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Prolog


Wild prasselte der Regen auf die unordentlich gepflasterte Straße. Obwohl es erst Nachmittag war, hätte man meinen können, es sei bereits später Abend, da es schon ziemlich dunkel und kalt für Ende Oktober war.

Der peitschende Wind fegte die letzten Blätter von den kahlen Ästen und der Regen viel fast waagerecht. So halfen den Menschen, die einen besaßen, auch die besten Regenschirme nichts und jeder beeilte sich, möglichst schnell nach Hause zu kommen. Nur eine schien das Wetter nicht zu stören, beziehungsweise war es ihr egal.

Wütend und völlig allein saß ein kleines, zehnjährige Mädchen auf einer der Parkbänke, spielte mit seinen Messern und wurde vom Regen bis auf die Knochen durchnässt. Von den vorbeieilenden Gestalten blieb sie unbeeindruckt, denn sie waren ihr sowieso egal. Alles war ihr egal.

Sie hatte keine Freunde - Altersgenossen, die sie alle für schwach hielt, waren zu eingeschüchtert von ihrem Umgang mit Waffen, Ältere machten sich über ihre Techniken lustig. Erst heute wieder hatte ein Junge, der wahrscheinlich schon halb erwachsen war, sie verspottet. Kochend vor Wut umklammerte das Mädchen eines ihrer Messer, während sie sich vorstellte, wie sie dem Jungen mit der Klinge die Kehle aufschlitzen würde, so, wie sie es bei den letzten Hungerspielen gesehen hatte. Sie sah ihn regelrecht vor sich, wie er um Gnade wimmerte, konnte sein Blut riechen, seine Schreie hören.

Eine Bewegung riss das Mädchen aus ihren dunklen Gedanken. Eine Gruppe von etwa zwölfjährigen Jungen kam die Straße hinunter. Der eisige Regen schien ihnen ebenfalls nichts auszumachen. Sie wendete den Blick schnell wieder ab, blickte auf ihre eiskalten Hände, die eines ihrer Messer umklammert hielten, etwa ein halbes Dutzend weitere Wurfmesser lagen in ihrem Schoß.

Doch einer der Jungen hatte den Blick des Mädchens bemerkt, sah zu ihr hin und rief:
„Hey, Kleine! Kannst du mit denen da“, er deutete auf die Messer im Schoß des Mädchens, „überhaupt was treffen?“
Die Jungen lachten und ein anderer grölte: „Ich wette um mein gesamtes Geld, dass es nicht so ist.“
Sie klatschten sich ab, zufrieden darüber, zusammen so viel stärker zu sein, als ein jüngeres Mädchen, das sich wahrscheinlich sowieso nicht wehrte. Aber so war sie nicht. Sie würde niemals schwächer als andere sein!

Das ohnehin schon wütende Mädchen sprang auf, die Messer, die auf ihrem Schoß gelegen hatten, fielen klirrend zu Boden, lauter als der prasselnde Regen.
„Soll ich's dir beweisen?“ rief sie, die eine Hand zur Faust geballt, die andere umklammerte immer noch das Messer. Wieder lachten die Jungen. Sie nahmen sie nicht ernst.

Das Mädchen nahm das Messer fester in die Hand und mit einem schnellen Blick visierte sie die Schulter des Jungen. Sie wollte zumindest hier niemanden töten, sondern einfach nur in Ruhe gelassen werden. Dann holte sie aus und schleuderte immer noch in Rage die Klinge mitten in das anvisierte Körperteil des Jungen.

Erschreckt schauten seine Freunde auf das Messer, das tief im Fleisch des einen Jungens steckte. Dieser zog das Messer aus seiner Schulter. Der Schnitt war tief, Blut quoll aus der klaffenden Wunde. Nach einer Schreckenssekunde verkrampfte sich sein Gesicht in einer Mischung aus Schmerz, Entsetzen und Wut.

„Oh man, Scheiße, lasst uns abhauen!“ rief einer aus der Gruppe und die anderen folgten ihm.
Das Mädchen, das sich langsam wieder beruhigte, setzte sich zurück auf die Bank. Sie hasste sie. Sie hasste sie alle, außer sich selbst. Sie hasste ihren Vater, der ständig betrunken war. Sie hasste die anderen im Training, die so schwach waren. Sie hasste die, die Witze über sie rissen und die, die sie einfach eiskalt ignorierten. Alles Idioten. dachte sie.

Doch dann fiel ihr auf, dass einer der Jungen geblieben war. Er sah das Mädchen zunächst prüfend an, dann trat er langsam näher. Er blieb vor ihr stehen und sie erwiderte seinen Blick mit einem halb wütenden, halb misstrauischen Blick, während sie sich insgeheim fragte, wer dieser Junge war.
„Wie heißt du?“, fragte er und streckte die Hand nach ihr aus, „Ich bin Cato.“
Was wollte er?, fragte sich das Mädchen. Wollte er sie wieder verspotten, oder war die Frage ernst gemeint gewesen? Das Mädchen ignorierte die Hand.
„Clove.“ antwortete sie kurz und drehte sich halb weg von ihm. Auch, wenn sie es nie zugeben würde, irgendetwas an dem Jungen fand sie interessant und wollte mehr über ihn erfahren.

„Nun, Clove. Ich hab so das Gefühl, dass wir Freunde sein könnten.“
Das Mädchen zögerte kurz, ziemlich überrascht, dass jemand so etwas zu ihr gesagt hatte, dann griff sie nach der Hand und ließ sich von der Bank hochziehen.


1. Kapitel: Der Tag davor


5 Jahre später ...



Zugleich keuchend und wütend komme ich vor dem Trainingscenter in Distrikt 2 zum Stehen, wo Cato bereits auf mich wartet.
„Wo warst du? Ich warte schon seit einer ganzen Stunde!“ begrüßt er mich.
„Herson, dieser Idiot, hat mich schon wieder aufgehalten.“
„Glaubt der Typ immer noch, dass du mal mit ihm ausgehen möchtest?“, fragt Cato sowohl belustigt als auch mitleidig, „Ich dachte, das hätte aufgehört.“
Wir betreten das Trainingscenter, zwei Wolkenkratzer, dem Trainingscenter im Kapitol nachempfunden.
„Keine Ahnung, wie der immer drauf kommt, aber der blickt einfach nicht, dass ich nichts von ihm will!“ beschwere ich mich bei Cato über die schlimmste Nervensäge auf diesem Planeten.

Seit etwa einem halben Jahr versucht Herson mich zu einem Date zu überreden, während ich ihn am liebsten in Stücke reißen würde. Ständig lauert er mir irgendwo auf und es ist verdammt schwer, ihn wieder loszuwerden. Ich schwöre bei meinem Leben, dass ich wirklich schon alles versucht habe – aber er lässt sich einfach nicht abschütteln! Die sanfte Tour hat nicht gewirkt und einfach Ignorieren bringt ebenfalls nichts. Auch die Verpiss- dich- oder- ich- mach- dich- fertig- Masche zieht nicht und selbst wenn ich ihm sage, dass ich nichts von ihm wissen möchte – am nächsten Morgen kommt er mit 100%tiger Garantie wieder an. Es ist zum verrückt werden! Vor allem, weil ich auf alle Fälle jemanden Besseres verdient habe als diesen Deppen! Gleich im Training kann ich mich ein wenig abreagieren, und wenn ich die Messer werfe, werde ich mir vorstellen, dass ich nicht die Zielscheibe, sondern ihn treffe.

Cato und ich kommen an dem Raum vorbei, in dem die kleinen Kinder im Alter von vielleicht acht Jahren trainieren. Ich sehe sie durch die Glaswand und es ist richtig lächerlich, wie sie Schwierigkeiten haben, die einfachsten Waffen zu bedienen. Oh Gott! Es kann doch nicht so schwer sein, ein Messer in die Hand zu nehmen und damit den roten Bereich auf der Zielscheibe zu treffen. Sie müssen aus vielleicht vier Metern Entfernung werfen. Da kann es doch nicht angehen, dass das Messer unten im Boden stecken bleibt, wenn überhaupt. Die meisten fallen nämlich einfach zu Boden. Wenigstens die Zielscheibe sollte man treffen können – hoffnungslose Fälle.

Ich schüttele den Kopf und lasse mich von Cato vorbei an den einzelnen Räumen ziehen, bis wir zu den Umkleiden kommen, durch die man in den Raum für die Leute in Tributenalter gelangen kann. Dort trennen Cato und ich uns für kurze Zeit.

Ich stelle die Tasche mit meinen Trainingssachen ab, ziehe mich schnell um und hole mein Schwert, sowie den Gürtel mit meinen Wurfmessern hervor. Den Gürtel lege ich mir um und befestige die Halterung für das Schwert am Gurt.

Im kleinen Vorraum, in den die Umkleiden führen, wartet Cato schon auf mich. Wir nicken uns kurz zu, dann stößt Cato die Tür auf und fast augenblicklich verstummen alle Gespräche im Raum. Alle sehen von dem, was sie gerade getan haben, auf und blicken uns an. Die verschiedensten Gefühlsregungen spiegeln sich in den Mienen: Ehrfurcht ist am häufigsten vertreten, Neid fast genauso oft und in manchen Blicken mischt sich beides. Ich genieße die Aufmerksamkeit, die ich mir über die Jahre erarbeitet habe.

Ich lächele kurz zu Lou und Pelly, meinen 13-jährigen Geschwistern, dann zu Len, meiner besten Freundin. Beste Freundin allerdings nur deshalb, weil ich kein anderes Mädchen kenne, das einer Freundin so nahe kommen würde wie sie. Sie ist eine ganz passable Messerwerferin, geht mit mir in die gleiche Klasse und kommt wie ich mit anderen nicht so gut aus. So haben wir uns kennen gelernt und seit dem unternehmen wir ganz selten mal etwas außerhalb des Trainings zusammen. Das war es dann aber auch schon und so ist mir das nur recht und ihr glaub ich auch. Ich würde unser Verhältnis zu einander nie als besonders eng beschreiben, aber eben doch intensiver als zu den meisten anderen Personen.

Ich beschließe, mich mit Messerwerfen etwas aufzuwärmen und auch ein wenig vor den anderen anzugeben. Überlegen stolziere ich zu der Halterung mit den Wurfmessern. Ich habe zwar meine eigenen, aber in den Spielen werde ich nicht mit meinen persönlichen kämpfen dürfen und so ist es wahrscheinlich gar nicht verkehrt, wenn ich schon mal mit den unterschiedlichen Waffen trainiere.

Ganz im Gegensatz zu den Kleinen von vorhin treffe ich auch aus 25 Metern Entfernung noch den roten Punkt auf der Zielscheibe. Ins Herz. Und noch eines. Und ein drittes. Herson wäre schon längst tot.
Ich ernte Applaus und Geflüster von den anderen, die sich im Raum befinden.

Danach messen Cato und ich uns im Schwertkampf. Ich ziehe meine Waffe aus der Halterung und warte darauf, dass der zuständige Trainer das Startsignal gibt. Die meisten unserer Trainer sind ehemalige Sieger und heute kümmert sich Fallon, die die 70. Spiele mit 12 Jahren gewann, um die Station für Schwertkampf. Sie hat ihre sonst offenen, blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden und die davor auffallend teure Kleidung gegen Trainingskleidung ersetzt.

„Bereit?“ fragt sie und ihr lächelnder Gesichtsausdruck wechselt zu einer ernsten, konzentrierten Miene.
Cato und ich nicken auf Fallons Frage und sie gibt das Startsignal.

Spielend pariere ich Catos ersten Angriff. Das war doch kein ernsthafter Versuch!
„Clove, konzentrier dich bitte!“ ruft Fallon und ich kann gerade noch unter Catos nächstem Schlag hindurchtauchen, der viel kräftiger war als der erste. In diesem Fall war es doch mal zu etwas gut, dass ich für meine 15 Jahre so klein bin.

Wütend darüber, dass Fallon, die nur ein paar Monate älter ist als ich, mich vor versammeltem Publikum zurecht weißt, lasse ich mein Schwert zweimal kurz hintereinander auf Cato zu schnellen, doch er wehrt beinahe lässig ab. Das stachelt mich an und ich ziele genauer, stoße das Schwert mit mehr Kraftaufwand nach vorne. Wieder blockt er ab, dann versucht Cato mich zu treffen. Ich mache einen Schritt zur Seite und probiere von rechts anzugreifen, aber er ist darauf vorbereitet und fängt den Hieb mit seiner Klinge ab.

Nach 20 Minuten kann sich immer noch niemand von uns beiden einen Vorteil verschaffen und mittlerweile schwitze ich, was mir ziemlich unangenehm ist. Ich reiße mein Schwert zur Seite, um Catos nächstem Angriff zu entkommen. Langsam aber sicher drängt er mich gezielt zurück. Mir ist klar, dass ich mich nicht zurückstoßen lassen darf. Fallon gibt keine Anweisungen mehr und ich weiß, dass ich ihr zeigen muss, dass ich auch ohne ihre Instruktionen zurecht komme. In der Arena kann sie mir ja auch nicht helfen. Ich blocke Catos nächsten Schlag, tauche blitzschnell unter seinem Arm durch – noch ein Vorteil meiner Größe – und möchte ihn von hinten treffen, aber er verhindert es.

Nach weiteren 15 Minuten schließt das Trainingscenter für heute und immer noch parieren wir den Angriff des anderen und niemand erzielt einen einzigen Treffer. Auch Cato schwitzt jetzt und die Intensität seiner Schläge nimmt ganz allmählich ab.

Nach weiteren zehn Minuten - die Zuschauermenge ist größtenteils verschwunden - schmeißt uns ein Friedenswächter schließlich raus und schickt uns zu den Umkleiden.

Während ich mich umziehe, meint Pelly zu mir: „Weißt du, Clove, ich an deiner Stelle würde mich morgen freiwillig als Tribut melden. Du bist mit weitem Abstand die Beste hier und das, obwohl du gerade mal fünfzehn bist. Du warst Cato im Schwertkampf heute absolut ebenbürtig und der ist zwei Jahre älter!“
Ihr Zwilling Lou stimmt mit wildem Kopfnicken zu. Die beiden sind manchmal echt süß!
„Hm“, ich denke kurz nach, „Ich werde mal Cato fragen, was der dazu sagt.“
„Dann beeil dich lieber! Sonst ist er weg und du siehst ihn vor morgen nicht mehr. Dann wäre es zu spät.“

Ich befolge Lous Rat und so schlendern Cato und ich wenig später durch die von hellen Straßenlaternen gesäumten Gassen von Distrikt 2. Die Beleuchtung ist im Grunde genommen überflüssig, da wir Sommer haben und es noch recht lange hell ist. In der Ferne ragt einer der Berge zum Himmel empor, die unserem Distrikt die typische Gestalt verleihen.

„Cato ...“ fange ich an. Ich weiß noch nicht genau, was ich sagen soll. Das hätte ich mir vorher überlegen sollen, aber dafür ist es jetzt zu spät.
„Was denn?“ Er sieht mich abwartend an.
„Was würdest du davon halten, wenn ich mich morgen freiwillig als Tribut für die Hungerspiele melden würde?“ frage ich ihn. Er bleibt stehen, mustert mich kurz und ich meine für einen Augenblick so etwas wie Sorge in seinem Blick zu erkennen, aber der Ausdruck ist so schnell wieder verschwunden, dass ich nicht sagen kann, ob ich es wirklich gesehen oder mir nur eingebildet habe.
Dann huscht ein Lächeln über sein Gesicht: „Ich würde dir viel Glück wünschen und hoffen, dass du zurück kommst.“
Jetzt lächele auch ich und bin für einen Moment wieder das kleine Mädchen, das ihren Freund findet.

Schweigend begleitet er mich zu meinem Haus, es hat eine mittlere Größe mit einen recht großen Garten, in dem Lou, Pelly und ich manchmal auch privat trainieren, wenn die Zeit nicht reicht, bis ins Trainingscenter zu gehen.
„Na dann bis morgen. Gute Nacht.“ wünscht mir Cato.
Ich verabschiede mich ebenfalls, dann drehe ich den Haustürschlüssel im Schloss herum und rufe zur Tür herein: „Ich bin wieder da!“
„ Ach Clove, wo bleibst du denn? Ich hab mir Sorgen gemacht! Das Essen steht längst auf dem Tisch und ist höchstwahrscheinlich schon eiskalt.“
Solche „Begrüßungen“ bin ich gewöhnt. Meine Mutter macht sich immer viel zu viele Sorgen – ich bin doch kein kleines Kind mehr!
„Ich musste noch was mit Cato bereden.“ antworte ich höchst genervt. Apropos genervt: Auf dem Heimweg hab ich Herson gar nicht gesehen. Wahrscheinlich war er wegen Cato eingeschüchtert. Vollidiot. Aber wenn es hilft, Cato dabeizuhaben, sollte ich das öfters machen. Besser Cato als Herson. Viel besser.

„Und worüber, wenn ich fragen darf?“
Meine Mutter kommt aus der Küche und sieht mich ganz genau an. Sie hat den für meine Mutter typischen Ich- weiß- dass- du- was- ausheckst- Blick drauf. Aber ich bin nicht mehr zwölf.
„Das geht dich nichts an.“
Vielleicht war ich ein wenig zu scharf, aber wenn ich erst einmal Sieger bin, wird mir das niemand mehr übel nehmen.

„Clove möchte sich freiwillig für die Hungerspiele m...“ Ich halte Pelly die Hand vor den Mund.
„Kein Wort!“ zische ich ihr zu, aber Mama hat schon verstanden.
„WAS?! Clove Thea Chericson, das wirst du auf keinen Fall tun!“ Wenn sie einen beim vollen Namen nennt, kann man Gift drauf nehmen, dass man wirklich in Schwierigkeiten steckt.
„Warum nicht? Im Training bin ich die Beste und das mit fünfzehn.“ wiederhole ich einfach, was Pelly vorhin gesagt hat.
„Das stimmt wirklich.“ bekräftigt Lou. Ich wusste, auf die Kleine ist verlass. Ganz im Gegensatz zu meiner anderen Schwester ... Ich funkle Pelly wütend an.
„Ist doch nicht meine Schuld!“ formt sie mit den Lippen.“
„Ganz klar!“ gebe ich genauso lautlos zurück.
„Das ist genau der Punkt: Du bist erst fünfzehn!“, antwortet meine Mutter auf meinen laut gesagten Kommentar, „Meinst du nicht, du solltest noch drei Jahre warten?“ Sie sieht mich überbesorgt an.
„Nein.“ antworte ich einfach.
„Aber Clove! ..“ Ich laufe die wenigen Meter zu meinem Zimmer und knalle die Tür hinter mir zu, aus Wut darüber, dass meine eigene Mutter so wenig Vertrauen in meine Fähigkeiten hat. Ich werde es ihr noch zeigen. Ich werde es allen zeigen. Ich atme durch und beruhige mich ein wenig.
Mir tun ein klein wenig die anderen Tribut leid, die dieses Jahr gezogen werden. Gegen mich haben sie keine Chance.
Ich lächele in mich hinein, während ich meine Mutter ausblende, die versucht mir das auszureden. Kapitol, ich komme!

2. Kapitel: Die Ernte


Am nächsten Morgen wache ich auf, die Sonne scheint in mein Gesicht. Ich blinzele in die goldenen Strahlen, stehe auf und schaue nach draußen. Tolles Wetter. Ich freue mich darüber, denn heute wird mein Glückstag sein! Ich werde als Tribut für Distrikt 2 antreten, ich muss nur schnell genug sein. Am klügsten wäre es wahrscheinlich gewesen, wenn ich mein Vorhaben laut rausposaunt hätte, dann würde ich sicher weniger Konkurrenten haben, aber das lässt sich jetzt ja leider nicht mehr ändern. Warum bin ich eigentlich nicht selbst auf den Gedanken gekommen, mich freiwillig zu melden? Das hätte Vorbereitung und Ausführung leichter gemacht, aber solange ich heute Abend im Kapitol sitze, ist alles in Ordnung.

Heute ist also der Tag: Die Ernten von Panem finden zum 74. mal statt. Aus jedem der zwölf Distrikte wird ein Mädchen und ein Junge von zwölf bis achtzehn Jahren ausgelost, die sogenannten "Tribute". Die ausgewählten 24 Kinder werden dann zusammen in eine riesige Freilichtarena gesperrt. Die Regeln sind einfach: Töten oder getötet werden. Der letzte überlebende Tribut gewinnt und bekommt jede Menge Geld, ein schickes Haus, für immer genug zu Essen und, vor allem: Ruhm.

Im Kapitol, der Hauptstadt von Panem, ist das Top - Unterhaltung. Niemand hat viele Chancen zu überleben. Das ist einer der Gründe, warum die ganze Sache so einen Reiz auf mich ausübt: Ich werde zu den besten Tributen gehören – ich habe mein Leben lang dafür trainiert – und damit eine hohe Wahrscheinlichkeit, Siegerin zu werden. Davon träume ich seit ich die ersten Spiele gesehen habe.
Damals war ich drei Jahre alt. Enobaria, unser Tribut aus Distrikt 2, hat gewonnen. Ich habe damals noch nicht alles verstanden, aber es hat mich fasziniert. Wie toll sie auf der Siegertour aussah. Wie alle sie bewunderten. Ich glaube, zu dem Zeitpunkt habe ich beschlossen, Tribut zu werden. Und heute wird sich mein endlich Traum erfüllen.

Es ist noch nicht spät. Erst sieben Uhr morgens schätze ich. Heute können alle ausschlafen. Eigentlich haben wir jeden Sonntag Training, wir bekommen von klein auf beigebracht, wie man mit allen möglichen Waffen umgeht und sich auch ohne Waffen verteidigt. Man kann auch noch unter der Woche zusätzlich trainieren, was viele (wie auch ich) nutzen, aber die Sonntage sind verpflichtend, eine Auflage, der ich sehr gerne nach komme. Denn an den Sonntagen sind logischerweise alle Jugendlichen da und ergo mehr Publikum für mich.
Heute fällt das Training aber leider aus. Das ist ärgerlich, weil ich auch im Kapitol mindestens einen Tag nicht werde trainieren können.

Um zwei müssen wir auf dem Marktplatz von Distrikt 2 sein. Es bleibt genug Zeit, um zu frühstücken und uns fertig zu machen. Ich ziehe mir zunächst recht einfache Kleidung an, damit die Klamotten, die ich bei der Ernte tragen möchte, nicht schmutzig werden.
Ich gehe runter zum Frühstück. Lou sitzt als Einzige schon da, die Anderen schlafen wahrscheinlich noch. Lou grinst, als ich die Küche betrete:
„Morgen, Clove! Na, auch mal ausgeschlafen? Ich bin schon seit einer Stunde wach!"
Ich lächele sie an: „Sieht so aus, oder? Hab ich irgendwas verpasst?"
„Pelly hat sich gestern Abend noch tierisch aufgeregt, dass du ins Kapitol willst und sie auch. Sie hat gemeint, du würdest ihr die Show stehlen, oder so ähnlich."
Gerade kommt Pelly ziemlich verschlafen in die Küche. Sie trägt sogar noch ihren Schlafanzug!
„Wieso das denn? Es war doch deine Idee, dass ich mich freiwillig melden soll!" fahre ich sie an.
„Wie? Was ist los?" fragt sie, noch völlig neben der Spur.
„Clove regt sich auf, weil du dich auch freiwillig melden willst und du behauptet hast, sie würde dir die Show stehlen, obwohl es deine Idee war, dass sie sich freiwillig meldet." übersetzt Lou schnell, um den drohenden Streit zu vermeiden.
„Was soll ich gesagt haben?" fragt Pelly unschuldig. Ich ziehe eine Augenbraue hoch.

Ohne ein weiteres Wort setze ich mich an den Küchentisch, denn unsere Mutter kommt gerade in die Küche. Anscheinend bin ich nicht die einzige Frühaufsteherin.
„Hast du gut geschlafen?" frage ich sie.
"Ja, ja." murmelt sie.
Damit wären wir dann ja vollzählig, bis auf meinen Vater. Aber der schläft höchstwahrscheinlich noch, wenn er überhaupt schon wieder vom Saufen heute Nacht zurück ist. Ich habe mich mittlerweile so an seine dauernde Abwesenheit gewöhnt, dass es mir im Grunde gar nicht mehr auffällt, dass wir eigentlich zu fünft in der Familie sind.

Nach dem Frühstück gehe ich nach draußen, um noch etwas frische Luft zu schnappen, bevor ich mich für die Ernte fertig mache. Ich muss noch einmal nachdenken. Natürlich möchte ich Tribut werden, das steht außer Frage. Ich horche in mich hinein. Ich bin nervös, aber bereit. Der Zeitpunkt mich zu melden ist gekommen. Es ist unsinnig noch ein Jahr zu warten. Ich werde heute ein Tribut werden. Und ich werde gewinnen.

Planlos schlendere ich durch die fast menschenleeren Straßen von Distrikt 2. Ich werde sie wohl ein paar Wochen nicht sehen, bis ich zurückkehre, reich, wohlhabend, ruhmreich. Ich lasse das Wort auf meiner Zunge zergehen. Es klingt gut.
Mitten in meinen schönen Gedanken ruft jemand meinen Namen. Jemand den ich nicht sehen will, den ich nicht leiden kann. Noch während ich mich umdrehe, sinkt meine gute Laune schlagartig.

„Was willst du?!“ fahre ich Herson, diesen dämlichen, ekelhaften, nervigen Kerl an. Er hat übrigens seinen Teil dazu beigetragen, dass ich im Training so gut geworden bin: Ich habe gelernt, die Beherrschung zu bewahren. Es hat mich schon oft gejuckt, ihm wirklich ein Messer in die Brust zu schleudern. Aber ich habe es nicht getan. Und deshalb werde ich nie ohne Nachzudenken handeln, nie meine Messer werfen ohne zu zielen.

Wenn ich überlebe, weil ich in einer Situation nicht vorschnell handele, werde ich ihm ein Date gewähren, beschließe ich. Falls er dann nicht zuviel Angst vor mir hat. Die Vorstellung amüsiert mich, aber leider sagt er jetzt was.

„Ich wollte dich fragen, ob du heute Abend möglicherweise ...“
„Nein. Was immer es ist, die Antwort ist nein.“ Ich lächele, während ich mich innerlich aufrege. Dass mir dieser Typ meinen letzten Morgen in Distrikt 2 für ein paar Wochen noch so versauen muss! Kann er nicht einfach weggehen und sterben?
„Aber ...“
„Lass. Mich. In. Ruhe. Verstanden?!“ Ich bin kurz davor, doch die Beherrschung zu verlieren. Hochmut kommt vor dem Fall.

„Morgen Clove, alles okay?“ Catos Blick fällt auf den Idioten vor mir. „Ich schätze mal, das heißt Nein“, stellt er trocken fest.
Ich muss ihn wohl sehr mitleiderregend angesehen haben, denn er formt mit den Lippen:
„Ich mach das schon.“ Dann legt er mir den Arm um die Schultern, zieht mich näher an sich und fragt Herson: „Was machst du hier eigentlich?“ Allein Catos Erscheinen schüchtert den Deppen dermaßen ein, dass er nicht antworten kann. Er stottert irgendwas, dann wird er rot und verschwindet. Ich atme erleichtert auf.

„Danke!“ , stöhne ich, „Du hast mir gerade das Leben gerettet. Aber musstest du mich dafür unbedingt so anfassen?“
„Ich dachte, wenn er denkt, dass du einen anderen hast, lässt er dich in Ruhe.“
„Hm, so kann man es natürlich auch sehen ...“ Wir schauen uns an, dann müssen wir lachen. Plötzlich sehe ich, ganz unbewusst, auf meine Armbanduhr und erstarre.
„Oh, schon so spät?!“ Ich bin doch gerade erst losgegangen.

Ich verabschiede mich schnell von Cato, renne nach Hause und mache mich für die Ernte fertig.
Ich dusche schnell, schlüpfe in eine hellblaue Bluse mit passender Hose und stecke meine dunkelbraunen, leicht gewellten Haare hoch. Im Sonnenlicht kommt der leichte Rotstich zum Vorschein, den ich von meiner Muter geerbt habe. Die dunkelbraunen Augen hingegen habe ich von meinem Vater. Ich begutachte mich im Spiegel. Im Alltag würde ich mich nicht so herausputzen, aber heute ist ein besonderer Tag. Wenn ich ins Kapitol gehe, möchte ich aus der Menge herausstechen. Ich lächele meinem eigenen Spiegelbild zu - mir gefällt, was ich sehe -, dann wende ich mich ab.

Als letztes greife ich noch meinem Armband mit weißen, großen Perlen. Cato hat es mir zu meinem fünfzehnten Geburtstag geschenkt und es wurde zu meinem Lieblingsschmuckstück. Cato ist zwei Jahre älter als ich, aber die wenige Freizeit, die ich habe, verbringe ich mit ihm, das meiste Training sowieso. Er ist so etwas wie ein großer Bruder für mich und ich glaube, ohne ihn wäre mein Leben ziemlich langweilig.

Gegen halb zwei betrete ich den Platz vor dem Justizgebäude. Meine Familie, beziehungsweise Pelly, Lou und Mama, müsste bereits da sein und es ist mir nur recht alleine zu kommen, denn meine Schwestern würden mir meinen kleinen Auftritt bei der Ernte sicherlich versauen, oder zumindest schmälern.

Vor dem Justizgebäude wurde eine große Bühne aufgebaut, auf der unser Bürgermeister, unsere ehemaligen Sieger der Hungerspiele und Ember Lyone, die Betreuerin von Distrikt 2, sitzen. Dahinter stehen zwei große Glaskugeln. Eine mit den Namen der Mädchen und eine für die Jungen. Sobald man zwölf wird, wandert der Name einmal in der Kugel. Beim dreizehnten Geburtstag kommt ein weiterer hinzu. Beim vierzehnten Lebensjahr noch einer und immer so weiter, bis achtzehn. Dann ist der Name sieben mal in der Glaskugel und man hat zum letzten Mal die Chance, gewählt zu werden.

Ich habe gehört, in anderen Distrikten lassen sie ihre Namen öfter in die Kugel wandern, im Tausch für Essen. Ich kenne niemanden in unserem Distrikt, der das nötig hätte, und es wäre auch nicht vorteilhaft. Wenn man gewählt wird, kann man sich nicht freiwillig melden. Darum will auch in unserem Distrikt niemand ausgewählt werden - allerdings aus genau dem gegenteiligen Grund wie in den anderen Distrikten.

Ein Friedenswächter zeigt mir den Weg zu den anderen Fünfzehnjährigen. Die Jüngeren stehen weiter hinten, die Älteren weiter vorne, da sie mit höherer Wahrscheinlichkeit ausgelost werden. Natürlich werden trotzdem immer mal wieder Zwölfjährige ausgelost, die dann aber innerhalb von wenigen Sekunden durch jemand anderen ausgewechselt werden, der schon länger auf die Hungerspiele trainiert wurde und meint gewinnen zu können.

Cato steht bei den anderen Siebzehnjährigen. Er ist leicht in der Menge auszumachen, er ist größer als die meisten anderen. Er fängt meinen Blick auf und lächelt mir zu. Ich erwidere es kurz, dann tauche ich unter der Absperrung zu meinen Gleichaltrigen durch.
Mein Erscheinen führt kurz zu Schweigen. Ich lasse mich von den anderen bewundern, bis unser Bürgermeister mir die Show stiehlt, da er einige Sekunden später die Menge begrüßt und die Ernte für eröffnet erklärt.

Ich wende meinen Blick dem Bürgermeister zu, ein wenig sauer darüber, dass er mir meinen kleinen Auftritt versaut hat. Aber mein Ärger verschwindet rasch. Mein großer Auftritt kommt gleich noch.

Er macht es wie immer: Er berichtet davon, was wir dem Kapitol zu verdanken haben. Er zählt zahlreiche Naturkatastrophen auf, schwafelt vom brutalen Krieg, der entstand, als die ehemals 13 Distrikte einmal versucht haben gegen das Kapitol zu kämpfen.
Wie zur Strafe Distrikt 13 zerbombt wurde und die anderen seitdem 73 mal jedes Jahr für die Hungerspiele ausgewählt werden durften.

Er beendet seinen Bericht damit, dass er die Namen der Sieger aus Distrikt 2 vorliest. In 73 Jahren waren es 21. Von den noch 13 lebenden sitzen 11 in einem Halbkreis auf der Bühne, die beiden anderen werden als die diesjährigen Mentoren eingesetzt werden. Ich kann Fallon sehen, deren blonde Haare ihr nun offen über die Schultern fallen, ihr Freund Jace gleich neben ihr, der die 72. Spiele mit 17 gewann und ihre Hand hält. Neben ihm sitzt Enobaria schenkt der Menge ein Lächeln mit ihren spitzen Zähnen.

Dann präsentiert der Bürgermeister die diesjährigen Mentoren: Lyme für das Mädchen, das hoffentlich ich sein werde, und Brutus für den Jungen. Als letztes stellt er Ember Lyone vor, die nun übernimmt.

Sie tritt nach vorne, sagt, was alle Betreuerinnen in jedem Distrikt zu den Jugendlichen sagen: „Fröhliche Hungerspiele! Und möge das Glück stets mit euch sein! Es ist mir eine Ehre, heute bei Ihnen zu sein." Sie beendet die formelle Begrüßung mit einem gut gelaunten "Ladies first!", watschelt zur Glaskugel der Mädchen, dreht sie ein paar mal, nach oben, nach unten, links herum, rechts herum. Dann öffnet sie die Klappe, fischt einen Zettel heraus und öffnet ihn langsam. Jeder, so scheint es, hält die Luft an. Dann sagt sie: "Marrylin Choser".

Ich kann Marrylin nicht leiden. Sie geht in meine Parallelklasse, hat aber schon mal eine Klasse wiederholt und hält sich für die Beste, aber das ist sie eben leider, leider nicht.
Sie schiebt sich aus der Menge mit den anderen sechszehnjährigen und stolziert hoch erhobenen Hauptes zur Bühne. Ihre schwarzen, seidigen Haare hat sie hochgesteckt, ihre grünen Augen funkeln stolz. Glaubt sie ernsthaft, es wird niemanden geben, der sich jetzt freiwillig meldet?

Als sie oben steht, wendet sich Ember wieder der Menge zu: „Gibt es Freiwillige?“ Das ist mein Stichwort! Meine Hand schießt in die Höhe. Einige andere Mädchen wollen sich offenbar auch melden, aber als sie sehen, dass ich in die Arena möchte, senken sie die Hand wieder. Ein paar Mutige, die offenbar Streit suchen, lassen ihre hand trotzdem oben - ich glaube, auch Pelly ist dabei -, aber Ember deutet auf mich. „Du warst die Erste, willkommen als freiwilliger Tribut für die Arena.“

Tja, so macht man das! denke ich überlegen, während Marrylin versucht, mich mit ihren Blicken zu durchbohren. Ich wette, dass sie mich in Gedanken gerade erwürgt, aber Distrikt 2 sollte nach zwei Jahren Unterbrechung endlich mal wieder den Sieger stellen und mit Marrylin als Tribut wird das eben nichts. Die anderen um mich herum haben sich zu mir umgedreht und bilden eine Gasse, durch die ich zur Bühne schreite.

"So ein hübsches Mädchen aber auch." Ember lächelt mir zu, Marrylin räumt wütend die Bühne "Warum willst du denn so dringend in die Arena?" Was für eine doofe Frage.
"Um zu gewinnen." Warum denn sonst?
"Oh, da ist jemand ehrgeizig. Wie lautet den Name?"
"Clove Chericson." Ich hasse meinen zweiten Namen.
"Wundervoll, einen riesigen Applaus für unseren weiblichen Tribut dieses Jahr!" Ich lasse mich von ganz Distrikt 2 beklatschen – ein berauschendes Gefühl! Unter sich die Menschen zu haben, die ganz genau wissen, dass sie dir unterlegen sind ... Der Wahnsinn!

Dann erstirbt der Jubel langsam wieder und Ember sagt: "Dann widmen wir uns jetzt den Jungen." Sie stöckelt zu der 2. Glaskugel. Dreht sie ein bisschen herum, zieht einen Zettel, doch man kann den Namen gar nicht richtig hören, denn jemand ruft: "Ich melde mich freiwillig!"

Ich hatte vor, meinem Mittribut keine Beachtung zu schenken, ihn möglichst schnell zu töten, damit er mir nicht würde lästig werden. Aber ich hätte nie gedacht, wer tatsächlich mein Mittribut werden würde und warum er ausgerechnet dann an den Spielen teilnehmen möchte, von denen er genau weiß, dass ich einer der Tribute sein werde. Warum will Cato ausgerechnet jetzt bei den Spielen dabei sein?

Ember schüttelt etwas verstimmt den Kopf darüber, dass sie noch nicht nach Freiwilligen gefragt hat. Doch dann winkt sie ihn auf die Bühne.
Cato bahnt sich einen Weg durch die Anderen, bis er zur Bühne kommt und die kleine Treppe hochsteigt. Wir blicken uns nicht an.
Cato stellt sich neben Ember.
"Und du bist?" fragt sie aufgesetzt freundlich.
"Cato Wade." Sie nickt.
"Nun denn, hier präsentieren wir Ihnen die Tribute für die 74. Hungerspiele aus Distrikt 2.“ Die Leute bejubeln auch Cato und die ganze Zeit frage ich mich: Warum diese Spiele? Hättest du nicht noch ein Jahr warten können? Du hättest sogar Tribut beim Jubeljubiläum werden können. Warum ausgerechnet jetzt?

Embers restliches Geplappere bekomme ich kaum mit, als wären meine Ohren mit Watte verstopft. Ich bin gut darin, meine wahren Gefühle zu verbergen und bezweifele, dass jemand mir meine wahren Gedanken ansieht. Doch innerlich werde ich von Zweifeln und negativen Gedanken geplagt.

Wieso hat Cato das getan? Wie kommt er dazu? Bedeuten ihm all die Jahre der Freundschaft denn gar nichts? Und selbst wenn sie ihm nicht wichtig wären - was bitte habe ich getan, dass er mich töten möchte? Denn ich weiß, dass er die Spiele um jeden Preis gewinnen möchte. Und dafür wird er mich töten. Unweigerlich. Ich war mir immer sicher, dass ich vor keinem noch so starken Gegner zurückweichen würde, um an mein Ziel, die Hungerspiele zu gewinnen, zu kommen, doch könnte ich auch Cato töten? Ihm ein Messer in den Hals rammen, ihn erschießen oder mit einem Schwert niederstechen?

Erneuter Applaus reißt mich aus meinen Gedanken und Cato streckt mir die Hand hin. Keine freundschaftliche Geste, eine traditionelle, an die man sich zu halten hat, egal wie man zum Gegner steht. Um nicht zögerlich zu erscheinen, was durchaus als Angst interpretiert werden kann, die ich nicht habe, greife ich danach, drücke seine Hand etwas fester wie nötig und lasse sie recht schnell wieder los.

Dann nimmt uns eine Schar Friedenswächter in ihre Mitte und führt uns in das Justizgebäude, wo wir eine Stunde Zeit haben uns von unseren Lieben zu verabschieden.
Die Friedenswächter geleiten mich zu einem Raum, der keine Fenster hat, aber ziemlich wertvoll, edel und gemütlich eingerichtet ist. Obwohl sich gerade mein größter Traum erfüllt hat und ich Tribut der 74. Hungerspiele sein werde, freue ich mich nicht. Ich bin verwirrt. Was sollte das? Was dachte er sich dabei? Seit wann bedeute ich ihm so wenig, dass er mich sogar töten würde? Ich kann und will das einfach nicht glauben. Das passt so einfach nicht zu dem Jungen, den ich vor 5 Jahren kennen gelernt habe!

Ich komme mir blöd vor, einfach rumzustehen und setzte mich auf eines der Sofas. Da kommen auch schon meine beiden kleinen Schwestern zur Tür hinein. Pelly funkelt mich wütend an, Lou lächelt mir zu. Ich möchte mich jetzt nicht mit Pelly streiten, also sage ich: „Mensch Pelly, versuch es doch in ein paar Jahren noch mal. Nur weil es einmal nicht klappt, musst du mich jetzt nicht so böse anschauen. Außerdem, du bist erst dreizehn. Du hast noch fünf Jahre Zeit. Zeit um zu trainieren. Zeit um besser zu werden. Zeit, um dir zu überlegen, ob du das wirklich willst.“
„Das musst du gerade sagen“, gibt sie zurück, „Wer hat sich denn einen Tag vorher entschieden? Ich hatte das schon länger geplant.“
„Ich bin trotzdem älter, und du hättest es mir ja nicht vorschlagen müssen.“
Ich bin im Recht und Pelly weiß das. Aber sie ist zu stur, um das zuzugeben.
Ein letztes Mal funkelt sie mich an, dann geht sie ohne ein weiteres Wort aus dem Raum und knallt hinter sich die Tür zu.

„Ach Clove, mach dir nichts draus. Die beruhigt sich schon wieder.“ Für ihr Alter ist Lou oft ziemlich vernünftig. Auch wenn sie und Pelly sich so ähnlich sehen, vom Charakter her sind die beiden ziemlich unterschiedlich. Während Pelly ziemlich schnell auf 180 ist und immer auf ihr Recht besteht, ist Lou ruhig, denkt nach, bevor sie etwas sagt oder tut, kann aber trotzdem kämpfen, wenn sie möchte.
Und was die Hungerspiele betrifft, ist sie nicht besonders ehrgeizig. Falls sie gewählt würde, würde sie natürlich gehen und eine starke Gegnerin darstellen, aber sie würde nie auf die Idee kommen sich freiwillig zu melden.
„Ich weiß.“ Ich lächele Lou an. Meine süße, kleine Schwester! Ich nehme sie in den Arm.
„Versprich mir, dass du auf dich und Pelly aufpasst, während ich weg bin, ja? Und auf unsere Mutter.“ bitte ich Lou.
„Klar.“ Sie nickt. Wir lächeln und an.

Dann verkündet der Friedenswächter, dass Lou gehen muss.
“Bis in ein paar Wochen. Du musst das schaffen, Clove. Du musst wieder zurückkommen.“, ruft Lou mir noch im Gehen zu, bevor sie verschwindet, „Und bring mir was schönes aus dem Kapitol mit, ja?“ fragt sie noch, bevor der Friedenswächter sie aus der Tür schiebt.
„Natürlich!“ rufe ich ihr noch hinterher, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie es hört.

3. Kapitel: Die anderen Ernten


Meine Mutter ist von meiner Aktion so ganz und gar nicht begeistert. Bestimmt fünf Minuten lang jammert sie darüber, dass ich ihr Verbot missachtet habe, dass ich nicht auf sie gehört habe und vieles mehr. Im Grunde wiederholt sie einfach immer das selbe: „Warum hast du nur ...?“, „Wie konntest du nur ...?“ „Warum hast du das gemacht?“ Aber es macht mir nicht das Geringste aus. Ich gebe mich die ganze Zeit lächelnd, denn mein Vorhaben ist mir gelungen. Innerlich beschäftigt mich immer noch die Frage, was ich von Catos Auftritt halten soll. In einer Weise fühle ich mich betrogen, in einer anderen kann ich mir sein Handeln nicht erklären, was mich ziemlich stört. Ich dachte, er würde mir vertrauen, so wie ich ihm auch vertraut habe.

Irgendwann fängt meine Mutter an zu weinen. Ich nehme sie vorsichtig in den Arm, entschuldige mich dafür, doch sie meint nur, dass es jetzt sowieso zu spät sei, dass ich in die Arena muss. Aber auch ihre Zeit ist irgendwann vorbei und der Friedenswächter geleitet sie aus dem Zimmer, während sie mich weiter mit hilflosen Vorwürfen bombardiert.
Nicht, dass es mir viel ausmachen würde, aber ich bin doch ein wenig enttäuscht vom Verhalten meiner Mutter. Kann sie sich nicht ein bisschen für mich freuen, oder zumindest so tun? Oder, wenn sie Angst um mich hat, mir zusprechen und mich unterstützen, damit ich gewinne? Ist das denn zu viel verlangt?

Mein Vater kommt selbstverständlich nicht. Seit sein kleiner Bruder vor zehn Jahren sein Leben in den Hungerspielen ließ, ist er fast jeden Tag betrunken. Ich finde es immer ziemlich schade, dass Lou und Pelly ihn nur so kennen. Ich war ja schon fünf Jahre alt, als es passierte, auch wenn ich damals noch nicht richtig erfasste, was eigentlich geschehen war. Doch ich erinnere mich noch daran, wie er sich für ganze drei Wochen in seinem Arbeitszimmer einschloss, wie ängstlich meine Mutter war.

Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum sie um mich und meine Schwestern immer so besorgt ist, warum es sie so erschüttert, dass ich mich freiwillig gemeldet habe. Aber im Gegensatz zu meinem Onkel habe ich wirklich gute Chancen zu gewinnen. Ich habe lange genug hart trainiert - er nur an den Pflichtsonntagen und auch nur halbherzig. Wollte wahrscheinlich gar nicht gewinnen. Kein Wunder, dass er bei drauf gegangen ist.

Als ich so über diese Dinge nachdenke, die ich immer mehr oder weniger verdrängt habe, senkt das meine Stimmung nur noch mehr und ich fühle mich leicht depressiv. Ich weiß noch genau, wie Er mich immer umsorgt hat, als er noch nicht so psychisch angeschlagen war. Dass ich immer seine kleine Prinzessin war und alles, was zählte, war, dass ich gelacht und mich gefreut habe. Er wusste immer etwas, mit dem er mich zum Lachen gebracht hat und Er war mein absolutes Vorbild. Manchmal hat Er mir kleine Geschenke aus der Stadt mitgebracht, sich dann zu mir gesetzt und mir Geschichten erzählt. Seit diesem Vorfall vor 10 Jahren habe ich selten gelacht und mich von anderen abgeschottet. Ich wurde erst wieder so etwas wie glücklich, als ich Cato kennen gelernt habe und jetzt hat er mich so verraten! Die einzige Person, die für mich da war, als es mir so schlecht ging. Ich kann es immer noch nicht fassen.

Die Stunde muss fast um sein, als der Friedenswächter draußen sagt: "Es tut mir leid, es bleiben nur noch zehn Minuten bis der Tribut gehen muss, ich kann dich für vielleicht noch fünf Minuten reinlassen. Wenn dir das reicht ..."
„Bitte!" Das Wort könnte flehend gemeint sein, aber es klingt eher nach einer Art Befehl. Ich weiß sofort, wer vor der Tür zu mir hinein möchte. Dann öffnet sich die Tür und ein blondes Mädchen mit braunen Augen öffnet die Tür. Sie hat ihre Haare wie immer hinten zu einem Dutt zusammen gebunden und ihr Gesicht hat einen Ausdruck, den ich nicht ganz deuten kann.
Mein Gesicht hellt sich augenblicklich auf. "Hey, Len" Ich nicke ihr zu. Wir haben kein so enges Verhältnis, dass ich mit ihr darüber reden will, wie ich mich jetzt fühle, aber meine Laune hebt sich trotzdem etwas, als sie hinter sich die Tür schließt, dem Friedenswächter dafür, dass er sie versucht hat aufzuhalten, einen letzten, wütenden Blick zuwirft und sich dann neben mir auf das rote Sofa fallen lässt.

"Hey, Clove. Na, zufrieden mit dir?" An ihrer Stimme höre ich, dass auch sie nicht glücklich über meinen Entschluss ist und jetzt ergibt auch ihr Gesichtsausdruck etwas mehr Sinn. Sie wollte nicht, dass ich gehe. Kann es ein Fehler gewesen sein, mich freiwillig zu melden? Ich möchte in meinem Entschluss nicht schwanken, aber es ist ja eigentlich nicht meine Schuld, dass alles so schief gelaufen ist.

„Natürlich bin ich zufrieden mit mir!“ antworte ich leicht gereizt, um zu überspielen, wie sehr mich Catos Entscheidung eigentlich trifft. Ist Len eigentlich auch nur gekommen, um mir Vorwürfe zu machen? Genau wie Pelly und meine Mutter auch?
„Und was machst du mit Cato? Dir ist schon klar, dass er sterben muss, damit du zurück kommen kannst, oder?“ Muss sie ausgerechnet das Thema anschneiden, dass ich um jeden Preis vermeiden wollte? Ich weiß doch selber, was passieren muss, wenn Cato und ich zusammen in die Arena gehen. Dass er sterben muss, damit ich Lou, Pelly, Len und meine Mutter wiedersehe. Was mache ich jetzt?

Ich gehe meine Möglichkeiten durch. Ich weiß nicht genau, ob ich es über mich bringen würde, Cato zu töten. Er war mein bester Freund, bis er mich bei der Ernte so verraten hat. Aber ich kann doch nicht einfach vergessen, dass er für mich da war, als es niemand anderes war. Er hat mir geholfen, im Training noch besser zu werden, er hat mich in so vielen Sachen unterstützt, hat immer zu mir gehalten, selbst, wenn ich im Unrecht war ... Meine Gedanken überschlagen sich. Wie konnte dieser Mensch mir das antun?
„Hey, alles okay bei dir?“ Len unterbricht meine Gedanken. Es klingt immer noch leicht distanziert, aber so ist das seit Jahren und es macht mir nichts aus.
„Ich weiß doch selber, dass er sterben muss!“ fauche ich zunehmend wütender.

