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Kapitel 1

Kapitel 1

 

»Es wird dir gefallen.«

Den Wahrheitsgehalt dieser Aussage hatte Jamie MacLean schon beim ersten Mal bezweifelt. Er warf dem Mann neben sich den nächsten misstrauischen Blick zu, während sie auf die Doppeltüren des Eingangs zuhielten. »Das sagst du jetzt zum fünften Mal. Warum sollte ich es dir auf einmal glauben?«

»Weil ich weiß, was gut für dich ist.« Takeo schoss ihm ein aufmunterndes Lächeln zu, das keinerlei Wirkung auf Jamie zeigte.

Er gestatte sich ein amüsiertes Schnauben. »Seit wann? Nicht mal meine Mutter weiß, was gut für mich ist, und die kennt mich länger als du.«

»Tipp unter Männern: Vermeide die Erwähnung deiner Mutter während der nächsten zwei Stunden.«

Jamie schüttelte den Kopf und blieb hinter der kurzen Schlange stehen, die sich vor dem Eingang gebildet hatte. »Ich dachte, ich bin hier wegen des kulturellen Genusses.«

»Du bist wegen der Aufrissmöglichkeiten hier.« Takeo spähte an den Menschen vor ihnen vorbei. »Dachte nicht, dass schon so viele Leute da sind.«

»Du hast darauf bestanden, sofort nach Dienstende hier aufzutauchen. Wir hätten auch noch warten und somit diesen Stau umgehen können.«

»Auf der Einladung steht Eröffnung um acht Uhr. Jetzt ist es neun. Wenn du dein Dienstende nicht hinausgezögert hättest, dann wären wir einigermaßen pünktlich gewesen.«

»Entschuldige, dass ich noch ein Verhör abschließen musste.« Jamie schob die Hände in die Hosentaschen seines Anzugs. Dass er überhaupt einen trug, war ein Zugeständnis an Takeos Nörgelei, der ihm verboten hatte, hier in seiner Arbeitskleidung zu erscheinen. Was war so schlimm an Jeans und Lederjacke? Die Sachen waren bequem, und er fühlte sich in ihnen bedeutend wohler als in dem dunkelgrauen Zweiteiler. Es war ihm ein Rätsel, wie Takeo es aushielt, so etwas jeden Tag auf dem Revier zu tragen. Allein die Krawatte war in Jamies Augen schon grausam.

»Du hättest den Typen auch nächste Woche verhören können. Ein Wochenende in einer netten kleinen Zelle mit einigen anderen Verbrechern hätte ihn sicher zum Nachdenken gebracht.«

»Sagt der Mann, der es so eilig hat, seine Verdächtigen einzubuchten, dass er den letzten dreizehn Blocks lang verfolgte. In einem Anzug und Lackschuhen.« Das brachte ihm einen Ellenbogen in die Rippen ein, und Jamie zuckte grinsend zur Seite. »Wunder Punkt, hm?«

»Überhaupt nicht. Ich sehe gut in dem Zeug aus. Und die Schuhe waren aus normalem Leder, nur sehr blank poliert.«

»Wie sehr wurdest du wegen ihnen verarscht?«

»Genug, um sie nie wieder auf der Arbeit anzuziehen.«

Jamie verzichtete darauf zu ergründen, warum die Schlange so langsam voranschritt. Am Abend war es kühl geworden, was nach der ungewohnten Hitze des Tages angenehm war. Für Ende April waren die Temperaturen nahezu rekordverdächtig hoch, ebenso wie die bereits über zwei Wochen anhaltende Trockenheit. Es war ein Mythos, dass es in Seattle ständig regnete. Ab und zu schien auch die Sonne zwischen tagelangem Dauerregen.

Er lauschte kurz der Unterhaltung der Gruppe vor ihnen, die sich um die außergewöhnliche Dürreperiode drehte. So hätte er es nicht bezeichnet, nur weil es mal zwei Wochen lang keinen Niederschlag gab. Er hatte seinen Cousin in Kalifornien besucht und dort erlebt, was Dürre wirklich bedeutete.

»Und natürlich bist du wegen der Kunst hier«, nahm Takeo verspätet den Faden ihrer Unterhaltung auf. »Was nicht heißt, dass du nicht nach einem Aufriss Ausschau halten kannst.«

Jamie ließ endlich das Ächzen heraus, nach dem ihm schon während der ganzen Fahrt hierher gewesen war. »Oh bitte, sag nicht, dass du schon wieder eine Frau für mich gefunden hast.«

»Was heißt schon wieder? Nur, weil ich dich ein oder zwei Mal einer vorgestellt habe?«

»Drei Mal. Und alle drei waren …«

»Pass auf, was du sagst. Mit einer davon bin ich gut befreundet.«

»Wunderbar. Ganz wunderbare Mädchen.« Und das war das Problem gewesen. Sie waren Mädchen und weit weg von dem Typ Frau, der ihn ansprach. Wobei er zugeben musste, dass er nicht einmal genau wusste, welcher Typ ihn ansprach. Jedenfalls keine College-Studentin Anfang zwanzig, die hauptsächlich seine Dienstwaffe und seinen Körper begutachten wollte und kein Interesse an einer Unterhaltung zeigte, die über den letzten Channing-Tatum-Film oder Rihannas neueste CD hinausging.

