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Weg des Vertrauens - Kapitel 1

Kapitel 1

 

 

Niemand beachtete Willard, als er das riesige Haus aus hellgrauem Stein betrat. Wunderbar. Je weniger Leute mitbekamen, dass er hier war, desto unauffälliger konnte er seine selbstauferlegte Mission durchführen.

Seine Finger legten sich um die Glasflasche in seiner Jackentasche. Das war alles, was er an Ausrüstung brauchte. Alles andere hing von seiner Überzeugungskraft und taktischem Geschick ab. Er brauchte beides, um Grayce von der Arbeit wegzulocken.

Hoffentlich war der Elf überhaupt im Haus und nicht auf einem Außeneinsatz. Das würde Wills Mission scheitern lassen, ehe sie richtig angefangen hatte.

Die Kommission zur Aufklärung von Kapitalverbrechen war in dem langgestreckten Gebäude ebenso untergebracht wie eine normale Polizeistation und ein paar andere Abteilungen, die allesamt mit der Verbrechensbekämpfung zu tun hatten. Willard beneidete die Elfen um ihre gut organisierte Ermittlungsarbeit. Er wohnte und arbeitete im ilarischen Teil der Stadt. Dort gab es nur die Stadtwache, die gleichermaßen für Verteidigung, Sicherheit und Verbrechensbekämpfung zuständig war. Nichts davon erledigte sie besonders gut.

Die Eingangshalle war mit Marmor ausgelegt, und die Säulen links und rechts neben der breiten Haupttreppe trugen Schilder, die zu den einzelnen Büros wiesen. Wills Elfisch war im letzten Jahr bedeutend besser geworden, so dass er die Zeichen problemlos entziffern konnte. Nicht, dass er ein Schild gebraucht hätte, um sich hier zurecht zu finden. Es war nicht sein erster Besuch.

Er blieb neben der Statue von Lafennya stehen, der elfischen Göttin der Wahrheit und Gerechtigkeit, von der das schwache Pulsieren von Magie ausging. Beständig eilten Leute an ihm vorbei, hauptsächlich großgewachsene Elfen, auch ein paar Menschen, und keiner sprach ihn an. Wer hier hereinkam, hatte einen Grund dafür, und wenn sich ein Besucher nicht auskannte, wurde erwartet, dass er sich an einen der drei Elfen hinter der Rezeption wandte.

Der Weg zu Wills Ziel führte die Treppe hoch, dann nach links bis zum Ende eines langen Korridors. Grayce teilte sich das Büro mit seinem Partner, und Willard wollte dort nicht hinaufgehen. Nicht wegen der anderen Polizisten in der KomKa, auch wenn ihr Verhalten nicht dazu beitrug, dass er sich hier wohlfühlte. Viele kannten ihn bereits, aber das hieß nicht, dass sie ihn nicht neugierig oder sogar feindselig anstarrten. Er kam sich jedes Mal vor, als hätte er einen großen roten Punkt mitten auf seine Brust gemalt und sich als Zielscheibe angeboten.

Der Grund für sein Zögern war Grayces Arbeitseifer. Wenn er den Elfen in dessen Büro traf, sahen alle, wie Willard dort hinein spazierte, was wiederum dazu führte, dass Grayce nicht mit ihm woanders hinging, um der Gerüchteküche keine Nahrung zu liefern.

Es war also taktisch klüger, wenn er Grayce ins Erdgeschoss lockte, um mit ihm zu reden, weit weg von seinen Kollegen, wo sie einigermaßen unbeobachtet waren. Zumindest ungestörter als im Trakt der KomKa, wo dauernd jemand an der offenen Bürotür vorbei lief und sie erst einmal Grayces Ermittlungspartner loswerden mussten, um allein zu sein.

Willard nahm die Schultern zurück. Sie hatten sich drei volle Tage nicht gesehen, und es würde mindestens zwei weitere Tage dauern, bis sie erneut abends Zeit füreinander hatten. Er hatte nicht vor, sich abweisen zu lassen.