„Und wie willst du das bitte anstellen? Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du ihm nicht einfach die Kehle aufschlitzen kannst. Jedem anderen, aber nicht ihm.“ Es stört mich, wie Len die einzige Schwäche ausdrückt, die ich in den Spielen haben werde, die ich selber weiß. Es stört mich, wie sie mir meine Probleme noch unter die Nase reibt. Am liebsten würde ich sie rausschmeißen, oder ihr sagen, dass sie verdammt noch mal ihre Klappe halten soll.
„Willst du dich denn von ihm töten lassen? Irgendwas musst du doch machen. Ich wette, verlieren möchtest du trotzdem nicht. Ich ...“ Jetzt reicht es mir endgültig.
„Halt die Klappe, Len! Sei einfach leise! Ich will das nicht hören, verdammt und du hast es jetzt schon mindestens dreimal gesagt! Das weiß ich doch alles selber!“ Ich kann meine Wut nicht länger unterdrücken. Es regt mich auf, wie sie redet. Wie sie mir Fragen stellt, auf die ich ihr keine vernünftige Antwort geben kann.

Einen Moment funkeln wir uns wütend an. Dann huscht ein Ausdruck des Stolzes über ihr Gesicht. „Tut mir leid, dass ich nur helfen wollte!" Sie wirbelt herum zur Tür. „Ich hoffe, Cato zeigt es dir so richtig in der Arena. Geschieht dir ganz recht. Eigentlich sollte dir alles außer dem Sieg egal sein. So habe ich dich zumindest kennen gelernt. Aber in Wahrheit bist du doch viel zu sehr in Cato verknallt, um noch richtig zu denken!“ Damit knallt sie die Tür hinter sich zu und lässt mich allein.

Immer noch wütend bleibe ich sitzen. Dass Len einfach so abgehauen ist, wundert mich nicht. Sie hat ein ähnliches Temperament wie ich und daher weiß ich, dass ihr das, was sie gesagt hat, wahrscheinlich schon wieder leid tut, sie aber viel zu stolz ist, um das zuzugeben. So geht es mir in ähnlichen Fällen ja auch. Während mein Atem langsam wieder ruhiger wird und meine Wut sich legt, werde ich mir dem Sinn von Lens letztem Satz erst richtig bewusst.
Aber in Wahrheit bist du doch viel zu sehr in Cato verknallt, um noch richtig zu denken!
Wie hat sie das gemeint? Sie weiß besser als jeder andere, was uns verbindet. Für mich war er der wichtigste Mensch auf dieser Welt, bis zu dieser Ernte, aber ich bin doch nicht in ihn verliebt! Das kann einfach nicht sein. Ich war nie verliebt. So was liegt einfach nicht in meiner Natur. Alles, was zählen darf, sind die Spiele. So war das immer und so wird es immer bleiben. So muss es immer bleiben! Und niemand normales verliebt sich in den besten Freund!

Aber warum bestürzt mich der Gedanke an seinen Tod dann so? In meinem Kopf dreht sich alles und mein Blick fällt auf mein Spiegelbild.

Meine Haut ist relativ blass und hat rote Wutflecken, die aber bereits verschwinden. Meine dunkelbraunen Augen stechen richtig aus meinem Gesicht heraus. Es würde ganz hübsch aussehen, wenn ich lächeln könnte. Ich starre mein Spiegelbild mit einer Mischung aus Wut und auch ... Unsicherheit an. Sofort wird der Ausdruck komplett wütend und vertreibt diese Empfindung der Schwäche. Ich bin nicht unsicher, verdammt! Niemals!

Der Friedenswächter kommt herein. „Sie haben noch zwei Minuten, Miss. Machen sie sich langsam für den Aufbruch bereit.“ murmelt er. Er geht wieder. Zwei Minuten? Schnell zwinge ich mich vor dem Spiegel, ein wenigstens neutrales Gesicht zu machen. Ich darf jetzt nicht daran denken, dass Cato sterben muss. Irgendwie gelingt es mir die Gedanken tief in mir zu verstauen, dann setzte ich meine übliche Miene auf - leicht überheblich, aber auch gelangweilt.

Der Friedenswächter, der auch vorhin meinen Besuch überwacht hat, führt mich aus dem Justizgebäude. Wir werden mit einem Wagen zum Bahnhof gefahren werden und dann mit einem Zug zum Kapitol. Cato lehnt lässig an der Motorhaube, er sieht mich einfach nur an, mit seiner undurchschaubaren Miene, es könnte freundlich wirken, arrogant, anzüglich oder eindringlich. Bei dieser Miene weiß ich immer nicht, was er denkt, trotzdem weiche ich seinem Blick nicht aus und funkele ihn misstrauisch an. Ich möchte wissen, was ihn dazu bewegt hat, sich für die Spiele zu melden, an denen ich teilnehme.

Der Friedenswächter lässt mich in den Wagen einsteigen und Cato folgt wenige Sekunden nach mir. Die Fahrt dauert nur wenige Minuten, der Bahnhof ist vom großen Platz nicht weit entfernt. Ein Friedenswächter öffnet uns die Autotür und schon stehen wir wieder in einer jubelnden Menschenmenge.

Manche ehemalige Tribute strahlten über beide Ohren und winkten völlig übertrieben. Ich lächele einfach überlegen, denn das Ganze ist mir wirklich zu bescheuert. Trotzdem genieße ich den Jubel und die Aufmerksamkeit. Wenn ich gewonnen habe, wird die Bewunderung der Menschen noch größer sein. Dass Cato dafür sterben muss, blende ich aus und versuche einfach so zu tun, als stünde neben mir nicht mein bester Freund, sondern jeder x – beliebige Junge. Vielleicht Herson, oder ein anderer Idiot.

Die blitzenden Kameras sind alle auf uns gerichtet, bis wir schließlich den Zug erreicht haben. Cato und ich sehen uns nicht an, so als würden wir uns nicht kennen. Auch, wenn es sowieso allgemein bekannt ist, dass sich die Tribute aus den Distrikten 1, 2 und 4 verbünden, ich möchte nicht, dass jemand vorzeitig erfährt, wie nah wir beiden uns in Wirklichkeit sind, oder waren – je nachdem, was ihn zu diesem Schritt bewegt hat.

Dann schließen sich die Zugtüren hinter uns und zum ersten Mal seid heute morgen können Cato und ich miteinander sprechen. Ich hätte ihm eine Menge zu sagen, aber ich sollte nichts überstürzen. Zunächst vielleicht ein wenig Smalltalk führen.
„Geschafft!“ Ich möchte wie immer klingen, hoffe, dass die Frage, warum er das getan hat, nicht durchklingt.

Ich habe fast so etwas wie Angst vor der Antwort. Vielleicht wäre es gar nicht so verkehrt, sie einfach jetzt zu hören, damit ich mit Freundschaft heucheln aufhören kann und ihn in der Arena töten kann. Auf meinen Ausruf sagt Cato nichts.

Während ich grübele, wie ich am geschicktesten vorgehe, setzt sich der Zug in Fahrt. Ember kommt an. Ich weiß, ich kenne sie nicht wirklich gut, aber ich mag sie nicht. Sie ist so dumm und mir viel zu überschwänglich.
„Nun ihr beiden.“, mir lächelt sie zu, für Cato hat sie nur einen abschätzigen Blick übrig.

Wie gesagt: Verdammt unprofessionell, sie ist immerhin eine erwachsene Frau, aber ich denke, ich werde sie einfach so weit wie möglich ignorieren.
„Es gibt in etwa einer Stunde Essen. Ich erwarte Pünktlichkeit!“ damit verlässt sie das Abteil.
„Was hältst du von ihr?“ Ich nicke in die Richtung, in der unsere Betreuerin gerade verschwunden ist und hoffe, dass Cato auf meine Frage eingeht.
„Na ja, sie scheint mir ein bisschen beschränkt zu sein, um es mal positiv auszudrücken.“ meint Cato. Ich bringe nur ein Lächeln zustande. Wie kannst du nur so tun, als wäre nichts passiert? schreit es in meinem Kopf.

Langsam schlendern wir durch den Zug. Tauschen unsere Eindrücke von der Ernte aus, mutmaßen, was es zum Essen geben könnte, machen noch ein paar blöde Bemerkungen über unsere Betreuerin. Ich versuche wie immer zu sein. Cato scheint es nichts auszumachen, mit mir zu den Spielen zu fahren und dass er einfach auf gut Freund macht, verletzt mich noch mehr, als wenn er mir einfach sagen würde, dass er mich nicht mehr mag. Aber das lasse ich mir nicht anmerken. Tue, was ich immer tue, wenn ich mit ihm zusammen bin.

„Clove, Cato!“ wir drehen uns nach der Stimme um. Es ist Lyme, die gerufen hat und Brutus steht hinter ihr.
„Cato, du kommst mit mir und du da“, Brutus deutet mit einer fast wegwerfenden Bewegung auf mich, „gehst mit Lyme.“ Ich wende mich zu Lyme um, wütend darüber, wie respektlos Brutus mit mir gesprochen hat und schreite möglichst würdevoll zu ihr.

„Lass dich von ihm nicht ärgern. Er ist gestresst und hat viel zu tun.“ meint Lyme und nickt mit dem Kopf in Richtung Brutus, der mit Cato im hinteren Teil des Zugs verschwindet.

Meine Mentorin zeigt mir mein Abteil und den Raum, in dem es Essen geben wird. Danach lässt sie mich allein.

Ich nutze die Zeit bis zum Abendbrot, um zu duschen und mir etwas neues anzuziehen. Ich schließe die Tür zu meinem Abteil ab und ziehe mich anschließend aus. Streife die Bluse ab und schlüpfe aus Hose. Ziehe die Unterwäsche aus und stelle die Dusche an.

Das Wasser hat augenblicklich genau die richtige Temperatur. Bei uns Zuhause dauert es ewig, bis das Wasser eine halbwegs angenehme Wärme hat. Doch ich weiß, dass es in anderen Distrikten überhaupt kein warmes Wasser gibt. Wie rückständig!
Ich steige unter den heißen Strahl und bleibe länger drunter als nötig. Die Einsamkeit und das warme Wasser helfen mir, mich ein bisschen zu entspannen und die Gedanken kurz abzustellen.

Ich sehe auf die Uhr und seufze: Ich habe nur noch 10 Minuten bis zum Abendessen. Ich stelle das Wasser ab, steige aus der Dusche und trockne mich mit einem riesigen, roten Handtuch ab. Ich stelle mich unter eine Apparatur, die meine Haare in sekundenschnelle föhnt und suche mir dann möglichst einfache Kleidung aus dem überdimensionierten Hightech – Kleiderschrank. Kleidung, die ich auch Zuhause tragen würde. Schlicht und bequem, aber trotzdem so, dass ich mich auch auf der Straße würde zeigen können.
Ich fürchte schon, dass ich nichts dergleichen finden werde, als mir ein oranges Top ins Auge fällt und ich eine Jeans entdecke.

Ein paar Minuten zu spät komme ich in den Speisewagen, aber es scheint niemanden zu stören, außer Ember. Tadelnd sieht sie mich an, aber ich halte mich an meine beschlossenen Prinzipien und blende sie aus.

Das Essen verläuft ziemlich ereignislos. Lyme und Brutus klügeln eine mögliche Strategie für Cato und mich aus, verwerfen alle Ideen aber wieder und so konzentriere ich mich auf das Essen. Sie werden uns schon sagen, was wir zu tun haben, wenn es so weit ist.
Als auch der Nachtisch abgeräumt wird schlägt Lyme vor, dass wir uns ja nun die Aufzeichnungen der Ernten ansehen könnten.
Also versammeln wir uns um den Fernseher in einem anderen Abteil..

In Distrikt 1 wird ein siebzehnjähriges Mädchen ausgewählt. Stolz geht sie zur Bühne, die blonden Haare fallen ihr in leichten Wellen über die Schultern. Sie sieht stark aus, mächtig. Eine Welle von Ekel überkommt mich bei ihrem Anblick. Sie ist das typische Mädchen, dass jede Nacht etwas mit einem anderen Typen hat. Ihr Partnertribut, der sich freiwillig gemeldet hat, ist in etwa ihr Gegenteil. Er grinst ein wenig frech in die Gegend, während er die Bühne erklimmt. Er sieht nett aus, zu nett. Dies ist nur mein erster Eindruck der beiden, aber ich glaube, ich werde sie als Gegner recht gut einschätzen können.

Dann Schnitt zu unserer Ernte: Wie ich mich freiwillig melde. Wie viel Respekt die Menge vor mir zu haben scheint. Das kommt in der Aufzeichnung richtig gut rüber. Ich grinse, auch auf dem Band. Nämlich in dem Moment, als Marrylin mich so böse ansieht. Ich muss sagen, ich bin mit meinem Auftritt auf alle Fälle zufrieden.

Auch Cato kommt als starker Gegner rüber. Er ist sowieso größer und muskulöser als die anderen. Aber er hat noch etwas an sich, das ihn gefährlich wirken lässt. Mein Gesicht sieht man in diesem Augenblick glücklicher Weise nicht und als sie zeigen, wie Cato auf die Bühne kommt, hat man den Eindruck, als ob wir uns nicht kennen würden und wenn doch, uns vermutlich nicht besonders gut leiden können, da wir Blickkontakt vermeiden. Auch, wenn es wohl besser so ist, versetzt mir das einen kleinen Stich.

In Distrikt 4 wird ein Mädchen mit glatten, schwarzen Haaren und türkisfarbenen Augen gelost. Sie sieht nicht allzu stark aus, schwach aber auch nicht. Der männliche Tribut sieht ihr nicht sehr ähnlich: er ist noch recht jung, vielleicht 13 - und hat rote Haare. Na ja, nicht gerade die Traumverbündeten, aber besser als nichts.

Bei den anderen Ernten bleiben beinahe keine Gesichter hängen. In Distrikt 11 wird ein winziges, zwölfjähriges Mädchen gewählt.
Nun, bei der werde ich leichtes Spiel haben, im wahrsten Sinne des Wortes.
Ihr Partnertribut hingegen ist Cato von der Statur her nicht mal so unähnlich. Er ist kräftig gebaut, auch wenn er so aussieht, als hätte er nicht immer genug zu essen gehabt. Aber er ist der Erste, mit dem ich mir aus den anderen Distrikten ein Bündnis vorstellen könnte.

Dann Schnitt auf die Ernte in Distrikt 12, dem ärmsten Distrikt. Meistens sind seine Tribute gleich am ersten Tag tot. Aber dann passiert etwas, dass mich doch ein wenig neugierig werden lässt: Ein zwölfjähriges Mädchen wird ausgelost, doch jemand meldet sich freiwillig. Das gab es in dem Distrikt seit Jahren nicht! Das Mädchen, das sich freiwillig meldet, hat dunkle Haare und graue Augen. Sie stellt sich als große Schwester des kleinen Mädchens heraus. Die beiden sehen sich nicht sehr ähnlich, aber das Tributenmädchen sieht, dafür, dass sie aus Distrikt 12 kommt, sogar ganz stark aus - im Verhältnis zu den sonstigen Tributen natürlich. Ich könnte sie leicht fertig machen, auch wenn ich nicht gerade die Größte bin.

Ich weiß nicht so genau, was ich von ihrem Auftritt halten soll und auch die Kommentatoren werden sich nicht einig. Was sollte das? Warum opfert sich das Mädchen? Sie muss doch wissen, dass sie gegen die Karrieretribute keine Chance hat.
Am Ende der Sendung sind sie noch immer zu keinem Ergebnis gekommen. Na, wir werden sehen.

Lyme schaltet den Fernseher aus. Dann schickt sie mich und Cato ins Bett. Es ist eigentlich noch nicht sehr spät, aber ich möchte mich nicht aufregen. Ich bin eigentlich sogar ganz froh darüber, denn wenn ich schlafe, muss ich nicht darüber nachdenken, was heute passiert ist. Der überdeutliche Beweis von Cato, dass ich ihm egal bin.

Es funktioniert nicht. Allein im Dunklen, alles, was zu hören ist, ist das leise Rattern des Zuges, das auf Grund der Geschwindigkeit ein andauerndes Summen im Hintergrund ist. Die Gedanken stürzen praktisch auf mich ein und halten mich wach. Immer wieder spult sich der Tag im Schnelldurchlauf vor meinen Augen ab. Heute früh, als ich Cato auf meinem ziellosen Spaziergang getroffen habe – da schien alles noch in Ordnung gewesen zu sein. Ich hatte die Aussicht gehabt, Tribut an der Seite irgendeines Idioten zu werden, den ich vielleicht nicht mal hätte töten müssen, weil er selbst für sein Abschieden gesorgt hätte. Da sah es noch so aus, als wäre Cato mein bester Freund. Was hatte ich ihm denn getan, dass er mich sogar töten würde? Diese und tausend andere Fragen halten mich bis weit nach Mitternacht wach, bis ich irgendwann in traumlosen Schlaf hinüber gleite.

Am frühen Morgen – wahrscheinlich gerade mal zwei Stunden, nachdem ich eingeschlafen bin - weckt mich Lyme mit einem "Okay, wir werden in Kürze das Kapitol erreichen, wo ihr euren Vorbereitungsteams übergeben werdet und anschließend euren Stylisten. Wir sehen uns dann heute Abend, wenn die Wagenparade stattfindet.".

Oben im Kapitol sieht es genauso aus, wie sie es immer im Fernsehen gezeigt haben. Die prachtvollen und sauberen Straßen sind von Menschen gesäumt. Ich sehe mir alles vom Fenster an, doch der leere Platz neben mir verhindert, dass ich mich richtig auf das konzentrieren kann, was ich sehe.

4. Kapitel: Die Wagenparade


Ich komme recht schnell zu dem Schluss, dass mein Vorbereitungsteam aus Schwachköpfen besteht. Sie versuchen ja nur mir zu helfen, aber sie machen dauernd alberne Witze und plappern, ohne einmal Luft holen zu müssen. Ich hoffe, dass die Zeit schnell rum geht, denn langsam bin ich mit den Nerven echt am Ende! Nach etwa einer Stunde, die mir vorkommt wie fünf, rufen sie dann endlich meinen Stylisten. Ich kann immer noch nicht fassen, was sie alles zu tun gefunden haben. Ich lege eigentlich schon Wert auf mein Aussehen, wasche und pflege meine Haare jeden Tag, versuche mit Cremes meine Haut möglichst geschmeidig zu halten, feile mir meine Fingernägel täglich zurecht.

Aber nein, die Haare müssen leicht gekürzt werden und selbst dafür braucht mein unfähiges Team schon eine halbe Stunde. Zuvor hatten sich die leichten Wellen in meinen Haaren immer über die gesamte Länge meiner Haare ausgebreitet, jetzt kräuseln sich die Haare an den Spitzen in kleinen Locken. Das hatte mein Team wohl nicht bedacht, denn jetzt müssen die Haare geglättet werden. Ich mochte glatte Haare nie, war stolz auf meine natürliche Frisur, die andere Mädchen versuchten, mit Lockenstäben nachzumachen, richtig hinbekommen hat es keine. Ich blicke in den Spiegel an der Wand und mein Gesicht blickt mir mit genervt verzogenen Augenbrauen entgegen. Ein Mann aus meinem Vorbereitungsteam - von dem ich weder den Namen weiß noch wissen will - scheint meine miese Stimmung mitzubekommen. Er streckt mir sein hässliches, von Schönheitsoperationen verunstaltetes, blaugefärbtes Gesicht zu.

"Möchtest du vielleicht etwas zu deinem Aussehen sagen?" fragt er mich mit einer sanften Stimme, die mich innerlich kochen lässt. Er redet hier nicht mit einem kleinen Kind, verdammt! Aber ich halte mich - wie schon so oft - zurück. Lächele geziert, aber leicht arrogant. "Vergessen sie es." murmele ich mit leicht unterdrückter Wut. Dann geht die Tür auf und Lyme kommt rein, hoffentlich um mich zu retten.

"Mensch, Clove, du siehst ja klasse aus!" ruft sie aus und kommt näher. Sie scheint irgendwie zu verstehen, dass ich die Schnauze voll hab. "Rufen sie Celsus." wendet sie sich an den Mann. "Wenn sie jetzt noch weitermachen, zerstören sie nur ihr wundervolles Aussehen." Das Team scheint Respekt vor meiner Mentorin zu haben. Es wendet sich der Tür am anderen Ende des Raumes zu und verschwindet. Lyme lächelt mir zu und ich erwidere das Lächeln dankbar. Sie setzt sich neben mich auf die blaue Liege, auf der ich sitzen sollte, während mich mein Vorbereitungsteam gefoltert hat.

"Sie können nervig sein, aber sie sind in Ordnung." meint Lyme zu mir und nickt in die Richtung, in der mein Vorbereitungsteam verschwunden ist. "Na, ich weiß nicht." antworte ich. "Aber sieh dich doch mal an. Mit dem Endergebnis kannst du doch rundum zufrieden sein. Die Sponsoren werden Schlange für dich stehen!" "Ich brauche sie nicht, ich kann selbst auf mich aufpassen." "Ach, Clove, sieh doch alles immer nicht so negativ. Es könnte dir viel schlechter gehen. Zum Beispiel bin ich schon sehr gespannt darauf, in was sie Distrikt 12 wieder für Kostüme stecken." Jetzt muss ich doch leicht grinsen. Distrikt 12 präsentieren sie immer in schreckliche Kostümen. Manchmal auch gar keinen und sind nur mit schwarzem Puder bedeckt, der den Kohlenstaub ihrer Kohleminen darstellen soll. "Ich glaube, das möchte ich auch gerne sehen." Meine Stimmung hebt sich merklich und ich muss zugeben, dass ich Lyme mag. "Jetzt muss ich aber gehen, dein Stylist möchte sicher kommen. Bis nachher!" Und so schnell, wie sie gekommen ist, ist sie auch wieder verschwunden.

Man sieht Celsus sofort an, dass er schon mehrere Schönheitsoperationen hinter sich hat. Die (aufgespritzten?) Lippen haben einen unnatürlichen Rotton, die Haare und Augenbrauen sind mit einem hellen Blau gefärbt, das in den Augen schmerzt. Auch wenn die Falten irgendwie aus seinem Gesicht entfernt wurden, sieht man sofort, dass er schon etwas älter ist. Er trägt die für das Kapitol üblichen knalligen Sachen, ein sonnengelbes T - Shirt zu roter Hose. Es sieht alles ziemlich grotesk aus und ich muss mich zu einem Lächeln zwingen - schließlich bin ich irgendwo ja doch auf ihn angewiesen, was mir nicht besonders gefällt.

"Hallo Clove, ich bin dein Stylist Celsus." "Hallo." antworte ich ein wenig gedehnt. "Hast du Hunger? Ich würde uns etwas zu Mittag bestellen." "Ja, das wäre nett." antworte ich etwas misstrauisch. Ich weiß noch nicht so genau, was ich von meinem Stylisten halten soll. Er scheint nett zu sein, aber man sollte niemandem zu schnell trauen, das wurde uns schließlich von klein auf immer und immer wieder eingetrichtert und ich halte mich dran. Und was Geschmack angeht, gehen unsere Vorstellungen recht weit auseinander, um es mal höflich zu formulieren. Ich kann nur hoffen, dass ich bei meinen Auftritten nichts derartiges tragen muss.

Nach dem Essen - köstliches Hähnchenbrustfilet mit einer Soße, die ich keinem mir bekanntem Nahrungsmittel zuordnen kann - komme ich zu dem Schluss, dass Celsus doch ganz in Ordnung zu sein scheint und das Kleid, das er für meinen Auftritt bei der Wagenparade designt hat, ist wirklich schön. Mein Vorbereitungsteam hilft mir beim Ankleiden. Eine Frau mit pink gefärbten Haaren namens Ludya zieht mir mein dunkles Kleid vorsichtig über den Kopf, um meine Frisur nicht zu zerstören. Eine andere - sie hat türkisfarbene Haare, die im Nacken zu einem Knoten zusammen gebunden sind und Vancia heißt - hilft mir in flache, graue, mit Perlen bestückte Ballerinas.

Die Schuhe gefallen mir persönlich nicht so gut, da sie mich irgendwie zart erscheinen lassen und ich sowieso recht klein bin. Das müssen sie den Leuten wirklich nicht auch noch unter die Nase reiben. Celsus scheint dies ebenfalls aufzufallen und er betrachtet meine Füße kritisch. "Das müssen wir irgendwie ein bisschen ändern." meint er und ich frage mich, ob ihm das nicht hätte auffallen können, als er die Schuhe entworfen hat. "Verstehe mich bitte nicht falsch." Er lächelt mich an. Kann er Gedanken lesen, oder so was? "Bei der Ernte hat jeder neben Cato, deinem Mittribut", als würde ich den Namen nicht längst schon kennen, "recht klein gewirkt. Ich dachte, du wärst ein wenig größer ..." "Na vielen Dank." fauche ich. Ich hasse es, wenn jemand blöde Anspielungen auf meine Größe macht. In Distrikt 2 war das meistens im Training, dann hat derjenige ein Messer in die Schulter bekommen und bald hörte das Gerede auf und ich verschaffte mir den möglichen Respekt. Hier habe ich kein Messer und es ist nun wirklich unter meiner Würde, meinen Stylisten mit Messern zu bewerfen.

Celsus merkt, dass er mich verärgert hat und möchte zurückrudern: "Ich möchte damit nur sagen, dass wir dir am besten Schuhe mit Absätzen anziehen. Wäre das für dich in Ordnung?" "Ich werde sowieso reingesteckt, oder?" "Natürlich nicht, wenn du nicht willst. Dann finden wir eine andere Lösung." versichert mir mein Stylist. "Ob ich meine Haare kürzen möchte, hat mich auch niemand gefragt." gebe ich zurück und merke, wie ich mit jedem Satz wütender werde und mein Temperament hervor kommt. "Darüber werde ich mit deinem Team sprechen. Was möchtest du jetzt für Schuhe tragen? Ich hätte hier auch ein paar zur Auswahl ..." Der Mann aus meinem Vorbereitungsteam schiebt eine Art rollbaren Schuhschrank heran.

Ich besehe mir ein Paar nach dem anderen. Die Schuhe sehen alle genauso aus, wie die ursprünglichen Ballerinas, nur mit kleineren und größeren Absätzen. Ich probiere die mit den höchsten Absätzen an und entscheide mich schließlich für die bequemsten.

Mit meiner Entscheidung scheinen alles zufrieden zu sein und so macht sich mein Vorbereitungsteam noch an die letzten Feinschliffe.

Als ich mich dann im Spiegel besehe, sehe ich aus, als wäre ich in fließenden Stein gekleidet, denn für die anderen Distrikte steht Distrikt 2 für Steinbrüche. Wir haben zwar auch drei kleine Steinbrüche, aber hauptsächlich werden bei uns die Waffen für das Kapitol entwickelt und wir stellen viele Friedenswächter zur Verfügung.

Das Kleid, das ich trage ist vollständig dunkelgrau, reicht mir gerade so weit, dass man meine Schuhe noch schön sehen kann und ist unter der Brust zusammengerafft. Beim Gehen wirft es kleine Wellen.
Mein Haar wird größten Teils hochgesteckt, nur an manchen Stellen fallen leicht gewellte Strähnen auf meine Schultern und umrahmen mein Gesicht. Ich werde ganz dezent geschminkt. Auch wenn der Tag anstrengend war, mit dem Endergebnis bin ich ganz zufrieden. Celsus begleitet mich hinunter in den Raum, in dem schon viele Tribute auf den Beginn der Eröffnung der Spiele warten.

Die meisten meiner Mitstreiter stehen ein wenig verloren da, aber Cato unterhält sich mit zwei Mädchen und einem Jungen. Ich überlege kurz, ob ich ebenfalls hingehen soll, entscheide mich in Gedanken schon dagegen, da ich nicht weiß, wie Cato jetzt zu mir steht, als er mich entdeckt und zu sich herüber winkt.

Jetzt erkenne ich, dass es die Tribute aus Distrikt 1 und das Mädchen aus 4 sind. "Hallo." sage ich wenig einfallsreich. Das Mädchen aus Distrikt 4 lächelt mir zu. Sie trägt ein türkisfarbenes Kleid, das ihre Augenfarbe unterstreicht. Ihre schwarzen Haare sind ähnlich wie bei mir hochgesteckt. "Hallo. Ich heiße Jade und du?" fragt sie. "Clove." antworte ich ein wenig gelangweilt.

Jetzt stellen sich auch die anderen vor. Der Junge aus Distrikt 1 heißt Marvel, das Mädchen wirft ihre blonden Haare zurück, lächelt arrogant und sagt, dass sie Glimmer heißt. Ihre grünen Augen blitzen gefährlich, schüchtern mich aber nicht weiter ein. Marvel und Glimmer? Ist das ihr Ernst? Das ist ja fast so, wie wenn wir unsere Kinder Steinchen oder Felsen nennen würden ...
Oh, Gott! Wo bin ich hier nur wieder reingeraten?

Ich beschließe, das Mädchen möglichst zu meiden. Mir gefällt ihre Art nicht und mein erster Eindruck von ihr scheint sich zu bewahrheiten. Der Junge scheint in Ordnung zu sein, zumindest scheint er als einziger aus den anderen Distrikten ein wenig was auf die Reihe zu bekommen, aber vor allem bei den beiden aus 4 hab ich da so meine Zweifel ... Das Mädchen aus 4 sieht aus, als könnte sie keiner Fliege was zu Leide tun und vom Körperbau her auch eher schwächlich.

Kurz bevor es los geht, kommt noch der kleine Junge aus Distrikt 4 an. Er ist recht schüchtern und bestimmt nicht das, was man sich unter einem guten Verbündeten vorstellt. Er ist noch untrainierter als das Mädchen aus seinem Distrikt und vielleicht 13 Jahre alt. Cato und ich verabschieden uns. Erst jetzt betrachte ich ihn genauer. Er ist auch geschminkt, aber ganz unauffällig. Seine Hau wirkt glatter, seine Wimpern dichter. Ich muss gestehen, dass ich ihn schön finde.
Wir gehen nicht im Partnerlook, und das finde ich gut. Sein dunkelgrauer Anzug steht ihm perfekt, aber ich möchte mich doch von ihm abheben.

"Was hältst du von ihnen?" fragt er mich zweifelnd, als wir außer Hörweite sind. "Ich weiß nicht. Das Mädchen aus 1 ist mir zu arrogant, das andere zu schwach und den Jungen aus 4 kannst du vergessen." Er grinst mich an und augenblicklich muss ich zurück grinsen, obwohl an der ganzen Situation eigentlich nichts Lustiges ist.

Ich meine: Die Tribute, mit denen Distrikt 2 normalerweise ein Bündnis hat, sind fast alle kaum zu gebrauchen! "Und der Junge aus 1?" frage ich. "Der scheint einigermaßen in Ordnung zu sein." "Da haben wir uns ja das beste Jahr für die Spiele ausgesucht." seufze ich, dann bemerke ich, was ich gerade gesagt habe. Ich sehe Cato an und wieder frage ich mich, warum er hier ist. Cato zuckt mit den Schultern. "Na ja, der Sieg wird so leichter ..." Meint er damit, dass ich sterben soll und das sein eigener Sieg leichter wird? "Du siehst übrigens hübsch aus." bemerkt er. "Danke ...", Ich erröte etwas, "Du auch."

Dann geht es zum Glück auf die Wägen, bevor das Gespräch eine ungewollte Richtung einschlägt.
Celsus ist wieder da und hilft mir auf unseren Wagen, der von grauen Pferden gezogen wird. Als er mein Kleid drapiert hat, springt er vom Wagen und zeigt Daumen hoch. Dann geht er.
Ich blicke würdevoll nach vorne. Dann öffnet sich das Tor und der Wagen von Distrikt 1 setzt sich in Bewegung. Jetzt sind wir dran.

Beide Straßenseiten sind mit jubelnden Menschen gesäumt und es gibt in regelmäßigen Abständen riesige Bildschirme, die alle Tributenpaare gleichmäßig abwechselnd zeigen. Distrikt 7 verlässt das Erneuerungsstudio, zweit unterernährte Kinder, geschätzte ein bis vier Tage in der Arena, bis sie abgeholt werden. Distrikt 8, ein kleines Mädchen, ein schmaler Junge, kleiner als ich. Einen Tag in der Arena, mit Glück zwei.

Kein Distrikt kann mir bisher das Wasser reichen, Distrikt 11 verlässt das Erneuerungsstudio, das kleine Mädchen blickt sich ängstlich um. Ein Tag. Der riesige Junge neben ihr hält es hingegen bestimmt länger als die meisten aus und ich ziehe ihn als Verbündeten zumindest in Betracht.

Distrikt 12. Das Gespräch von Lyme kommt mir wieder in den Sinn: "Zum Beispiel bin ich schon sehr gespannt darauf, in was sie Distrikt 12 wieder für Kostüme stecken." "Ich glaube, das möchte ich auch gerne sehen."

Ich habe mich getäuscht, Lyme hat sich getäuscht. Schwarzer Puder als Kohlenstaub. So ein Schwachsinn! Sie tragen schwarze, edle, glänzende Overalls, die allein uns andere schon völlig in den Schatten stellen. Aber die Krönung des ganzen ist die Schleppe aus Feuer, die sie hinter sich herziehen. Ich merke wie ich meine Hand zu einer Faust balle. Was soll das? Sie sollten die sein, über die man sich lustig macht und nicht die, die bewundert werden! Zugegeben, sieht ganz nett aus, aber überflüssig. Ich meine, Distrikt 12!
Die Kameras sollten lieber mich und Cato öfter zeigen, schließlich sind wir die Karrieretribute, und damit wird höchstwahrscheinlich einer von uns beiden siegen.
Wen interessiert schon der ärmste und schmutzigste Distrikt, der in den meisten Fällen ziemlich schwache Tribute schickt?!

Ich bin so wütend. Wir sind hier die besten Tribute! Wir sollten die meiste Aufmerksamkeit bekommen und nicht sie! Das werden die beiden mir noch büßen, dass sie es wagen, mir die Show zu stehlen. Ich könnte schreien vor Wut! Aber ich beherrsche mich. Ich lasse mir meinen Ärger nicht ansehen, dafür bin ich zu stolz. Aber in der Arena sollten sie sich in Acht nehmen!

Als sich die Kameraleute endlich von Distrikt 12 reißen können und versuchen, die Tribute in gleichem Abstand zu zeigen, sehe ich mich. Mein Gesicht hat einen dunklen Ausdruck und ich sehe einer Rachegöttin ähnlich. Ich kann mich nicht über dieses gute Image freuen, mit kaltem Blick lasse ich mich von den Zuschauern mustern, während ich innerlich brodele vor Wut. Dann zeigen sie Distrikt 12 wieder und das Mädchen winkt völlig überschwänglich, wirft der Menge sogar Kusshändchen zu. Oh mein Gott! Wie können die Kapitolbewohner so was auch noch toll finden? Das Mädchen macht sich gerade doch total lächerlich! Wie dumm kann man eigentlich sein?

Dann ist die Wagenparade vorbei. Distrikt 12 war der unumstrittene Star des Abends. Eigentlich sollte ich die Sensation der Wagenparade sein! Ich funkele die beiden Tribute wütend an. Dann wende ich mich ab und mache mich auf den Weg zum Fahrstuhl. Cato ist bereits da.
Jetzt, wo mich außer ihm niemand sehen und hören kann, beschwere ich mich lautstark über die beiden Tribute. Ich denke gar nicht mehr daran, dass Cato mich eigentlich verraten hat, ich brauche nur irgendwen, bei dem ich meine Wut rauslassen kann.

„Was glauben die eigentlich wer sie sind? Das Feuer hätte sie ruhig verbrennen können!
Und dass die Zuschauer das auch noch gut fanden, ich meine, das ist doch lächerlich. Aus Distrikt 12 haben gerade mal zwei Leute gewonnen, und keiner von den beiden wird der nächste Sieger sein. Gegen uns haben die keine Chance, und dann sehen die Zuschauer auch, wen sie lieber gleich hätten bejubeln sollen, ehrlich! Ich glaube, wenn wir erst in der Arena sind, werden die beiden meine ersten Opfer. Sobald ich ein Messer in die Finger bekomme ist sie dran, das schwöre ich. Am besten werfe ich nicht direkt ins Herz, sondern so, dass sie noch eine Weile leidet, bevor sie einen dramatischen Tod stirbt, dann trauern die Zuschauer ein wenig und wenden sich uns zu, den trainierten, talentierten, tödlichen Tributen aus Distrikt 2.“

Das geht noch eine Weile so weiter, wobei ich noch heftiger werde. Cato sagt nichts dazu, bis ich mich wieder einigermaßen beruhigt hab. Immer noch verdammt sauer setzte ich mich auf einen der neben dem Fahrstuhl platzierten Stühle und stiere wütend vor mich hin. Wenn man Sachen mit Blicken zerstören könnte, würde von dem teuren, roten Teppich und von den noblen Einrichtungsgegenständen wahrscheinlich nicht viel übrig bleiben. Ich habe den schweren Drang irgendwas zu zerstören. Zum Beispiel das blöde Tischchen mit der blauen Keramikvase, oder den Stuhl, auf dem ich gerade sitze, ich könnte alles kurz und klein schlagen und ich könnte ...

„Clove, du sagst doch selber, die beiden haben keine Chance, schließlich kommen sie aus Distrikt 12. Wir erledigen sie und haben dann freie Bahn. So einfach ist das.“ Ich starre weiterhin zu Boden und umklammere die Stuhllehne, sodass meine Knöchel weiß hervor treten. Dann nimmt Cato mein Gesicht und zwingt mich, ihn anzusehen. Sein Gesicht ist meinem plötzlich ganz nahe. "Okay?" fragt er.
Ich bin gerade echt nicht in der Stimmung für die verständnisvolle Tour.
So nicke ich nur, entreiße ihm mein Kinn, gehe zu meinem Zimmer und knalle die Tür hinter mir zu. Mit einem befriedigenden Krachen fällt sie ins Schloss.

5. Kapitel: Das Training


Als ich am nächsten Morgen aufwache, bin ich immer noch verstimmt wegen den Beiden aus Distrikt 12, aber nicht mehr so wütend und unbeherrscht wie gestern Abend.
Heute ist also der 1. Tag des dreitägigen Trainings und da werde ich es den beiden jetzt so was von zeigen! Es wird ihnen noch Leid tun, dass sie ganz Panem von mir abgelenkt haben. Wollen wir doch mal sehen, wer am Ende diese Spiele gewinnt!

Zum Training trägt jeder Tribut recht schlichte und bequeme Sachen. Ich ziehe mir die bereitgelegten Klamotten an und stecke meine Haare hoch. Dann gehe ich zu dem Raum, in dem es Frühstück geben soll.

Cato fehlt offenbar noch, aber die anderen sind alle anwesend. „Guten Morgen" meine ich, mehr der Anständigkeit halber, denn ich kann mich immer noch nicht damit anfreunden, dass wir gestern nicht die Stars des Abends waren. Brutus nickt mir nur nebenbei zu, Lyme hingegen antwortet mir: „Guten Morgen, Clove. Na, hast du gut geschlafen?" Noch bevor ich nicken, oder irgendetwas sagen kann, kommt mir Ember zuvor. „Natürlich hat das Mädchen gut geschlafen. Sie ist hier im Kapitol!" Sie lässt sich noch ein wenig weiter darüber aus, dass Lyme so etwas doch wissen müsste und da mich jetzt niemand mehr stört, beschließe ich mit dem Essen anzufangen.

Ich knabbere gerade an irgendeinem süßen Brötchen, als Cato zur Tür reinkommt, sich auf seinen Platz fallen lässt und sich den Teller erst mal vollhäuft. Ich könnte früh nie und nimmer so viel essen, er hat nach etwa drei Minuten schon mehr verschlungen, als ich den gesamten Morgen über.

Dann beginnt Lyme: „Clove, Cato, um euch eure Strategie für das Training zu erläutern: Zeigt den anderen auf alle Fälle, was ihr könnt. Ihr dürft gemeinsam trainieren, wenn ihr wollt, aber denkt daran, dass die anderen denken, ihr kennt euch erst seit der Ernte. Das heißt im Umkehrschluss: Lasst es nicht zu offensichtlich werden. Vielleicht seid ihr gerade zufällig an der selben Station und wechselt ein paar Worte, mehr aber auch nicht. Verstanden?" Wir nicken beide. „Um Lyme noch ein wenig zu ergänzen,", macht Brutus weiter, „geht euch vor dem Mittagessen am besten ganz aus dem Weg. Dann könnt ihr es so aussehen lassen, als würdest du, Cato, ihr", er nennt nicht mal meinen Namen, „ein Bündnis vorschlagen, oder so ähnlich. Ihr könnt es gerne auch anders machen, aber denkt dran, dass niemand erraten sollte, dass ihr beiden jetzt schon mehr als nur Verbündete seit." Augenblicklich frage ich mich, was Brutus mit „dass ihr beiden jetzt schon mehr als nur Verbündete seit" ausdrücken wollte. Wollte er damit nur sagen, dass wir beiden schon lange befreundet sind, oder mehr?

Ich und Cato sind fast eine Viertelstunde zu früh in der Trainingshalle, doch trotzdem ist sie schon gut gefüllt. Cato steuert geradewegs auf Glimmer, Jade und Marvel zu, die, wie am Vortag, in einer kleinen Gruppe beisammen stehen. Ich folge ihm ohne große Begeisterung. „Guten Morgen." wünscht Jade uns, lächelt uns überschwänglich an. Glimmer rümpft die Nase. Na, das fängt ja toll an. „Morgen." sage ich trotzdem zu allen. Marvel grinst nur.

Die Beiden aus Distrikt 12 sind die Letzten, die kommen. Ich würdige sie keines Blickes. Glaubt ja nicht, dass ihr mit dem Ding gestern bei mir punkten könnt!

Atala, die das Training leitet, begrüßt uns, erklärt uns die einzelnen Stationen und die Regeln für das Training. Ich bin enttäuscht, dass wir nicht gegeneinander kämpfen dürfen, denn falls wir mit einem Partner trainieren wollen, sollen wir mit den Trainern vorlieb nehmen. Cato und ich haben zu Hause immer gemeinsam trainiert und das hätte ich gerne beibehalten. Jetzt gleich sollen wir ja nichts gemeinsam machen, aber im Laufe des Tages vielleicht ...

Dann entlässt Atala uns ins Training. Cato beginnt mit Speerwerfen, darin ist er einfach unschlagbar. Ich drehe der Station erst mal den Rücken zu und gehe zur Schwertkampfstation. Aber es wird mir schnell langweilig. Der Trainer entspricht nicht gerade dem Niveau, mit dem ich sonst trainiere - ich habe ihn nach dreißig Sekunden entwaffnet. Mit baffem Blick (Was hatte er denn bitte erwartet?!) lasse ich ihn zurück und gehe zum Messerwerfen.

Es gibt alle möglichen Messerarten: lange, kurze, gerade, gebogene, kleine und große, solche, die gut in der Hand liegen und andere, die eher schlecht zum Werfen sind.
Begeistert sehe ich mir die riesige Auswahl an, ich kann es gar nicht erwarten, sie alle auszuprobieren! Ich nehme mir etwa ein Dutzend verschiedene Messer und werfe sie nacheinander auf die etwa 15 Meter entfernte Zielscheibe. Jedes trifft die Mitte. Ich möchte gerade wieder ausholen, als ich merke, dass das Mädchen aus Distrikt 12 mir zugesehen hat. Ja, schau ruhig, wie gut ich bin. Hast du schon Angst?
Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen und treffe wieder die Mitte.
Sie dagegen hat sich bisher durch nichts wirklich hervorgetan. Schade, ich hatte auf eine stärkere Gegnerin gehofft. Sonst wird es ja langweilig.

Mittlerweile ist schon eine Stunde vergangen und Cato konnte sich offenbar immer noch nicht vom Speerwerfen losreißen. Eigentlich würde ich mich gerne mit ihm unterhalten, aber ich weiß, dass ich es nicht darf und außerdem konnte ich diese Disziplin noch nie besonders leiden. Ich blicke mich nach den Tributen aus 1 und 4 um und entdecke Jade, die gerade mit Äxten hantiert.

Sie grinst schon wieder, als sie mich sieht. Ich mag ihre immer fröhliche Art nicht besonders. Könnte Jade wenigstens mit ein paar gefährlichen Waffen umgehen, würde es mich vielleicht nicht so sehr stören, aber sie stellt sich fast genauso blöd an, wie die kleinen Kinder aus dem Trainingscenter in Distrikt 2, die ich vor ein paar Tagen noch beobachtet habe.

Ich nehme mir auch eine Axt und betrachte die Zielpuppe. Dann wiege ich die Waffe kurz in meiner Hand, schätze ab, wie schwer sie ist. Sie wird sich in der Luft anders als ein Messer verhalten. Ich taxiere die Entfernung, das schaffe ich. Ich schleudere die Axt und treffe mitten in den Bereich der Puppe, wo sich beim Menschen das Herz befindet. Jades Augen weiten sich kurz, dann nimmt sie eine Axt, doch diese landet im Bein. Wenigstens hat sie die Puppe getroffen. Ich lache innerlich, das kann ich mir erlauben.

"Wie machst du das?“, fragt sie mich, auch wenn sie nur ungern zugibt, dass ich die Bessere bin. Ich mustere sie kurz. Aber da ich möchte, dass die „Karrieros“ wenigstens ein bisschen was draufhaben, gebe ich ihr ein paar Tipps. Wenn es darauf ankommt, werde ich immer noch besser sein als sie. Viel besser.

Dann gibt es Mittagessen. Endlich kann ich mich mit Cato unterhalten. Wir beginnen ein Gespräch miteinander, als würden wir uns noch nicht so gut kennen, allen Falls ertragen und leiten dann zum eigentlich interessanten Teil über. „Und, was hast du heute Vormittag so gemacht?" fragt er mich. „Ein bisschen Messerwerfen und Äxte durch die Luft schleudern, ach und ich hab den Schwertkampftrainer nach 30 Sekunden entwaffnet. Hast du was anderes außer Speerwerfen gemacht?"
„Nein, aber ich hab die anderen Tribute ein bisschen beobachtet."
„Und? Irgendwelche Vorschläge für mögliche Verbündete?" Ich sehe mich kurz um, ob auch niemand zuhört. „Von unseren jetzigen kann man ja nicht besonders viel erwarten ..."

„Der Junge aus Distrikt 11 sieht stark aus“, stellt Cato fest. Ich blicke mich nach dem Tribut um, der mir schon bei den Ernten aufgefallen ist. Der Tribut, der Cato in vielen Punkten ähnelt, aber in vielen auch wieder nicht.
„Ich glaube nicht, dass er sich mit uns verbünden möchte", gebe ich zu bedenken, denn er sieht uns beide ziemlich wütend an, obwohl wir ihm (noch) nichts getan haben.

„Hast du irgendwelche Vorschläge?" fragt Cato mich.
„Ich weiß nicht, von den anderen Distrikten hab ich niemanden gesehen, der in irgendwas besonders gut war. Alles ziemliche Schwächlinge, wenn du mich fragst." Cato nickt nur, dann setzten wir uns zu unseren bisherigen Verbündeten. Aber auch denen fällt niemand außer dem Jungen aus Distrikt 11 ein, nicht, dass ich etwas anderes erwartet hätte, aber irgendwie ist mir trotzdem nicht wohl dabei, nur mit Schwächlingen loszuziehen, mal abgesehen von Cato.

Nach dem Mittagessen trainieren Cato und ich bis zum Abend zusammen und ich muss sagen, dass ich mich mehr als nur einmal an früher erinnert fühle, als ich noch nicht so gut war und Cato mir zum Beispiel gezeigt hat, wie man einen Bogen am geschicktesten hält. Es war der selbe Tag, an dem ich Len kennen lernte und dies war eigentlich der Grund, warum sich der Tag so in mein Gedächtnis brannte. Genauso, wie ich mich noch an jedes Wort und jede Bewegung an dem Tag, an dem ich Cato zum ersten Mal traf, erinnern kann.

Ich war damals zwölf und wir hatten Ende August, es waren also nur noch ein paar Tage bis zu meiner ersten Ernte und das Wetter war wunderschön und heiß. Cato und ich hatten uns wie fast jeden Tag am Trainingscenter verabredet und er hatte sich etwas verspätet, was ihm so gar nicht ähnlich sah. Ich saß auf der Bank, an der wir uns treffen wollten und da mir langweilig war, warf ich ein Messer nach dem anderen an den alten Apfelbaum, der neben der Bank stand. Immer auf die gleiche Stelle. Noch ein Messer und noch ein Messer ...

„Das Loch, das du jetzt mit zehn Messern gestochen hast, hättest du mit Pfeil und Bogen auf einen Schuss gehabt.", hörte ich hinter mir eine Stimme. Ich drehte mich um. Es war Len, ein Mädchen aus meiner Klasse, mit dem ich bis zu diesem Zeitpunkt aber noch nie gesprochen hatte, das ich aber auch vom Training kannte. Sie war nicht mal schlecht. Ich zuckte mit den Schultern. „Es kommt auf´s Selbe raus, oder?", antwortete ich. Sie kam näher. "Hast du schon mal mit Pfeil und Bogen trainiert?", fragte sie. Ich musste den Kopf schütteln und dachte gleichzeitig, dass ich Cato unbedingt bitten musste, es mir zu zeigen. „Musst du wirklich mal ausprobieren, ist ganz interessant und sicher ein gutes Training für dich. Dann wirfst du nicht immer nur mit Messern, was du allerdings gar nicht schlecht machst. Oh, dahinten kommt Cato. Nun denn, man sieht sich." Damit war sie auch schon wieder verschwunden und ließ mich etwas verdattert zurück. Was war das denn gerade? fragte ich mich.