Er sah kurz zu Takeo, mit dem er seit über vier Jahren befreundet war. Er war eine ansprechende japanisch-italienische Mischung, und die Hälfte aller Frauen auf dem Revier war in ihn verknallt. Jamie konnte sie verstehen, weil Takeo mit seinen exotischen Gesichtszügen und den überraschend grünen Augen ein Hingucker war. Wenn ihm noch dazu wie jetzt Strähnen seines schwarzen Haares in die Stirn fielen, weil sie es wagten, sich aus der gelgebändigten Frisur zu lösen, sah er nahezu zum Anbeißen aus.

Hab ich das grad ernsthaft gedacht? Zum Anbeißen? Hab ich solchen Notstand, dass ich schon Kerle attraktiv finde?

Seine letzte ernsthafte Beziehung war drei Jahre her, und der letzte One-Night-Stand auch schon vier Monate. Es war nicht so, dass er zu schüchtern war, um eine Frau anzusprechen, er sah nur keine Veranlassung dazu. Er war noch nicht mal dreißig und fühlte sich zu jung zum Niederlassen und Heiraten und Kinderkriegen. Wenn man allerdings den Bemerkungen seiner Eltern Glauben schenkte, war er damit schon zu spät dran und sollte sich dringend nach einer Frau umsehen. Zum Glück hatte er einen älteren Bruder, der seine Eltern bereits mit einem Enkel versorgt hatte, wofür seine Schwester Janet und er ihm unendlich dankbar waren. Weniger Druck für sie beide.

Er machte zwei Schritte vorwärts, als die Schlange weiterrückte. Es war völlig normal, dass er Takeo für gutaussehend hielt. Das taten alle, die ihn trafen. Im Fitnessstudio, das sie oft gemeinsam besuchten, stand er stets im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, was Jamie ruhige Trainingseinheiten verschaffte. Durch das gemeinsame Workout wusste er auch genau, was für ein Körper sich unter diesem Anzug verbarg. Schlank und straff und jeder Muskel definiert, hatte er mehr als eine Frau gesehen, die Takeo angehimmelt hatte. Und einige Männer. Und genau dieser Körper hatte ihnen die Einladung für heute verschafft.

»Also keine Frau, die dort drin voller falscher Erwartungen auf mich wartet?«, hakte er nach.

»Keine Frau«, versprach Takeo. »Aber du darfst dich gern umsehen. Und falls dir ein Kerl gefällt, dann zwinkere mir einfach zu, und ich mache euch bekannt.« Er lachte leise, als er Jamies Gesichtsausdruck wahrnahm, der irgendwo zwischen Entsetzen und Erstaunen lag. »Nur ein Witz. Ich weiß ja, dass du fest an deinem Ufer bleibst.« Er beugte sich zu ihm und stellte sich auf Zehenspitzen, um an Jamies Ohr zu kommen. Seine Hand landete auf Jamies Schulter, Takeos Hüfte stieß gegen sein Becken, und ein vertrautes Kribbeln entstand in Jamies Eingeweiden, wanderte tiefer und kitzelte in seinen Eiern. »Was eine Schande ist. Falls du je ausprobieren willst, was du verpasst …«

Sein warmer Atem kitzelte in Jamies Ohr, an seinem Hals, und dann hielt Takeo wieder den angemessenen Abstand ein. Jamie blickte starr geradeaus auf den Hinterkopf seines Vordermannes und atmete langsam ein und aus. Er würde eher sterben als zuzugeben, dass gerade Erregung in ihm aufgeflammt war.

Alles normal. Du hattest zu lange keinen Sex mehr. Kein Wunder, dass du auf alles und jeden reagierst.

Wenigstens konnte er ausschließen, dass er in Takeo verknallt war. Zwischen ihnen bestand eine solide Freundschaft, die kein Herzklopfen auslöste. Sie verstanden sich blendend, sie waren gleich alt, sie gingen gemeinsam zu den Spielen der Seahawks. Da sie beide auf dem gleichen Revier, wenn auch in unterschiedlichen Abteilungen, arbeiteten, wussten sie genau, was der Job einem abverlangte und wie man den Stress, der damit einherging, abbauen konnte.

Ein Mittel war Sport, und Jamie hatte seinen Freund mehr als einmal auf eine Wanderung in die umliegenden Berge geschleppt. Er hatte nichts gegen das Fitnessstudio, aber ein langer Lauf über taubenetzte Waldwege oder am unberührten Strand im Nationalpark war so viel besser. Irgendwann hatte sogar Takeo, Stadtkind durch und durch, sein Grummeln aufgegeben und war öfter bereit, Jamie auf seinen Ausflügen zu begleiten. Die Vorstellung, dass Takeo Schmetterlinge in seinem Bauch auslöste, brachte Jamie zum Lächeln. Nicht in hundert Jahren.

Aber vielleicht jemand anderes mit breiten Schultern und harten Muskeln … Nein. Ausgeschlossen. Er war einfach nur überarbeitet und untervögelt, wie man so schön sagte.

»Mach das öfter.«

Jamie sah Takeo fragend an. »Was?«

»Lächeln. Steht dir. Es lockt Frauen an, wenn du nicht die Miene eines Serienkillers aufgesetzt hast, der gerade sein nächstes Opfer aussucht.«

»Was hast du heute nur mit diesem Frauen-Anlocken? Ich habe mich bereit erklärt, hierher mitzukommen, weil du mir seit einem Monat damit in den Ohren liegst. Ich finde Vernissagen langweilig. Dass ich hier bin, hat nur damit zu tun, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass jemand freiwillig ein Foto von dir macht und es auch noch ausstellt.«

»Nur kein Neid. Es kann nicht jeder so hübsch sein wie ich.« Takeo schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, das Jamie irgendwie beruhigte. Keine Schmetterlinge, kein Herzrasen, keine Lustgefühle. Er reagierte definitiv nicht auf Takeos Charme.