Er drehte sich zur Rezeption zu seiner Linken um, um von dort aus eine Nachricht zu schicken. Irgendwie kam er sich idiotisch vor, weil er seinen Freund herunter bitten wollte. Doch die Erfahrung der letzten beiden Besuche hatte gezeigt, dass Grayce nicht in Stimmung für Zweisamkeit war, wenn er sich in der Nähe seiner Kollegen befand. Willard wollte unbedingt, dass der Elf heute in bester Stimmung war, damit er nicht Nein sagte.

»Willard?«

Er fuhr herum, als er angesprochen wurde, noch dazu mit seinem Vornamen. Die meisten Polizisten redeten ihn nur mit seinem Nachnamen Parlett an.

Das »Ja?« erstarb auf seinen Lippen, als er sich Levanyar gegenüber fand.

Obwohl der Elf nach der Wahrheitsgöttin benannt worden war, hatte er so gar nichts mit der Statue der zierlichen femininen Schönheit gemein. Er war einen Kopf größer als Willard, der sich mit sechs Fuß nicht wirklich für klein hielt, bedeutend breitschultriger und so höllisch attraktiv, dass es Will jedes Mal ein Stich in der Brust gab, wenn er ihn sah. Kurze braune Haare, intensiv blaue Augen und volle Lippen, die zu einem arroganten Lächeln verzogen waren. Der herablassende Blick des Eismanns passte zu dem Spitznamen, den ihm Willard gegeben hatte.

Er war absolut nicht eifersüchtig auf ihn. Er konnte ihn nur nicht ausstehen.

»Was machst du hier?«, fragte Levanyar und musterte ihn unverhohlen, als suchte er nach einem Makel an Wills Erscheinung.

Er würde keinen finden. Wills Kleidung war sauber und gut geschnitten, der Bart frisch gestutzt, seine Haare so kurz, dass sie gar nicht schlecht liegen konnten, und er hatte heute Morgen gebadet und entsprach damit dem elfischen Hygienestandard. »Du bist doch der Ermittler. Sag du's mir.«

Levanyars dichte Augenbrauen kletterten langsam nach oben. »Graycen besuchen«, antwortete er, ohne es als Frage zu formulieren.

War ja nicht schwer zu erraten. »Richtig.« Er blickte auf den Arm des Elfen, über den ein langes silbernes Gebilde hing. Eine Art Kettenhemd, nur feiner als die, die Willard von der ilarischen Stadtwache kannte. In der anderen Hand hielt Levanyar einen Becher, aus dem Dampf nach oben stieg.

»Dann haben wir denselben Weg.«

Oh toll. Wenn Levanyar es wusste, würde Wills Besuch kein Geheimnis bleiben. »Gehst du hinauf?«

»Das implizierte der Ausdruck 'denselben Weg'.«

Willard konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Levanyar ein arroganter Arsch war und dass er es gerne war. Zumindest Will gegenüber.

Ihre gegenseitige Abneigung war eine von zwei Gemeinsamkeiten. Die andere war die Liebe zu Grayce. Auch wenn dieser behauptete, dass ihn nur mehr Freundschaft mit diesem entsetzlich muskulösen Elfen verband, hieß das nicht, dass Willard glaubte, dass dies auch auf Levanyars Gefühle zutraf. Er konnte sich nicht vorstellen, Grayce einmal nicht mehr zu lieben, warum sollte es diesem Kerl besser gehen?

Ein Gefühl des Triumphs schlich sich in seine Brust. Willard war jetzt mit Grayce zusammen. Will durfte ihn vögeln. Nicht dieser Ausbund an Attraktivität.

Rein rational wusste er, dass er absolut keinen Grund zur Eifersucht hatte. Grayce hatte ihm nie einen Anlass dazu gegeben. Und dennoch nagte dieses hässliche Gefühl an seinen Eingeweiden, auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte.

Vielleicht sollten sie einmal ganz offiziell die Sache mit der Exklusivität klären. Willard war einfach davon ausgegangen und Grayce hatte irgendwann mal erwähnt, dass er sich nicht mit anderen traf, wenn er in einer festen Beziehung war. Aber sie hatten sich das nie versprochen oder auch nur länger darüber geredet. Wie sie über so vieles nicht redeten, weil nie Zeit dafür war. Das war der Preis, wenn man so viel Zeit mit Arbeiten verbrachte.

