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Impressum und Landkarten

 

 

 

 

 

Das Amulett der

 Seelentropfen

 

 

Laura Jane Arnold

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Chroniken der Seelenseherin:

 

Das Amulett der Seelentropfen (Band 1.)

Das Geschwärzte Medaillon (Band 2.)

Das Schmuckstück der Welt (Band 3.) 

 

 

 

www.laura-jane-arnold.de

www.facebook.com/LauraJaneArnold.SeelenseherTrilogie

info@laurajanearnold.de

 

 

 

Dieses Buch ist ein Roman. Alle Charaktere und Handlungen sind von mir frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, sowie mit Ereignissen und Begebenheiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

Copyright © 2015 Laura Jane Arnold
Umschlagabbildung: © Laura Jane Arnold
Umschlaggestaltung: Laura Jane Arnold
Kreis: © olga4075 /Depositphotos.com
Ornamente: © lienchen020_2 /Fotolia.com.
Tigers Tomorrow: Foto Tiger: © Julian W./Fotolia.com.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Widmung

 

Für meine Mutter,

die mir meinen Weg in die Welt der Bücher zeigte; 

für meinen Vater,

 der stets schützend hinter mir steht; 

für meinen Bruder,

 der mir die Welt mit anderen Augen zeigt. 

Und für meine Schwester,

 die einen Funken Magie in jeden Tag bringt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir beide, wir sind eins.

   Dir wehzutun hieße mich zu verletzen.

1 Ein ganz unnormaler Tag

 

Ich dachte es wäre ein Tag wie jeder andere. Zumindest so wie die Tage waren, nun, da der Zirkel der Seelensammler Alanien beherrschte. Die Menschen wachten mit Angst auf und schlugen sich mit eben dieser durch den Tag, bis sie sich für wenige Stunden in den Frieden des Schlafes flüchten konnten. Aber selbst das bot keine Sicherheit mehr. Mit der Zunahme an Macht waren die Anhänger des Zirkels immer skrupelloser geworden. Sie stürmten in Häuser und trennten unschuldige Seelen von ihren Körpern. Bis jetzt war das alles für mich wie ein weit entfernter Traum gewesen. Wie etwas, das auf der Welt passierte, aber mich nicht direkt betraf. Alanien war ein Land, das aus dem Gedächtnis der Welt verschwunden war. Es lag zwischen der Schweiz und Italien. Doch niemand außerhalb seiner Grenzen konnte sich an seine Existenz erinnern und so wurde es einfach als ein Teil Italiens angesehen, der unbewohnt und von Bergen eingekeilt war.

Ich lebte seit Jahren alleine in dem großen Anwesen, das zusammen mit einem Ford Mustang GT das Einzige war, was mir von meinem Vater hinterlassen wurde. Ich kannte weder ihn noch meine Mutter. Alles, was ich an Familie kennenlernte, war mein Großvater. Aber auch er verließ mich schneller, als ich Erinnerungen an ihn sammeln konnte. Als er verschwand, war ich gerade neun. Seitdem sind zehn Jahre vergangen. Zehn Jahre, in denen meine einzige Familie meine Freundin Keira war. Sie war es, die aus diesem gewöhnlichen Tag einen Tag machte, der nicht nur mein Leben verändern sollte. Ich ahnte nicht, was Keiras Familie in der Nacht zuvor widerfahren war. Wie so oft – wenn Keiras Vater sie nicht gerade auf der Arbeit brauchte – liefen wir in Richtung der bodenlosen Schlucht. Die Unendliche  Schlucht, wie sie die Anwohner Amalens nannten. Sie hatte auf Keira und mich schon immer eine gewisse Anziehung gehabt. Die Landschaft um die Schlucht herum war eigentlich nichts Besonderes. Hier und dort wuchsen Büsche und einzelne kleine Pflanzen. Ab und zu ragte ein krummer Baum aus dem trockenen, sandfarbigen Boden. Sonst war nichts weiter zu sehen außer kleinen Hügeln, auf denen spindeldürres, fast schon totes Gras wuchs, das nicht einen Schimmer von Grün aufwies. Dennoch kamen wir fast jeden Tag an diesen Ort zurück. So auch an diesem. Die Sonne stand weit am Himmel und ein trockener, aber doch angenehmer Wind wehte über die Schlucht zu uns herüber. Keiras schlanke Gestalt – sie war fast einen Kopf größer als ich - ging gebeugter als sonst. Ihre welligen Haare, die sie normalerweise in gut gestylten Frisuren trug, waren leicht zerzaust und in einem schnellen Zopf im Nacken zusammengebunden. Sie trug die selben Kleider, die sie auch am Tag zuvor anhatte. Eine ältere Jeans, die hier und dort zerrissen war und dazu ein einfaches Oberteil. Hätte ich nicht schon aus ihrem Verhalten und ihrem Aussehen geschlossen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte, hätte ein Blick in ihre braun-grünen Augen mich spätestens darauf gebracht. Der fröhliche Ausdruck, in dem man jedes Lächeln sehen konnte, war verschwunden. An seiner Stelle stand ein gequälter, trauriger Blick, der mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. In diesem Moment kam mir meine Freundin völlig fremd vor. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte, aber ich wusste auch, dass sie von alleine anfangen würde zu reden, wenn sie es denn wollte. Gerade als wir an die Stelle kamen, an der wir uns vor zehn Jahren kennenlernten, blieb Keira stehen. Ich erkannte den Ort sofort. Es war der Ort, zu dem ich immer flüchtete, wenn mich etwas bedrückte oder meine Gedanken wieder einmal einen einsamen Ort brauchten. Ich hatte mich hierher zurückgezogen an dem Tag, an dem mir klar wurde, dass auch mein letzter Verwandter mein Leben für immer verlassen hatte und niemand mehr da war außer mir selbst. Es war ein winziges Tal, das kurz vor der Kante der Schlucht von vielen kleinen Hügeln umgeben war. Man konnte es nur durch einen verborgenen Pfad erreichen. Es war der grünste Punkt, den es rund um Amalen gab ,und außer mir und Keira kannte ihn niemand. Hierher hatte sie mich stillschweigend geführt. Es war offensichtlich, dass sie nicht mehr viel länger zurückhalten konnte, was sie beschäftigte. Das Gras raschelte leise, als sich Keira erst auf die Knie sinken ließ, schließlich schwer atmend auf den Rücken lag und in die Sonne starrte. Mit jeder Minute war ich unruhiger geworden. Ich ertrug ihren Schmerz kaum, obwohl ich nicht einmal wusste, woher er kam.

»Janlan…«

Es war ein leises Flüstern. Eins, das mir mehr sagte als jedes weitere Wort. Schnell ließ ich mich neben sie ins Gras fallen. Ich wusste, dass sie jeden Moment die Beherrschung verlieren würde. Ich sah wie sie mit den Tränen, in ihren ohnehin schon geröteten Augen, kämpfte.

»Janlan… Sie haben meine Mutter.«

Mehr brachte sie nicht heraus. Jedes weitere Wort wäre durch ihr Weinen ohmehin nicht zu verstehen gewesen. Sie musste auch nicht mehr sagen. Ich wusste, wen sie meinte und ich wusste, was geschehen war. Meine Welt, die so fern ab von all dem Unheil gewirkt hatte, war schließlich mit ihm zusammengeprallt. Ich merkte wie sich etwas in mir änderte. Eine Einsicht, dass die Welt von heute an nicht mehr sein würde, wie ich sie bis dahin gesehen hatte. Ich nahm Keiras Hand, wie sie damals meine genommen hatte. Es war ein schreckliches Déjà-vu. Erst, als ich spürte, dass sie wieder gleichmäßiger atmete, wagte ich etwas zu sagen.

»Wann?«

Keira wandte ihr Gesicht von der Sonne ab und sah mich aus ihren von Schmerz gepeinigten Augen an.

»Gestern, als wir hier draußen waren. Mein Vater war mal wieder im Betrieb. Er hatte einen Großauftrag. Sie haben sie einfach mitgenommen…«

Mit ›sie‹ meinte Keira die Seelensammler und Seelenjäger. Handlanger - die durch Alanien streiften und willkürlich Seelen von ihren Körpern trennten. Sie sammelten sie für ihre dunklen Pläne. Gerüchten zufolge brauchten sie die Seelen um eine Zeremonie abzuhalten, die ihren alten Priester und Meister zurück auf die Erde holen sollte. Ich glaubte nicht daran. Ich konnte mir nicht vorstellen, was für ein Meister das sein sollte oder warum Seelen von Menschen ihnen dabei helfen würden. Ich vermutete eher, dass sie irgendeinen merkwürdigen und skrupellosen Handel betrieben. Ich wusste, dass es Magie in meiner Welt gab. Auch wusste ich, dass magische Wesen existierten, aber ich hatte weder das eine, noch das andere mit meinen eigenen Augen gesehen. Aber die Brutalität, mit der diese Welt sich nun in meine schob, war unübersehbar. Keira - meine beste Freundin, meine Familie – lag neben mir und hatte ihre Mutter an eben diese Welt verloren.

»Sie hat sich gewehrt…«

Keiras Stimme war immer noch ein leises Flüstern, während sie mich flehend ansah. »Unser Haus war weitestgehend verwüstet. Sie hat versucht, zu den Schwertern meines Vaters zu kommen… Wir haben ihren Körper vor dem Schrank gefunden, indem er sie verwahrt. Sie haben sie einfach da liegen lassen…«

Keiras Stimme erstarb wieder unter einem neuen Schwall an Tränen. Ich drückte ihre Hand. Ein stummes Zeichen, dass ich immer noch an ihrer Seite war. Ich konnte mir bildlich vorstellen wie Keira neben ihrer Mutter kniete und einen klaren Puls spürte, aber sie dennoch nicht wecken konnte. Die Seelensammler hatten kein Interesse an Körpern. Sie wollten einem Menschen nur seine Seele rauben. Nur selten kam es vor das sie auch den Körper, in dem das Herz immer noch schlug und die Lungen sich weiterhin mit Luft füllten, mitnahmen. Es fröstelte mich, wenn ich daran dachte, wie der seelenlose Körper Keiras Mutter in einem Bett lag. Verdammt dazu, weiter zu funktionieren, ja sogar zu altern, ohne dass er wirklich lebte. Eine lebende Tote. Es war schlimmer als der Tod. Keiras Stimme drang durch das Netz meiner Gedanken.

»Weißt du noch, wie wir das erste Mal hier waren?«

Ihre Frage kam so unvermittelt und überraschend, dass ich einen Moment brauchte, um zu antworten. Obwohl ich erst wenige Minuten zuvor daran gedacht hatte.

»An dem Tag, als mir klar wurde, dass mein Großvater nicht zurückkommen würde. An dem Tag, als du zu meiner Familie wurdest.«

Ich versuchte sie anzulächeln. Aber es wollte mir nicht ganz gelingen. Es war eine schöne und zugleich traurige Erinnerung.

Keira nickte.

»Ich hatte dich hinter diesen Hügeln verschwinden sehen und wunderte mich, was hier war. Ich habe mich neben dich ins Gras gelegt, und deine Hand genommen, ohne zu wissen, wer du warst.«

Hinter ihrer Traurigkeit konnte ich für eine Sekunde, dass fröhliche Blitzen ihrer Augen sehen.

»An dem Tag hast du mich gerettet«, flüsterte ich zurück. Das stimmte. Ich war so zerbrechlich gewesen und hatte nicht gewusst, was ich tun sollte. Keira hatte mir Halt geboten.

