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Kapitel 1 - Leseprobe

»Du liebst mich nicht.«
Meine Worte kommen für Dave völlig unvermittelt und er stutzt an meiner Seite. Ich betrachte ihn im Licht der vorbeihuschenden Straßenbeleuchtung und erkenne, dass er eine Augenbraue leicht in die Höhe zieht.
»Wie kommst du zu dieser Ansicht, Patrick?«
Das liebe ich an ihm. Wann immer er mich in diesem ruhigen Tonfall anspricht, nutzt er meinen Namen - selbst, wenn wir, wie jetzt gerade, völlig allein im Auto sitzen. Meiner Stimmung hilft sein Tonfall allerdings nicht weiter.
»Würdest du mich lieben, hätten wir schon längst miteinander geschlafen.« Meine Aussage ist deutlich und ich fühle, wie sich die trüben Gedanken in mir auftürmen und sich langsam zu Ärger wandeln. Das kenne ich nun schon.
»Ich liebe dich also nur nicht, weil wir noch keinen Sex hatten? Im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass ich dich nur liebe, wenn wir ständig miteinander schliefen?«
Daves Tonfall ist noch eine Nuance ruhiger und die Stimme tiefer geworden. Irgendwie bewegt sie in mir eine Saite, die dieses Mal nicht dabei hilft, mich zu beruhigen.
»Ja. Oder nein. Wir sind jetzt seit Monaten zusammen und bis auf ein wenig Kuscheln auf dem Sofa oder im Bett ist noch nichts zwischen uns passiert? Das kann doch nur bedeuten, dass du mich nicht liebst und vermutlich längst einen Anderen hast, den du regelmäßig flachlegst!«
Die letzten Worte schreie ich beinahe. Dabei weiß ich genau, wie sehr es Dave hasst, wenn ich ihn anschreie. Doch anstatt mich zurechtzuweisen, blickt er nur geradeaus auf die Straße und wechselt die Fahrspur. Da er nicht antwortet, fühle ich mich in meiner Vermutung sogleich bestätigt. »Vermutlich sollte ich einfach an der nächsten Ampel aussteigen und aus deinem Leben verschwinden. Dann kannst du deinen Lover nicht nur in irgendeinem Hotelzimmer vögeln, sondern gleich in deinem Bett.«
Weiterhin bleibt Dave ruhig, doch glaube ich, ein leises Seufzen zu hören. Er wechselt ein weiteres Mal die Fahrspur, diesmal, um näher an den Seitenstreifen zu kommen und dort anzuhalten. Ich starre vor mich hin und kämpfe mit der in mir aufsteigenden Wut. Warum bin ich jetzt eigentlich wütend? Und auf wen? Ist es, weil ich Dave jegliche Liebe mir gegenüber abstreite oder bin ich wütend auf mich, weil ich wieder diese Gedanken hege und ihn infrage stelle?
»Patrick, ich liebe dich. Ich habe bislang noch nicht mit dir geschlafen, weil ich möchte, dass du es wirklich willst. Ich möchte, dass du mir ausreichend vertraust und so, wie du dich gerade verhältst, beweist du mir, dass es mit deinem Vertrauen nicht wirklich gut bestellt ist.«
Höre ich ein leichtes Grinsen in den letzten Worten? Sie berühren mich und wieder toben die Gefühle in mir. Seine Erklärung macht mich wütend, gleichzeitig fühle ich mich schuldig, ihn so angefahren zu haben. Und da wären wieder die Gedanken und die Angst, mit meinem Verhalten erneut eine Beziehung und Freundschaft zu zerstören, bevor sie richtig angefangen hat.
»Ich würde dir ja gerne vertrauen, doch wie soll ich es, wenn du vermutlich ständig jemand anderen vögelst?«
Die Anschuldigung bricht aus mir heraus, bis ich denke, innerlich zu zerreißen und meine Hände zittern. »Beweise mir doch einfach, dass du mich liebst! Aber das kannst du natürlich nicht, weil du überhaupt keine Gefühle für mich hegst. Du gibst dich doch nur mit mir ab, weil du mich bemitleidest. Der arme kaputte Bursche, der es nicht würdig ist, geliebt zu werden, den du aber nicht gleich im Straßengraben entsorgen willst. Ich könnte ja noch einen Nutzen für dich haben.«
Nach meinem halben Tobsuchtsanfall herrscht Stille im Wagen, die nur von dem vorbeifahrenden Straßenverkehr durchbrochen wird. Dave sitzt regungslos neben mir auf dem Fahrersitz und starrt vor sich hin. Ich hingegen richte mich im Beifahrersitz auf und möchte Dave am liebsten an die Kehle gehen. Oder mir, da bin ich mir nicht ganz sicher. Nach einigen Minuten - waren es Minuten oder nur Sekunden? - dreht sich Dave in meine Richtung und legt eine Hand auf meinen Unterarm. Mist, jetzt merkt er auch noch, dass ich zittere.