Wenn er Levanyar so ansah, war es eine gute Idee, seinen exklusiven Anspruch auf Grayces Hintern deutlich kundzutun. Vielleicht eine Tätowierung? Grayce hatte erst eine einzige winzige, da würde ihn doch ein kleiner Schriftzug wie »Eigentum von Willard Parlett« über eine Gesäßbacke nicht stören.

Klar. Willst du ihm auch ein Halsband anlegen und zu deinem Sklaven machen? Willard schnaubte leise durch die Nase. Grayce hatte deutlich gemacht, was er davon hielt, nämlich gar nichts. Muss ich ihn eben mit meiner Persönlichkeit überzeugen, damit er für den Rest meines Lebens mit mir zusammen bleibt.

Er deutete auf das Metallgewebe auf Levanyars Arm. »Botendienste?«

»Ausrüstung für einen Einsatz.« Der Blick des Elfen blieb eisig.

Willard gab den Versuch von Konversation auf. »Tust du mir einen Gefallen?« Er zwang sich zu einem Lächeln. Es bestand aus einem einzelnen leicht gehobenen Mundwinkel. Zwei schaffte er nicht vor Levanyar.

»Dir den Weg hinaus zeigen? Gerne.« Levanyar lächelte breiter.

»Sagst du Grayce, dass ich ihn sehen will? Ich warte hier.«

»Warum sagst du ihm das nicht selbst?«

»Weil ich ihn oben nicht stören will.«

»Aber ihn von der Arbeit abhalten und dazu zwingen, zu dir herunter zu kommen, ist in Ordnung?«

Steck dir deinen Sarkasmus sonst wohin. »Sag ihm einfach, dass ich hier bin. Danke«, fügte er hinzu und war erfreut, dass es gar nicht zynisch klang. Höchstens ein klein wenig ironisch.

»Na gut.« Levanyar schüttelte kaum merklich den Kopf. »Ich werde Graycen Bescheid geben.« Er betonte das N am Ende des Namens, und Willard starrte ihn nur mit seiner besten ausdruckslosen Miene an. Er wusste, dass alle den vollen Namen seines Liebhabers von Graycennar zu Graycen abkürzten. Er war der Einzige, der sich auf die erste Silbe beschränkte.

»Zu gütig«, murmelte Willard, während Levanyar mit langen Schritten auf die Treppe zuhielt. Warum konnte Wills Liebhaber nicht einen Laden für Schokoladekonfekt betreiben? Oder ein niederer Beamter in der Stadtverwaltung sein, möglichst ohne herablassende Kollegen und vor allem ohne Ex-Freunde?

Seufzend wandte er sich wieder der Statue der elfischen Göttin zu. Die Magie, die sie sanft ausstrahlte, brachte die Härchen in seinem Nacken dazu, sich permanent aufzurichten, solange er in ihrer Nähe war. Er bevorzugte es, diese Reaktion bei etwas zu zeigen, was Grayce machte. Diesem kalten Stein fehlte es an Wärme und Zuneigung und dem wohlgeformtesten Hinterteil, das er je unter seinen Händen gehabt hatte.

 

* * *

 

»Graycen?«

Bei der Nennung seines Namens blickte Grayce vom Schreibtisch auf. Levanyar lehnte am Türrahmen, ein Kettenhemd über dem Arm und einen Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit in der anderen.

»Was?« Grayce wollte nicht unhöflich sein, aber vor ihm türmten sich Berichte der sagarischen Stadtwache zum jüngsten Fall, die er noch durchgehen musste, ehe er zu einem lange geplanten Einsatz am Abend aufbrach. Jede Störung hielt ihn beim Lesen auf. So sehr er es zu schätzen wusste, dass die Stadtwache einen Großteil der Befragungen durchführte, war es doch mühsam, alles nachlesen zu müssen, was die Zeugen gesagt hatten.

»Jemand verlangt nach dir.« Levanyar deutete mit dem Daumen hinter sich.