Aber auf seinen Körper.

Er richtete den Blick wieder geradeaus, der gerade über die Brust seines Freundes nach unten geglitten war. Was war heute nur mit ihm los? Er sollte Frauen auf diese Art ansehen, nicht Kerle. Hatte bis jetzt immer Frauen so angesehen, nicht Kerle.

Bis auf Pete. In der High School. Wärme breitete sich in seinen Wangen aus. Es war Jahre her, dass er an ihn gedacht hatte. Warum gerade jetzt? Irgendetwas musste die Erinnerung ausgelöst haben. Etwas anderes als ein Blick auf den Typen neben ihm in einem stahlgrauen Anzug, den er schon etliche Male nackt unter der Dusche gesehen hatte, ohne dass er sich dabei auch nur das Geringste gedacht hatte. Wo sein Körper auch nie so reagiert hatte wie gerade eben.

Was war mit dem einen Mal, wo ein Neuer in der Umkleide gewesen war? Jamie hatte eine gute halbe Minute auf den ihm dargebotenen nackten Hintern gestiert, bis ihm auffiel, dass er tatsächlich starrte. Schluss jetzt. Er sollte sich wirklich nach einer willigen Frau umsehen, sonst würde er morgen im Fitnessstudio irgendeinen Kerl anmachen.

Die Vorstellung sollte einen Schauer der Abscheu auslösen. Er wartete darauf.

Kein Schauer.

Na, war doch super, er war definitiv nicht homophob. Die Vorstellung, dass zwei Männer miteinander Sex hatten, löste keinen Ekel aus. Warum auch? Es war was ganz Natürliches. Ganz im Gegenteil, die Vorstellung war irgendwie … anregend.

Großer Gott, ich brauche Alkohol. Dringend.

Er sah hoch zum Transparent, das über dem Eingang aufgehängt war. Gavin Sanderson – Körper in Bewegung stand darauf. Jamie hoffte auf ein paar hüpfende Brüste und verheißungsvolle Kurven auf überdimensionalen Abzügen. Das würde ihn auf andere Gedanken bringen. Auf Gedanken, denen er sorglos nachhängen durfte.

Endlich konnten sie die Hammersmith Galerie betreten. Im Erdgeschoss war ein kleines Buffet aufgebaut, Kellner kämpften sich mit Tabletts voller Sektgläser durch die Menge, und ein grimmig dreinblickender Wachmann forderte gerade eine junge Frau auf, ihre Finger von der Bronzeskulptur eines nackten Mannes auf einem Stier zu nehmen. Könnte auch ein Pferd sein. Oder sonst ein vierbeiniges Geschöpf. Und dass darauf ein Mann saß, erkannte Jamie auch nur wegen des gewaltigen Penis, der auf dem Hals des Tieres auflag. Da waren ihm alte griechische Statuen lieber, bei ihnen erkannte man wenigstens auf den ersten Blick, was sie darstellen sollten. Vielleicht fehlte ihm einfach die Interpretationsgabe, die moderne Kunst zu verlangen schien. Er mochte Sachen ohne Hintergedanken, ohne versteckte Hinweise oder Geheimnisse.

Sie gingen über eine der beiden Treppen, die in den ersten Stock führten. Dort fand die eigentliche Ausstellung statt. Gut fünfzig Bilder waren über den ganzen Saal verteilt, der sich ohne Trennwände über das gesamte Geschoss zog. Einige waren Schwarz-Weiß, die meisten farbig. Jamie ließ seinen Blick über die Fotos schweifen. Soweit er feststellen konnte, waren auf keinem einzigen …

»Wo sind die Frauen?«, flüsterte er Takeo zu, der gerade einer Kellnerin zwei Gläser abgenommen hatte und ihm eines in die Hand drückte.

»Überall im Raum.« Takeo drehte sich einmal um die eigene Achse. »Ich sehe mehr als genug. Du nicht?«

»Die Fotos. Da sind nur Männer zu sehen.«

»Und?«

»Ich dachte, dass hier sei eine Akt-Ausstellung. Deshalb bin ich überhaupt mitgekommen. Du hast nackte Frauen versprochen.«

»Ich hab nackte Körper versprochen. Wenn deine Fantasie das gleich auf Frauen überträgt, ist das nicht mein Problem.«

Jamie trank sein Glas in einem Zug leer. »Na, dann wird das ein kurzer Aufenthalt hier. Wo ist dein Foto? Zeig's mir, damit ich nach Hause kann.«

»Keine Ahnung, ich kenne die Aufteilung nicht. Ich weiß auch nicht, welches Bild Gavin genommen hat.« Er strich sich einige der dunklen Strähnen aus den Augen, und Jamie entging das Zittern seiner Finger nicht.

Seine Augenbrauen kletterten in die Höhe. »Bist du nervös?«

»Ich bin überhaupt nicht nervös. Weshalb sollte ich nervös sein? Es besteht überhaupt kein Grund, nervös zu sein. Wie kommst du darauf?«

»Weil du drei Mal in einem Satz das Wort nervös verwendet hast.«

Takeo guckte ihn finster an, was Jamie nicht im Geringsten beeindruckte. Er hatte täglich mit Drogendealern und Schlägern zu tun, da nahm man einen bösen Blick von einem Typen im Anzug, der einen halben Kopf kleiner war als Jamie, nicht sonderlich ernst. »Mir geht's super.« Er kippte den Inhalt des Glases hinunter und winkte dem nächsten Kellner zu.

