, die aus massivem Marmor und glänzendem Silber gefertigt war, so fantastisch, das man sie für eine Illusion halten konnte. Obwohl Galren diesen Ort schon einmal gesehen hatte, schein er noch prächtiger, jetzt wo er mitten über dem offenen Meer schwebte. Beinahe meinte er die Hand nach den schwebenden Inseln ausstrecken zu können, die den äußersten Stadtring bildeten und auf den gewaltigen silbernen Brücken drängten sich schwarze Punkte.   Schaulustige, welche die Nachricht, die sie Vorausgesandt hatten wohl ebenfalls erreicht hatte.

Die Küste Cantons zeichnete sich als blau-graue Wand irgendwo am Horizont ab. Sie waren daheim, dachte Galren ungläubig. Nach all der Zeit, nach allen Strapazen… Irgendwie hatten sie es geschafft.

Und doch war es keine Glückliche Heimkehr. Einer von ihnen war Tod, sie hatten ein ganzes Volk ins ungewisse geführt… und nach wie vor konnte alles in einem Fehlschlag enden, wenn sie den Kaiser nicht schnell erreichten.

Galren hatte es nicht gewagt, sein Wissen einem Brief anzuvertrauen und so hatte er den Booten, die sich in einem der kleinsten Boote der Zwergenflotte absetzten nur einige Zeilen mit dem wichtigsten mitgegeben.

Unter der Stadt trieb eine kleine Flotte aus mindestens drei Dutzend schweren Galeonen an deren Masten das blaue-gold und silberne Wappen des Kaiserreichs wehten. Bereits vor einigen Stunden hatte sie eine Taube erreicht, die eine Antwort auf Galrens Ankündigung überbrachte. Die Zwergenschiffe ankerten ein gutes Stück bevor sie die Stadt erreichten. Ihre Gesandten würden die fliegende Stadt erst betreten, wenn sie gerufen wurden. Er jedoch und die anderen mussten sich möglichst unverzüglich mit dem Kaiser besprechen.

Nur Hadrir, er sich bereits an Bord befand würde sie begleiten um vom Verrat des Königs und den Plänen des Propheten zu berichten. Galren verstand langsam, wieso der Zwerg von seinem Vater immer lieber als König sprach. Es machte die Sache irgendwie… einfacher, dachte er, wenn man sich nicht ständig in Erinnerung rief, mit wem man es eigentlich zu tun hatte.

Es dauerte nicht lange, bis man ihnen von einem der äußeren Bezirke eine Gondel herabließ, die von starken Seilen gehalten auf Höhe der Immerwind zu einem Halt kam. Galren konnte sich noch gut an seinen letzten auf und abstieg hinauf zur fliegenden Stadt erinnern und so kletterte er ohne zu zögern ins Innere. Bei Hadrir mussten er und die anderen hingegen etwas Überzeugungsarbeit leisten um ihn dazu zu bekommen in die schwankende und knarrende Holzkonstruktion zu steigen.

Der Zwerg hielt die Augen fest auf den Boden gerichtet, während man sie hochzog. Als sie schließlich aus der Gondel stiegen, erwartete man sie bereits.

Syle und etwa vierzig Gardisten der kaiserlichen Leibwache hatten vor dem Platz, auf den die Fallbrücke der Gondle hinausführte Aufstellung genommen, hauptsächlich um die Schaulustigen zurück zu halten. Um die mit weißen Quartzblöcken gepflasterte Freifläche erhoben sich die Villen und Prunkbauten des Adel Cantons und jede Gasse zwischen ihnen, jede Straße, ja jedes Fenster schien besetzt. Adelige, Diener, Angestellte, alles drängte sich gleichermaßen um Platz um zuzusehen, wie sie zurückkehrten. Die Männer und Frauen, die die See bezwungen hatten, die zuvor als unbezwingbar galt. Die geschafft hatten, woran tausende vor ihnen gescheitert waren…

Galren wurde einen Moment schwindlig. Noch war nichts geschafft und doch wurde ihm in diesem Moment klar, was sie eigentlich getan hatten. Vor einigen Monaten noch hätte niemand sich darum geschert, wer sie waren. Heute jedoch würden ihre Namen sie begleiten, wohin sie auch kamen. In ein paar Wochen gäbe es niemanden mehr in Canton, der sie nicht kennen würde…

Das war es doch, was Armell gewollt hatte. Und doch schien die junge Adelige den Trouble um sie herum kaum mehr wahrzunehmen. In Gedanken versunken, raffte sie sich grade dazu auf, Syle mit einer mechanischen Verbeugung zu begrüßen.

Der vernarbte Hochgeneral Cantons erwiderte die Geste mit einem Nicken. Selbst vor der Menschenmenge, die sich von den Gardisten kaum zurückhalten ließ gab er eine beeindruckende Erscheinung ab, überragte er die eisten von ihnen doch um zwei Köpfe oder mehr. Die blau-goldene Uniform eines Offiziers musste für den Gejarn wohl speziell angefertigt worden sein, fand der Mann bei einem normalen Schneider wohl kaum etwas Passendes. Der Degen den er trug wirkte unter der Pranke mehr wie ein Zahnstocher. Trotzdem war sein Lächeln warm und herzlich, als er auf sie zukam.

,, Ich hatte schon befürchtet, wir sehen uns nicht wieder.“ , meinte der Bär. ,, Wir haben eure Nachricht erhalten, aber ich konnte es erst nicht glauben.“ Langsam wanderte sein Blick über die Anwesenden und blieb an Hadrir hängen. Würden die beiden direkt nebeneinander stehen, würde der Zwerg ihm nicht mal bis zur Hüfte reichen. ,, Ich nehme an, ihr wollt sofort mit dem Kaiser sprechen. Man erwartet euch bereits.“

Mit diesen Worten gab er seinen Leuten ein Zeichen, woraufhin diese eine Gasse für sie freimachten. Zwar ging es nur langsam vorwärts, für Galren jedoch war es trotzdem noch fast zu schnell. Er hatte sich nicht zurechtgelegt, was er sagen wollte, wie er den Verrat, den sein eigener Vater plante erklären sollte…

Die Gebäude und Parks der Stadt zogen an ihm vorüber, ohne, dass er der Schönheit um sich herum viel Aufmerksamkeit geschenkt hätte und viel zu früh kam auch schon der kaiserliche Palast im Herzen der Metropole in Sicht. AN den Toren ließen sie die Menge, die ihnen bis hierher gefolgt war schließlich endgültig zurück und die dicken Steinmauern blendeten auch den Lärm der Straße aus.

