Wenn ich eine Rangliste der Jahreszeiten für mich erstelle, dann kann ich das nicht, denn Sommer, Frühling, Herbst und Winter haben ihre eigenen Erinnerungen, die alle schön waren. Im Frühling begann die Camping-Saison. Man sah alte Freunde wieder, genoss Freiheiten, die man in der Stadt nicht hatte. Man durchquerte die Felder und Wiesen an der Ostsee mit den Fahrrädern, grenzenlose Freiheit, die man in der Stadt nicht hatte.
Im Sommer gab es die großen Ferien, wir gingen baden, wann immer wir wollten. Das Getreide wiegte sich im Takt es Ostseewindes und wenn man genau hin hörte, ergab das Rauschen des Meeres, gepaart mit dem Gesang der wiegenden Getreidehalme eine wunderschöne Melodie.
Dann kam der Herbst. Die Winde frischten auf und auch bei uns in der Stadt gab es Stürme. Dies war die Zeit, in der mein Opa immer seinen großen Auftritt hatte. Er nahm meine kleine Schwester und mich mit in den Schuppen und bastelte etwas mit uns. Wir bekamen Holzleisten in die Hand gedrückt. Dann zeigte er uns an Hand seiner Leisten, was wir tun sollten. Wir klebten die Leisten in Form eines Salmis zusammen.
Dann hauten wir mit einem kleinen Hammer winzige Nägel in die Stoßkanten. Waren wir damit fertig, wurden, senk- und waagerecht, jeweils eine Verstärkungsleiste eingesetzt. Im Anschluss zauberte Opa aus einer seiner vielen Schubladen Transparentpapier. Jeder von uns durfte sich eine Farbe aussuchen und damit es keinen Streit gab, durften nur unterschiedliche Farben gewählt werden. Gemeinsam rührten wir etwas Tapetenkleister an, legten das Papier auf das Holzgerüst, zeichneten die Umrisse an und schnitten anschließend die Form, beim Nähen nennt man es Nahtzugabe, aus.
Dann schmierten wir die Ränder ein. Vorher befestigten wir am unteren Ende des Drachengestells noch eine Angelsehne, dann klebten wir unser Papier auf den Rahmen, drückten es fest. Während wir darauf warteten, dass es trocknete, schnitten wir kleine bunte Streifen zurecht, die wir mit einem dünnen Faden an der Angelsehne befestigten, so dass der Drache einen bunten Schwanz bekam. Und dann ging es raus mit Opa, Drachen steigen lassen. Damals hatten wir noch die ganze Straße, um Anlauf zu nehmen. Opa hielt den Drachen, wir rannten los und er stieg auf in den Himmel. So spielte unser Opa den ganzen Tag mit uns und dies gehört für mich zu den schönsten Erinnerungen an den Herbst.
Dann folgte der Winter, da ging es mit Opa auf den Dom und mit Opa oder Papa zum Rodeln auf die alten Müllberge.
Aus dem Buch Basteln für Mädchen, erschienen in den fünfziger Jahren.
Cover: Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 07.10.2023
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