»Worüber machst du dir Sorgen? Dass alle über dein Bild lachen?« Er stellte sein Glas auf dem Tablett ab, das der Kellner ihm hinhielt.

Takeo nahm das nächste Sektglas in der Hand. »Und wenn es so wäre?«

»Dann ertrag's wie ein Mann und unterdrücke deine Gefühle. Ich werd nicht dein Händchen halten, um dich zu beruhigen.« Er deutete nach links. »Ich glaube, du bist da hinten. Sieht nach deinem Tattoo aus.«

Sie schlenderten in die Ecke, in der Jamie etwas gesehen hatte, was Takeo ähnlich sah. Als er vor dem Bild stand, gab es keinen Zweifel mehr: sein Freund zwar nicht in Lebensgröße, aber doch auf mehr als drei Fuß in einem Farbfoto verewigt.

Er musste zugeben, dass es gut war. Mehr als gut. Der Fotograf hatte Takeo in einer Lagerhalle inszeniert, wo alle möglichen Rohre, Leitungen und Stahlkabel herumlagen. Trotz oder vielleicht gerade wegen des industriell anmutenden Hintergrunds wirkte er nahezu verletzlich, einen Arm nach oben gestreckt, wo er sich an einem Gerüst festhielt, den anderen vor sein Gemächt gelegt, das zusätzlich im Schatten verschwand. Jeder Muskel war zu sehen, jede Wölbung und Senke seines Körpers, und ein dünner Schweißfilm ließ die olivfarbene Haut glänzen.

»Und?«, fragte Takeo und rieb sich den Nacken.

»War's heiß dort?«, fragte Jamie.

»Nein, ziemlich kalt. War eine aufgelassene Fabrik im Norden, nahe der kanadischen Grenze.«

»Dann ist das kein echter Schweiß?«

»Nee, der Visagist hat mich mit irgendeinem Öl eingesprüht. Hält länger als Wasser.«

Jamie ließ seinen Blick erneut über Takeos Foto wandern. Er musste zugeben, dass sein Freund fantastisch aussah. Der Fotograf verstand etwas von seinem Handwerk. Andererseits konnte er sich nicht vorstellen, dass jemand ein schlechtes Foto von Takeo gelang. »Das Training hat sich ausgezahlt«, meinte er schließlich.

»Also gefällt's dir?«

»Wie gefällt's dir denn?«

»Ich seh so verdammt gut aus.« Takeo wirkte gleichermaßen erleichtert und stolz. »Ich bleib einfach eine Weile hier stehen und sonne mich im Glanz meiner Taten.«

»Welcher Taten? Du hast dich nur ausgezogen, die Arbeit hatte der Fotograf.«

»Mach du mal so ein Shooting mit, dann reden wir weiter, für wen's anstrengender war.«

»Willst du wirklich hier stehenbleiben und angeben?«

»Absolut.« Takeos Blick ging an ihm vorbei, und ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Er neigte den Kopf, schlug den Blick nieder, fuhr sich durch die Haare und sah wieder auf etwas hinter Jamie.

»Sag mir, dass du flirtest und das keine nervösen Zuckungen sind.«

»Verpiss dich«, sagte Takeo mit einem breiter werdenden Lächeln. »Süßer Typ auf ein Uhr. Du versaust meinen Aufriss, wenn du mit diesem Gesichtsausdruck hier herumstehst. Der meinst sonst noch, dass wir zusammengehören.«

Jamie drehte sich um und sah das Objekt der Begierde, einen jungen blonden Mann, der sich nicht entscheiden konnte, ob er Takeo oder sein Foto mit den Augen verschlingen sollte. Er kam langsam näher, schüchtern lächelnd, und drehte sein Glas in den Händen. Sich zu Takeo hinüberbeugend fragte Jamie: »Der gefällt dir?«

»Jep. Und jetzt mach 'nen Abgang.« Er hörte nie auf zu lächeln.

Jamie ging auf den Unbekannten zu und räusperte sich so laut, dass er die Aufmerksamkeit des Blonden auf sich zog.

»Er findet dich süß«, sagte er so laut, dass er sich sicher sein konnte, dass es auch Takeo hinter ihm hörte. »Er ist Single, hat eine Katze und eine Corvette, wobei nicht klar ist, welche von den beiden er lieber mag, und trinkt gern Baileys auf Eis in der Badewanne. Wenn du was Hartes in seiner Hose spürst, ist das seine Dienstwaffe.« Er hob den Arm und streckte den Mittelfinger hoch, während er in der Menge verschwand.

Liebend gern hätte er sich umgedreht, um die Todesdrohung in Takeos Blick zu sehen, aber das hätte seinen Abgang ruiniert.

 

* * *

 

Jamie brauchte eine gute Stunde, um sich alle Bilder anzusehen, und kam sich dabei noch schnell vor. Die Qualität war beeindruckend, aber das war zu erwarten gewesen. Das war nicht Sandersons erste Ausstellung. Zwar hatte Jamie noch nichts von ihm gesehen, aber Takeo schwärmte seit Jahren von dem Mann und war komplett aus dem Häuschen gewesen, als er von ihm gefragt worden war, ob er Lust auf ein Shooting hätte. Den Monat davor war er so gut wie täglich im Fitnessstudio gewesen, hatte auf seine geliebten Waffeln verzichtet und sah schließlich aus wie der feuchte Traum jeder Frau zwischen vierzehn und vierundneunzig.