Len hatte Recht gehabt, Cato, der damals vierzehn war, kam die Straße entlang gehetzt. „Tut mir Leid, dass du warten musstest. Ich musste meinem Vater noch im Geschäft ..." „Ist doch egal. Kannst du mir zeigen, wie man mit Pfeil und Bogen umgeht?" Er sah mich überrascht an. Er war es so gar nicht gewöhnt, dass ich ihn unterbrach, was ich zu diesem Zeitpunkt auch noch nie getan hatte. Aber die Idee gefiel mir so gut, und dass sie mir von jemand anderem als Cato vorgeschlagen worden war, war noch viel besser, sodass ich einfach sofort fragen musste. „Warum interessiert dich das denn plötzlich so dringend?", stellte er eine Gegenfrage. "Ein Mädchen aus meiner Klasse meinte, es wäre ganz interessant und da wollte ich es einfach mal probieren ..." „Ich kann es dir schon zeigen, wenn du möchtest ..." „Also ja?" „Ja"

Den restlichen Trainingstag verbrachten wir beim Bogenschießstand, während Cato mich mit der unbekannten Waffe vertraut machte, mir erklärte, worauf ich besonders zu achten hatte und wie man den Bogen am geschicktesten hielt.

Während ich einen Pfeil nach dem anderen abschoss, um einen gewissen Rhythmus zu bekommen, bemerkte ich, dass Len mir zusah und lächelte. So wurde der Tag nicht einer meiner schönsten Tage, weil ich mit einer neuen Waffe halbwegs umgehen konnte, sondern weil ich eine neue Freundin hatte.

Beim Abendessen muss ich immer noch an den Tag denken und werde wieder daran erinnert, dass Len und ich uns am Tag der Ernte ja gestritten haben. Ich frage mich, was sie gerade macht. Kümmert sie sich wieder um ihren kleinen Bruder, da ihre beiden Eltern wie immer bis spät Abends im Steinbruch arbeiten, um der Familie ein halbwegs erträgliches Leben zu ermöglichen? Denkt sie vielleicht auch gerade an mich? Vermisst sie mich? Tut es ihr Leid, dass wir uns gestritten haben?
Ich beschließe, ihr etwas von meinem Siegespreis abzugeben, denn ihre Familie zählt zu den ärmsten in Distrikt 2. Aber um den Siegespreis zu bekommen, wird Cato sterben müssen. Augenblicklich vergeht mir der Hunger und ich schiebe den Teller, auf dem noch halbaufgegessenes Fleisch, kleinste Kartoffeln und leckeres Gemüse, das ich nicht kenne, liegen, von mir. „Ich hab keinen Hunger mehr. Ich geh ins Bett.", meine ich und stehe auf. „Aber es gab doch noch gar keinen zweiten Gang!“, empört sich Ember, aber ich ignoriere sie einfach und schließe die Tür zum Speiseraum hinter mir.

In meinem Zimmer ziehe ich mich aus, suche nach etwas in dem riesigen Kleiderschrank, das ich auch Zuhause anziehen würde und finde schließlich ein honigfarbenes Top und eine schlichte, bequeme, dunkelblaue Hose. Ich putze mir schnell die Zähne und schlüpfe schließlich unter die warme, kuschelige Decke. Mit einem Mal bin ich richtig erschöpft.


Die anderen beiden Trainingstage vergehen ziemlich schnell. Ich probiere all die Waffen aus, die es auszuprobieren gibt, aber irgendwie lande ich doch immer wieder bei der Station für das Messerwerfen. Ich lächele leicht. Die Messer sind und bleiben eben doch meine Lieblingswaffen. Man kann sie durchaus benutzen, um aus der Distanz zu töten, aber im Nahkampf sind sie auch mehr als praktisch - fallen nicht so leicht auf, aber töten kann man mit ihnen eben trotzdem eine Person, vor allem, wenn es langsam gehen soll.

Mit dem Daumen streiche ich vorsichtig über den Griff aus Leder des Messers, das ich als nächstes einsetzten möchte. Der Trainer hatte mir vorgeschlagen, auf bewegliche Ziele zu werfen - was laut ihm als Vorbereitung auf die Spiele eine äußerst praktische Übung wäre - und ich hatte mich dazu entschlossen, es einfach mal auszuprobieren. Es würde sicherlich nicht schaden.

So hält der Trainer also einen Stoffvogel in der Hand, den ich treffen soll. Dann wirft er ihn hoch, im selben Augenblick schleudere ich mein Messer mit solcher Wucht, dass der Vogel an der Stelle, wo sich bei einem Lebewesen das Herz befunden hätte, an der Wand aufgespießt wird. Der Trainer sagt kein Wort, aber ich weiß, dass ich ihn beeindruckt haben muss. Er zieht das Messer aus der Wand, dort, wo es eingestochen hat, befindet sich nun eine kleine Delle in der Wand, und der aufgeschlitzte Vogel fällt zu Boden. Ein selbstgefälliges Lächeln huscht über mein Gesicht.
Die Tribute aus Distrikt 10 - ein Junge mit lahmen Bein und ein kleines, blondes Mädchen-, die mir zugesehen haben, sehen mich angsterfüllt an und tuscheln dann leise miteinander.

Ich werfe ihnen einen spöttischen Blick zu und gehe zur nächsten Station - Bogenschießen. Zu meiner großen Schadenfreude beobachte ich, wie die beiden aus 10 nun das Messerwerfen versuchen. Wenn ich vorher der Meinung war, dass die Kleinen aus meinem Distrikt und Jade schlecht waren, tja, es gibt wohl doch noch Leute, die so was unterbieten können.


Den Abend des 2. Trainingstages verbringen Cato und ich so, wie wir es früher oft getan haben. Gemütlich sitzen wir zusammen auf dem weichen, weißen Sofa und sehen uns Wiederholungen irgendwelcher Hungerspiele an. Schon vor Jahren haben wir das genutzt, um uns Kampfstrategien abzugucken, aber so wie jetzt haben wir wahrscheinlich noch nie darauf geachtet, welche Art zu kämpfen am ehesten zum Sieg führt.

Heute sind die 34. Hungerspiele dran. Interessiert verfolgen wir, wie der Karrieromeute dieser Spiele am Füllhorn bereits 12 Tribute zum Opfer fallen, zwei andere werden von Tributen aus äußeren Distrikten getötet. So gibt es bereits am Füllhorn 14 Tote und die Tribute aus 1, 2 und 4 können nachts 3 weitere Gegner ausschalten, unter ihnen der zwölfjährige Junge aus 6. Diese 17 Tote am ersten Tag dürften immer noch Rekord sein. Ich werde alles versuchen, um diesen Rekord zu brechen!

Als sich die Anzahl der Überlebenden schließlich auf 5 dezimiert hat, beweist das Mädchen aus 1, das bis zu diesem Zeitpunkt vielleicht erst einen Gegner ausgeschaltet hat, plötzlich, dass sie gar nicht so blöd ist, wie sie hat durchblicken lassen und wird schließlich sogar zur Gewinnerin gekürt.
Auf einmal muss ich an Glimmer denken. Ist das auch ihre Strategie? Das dumme, freizügige Mädchen zu spielen, um dann schließlich doch zu beweisen, wie sie töten kann und zu gewinnen? Vielleicht hätte ich nicht so vorschnell über sie urteilen sollen. Vielleicht ist sie ja sogar gut. Vielleicht sollte ich sie besser nicht unterschätzen. Ich beschließe, morgen, am letzten Trainingstag, besser auf sie Acht zu geben.


Am nächsten und letzten Tag achte ich besonders auf Glimmer. Sie wartet in einer Schlange, die sich vor dem Bogenschießstand gebildet hat und ich beschließe, die Station ebenfalls aufzusuchen.

Vor Glimmer stehen das Mädchen, das meiner Erinnerung nach aus Distrikt 7 stammt, der Junge aus 9 und das Mädchen aus 5. Distrikt 7 zieht die Sehne zurück, doch sie zieht zu weit, so dass ihr, als sie die Sehne loslässt, diese an den Arm klatscht. Nur mühevoll hält sie die Tränen zurück und reibt sich den rotanlaufenden Arm. Glimmer und ich lachen gleichzeitig los.
„Oh Mann, ist dir so was schon mal passiert?“ fragt Glimmer mich kichernd.
„Nein, dir etwa?“ „Wofür hältst du mich?“ Es wundert mich, dass wir auf einmal so gut miteinander auskommen. Bisher haben wir uns gegenseitig gemieden, was uns Beiden nur Recht war.
Das Mädchen aus 7 sieht uns zunächst verletzt an, dann verengen sich ihre Augen zu wütenden Schlitzen. „Macht es doch besser!“ faucht sie sauer. Ich lächele sie überheblich an. „Wenn du willst, gerne, Schätzchen“ sage ich gefährlich leise und merke, wie sie bei „Schätzchen“ zusammen zuckt. Während sie mir ihren Bogen reicht, zische ich ihr zu: „Es ist nicht besonders ratsam, sich Feinde zu machen, Kleine. Vor allem bei Leuten, vor denen man sich lieber in Acht nehmen sollte.“ „Was willst du damit sagen?“ fragt sie und obwohl sie es zu verbergen sucht, kann ich die Angst in ihren Augen erkennen. Ein gehässiges Lächeln umspielt meine Lippen. „Pass auf, ich zeig es dir“ Damit lege ich einen Pfeil ein und ziehe die Sehne zurück. Ich lächele dem Mädchen noch mal kurz schadenfroh zu, dann lasse ich los, der Pfeil schießt durch die Luft und bleibt fast genau in der Mitte der Zielscheibe stecken. Distrikt 7 presst die Lippen aufeinander, dann geht sie ohne ein weiteres Wort zu der Station für das Fallenstellen. Fallenstellen ist unbrauchbar, aber wenn sie meint, dass es ihr nützen wird, bitte, sie weiß doch sowieso alles besser.


Beim Mittagessen sehen die meisten Tribute ziemlich angespannt aus. Im Grunde genommen bleiben nur ich und meine Verbündeten cool (den Jungen aus Distrikt 4 zähle ich nämlich nicht zu "verbündet" sondern zu "nerviger Klotz am Bein"), aber zu meinem großen Ärger bleiben wir nur sechs Verbündete. Wie ich vermutet hatte, wollte sich der Junge aus Distrikt 11 uns nicht anschließen und sonst gab es niemanden mit einigermaßen Potenzial. Ich und Cato werden also ziemlich auf uns allein gestellt sein ...

Heute finden die Trainingsbewertungen statt und ich persönlich freue mich wirklich drauf. Endlich stört mich keiner beim Messerwerfen, es wird einfach toll werden. Keiner aus Distrikt 12 wird da sein, um mich auszustechen, und bei deren bisherigen Leistungen werden sie die Spielmacher kaum beeindrucken.

Ich grinse also ein wenig vor mich hin, während ich esse, dann werden wir auch schon nacheinander aufgerufen. Zunächst immer der Junge aus dem Distrikt und dann das Mädchen. Beim morgigen Interview wird es anders herum sein.
Marvel ist also der erste und nach etwa einer Viertelstunde wird Glimmer aufgerufen. Marvel kommt nicht wieder. Wenig später ist Cato dran. "Viel Glück." wünsche ich ihm. "Dir auch." antwortet er und verschwindet.

Wenig später wird "Clove Thea Chericson" aufgerufen. Ich erhebe mich, gehe durch den Speisesaal zur Tür, die in den Trainingssaal führt. Dort angekommen mache ich mich sofort auf den Weg zum Messerwerfen. Ich genieße die Ruhe um mich herum, keine nervenden Geräusche der anderen Tribute sind nun zu hören, wie zum Beispiel Schmerzensschreie, wenn jemand auf dem Boden aufschlägt, das Stöhnen und Keuchen von denen, die überhaupt keine Ausdauer haben, das Geräusch, das aufeinanderprallende Klingen verursachen; alles stumm.

Ich stelle mich in etwa 15 Meter Entfernung zur Zielscheibe auf, atme tief durch. Jetzt darf ich keinen Fehler machen. Ich muss mein Bestes geben. Ich werde mein Bestes geben.

Ich ziele sorgfältiger als sonst und werfe dann ein gutes Dutzend Messer. Jedes bleibt im roten Bereich stecken. Und noch ein Messer, und noch eins ... Ein Dolch folgt sozusagen als krönender Abschluss.

Ich führe noch einige andere Sachen vor, Jade und ich haben in den beiden letzten Tagen viel mit Äxten gemacht, und schließlich widme ich mich zuletzt dem Schwertkampf. Die Trainingspuppen werden auf mich zugefahren.

Ich reiße dem ersten Dummy den Kopf von den Schultern, dem zweiten steche ich das Schwert mitten in die Stelle, in der sich beim Menschen das Herz befindet. Ich ziehe das Schwert aus der "Wunde" und das Kunstblut spritzt nur so. Die beiden Puppen fallen um. Als ich die letzte Trainingspuppe „getötet“ habe, sagt Seneca Crane, der Oberste Spielmacher, dass ich jetzt gehen kann. Ich mache eine kleine Verbeugung und begebe mich auf den Weg zum nächsten Aufzug. Ich bin ziemlich zufrieden mit mir.

Ich laufe in den Lift, drücke auf die 2 und sause nach oben. Cato wartet bereits und ich grinse ihn an. Irgendwie total süß, dass er extra auf mich gewartet hat ... „Und? Wie ist deine Einzelvorführung gelaufen?" fragt Cato sofort. „Gut und deine?" „Auch." Dieser Smalltalk geht mir auf die Nerven. „Was hast du vorgeführt?“ frage ich ihn und hoffe, eine etwas ausführlichere Antwort zu bekommen.
„Erst hab ich ungefähr zehn Trainingspuppen mit dem Speer durchbohrt und ein wenig Schwertkampf vorgeführt. Als letztes noch ein paar schwere Gegenstände durch die Luft geschleudert.“
Cato sagt das so, als wäre es das Einfachste auf der Welt. Aber ich muss mir eingestehen, dass ich mit dem Speer ziemlich untalentiert umgehe und schwere Gegenstände hebe ich auch nicht gerne. Ich bin eher dafür geschaffen, aus der Distanz zu töten. Und das tue ich am liebsten mit Messern, die sich allerdings auch gut für den Nahkampf eignen. Somit sind sie meine Lieblingswaffen.

„Wie ist es bei dir gelaufen?“ will Cato nun wissen. „Ich denke, ganz gut“ „Was heißt ‚du denkst, ganz gut’?“ „Für eine 9 wird ´s schon reichen ...“ Catos Antwort klingt genervt: „Geht ´s vielleicht etwas ausführlicher?!“ Bevor ich eine bissige Antwort geben kann, werden wir von unseren Mentoren unterbrochen. „Wenn ihr nichts dagegen habt, würden wir euch gerne eure Strategie für die Spiele erläutern. Bis alle anderen vorgeführt haben, wird es noch knappe fünf Stunden dauern.“, meint Lyme. Ohne auf unsere Antwort zu warten, geht sie in Richtung Esszimmer. Brutus, Cato und ich folgen ihr gezwungenermaßen.

Nun sitzen wir vier um den großen Esstisch versammelt. Lyme hat bei einem der Avoxe eine Art Gebäck bestellt, das hier im Kapitol wohl sehr beliebt ist und das wir essen, während sie redet und Brutus hier und da ein paar ergänzende Kommentare einwirft. Ich versuche, so gut wie möglich mitzukommen, während mir die Vanillecreme, die sich in dem Gebäck befindet, auf der Zunge zergeht.

Zu Beginn geht es um das Interview morgen. Wir sollen uns vor den Zuschauern so darstellen, wie wir es schon die ganze Zeit tun: stark, mächtig, distanziert. Wir sollen weiterhin so tun, als würden wir uns erst seit der Ernte kennen und dies auch beibehalten, bis wir etwa eine Woche in der Arena sind. Dann sollen wir unsere „Verbündeten“ verlassen, da wir nur zu zweit viel bessere Chancen haben zu gewinnen als mit diesen Versagern von Tributen.

Nach drei Stunden sind die Strategien bis ins kleinste Detail erklärt und Lyme schickt uns in unsere Zimmer, wo wir uns ‚ein wenig frisch machen’ sollen, wie sie sagt. Ich schließe die Tür hinter mir und stelle mich kurz entschlossen unter die Dusche. Der Tag war anstrengend.


Zweieinhalb Stunden später sitzen wir dann alle um den großen Fernseher versammelt, um uns die Bewertungen für die Einzelvorführungen anzusehen. In der Reihenfolge, in der wir auch aufgerufen wurden, blenden sie Portraits von uns allen ein, zusammen mit unserer Trainingsbewertung. Marvel bekommt eine 9, Glimmer nur eine 8. Ich kann mir beim besten Willen ein schadenfrohes Lächeln nicht verkneifen, auch wenn wir uns heute vielleicht ganz gut verstanden haben: Sie hält sich für die Beste in allem und hier kann man ja sehen, dass es nicht so ist. Aber ich weiß, dass ich sie nicht unterschätzen sollte.

Catos Bild erscheint. Er bekommt ganze 10 Punkte! Ich gratuliere ihm und dann wird auch schon mein Gesicht eingeblendet. Ich habe ebenfalls 10. Ich grinse und lasse mich genau wie Cato beglückwünschen. Mit der Bewertung kann ich leben. Es wird niemanden geben, der das überbieten kann!

Jade bekommt wie Glimmer eine 8 und der kleine Knirps aus 4, dessen Namen ich nicht mal weiß, eine 7. Peinlich, aber nicht wirklich verwunderlich.

Niemand der folgenden Tribute erreicht eine richtig hohe Punktzahl. Im Durchschnitt etwa 4 - 5. Der Junge aus 11 erhält eine 10 und ich ärgere mich ein wenig über ihn, er hätte so gut mit mir und Cato ein Team bilden können. Na, selber Schuld. Dann bist du halt auch gleich dran.

Das kleine, zwölfjährige Mädchen aus dem gleichen Distrikt erhält eine 7, was mich bei ihrer Größe ziemlich überrascht. Das heißt, sie hält mit dem Kleinen aus 4 mit. Nicht schlecht, sie ist also doch nicht so hilflos, wie ich immer dachte ...

Dann kommen die beiden aus 12 und ich muss angesichts der Trainingsbewertung des Mädchens fast würgen: Sie hat eine 11 bekommen, eine 11! Ich kann es nicht fassen, dass sie mich schon wieder ausgestochen hat. Augenblicklich balle ich die Hand zu einer Faust. Schon nach der Wagenparade stand sie auf meiner Abschussliste ganz weit oben, doch nun werde ich dafür sorgen, dass sie langsam und qualvoll stirbt.

Na warte, Distrikt 12, das wirst du mir büßen!, denke ich, Und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Ich atme langsam ein und aus. Ruhig bleiben. Verlier nicht die Nerven, Clove. Du bist besser als sie, egal, wie viele Punkte sie bekommen hat. Ich lasse mir meinen Ärger nicht ansehen, diese Blöße gebe ich Brutus nicht, der mich von Anfang an kaum, beziehungsweise gar nicht beachtet hat.

6. Kapitel: Die Interviews


Gestern Abend konnte ich mich nur mit ganz großer Mühe beherrschen, nicht mein ganzes Zimmer zu demolieren. Ich war so wütend auf das Mädchen aus Distrikt 12 gewesen und immer noch konnte ich mir nicht erklären, wie sie es auch nur im Entferntesten wagen konnte, mich im Training auszustechen! Sie kam aus Distrikt 12, verdammt! Ich sollte jemanden wie sie locker in die Tasche stecken. Ich könnte schon wieder schreien vor Ärger.

Ganz ruhig!, befehle ich mir, Heb' dir das für die Arena auf. Trotzdem schreit alles in mir danach, sie jetzt gleich mit den Messern zu bewerfen, die ich gestern noch im Training benutzt habe; Sie tot zu sehen!
Nach dem Gedanken geht es mir ein wenig besser, zumindest laufe ich nicht mehr Gefahr, den teuren Spiegel an der Wand oder eine der vielen Vasen zu zerstören. Gestern ist schon genug kaputt gegangen ...
Ich atme bewusst und werde ruhiger, kurz darauf werde ich von meinem Vorbereitungsteam abgeholt. Celsus wird mich den ganzen Tag über für das Interview fertig machen. Ich hoffe, er macht was aus mir, denn ich lass mir von dem Miststück aus Distrikt 12 nicht noch mal die Show stehlen. Sie hat sich mit der Falschen angelegt!

Für das Interview steckt mich Celsus in ein ärmelloses, oranges Kleid, mit hellblauen und türkisen Verschönerungen. Es bringt meine Augen zur Geltung und ich sehe atemberaubend schön aus. Ich bin begeistert und bedanke mich überschwänglich bei Celsus. Er tut es mit einem Lächeln und einer lässigen Handbewegung ab. Heute Abend wird Distrikt 12 keine Chance haben!

Wieder werde ich nur ganz sanft geschminkt. "Du hast von Natur aus ein schönes Gesicht." sagt Celsus als Erklärung. Das ist natürlich nichts Neues für mich, aber ich freue mich trotzdem über Celsus' Kommentar. "Dankeschön." Mittlerweile habe ich nichts mehr gegen meinen Stylisten einzuwenden und dass er doch Geschmack hat, hat er mir nun schon mehrmals bewiesen.

Zuletzt reicht er mir mein weißes Armband. Ich hatte schon ganz vergessen, dass ich es dabei hatte. "Woher hast du ..." "Das lag auf deinem Nachttisch. Ich dachte, es würde alles gut ergänzen." Ich beschließe, mich nicht darüber aufzuregen, dass er ungefragt in meinem Zimmer war, denn bisher hat er wirklich alles getan, um mir zu helfen.
Mal sehen, was Cato dazu sagt, denke ich.

Es müsste draußen eigentlich schon recht dunkel sein, aber die Bühne und der Platz vor dem Trainingscenter werden so hell angestrahlt, dass man meinen könnte, es wäre helllichter Tag. Hinter der Bühne sind schon recht viele Tributenpaare versammelt. Wieder kann man Cato leicht in der Menge ausmachen, er ist der Größte von allen.

"Na, aufgeregt?" frage ich ihn, als ich ihn erreiche. Befriedigt stelle ich fest, dass sich seine Augen für einen ganz kurzen Moment weiten, als er mich sieht. "Eigentlich nicht." antwortet er auf meine Frage und ich bin ein wenig enttäuscht, dass er nichts zu mir oder dem Kleid sagt.
Ich weiß ganz genau, dass ich atemberaubend aussehe. Aber kann er mir das nicht noch einmal sagen? Hoffentlich sieht er wenigstens nicht, dass ich leicht verstimmt bin. Dann fällt sein Blick auf das Armband.Sicher weiß er noch, wie er es mir damals zum Geburtstag geschenkt hatte.

Doch bevor er etwas dazu sagen kann, befiehlt eine Stimme aus einem der Lautsprecher, dass wir uns aufstellen sollen. Ich bin enttäuscht darüber, dass wir unterbrochen wurden, auch wenn ich nicht genau weiß, warum. Dann stelle ich mich zu den Anderen, um auf die Bühne zu gehen.
Oben angekommen, lasse ich mich von den Bürgern des Kapitols beklatschen und bejubeln. Ich schenke der Menschenmenge ein Lächeln. Immerhin möchte ich, dass viele mich sponsern.

Ich bin als eine der Ersten dran. Nervös bin ich eigentlich gar nicht, ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Tributen. Viele kneten hektisch ihre Hände, atmen leicht hysterisch ein und aus, sehen sich ängstlich um, oder tun alles auf einmal. Zu meiner großen Schadenfreude wirkt auch das Mädchen aus Distrikt 12 nervös. Dieses Mal wird es anders laufen. Heute Nacht werde ich es ihr zeigen!

Caesar Flickerman spaßt zunächst etwas mit der Menschenmenge. Dann ruft er uns, nach Distrikt geordnet, einen nach dem anderen auf. Dieses Mal beginnen wir Mädchen.
Glimmer wird also zuerst aufgerufen, sie steht auf, stöckelt auf Caesar zu und sie sieht wirklich toll aus. Ihr goldenes Kleid ist ziemlich figurbetont, hat einen ziemlich weiten Ausschnitt und reicht ihr nicht mal bis zu den Knien. Sie trägt eine Netzstrumpfhose und hochhackige, ebenfalls goldene Schuhe. Ihre blonden Haare fallen ihr wie immer in leichten Wellen über die Schultern.

Alles an ihr sieht ziemlich aufreizend aus und unterstreicht nur meinen Eindruck von ihr. Aber nur mit einer tollen Figur und ausgeprägten Proportionen gibt es noch keine Sponsoren, auch wenn sie dadurch mit Sicherheit auf Glimmer aufmerksam werden. Aber ich werde es besser machen als sie, viel besser! Was diese Tussi kann, kann ich schon lange!

Während Glimmer von Caesar interviewt wird, werde ich wütend. Sie gefällt der Menge. Sie wird von ihr bejubelt, beklatscht und gefeiert. Wie ich sie hasse! Ich bin von extrem heftigem Ehrgeiz erfasst. Ich möchte irgendwas tun, was Glimmer - egal, wie sexy sie sich anzieht und wie sehr sie sich rausputzt - und das Mädchen aus 12 in den Schatten stellt! Heute Abend stehle ich ihnen die Show!

Marvels Interview verläuft, soweit ich es in meiner innerlichen Rage mitbekomme, gut. Er ist ganz witzig und bringt sogar einige Tribute zum Lachen, die vorher ausgesehen haben, als würden sie gleich in Ohnmacht fallen. Wahrscheinlich sind es auch die, deren Bild morgen Abend um diese Uhrzeit am Himmel erscheint. Die, die nicht mal einen Tag in der Arena aushalten können und wenn doch, einen Psychokollaps oder so was ähnliches erleiden.

Dann ertönt das Signal und Clove Thea Chericson wird aufgerufen. Ich stehe von meinem Stuhl auf und gehe zu Caesar. Er begrüßt mich überschwänglich, schüttelt mir die Hand und bietet mir den Platz ihm gegenüber an. Ich setzte mich geziert, so wie Ember es mir gezeigt hat, und achte dabei darauf, dass mein Kleid nicht allzu sehr verknittert.

Dann will Caesar als erstes von mir wissen, wie mir das Kapitol denn gefällt und wie ich es mir vorgestellt hatte. "Na ja, ich wusste ja mehr oder weniger, was mich hier erwartet. Das Kapitol wird oft im Fernsehen gezeigt", meine ich locker, aber distanziert, ganz nach Lymes Anweisungen, aber auch meiner Art entsprechend. Er lächelt mir zu. "Nun Clove, wie ist es für dich an den Hungerspielen teilzunehmen?"
"Ich freue mich darüber. Ich habe schon oft davon geträumt, die Spiele zu gewinnen und das möchte ich jetzt auch tun!"

Ich lächele in die Kamera, allerdings eher überheblich. Auch wenn ich nicht unfreundlich wirken will, ich habe nicht vor, Sponsoren auf mich aufmerksam zu machen, indem ich mit den Augen klimpere. Die Leute können ruhig sehen, wie sicher ich mir meiner Sache bin.

„Dann wünsche ich dir viel Glück, nun, du hattest ja auch bei den Bewertungen 10 Punkte bekommen, wie hast du das gemacht?“ Ja, ich habe nur zehn und diese Miststück hat elf, danke, dass du mich wieder daran erinnerst. Ich beiße die Zähne zusammen, behalte aber die Fassung. Den Triumph, dass ich hier ausflippe, gönne ich ihr nicht. „Indem ich den Spielemachern das gezeigt habe, was ich kann“, antworte ich knapp. Ich habe keine Lust, freundlich zu sein.

Caesar gibt nicht auf: „Was sind denn deine Stärken?“ „Messer“. Das haben sicher schon alle Tribute mitbekommen und ich kann wieder lächeln. Ich denke daran, wie gut die Messer in meiner Hand liegen, und mit welcher Präzision ich sie führe. „Messer sind meine Stärke.“ Sollen sie ruhig Angst vor mir haben, das ist das Image, das ich mir wünsche.

"Wirst du uns verraten, was wird deine Strategie in der Arena sein?" Cato und ich wollen die anderen nach etwa einer Woche verlassen. Wir haben zu zweit einfach viel bessere Chancen, denn unsere "Verbündeten" behindern uns eher. Ich wette, dieses Jahr schicken Distrikt 1 und 4 ihre schlechtesten Tribute seit langem in die Spiele. Und ausgerechnet jetzt bin ich im Kapitol. Aber das kann ich natürlich nicht sagen.

"Na ja, da werdet ihr euch wohl auf die Arena gedulden müssen." Mein Lächeln ist distanziert. Als ob ich vorhätte, meine Taktik auszuplaudern und damit den anderen Tributen einen Vorteil zu verschaffen. "Bitte?" versucht Caesar mich zu überreden, aber ich schüttele lächelnd den Kopf.
"Schade, aber vielleicht magst du uns ein wenig über deine Familie erzählen?" Die Frage ist eher wie eine Aufforderung gestellt, aber warum eigentlich nicht ...

"Ich habe zwei kleine, 13-jährige Schwestern, die wie ich seit Jahren für die Hungerspiele trainieren und meine Eltern haben eine angesehene Stellung in Distrikt 2." Ich lasse unerwähnt, dass mein Vater meistens betrunken ist. Das Ansehen rührt auch vor allem durch meine Fähigkeiten her, doch bevor ich das sagen kann, ertönt schon das Signal.
Waren das schon drei Minuten? "Nun denn, viel Glück, Clove" "Danke." antworte ich schlicht und gehe zu meinem Platz zurück.

Sobald Catos Interview vorbei ist - er spielt mit dem Image des brutalen und skrupellosen Mörders - nehme ich mir Zeit, über mein eigenes Interview Gedanken zu machen.
Ich denke, dass ich ganz gut war - ich habe schließlich die Anweisungen unserer Mentoren ausgeführt, ein wenig Persönliches über mich erzählt, aber trotzdem nicht zu viel über mich verraten. Alles in allem denke ich ganz gut.

Das einzige Interview, das mich eigentlich noch ein wenig interessiert, ist das von Distrikt 12. Sie geht äußerst nervös auf Caesar zu, aber sie hat ein ziemlich hübsches Kleid an. Die ersten Fragen beantwortet sie ziemlich aufgeregt und ich schätze mal, dass sie heute Abend keine Konkurrenz für mich darstellt. Zum Schluss dreht sich Distrikt 12 total bescheuert in ihrem Kleid. Ich verdrehe die Augen. So macht man sich keine Sponsoren, Schätzchen, denke ich überlegen.

Ihr Signal ertönt und ich freue mich schon, dass ich dieses Mal besser war, doch der Junge aus 12, den ich bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich überhaupt nicht beachtet habe, meint, er sei schon lange in das Mädchen aus 12 verliebt. Sie läuft rot an und das Publikum ist entsetzt. Das haben die beiden auf alle Fälle auf ihre Seite gezogen, zusammen mit dem ganzen Rest von Panem. Ein Liebespaar in der Arena, das gab es bisher noch nie! Nein! Scheiße, das kann nicht sein!

Ich kann es einfach nicht glauben! Das Mädchen stellt sich dumm an wie nur was und bekommt dann, ohne selbst etwas dafür zu tun, die meisten Sponsoren! Ohne Eigenleistung! Wie kann sie nur?! Zum zweiten Mal an diesem Abend werde ich wütend, nur, dass ich jetzt noch wütender bin. Wütender als bei Glimmer, und wütender als gestern Abend. Sie hat mich schon wieder ausgestochen, hat mir schon wieder die Show gestohlen!

Sobald ich in meinem Zimmer bin, raste ich richtig aus: In dieser Nacht gehen mehr als nur ein paar Gegenstände in meinem Zimmer zu Bruch. Ich werfe mit allem, was mir nur in die Hände fällt durch das Zimmer. Der große Spiegel muss wohl ausgetauscht werden und keine der vielen Blumenvasen kommt ohne Sprung davon.

Das hier sind meine Spiele. Mein großer Auftritt, ich habe mich freiwillig gemeldet und jetzt verderben sie mir Alles! Für das Publikum bin ich doch bloß eine ganz hübsche, leicht arrogante Tributin, die wissen doch gar nichts. Aber das andere Mädchen ist jetzt ihr Star. Wie kann das sein?!

Ich bin die Beste, und habe immer noch die besten Chancen zu gewinnen. Sie nimmt mir alles weg, Aufmerksamkeit, Sponsoren, und ich werde ihr dafür ihr Leben nehmen. Dann wird das Publikum wenigstens auf mich achten, die Karrieretributin, die den Publikumsliebling getötet hat.
Ich ändere meine Pläne. Ich will nicht von allen bewundert werden. Ich möchte von allen gefürchtet werden, wenn ich erst gewonnen habe wird niemand es wagen, mich in Frage oder in den Schatten zu stellen.
Als ich mich wieder ein bisschen beruhigt habe, werfe ich mich auf mein Bett, stopfe mir ein Kissen in den Mund und schreie, bis ich keine Stimme mehr habe.

7. Kapitel: Gemetzel


Der nächste Morgen beginnt mit schlimmen Halsschmerzen. Ich hätte gestern nicht so austicken dürfen, das passt so gar nicht zu mir. Es ist doch nur das Mädchen aus Distrikt 12 ... Könnte man meinen. Aber sie bringt mich so zur Weißglut ... Bevor ich wieder etwas Unüberlegtes mache, ziehe ich mich an.
Probeweiser räuspere ich mich. Meine Stimme ist immer noch fast komplett weg. Hoffentlich gibt sich das bis zum Beginn der Spiele, der erste heisere Tribut, nein danke.

Heute geht es also in die Arena. Auf der einen Seite freue ich mich natürlich, auf der anderen Seite bin ich zugegebenermaßen doch nervös. Nicht weil ich Angst habe, ich vertraue meinen Fähigkeiten, aber was wird das für eine Umgebung sein? Wie werden sich die anderen Tribute verhalten? Und auf Tresh müssen wir aufpassen. Da er sich nicht mit uns verbünden will, ist er vermutlich die größte Gefahr.

Dann klopft Lyme an meine Zimmertür: "Clove? Bist du schon wach?" "Ja ..." Verdammt. Ich bin total heiser. Meine Stimme ist nur ein kaum vernehmbares Krächzen. Ich ärgere mich ziemlich über mich selbst. Wie konnte ich nur?! Heute beginnen die Hungerspiele! Ich sollte in Top - Form sein, stattdessen hab ich nichts besseres zu tun, als solange erstickt zu schreien, bis meine Stimme ihren Geist aufgibt!
Lyme kommt rein. "Alles okay?" fragt sie, ein wenig besorgt. "Natürlich ..." Ich muss mich räuspern. Sie sieht mich ein wenig mitleidig an. "Das gibt sich schon wieder." Ich nicke nur, um meine Stimme zu schonen. Lyme klopft mir auf die Schulter. "Na komm, das Hovercraft wartet." Ich folge ihr stumm.

Dann werde ich Celsus übergeben. Er wird bei mir sein, bis ich in die Arena komme. Wir gehen zum Aufzug und er bringt uns auf eine Art Dachterasse. Ein Hovercraft fliegt startbereit in der Luft und eine Leiter wird heruntergelassen. Celsus stellt mich auf die unterste Sprosse. Etwas bannt mich an sie, bis ich oben bin.
Ich setzte mich auf einen bequemen Sessel am Fenster. Jemand stellt mir einen Tee hin. Die Hitze hilft ein wenig gegen die Halsschmerzen, aber ich habe ein seltsam flaues Gefühl im Magen. Eigentlich sollte ich das hier alles mit links meistern, aber da ist noch etwas, was ich bisher weitestgehend verdrängt habe: Selbst wenn ich diese Spiele gewinnen sollte, Cato würde nicht mehr leben ...

Ich zucke bei dem Gedanken so sehr zusammen, dass ich mir dabei den Rest des Inhalts meiner Teetasse über die Hose schütte. Ich fluche leise los. Mist, Mist, Mist! Clove, jetzt nimm dich mal ein bisschen zusammen und reiß dich ein bisschen am Riemen, du kommst aus Distrikt 2, verdammt! schimpfe ich mit mir selbst. Einer der Diener des Kapitols reicht mir einen Lappen und den größten Schaden beseitige ich selbst, obwohl der Diener mir seine Hilfe anbietet. Aber so hab ich wenigstens etwas zu tun und hoffe, dass das mich ein bisschen von meinen dunklen Gedanken abbringt. Aber ich kann die Gedanken nicht ganz abstellen.

Warum überrascht mich das gerade so? Seit Len mich bei der Ernte darauf hin gewiesen hat, hab ich möglichst nicht daran gedacht, aber ich wusste doch, dass es so ist. Wieso bin ich so geschockt darüber? Er ist mein Gegner, auch wenn wir anfangs Verbündete sind. Irgendwann muss er sterben, wenn ich gewinnen will. Ich wusste doch, dass mein Mittribut nicht überleben kann und bevor ich eine Ahnung hatte, wer mit mir in der Arena sein würde, hatte ich damit auch kein Problem … Warum klopft mein Herz plötzlich so stark?
Natürlich, er ist mein bester Freund, aber trotzdem: Bin ich nicht ein bisschen zu entsetzt? Ich bin völlig durcheinander.

Warum stört mich es gerade bei ihm so? Ich weiß, selbst bei der kleinen Rue könnte ich ohne zu zögern mein Messer werfen. Es gibt so wenig Menschen, die mir etwas bedeuten. Und davon ist einer ausgerechnet in der Arena. Bin ich fähig ihn zu töten? Kann ich das, wenn der Zeitpunkt gekommen ist? Ich weiß die Antwort nicht, und das macht mir Angst.

Dann werden die Scheiben so verdunkelt, dass ich nicht mehr nach draußen sehen kann. Wir nähern uns also der Arena!
Celsus führt mich durch den Untergrund der Arena, bis wir zu meinem Startraum, dem Pferch, kommen. In der bereitstehenden Dusche wasche ich mich noch einmal ausgiebig, in der Arena wird es dazu keine, beziehungsweise nur bedingt die Möglichkeit geben. Celsus hat einen undurchsichtigen Beutel, in dem die Klamotten für die Tribute sind - alle tragen dasselbe. Er reicht mir die recht schlichte Unterwäsche und ich beginne damit, mich umzuziehen.

Jeder trägt eine ebenfalls schlichte, hellgrüne Bluse und eine schwarze Jacke, die die Körperwärme speichern soll. Dazu eine braune, recht robuste Hose und klobig wirkende Stiefel. Meine Haare binde ich zu einem einfachen Zopf zurück. Als ich der Meinung bin, fertig zu sein, gibt Celsus mir noch etwas: Mein Armband!

"Danke ..." Das ist alles, was ich dazu sagen kann. Nicht nur wegen der Halsschmerzen. Irgendwie ist es rührend, wie Celsus sich um mich kümmert, auch wenn ich es nicht nötig habe. "Kopf hoch. Du wirst es schaffen!" meint Celsus zuversichtlich. Ich nicke, warum sollte ich es nicht können? Ich habe mein Leben lang auf diesen Moment trainiert! Aber plötzlich denke ich etwas völlig gegensätzliches: Nein, wenn ich gewinne, wird Cato sterben ... Für einen kurzen Moment flackert der Gedanke durch meinen Geist, zu sterben, damit Cato überlebt. Ich bin geschockt. Wie komme ich auf so etwas?
"Clove, alles in Ordnung?" Celsus sieht mich prüfend an und irgendwie auch ein bisschen so, als würde ich gleich in Ohnmacht fallen, oder so. "Natürlich." erwidere ich barsch. Ich bin doch nicht schwach! "Hm, na gut. Aber ..." "Mir geht´s bestens, okay?!"

Wenigstens kommt meine Stimme langsam wieder und mit jedem Wort, das Celsus sagt, werde ich wütender. Ich bin doch kein kleines Kind mehr! Niemand, der beim bloßen Gedanken an die Spiele einfach losflennt, oder versucht wegzurennen. Ich weiß, wie man die Spiele gewinnen kann! Ich kann töten! Ich habe sogar mit die besten Chancen auf den Sieg und Celsus ...
"Clove! ..." In diesem Moment ertönt die Stimme, die verkündet, dass es soweit ist, dass die Spiele beginnen.
Wütend über das mangelde Vertrauen meines Stylisten, stapfe ich auf die Metallplatte, die mich in die Arena bringen wird. Ich habe eine Hand zur Faust geballt.

"Trotzdem viel Glück." wünscht mir Celsus. Ich atme tief durch, um mich zu beruhigen, dann nicke ich ihm zu. "Auf Wiedersehen ..." murmele ich. Es wäre schade, wenn ich ihn im Streit verlassen würde. Auch, wenn er vielleicht nicht ganz von meinen Fähigkeiten überzeugt ist. Es bedeutet ja auch, dass er sich Sorgen um mich macht ...
Dann schiebt sich die Glasscheibe zwischen uns. Celsus schiebt mit den Fingern seine Mundwinkel nach oben und ich versuche zu lächeln, auch wenn ich innerlich immer noch sauer bin. Langsam schiebt sich der Glaszylinder nach oben. Mein Herz klopft noch etwas heftiger.

Ja, das ist der Moment, auf den ich solange trainiert habe, von dem ich mein Leben lang geträumt habe! Mein Zorn fällt ab und macht erwartender Beherrschung platz. Mein Atem geht schneller, alle Sinne sind geschärft. Nach kurzer Zeit merke ich, wie er sich durch die Oberfläche schiebt und eine Sekunde später stehe ich in der Arena.

Ich befinde mich auf einer Grasebene. Alle 24 Tribute stehen in einem Kreis um das in der Sonne glitzernde Füllhorn. Ich kann Cato nicht sehen, wahrscheinlich steht er auf der anderen Seite des Horns ... Claudius Templesmith meldet sich zu Wort: "Meine Damen und Herren, die vierundsiebzigsten Hungerspiele haben begonnen."
Ab diesem Moment laufen sechzig Sekunden, die sechzig Sekunden, in denen wir die Platten nicht verlassen dürfen, weil man sonst die längste Zeit am Leben gewesen ist. Schnell versuche ich mir einen Überblick über die Arena zu verschaffen, auch wegen der Kameras und um meine Gegner etwas einzuschüchtern.

Links von mir befindet sich ein großer See, mitten am Rand eines, so scheint es mir zumindest, sich endlos erstreckenden Waldes. Auf der rechten Seite befindet sich eine riesige Steppe, mit etwa schulterhohem Gras. Hinter dem Füllhorn geht es abwärts in eine Schlucht. Dann betrachte ich den Boden vor mir genauer. Vor mir liegen ein paar Messer, allerdings nicht gerade Prachtmodelle. Die Klingen sind relativ stumpf und zudem dreckig. Die wirklich guten Sachen befinden sich ganz nahe am Füllhorn. Und da werde ich hinlaufen!
Die Zeit muss fast um sein. Ich stelle mich in Startposition. 5 ... 4 ... 3 ... 2 ... 1 ... Der Gong ertönt und ich hechte los. Ich realisiere gerade noch, dass die beiden Tribute, die links und rechts von mir standen, wohl nicht so schnell reagiert haben.

Etwa 40 Meter von meinem Ausgangspunkt entfernt liegen einige richtig gute Messer. Ich schnappe sie mir und will gerade bis zum Füllhorn weiter, als ich sie sehe. Das Mädchen aus Distrikt 12, das mit einem Jungen an einem orangen Rucksack zieht. Ich nehme mir eines der Messer, ziele und schleudere es dem Jungen in den Rücken. Er hustet dem Mädchen Blut ins Gesicht und sie stolpert angeekelt zurück. Der Junge fällt, zuckt noch kurz und bleibt dann reglos liegen.

Ich nehme noch ein Messer, ein richtig schönes, mit langer, scharfer Klinge. Ich ziele schnell, werfe es in ihre Richtung. Gerade glaube ich schon, sie getroffen zu haben, als sie den Rucksack hoch zieht und abblockt. Sie rennt weg und ich beschließe ihr nicht zu folgen. Wenn ich mich jetzt nicht beeile, werden alle guten Sachen weg sein und ich kann den Gedanken einfach nicht ertragen, dass Glimmer sich irgendwas, was ich auch gut gebrauchen könnte, unter ihre perfekt gefeilten, lackierten Nägel reißt!

Ich drehe mich um und sehe das kleine, blonde Mädchen aus 10, das mit einem Dolch in der Hand auf mich zu rennt. Denkt sie ernsthaft, dass sie mich damit erledigen kann? Sie hat mich doch im Training beobachtet! Ich bin immer noch so sauer auf Distrikt 12, dass ich überhaupt nicht darüber nachdenke und eines der Messer mit voller Wucht in die Richtung des Tributs schleudere. Sie stolpert noch unbeholfen einige Schritte weiter, bis sie zu Boden geht und nicht mehr aufsteht.
Dem Jungen aus 6 widerfährt das gleiche Schicksal und ich spüre fast so etwas wie freudige Erregung über meine brutalen Taten. Ich ziehe das Messer aus seinem Bauch - es ist ganz rot vom vielem Blut, nicht nur seinem - und wende mich dem nächsten Tribut in Reichweite zu. Ich richte ein richtiges Massaker unter den Tributen an, ein Gemetzel. Der einzigen Tribut, auf den ich in meinem Blutrausch achte, ist Cato.

Ich schnappe mir ein am Boden liegendes Schwert und gehe damit auf den nächsten Menschen los, das Mädchen aus 7. Von hinten packe ich sie, sie schreit kurz auf, dann versenke ich die Klinge in ihrem Hals und unter ihren Schrei mischen sich gurgelnde Laute, bis diese ganz ersterben.

Gegen Nachmittag sind nicht mehr viele beim Füllhorn und etwa gegen vier sind alle Tribute, außer mir und meinen "Verbündeten", entweder tot, oder haben das Weite gesucht. Wir sammeln uns vor der Öffnung des Füllhorns. Es scheinen alle überlebt zu haben - die anderen 5 kommen gerade aus allen Richtungen der Ebene auf das Füllhorn zu. Doch, Moment mal! Ich kann den kleinen Knirps aus 4 nirgends sehen. Aber wer ist dann die fünfte Gestalt?

"DU?!" Ich funkele die fünfte Gestalt - den Jungen aus 12 - wütend an. "Warum? Warum von allen Tributen ausgerechnet ihn?!" Ich wende mich an Cato. "Weil er der Einzige ist, der weiß, was das Mädchen aus 12 kann und wo sie sich aufhalten könnte." "Aber ..." setzte ich an. "Clove,", Cato zieht mich etwas zur Seite, damit die anderen nicht mithören können, was er mir sagt, "sie wird ihre hohe Trainingsbewertung nicht umsonst bekommen haben und ich möchte kein Risiko eingehen." "Das tust du gerade, indem du ihn mitgehen lässt." stelle ich klar.

"Hey, wir hauen doch sowieso bald von ihnen ab, oder?" er sieht mich herausfordernd an. Das stimmt natürlich, trotzdem ist allein der Gedanke ihn bei uns mitmachen zu lassen unerträglich und macht mich rasend. "Ja und?! Soll ich deshalb Babysitterin für einen Idioten, der nicht auf sich selbst aufpassen kann, spielen?!"
"Das erwartet auch niemand von dir." "Das will ich hoffen und sollte er nur den kleinsten Fehler, oder irgendwas verdächtiges machen ..." "... dann darfst du ihn höchstpersönlich töten." verspricht mir Cato. "Okay, abgemacht!" Ich stimme dem Kompromiss nur zu, da es sich hier um Cato handelt, jeden anderen Menschen hätte ich von meinem Vorschlag überzeugt. Es mag zwar vernünftig sein, ihn mitzunehmen um das Mädchen zu finden, aber wer garantiert mir denn, dass er uns nicht auf die falsche Fährte lockt? Das er das Bündnis ausnutzt, nur um am Leben zu bleiben? Ich beschließe, den Jungen im Auge zu behalten.

Wir gehen zu den anderen zurück. Jade ist offenbar bewusst geworden, dass ihr Mittribut tot ist. Sie sitzt mit angezogenen Knien auf dem Boden, hat ihr Gesicht in den Händen vergraben und ihre zuckenden Schultern legen nahe, dass sie schluchzt. Marvel hat sich neben sie auf den blutgetränkten Boden gesetzt, ihr eine Hand auf die Schultern gelegt und versucht sie offenbar zu beruhigen. Ich lag mit meiner Einschätzung des Mädchens von Anfang an völlig richtig: Zu nichts zu gebrauchen und flennt beim Tod ihrer Gegner los. Ich seufze leicht und gehe zu dem Jungen aus Distrikt 12, während Glimmer und Cato etwas bereden und Marvel immer noch versucht, Jade zu trösten.

Als Distrikt 12 sieht, dass ich auf ihn zusteuere, flackert kurz Angst in seinem Blick auf:
„Okay, pass auf: Ich wäre als Letzte für ein Bündnis mit dir gewesen. Ich glaube nämlich nicht, dass du uns wirklich zu ihr führst. Überzeug mich vom Gegenteil, aber ein Fehler und du bist tot." Ich möchte, dass ihm klar ist, was ihm blüht. Um meine Worte zu unterstreichen, lasse ich kurz eines meiner Messer an seinem Gesicht vorbei sausen, um zu demonstrieren, dass ich keine Skrupel davor habe, ihn jetzt gleich zu töten. Ich werfe dem Jungen noch einen abschätzigen Blick zu, dann mache ich mich daran, nachzusehen, was wir noch nützliches aus dem Füllhorn gebrauchen könnten. Jade hat sich offenbar wieder beruhigt und die Anderen folgen mir.

Ich bewaffne mich bis auf die Zähne mit Messern. Kurz überlege ich, auch das Schwert mitzunehmen, mit dem ich vorhin Distrikt 7 zur Strecke gebracht habe, aber dann biete ich es doch Cato an. Er wirft mir einen Beutel für Wasser zu. Ich fange ihn geschickt in der Luft auf und stecke ihn zu meiner anderen Ausbeute in einen solide verarbeiteten Rucksack, den ich mir über die Schulter werfe. Ich nehme mir noch eine Taschenlampe und Essen mit. Am See, den ich vorhin gesehen habe, füllen wir unsere Wasservorräte auf und dann machen wir uns in den Wald auf. Im Hintergrund kann ich die Hovercrafts hören, die kommen, um die toten Körper abzuholen.

