»Sind sie sicher, dass dies ihre Wünsche sind`, und wir es so ausführen sollen?« Henning Kleinschmidt blickte in die runzligen blassen Augen der Frau, die gerade vor ihm saß. Edda Tschapinski, die nur noch wenige Wochen zu leben hatte. Sie nickte kurz mit dem Kopf. »Kosten spielen keine Rolle. Bereiten sie bitte alles so vor, wie abgesprochen. Die erbetene Vorkasse, für den Bau der komplizierten Apparatur, wird ihnen noch heute überwiesen.« Vier Wochen später verließ die Frau, die sich nie etwas aus dem Denken der Anderen gemacht hatte, die Welt für immer. Sie hatte ihr Leben stets so gelebt, wie sie es für richtig hielt, Sie hatte den Spaß genossen und sich geschworen, es den Miesepetern an ihrem Grab schwerzumachen.
Bereits drei Tage später flatterten bei Kindern, Freunden und Verwandten Einladungen ins Haus.
Am kommenden Montag, den 24.08. um 11:30 Friedhof >Mein Grab< Kapelle 14
Graveyard Party Event mit DJ Deda und Roberta Williams.
Ich wünsche keine Trauerkleidung.
Alle wussten, das war Eddas Lieblingssängerin. Die konnte vom Band singen, aber wer war, DJ Deda? Pünktlich standen die Trauernden vor der Tür der Kapelle. Jeder dachte, es sei seine Pflicht, ihr ein letztes Tschüss zu sagen.
Die Türen öffneten sich. Der Sarg stand hochkant vor dem Altar. Oben in der Mitte erblickten sie einen Spion. Ein Schauer lief über ihren Rücken. Edda hatte immer hinter dem Spion gestanden und den Hausflur beobachtet. Ein Klick ertönte aus dem Sarg, so als ob Edda den Verschluss von der Scheibe geschoben hätte. Sie schien die Halle zu überblicken. Die Trauergäste setzten sich, ihnen war mulmig zumute. Sie warteten auf den Redner.
Plötzlich wurde es dunkel in der Halle. Die schweren Vorhänge fielen herab. Eine Minute Stille und dann erklang eine männliche Stimme aus den Lautsprechern:
»Herzlich willkommen zu Eddas Graveyard Party Event. Sie hat sich eine fröhliche Beerdigung gewünscht, und das üben wir jetzt einmal. Sowie das Licht erneut angeht, die Orgelmusik erklingt und der Redner die Halle betritt, klatschen sie frenetisch, stampfen mit den Füßen auf und rufen Eddas Namen. Genau so, als ob der größte Star auf Erden auf die Bühne kommt.« Das Licht ging an. Stille. Verdutzte Gesichter.
Die Stimme erklang erneut. »Also jetzt ist Edda aber enttäuscht. Sie guckt uns zu und was sie eben sehen musste, hat sie sicher nicht erfreut. Nun bewegen sie rhythmisch die Hände im Takt der Orgelmusik.« Das Licht ging erneut an. Ein verzagtes Klatschen erklang aus der hintersten Ecke. Im selben Moment setzte sich die komplizierte Mechanik das erste Mal in Bewegung. Der Sarg von Edda fuhr in die Mitte, neigte sich ein Stück nach vorn, so als ob sie sich vor ihrem Publikum verbeugen würde. Ein Aufschrei ging durch die Trauergäste. »Sehen sie, jetzt hat ihre Mutter, Verwandte und Freundin sich ganz umsonst bewegt. Wenn sie ordentlich klatschen, verneigt sie sich mehr als einmal. Sie möchte den Applaus hören, die Vibrationen spüren. Also los gehst. Auf ein Neues.«
Das Licht ging aus. Die obligatorische kurze Stille, es wurde hell und der Applaus setzte ein. Edda fuhr gelassen nach vorne und verneigte sich zweimal vor dem Publikum.
»Das war noch nicht genug. Wir wollen, dass Edda tanzt.« Der Ablauf startete von Neuem. Als diesmal jedoch das Licht anging, klatschten die Angehörigen etwas lauter und zwei oder drei setzten sogar ihre Füße ein. Jeder wollte sehen, was ihre Mutter, Tante, Cousine, Freundin als nächstes verzapfen würde, Sie fuhr nach vorn, verneigte sich, drehte sich einmal im Kreis und fuhr zurück. Nun bedurfte es keiner weiteren Aufforderung, beim nächsten Erlöschen des Lichtes, wartete jeder gespannt darauf, dass es wieder anging und man klatschen und trampeln durfte. Sie wollten Edda ein Tänzchen entlocken und genau dies gelang ihnen. Mit ihrem Klatschen, Pfeifen, Stampfen mit den Füßen und Rufen, versetzten sie den Sarg in eine nicht enden wollende Rotation. Edda hatte sich ihren ersten Wunsch erfüllt, einen letzten Tanz unter den Augen aller ihrer Lieben.
Dies war jedoch nicht ihre komplette Planung. Nachdem der Redner seine Ansprache beendet hatte, trat Roberta auf und sang ihre Lieblingslieder, darunter Stücke, die jeder mitsingen konnte, wie z. B., das Schleswig-Holstein Lied oder auf und nieder. Bald hatten die Trauernden vergessen, warum sie eigentlich hier saßen. Sie lachten, sangen mit, applaudierten und einige erzählten sich klammheimlich Witze. Keiner vergoss eine Träne aber genau das war es, was sie sich gewünscht hatte. Eine fröhliche Feier. Bevor der Sarg hinausgebracht wurde, verkündete Eddas Sohn, dass sie im Anschluss ins Café Klaus gingen. Dort legt DJ Deda zum Tanz auf.
Der Sarg wurde auf die Bahre verladen und zum Grab gefahren. Sie hatte sich ihre letzte Ruhestätte gut ausgesucht. Tagsüber schien die Sonne darauf und vor Regen schützte sie ein Baum. Links und rechts von ihr jeweils ein Komiker. Vor dem Grab stand ein kleiner Kran. Wieder wunderten sich die Trauergäste. Doch schnell wurde klar, wofür dieser da stand. Wieder wurden sie aufgefordert, zu klatschen. Erst schien es ihnen etwas pietätlos, hier auf dem Friedhof. Der Sarg wurde gesenkt und ins Grab gelassen. Als sie aufhörten zu applaudieren, zog der Kran den Sarg wieder hinauf. Dieses Spielchen wiederholte sich mehrfach. Edda bekam ihre Standing Ovations. Wunsch Nummer drei erfüllte sich.
Nachdem alle Gäste den Friedhof verlassen hatten, stellte sich Herr Kleinschmidt vor Eddas Grab und fragte leise: »Und Frau Tschapinski, hat es ihnen gefallen? War es so, wie sie es sich vorgestellt hatten?«
Er vermeinte, durch das Rauschen der Blätter an den Bäumen, ein kaum vernehmbares
>Genau so< zu hören.
Cover: Pixabay - Kresimir Gettzy
Tag der Veröffentlichung: 15.09.2023
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