Das einzige, was sie weiterhin begleitete, war das Geräusch ihrer eigenen Schritte, das in den hohen, lichtdurchfluteten Fluren wiederhallte.   Galren konnte das leichte Kribbeln der Magie spüren, die hier alles durchdrang und sich im Palast wie in einem Brennglas zu fokussieren schien. Bei ihrem ersten Besuch hier, hatte Merl fast einen Zusammenbruch gehabt, wenn er sich richtig erinnerte.

Hadrir schien von der Pracht nicht ganz so beeindruckt, wie der junge Magier damals und wenn er von der Magie etwas spürte, dann offenbar nicht genug um ihn zu beunruhigen. Naria hatte ja gemeint, sein Volk reagiere kaum auf Magie. Vielleicht ging es dem Zwerg aber auch nur, wie ihm selbst und er war zu tief in Gedanken um sich lange damit aufzuhalten.

Im Thronsaal war bereits die gesamte Familie versammelt. Janis, der junge Adoptivsohn es Kaisers stand neben dem Thron als sie eintraten und sah ihnen ungeduldig entgegen, als die Türen aufschwangen. Jiy legte ihm eine Hand auf die Schulter, wie um ihn zu beruhigen. Der Mann schien tatsächlich genau so aufgeregt, wie die Leute draußen, aber seine Fragen würden warten müssen.

Kellvian selbst hingegen kam ihnen mit großen Schritten entgegen, strahlend, während er blitzschnell die kleine Gruppe musterte. Er trug ein weißes Hemd und darüber einen Mantel in blau und Gold. Das Wappen des Hauses Belfare schimmerte auf einem Langschwert an seinem Gürtel, in dessen Knauf das Emblem des Hauses Belfare gestanzt war. Die Parierstange wiederum lief in den Schwingen eines Vogels aus und die in das Heft eingelassenen Kristalle glommen schwach. Einst hatte diese Waffe angeblich Simon Belfare gehört, schon bevor dieser zu seiner Schicksalhaften Konfrontation mit den Eisnomaden aufgebrochen war. Und einst so hieß es, hatte die Klinge mit dem Zorn ihres Erschaffers gebrannt. Davon jedenfalls war nichts geblieben. Nur ein Relikt, das die Reihen der Kaiser Cantons seitdem miteinander verband.

Kellvians Lächeln erlosch sofort, als er feststellte, was Syle zuvor entgangen war.

,, Zacharys Schüler ist nicht bei euch ?“

,, Merl ist tot, Herr.“ , flüsterte Armell.

,, Ich verstehe.“ Der Kaiser schloss einen Moment die Augen. ,, Ich werde   veranlassen, das Zachary es erfährt. Das heißt, wenn ihr es nicht selbst tun wollt….“

,, Ich würde das gerne selber übernehmen.“ , erklärte die junge Adelige. Um Ihren Hals hing mittlerweile das Amulett, das Merl einst von seinem Meister bekommen hatte. ,, Es gibt da auch etwas, der er sicher zurück möchte… Dennoch fürchte ich, gibt es Dinge, die im Augenblick mehr eure und meine Aufmerksamkeit verlangen. “

,, Die gibt es tatsächlich.“ Das Lächeln des Kaisers kehrte zurück unsicherer diesmal, während er sich Galren zuwendete. ,, Eure Nachricht war recht kurz. Aber eindeutig.“ Er begann unruhig in der Halle auf und ab zu laufen. ,,   Wisst ihr ich hatte dieses Reich grade für ein paar Jahre stabilisiert, als ihr aufgebrochen seid. Der Adel wird toben, wenn ich ihm klarmache, das ein paar von ihnen Land abtreten werden müssen, sollten eure neuen Freunde hier bleiben.“

,, Ich fürchte, wir haben ein größeres Problem als das.“ , bemerkte Hadrir.

,, Und wer seid ihr, wenn ich fragen darf ?“

,, Mein Name ist Hadrir Silberstein, Herr. Von den Zwergen der Nebelküste.“ , erklärte er, bevor er begann zu erzählen. ,, Und was ich euch zu berichten habe schmerzt niemanden mehr als mich selbst…“

Es dauerte eine ganze Weile, bis Hadrir seinen Bericht beendet hatte und danach wollte der Kaiser schließlich auch noch den Rest der Geschichte hören. Also berichtete Galren gezwungenermaßen alles, was seit ihrem Aufbruch von Lasanta aus Geschehen war, von Parlor, Elin, die sich an Bord geschlichen hatte, den Stürmen und ihren Erlebnissen unter den Zwergen , bis zu dem Moment in dem er schließlich feststellen musste, das er zwar seinen Vater wiedergefunden hatte, sich dieser jedoch scheinbar in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem völlig anderen Menschen entwickelt hatte.

Kellvian hörte sich alles schweigend an und sagte auch nichts, als Galren schließlich dazu überging, ihren Plan darzulegen um sowohl den König als auch den Propheten festzusetzen.

,, Warum sollten wir sie nicht einfach sofort festsetzen ?“ , wollte Janis wissen. ,, Ihr wollt uns alle in Gefahr bringen, dabei reicht es doch, diese beiden Verräter einfach in Ketten zu legen.“

Syle schüttelte bereits den Kopf, bevor der junge Mann ausgesprochen hatte. ,, Ich bezweifle, das es so einfach wird.

,, Wird es nicht.“ , stimmte Naria ihm zu.

,, Es ist nicht mein gesamtes Volk, das mit ihnen unter einer Decke steckt.“ , erklärte Hadrir. ,, Die meisten wissen nicht einmal etwas davon. Wenn wir jetzt zuschlagen… sie würden das nie akzeptieren. Nicht ohne einen klaren Beweis das einer oder beide Schuldig sind. Das wäre gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung, Herr.“

,, Dann sollten wir eben diese Truhe in unseren Besitz bringen.“ , schlug Syle vor.

