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Auf den folgenden Seiten, werden wir in das Leben von Cerci Flügel eintauchen. Cerci ist als männliche Eintagsfliege zur Welt gekommen und genau 24 Stunden alt geworden. Berichten tut er uns selbstverständlich erst nach seinem Tod, da es zu Lebzeiten auf jede Sekunde ankommt. Nichts ist im Leben einer Eintagsfliege dem Zufall überlassen. Für jede Eintagsfliege gibt es einen Tagesplan, an den es sich strikt zu halten gilt. Freundlicherweise hatten sich vor 80 Jahren eine weibliche und eine männliche Eintagsfliege dazu bereit erklärt, den Plan für das jeweils eigene Geschlecht zu schreiben. Die beiden brachten also ihr ganzes Leben damit zu, einen Plan zu schreiben an den sich, aus Gründen der eigenen Gattungssicherheit, zu halten war. Cerci Flügel war die erste Eintagsfliege welcher es nicht gelingen sollte, sein Leben strikt nach Plan zu leben.
Wir befinden uns im Eintagsfliegenhimmel und ich habe jetzt Cerci Flügel vor mir sitzen und bitte ihn nun, uns seinen gestrigen Tag bzw. sein gesamtes Leben, was genau 24 Stunden umfasst, zu schildern.

Cerci: „Ich möchte, ohne große Umschweife durch eine ausführliche Begrüßung, sofort mit meiner Erzählung beginnen. Zuvor ist jedoch zu sagen, dass ich weiß, dass ihr Menschen uns nicht allzu sehr mögt. Es entspricht natürlich den Fakten, dass ihr uns, aufgrund unserer Kurzlebigkeit, leider nie richtig kennenlernen könnt,dass euch gar nicht erst die Chance gegeben wird, zu verstehen was in unseren Köpfen vor sich geht, mit uns Freundschaft zu schließen, geschweige denn sich in einen von uns zu verlieben, auf einer dreiwöchigen Kreuzfahrt zum Beispiel. Da wir meist immer nur ein bis vier Tage Zeit zur Auslebung unserer Triebe haben, müssen wir uns sichtlich ranhalten, so schnell wie möglich eine Partnerin zu finden. Und da ist es uns egal, ob wir in unserer Eile, einen von euch Menschen übersehen und gegen eure Brillengläser klatschen oder gar wortwörtlich in euren Augen dahinschmelzen. Ich versteh auch nicht, weshalb ihr euch dann immer so aufregt. Ihr müsst einmal kurz den Arm bewegen und uns wegschnipsen, wohingegen diese Kollision für uns den Tod bedeutet. Und Gott hat uns weiß Gott nicht sehr gnädig behandelt bei seiner Verteilung von Lebenszeit. Wie dem auch sei, dies musste ich einmal loswerden, da auch mein Leben so geendet ist. Ich bin mit einer alten Dame, welche ihrem Rollator weitaus mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte als dem Flugverkehr, kollidiert. Aber nun geht es darum sich nicht länger an meinem Ableben festzubeißen sondern zu dem Beginn des ganzen Trauerspiels zu kommen.
Ich wurde also, durch einen fliegenden One-Night-Stand, am 01.04.2011 um 12 Uhr geboren und lieblos über der Spree abgeworfen. Als ich zu mir kam war es bereits Dunkel. Ich weiß nicht, ob ich bewusstlos war oder mir gedacht hatte, jetzt verschlaf doch einfach mal dein halbes Leben. Irritiert versuchte ich mich in der Dunkelheit zu orientieren und sah an meinem Bein die kleine Papierrolle. Ich rollte sie auf und lass folgende Worte:

Plan

(für die männlichen Eintagsfliegen)
Vollführung der sofortigen Fortpflanzung!



Toll, dachte ich. Wie und woher soll ich jetzt so schnell ein Weibchen nehmen. Und vor allem dachte ich, das kann doch nicht schon der ganze Plan für uns Eintagsfliegen gewesen sein. Langsam bekam ich Panik. Nicht weil ich nicht wusste wo ich war sondern weil ich nicht wusste wo SIE war. Ein Weibchen musste her und das auf der Stelle. Mit tierischen Hummeln im Hintern flog ich durch die Gegend und riss meine Augen soweit auf wie ich konnte. Am Horizont ging bereits schon wieder die Sonne auf und ich fragte mich, was ich in meinem Leben bis jetzt alles erlebt hatte. Die Frage war nicht schwer zu beantworten: Nichts! Ich träumte davon, mich auf die Wiese legen zu können, mich zu sonnen, an den grünen Grashalmen zu riechen und vor mich hin zu summen. Aber ich wusste, dass das einzige was vor meinem Ableben zählte und wirklich wichtig war, die Fortpflanzung sein sollte. Da mein innerer Instinkt mir sagte, dass ich mindestens noch 10 Stunden zu leben hatte, genehmigte ich mir eine Pause auf einer knarrenden im Winde wehenden Birke und lauschte den vorbeifahrenden Autos. Zu allem Übel muss ich gestehen, dass ich wieder eingeschlafen bin und erst so kurz vor 12 aufgewacht bin und völlig benebelt war. Nun endgültig dazu entschlossen ein Weibchen zu finden und es zu begatten, flog ich so schnell ich konnte…“. Cerci räuspert sich. „…, ja und da ist es dann auch schon passiert. Die alte Dame hat mich übersehen und ist in mich hineingerast. Ich klebte auf ihrer Brille, von dem Aufprall schwer gezeichnet und mein gesamtes Leben fuhr vor meinem inneren Auge wie ein Film ab. Der Film war so kurz, dass er schon lange wieder zu Ende war bevor die Frau mich ein paar Sekunden später nach dem Aufprall mit einem Taschentuch von der Brille wischte und mich dabei in zahlreiche Einzelteile zerstückelte. Man mag es kaum glauben aber das ist alles was ich berichten kann. Auch so sinnlos und langweilig, vor allem aber nutzlos kann ein Leben sein. Ihr Menschen würdet nach 24 Stunden nicht von einem Leben sprechen aber bei uns Eintagsfliegen ist auch ein Tag ein kleines Leben.“

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Tag der Veröffentlichung: 04.04.2011

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