Das letzte Foto war als einziges annähernd lebensgroß. Das Gesicht des Mannes war nicht zu sehen, nur seine Nasenspitze, ein Mundwinkel und lange schwarze Wimpern, die sogar Schatten auf seine Wangen warfen. Er wandte dem Betrachter den Rücken zu. Kein Sixpack war zu sehen oder Brustmuskeln, die wirkten, als könnte man Walnüsse darauf knacken. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt, und die Muskeln sprangen einem förmlich entgegen, ohne übertrieben aufgepumpt zu wirken. Zwischen seinen leicht gespreizten Beinen hing … ernsthaft?

Jamie trat näher. Zwar waren alle Männer auf den Bildern mehr oder weniger völlig nackt, bis auf gelegentliche Requisiten wie ein zerrissenes T-Shirt oder Stiefel, aber keiner hatte seinen Schwanz in die Kamera gehalten.

Doch, das waren eindeutig Hoden, die er zwischen den Schenkel hervorragen sah, und darunter der schemenhafte Umriss der Spitze eines Penis. Es war nichts Plakatives an der Darstellung, keine Zurschaustellung eines gut bestückten Mannes, sondern auch hier entdeckte er eine Verwundbarkeit in der Haltung des Models, die ihn überraschte.

Vielleicht bildete er sich das auch nur ein, aber auf ihn machte der Mann den Eindruck, als würde er sich dem Blick des Betrachters völlig ausliefern. Als wären seine Hände nicht nur auf den Rücken gelegt, sondern dort gefesselt worden, als würde er stumm darum bitten, nicht verletzt, sondern sanft und liebevoll gestreichelt zu werden.

Wie es wohl wäre, die Hände über diesen muskulösen Rücken streichen zu lassen? Die Rundungen zu erkunden, mit einem Finger die Täler neben der Wirbelsäule entlang zu fahren, weiter nach unten bis zu den beiden Grübchen im Kreuz? Die Pobacken waren angespannt, zwei perfekte Halbkugeln in einem Sepiaton, wie das ganze Foto, etwas heller als der Rest der gebräunten Haut. Feine Haare bedeckten die Rückseite der Oberschenkel, wurden an den Waden etwas dichter. Jamie schätzte glatte Frauenbeine, aber das hier … das hier war genauso schön. Rauer, erdiger und nicht weniger sexy. Ihm war bisher nicht bewusst gewesen, dass auch ein Mann so schöne Beine haben konnte.

Sein Blick glitt wieder hoch zu diesem perfekten Arsch. Seine Hände würden ihn kneten, massieren, auseinanderziehen, bis der Mann sich ihm entgegenbog, und dann würden seine Finger nach vorne gleiten, über den flachen Bauch nach unten, mit den Locken dort spielen, über die Schwanzwurzel tanzen und sich, wenn der Mann begierig das Becken nach vorne drückte, um den Schwanz legen, der sicher schon hart war, und dann …

Was zur Hölle?

Jamies Kopf ruckte zur Seite. Seit wann hatte er erotische Fantasien von Männern, noch dazu in aller Öffentlichkeit? Und wieso wurde er gerade hart?

Er schob eine Hand in die Hosentasche und versuchte unauffällig, seinen Schwanz so zu richten, dass man ihm nicht gleich ansah, welche Wirkung diese Fotos auf ihn hatten. Jetzt wäre eine Jeans wirklich hilfreich gewesen, deren Stoff mehr verbergen konnte als die dünne Anzughose. Aber so was von untervögelt.

»Gefällt's Ihnen?«

Jamie fuhr herum. Ein Mann trat an seine Seite, gekleidet in Jeans und einem sportlichen Leinenjackett, und augenblicklich erfasste ihn Neid. Wieso hatte er Takeo abgekauft, dass die Kleiderordnung formelle Abendkleidung vorsah? Das hier war eine verdammte Ausstellung, kein Galadiner im Weißen Haus. Massenhaft Leute trugen legere Freizeitkleidung, und die paar Frauen in Cocktailkleidern und Männer in Anzügen sahen eher so aus, als hätten sie auf dem Weg in die Oper hier kurz Halt gemacht.

»Ja«, antwortete er einsilbig. Ihm war nicht nach einer Unterhaltung, sondern eher nach der Privatsphäre seiner eigenen vier Wände, wo er sich gepflegt einen runterholen konnte.

»Nicht so begeistert, hm?« Der Mann betrachtete kurz das Bild und heftete dann seinen Blick auf Jamie.

»Doch, doch, ich hatte mir nur mehr Frauen erwartet.«

Der Typ sah sich im Saal um. Er kam Jamie vage vertraut vor, obwohl er sich sicher war, ihn noch nie gesehen zu haben. Vielleicht einen Zoll kleiner als er, Mitte dreißig, kurze dunkelblonde Haare, glattrasiert, blaue Augen, Kerbe am Kinn. Nein, keiner, an den er sich erinnerte. »Mehr als zwei Drittel der Gäste sind Frauen. Ich denke, da ist genug Auswahl dabei.«

Jamie wandte sich ihm zu. Vielleicht war eine Unterhaltung doch nicht so schlecht, um ihn abzulenken. Takeo hatte ihn hergefahren, also musste er warten, bis dieser die Ausstellung verließ oder das Geld für ein Taxi springen lassen, was bei der Strecke teuer werden würde. »Ich rede von den Bildern. Ich wurde unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hierhergelockt.«