»Patrick, glaube mir, ich liebe dich. Ich möchte dich nur nicht bedrängen. Wir kennen uns gerade drei Monate, nach einigen Wochen hast du mir von deinen Problemen erzählt und mir deine Diagnose verraten. Ich habe mich informiert und lange überlegt, ob ich mir selbst zutraue, mit dir eine Beziehung zu führen. Nicht, weil ich dich ablehne, sondern weil ich keinen Fehler machen möchte. Ich möchte dir die Zeit lassen, die du brauchst.«
»Und wenn die Zeit längst vorbei ist?«, zische ich mehr in seine Richtung, als dass ich spreche. »Vielleicht bin ich ja froh, wenn ich jetzt die Tür aufmache und verschwinde?« Ein Teil von mir weiß, dass ich ihn nur beleidige, weil ich mir selbst nicht eingestehen will, diesen Mann neben mir wirklich zu lieben. Dass in mir die Gefühle miteinander kämpfen und sich hinter ihnen die übermächtige Furcht verbirgt, wieder einen wichtigen Menschen zu verlieren. Erneut verstecke ich meine Angst hinter Wut, Anschuldigungen und Zurückweisungen.
Was bei ehemaligen Freunden, meiner Familie oder auch in früheren Beziehungen zum Kontaktabbruch führte, bringt Dave allerdings nur dazu, noch geduldiger zu werden und sich zu erklären.
»Du hast mir damals gesagt, ich sei der erste Mann in deinem Leben«, beginnt Dave. »Ich sei nicht nur der erste Mann, sondern du hast vorher nie darüber nachgedacht, ob du eine solche Beziehung überhaupt wünschst.«
Er macht eine kurze Pause und drückt meinen Arm unter seiner Hand. Die Berührung ist beruhigend, und dennoch habe ich das Gefühl, unter ihr zermalmt zu werden. Ich beiße die Zähne aufeinander, kneife die Augen zusammen und versuche, mich wieder in den Griff zu kriegen. Alles in mir sträubt sich auf einmal gegen die Berührung, die damit offengelegte Nähe, die Vertrautheit, die zwischen Dave und mir besteht. Eigentlich besteht. Nach langen Augenblicken zwinge ich mir ein Nicken ab.
»Patrick, ich wollte eigens lange warten. Ich möchte dich weder bedrängen, noch dich in einer Weise verletzten, weil du überhaupt nicht für die Beziehung bereit bist. Nachdem ich dich näher kennenlernte, musste ich einfach sichergehen, dass du nicht aus einer bloßen Laune mit mir zusammen bist, sondern hinter deinem Entschluss stehst. Daher hatten wir noch keinen Sex und werden nicht miteinander schlafen, bis zu mir soweit vertraust, dass du mich nicht ständig infrage stellst. Verstehst du das?«
Mit meiner Antwort lasse ich mir lange Zeit. Jedes Wort von Dave schiebe ich in meinen Gedanken hin und her, wende es um, begutachte es und überlege die genaue Bedeutung. Der halbwegs denkfähige Teil meines Hirns bestätigt mir deutlich die Wahrheit hinter Daves Erklärung. Meine Gefühle widersprechen allerdings jeder Logik und wirbeln in mir herum, dass selbst ein Hurricane staunend erbleichen würde.
»Wirklich?« Ich komme mir vor wie ein kleines Kind, das verzweifelt nach einer Bestätigung hangelt. »Du schläfst wirklich mit niemandem und liebst mich?« Jetzt hangelt das Balg in mir nicht nur nach einer Bestätigung, es lehnt sich meilenweit aus dem Fenster und fischt bereits nach jeglicher Form von Sicherheit. Scheiße, was hasse ich mein Gefühlschaos.