Ich stelle mich darauf ein, lange wach zu bleiben; Heute Nacht gehen wir auf die Jagd!

8. Kapitel: Die Jagd


Als wir das Füllhorn verlassen, ertönen die Kanonen. Es hat 11 Tote gegeben. Bei dem ganzen Blut um das Füllhorn herum, kommt mir das reichlich wenig vor ...
Wir gehen in den Wald, damit die Spielmacher die Leichen einsammeln können. Wir laufen weiter, um nach verirrten Tributen suchen.
Nach circa einer Stunde bittet Jade um eine Pause, um ihre Wunden zu verarzten. Also so schlimm verletzt ist sie nun wirklich nicht und ich will schon widersprechen, als ich die lange Schnittwunde bemerke, die sich quer über meinen rechten Arm zieht.

"Sieht schmerzhaft aus." bemerkt Cato. "Ach, das geht schon." Ich habe sie tatsächlich nicht bemerkt. "Warte mal." Er ruft Marvel irgendwas zu und dieser schmeißt etwas in Catos Richtung. Es ist ein Verband. "Ach, das muss doch nicht sein ..." wehre ich ab. Aber Cato macht sich schon daran, meinen Ärmel vorsichtig hochzuschieben und mir den Arm zu verbinden. "Du würdest auch nicht mal im Traum auf mich hören, was?" bemerke ich ein wenig spitz. Wo seine Finger meine Haut berühren, bildet sich eine Gänsehaut. "Bestimmt nicht." antwortet er leicht lächelnd auf meine Bemerkung und ich muss selbst ein bisschen grinsen. Es fühlt sich seltsam vertraut an, dass er sich um mich kümmert.

"Seid ihr beiden bald fertig?" faucht Glimmer in unsere Richtung. Ich zucke leicht zusammen. "Eine Verletzung behindert uns nur. So sind wir schneller wieder unterwegs und Marvel könnte Hilfe beim Einpacken gebrauchen." befiehlt ihr Cato einfach. Glimmer dreht sich um und tut, wie ihr gesagt wurde. Manche Leute haben so etwas wie eine natürliche Autorität, die andere instinktiv machen lässt, was diese Leute wollen. Bei Cato ist diese wahrscheinlich ziemlich stark ausgeprägt …

Wir gehen weiter. Nach etwa drei weiteren Stunden wird die Hymne von Panem gespielt und die Gesichter der Toten werden eingeblendet. Zunächst wird das Mädchen aus Distrikt 3 gezeigt. Ich glaube, Cato hatte sie mit dem Speer erwischt. Dann der kleine Knirps. Wie gesagt, von ihm hatte ich sowieso von Anfang an nicht viel erwartet, aber schon nach dem ersten Tag draußen zu sein ist übel!
Dann blenden sie den Jungen aus 5 und die Tribute aus 6 & 7 ein. Auch der Junge aus 8 ist tot. Beide aus 9 werden gezeigt. Das war der Junge, den ich als erstes getötet habe. Zuletzt erscheint das Bild des kleinen Mädchens aus Distrikt 10, dass ebenfalls durch mich umgekommen ist. Das Wappen des Kapitols erscheint wieder, während sie eine Schlussfanfare einspielen. Dann wird der Himmel schwarz.

Wir haben beschlossen, die gesamte Nacht hindurch zu jagen, aber es ist trotzdem bereits früher Morgen, als wir endlich einen Tribut finden. Schon fast aus einem Kilometer Entfernung können wir das Feuer sehen. Wie auf Kommando rennen wir, obwohl wir alle mitlerweile erschöpft sind, los. Im Flammenschein erkenne ich das Mädchen aus 8 - schlafend. Mit einem Ruck wacht sie auf, aber wir haben sie bereits umzingelt und Cato sticht ihr eines der Messer, die ich im vorhin abgegeben habe, in die Brust und zieht es wieder aus der Wunde. Das Mädchen schreit ein letztes Mal auf. Dann kippt sie zur Seite, umkrampft die Wunde mit der Hand, die sich genau über ihrem Herzen befindet. Dann löst sich die Spannung in ihrem Körper und sie bleibt bewegungslos liegen.

Das eben noch so sorgfältig polierte Messer leuchtet rot von ihrem Blut. Wir anderen gratulieren Cato zu seiner gelungenen Tötung. Dieser ruft: "Zwölf erledigt und noch elf vor uns!" Die anderen johlen und ich bin augenblicklich beeindruckt, wie gut Cato die Rolle des "Verbündeten" spielt. Ich sage nichts, aber er fängt meinen Blik auf und ich bin mir sicher, dass er mein unausgesprochenes Lob angenommen hat.

Dann schauen wir nach, ob wir irgendwas von dem Zeug gebrauchen könnten, das das tote Tributenmädchen mit sich getragen hat. Marvel schneidet der Toten den Beutel vom Gürtel und lässt den Inhalt auf den Boden fallen.

"Was wollte sie denn damit?" frage ich und halte eine Glasscherbe in die Höhe, die im schwachen Mondlicht leicht glitzert. "Keine Ahnung, wirf sie weg." schlägt Glimmer vor und die Scherbe landet im nahen Gebüsch. Außerdem hat das Mädchen einen Stein besessen, der großes Gelächter erntet. Die Glasscherbe hätte man vielleicht noch zum Schneiden von irgendwas verwenden können, aber der Nutzen des Steins bleibt mir verschlossen. Er landet ebenfalls in der Weißdornhecke.

Wir geben es auf, aber Glimmer tastet das Mädchen vorsichtshalber nochmal ab. "Da ist nichts mehr." meine ich. Das sehe ich mit einem Blick. "Ich möchte nur auf Nummer sicher gehen." antwortet sie und als sie bemerkt, dass ich recht habe, wirft sie ihre blonde Haarmähne arrogant zurück und geht den anderen hinterher, die schon einen ziemlichen Vorsprung haben. Ich verdrehe nur die Augen. Oh Gott ist die schnell beleidigt! Für wen hält die sich eigentlich?

Kurz bevor ich die anderen ebenfalls eingeholt habe, fällt mir etwas auf.
"Wieso hören wir nicht langsam mal die Kanone?" frage ich in die Runde. "Stimmt. Was sollte sie davon abhalten, sie jetzt gleich abzuholen?" murmelt Jade. "Es sei denn, sie ist nicht tot." mischt Marvel sich ein. "Sie ist tot, ich habe sie höchstpersönlich abgestochen." weist Cato die anderen zurecht. "Und wo bleibt dann die Kanone?" fragt Glimmer schnippisch. Wahrscheinlich möchte sie sich für vorhin rächen, als Cato sie rumkommandiert hat.

"Einer von uns sollte zurückgehen. Nachgucken, ob die Sache auch wirklich erledigt ist." schlägt Marvel vor. Ich halte den Vorschlag für vernünftig. "Ja, ich hab keine Lust sie zweimal aufzuspüren." sagt Glimmer und lächelt Cato fies an. Als würde den so was stören. Echt! "Ich hab doch gesagt, dass sie tot ist!" stöhnt Cato, als habe er es hier mit einem Haufen begriffsstutziger Idioten zu tun, was größtenteils ja auch zutrifft. "Vielleicht hast du dich ja geirrt." schlägt Glimmer ihm arrogant vor. Ich seufze.

"Wenn das so weitergeht, sind wir Übermorgen noch hier." bemerke ich, allerdings mehr für mich selbst, als für die anderen. Der Junge aus Distrikt 12 aber hat es gehört und nickt mir zu. "Wir verlieren hier nur Zeit! Ich gehe zurück und erledige sie und dann nichts wie weiter!" Als ich sehe, dass Cato Glimmer gerade fast eine gelangt hätte, bin ich ziemlich sauer auf ihn. Hätte er jetzt nichts gesagt, hätte Glimmer etwas ihrer "Schönheit" eingebüßt. Auch Cato sieht durch die Unterbrechung nicht gerade glücklich aus.

"Dann geh halt, Loverboy und überzeug dich selbst." wendet er sich an Distrikt 12, wobei mir der Namen Loverboy fast noch besser gefällt.
"Loverboy" geht also zu dem Mädchen am Feuer zurück. Ich behalte ihn im Blick, falls er abhaut, oder sonst etwas tut. Doch dann unterhalten wir uns leise, vergessen ist der Streit. "Warum töten wir ihn nicht jetzt gleich und bringen es hinter uns?" schlage ich sofort vor, sauer, weil Glimmers Gesicht wegen ihm immer noch so aussieht, wie vorher und sie vielleicht sogar abgehauen wäre, wenn Cato sie geschlagen hätte. Außerdem steckt Loverboy mit dem Mädchen aus seinem Distrikt doch eindeutig unter einer Decke und er geht mit zudem noch tierisch auf die Nerven!

"Lass ihn mitkommen. Was kann es schaden? Außerdem kann er gut mit dem Messer umgehen." widerspricht mir Marvel. Also das kann ich hier ja wohl am besten beurteilen, aber ich verkneife mir den Kommentar, da ich es mir mit Marvel nicht verspaßen möchte. Von mir und Cato mal ganz abgesehen, ist er der einzige, der einigermaßen was drauf hat, auch wenn es im Gegensatz zu uns immer noch jämmerlich erscheint. Jade hat von uns Überlebenden das wenigste Potenzial und das sollte ein wirklicher Verbündeter von mir einfach besitzen. Ich schätze, sie wird nicht mehr lange überleben. Glimmer hingegen hätte etwas drauf haben können, wenn sie ihre Zeit nicht mit so sinnlosen Sachen wie Schmuck oder Schminken verschwenden würde.

"Abgesehen davon haben wir mit ihm die besten Chancen, sie zu finden." sagt Cato nun zu allen, was er vorhin schon mir gesagt hatte. "Was? Du glaubst doch nicht im Ernst, dass sie auf die Herz - und - Schmerz - Geschichte reingefallen ist?" Jade zieht eine Augenbraue hoch und ihre meerblauen Augen funkeln ungläubig. "Wieso nicht? Mir scheint sie ein ziemliches Dummchen zu sein. Wenn ich daran denke, wie sie sich in diesem Kleid gedreht hat, könnte ich los kotzen."

Ich muss Glimmer wohl oder übel Recht geben. Auch ich war der Meinung, dass es bescheuerter nicht ging. Aber ich verstehe ihren Standpunkt nicht so ganz: Mal ist sie für mich, mal gegen mich, mal für Cato, mal gegen Cato. Was will sie überhaupt? Ich gebe es auf, aus ihr schlau zu werden. Warum verschwende ich überhaupt einen Gedanken an sie? Das ist sie mit Sicherheit nicht wert! "Ich wüsste gern, wie sie an ihre Elf gekommen ist." überlegt Marvel.
"Ich wette, Loverboy weiß es." sage ich bissig. Ich vertraue dem Typen kein bisschen! Doch dann kommt er schon zurück und wir halten unsere Klappen. "Und, war sie tot?" fragt Cato ihn abschätzend. "Nein. Aber jetzt ist sie es" antwortet Loverboy. Wie zur Bestätigung knallt die Kanone. "Können wir weiter?" fragt er. Das hat mit Sicherheit nicht er zu bestimmen, aber niemand protestiert, da wir alle einen Platz zum Ausruhen brauchen. Also laufen wir los, gerade als sich der Himmel rosa zu färben beginnt.

Wir beschließen bald, eine Pause einzulegen. Die Nacht war lang und wir sind alle müde. Freiwillig melde ich mich für die erste Wache, denn danach kann ich umso länger am Stück schlafen und die anderen sehen noch erschöpfter aus, als ich. Außerdem würde ich es Glimmer sofort zutrauen, mich im Schlaf zu erwürgen, oder so und ich möchte Distrikt 12 im Auge behalten. Wir machen an einer Lichtung halt. Ich lehne mich an einen Baumstamm, die anderen bereiten eine Art Lager vor.

"Schlaf nicht ein!" raunt Glimmer mir noch mit einem fiesen Lächeln zu. Ich beschließe, mir nicht die Mühe einer Antwort zu machen. Dann legen sich meine "Verbündeten" plus Loverboy hin und ich habe die Anweisung Jade nach 1,5 - 2 Stunden zu wecken.
Als die anderen eingeschlafen sind, steht Cato auf und kommt zu mir. "Alles klar?" fragt er mich. "Natürlich." Meine Wunde brennt, aber der Schmerz ist zu ertragen und ich möchte vor Panem nicht wie ein Schwächling erscheinen, der beim kleinsten Kratzer losflennt.

"Wie geht's deiner Wunde?" fragt er, als könnte er Gedanken lesen. "Ach, das ist gar nichts." Ich musste schon Schlimmeres aushalten. Mein Blick schweift über unsere schlafenden "Verbündeten". "Du solltest dich auch hinlegen, Cato." schlage ich ihm vor. "Das geht schon. Du bist ja auch noch wach und ich konnte mich den ganzen Tag über nicht mit dir unterhalten." Er möchte mit mir reden?
"Wenn du meinst, aber ich bin nicht dran schuld, wenn du während deiner Wache einpennst." "Willst du mich loswerden?" "Das hab ich nicht gesagt!" Ich blicke kurz zu unseren angeblichen Verbündetem. "Meinst du, sie schlafen wirklich?" Ich nicke zu den anderen. "Würde mich nicht drauf verlassen."

Mir fällt auf, wie anders sich Cato gegenüber der Anderen benimmt. Ich glaube nicht, dass er mich jemals so rumkommandiert oder abwertend behandelt hätte, wie er mit Glimmer, oder dem Idioten aus 12 umspringt ...
Cato bleibt noch etwa eine Stunde wach, doch schließlich legt er sich doch hin. Keine Ahnung, was das gerade sollte.
Die Sonne geht langsam auf. Etwa gegen sieben Uhr früh wecke ich Jade und mache es mir in einem Schlafsack bequem. Kurz darauf bin ich eingeschlafen.

9. Kapitel: Wenn jemand dir hilft


Nach meiner Wache und dem etwas seltsamen Gespräch mit Cato am Morgen, habe ich den gesamten, restlichen Tag verschlafen. Doch pünktlich zur Zusammenfassung der Todesfälle am Abend weckt mich Cato und wir gesellen uns zu den anderen, die schon erwartungsvoll zum Himmel sehen.

Die Hymne wird eingespielt und am Himmel erscheint das Bild des Mädchens aus Distrikt 8. Sie sieht auf uns herunter, die braunen, tief in den Höhlen liegenden Augen blicken unsicher, die dunkelblonden Korkenzieherlocken umrahmen ihr Gesicht. Nach etwa 20 Sekunden wird sie für immer ausgeblendet. Das war es für Heute.

Wir machen uns zum Abmarsch bereit. Unser Wasservorrat neigt sich bereits dem Ende zu und ich schlage vor zum See zurück zu gehen. Die anderen stimmen mir zu.

Es ist bereits ziemlich dunkel, als wir alles zusammen gepackt haben und uns auf den Weg machen. Ich schultere meinen Rucksack und gehe neben Cato her, während ich den Jungen aus Distrikt 12 im Auge behalte. Bisher hat er sich unauffällig verhalten, aber ich traue dem Typen nicht! Laut wie kein anderer von uns stolpert er durch den Wald. Jede zweite Wurzel lässt ihn straucheln. Offensichtlich bemerkt er, dass ich ihn beobachte. Er nimmt sich etwas mehr zusammen, versucht leiser zu sein. Weit verfehlt.

Auf unserem Trip zurück zum See, der die gesamte Nacht hindurch dauert, treffen wir auf keine Tribute und verfolgen mehr oder weniger den Weg zurück, den wir in der vorherigen Nacht bereits gegangen sind. Nirgendwo gibt es ein Zeichen auf andere Personen und ich merke, wie ich mit zunehmender Länge des Weges innerlich immer unruhiger werde. Ich möchte, dass etwas passiert. Dass es etwas zu tun gibt. Dass es eine Wendung in dem momentan recht faden Spielen gibt.

Aber niemand taucht auf und allmählich mischt sich zu der Aufgewühltheit, dem Tatendrang und der Ungedult die pure Mordlust. Wo seid ihr? Wo versteckt ihr euch? Warum taucht ihr nicht auf? Kommt zu mir und lauft direkt in meine Messer!

Aber das ist wahrscheinlich genau der Grund, warum wir niemanden finden: unsere Waffen und unser Können hält sie von uns ab, genauso wie das Trampeln des Jungen aus Distrikt 12, das uns in einem Umkreis von mehrern Kilometern ankündigen muss. Frustriert spiele ich mit meinen Messern, die in der Innenseite meiner Jacke stecken und poliere im Laufen die ohnehin schon blanken Klingen. Wenigstens lenkt mich das etwas ab.

Etwa gegen 8 Uhr morgens erreichen wir unser Ziel. Das Wasser des Sees glitzert in der aufgehenden Sonne und ich beschließe, mich etwas zu waschen. Die Nacht war lang, der Tag war heiß und ich fühle mich schmutzig. Ich spritze mir also das kalte Wasser ins Gesicht, schöpfe dann etwas Wasser mit der Handfläche und reinige mein Gesicht notgedrungen. Immerhin besser als gar nichts.

Auch die Wunde an meinem Arm möchte ich etwas reinigen und das Wasser sieht einigermaßen sauber aus.
Ich schiebe also den Ärmel hoch und wickele den alten, dreckigen Verband ab. Jade setzt sich neben mich und sieht bestürzt auf den Schnitt in meinem Arm. "Was ist denn da passiert?" möchte sie wissen. "Irgendwas am Füllhorn ... Ist nicht wild." Ich hatte die Wunde anfangs ja nicht mal bemerkt, so wusste ich nicht, woher sie kam. Ich zucke mit den Schultern. Sie zieht eine Augenbraue hoch, wendet sich dann aber ab. Gut so, ich kann die Nervensäge jetzt wirklich nicht gebrauchen.

Als die Wunde relativ frei von Blut ist, kann ich erkennen, dass es ein recht tiefer Schnitt ist, der jetzt unangenehm brennt. Durch meine Tortur beginnt er wieder leicht zu bluten und so bleibt mir nichts anderes übrig, als den Arm wieder zu verbinden. Vorsichtig reinige ich mit einem nassen Tuch die Haut um die Wunde herum, um die Wahrscheinlichkeit einer Entzündung möglichst gering zu halten. Dann wickele ich eine frische, wenn auch nicht ganz sterile, Binde um die Wunde.

Nachdem die anderen unser Wasser aufgefüllt haben, gehen wir etwa 5 Minuten in den Wald hinein, wo wir uns ein kleines Lager einrichten, uns dann hinlegen und Marvel die erste Wache übernimmt.

Gegen späten Nachmittag des selben Tages sind wir alle wieder auf den Beinen. Ich möchte nicht behaupten, dass ich sonderlich ausgeschlafen wäre, aber nun gut, ich werde es überleben. Cato schlägt vor, den Wald nach verirrten Tributen zu durchkämmen und so machen wir uns auf den Weg.

Wir streifen durch das Unterholz auf der Suche nach irgendwelchen Tributen, doch wir haben wieder kein Glück. Das nervenaufreibende Gefühl, das ich schon letze Nacht hatte, macht sich wieder in mir platz. Mir persönlich kommen die Spiele langweilig vor und dann wird es den Zuschauern nicht anders gehen. Vielleicht lassen sich die Spiemacher ja was einfallen, um uns ein paar Tribute in die Arme zu treiben?

Als ein paar Stunden später abermals die Hymne ertönt, habe ich immer noch niemanden töten können und auch sonst hat es heute keine Toten gegeben. Innerlich stehe ich wie unter Strom. Doch möglicherweise haben wir in der Nacht mehr Glück? Ich muss mich beherrschen. Ich darf nichts von meiner innerlichen Auffuhr nach außen dringen lassen. Ich zwinge mich dazu ruhig zu atmen.

Als es langsam dunkel wird, reicht Jade mir eine der beiden Nachtsichtbrillen, die sie am Füllhorn ergattern konnte. Im Verlauf der Nacht planen wir dann mit den Anderen zu tauschen.

Wir laufen weiter. Durch die Brille kann ich sehen, als wäre es helllichter Tag, als würden wir hier nicht bei silbernen Mondschein sondern bei strahlendem, goldenen Sonnensschein entlang gehen. Vorsichtig, als wäre ich eine Raubkatze auf der Suche nach Beute - ein so weit hergeholter Vergleich ist das gar nicht - setzte ich einen Fuß vor den anderen.

Die kühle Nachtluft stimmt mich viel ruhiger. Es fällt mir etwas leichter mich zu beherrschen, aber ich warte trotzdem darauf, dass irgendwas passiert. Ich sauge den würzigen Duft des Waldes ein, den Geruch von Nadeln, feuchtem Gras, ... doch plötzlich stutze ich: "Leute, findet ihr nicht auch, dass es hier irgendwie ... verbrannt riecht?" Ist es das, worauf ich gewartet habe? "Vielleicht hat irgendein Tribut ein Feuer gemacht?" schlägt Jade vor. "Es kommt aus dieser Richtung!"

Glimmer möchte schon nachsehen, doch da ertönt ein seltsames Getrampel. "Irgendwas stimmt da nicht ..." Marvel kann nicht weitersprechen, denn eine riesige Feuerwand wälzt sich durch den Wald. Tiere huschen an uns vorbei, auf der Flucht vor den tödlichen Flammen. "Oh, verdammt!" ruft Glimmer aus und schon ergreifen wir alle die Flucht, immer den Tieren hinterher.

So hatte ich mir das Ganze überhaupt nicht vorgestellt. Ich wollte, dass die Spielmacher die anderen Tribute zu uns treiben und nicht uns zu ihnen!

Die kochende Hitze, die das Feuer ausstrahlt, ist schrecklich. Nie wieder werde ich mich im Winter über kalte Füße beschweren. Der Schweiß tropft mir nur so von der Stirn und meinen "Verbündeten" geht es nicht besser. Im Rennen wische ich mir mit der Handfläche über die Stirn und wische mir die nassen Haarsträhnen, die sich aus meinem unordentlichen Knoten gelöst haben, zu dem ich meine Haare eilig zusammengebunden habe, aus dem Gesicht. Ich keuche immer heftiger und während ich über Wurzeln und kleine Felsen springe, versuche, nicht von herunterregnenden, brennenden Ästen getroffen zu werden und umgefallenen Bäumen ausweiche, verliere ich die Anderen immer weiter aus den Augen.

Der dichte Rauch nimmt mir schließlich ganz die Sicht. Immer stärker röchele ich nach Luft. Verdammt, wenn ich durchhalten will, brauche ich Luft!

Der Rauch füllt meine gesamte Lunge. Ein Hustenkrampf zwingt mich zu einem kurzen Halt, aber ich muss weiter.

Inzwischen bin ich viel langsamer als vorher. Ich habe heftiges Seitenstechen, wiederholte Hustenanfälle erschweren mir das Vorankommen und so droht mich die Feuerwand wenig später schlicht weg einzuholen.

Ein Zipfel meiner Bluse fängt Feuer und ich stürze mich zu Boden, um die Flammen zu ersticken. Ich reibe den grünen Stoff auf dem Boden, bis er nicht mehr glüht, stolpere währenddessen auf Knien aber schon weiter. Ich habe keine Zeit mehr! Ich rappele mich wieder hoch und stürme weiter. Die Feuerwand ist in der Zwischenzeit gefährlich nahe gekommen. Ich keuche von der Anstrengung, ringe nach Sauerstoff. Ich kann nicht mehr. Ich bin wahrscheinlich noch mehr gerannt, als jemals im Training und das bei so geringer Luftzufuhr. Ich versuche mein Tempo beizubehalten, doch ich merke, wie ich erst ein wenig langsamer werde und schließlich über eine aus dem Boden ragende Wurzel stolpere.

Ich richte mich wieder auf, stolpere ein paar Schritte weiter und merke dann, wie mir ganz ohne Vorwarnung schlecht wird und mir das karge Essen, das ich vor wenigen Stunden verschlungen habe, wieder hoch kommt. Ich stürze zum nächsten Gebüsch, falle auf die Knie und muss mich übergeben. Das Erbrochene klatscht vor mir in einer Pfütze auf den Waldboden und der ekelhafte Geruch lässt mir noch mehr hochkommen. Ich würge eine gefühlte Minute lang und zittere trotz der unerträglichen Hitze am ganzen Körper.

Ich greife nach meiner Wasserflasche und spüle mir den Mund aus. Ich muss weiter! Die Feuerwand ist schon ganz nahe ... Ich versuche, mich mit den Händen weiter zu ziehen, denn ich weiß nicht, ob ich es auf die Beine schaffen würde. Soll ich etwas diejenige sein, die heute stirbt? Ich kann es nicht glauben. Ich kann nicht glauben, dass ich in einem blöden Feuer sterben soll. Falls ich sterben müsste, habe ich mir immer einen epochalen Kampf vorgestellt, in dem ich einen heldenhaften Tod sterben würde, an den sich die Menschen erinnern. Welcher Zuschauer erinnert sich an einen Karrieretribut, den ein einfaches Feuer dahinrafft? Ich weiß nicht, ob es die wütende Verzweiflung, die Anstrengung beim Übergeben oder der Rauch ist, der mir die Tränen in die Augen treibt, die überzulaufen drohen. Ein letztes Mal versuche ich mich weiter zu ziehen. Mir fehlt die nötige Energie und ich bleibe mit den Kräften am Ende liegen, spüre, wie die Flammen immer näher kommen und die Funken sich durch meine Jacke und meine Bluse in meine Haut brennen, aber ich kann mich nicht mehr bewegen, selbst wenn ich es wollte. Ich schließe die Augen und mache mich darauf bereit, von den Flammen verschluckt zu werden.

Es tut mir leid, Cato, dass ich es nicht geschafft habe. Bitte vergiss mich nicht. Du bist einer der wenigen Menschen, die mir je etwas bedeutet haben. Leb wohl und danke, dass du der einzige Freund für mich warst, den ich hatte. Du weißt wahrscheinlich gar nicht wie wichtig du mir bist und ich konnte es dir nie sagen. Mach es gut und gewinn für unseren Distrikt, dass mein Tod wenigstens zu etwas gut war. Ich ...

Dann spüre ich, wie ich drohe ohnmächtig zu werden und möchte dem Gefühl gerade nachgeben, da ich weiß, dass es keinen Sinn mehr macht weiter machen zu wollen, als ich merke, wie sich Hände unter meinen Rücken schieben und ich hochgehoben werde.

Ich kenne diese Arme besser, als jeder andere, wurde so oft von ihnen gehalten, wie kein anderer. Die einzigen Arme, die mich in den Arm nehmen durften, wenn es mir nicht gut ging. In ihnen fühle ich mich sicherer als sonst wo auf der Welt, ich weiß automatisch, dass alles gut wird. Ich muss die Augen nicht öffnen, um zu sehen, dass es Cato ist, der mich gerettet hat.

Ich spüre, wie er von der Feuerwand wegrennt, finde aber immer noch nicht die Kraft die Augen zu öffnen. Ich kann fühlen, wie ich gegen einen Baum gelehnt werde, dass es hier nicht mehr so heiß ist und dass ich wieder einigermaßen atmen kann. "Clove? Bist du okay?" Selten habe ich erlebt, dass seine Stimme einen so besorgten Ton angeschlagen hat. Ich bin immer noch zu schwach, um ihm antworten zu können, aber ich schaffe es, die Augen zu öffnen und offen zu halten. Cato kniet mit einem Blick voller Sorge vor mir, der zu Erleichterung wechselt, als ich ein klares Lebenszeichen von mir gebe.

Dann spüre ich, wie mein Magen erneut droht zu kippen, ich stoße Cato praktisch beiseite, drehe meinen Kopf auf die Seite, um ihm nicht direkt vor die Füße zu kotzen, und erbreche mich ein zweites mal. Während ich abwechselnd würge und nach Luft schnappe, hält Cato, statt sich abzuwenden und sich diesen ekelhaften Anblick zu ersparen, meine Stirn und streicht mir beruhigend über den Rücken. "Warum ...", Tränen verschleiern mir die Sicht, ich würge wieder und ein neuer Schwall Erbrochenes klatscht zu Boden, "Warum siehst du dir das an?" Cato sagt nichts und streicht einfach weiter beruhigend über meinen Rücken. Mir ist klar, dass ich auf meine Frage wahrscheinlich keine Antwort bekommen werde, als mache ich mir gar nicht die Mühe, überhaupt nochmal zu fragen.

Als sich mein Magen nach einer gefühlten Ewigkeit wieder beruhigt hat, zittere ich so sehr, dass sich mein ganzer Körper schüttelt. Cato zögert nicht lange, streift sich seine mir viel zu große Jacke ab und zieht sie mir drüber. Er reicht mir meine Wasserflasche und ein Tuch, mit dem ich mir meinen Mund säubere. "Danke." bringe ich hervor, während meine Zähne immer noch wie wild aufeinander klappern. Mir ist klar, dass ich tot wäre, wenn er mir nicht geholfen hätte. Aber ich bin nicht in der Lage, noch mehr zu sagen. Ich nehme mir vor, es nachzuholen, nachdem ich wieder einigermaßen fit bin.

Ich zittere immer noch so sehr, dass ich wahrscheinlich nicht weiter kann. Cato zieht mich auf die Beine und dieses mal gebe ich meiner Schwäche nicht nach. Ich möchte vor dem Kapitol möglichst stark erscheinen und so etwas, wie gerade eben, darf ich mir da nicht noch einmal leisten. Als ich - wenn auch sehr wacklig - stehe, zieht Cato mich in seine Arme. Ich bin so überrascht, dass ich mich für einen Moment nicht rühren kann. Er drückt mich ganz fest an seine Brust - weiter reiche ich ihm nicht - und murmelt ganz leise in mein Ohr, ich schließe die Augen: "Clove, als ich dich da gerade liegen sah, ich ... ich dachte du wärst tot! Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren, weißt du denn gar nicht, was du mir bedeutest?" Ich habe ein ganz eigenartiges Gefühl. Ich in seinen Armen ... fühlt sich irgendwie gut an, richtig an. "Natürlich, Cato, und ich ... ich ..."
Dann ertönt ein Zischen, das ich nicht einordnen kann. "Was zum ..." "CLOVE, RUNTER!" brüllt Cato und wirft sich mit mir zur Seite. Da, wo wir eben noch gestanden haben, schlägt ein Feuerball ein und eine Stichflamme schießt hoch. Sofort sind wir wieder wachsam, als schon das nächste Zischen ertönt. Ich rolle mich zur Seite, wie ich es im Training so oft getan habe, und springe auf die Beine. Verschwunden ist die Müdigkeit und ich sehe mich einer ganz neuen Gefahr gegnüber. Cato tut das selbe. Der Feuerball landet nur ein paar Meter von uns entfernt. Vergessen ist die lähmende Erschöpfung, während ich verzweifelt versuche, mir das Leben zu retten.
Abermals kommt eine Feuerkugel angeflogen. Ich rette mich zur Seite. So geht das gefühlte Stunden. Immer wieder springe ich weg von dem Fleck, auf dem ich gerade noch gestanden habe, versuche verzweifelt, nicht getroffen zu werden. Zur Seite, nach hinten, krabbeln, springen, hechten ... Nur lang genug, um am Leben zu bleiben. Immer weiter ...

Doch irgendwann lassen die Angriffe nach. Cato und ich scheinen aus dem Abschnitt der Arena, der für diese Angriffe präpariert war, entkommen zu sein.
Als ich sicher bin, dass die Angriffe vorüber sind, lasse mich gegen einen weiteren Baum sinken. So fertig wie jetzt war ich noch nie in meinem Leben. Meine Brust hebt und senkt sich rasch, ich schnappe nach Luft. Cato kniet sich neben mich. "Clove, wie geht es dir? Ist dir wieder schlecht? Du hast eine ganz unnatürliche Farbe ..." "Nur ... ein bisschen ... erschöpft ..." murmele ich. "Du kannst schlafen, wenn du möchtest." Ich nicke dankbar und lehne meinen Kopf gegen seine Schulter und schließe die Augen. "Cato?" nuschele ich, ich bin schon fast eingeschlafen. "Was denn?" "Danke, dass du mich heute gerettet hast." versuche ich meine Dankbarkeit in Worte zu fassen. "Keine Ursache."

10. Kapitel: Fehler


Es ist früher Nachmittag, als Cato mich schließlich weckt. Es geht mir schon merklich besser, auch wenn ich noch nicht hundertprozentig wieder auf dem Damm bin. „Sonst denken die anderen noch, wir würden die ganze Zeit faulenzen, während sie nach uns suchen.“ meint Cato, um mich zum Lachen zu bringen, seine Stimme ist immer noch ziemlich kratzig. Ich muss grinsen. Natürlich würde es uns nichts ausmachen, wenn die anderen sauer auf uns wären, aber die Vorstellung, wie Glimmer sich darüber aufregt, hat irgendwie auch was ziemlich reizvolles … „Schade, es war gerade richtig gemütlich …“ maule ich halb im Spaß, dann muss ich husten – ekelhafter Rauch aber auch! „Na komm.“ Cato zieht mich auf die Beine.

Zum ersten Mal seit der Attacke besehe ich mich: Die Funken haben kleine Löcher in den Stoff meiner Klamotten gefressen. Ich habe Brandblasen an den Händen und mein Gesicht fühlt sich genauso an. Cato sieht ähnlich schlimm aus: kleine Brandlöcher in Jacke und Hose, Brandblasen überall, wo die Haut nicht verdeckt war, schmutziges Gesicht; das blonde Haar ist völlig durcheinander geraten.

„Wir haben auch schon mal besser ausgesehen, was?“ versuche ich der Situation etwas Witziges abzugewinnen. „Hm, na ich schon.“ meint Cato du grinst mich blöd an. „Minderwertigkeitskomplexe hast du auch nicht gerade, was?“

So necken wir uns eine ganze Weile weiter und während wir so nebeneinander her gehen – wirklich Ausschau nach unseren „Verbündeten“ halten wir dabei nicht - fallen mir die dunklen Augenringe unter Catos Augen auf. Er muss wegen mir den ganzen Tag durchgemacht haben … Ich möchte ihn gerade darauf ansprechen, als wir ziemlich angeschlagene Stimmen hören: „Clove? Cato? Wo seid ihr?“ „Ach, Mist!“ fluche ich leise und sofort werden wir wieder ernst. Ich hatte gerade gehofft, dass sich das mit dem Abhauen irgendwie von selbst erledigt hätte. So hätten uns unsere „Verbündeten“ auch nichts vorwerfen können, wenn wir uns während des Feuers „verloren“ hätten … „Sollen wir antworten?“ frage ich Cato leise, um uns nicht zu verraten.

Doch die Frage erledigt sich von selbst, als Glimmer zwischen den Bäumen hervor kommt. „Da seid ihr ja.“ Auch ihr Aussehen hat während des Feuers Schaden genommen und ihre Stimme, die sonst immer einen einschmeichelnden Klang hatte, klingt so schrecklich wie bei uns allen. Hinter ihr bahnt sich eine ziemlich ramponierte Jade ihren Weg durch das Gestrüpp. „Hey, wir haben uns schon Sorgen gemacht, ihr hättet es nicht geschafft …“ sagt sie.

„Wie bitte?! Das habt ihr doch nicht ernsthaft gedacht!“ Ärgerlich blicke ich sie an. „Hey, kein Grund sauer zu werden … Wir haben uns eben Sorgen um euch gemacht, ihr wart plötzlich nicht mehr bei uns …“ versucht Marvel die Situation irgendwie zu retten. „Und da habt ihr ernsthaft gedacht, Clove und ich wären drauf gegangen.“
Cato lächelt kalt und auf eine Art, die die Anderen ziemlich dumm dastehen lässt. „Ähhm, na wenigstens sind wir jetzt wieder zusammen und das ist doch die Hauptsache, oder …“ Jade ist offensichtlich peinlich, was sie gesagt hat. Der Junge aus 12 hält einfach seine Klappe, was mir ganz entgegen kommt. Er erinnert sich offenbar noch an meine Warnung am Füllhorn und es ist mir nur recht, dass er wenigstens ein bisschen Respekt zu haben scheint.

„Was meint ihr, ob das Feuer ein paar Tribute rausgeschwemmt hat?“ wechselt Glimmer das Thema. Aus der Diskussion der Anderen darüber, in welche Richtung wir am besten weitergehen sollten, halte ich mich weitestgehend heraus. Meiner Meinung nach ist es ziemlich egal wohin wir gehen, solange wir heute noch was zu Stande bringen.
Nach 5 Minuten frage ich genervt: „Könnt ihr euch mal entscheiden? Es ist doch egal, wo wir lang gehen. Am besten halten wir uns in der Nähe der Linie, bis zu der das Feuer gewütet hat, laufen in Richtung Füllhorn und dann finden wir entweder Tribute oder nicht!“

Seht ihr, so schnell hätte man das klären können. denke ich. Für einen kurzen Moment sehen mich die Anderen ein bisschen überrascht an, da ich mich bisher aus den meisten Gesprächen rausgehalten habe. Dann meint Jade: „Ich find den Vorschlag gut.“ „Ich bin dafür.“ stimmt Marvel ebenfalls zu. „Ist nicht schlecht.“ willigt Cato ein. „Na, zumindest nicht schlechter als die anderen Vorschläge.“ Also für Glimmers Verhältnisse kann man das schon als Lob werten, oder?

Wir laufen also etwa einen Kilometer von der Zerstörungslinie entfernt entlang, während Cato, wie eigentlich die ganze Zeit über schon, die Position des Anführers übernimmt. Wenn mich meine Erinnerung nicht ganz täuscht, müssten wir etwa drei Stunden Fußmarsch vom See und dem Füllhorn entfernt sein - die Waffen jederzeit einsatzbereit.

Bis zur Dämmerung stoßen wir auf keinerlei Tribute, als wir an einen kleinen Teich kommen – ich erinnere mich an ihn, wir sind vielleicht 5 Minuten vom See entfernt - und auf der anderen Seite gerade der schwarze Zopf von Distrikt 12 im Unterholz verschwindet. „Habt ihr das gesehen?“ Obwohl ich im Gegensatz zu den Anderen kaum geredet habe – ich war noch nie eine große Plaudertasche -, klingt meine Stimme immer noch sehr angeschlagen und ich muss schon wieder husten. „Hinterher!“ fordert Cato. Wir folgen dem Mädchen und wenig später finden wir sie dann. Sie hat versucht, sich in einen etwa 25 Meter hohen Baum zu retten, auf dem sie jetzt sitzt. In Anbetracht der sicheren Beute über mir und vor allem darüber wer die Beute ist, breitet sich ein breites, spöttisches Grinsen auf meinem Gesicht aus.

Und dann, ganz plötzlich, grinst sie. „Wie geht's denn so?“ ruft sie. Was soll das? Hat sie möglicherweise noch nicht ganz realisiert, dass sie so gut wie tot ist? So eine Art Schocksituation, oder so ähnlich? Oder hat ihr die Arena den Verstand geraubt? „Ganz gut.“, antwortet Cato jetzt, „Und selbst?“ „War ein bisschen warm für meinen Geschmack.“, sie zögert kurz, noch immer lächelnd, „ Hier oben ist die Luft besser. Warum kommt ihr nicht hoch?“ fragt sie jetzt. „Kannst du haben“ antwortet Cato.

Schade, ich hatte gehofft, dass ich diejenige sein würde, die das Mädchen kalt macht, aber wenn es Cato tut, ist das auch in Ordnung. „Nimm das hier, Cato.“ Glimmer reicht Cato ihre einzige Waffe, Pfeil und Bogen, mit denen sie nach meiner Einschätzung aber nicht sonderlich gut umgehen kann. Das verwirrt mich ein bisschen: Seit wann verstehen sich Glimmer und Cato? Auch entgeht mir nicht, dass Distrikt 12 oben auf dem Baum innerlich vor Wut kocht, selbst wenn sie es relativ gut zu verbergen weiß. Cato währenddessen schiebt Glimmers Hand bereits weg, die immer noch die silberne Waffe umklammert. Ich habe also nichts verpasst. „Nein, mit dem Schwert geht's besser.“

Kurz legt er die Hand, ob bewusst oder unbewusst weiß ich nicht, an die Klinge, die ich ihm beim Füllhorn gegeben habe. Dann macht er sich daran, den Baum, auf dem Distrikt 12 immer noch gefangen sitzt, zu erklettern. Die ersten paar Äste scheinen kein Problem für ihn dazustellen, doch als sich Cato etwa drei Meter über dem Boden befindet, knackt der Ast, auf dem er gerade steht, und bricht. Er versucht das Gleichgewicht zu halten, fällt dann aber mit samt dem Ast nach unten und schlägt ziemlich hart auf. Autsch, das sah aus, als hätte es ziemlich wehgetan …

Sorge flackert kurz in mir auf, aber Cato steht schon wieder auf und flucht ziemlich wild vor sich hin. Wütend sehe ich zu Distrikt 12, die mittlerweile noch höher in den Baum geklettert ist, nach oben. Und durch das dichte Astwerk kann ich nicht mal ein Messer nach ihr schleudern!

Nun versucht Glimmer zu Distrikt 12 hochzuklettern. Ich hoffe, dass auch sie runterfällt – das Mädchen gehört mir! Aber meine Sorge ist unbegründet - auch sie ist offenbar zu schwer, keine zwei Sekunden nachdem ihr Ast nachgibt, liegt sie wieder unten. Aber das scheint ihren Zorn nur anzufachen, nun zieht sie einen Pfeil aus dem Köcher, spannt ihn in den Bogen ein und richtet ihn auf das Mädchen. Sie zieht die Sehne zurück und lässt los.

Ihre Pfeile treffen alle daneben, die meisten nicht mal in die Nähe des Mädchens. Glimmers fünfter Pfeil bleibt nicht weit von Distrikt 12's Kopf entfernt stecken. Sie zieht ihn heraus und schwenkt ihn herausfordernd über ihrem Kopf. Glimmer wird nur noch wütender, aber bevor sie weiter sinnlos ihre Pfeile verschießt, packe ich sie an der Schulter und zerre sie zurück. „Was soll das?!“ mit zornentbranntem Gesicht sieht sie mich an.

„Hör auf, auf die Weise verlierst du nur deine ganzen Pfeile! Warum hast du dir eigentlich eine Waffe ausgesucht, mit der du sowieso nicht umgehen kannst?“ Die Anderen treten etwas näher. „Und was sollten wir deiner Meinung nach tun, Clove?“ fragt Glimmer mich gehässig. „Hey, macht mal halblang.“ meint Marvel betont ruhig. „Kannst du sie nicht mit deinen Messern abwerfen, Clove?“ fragt er mich mit so einem seht – ihr – das – kann – man – auch – ganz - in – Ruhe – klären – Blick, den ich von meiner Mutter kenne, wenn Pelly und ich uns wieder mal in die Haare geraten sind.

„Geht nicht, wegen dem dicken Astwerk.“ Ich merke selbst, wie sich die Frustration, die ich eigentlich verbergen wollte, darüber in meine Stimme schleicht. „Jade, was hast du eigentlich für Waffen?“ frage ich sie, ich glaube nicht, dass ich besonders darauf geachtet habe, was sie sich beim Füllhorn geholt hat. Sie zieht ihren Ärmel hoch und ein Handschuh kommt zum Vorschein. Mit ihrem Daumen drückt sie einen kleinen Knopf an ihrer Handfläche und eine Klinge schießt auf ihrem Handrücken hervor. „Das ist alles, aber das wird uns nicht besonders viel bringen.“ bedauert sie.

„Cato, was ist mit deinem Speer?“ Ich merke, dass Glimmers Stimme wieder den leicht gehässigen Ton angenommen hat, wie immer, wenn sie mit mir oder Cato spricht. „Selbes Problem wie bei Clove.“ antwortet er knapp. Irgendwie kommen wir hier zu keiner guten Lösung und die Sonne ist bereits fast ganz untergegangen. Die Hymne wird bald abgespielt werden. „Ach, lasst sie doch da oben. Sie kann ja nirgendwo hin. Wir nehmen sie uns morgen vor.“ Es ärgert mich, dass ich Loverboy Recht geben muss.

Unter dem Baum mit Distrikt 12 richten wir schnell ein kleines Lager her. Marvel macht ein Feuer, um das wir uns setzen und jeder bekommt eine Konservendose mit einem Fertiggericht vom Füllhorn. Während ich langsam meine Ravioli esse, wird die Hymne eingespielt. Es hat heute keine Toten gegeben, trotz des Feuers. Tja, morgen wird das anders aussehen. Ich sehe kurz hoch zu dem Baum, auf dem Distrikt 12 festsitzt, kann sie aber im schwachen Licht nicht ausmachen.

Wir teilen die Wachen ein. Ich kann mich noch ein paar Stunden hinlegen, während Jade sich mitsamt ihrem Schlafsack an einen Baum setzt. Ich lege mich neben Cato hin und falle in tiefen Schlaf.

Ich liege auf einer wunderschönen Wiese, in der Ferne ragt ein schneebedeckter, hoher Berg in den Himmel und der süße Duft von Blumen liegt unverkennbar in der warmen Luft. Mit einer Hand streiche ich durch das kühle, leicht feuchte Gras, dann richte ich mich in eine sitzende Position auf. Eine leichte, angenehm kühle Briese streicht durch mein offenes Haar. Ich sehe an mir hinunter und stelle fest, dass ich ein mir unbekanntes, weißes Kleid aus leichtem Stoff trage.

Ich kenne diesen Ort. Als Kinder haben wir hier oft gespielt. Das ist die große Wiese, die man überqueren muss, bevor man in die Bergdörfer in Distrikt 2 gelangen kann. Soweit ich das beurteilen kann, müssten wir etwa Mitte Mai haben. Die Wiese steht in voller Blüte, Löwenzahn, meine geliebten Butterblumen und die lilafarbenen Nelken, nach denen ich benannt bin. Ich stehe ganz auf, laufe einige Schritte und kann den kleinen Bach in der Sonne, die am wolkenlosen Himmel steht, glitzern sehen. Ich weiß noch genau, wie Pelly mit fünf den Bach mal übersehen hat und reingefallen ist. Ich erinnere mich noch deutlich daran, wie wütend Mama auf mich war, dass ich nicht gut genug auf meine kleine Schwester aufgepasst hätte.
Dabei war es doch nicht meine Schuld gewesen, dass sie einfach weggerannt war und dabei den Bach nicht gesehen hatte! Doch heute wartet am Bach nicht Pelly, sondern Cato.

Ich gehe näher zu ihm heran. Er sieht so anders aus wie in der Arena, das Gesicht sauber, die Wunden aus der Arena verschwunden, die Haare ... na ja, zumindest ordentlicher als in der Arena. Zu meiner eigenen Überraschung setzte mich auf seinen Schoß und lehne meinen Kopf gegen seine Brust. Es ist herrlich warm in der Sonne und ich schließe die Augen.

Plötzlich berührt etwas ganz weiches ganz sanft meine Lippen und mein Herz setzt einen Schlag aus, nur, um dann mindestens doppelt so schnell wie vorher weiterzuschlagen. Mir wird klar, dass er mich küsst, dass Cato Wade mich küsst.
Nachdem sich die Überraschung eine Sekunde später gelegt hat, drücke ich mich gegen seine Brust und erwidere den Kuss, presse meine Lippen gegen seine. Dann grabe ich meine Hände in sein Haar und er zieht mich näher an sich. Unsere Lippen bewegen sich vollkommen synchron.

Ich weiß nicht, wie lange wir so dasitzen, doch dann, ganz plötzlich und ohne Vorwarnung, hat er ein Messer in der Hand, bohrt es mir in die Schulter und ...

... ich schlage die Augen auf. Ich bin nicht auf der Wiese in Distrikt 2 und auch nicht in Catos Armen. Ich bin in der Arena. Mir wird klar, dass ich geträumt haben muss. Was für ein seltsamer Traum, irgendwie hat sich trotzdem alles ziemlich real angefühlt ... Vorallem ... der Schmerz an der Stelle, wo mich Catos Messer im Traum getroffen hat, ist immer noch da. Plötzlich auch an meiner Wange. Mit einem Schlag bin ich hell wach. Wespen – überall!

Ich schreie auf und ehe ich mich selbst stoppen kann, renne ich schon in Richtung See, die einzige Möglichkeit, die mir auf die Schnelle einfällt, um mich zu retten. Ich lasse alles liegen – meine Messer habe ich sowieso immer bei mir - und versuche nur, dem Horror um mich zu entkommen. Ich spüre einen dritten Stich am Rücken, einen vierten am linken Oberschenkel.
Hinter mir kann ich Glimmer um Hilfe schreien hören, aber ich achte nicht drauf und dann habe ich den See erreicht und stürze mich in das eiskalte Wasser.

Die Temperatur ist im ersten Moment schrecklich und ich habe das Gefühl, dass sich mein ganzer Körper versteifen würde. Unter Wasser halte ich es etwa 40 Sekunden aus, dann muss ich gezwungener Maßen auftauchen. Wäre das Wasser nicht so eisigkalt gewesen, hätte ich es wahrscheinlich länger geschafft ... Hustend und nach Luft schnappend komme ich an die Wasseroberfläche. Sofort klappern meine Zähne wie wild aufeinander. Wenigstens scheinen die Wespen alle verschwunden zu sein, doch ich habe ein ganz komisches, schwummriges Gefühl. Neben mir taucht Marvel auf, er hat es also auch geschafft, sich zu retten.

