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Tagebucheintrag 1


Es ist nicht so, dass ich nie Freude empfinde. Wer das von mir denkt, denkt falsch. Es ist nur so, dass ich viel zu oft lache, ohne es zu meinen und es zu fühlen.

Ich bin eine rießige Lüge und da ich Lügen hasse, hasse ich mich.

Gestern habe ich mich wieder geritzt. Es tat gut. Es tut immer gut. Ritzen ist für mich die einzige Methode, mich selbst wieder zu spüren. Manchmal fühle ich mich so tot. Wenn es wehtut und ich sehe, wie das Blut so aus meinem Fleisch sickert, werde ich auf einmal so unheimlich lebendig und stark.

Gleich muss ich schon wieder essen und schon wieder lachen. Ich hasse diese Treffen. Immer muss man lachen und essen. Wie gehts, wie stehts? Wunderbar! Und immer diese Lügen. Merkt ihr nicht, wie ihr euch die Lügen nur so um die Ohren pfeffert?


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Ich weiß nicht mehr genau, wann es anfing.
Irgendwann fing es einfach an
Ich war sehr alleine, denk ich. Eigentlich habe ich am meisten mit mir selbst geredet.
Ich glaub es war okay, so am Anfang.
Aber der Anfang geht immer so schnell
Und auf einmal hockt man mittendrin.

Im Chaos- wartend, schwärmend, stolz- schon lang nicht mehr.
Chaos- urteilend, suchend, hoffnungsvoll- schon lange her.
Chaos- schluchzend, spuckend, fliehend- verdammt, verdammt ist dieses Leben schwer!

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Magersucht-
1. nicht essen
2. abnehmen
3. abmagern
(4. Tod?)


Es klingt einfach, vielleicht, aber das ist es nicht. Nie essen zu dürfen, weil man sich dann noch mehr hasst im Spiegel. Auf dem Klo zusammen zu brechen, weil man denkt, die ganze Welt ekele sich vor einem. In der Schule die Treppen nicht mehr raufzukommen, weil die Beine einfach versagen und man keine Kraft mehr hat.
Das ist nicht einfach. Nichts davon, nichts.
Ich nahm ab. Gemerkt habe ich es nicht. Schritt 2 überspringt man einfach, übersieht man. Noch immer fühle ich mich fett, ekelhaft, zum kotzen.


Und immer diese Angst.
Angst, Angst, Angst...
Ich kann nicht schlafen. Nachts liege ich wach, Stunde um Stunde und grusel mich. Ich bile mir ein, es wären Mörder im Haus, schließe mich im Bad ein, bis es hell wird...und ich mich noch mehr grusel... vor dem Licht und den Menschen, den Blicken und das Essen, den Lügen und das Lachen.

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Aus meinen Erinnerungen:

Anfänglich bekomme ich Komplimente. Alle finden mich schön. Alle sind wahnsinnig stolz auf mich.
Aber ich kann nicht essen. Natürlich bekommt es jeder mit. Vor Freunden kann man lügen, man hätte gegessen, man hätte keinen Hunger- vor der Familie geht das nicht. Ich nehme Brote mit in die Schule, die ich wegschmeiße. Jeden Tag am Morgen gehe ich aufs Klo und schmeiße sie in den Mülleimer- Klopapier drüber- damit niemand es sieht.
Aber trotz der Lügen und der Geschichten, trotz all dem Lachen und Lügen, diesen verdammten Lügen, bekommt es irgendwann jemand mit. Also muss ich essen und ich hasse sie dafür. Sie alle, die mich zwingen...Und alle "verstehen" dich- als wenn es "in" wäre dünn zu sein. Aber darum geht es nicht. Ich will mir gefallen, ich will endlich in den Spiegel sehen und mich schön finden. Ich will mich selbst lieben können. Und ich will Kontrolle haben.

Ich werde gezwungen mich zu wiegen- einmal die Woche. Das Gewicht fällt. Sie zwingen mich zu essen, habe ich auch nur 100 Gramm abgenommen. Und ich hasse sie so.


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Und jeder will, dass du mit ihnen redest. Aber mal ehrlich, wie kann ich ihnen das alles erzählen? Welcher Freund will hören, dass man ein Wrack ist? Wer möchte hören, dass man am liebsten nicht mehr da sein würde, dass man sich selbst bestraft, indem sie sich die Arme aufschneidet, nur weil man ein Teller Nudeln gegessen hat? Welcher Freund möchte schön hören, dass man Abführmittel schluckt?

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Tagebucheintrag 2:

Und dann der Satz:
"Nimm dich nicht immer so wichtig mit deiner Unsicherheit."
Der Schlag ins Gesicht. Ich breche zusammen.
Bin das wirklich ich? Ist das die Wirklichkeit? Übertreibe ich? Bilde ich mir alles nur ein? Bin ich albern?


Aus meinen Erinnerungen:

Ich habe den Plan zum Psychologen zu gehen, hole mir sogar eine Überweisung von meinem Hausarzt. Aber ich tu es nie. Ich rufe einmal an, lege aber den Hörer auf, bevor jemand abnimmt. Ich schaffe es nicht.

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Ich habe zugenommen. Alle denken, es geht mir besser. Nur die Wahrheit ist, ich versuche nur, nicht daran zu denken, wie ich aussehe. Ich schaue kaum noch in den Spiegel. Ich gehe nie einkaufen, ich hasse es. Und ich esse und denke einfach nicht daran.

Mir geht es besser. Es gibt Tage, an denen fühle ich mich richtig wohl. Aber es gibt auch Tage, an denen schaffe ich es einfach nicht. Da hasse ich mich so sehr, dass ich morgens nicht aus dem Bett will und mir abends im Bett wünsche, morgens nicht mehr aufwachen zu müssen. Es gibt Tage, an denen kann ich kein Bissen essen und andere, an denen stopfe ich alles in mich rein. Vergessen, vergessen.


Es ist unsagbar schwer, die richtigen Worte zu finden. Ich weiß nicht, was zu viel ist, was zu wenig, was ich sagen darf, denn ich will nicht, dass du mich jemand für verrückt hältt. Vielleicht bin ich das ja sogar, aber ich will es nicht sein. Früher, da mochte ich mich wirklich. Ich war lebensfroh und optimistisch. Wenn ich nun in den Spiegel sehe, dieses Lachen sehe, diese Augen sehe, könnte ich kotzen. Ich weiß nicht mehr, wer ich eigentlich bin. Das, was ich sehe, das will ich nicht sein.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.01.2009

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