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Sie stand vor dem Fenster und schaute auf das benachbarte Haus gegenüber. Jedes Mal wenn sie in das Wohnzimmer der Familie sah, wusste sie wie glücklich Menschen miteinander sein können. Vater und Mutter saßen dort zusammen am Esstisch und deren kleiner Sohn saß lachend zwischen Ihnen und gemeinsam nahmen sie täglich ihre Mahlzeiten ein. Sina wusste, dass Sie so etwas nie selbst erleben würde und wandte sich mit Tränen in den Augen von dem Fenster ab um sich wieder Ihrer Arbeit zu widmen. Es war nie ihr Traum gewesen, 8 Stunden täglich in einem kleinen, engen und stickigem Büro eines Wolkenkratzers für eine Finanzberatung zu arbeiten aber ihr Mann hatte für sie extra seine Kontakte spielen lassen damit sie diesen Job bekam und sie wollte ihn nicht aufs Neue enttäuschen. Mikel war zwei Jahre älter als Sina und ein hochangesehener Bankier in der Stadt. Es schien als ob alle Welt ihn liebte und keiner auch nur im Geringsten daran denken konnte, dass hinter dieser aufgesetzten Fassade ein Mensch steckte mit dem man lieber nichts zu tun haben wollte, dem man im Dunkeln lieber nicht begegnen wollte. Aber sie selbst war auf ihn reingefallen, warum dann nicht auch die restliche Menschheit. Als Bankier verdient er eine Menge Geld und hat vor Kurzem erst das teuerste Haus in der Stadt gekauft. Corana gehört mit seinen 124.966 Einwohnern, zu den größten Städten in den Vereinigten Staaten und um sich dort einen bekannten Namen zu machen muss man schon einiges geleistet haben.
Sina hat immer gern hier gelebt. Als Kind war sie öfter von zu Hause abgehauen weil sie es einfach nicht mehr ausgehalten hat. Wenn sie dann alleine war baute sie sich ihre eigene Traumwelt auf, in der sie den brutalen Übergriffen ihres Vaters entkommen konnte. Ihr Lieblingsplatz war etwa 30 Minuten von ihrem Elternhaus entfernt gewesen. Stunden, Tage, manchmal sogar Wochen, verbrachte sie hier. Lediglich wenn sie Hunger hatte lief sie zu dem 4 Kilometerentfernten Supermarkt. Das Telefon klingelte und riss sie aus ihren Gedanken. „Sina Lorenz am Apperat, was kann ich für Sie tun?“ Die vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung schrie sofort drauf los: „Lass das Gequatsche und sieh lieber zu das du in einer Minute hier unten neben mir stehst, wie kannst du es wagen mich vor meinen Kollegen so bloß zu stellen und mich warten zu lassen?!“ Sinas Magen drehte sich, sie fing an zu zittern und hätte fast den Hörer fallen lassen. Nur mit letzter Willenskraft schaffte sie die zwei Worte „Ich komme.“ ins Telefon zu flüstern bevor ihr der Telefonhörer aus den Händen glitt. Sie musste sich setzen, obwohl sie genau wusste, dass sie sich diese Schwäche jetzt nicht erlauben durfte und jede Sekunde zählte wenn sie Mikel nicht noch mehr verärgern wollte. Diese verdammte Tagträumerei würde ihr eines Tages noch das Leben kosten. Das wusste sie. Mikel hatte ihr doch heute Morgen noch dreimal gesagt, dass er sie um Punkt 12, und wenn er Punkt 12 sagt, dann meint er auch Punkt 12, in der Eingangshalle mit zwei seiner Kollegen erwarten würde um sie zu ihrem 30. Geburtstag zum Essen einzuladen. Wie konnte sie das nur vergessen?
Sie erhob sich von ihrem Bürostuhl und ging zu dem Schrank direkt neben dem Fenster. Sie musste sich zwingen nicht wieder in das Wohnzimmerfenster der Familie mit dem lachenden Sohn zu schauen um nicht wieder irgendwelchen Tagträumen zu verfallen. Sie machte die Schranktür auf und sah in dem kleinen Spiegel welcher an der Innenwand des Schrankes hing ein blases, dünnes mit viel zu viel Make-up bepudertes Gesicht. Eigentlich fand sie sich recht attraktiv. Vor allem liebte Sie ihre großen grünen Augen, welche trotz der vielen schlechten Erfahrungen in ihrem Leben ihren Glanz noch immer nicht verloren hatten. Sie hasste Make-up. Sie war immer stolz darauf gewesen als einzige von ihren Freundinnen kein Make-up benutzen zu müssen und trotzdem eine glatte feine Haut zu haben und immer frisch auszusehen. Doch seit Sie vor 4 Jahren Mikel geheiratet hatte und mit ihm zusammengezogen war, war das Make-up ihr ständiger Begleiter geworden. Über der rechten Augenbraue sah sie, dass sich wieder ein etwas blauer, fast schon leicht lila aussehender Kreis gebildet hatte. Schnell nahm sie das Make-up aus ihrer Tasche und verteilte es auf der blauen Stelle. Beim Auftragen durchzuckte sie ein stechender Schmerz. Der blaue Fleck war erst 2 Tage alt und tat bei der geringsten Berührung weh.