»Man hat Ihnen Frauenakte versprochen?«

»So in der Art.«

»Tja, tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen. Die einzigen Frauen hier sind 3D, nicht 2D. Aufnahmen nackter Männer scheinen sie anzuziehen wie Licht die Motten.« Er deutete mit dem Kinn in Richtung einer Kellnerin, die gerade Gäste neben ihnen bediente. »Möchten Sie was?«

Jamie nickte. Etwas Kaltes war jetzt genau das Richtige, um ihn abzukühlen, ehe er noch roter anlief. Für einen Neunundzwanzigjährigen führte er sich gerade echt kindisch auf. »Gibt's hier was anderes als Sekt?«

»Unten an der Bar sicher, hier oben eher nicht.«

Der Mann starrte ihn an, und Jamie blickte schnell an sich hinab. Hatte er sich angekleckert? Unmöglich, er hatte sich erst vor einer Stunde umgezogen und seitdem nichts gegessen. Was langsam ein Thema wurde, wie sein Magen mit lautlosem Grummeln mitteilte. »Schade. Ich hatte auf ein kühles Bier gehofft.«

»Brillante Idee. Mir hängt das Zeug mit den Blubberblasen auch schon zum Hals raus. Auf jeder Ausstellung das Gleiche.« Er streckte ihm die Hand entgegen. »Gavin.«

Jamie gab ihm die Hand. »Jamie.« Er neigte den Kopf. »Sanderson?«

»Erwischt.« Gavin grinste ihn an. »Ich hätte mein Bild nicht neben dem Eingang aufhängen sollen. Das macht es schwerer, sich an Gäste heranzuschleichen und ihre ehrliche Meinung zu erfahren.«

»Fragen hilft.«

»Die meisten werden total eingeschüchtert, wenn plötzlich der Künstler vor ihnen steht und wissen will, wie seine Sachen ankommen. Sie fangen dann an zu lügen, um mich zu schonen.«

Jamie sah wieder auf das Bild. Was sollte einem daran nicht gefallen? »Ich mag deine Sachen. Sie zeigen Respekt vor dem Model. Keine hypersexy Aufnahmen, die Porno schreien, aber alle hocherotisch.«

Eine feine Röte überzog Gavins Gesicht, und Jamie glaubte zuerst, dass das am künstlichen Licht lag. Doch als er seine dunkelrosa Ohrspitzen sah, verbiss er sich ein Grinsen. Der Mann war tatsächlich verlegen, dabei sollte er Lob gewöhnt sein.

»Danke«, murmelte Gavin. »Jetzt brauche ich definitiv was Kaltes zum Trinken. Wenn du mitkommst, plündere ich die Bar.«

»Soll ich Schmiere stehen?«

»Wird nicht nötig sein, da ich für das Catering bezahle, aber du kannst mir aufdringliche Fans vom Leib halten.«

»Wusste nicht, dass ein Fotograf Groupies hat.« Er folgte ihm in Richtung Treppe.

»Hab ich auch nicht. Es macht mich einfach nur verlegen, wenn sich mir wildfremde Frauen an den Hals werfen und mich abknutschen. Ich freue mich ja über ihre Begeisterung, aber irgendwie ist es auch merkwürdig, dass sie meinen, mich gut zu kennen.«

»Es gibt Schlimmeres als Umarmungen.«

»Mir ist es immer etwas unangenehm. Es sei denn, es macht ein attraktiver Mann.« Er warf einen Blick über die Schulter und lachte bei Jamies großen Augen auf. »Ja, ich entspreche voll und ganz dem Klischee des schwulen Fotografen, der nackte Männer ablichtet.«

»Da drängt sich mir natürlich die Frage nach der Besetzungscouch auf. Oder heißt das bei euch Shooting-Sofa?« Das war vermutlich keine taktvolle Äußerung, aber taktvoll hatte er nie gelernt. In seiner Familie sagte man, was man dachte, und überließ Takt den Musikern.

»Tja, da muss ich dich leider enttäuschen. Ich schlafe nicht mit meinen Models.« Sie umrundeten das Buffet, und Gavin griff in einen kleinen Kühlschrank, der dahinter am Boden stand.

»Generell nicht oder weil du vergeben bist?« Jamie hatte keine Ahnung von der Hochglanzwelt der Models und Fotografen, aber er stellte sie sich als eine Mischung aus Hollywood und Modewahnsinn vor.

Gavin hielt zwei Flaschen in einer Hand und griff nach dem Flaschenöffner, der auf dem Tisch lag. Obwohl er den Blick gesenkt hielt, konnte Jamie den Schatten sehen, der über seine Züge huschte. Wunden Punkt getroffen. Großartig, MacLean. Kennst den Mann noch keine fünf Minuten, und schon stocherst du in seinem Privatleben herum. Lass den Cop auf dem Revier zurück und mach banale Konversation übers Wetter wie andere Leute auch.

»Ich vermische Arbeit und Vergnügen generell nicht.« Er reichte ihm eine Flasche, und Jamie stieß damit leicht gegen Gavins.