»Weißt du noch die Gerüchte, die damals durchs Dorf gingen? Kurz bevor dein Großvater verschwand.«

Ich überlegte einen Moment. Diese Zeit verschwamm oft in meinen Gedanken. Es war schon so lange her und viele der Erinnerungen waren schmerzhaft. Keira zögerte und sah mich erwartungsvoll an. Als ich nicht antwortete, sprach sie leise weiter, wie um mir auf die Sprünge zu helfen und meinen lückenhaften Erinnerungen einen kleinen Schubser zu geben.

»Es hieß, es gäbe einen Orden, der im Verborgenen gegen den Zirkel der Seelensammler revoltierte.«

Sie sah wieder zu mir herüber. Ich hasste es, wenn ihre Augen so voller Schmerz waren.

»Damals hieß es, dein Großvater sei deshalb verschwunden. Das ganze Dorf glaubte, er würde zu diesem Orden gehören.«

Ich erinnerte mich. Ich hatte es damals nur als den schwachen Versuch gesehen, seinem Verschwinden einen Grund zu geben. Ich hatte nie auch nur einen Beweis dafür gefunden. Keira wartete wieder einen Moment. Sie wusste, dass ich nicht gerne über meine Familie sprach.

»Erinnerst du dich?«

Ich seufzte leise.

»Mh-hm.«

Mehr konnte ich mir nicht entringen. Ich wusste, sie wollte auf etwas hinaus. Nur war mir noch nicht klar auf was.

»Es gibt neue Gerüchte.«

Sie wartete und suchte offenbar in meinem Gesicht ein Anzeichen dafür, ob ich sie gehört hatte. Aber das hatte ich nicht. Aus Gewohnheit hörte ich weg, sobald die Leute anfingen wilde Spekulationen auszutauschen. »Sie sagen, dass es diesen Orden immer noch gibt. Dass sich neue Menschen zusammengetan haben. Sie sagen, sie versuchen, die Arbeit des Ordens wieder aufzunehmen. Zu beenden, was er angefangen hat. Sie sagen, dass sie einen Seelentropfen suchen. Keiner weiß was das sein soll…«

Ich hörte ihr nicht mehr zu. Eine Erinnerung hatte sich gewaltsam aus den Tiefen meines Gedächtnisses erhoben. Ich sah mich auf dem Schoß meines Großvaters sitzen. Er erzählte mir etwas mit gesenkter Stimme. Ich konnte kaum älter als sechs Jahre gewesen sein. Ich sah sein altes, zerfurchtes Gesicht vor mir, das mich aus ernsten dunkelblauen Augen ansah. Fast war es, als würde ich wieder mit neugierigen und beinahe ebenso eisblauen Augen, auf seinem Schoß sitzen und ihm gespannt lauschen.

»Janlan, du kennst doch die Truhe in meinem Zimmer? Die sehr alte. An die ich dir verboten habe zu gehen.«

Ich nickte und sah weiter erwartungsvoll zu dem Mann, den ich als meine Familie kannte.

»Wenn ein Tag kommt, an dem ich nicht mehr da bin und du vom Amulett der Seelentropfen hörst, musst du an diese Truhe gehen.«

Ich erinnerte mich, wie ich versuchte in meiner kindlichen Neugier herauszufinden, was sich in ihr befand. Doch mein Großvater hatte sie oder das Amulett der Seelentropfen nie wieder erwähnt. Nicht ein einziges Mal bis zu dem Tag, an dem er verschwand.

»Janlan?«

Keira fuchtelte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum. »Janlan hörst du mir überhaupt noch zu?«

Wieder spürte ich einen Stich, als ich in ihre Augen sah. Mein Magen zog sich zusammen als wäre ich diejenige, die gestern ihre Mutter verloren hatte, und nun mit der Trauer kämpfte.

»Entschuldige, was hast du gesagt?«

Keira rümpfte verärgert die Nase, bevor sie ihre Frage wiederholte.

»Glaubst du, es gibt so etwas? Einen Seelentropfen, der uns retten könnte.«

Ich hatte diese Gerüchte nicht gehört und war mir sicher bis auf dieses eine Mal noch nie etwas von einem Amulett der Seelentropfen gehört zu haben. Und davon hatte Keira ja auch nicht gesprochen. Sie sagte nur etwas von Seelentropfen und dennoch ergriff mich eine Unruhe. Als hätte dieses Wort etwas in mir geweckt. Ich wollte in die Truhe meines Großvaters sehen. Ich wusste, dass sie noch genau an derselben Stelle in seinem Zimmer stehen würde. Unberührt und völlig eingestaubt. Ich hatte sein Zimmer seit dem Tag vor zehn Jahren nie wieder betreten. Ich fühlte mich von ihm betrogen und hatte alles gemieden, was mit ihm zu tun hatte. Ich konnte aber jetzt nicht so einfach gehen. Keira brauchte mich, und das hatte Vorrang vor allem. Sie war meine Familie. Nicht mein Großvater. Er hatte mich verlassen, und sie war hier. Langsam antwortete ich, bedacht darauf nicht zu verraten, dass mein Großvater jemals etwas darüber zu mir gesagt hatte. Ohnehin konnte ich ja nicht sicher sein, dass das Eine etwas mit dem Anderen zu tun hatte.

»Ich weiß nicht Keira. Ich kann mir nicht vorstellen was das sein soll… ein Seelentropfen.«

Ich sah, wie ich ihr schwaches Gebäude aus Hoffnung zum Schwanken brachte. Ich hatte ihr nicht noch mehr Schmerzen auferlegen wollen, deshalb fügte ich schnell hinzu, »Aber vielleicht stimmt es ja. Vielleicht gibt es einen Widerstand. Vielleicht gibt es auch diesen Seelentropfen. Und wenn ja, wird kaum etwas davon bekannt sein. Ansonsten wäre es ja kein geheimer Widerstand.«

Ich versuchte Keira aufmunternd anzusehen und anscheinend klappte es auch halbwegs. Ich sah wie ihre Mundwinkel, für einen flüchtigen Moment, nach oben zuckten und sie mich dankbar ansah. Sie wusste, dass es unwahrscheinlich war, aber für den Moment gab es ihr Hoffnung und die konnte ich ihr zumindest geben. Einen Funken Hoffnung. Sobald ich Zuhause war, würde ich die Truhe erforschen. Keiras Stimme war wieder ein leises Flüstern. Als ob sie fürchtete, ich würde ihr die winzige Hoffnung gleich wieder nehmen, sobald sie ihre nächste Frage aussprach.

»Glaubst du, ich werde sie wiedersehen?«

Mein Magen zog sich erneut zusammen. Was sollte ich bloß darauf antworten. So weit ich wusste, war keine Seele je wieder in ihren Körper zurückgekehrt. Allerdings hatte ich auch schon gehört, dass man bei Nacht das helle Leuchten von Seelen sehen konnte, die den Seelensammler entkommen waren. Wieder zögerte ich. Meine Freundin kam mir so zerbrechlich vor, dass ich Angst hatte, etwas Falsches zu sagen.

»Ich weiß es nicht Keira. Ich wünschte ich hätte darauf eine Antwort. Aber die habe ich nicht. Ich hoffe es. Ich hoffe es so sehr…«

Ich drückte ihre Hand und legte alles Mitgefühl, das ich aufbringen konnte, in meine eisblauen Augen. Keira nickte traurig. Sie wusste, dass ich ihr diese Frage nie hätte beantworten können.

»Janlan, woran hast du vorhin gedacht? Als ich dich nach deinem Großvater fragte.«

Ich fluchte innerlich. Sie kannte mich genauso gut wie ich sie. Ihr war nicht entgangen, dass meine Gedanken abgeschweift waren. Ich versuchte zu lügen. Ich wusste, dass sie es mir nicht abnehmen würde. Ich war keine besonders gute Lügnerin und sie konnte ich am allerwenigsten täuschen. »Ich habe versucht mich an die Gerüchte zu erinnern. Nichts weiter.«

Ich versuchte etwas mehr Glaubwürdigkeit in meine Worte zu legen, indem ich unschuldig mit den Schultern zuckte. Ich konnte sie nicht täuschen. In ihren Augen funkelte Skepsis. Sie war nicht überzeugt, ließ es aber für den Moment auf sich beruhen. »Wie geht es deinem Vater?«

Es war ein armseliger Versuch sie abzulenken. Aber ich wollte ihr vorerst nichts von meiner Erinnerung erzählen, und das würde ich tun, wenn sie mich auch nur eine Minute länger mit ihrem musternden Blick anstarrte. Sie wusste genau, wie sie mich dazu brachte, ihr die Wahrheit zu erzählen. Sie seufzte leise. Wieder zuckte ich innerlich zusammen.

»Er sitzt seit gestern Abend an ihrem Bett und hält ihre Hand. Ich hab ihn nicht einmal dazu bekommen etwas zu essen. Es ist fast, als hätten sie auch seine Seele mitgenommen.«

Keira erschauderte. Am liebsten hätte ich mir selbst eine Ohrfeige verpasst. Eine blödere Frage hätte ich nicht stellen können.

»Entschuldige«, flüsterte ich leise. Sie zuckte mit den Schultern.

»Du kannst doch nichts dafür. Ich bin nur froh, dass sie dich nicht auch erwischt haben… Ich wollte gestern gleich nach dir sehen, als du nicht an dein Handy gegangen bist, aber mein Vater ließ mich nicht. Ich hab mir die ganze Nacht Sorgen gemacht, aber ich konnte ihn auch nicht alleine lassen.«

Sie war es, die nun entschuldigend zu mir sah.

»Natürlich nicht. Und wie du siehst, geht es mir blendend.«

Ich lächelte sie überheblich an. Fast sah ich, wie auch sie anfangen musste zu kichern, aber ihre Trauer erdrückte es im Keim. Sie versuchte trotzdem die heitere Stimmung aufzunehmen.

»Naja, blendend würde ich nicht sagen. Wo bist du dieses Mal dagegen gelaufen oder drauf gefallen?«

Ich folgte ihrem Blick und landete bei dem noch sehr frischen Bluterguss an meinem rechten Oberarm. Er hatte ein hässliches Lila. Ich hatte extra ein Top gewählt, das längere Ärmel hatte, aber blöderweise waren diese hochgerutscht. Wie immer war ich dankbar, dass ich nie rot wurde.

»Ehmm ja das…«

Schnell versuchte ich in meinem Kopf eine Geschichte zu erfinden, die mich ein wenig besser da stehen lassen würde. Aber es war sinnlos. Keira wusste, wie ich war, und würde sofort schalten, dass es nicht die Wahrheit sein konnte. Ich seufzte verärgert über die Tatsache, dass sie mich mal wieder erwischt hatte. »Ich schwöre dir, die Tür zur Küche ändert ständig ihre Größe.«

Sie verdrehte die Augen.

»Du bist nicht schon wieder gegen den Türrahmen gelaufen, oder?«

Spätestens jetzt wäre jeder normale Mensch definitiv rot angelaufen.

»Nun ja… nicht direkt gelaufen. Mehr gefallen. Der Teppich hat nicht gerade gelegen und diese blöden Fransen…«

Ich stockte. Meine Tollpatschigkeit war unübertroffen. Keiner von uns beiden hatte jemals jemanden getroffen, der mir auch nur nahe kam. Ich war wirklich unübertroffen und ich fürchtete, dass ich es auch immer bleiben würde.

»Irgendwann komme ich zu dir und finde dich bewusstlos am Boden, weil du über deine eigenen Füße gestolpert bist.«

Es sollte lustig klingen, aber ich hörte den Vorwurf, der in ihren Worten mitschwang. Ich biss mir auf die Lippen. Ich sagte Keira wohl besser nicht, dass das schon das eine oder andere Mal vorgekommen war in den zehn Jahren, in denen ich nun schon alleine wohnte.