,, Mal davon abgesehen, das wir nicht beweisen können das sie wirklich von ihnen stammt, das habe ich bereits versucht. Der Prophet trägt sie ständig bei sich oder zumindest in seiner Nähe. Schicken wir Leute um sie zu holen, zerstört er sie vermutlich einfach.“

,, Also wollt ihr, das ich wissentlich in eine Falle laufe. Zumindest am Anfang.“ Kellvian sah von einem der Anwesenden zum anderen, als wollte er sich vergewissern, alles richtig Verstanden zu haben.

,, Einen besseren Plan haben wir nicht.“ , erklärte Lias.

,, Aber am Ende steht es euch zu, zu entscheiden, Herr.“ , gab Hadrir kleinlaut zu. ,, Es ist mein eigener König, der euch in diese Situation bringt. Ich kann verstehen, wenn ihr euer Leben nicht für so etwas riskieren wollt…“

Der Zwerg schien noch ein Stück in sich zusammenzuschrumpfen und sank langsam auf ein Knie.

Eine Weile war es totenstill in der Halle, während sie auf die Entscheidung des Kaisers warteten.

Kellvians Antwort bestand aus einem breiten Grinsen. ,, Wisst ihr, irgendwie gefällt mir die Idee. Viele in eurer Situation würden den einfachen Weg nehmen, Hadrir. Ihren Herrn unterstützen ob dies nun gut ist oder schlecht. Ich habe gesehen, wohin das führt. Ihr könnt die Zwerge informieren, dass ich ihren König Morgen empfangen werde. Syle, ihr macht die Palastwache bereit. Sorgt dafür, dass nichts von unserem Vorhaben nach außen dringt. “ Der Bär schlug sich mit einer Faust vor die Brust und verschwand. Dann wendete Kellvian sich Jiy zu. ,, Ich weiß was du jetzt sagen wirst…“

,, Weißt du das ?“ Die Gejarn strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und trat auf ihn zu, ein trauriges Lächeln auf dem Gesicht. ,, Du lässt dich nicht mehr umstimmen, Kell. Das hast du nie.“ Mit diesen Worten hauchte sie ihm einen Kuss auf die Lippen.   ,,Wie wäre es also mit… sei bitte bloß   vorsichtig?“

,, Bin ich das nicht immer ?“

 

Kapitel 93 Der Empfang

 

 

Man hatte ihnen erneut eine Unterkunft im Palast zur Verfügung gestellt.   Lediglich Hadrir und Hedan waren wieder auf die Schiffe zurückgekehrt, ersterer wohl in der schwachen Hoffnung, doch noch eine Lösung zu finden. Als sich die Nacht über die fliegende Stadt senkte, saß Galren in seinem Zimmer irgendwo im Westflügel der gewaltigen Anlage und sah aus dem Fenster. Das Meer unter ihm war ruhig und die einzigen Unregelmäßigkeiten waren die Schiffe, Lichtfunken, die auf den dunklen Wogen dahintrieben. Wasser tropfte noch aus seinen Haaren, während er die neuen Kleider anlegte, die man ihm gebracht hatte. Nach dem Bad fühlte er sich zum ersten Mal seit Wochen wieder wirklich sauber. Das graue Hemd, das ordentlich zusammengefaltet über einer Stuhllehne hing war ihm ein Stück zu groß und fiel ihm bis zu den Knien, doch war das durchaus durchdacht. Auf dem Bett lag neben Atrun noch ein schwerer Kürass, den er morgen beim Empfang unter der Kleidung tragen würde. Der Kaiser und alle anderen Anwesenden würden es wohl ähnlich halten. Niemand wusste, was alles geschehen konnte.

Rasch zog er sich an und kehrte dann, das Schwert in der Hand, zum Fenster zurück. An Schlaf war für ihn nicht zu denken und so haarte er nur dem Tagesanbruch. In der Ferne schien das Dunkel bereits einen grauen Schimmer angenommen zu haben.

Die Klinge in der schwarzen Lederscheide erschien ihm schwerer geworden zu sein. Und das er sie morgen im Zweifelsfall gegen seinen Vater führen musste… Kannst du das Galren? Wenn es zum äußersten kommst, kannst du diesen Mann wirklich töten?

Er wusste es nicht. Egal wie sehr er sich in Erinnerung rief, was alles auf dem Spiel stand. Galren legte das Schwert auf einem Tisch neben den Fenstern ab. Man hatte ihnen Wein und Brot und mehrere Schalen Obst gebracht. Er hatte den Geschmack von Früchten in den Wochen auf See beinahe vergessen, trotzdem konnte er sich nicht dazu überwinden auch nur einen Bissen zu nehmen.

Galren stand auf und zog sich einen Stuhl vom Tisch heran. Es gab nichts, das er noch tun konnte, sagte er sich. Alles würde sich Morgen entscheiden und in den wenigen Stunden, die ihm noch blieben würde sich nichts an der Situation ändern.

Irgendwann musste er dann tatsächlich eingeschlafen sein, denn als er das nächste Mal aufsah, dämmerte es draußen bereits. Irgendjemand schlug von außen gegen die Tür des Zimmers. Vermutlich einer der Diener des Kaisers um ihm Bescheid zu geben, damit er sich vorbereitete.

Die Aufgehende Sonne hielt sich noch hinter den Nebel verborgen   und die Wellen unter der Stadt   schimmerten in einem grau-blauen Ton. Was die Schiffe anging, so konnte Galren lediglich einige Schemen ausmachen, dunkle Punkte inmitten von grau.

Mit einem seufzen stand er auf und schlurfte zur Tür. Nein, er fühlte sich ganz und gar nicht für den heutigen Tag bereit. Aber ihm blieb auch keine Wahl, dachte er, während er die Hand nach der Türklinge ausstreckte und sie aufzog.

Auf dem Flur jedoch erwartete ihn keiner der Männer des Kaisers. Stattdessen war es Lias, der als erstes ins trübe Licht trat, das durch die Fenster des Palastes fiel. Hinter ihm folgten Armell, Hedan, Naria und schließlich auch Elin.

,, Was macht ihr den alle hier ?“ Galren beeilte sich, seine fünf Begleiter einzulassen und trat aus der Tür.

,, Was wohl ?“ , fragte Lias grinsend. ,, Was immer heute geschehen mag, wir hängen, da alle gemeinsam drinnen.“

,, Bis zum Ende.“ , bestätigte Armell. Nach wie vor schien die Fürstin nicht sie selbst zu sein, doch in diesem einen Moment schien wieder etwas von ihrer alten Entschlossenheit durch. ,, Auch wenn ich bezweifle das es für irgendeinen von uns schwerer wird als für dich.“

Elin hatte sich derweil auf die Tischkanne gesetzt und schnappte sich ein paar Trauben aus den unangetasteten Obstschalen.