»Es fällt mir schwer zu glauben, dass das Fotografieren dieser Prachtkerle so harte Arbeit ist. Allerdings musst du Zeit mit Typen wie Takeo verbringen, also ja, ich verstehe, dass das anstrengend sein kann.«

»Du kennst ihn?«

»Wir sind Kollegen. Unter uns gesagt, ich hab ihn noch nie so aufgeregt gesehen wie vor dem Shooting mit dir.«

Wieder dieses leise Lachen, bei dem links ein Grübchen zum Vorschein kam. »Es ist sicher keine Qual, solche Motive vor der Linse zu haben. Aber es ist wirklich harte Arbeit, für mich und die Models.« Wieder diese prüfende Blick, der diesmal nicht nur Jamies Gesicht betraf. Er zog unwillkürlich den Bauch ein und nahm die Schultern nach hinten. »Willst du's dir ansehen?«

»Ein Shooting?«

»M-hm.« Gavin nahm einen langen Schluck. »Ich hab morgen zwei Models bei mir im Studio, mit denen ich öfter zusammenarbeite.«

»Arbeiten am Samstag?« Beruhigend, dass auch Fotografen keine besseren Arbeitszeiten als Polizisten hatten.

»Viele meiner Models haben einen normalen Beruf und machen das nur in ihrer Freizeit, da muss ich mich danach richten, wann sie frei haben. Wenn du willst, kannst du vorbeikommen und zusehen. Wird ein paar Stunden dauern, aber du musst natürlich nicht die ganze Zeit dabei sein.«

Jamie wusste nicht recht, was er antworten sollte. Er hatte sich bislang nie für die Arbeit eines Fotografen interessiert. Andererseits hatte er morgen nichts Aufregenderes vorgehabt, als seine Wäsche zu machen und den Wocheneinkauf zu erledigen. Mann, mein Leben ist wirklich langweilig. Takeo hat völlig recht. Diese Abwechslung ist gut für mich. Was er ihm gegenüber nie zugeben würde.

»War nur so eine Idee«, meinte Gavin. »Ich verstehe, wenn das für Außenstehende eher langweilig klingt. Ist es für Zuschauer auch, weil nicht viel passiert, außer dass ich mit Equipment herumrenne und Scheinwerfer einrichte und die Models dauernd Liegestütze machen und minutenlang wie Salzsäulen verharren, bis ich das Licht eingerichtet habe.« Wieder dieser lange Blick, diesmal nur auf Jamies Gesicht gerichtet. »Hast du schon mal gemodelt?«, fragte er.

»Ich?« Er brach in schallendes Gelächter aus, bis er in Gavins Gesicht sah. »Die Frage ist ernst gemeint? Nein. Ich hab nicht das, was man ein klassisch schönes Gesicht nennt.« Sein Bruder, der ihn heute noch wenig liebevoll Kartoffelkopf nannte, würde sich Totlachen.

»Schönheit ist Ansichtssache.« Gavin zuckte mit den Schultern. »Ich suche auch keine schönen Models, sondern ausdrucksstarke Gesichter, die Persönlichkeit widerspiegeln. Ich fang mit diesen gelackten Milchbubis nichts an. Sie sind zwar hübsch, aber hohl.«

Jamie hatte das Ergebnis dieser Einstellung gerade eine Stunde lang bewundert. Es waren allesamt echte Männer, die er abgebildet hatte. Einige zweifellos jung, einige jenseits der vierzig, aber alle sahen so aus, als wären sie besser im Holzhacken als im Bewerten der jüngsten Gucci-Kollektion.

»Willst du es versuchen?«, fragte Gavin, und diesmal blieb sein Blick an Jamies Hüften hängen.

»Du willst mich ernsthaft fotografieren?« Er konnte die Ungläubigkeit nicht aus seiner Stimme verbannen.

»Ja.« Gavin nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche und leckte sich über die Lippen.

»Ich weiß nicht …«

»Wir müssen keine Aktbilder machen. Ich mache auch Porträtaufnahmen. Sind beliebt als Weihnachtsgeschenk für die Eltern.«

Das war ein Nutzen, den Jamie nicht abstreiten konnte. Seine Eltern würden sich sicher über ein gutes Bild von ihm freuen, seine Mutter noch mehr über eines, auf dem er nicht in Polizeiuniform zu sehen war wie auf den paar, die die Wände seines Elternhauses zierten. Er selbst hasste die Bilder von seiner Abschlussprüfung, weil er dermaßen jung und grün hinter den Ohren aussah. Es war noch keine sieben Jahre her, und doch schien eine Ewigkeit vergangen zu sein.

»Wir werden alle nicht jünger, und in zwanzig Jahren wirst du froh sein, wenn du einen Beweis hast, wie gut du in deiner Jugend ausgesehen hast.«

»Mit dem Spruch kriegst du sicher jede Frau dazu, sich für dich auszuziehen.«

»Seltener, als du glaubst. In den letzten Jahren habe ich mich auf männliche Akte spezialisiert und mache nur mehr selten Aufnahmen von Frauen.«

»Persönliche Präferenz?«

»Nicht nur. Es gibt hunderte Fotografen, die besser als ich die Schönheit eines weiblichen Körpers zum Vorschein bringen können. Aber was Männer angeht, ist der Markt nicht so voll. Bessere Verkaufsaussichten, außerdem bilde ich mir ein, dass ich das ganz gut hinkriege. Hab darin meine Berufung gefunden.«

»Einverstanden.« Jamie blinzelte überrascht, als er sich selbst zusagen hörte. Was war nur in ihn gefahren? Er mochte es nicht, fotografiert zu werden, hasste schon die Gruppenbilder zu Weihnachten und auf Hochzeiten. Es musste das Gerede vom Älterwerden sein.