Grayces Partner Niamat warf ihm einen mitleidigen Blick von seinem Schreibtisch aus zu. »Ich wusste, dass dich der Auftritt von gestern noch einholt«, murmelte er und vergrub die Nase wieder in der Akte, die er in Händen hielt.

Grayce bemühte sich um eine ausdruckslose Miene. »Der Leutnant?« Bei seinem Glück durfte er sich einen einstündigen Vortrag darüber anhören, dass sein letztes Verhör nicht so ganz den Vorschriften entsprochen hatte.

»Nicht der Leutnant. Besser.« Levanyar grinste breit, und Grayce war sich nicht sicher, ob er sarkastisch war oder es ernst meinte.

Doch nicht jemand aus Grayces Familie? Das würde ihn noch mehr aufhalten als der Leutnant und war ihm noch weniger willkommen. Natürlich liebte er seine Eltern und Geschwister, doch bevorzugt aus sicherer Entfernung. Sie hatten einen Hang, sich in sein Leben einzumischen, und deshalb ging er ihnen am liebsten aus dem Weg. »Ein Bote mit Zuckerkringeln?«

»Nicht so gut.«

»Spuckst du's endlich aus, oder willst du mich weiter von der Arbeit abhalten?« Er rutschte auf der Sitzfläche nach vorne und lehnte sich an die breite Rückenlehne. Nach sechs Stunden darauf hatte sogar sein gepolsterter Stuhl aufgehört, bequem zu sein.

Ein leises Ziehen in seinem Hintern brachte ihn fast dazu, das Gesicht zu verziehen, und gerade noch rechtzeitig behielt er seine Mimik unter Kontrolle. Er brauchte kein Nachfragen, ob alles in Ordnung sei, am allerwenigsten von seinen Kollegen. Der sanfte Schmerz erinnerte ihn daran, dass sich seine Haut noch nicht ganz von der letzten Nacht erholt hatte, die sein Liebhaber und er zusammen verbracht hatten. Es war drei Nächte her, und die Schwellung von den Hieben war fast verschwunden. Will hatte beinahe so etwas wie ein schlechtes Gewissen gehabt und sich mehrmals erkundigt, ob Grayce einen Heilzauber wollte. Wie immer lehnte er ab. Er wollte diese Erinnerung spüren, jedes Mal, wenn er sich hinsetzte.

Er unterdrückte auch das Lächeln, das sich auf seine Züge stehlen wollte. Nie hätte er gedacht, dass er jemanden finden würde, der seine Wünsche beim Sex so vorbehaltlos akzeptierte und in die Tat umsetzte. Nie hätte er gedacht, dass er solche Lust am Schmerz empfinden würde. Und am allerwenigsten hätte er gedacht, dass ausgerechnet ein Mensch dafür verantwortlich sein konnte.

»Willst du nicht raten, wer's ist?«

»Van.« Grayce rieb sich die Stirn. »Seh ich so aus, als hätte ich Lust oder Zeit für Ratespielchen?«

Levanyar legte den Kopf schief. »Hm, weiß nicht. Nia, was meinst du? Sieht er so aus?« Er nippte an seinem Becher.

Niamat blickte nicht einmal auf. »Er sieht nie so aus.«

»Ihr seid ein echt langweiliger Haufen«, stellte Levanyar fest. »Habt nie Spaß bei der Arbeit.«

»Ich habe Spaß an der Arbeit. Jetzt red endlich oder verzieh dich.«

Mit einem übertriebenen Seufzen verdrehte Levanyar die Augen. »Willard ist unten.«

Will war hier? Er besuchte Grayce selten auf dem Revier und noch viel seltener ohne Vorankündigung, und das war dem Elfen ganz recht. Er konnte hier keine Ablenkung brauchen oder tratschende Kollegen. Es liefen bereits genug Wetten, wann sie sich trennen würden. Levanyar hatte auf Sommersonnenwende gesetzt, was in sechs Wochen war. Grayce hatte nicht vor, ihn den Topf gewinnen zu lassen.