,, Außerdem,“ , bemerkte Hedan. ,, Mein Quartier ist um einiges weniger Luxuriös als eures.“

Mit diesen Worten goss sich der alte Kapitän ungefragt einen Becher Wein ein, bevor er sich wieder den Anwesenden zuwendete. ,, Der Kaiser wird und schon erwarten… und ehrlich gesagt ich fühl mich zwar dadurch nicht besser, aber ich will da nicht nüchtern auftauchen…“

Galren schüttelte grinsend den Kopf. Es machte die Sache nicht einfacher, nur weil sie alle hier waren. Aber über die letzten Monate hatte er diese Leute alle zu respektieren gelernt, selbst Hedan, mit seiner Ruppigen Art. Und das Band, das ihn schon immer mit Lias verbunden hatte war nur deutlicher   geworden. Er hatte die stärke gesehen, die die Kleinste von ihnen, Elin, aufbringen konnte. Narias Wissen und Gespür, das kaum zu ihrem Alter zu passen schien. Armell, die sie auch nach allem nicht im Stich lassen würde. Und Merl, auch wenn er nicht mehr bei ihnen war, der junge Zauberer, der über sich selbst hinaus gewachsen war. Galren wollte heute keinen von ihnen missen.

Mit ruhigen Bewegungen legte er Schwert und Kürass an, überprüfte ob die Klinge richtig saß und die Rüstung ihn nicht behindern würde.

,, Dann bringen wir das zu Ende.“ , sagte er leise.

 

Der Empfang fand nicht im Thronsaal statt, sondern in einer der größeren Hallen des Palastes, die sogar noch mehr Platz boten als der Saal um den Bernsteinthron. Normalerweise hätten wohl tausende von Menschen in der gewaltigen Kammer aus poliertem Marmor und Granit Platz gehabt, heute jedoch waren es nur einige hundert. Der Größte Teil davon bestand aus etwa fünfzig Gardisten der kaiserlichen Garde, die sich zu einem Spalier zwischen der Tür und der Rückwand an der der Kaiser wartete aufgestellt hatten. Der Rest setzte sich aus dem Anwesenden Adel, Dienern, Galren und seinen Gefährten und auch einigen Zwergen zusammen, die wohl als Vertreter ihrer jeweiligen Häuser bereits vor ihrem König eingetroffen waren.

Licht flutete durch die hohen Fenster am Kopfende des Raums herein, die einen Blick auf die Bezirke der Stadt und die dahinterliegende Küste erlaubten.

Schwere Teppiche aus rotem und grünem Samt waren über den Boden ausgerollt worden und über der Tür, vor denen die Läufer endeten prangte das Wappen des Kaiserhauses. Das Emblem stand etwas aus dem weißen Gestein hervor und war mit Silber überzogen worden. Adler und Löwe sahen mit Augen aus Saphir als stumme Zeugen auf alle Anwesenden herab.

Falls König Brunar Silberstein sich durch den bohrenden Blick der Steinkreaturen beunruhigt fühlte, so zeigte er es jedenfalls nicht, als er durch die Türen trat. Hinter ihm folgten zuerst Hadrir, zusammen mit einer Prozession von etwa zwanzig in schwere Stahlpanzer gehüllten Zwergensoldaten. Jeder einzelne trug einen Umhang in anderer Farbe und ein anderes Emblem auf der Brust. Nur Hadrir nicht, der erneut als einziger eine Rüstung ohne jedes Zierrat trug, sah man von dem grünen Schulterumhang ab.

Als letztes schließlich folgte Varan Lahaye. Galren sah seinem Vater entgegen und versuchte dabei, eine ausdruckslose Mine zu zeigen. In ihm jedoch brodelte es. Am liebsten hätte er sich auf den Manngestürzt und ihn zur Rede gestellt, jetzt und hier. Aber wenn er das tat würden sie nichts gewinnen, ermahnte er sich.

Ein weißer Umhang fiel dem selbsternannten Propheten über die Schultern, darunter glitzerte silberner Stoff, der beinahe dem Ton seiner ergrauten Haare entsprach. Und an seiner Hüfte blitze der Schwertgriff der Waffe auf, die er aus der Zwillingsstadt mitgebracht hatte. Aber wo war die Truhe? Schließlich entdeckte Galren sie in den Händen eines der Zwergenleibwächter, der sie auf einem kleinen Kissen vor sich her trug.

Die ganze Prozession kam schließlich einige Schritte vom Kaiser entfernt zu einem halt.

,, König Brunar Silberstein, Herr der Zwerge, ernannt vom Rat der Häuser.“ , kündigte einer seiner Wächter Brunar an.

Galren sah, wie Syle ein Stück näher an den Kaiser herantrat, wie um im Notfall sofort dazwischen gehen zu können. Ein halbes Dutzend Blauröcke, die sich um ihn versammelt hatten taten es ihm unauffällig gleich. Kellvian legte derweil wie selbstverständlich einen Ar um Jiys Hüfte. Selbst Janis, der sich sichtlich bemühte unerschrocken zu wirken wich etwas zurück. Galren meinte, die Anspannung in der Luft schmecken zu können.

Lias, der direkt hinter ihm stand beugte sich etwas vor. ,, Du hast ihn auch gesehen, oder ?“ , fragte er

,, Ja…“ Und das achte ihm Sorgen. Varan hatte in keiner Weise angespannt oder aufgeregt gewirkt. Selbst das Aufgebot an Wachen, die seine kleine Garde um mehr als das doppelte Überwog schien seiner Selbstsicherheit keinen Abbruch zu tun.

Kellvian trat langsam vor und der Ring aus Gardisten wich etwas zurück, grade genug, damit er freie Sicht hatte.