»Ja, Patrick, ich liebe dich. Ich liebe dich mehr, als du es dir vorstellen kannst«, beginnt Dave und legt seine Finger leicht an meine Wange. »Obwohl ich schon glaube, dass da hinter deinen Augen verdammt viel Vorstellungsvermögen steckt und du dich selbst anstachelst, nicht das wahrzunehmen, was sich vor deinen Augen abspielt.«
Die letzte Ausführung klingt eher nach einem leisen Tadel. Mir wird bewusst, dass ich eine von unseren gemeinsamen Regeln gebrochen habe. Ich wende die Augen von Dave ab und starre stattdessen auf meine Beine. »Entschuldige«, bringe ich aus meiner plötzlich trockenen Kehle hervor. »Ich wollte dich nicht beleidigen.«
Daves Finger gleiten meinen Hals hinab, bis sie auf meiner Schulter liegen bleiben. »Ich weiß, dass du es nicht wolltest und ich akzeptiere deine Entschuldigung. Du solltest dennoch ab sofort genau darauf achten, welche Worte deinen Mund verlassen - und noch wichtiger, wie du sie aussprichst. Deine Stimmung war den ganzen Tag schon nicht die beste, und wenn ich einen Tag benennen soll, an dem du ständig an der Grenze wandelst, ist der heutige Tag ein Paradebeispiel.«
»Es«, beginne ich, habe aber keine Ahnung, wie ich fortfahren soll. So belasse ich es bei einem Nicken und drücke kurz Daves Hand.
»Um noch mal zurück auf deine Vorwürfe zu kommen und da ich weiß, dass du weiterhin an mir zweifelst. Glaubst du wirklich, ich wäre jetzt gerade mit dir auf dem Weg zu einem Geschäftsessen und stelle dich meinen Bekannten als meinen Partner vor, wenn ich dich nicht lieben würde? Glaube mir, ich lasse nur wenige Personen an meinem Geschäftsleben teilhaben - und du bist einer davon.«
Jetzt stiehlt sich doch ein kleines Lächeln auf mein Gesicht und ich wende mich Dave schuldbewusst zu. »Danke.«
»Das Essen ist in einem recht gewöhnlichen Restaurant, du brauchst also nicht unsicher zu sein, wie du dich benehmen musst«, klärt mich Dave weiter auf. »Die Geschäftspartner sind gute Freunde von mir und sehr lockere Typen. Auch sie sollten dich nicht beunruhigen. Dennoch erwarte ich etwas von dir. Kannst du mir sagen, was das ist?«
Ich überlege kurz und frage mich, warum Dave nicht direkt sagt, was er von mir will. Wieder regt sich meine Unsicherheit in mir, tanzt mit meiner Ungeduld Ballett und wird von Ärger von der Bühne geschoben - nur, um von Schuld ersetzt zu werden. Natürlich weiß Dave genau, was er von mir hören möchte und könnte das problemlos selber sagen. Er macht es nur nicht. Er will, dass ich selbst verstehe, um was es geht und was er von mir verlangt. Es ist ein Test - einer der Versuche Daves, mir vor Augen zu führen, dass ich für meine Entscheidungen und mein Verhalten selbst verantwortlich bin. Ganz nebenbei ist es eine Warnung. Und die sollte ich beherzigen, bevor ich nicht nur auf der Grenze herumtanze, sondern mit Pauken und Trompeten von ihr abstürze.
»Respekt. Du erwartest, dass ich dich und deine Geschäftspartner respektiere und auf meine Worte achte. Du möchtest, dass ich nicht jeden Gedanken herausposaune und überlege, ob meine Antwort oder mein Tonfall angemessen ist. Und du verlangst, dass ich dir ein Zeichen gebe, wenn es mir zu viel wird und ich eine Pause brauche.«
»Genau«, bestätigt Dave und lenkt den Wagen zurück in den Straßenverkehr. »Fragst du mich nach einem Feuerzeug, bedeutet es, dass du eine Pause brauchst und dich abkühlen musst. Frage ich dich hingegen, ob dir nicht nach einer Zigarette ist, oder halte ich dir wortlos das Feuerzeug hin, ist es eine Warnung. Und, mein junger Gefährte, deinen Vorrat an Warnungen hast du heute beinahe schon aufgebraucht.«
Ich muss unweigerlich schlucken. Der letzte Hinweis zeigt mir so deutlich auf, dass selbst Daves Geduld einmal ihr Ende findet und ich mich mit meinen Launen nur noch tiefer ins Schlamassel bringen kann. Wenn es nur so einfach wäre, zu denken, dann zu reden und dabei meine Gefühle irgendwie nicht als Sarkasmus und Respektlosigkeit verkleidet, dem nächstbesten Menschen ins Gesicht zu werfen.
