Cover

>Mh, heute habe ich ein Durchhänger,
aber das ist Morgen sicher besser.

Schlecht drauf oder wie?

>Ja, kein Plan.

Hm, ist ja eine neue Situation.
Das muss alles erst einmal verarbeitet werden, denke ich mal.

>Ja, kein Plan, ich fühle mich heute irgendwie so hässlich
und mochte nicht so recht rausgehen.

Du bist doch nicht hässlich ^^
Aber das Gefühl hast du öfter mal, oder? Ich meine mich zu erinnern, dass wir da schon einmal drüber geredet haben.

>Jop

Ja, das ist Morgen bestimmt vorbei.

>Ja, sicher.


-PAUSE-


>Hey?

Ja?

>Mach, dass es wieder gut ist. Irgendwie ist es gerade nicht gut.

Fühlst du dich einsam?

>Nein.

Heimweh?

>Nein.

Hm. Einfach allgemein schlecht?

>Nein.
Ich kann mich nur nicht leiden.
Wenn es das besser macht.

Ich weiß ja nicht, ob das besser ist ^^
Das musst du wohl oder übel mit dir selbst ausmachen.

>Ja, das tue ich.

Wir können dich auf jeden Fall alle sehr gut leiden.

>Ja, danke, dann gehe ich mal schlafen. Guts Nächtle.

Du kannst auch noch bleiben, wenn du möchtest.

>Ja.

Macht ihr viel zusammen, deine Mitbewohner und du?

>Ja, sehr viel.
Wir verstehen uns sehr gut.

Also so familienmäßig?

>Ja, ein wenig.

Das finde ich toll.

>Ja, ist es auch.
Ich bin sehr dankbar

Also waren deine Bedenken wegen des Mädchens unbegründet?

>Ja.
Sie ist toll.

Siehste,

>Sie waren unbegründet.

Gut, gut.

>Darf ich dich mal etwas fragen?

Klar, was du willst.

>Kannst du dich noch daran erinnern, als ich vor etwa 2 Jahren 15 Kilo weniger wog und wie ich da aussah?

Ja, falls das deine Frage ist, ich finde du siehst heute wesentlich besser aus.

>Keine Ahnung, ob das meine Frage ist.

Du bist jedenfalls definitiv nicht zu dick,
auch wenn du dir vielleicht so vorkommen magst.
Es stimmt nicht

>Mh. Und was sind die 15 Kilo`

Eine Mischung aus Muskeln und Fett, wie bei jedem Menschen.
Aber was waren das damals nochmal? Knapp über 50? Das ist wirklich zu wenig bei deiner Größe.

>Mh. 50, 49, 54. Kein Plan.

Hast du dich denn damals wirklich wohler gefühlt?

>Ja. Manchmal.
Wenn alle sagten, wie dünn ich war.
Ich wurde vergleichen mit einer Elfe
und den Models von Germanys Next Topmodel.
Und meine Mama war sehr stolz auf mich.

Ich dachte, die wollte, dass du zunimms.t

>Ja, später.

Achso.
Tja, wieviel du wiegen willst musst in letzter Instanz du alleine entscheiden.
Aber du bist nicht wertvoller oder sowas wenn du dürr bist.

>Schön, wie nüchtern du bist.

Na ja ich bleibe dabei, ich finde dich nicht dick.
Ich finde, du siehst gut aus so wie du bist.

>Ich will so gerne wieder so sein.

Bitte nicht anfangen zu hungern!
Das hast du doch gar nicht nötig.

>Tue ich nicht. Das kann ich gar nicht mehr. Ich krieg eh irgendwann einen Fressanfall und dann nimmt man nicht ab.

1. Siehst du gut aus 2. Hast du noch so viel mehr als dein Aussehen wie das vielleicht bei anderen Menschen ist.
Dann ist dein Körper wohl auch gegen das Abnehmen.

>Nein, das ist nur Schwäche.

Wenn du meinst.

>Du hasst es gerade dieses Gespräch zu führen, oder?

Nein, ich weiß nur nicht genau wie ich dir klarmachen soll, dass du wirklich nicht abzunehmen brauchst. Scheiß Ideale aus den Massenmedien. Ich könnte mich schon wieder tierisch aufregen.

>Nein, tue es nicht.
Es ist eh egal, ich bin nur in diesem Zwiespalt.

Über die Medien kann man sich eh nur aufregen. Hast du mal Fern gesehen in letzter Zeit? Das wird echt immer schlimmer, also das Programm an sich.
Hm, ja, aus dem kann ich dich wohl sowieso nicht rausholen.

>Ja, verstehe.
Na gut, aber danke.