,, Ich bin Kellvian Belfare, Kaiser dieses Landes. Mir ist die Notlage eures Volkes zu Ohren gekommen, König und ich bin nicht taub dafür. Dennoch gibt es Dinge, die wir besprechen müssen. Bedingungen, die ich an euch stellen muss , bevor ich darüber nachdenke euch bleiben zu lassen. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir eine Lösung finden werden. Euer Volk stammt von hier und noch immer gibt es in unserem Land Bauwerke und Monumente, die von ihm Zeugen. Ich bin sicher am Ende können wir immer voneinander profitieren und ich bin gewillt euch bis alles erklärt ist, Unterschlupf in meinem Heim anzubieten. Die fliegende Stadt bietet vielen Menschen Platz und eure Gesandten werden sicher Quartiere finden, die ihnen zusprechen.“

Galren wurde langsam klar, was Kellvian dort versuchte. Er stellte die Lügen des Propheten richtig. Und er gab Brunar damit noch eine Chance, die Sache sein zu lassen. Wenn der König die Truhe jetzt einfach vergaß, würde der Kaiser wohl nie wieder ein Wort darüber verlieren.

Kaiser und König standen sich nur wenige Schritte entfernt gegenüber. Galren hielt die Luft an. Bitte, dachte er, lass ihn vernünftig sein. Das musste nicht mit Blut enden…

,, Ich… danke euch, Herr. Am Ende… muss ich tun, was für mein Volk das Beste ist.“ , erklärte der König leise. Doch in der einsetzenden Stille waren seine Worte im ganzen Saal hörbar.

,, Das tun wir alle… Das muss so nicht Enden.“ Der Kaiser flüsterte fast, doch Galren verstand nach wie vor alles. Seine Sinne waren bis aufs äußerste Geschärft, jeder Muskel in seinem Körper angespannt.

,, Ich fürchte doch. Am Ende… kann ich auf euch keine Rücksicht nehmen. Nicht wenn das Schicksal meines Volkes auf dem Spiel steht.“ Mit diesen Worten gab Brunar dem Mann mit der Truhe ein Zeichen. Dieser trat zwischen den Rehen der Soldaten hervor und kniete neben dem Zwergenkönig nieder. ,, Um meinem Vertrauen in euch Ausdruck zu geben habe ich ein Geschenk für euch vorbereiten lassen, Kaiser. Gastfreundschaft wird bei meinem Volk nicht immer groß geschrieben und wir hatten unsere Probleme. Doch hoffe ich, dass dieser Tag den Auftakt zu einem neuen Zeitalter für uns alle bedeutet.“

Er nahm dem wartenden Soldaten die mit Gold beschlagene Schatulle ab und hielt sie dem Kaiser hin.

Kellvian konnte nicht mehr zusehen. Der Moment der Entscheidung war vorbei, der König hatte den falschen Weg gewählt.

,, Öffnet diese Truhe bloß nicht ! „ , rief er. ,, Das ist eine Falle !“ Aufgeregtes Stimmengemurmel brach los, während er sich mit LIAs im Schlepptau einen Weg durch die Menge kämpfte. Die anderen versuchten ebenfalls zu ihnen zu gelangen, kamen jedoch kaum voran. ,, Ich weiß nicht, was genau darin ist, aber König Brunar hat vor uns alle zu verraten. Der Prophet hat mit ihm zusammen geplant uns alle zu töten um dann die Kontrolle über Canton an sich reißen zu können.“

Galrens Blick wanderte zu seinem Vater, der sich nun ebenfalls durch die Menge nach vorne kämpfte. Aber er wäre nicht annähernd schnell genug. Es war vorbei, das musste auch ihm klar sein.

,, Das… Das ist doch lächerlich!“ , rief der König empört. Hilfesuchend sah er zu Hadrir, der jedoch nur den Kopf schüttelte.

,, Du hast dich entschieden, Vater. Ich habe das gleiche getan.“ Hadrir trat langsam vom König zurück und ließ ihn damit alleine zwischen seinen Leuten und denen des Kaisers stehen. Nach wie vor hielt er die Truhe in der Hand.

,, Verrat… das… Hadrir, wie kannst du das tun?“

,, Wie kannst du dich gegen jene Stellen, die uns helfen wollen ?!“

,, Ich weiß nicht wovon du redest.“ , erklärte Brunar . ,, Das ist nur ein Geschenk.“

,,Wenn dem so ist, warum öffnet ihr es dann nicht einfach für uns ?“ , fragte Syle, der sich wieder vor den Kaiser gestellt hatte. ,, Beweist uns, das sowohl Galren als auch Hadrir lügen…“

Mittlerweile standen dem König deutliche Schweißperlen auf der Stirn. ,, Ich wollte nichts hiervon, das müsst ihr mir glauben.“ Seine Hände zitterten am Verschluss der Truhe. ,, Aber wie ihr wünscht…“

In dem Moment, in dem der Deckel aufflog, wusste Galren, das es ein Fehler gewesen war.

 

 

Kapitel 94 Schwarz zu Weiß

 

Grünes Licht brach aus der geöffneten Truhe hervor flutete den Raum. Galren riss instinktiv das Schwert hoch, als es wie eine Welle auf ihn zuraste und alles und jeden Einhüllte. Was er sah, erfüllte ihn mit wachsendem Schrecken. Jeden, den auch nur ein Funke des magischen Scheins berührte, erstarrte wo er war.

Kellvian, der grade noch rechtzeitig Begriff was vor sich ging, riss Janis mit sich und versuchte zu Jiy zu gelangen, kam jedoch nicht mehr dazu, mehr als zwei oder drei Schritte zu machen. Selbst Brunar schien von dem Zauber betroffen und versteinerte, die Truhe nach wie vor in der Hand. Mit starrem Blick verfolgte er, wie das Unglück seinen Lauf nahm. Nur an Galren, oder besser an der Schneide Atruns teilte sich das Meer aus betäubendem Licht. Die Magie wurde zischend von der Klinge absorbiert und verpuffte sofort wieder. Lias, der dicht hinter ihm stand, versuchte sich über das Tosen Verständlich zu machen. Wenigstens schien es, war der Gejarn nahe genug um ebenfalls geschützt zu sein. Die anderen jedoch hatten dieses Glück nicht…

Galren wiederstand dem Drang, sich nach ihnen umzusehen. Wenn er nur kurz unachtsam wurde, würde er genauso von dem Zauber eingehüllt werden wie die anderen.