»Warum kommt er nicht herauf?«

»Keine Ahnung. Ich kann keine Gedanken lesen. Ich kam grad vorbei, nachdem ich mir einen neuen Kakao geholt hatte, und er bat mich, dir Bescheid zu geben.«

»Noch immer nach diesem furchtbar männlichen Getränk süchtig?« Grayce grinste ihn schief an. Er konnte der braunen Brühe wenig abgewinnen, hatte aber seit Neuestem immer eine Packung von dem Pulver und Milch im Haus. Will stand auf das Zeug, wie auf alles, was mit Schokolade zu tun hatte.

»Sagt der Mann, der ständig lauwarmen Tee schlürft.« Levanyarr sah auf seinen Arm. »Bevor ich's vergesse …« Er war mit vier schnellen Schritten bei Grayces Schreibtisch und legte das Kettenhemd auf den Besuchersessel.

»Was soll ich damit?« Grayce starrte das Rüstungsteil verständnislos an.

»Du hast heute Abend einen Einsatz.«

»Ich habe eine Rüstung.« Er deutete auf seine Brust. »Und sogar an.« Die Lederrüstung mit den Metallplättchen war Standardausrüstung, und im Gegensatz zu Niamat trug er seine ständig.

»Das Teil fällt zu sehr auf. Das hier kannst du unter einem Hemd tragen. Chaniel besteht drauf.«

»Wir wollen niemanden verhaften, sondern nur Informationen beschaffen. Ich bezweifle, dass das nötig sein wird.«

»Tu ihm einfach den Gefallen.« Levanyar ging wieder zur Tür, hob den Becher zum Gruß und verschwand aus Grayces Blickfeld.

Niamat nickte ihm zu. »Schönen Abend noch.« Er griff nach der Feder auf seinem Tisch.

»Gehst du schon?« Grayce schob den Stuhl zurück.

»Ich bin noch mindestens eine Stunde hier«, brummte Niamat. »Aber ihr zwei werdet euch so ausführlich unterhalten, dass wir einen Suchtrupp nach euch losschicken müssen.«

»Ich hab nicht vor, stundenlang mit Will zu reden.« Er wollte nur wissen, was ihn hierher führte. Für mehr hatte er gar keine Zeit. In zwei Stunden würde er bereits zusammen mit Chaniel in einer Droschke auf dem Weg ins Nobelviertel sitzen, um diesen bei einem Einsatz zu unterstützen.

»Tja, zwischen dem, was du willst, und dem, was ihr zwei treibt, besteht ein großer Unterschied.«

»Wir treiben gar nichts.«

Niamat tauchte die Feder in rote Tinte. »Ich war auch mal jung und verliebt. Ich weiß, wie das ist, wenn man seine Triebe nicht unter Kontrolle hat.«

»Und jetzt bist du alt und kriegst keinen mehr hoch?«

»Meine sexuelle Leistungskraft geht dich einen Scheiß an, aber wenn du schon Vermutungen anstellst – keine Sorge, im Schlafzimmer läuft alles bestens.«

»Also wird sich Ana nicht in nächster Zeit bei mir ausheulen, weil du zum Kuschelbären mutiert bist?«

»Meine Frau hat keinen Grund zur Beschwerde. Geh endlich runter, ehe der Leutnant wirklich hier auftaucht und dich zu einem Einzelgespräch bittet.«

Darauf konnte Grayce dankend verzichten. Wenn es irgendwie möglich war, drückte er sich sogar um die Gruppenansprachen seines Vorgesetzten.

Er eilte durch den langen Korridor und rollte dabei mit den Schultern. Das viele Lesen und damit verbundene Sitzen war der einzige Nachteil an seiner Arbeit. Zugegeben, die unregelmäßigen Arbeitszeiten waren in letzter Zeit ein Problem geworden. Bislang hatte es ihn nie gestört, Überstunden zu machen oder eine Nacht durchzuarbeiten.