»Manchmal denke ich, ich sollte dich zwingen bei uns einzuziehen, damit ich auf dich aufpassen kann.«

Sie murmelte es mehr zu sich selbst als zu mir. Wir hatten das Thema schon oft, und ich wusste, dass es weder sie noch ihren Vater und auch nicht ihre Mutter gestört hätte, aber ich wollte niemandem zur Last fallen. Deshalb lehnte ich jedes Mal ab, wenn Keira mir dieses Angebot unterbreitete. Und bei jedem neuen blauen Fleck oder jeder noch so kleinen Verletzung durfte ich mir erneut Keiras Murren über Sturheit anhören. »Du musst wirklich besser auf dich aufpassen.«

Nun verdrehte ich die Augen.

»Es passiert ja nie irgendetwas Ernsthaftes.«

Keira starrte mich böse an. Noch etwas, dass ich ganz und gar nicht mochte. Unter diesem Blick bekam ich jedes Mal Schuldgefühle, selbst wenn ich absolut nichts getan hatte.

»Trotzdem. Nur weil noch nichts passiert ist, heißt es nicht, dass nichts passieren kann.« Gab sie streng zurück. Das Thema fing an mich zu nerven. Wir führten es definitiv viel zu oft.

»Ist ja nicht so als würde ich es absichtlich tun.«

Und das stimmte. Es war wie ein Fluch. Ich neigte dazu gegen alles möglich zu laufen, Dinge fallen zu lassen oder über meine eigenen Füße zu stolpern. Ich konnte einfach nichts dagegen tun. Ich hatte mich daran gewöhnt, deshalb bemerkte ich die vielen blauen Flecke kaum noch, aber Keira sah mich jedes Mal vorwurfsvoll an, sobald sie einen neuen entdeckte.

»Das wäre ja noch schöner!«

Jetzt klang sie tatsächlich ernsthaft sauer. Ich zog eine Augenbraue hoch und versuchte sie ebenfalls böse anzusehen. Aber ich konnte machen, was ich wollte. Ich konnte einfach nicht böse gucken. Meistens fing Keira an zu lachen, wenn ich mal wieder einen meiner armseligen Versuche startete. Dieses Mal nicht. Sie blieb streng und starrte mich erbarmungslos nieder.

»Versprich, dass du besser auf dich aufpasst.«

Erneut verdrehte ich die Augen, hoffte aber das Thema damit beenden zu können.

»Ich verspreche besser aufzupassen und jeder Tür aus dem Weg zu gehen, die auf geheimnisvolle Weise ihre Größe ändert.«

Keira sah mich missbilligend an. »Ich will doch nur nicht, dass dir auch noch etwas passiert.« Sie sagte es leise, und mit einem Mal lag wieder ihr gesamter Schmerz in ihrer Stimme. Ich seufzte.

»Das weiß ich doch.«

Keira sah zurück zur Sonne, die beträchtlich gesunken war. Ich hatte nicht mitbekommen, wie sich schon die Farbe des Lichtes um uns herum veränderte. Ich sprang auf. Wobei ich natürlich ins Taumeln geriet und mir gleich wieder einen bösen Blick von Keira einfing. Ich überspielte es, indem ich ihr lächelnd eine Hand hinstreckte und sie auf die Beine zog.

»Danke«, sagte sie leise. Ich wusste, dass sie sich nicht für die sinnlose Hilfe beim Aufstehen bedankte. Manchmal brauchten wir keine Worte, um uns zu verständigen. Wir kannten uns gut genug, dass ein Wort oder ein Blick ausreichte. Ich schloss Keira in die Arme.

»Wofür sind Freundinnen sonst da?«

Es war eine rhetorische Frage und dementsprechend gab sie auch keine Antwort. Wir beeilten uns, aus unserem kleinen persönlichen Tal hinaus zu kommen. Wir wollten beide nicht bei Anbruch der Nacht im Freien sein. Die Nacht war die bevorzugte Zeit der Seelenjäger. So konnten sie sich unbemerkt an ihre Opfer heranschleichen, und die Seelensammler brauchten nur hinter ihnen aufzuräumen. Ich verstand immer noch nicht wie ein Mensch in der Lage sein konnte, einem anderen seine Seele zu rauben. Es war mir unbegreiflich. Andererseits passierten auch immer wieder Morde und die verstand ich genauso wenig. Obwohl genauer betrachtet, Mord und Seelenraub nicht wirklich zu unterscheiden waren. Es bedeutete beides das Ende eines Bewusstseins. Das Ende eines Individuums.

Ich war froh, dass Keiras Augen nicht mehr ganz so gerötet waren, als wir meinen alten Ford Mustang GT erreichten. Er war eisblau wie meine Augen. Früher gehörte er meinem Vater. Jetzt war ich die Einzige, die ihn noch benutzte. Logisch, denn außer mir war keiner mehr da. Ich konnte nur froh sein, dass mein Vater und mein Großvater mir genügend Geld hinterlassen hatten. Ich hatte mich schon oft gefragt, wo sie das ganze Geld herhatten, aber eine wirkliche Antwort hatte ich darauf nie gefunden. Ich wusste nur, dass mein Vater für dieses Auto nicht einen Cent bezahlt hatte. Es war wohl eines seiner vielen Hobbys gewesen, alte, schrottreife Autos zu fahrtüchtigen Untersätzen umzuwandeln. Die jetzige Farbe hatte er nach meiner Geburt über ein sattes Gelb darüber lackiert. Zumindest glaubte ich das, da ich den Mustang auf alten Fotos gesehen hatte, als meine Mutter hoch schwanger auf dem Beifahrersitz saß. Keira ließ sich wortlos in eben jenen Sitz gleiten, und schnallte sich an, während sie wartete, dass auch ich endlich einstieg. Ich liebte dieses Auto. Es brachte mich ein Stück weit der Familie nahe, die ich nie kennengelernt hatte. Ich ließ den alten Motor aufheulen und drehte in einem fast halsbrecherischen Manöver kurz vor dem Abgrund. Jeder der noch nie mit mir gefahren war, hätte Todesangst, aber Keira hatte sich inzwischen daran gewöhnt. Ihre säuerlichen Blicke von der Seite entgingen mir dennoch nicht. Manchmal fuhr ich so, nur um sie ein wenig zu ärgern. Heute nicht. Ich bemühte mich so brav und unspektakulär zu fahren, wie es mir möglich war. Keira wohnte am anderen Ende von Amalen. Es war kein großes Dorf. Wenn es hochkam, achttausend Einwohner. Es dauerte dennoch fast zehn Minuten von mir bis zu ihr. Das lag alleine daran, dass die Häuser unglaublich weit auseinander lagen. Wo in einer Großstadt zehn Häuser standen, waren es in Amalen vielleicht drei. Keira wohnte in einem kleinen Einfamilienhaus, das ihr Vater selbst gebaut hatte. Er war ein äußerst geschickter Mann. Das Haus war zwar klein, aber strahlte dennoch eine Erhabenheit aus, die mit jeder Villa mithalten konnte. Vielleicht empfand ich das auch nur so, weil ich seine Bewohner so gut kannte. Keira war ebenso stolz wie ihr Vater und dabei schlug es bei keinem von beiden in Arroganz um. Ihre Bescheidenheit überraschte mich immer wieder.

Ich bog in die Alastair-Road ein, die direkt auf Keiras Haus zuführte und an den Seiten von Kastanien flankiert war. Ein nerviges Detail, wenn die Kastanien reif waren und einem bei der Fahrt auf den Kopf fielen. Wie immer bekam ich die meisten ab, während Keira keine einzige traf. Ich hielt meinen Mustang stets mit quietschenden Reifen an. Ein Ritual, das ich selbst unter diesen Umständen nicht vernachlässigen wollte.

»Danke fürs Heimbringen.«

Keira wollte gerade aussteigen, als ich sie am Arm packte und noch einmal umarmte.

»Du weißt, dass du jederzeit zu mir kommen kannst.«

Sie nickte dankend und zugleich traurig. Ich ließ sie nur ungern aussteigen, aber ich wusste, dass sie ihren Vater nicht ewig allein lassen konnte. Als sie vor ihrer Tür stand, rief ich ihr noch hinterher.

»Ruf mich an, wenn etwas passiert oder wenn ihr etwas braucht.«

Wieder nickte sie und winkte mir verabschiedend zu, bevor sie die Tür hinter sich ins Schloss zog. Während der ganzen Fahrt zurück durch Amalen zu meinem - etwas außerhalb liegenden - Haus oder eher Anwesen konnte ich Keiras Augen nicht vergessen. Ich wusste nicht, wann ich sie das letzte Mal so schmerzerfüllt gesehen hatte. Ich kam zu dem Schluss, dass ich das wohl noch nie hatte. Ich brannte nun darauf, das ewig gemiedene Zimmer meines Großvaters zu betreten. Ich hoffte etwas in der Truhe zu finden, dass den Funken Hoffnung in Keiras Augen in ein Feuer verwandeln konnte. Irgendetwas musste es geben, womit den Machenschaften des Zirkels das Handwerk zu legen war. In Filmen fand der Held auch immer einen Ausweg. Und irgendwoher mussten doch die Autoren ihre Ideen haben.

Ich fuhr mal wieder viel zu schnell. Die Bäume am Rand der Straße verschwammen zu einem einzigen grünen Schleier und die anderen Häuser nahm ich gar nicht mehr wahr. Als ich in meine Auffahrt einbog, war es ein Wunder, dass ich nicht von der Fahrbahn abkam. Das Anwesen, das ich mein Eigentum nannte - ich war schließlich die einzige lebende Alverra und somit die einzige Erbin des gesamten Vermögens und sämtlicher anderen Habseligkeiten - war groß, für Amalen allerdings war es das reinste Schloss. Es war fast peinlich alleine in diesem riesigen Haus zu wohnen. Naja, ganz alleine war ich nicht. Da waren immer noch die zwei Haushälterinnen und der unabkömmliche Gärtner. Aber ich sah eigentlich nie einen von ihnen. Sie hielten Haus und Garten instand wie kleine Fabelwesen die bei Nacht herauskamen und alle Hausarbeiten erledigten.

Die Außenfassade des Hauses war aus alten naturgebrannten Steinen. Die Türen sowie die Fensterrahmen waren aus einem dunklen Holz. Die Ziegel auf dem Dach waren schwarz. Ich mochte den Stil des Hauses. Ich nutze eigentlich nur den mittleren Teil. Unter dem mittleren Teil verstand ich mein Schlafzimmer, ein Bad, Küche und ein viel zu großes Wohnzimmer. Sie waren alle nebeneinander angelegt. Ich betrachtete sie oft, als meine eigenständige Wohnung, die getrennt vom Rest des Hauses. existierte. Außer ihr gab es noch den Teil des Hauses, in dem die Bediensteten wohnten. Das riesige Zimmer, dass wohl mal das Schlafzimmer meiner Eltern gewesen war und den verhassten Teil, indem mein Großvater lebte, bevor er mich alleine gelassen hatte. Die Tür, die dorthin führte, hatte ich vor Jahren verschlossen, sodass nicht einmal die Haushälterinnen darin aufräumen konnten. Der Schlüssel schlummerte unangefasst in der untersten Schublade meines Schreibtisches und war wahrscheinlich von einer dicken Staubschicht überzogen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er in der ganzen Zeit allmählich verfallen wäre. Natürlich war er das nicht. Soweit ich wusste, wurde Metall nicht einfach mal ebenso von der Natur zersetzt.

Ich sah mich kaum um, als mein Auto mit einer Staubwolke vor der Haustür zum Stehen kam. Ich schloss es auch nicht ab. Warum auch? Das große eiserne Tor an der Einfahrt verhinderte, dass ich ungewollten Besuch bekam. Auch im Innern verschwendete ich keine Zeit.