Aber ich kann dir immer wieder versichern, dass du da völlig unnötig drinsteckst.
Nichts zu danken.

>Weißt du, ich habe immer so schreckliche Angst vor dem nächsten Tag,
dass ich so lange wie es geht wachbleibe.

Was soll denn am nächsten Tag Schlimmes passieren?

>Aufwachen, Lachen, Reden, Essen, Rausgehen, Lächeln, Essen, Duschen.

Und das ist schlimm?

>Ja.

Du fühlst dich gar nicht nach Lächeln?

>Es ist die Hölle.
Und das darf man aber nicht sagen, weil das keiner hören will und man darf auch nicht einfach liegenbleiben und sich einen Zettel an die Tür hängen: Ich habe heute keine Kraft zu leben.
Das darf man nicht.

Da ist etwas Wahres dran.
Das nennt sich dann wohl Leistungsgesellschaft.
Eine Sache, die ich auch ziemlich ätzend finde übrigens.
Das kann ich denke ich ganz gut verstehen.
Aber wenn du keine festen Termine oder sowas hast, finde ich, dass du durchaus das Recht hättest dich mal zurückzuziehen, wenn du dich danach fühlst. Jeder hat das Recht schlecht drauf zu sein.

>Aber, es geht nicht um einen Tag.

Ok, verstehe. Hast du eine Idee, was dir die Kraft nimmt?

>Wie meinst du das?

Gibt es eine Ursache dafür, dass du dich kraftlos fühlst, etwas Blödes passiert oder so?

>Kein Plan. Zu viel passiert.
Zu viel worüber man nie geredet hat.

Hm, dann wird es wohl Zeit mal darüber zu reden, meinst du nicht? Das ist immer erleichternd

>Ja, es gibt nur niemanden, der so etwas hören will. Würde ich auch nicht wollen.

Mir hilft das eigentlich immer.
Ich weiß ja nicht mit wem du über so etwas am Besten reden kannst. Aber ich höre dir immer gerne zu.

>Weißt du, ich habe einfach so viele Dinge gemacht
Und ich traue mich so oft nicht auf die Straße.

Was hast du denn gemacht?

>Ich ...
Gehungert, gekotzt, Pillen geschluckt, gelogen (Gott. Wie oft habe ich gelogen), und mich selbst verletzt.

Pillen gegen Appetit ?

>Abführ-

Okay.

>In der Disco hatte ich immer einen Pulli an, damit man meine Narben und meinen Körper nicht sieht.
Ich habe jeden Tag mein Schulbrot weggeschmissen, absichtlich das Frühstück verpennt, Essen das Klo runtergespült. Ich hatte etliche Plastiktüten im Zimmer versteckt, wo ich das Essen entsorgt habe.
Vor dem Wiegen haben ich literweise Wasser getrunken, um schwerer zu sein, irgendetwas in die Socken oder in den BH gestopft- geht alles.

Klingt für mich ehrlich gesagt schon richtig nach Essstörung.

>Und ich habe mehrmals geplant dem ganzen ein Ende zu setzen, war aber immer zu feige.
Ja , endlich.

Muss eine richtige Scheißzeit für dich gewesen sein.

>Endlich sagt es mal jemand. Für alle hatte ich einfach nur eine Phase, Pubertät, dann nahm ich zu und alles war okay. Aber es ist gar nichts okay, weißt du?

Aber in dir bleibt es gleich.

>Es hört einfach nicht auf.
Ich will, dass es aufhört.

Verändert hat sich nur das Äußere ?

>Ja.

Okay, verstehe.

>Es ist beschissen, ich hasse es so.
Ich kann einfach nicht mehr.
Ach, scheiß Dreck.
Es tut mir Leid.

Es kostet bestimmt eine Menge Energie so eine Fassade aufrecht zu erhalten.
Dir muss nichts Leidtun.

>Ich habe einfach keine Lust mehr.
Und vorhin meinte er, dass ich für ihn sehr mit mir im Einklang scheine.
Und ich nur so: Findest du?
und er : Ja, definitiv.
Und ich dachte nur: Krass, wie falsch ich bin.

Na ja, du wirkst aber wirklich so muss ich sagen. Wenn man dich nicht so richtig gut kennt.

>Ich bin ja auch fröhlich.
Ich bin gut gelaunt und natürlich lache ich gerne und bring andere zum lachen.

Und wie

>Aber da ist so viel mehr und ich finde mich selber so schrecklich
und das sieht einfach niemand, weil ich nun dick bin.
Damals haben es irgendwann alle gesehen, aber jetzt,
jetzt habe ich Kurven und Speck und keiner sieht mehr wie klein ich eigentlich bin.
Und wenn ich es jemandem versuche zu sagen, glaubt er mir nicht.