Seit er mit Will zusammen war, schätzte er einen pünktlichen Dienstschluss nur aus dem Grund, weil es ihm Wills Gejammer ersparte. Als Magier bei der Halkembra verließ dieser pünktlich um fünf Uhr sein Büro und blieb selten länger. Grayce hingegen hing meistens bis spät abends auf dem Revier herum und war selten vor acht oder neun Uhr zu Hause. Wenn sie eine Verabredung hatten, bemühte er sich um Pünktlichkeit, aber es war öfter als einmal vorgekommen, dass er Will eine Nachricht schicken musste, weil sich irgendein Mordopfer ausgerechnet den Abend eines gemeinsamen Essens ausgesucht hatte, um gefunden zu werden.

Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass Will beinahe genauso oft bei einem Auftritt war, wie Grayce wegen einer Ermittlung abends nicht nach Hause kam. Sie beide liebten ihre Arbeit. Gut für ein zufriedenes Leben, schlecht für eine Beziehung.

 

* * *

 

Willard stand mit auf dem Rücken gelegten Händen neben der Statue von Lafennya und inspizierte die Mondsteine im Sockel der steinernen Göttin, als er aus den Augenwinkeln Grayces schlanke Gestalt die Haupttreppe hinunter laufen sah. Seine langen Haare waren im Nacken zusammengebunden, was ihn ernst und respektabel erscheinen ließ.

Er trug den üblichen mit Metall beschlagenen Lederpanzer, der bis über seinen Hintern reichte, was bei Elfen unter leichte Rüstung fiel. Dazu dunkelbraune Lederhosen und ausnahmsweise keinen Waffengürtel. Also hatte er wahrscheinlich den ganzen Nachmittag am Schreibtisch gesessen und keinen Außeneinsatz gehabt.

»Hey.« Grayce blieb vor ihm stehen.

Willard richtete sich auf, und bis auf das Lächeln auf seinen Lippen deutete nichts darauf hin, dass sie sich kannten. Kein Kuss, keine Umarmung zur Begrüßung. Selbst im elfischen Teil der Stadt blieb er in der Öffentlichkeit stets reserviert und hielt gebührenden Abstand zu Grayce.

Er hatte sein Misstrauen gegenüber spionierenden Menschen noch nicht abgelegt, dabei kümmerte es in diesem Stadtteil nun wirklich niemanden, mit wem er sein Bett teilte. Elfen waren da wesentlich pragmatischer eingestellt als Menschen. Liebe, wen du willst. Ein schlichtes Motto und für Willard noch immer eines der größten Wunder. In seiner Heimat wäre er verhaftet worden, wenn bekannt wurde, dass er es mit einem Mann trieb. Das wollte er nicht noch einmal durchmachen.

»Sei mir gegrüßt.« Einen Moment lang überlegte er, ob er seine Arme um Grayces Schultern legen sollte, doch er beherrschte sich.

»Was führt dich hierher?«

»Ich wollte dich sehen.«

»Wozu?« Grayce musterte ihn neugierig. »Brauchst du meine Hilfe?«

»Brauche ich denn einen Grund? Ich wollte dich einfach nur sehen.« Er wollte mehr als nur das, aber es war taktisch unklug, gleich dermaßen aggressiv vorzugehen. An Grayces Arbeitsplatz brauchte es besonderes Geschick, um den Elfen in die richtige Stimmung zu bringen.

»Finde ich wunderbar.« Grayce rieb sich den Nacken. »Du hast dir leider einen ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht.«

»Viel Arbeit?«

»Jede Menge. Ich muss noch Berichte durchgehen und bin am Abend bei einem Einsatz.«

»Schon wieder Überstunden?« Wie konnte jemand nur freiwillig so viel arbeiten? Grayce schien nicht einmal böse zu sein, wenn er länger bleiben musste. Sagte nur, dass die Arbeit erledigt gehörte.

Der Elf zuckte mit den Schultern. »Du kennst mich. Wenn Kollegen mich um Hilfe ersuchen, kann ich nicht Nein sagen.«

»Das schaffst du bei mir durchaus.« Es klang beleidigter, als Willard beabsichtigt hatte.