Ich lief geradewegs auf meinen Schreibtisch zu. Ein antikes Stück, wie fast alles in diesem Haus. Er stand in meinem Schlafzimmer direkt unter dem Fenster, was einen Blick auf den weitläufigen Garten ermöglichte. Diese Tatsache machte es mir fast immer unmöglich mich zu konzentrieren, wenn ich ernsthaft versuchte etwas zu arbeiten. Mein Blick glitt dann jedes Mal hinaus und verfing sich an den einfachsten Sachen.

Heute ließ ich mich davon nicht abhalten. Meine Finger schlossen sich zielstrebig um den Griff der Schublade und zogen sie mit einem Ruck heraus. Sie klemmte, so lange hatte ich sie schon nicht mehr geöffnet. Ich sah in das geöffnete Fach, und außer dem – wie erwartet - eingestaubten Schlüssel, war nichts darin. Ich musste niesen als ich mit meiner Handbewegung den Staub aufwirbelte und er mir unangenehm in der Nase kitzelte.

Der Schlüssel lag schwer in meiner Hand. Als würde das Gewicht seiner Bedeutung auch noch auf ihm lasten. Ich steckte ihn in meine ohnehin schon ausgebeulte Jeanstasche und verlies mein Zimmer in Richtung der verhassten Tür. Mit jedem Schritt schienen meine Beine schwerer zu werden und mein Herz schneller zu schlagen. Vor der Tür lag ein alter Teppich und es kam, wie es kommen musste…

Ich verhedderte mich und stolperte wie immer über meine eigenen Füße. Als ich mich endlich wieder aufgerappelt hatte, fummelte ich in meiner Tasche herum und zog den Schlüssel umständlich heraus. Ich war natürlich genau auf ihn gefallen und konnte geradezu spüren, wie sich unter dem Jeansstoff ein dicker, fetter, blauer Fleck auf meinem Oberschenkel bildete. Der würde morgen gut wehtun.

Widerstrebend öffnete ich die Tür und stieß sie wie eine Tor in meine eigene Vergangenheit auf. Dahinter erstreckte sich ein langer, dunkler Flur. Es dauerte eine Ewigkeit bis die Lichter angingen, nachdem ich einen Schalter gefunden hatte. Es überraschte mich nicht, dass entlang des Flures mindestens drei Glühbirnen durchbrannten. Sie waren wahrscheinlich noch Überbleibsel aus den frühen Jahren des Hauses.

Obwohl ich zehn Jahre nicht mehr in diesem Teil des Hauses war, wusste ich noch genau, in welches Zimmer ich gehen musste. Es lang auf der linken Seite am Ende des Flures. Der Weg bis dorthin kam mir viel zu lange vor. So groß war mein Haus auch wieder nicht. Ich achtete auf etwaige Stolperfallen. Ein neuer blauer Fleck reichte für heute. Unwillkürlich glitten meine Finger über die Stelle, wo vor Minuten noch der Schlüssel gewesen war. Ich zuckte schon jetzt bei der Berührung zusammen.

»So ein Mist. Verfluchte Teppiche«, fluchte ich gut hörbar. Ich sollte das Haus von sämtlichen Stolperfallen befreien. Vielleicht würde mir das die eine oder andere Verletzung ersparen. Andererseits fiel es mir schwer mich von Sachen zu trennen, die einmal meiner Mutter und meinem Vater gehörten. Also würden die Teppiche bleiben. Die Täfelung des Flures war dunkel und übersät mit den verschiedensten Landschaftsgemälden. Mein Großvater hatte anscheinend nicht viel von Kameras gehalten.

Als ich an einem bodenhohen Spiegel vorbei kam, blieb ich unvermittelt stehen. Mein Spiegelbild schien mir ein wenig fremd. Ich sah mich aus den gewohnten eisblauen Augen an, die trotz ihrer Farbe nicht kalt wirkten. Meine dunkelbraunen Haare, die manchmal sogar schwarz wirkten, waren in meinem gewohnten Zopf zurückgebunden. Mein Pony fiel mir wie immer ungezähmt in die Stirn. Ich sah ernst aus, aber auch das war nicht ungewöhnlich. Wie sonst sollte jemand aussehen, der schon mit neun so ziemlich alleine gelebt hatte. Meine Jeans war dunkel und hier und dort von diversen, kleinen Unfällen mitgenommen. An den Knien war der Stoff schon ausgedünnt und kurz vorm Reißen. Ich trug ein einfaches, petrolblaues Top mit meinem bevorzugten V-Ausschnitt und längeren Ärmeln. Also eigentlich sah ich aus wie immer. Eine Tatsache, die mich normalerweise ärgerte. Ich kam nicht darauf, was anders sein sollte. Vielleicht sah ich abgestumpfter aus. Konnte es das sein? Verschloss ich mich gerade gegen jede Emotion? Immerhin war ich das erste Mal seit zehn Jahren in diesem Teil des Hauses und ich fühlte nichts. Ich zuckte ungerührt mit den Schultern und ging weiter. Ich schuldete meinem Großvater nicht einmal mehr den geringsten Anflug einer Gefühlsregung.

Mein Blick fiel wieder auf eines der Landschaftsbilder. Ich erkannte darin die Umrisse einer entfernten Stadt. Für einen Moment überlegte ich, welche Stadt es sein könnte. Vielleicht Furn, das weiter im Süden lag? Mein Herz klopfte schneller, als ich vor der mir vertrauten und zugleich fremden Tür stand. Sie knarrte und ließ sich nur schwer aufstoßen. Das Zimmer dahinter war viel zu groß, um als alleiniges Schlafzimmer zu gelten. Zusammen mit einem überdimensionalen Bett, in dem seit Jahren keiner mehr geschlafen hatte, befand sich dort auch eine komplette Couchgarnitur. Ich hatte kaum einen Blick übrig für das restliche Eigentum meines Großvaters. Ich wollte die Truhe holen und dann alles so hinterlassen, wie es seit Jahren war. Einen Moment blieb ich stehen, und drehte mich einmal im Kreis, bis ich die Truhe am Ende des Bettes entdeckte.

Ich hoffte, dass sie nicht allzu schwer sein würde. Und das war sie absolut nicht. Dennoch musste ich mich weit nach hinten lehnen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ich wollte wirklich nicht mit der Truhe in der Hand hinfallen. Der blaue Fleck würde mich Wochen quälen, wenn es nur bei einem blauen Fleck bleiben würde. Vorsichtig schleppte ich mich zurück in mein Zimmer und beäugte jeden Teppich mit feindseligem Blick.

Ich setzte die Truhe vor meinem Bett auf den Fußboden und blies einmal auf ihren Deckel. Eine Kleinigkeit, die ich gleich wieder bereute. Die auftreibende Staubwolke kitzelte so stark, dass ich neunmal niesen musste. Erst jetzt viel mir das schwere Vorhängeschloss auf. Ich fluchte leise. Woher zum Teufel sollte ich die Kombination kennen, um es zu öffnen? Ich versuchte mich zu erinnern, ob mein Großvater jemals vier Zahlen besonders hervorgehoben hatte, aber mir fielen keine ein. Frustriert ließ ich mich mit einem dumpfen Schlag auf den Boden sinken.

Ich starrte die Truhe vorwurfsvoll an, als würde das Schloss sich davon öffnen lassen. Unwillkürlich gab ich Zahlen ein, wie sie mir gerade in den Sinn kamen. Eins, fünf, sieben, drei … neun, sechs, eins, zwei … kein einziges Mal hörte ich ein leises, verräterisches Klicken. Ich wollte schon aufgeben, als ich es doch noch hörte. Ein Klicken und das Schloss landete mit einem trägen »Klonk« auf dem Boden. Überrascht starrte ich auf die eingegebenen Zahlen. Eins, fünf, null und acht. In meiner Unachtsamkeit hatte ich mein Geburtsdatum eingegeben. Nichts worüber ich mir jetzt Gedanken machte. Wahrscheinlich nur ein dummer Zufall.

Der Deckel der Truhe klemmte. Ich setzte meine gesamte Kraft ein. Sie wollte sich nicht öffnen. Ich trat hinter die Truhe, um so mein gesamtes Körpergewicht einsetzen zu können. Wäre Keira hier gewesen, hätte sie bereits gewusst, was als Nächstes passieren würde. Mit einem Ruck zog ich den Deckel nach oben. Die plötzliche Aufgabe des Widerstands und der verdammte Teppich – der natürlich unter mir wegrutschte – führte dazu das ich rückwärts stolperte und mit meinem Kopf auf die Bettkante knallte. Ein explodierender Schmerz entbrannte an meinem Hinterkopf. Mit einer viel zu routinemäßigen Bewegung griff ich mir an den Hinterkopf und suchte nach der Beule und eventuellem Blut. Ich hatte Glück, da war keins. Aber das machte das Pochen nicht weniger schmerzhaft. Erneut fluchte ich. Blöde Truhe! Ich hoffte, dass der Inhalt den ganzen Ärger wert war. Er war es nicht. Sie war leer. Wütend stand ich auf und trat mit voller Wucht dagegen. Wieder eine schlechte Idee. Aber der Tritt führte dazu, das ein Stück Holz aus dem Deckel brach und ein darunter liegendes Papier freigab. Während ich innerlich noch fluchte und mir den nun auch noch schmerzenden Fuß rieb, versuchte ich die krakelige Schrift zu entziffern.

 

Von mir gibt es zwei. Eine ist leer, die andere sehr schwer. Um meinen Zwilling zu finden, musst du steigen hinab, wo die Unendlichkeit ihr Zuhause hat. Ein Licht ist von Nöten, um zu durchdringen die schwarze Nacht.

 

Ungläubig starrte ich auf das zerknitterte und gelbliche Papier. Es war ganz offensichtlich die Handschrift meines Großvaters. Und wie es aussah, war es nichts weiter als das wirre Gebrabbel eines alten Mannes. Verärgert zerknüllte ich das Papier in meiner Hand und warf es in eine Ecke des Zimmers. Was zur Hölle sollte das bedeuten? Der Tag, der so normal angefangen hat, war zu einem reinen Rätsel geworden. Säuerlich machte ich mich fürs Bett fertig und rieb mir Wundsalbe auf die vom Tag gezeichneten Stellen. Ich fand kaum eine Position, in der ich bequem liegen konnte. Als ich schließlich einschlief, verkündeten mir die leuchtenden Ziffern des Radioweckers, dass es bereits vier Uhr morgens war.

2 Blessuren und blaue Flecke

 

Mir blinkte eine verächtliche Fünf entgegen, als ich aus meinem sehr kurzen Schlaf aufschreckte. Immer und immer wieder hatte die fast schon vergessene Stimme meines Großvaters sein blödes Rätsel zitiert. Unaufhaltsam. Mit jeder Wiederholung schimmerten verschwommene Bilder in meinem Traum auf. Bis sich zu jedem Satz eines zugeordnet hatte. Ich schrak hoch, da ich plötzlich wusste, wohin ich gehen musste, um die zweite Truhe zu finden. Dafür waren die verwirrenden Träume gut gewesen. Eigentlich war es mir zu dumm der Schnitzeljagd meines Großvaters zu folgen, aber welche Wahl hatte ich denn schon. Irgendeinen wichtigen Grund musste seine Mühe ja haben.

Ich drehte mich wieder auf die Seite und versuchte wenigstens noch zwei Stunden zu schlafen. In die Nacht hinaus zu gehen, wäre keine gute Idee. Jetzt da die Seelenjäger und Sammler in Amalen waren, wäre es eine überhebliche Herausforderung an das Schicksal. Ich konnte nicht wieder einschlafen. Natürlich nicht. Stattdessen pochte die Beule an meinem Hinterkopf und ich hatte äußerst fiese Kopfschmerzen. Widerwillig schwang ich mich aus dem Bett und blieb taumelnd stehen. Kopfschmerzen und schwunghafte Bewegungen waren definitiv keine gute Kombination.