Ich drehe mich in Richtung Ufer, um in etwa abzuschätzen, wie weit ich waten muss, als ich für einen kurzen Augenblick meine, dass die ganze Arena blutbefleckt wäre, alle Bäume, der Boden, der See – blutrot ... Ich keuche auf, aber dann ist alles wieder normal. Ich blinzele kurz. Habe ich mir das gerade nur eingebildet? Fange ich langsam möglicherweise an zu spinnen? Oder ... langsam dämmert mir, kann es sein, dass es sich bei den Wespen um Jägerwespen gehandelt hat? Das würde die Halluzination erklären ...

„Was ... waren das für Viecher?“ frage ich Marvel, der neben mir bis zu den Schultern im Wasser steht, während mir das Wasser bis zum Kinn reicht. Immer noch ringe ich nach Luft. „Ich würde sagen, Jägerwespen, oder so was ähnliches.“ antwortet mir Marvel und bestätigt meine Vermutung.

Zusammen waten wir die etwa 10 Meter bis in Richtung Ufer.
Zusätzlich ist ein kalter Wind aufgekommen und eigentlich sollte mir eiskalt sein, aber ich bin so wütend auf das Mädchen aus Distrikt 12, das ich das gar nicht richtig bemerke. Es war ein Fehler gewesen, sie gestern Abend nicht so lange anzugreifen, bis sie sterben würde, sondern es einfach dabei zu belassen. Ein riesiger Fehler!

Ich mache ein paar Schritte in die Richtung, aus der wir gekommen sind und in der Distrikt 12 noch sein muss. Sie kann noch keinen großen Vorsprung haben. In Gedanken male ich mir verschiedene Möglichkeiten aus, wie ich sie möglichst qualvoll töten könnte: Ich könnte ihr die Pulsadern aufschlitzen und dann zusehen, wie sie verblutet. Ich könnte ihr ganz langsam alle unwichtigen Körperteile eins nach dem anderen abtrennen, ich könnte ... Eine Kanone wird abgefeuert und bringt mich zurück in die Realität.

Weit gekommen bin ich nicht und dann ändert sich das ganze Aussehen der Arena auf einen Schlag: die Bäume ... sie brennen und kommen auf mich zu ... Das kann doch nicht mehr real sein! Oder etwa doch ...? In sekundenschnelle bin ich eingekreist und habe keine Möglichkeit, zu fliehen. Der Schweiß bricht mir aus, läuft mein Gesicht hinunter und in die Brandwunden von Gestern. Es brennt höllisch und die Bäume kommen rasch immer näher.

Eine zweite Kanone knallt, doch ich bin viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um mir Gedanken darüber zu machen, wem sie hätte gelten können. Jetzt haben die Bäume mich fast erreicht. Ich möchte schreien, doch ich kann nicht. Gerade als der erste brennende Ast mich berühren will, reißt es mich von den Füßen und zieht mich in die Tiefe ...

11. Kapitel Zur falschen Zeit am falschen Ort


Sie schreit. Laut und durchdringend. So voller Angst. Was kann ich nur tun? Ich muss irgendwie zu ihr. Sie beschützen. Sie retten. Meine kleine Schwester.
Der dunkle Gang zieht sich immer enger. Zumindest habe ich das Gefühl. Doch ich kann nicht stehen bleiben. Ich muss weiter. Ich muss zu ihr. Ich muss ihr helfen! Sie schreit wieder, dann bricht ihr Schrei mit einem Mal ab. „LOU!“ schreie ich. Keine Antwort. „WO BIST DU?“ Immer noch nichts. Ich laufe noch schneller. Rase den Gang entlang.

Dann stolpere ich über etwas am Boden. „Was zum ...?“ Mit einem Mal ist der Gang hell erleuchtet und ich blicke in die von Schreck geweiteten Augen meiner kleinen Schwester. In die leeren von Schreck geweiteten Augen meiner Schwester und Blut bahnt sich einen Weg aus ihrem aufgeschlitzten Bauch. Mein Schrei geht unter in dem Brüllen eines Tieres. Ich wirbele herum, taste nach den Messern, die ich immer dabei habe, egal wo ich bin. Doch sie sind weg und mit einem Mal kann ich wieder nichts sehen. Dann werde ich von hinten gepackt und ein spitzer Gegenstand bohrt sich tief in meinen Rücken. Ich spüre noch, wie ich zur Seite kippe, dann nichts mehr.

Ich öffne die Augen. Ich liege mit dem Gesicht nach unten in meinem Schlafsack. Ist das jetzt wieder wirklich? Und wenn ja, wie bin ich hierher gekommen?

Es kostet mich viel, mich aufzurichten und mich umzusehen. Ich bin in unserem Lager in der Nähe des Füllhorns, so viel steht fest und es scheint zwar noch vor Sonnenaufgang zu sein, aber am Horizont kann man schon die ersten Sonnenstrahlen erkennen. Die Orte, die ich in meinem Wahn gesehen habe, waren dunkel, finster und voller Tod. Gefühlte tausendmal habe ich meine Schwestern sterben sehen. Zwei der wichtigsten Personen meines Lebens. Meine Mutter und ... Cato. Vor allem ihn. Immer wieder. Ständig.

Dasselbe Gefühl durchströmt mich, das ich auch im Traum hatte, wenn ich gesehen habe, wie ihn alle möglichen Mutationen zerfetzten, wenn er gefoltert wurde, wenn er getötet wurde. Mir wird leicht übel bei dem Gedanken an die brutalen Bilder, die ich gesehen habe. Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen, um meine Gefühle und Gedanken sortieren zu können, ohne dass die Kameras es sehen können. Ich fühle mich verletzbar und schwach. Dafür wird das Mädchen aus 12 auch noch büßen. Vielleicht nicht sofort, aber in naher Zukunft!

Von meiner sitzenden Position stemme ich mich auf. Niemand außer mir scheint in der Nähe zu sein. Ob ich die Einzige von uns bin, die überlebt hat? Aber irgendwer muss mich ja hierher gebracht haben, denn ich bin mir sicher, dass ich nicht hier umgekippt bin und schon gar nicht in meinem Schlafsack. Außerdem hatte es zumindest Marvel auf alle Fälle mit zum See geschafft und ich hätte schwören können, dass auch Cato kurz hinter uns gewesen war. Aber das hätte ich mir auch durch das Jägerwespengift einbilden können …

Es bringt mich durcheinander, dass ich Erinnerung und Halluzination nicht trennen kann, und so beschließe ich, mich zunächst ein wenig am See zu waschen, mich erst etwas um mich selbst zu kümmern und dann über die anderen Sachen nachzudenken. Ich fühle mich schmutzig und die Wunden der letzten Tage sollten auch mal neu verbunden werden.

Vorsichtig schleiche ich mich in Richtung See. Meine Sinne sind geschärft, denn nun bin ich in keiner Gruppe unterwegs, sondern ganz auf mich allein gestellt. Hinter mir höre ich einen Ast knacken. Jemand bewegt sich sehr schwerfällig durch den Wald. Sofort ducke ich mich hinter einen Strauch. Ich bin zwar stärker als die ganzen Hungerleider hier in der Arena zusammen, aber ich werde nicht verlieren, weil ich unvorsichtig war. Ich ziehe eines meiner Messer. Es ist lang, scharf und liegt anmutig in meiner Hand. Wurfbereit umfasse ich es. Wer immer hier so rum trampelt, es wird wohl das letzte sein, was er tut.

Dann kommt der Junge aus 10 in mein Blickfeld. Er zieht sein eines Bein komisch nach. Fast hätte ich aufgelacht. Dass er nicht bereits am ersten Tag abgeschlachtet wurde, muss an ein Wunder grenzen! Mir ist klar, dass ich bei ihm ein so leichtes Spiel haben werde, dass ich den Zuschauern ruhig ein paar meiner Fähigkeiten demonstrieren kann und er sich praktisch nicht wehren kann. Ich mag leichte Beute nicht, aber sie muss aussortiert werden und dann sollte man das Beste draus machen.

Also schleiche ich mich geduckt und leise an ihm vorbei und lehne mich lässig an den nächsten Baumstamm, so, dass er mich auch richtig schön sehen kann und automatisch breitet sich ein schadenfrohes Lächeln auf meinen Lippen auf, als ich die Angst in seinen Augen sehe.

„Wo willst du denn hin?“ frage ich, mein Lächeln wird noch fieser. Er blickt mich noch ängstlicher an. „Tja, sieht so aus, als wären die Spiele hiermit für dich vorbei.“ Ich hebe mein Messer, drehe es ein bisschen, damit er die Waffe, die sein Leben beenden wird, auch von allen Seiten betrachten kann. Eigentlich ist es eine Schande, ein so schönes Messer an unwürdige Gegner wie ihn zu verschwenden. Er sollte sich geehrt fühlen, statt zu zittern!

Dann blitzt eine Art Wut in seinen Augen auf. „Du warst es. Du hast sie getötet! Ich habe dich gesehen!“ ruft er. Ach, wie süß. „Ich habe viele Tribute getötet“, sage ich sanft. Langsam komme ich näher. Er möchte zurückweichen, doch sein Bein gibt nach, er stolpert und bleibt am Boden liegen. Er schafft es, sich aufzusetzen, aber um sich ganz aufzurichten, fehlt ihm schlichtweg die Kraft. „D - das Mädchen aus meinem Distrikt, Ely. Beim Füllhorn.“ Jetzt habe ich ihn erreicht. Ich halte ihm mein Messer an die Kehle und mit den Knien drücke ich seine Schultern zu Boden. Er versucht sich zu wehren. Das soll er nur versuchen!

„Ich hasse dich!“ schreit er. „Eigentlich solltest du mir dankbar sein. Gleich bist du deinem Mädchen näher als du es lebend je hättest sein können.“ Er versucht nochmal, sich zu befreien. Er schafft es nicht, natürlich nicht. Er sieht mich nun nicht mehr ängstlich an, sein Blick ist voller Hass. „Du bist grausam!“ Da mag er sogar Recht haben, aber jetzt reicht es mir, mich von einem unterernährten, verstümmelten Kind beschimpfen zu lassen. „Ich werde dir zeigen, was grausam ist.“ Ich führe mein Messer zu seiner Stirn. Ohne viel Druck auszuüben, ritze ich ihm eine Zahl auf die Stirn. Seine schmerzerfüllten Schreie blende ich aus. Mir leuchtet eine rote 2 entgegen.

„Bist du immer noch sicher, dass du jemanden aus Distrikt 2 beleidigen solltest?“ frage ich. Er presst die Lippen aufeinander. Also mache ich weiter: Ich schlitze Jacke und T – Shirt auf – das ich dabei auch etwas Haut erwische, ist mir herzlich egal – und nutze die gesamte Fläche, um ihm eine zweite 2 ins Fleisch zu ritzen. Ich will, dass alle sehen, wer ihn getötet hat.

Er schreit auf: „Aufhören!“ „Du könntest um den Tod betteln und gnädig wie ich bin, werde ich ihn dir gewähren.“ Ich muss schon wieder lächeln. Hasserfüllt blickt er mir in die Augen. „Du nutzt die Chance, die ich dir gebe nicht? Nun, mal sehen, wie du das siehst, nachdem ich mit dir fertig bin und glaub ja nicht, dass ich es dir einfach machen werde.“ Er scheint es mittlerweile aufgegeben zu haben, sich zu befreien. Er blickt mich einfach nur voller Wut an. „Nun, ich bin so nett und gebe dir die Chance, deine Meinung noch zu ändern.“

Ich mache an seinem Arm weiter. Schlitze einmal die gesamte Armlänge entlang. Er schreit wieder: „Okay, okay, ich gebe auf. Bitte mach es schnell.“ Er scheint es ernst zu meinen, scheint sich mit dem herannahenden Tod abzufinden. Ich sag's ja, ein unwürdiger Gegner. Aber jetzt will ich es auf meine Weise beenden. Adrenalin macht mich hellwach, ich sehe jede Zuckung seines Körpers, seine geweiteten Augen.

„Ich sehe, wir verstehen uns.“ Ich zögere es bewusst noch etwas für die Zuschauer heraus. „Wie möchtest du sterben?“ „Egal wie, mach, dass es aufhört. Bitte“, fleht er. Ich wusste gar nicht, dass Schnittwunden so weh tun. „Eigentlich schade, dass du dich so entschieden hast. Das hätte wirklich lustig werden können.“
„Hör auf zu reden, töte mich!“ Er klingt verzweifelt, atmet flach. Ich lache leise. „Dachtest du wirklich, ich würde es dir so einfach machen? Du beleidigst mich schon wieder.“ Meine Stimme trieft nur so vor Spott. „Wie leichtgläubig.“ Ich lache wieder leicht auf. Ich bin in meinem Element. Etwas reißt mich mit, es macht einfach Spaß, zu spielen, die Überlegene zu sein. Ich habe die Macht über sein Leben, oder eher über seinen Tod.

„Du bist so …“ „Gemein? Grausam? Überzeugend?“ „…vollkommen verrückt!“ Er klingt schwächer, aber gleichzeitig fast panisch. Er hat vor mir noch mehr Angst, als er vorhin hatte, und ich genieße das.
„Möchtest du noch etwas anderes sagen? Denk daran, es sind deine letzten Worte. Deine Familie wäre sicher nicht froh darüber, dass du sie nutzt, um jemandem Beleidigungen an den Kopf zu werfen – was nicht von gutem Benehmen zeugt – als dich von deiner Familie zu verabschieden.“ Ich schätze, dass es ziemlich amüsant wäre, ihn seine Abschiedsworte sagen zu hören. Er tut mir den Gefallen nicht.

Ich überlege kurz, wie ich ihn dazu bringen könnte, ihm die Wörter zu entlocken, dann fällt mir auf, dass er schon ziemlich viel Blut verloren hat. „Sieh mal, Kleiner, deine Zeit läuft ab. Meinst du nicht, dass du dich von deiner Familie verabschieden solltest?“ Wieder presst er die Lippen aufeinander. Mut hat er, das muss man schon zugeben, aber ich hoffe, ihm ist auch klar, dass Mut in diesem Fall nur einen noch längeren und qualvolleren Tod zu Folge hat. Jetzt nehme ich mir seine Wange vor. Ritze ihm wieder die eine Zahl hinein. Die Leute sollen sehen, wer ihn getötet hat.

„Bitte hör auf! Ich kann nicht mehr! Bitte! Bitte!“ „Glaub mir, du solltest dich wirklich von deiner Familie verabschieden.“ „Du …!“, der Schmerz lässt ihn kurz zusammenzucken, „Du willst dich doch nur über mich lustig machen!“ „Hmm, stimmt.“ Ich grinse. Auch, wenn das hier nur ein Tribut ist, der nie auch nur annähernd die Chance auf den Sieg hatte, ist es bisher der Tod, der mich am meisten amüsiert.

Dann lässt das bisschen Widerstand, das er noch geleistet hat, nach und seine Augenlider flattern. „Oh, nein, du wirst mir nicht einfach wegsterben!“ Ich möchte ihn eigenhändig töten und nicht durch die Verletzungen, die ich ihm zugefügt habe. Ich halte ihm das Messer wieder an die Kehle und ziehe durch. Der Junge erstickt an seinem eigenen Blut und die Kanone wird abgefeuert.

„Clove?“ Ich wirbele herum. Es ist Cato, Marvel im Schlepptau und … den Jungen aus 3. „Was machst du da?“ Ich stehe auf, verwirrt über ihren Begleiter. Aber ich beschließe, es möglichst zu überspielen. „Der“, ich deute auf die Leiche neben mir, „meinte, er könnte mich beleidigen. Tja, das hatte er dann davon.“ Marvel und Cato betrachten mein Werk, während Distrikt 3 ziemlich geschockt aussieht. Lange wird er so auch nicht überleben.

Die beiden anderen Jungs inspirieren die Leiche und ich glaube, dass meine Vorliebe für Details, wie beispielsweise die 2en, sie beeindrucken. „Hast du schon nachgesehen, ob er irgendwas Brauchbares dabei hatte?“ fragt Marvel. „Hab ich nicht, aber ich glaube es auch nicht.“ Die Beiden sehen trotzdem nach. Nichts, wie ich schon gesagt habe. Warum müssen die Leute immer alles überprüfen?

„K – kommt ihr?“ fragt 3. „Was machst du eigentlich hier? Und wie kommst du dazu, ausgerechnet uns zu etwas aufzufordern?“ frage ich ihn herablassend. Ich kann mir das leisten, und ich will in seinen Augen dieselbe Angst sehen, wie bei dem Jungen, der jetzt hier liegt.
„I – ich …“ „Er hier“, Cato deutet auf den Jungen, „konnte die Minen vom Anfang wieder aktivieren und hat so einen Schutz für unsere Vorräte gebaut.“ „Und wie sollen wir an die Vorräte kommen?“ frage ich. Haben sie daran denn auch gedacht? „I – ich kann dir zeigen, wie du zu ihnen kommst.“ stottert der Junge. „Wir gehen zum Lager zurück. Dann kannst du da“, Cato nickt zu Distrikt 3, „Clove davon überzeugen, dass du keinen Mist gemacht hast.“

12. Kapitel: Auf einen Schlag war es vorbei ...


12. Kapitel: Auf einen Schlag war es vorbei ...




Ich möchte nicht behaupten, dass ich Glimmer und Jade besonders vermisse. Jade war extrem schwach, Glimmer war das Gegenteil von kooperativ und hat eigentlich nur genervt mit ihrem ständigen, zickigen Getue. Und ganz ehrlich: besonders überrascht hat mich der Tod der Beiden auch nicht. Keiner der zwei hatte auch nur den Hauch einer Chance gegen mich zu gewinnen und sie haben einfach zu der Sorte von Gegnern gehört, die dringendst aussortiert werden müssen. Zu gefährlich, um am Leben zu bleiben, zu schwach, um zu gewinnen.

Jetzt steht Distrikt 3 mit einem Speer in der Hand in der Nähe der Vorräte und bewacht diese, wohl wissend, dass wir ihn im Auge behalten, während ich mit Cato und Marvel in einem kleinen Kreis sitze, in unserer Mitte alle möglichen Medikamente. Mittlerweile haben wir alle Salben, die wir finden konnten, ausprobiert und sie auf die entzündeten, schmerzenden Wespenstiche geschmiert – erfolglos. Ganz umsonst war die Suche aber doch nicht. Ich habe eine Paste für den Schnitt in meinem Arm gefunden und endlich scheint die Wunde das Verheilen anzufangen. Trotzdem verbinde ich die Verletzung vom Füllhorn nochmals mit einen frischen Verband. Sicher ist sicher.

Ich bücke mich leicht, um an einem Fläschchen zu schnuppern, das eine übel riechende Substanz enthält. Schnell verschließe ich es wieder. Wenn ich mich absichtlich übergeben möchte, werde ich auf das Fläschchen zurückgreifen. denke ich wütend. Wozu hat man eigentlich Sponsoren, wenn man nicht mal in solchen Situationen was bekommt? Außerdem wird Marvels Mentor mit Lyme und Brutus zusammenarbeiten. Es müsste also logischerweise noch mehr Geld zusammenkommen. Aber trotzdem – nichts.

Ich knalle das Fläschchen, das ich immer noch in der Hand halte, zurück und stütze mein Gesicht wütend in meine zu Fäusten geballten Hände. Ich zwinge mich dazu, wieder ruhig zu atmen. Ich gönne es diesen Menschen vor den Bildschirmen nicht, mich in Rage zu sehen. Diese gaffenden Leute, die doch keine Ahnung haben wie das ist, hier, in der Arena. Die es sich in ihrem Zuhause gemütlich machen und sich amüsieren. Sie sind schwach, sie haben keine Ahnung.

„Hey, guckt mal da!“ Ich sehe auf, um zu sehen, was Cato meint. Er hat seinen Blick auf etwas hinter mir fixiert und ich drehe mich um. Eine Rauchsäule steigt gen Himmel empor.

Cato greift hinter sich und hält sein Schwert in der Hand, Marvel nimmt seinen Speer, den er gegen einen moosbewachsenen Baum gelehnt hatte. Ich muss nicht zu meinen Waffen greifen. Ich würde meine Messer nicht für eine Sekunde aus den Augen lassen und habe sie immer einsatzbereit in meiner Jacke.

„Soll er mitkommen?“ Ich nicke zu Distrikt 3. „Nein, ich muss nicht auch noch Babysitter für jemanden spielen.“ meint Marvel und sagt es so laut, dass Distrikt 3 zusammenzuckt und beschämt den Kopf senkt. Soll er ruhig hören. denke ich. „I - ich könnte die Vorräte beschützen ...“ stottert er. Kann er nicht normal wie alle anderen auch reden? „Wie willst du das denn bitte machen?“ frage ich ihn überheblich. „I – ich könnte ...“
„Ich bin dafür, dass er mitkommst. Dann machst er keinen Blödsinn, oder haut womöglich noch ab.“ „Ich sage, er bleibt da!“ faucht Marvel jetzt mich an. „Ich sage, er kommt mit! Ist für alle besser.“

Bevor wir womöglich noch aufeinander losgehen – was mich nicht mal stören würde, so wie Marvel sich gegenüber mir benimmt -, wirft Cato ein: „Er kommt mit. Wir brauchen ihn im Wald und hier gibt es für ihn sowieso nichts mehr zu tun. An die Vorräte kommt keiner ran.“ „Und was ist mit unserem Loverboy?“ fragt Marvel Cato. „Den kannst du vergessen, hab ich dir doch gesagt.“, Cato klingt, als hätte er das schon hundertmal erklärt, „Ich weiß, wo ich ihn getroffen habe. Ein Wunder, dass er noch nicht verblutet ist. Jedenfalls ist er bestimmt nicht in der Verfassung, um uns zu überfallen.“

Cato greift nach einem Speer, der hinter ihm liegt, und drückt ihn 3 in die Hand, den Speer, den 3 vorher hatte, hat er auf seinem Posten liegen lassen. „Vorwärts.“ Cato schubst den viel kleineren Jungen in Richtung Wald und der Kleine macht ein paar schnelle Schritte auf die Bäume zu. Wenn ich er wäre, würde ich darauf aufpassen, was ich tue.

Wir sind gerade ein paar Meter im Wald, als Cato noch sagt: „Wenn wir sie finden, mach ich sie auf meine Weise kalt, dass mir da keiner in die Quere kommt.“ Es ist merkwürdig, aber es ärgert mich nicht, dass Cato mir den Tribut wegschnappen will, der seit der Wagenparade so hoch oben auf meiner Abschussliste stand und spätestens nach der Sache mit den Jägerwespen an erster Stelle steht. Warum? Ist es, weil Cato und ich uns so vertraut sind, weil wir uns schon so lange kennen? Ich komme nicht drauf.

Niemand sagt ein Wort. Jeder hängt seinen Gedanken nach, wobei es bei Distrikt 3 wahrscheinlich eher Angst ist, die ihn schweigen lässt, und wir setzten einfach einen Schritt vor den anderen. Selbst durch das Laubdach über uns kann man den Rauch des Feuers sehen. Was für ein Schwachkopf das wohl sein mag, der da so offensichtlich auf uns wartet? Irgendetwas an der Sache kommt mir komisch vor. Wer würde schon so dumm sein und seinen Aufenthaltsort so offenkundig preisgeben? Aber ich ignoriere die Hintergedanken und laufe einfach weiter. Es gibt in der Arena sowieso keinen Gegner, der es mit uns aufnehmen könnte und wenn derjenige sterben will - bitte.

Ich halte mich hinter dem Kleinen aus 3, der vor mir über jede mögliche Wurzel stolpert, Cato bildet die Spitze, Marvel den Schluss. Es müsste jetzt nicht mehr lange dauern, bis wir das Feuer erreichen. Ich blicke nach oben, um zu sehen, ob wir immer noch richtig laufen. Die Bäume stehen gerade so weit auseinander, dass man den Himmel noch sehen kann und dann bleibe ich stehen.

„Hey, pass doch auf und bleib nicht einfach stehen!“ faucht Marvel. Jetzt halten auch die anderen beiden an. „Seht doch mal!“ Ich deute auf die zweite Rauchsäule, die etwa 4 Kilometer von der ersten entfernt in den Himmel steigt...Ein riesiger Schlag lässt die Erde erbeben.

Mein erster Gedanke ist: Oh nein, nein, nein! Wir sehen uns an und ich weiß, dass die anderen genau das selbe denken wie ich. Dann rennen wir wie auf Kommando gleichzeitig los zu unseren Vorräten, während weitere Nachexplosionen zu hören sind.

Als wir auf die Ebene kommen, habe ich Seitenstechen, aber es ist mir egal. Alles, was in diesem Moment zu zählen scheint, ist der Schutthaufen, der mal unsere Vorräte waren.

„Oh, verdammt!“ keuche ich. Ich kann noch gar nicht richtig glauben, was ich vor mir sehe.
Die Pyramide ist komplett eingestürzt, was runtergefallen ist, muss weitere Minen ausgelöst haben und alles ist wie ein riesiges Schlachtfeld. Asche bedeckt den Boden vollkommen, alles ist zerstört. Ein Windhauch fegt über die Ebene, wirbelt die Asche hoch und lässt sie wie Schnee an anderen Stellen wieder zu Boden rieseln.

Die Vorräte. Das ganze Essen, Trinken, Medizin, Zelte, Schlafmatten, Seile, Waffen. Alles weg.
Was sollen wir jetzt essen? Wir können töten, aber keiner von uns hat gelernt zu jagen. Wozu auch? Wir sind davon ausgegangen, die Vorräte zu haben. Von denen jetzt die Reste vor sich hin schwelen, der Rauch steigt auf, mehr Rauch, als bei den beiden Feuern.
Die Feuer. Jemand muss sie gelegt haben, um uns von den Vorräten wegzulocken. Und wie Anfänger sind wir in die Falle getappt.

Im ersten Moment bekomme ich Panik. Was mache wir jetzt? Angst kriecht hoch, und Hilflosigkeit. Hilflos? Nein. Clove Thea Chericson ist nicht hilflos, niemals. Die Angst verschwindet, und Wut tritt an ihre Stelle.

Für etwa fünf Sekunden bewegt sich niemand von uns. Dann spüre ich, wie von einer Sekunde auf die andere die Wut in mir hoch kocht. Erst spüre ich den Zorn nur ganz leicht, von einem Wimpernaufschlag auf den anderen ist er überall und verteilt sich in meinem Körper. Ich spüre, wie ich anfange vor Wut zu zittern und wie sich meine rechte Hand in meinen linken Arm krallt. Ich möchte schreiben. Ich möchte Rache. Ich möchte, dass sich die Hand um den Hals desjenigen legt und dann zudrückt, der für das hier verantwortlich ist, ich will, dass er dafür büßt. Ich will ihn tot sehen und diejenige sein, die für seinen Tod verantwortlich ist. Ich will, dass seine Wunden die Leute daran erinnert, dass niemand vor mir ungeschoren davonkommt. Ich will ...

Hör auf. Verlier jetzt nicht die Beherrschung. Es ist dir schon so oft gelungen, dich zurückzuhalten. Das ist deine Stärke. Bleib ruhig, und überlege. Wenn du jetzt ausrastest, hilft dir das auch nichts mehr. Denk an die feigen Zuschauer da draußen. Tief ein – und ausatmen. Ein und aus. Ein und ...

In dem Moment bin es nicht ich, die die Beherrschung verliert, sondern Cato. Ich habe seine Wutausbrüche schon früher gesehen, weiß, wie man ihn in solchen Fällen beruhigt. Beim ersten Mal, etwa ein halbes Jahr, nachdem wir uns kennen gelernt hatten, hatte ich mich ziemlich erschrocken, aber jetzt weiß ich, was zu tun ist. Mein eigener, innerer Zustand interessiert mich jetzt in keinster Weise mehr.

Marvel möchte zu ihm hin, ihn beruhigen, doch ich halte ihn zurück. „Warte!“ zische ich. Das Beste, das man tun kannst, ist zu warten, bis er sich wieder ein wenig beruhigt hat und dann ruhig mit ihm sprechen.

Distrikt 3 wirft unterdessen Steine auf unsere ehemaligen Vorräte. „I – ich glaube, d – dass alle Minen a – ausgelöst worden sind ...“ Cato tritt gegen einen kaputten Behälter. Er wirbelt zu Distrikt 3 herum: „Ja, das sind sie. Und mit ihnen sind unsere GANZEN Vorräte draufgegangen. Und wem haben wir das zu verdanken?!“ Dem Kleinen fällt nichts besseres ein, als loszurennen. Aber natürlich wird er von Cato eingeholt, bekommt von ihm die Hand um den Hals gelegt. Cato spannt den Arm an und dreht den Kopf dann ruckartig zur Seite. Die Kanone erklingt im nächsten Moment.

Marvel und ich können nur sprachlos zusehen. Von einer Sekunde auf die andere. So schnell. Ich blicke zu Marvel und sehe einen ganz neuen Ausdruck in seinen Augen. Angst. Ich habe die Gewissheit, dass Cato mir nichts tut. Wir sind auf eine Weise miteinander verbunden. Marvel nicht. Cato ist stärker als er, und das weiß Marvel. Er könnte genauso enden, wenn er nicht aufpasst.

13. Kapitel: Antworten auf meine Fragen?


Cato hat sich nach dem Mord wieder so weit beruhigt, dass man halbwegs vernünftig mit ihm reden kann. Marvel und ich schaffen es, ihn dazu zu bewegen, dass wir uns an den Rand der Ebene in den Schatten der Bäume begeben, damit sie Distrikt 3 holen können. Die ganze Zeit beschäftigt mich die Frage, was wir ohne die Vorräte machen sollen, aber vor allem wie wir uns an dem Tribut rächen können, der für das hier verantwortlich ist, da er den Angriff nie und nimmer überlebt haben kann. In ein paar Stunden, wenn sie die Toten des Tages zeigen, werde ich wissen, wem ich diese Katastrophe zu verdanken habe und vielleicht lebt sein Mittribut ja noch, wenigstens den könnte ich dann für unsere Vorräte bezahlen lassen, oder es gibt uns einen Hinweis darauf, wer die Feuer angezündet hat. Derjenige kann sich schon mal auf was gefasst machen!

Ich vertreibe mir die Zeit bis zur Zusammenfassung am Abend, indem ich meine Messer poliere, da ich mich nicht mit Marvel unterhalten möchte und es nicht besonders ratsam wäre, jetzt mit Cato zu sprechen, wo er gerade erst seinen Wutanfall halbwegs überwunden hat.

Ich nehme also einen leicht feuchten Lappen zur Hand und greife nach dem Messer, das eine Reinigung am dringlichsten nötig hat. Es ist die Klinge, mit der ich am Morgen den Jungen aus 10 getötet habe. An ihr klebt immer noch das mit Schmutz vermengte, mittlerweile rostrote Blut. Ich reibe einmal kräftig mit dem Tuch über die Messerklinge, aber das geronnene Blut ist hartnäckig und lässt sich nicht so einfach abreiben. Ich fahre zweimal drüber, dreimal, viermal. Immer noch zeigt sich kaum ein Ergebnis.

Nach einer halben Stunde ist die Klinge dann doch wieder blank. Ich beschließe, die anderen Messer ebenfalls einer Reinigung zu unterziehen, trotzdem bin ich nicht bis zum Abend beschäftigt, da ich meine Messer bisher immer möglichst sauber gehalten habe.

Die anderen beschäftigen sich ebenfalls mit sich selbst. Marvel versucht ein Feuer zu machen und flucht, als ihm ein paar Funken auf die Haut fliegen, Cato putzt die Klinge seines Schwertes.

Auch wenn ich mich nach außen hin völlig ruhig gebe, macht sich innerlich Aufgewühltheit in mir breit. Außerdem beginnt sich ganz allmählich der Hunger zu melden und je länger ich warte, desto schlimmer wird es. Ich weiß, dass ich in meinem Rucksack noch zwei Packungen Kräcker habe, aber wäre es nicht klüger, sie einzuteilen und für später aufzuheben?

Mit voran schreitender Zeit fällt es mir immer schwerer, cool zu bleiben. Mein leerer Magen lässt sich kaum noch ignorieren, ich werde immer unruhiger, möchte, dass endlich irgendwas passiert, dass ich hier nicht bloß rumsitze und warte.

Ich blicke mich um in der Hoffnung, irgendeine Beschäftigung zu finden. Ich entdecke eine kleine Eidechse, die auf einem kleinen Felsen in etwa 5 Metern Entfernung hockt und sich in den letzten Sonnenstrahlen des Tages sonnt. Ich ziele kaum und spieße sie trotzdem exakt in der Mitte ihres kleinen Körpers mit dem Messer auf. Ich stehe auf, gehe zu dem erschlafften Körper und ziehe die Waffe heraus, der tote Körper fällt zu Boden. Ich blicke mich nach einem weiteren Ziel um.

Ein weißer Schmetterling sitzt etwa 8 Meter von dem Felsen, bei dem ich stehe, auf einer gelben Blume. Das Messer zischt durch die Luft, der Schmetterling wird auf den Boden genagelt.

Vorsichtig ziehe ich das Messer aus dem kleinen Körper und streife vorsichtig mit dem Finger über die zerfetzten Flügel. Ein leichtes Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus – nachdem ich getötet habe, geht es mir merklich besser.

Die Hymne wird wenige Minuten später eingespielt. Als erstes zeigen sie den Jungen aus 3, dem wir den Verlust der Vorräte erst zu verdanken haben. 20 Sekunden und er verschwindet wieder. Dann erscheint der Jungen aus 10, den ich am Morgen getötet habe. Aus 11 und 12 waren noch je beide Tribute übrig. Wer von ihnen hat unsere Vorräte auf dem Gewissen? Wobei ich meine Messer darauf verwetten könnte, dass es das Mädchen aus Distrikt 12 war. Sie hat von Anfang an nichts als Ärger gemacht.

Das Gesicht von Distrikt 10 verschwindet, gespannt sehe ich zum Himmel, warte auf das letzte Gesicht, hoffe zum einen, dass es das Feuermädchen ist, zum anderen, dass sie es nicht ist und ich irgendwann noch die Chance bekomme, sie selbst zu töten. Aber es kommt kein Gesicht mehr, der Himmel wird schwarz. Kurz blicken wir noch zum Himmel, als wäre es ein Irrtum, als würden sie den Bomber noch zeigen, aber innerlich weiß ich einfach, dass der Bomber überlebt hat und noch hier irgendwo in der Arena sein muss.

Cato springt auf. „Der Bomber hat wahrscheinlich etwa 2 Stunden Vorsprung. Wenn wir uns beeilen, holen wir ihn noch ein.“
Ich stehe auf, greife nach meiner Nachtsichtbrille und setzte sie mir auf. Cato greift nach der anderen, Marvel entzündet eine Fackel, die er wohl noch dabei hatte und so vor der Explosion gerettet hat, an seinem kleinen Feuer an. Cato übernimmt die Führung und wir betreten den Wald, bereit jeden zu töten, der uns über den Weg läuft.

Die relativ weit auseinander stehenden Bäume in diesem Abschnitt der Arena schützen kaum vor dem eisigen Wind, der durch die Baumkronen pfeift. Mein Atem wird in weißen Wölkchen sichtbar, die Kälte fühlt sich auf meinem unbedeckten Gesicht an wie winzige Nadelstiche, die dauernd wieder leicht zustechen. Ich ziehe meinen Reisverschluss bis ans Kinn hoch, was ein bisschen hilft.

Wir bemühen uns nicht besonders darum leise zu sein, wenn ein Tribut in der Nähe wäre und uns hören würde, könnten wir ihn oder sie durch die Brillen sehen.

Die Arena fällt mir voranschreitender Nacht leicht ab, bis wir an einen kleinen Bach kommen. Diesem folgen wir ein oder zwei Stunden, bis wir zu einer Stelle kommen, an der jemand ein Feuer gemacht haben muss, was allerdings schon etwas her zu sein scheint. Ich knie mich nieder und fahre mit dem Daumen durch die Asche. Wahrscheinlich hat jemand irgendwas gebraten oder gekocht. Das erinnert mich wieder daran, wie hungrig ich mittlerweile bin. Es muss inzwischen auch schon früher Morgen sein, darum bitte ich, eine Pause einzulegen.

Die anderen stimmen mir zu, lassen es so aussehen, als würden sie es nur für mich tun, aber ich denke, insgeheim sind auch sie erschöpft.

Mein Magen knurrt wieder und augenblicklich frage ich mich, wie lange meine letzte Mahlzeit her ist. Die letzte richtige, die ich hatte, war am Abend vor dem Jägerwespenangriff. Ich frage mich, wie viele Tage seit dem vergangen sind. Es kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor.

„Cato, wie lange ist das mit den Jägerwespen jetzt her?“, frage ich ihn.
„Warte mal, das müsste jetzt vor vier Tagen gewesen sein. Wir sind also schon über eine Woche in der Arena. Wieso?“
Es würde Schwäche zeigen, wenn ich zugeben würde, dass ich im Grunde kurz vorm Verhungern bin.
„Ist egal.“, murmele ich. Cato nickt nur, wendet sich wieder der Klinge seines Schwertes zu und ich leide immer noch stumm vor mich hin.

Wir beschließen, wieder etwas weiter in den Wald reinzugehen und dann zu schlafen. Wir teilen die Wachen ein, Cato macht den Anfang, soll dann mich wecken und ich schließlich Marvel. Da Cato der Einzige von uns ist, der noch einen Schlafsack besitzt, - meinen habe ich, nachdem ich mich vom Jägerwespengift erholt hatte, zwar mitgenommen, allerdings am Füllhorn liegen lassen, als die Explosion losgegangen ist, Marvel geht es genauso – und deshalb ziehe ich die Beine möglichst nahe an den Körper, umfasse meine Knie mit den Armen und schlafe so zusammen gekauert irgendwann fröstelnd und mit knurrendem Magen ein.

„Clove?“ Ein leichtes Schütteln an meiner Schulter. „Clove!“ Nochmal etwas fester.
Meine Augenlider flattern und ich sehe Cato über mir, hinter ihm die ersten Strahlen des Morgens.
„Was ist denn?“, murmele ich verschlafen.
„Du bist ja überhaupt nicht wach zu kriegen. Du hast Wache.“
Ich setzte mich auf, strecke meine steifen, eiskalten Glieder, reibe mir die Augen, um wach zu werden, stehe schließlich auf und lehne mich an den Baumstamm, an dem Cato zuvor gesessen hat.

Inzwischen schmerzt mein Magen richtig und mir ist leicht übel. Ich schiele zu meinem Rucksack herüber und bringe es einfach nicht über mich, die Kräcker noch länger aufzuheben.

Vorsichtig hole ich mir meinen Rucksack zu meinem „Posten“ und krame leise nach den beiden Packungen, die hier irgendwo zwischen Ersatzmessern, die nicht mehr in die Jacke gepasst haben, einem Seil und anderen Krimskrams, den ich mal aussortieren sollte, sein müssen.

Schließlich fördere ich eine zerknickte Kräckerpackung hervor und reiße sie vorsichtig und beinahe lautlos auf. Ich hole mir einen Kräcker heraus und beiße etwas länger als nötig darauf rum, nur, um möglichst lange etwas davon zu haben und zu genießen, endlich wieder etwas essen zu können. Mein Hunger zwingt mich schließlich zu schlucken, aber mein Magen ist nicht im geringsten zufrieden gestellt. Ich fingere mir einen zweiten Kräcker. Ich kaue, schlucke und warte auf das Sättigungsgefühl, das sich nicht einstellen wird.

Ich zögere. Ich darf nicht meine ganzen Kräcker aufbrauchen. Sie könnten für die nächsten ein – zwei Wochen das Einzige sein, das ich an Essen habe, was mir sogar ziemlich wahrscheinlich erscheint, da bisher niemand von uns ein Sponsorengeschenk bekommen hat.

Mit einem Mal bin ich richtig wütend auf Lyme, aber auch enttäuscht von ihr. Ich hatte ihr vertraut! Sie schien sich als Mentorin gut auszukennen, ich dachte, dass sie mir wirklich helfen würde, die Spiele zu gewinnen, dass ihr der ihr zugeteilte Tribut etwas mehr bedeutete, als einfach nur eine Jugendliche, die sie ruhig verhungern lassen konnte. Möchte mich denn jeder immer verraten? Erst mein Vater, der für mich mein größtes Vorbild war und dann alkoholabhängig geworden ist. Als zweites Cato, einer der wenigen Menschen, die sich mir je genähert haben, indem er sich bei der Ernte als mein Mittribut gemeldet hat. Und schließlich meine Mentorin für die Spiele, was nicht so schlimm wäre, wenn mein Leben nicht davon abhängen würde.

Wütend zerknülle ich die Kräckerpackung noch mehr in meiner Hand, stopfe sie dann zurück in den Rucksack, um sie in meinem Zorn nicht noch zu zerstören und lasse meine Wut dann raus, indem ich Marvel ans Bein trete und als er sich empört rührt, ihn anschnauze, dass er mit der Wache dran ist. Seinen entrüsteten Ausruf, dass es dafür noch viel zu früh wäre, ignoriere ich einfach und kauere mich ärgerlich wieder zusammen, höre noch, wie Marvel sich schwerfällig und fluchend zu dem Baumstamm schleift und schlafe dann erneut ein.

Am Nachmittag, wir sind eigentlich schon auf dem Rückweg zu unserem Lager und alle ziemlich geladen, da wir keinen Tribut getroffen haben, sehen wir sie dann. Den Rotschopf aus 5, an einem Baumstamm in etwa 10 Metern Entfernung gekauert.
„Die gehört mir!“, fauche ich, ziehe blitzschnell ein paar Messer und jage dem Tributenmädchen hinterher, das verzweifelt die Flucht ergreift. Cato folgt ihr ebenfalls, was mich stört, da ich sie ganz klar als erste gesehen habe.

Die Verfolgung hätte mir wahrscheinlich Spaß gemacht, wenn ich nicht so wütend und vielleicht auch enttäuscht gewesen wäre.
„Warte doch!“, rufe ich, „Ich krieg dich sowieso!“
Ich schleudere mein erstes Messer. Es saust durch die Luft und ich glaube schon, sie getroffen zu haben, als sie einen Schlenker zur Seite macht und dem Messer so ausweichen kann. Cato wirft seinen Speer, das Mädchen macht einen Satz zur anderen Seite und wird nur knapp verfehlt. Ich knirsche mit den Zähnen; flink und geschickt ist sie, das kann niemand leugnen. Ich schleudere ein zweites Messer, sie duckt sich weg und das Messer bleibt in einem Baumstamm hinter ihr auf Kopfhöhe stecken. Hätte sie sich nicht geduckt, hätte ich sie getroffen, ganz sicher!

Rotschopf schlägt eine Hake nach links, ich folge ihr. Fast habe ich dich wieder in Reichweite!, denke ich triumphierend und renne noch ein bisschen schneller. Cato ist nicht mehr hinter mir.

Das Mädchen läuft flink einen Abhang herunter. Ich möchte ihr hinterher, als Cato versucht, ihr von der Seite den Weg abzuschneiden, ich auf dem matschigen Boden ausrutsche, in ihn falle und wir zusammen den Abhang runterkugeln. Das Mädchen verschwindet im Wald.

„Verdammt!“, schreie ich, spucke Erde aus, die ich in den Mund bekommen habe und trete wütend gegen einen umgefallenen Baumstamm. „Ich hätte sie fast gehabt, wenn du sie nicht auch verfolgt hättest!“, fauche ich Cato an.
Ich versuche, möglichst nicht zu schreien, aber ich koche so vor Wut, dass das kaum möglich ist. Cato möchte etwas erwidern, als ein Kanonenschuss ertönt. Das unterbricht unseren beginnenden Streit und lässt mich auch kurz innehalten, sodass ich nicht noch mal irgendwo gegentrete.

„Was meinst du, wer das war?“, frage ich nach einer kurzen Pause, in der ich versuche runter zu kommen. Ich schaffe es nicht und man hört die unterdrückte Wut überdeutlich.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht ist Marvel auf Tribute gestoßen. Wenn wir uns beeilen, fällt vielleicht noch etwas für uns ab.“ Das bringt mich ein bisschen zur Besinnung und ich lasse mich von Cato mitziehen.

Wir sammeln die Messer und den Speer, die wir bei der Verfolgung von Distrikt 5 geworfen und in der Eile nicht wieder aufgenommen haben, ein, rennen zurück zu der Stelle, an der Cato und ich uns von Marvel getrennt haben und verstecken uns hinter einem Busch. Von unserem Versteck aus können wir genau sehen, was auf der Lichtung vor uns vor sich geht und was ich erkenne, lässt mir den Atem stocken:

Marvel liegt mit einer Blutlache, das Blut strömt weiterhin aus seiner Kehle, aus einer Wunde, die durch den Pfeil verursacht worden sein muss, der in seiner Hand liegt. Aber er ist gar nicht mehr am Leben. Die Kanone vor ein paar Minuten muss ihm gegolten haben.

Ein paar Meter entfernt erkenne ich das Mädchen aus 12, das mir soviel Ärger bereitet hat und wiegt das kleine Mädchen aus 11 in ihrem Arm. Ein Speer steckt bis zum Schaft in dem Bauch des kleinen Mädchens, des Kindes, das mit seinen 12 Jahren in die Spiele geschickt wurde. Es ist Marvels Speer. Sie ist auch schon mehr tot als lebendig, aber noch ein bisschen Leben muss in ihr sein, denn ich habe noch keine weitere Kanone vernommen. Ich habe plötzlich ein ganz beklemmendes Gefühl, ich weiß nicht, woher es kommt, aber es lässt mich nicht mehr los. Währenddessen trägt der Wind uns die leise Stimme des Feuermädchens zu. Sie erklärt dem Mädchen aus 11, dass sie nicht weggehen wird, ehe sie tot ist und dass sie sie beschützt. Das beklemmende Gefühl verstärkt sich noch mehr, füllt mein ganzes Denken. Ich möchte hier weg.

„Bitte lass uns gehen.“, flüstere ich Cato zu.
„Was?“, fragt er überrascht.
Ich weiß nicht, wie ich es ihm erklären soll – ich weiß ja selbst nicht mal genau, was los ist -, aber ich halte es hier keine Sekunde länger aus.
„Bitte lass uns einfach verschwinden und das Mädchen ein anderes Mal töten.“ Ich weiß nicht, ob es meine Bitte, oder der Ton und die Mimik mit der ich die Bitte vorgetragen habe, ist, die Cato vorsichtig und leise aufstehen lassen und mich mitzieht.

Dankbar lehne ich mich leicht an ihn. Die Kanone ertönt nur etwa eine Minute später, nachdem wir den Platz, an dem das Mädchen gestorben ist, verlassen haben.

Als wir etwa einen Kilometer weit weg sind, halte ich an. Das beklemmende Gefühl ist nicht verschwunden. Auch Cato stoppt.
„Jetzt musst du mir wirklich mal erklären, was das gerade sollte!“, verlangt er zu wissen, „Ist dir klar, dass wir gerade eine Möglichkeit verschenkt haben, sie zu töten? Genau genommen war das sogar schon der 2. Tribut, der uns heute entwischt ist!“
„Moment mal, dass ich den Rotschopf aus 5 nicht töten konnte, war deine Schuld!“, stelle ich richtig.
„Was tut das schon zur Sache, wer dran Schuld war? Es wären heute zwei Tote mehr gewesen, Loverboy macht es auch nicht mehr lange. Dann wären noch der Große aus 11 und die rothaarig aus 5 übrig und dann ...“

Cato zögert und auch ich frage mich augenblicklich das selbe, was ihm wahrscheinlich durch den Kopf geht: Was ist, wenn nur noch wir beide übrig sind? Das wirft die alte Frage wieder auf und schließlich bringe ich sie über die Lippen: „Cato, warum hast du dich an der Ernte freiwillig gemeldet? Du wusstest, dass ich mich melden würde, du hättest noch ein Jahr zum Trainieren gehabt und wenn es dir so wichtig gewesen wäre, ausgerechnet zu den 74. Hungerspielen in die Arena zu gehen, hättest du mir das sagen können.“

Er zögert, überlegt, was er sagen soll. Vielleicht auch, wie er es mir am besten beibringen soll, dass er mich tot sehen möchte. Ich weiß es nicht. Denn er hat wieder diesen undurchschaubaren Blick aufgesetzt, bei dem ich nie weiß, was er wirklich denkt.

„Warum willst du das wissen?“, stellt er eine Gegenfrage um Zeit zu bekommen.
Jetzt ist es an mir kurz zu zögern. Ich weiß, dass meine Worte ins ganze Land übertragen werden und dass Cato ziemlich ausrasten könnte, wenn ich den folgenden Satz falsch formuliere. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich den Satz so darstellen kann, dass es nicht falsch für meinen Jugendfreund klingt. Andrerseits bin ich mir ja nicht mal mehr sicher, ob mich Cato tot sehen will oder nicht. Also sag ich einfach, was ich tatsächlich denke, sage den Satz so, wie er mir seit der Ernte im Kopf rumspukt: „Weil ... weil mich interessieren würde, was ich dir getan habe, dass du mich töten würdest.“

Ich habe das Gefühl, dass sich für einige Momente kein Muskel in ihm rührt. Dann packt er mich blitzschnell an den Schultern und schüttelt mich einmal heftig. Sein Gesicht ist ganz nah an meinem. Wenn ich wollte, könnte ich ihn jetzt küssen ... Aber, was denke ich denn da? Trotzdem ist Cato immer noch bei meiner Frage. Er hält mich nach wie vor an den Schultern gepackt und drängt mich gezielt an den Baum hinter mir. Ich stoße gegen den Stamm, er hält mich weiterhin gefangen.
„Welchen Grund ich hätte, dich zu töten?“, fragt er noch mal nach.
„Ich weiß es nicht, deshalb frage ich doch!“, antworte ich, mittlerweile verzweifelt. Es sieht wirklich so aus, als hätte er sich nur gemeldet, um mein Leben zu beenden.
Jetzt ist Cato in Rage. Seine rechte Hand löst sich von meiner einen Schulter und drückt mich am Hals gegen den Baumstamm. Ich kann noch normal atmen, aber mir ist klar, dass er mich hat, dass ich nicht entkommen kann und dass ich zum ersten Mal in meinem Leben vor Cato Angst habe. Ich kann mich nicht wehren, bin vom Hunger geschwächt und dem wütenden Cato schutzlos ausgeliefert.