Möchtest du gerne, dass alle es sehen und willst deshalb abnehmen?

>Keine Ahnung.
Vielleicht.
Vielleicht auch einfach um wieder in den Spiegel blicken zu können
und wieder Respekt vor mir selbst haben zu können.
Vielleicht will ich aber auch gar nicht abnehmen… Ich habe versucht, alles wieder in Ordnung zu bringen, seit 4 Jahren tue ich das, aber mittlerweile ist es okay. Vielleicht soll es einfach nicht so sein, vielleicht gehört das einfach so.

Tut mir Leid, aber so wie das für mich klingt ging es dir innerlich doch immer noch genauso als du dünn warst. Mit dem kleinen Unterschied, dass die Außenwelt gesehen hat, dass es dir schlecht geht.

>Aber, wenn es so ist, dann will ich einfach nicht mehr. Ja, vielleicht, vielleicht ging es mir da auch so,
aber ich konnte stolz auf mich sein, ich war stark, jetzt bin ich nur dieses schwabbelige, schwache Monsterding.

Weil du Kontrolle über deinen Körper hattest?

>Ja, das war gut.

Hm, ich weiß, dass das immer ein schwieriges Thema ist,
aber hast du mal über eine Gesprächstherapie nachgedacht?

>Die glauben mir eh nicht.

Ich meine, weil dein Verhalten während des Dünnseins schon irgendwie krankhaft war, musst du zugeben.

>Ich würde mir auch nicht glauben.
Ja, das war es, ich weiß das, nur sonst niemand.

Wieso denkst du das?

>Weil ich fett bin. Die hören Mädchen zu, die 40 Kilo wiegen, nicht so jemandem wie mir.

Die hören jedem zu, dem es schlecht geht, auch wenn die Person eine Tonne wiegt.

>Ja, aber innerlich lachen sie sich ins Fäustchen.

Ich will mich da mal nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Aber ich würde vermuten, dass dein Gewicht nicht dein schlimmstes Problem ist.
Sondern nur so eine Art Auswirkung.

>Auswirkung?

Hm, wie sage ich das jetzt?
Vielleicht ist da ja tief im Innern was bei dir, ein Problem oder ein schlechtes Gefühl
von dem du evtl. selber nichts weißt oder es nicht konkret benennen kannst
und das führt zu dem Wunsch dünn zu sein.

>Du meinst es gibt eine Ursache für diesen ganzen Scheiß?

Ich weiß es nicht.

>Ich kann dir tausend Ursachen sagen.

Was ich damit sagen will ist, dass du nicht wegen deines Gewichts zum Arzt gehen solltest,
sondern wegen der tausend kleinen Ursachen.
Verstehst du, was ich meine?

>Aber das ist das, was die sehen: mein Gewicht.

Aber das Gewicht hat damit doch gar nichts zu tun.

>Ich gehe dahin: Rede, lache und die werden nur mich sehen: das gutgelaunte Mädchen.
Das gutgelaunte, kurvige, dicke Mädchen.

Die sind ausgebildet um mehr zu sehen als das.

>Und dann soll ich denen weismachen, dass ich eine Essstörung habe?
Das geht nicht.

Außerdem ist nicht jeder "dicke" (nicht, dass du dick wärst) gleich kerngesund.
Nein, aber du hattest eine.

>Hatte ich die?
Oder habe ich sie?

Klingt für mich ganz so, ja.
Evtl. hast du sie immer noch, aber ganz anders.
Essstörung muss ja nicht gleich heißen, dass du mager bist, Eigentlich heißt es nur, dass du eine problematische Einstellung zum Essen hast, in welche Richtung auch immer.

>Aber ich will mager sein.
Ich will keine problematische Einstellung.
Ich will einfach wieder das zurück, was mal war,
denn da war es wenigstens etwas Benennbares.
Jetzt sind es nur Tränen hinter einem lachenden Gesicht-
und das ist verdammt wenig.

Aber das Benennbare war doch auch nicht toll, oder?

>Na und?
Es war etwas.

Hm

>Jetzt geht es mir einfach nur nicht gut
und ich weiß nicht, wie ich das den Menschen klarmachen soll,
bzw. wie ich es denen nicht klarmache, ohne dass ich daran zerbreche.
Haha. Zerbrechen ist ein komisches Wort, wenn man so viel Fett hat.

Hast du nicht.

>Doch, habe ich.

Ich bin in 1 Minute wieder da.

>Du brauchst mich nicht an zu lügen.
Ja, okay.
Ich sollte doch vielleicht auch ins Bett gehen. Ist doch alles kacke, was ich hier rede.

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Tag der Veröffentlichung: 18.01.2010

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