Mit nackten Füßen tappte ich über den kalten Fußboden und steuerte auf das Badezimmer zu. Irgendwo hatte ich einen Vorrat an Kopfschmerztabletten angelegt für genau diese Anlässe. Leider war ich nicht der ordentlichste Mensch und brauchte ganze fünf Minuten, bis ich die richtige Schachtel im Chaos des Spiegelschrankes fand. Jetzt fehlte nur noch ein Glas Wasser, um die Dinger auch runter zu spülen. Ich hasste es barfuß über den, von der Nacht, kalten Boden zu laufen, aber ich hatte keine Ahnung, wo meine Hausschuhe waren. In der Dunkelheit musste ich natürlich in der Küche gegen den Tisch laufen. Ich verfluchte den Architekten für seine bescheuerte Idee, den Lichtschalter an der anderen Seite des Raumes anzubringen. Die Wasserflasche auf der Theke war selbstverständlich leer, also begnügte ich mich mit einem Glas Leitungswasser. Was sogleich einen leichten Würgereflex auslöste. Ich hasste stilles Wasser. Gelangweilt und darauf wartend, dass die Tabletten endlich anschlugen, mummelte ich mich in meinem Lieblingssessel und schaltete den Fernseher ein. Es lief nichts, was ich wirklich sehen wollte, nur lauter Wiederholungen von längst abgesetzt und ausgelutschten Serien. Aber was sollte man um halb sechs Uhr morgens schon anderes erwarten. Ich sah ohnehin nicht zu. Mein Blick wanderte immer wieder hinaus zum Himmel und suchte nach den ersten Anzeichen des Sonnenaufgangs. Ich wollte so früh wie möglich los. Es war besser, wenn Keira nichts von meinem Vorhaben wusste. Sie würde mich umbringen, wenn sie auch nur ahnte, was ich in spätestens zwei Stunden machen würde.

Als die alte Uhr im nächsten Raum sechs schlug, schlurfte ich müde zurück in mein Zimmer. Wie immer zog ich eine Jeans aus meinem Schrank und durchwühlte den frisch gewaschenen Stapel nach einem meiner Lieblingsoberteile. Es war schwarz und passte mir einfach perfekt. Das Outfit stand. Wenn man es als solches beschreiben konnte. Ich machte mir eigentlich nicht besonders viel aus Kleidung. Wenn sie passten und nicht zu peinlich waren, erfüllten sie ihren Zweck. Ich flitzte in den Keller. Soweit ich voraussagen konnte, würde ich auf jeden Fall eine Taschenlampe brauchen. Seile waren anscheinend auch von Nöten. Zumindest wenn ich dem Rätsel glaubte.  Es lag so viel verschiedenes Zeug in den alten, wackeligen Regalen, dass ich fast eine halbe Stunde brauchte, bis ich Seil und Lampe fand. Ich sah aus dem winzigen Kellerfenster und konnte erahnen, dass es inzwischen hell war. Höchste Zeit aufzubrechen.

Ich sprang in meinen Mustang und ließ, wie üblich, den Motor aufheulen und fuhr mit durchdrehenden Reifen los. Die Staubwolke in der Auffahrt war gigantisch und nahm den gesamten Rückspiegel ein. Ich raste über den trockenen Boden direkt auf die Schlucht zu. Ich liebte es schnell zu fahren und eine schöne Vollbremsung schien mir eine spaßige Idee. Ein Glück, das ich eine gute Werkstatt hatte, die meinen Mustang immer im besten Zustand hielt. Ich lachte, als die Reifen über den Schotterboden rutschten und schließlich zum Stehen kamen. Mein schwarzes T-Shirt war jetzt nicht mehr ganz so schwarz.

Ich stieg aus, schlug die Wagentür zu und klopfte mir erstmal ein wenig den Staub ab. Zielstrebig holte ich die Lampe und die Seile von der Rückbank. Ich war mir noch nicht ganz sicher, wo genau die Höhle in der Wand der Schlucht sein sollte. Ich war mir allerdings ziemlich sicher, dass dies das Rätsel meines Großvaters bedeutete. Dass in der Wand der Schlucht ein Versteck lag, indem ich die zweite Truhe finden würde.

Die Anwohner nannten die Schlucht auch die Schlucht der Unendlichkeit. Und hinab steigen, war ja wohl mehr als eindeutig. Ich musste nur noch die Stelle finden. Dafür gab es keinen Hinweis im Rätsel. Blöder alter… Er hätte sich wenigstens dazu herablassen können etwas mehr preiszugeben. Oder erwartete er, dass ich tagelang an der Wand hing und jeden Meter absuchte? Irgendwie musste er mir auch schon die richtige Stelle mitgeteilt haben. Vielleicht wieder irgendeine unwichtige Bemerkung. Wie schwachsinnig einem sechsjährigem Kind lauter versteckte Rätsel zu sagen und zu erwarten, dass ich mich ohne Probleme daran erinnern würde.

Ich stand an der Klippe und sah in die Schlucht hinunter. Wie immer konnte man ihren Boden nicht einmal erahnen. Ihren Namen hatte sie sich wirklich verdient. Also wo sollte ich anfangen zu suchen? Lange hatte ich sicherlich nicht mehr Zeit, dann würde das Handy in meiner rechten Hosentasche anfangen zu vibrieren. Keira würde sich nicht lange mit einer Funkstille zufriedengeben. Dazu machte sie sich immer viel zu viele Sorgen um mich. Und heute konnte ich ihr das nicht wirklich übel nehmen. In eine Schlucht hinabsteigen war nicht gerade das Vernünftigste, was man machen konnte. Andererseits war mein eigenes Haus für mich fast genauso gefährlich. Kein Grund diesem Geheimnis nicht nachzugehen.

Ich lief an der Klippe entlang und lehnte mich immer wieder über den Rand. Ich hoffte etwas zu sehen, dass meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen würde. Einen Ast, vielleicht auch eine merkwürdige Felsenformation an der gegenüberliegenden Seite. Als ich nach einer halben Stunde immer noch nichts gefunden hatte, setzte ich mich frustriert in den Staub. Ohne eine wirkliche Idee würde das hier viel zu lange dauern. Ich schloss die Augen und versuchte mich zu konzentrieren. Ich versuchte mich an alles zu erinnern, was mein Großvater jemals zu mir gesagt hatte. Ich sah lauter Gesprächsfetzen vor mir, aber keiner half mir weiter. Irgendeinen Anhaltspunkt musste es doch geben.

Ich griff nach einem Stein und warf ihn unwirsch in die Schlucht hinunter. Ich hörte, wie er einige Male gegen die Wand schlug oder von hervorstehenden Felsen abprallte. Das war es! Ein hervorstehender Felsen in einer ungewöhnlichen Form. Ich erinnerte mich. Mein Großvater hatte mich festgehalten, als wir uns zusammen über die Klippe lehnten und er hinunter deutete. Das faltige Gesicht lächelte mich wieder an und wies mit einem vom Alter gekrümmten Finger in die Schlucht. Er zeigte mir einen Felsen dessen Form aussah wie ein brüllender Löwe. Zumindest, wenn man seine ganze Fantasie einsetzte. Die Stelle war nicht besonders weit von dem Eingang unseres Tals entfernt. Aufgeregt rannte ich zurück zu meinem Mustang und fuhr ihn zu der Stelle, wo sich nach meiner Erinnerung der Fels befand.

Fast schon übermütig lehnte ich mich über die Kante und starrte die Wand entlang. Dort war es. Ich hatte die Stelle wirklich gefunden. Ein dunkelgrauer bis ins Rotbraun reichender Fels in der Form eines brüllenden Löwen. Ich band das Seil um die Anhängerkupplung meines Autos und knotete das andere Ende um einen Karabiner, der an dem Bergsteigergürtel befestigt war. Ein weiteres Seil legte ich mir über die Schulter. Die Taschenlampe steckte ich ebenfalls in den Gürtel. Diese ganze alte Bergsteiger-Kluft hatte ich neben den Seilen gefunden. Und nun konnte ich mir nur zu gut vorstellen, bei welcher Gelegenheit sie das letzte Mal verwendet wurde. Das alles war fast zu verrückt, um es zu glauben. Langsam, und mit klopfendem Herzen, kletterte ich die Felswand hinunter. Fast hätte ich den Halt verloren, als ich mich über das eigentlich schon erwartete Surren meines Handys erschreckte.

»Keira! Gerade jetzt. Blöder Mist!«, fluchte ich.

Wenn ich nicht antwortete, würde sie durchdrehen. Eine Stunde und sie würde die Wände hinauf gehen, wenn sie mein leeres Haus von oben bis unten durchsucht hatte. Ich versuchte das Kitzeln zu ignorieren. Ich musste mich einfach beeilen. Was anderes konnte ich jetzt eh nicht unternehmen. Immerhin hing ich gerade an einem Seil in einer Schlucht. Jetzt das Handy rauszuholen wäre einfach bescheuert. So weit war der Fels nicht weg, aber es kam mir trotzdem quälend lange vor. Ich suchte mit meinem rechten Fuß nach einem neuen Halt und erschrak furchtbar, als er im Nichts landete. Ich sah an mir hinunter. Was sich als schwierig erwies, da mein Gesicht nicht wirklich weit von der Felswand entfernt war. Aber offensichtlich befand sich gleich unter mir der Eingang zur Höhle. Ich wusste nicht, wie groß sie war. Ich kletterte zur Seite, bis ich genau neben ihr an der Wand hing. Seitlich arbeitete ich mich weiter heran, bis ich mich um die Ecke wand und erschöpft in dem dunklen Loch verschwand.

Um ehrlich zu sein, war ich mehr als überrascht, dass ich noch lebte und das auch noch unverletzt. Schwer atmend zog ich die Taschenlampe aus dem Gürtel. Oder das wollte ich. Sie hatte sich verharkt. Ich zerrte solange an ihr, bis sie nachgab und mein Ellenbogen unkontrolliert gegen die Decke prallte. Erde und kleine Steinchen rieselten auf mich herab. Mein Ellenbogen brannte. Ich musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass ich mir mindestens die erste Hautschicht aufgeschürft hatte. Vielleicht hätte ich ein anderes Oberteil wählen sollen. Eines das lange Ärmel hatte, wäre zum Beispiel eine gute Wahl gewesen. Im Nachhinein war man immer schlauer.

Ich schaltete die Taschenlampe ein. Sie funktionierte nicht. Wütend schlug ich damit gegen die Wand und endlich erschien ein Lichtkegel, der ein schwaches Licht abgab. Aber das war immerhin besser als gar nichts. Ich befand mich eher in einer Art Tunnel als Höhle. Das Licht reichte nicht bis zum Ende, also kroch ich auf Händen und Füßen vorwärts. Ich spürte wie sich kleine spitze Steinchen in meine Handflächen gruben und schon nach kurzer Zeit schmerzende Abdrücke hinterließen. Ich musste bereits fünf Meter weit sein, als ich endlich die Truhe sah. Ich konnte es kaum fassen. Dort stand wirklich eine Truhe. Sie war kleiner, als die im Schlafzimmer meines Großvaters. Und er hatte sie mit größter Mühe versteckt. Was zum Teufel war so viel Aufwand und Geheimnistuerei wert?