»Mache dich nicht unnötig fertig, Patrick. Atme tief durch und entspanne dich. Es warten keine hungrigen Hyänen darauf, dich zu zerfleischen, noch wird dich jemand in Gespräche über Raketenphysik verwickeln. Vermutlich wird nur wieder über das letzte Pokalspiel gesprochen oder diskutiert, ob der Platzverweis gerechtfertigt war. Das sollten doch Themen für dich sein?«
Ich nicke. Ja, das sind Themen, mit denen ich gut leben kann. Davon habe ich zumindest Ahnung, denn wenn ich ehrlich bin, machen mir Daves Geschäftsfreunde Angst. Beruflich bewegt sich Dave in Sphären, die ich nicht einmal erreichen werde, wenn ich eintausend Jahre alt werden würde. Sein Architektenbüro plant die unglaublichsten Projekte für alle möglichen Unternehmen und Privatpersonen. Unwillkürlich schleicht sich ein Grinsen in mein Gesicht. Alles kann Dave nämlich auch nicht und der Schnellste ist er garantiert nicht. Was ein kurzer Besuch des Badezimmers in seinem Haus beweist. Seit drei Monaten hat sich nicht viel getan und die blauen Plastikfolien, die noch immer die Wände schützen, bis Dave endlich mal die finale Entscheidung über die Neugestaltung seines Bades trifft, erinnern mich täglich daran.
Bevor ich ihn darauf ansprechen kann, wo er heute die Dusche platzieren würde oder ob die Badewanne nun neben die Tür oder doch unters Fenster kommt, setzt Dave den Blinker und fährt auf einen Parkplatz. Nur wenige Autos stehen hier. Kein Wunder, immerhin grenzen nur das unauffällige Restaurant und eine Apotheke, die bereits geschlossen hat, an den Parkplatz.
»So, auf geht’s. Wir wollen Ewan und Tom nicht warten lassen. So wie ich sie kenne, bestellen sie sich sonst die komplette Karte rauf und runter, probieren jeden Wein aus und überzeugen den Restaurantbesitzer davon, dass er unbedingt einen Biergarten mit Pool und Billardtischen braucht.«
»Wenn du mich fragst, hat ein Biergarten jederzeit eine Berechtigung«, springe ich auf den Scherz an. »Der Pool klingt auch nicht schlecht, nur müsstet ihr definitiv Höchstleistungen vollbringen, um in diese Gegend hier Badegäste zu locken.« Mittlerweile bin ich aus dem Wagen ausgestiegen und sehe mich richtig um. »Poolpartys mit Ausblick auf die Schornsteine dort sind jetzt nicht gerade der Renner.«
»Nicht wirklich, vermutlich«, stimmt mir Dave zu und ich fühle seine Hand beruhigend auf meinem Rücken. Langsam führt er mich auf den Eingang des Restaurants zu. Jetzt weiß ich auch, was Dave mit gewöhnlich meinte. Es ist eine so schlichte Pizzeria, dass ich hier auch jederzeit mit meinen Freunden landen könnte. Vor der Tür zieht er mich kurz zu sich in seine Arme und haucht einen Kuss auf meine Stirn. »Du schaffst das schon.«
Ich schlucke und schaue unweigerlich über den Parkplatz, ob uns nicht jemand gesehen hat. Habe ich vor wenigen Minuten Dave noch vorgeworfen, dass er mich nicht liebt, jagt der Kuss mir jetzt neue Furcht ein. Hat uns jemand gesehen? Verdammt. Ich hänge an diesem Kerl und doch ist es mir - ja, was nun? - peinlich, wenn er mich auf der Straße küsst? Jetzt fühle ich, wie mir das Blut ins Gesicht schießt. Ist es mir wirklich peinlich, dass mich Dave küsst, oder werde ich rot, weil mir meine Unsicherheit ob dieser Tatsache peinlich ist?
Dave scheint meine Gedanken zu erraten, immerhin zieht er eine Augenbraue hoch und grinst mich selbstbewusst an. »Siehst du, deshalb warte ich. Nicht, dass du meinem Charme wirklich widerstehen könntest.«
»Angeber«, murmel ich und schlage ihm leicht mit dem Ellbogen in die Rippen. »Eigentlich brauchst du gar keinen Partner, dein Ego ist groß genug, um dich auf alle Zeit zu befriedigen.«
»Wäre auf Dauer aber recht langweilig. Wobei, wenn ich genauer überlege, hätte eine Beziehung mit meinem Ego durchaus seine Vorteile. Das gibt mir nämlich nur die Antworten, die ich will, und ist bedeutend weniger frech, als du es an deinen besten Tagen bist.«
Ich setze gerade zu einer entsprechenden Erwiderung an, als ein lautes »Hey« durchs Restaurant hallt. In einer Ecke im hinteren Teil des Restaurants, platziert unter gemauerten und mit Stuck versehenen Wänden, winkt ein Mann zu uns herüber. 

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Tag der Veröffentlichung: 23.08.2017

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