Sie warf das Make-up in ihre Handtasche, schlug den Schrank zu, atmete zweimal tief durch und machte sich auf den Weg in die Eingangshalle. Am Fahrstuhl angekommen drückte sie auf den Knopf und wartete. Sina überlegte, ob sie nicht doch noch so viel Zeit hatte um die Treppen zu nehmen. Schließlich waren es nur vier Stockwerke bis nach unten. Seit ihrem 16. Lebensjahr litt sie an Agoraphobie. Ihr Vatter hatte sie früher, wenn sie nicht das gemacht hatte was er wollte, öfter in die Abstellkammer im Keller gesperrt, was bei ihr die Platzangst ausgelöst hatte. Aber alles war besser als das tun zu müssen was ihr Vater von ihr verlangte. Die Fahrstuhltür ging auf und zwei ältere Frauen im Anzug mit einem ernstdreinschauenden Blick standen in der Mitte des Fahrstuhls und ließen ihr so, wenig Möglichkeiten sich nicht in die hinterste Ecke des Fahrstuhls quetschen zu müssen wo sich ihre Platzangst dann sofort gemeldet hätte. Sie drehte sich abrupt um, lief ins Treppenhaus und nahm jeweils 3 Stufen auf einmal. Endlich unten angekommen, strich sie sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht, rückte ihre Kleidung zurecht und trat in die Eingangshalle.
Es war nicht schwer zu erkennen, wer von den dort mit dem Rücken zu ihr stehenden Männern ihr Mann Mikel war. Obwohl noch ganze 30 Meter zwischen ihnen waren erkannte sie ihn sofort. Mikel war 1,89 m groß, hatte eine muskulöse Statur, breite Schultern und erweckte den Eindruck eines Bodyguards. Sie musste sich gestehen, dass sie auch nach all den Dingen die zwischen ihnen Beiden vorgefallen waren, ihren Mann auch heute noch sehr attraktiv anzuschauen fand. Die beiden anderen Männer neben ihm erkannte Sina ebenfalls. Der kleine dickere rechts neben ihrem Mann war Ted Stays. Quasi der Mann für alles, genauer gesagt sein Sekretär. Ted bewunderte Mikel so sehr, dass man fast glauben konnte er hätte weiterreichende Gefühle für ihn. Sie hatte es einmal gewagt diese Vermutung vor Mikel zu äußern und sie mit 2 gebrochenen Rippen, einem blauen Auge und viel zerbrochenem Geschirr bezahlt. Der andere zu seiner Linken war James Dadborn. Ein recht charmanter und gut aussehender Mann, bei dem sich die ersten grauen Haare zeigten. James musste jetzt so um die 38 sein. Sie mochte ihn und freute sich darüber, dass ihr Mann wenigstens einen Kollegen als Freund hatte, welcher nicht so egoistisch und selbstverliebt war wie die anderen Männern mit denen sich Mikel sonst umgab.
Früher hatten Mikel, sie, James und seine Frau Clarissa Dadborn öfter zusammen abends im Garten bei sich gesessen und Wein getrunken. Doch diese Abende sind längst vorbei und das allein war ihre Schuld gewesen weil sie zu unachtsam war. Sie saßen wie so oft auf der Tarasse hinter ihrem Haus, aßen gegrillte Schaschlikspieße und tranken Rotwein. Die Stimmung war ausgelassen und Sina fühlte sich wie immer in dieser Runde sicher und geborgen weil sie wusste, dass Mikel sie niemals vor anderen Leuten hart anfassen, geschweige denn schlagen würde. Doch dieses sichere Gefühl verschwand auf der Stelle als Clarissa sie vor allen Anwesenden auf den blauen Fleck an ihrem rechten Unterarm ansprach. Sina war so erschrocken über diese Frage gewesen, dass sie das Weinglas samt Inhalt vom Tisch stieß und in Tränen ausbrach. Mikel war sofort aufgesprungen, entschuldigte sich bei seinen Freunden für das Ungeschick seiner Frau und führte sie ins Haus. Er stieß sie ins Bad, machte die Schalosien runter und tat das was er ihrer Ansicht nach am Besten konnte. Er schlug sie so lange bis sie das Bewusstsein verlor. Während sie reglos auf den kalten Fließen lag, hatte Mikel seinen Freunden irgendeine Geschichte aufgetischt von wo sie den blauen Fleck hatte und das sie zurzeit aus diversen Gründen ziemlich nah am Wasser gebaut war. Seit diesem Vorfall hatte ein Treffen in dieser Besetzung nicht mehr stattgefunden.

… Fortsetzung folgt …

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Texte: Coverbild und Text: Copyright © Kira Kalle, 2011
Tag der Veröffentlichung: 13.09.2011

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