Mein Handy vibrierte zum dritten Mal. Blöder Mist! Ich würde jede Wette eingehen, dass Keira mein Haus schon verlassen vorgefunden hatte. Das Fehlen meines Mustangs war ihr sicher auch nicht entgangen. Wahrscheinlich hatte sie auch ein Kreuzverhör mit den Angestellten geführt. Die wussten natürlich nicht das Geringste von dem, was ich gerade trieb. Ich redete nicht mit ihnen und war mir nicht mal sicher, ob ich ihre richtigen Vornamen kannte. Roberta und Irsa, glaubte ich zumindest. Ich hing jetzt zwar nicht mehr an einer Wand, aber Platz in meine Hosentasche zu fassen, hatte ich auch nicht. Keira musste also noch warten.

Die Truhe war so verdreckt, dass sie durchaus als ein Stück Gestein hätte durchgehen können. Zum Glück hatte sie wie die andere an beiden Seiten Henkel, die noch recht stabil wirkten. Ich schlang das zweite Seil hindurch und befestigte es so gut ich konnte. Ich zog sie hinter mir zurück zum Ausgang oder Eingang, wie man es nahm. Es war die Hölle. Ich fühlte mich wie ein Zugpferd, dass vor einen viel zu schweren Wagen gespannt war. Ich hatte tierische Angst wieder nach oben zu klettern, aber ersparen konnte ich mir das wohl kaum, außer ich beschloss zu der Familie der Maulwürfe überzuwechseln und mich an die Oberfläche zu graben. Eine Möglichkeit, die ich allerdings nicht wirklich in Betracht zog. Ich hoffte, dass das Seil lang genug war, dass ich vielleicht die Kante erreichte ohne, dass das Gewicht die Truhe an mir hing. Und tatsächlich schien es so zu kommen. Die Truhe schien noch in der Höhle zu sein.

Ich spürte schon wie Erleichterung mich durchströmte, als ich mit der rechten Hand über der Kante griff. Ich verlor den Halt und wurde von meinem eigenen Gewicht in die Tiefe gezogen. Ich sah schon, wie ich unkontrolliert gegen die Felswand schlug. Ich hätte das alles besser durchdenken sollen. Bevor aus meiner Vorstellung Realität wurde, spürte ich wie eine Hand mich fest um mein Handgelenk packte. Der Ruck, der durch meinen Körper fuhr, war nicht wenig schmerzhaft, aber beruhigend. Das war immer noch besser, als frontal mit einer Wand zu kollidieren. Ich hörte die Person über mir vor Anstrengung stöhnen. Ich musste nicht aufsehen, um zu wissen, wer mich dort vor dem Sturz bewahrte. Nicht zuletzt, weil ich das Armband erkannte, das sich in meinen Arm grub, als sie mich über die Kante zog und mit einem Ächzen auf ihrem Rücken landete. Es war ein schön verzierter Metallreif. Ich kannte das Schmuckstück, weil ich es seiner Besitzerin geschenkt hatte. Während ich Keiras wütenden Blick schon auf mir spürte, zog ich mit aller Kraft am Seil, an dem die Truhe hing. Ich schaffte es nicht alleine. Durch zusammengebissenen Zähnen stieß ich hervor, »Könntest du mir mal helfen? Das ist ein wenig schwer.«

Es klang fast wie ein Fauchen, als sie antwortete: »Nur, wenn ich dich danach umbringen darf!«

Ich unterdrückte ein Kichern. Das war genau die Reaktion, die ich erwartet hatte. Jetzt lachte ich noch, aber gleich würde ich mir eine Schimpftirade anhören müssen. Keira hatte ein Temperament, das leicht mit ihr durchging, wenn sie sich aufregte oder besorgt war. Beides kam nicht gerade selten vor. Sie zog mit immer noch zornfunkelnden Blick am Seil, während ich nach der Truhe angelte und sie über die Kante hievte. Ich konnte mich kein Stück mehr bewegen, so kraftlos fühlte ich mich. Ich lag einfach nur im Staub und sah in die unbarmherzig brennende Sonne. Eine schwarze Kontur erhob sich und baute sich bedrohlich vor mir auf. Ich schluckte. Jetzt würde es losgehen. Mühsam richtete ich mich ein wenig auf und bohrte die Ellbogen in die trockene Erde. Dabei durchzuckte mich ein Schmerz. Ich hatte die Schürfwunde vergessen. Ich biss mir auf die Lippen und entschied mich dazu es auszuhalten. Würde Keira jetzt auch noch meinen geschundenen Arm sehen, würde sie völlig ausflippen.

»Willst du dich eigentlich umbringen?«

Sie schrie so laut, dass ich dachte ganz Amalen könnte sie hören. »Hast du mal daran gedacht, was passiert wäre, wenn ich dich hier nicht gesucht hätte? Du wärst da eben abgestürzt und wer weiß wie viele Meter in die Tiefe gestürzt! Bist du bescheuert?«

Das waren alles keine Fragen, auf die sie eine Antwort hören wollte. Ich musste warten, bis sie Dampf abgelassen hatte. Erst dann würde sie mir einigermaßen zuhören. Nicht, dass ich auch nur die kleinste Idee hatte, wie ich das hier rechtfertigen sollte.

»Weißt du eigentlich, wie viel Sorgen ich mir gemacht habe, als du nicht an dein Handy gegangen bist? Hast du schon vergessen, was vorgestern passiert ist? Ich dachte ich komme in dein Haus und finde deinen seelenlosen Körper auch irgendwo auf dem Boden liegen. Hast du daran mal gedacht? Wie ich mich fühlen würde, wenn dir jetzt auch noch etwas passiert? Hast du nur den kleinsten Gedanken daran verschwendet? Du hast mir gestern erst versprochen besser aufzupassen und das Erste, was du heute tust, ist dich von der Kante zu stürzen! Du bist doch bekloppt! Du spinnst! Du bist total durchgeknallt! Warum machst du so etwas? Ich dachte ich sehe nicht richtig, als dein Auto so nah am Abgrund stand und ein einziges ungesichertes Seil an der Anhängerkupplung hing. Du bist doch lebensmüde! Warum zum Teufel hast du das gemacht?«

Ich wusste, dass es jetzt gleich zu Ende war. Unsanft zog sie mich auf meine Beine und umarmte mich so stürmisch, dass ich drohte das Gleichgewicht zu verlieren.

»Blöde Kuh!«

Ich grinste. Zum Glück konnte sie das nicht sehen, dann hätte sie noch einmal von vorne angefangen.

»Es ist alles in Ordnung Keira. Wirklich mir ist nichts passiert.«

Naja, fast stimmte das ja. Bis auf die eine oder andere Abschürfung und dem Binahe-Absturz, war ja auch nichts passiert.

»Ja, weil ich rechtzeitig gekommen bin! Und glaube ja nicht, du könntest deine blutenden Hände oder deinen Ellbogen vor mir verbergen.«

Mist! Ihren Augen entging auch nichts. Ich biss mir verärgert auf die Lippen. Wenigstens wusste sie nichts von meiner Beule am Kopf, dem blauen Fleck in Schlüsselform und dem leicht geprellten Fußzeh. Wenn ich so sämtliche Verletzungen der letzten zwei Tage in Gedanken aufzählte, musste ich eingestehen, dass es selbst für mich ungewöhnlich viele waren. 

»Ich hasse dich.«

Sie versuchte es ernsthaft klingen zu lassen, aber ich kannte sie besser.

»Tust du nicht.«

Sie lachte erstickt.

»Du bist echt eine blöde Kuh.«

Ich zuckte mit den Schultern und erwiderte wieder, »Bin ich nicht.«

Sie ließ mich endlich aus ihrem Klammergriff entkommen und musterte mein sicherlich schockierendes Aussehen. Ich riskierte selbst einen schnellen Blick. Meine Jeans war an den Knien endgültig aufgerissen und an diversen anderen Stellen völlig verdreckt. Mein T-Shirt ließ nicht mehr so ganz Rückschlüsse ziehen, welche Farbe es ursprünglich hatte. In meinem Haar schien ein ganzer Erdhügel gelandet zu sein. Meine Arme waren mit Dreck verkrustet und völlig zerkratzt. Die Schürfwunde war tiefer als ich erwartet hatte und Blut lief immer noch meinen Arm hinab. Das musste ich mindestens verbinden. Meine Handflächen waren auch nicht gerade ein netter Anblick. Wie mein Gesicht aussah, wollte ich gar nicht erst wissen.

»Du siehst Scheiße aus«, kam Keiras nüchterner Kommentar.

»Da hast du wohl recht.«

Ich zuckte unschuldig mit den Schultern. Es verfehlte seine Wirkung nicht. Keira lachte, dass sie sich den Bauch halten musste und Tränen in ihre Augen stiegen. Sie hatte mir meine Leichtsinnigkeit noch nicht ganz verziehen, aber viel länger würde sie nicht mehr sauer sein. Mühsam brachte sie sich wieder unter Kontrolle und versuchte mich wieder böse anzufunkeln. Das funktionierte nicht ganz so gut wie sonst, da ihr Lachen immer noch in ihren Augen war.

»Aber jetzt mal im Ernst, was hast du da bloß gemacht? Und was ist das für eine dämliche Truhe, die ja offensichtlich dein Leben wert ist.«

Sie kickte leicht gegen die Truhe. Im Gegensatz zu mir, prellte sie sich dabei keinen Zeh. Ich biss mir wieder auf die Lippen. Jetzt musste ich ihr doch alles erzählen.

»Ich habe die Truhe gesucht.«

Sie zog eine Augenbraue hoch.

»Die hast du ja auch gefunden. Und was hat es damit auf sich? Sind da drin weitere Millionen und du hast alles Geld ausgegeben, dass du besitzt, und brauchst jetzt Nachschub?«

Das Letzte klang missbilligend, deshalb versuchte ich sie vorwurfsvoll anzusehen. Keira wusste genau, dass ich keine Millionen besaß. Zumindest nicht ganz.

»Nein ,natürlich nicht. Ich weiß nicht, was in der Truhe ist.«

Der nächste böse Blick erreichte seine alte Perfektion. Ich fühlte, wie ich fast zusammenschrumpfte. Und dieses Mal hatte ich einen Grund ein schlechtes Gewissen zu haben.

»Das macht das Ganze nicht gerade besser.«

Keira sagte es so trocken, dass es fast schon wieder komisch war. Aber auch nur fast. Unruhig und mit der Miene eines Schwerverbrechers, trat ich von einem Fuß auf den anderen. Wobei mich jedes Mal Schmerz durchzuckte, wenn ich mein Gewicht auf den verletzten Fuß verlagerte.

»Können wir das Gespräch bei mir weiterführen? Mein Arm tut ziemlich weh.«

Keiras Blick wanderte zusammen mit meinem zu meinem Ellbogen. Das Blut tropfte inzwischen von meinem Arm auf den sandigen Boden. Ich hatte die Decke wohl viel härter getroffen, als ich anfangs gedacht hatte. Keira sah besorgt aus, versuchte es aber hinter ihrem Zorn zu verbergen.

»Daran bist du ja wohl alleine schuld.«

Blöderweise hatte sie wieder recht.

»Ich hab ja auch nix Gegenteiliges behauptet. Also können wir fahren?«

Sie musterte noch einmal meinen blutverschmierten Arm. Es war deutlich, dass ihre Sorge über ihr Temperament gewann.

»Na gut. Ich nehme an die blöde Truhe willst du mitnehmen.«

Was für eine Frage.

»Klar.«

Missbilligend half sie mir die Truhe in den Mustang zu heben.

»Wie bist du hergekommen?«

Keira hatte kein Auto, nur ein Fahrrad, das ich nirgendwo sehen konnte.

»Ich bin von dir aus gerannt.«

Damit hatte ich nicht gerechnet. Auch wenn es von mir hierher nicht so weit war, lief man trotzdem fast zwanzig Minuten. Sie hatte sich wirklich Sorgen gemacht. Schuldgefühle breiteten sich in meiner Magengegend aus.

