Ich starrte in den Spiegel. Falten über Falten blickten zurück. Ich nahm meine Hände, legte sie auf die Wangen und strich die Haut Richtung Ohren, als eine Stimme aus dem Hintergrund rief;
»Denk nicht eine Sekunde daran! Das ist ein Befehl.«.
Mein, gerade ausgelernter Friseur,
meldete sich zu Wort.
»Das hast du nicht nötig, wirklich nicht.«
»Ich werde alt, sieh dir das an, überall Runzeln und Falten. Ich komme schließlich nicht umsonst seit Jahren zu euch, um mir die Haare färben zu lassen. Ansonsten würde ich den Anblick noch weniger ertragen.«
»Rede keinen Unsinn. Schönheit ist nur etwas Abstraktes. Eine Bewertung unseres Unterbewusstseins. Jeder entscheidet selber was schön ist. Schönheit kann man bei Lebewesen, Dingen und Erlebnissen finden.«
»Kosta, bist Du unter die Philosophen gegangen, Eine glatte Haut oder eine gute Figur lassen uns erahnen, dass die Person gesund und fit ist. Was man von älteren Personen nicht sagen kann. Weiß doch jeder, ab vierzig geht es mit der Gesundheit bergab. Es kommen die ersten Zipperlein.«
Er lachte laut auf.
»Dafür kann dein Gesicht Geschichten erzählen. Es redet mit mir. Jede Falte ist ein Erlebnis . Was Schönheit ist, bildet sich im Laufe der Jahre. Du, zum Beispiel, findest das Meer schön, ich die Berge. Etwas, dass sich gebildet hat und an dem viel hängt. Ihr seid immer an die See gefahren, wir in die Berge. Ich verbinde damit Kindheitserinnerungen an eine wundervolle Zeit und du bestimmt auch.«
»Da kann ich dir nur zustimmen. Aber das ändert nichts an den Falten.«
»Du hast einfach zu viel Bild der Frau und ähnliche Zeitungen gelesen. Die haben dir gesagt, schön kann nur sein, was jung, knackig, schlank ist. Etwas das eine straffe Haut hat, etwas, das gesund ist. Du bist aber auch gesund, sieht man einmal von Kleinigkeiten ab, du bist einfach nur im Wandlungsprozess des Lebens, aber trotzdem hast du etwas an dir.«
»Ja, Falten.«
»Genau, die ums Auge erzählen vom Spaß am Leben, das Lachen des Tages und der Nacht. Die auf der Stirn, die Sorgen, die du dir um jemanden oder etwas gemacht hast, die um den Mund, vom Reden mit anderen, vom Singen, vom Lachen.«
»Und die an den Ohren?«
»Dass du dein Gesicht, Zeit deines Lebens, benutzt hast, Emotionen auszudrücken.
Guck in den Spiegel, wenn wir erst mal die Farbe ausgewaschen haben, kommt wieder eine strahlende Frau zu Tage, deren Gesicht voller Leben ist. Also denk nicht dran. Denk dran, ich habe es schon oft genug bei dir gesehen.«
»Vielleicht ist das der Grund, dass ich Weihnachtsdekoration, so sehr, liebe. Es sind Erinnerungen an schöne Zeiten, Ruhe und Frieden.«
»Um Gottes willen, fang jetzt nicht damit an. Geh zum Waschbecken!«
Cover: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 22.04.2022
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