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Die vier Seelamp-Zeiten

Es ist Winter, die Felder und Wiesen in der schleswig-holsteinischen Schweiz, die an die Ostsee grenzen, liegen brach. Erde, soweit das Auge reicht. Auf einigen liegen noch verstreut ein paar Halme der letzten Getreideernte. Der Winter legt Hand an, lässt die Erde gefrieren, lässt sie hart werden. Wir Kinder rennen den Hügel hinab zum Campingplatz. Ein gerader harter Feldweg, um schneller am Wasser zu sein, nehmen wir den Weg direkt über das hartgefrorene Feld. Noch haben wir Frost, aber die Tage werden länger und wärmer. Bald wird der Bauer den Raps ausbringen. Noch sieht alles still und friedlich aus. Unberührt, so scheint es, liegen die Felder da. Wir haben das Wasser erreicht. Am Strand sieht man kleine Eisschollen auflaufen.

 

Zwei Wochen später machen wir erneut einen Ausflug zum Platz. Die Frühlingssonne hat sich schnell durchgesetzt. Heute können wir nicht über die Felder zum Wasser laufen, wir müssen den regulären Weg nehmen, da der Bauer die Habersaat ausbringt. Auf dem anderen Feld daneben sieht man kleine Knospen sich den Weg aus der Erde suchend, hervorsprießen. Ein kleiner Hauch von Grün. Ein Truthahn stolziert über die noch leeren Felder und pickt ab und an etwas auf, einige Hasen schlagen Haken über die Felder. Man merkt, das Leben beginnt wieder. Von nun an geht es jedes Wochenende an die See und wir können das Wachsen der kleinen grünen Sprösslinge beobachten.

 

Mit jedem Wochenende, das wir an die Ostsee fahren, verändern sich die Wiesen und Felder. Aus Sprösslingen wird eine Pflanze, die Ende Mai beginnt zu blühen. Sie bietet ein Versteck für Hasen und brütende Vögel. Aus Grün wird ein strahlendes Gelb, die Rapsblüte ist da und mit ihr, die Rapskäfer. Unsere gelben Kleider und Shirts wimmeln von den Käfern. Aus Gelb wird schwarz. Die Getreidefelder haben noch etwas Zeit, doch bald wird der Raps verblüht sein, und kann geerntet werden, um daraus Rapsöl zu produzieren.

 

Es wird wärmer, der Bauer hat den Raps abgeerntet und wartet auf das Getreide. Der Sommer ist da, die Sonne scheint unerbittlich auf die Erde. Die Pflanzen brauchen eine gute Mischung aus Sonne und Regen, um sich gut zu entwickeln. Am Feldrand blühen die ersten Feldblumen. Mohn, Feldblumen und Margeriten. Wir laufen denn Hügel hinauf und pflücken unserer Mutter einen bunten Strauß Blumen vom Wegesrand zum Geburtstag. Bald ist der Sommer vorbei, das Getreide ist hoch und gesund gewachsen.

 

Als Kinder sind wir durch die Felder gelaufen, als Teenager bauten wir uns ein Bett im Kornfeld, was heute gar nicht mehr geht, aber als Kinder und Jugendlicher hat man darüber nicht nachgedacht. Als Kinder legten wir uns auf den erdigen Boden, gruben mit den Fingern in der Erde, beobachteten das Krabbeln der Käfer, Würmer und Spinnen am Erdboden, als Teenager nutzten wir eine Decke als Unterlage, um nicht direkt auf der Erde zu liegen und als Erwachsene rennen wir schreiend weg, wenn uns eine Spinne begegnet.

 

Ende August bis Ende September erntet der Bauer seine Früchte vom Feld. Die Luft ist staubig, es riecht  nach Stroh, Heuballen zieren die Felder, bis sie eingebracht werden. Der Herbst naht mit großen Schritten. Die Felder haben etwas Zeit, bis der Bauer im Oktober wieder die Hafer-Saat ausbringt. Vor uns liegen die letzten Wochenenden an der Ostsee, bevor es für unseren Wohnwagen ins Winterquartier geht. Die Felder liegen vor uns, sie sehen den Winter über leer aus. Erde ist zu sehen, bedeckt mit ein wenig Strohresten, bis im Frühling die Vögel zum Neustart ins neue Jahr rufen und der Zyklus von vorn beginnt.

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Tag der Veröffentlichung: 19.10.2023

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