14. Kapitel: Das habe ich ganz sicher nicht erwartet


Instinktiv suchen meine Hände nach den Messern in meiner Jacke. Das ist wahrscheinlich meine letzte Chance, ihm zu entkommen. Es versetzt mir mehr als nur einen Stich, dass mein ehemaliger Freund mich dazu zwingt, diesen Schritt zu tun.

Cato erkennt mein Vorhaben, löst die Hand blitzschnell von meinem Hals und nagelt meine rechte Hand am Baumstamm fest, dann löst er die andere von meiner Schulter und macht rasch auch meine linke unschädlich. Hasserfüllt blicke ich ihn an. Aber ich merke selber, dass sich hinter meinem Hass eigentlich Enttäuschung verbirgt und dass mich sein Handeln mehr verletzt, als er mich je mit einem Messer, seinem Schwert, seinem Speer oder mit allen Waffen zusammen verwunden könnte. Ich merke, wie sich Tränen in meinen Augen sammeln und ich hasse mich dafür, dass mich sein Handeln sogar zu Tränen zwingt. Ich habe noch nie geweint und gerade in der Arena sollte das nicht passieren, wo das ganze Land zusieht.

„Clove, ich möchte, dass du mir jetzt zuhörst!“ brüllt Cato. Ich blicke nach unten, dass er und die Kameras die Tränen nicht sehen, denn es gibt nichts, was mehr Schwäche zeigt und einem Mädchen aus 2 unwürdiger ist, als Tränen zu zeigen. Ich ärgere mich dermaßen über mich selbst. Cato versteht die Bewegung allerdings eher als Rebellion gegen seine Aufforderung. Er nimmt meine beiden Hände in eine Hand, hält mein Gesicht mit seiner anderen so fest, wie er es schon nach der Wagenparade getan hat und zwingt mich, ihn anzusehen. „Ich möchte, dass du so aufmerksam bist, wie noch nie!“

Ich versuche mich loszureißen, aber ich schaffe es nicht. „Lass mich los!“ zische ich. Ich werde mit jedem Wort, das er sagt, wütender auf ihn. Ich kann ihn dafür, dass er mich am liebsten töten würde, noch nicht einmal hassen und vor allem das bringt mich zur Weißglut. „Cato, lass mich sofort los!“ schreie ich noch mal.

Ich versuche, ihn an seine empfindlichste Stelle zu treten, aber er tritt mir mit seinen Füßen auf meine, sodass ich auch diese nicht mehr bewegen kann. Ich kann es nicht glauben, dass er mich vollkommen bewegungsunfähig gemacht hat.

Seine Stimme wird sanfter. „Hast du nie daran gedacht, dass ich es für dich getan habe?“ Vollkommen überrumpelt sehe ich ihn an. Die Wut in meinen Augen wird zu Überraschung und Unglauben. „Natürlich! Und was soll mir das bitte bringen?“ Ich kann ihm nicht glauben. Seine Stimme wird noch sanfter. „Dass ich es getan habe, um dich zu beschützen?“ Fassungslos starre ich ihn an. Dann kocht ganz langsam die Wut wieder in mir hoch. „Wie konntest du nur!“ Meine Stimme variiert während diesem einen, verstörten Satz über mindestens zwei Oktaven. Ich kann mich aus seinem Griff befreien und stoße ihn bei Seite. Er sieht es nicht kommen, sonst wäre mir das nie gelungen. Ich gebe es nicht gerne zu, aber in einem Körperkraft gegen Körperkraft – Kampf bin ich ihm hoffnungslos unterlegen.

Ich keuche vor Fassungslosigkeit. „Mich in dem Glauben lassen, dass ich dir plötzlich egal wäre.“ Jetzt kreische ich nicht mehr, sondern die Tränen, die ich bis dahin erfolgreich zurückgehalten habe, beginnen zu fließen. Meine Stimme klingt nun nicht mehr wütend, sondern verzweifelt. „Ich dachte, du wolltest mich töten und wie kommst du überhaupt darauf, dass ich Hilfe brauche?“ Ich vermute, es klingt nicht besonders überzeugend, wenn man einen solchen Satz von einem weinenden, verletzten Mädchen zu hören bekommt.

Durch den Tränenschleier sehe ich, wie er auf mich zu kommt, spüre dann, wie er mich in seine Arme zieht. „Es tut mir so leid, Clove.“ flüstert Cato ganz nah an meinem Ohr. „Gar nichts tut dir leid, lass mich in Ruhe!“ versuche ich mir ein letztes bisschen Würde zu bewahren, probiere ihn wegzuschieben, obwohl ich eigentlich nichts lieber möchte, als von ihm so in den starken Armen gehalten zu werden, wie er es immer getan hat, wenn ich wieder mal verletzt wegen meinem Vater war. Aber Cato ignoriert meine Worte und zieht mich nur noch näher an seine Brust, streichelt meinen Rücken, um mich zu trösten. Ich schluchze leise und kralle mich an seinen Schultern fest. „Clove, beruhig dich, es ist alles in Ordnung.“ „Gar nichts ist in Ordnung! Wenn einer von uns lebend hier raus kommt, ist der andere tot! Ich ... ich könnte nicht ohne dich leben, weil ich dich ... weil du für mich das wichtigste auf dieser Welt bist.“

Er hört auf mir über den Rücken zu streichen. „So wichtig bin ich dir?“ fragt er noch mal nach. „Ja, warum hätte ich dich anlügen sollen?“ Statt einer Antwort beugt er sich zu mir hinunter. Was hat er jetzt vor? ist das letzte, was mir durch den Kopf geht, bevor seine weichen Lippen sich auf meine legen und er mich küsst.

Mein Herz macht einen Satz und beginnt dann zu rasen. Meine nassen Augenlider schließen sich wie von selbst und einen kurzen Augenblick lang spüre ich einfach nur, wie sich Catos Lippen ganz sanft bewegen, wie seine Hände zu meiner Taille runterfahren und er mich an sich zieht. Ich bin für diesen einen Augenblick viel zu überrascht, um mich irgendwie zu bewegen oder um richtig zu realisieren, was hier gerade passiert. Ich bin in meiner Bewegung praktisch erstarrt.

Dann macht sich das süßeste Gefühl in mir breit, das ich je gespürt habe. Heiß durchströmt mich dieses Glücksgefühl, ich fühle mich als das glücklichste Mädchen dieser Welt, obwohl ich eigentlich Probleme habe wie kein anderes. Ich verschränke meine Arme in seinem Nacken, öffne meine Lippen einen Spalt und erwidere dann schließlich den Kuss, weiß, dass es das war, was ich die ganze Zeit wollte, dass, zumindest im Moment, alles gut ist und dass ich ihn liebe. Dass ich Cato Wade liebe.

Ich wurde noch nie von einem Jungen geküsst, geschweige denn, dass ich einen geküsst hätte. Ich hielt es für Zeitverschwendung, Zeit, die ich lieber auf das Trainieren verwendet habe und beliebt war ich sowieso nie. Ich wurde für meine Fähigkeiten bewundert, mehr aber auch nicht. Ich kenne viele Jungen und auch Mädchen in Distrikt 2, die sich daran messen, wen sie geküsst oder ins Bett bekommen haben, die einen richtigen Wettstreit draus machen und ich hätte jemanden in der Hierarchie wahrscheinlich nur nach unten gezogen. Der einzige, der wahrscheinlich stolz darauf gewesen wäre, von mir geküsst worden zu sein, ist Herson gewesen und so etwas nun wirklich nur über meine Leiche.

Dann schalte ich die Gedanken ganz ab und konzentriere mich auf das hier und jetzt. Auf Cato und mich, eng umschlungen, uns küssend, in einer Arena mit vier anderen Tributen, die uns töten möchten.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, ab dem Zeitpunkt an, als ich Cato gefragt habe, warum er sich freiwillig gemeldet hat und bis wir uns wieder voneinander lösen. Mittlerweile ist es schon fast ganz dunkel und die Hymne muss in wenigen Minuten abgespielt werden.

Wir lächeln uns an und mein Lächeln wird noch ein bisschen breiter, als ich sehe, dass seine Wangen leicht gerötet sind und meine fühlen sich ebenfalls heiß an. Seine Hand wandert zu meiner Backe und streicht drüber. Ich merke, wie ich noch eine Spur röter werde. „Das rot steht dir, ich sollte dich wirklich öfter in Verlegenheit bringen.“ grinst Cato frech und ich blicke ihn ärgerlich an. „Du bist so blöd.“ murmele ich, muss dann aber ganz leicht lächeln. Sein Gesicht verzieht sich ebenfalls zu einem Schmunzeln, ich kann nicht anders als zurückzulächeln. In dem Moment wird die Hymne eingespielt. Die Bilder von Marvel und dem kleinen Mädchen aus 11 sorgen dafür, dass ich mir unserer eigentlichen Situation wieder bewusst werde. Wir sind zusammen in einer riesigen Arena, vier andere wollen uns töten, wir wissen, dass höchstens einer von uns lebend hier wieder raus kommt und wir haben nichts besseres zu tun, als uns idiotisch anzulächeln und zu küssen.

Die verschiedensten Gefühle stürzen auf mich ein und mir wird das alles zu viel. Ich spüre, wie die Gefühle drohen, sich in meinem Gesicht zu spiegeln und ich wende den Blick von Cato ab. „Ich ... ich gehe schlafen.“ murmele ich. Ich möchte ihm nicht noch mehr Schmerzen bereiten, als es die Tatsache ohnehin schon tut, dass unsere Tage zusammen gezählt sind. Ich möchte immer für ihn lächeln, wenn er mich sieht, und das kann ich gerade einfach nicht. Ich rolle mich wie vergangene Nacht am Baumstamm des Baumes zusammen, gegen den mich Cato zuvor noch gedrückt hat. Wie viel sich in den letzten Minuten geändert hat. Oder sind es doch schon Stunden? Ich habe während des Kusses jegliches Zeitgefühl verloren. Ich weiß nur, dass es früher Abend war, als wir begonnen haben und dass die Sonne schon fast ganz untergegangen war, als wir uns wieder von einander gelöst haben.

„Clove?“ Ich blicke auf. „Dein Schlafsack ist weg, oder?“ Ich nicke. „Hab ihn bei der Explosion am Füllhorn liegen gehabt. Wieso?“ „Wenn du willst kannst du mit in meinen.“ Meine Wangen werden erneut heiß. Zum Glück kann es Cato auf die Entfernung in der Dunkelheit nicht sehen. Er würde mich nur wieder aufziehen. „O – okay.“ willige ich ein. Ich rutsche zu ihm herüber und krabbele neben ihn in den Schlafsack. Es ist ziemlich eng, aber nicht ungemütlich. Ich kuschele mich an ihn und er nimmt mich beschützend in seine Arme. „Ich übernehme die erste Wache.“ höre ich ihn noch mit einer Stimme sagen, aus der ich ein Lächeln heraushöre, während ich bereits wegdämmere.

Etwa fünf Stunden später werde ich von Cato geweckt. Ich liege immer noch in seinen Armen, es ist angenehm warm und sobald er merkt, dass ich wach bin, beugt er sich wieder zu mir und küsst mich. Ich erwidere seinen Kuss, bis wir uns von einander lösen und er neben mir einschläft, mich aber immer noch im Arm hält. Die Szene kommt mir ein bisschen wie ein Déjà-vu vor.

Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als wir genauso dalagen, ich elf, er dreizehn. Jung, unschuldig, ohne jedes Gefühl jenseits von Freundschaft. Ich durfte zum ersten Mal bei ihm übernachten und somit war es das erste Mal, dass ich überhaupt bei einem Freund schlief – außer Cato hatte ich ja niemanden. Ich hatte früher manchmal bei meiner Oma übernachtet, wenn meine Eltern Abends weggehen wollten, aber das war schon seit mehreren Jahren nicht mehr vorgekommen und so war ich entsprechend aufgeregt.

Ich weiß noch, dass meine Mutter mir geholfen hat, etwas passendes zum Anziehen zu finden und sich mit mir auf den bevorstehenden Abend freute. Sie hat sich vor diesem Abend sehr um mich gekümmert, was mich damals ziemlich glücklich gemacht hat. Heute würde ich sagen, dass sie einfach froh war, dass ich mich nach so langer Zeit wieder mal auf etwas gefreut habe.

Um Punkt halb sieben stand ich vor Catos Haustür und wir verbrachten den Abend damit, dass wir uns die Wiederholung der 26. Hungerspiele im Fernsehen ansahen. Wir lachten beide an der Stelle, als das Mädchen aus 6 unserem Sieger aus 2 in diesem Jahr zum Opfer fiel und ich meinte, dass wenn ich erst mal Tribut sein würde, ich mindestens genauso cool kämpfen könnte. Cato lachte und rief, vielleicht ja, aber er würde noch tausend mal besser sein. Dann schlugen wir im Spaß mit den teuren Sofakissen seiner Mutter auf einander ein - auf dass der bessere Kämpfer gewinnen möge – woraufhin uns diese kopfschüttelnd ins Bett schickte.

Da lagen wir also zu zweit in Catos Bett und er hielt mich genau wie jetzt. Kurz bevor er einschlief, flüsterte er: „Und ich war doch besser als du.“ Ich murmelte „Träum weiter!“ zurück und wir schliefen Arm in Arm ein.

Über unsere Kindlichkeit muss ich den Kopf schütteln. An diese Zeit erinnere ich mich aus verschiedenen Gründen gerne, aus anderen wiederum nicht. Damals hätte uns beispielsweise niemand abgekauft, dass wir mal von allen Jugendlichen im Distrikt bewundert werden. Wenn ich den Menschen das zu der Zeit erzählt hätte, hätten sie wahrscheinlich gelacht und etwas gesagt wie: „Ist solcher Einfallsreichtum nicht einfach zu bewundern?“ Heute würde darüber niemand mehr lachen. Heute versuchen die anderen Jugendlichen einfach, möglichst nichts in unserer Gegenwart zu tun, was sie uns gegenüber schlecht darstellen würde, oder sie lächerlich machen würde.

Ich beobachte erst, wie der Himmel allmählich hell wird, von schwarz zu dunkelblau, dann weiter in Richtung eines hellen Blaus, höre, wie die ersten Morgenvögel anfangen zu singen, bis die Sonne langsam hinter dem Horizont aufsteigt, wie ihre goldenen Strahlen beginnen, die ganze Arena in helles Licht zu tauchen.

Mittlerweile habe ich ein dumpfes Gefühl im Magen und ich wecke Cato, um abzusprechen, wie wir unsere verbliebenen Vorräte am besten einteilen.

Er ist nicht besser dran als ich. Zu meiner einen Kräckerpackung, der angebrochenen Tüte und meiner halbleeren Wasserflasche steuert er noch eine Packung Trockenobst hinzu, getrocknete Hünchenstreifen und seine Wasserflasche, die nur noch zu einem Viertel voll ist. „Lass uns Klartext reden:“, murmele ich, „Wir sind gearscht.“ Cato muss über meine Ausdrucksweise grinsen, aber er weiß, dass ich recht habe.

Wir beschließen, die angebrochene Kräckerpackung als Tagesration zu nutzen, möglichst leise zu sein und zu hoffen, irgendein Tier zu erwischen und dabei in Richtung See zu gehen, um unsere Wasservorräte aufzufüllen.

Wir haben kein Glück. Es ist auch nicht besonders verwunderlich. Beim Training hat es nie jemanden gejuckt, wie laut man war, solange man den Menschen erwischt hat. Nur jagen wir hier eben keine Menschen, sondern sind gezwungen, Tieren nachzustellen, da ist das was ganz anderes.

Irgendwann sind wir beim See und haben nicht mal ein Tier gesehen. Ich stoße einen Wutschrei aus. „Verdammt! Verdammt, verdammt, verdammt! Scheiße!“ Ich habe das dringende Bedürfnis, gegen irgendwas zu treten. Ich kicke gegen einen mittelgroßen Felsbrocken, der am Ufer des Sees liegt, und statt dass er ins Wasser klatscht, haue ich mir den Fuß an.

Ich sehe aus den Augenwinkeln, dass Cato sich ein Grinsen verkneift. „Und jetzt sag bloß nichts von wegen, jetzt hätte ich alle Beute im Umkreis von ein paar Kilometern verscheucht.“ fauche ich und trete noch mal. Als der Felsklotz ins Wasser klatscht, werde ich nass gespritzt. Wütend zeige ich dem See den mittleren Finger meiner Hand und Cato kann nicht anders und prustet los.
„Danke für deinen Beistand!“ fauche ich ihn wütend an und setzte mich neben ihn. „Für meinen Beistand gegen einen Fels?“ Cato lacht noch mehr und ich muss zugeben, dass sich das wirklich bescheuert anhört. Ich ramme ihm meinen Ellenbogen in die Seite, kann aber ein leichtes Lächeln trotzdem nicht verbergen. „Na, wenigstens lächelst du jetzt wieder.“ Mein Lächeln erstirbt augenblicklich.
„Wie kann man nur so negativ eingestellt sein.“ murmelt Cato und dieses freche Grinsen huscht schon wieder über sein Gesicht. „Ich bin nicht negativ eingestellt!“ meine ich empört, aber ich weiß, dass er irgendwo schon ein bisschen recht hat.

Wir blicken beide auf das Wasser. Der Fels, den ich reingekickt habe, hat es aufgewühlt und die Oberfläche ist braun von den aufgestöberten Erdsedimenten. „Sieht so aus, als müssten wir uns eine neue Stelle suchen. Dein Fels hat das Wasser ja total verdreckt.“ sagt Cato nach kurzem Schweigen. Er bekommt meinen Ellenbogen erneut in die Seite. Er grinst, dann packt er mich und hebt mich hoch. „Was machst du denn?“ frage ich und versuche mich aus seinem Griff zu winden. „Wirst du gleich sehen.“ Er grinst noch frecher. „Was hast du vor, Cato?“ frage ich und meine Stimme klingt vielleicht sogar ein kleines bisschen panisch. „Pass auf, Clove.“ Er drückt mich von sich ab und lässt los. Mit einem Schrei lande ich im See und schlucke Wasser. Hustend tauche ich wieder auf. „Was sollte das denn jetzt?“ schreie ich entgeistert und wütend zu gleich. „Du warst so wütend, ich fand, dass du eine Abkühlung gebrauchen kannst.“ Meine Augenbrauen ziehen sich ärgerlich zusammen. „Du solltest mal dein Gesicht sehen, Clove. Genial, genial!“ Ich stürze mich auf ihn und wir rangeln so lange spielerisch miteinander, bis auch er im See liegt. „Jetzt sind wir quitt.“ meine ich und er zieht mich an sich. „Niemals“ flüstert er mit einem Lächeln in der Stimme. Dann küsst er mich.

15. Kapitel: Auseinandersetzung


„Mmmhm, Cato?“ murmele ich gegen seine Lippen und er drückt sie mir noch mal kurz auf den Mund. Wir stehen immer noch im See, er bis zur Wade, ich bis zu den Knien im Wasser. „Was ist?“ flüstert er. „Ich dachte nur gerade … Was ist, wenn nur noch wir beide am Ende …“ „Denk einfach nicht mehr dran.“ Er zieht mich noch enger an seine Brust, presst seine Lippen wieder auf meine, doch ich unterbreche den Kuss. „Ich fände es aber wichtig, darüber zu reden. Jetzt.“ „Clove, ich … ich würde machen, dass du hier raus kommst. Das war der einzige Grund, warum ich mich gemeldet habe und diese Entschei ...“ Er kann nicht weiter reden, da meine flache Hand auf seine Wange klatscht und ich mich von seinem Griff losreiße. Catos Hand wandert ungläubig zu seiner rechten Wange, auf der sich mein roter Handabdruck bereits abzeichnet, dann bekommt er einen verdammt zornigen Gesichtsausdruck.

Ich ignoriere die Tatsache, dass ich ihm gerade eine geknallt habe, Cato mich wütend anfunkelt und fauche erzürnt: „Früher warst du nicht so. Ich hab immer gedacht, du würdest alles tun, um die Spiele zu gewinnen, aber ich hab mich wohl getäuscht. Wo hast du eigentlich deinen Kopf, Cato? Bist du jetzt durchgedreht?! Dein Leben für mich auf ´s Spiel setzten? Du hast sie ja nicht mehr alle!“ Für ein paar Sekunden blicken wir uns einfach nur mit blitzenden Augen an, visieren den anderen vollkommen, sind darauf bedacht, den Blick des anderen möglichst nicht zu unterbrechen.

„Du bist so dumm, Clove.“ meint er dann. „Was?“ frage ich aufgebracht und zugleich ungläubig, während sich meine Hand zur Faust ballt. Wie kann er es auch nur im entferntesten wagen? „Warum kannst du meine Hilfe nicht einfach annehmen?“ „Ich hab dich um deine Hilfe nicht gebeten!“ „Komm jetzt bloß wieder nicht mit ‘Ich kann auf mich selbst aufpassen!‘. Das zieht nicht. Im Feuer wärst du draufgegangen, wenn ich dir nicht geholfen hätte und nach dem Jägerwespenangriff wärst du draußen im Wald verreckt, wenn ich dich nicht gefunden hätte.“ „Wäre vielleicht sogar besser gewesen. Dann würdest du jetzt nicht mit dem Gedanken spielen, dich selbst umzubringen.“ Damit drehe ich mich um, wate wütend zurück zum Ufer des Sees, ignoriere Cato, der mir „Clove, jetzt warte doch mal ...!“ hinterher ruft und stapfe wütend zu meinem Rucksack zurück, der noch am Ufer liegt. Ich nehme ihn, setzte mich an einen Baumstamm am nahen Waldrand und stütze mein Gesicht auf die Arme, die ich auf meine angezogenen Knie gelegt habe.

Ich spüre, wie sich schon wieder die nervigen Tränen in meinen Augenwinkeln sammeln. Ich habe gestern wirklich schon mehr als genug geweint und reibe mir energisch mit dem Jackenärmel ein paar Mal über das Gesicht. Alles, bloß keine Tränen! sage ich mir. Doch es bringt nichts. Es kommen neue Tränen. Alles nur wegen Cato! Nur, weil er nicht einsieht, dass auch ich nicht mehr weiterleben könnte, wenn er nicht mehr da wäre. Ich spüre, wie sich eine Träne ihren Weg über meine Wange bahnt. Ich wische sie wieder weg, doch ich weiß, dass es keinen Sinn mehr macht, dass ich den Tränenfluss nicht mehr stoppen kann, und vergrabe das Gesicht schließlich ganz in meinen Armen, während ich von Schluchzern geschüttelt werde. Ich versuche mich selbst zu beruhigen, in dem ich leicht vor und zurück schaukele, doch es bringt nichts. Ich weiß, dass, wenn ich Cato nicht kennen gelernt hätte, ich irgendwann in Depressionen versunken wäre. Ich verdanke ihm so viel und ein Teil von mir würde unweigerlich mitsterben, wenn er nicht mehr da wäre. Warum kann er das nicht einfach verstehen?

„Clove? Hey, es tut mir Leid.“ Cato legt mir seine Hand auf die Schulter. „Geh weg“ Ich bringe nicht die nötige Autorität auf, als dass er ernsthaft auf mich hören würde. Dafür klinge ich viel zu verheult. „Clove, was hätte ich denn tun sollen? Warten und zusehen, wie du stirbst?“ fragt er mit sanfter Stimme, die mich wieder wütend werden lässt. „Wie kommst du eigentlich auf den Gedanken, dass ich Hilfe brauche?“ „Du wiederholst dich schon wieder.“ stellt er kühl fest. „Ich wiederhole es gerne, bis du es endlich kapiert hast.“ Die Tränen versiegen allmählich und ich beginne, vor Wut zu zittern. „Du kannst es jetzt sowieso nicht mehr rückgängig machen.“

„Das vielleicht nicht, aber du könntest aufhören, den Beschützer spielen zu wollen, mich einfach mein Ding machen lassen und mich wie jeden anderen Gegner auch behandeln.
Vielleicht noch wie eine Verbündete, aber wie jemand, den du wohl oder übel irgendwann töten musst, wenn du nach Hause willst. Früher hattest du viel mehr Ergeiz. Hast du vielleicht mal daran gedacht, dass ich gar keinen Beschützer möchte? Besser tot und mit Würde gestorben, als nur überlebt zu haben, weil sich jemand aus irgendeinem Grund als mein Schutzschild fühlt.“ „Dann lass ich dich also einfach in Ruhe. Wenn ich sehe, wie du erdolcht wirst, geh ich einfach weiter. Wenn ich mitbekommen sollte, wie du ertrinkst, wink ich dir locker zu. Und falls du irgendwo an einer Klippe hängst und drohst runterzufallen, grinse ich dir zu und frage, wie du das Wetter heute findest.“ meint er zwar unüberhörbar sarkastisch, aber ich antworte: „Siehst du, jetzt hast du ´s verstanden.“ Er funkelt mich wütend an, aber ich halte seinem Blick stand.

Dann entspannen sich seine Gesichtzüge plötzlich und werden sanft. „Clove, ich möchte mich nicht schon wieder mit dir streiten.“ „Dafür ist es jetzt leider, leider zu spät.“ fauche ich bissig. Er übergeht meinen Kommentar. „Sieh doch einfach ein, dass ich dir helfen möchte, die Spiele zu gewinnen.“ „Aber nicht durch Selbstmord“ „Und was sollen wir dann machen?“ „Du hättest dich nicht freiwillig melden brauchen!“ „Dann wärst du längst tot!“ „Das weißt du doch gar nicht!“ Es entsteht eine kurze Pause, in der wir beide vor Wut keuchen und uns ärgerlich anfunkeln. „Ach, vergiss es. Dann sieh halt zu, wie du allein zu Recht kommst.“ meint er dann und wendet sich ab. „Ja, lass mich bloß in Ruhe!“

Ich würde ihn gerne bitten, bei mir zu bleiben, mich wie gestern in den Arm zu nehmen und zu trösten, mir ein bisschen Zärtlichkeit zu gönnen, aber dann würde er ja wer weiß was von mir denken, mich gar nicht mehr ernst nehmen, und was die Zuschauer inzwischen für einen Eindruck von mir haben, nachdem ich an zwei aufeinander folgenden Tagen geweint habe, will ich gar nicht erst wissen.

Cato geht ein paar Schritte in den Wald. Ich hoffe, er hat unsere beiden letzten Sätze nicht als Aufkündigung unseres Bündnisses verstanden. Obwohl mir unser Streit schon Leid tut, beschließe ich, für die Kameras, und möglicherweise auch für Cato, eine wütende Miene zu wahren. Aber das wird nicht so ganz funktionieren, da ich mir sicher bin, dass mein verheultes Gesicht schrecklich aussieht und so gehe ich zum See, um die Spuren der Tränen zu entfernen.

Mein Spiegelbild sieht richtig schlimm aus, nicht nur wegen der geröteten, verquollenen Augen. Die Haare sind ein einziges Durcheinander, mein Gesicht ist mit Schmutz und getrocknetem Blut bedeckt, außer an den Stellen, wo sich Tränen kleine Furchen gegraben haben. Ich forme meine Hände zu einer Schale, schöpfe etwas Wasser und reibe mir im Gesicht herum. Doch es ist mehr als das nötig, um den Dreck zu entfernen.

Ich greife nach meinem Rucksack. Irgendwo hier müsste ich noch das Tuch haben, mit dem ich meine Messer immer gesäubert habe ... Ich finde es und tauche es in das Wasser. Mit dem Lappen lässt es sich etwas besser waschen und nachdem mein Gesicht, so gut es eben geht, gereinigt ist, wende ich mich meinen Haaren zu.

Hier weiß ich wirklich nicht, was ich tun soll und so beginne ich damit, dass ich mich vorne überbeuge und den Kopf kurz in das nun wieder glasklare Wasser senke. Die Kälte des Wassers hilft etwas gegen die Wut und ich entspanne mich ein wenig.

Nach etwa 5 Sekunden komme ich wieder hoch und durchkämme die Haare so gut es geht mit den Händen. Schnell ist sicher, das sich mir dadurch mehr Haare ausreiße, als ich in Ordnung bringe, wringe die Haare dann einfach aus und binde sie mir wieder zurück.

Ein Blick auf mein Spiegelbild im See sagt mir, dass mein Gesicht nun soweit wie möglich wieder in Ordnung ist und meine Augen wandern an meinem Körper hinunter. Meine Jacke ist ebenfalls verdreckt und von geronnenem Blut überzogen. Kurz entschlossen ziehe ich sie aus, nehme meine Messer raus, lege das Kleidungsstück ans Ufer, sodass es halb aus dem Wasser ragt und lege einen Felsbrocken, der dem, den ich zuvor ins Wasser gekickt habe, ähnlich ist, auf die Jacke, damit sie nicht wegschwimmen kann.

Während ich die Jacke kurz einweichen lasse, wechsele ich den Verband an meinen Arm. Die Wunde vom Füllhorn sieht schon viel besser aus, aber die Medizin, die ich an dem Tag, an dem die Vorräte in die Luft geflogen sind, gefunden habe, ist wie mein Schlafsack weg. Ich wasche das Tuch, das ich vorher für mein Gesicht benutzt habe, aus und reinige die Wunde vorsichtig. Ich muss alles versuchen, um eine Infektion möglichst zu vermeiden.

Da ich keinen anderen Verband mehr habe, muss ich den alten, längst nicht mehr sterilen, gezwungener Maßen erneut verwenden und wasche ihm auch nur notdürftig das alte Blut aus. Mit voranschreitender Zeit wird mir immer mehr bewusst, dass ich ohne die Vorräte aus dem Füllhorn aufgeschmissen bin. Wie zur Bestätigung knurrt mein Magen und ich ärgere mich darüber, dass Cato unsere ganzen Essensvorräte hat.

Dann nehme ich meine Jacke aus dem See und weiche die Seite, die jetzt noch nicht im Wasser war, ebenfalls ein.

Als sie etwas später zum Trocknen in der Sonne liegt, sehe ich mich um. Cato ist nicht zu sehen und ich fürchte, unser Bündnis ist Geschichte. Ich sage mir, dass es besser so ist, dass er mich so nicht mehr vermeintlich beschützen kann und sich nicht wegen mir selbst umbringt, aber insgeheim schreit alles in mir danach, sich in seine Arme zu werfen, mich an seinen durchtrainierten Körper zu drücken, seine Wärme zu spüren und ihn zu küssen.

Ich muss aufhören, so zu denken! Es kann sowieso keine Zukunft mit ihm geben, selbst wenn er sich nicht aus dem Staub gemacht hätte. Ich brauche irgendwas, um mich abzulenken. Verdammt, ich muss aufhören, ständig an ihn zu denken und mich darauf konzentrieren, wie ich die Hungerspiele gewinne!

Ich sehe wieder an mir herab, aber meine anderen Kleidungsstücke müssen nicht zwingend gewaschen werden. Die Hose sieht gut aus, dafür, dass ich sie jetzt schon ... wie lange trage? Eine Woche mit Sicherheit, vielleicht sind es sogar schon zwei.

Ich gehe in Gedanken die Tage in der Arena durch. Den ersten Tag haben wir am Füllhorn, sowie im Wald verbracht. Den zweiten Tag haben wir fast ganz durchgeschlafen, erschöpft von der nächtlichen Jagd. Am dritten Tag waren wir wieder beim See und haben da geschlafen. Von der Nacht des dritten Tages auf den vierten Tag kam das Feuer und am Morgen des fünften Tages war die Sache mit den Jägerwespen. Dann war ich bewusstlos. Ich weiß es nicht sicher, aber zwei – drei Tage lang muss es gewesen sein. Damit hätten wir eine Woche und, je nachdem wie lange ich bewusstlos war, einen Tag. Am selben Tag sind die Vorräte in die Luft geflogen. Die Nacht waren wir dann wieder jagen und das kleine Mädchen und Marvel sind am nächsten Tag, gestern, gestorben. Das wären dann mit heute 9 oder 10 Tage in der Arena.

Ich sehe zum Himmel empor. Es ist jetzt früher Abend. Ich blinzele in die letzten Sonnenstrahlen des Tages, aber ich kann die Sonne beim besten Willen nicht richtig genießen. Fakt ist, dass ich Cato schon nach einer halben Stunde so schrecklich vermisse, dass mein Herz sich vor Schmerz ganz zusammen zieht. Ob es ihm Leid tut, dass wir gestritten haben? Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass es mir Leid tut. Mehr, als ich in Worte fassen kann. Und ich bin mir sicher, dass ich an dem Streit Schuld bin. Er wollte mir nur helfen, aber egoistisch, wie ich bin, habe ich seine Hilfe nicht angenommen und ihn fortgeschickt. Wahrscheinlich geschieht es mir ganz recht, dass ich mich jetzt so sehr nach ihm sehne, dass es weh tut. Die gerechte Strafe für mich, weil ich mein Temperament nicht im Zaum halten kann und mir damit letztendlich selbst schade.

Ein knackender Ast holt mich zurück in die Wirklichkeit und lässt mich herum wirbeln. Ich greife mir eines der Messer, dass noch am Boden liegt und die Gestalt, die mich durch ihr Geräusch alarmiert hat, tritt aus dem Schatten.

Es ist Cato, er legt irgendeinen erlegten Vogel zu Boden und sobald ich ihn sehe, macht mein Herz einen Satz. Er hat mich doch nicht allein gelassen! Die Erleichterung darüber spiegelt sich augenblicklich in meinem Gesicht.

„Sieht so aus, als bekämen wir heute mal wieder richtiges Fleisch zum Abendbrot.“ Er lächelt, doch es sieht etwas unsicher aus. Ich lächele ebenfalls, dann machen wir beide unisono zwei Schritte auf den anderen zu und umarmen uns. „Es tut mir Leid, dass wir gestritten haben.“ murmele ich, kurz bevor er mir die weichen Lippen kurz auf den Mund drückt. „Mir auch. Alles wieder wie vorher?“ „Alles wieder wie vorher.“ Wir bleiben noch kurz so stehen, dann lösen wir uns voneinander und machen ein Feuer, um Catos Vogel zu braten.

„Wie hast du den eigentlich getötet?“ frage ich, bevor wir den Vogel mit ein paar Stöcken über dem Feuer platzieren. „Das war ein ganzer Schwarm von den Viechern. Die haben auf einer Lichtung etwa 15 Minuten in die Richtung“, er zeigt in den Wald, „gehockt und ich hab meinen Speer einfach nach dem dicksten geschleudert. Die anderen sind danach weggeflogen und ich konnte keine weiteren erlegen.“ „Ich glaube, der hier reicht sowieso für zwei oder drei Tage, von daher ...“ Wir lächeln uns wieder an und Cato zieht mich auf seinen Schoß. Ich lege meinen Kopf an seine Schulter und genieße für den Moment einfach, dass Cato noch bei mir ist und sich nicht irgendwo allein im Wald rumtreibt.

„Ich liebe dich.“ flüstere ich. Ich denke, dass er das sowieso schon weiß, aber direkt gesagt habe ich es ihm noch nie. Ein sanftes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. „Ich dich auch, Clove. Ewig schon.“ Diese sechs Wörter sind die schönsten, die ich je gehört habe und machen mich glücklich, wie ich wahrscheinlich noch nie in meinem Leben war. „Tatsächlich? Ist mir, ehrlich gesagt, nie aufgefallen.“ „Ja“ bestätigt er. „Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem wir zum ersten Mal richtig miteinander gesprochen haben? Da warst du mir schon aufgefallen und als ich dich auf dieser Bank sitzen sah, musste ich dich einfach ansprechen.“ „Klar erinnere ich mich. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich dir damals schon vorher aufgefallen wäre.“ „War aber so.“ Er grinst und ich lächele ebenfalls leicht. Ich blicke ihm in die wunderschönen, saphirblauen Augen, in denen sich unser Feuer spiegelt, und habe das Gefühl, als könnte ich mich in ihnen verlieren.

Dann wird eine Fanfare eingespielt, die mich von Catos Augen löst. Gespannt sehen wir zum Himmel und warten auf die Ankündigung, die darauf folgen wird.

16. Kapitel: Vergiss die Kameras!


Claudius Templesmith´ Stimme dröhnt durch die Arena: „Ich beglückwünsche die letzten sechs Überlebenden der 74. Hungerspiele. Ich habe heute Abend die Ehre, euch die erste Regeländerung in der Geschichte der Hungerspiele mitteilen zu dürfen.“ Kurz stoppt der Moderator, wahrscheinlich um die Spannung zu steigern und Cato und ich tauschen einen verwirrten Blick.

„Die neue Regel besagt, dass dieses Jahr zum ersten Mal, seit die Spiele existieren, zwei Tribute zu Siegern gekürt werden können, sofern sie aus dem gleichen Distrikt stammen.“

Mein Herz klopft wie wild in meiner Brust, während die Bedeutung seiner Worte langsam zu mir durchdringen. Ich muss mich verhört haben. So etwas gab es doch noch nie! Noch nie wurden die Regeln geändert, warum sollten sie nun die Regeln anpassen? Das hat Templesmith doch gerade nicht wirklich gesagt, oder? Dafür erscheint es mir viel zu surreal, zu unwirklich, um wirklich wahr sein zu können.

Der Moderator wiederholt seine Durchsage nochmals und noch bevor ich mir über die Bedeutung der Worte ganz klar werde, taste ich mit den Händen an Catos Körper entlang, versuche, seine Lippen zu finden und als sich unsere Münder berühren, küssen wir uns. Zuerst ganz zärtlich, dann, ich weiß nicht, was über mich kommt, viel intensiver, heftiger. Viel emotionaler als sonst. Ich denke nicht mehr, ich tue einfach.

Meine Hände fahren, ohne dass ich meine Lippen von seinen löse, an Catos Brust entlang und ich versuche, den Reißverschluss seiner Jacke aufzubekommen. Ich habe ihn gerade bis zur Hälfte aufgezogen, als ich mir darüber klar werde, was ich hier eigentlich tue. Ich halte inne und unterbreche den Kuss, auch Cato hört auf. Ich merke, wie ich knallrot anlaufe. „Oh, entschuldige, ich ähm ... wollte nur ... äh ...“

Er unterbricht mein hilfloses Gestotter. „Warum eigentlich nicht, Clove?“ fragt er. „Und was ist mit den Kameras?“ „Vergiss die Kameras!“

Dann drückt er mir seine Lippen wieder auf den Mund und ich erwidere seinen Kuss, wenn auch leicht zögerlich. Obwohl meine Begierde mit jeder Millisekunde wächst, schwanke ich, ob das hier in Ordnung geht, oder nicht.

Ist es richtig? Kann ich das machen? Kann ich zulassen, dass Panem so weit in meine Privatsphäre eindringt? Vergiss die Kameras!



Ehe wir es uns versehen, liege ich auf dem Boden und er ist über mir. Seine Lippen liegen auf meinen und er küsst mich mit einer Lust, die mir bisher noch nie bei ihm aufgefallen ist.

Darf ich das hier wirklich tun? In einer Arena, während ganz Panem zusieht? Eigentlich ist es schon gegen alle Regeln, sich in der Arena zu verlieben, geht das hier nicht einfach zu weit? Vergiss die Kameras!



Cato schafft es, die Knöpfe meiner hellgrünen Bluse zu öffnen – meine Jacke liegt nach dem mehr oder weniger unfreiwilligen Bad noch immer zum Trocknen am Ufer -, während er mich noch drängender weiterküsst.

Andrerseits gab es bisher nicht die Regel, dass zwei Tribute die Spiele gewinnen dürfen, aber rechtfertigt das, was wir hier tun? Denk daran, du hast damit angefangen. Du weißt selbst, dass du das hier eigentlich mehr willst als alles andere. Vergiss die Kameras, das geht in Ordnung!



Ich bin mir immer noch unsicher, aber dann beschließe ich, dass es okay ist und gebe mich Cato vollkommen hin. Ich weiß, dass es ein riesiger Fehler ist, dass es unvorsichtiger als alles andere ist, die Kameras und die Arena einfach so zu ignorieren, aber es ist mir im Moment völlig egal. Und das sollte mir eigentlich zu denken geben, wenn ich vernünftig wäre.

Ich richte mich in eine sitzende Position auf und streife ihm die Jacke ab, während meine Bluse nur ein paar Sekunden später folgt. Obenrum hab ich nun nur noch meinen Sport - BH an und ich kann Catos warmen Atem auf der Haut fühlen. Die Jungs scheinen statt einer Bluse ein hellgrünes Sweatshirt getragen zu haben, unter das ich mit den Händen fahre, dabei zärtlich über Catos durchtrainierten Oberkörper streiche und ihm das Sweatshirt dann über den Kopf ziehe. Nur für diesen einen Augenblick lösen sich unsere Münder von einander, sofort danach finden sich unsere Lippen wieder.

Cato drängt mich ein wenig zurück und ich spüre, wie ich mit dem Fuß gegen etwas stoße, höre einen gedämpften Schlag, als etwas herunterfällt und ein Funken unseres Feuers sich durch den Stoff meiner Hose frisst und sich in meine Haut einbrennt. Sofort bin ich abgelenkt und mein Blick huscht zu unserem Feuer.

„Verdammt!“ Ich muss mit dem Fuß gegen einen der Stöcke gestoßen sein, auf denen unser Vogel lag. Das tote Tier ist in die Glut gefallen. Auch Cato ist sofort aufmerksam. Kurz starren wir fassungslos auf unser Feuer, dann greift Cato nach seiner am Boden stehenden Wasserflasche und gießt den Inhalt über unser Feuer. Eine Sekunde versetzt tue ich das Selbe mit meiner Flasche. Es zischt ein wenig, etwas weißer Dampf steigt auf, aber die Flammen sind noch lange nicht gelöscht.

„Das reicht nicht!“ rufe ich. „Ich weiß!“ schreit er zurück. Wir rennen zum See, um die Flaschen wieder aufzufüllen, als Cato auf meine Jacke tritt. Kurz schaut er sie an, dann nimmt er sie, und taucht sie im See unter. „Was machst du denn?!“ frage ich fassungslos. „Die war doch schon fast trocken!“ Aber Cato antwortet mir nicht, rennt zu unserem Feuer, das den Vogel mittlerweile komplett umschließt. Er wringt meine Jacke über dem Feuer aus und schafft es so, die Flammen zu löschen.

Nachdem wir das verkohlte Tier aus der nassen Asche unseres Feuers bekommen haben, müssen wir zugeben, dass wir unsere einzige Beute wohl gerade selbst zerstört haben. „Den kann man nicht mehr essen, oder?“ frage ich und besehe mir zweifelnd das schwarze, verkokelte Fleisch des Vogels. „Wahrscheinlich nicht.“ „Oh, verdammt!“ Auch wenn ich das nie von mir gedacht hätte; ich muss zugeben, dass mich die Arena mit der Zeit immer mehr aufregt. Mein Magen knurrt wie verrückt, weil wir es nicht schaffen, Tiere zu jagen und keiner von uns einen Plan hat, welche Pflanzen essbar sind und welche nicht. Seitdem die Vorräte in die Luft geflogen sind, nein, halt, schon seit den Jägerwespen, haben wir nur noch Pech und unseren Mentoren sind wir offensichtlich auch egal. Zu allem Überfluss beginnt es mich auf meinem nackten Bauch zu frösteln.

„Scheiß Arena!“ spreche ich meine Gedanken aus. „Was?“ fragt Cato, der gerade versucht, unsere Feuerstelle etwas zu säubern, damit wir wieder ein Feuer machen können. „Die meiste Zeit, die wir hier gewesen sind, hatten wir doch nur Pech.“ erläutere ich die beiden Wörter, die ich zuvor gesagt habe. Cato überlegt kurz. „Hmm, wenn ich so darüber nachdenke, war es eigentlich immer die Nervensäge aus 12 und nicht die Arena, die uns Probleme bereitet hat, oder?“ „Das mit den Jägerwespen schon, aber die Vorräte ...“ „Ganz ehrlich, ich würde meine Waffen darauf verwetten, dass das auch sie war.“ Das würde logisch klingen, aber beweisen kann Cato es trotzdem nicht. Zuzutrauen wäre es 12 auf alle Fälle.

„Ich würde alles dafür geben, sie jetzt gleich zu töten. Und sie soll sich ja nicht einbilden, dass ich sie schnell zur Strecke bringe!“ Der mittlerweile schon bekannte Hass, wenn ich nur an sie denke, macht sich in mir breit und ich lechze geradezu nach ihrem Blut. Cato scheint wieder nachzudenken. Vielleicht hätte ich das eben nicht laut sagen sollen. Er hat genauso viele Gründe, 12 umzulegen, wie ich. Doch sein nächster Satz überrascht mich. Ich hatte etwas erwartet, wie: „Sorry, Clove, aber sie gehört mir.“ Stattdessen meint er: „Du kannst sie haben, aber du musst mir versprechen, den Zuschauern eine gute Show zu bieten.“ „Ich verspreche es“

Mir würden Tausende Möglichkeiten einfallen, sie zu töten. Dass es langsam gehen muss, versteht sich von selbst und dass es ihr so viele Schmerzen, wie nur irgend möglich, zufügen muss, ohne sie schnell umzubringen, ebenfalls. Am besten schneide ich ihr alle unwichtigen Körperteile eines nach dem anderen ab, bis sie schließlich um den Tod bettelt, schreit, kreischt und sich wünscht, mir nie in die Quere gekommen zu sein. Meine Fantasien treibe ich so weit an, dass ich sie tatsächlich hören kann. Jeder ihrer Schreie klingt gequälter und befriedigt meine Mordlust zumindest ein kleines bisschen. Auch wenn es nicht wirklich ist, es gefällt mir. Sehr sogar.

„Du zitterst ja richtig!“ unterbricht Cato meine Mordgedanken. Jetzt fällt es auch mir auf. Obenrum habe ich außer meinem BH nichts an, auf meiner nackten Haut hat sich durch der kühlen Nachtluft eine Gänsehaut gebildet und ich zittere tatsächlich. Erst just in dem Moment wird mir richtig bewusst, dass mir eigentlich eiskalt ist. Jetzt, wo mir das richtig klar wird, fangen meine Zähne an, aufeinander zuklappern. Schnell reibe ich mit den Händen über meine frierenden Arme, um sie etwas zu wärmen. „Oh Gott, da wird einem ja schon beim Zusehen kalt!“ beschwert sich Cato. „Willst du wieder mit mir in den Schlafsack?“ Zur Antwort nicke ich.

Ich kuschele mich neben Cato in den Schlafsack. Sofort schlingt er seine Arme um meinen kalten Körper und zieht mich an seinen warmen, nackten Oberkörper. Er beginnt wieder damit, mich zu küssen und dieses Mal mache ich von Anfang an mit. Erwidere den Kuss sofort mit meiner ganzen Leidenschaft, drücke mich noch enger an ihn und stöhne dann leise, als er den Knopf meiner Hose öffnet und sie mir runterzieht. Er liegt wieder über mir und wandert mit seinen Küssen von meinen Lippen zu meinem Kinn und küsst sich seinen Weg bis zu meiner nackten Brust. Meine Hände wühlen wie verrückt in seinen blonden Haaren und wandern seinen Körper dann herab bis zu dem Knopf seiner Hose, den ich ebenfalls öffne. Jetzt ist es an ihm aufzustöhnen, während er mich weiterküsst und mich an meiner Brust streichelt.

Mir wird von innen ganz warm und mit jeder seiner Berührungen wird mir heißer. Die Erregung fließt durch meinen gesamten Körper, ist fast elektrisierend. Ich streiche Cato über den Brustkorb und mir fällt auf, dass ich seine Rippen leicht fühlen kann. Meine Lippen wandern wieder zu seinen und wir küssen uns abermals heftig. Noch heftiger als bei unserem ersten Versuch, der ja durch das ärgerliche Feuer unterbrochen wurde. „Ich liebe dich!“ stöhne ich zwischen zwei Küssen und ich fühle im nächsten Kuss, wie er lächelt. „Ich weiß!“ grinst er. „Ich liebe dich auch, Clove“


Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlage, liegt mein Gesicht an Catos Brust. Er hält mich immer noch ganz fest umschlungen und für einen kurzen Augenblick bewahre ich einfach die Wärme und dieses berauschend schöne Gefühl, das mir von heute Nacht noch geblieben ist. Ganz leicht fahren meine Finger über seine warme Haut und die Bewegung versetzt mich zurück zu den Geschehnissen vor ein paar Stunden. Ich atme seinen süßen Geruch ein, doch dann wird mir auf einen Schlag wieder bewusst, wo wir uns eigentlich befinden und sofort verfliegt die schöne, entspannte Stimmung.