Der einzige, der in dem ganzen Chaos völlig ruhig blieb, war Varan Lahaye. Wie Galren hatte der Prophet schlicht die Waffe gehoben und zwischen sich und die magischen Lichter gebracht. Wind blähte seine weißen Roben, während der Zauber wirkungslos verpuffte. Mit sicheren Schritten ging er auf den erstarrten König zu, während die letzten Ausläufer des Zaubers verebbten. Sie hätten noch so viele Wachen aufstellen können, dachte Galren, es hätte nichts gebracht. Krampfhaft versuchte er zwischen den Reihen der erstarrten Menschen hindurch zu gelangen. Es war tatsächlich als hätte der Zauber sie zu lebendigem Stein werden lassen…

,, Ich war mir sicher, ihr würdet im letzten Moment doch noch einen Rückzieher machen.“ , meinte Varan , während er direkt vor den König der Zwerge trat. ,, Ab hier ist alles so einfach.“

Mit einem schabenden Geräusch zog Varan das Schwert aus der Scheide. Die schwarze Klinge schimmerte im Morgenlicht, das durch die Fenster hereinfiel.

,, Ich brauche nur die Hand austrecken und jene auszulöschen, die sich mir in den Weg stellen. Und mit euch fange ich an, alter Mann. Ihr habt meine Pläne schon zu lange verzögert.“

Hadri, der direkt neben dem König stand konnte nur stumm und gelähmt zusehen, wie der Prophet ihm das Schwert durch die Brust stieß. Als hätte die Waffe auch den Zauber aufgelöst, der den Mann an Ort und Stelle gefangen hielt, stürzte er zu Boden und blieb regungslos in einer Blutlache liegen.

Die Truhe sprang ihm aus der Hand und zerschellte am Boden, als ob nur der inne liegende Zauber sie überhaupt zusammengehalten hätte.

,, Kasran hole ich mir später.“ Ohne jede Eile wischte Varan die Klinge sauber, bevor er sich Kellvian   zuwendete. Dieser wiederum war auf halbem Weg zu Jiy erstarrt, eine Hand am Schwertgriff, die andere ausgestreckt, wie um noch nach ihr zu greifen.

Syle hingegen war geblieben, wo er gestanden hatte, bevor das Chaos losbrach, die Waffe halb gezogen. Der Prophet trat mit einem düsteren Lächeln an ihm vorbei.

,, Stopp.“ Galren war es endlich gelungen eine Lücke in der Menschenmenge zu finden. So schnell ihn seine Beine trugen, rannte er auf seinen Vater zu und kam wenige Schritte von ihm entfernt zum Stehen. Lias folgte dicht auf, das Schwert bereits in der Hand.

,, Ich muss den Erfolg dieser Sache sichern, Galren.“ , meinte Varan und klang dabei beinahe entschuldigend. Langsam ließ er die Waffe sinken. ,, Dabei wird mit niemand im Weg stehen. Auch kein Kaiser. Auch nicht du. Verschwinde einfach. Diese Sache geht dich nichts mehr an.“

,, Das geht mir sehr wohl etwas an ! Siehst du denn nicht, dass das Wahnsinn ist?“

,, ich tue nur, was ich tun muss.“

 

 

Ach wirklich ?“ Galren trat vorsichtig auf seinen Vater zu. Mit wenigen Schritten war er zwischen ihn und den Kaiser. ,, Und was ist mit den Leuten hier? Willst du die auch alle töten? Du denkst doch gar nicht mehr darüber nach, was du anrichtest…. Glaubst du wirklich das hier nützt irgendjemanden?“

,, Es spielt keine Rolle. Tritt bei Seite, Galren.“

,, Nein.“ Lias hatte sich derweil hinter Varan gestellt, das Schwert erhoben um im Zweifelsfall sofort zuschlagen zu können.

,, Dann tut es mir leid…“ Varan griff ohne Vorwarnung an und Galren kam grade noch dazu, den ersten Streich zu parieren. Doch sein Vater lies es nicht bei der einen Attacke bleiben sondern trieb ihn mit einem Tempo vor sich her, das ihn wie einen absoluten Anfänger wirken ließ. So gut er konnte, wich Galren dabei den erstarrten Umstehenden aus und versuchte, selber irgendwie anzugreifen. Aber das war leichter gesagt als getan, wenn einem jede Menge unschuldige Menschen im Weg standen. Lias hatte seine liebe Not, überhaupt mit ihnen Schritt zu halten, davon, selber anzugreifen, ganz zu Schweigen.

Varan hingegen hatte diese Skrupel nicht. Mehrmals streifte seine Waffe Gardisten und Schaulustige oder tötete sie sogar, worauf diese regungslos in sich zusammensanken. Als Galren schließlich den Fenstersims in seinem Rücken spürte, wusste er, dass er schnell etwas tun musste. Mit einem Satz war er auf dem Fenstersims und setzte seitlich an Varan vorbei. Dieser jedoch schlug unbeirrt zu. Galren stieß einen Schmerzensschrei aus, als die schwarze Klinge sich in seine Seite bohrte und einen tiefen Schnitt hinterließ. Sich überschlagend kam er auf dem Boden auf und hielt Krampfhaft den Schwertgriff umklammert. Wenn er jetzt auch noch die Waffe verlor, wäre alles vorbei.

Blutend versuchte er wieder auf die Füße zu kommen. Sein Hemd war innerhalb von wenigen Augenblicken Blutdurchtränkt. Die Wunde war nicht tief, aber lang und jede Bewegung war fast unerträglich. Den linken Arm zu heben konnte er jetzt vergessen…. Also musste er mit einer Hand weiterkämpfen…
Noch bevor Varan dazu kam, ihn einzuholen, stellte sich ihm Lias in den Weg und verwickelte ihn in einen erneuten Kampf. Galren versuchte derweil in den Rücken seines Vaters zu kommen, musste jedoch feststellen, dass er ihn maßlos unterschätzt hatte. Fast war es, als wüsste er vor Galren , was dieser tun würde, parierte Schläge, die er eigentlich nicht kommen sehen sollte… Und während Varan nach wie vor unverletzt war, trug nun auch Lias erste Wunden davon. Der alte Paladin war genau wie Galren zuvor gezwungen immer wieder zurück zu weichen, während er die Angriffe seines Gegners nur mit Mühe abwehren konnte. Mehrmals streifte ihn ein Schlag k und hinterließ Oberflächliche Schnitte an seinen Armen. Doch je weiter er den Gejarn zurücktrieb, desto unaufmerksamer wurde Varan. Galren sah seine Chance gekommen, als Lias fast in die Reihen aus erstarrten Menschen stolperte. Sein Vater wollte sofort nachsetzen. Galren jedoch würde schneller sein. Er ignorierte die Schmerzen in seiner Seite und war mit einem Satz bei den beiden Kontrahenten. Galren packte das Schwert fester und stieß zu.

