Start Spreading the News, I am leaving today. I want to be a part of it, New York, New York. (Frank Sinatra)
Dank eines glücklichen Zufalles hatte ich im Mai 2006 die Chance meines Lebens. Es war eigentlich nicht einer, es kamen gleich fünf zusammen:
1. Meine ehemalige Englischlehrerin, Kommunikation Erwachsenenbildung, wollte einen günstigen Trip nach New York organisieren und fragte auch mich.
2. Meine geliebte Schwiegermutter wollte mir etwas Gutes tun.
3. Mein Mann wollte schon immer, dass ich meinen Lebenstraum New york, einmal erfüllen kann.
4. Meine Mutter hatte denselben Wunsch.
5. Und last but not least, eine liebe Freundin, die schon weit gereist ist, hatte Zeit mich zu begleiten.
Punkt fünf ist besonders wichtig für einen Menschen wie mich. Okay, ich kann es auch allein, aber manchmal bin ich so konfus, dass ich glatt am Flughafen in das falsche Flugzeug steigen und in der Antarktis landen würde, wenn das nicht beim Check-Im verhindert werden würde. Und dann kommt noch meine Sehschwäche dazu. Ich würde, aus der Ferne, nicht mal erkennen, wo ich hinlaufen muss. Aus den genannten Gründen freute ich mich wahnsinnig, dass meine Freundin mi konnte, und ich mich nicht halbwegs allein durchschlagen musste. Ein weiterer guter Grund, dass ich Anna dabeihaben wollte, war unsere liebe kleine sadistische Englischlehrerin.
Wir flogen nach London, wo wir den Rest unserer fröhlichen Reisegruppe trafen. Sie hatten einen späteren Flieger von Hamburg genommen. Immer wieder London, die Stadt meiner Träume, der zweite Ort nach Hamburg, an dem sogar ich leben konnte, wo das europäische Leben pulsiert. Erst mal eine rauchen, bevor es für sechs Stunden in den Flieger nach New York ging. Gezwängt standen wir, mit den Kippen im Hals unter den riesigen Dunstabzugshauben in Heathrow und zogen vor Nervosität einer nach der anderen durch. Keiner von uns war bisher so lange geflogen und die Unruhe wuchs von Minute zu Minute. Während des Fluges halfen mir meine Trainingsstunden mit der Deutschen Bahn, ansonsten hätte ich mir wohl vor Angst in die Hosen gemacht. Bei unseren Freunden der Schiene hatte ich gelernt, wie man es schafft, innerhalb von fünf Minuten, einzuschlafen. Oder, kamen vielleicht einfach immer nur Kindheitserinnerungen hoch? Ich gebe es zu, ich bin nicht gerade der Flugfreund par excellence. Kaum hatten wir unsere Flughöhe erreicht, und ich mir einen Film eingestellt, fielen mir die Augen zu. Ich sank in den Schlaf der Unwissenden. Kurz vor New York weckte Anna mich. Ich war gestärkt für das Abenteuer meines Lebens.
Leider kamen wir erst zu nachtschlafender Zeit an. Ich fit wie ein Turnschuh und zu jedem Spaß aufgelegt, der Rest todmüde. Anna wies mich erst einmal zurecht, dass ich den Mund halten sollte und keine Witze machen sollte, wie üblich, wenn mich die Grenzpolizisten etwas fragte. Wir erledigten zuerst den ganzen formellen Kram. Da sagt man immer, die Deutschen sind Kontrollfreaks, aber die Amerikaner schlagen uns um Längen. Ich blieb stets freundlich und zuvorkommend, hatte die Worte meiner Freundin verinnerlicht, das war die Devise und bloß nicht auffallen.
Vom Flughafen ging es mit der berühmten Subway zur Herberge: American Dream Hostel. Anna und mir wurde ein Drei-Bett-Zimmer zugewiesen Gott sei Dank bekamen wir eine nette Zimmernachbarin. Am Ende der Reise nannte man uns auch liebevoll die drei von der 33; unsere Zimmernummer. Beim Anblick unseres Zimmers kam uns die Erleuchtung, warum es eine günstige New York Reise geworden war und es folgten im Laufe der nächsten zehn Tage noch einige Gründe mehr, die diese Aussage bestätigten. Okay, wir wollten viel erleben und nicht in dem Zimmer wohnen. Zum Übernachten war es gut genug, sah man von diesem Dreier-Bett mal ab. Unten zwei Schlafstellen und oben eines. Das ganze Gebilde schwankte wie ein Schiff im Wind. Alle Schrauben locker. Im sicheren Deutschland hätte der TÜV das Gestell aus dem Verkehr gezogen. Neben dem Bett befand sich noch ein Waschbecken und bis heute sind wir ziemlich sicher, unsere vierte Mitbewohnerin war »La Cucaracha«, die Kakerlake.