Warum habe ich das letzte Nacht getan, es zugelassen? Ich möchte gar nicht versuchen zu leugnen, dass es nicht das Schönste war, was ich je erlebt habe, aber wie konnte ich nur so unvorsichtig werden, die Kameras, die Arena und alles andere einfach auszublenden? Hätten wir uns im Falle eines Angriffs überhaupt verteidigen können? Scheint so, als hätten wir ziemliches Glück gehabt. Aber wenn man in der Arena gewinnen will, darf man sich nicht auf sein Glück verlassen, sonst ist man innerhalb weniger Sekunden tot. Dies führt mich wieder zu dem, was gestern fast ein wenig untergegangen ist: Cato und ich kommen zu zweit aus der Arena raus! Es gibt eine Zukunft für uns beide! Weder er noch ich müssten am Ende sterben, damit der andere nach Hause kommt! Und mit diesen Gedanken kann ich meine Vorwürfe an mich selbst ausblenden.

Vorsichtig hebe ich den Blick und begegne Catos wunderschönen, saphirblauen Augen, mit denen er mich sanft lächelnd ansieht. „Morgen.“ murmele ich. „Morgen“ grinst er ebenfalls. „Hast du gut geschlafen?“ „Ja, hab ich.“ flüstere ich, drücke mich enger an ihn und schließe die Augen. Cato streicht mir über meinen freien Rücken und ich genieße für den Moment einfach seine Nähe und seine Zärtlichkeiten, die er mir entgegenbringt. Die Zärtlichkeiten, die er mir letzte Nacht gewährt hat, haben mich nicht befriedigt – im Gegenteil, ich lechze nach ihnen sogar noch mehr, wie nach dem Blut von Distrikt 12.

Doch dann knurrt mein Magen und bringt uns beide zurück in die Wirklichkeit. „Ich mach uns was zum Frühstück. Für dich Croissant mit Marmelade?“ fragt er schelmisch. „Oh, hör bitte auf!“ stöhne ich. Er weiß genau, wie sehr ich diese Süßspeise liebe und in jeder Sekunde versuche ich, nicht daran zu denken. Was würde ich selbst für einen kleinen Bissen nicht alles geben?

In diesem Moment segelt ein silberner Fallschirm herab und erlangt die Aufmerksamkeit von uns beiden.

17. Kapitel: Nächtliche Begegnung


Hey Leute,
ich weiß, es hat ewig gedauert und für die viele Zeit, die seit dem letzten Update vergangen ist, kann man die Länge des Kapitels nur als unverschämt bezeichnen, aber mehr bringe ich während der Schreibblockade, die ich gerade habe, einfach nicht mehr zustande. Vielleicht funktioniert es ja, wenn ihr die Stellen nennt, die ich eurer Meinung noch ausschreiben muss ... Dann hätte ich so eine Art Schreibanstoß, wenn ihr wisst, was ich meine ...
Ich hoffe, ihr gebt mir vor allem zu dem Kapitel eine gute Kritik, denn ich bin einfach nicht zufrieden damit ...
Eure Chiri
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Nächtliche Begegnung



Langsam segelt der silberne Fallschirm zu Boden. „Was meinst du, was da drin ist?“ frage ich. „Keine Ahnung, hoffentlich was Essbares ...“ antwortet Cato mit dem Anflug eines Lächelns. „Aber bevor wir nachsehen, sollten wir uns vielleicht etwas anziehen ...“ Eine leichte Röte überzieht abermals meine Wangen, da mir wieder bewusst wird, dass wir zu zweit nackt in einem engen Schlafsack liegen.

Das Anziehen stellt sich auch als schwerer heraus, wie bisher angenommen. Der Schlafsack bietet nur sehr eingeschränkte Bewegungsfreiheit und meine Klamotten sind in alle Richtungen verstreut.

Ich beginne damit, dass ich versuche, mir meinen BH zu angeln, der etwa einen Meter von mir entfernt liegt. Ich probiere meinen Arm etwas weiter auszustrecken, doch ich bekomme ihn nicht zu fassen, ohne dass ich meine Brust vor laufender Kamera entblößen würde. Schnell greift Cato danach und reicht mir das Kleidungsstück. „Danke“. Schnell ziehe ich mir den BH über den Kopf.

Als ich fertig angezogen bin, schlüpfe ich aus dem Schlafsack und hebe das Sponsorengeschenk auf. Neugierig öffne ich den Fallschirm und sobald ich sehe, was unsere Mentoren uns schicken, merke ich, wie sich ein breites Lächeln auf meinen Lippen ausbreitet. Denn neben einem zunächst recht einfach wirkenden Messer, das sich auf den zweiten Blick aber als grausame Waffe mit fies gebogener Klinge herausstellt - also perfekt für Distrikt 12´s Tod – liegt dem Sponsorengeschenk Brot aus Distrikt 2 bei. Es ist sogar noch ganz warm ... Wir teilen das Brot gerecht durch zwei, sodass jeder eine Hälfte bekommt.

Sobald ich den ersten Bissen gemacht habe, überfällt mich eine Art Heißhunger. Aber ich zwinge mich dazu, ganz langsam zu kauen, zu schlucken und dann etwas zu warten.
Nach fünf Bissen lege ich das Nahrungsmittel unter größter Selbstbeherrschung bei Seite, da mir klar ist, dass ich nicht lange was von dem Geschenk haben werde, wenn ich jetzt weiteresse.

Um mich abzulenken, beginne ich damit, unser Lager wieder etwas auf Vordermann zu bringen.
Ich entsorge gerade den verkohlten Vogel, als Cato meint: „Mit der Jagd hatten wir doch eigentlich mehr Glück, als ich alleine los bin, oder?“ fragt er. „Ja schon, wieso?“ Ich wische mir die Hände, die von der Asche, die am Vogel geklebt hat, dreckig sind, an der Hose ab. „Ich hab nur überlegt, ob es vielleicht schlauer wäre, nicht zusammen jagen zu gehen“ „Willst du mich loswerden?“ frage ich im Spaß. „Mit Sicherheit nicht.“ Wir lächeln uns an und küssen uns dann. Ich kann immer noch nicht fassen, dass mein Herz jedes Mal einen Satz macht, wenn er meine Lippen auch nur kurz mit seinen berührt. Viel zu schnell löst er sich wieder von mir.

„Jetzt noch mal im Ernst: Wäre es für dich okay, wenn ich alleine losgehe und du hier bleibst, da der Platz eigentlich nicht schlecht ist ...“

Die Sache geht mir gegen den Strich, den ganzen Tag hier warten, während sich Cato wer-weiß-wo herumtreibt. Aber Cato hat wahrscheinlich recht. Also stimme ich, wenn auch etwas zögerlich, zu. „Okay, aber beeil dich möglichst. Ich möchte hier nicht versauern.“ „Ich geh nicht weit weg. Ich bleib in der Nähe, okay?“ Zum Abschied drückt er mich kurz an sich, dann geht er, den Speer in der rechten Hand, das Kurzschwert baumelt in seiner Halterung an Catos Gürtel.

Die Stunden vergehen. Zunächst versuche ich mir die Zeit zu vertreiben, indem ich das Lager fertig aufräume, meine Messer reinige und meinen Rucksack ausmiste.
Ich wasche meine Jacke nochmals, da sie bei unserer Löschaktion gestern Nacht wieder dreckig geworden ist. Doch schon bald gehen mir die Tätigkeiten, die ich machen kann, aus. Schließlich liege ich auf dem Rücken und werfe einfach Messer an einen Baumstamm. Eines nach dem anderen, immer wieder. Werfe Muster mit den Messern wie eine Wellenlinie, hole mir meine Waffen wieder und mache das ganze von vorne, versuche so zu zielen, dass die Messer genau in das Loch vom letzten Wurf wieder einstechen.

Aber so sehr ich auch versuche mich abzulenken, langsam aber sicher beginne ich mir Sorgen um Cato zu machen. Er wollte doch nur schnell jagen gehen. Gleich wieder zurück sein. Ob was passiert ist? Nein, sicherlich nicht. Cato ist viel zu stark, als dass ihm was passieren könnte.
Obwohl es in diesem Punkt nichts zu bezweifeln gibt, bleibt die Sorge und wächst mit jeder verstreichenden Sekunde. Ich lasse mir nichts anmerken für die Kameras. Gebe mich ruhig, entspannt, werfe weiter die Messer, aber innerlich werde ich immer aufgewühlter, während der Tag langsam voranschreitet.

Als am Abend die Hymne abgespielt wird und Cato immer noch nicht wieder aufgetaucht ist, beschließe ich nach ihm zu suchen.
Ich packe meinen Rucksack, überprüfe nochmals die Messer in meiner Jacke – das Messer aus dem Sponsorengeschenk hat einen Ehrenplatz bekommen - setze meine Nachtsichtbrille auf und mache mich auf den Weg in den dunklen Wald.

Meine Sinne sind geschärft und ich achte auf jedes noch so kleine Geräusch. Ich habe keine Ahnung, wo ich nach Cato suchen soll und versuche, seinem Gedankengang zu folgen. Zu überlegen, was er gesagt hat und ob ich ihn so finden kann. Er meinte, er würde nicht zu weit weggehen, in meiner Nähe bleiben, aber was genau versteht er unter „in der Nähe bleiben“? Ein Umkreis von 100 Metern, oder einem Kilometer? Noch mehr als das? Ich sollte systematisch vorgehen. Falls irgendwo in meiner Nähe etwas passiert wäre, hätte ich das mitbekommen. Also scheidet ein Radius von 50 Metern schon mal aus.

Ich gehe weiter, bis ich auf die Lichtung komme, von der Cato erzählt hatte, er hätte dort diesen Vogel, der verbrannt ist, gefangen. Hier kann ich ja wenigstens mal anfangen.
Ich husche zwischen den Bäumen am Rand der Lichtung einmal um die Schneise herum, doch mir fällt trotz Nachtssichtbrille nichts brauchbares, nichts merkwürdiges auf. Schließlich gehe ich auf gut Glück in Richtung Füllhorn. Irgendwo muss ich schließlich anfangen zu suchen.


Ob ich mal nach ihm rufen soll? „Cato?“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. Ich möchte gerade noch mal etwas lauter rufen, als ich den Klang meiner eigenen Stimme von einem Ast rechts über mir höre. Verwirrt blicke ich hoch. Ein schwarzer Vogel mit weißen Flügelspitzen singt mir nach, während er meine Stimme perfekt imitiert.

„Halt den Schnabel, du dummer Vogel“, fauche ich. Er wird meinen Aufenthaltsort jedem interessierten Killer verraten und ich kann das gerade wirklich nicht brauchen! In meiner Wut schleudere ich ein Messer nach dem nervtötenden Viech, das erschreckt auffliegt, bevor das Messer es treffen kann.
„Er mochte deine Stimme“ Ich wirbele herum und ziehe in der selben Bewegung ein zweites Messer. Vor mir steht der Getreidejunge aus 11. „Schön für ihn.“, antworte ich in dem selben Ton, in dem der Getreidejunge zuvor gesprochen hat. Der Junge tritt etwas näher. Er überragt mich um mehr als einen Kopf. Trotzdem weiche ich weder zurück noch blinzele ich oder zeige ein sonstiges Anzeichen von Angst und erwidere seinen Blick kühl.

„Was machst du um die Uhrzeit hier alleine? Wo ist dein Distriktkumpel?“ fragt er. Tja, das würde ich auch gerne mal wissen! „Das dürfte meine Sache sein“ Wir beginnen im Kreis zu laufen wie zwei Raubkatzen. Fixieren den anderen ganz genau, lassen uns keine noch so kleine Bewegung entgehen.

„Was machst du hier? Warst du nicht sonst immer in dem freien Feld auf der anderen Seite der Arena?“ „Ich hab meine Gründe“ Auf einmal muss ich grinsen, er ist genauso darauf bedacht, Informationen von mir zu bekommen und keine von sich preiszugeben wie ich. Mein Lächeln scheint ihn etwas zu verwirren und macht ihn argwöhnisch. Dann lächelt er mich auf so eine Ich-bin-total-lieb-du-kannst-mir-vertrauen-Art an. „Okay, was soll der Smalltalk? Sag mir einfach, was du vorhast, dann sag ich, was ich vorhab und wir sparen uns das drum herum-Gerede.“ Für wie blöd hält er mich eigentlich?! „Was hältst du davon, wenn du anfängst? Es muss ja nicht immer nach ‚Ladys first’ gehen“ Jetzt lächelt er nicht mehr, weil er weiß, dass ich ihn durchschaut habe. Wir tigern immer noch um den anderen herum und warten, das dieser den ersten Schritt macht.

Der Getreidejunge scheint seine Strategie zu ändern. „Dass du dich nicht schämst und hier so locker mit mir reden kannst“, wirft er mir vor, „, dass du wahrscheinlich nicht mal darüber nachgedacht hast, als du Menschen getötet hast, dass es dir gar nichts ausmacht!“ Er wird wütend und auf einmal erinnert er mich an den Jungen aus 10 mit dem lahmen Bein. Der hatte so was ähnliches gesagt.

„Ihr Tribute aus 1, 2 und 4 könnt einem echt nur leid tun.“ „Weil wir besser sind wie ihr aus den äußeren Distrikten? Das ist doch nicht zu bedauern!“ Sein dunkles Gesicht nimmt einen wütend-roten Ton an. „Du hast es immer noch nicht kapiert, was?!“ Jetzt springt er auf mich zu, hat plötzlich ein längliches, kleines Schwert in der Hand. Doch ich bin darauf vorbereitet und weiche zur Seite aus, um ihn dann mit einem Messer zu attackieren. Aber auch der Junge hat gute Reflexe und kann ausweichen. Wütend funkeln wir uns an.

„Siehst du? Auch jetzt kannst du mich angreifen ohne mit der Wimper zu zucken.“ „Du hast mich ja wohl gerade als Erster angegriffen!“ fauche ich zornig und kann mir ein Schimpfwort nur mit Mühe verkneifen. Meine Mordlust ist geweckt.

Ich schleudere ein zweites Messer und der Junge schafft es, einem tödlichen Treffer zu entgehen, aber zumindest trifft es ihn in die Brust, nur ein paar Zentimeter von seinem Herz entfernt. Er zieht das Messer aus der Brust und schmeißt es zu Boden, während sich der Stoff um seine Brust beginnt leicht rot zu färben. Lebensgefährlich habe ich ihn jedoch nicht verletzt, wenn er Verbandsmaterialien hat.

Ohne Zweifel kocht der Getreidejunge vor Wut, aber er hat sich erstaunlich gut unter Kontrolle. „Bist du jetzt zufrieden, wo du mich verletzt hast?“ Seine Stimme klingt gepresst vor Zorn. „Was hat das mit zufrieden sein zu tun? Wir sind hier in der Arena.“ Er stürzt sich auf mich und wir rangeln am Boden. Ich versuche ihn unter mich zu zwingen, aber er ist um einiges kräftiger und größer als ich. So schafft er es mich unter sich zu bekommen und dort gefangen zu halten. „Dämlicher Idiot!“ fauche ich ärgerlich und versuche mich aus seinem Griff zu winden. „Was willst du jetzt mit mir machen, wo dir das Töten so wiederstrebt?“ Das lässt ihn tatsächlich kurz zögern und ich kann meine rechte Hand aus seinem Griff befreien, sodass ich ein drittes Messer zu fassen bekomme und es ihm in die Hand bohren kann, mit der er mich unten hält. Aus Reflex lässt er los und ich kann ihn von mir runterstoßen. Trotzdem schafft er es irgendwie, mit seiner verletzten Hand sein Schwert zu bewegen und mir mein Bein leicht aufzuschlitzen. „Verdammt!“ ich halte mir meine Wade, während ich mir die Haare aus der Stirn wische. Wir funkeln uns zornentbrannt an, er hält sich die Wunde an seiner Brust, derweil versuche ich, das Blut, das aus meiner Wade strömt, zu stoppen. „Wir sehen uns noch, Distrikt 2!“ faucht er und verschwindet schneller, als ich es ihm zugetraut hätte, im Wald. Ich möchte ihm hinterher, doch mein Bein behindert mich. Also lasse ich ihn entkommen. Ich werde dich noch früh genug töten, Distrikt 11, das ist ein Versprechen!

18. Kapitel: Ruhe vor dem Sturm


Mit der Verletzung am Bein quäle ich mich noch etwa eine Stunde weiter, bis mich die Wunde, die mich behindert, die Erschöpfung und die Müdigkeit zu einer Pause zwingen. Dass ich letzte Nacht kaum geschlafen und den letzten Tag mehr oder weniger faul herumgelegen habe, macht sich nun vollkommen bemerkbar und so krieche ich einfach unter einen Busch zum Schutz. Dort rolle ich mich zusammen, schlinge die Arme um meine Beine und schlafe so zusammengekauert trotz der Kälte, die herrscht, sehr schnell ein.

Die Morgensonne, deren Strahlen durch das Geäst des Strauchs, unter dem ich genächtigt habe, scheinen, weckt mich schließlich. Schon jetzt ist es wieder kochendheiß, obwohl es gerade mal acht Uhr morgens sein muss.

Ich krieche unter dem Busch hervor und zupfe mir einige Blätter und kleinere Ästchen aus den verfilzten Haaren. Gestern Nacht hatte ich nach meiner Auseinandersetzung mit dem Jungen aus 11 in der Dunkelheit die Orientierung verloren, doch nun kann ich erkennen, dass ich mich gar nicht so weit entfernt von dem Platz befinde, an dem Cato und ich unser Lager am See aufgeschlagen hatten.

Ich schleiche vielleicht ein paar hundert Meter durch den an dieser Stelle recht dichten Wald, als ich sehe, dass sich vor mir der Wald lichtet und kann sogar schon leicht das Glitzern des blauen Sees in der Morgensonne ausmachen. Ich beschleunige unter Schmerzen meinen Schritt und komme vielleicht vierzig Meter von der Stelle entfernt heraus, an der wir gestern unser Feuer gemacht haben. Doch da sitzt wer und hat unsere Feuerstelle entzündet. Es ist Cato.

Sobald er mich sieht, springt er auf.
„Wo warst du? Ich hab doch gesagt, du sollst hier bleiben!“, fängt er sofort an und kann einen wütenden Unterton nicht ganz verbergen.
„Das Selbe könnte ich dich auch fragen. Du hast gesagt, du gehst nur schnell jagen und bleibst in der Nähe. Ich hab mir Sorgen gemacht!“, stelle ich klar und klinge ebenfalls leicht verärgert.
„Da bist du nicht die Einzige“
„Na dann sind wir uns ja einig.“, fauche ich bissig.
Ich muss sagen, dass mich Cato im Moment ziemlich aufregt. Warum wirft er mir vor, nicht auf ihn gehört zu haben, obwohl er sein Versprechen eigentlich als Erster gebrochen hat? Das ist doch ganz klar nicht meine Schuld! Wenn er das Versprechen eingehalten hätte, hätte ich auch auf ihn hören können!

Ich möchte mich wütend zu Boden setzen, um nicht zu lange auf meinem verletzten Bein stehen zu müssen, als ich es zu stark belaste und vor Schmerz leicht zusammenzucke. So sehr ich auch hoffe, dass es nicht aufgefallen ist – Cato bemerkt es natürlich sofort.
„Hey, was ist denn da passiert?“, fragt er und deutet auf mein Bein. Bevor ich eine Antwort geben kann, ist er schon bei mir und schiebt mein Hosenbein bis über die Stelle hoch, an der sich die Hose mit Blut vollgesogen hat. Er legt den Schnitt, den das Schwert des Jungens aus 11 verursacht hat, frei. Das Fleisch glänzt leicht rötlich, spannt sich um den Schnitt und brennt mittlerweile höllisch. Ich muss keine Ärztin sein, um erkennen zu können, dass es sich entzündet hat, auch wenn die Wunde vielleicht gerade mal 7 Stunden alt ist. Cato kommt ebenfalls innerhalb weniger Sekunden zu dem gleichen Ergebnis wie ich.

„Wie ist das denn passiert? Und warum hast du nichts gesagt?“
„Ich konnte es dir gar nicht sagen, weil du mich, sobald ich wieder hier war, mit Vorwürfen bombardiert hast und mich gar nicht zu Wort gekommen bin.“
„Ach so, tut mir leid. Also was ist passiert?“ Seine Entschuldigung klingt nicht ganz ehrlich, einfach dahingesagt. Doch ich gehe nicht darauf ein, sondern beginne zu erzählen, wie ich nach ihm suchen wollte, als er am Abend noch nicht aufgetaucht war und wie es schließlich zu meiner Begegnung mit dem Getreidejungen kam. Währenddessen behandelt Cato meine Verletzung mit dem wenigen, was uns zur Verfügung steht, was im Grunde kaum mehr als Wasser und Verbände sind.

Als ich an der Stelle ankomme, wie 11 mir das Bein aufgeschlitzt hat, saugt Cato scharf die Luft ein.
„Das heißt, du hast es nicht geschafft, dich gegen einen Tribut aus einem äußeren Distrikt zu wehren, ohne dich selbst zu verletzten.“, schlussfolgert er und trifft dabei so genau ins Schwarze, dass ich das starke Gefühl habe, mich rechtfertigen zu müssen.
„Es war spät, ich war müde und erschöpft“, versuche ich mich zu verteidigen, aber es klingt schwach, wie eine Ausrede, das merke ich selber. Um das Ganze etwas rauszureißen, füge ich hinzu: „Das nächste Mal ist er so was von dran!“
„Wenn du dann nicht wieder zu erschöpft bist ...“, ergänzt Cato und weicht meinem Schlag aus.
„Wenn du nicht so lange gebraucht hättest, wäre ich gar nicht auf den blöden Kerl gestoßen!“ Kurz zögere ich. „Apropos wo warst du eigentlich so ewig?“
„Ach, das hätte ich fast vergessen, weil du nicht mehr da warst: Ich habe, kurz nachdem ich losgegangen bin, ein Feuer gesehen, vielleicht 5 Kilometer weg von hier ...“
Ich unterbreche ihn erzürnt: „Und da bist du nicht auf die Idee gekommen, mir vielleicht auch mal bescheid zu geben?“ Ich bin so wütend auf ihn wie noch nie. Doch noch mehr fühle ich mich übergangen und in einer gewissen Weise verletzt es mich auch, dass er mir nicht vertraut.
„Deswegen bin ich wieder hier“
„Nach über einem Tag!“
„Okay, es tut mir leid, Clove.“ Jetzt klingt die Entschuldigung zumindest ernst gemeint. „Aber was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass ich die beiden aus 12 gefunden habe“
Mein Ärger verraucht augenblicklich und ich bin beeindruckt.
„Du hast was? Und warum stehen wir dann noch hier rum und quatschen?!“
Ich springe auf und sofort protestiert mein Bein. Während ich den Jungen aus 11 lautstark verwünsche, setzt sich Cato in Bewegung und ich kann nicht anders, als fluchend hinter ihm herzustolpern.

Es ist Nachmittag, als Cato die Hand hebt und mir bedeutet still zu sein. Wir befinden uns im Schatten der Bäume, während in einer kleinen Senke, um die sich der Wald etwas lichtet, der Bach vorbeiplätschert. Das Wasser ist glasklar, sodass ich bis auf den Grund sehen und die Fische beobachten kann, die zwischen den verschiedenfarbigen Steinen entlang schwimmen. Die Vögel singen und dafür, dass mein Bein schmerzt, bin ich ziemlich entspannt.
„Ich glaube, es war hier in der Nähe ...“, flüstert er.
Die Entspannung verraucht sofort.
„Was heißt ‚du glaubst, es war hier in der Nähe’?! Ich rackere mich den ganzen Tag ab, mein Fuß schmerzt wie blöde und du ...“
„Pssst. Halt mal die Luft an, Clove. Wenn die uns hören, geht das auf dein Konto“
„Pah, als würde ich die nicht im Schlaf fertig machen können!“
„Der Typ aus 11 hat dich auch verletzt!“
Ich funkele ihn strafend an.
„Wie oft willst du das Thema jetzt eigentlich noch aufwärmen?“
Mittlerweile hat auch Cato die Stimme erhoben: „Ich finde nur, du hättest vorsichtiger sein sollen!“
„Dann hättest du nicht abhauen sollen!“
„Ich bin doch nicht abgehauen!“
„Natürlich bist du abgehauen!“
Wir sehen uns ärgerlich an.
„Müssen wir schon wieder streiten?“, fragt Cato nach einer kurzen Pause.
„Wenn du immer wieder anfängst ...“
Cato stößt stöhnend Luft aus: „Warum bist du eigentlich so gereizt? Die ganze Zeit über schon, seit wir uns wieder getroffen haben“
„Ich bin doch nicht gereizt!“
Cato schüttelt nur den Kopf und wendet sich mit einem amüsierten Grinsen ab.
„Du bist richtig blöd! Weißt du das eigentlich?“ Seine Mundwinkel zucken, als müsste er ein Lachen unterdrücken. „Idiot“, murmele ich nur. Sein Grinsen wird noch eine Spur breiter.

Dann ist es kurze Zeit still, bis ich schließlich frage: „Was machen wir jetzt eigentlich hier? Bleiben und warten, oder was?“
„Hm, ich würde vorschlagen, wir gehen den Bach ein Stück aufwärts und sehen uns da mal um“, schlägt er vor und wir setzten uns wieder in Bewegung, während wir dem Bachlauf folgen.
Ich lasse mir nichts anmerken, aber jeder Schritt wird quälender. Ich kann nicht sagen, ob ich unser schnelles Tempo noch lange durchhalte, aber um um eine Pause zu bitten, bin ich zu stolz. Also beiße ich wohl oder übel die Zähne zusammen, versuche an etwas anderes zu denken, was mir nicht besonders gut gelingt, und setze einen Fuß vor den anderen.
Es muss schon gegen drei Uhr sein, Clove. Das hältst du durch, du bist doch kein Waschlappen!, sage ich mir immer wieder und versuche, es zu beherzigen.

Ohne Vorwarnung bleibt Cato stehen, sodass ich fast in ihn reinlaufe.
„Was ist denn jetzt los?“, zische ich sofort, dann tut mir der Ton schon wieder leid. Cato hat recht, ich bin heute wirklich leicht reizbar.
Er geht nicht auf meinen scharfen Ton ein: „Was hältst du davon, heute Nacht hier zu bleiben?“ Er wird bemerkt haben, wie qualvoll das Laufen für mich ist. Aber ich will keine Schwäche zeigen.
„Ich bin dafür, dass wir weitergehen, bis wir das Versteck der beiden aus 12 gefunden haben“
Ich habe den Eindruck, dass Cato mittlerweile genervt von mir ist, aber er verbirgt es relativ gut.
„Der Tag war lang und wenn wir Morgen gut ausgeruht sind, finden wir sie bestimmt leichter“
Ich beschließe, nicht länger stur zu bleiben, dafür schmerzt mein Fuß zu sehr.
„Na gut, okay“, stimme ich schließlich zu.
Cato sieht überrascht aus, dass ich nachgebe, sagt aber nichts dazu.

Unter einem dicken Baum, der ganz nahe am Bach wächst und zu beiden Seiten von Gebüsch geschützt ist, breiten wir unseren Schlafsack aus, doch es ist noch viel zu warm, um reinzukrabbeln.
Mein Bein brennt nun wie Feuer und ich überlege gerade, ob ich es im Bach kühlen soll, als Cato fragt, wie es meiner Wunde geht.
„Es tut jetzt ein wenig weh ...“ Meine Antwort ist die Untertreibung des Jahrhunderts, aber Cato nimmt sie mir ohnehin nicht ab. Er schiebt mein Hosenbein hoch und da ich weiß, dass Widerstand zwecklos ist, versuche ich erst gar nicht, mich zu wehren.

Vorsichtig wickelt Cato die Binde um mein mittlerweile stark angeschwollenes Bein ab. Immerhin verschafft die Luft dezente Kühlung, doch ich habe trotzdem das Gefühl, mein Bein stünde in Flammen.
Umso schöner ist es, als Cato die Wunde mit dem wunderbar kühlen Wasser aus dem Bach säubert. Mit dem saubersten Tuch, das wir haben, streicht er über die Wunde, bis sie so frei von Dreck ist wie möglich.

Während Cato den alten Verband im Bach auswäscht, um ihn erneut verwenden zu können, ruht mein Bein auf seiner Jacke, um nicht erneut dreckig zu werden. Die Wunde fühlt sich nun etwas besser an, doch der stechende Schmerz hält nach wie vor an. Um mich abzulenken, konzentriere ich mich auf das Atmen, ruhig durch die Nase ein und den Mund aus.

Cato kommt vom Bach zurück und grinst. „Du hast aber auch ein Glück“, murmelt er.
„Wieso das denn?“ Ich kann mir seine Worte nicht erklären. Ich bin verletzt, habe Schmerzen und seit Tagen niemanden getötet.
„Weil dir Lyme und Brutus was geschickt haben“, erklärt er und reicht mir eine kleine Dose. Neugierig geworden schraube ich sie auf. Es ist eine Salbe, wahrscheinlich für mein Bein. Sie muss Unsummen gekostet haben, auch wenn sie gerade mal für zweimal auftragen reichen muss, wenn überhaupt.
Ich tunke die Fingerspitze meines Zeigefingers in die Salbe und tupfe sie probeweise auf die Wunde. Der Schmerz verschwindet in dem kleinen Bereich fast augenblicklich.
Begeistert benetze ich nun vier Finger meiner rechten Hand und verreibe die dickflüssige Mixtur auf dem gesamten Schnitt. Das Gefühl danach ist einfach traumhaft.

Während ich den gereinigten Verband um mein Bein wickele, erschallen erneute Fanfaren. Wieder eine Regeländerung?, schießt es mir durch den Kopf, doch ich verwerfe die Idee im nächsten Moment schon wieder. Das war eine einmalige Sache. Die Spielmacher würden sich komplett lächerlich vor dem Volk machen, wenn die Regeln nun ständig angepasst würden.
Templesmith redet erst kurz darüber, dass wir wirklich stolz auf uns sein können, es so weit geschafft zu haben und bringt dann schließlich vor, worauf er eigentlich hinaus will: die Einladung zu einem Fest. Hat wahrscheinlich zu wenig Tote in den letzten Tagen gegeben. Na, da kann ich ihm nur zustimmen. Doch die Ansage geht noch weiter:
„Moment noch. Ein paar von euch wollen meine Einladung vielleicht nicht annehmen.“
Zu denen gehöre ich auf alle Fälle nicht. Es ist viel zu wenig Blut geflossen in den letzten Tagen und ich kann es kaum abwarten auf Distrikt 12 oder den Getreidejungen zu treffen.
„Aber dies ist kein gewöhnliches Fest.“
Jetzt werde ich hellhörig. Was könnten sie geändert haben?
„Jeder von euch benötigt etwas ganz Bestimmtes besonders dringend. Dieses Etwas könnt ihr bei Sonnenaufgang am Füllhorn finden, in Rucksäcken, die jeweils mit der Nummer eures Distrikts gekennzeichnet sind.“
Jetzt, wo meine Wunde verarztet ist, könnten wir etwas zu Essen gebrauchen. Wir schlagen praktisch zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir haben die einmalige Chance, die anderen alle auf einem Fleck zu erwischen und bekommen als Belohnung noch etwas, was wir wirklich brauchen können! Besser kann es doch gar nicht laufen!
Die Ansprache endet mit den Worten „Denkt gut darüber nach, ob ihr euch weigern wollt, zu erscheinen. Für einige von euch ist das die letzte Chance“ Es knackt leicht im Lautsprecher, dann ist es für einen Moment still.

„Dann auf zum Füllhorn?“, frage ich grinsend.
„Auf zum Füllhorn“, bestätigt Cato.
Und so packen wir unser Zeug zusammen.

19. Kapitel: Tödliches Ende


Wir huschen beide, ohne auch nur ein Wort zu sagen, durch den Wald. Obwohl wir uns zügig in Richtung Füllhorn bewegen und ich den Reißverschluss meiner Jacke bis zum Kragen zugezogen habe, habe ich das Gefühl, als würde ich im Januar nur mit T-Shirt bekleidet draußen herumlaufen. Bereits als die Sonne noch hoch am Himmel stand, fielen die Temperaturen plötzlich und nun haben wir sicherlich Minusgrade. Das einzig Positive an dieser Situation ist, dass ich die Wunde an meinem Bein dank der Salbe aus dem Sponsorengeschenk nicht mehr so arg spüre.

Während wir durch den Wald laufen, beobachte ich der Himmel, der manchmal durch die Baumkronen zu sehen ist. Er ändert durch den Sonnenuntergang seine Farbe, das Hellblau wird zu einem hellen, fast gelben Orange, das sich langsam immer weiter verdunkelt, bis aus dem Rubinrot schließlich allmählich ein dunkles Violett wird.

Gerade als ein kräftiges Dunkelblau das Violett fast vertrieben hat, kommen wir an den Rand der Ebene, auf der sich das Füllhorn befindet und suchen zwischen einer Buschansammlung Schutz. Man kann uns weder von hinten noch von vorne oder den Seiten sehen, doch wir haben einen guten Überblick über die Ebene und den Wald hinter uns. Cato breitet den Schlafsack aus, in dem wir uns zu zweit aneinander schmiegen. Ich erkläre mich bereit, die erste Wache zu übernehmen.

Während ich so im schwachen Licht daliege, beobachte ich Cato beim Schlafen. Er sieht so viel jünger aus, das Gesicht entspannt, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Ein Junge von 15, vielleicht 16 Jahren. Ich merke, wie sich meine Mundwinkel ebenfalls leicht nach oben ziehen, dass ich glücklich bin, wenn er es ist, und fühle mich an den Tag zurückerinnert, an dem wir uns kennen gelernt haben.

Nachdem mir der Junge, Cato, von der Bank aufgeholfen hatte, entlastete er mich etwas, indem er meine Messer, die über den Boden verstreut lagen, mit aufhob - sorgsam verstaute ich sie – und spannte einen Schirm auf, unter den er mich zog. Jetzt im Trockenen wurde mir erst richtig bewusst, wie kalt mir eigentlich war. Es war keine gute Idee gewesen, so ganz ohne Jacke loszugehen. Aber ich wollte mir nicht ansehen lassen, dass ich bis auf die Knochen durchnässt war, also verschränkte ich die Arme vor der Brust, um das Zittern zu kontrollieren. Natürlich bemerkte Cato trotzdem, wie es mir ging.
„Hier, halt mal.“
Er drückte mir den Schirm in die Hand, zog seine Jacke aus und hielt sie mir hin.
„Das muss doch nicht sein, mir geht ´s gut!“, protestierte ich mit Nachdruck.
„Jetzt nimm sie schon, ich sehe doch, dass dir total kalt ist. Ich hab auch noch was drunter, falls es dir darum geht.“
Seine seltsame Freundlichkeit verunsicherte mich, aber dann griff ich doch nach der Jacke.
„Dankeschön.“, murmelte ich und zog mir das Kleidungsstück über.
„Keine Ursache.“
So etwas wie ein Lächeln huschte über sein Gesicht und ich konnte nicht anders und musste zurücklächeln.
Wir liefen weiter durch den Regen. Die ganze Situation fühlte sich so unwirklich und seltsam an. Keiner sagte etwas. Das Schweigen war mir unangenehm, aber stören wollte ich es auch nicht.
„Soll ich dich vielleicht nach Hause bringen?“, fragte Cato - möglicherweise nur, um überhaupt etwas zu sagen.
Ich nannte ihm meine Adresse und es stellte sich heraus, dass er ganz in der Nähe wohnte. Zwar ein paar Straßen weiter, aber immer noch im gleichen Viertel. Wir schlugen also die Richtung zu meinem Haus ein und es wurde schon wieder still.
„Wie kommt es eigentlich, dass du mit jemand Langweiligem wie mir befreundet sein möchtest?“, brach ich nach etwa einer Minute die Stille, da bisher er den größten Teil der Konversation übernommen hatte, aber auch, weil mich die Antwort tatsächlich interessierte.
Kurz zögerte Cato, wählte seine Worte sorgfältig, dann antwortete er: „Ich denke nicht, dass du langweilig bist. Im Training habe ich dich zum Beispiel beobachtet. Du hast wirklich Talent.“
So etwas hatte noch nie jemand zu mir gesagt, dass ich talentiert wäre. Es hieß immer, ich würde es falsch machen. Das behaupteten die, die schon länger als ich trainierten. Und die, die mit mir, beziehungsweise nach mir angefangen hatten, sagten gar nichts.
Zum ersten Mal seit Jahren freute ich mich.
Aber Cato war noch nicht fertig: „Oder in der Schule, wenn du irgendwo allein gestanden hast …“
Ich stutze bei diesem Kommentar und ein bestimmter Verdacht beschlich mich: „Wenn du das hier aus Mitleid machst, vielen Dank, ich brauche kein Mitleid.“ Sobald ich die Worte ausgesprochen hatte, taten sie mir leid. Er war der erste Mensch, der sich mir auf 10 Meter nährte und mir nicht feindselig begegnete.
„So war das jetzt nicht gemeint. Entschuldige. Ich möchte wirklich mit dir befreundet sein und nicht aus Mitleid.“
Ob das, was er sagte, stimmte, konnte ich nicht sagen. Es klang ehrlich, aber woher wusste der Typ eigentlich, dass er mit mir befreundet sein wollte? Er kannte mich doch gar nicht!
„Tut mir leid, falls ich dich verärgert haben sollte, Clove.“
Irgendwie überraschte es mich, dass er meinen Namen behalten hatte und es freute mich zugleich.
„Nein, mir tut es leid. Dass ich so reagiert habe …“, versuchte ich meine Entschuldigung auszudrücken.
Irgendetwas hatte der Junge an sich, das mich schwach werden ließ. Ich hätte bestimmt vor niemand anderem zugegeben, dass mir etwas leid tat. Möglich, dass es daran lag, dass ich mich bei ihm auf irgendeine Art sicher und geborgen fühlte, wie ich es zuvor noch nie bei irgendwem getan hatte.
„Mach dir keine Gedanken.“, nahm er meine Entschuldigung an.
„Oh, wir sind ja schon da!“, rief ich aus. Wir standen vor dem weißen Gartenzaun, der den Garten und unser Haus umrahmte.
„Na, dann Danke für die Jacke und das Herbringen.“
Ich machte schon Anstalten sie auszuziehen, doch Cato hielt mich zurück. „Bring mir die Jacke einfach morgen in die Schule mit. Wenn du jetzt durch den Regen gehst, wirst du ja wieder ganz nass.“
Irgendwie klang das ein bisschen so, als suchte er einfach einen Grund, warum ich die Jacke behalten sollte, aber ich fragte nicht nach und beließ sie an.
Ich öffnete das Gartentor und lief den kleinen Weg zu unserer Haustür.
„Bring sie mir morgen in die Schule mit.“ Bedeutete der Satz nicht eigentlich, dass er mich wiedersehen wollte? Aus irgendeinem Grund freute mich das. Tief in Gedanken versunken schloss ich die Tür auf.


Wenn ich jetzt so über die Geschehnisse von vor fünf Jahren nachdenke, wird mir klar, dass ich, bevor ich Cato traf, ziemlich verschlossen war und dass es zum großen Teil wahrscheinlich meine eigene Schuld gewesen war, dass niemand etwas mit mir zu tun haben wollte. Durch Cato hatte ich keine so negative Einstellung gegenüber dem Leben mehr, wie es vorher der Fall gewesen war. Meistens war ich sogar richtig glücklich. Er hat mich von den Gedanken an meinen betrunkenen Vater zuhause abgelenkt und hat mir gezeigt, wie toll es sein kann, Freunde zu haben. Mir wird klar, wie viel ich ihm eigentlich zu verdanken habe, auch wenn wir uns heute schon wieder gestritten haben. Ich bin so froh, dass er jetzt neben mir liegt, mich im Arm hält und - obwohl er schläft - so fest an sich drückt, dass es gerade nicht weh tut.
Ich beuge mich zu seinem Gesicht hoch, um ihn zu küssen. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, drücke ich meine Lippen kurz auf seine. Ich muss leicht lächeln. Dem Verlangen, ihn ein zweites Mal zu küssen, halte ich nicht lange stand und drücke meinen Mund abermals kurz auf seinen. Und noch ein drittes Mal, als er aufwacht.
„Oh, entschuldige, ich wollte dich nicht wecken. Tut mir leid ...“ Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden und ich hoffe, dass Cato es durch die Dunkelheit nicht sehen kann.
Ohne ein Wort zieht er mein Gesicht wieder zu sich und presst seine Lippen fest auf meine. Ich verschränke meine Arme in seinem Nacken und erwidere seinen Kuss. Ein warmer Schauder läuft meinen Nacken hinab und ich genieße den kurzen Augenblick der Zärtlichkeit. Kurz schnappe ich nach Luft und versuche wieder zu Luft zu kommen.

Als wir uns einige Minuten später voneinander lösen, geht mein Atem stockend und ich keuche leicht. Ich sehe ein selbstgefälliges Lächeln über Catos Gesicht huschen, beachte es aber nicht. Er soll sich ja nichts darauf einbilden!

Meine Augenlider werden mit jeder Sekunde schwerer und mir wird erst jetzt bewusst, wie müde ich eigentlich bin. Auch Cato fällt es auf und er besteht darauf, den Rest meiner Nachtwache gleich mit zu übernehmen. Ich möchte mich wehren, doch er meint, dass es sowieso keinen Sinn machen würde, noch mal einzuschlafen. Ich seufze, bin aber zu erschöpft und schläfrig, um weiter zu protestieren. Und so schlingt er den Arm um mich und ich schlafe schnell ein.

Ein Rütteln an der Schulter weckt mich am nächsten Morgen. Obwohl ich länger als sonst geschlafen habe, fühle ich mich nicht sonderlich ausgeruht.
„Na, schön geträumt?“, fragt Cato. „Du sahst glücklich aus.“
„W-was?“ Ich bin noch etwas benommen. „Ja, ich hab schön geträumt ...“
Das ist das Einzige, was ich noch weiß. Dass ich glücklich war, sonst kann ich mich nicht mehr an den Traum erinnern und aus irgendeinem komischen Grund, den ich mir selbst nicht so ganz erklären kann, habe ich das Gefühl, dass ich das sollte.
Ich reibe mir die Augen, um wach zu werden. Der Himmel ist noch auberginenfarben, doch über dem Füllhorn lässt sich bereits eine leichte Rotfärbung erahnen. Es wird bald hell werden.
„Noch etwa eine halbe Stunde bis zum Sonnenaufgang“, sagt Cato in die Stille hinein. „Ich dachte, du möchtest den richtigen Augenblick nicht verpassen.“
Ich nicke nur als Antwort und unterdrücke ein Gähnen.

„Wie wollen wir das eigentlich machen? Sobald diese Rucksäcke stehen, von denen Templesmith gesprochen hat, werden die anderen wahrscheinlich möglichst schnell zum Füllhorn rennen, um sie sich zu holen. Wir haben dazu mehr Zeit, aber würden wir nicht mehr Gegner auf einmal ausschalten können, wenn wir uns trennen?“, frage ich nach ein paar Minuten Stille, in denen ich aus dem Schlafsack krabbele und mir die Haare mit den Fingern etwas glätte.
Ich erkenne im dämmrigen Licht, wie Cato über den Vorschlag nachdenkt. „Meinst du, das ist eine gute Idee?“, fragt er nach kurzem Zögern.
„Ich dachte nur, dass wir so bessere Chancen haben, möglichst viele Tribute auf einmal zu töten. Desto schneller können wir nach Hause ... zusammen.“
Cato überlegt kurz. Ich merke, dass der Vorschlag ihn nicht sonderlich begeistert und bin etwas überrascht über seine Antwort.
„Okay, aber mir ist nicht ganz wohl dabei, dich alleine zu lassen“
„Meist du, ich komme nicht ohne dich als Babysitter zurecht? Das Thema hatten wir doch schon!“
„Ja, aber zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine Regeländerung“
„Deswegen brauche ich trotzdem niemanden, der auf mich aufpasst! Ich bin doch keine zwölf mehr!“
„Clove, ich möchte mich nicht schon wieder mit dir streiten“
„Dann fang nicht immer an, mich wie ein kleines Kind zu behandeln!“
Cato seufzt. „Ich such mir dann mal einen Platz auf der anderen Seite der Ebene.“
„Ja, mach das mal.“, fauche ich leicht beleidigt.

Und dann geht er.
Mich ärgert immer noch, wie er mich schon wieder beschützen möchte. Einem anderen Mädchen würde es vielleicht schmeicheln, aber mich regt eigentlich nur auf, dass er meint, ich müsste beschützt werden. Ich kann auf mich selbst aufpassen! Ich habe es immerhin unter die letzten sechs geschafft! Warum sieht er das nicht einfach ein?

Der Himmel ist nun blutrot. Die ersten Sonnenstrahlen werden in wenigen Sekunden zu sehen sein. Ich überprüfe ein letztes Mal meine Messer, stelle befriedigt fest, dass alle an ihrem Platz sind und dass das Messer, das ich für Distrikt 12 verwenden werde, auch sofort greifbar ist.

Dann schiebt sich der erste Sonnenstrahl über das Füllhorn, das golden aufleuchtet, und zeitgleich wird vor der Öffnung des Füllhorns ein Tisch mit vier Rucksäcken wie die Metallscheiben am Anfang der Spiele in die Arena hochgefahren.

Jemand springt aus der Öffnung des Füllhorns. Es ist der Rotschopf aus 5, der mir an dem Tag, an dem Marvel und das kleine Mädchen aus 11 gestorben sind, entwischt ist. Obwohl ich es gerne machen würde, folge ich ihr nicht. Sonst entwischt mir Distrikt 12 noch und ich lasse mir kein weiteres Mal die Chance entgehen, sie zu töten!

In diesem Moment rennt sie vielleicht fünfzig Meter von mir entfernt los. Sie umklammert Glimmers ehemaligen Bogen und hat einen Pfeil in die gespannte Sehne eingelegt. Ich kann mich nicht erinnern, sie jemals schießen gesehen zu haben. Ich sollte auf alle Fälle vorsichtig sein, bis ich mir ein Bild von ihrem Können gemacht habe.
Ich verlasse meine Deckung ebenfalls und schleudere ein Messer nach ihr. Sie blockt es mit dem Bogen ab, spannt diesen dann in meine Richtung und lässt die Sehne los. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte - vielleicht so was wie bei dem Mädchen aus 7, damals im Trainingscenter – aber auf alle Fälle nichts dergleichen und kann gerade noch so weit zur Seite ausweichen, dass mich ihr Pfeil nicht ins Herz, sondern in meinen Oberarm trifft. Ich halte kurz inne, um den Pfeil aus dem Arm zu ziehen und glücklicherweise festzustellen, dass die Wunde nicht ganz so schlimm ist, wie ich im ersten Moment befürchtet habe. Währenddessen trifft mich die Erkenntnis wie der Schlag. Darum hatte sie ihre 11 in der Trainingsbewertung! Es waren ihre Schießkünste!


Mein Hass auf sie ist erneut geschürt, ich stürme wieder los und zücke ein zweites Messer. Distrikt 12 hat derweil den Tisch erreicht, schnappt sich ihren Rucksack, dreht sich um. Das ist meine Chance!

, denke ich und werfe das Messer nach ihr, das sie in die Stirn trifft und taumeln lässt.
Sie versucht, mich erneut abzuschießen, doch der Pfeil geht weit daneben. Dann stürze ich mich auf sie, die mittlerweile am Boden liegt und nagele sie dort fest, indem ich mich auf ihre Schultern knie. Den Schmerz in meinem Oberarm ignoriere ich, doch ich spüre, wie sich meine Bluse langsam mit Blut voll saugt. Ich hab dich, Distrikt 12, jetzt gibt es kein Entkommen mehr. Freu dich schon mal auf einen langen, qualvollen Tod!
Ein siegessicheres Lächeln kann ich nicht länger verbergen.
„Na, wo ist dein Freund, Distrikt 12? Hält er noch durch?“ Mein Grinsen wird noch eine Spur breiter und schadenfroher.
„Er ist wieder auf den Beinen.“, antwortet sie. „Und jagt Cato“ Dann schreit sie: „Peeta!“
Bevor sie weitere Aufmerksamkeit auf sich zieht, schlage ich ihr mit geballter Faust gegen den Kehlkopf. Augenblicklich hält sie die Klappe, ein netter , sehr brauchbarer Trick, den ich irgendwann mal im Training gelernt habe.
Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass Loverboy tatsächlich wieder fit ist. Trotzdem blicke ich mich kurz um. Sicher ist sicher. Ich habe Distrikt 12 so fest im Griff, sie wird ohnehin nicht fliehen können.
Doch es gibt nirgendwo ein Anzeichen dafür, dass sie die Wahrheit sagen könnte und ihr Freund tatsächlich auftaucht, um sie zu retten.
„Lügnerin“, stelle ich grinsend fest und an Distrikt 12s Gesicht kann ich ablesen, dass ich Recht habe.
„Er ist so gut wie tot“, fahre ich fort, „Cato weiß, wo er ihn getroffen hat.“ Ich erinnere mich an die Nacht mit den Jägerwespen, als wir ihren Baum bewacht haben. Sie hatte sich oben mit ihrem Gürtel abgesichert. So komme ich auf die Idee, wie ich weitermache: „Wahrscheinlich hast du ihn in irgendeinem Baum festgeschnallt und versuchst, ihn am Leben zu halten“ Mein Blick fällt auf ihren Rucksack. Orange, und lächerlich klein, wahrscheinlich mit irgendwas für Loverboys Verletzungen. „Was ist denn in dem niedlichen kleinen Rucksack da? Das Medikament für Loverboy? Schade, dass er es nie bekommen wird.“

Ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen, ihr eine genauere Vorstellung davon zu verschaffen, wie sie enden wird. Ich öffne meine Jacke und streife über die Messer, die sich im Laufe der Spiele angesammelt haben. Ich habe extra nur die besten dabei und auch wenn ich schon genau weiß, welches Messer ich verwenden werde, möchte ich, dass sie und auch die Zuschauer rätseln, welches ihr Leben beenden wird. Ich habe Cato schließlich versprochen, dass ich Panem ein Schauspiel bieten werde, an das man sich noch lange erinnern wird.
Schließlich ziehe ich das Messer aus dem Sponsorengeschenk. Die Klinge, die ich so sorgfältig gereinigt und nie benutzt habe, blitzt in der Morgensonne auf. Ich drehe das Messer in der Hand – sie soll es ruhig von allen Seiten betrachten, bevor ich sie damit umbringe.
„Ich habe Cato versprochen, ich würde den Zuschauern eine gute Show bieten, wenn er dich mir überlässt.“ Sie soll wissen, was ihr blüht. Mein schadenfrohes Lächeln wird - ich kann kaum glauben, dass das überhaupt möglich ist - noch breiter. Wie lange habe ich mich darauf gefreut, diesen Triumph auszukosten?