»Tut mir leid«, flüsterte ich geknickt.

»Das hättest du dir früher überlegen sollen.«

Ich fuhr nicht so rasant wie zuvor. Das wäre jetzt noch die letzte Krönung gewesen und ich wäre für immer bei Keira in Ungnade gefallen. Wie selbstverständlich lief Keira ins Bad und zog mich unsanft hinter sich her.

»Setz dich«, befahl sie mir trocken.

Sie nickte zur Toilette. Brav nahm ich Platz und sah wie sie zielstrebig den Spiegelschrank, über dem Waschbecken, öffnete und sämtliche Wundsalben und Verbände heraus kramte. Sie nahm einen Waschlappen aus der nächstgelegenen Schublade und streckte mir ihre Hand entgegen.

»Gib mir deinen Arm.«

Um sie zu ärgern, streckte ich ihr den Falschen hin. Sie seufzte gereizt.

»Janlan stell dich nicht so blöd an. Du weißt genau, dass das nicht der richtige Arm ist.«

Ich spielte die Ahnungslose.

»Wieso den? Mit dem ist doch alles in Ordnung.«

Sie hob bedrohlich eine ihrer Augenbrauen. Ich sah ein, dass dies nicht die Zeit war sie weiter zu ärgern. Ich gab ihr den rechten Arm. Das Ausstrecken tat nicht gerade gut und riss den frischen Schorf auf. Vorsichtig fing sie an das Blut abzuwischen. Je näher sie der eigentlichen Verletzung kam, umso gereizter war meine Haut. Als sie schließlich dazu kam den ganzen Dreck zu entfernen, zuckte ich mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen. Blöderweise entwischte mir ein Stöhnen.

»Tut’s weh?«

Was für eine bescheuerte Frage.

»Ja«, grummelte ich zur Antwort.

Sie sah mich spöttisch an.

»Gut.«

Ich schenkte Keira einen wütenden Blick.

»Danke für dein Mitgefühl.«

Das war das Falsche.

»Soll ich dich auch noch für deine Dummheit bemuttern? Ich hab dir gesagt, dass du besser aufpassen sollst. Und was du da heute gemacht hast, kann man wohl kaum als besser aufpassen bezeichnen.«

Ich atmete genervt aus.

»Ist ja gut. Ich weiß, dass das blöd war.«

»Ehrlich? Das fandest du blöd? Merkwürdig ist mir gar nicht so vorgekommen.«

Zynismus. Etwas worin wir beide gut waren.

»Hahaha… Sehr lustig«, gab ich zurück. Ich musste durch zusammengepresste Zähne reden. Inzwischen hatte sie Betaisodona-Salbe auf die Wunde getan. Das Brennen war unerträglich, als würde sich das Jod bis auf meine Knochen durchfressen.

»Du hast recht, das ist nicht lustig. Das versuche ich dir ja die ganze Zeit klarzumachen.«

Ich hatte gehofft sie hätte sich vorhin ausgetobt, aber das war wohl die falsche Hoffnung gewesen.

»Also, was ist in der Truhe?«, fragte sie schließlich, als sie den Verband fertig angelegt hatte. Was noch lange nicht hieß das ich meinen Behandlungsstuhl – die Toilette – verlassen durfte. Ich hatte noch genug Kratzer und Schürfwunden, um uns eine weitere Stunde zu beschäftigen. Widerwillig erzählte ich Keira vom Rätsel meines Großvaters. Ich sah wie der Funken Hoffnung in ihren Augen aufflammte, den ich gewünscht hatte, verhindern zu können, bis ich mir über den Inhalt der Truhe im Klaren war. Nun ja, blöd gelaufen. Keira bestand darauf die Truhe alleine zu tragen.

»Mit deinem Ellbogen kannst du die doch eh nicht heben.«

Womöglich hatte sie recht, aber ich mochte es nicht, wenn sie mich so sehr bemutterte. Ich trottete hinter ihr her, wie ein kleines trotziges Kind. Sie kam nur bis zum Schlafzimmer, und als sie die Truhe abstellte oder eher fallen ließ, bröckelte sämtlicher Rest Erde ab. Er verteilte sich auf dem bis dahin sauberen Teppich. Auch diese Truhe hatte ein Vorhängeschloss.

»Kennst du die Kombination?«

Keira sah mich skeptisch an. Ich zuckte mit den Schultern.

»Vielleicht.«

Ich stellte die Zahlen eins, fünf, null und acht ein. Eigentlich hatte ich erwartet, dass das Schloss aufging, aber es blieb verschlossen. Keira sah mich enttäuscht an. Ich überlegte einen Moment. Vielleicht war es doch kein Zufall gewesen.

»Lass mich noch mal etwas versuchen.«

Dieses Mal wählte ich die Zahlen eins, neun, neun, eins. Mein Geburtsjahr. Es klickte. Es war also wirklich kein Zufall.

»Woher wusstest du das?«

Keira wirkte überrascht.

»Die erste Truhe ging mit meinem Geburtstag auf. Ich dachte, dass es hier mit meinem Geburtsjahr klappen könnte. Reines Glück.«

Wir hielten die Luft an. Keira aus Anspannung, ich aus Furcht, dass der Inhalt so enttäuschend war, dass Keira mich gleich noch mal ausschimpfen würde. Die Truhe war nicht leer. Voll hätte ich auch nicht gesagt, aber definitiv nicht leer. Darin befanden sich ein Brief und eine kleine Schachtel. Sie hatte die Größe der Schachteln in die Juweliere immer ihre Ringe herausgaben. Ich öffnete sie zuerst. Und Überraschung. Es war wirklich eine Ringschachtel. Ich hielt einen Ring ins Licht, der mein Familienwappen trug. Einen brüllenden Löwen. In meinem Haus fand man dieses Wappen nicht mehr. Mein Großvater hatte alle entfernen lassen. Umso mehr wunderte es mich, dass er diesen Ring in der Truhe versteckt hatte. Warum sollte er sämtliche Wappen vernichten und nur dieses eine aufheben. Das ergab keinen Sinn. Keira hielt wortlos die Hand auf und streckte mir den Brief hin. Sie hatte ihn nicht geöffnet. Sie schien der Meinung zu sein, dass dies meine Aufgabe war. Ich gab ihr den Ring. Sie musterte ihn eingehend, während ich das alte Papier auseinander faltete. Es war genauso alt und gelblich wie der versteckte Zettel aus der ersten Truhe. Auch die Handschrift war dieselbe. Krakelig und zittrig, als wäre der Brief in Eile geschrieben worden.

 

 

Meine liebste Janlan,

ich hatte gehofft du würdest diesen Brief nie lesen. Es bricht mein altes Herz, dich mit dem Folgenden zu beauftragen. Die Welt hat sich verändert. In einer Art und Weise, wie es nie hätte passieren dürfen. Das Gleichgewicht ist gestört und wenn du dies liest, heißt es, dass es schließlich völlig außer Kontrolle ist. Der Zirkel der Seelensammler ist zu mächtig geworden. Die Einzige, die noch etwas dagegen unternehmen kann, bist du. Ich habe dir nie erzählt, wer deine Vorfahren sind. Das tat ich, um dich zu beschützen. Du Janlan, meine liebe Enkeltochter, bist die letzte Lebende des Blutes von Alverra. In deinen Adern fließt das Blut des Ordens von Alverra. Ein Orden, der sich darauf berufen hat, die Welt vor dem Ungleichgewicht durch die Seelensammler zu beschützen. Du besitzt eine Magie und eine Macht, wie sie nur ein Alverra hat. Der Orden ist das Einzige, was die Seelensammler aufhalten kann. Und ich fürchte du bist die Einzige, die vom Orden übrig geblieben ist. Ansonsten würde ich dich nie bitten dein Erbe anzutreten. Ich kann dir in diesem Brief nicht schreiben, was genau du tun musst, für den Fall das jemand anderes dies liest. Ich kann dir nur sagen, dass du den Ring brauchen wirst und mit deiner Suche in Furn anfangen solltest. Der Orden war in jedem Dorf und jeder Stadt, bis die Seelenjäger jeden Einzelnen von uns aufgespürt haben und die Seelensammler sich unsere Seelen bemächtigten. Es ist keiner mehr übrig außer dir. Wenn du das Gleichgewicht nicht wieder herstellen kannst, kann es keiner. Ich leide unter der Vorstellung dich dieser Gefahr auszusetzen, aber als Oberhaupt des Ordens von Alverra habe ich keine andere Wahl. Ich werde sicher tot sein, wenn du dies liest und das macht dich zum neuen Oberhaupt. Geh nach Furn und suche dort unsere Zentrale. Ich kann dir nicht mehr sagen. Es tut mir leid, dass dein Erbe solch eine Bürde ist, aber es ist deine Aufgabe und Pflicht.

 

P.S Verzeih, das ich dich verlassen musste. Es ging nicht anders. Sie hätten dich ansonsten gefunden. Pass auf dich auf Janlan Alverra.

Finde den Seelentropfen.

 

Ich starrte ungläubig auf das Papier. Noch mehr Rätsel. Das war ein schlechter Scherz. Zornestränen stiegen mir in die Augen. Was erlaubte sich dieser alte Spinner? In was war ich da bloß hineingestolpert.

»Was ist los?«

Ich antwortete Keira nicht, sondern reichte ihr den Brief. Sie sah auf das Papier und dann wieder zu mir.

»Was steht da?«

Sie verarschte mich.

»Lies doch, was da steht, dann weißt du es.«

Sie erwiderte meinen Blick bissig.

»Könnte ich lesen, was da steht, hätte ich dich nicht gefragt. Du weißt genau, dass ich keine andere Sprache spreche und eigentlich dachte ich, dass DU auch keine weitere beherrschst.«

Ich sah sie verwirrt an. Ich konnte keine zweite Sprache.

»Du kannst nicht lesen, was da steht?«

Keira verdrehte die Augen.

»Nein, dass habe ich doch gerade gesagt.«

Ich biss mir auf die Lippe. Warum konnte ich es lesen?

»Also?«

Ich las ihr den Brief vor. Ihre Augen wurden zusehends größer und sie sprach aus, was ich gedacht hatte.

»Das ist ein Scherz, oder?«

Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. War das ein Scherz oder Ernst? Fragen konnte ich meinen Großvater nicht. Wäre ja auch zu einfach gewesen. Und seine klägliche Entschuldigung machte das alles auch nicht besser. Ich nahm Keira den Ring ab und steckte ihn mir an den Finger. Er passte. Ich betrachtete ihn nachdenklich. Es sei meine Pflicht, hatte mein Großvater geschrieben. Aber was genau? Und was sollte ich schon ausrichten können. Ich konnte nicht einmal einen Tag überstehen, ohne mir selbst wehzutun. Keira schien meine Gedanken zu erraten.

»Du kannst nicht ernsthaft darüber nachdenken. Das ist Wahnsinn!«

Ich sah, wie in ihren Augen die Sorge mit der Hoffnung kämpfte. Sorge um mich, und Hoffnung ihre Mutter vielleicht doch retten zu können. Wie könnte ich ihr diese Hoffnung vorenthalten oder mich vor der Welt rechtfertigen, für den Fall das es nicht alles Hirngespinste eines alten Mannes waren. Dass ich wirklich diese Erbin war und die Einzige, die den Zirkel der Seelensammler in die Knie zwingen könnte. Wäre es wahr, könnte ich dann einfach sagen, dass mein Leben wichtiger ist als jedes andere? Könnte ich zulassen, dass kleine Kinder ihre Mütter verloren und Eltern ihre Kinder, wenn es in meiner Macht stünde es zu ändern?