Der erste Tag begann mit einem Gewaltmarsch über Dekaden von Straßenzügen. Laufen ist billiger und man sieht mehr. Die Zungen hingen uns aus dem Hals, aber unsere kleine lieber Sadistin, unsere Anführerin, feuerte uns stetig an: »Nur noch drei Straßen, und es gibt etwas zu essen, und zu trinken.« Was die Amerikaner so essen nennen. Unser Marschgepäck wurde immer schwerer und mittlerweile war der Big Apple auch nicht mehr so interessant für uns. Das Bedürfnis unsere Essens- und Trinkgelüste zu befriedigen, übertönte jedweden anderen Sinn. Wir konnten die Schönheiten der Stadt nicht mehr richtig aufnehmen, so ausgetrocknet und verhungert waren wir. Dann kam der Ausblick, der uns für alle Qualen entschädigte. Wir standen vor dem Central Park, die grüne Lunge der Stadt und so etwas von schön und sehenswert, genau wie man es aus all den Hollywoodfilmen kennt. Wir taten es den Schauspielern gleich und legten uns in den Schatten, nagten an unserem Sandwich und beobachteten das Treiben vor uns. Ich weiß nicht mehr, die wievielte Weißbrot Pampe es war, aber sie schmeckte. Morgens, mittags und abends Sandwiches, nichts für Diabetiker oder gesunden Menschen mit dem Gelüste nach Gemüse.
Weiter ging es bis in den Abend hinein. Alles mitnehmen, was man mit den Augen und Füßen so mitnehmen kann. Und bloß kein Geld ausgeben, ganz wichtige Devise unseres Generals an der Frontlinie, wie wir unsere Lehrerin mittlerweile nannten.
Am zweiten Tag, das gleiche Spiel. Als unsere Befehlshaberin nicht zur Freiheitsstatue hinüberfahren, das kostet ja Geld, sondern nur mit der Fähre dran vorbeiziehen wollte und wir dabei, wie die Japaner, unsere Fotoapparate bereithalten sollten, streikten die ersten Rekruten dieses unerschütterlich sadistischen Kommandanten. Anna sah meine enttäuschten Augen, nahm mich in den Arm und sagte, »Scheiß drauf. Wir fahren darüber. Wenn wir früh genug da sind, kriegen wir noch eine Überfahrt. Ich hab das schon öfter gemacht.« Wir begingen Fahnenflucht und machten uns allein auf den Weg durch die Wildnis von NY.
Die Fahnenflüchtlinge auf dem Weg zur Freiheitsstatue, begleitet von den unerbittlichen Blicken der New Yorker Aufsichtsbeamten. Es ist schon ein beeindruckendes Erlebnis vor Lady Liberty zur stehen. Ich gebe es zu, ich hatte leicht wässrige Augen. Danach ab nach Ellis Island und mal geguckt ob Vorfahren von uns auf der langen Liste der Einwanderer stehen. Am Abend dann auf den Broadway und Fan gespielt. Uns an den Hintereingang gestellt und darauf gewartet, dass Jeff Goldblum aus der Tür schreitet. Alle Schauspieler kamen durch die Hintertür, begleitet von Gekreische und Gejohle, nur wir blieben unbeeindruckt und still. Wir kannten die alle gar nicht.
Am dritten Tag kehrten wir kurzfristig wieder zur Kompanie zurück. Man belagerte unser Zimmer und wollte wissen, wie es war. Mein Mundwerk blieb nicht stehen, so begeistert erzählte ich von meinen Eindrücken. Die Gesichter der Anderen wurden länger und länger. Sie zeigten uns ihre Fotos. Da zog ich meine Digitalkamera hervor und zeigte das Bild von Anna und mir, direkt vor der Freiheitsstatue, unsere Köpfe bedeckt mit unseren Che Guevara Mützen. Die Freiheitskämpfer vor der Lady.
Unser kleiner Sadist, an vorderster Front, führte uns in ein Kloster mit anhängendem Park, traumhaft schön und schon wieder >for free<.Nachdem wir einen wunderschönen Vormittag dort verbracht hatten, schickte sie uns auf einen Orientierungsmarsch durch New York. Die Kommandantin kam uns abhanden. Wir überlegten, wie lange wir mit der Bahn hierher gebraucht hatten. Es ging. Wenn wir also immer am Hudson River entlanggingen, mussten wir unweigerlich nach Manhattan kommen. Auf Höhe unserer Straße, nach links ins Gebüsch schlagen und dann sollten wir eigentlich unsere Herberge fast spielend finden. Los ging. Wussten sie eigentlich, wie viele Starbucks Cafés direkt am Hudson River liegen? Alle 1.000 Meter eines, und wir suchten fast jedes auf. Erstens hatten sie Kaffee und zweitens Toiletten, um den Kaffee wieder wegzubringen. Seit diesem Trip bin ich süchtig nach Starbucks Kaffee und kann an keinem Geschäft des Unternehmens vorbeigehen.