Zu spät jedoch wurde ihm klar, dass der Prophet damit gerechnet hatte. Varan packte einen der erstarrten Zuschauer und schleuderte ihn zwischen sich und Galren. Die Klinge durchbohrte den Mann fast ohne Wiederstand, während Varan zeitgleich wieder zu Lias herumwirbelte…und ihm das Schwert in die Brust stieß. Dieser stolperte getroffen zurück, versuchte den Schwertarm erneut zu heben… Erneut stieß Varan zu, diesmal jedoch lief ein Lichtblitz durch die Klinge und durchzuckte den Körper des Gejarn. Fast wie gegen einen Wiederstand hob dieser trotzdem weiter, Stück für Stückl die Waffe, die sich Varans Kehle näherte ignorierte den Stahl, der sich ihm in den Körper bohrte.

Dann war es vorbei. Mit einem letzten Aufschrei warf Lias sich nach vorne und im gleichen Moment durchzuckte ihn ein weiterer Zauber, der seinen Körper in hohen Bogen durch die Halle schleuderte. Galren konnte das Geräusch hören, mit dem seine Knochen brachen, als er gegen die Wand geworfen wurde und leblos daran zu Boden rutschte.

Galren hatte es derweil grade einmal geschafft seine eigene Waffe wieder zu befreien und konnte nur Hilflos zusehen, wie Lias starb…

,, Das geht jetzt lange genug.“ , erklärte Varan kalt. ,, Wirf endlich die Waffe weg, Junge oder es ergeht dir nur wie deinem Freund.“

Mit einem Aufschrei stürzte Galren sich auf ihn. Was er noch an Mitgefühl oder Verständnis für diesen Mann aufgebracht haben mochte schwand in diesem Moment zu Asche. Was es an Banden zu seinem Vater gab, verlor endgültig an Bedeutung. Der Varan Lahaye, den er einst kannte war Tod… und dieses Ding, das sich als sein Vater ausgab würde ihm folgen und wenn es das letzte war, was er tat.

Varan war von der Heftigkeit des erneuten Angriffs offenbar völlig überrascht. Mit hellem Klang, trafen die Schwerter aufeinander, brachen kleinere Kristallsplitter heraus und regneten auf die beiden Kontrahenten herab. Sein Vater hob eine Hand und rief Feuer herbei.

Galren ließ sich sofort zurückfallen und hob das Schwert. Wellen aus flüssigen Flammen strömten auf ihn zu und hüllten ihn ein, wurden jedoch von der Klinge absorbiert, die begann in einem tiefen, dunklen rot zu Glühen. Noch ehe sich Varan wieder fangen konnte, richtete er die Waffe auf ihn. Der Zauber brach erneut hervor und diesmal war es sein Urheber, der sich davor in Sicherheit bringen musste.

Und dann geschah, womit wohl weder Varan noch er gerechnet hatten. Hadrir bewegte sich. Erst nur langsam, wie gegen einen Wiederstand, dann jedoch machte er einen deutlichen Schritt vor.

,, Ich fürchte, Prophet, eure Zeit ist um !“ , rief er, während er nun ebenfalls das Schwert zog und sich daran machte, sich in den Kampf zu werfen. Galren dankte stumm allen Göttern, deren Name ihm noch einfiel. Offenbar hatte Varan nicht damit gerechnet, das die Lähmung bei einem Zwerg schneller an Wirkung verlieren könnte. Und Hadrirs Wut tat dabei wohl noch ihr übriges… Wenn der Zwerg schon aufwachte, musste es der Rest auch bald.

,, Du hast verloren, Vater. Gib auf. Selbst wenn du mich besiegst, es ist vorbei!“

,, Nichts ist vorbei.“ Bevor Hadrir sie erreichte, ballte Varan eine Hand zur Faust und richtete sie in Richtung Boden. Die Welt erzitterte, als sich ein gewaltiger Spalt im Boden der Halle bildete. Gelähmte und langsam aufwachende Menschen gleichermaßen stürzten schwankend hinab in die Tiefe oder wichen grade noch rechtzeitig zurück. Auch Hadrir blieb plötzlich nichts anderes mehr übrig, als stehen zu bleiben wo er war. Der Abgrund war mittlerweile viel zu breit um zu springen und selbst die Wände begannen bereit szu wanken. Die gesamte Rückwand brach in sich zusammen und Galren musste sich vor den fallenden Trümmern von Stein und Glas in Sicherheit bringen.

Varan mochte ihn von jeder Hilfe abgeschnitten haben, aber damit hatte er sich auch endlich eine Blöße gegeben. Galren legte alle Kraft die er noch hatte in den nächsten Schlag, der sie beide gefährlich nahe an den klaffenden Abgrund brachte. Dort unten wartete nur die offene, kalte See nach einem ewig langen Sturz…

Varan schaffte es grade noch, den Hieb zu parieren. Mit einem knirschenden Geräusch trafen die beiden Schwerter aufeinander. Und diesmal überstand eines davon den Zusammenprall nicht. Das Kristallschwert zersprang mit einem hohen, misstönenden Klang. Es hallte in Galrens Ohren wieder, als wollte die Welt gleich mit zerbrechen.

Sein Vater schwankte nun auf der Kante. Ungläubig sah er auf den griff in seiner Hand. Von der Waffe war kaum ein handlanges Stück gesplitterter Kristall geblieben…

Und zum ersten Mal seit er ihn wiedergefunden hatte, verschwand das unsichtbare Feuer vollständig aus Varans Blick. Stattdessen wich der Ausdruck darin wachsendem Entsetzen, während er sich in der Halle umsah.