Grayce atmete tief durch. »Nicht das schon wieder. Nur weil ich mich letzte Woche nicht mit dir treffen konnte? Du wusstest von Anfang an, dass ich einen Beruf habe, der ein gewisses Maß an Flexibilität verlangt.«

»Es tut weh, wegen eines Einsatzes versetzt zu werden, bei dem es um einen Taschendiebstahl ging.« Willard wollte keinen Streit anfangen, aber in den letzten Wochen lief es oft genug darauf hinaus. Sie sahen sich einfach zu selten, und das war nicht Wills Schuld. Er verließ beinahe jeden Tag pünktlich sein Büro bei der Halkembra.

»Es ging um die Aushebung einer ganzen Diebesbande.«

»Ich dachte, du bist für Morde zuständig.«

»Bin ich auch. Das heißt nicht, dass ich nicht bei anderen Abteilungen aushelfe, wenn sie jemanden brauchen, der genug Schauspieltalent hat, um überzeugend einen reichen arroganten Oberschichtler zu mimen.«

Wills Lippen verzogen sich wieder zu einem Lächeln. »Bist du doch auch.«

»Meine Familie ist reich. Ich nicht.«

»Wie dem auch sei …« Er sah sich links und rechts um. »Gibt's hier einen Raum, wo wir ungestört sind?«

»Mein Büro.«

»Das wollte ich vermeiden. Niamat ist sicher noch da.«

»Du kennst ihn bereits. Er wird dich nicht fressen.«

»Darum geht's nicht. Ich wäre gern allein mit dir.«

»Dann bitte ich Niamat, dass er rausgeht.«

Will trat dicht an ihn heran, so dass seine Hüfte Grayces Bein streifte. Er würde erst wieder gehen, wenn er bekommen hatte, was er wollte. »Ich wäre gern ungestört. Allein. Mit dir.« Er sah Grayce in die Augen. »Verstehst du?«

»Du willst Sex?« Grayce guckte ihn verblüfft an. »Jetzt?«

»Kannst du es noch ein bisschen lauter sagen? Die drei Leute da hinten haben dich noch nicht gehört.« Will strich über den Bart an seinem Kinn. »Ich hab heute Abend keine Zeit, weil ich bei einer großen Feier was zaubern soll. Morgen geht's auch nicht, weil du da dein Familienessen hast. Übermorgen hab ich den nächsten Auftritt. Dann hätte ich dich eine ganze Woche lang nicht gesehen. Das halte ich nicht ich nicht durch.«

»Du meinst eine Woche ohne Sex?« Grayces Mundwinkel zuckten belustigt.

»Ich meine eine Woche ohne Sex mit dir. Also?«

»Ich nehme an, dass du ein Nein nicht gelten lassen wirst?«

Willard schickte ihm einen Schwall Magie entgegen, und Grayce hob erstaunt die Augenbrauen. Normalerweise vermied es Will, in der Öffentlichkeit zu zaubern, sofern er nicht dafür bezahlt wurde. Die Magie prallte gegen den Elfen, und dieser hielt mit seiner eigenen arkanen Macht dagegen.

»Es dauert auch nicht lange«, raunte Will und streifte mit der Hand Grayces Hüfte. Magie folgte seiner Berührung, und Grayce gab den Widerstand auf und ließ die Magie ein.

Will hüllte ihn mit einem sanften arkanen Prickeln ein, und nach wenigen Sekunden spürte er wachsende Erregung in Grayce. Diese Technik hatte noch nie ihre Wirkung verfehlt. Fast spürte er ein schlechtes Gewissen, weil er so darauf drängte. Aber sechs Tage – eine ganze Woche – ohne Sex waren eindeutig zu lang. Wozu hatte er einen Freund, wenn dieser nie Zeit hatte, mit ihm zu schlafen?

Ein vorbeieilender Elf warf ihnen einen neugierigen Blick zu, und Will machte einen Schritt zurück. »Lass mich hier nicht betteln.«

Grayce beugte sich vor. »Wenn hier einer bettelt, dann wohl ich«, flüsterte er Will ins Ohr und drückte für einen flüchtigen Augenblick seine Finger. »Komm mit.«

 

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Tag der Veröffentlichung: 26.02.2017

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