Tag vier in New York und der Kommandant blickte auf seine schrumpfende Truppe. Die nächsten Rekruten hatten sich der kleinen abgesprengten Freiheitskämpfergruppe angeschlossen. Wir genossen einfach nur das pulsierende Leben, den Verkehr, die an uns vorbeieilenden Menschenmassen und natürlich diesen ganz speziellen Duft der Freiheit. Dieser Tag endete in einem Kaufrausch von nicht wieder gekehrtem Ausmaß. Das Gewicht meines Gepäcks verdoppelte sich innerhalb eines Tages und die Geldbörse schrumpfte, leider nicht in dem Maße der Gewichtszunahme. Nein, auf Miniaturgröße. Kleiner Tipp solltet ihr eine Body Shop Karte haben, die gilt auch in Amerika. Noch mal kurz Little Italy und Chinatown mitgenommen und dann wieder ab auf den Broadway, die Lichter der Nacht aufsaugen und erneut versuchen, ein paar Stars auf die Digitalkamera zu bannen oder ein Autogramm abzustauben.
Tag fünf brachte eine Kehrtwende im Leben des Kommandanten, die Rekruten, ausgelaugt vom Shopping, kehrten in den Schutz des Bataillons zurück, packten ihr Marschgepäck und besuchten gemeinsam das andere Ende von New York. Bei Regen ging es nach Conney Island, um ein bisschen Seeluft zu tanken und das Russenrevier zu bestaunen. Keiner beschwerte sich, kein Knurren und Murren. Einfach nur wortlose Hinnahme der Anordnungen.
Ab dem sechsten Tag war der Kommandant auf sich gestellt und die Truppe vergnügte sich bei Starbucks. Ab und an gab es Lagebesprechungen. Diese wurden aber nicht mehr vom Kommandanten, sondern nun von den Anführern der Abtrünnigen, sprich Anna und mir, geleitet wurden. Diese ließen sich dazu herab, noch einmal die größte Kathedrale der Welt und die Washington Bridge mit dem Kommandanten zu erobern. Was auch mit Erfolg gelang. Man kann sagen, dass wir ganz Manhattan und einige andere Viertel zu Fuß eroberten. Ich habe auf Grund dieser anstrengenden Touren, meine Gesamtgewichtszunahme um drei Kilo reduzieren können. Man sollte sich diesen Satz einmal genüsslich auf der Zunge zergehen lassen.
Natürlich bekam ich auch noch mein Sleepless in Seattle Erlebnis, der Blick vom Empire State Building bei Nacht. Unser Kommandant hatte uns davon abgeraten. Erstens es kostet etwas, da raufzufahren und zweitens waren da die langen Wartezeiten. Das hielt unseren Sturmtrupp nicht davon ab, seinen Fuß ins Gebäude zu setzen. Die Wartezeit betrug nur 45 Minuten und die Sicherheitskontrollen waren wir mittlerweile gewohnt. Schwupp Rucksack in Plastikkiste, Che Guevara Kappe und Jeansjacke daneben und durch die Metalldetektorschleuse. Anschließend etwas sexuellen Kontakt durch die Abtastung der Security und dann zum Fahrstuhl im ersten Stock. Den den zu besteigen, ging ja noch. Jeder der eintrat, ließ den Lift kurz absinken und meinen Mageninhalt leicht hochkommen. Doch im, ich weiß das Stockwerk nicht mehr so genau aber irgendwas mit 50, hieß es umsteigen in den nächsten Lift. Krampfhaft hielt ich mich an der Rundumstange fest. Die Amerikaner scheinen leichte Federungen zu lieben, mein Magen gar nicht. Mir was so etwas von schlecht, dass ich mich erstmal fünf Minuten im Souvenirshop aufhalten musste, bevor ich diesen traumhaften Ausblick über das Lichtermeer bei Nacht genießen konnte.
Aufgrund unserer Fahnenflucht mussten meine Freundin und ich unsere Rückreise später antreten als der Rest der Truppe. Hört sich besser an, als wir hatten nicht den gleichen Rückflug bekommen. Dadurch hatten wir noch ein paar schöne Stunden in New York. Als wir abends abfuhren, weinte der Himmel über der Stadt. Ich weiß nicht ob vor Freude oder Trauer, dass diese fröhliche Truppe, den Ort wieder freiließ. Wie bereits am Anfang gesagt, dank meines Bahntrainings hatte ich auch mit dem Rückflug kein Problem. Ab in die Luft und geschlafen bis London. Dort hatten wir vier Stunden Aufenthalt, den wir uns mit Schlafen auf der Wartebank verkürzten. Wieder ab in den Flieger. Meine Erfahrungen mit London haben mir bereits des Öfteren gezeigt, das Heathrow dazu neigt, einem per Rundfahrt mit dem Flugzeug, noch einmal den kompletten Flughafen zu zeigen. So schloss ich meine Augen und erlebte nicht mal den Start.
Anhand dieses Berichts seht ihr, ich bin wieder heil in Hamburg gelandet.
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Tag der Veröffentlichung: 17.07.2022
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