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Ich bin kaputt- wollt ihr mich noch?


Draußen regnet es. Es ist ein kalter Regen. Sehr kalt. Und sehr, sehr nass.
Über meine Wangen laufen Tränen, einfach so, laufen sie, einfach so. Es sind zu viele.
Ich glaube, ich habe Magersucht und Depressionen. Ich habe mich geschnitten, mal wieder. Und es ist keiner da, der mich im Arm hält. Es ist einfach keiner da, der mich warm hält.


Ich bin nicht klein und auch nicht dünn, ich bin nur klein in mir. Ganz klein. Nur das sieht niemand. Ich drehe mich und weiß nicht mehr, wo unten und oben ist. Mir ist ganz schwindelig. Ich würde gerne abheben, und weit in den Himmel fliegen, weit weg von hier. Und schwerelos sein.

Nur ich esse dauernd und deswegen bin ich hier, auf der Erde, die ich nicht verdiene. Ich nehme zu viel Platz ein, der mir nicht zusteht.


Und dabei geht es gar nicht um das Gewicht und auch nicht darum, dürr zu sein. Es geht darum, gesehen zu werden. Ich fühle mich wie eine unproportionierte Masse Fleisch, ein Schwabbel, eine Qualle, ein Monster. Ich war immer die Große, die Lange, der Lulatsch. Vielleicht wollte ich einfach irgendwann nicht mehr da sein... Es lässt sich besser ertragen, gar nicht mehr gesehen zu werde, als SO gesehen zu werden: Fett. Ich wollte klein sein, zierlich, wie die Mädchen, die von ihren Jungs in Arm genommen werden, beschützt werden. Ich wollte auch so sein. Hilflos irgendwie, zart, süß. Ich wollte auch in den Arm genommen werden, auf den Schoß, und ich wollte nicht mehr so riesig sein. Ja, riesig ist ein gutes Wort. IAlles an mir ist so riesig. Und ich hasse mich dafür: Für meine großen Füße und Hände, meine langen Beine, meine breiten Hüften und Schultern, meinen großen Busen. Ich hasse all das... weil ich in mir drin furchtbar klein bin. Nur das glaubt niemand.


Ich wäre gerne eine Fee oder eine Elfe mit langen blonden Haaren und blauen Augen, ganz zierlich und hübsch, zerbrechlich. Aber ich bin nur ich, ein Riese mit kurzen dunklen Haaren, langweilig, groß. Ekelhaft.


Die Wahrheit ist, ich lache, damit sich andere daran erfreuen. Ich treffe mich mit Freunden, damit sie sich ihre Sorgen von der Seele reden können. Ich lebe, damit ich andere dadurch glücklich mache. Es ist schön irgendwie, dass sich Menschen freuen, wenn ich lache, aber ich kann nicht mehr. Dafür habe ich keine Kraft. Ich fühle mich so ausgelaugt, dass ich manchmal nicht weiß, wie ich es schaffen soll, aufzustehen. Und doch tue ich es und es ist alles so egal, was ich mache, ob ich da bin oder nicht, weil mich eh niemand richtig sieht; Bemerken, ja; Auslachen, vielleicht; Eklig finden, natürlich; Aber sehen tut mich niemand.

Weißt du, eigentlich bin ich nämlich sogar ganz schön. In mir.


Stehst du weinend am Fenster und fragst dich, warum alles so gekommen ist?
Kniest du lachend am Grab? Verzweifelt?! Hilflos?! Kalt!
Willst du wissen, wie dein Herz zerbrach und das in nur einer Nacht?
Willst du wissen, was dir fehlt? Sag mir, sag mir: Was?


Draußen klingeln Kinder in albernen Kostümen. Es ist Halloween. Süßes oder Saures. Sie machen mir Angst. Ich würde gern das Licht ausschalten. Ich bin nicht daheim. Mich gibt’s nicht. Nicht mehr. Knips. Die Dunkelheit macht mir Angst.
Das Telefon klingelt. Meine Schwester. Ich wäre gern wie sie. Sie macht mir Angst. Die Heizung ist an. Auf 5. Es ist heiß. Stickig. Ich friere.
Es ist so still, dass ich die Musik laut aufdrehe. Ich habe Angst in der Stille zu ertrinken. Ich schreie. Ich schreie. Stille. Ich schreie. Stille. Ich bin kaputt, wollt ihr mich noch?


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.11.2008

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