»Wirklich?« Gavin strahlte für einen Moment lang übers ganze Gesicht, ehe seine Miene wieder freundlich-neutral wurde. »Wunderbar. Gleich morgen oder ist dir ein anderer Tag lieber?«

»Morgen passt gut, da hab ich frei. Es sei denn, dir ist es zu viel, nachdem du ja schon zwei Models zu Besuch hast.«

»Nein, das kriege ich schon hin. Länger als zwei, drei Stunden wird es nicht dauern, dich abzulichten.«

»Drei Stunden?« Jamies starrte ihn mit offenem Mund an. »Ich dachte, du knipst mal schnell meinen Kopf, und das war's dann.«

»Wenn die Fotos gut werden sollen, dauert's länger. Jedes Gesicht ist anders, also muss ich auch die Lichter anders platzieren. Aber keine Sorge, normalerweise haben wir das in eineinhalb Stunden erledigt.«

»Ähm, okay.« Jetzt, wo er zugesagt hatte, wollte er keinen Rückzieher machen. »Wann soll ich wo sein?«

Gavin zog eine Visitenkarte aus der Brusttasche seines Jacketts. »Adresse steht drauf. Ist vier Uhr okay? Wenn du den anderen vorher zuschauen willst, dann kannst du früher kommen. Wir fangen um neun Uhr an.«

Das war ihm dann doch zu früh. »Ich komme am Nachmittag vorbei. Muss ich irgendwas mitbringen?«

»Nicht wirklich, außer du willst dich in was Bestimmtem fotografieren lassen. Für gewöhnlich rücken die Models mit Taschen voller Klamotten an, damit ich eine Auswahl habe. Aber das mit dir wird nur was zum Privatvergnügen, also zieh an, worin du dich wohlfühlst.«

»MacLean!« Jamie drehte sich um und sah Takeo auf ihn zuhalten. »Da versteckst du dich also. Hey, Gavin.« Takeo umarmte den Fotografen flüchtig.

»Gefällt dir das Bild, das ich ausgesucht habe?« Gavin grinste ihn an.

»Ich liebe es. Ich will Abzüge für meine Eltern. Ach was, für alle Verwandten!«

Jamie schüttelte den Kopf. »Du bist darauf nackt. Ist dir gar nichts peinlich?«

»Nö, warum sollte es das? Meine Eltern wissen, wie ich nackt aussehe, bin schließlich so zur Welt gekommen. Nicht jeder ist so verklemmt wie du und deine englische Sippe.«

»Wir stammen aus Schottland.«

»Was auch immer. Willst du heimfahren?«

Jamie musterte seine angespannte Gestalt, das Gewicht auf die Ballen gelegt, die Hände zu Fäusten geballt. Er wippte sogar ein bisschen. »Nicht unbedingt, aber du willst wohl los.«

»Wenn ich dich heimbringen soll, dann muss ich dich jetzt von Gavin losreißen.«

»Wie heißt er?«, fragte Gavin. Anscheinend kannte er Takeo gut, oder er war einfach nur ein solider Menschenkenner.

»Michael. Und ich will nicht, dass mir ein anderer dieses Sahneschnittchen wegschnappt, also los, los!« Er klatschte in die Hände.

»Tja, mein Chauffeur drängelt.« Jamie hob entschuldigend die Schultern, steckte die Karte ein und stellte die Flasche auf den Tisch. »Danke fürs Bier. Wir sehen uns morgen.«

»Morgen?« Takeo sah zwischen ihnen hin und her. »Was ist morgen?«

»Ich habe ein Shooting mit Gavin.«

»Du? Du wirst von ihm fotografiert?« Takeo starrte ihn verblüfft an. »Wie hast du das geschafft? Ich hab zwei Jahre betteln und flehen gebraucht, und dabei ist mein Bruder einer seiner besten Freunde. Du spazierst her einfach rein, trinkst ein Bier mit dem Mann und kriegst einen Termin für morgen?«

»Ich hab mit etwas gepunktet, was dir fehlt.«

»Eine willige Schwester? Nee, falsches Geschlecht. Bestechung durchs Verschwindenlassen von Parktickets?«

»Charme, mein Lieber.« Jamie legte ihm den Arm um den Hals und zog ihn mit sich. »Etwas, was dir völlig abgeht.« Er nickte Gavin zum Abschied zu und marschierte mit Takeo Richtung Ausgang.

»Ich hab jede Menge Charme. Frag Michael.«

»Du hast gutes Aussehen, das ist ein Unterschied.«

»Ha, endlich gibst du zu, dass ich gut aussehe!«

»Zumindest auf den Fotos. Was nur beweist, was für ein Künstler Gavin ist. Macht sogar aus jemandem wie dir einen ansehnlichen Kerl.«

»Noch ein Wort, und du gehst zu Fuß nach Hause.«

Jamie verpasste ihm eine Kopfnuss. Wie erwartet fing die Jammerei sofort an.

»Lass den Scheiß. Du zerstörst meine Frisur!«

»Mann, Takeo, sei etwas weniger schwul.«

»Geht nicht. Das würde Michael schwer enttäuschen.«

Jamie ließ ihn los, als er den Blonden am Eingang warten sah.

Takeo zupfte an seinen Haaren herum, um sie wieder in Form zu bringen. »Sei du doch etwas mehr schwul.«

»Wieso das?« Stand ihm dermaßen deutlich ins Gesicht geschrieben, dass er vorhin einen erotischen Tagtraum über einen Mann gehabt hatte?

»Weil du dann verständnisvoll, witzig, klug und hinreißend sexy wärst.«

»Dein Ego ist so groß wie dein–«

»Schwanz. Ich weiß. Danke.« Grinsend hängte Takeo sich bei Michael ein, und Jamie folgte ihnen nach draußen.

 

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Tag der Veröffentlichung: 26.02.2017

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