Erneut erzitterte der ganze Komplex. Varan schwankte, versuchte irgendwie das Gleichgewicht nicht zu verlieren… Galren griff nach ihm, doch bekam er nur noch Luft zu fassen, als der Mann, den er einmal seinen Vater genannt hatte langsam und dann immer schneller zur Seite kippte, nur um schließlich endgültig jeden Halt zu verlieren. Ungläubig sah Galren zu, wie Varan stumm   in die Tiefe stürzte… Kein Schrei, kein letztes Wort. Nur Stille folgte seinem Absturz…

Langsam fiel der Lähmzauber endgültig von den Überlebenden Anwesenden ab. Galren jedoch ignorierte sie alle und hastete zu der Stelle, an der Lias gefallen war. Der alte Gejarn lag in einer Lache seines eigenen Bluts, ohne ein Zeichen, das er noch lebte…

,, Lias ?“ Er bekam keine Antwort mehr und die ins leere starrenden Augen des Löwen waren nur mehr zwei erloschene Funken. Mit der Rechten schloss Galren ihm die Lieder. Am liebsten wäre er einfach Sitzen geblieben wo er war, aber das war unmöglich. Diese Leute brauchten Hilfe, die Gardisten die in den halb zerstörten Raum strömten sahen sich ratlos um, während sie die Leute aus dem Saal führten. Wenigstens entdeckte er Naria, Armell und Elin , die sich gezwungenermaßen ebenfalls auf den Weg nach draußen machten…

,, Es tut mir leid um euern Freund….“ , hörte er eine Stimme hinter sich. Kellvian Belfare, in verstaubten und Blutfleckigen Kleidern hockte sich neben ihm auf den Boden. ,, Und um eurem Vater.“

,, Das war nicht mehr mein Vater, Herr. Ich fürchte, was von ihm übrig war, ist schon lange von den Schatten verschlungen worden, die sich seiner bemächtigt hatten.“

,, Wie dem auch sei, ich… werde mich hier m alles kümmern.“ , erklärte der Kaiser bevor er sich wieder erhob. ,, Geht. Nehmt euern Freund mit euch, zu euern Gefährten. Aber eines noch…“ Er warf Galren etwas Dunkles zu, das dieser mit einer Hand auffing. ,, Das scheint alles zu sein, was von der Waffe eures Vaters übrig ist.“

Galren sah dem Kaiser einen Moment nach, bevor dieser in der Menge verschwand, die nach wie vor aus dem Raum strömte. In seiner Hand lag eine Scherbe des Schwerts, doch das war nicht, was ihn daran so beunruhigte. Schwarzer Dunst stieg kaum merklich davon auf, während sich seine Farbe langsam veränderte. Galren sah mit wachsender Unruhe dabei zu und als der letzte Rauch sich verzog, wog er das Stück einen Moment unsicher in der Hand. Die Scherbe hatte sich weiß verfärbt. Weiß wie Mondlicht und wie Sterneneisen. Weiß, wie seine eigene Waffe. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken….

 

 

Epilog

 

 

 

Einige Wochen später…

 

Zachary de Immerson saß auf den Stufen vor dem Rabenkopf. Der Schnee, der die Hügel um die Stadt zu seinen Füßen bedeckte, schmolz langsam. Der Sommer würde bald Einzug halten und auch die eisigen Böden um Silberstedt etwas aufwärmen. Es könnte ein gutes Jahr für die Bauern werden, die endlich einmal eine vernünftige Ernte erwarten durften. Doch das war es nicht, was ihn beschäftigte.

Einige Raben flogen auf, als er sich erhob und an die Treppe herantrat, die hinab in die Siedlung führte. Nein es gab wichtigere Dinge, die ihn im Augenblick beschäftigten. In der Stadt gab es Unruhe. Flüstern und Gerüchte über den heiligen Mann im Süden, der einen neuen Glauben mit sich brachte. Doch auch das beunruhigte ihn wenig. Neue Religionen erhoben sich und verschwanden stetig. Alleine die Zwerge würden bereits ihre Götter mitbringen, sollte der Kaiser ihnen gestatten zu bleiben und ein Stück Land für sich zu beanspruchen. Es war eine angespannte Situation, grade nach dem Verrat ihres Königs. Aber er kannte Kellvian. Wenn jemand es schaffte, den Frieden dabei zu wahren, dann hoffentlich er.

Nein, was ihn beschäftigte, war das Amulett in seiner Hand, das er zusammen mit den neusten Nachrichten aus Canton erhalten hatte. Die Träne war wieder zu ihm zurückgekehrt, doch nicht unter Glücklichen Umständen.

Eine Windböe kam auf, während er die Zeilen erneut durchginge, geschrieben von einer zittrigen Hand, die wohl Armell gehören musste. Der Wind brachte den Geruch von Schnee und das ferne Krächzten der Raben mit sich, die das Anwesen umflogen. Und wenn er genau hinhörte, meinte er sogar, leises flüstern und einige Worte darin zu verstehen.

,,Hast du also gefunden, was du gesucht hast, mein Schüler ?“ , fragte er und der Wind schien seine Stimme mit sich zu nehmen. Eine Antwort bekam er nicht. Doch sein Gefühl sagte ihm, dass es so war.

,, Er ist nur ein Junge.“ , meinte eine Stimme neben ihm. Die Gestalt von der sie stammte, war durchscheinend wie Eis oder ein Sonnenstrahl und selbst Zachary musste sich anstrengen, damit er sie von ihrer Umgebung unterscheiden konnte. Würde sie jemand belauschen, er würde wohl glauben, der Zauberer spräche mit sich selbst.

Die Züge des Geists neben ihm wirkten feiner als bei den meisten Menschen und die Ohren spitzer. Scharf geschnitten, schienen sie einem nicht allzu lange verschwundenen Hochmut zu verraten. Silbergraue Haare wehten in einer unsichtbaren Briese, der eigentlichen Windrichtung entgegen. Hätte man sich hier noch täuschen können, es mit einem Menschen zu tun zu haben, so veränderte ein einziger Blick in seine Augen das. Die Pupillen waren fern jedes Menschlichen, sondern verliefen in vertikalen Schlitzen fast wie bei manchen Gejarn.

,, Und das von euch, Ismaiel ? Ich dachte er bedeutet euch etwas.“

,, Wenn ich mich irre, wo ist er dann jetzt ?“ , antwortete Zacharys gegenüber mit einer Gegenfrage.

,, Ich weiß es nicht…“ , gestand er leise. Begleitet vom Flüstern des Winds und den ganz eigenen Stimmen, die ihn plagten, machte Zacharys sich langsam auf dem Weg zurück zum Anwesen. Seine Spuren im schmelzenden Schnee schwanden dahin, noch ehe er die Tür erreicht hatte…

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 22.11.2015

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