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Schlaf, Menschlein, schlaf

Ich bin eine der letzten unserer Art. Von den knapp acht Milliarden sind nur noch vereinzelt kleine Gruppen übrig geblieben. Ich zähle nicht mehr für die Menschheit, bin nicht mehr fruchtbar. Fruchtbar und Weisheit sind die neuen Topwörter. Technik gibt es nicht. Wir könnten neue Technik entstehen lassen, aber uns Alten ist die Erde jetzt wichtiger. Wobei uns die Frage rumtreibt, haben wir das Recht, der Jugend unser Wissen, unterirdisch verstaut in Staatsbibliotheken, zu enthalten? Haben sie nicht die gleichen Rechte wie wir, die gleichen Fehler zu machen. Ja und Nein. Nein, zum Wohle des Planeten, unserer Lebensgrundlage und Ja, wir dürfen es ihnen nicht verbieten. 20 Jahre ist es nun schon her, dass die Vernichtung über uns kam, ausgelöst durch menschlichen Ehrgeiz und menschliches Versagen. Ausgelöst durch den Drang, den Planeten beherrschen zu wollen. Eine ehrgeiziger Wissenschafter, ein herrschsüchtiger Präsident und eine Fachkraft, die einmal zwei Minuten aufgepasst hat und das Schicksal nahm seinen Lauf. Atombomben wollte keiner, der Wettlauf um die in Anführungsstrichen humanste Todeswaffe der Welt begann. Ein Virus entstand, der uns alle in einen tiefen Schlaf versetzt, welcher übergeht in  ein >das Herz hört einfach auf zu schlagen< Zustand, sprich zum Tod, den man nicht merkt.

 

Von einem Tag auf den anderen meldeten asiatische Staaten eine erhöhte Sterberate. Keiner konnte sich das erklären. Die Menschen schliefen ein, einfach so und egal, was sie taten und sie wachten nicht mehr auf. Man sah in den Nachrichten Bilder von anscheinend schlafenden Menschenmassen in Zügen, schlafende Soldaten auf Schlachtfeldern, schlafende Passagiere auf Kreuzfahrtdampfern, schlafende Flugzeug und Zugpassagiere. Es sah so friedlich aus, so still. Doch diese Bilder wurden mehr und mehr. Die Staaten schotteten ihre Grenzen ab, suchten den Verursacher, suchten ein Gegenmittel und fanden nichts. Es gab ein totales Reiseverbot, ein Verbot von Menschenansammlungen, Menschenbewegungen. Wir durften nicht mehr aus dem Haus. Der Staat organisierte Lieferketten für Lebensmittelversorgung. Alle Geschäfte. Praxen, Krankenhäuser, alles war dicht. Man hatte Angst, sich abends ins Bett zu legen, und Morgens nicht mehr aufzuwachen. Wir sahen unsere Kinder nicht mehr, Rundfunk- und Fernsehstationen stellten ihre Übertragungen ein. War etwa kaputt, wurde es nicht mehr repariert. Irgendwann hatten wir keinen Kontakt mehr zu unseren Verwandten und Freunden. Wir kannten nur noch die Personen, die in unserem Haus oder enger noch in unseren Wohnungen mitwohnten. Man hielt Kontakt über das Sofakissen im Fensterrahmen und rief sich etwas zu. Aber auch diese vollen Fensterrahmen wurden von Woche zu Woche leerer. Räumkommandos zogen durch die Straßen, sammelten die vermeintlich Schlafenden ein. Sie wurde in die Müllverbrennungsanlagen der Welt gebracht, die Asche im Nachhinein den Gewalten des Planeten übergeben. Tiere bekamen kein Futter mehr, verstarben in ihren Ställen, außer es waren Wildtiere, die richteten sich weiter nach dem Gesetz des Stärkeren.

 

Irgendwann, in einer der letzten Ausgaben eines Fernsehsenders, erfuhren wir, dass eine kleine Laborfachkraft, Geschlecht unbekannt, die Türen nicht richtig geschlossen hatte und dieser biologischen Kriegswaffe den Weg nach draussen bahnte, wo sie ihre Arbeit verrichtete und das wirklich gut, wie wir mittlerweile sehen.

 

Inzwischen gehen wir wieder raus, ist ja eh keiner mehr da. Wir sind wenige, vielleicht sind wir Auserwählte Gottes oder einer anderen Macht. Vielleicht sind wir die Guten, die jetzt eine bessere Welt aufbauen sollen. Wir haben die Städte verlassen, sind aufs  Land gezogen. Unsere Ansiedlung hat 100 Einwohner, zwanzig Alte 40 Junge und viele viele Kinder. Wir Alten vermitteln den Kindern und jungen Erwachsenen das Grundwissen, das man braucht, um ein Land zu beackern. Abends sitzen wir zusammen, lehren Nähen, Stricken, Kochen. Tagsüber betreuen einige von uns die Kinder, während die Eltern auf dem Feld sind.

 

Wir leben ein Leben zwischen Steinzeit und Mittelalter mit dem Wissen von heute. Telefone brauchen wir nicht, wir haben selbstgebaute Fuhrwerke, alte Autos, gezogen von unseren Zuchttieren. Wir essen nur noch das Fleisch, das wir auch selbst getötet haben. Plastik ist ein Fremdwort für uns. Wir hätten gar nichts, um es herzustellen. Unser Kühlschrank ist ein Erdbunker, wir stellen nur das her, was wir auch schnell herstellen können.

 

Einschlafen tut keiner………………….

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Cover: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 14.08.2023

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