»Janlan denke nicht Mal daran! Das ist Wahnsinn! Was sollst du denn bitte ausrichten können? Das ist doch verrückt!«

Ich fühlte mich ein wenig gekränkt.

»Ach, bin ich also nichts Besonderes?«

Keira verdrehte die Augen.

»Du weißt genau, wie ich das gemeint habe.«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Vielleicht.«

Keira begutachtete mich argwöhnisch.

»Du denkst darüber nach.«

Es war keine Frage.

»Nein natürlich nicht. Wie du schon sagtest, was soll ich den bitteschön ausrichten, so besonders bin ich nicht.«

Sie ließ mich nicht aus den Augen. Ich wollte noch darüber nachdenken, aber nicht, während sie mich so scharf musterte. Sie würde meine Entscheidung erkennen, bevor ich sie überhaupt getroffen hatte. Und würde ich dem Ganzen nachgehen, würde ich Keira nicht erlauben mitzukommen. Übertrieben gleichgültig knüllte ich den Brief zusammen und warf in zurück ihn die Truhe. Ich hoffte sie damit ein wenig zu besänftigen. Es funktionierte nicht ganz. Keira musterte mein Gesicht immer noch viel zu aufmerksam. Ich schlug den Deckel der Truhe zu und fluchte leise über die Unzurechnungsfähigkeit meines Großvaters. Das schien sie zu beruhigen.

»Du denkst nicht weiter drüber nach?«

Natürlich wollte sie sichergehen. Ich seufzte so leise, dass sie es nicht hörte.

»Warum sollte ich? Ich habe zehn Jahre lang nichts von diesem Mann gehört, und nur weil ich jetzt eine alte Truhe finde, werde ich nicht losrennen und seinen Geistern hinterher jagen. Das wäre wirklich blöd. Und mein Maß an Dummheiten ist fürs Erste erfüllt, oder?«

Sie wechselte von besorgt in zornig.

»Oh ja. Da kannst du Gift drauf nehmen.«

Ich lachte zufrieden. Erstmal war sie überzeugt. Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett fallen und stöhnte unwillkürlich, als sich sämtliche Verletzungen bemerkbar machten. Keira zog eine Augenbraue hoch.

»Ist der Arm so schlimm?«

Mist! Wenn ich nicht aufpasste, würde sie noch alle anderen Blessuren erraten.

»Nein, ich bin einfach nur hundemüde. Die scheiß Truhe hat mich um meinen ganzen Schlaf gebracht. Ich glaub mir fallen jeden Moment die Augen zu.«

Keira warf einen Blick zu meinem Wecker. Er verkündete halb sechs Uhr abends. Nicht mehr lange und die Sonne würde untergehen.

»Ich sollte auch langsam gehen.«

Ich wollte gerade aufstehen, als ich fragte »Soll ich dich fahren?«

Keira lachte.

»Und mir dabei weiter die Ohren voll jammern wie müde du bist und gleichzeitig noch dein Gestöhne ertragen, jedes Mal wenn du deinen Arm benutzt. Nein danke. Ich verzichte.«

Erleichtert fiel ich zurück, sah Keira aber böse an. Zumindest böse für meine Verhältnisse.

»Sehr lustig. Bist du sicher? Ein paar Minuten werde ich noch überleben.«

Sie beäugte mich kritisch.

»So wie du aussiehst, glaub ich das kaum. Außerdem steht draußen noch mein Fahrrad.«

»Ach so, stimmt ja. Hatte ich vergessen.«

Sie wollte gerade gehen, als sie innehielt.

»Wenn du so etwas wie heute noch einmal abziehst, schwöre ich, werde ich dich hassen.«

Ich sah in ihre braun-grünen Augen und lächelte.

»Wirst du nicht.«

Sie lachte wieder.

»Stimmt. Werde ich nicht, aber ich würde es versuchen.«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Dazu hast du mich viel zu gern.«

Jetzt sah sie etwas finsterer aus.

»Eben deshalb ja. Mach nix Dummes, ok?«

Ich wusste dass sie wieder die Truhen meinte.

»Ich werde ein braves Mädchen sein. Versprochen.«

»Ja, aber das hast du gestern auch schon gesagt.«

Ich seufzte genervt.

»Jetzt geh endlich. Sonst garantier‘ ich für nichts.«

Sie sah mich noch einmal warnend an, bevor sie meine Zimmertür hinter sich schloss. Ich hasste es Keira zu belügen, aber manchmal musste es sein. Sie hätte mich nie in Ruhe gelassen, wüsste sie, dass ich ernsthaft darüber nachdenken wollte.

3 Seelenenergie

 

Seit Stunden saß ich im Fenster und sah zum Mond hinauf. In meinem Kopf wälzten sich die Gedanken hin und her. Immer wieder drehte ich den Wappenring an meinem Finger. Er schien unglaublich schwer zu sein. Unaufhaltsam hatte ich versucht, mir einreden zu wollen, dass das alles nur wirres Zeug war. Dass mein Großvater nicht mehr zurechnungsfähig gewesen war, als er den Brief schrieb. Dass es sicher nicht in meiner Macht lag, etwas zu bewirken oder gar zu ändern. Aber es gelang mir nicht. Ich wollte meinen eigenen Gedanken nicht zustimmen. Es war einfach alles viel zu durchdacht. Das Rätsel in der ersten Truhe. Dass er mich darauf hinwies, als ich erst sechs war. Dass mein Großvater mir genau die Stelle zeigte, an der er später die zweite Truhe verstecken würde. Das war alles über Jahre geplant gewesen. Kein blöder Einfall eines geistig Verwirrten. Mein Großvater hatte genau gewusst, was er tat. Was noch lange nicht hieß, dass ich wusste, was ich tun musste. Furn, das war alles, was mein Großvater sich traute in einem Brief mitzuteilen.

Ich fürchtete, dass ich in etwas hineingeraten war, das viel größer schien, als ich jetzt auch nur im Ansatz verstand. Aber eins war sicher, ich wollte Keira da nicht mit hineinziehen. Das konnte ich ihr nicht antun. Und das hieß, dass ich schnell handeln musste. Ich wusste, dass Keira mich genau beobachten würde. Es würde nicht lange dauern, bis sie herausfand, was ich vorhatte und mich davon abbringen würde. Wenn ich nach Furn wollte, und das ohne sie, musste ich gleich aufbrechen.

Kaum hatte ich den Entschluss gefasst, sprang ich vom Fenstersims. Es schmerzte mich, Keira so zu hintergehen, aber es war zu ihrem eigenen Besten. Mein Radiowecker zeigte ein Uhr nachts, als ich anfing, in meinem Zimmer hin und herzulaufen und alles, was ich als nützlich empfand, in meine Reisetasche warf. Jeans, T-Shirts, Pullis, Unterwäsche, der übliche Kram eben. Dann huschte ich ins Badezimmer und packte meinen Vorrat an Kopfschmerztabletten ein. Stand einen Moment ratlos vor dem Verbandszeug, bevor ich auch davon alles in die Tasche warf. Das würde ich sicher brauchen. Außerdem durchstöberte ich den Keller. Ich fand ein paar besser funktionierende Taschenlampen. Ein altes Taschenmesser. Eine ganze Zeltgarnitur und was noch so alles dazugehörte. Vor einem unscheinbaren Karton blieb ich stehen.

Ich konnte nicht glauben, was mir da in die Hände gefallen war. In jeweils einer Hand hielt ich zwei völlig identische Dolche. Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen, noch hatte ich von ihrer Existenz gewusst. Sie waren schlicht, einfach und auf ihre Funktion reduziert. Ich war mir zwar sicher, dass ich damit nicht umgehen konnte, aber unbewaffnet loszuziehen schien mir auch nicht die beste Idee zu sein. Vorsichtig packte ich sie zwischen meine Kleidung und hoffte, dass ich mich später noch daran erinnern würde. Das sähe mir ähnlich, mich an den Klingen zu schneiden, nur weil ich vergessen hatte, dass sie da waren. In der Küche packte ich alles ein, was mir halbwegs haltbar erschien. Die Reisetasche war jetzt bis zum Rand gefüllt. Mehr würde nicht hineinpassen, und ich wusste auch nicht, was noch fehlen sollte. Ich hievte die Tasche auf meine Schultern, wobei mein Ellbogen stark protestierte. Ich schleppte sie nach draußen zum Mustang und ließ sie mit einem dumpfen Aufprall auf die Rückbank fallen. Ich wollte gerade einsteigen, als mir etwas einfiel und ich zurück ins Haus rannte. Ich konnte den Zettel und den Brief von meinem Großvater nicht einfach herumliegen lassen. Ich steckte beides in meine Hosentasche, zusammen mit meinem Handy, das ich fast auf dem Nachttisch vergessen hätte.

Der Radiowecker zeigte halb sechs an. Ich hatte viel länger gebraucht, als ich gewollt hatte. Ich musste dringend los. Ich war mir sehr sicher, dass Keira mir nicht wirklich geglaubt hatte. Ich musste aufbrechen, solange es noch dunkel war. Das war zwar nicht ganz ungefährlich, aber besser, als mich von Keira zu verabschieden. Das würde ich, dachte ich, nicht hinbekommen. Seit zehn Jahren war sie alles, was ich an Familie hatte, und nun wollte ich ihr einfach so den Rücken zukehren. Verschwinden, wie mein Großvater es getan hatte. Dieser Gedanken hinterließ einen bitteren Geschmack in meinem Mund. Gegen meinen Willen verstand ich meinen Großvater etwas besser. Es war besser, geliebte Menschen zu verletzen, um sie so zu schützen, als sie gedankenlos der Gefahr auszusetzen.

Ich sprang auf den Fahrersitz, legte den ersten Gang ein und raste schon die Einfahrt hinunter. Mein Anwesen lag nun hinter mir, wie eine verlassene Geistervilla. Gerade als ich vor dem Tor stand und wartete, dass es sich öffnete, wurde die Beifahrertür aufgerissen. Im selben Moment landete eine zweite Reisetasche auf der Rückbank. Keira saß neben mir im Auto und sah mich vorwurfsvoll an.

»Kannst du mir mal sagen, wo du hin willst?«

Blöder Mist! Wieder war ich nicht schnell genug gewesen.

»Keira, steig aus.«

Ich hoffte, dass sie nur ein einziges Mal auf mich hören würde. Sie lachte angespannt.

»Das glaubst du doch wohl selber nicht?«

Ich stellte den Motor aus und sah meine Freundin flehend an.

»Keira, bitte...«

»Nein. Das kannst du vergessen. Du gehst nirgendwohin ohne mich. Ich wusste, dass du mir etwas vorgespielt hast. Du bist eine verdammt schlechte Lügnerin.«

Das war nicht ganz richtig. Ich konnte sehr gut lügen, nur bei ihr klappte das eigentlich so gut wie nie. Was ich ja leider Mal wieder bestätigt bekam.

»Keira, bitte. Ich muss mich wenigstens überzeugen, dass das Ganze wirklich nur ein schlechter Scherz ist.«

Ich sah sie flehend an. Ich hoffte, sie würde aussteigen.

»Ich weiß, deshalb bin ich ja hier.«

Sie sagte es so trocken, dass mir klar war, ich würde sie nicht von etwas Anderem überzeugen können. Aber so schnell

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Laura Jane Arnold
Bildmaterialien: Laura Jane Arnold, Kreis: © olga4075 /Depositphotos.com Ornamente: © lienchen020_2 /Fotolia.com. Tigers‘ Tomorrow: Foto Tiger: © Julian W./Fotolia.com.
Cover: Laura Jane Arnold
Tag der Veröffentlichung: 02.07.2014
ISBN: 978-3-7368-2373-0

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