Jetzt wehrt sich Distrikt 12, doch sie kann ja nicht wissen, dass sie nicht frei kommen wird. Das haben schon Stärkere versucht und nicht geschafft.
„Vergiss es, Distrikt 12. Wir werden dich töten.“ Mir fällt wieder ein, dass sie bei dem Mädchen aus 11 war, als sie starb. Die Marvel getötet hatte. „Genau wie deine mickrige, kleine Verbündete ... Wie hieß sie noch?“, ihr Name fällt mir genau in dem Moment wieder ein. „Rue? Nun, erst Rue, dann du. Und was Loverboy angeht, den überlassen wir einfach der Natur. Na, wie klingt das?“
Ich denke, der Worte sind genug gewechselt, wobei, viel hat sie ja noch nicht von sich gegeben. Auf alle Fälle möchte ich jetzt endlich mal zur Sache kommen. „Hm, wo sollen wir anfangen?“

Die Wunde an ihrer Stirn blutet so stark, dass das Blut langsam aber sicher ihr ganzes Gesicht verdeckt. Doch ich möchte ihren Schmerz sehen können, wenn ich sie töte. Grob wische ich über die Wunde. Schon viel besser. Ich habe mir so oft ausgemalt, wie ich sie töten werde. Aber ich möchte die Zuschauer vor dem Fernseher auch anregen, darüber nachzudenken, was als nächstes passiert.
Wenn ich mir vorgestellt habe, wie ich Distrikt 12 töte, habe ich immer ihr Gesicht als erstes aufgeschlitzt. Also bewege ich es ein bisschen hin und her. Wo soll ich anfangen? Das ist wichtig, damit sie nicht schon verblutet ist, bevor ich meinen Triumph richtig auskosten konnte. Mein Blick fällt auf ihre Lippen. Was sie und Loverboy in den letzten Tagen wohl so alles getrieben haben? Die Vorstellung erheitert mich ein wenig. Auf alle Fälle wären die Lippen ein guter Ansatzpunkt.

In dem Moment versucht sie mir in die Hand zu beißen. Ich bin kurz davor, sie wie einen Hund zu schlagen, aber ich beherrsche mich und lasse mir den Moment der Rache dadurch nicht kaputt machen. Ich packe ihren Schopf und drücke sie zurück auf den Boden, wo sie hingehört.
„Ich denke ...“, ich tue so, als müsste ich noch kurz überlegen, „Ich denke, wir fangen mit deinem Mund an.“ Um ihr zu demonstrieren, wie es sich möglicherweise anfühlen wird, so zu sagen als kleinen Vorgeschmack, fahre ich mit der Messerspitze ihre Lippen nach. Sie fixiert mich mit ihren Augen und starrt mich kochend vor Wut an. Na, gefällt dir, was dir blüht?
So, als sei ich mir jetzt erst sicher, was ich tun werde, sage ich: „Ja, ich denke, du hast für diese Lippen keine Verwendung mehr. Möchtest du Loverboy noch einen letzten Kuss zuwerfen?“ In diesem Moment trifft es mich mitten im Gesicht. Warm, klebrig, ekelhaft. Ihr mit Blut vermengter Speichel. Angewidert wische ich ihn weg. Jetzt hat sie eine Grenze überschritten. Die Wut, die ich bis dahin erfolgreich zurückgehalten habe, kocht über und ich bringe es nicht über mich, ihren Tod noch länger aufzuschieben. „Wie du willst“, meine Stimme klingt gepresst vor Wut, „Fangen wir an.“
Ich nehme mein Messer und beginne dann damit, so langsam, wie es mir in meinem Zorn möglich ist, in ihre Lippe zu schneiden. Sie soll Qualen leiden, bevor sie stirbt. Sie hat es mehr als nur verdient. Es läuft gerade der erste Tropfen Blut aus ihrem Mundwinkel, als mich jemand oder etwas von ihr herunter reißt. Ich schreie auf, bevor ich es stoppen kann und mein Herz schlägt dreimal so schnell wie vorher. Dann werde ich zu Boden geworfen.

Ich blicke hoch und direkt in die zornigen Augen des Getreidejungen. Verdammt, er wird sich für seine Verletzung neulich rächen wollen. Was soll ich jetzt machen? Ich kann nicht mehr klar denken.

„Was hast du mit der Kleinen gemacht? Hast du sie umgebracht?“ Er wird die Kleine aus 11 meinen. Seine Distriktpartnerin. Aber wieso denkt er, dass ich das war? Ich versuche, mich irgendwie in Sicherheit zu bringen, doch ich bin wie benebelt. Ich krabbele rückwärts und weiß, dass ich ihn irgendwie davon überzeugen muss, dass nicht ich, sondern Marvel sie getötet hat.
„Nein! Nein, das war ich nicht!“ Er muss mir glauben! Er muss einfach! Wie kann ich ihm meine Unschuld beweisen?
„Du hast ihren Namen genannt, ich hab es gehört. Hast du sie umgebracht?“ Aus irgendeinem Grund, einem Gedanken, einer Erinnerung, warum auch immer, wird er noch wütender, als er es ohnehin schon ist. „Hast du sie auch so aufgeschnitten, wie du es bei dem Mädchen hier machen wolltest?“ Er verdächtigt mich völlig zu Unrecht! Wie mach ich ihm klar, dass ich es nicht war? Ich muss ihn überzeugen! Ich brauche eine Idee, verdammt!
Ich spüre, wie die Angst und die Panik mich lähmen. Es sind ganz neue Gefühle, die ich nicht kenne und die mich zusätzlich einschüchtern.
Ich versuche es nochmals, mich rauszureden, doch meine Stimme zittert: „Nein! Nein! Ich ...“ In diesem Moment hat er plötzlich einen Stein in der Hand und es fällt mir nicht schwer, mir auszumalen, was er damit vorhat. Die Panik ergreift nun vollkommen von mir Besitz und ich kenne nur noch einen Ausweg aus der misslichen Situation: „Cato! Cato!“ Er muss mich retten! Warum ist er eigentlich nie da, wenn der Getreidejunge mich bedroht?

„Clove!“ Ich kann seine Stimme hören, doch er ist viel zu weit weg. Warum bin ich eigentlich auf die bescheuerte Idee gekommen, dass wir uns trennen sollten? Verdammt! Und hatte ich ihn nicht selbst zu dem Versprechen gezwungen, dass er mich nicht mehr beschützen sollte? Meine Gedanken überschlagen sich völlig und so werde ich kurz unaufmerksam.
Im nächsten Moment spüre ich, wie der Getreidejunge den Stein mit voller Wucht gegen meine Schläfe schlägt.

Und meine Sicht zersplittert, so dass ich nur noch ein seltsames Gewirr aus grün, schwarz und rot sehe. Der Schmerz schießt erst einige Sekunde verzögert durch meinen Kopf, ist aber noch intensiver, kräftiger und vor allen qualvoller, als wie ich erwartet hatte. Ich habe das Gefühl, mein Schädel würde von innen heraus explodieren. Am liebsten würde ich vor Schmerzen aufschreien, doch ich kann mich nicht bewegen, ich bin wie gelähmt.

Ich nehme in den Ohren nur noch ein seltsames Rauschen war, kann nicht mehr richtig hören, nichts verstehen, was gesagt wird. Durch meine wirren Gedanken dringen nur noch einzelne Wortfetzen, die aber keinen Sinn zu ergeben scheinen und auf die ich mir keinen Reim machen kann. Es ist, als würde eine fremde Sprache gesprochen werden.

Ich spüre, dass mir der durchdringende Schmerz die Tränen in die Augen treibt, wie ich vor Schmerz leicht aufstöhne. Ich bin zu keinem klaren, richtigen Gedanken mehr fähig, während der Schmerz in meinem Kopf anhält, nicht mehr weggeht, sich nicht vertreiben oder abschütteln lässt.

Jegliches Zeitgefühl kommt mir abhanden und ich weiß nicht, ob es Sekunden, Minuten, oder vielleicht auch schon Tage oder Wochen sind, die ich hier liege und ums Überleben kämpfe.

Eine neue Schmerzenswelle geht durch meinen Kopf, als der Boden unter mir leicht vibriert und ich wimmere auf, kann nichts dagegen machen. Ich fühle mich schutzlos wie noch nie zuvor. Man hat mir die Orientierung genommen, ich kann praktisch nichts mehr wahrnehmen, außer dem pochenden, stechenden, quälenden Schmerz in meinem Kopf. Als würden tausend Hämmer immer wieder gegen meine Schläfe schlagen, alle auf einmal, bis ich mir schließlich wünsche, dass es einfach aufhört, egal wie, aber ich möchte diesen Schmerz nicht mehr fühlen.
Mit einem mal wird mir klar, dass es zuende mit mir geht, dass ich sterben werde. Wenn dafür der Schmerz aufhört? Verdammt! Ich muss mich am Riemen reißen! Seit wann gebe ich so schnell auf?
Dann wird für einen kurzen Moment alles schwarz und wenige Sekunden später sehe ich einige Augenblicke aus meinem Leben noch mal an mir vorbeiziehen. Ich hätte nie gedacht, dass diese These stimmt.
Ich sehe Pelly, die an dem großen Bergsee in Distrikt 2 steht und einen bissigen Kommentar über die Ente macht, die ihr ihr Brot aus der Hand gerissen und gegessen hat, während Lou, Len, Cato, seine kleine Schwester Ruth, sein kleiner Bruder Kleron und ich uns über ihre Reaktion lustig machen.
Ruth, die Pelly und Lou in sehr von sich selbst überzeugtem Ton erklärt, warum sie so viel besser Bogenschießen kann, was meine beiden Schwestern quittieren, indem sie ihr einen Vogel zeigen.
Len, die sich im Trainingscenter auf Herson stürzt, der mich schon wieder angemacht hat.
Kleron, der aus Lous und Pellys Zimmer stürmt, in dem die beiden mit Ruth lachend hocken und etwas davon murmelt, wie doll ihn die drei Mädchen fertig machen würden und warum er sich immer wieder darauf einlässt, mit Ruth zusammen die beiden zu besuchen.

Wenn ich diese Momente so vor mir sehe, wird mir klar, dass mein Leben vielleicht gar nicht so schlecht war, wie ich immer dachte. Dass ich Spaß hatte, auch wenn es sich oft nicht so angefühlt hat.

„Clove? Oh mein Gott! Bist du okay?” Catos Stimme klingt durch das Rauschen undeutlich zu mir hindurch, doch ich bin froh darüber, dass ich ihn überhaupt verstehen kann. Ich lag also doch noch nicht so lange hier. Meine Augenlider flattern und ich kann den Umriss seines Gesichts erahnen, während sich der Farbenwirbel etwas lichtet.
„C- Ca ... Cato?“ Ich habe keine Ahnung, ob er mich überhaupt versteht. In meinen Ohren hören sich meine Worte viel zu undeutlich und zu leise an. Das Rauschen geht nicht weg und übertönt das gestotterte Wort zusätzlich. Mit einem Mal ist mir richtig kalt und ich kann nichts dagegen tun, dass ich zittere.
“Ja, Clove, ich bin hier” Seine Stimme klingt seltsam erstickt, irgendwie zerbrechlich. So habe ich sie noch nie gehört. „Du stehst das durch, ja? Du kommst mit mir nach Hause! Du bleibst bei mir! Du schaffst das und lässt mich nicht alleine, verstanden?“ Ich spüre, wie ich drohe, in die Dunkelheit gezogen zu werden und das Zittern zunimmt. Ich kann seine Bitten nicht erfüllen, das wird mir mit einem Mal klar.
„I- ich ... l- liebe d- dich“, presse ich hervor. Es kostet mich enorme Anstrengung. Wieder verschwimmen die Farben vor meinen Augen, werden immer dunkler, bis ich nichts mehr sehe.
„Clove, nein! Ich lie ...“ ist das letzte, was ich noch höre und jemals hören werde.

AE: Das Fest


AN (Author's Notes): Dies ist das erste Kapitel meiner alternativ Lösung. Das Kapitel ist bis auf das Ende, das ich verändert habe, genau das selbe, wie das zuvor. Ab welchem Punkt ich verändert habe, erkennt ihr daran, dass der Text ab da nicht mehr kursiv gedruckt ist.
Liebe Grüße,
Chiri
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AE: Das Fest



Wir huschen beide, ohne auch nur ein Wort zu sagen, durch den Wald. Obwohl wir uns zügig in Richtung Füllhorn bewegen und ich den Reißverschluss meiner Jacke bis zum Kragen zugezogen habe, habe ich das Gefühl, als würde ich im Januar nur mit T-Shirt bekleidet draußen herumlaufen. Bereits als die Sonne noch hoch am Himmel stand, fielen die Temperaturen plötzlich und nun haben wir sicherlich Minusgrade. Das einzig Positive an dieser Situation ist, dass ich die Wunde an meinem Bein dank der Salbe aus dem Sponsorengeschenk nicht mehr so arg spüre.

Während wir durch den Wald laufen, beobachte ich der Himmel, der manchmal durch die Baumkronen zu sehen ist. Er ändert durch den Sonnenuntergang seine Farbe, das Hellblau wird zu einem hellen, fast gelben Orange, das sich langsam immer weiter verdunkelt, bis aus dem Rubinrot schließlich allmählich ein dunkles Violett wird.

Gerade als ein kräftiges Dunkelblau das Violett fast vertrieben hat, kommen wir an den Rand der Ebene, auf der sich das Füllhorn befindet und suchen zwischen einer Buschansammlung Schutz. Man kann uns weder von hinten noch von vorne oder den Seiten sehen, doch wir haben einen guten Überblick über die Ebene und den Wald hinter uns. Cato breitet den Schlafsack aus, in dem wir uns zu zweit aneinander schmiegen. Ich erkläre mich bereit, die erste Wache zu übernehmen.

Während ich so im schwachen Licht daliege, beobachte ich Cato beim Schlafen. Er sieht so viel jünger aus, das Gesicht entspannt, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Ein Junge von 15, vielleicht 16 Jahren. Ich merke, wie sich meine Mundwinkel ebenfalls leicht nach oben ziehen, dass ich glücklich bin, wenn er es ist, und fühle mich an den Tag zurückerinnert, an dem wir uns kennen gelernt haben.

Nachdem mir der Junge, Cato, von der Bank aufgeholfen hatte, entlastete er mich etwas, indem er meine Messer, die über den Boden verstreut lagen, mit aufhob - sorgsam verstaute ich sie – und spannte einen Schirm auf, unter den er mich zog. Jetzt im Trockenen wurde mir erst richtig bewusst, wie kalt mir eigentlich war. Es war keine gute Idee gewesen, so ganz ohne Jacke loszugehen. Aber ich wollte mir nicht ansehen lassen, dass ich bis auf die Knochen durchnässt war, also verschränkte ich die Arme vor der Brust, um das Zittern zu kontrollieren. Natürlich bemerkte Cato trotzdem, wie es mir ging.
„Hier, halt mal.“
Er drückte mir den Schirm in die Hand, zog seine Jacke aus und hielt sie mir hin.
„Das muss doch nicht sein, mir geht ´s gut!“, protestierte ich mit Nachdruck.
„Jetzt nimm sie schon, ich sehe doch, dass dir total kalt ist. Ich hab auch noch was drunter, falls es dir darum geht.“
Seine seltsame Freundlichkeit verunsicherte mich, aber dann griff ich doch nach der Jacke.
„Dankeschön.“, murmelte ich und zog mir das Kleidungsstück über.
„Keine Ursache.“
So etwas wie ein Lächeln huschte über sein Gesicht und ich konnte nicht anders und musste zurücklächeln.
Wir liefen weiter durch den Regen. Die ganze Situation fühlte sich so unwirklich und seltsam an. Keiner sagte etwas. Das Schweigen war mir unangenehm, aber stören wollte ich es auch nicht.
„Soll ich dich vielleicht nach Hause bringen?“, fragte Cato - möglicherweise nur, um überhaupt etwas zu sagen.
Ich nannte ihm meine Adresse und es stellte sich heraus, dass er ganz in der Nähe wohnte. Zwar ein paar Straßen weiter, aber immer noch im gleichen Viertel. Wir schlugen also die Richtung zu meinem Haus ein und es wurde schon wieder still.
„Wie kommt es eigentlich, dass du mit jemand Langweiligem wie mir befreundet sein möchtest?“, brach ich nach etwa einer Minute die Stille, da bisher er den größten Teil der Konversation übernommen hatte, aber auch, weil mich die Antwort tatsächlich interessierte.
Kurz zögerte Cato, wählte seine Worte sorgfältig, dann antwortete er: „Ich denke nicht, dass du langweilig bist. Im Training habe ich dich zum Beispiel beobachtet. Du hast wirklich Talent.“
So etwas hatte noch nie jemand zu mir gesagt, dass ich talentiert wäre. Es hieß immer, ich würde es falsch machen. Das behaupteten die, die schon länger als ich trainierten. Und die, die mit mir, beziehungsweise nach mir angefangen hatten, sagten gar nichts.
Zum ersten Mal seit Jahren freute ich mich.
Aber Cato war noch nicht fertig: „Oder in der Schule, wenn du irgendwo allein gestanden hast …“
Ich stutze bei diesem Kommentar und ein bestimmter Verdacht beschlich mich: „Wenn du das hier aus Mitleid machst, vielen Dank, ich brauche kein Mitleid.“ Sobald ich die Worte ausgesprochen hatte, taten sie mir leid. Er war der erste Mensch, der sich mir auf 10 Meter nährte und mir nicht feindselig begegnete.
„So war das jetzt nicht gemeint. Entschuldige. Ich möchte wirklich mit dir befreundet sein und nicht aus Mitleid.“
Ob das, was er sagte, stimmte, konnte ich nicht sagen. Es klang ehrlich, aber woher wusste der Typ eigentlich, dass er mit mir befreundet sein wollte? Er kannte mich doch gar nicht!
„Tut mir leid, falls ich dich verärgert haben sollte, Clove.“
Irgendwie überraschte es mich, dass er meinen Namen behalten hatte und es freute mich zugleich.
„Nein, mir tut es leid. Dass ich so reagiert habe …“, versuchte ich meine Entschuldigung auszudrücken.
Irgendetwas hatte der Junge an sich, das mich schwach werden ließ. Ich hätte bestimmt vor niemand anderem zugegeben, dass mir etwas leid tat. Möglich, dass es daran lag, dass ich mich bei ihm auf irgendeine Art sicher und geborgen fühlte, wie ich es zuvor noch nie bei irgendwem getan hatte.
„Mach dir keine Gedanken.“, nahm er meine Entschuldigung an.
„Oh, wir sind ja schon da!“, rief ich aus. Wir standen vor dem weißen Gartenzaun, der den Garten und unser Haus umrahmte.
„Na, dann Danke für die Jacke und das Herbringen.“
Ich machte schon Anstalten sie auszuziehen, doch Cato hielt mich zurück. „Bring mir die Jacke einfach morgen in die Schule mit. Wenn du jetzt durch den Regen gehst, wirst du ja wieder ganz nass.“
Irgendwie klang das ein bisschen so, als suchte er einfach einen Grund, warum ich die Jacke behalten sollte, aber ich fragte nicht nach und beließ sie an.
Ich öffnete das Gartentor und lief den kleinen Weg zu unserer Haustür.
„Bring sie mir morgen in die Schule mit.“ Bedeutete der Satz nicht eigentlich, dass er mich wiedersehen wollte? Aus irgendeinem Grund freute mich das. Tief in Gedanken versunken schloss ich die Tür auf.

Wenn ich jetzt so über die Geschehnisse von vor fünf Jahren nachdenke, wird mir klar, dass ich, bevor ich Cato traf, ziemlich verschlossen war und dass es zum großen Teil wahrscheinlich meine eigene Schuld gewesen war, dass niemand etwas mit mir zu tun haben wollte. Durch Cato hatte ich keine so negative Einstellung gegenüber dem Leben mehr, wie es vorher der Fall gewesen war. Meistens war ich sogar richtig glücklich. Er hat mich von den Gedanken an meinen betrunkenen Vater zuhause abgelenkt und hat mir gezeigt, wie toll es sein kann, Freunde zu haben. Mir wird klar, wie viel ich ihm eigentlich zu verdanken habe, auch wenn wir uns heute schon wieder gestritten haben. Ich bin so froh, dass er jetzt neben mir liegt, mich im Arm hält und - obwohl er schläft - so fest an sich drückt, dass es gerade nicht weh tut.
Ich beuge mich zu seinem Gesicht hoch, um ihn zu küssen. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, drücke ich meine Lippen kurz auf seine. Ich muss leicht lächeln. Dem Verlangen, ihn ein zweites Mal zu küssen, halte ich nicht lange stand und drücke meinen Mund abermals kurz auf seinen. Und noch ein drittes Mal, als er aufwacht.
„Oh, entschuldige, ich wollte dich nicht wecken. Tut mir leid ...“ Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden und ich hoffe, dass Cato es durch die Dunkelheit nicht sehen kann.
Ohne ein Wort zieht er mein Gesicht wieder zu sich und presst seine Lippen fest auf meine. Ich verschränke meine Arme in seinem Nacken und erwidere seinen Kuss. Ein warmer Schauder läuft meinen Nacken hinab und ich genieße den kurzen Augenblick der Zärtlichkeit. Kurz schnappe ich nach Luft und versuche wieder zu Luft zu kommen.

Als wir uns einige Minuten später voneinander lösen, geht mein Atem stockend und ich keuche leicht. Ich sehe ein selbstgefälliges Lächeln über Catos Gesicht huschen, beachte es aber nicht. Er soll sich ja nichts darauf einbilden!

Meine Augenlider werden mit jeder Sekunde schwerer und mir wird erst jetzt bewusst, wie müde ich eigentlich bin. Auch Cato fällt es auf und er besteht darauf, den Rest meiner Nachtwache gleich mit zu übernehmen. Ich möchte mich wehren, doch er meint, dass es sowieso keinen Sinn machen würde, noch mal einzuschlafen. Ich seufze, bin aber zu erschöpft und schläfrig, um weiter zu protestieren. Und so schlingt er den Arm um mich und ich schlafe schnell ein.

Ein Rütteln an der Schulter weckt mich am nächsten Morgen. Obwohl ich länger als sonst geschlafen habe, fühle ich mich nicht sonderlich ausgeruht.
„Na, schön geträumt?“, fragt Cato. „Du sahst glücklich aus.“
„W-was?“ Ich bin noch etwas benommen. „Ja, ich hab schön geträumt ...“
Das ist das Einzige, was ich noch weiß. Dass ich glücklich war, sonst kann ich mich nicht mehr an den Traum erinnern und aus irgendeinem komischen Grund, den ich mir selbst nicht so ganz erklären kann, habe ich das Gefühl, dass ich das sollte.
Ich reibe mir die Augen, um wach zu werden. Der Himmel ist noch auberginenfarben, doch über dem Füllhorn lässt sich bereits eine leichte Rotfärbung erahnen. Es wird bald hell werden.
„Noch etwa eine halbe Stunde bis zum Sonnenaufgang“, sagt Cato in die Stille hinein. „Ich dachte, du möchtest den richtigen Augenblick nicht verpassen.“
Ich nicke nur als Antwort und unterdrücke ein Gähnen.

„Wie wollen wir das eigentlich machen? Sobald diese Rucksäcke stehen, von denen Templesmith gesprochen hat, werden die anderen wahrscheinlich möglichst schnell zum Füllhorn rennen, um sie sich zu holen. Wir haben dazu mehr Zeit, aber würden wir nicht mehr Gegner auf einmal ausschalten können, wenn wir uns trennen?“, frage ich nach ein paar Minuten Stille, in denen ich aus dem Schlafsack krabbele und mir die Haare mit den Fingern etwas glätte.
Ich erkenne im dämmrigen Licht, wie Cato über den Vorschlag nachdenkt. „Meinst du, das ist eine gute Idee?“, fragt er nach kurzem Zögern.
„Ich dachte nur, dass wir so bessere Chancen haben, möglichst viele Tribute auf einmal zu töten. Desto schneller können wir nach Hause ... zusammen.“
Cato überlegt kurz. Ich merke, dass der Vorschlag ihn nicht sonderlich begeistert und bin etwas überrascht über seine Antwort.
„Okay, aber mir ist nicht ganz wohl dabei, dich alleine zu lassen“
„Meist du, ich komme nicht ohne dich als Babysitter zurecht? Das Thema hatten wir doch schon!“
„Ja, aber zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine Regeländerung“
„Deswegen brauche ich trotzdem niemanden, der auf mich aufpasst! Ich bin doch keine zwölf mehr!“
„Clove, ich möchte mich nicht schon wieder mit dir streiten“
„Dann fang nicht immer an, mich wie ein kleines Kind zu behandeln!“
Cato seufzt. „Ich such mir dann mal einen Platz auf der anderen Seite der Ebene.“
„Ja, mach das mal.“, fauche ich leicht beleidigt.

Und dann geht er.
Mich ärgert immer noch, wie er mich schon wieder beschützen möchte. Einem anderen Mädchen würde es vielleicht schmeicheln, aber mich regt eigentlich nur auf, dass er meint, ich müsste beschützt werden. Ich kann auf mich selbst aufpassen! Ich habe es immerhin unter die letzten sechs geschafft! Warum sieht er das nicht einfach ein?

Der Himmel ist nun blutrot. Die ersten Sonnenstrahlen werden in wenigen Sekunden zu sehen sein. Ich überprüfe ein letztes Mal meine Messer, stelle befriedigt fest, dass alle an ihrem Platz sind und dass das Messer, das ich für Distrikt 12 verwenden werde, auch sofort greifbar ist.

Dann schiebt sich der erste Sonnenstrahl über das Füllhorn, das golden aufleuchtet, und zeitgleich wird vor der Öffnung des Füllhorns ein Tisch mit vier Rucksäcken wie die Metallscheiben am Anfang der Spiele in die Arena hochgefahren.

Jemand springt aus der Öffnung des Füllhorns. Es ist der Rotschopf aus 5, der mir an dem Tag, an dem Marvel und das kleine Mädchen aus 11 gestorben sind, entwischt ist. Obwohl ich es gerne machen würde, folge ich ihr nicht. Sonst entwischt mir Distrikt 12 noch und ich lasse mir kein weiteres Mal die Chance entgehen, sie zu töten!

In diesem Moment rennt sie vielleicht fünfzig Meter von mir entfernt los. Sie umklammert Glimmers ehemaligen Bogen und hat einen Pfeil in die gespannte Sehne eingelegt. Ich kann mich nicht erinnern, sie jemals schießen gesehen zu haben. Ich sollte auf alle Fälle vorsichtig sein, bis ich mir ein Bild von ihrem Können gemacht habe.
Ich verlasse meine Deckung ebenfalls und schleudere ein Messer nach ihr. Sie blockt es mit dem Bogen ab, spannt diesen dann in meine Richtung und lässt die Sehne los. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte - vielleicht so was wie bei dem Mädchen aus 7, damals im Trainingscenter – aber auf alle Fälle nichts dergleichen und kann gerade noch so weit zur Seite ausweichen, dass mich ihr Pfeil nicht ins Herz, sondern in meinen Oberarm trifft. Ich halte kurz inne, um den Pfeil aus dem Arm zu ziehen und glücklicherweise festzustellen, dass die Wunde nicht ganz so schlimm ist, wie ich im ersten Moment befürchtet habe. Währenddessen trifft mich die Erkenntnis wie der Schlag. Darum hatte sie ihre 11 in der Trainingsbewertung! Es waren ihre Schießkünste!
Mein Hass auf sie ist erneut geschürt, ich stürme wieder los und zücke ein zweites Messer. Distrikt 12 hat derweil den Tisch erreicht, schnappt sich ihren Rucksack, dreht sich um. Das ist meine Chance!, denke ich und werfe das Messer nach ihr, das sie in die Stirn trifft und taumeln lässt.
Sie versucht, mich erneut abzuschießen, doch der Pfeil geht weit daneben. Dann stürze ich mich auf sie, die mittlerweile am Boden liegt und nagele sie dort fest, indem ich mich auf ihre Schultern knie. Den Schmerz in meinem Oberarm ignoriere ich, doch ich spüre, wie sich meine Bluse langsam mit Blut voll saugt. Ich hab dich, Distrikt 12, jetzt gibt es kein Entkommen mehr. Freu dich schon mal auf einen langen, qualvollen Tod!
Ein siegessicheres Lächeln kann ich nicht länger verbergen.
„Na, wo ist dein Freund, Distrikt 12? Hält er noch durch?“ Mein Grinsen wird noch eine Spur breiter und schadenfroher.
„Er ist wieder auf den Beinen.“, antwortet sie. „Und jagt Cato“ Dann schreit sie: „Peeta!“
Bevor sie weitere Aufmerksamkeit auf sich zieht, schlage ich ihr mit geballter Faust gegen den Kehlkopf. Augenblicklich hält sie die Klappe, ein netter , sehr brauchbarer Trick, den ich irgendwann mal im Training gelernt habe.
Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass Loverboy tatsächlich wieder fit ist. Trotzdem blicke ich mich kurz um. Sicher ist sicher. Ich habe Distrikt 12 so fest im Griff, sie wird ohnehin nicht fliehen können.
Doch es gibt nirgendwo ein Anzeichen dafür, dass sie die Wahrheit sagen könnte und ihr Freund tatsächlich auftaucht, um sie zu retten.
„Lügnerin“, stelle ich grinsend fest und an Distrikt 12s Gesicht kann ich ablesen, dass ich Recht habe.
„Er ist so gut wie tot“, fahre ich fort, „Cato weiß, wo er ihn getroffen hat.“ Ich erinnere mich an die Nacht mit den Jägerwespen, als wir ihren Baum bewacht haben. Sie hatte sich oben mit ihrem Gürtel abgesichert. So komme ich auf die Idee, wie ich weitermache: „Wahrscheinlich hast du ihn in irgendeinem Baum festgeschnallt und versuchst, ihn am Leben zu halten“ Mein Blick fällt auf ihren Rucksack. Orange, und lächerlich klein, wahrscheinlich mit irgendwas für Loverboys Verletzungen. „Was ist denn in dem niedlichen kleinen Rucksack da? Das Medikament für Loverboy? Schade, dass er es nie bekommen wird.“

Ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen, ihr eine genauere Vorstellung davon zu verschaffen, wie sie enden wird. Ich öffne meine Jacke und streife über die Messer, die sich im Laufe der Spiele angesammelt haben. Ich habe extra nur die besten dabei und auch wenn ich schon genau weiß, welches Messer ich verwenden werde, möchte ich, dass sie und auch die Zuschauer rätseln, welches ihr Leben beenden wird. Ich habe Cato schließlich versprochen, dass ich Panem ein Schauspiel bieten werde, an das man sich noch lange erinnern wird.
Schließlich ziehe ich das Messer aus dem Sponsorengeschenk. Die Klinge, die ich so sorgfältig gereinigt und nie benutzt habe, blitzt in der Morgensonne auf. Ich drehe das Messer in der Hand – sie soll es ruhig von allen Seiten betrachten, bevor ich sie damit umbringe.
„Ich habe Cato versprochen, ich würde den Zuschauern eine gute Show bieten, wenn er dich mir überlässt.“ Sie soll wissen, was ihr blüht. Mein schadenfrohes Lächeln wird - ich kann kaum glauben, dass das überhaupt möglich ist - noch breiter. Wie lange habe ich mich darauf gefreut, diesen Triumph auszukosten?

Jetzt wehrt sich Distrikt 12, doch sie kann ja nicht wissen, dass sie nicht frei kommen wird. Das haben schon Stärkere versucht und nicht geschafft.
„Vergiss es, Distrikt 12. Wir werden dich töten.“ Mir fällt wieder ein, dass sie bei dem Mädchen aus 11 war, als sie starb. Die Marvel getötet hatte. „Genau wie deine mickrige, kleine Verbündete ... Wie hieß sie noch?“, ihr Name fällt mir genau in dem Moment wieder ein. „Rue? Nun, erst Rue, dann du. Und was Loverboy angeht, den überlassen wir einfach der Natur. Na, wie klingt das?“
Ich denke, der Worte sind genug gewechselt, wobei, viel hat sie ja noch nicht von sich gegeben. Auf alle Fälle möchte ich jetzt endlich mal zur Sache kommen. „Hm, wo sollen wir anfangen?“

Die Wunde an ihrer Stirn blutet so stark, dass das Blut langsam aber sicher ihr ganzes Gesicht verdeckt. Doch ich möchte ihren Schmerz sehen können, wenn ich sie töte. Grob wische ich über die Wunde. Schon viel besser. Ich habe mir so oft ausgemalt, wie ich sie töten werde. Aber ich möchte die Zuschauer vor dem Fernseher auch anregen, darüber nachzudenken, was als nächstes passiert.
Wenn ich mir vorgestellt habe, wie ich Distrikt 12 töte, habe ich immer ihr Gesicht als erstes aufgeschlitzt. Also bewege ich es ein bisschen hin und her. Wo soll ich anfangen? Das ist wichtig, damit sie nicht schon verblutet ist, bevor ich meinen Triumph richtig auskosten konnte. Mein Blick fällt auf ihre Lippen. Was sie und Loverboy in den letzten Tagen wohl so alles getrieben haben? Die Vorstellung erheitert mich ein wenig. Auf alle Fälle wären die Lippen ein guter Ansatzpunkt.

In dem Moment versucht sie mir in die Hand zu beißen. Ich bin kurz davor, sie wie einen Hund zu schlagen, aber ich beherrsche mich und lasse mir den Moment der Rache dadurch nicht kaputt machen. Ich packe ihren Schopf und drücke sie zurück auf den Boden, wo sie hingehört.
„Ich denke ...“, ich tue so, als müsste ich noch kurz überlegen, „Ich denke, wir fangen mit deinem Mund an.“ Um ihr zu demonstrieren, wie es sich möglicherweise anfühlen wird, so zu sagen als kleinen Vorgeschmack, fahre ich mit der Messerspitze ihre Lippen nach. Sie fixiert mich mit ihren Augen und starrt mich kochend vor Wut an. Na, gefällt dir, was dir blüht?
So, als sei ich mir jetzt erst sicher, was ich tun werde, sage ich: „Ja, ich denke, du hast für diese Lippen keine Verwendung mehr. Möchtest du Loverboy noch einen letzten Kuss zuwerfen?“ In diesem Moment trifft es mich mitten im Gesicht. Warm, klebrig, ekelhaft. Ihr mit Blut vermengter Speichel. Angewidert wische ich ihn weg. Jetzt hat sie eine Grenze überschritten. Die Wut, die ich bis dahin erfolgreich zurückgehalten habe, kocht über und ich bringe es nicht über mich, ihren Tod noch länger aufzuschieben. „Wie du willst“, meine Stimme klingt gepresst vor Wut, „Fangen wir an.“
Ich nehme mein Messer und beginne dann damit, so langsam, wie es mir in meinem Zorn möglich ist, in ihre Lippe zu schneiden. Sie soll Qualen leiden, bevor sie stirbt. Sie hat es mehr als nur verdient. Es läuft gerade der erste Tropfen Blut aus ihrem Mundwinkel, als mich jemand oder etwas von ihr herunter reißt. Ich schreie auf, bevor ich es stoppen kann und mein Herz schlägt dreimal so schnell wie vorher. Dann werde ich zu Boden geworfen.

Ich blicke hoch und direkt in die zornigen Augen des Getreidejungen. Verdammt, er wird sich für seine Verletzung neulich rächen wollen. Was soll ich jetzt machen? Ich kann nicht mehr klar denken.

„Was hast du mit der Kleinen gemacht? Hast du sie umgebracht?“ Er wird die Kleine aus 11 meinen. Seine Distriktpartnerin. Aber wieso denkt er, dass ich das war? Ich versuche, mich irgendwie in Sicherheit zu bringen, doch ich bin wie benebelt. Ich krabbele rückwärts und weiß, dass ich ihn irgendwie davon überzeugen muss, dass nicht ich, sondern Marvel sie getötet hat.
„Nein! Nein, das war ich nicht!“ Er muss mir glauben! Er muss einfach! Wie kann ich ihm meine Unschuld beweisen?
„Du hast ihren Namen genannt, ich hab es gehört. Hast du sie umgebracht?“ Aus irgendeinem Grund, einem Gedanken, einer Erinnerung, warum auch immer, wird er noch wütender, als er es ohnehin schon ist. „Hast du sie auch so aufgeschnitten, wie du es bei dem Mädchen hier machen wolltest?“ Er verdächtigt mich völlig zu Unrecht! Wie mach ich ihm klar, dass ich es nicht war? Ich muss ihn überzeugen! Ich brauche eine Idee, verdammt!
Ich spüre, wie die Angst und die Panik mich lähmen. Es sind ganz neue Gefühle, die ich nicht kenne und die mich zusätzlich einschüchtern.
Ich versuche es nochmals, mich rauszureden, doch meine Stimme zittert: „Nein! Nein! Ich ...“ In diesem Moment hat er plötzlich einen Stein in der Hand und es fällt mir nicht schwer, mir auszumalen, was er damit vorhat. Die Panik ergreift nun vollkommen von mir Besitz und ich kenne nur noch einen Ausweg aus der misslichen Situation: „Cato! Cato!“ Er muss mich retten! Warum ist er eigentlich nie da, wenn der Getreidejunge mich bedroht?

„Clove!“ Ich kann seine Stimme hören, doch er ist viel zu weit weg. Warum bin ich eigentlich auf die bescheuerte Idee gekommen, dass wir uns trennen sollten? Verdammt! Und hatte ich ihn nicht selbst zu dem Versprechen gezwungen, dass er mich nicht mehr beschützen sollte?



In diesem Moment senkt der Getreidejunge den Stein. Ich kann mich halb zur Seite rollen, doch der Stein streift trotzdem meinen Kopf. Sofort spüre ich das glitschige, warme Blut, das aus der Wunde über meine Kopfhaut in mein Gesicht läuft. Der Junge aus 11 holt erneut aus, ich ducke mich unter seinem Schlag weg und schaffe es, wieder auf die Beine zu kommen, mein Messer halte ich fest umklammert. An der Stelle, an der mich der Stein getroffen hat, pocht es augenblicklich stark. Ich spüre, wie ich leicht schwanke. Das muss die Wunde an meinem Kopf sein!, denke ich. Ich versuche den Blutstrom zu stoppen, indem ich meine freie Hand auf die Wunde presse, doch das Blut bahnt sich einfach seinen Weg durch meine Finger und läuft über meine Hand meinen Arm hinab.

Der Getreidejunge blickt mich halb warnsinnig vor Zorn an und ich mache mich schon bereit, seinem Schlag ein weiteres Mal zu entkommen, da beginnt er plötzlich zu röcheln und Blut zu husten. Dann bricht er vor mir zusammen, während sich in meinem Kopf vor Schwindel alles dreht, verschwimmt oder plötzlich mehrmals da ist. Dann beginnt der Boden unter meinen Füßen auch noch gefährlich zu schwanken und ich spüre, wie ich ebenfalls umkippe, als mein Sturz abgefangen wird.

„Clove? Clove, bist du okay?“ Cato. Ich schaffe es die Augen wieder zu öffnen, doch mir wird augenblicklich so schwindelig, dass ich sie wieder schließen muss.
„Hab ich nicht gesagt, du sollst mich nicht mehr retten?“ Meine Stimme klingt etwas brüchig und leicht schläfrig.
„Hast du mir nicht auch gesagt, du könntest auf dich aufpassen?“ Es klingt nicht böse. Es klingt besorgt. „Was hast du denn nun schon wieder gemacht?“, flüstert er. Dann streift er seine Jacke ab, zieht sein Hemd aus und drückt es gegen die Wunde an meinem Kopf. Es verschlimmert den Schmerz.
„Du tust mir weh“, nuschele ich. Mit einem Mal spüre ich, wie sich eine bleierne Müdigkeit über mich legt, mein Denken benebelt und fühle mich so erschöpft wie noch nie. Mein Kopf sinkt auf Catos Schulter.
„Clove?“ Jetzt klingt Catos Stimme nicht mehr nur besorgt. „Bist du okay? Hast du starke Schmerzen? Kann ich irgendwas ...“
„Ich bin nur ... so müde ...“ Ich schaffe es nicht, mich gegen die Müdigkeit zu wehren und habe das Gefühl, mein Körper würde immer schwerer werden und sich nicht mehr bewegen lassen. Es ist das gleiche Gefühl, das man in den Beinen hat, wenn man den ganzen Tag über gejoggt ist und dann nur eine ganz kleine Pause macht. Der Schmerz in meinem Kopf und das Pochen nehmen zu.
„Clove, du ... du kannst jetzt nicht einfach schlapp machen, verstanden?“
Ich habe nicht mehr die nötige Kraft, ihm zu antworten.

In diesem Moment knallt eine Kanone. War das vielleicht Loverboy? Irgendwo in meinem benebelten Gehirn bin ich noch zu diesem Gedanken fähig. Er war ja laut Cato die ganze Zeit verletzt.
„Es tut mir leid, Clove“, haucht Cato. „Ich werde dich rächen“
Dieser Satz vertreibt den Nebel für ein paar Augenblicke. Nein! Er glaubt, die Kanone galt mir! Er legt mich vorsichtig zu Boden, erhebt sich, drückt mir einen Kuss auf die Stirn und entfernt sich dann. Ich kann nur tatenlos liegen bleiben, habe nicht mal die Kraft, die Augen zu öffnen und ihm hinterher zusehen oder mich gar zu rühren. Ich möchte ihm zuschreien, dass ich nicht tot bin, dass er dableiben soll, mich weiter im Arm halten soll, aber ich schaffe es nicht. Und so wird mir irgendwann schwarz vor Augen, als ich das Bewusstsein verliere.


Als ich zu mir komme, sind meine ersten Gedanken, dass mein Kopf schmerzt, ich nass bin, mir kalt ist und dass ich mich vor allem so einsam wie lange nicht mehr fühle. Ich schaffe es, die Augen zu öffnen und finde mich auf der Ebene, auf der das Füllhorn steht, wieder, die sich in eine reine Matschwüste verwandelt hat. Es regnet wie aus Kübeln und es scheint auch so schnell nicht wieder aufzuhören. Ein Blitz zuckt über den Himmel und für einen kurzen Moment ist die Arena hell erleuchtet. Kaum, dass der Blitz verblasst ist, ertönt ein kräftiger Donnerschlag.

Ich fühle mich unsicher auf dem Boden und der einzig Schutz, der mir einfällt und den ich in meinem jetzigen Zustand vielleicht noch erreichen kann, ist das Füllhorn. Unter größter Anstrengung ziehe ich mich zur Öffnung und bleibe keuchend im Füllhorn liegen. Ein weiterer Blitz erhellt den Himmel und ich meine, im Regen ein paar bernsteinfarbene Augen auszumachen zu können. Möglich, dass mir meine Augen auch einen Streich spielen, so benommen wie ich noch bin. Dann flimmert das Bild, schwarze Punkte tanzen vor meinen Augen, die immer größer und immer mehr werden, bis ich wieder ohnmächtig werde.

AE: Freund oder Feind?


Hallo,
schön, dass das alternative Ende bisher so gut angekommen ist. Freut mich. ;)

Das Kapitel hat etwas gedauert wegen dem Schuljahres-End-Stress und weil ich mir noch viel mehr Gedanken als üblich zu dem Kapitel gemacht habe. Ein paar davon bekommt ihr am Ende des Kapitels noch zu lesen, wenn sie euch interessieren. ^^
lg
Clove
****************
Freund oder Feind?



Allmählich komme ich wieder zu Bewusstsein, bin allerdings noch nicht wieder richtig da. Mir fehlt die nötige Energie, die Augen zu öffnen, aber ganz allmählich kommen die anderen Sinneswahrnehmungen zurück.

Ich kann fühlen, dass es ganz Gegensatz zum letzten Mal warm und gemütlich weich ist und irgendeine Wärmequelle Hitze abstrahlt. Irgendwo unter meiner Kopfhaut pocht es, aber die genaue Stelle kann ich nicht ausmachen, obwohl das Pochen schmerzhaft und stechend ist.

Ein paar Minuten später kann ich dann ein Feuer riechen, während der Duft von verbranntem Holz und Rauch schwer in der Luft liegt, dabei aber den Geruch von feuchtem Gras, zermatschten Pflanzen und bratendem Fleisch nicht ganz überdeckt.

Es dauert wieder etwas, dann kann ich auch die Funken des Feuers knistern hören, während im Hintergrund der anscheinend immer noch sehr starke Regen zu Boden platscht und ein kräftiger Wind vernehmbar ist, den ich aber nicht spüren kann.

Für die nächste halbe Stunde kann ich nur daliegen, nichts sehen, einfach nur dem Regen, dem Feuer und dem Wind lauschen. Atmet da noch jemand anderes außer mir? Nein, das muss ich mir eingebildet haben.

Dann flattern meine Augenlider und nachdem ich meine Augen offen habe, brauchen sie einige Momente, um sich fokussieren zu können, während ich nur verschwommen etwas oranges, wahrscheinlich das Feuer, wahrnehmen kann.

„Du gibst also auch mal wieder ein Lebenszeichen von dir“

Obwohl ich immer noch verschwommen sehe, tastet meine rechte Hand augenblicklich nach einem Messer. Aber ich bekomme nur den rauen Stoff meiner Bluse zu fassen.

„Ich dachte, du hättest es bequemer, wenn ich dir die Jacke ausziehe. Außerdem war sie total durchweicht.“, fährt die Stimme fort, die klingt, als hätte sie ihr Träger seit Wochen nicht mehr benutzt. Trotzdem ist sie so hell, dass man sie klar als Mädchenstimme identifizieren kann.

Endlich wird das verschwommene Bild schärfer, sodass ich zumindest einigermaßen erkennen kann, was los ist. Ich befinde mich anscheinend immer noch im Füllhorn und mir gegenüber sitzt nur durch ein bescheidenes Feuer getrennt der Rotschopf aus 5, der mir an dem Tag, an dem Marvel draufgegangen ist, entwischt ist. Im Schein der Flammen scheint das sowieso schon feuerrote Haar des Mädchens zu brennen, in ihren bernsteinfarbenen Augen, die durch die dunklen Schatten darunter noch mehr aus ihrem Gesicht herausstechen, spiegeln sich die Flammen. Es sind die selben Augen, die ich gesehen habe, kurz bevor ich das Bewusstsein verlor. Es war also doch keine Einbildung, genauso wenig wie das Atmen, das ich zuvor vernommen habe.
Ich habe keine Ahnung, in was für eine Situation ich hier geraten bin.
Die Verwirrung muss mir ins Gesicht geschrieben stehen.
„Was soll das?!“
Ich weiß nicht, wie ich die Situation einschätzen, wie ich mit ihr umgehen soll. Mir erklärt sich nicht, was das Mädchen aus 5 hier macht und schon gar nicht, warum sie mir, die ich ihr von allen Tributen sicherlich nicht die wenigsten Probleme bereitet habe, ausgerechnet hilft.
„Um ehrlich zu sein, brauche ich deine Hilfe, Distrikt 2“, meint sie nun.

Ich weiß nicht, worauf sie hinaus will. Auch wenn ich es nur sehr ungern zugebe, fühle ich mich schwach und werde ihr wohl kaum werde zur Seite stehen können. Und wie kommt sie überhaupt darauf, dass ich ihr freiwillig helfen würde?! Je früher sie stirbt, desto besser!

„Du bist schwer verletzt und auf mich angewiesen, weil ich das Medikament habe, das du brauchst.“
Sie stoppt immer wieder, als wollte sie sichergehen, dass ich mitkomme.
„Ich mach dir einen Vorschlag: Als Gegenleistung dafür, dass ich dir helfe, möchte ich, dass du für mich die Anderen erledigst. Klar soweit?“

Das alles geht mir etwas zu schnell. Aber ich habe verstanden, was sie möchte: „Ich bin nicht blöd!“, zische ich deshalb zwischen zusammen gebissenen Zähnen hindurch.
Ein fast fieses Lächeln umspielt ihre Lippen und ich habe das dringende Verlangen, es ihr aus dem Gesicht zu wischen, also füge hinzu: „Und was machst du, wenn ich deinem Vorschlag nicht zustimme?“

Jetzt verzieht sich ihr Lächeln, aber nicht so, wie ich gehofft habe, und wird durchtrieben, selbstsicher und vielleicht sogar ein bisschen schadenfroh.
„Sieh es mal so: Als ich dich gefunden habe, warst du schon so gut wie tot. Auch jetzt bist du nur knapp außer Lebensgefahr. Glaubst du ernsthaft, du würdest allein lange überleben?“

Aus ihrem letzten Satz meine ich eine gewisse Drohung herauszuhören. Ich weiß, dass sie so gut wie gewonnen hat und an ihren Lippen kann ich ablesen, dass sie sich dessen auch absolut bewusst ist. An dem, was sie gesagt hat, ist durchaus was dran, was ich mir aber nur schwer eingestehe, und gleichzeitig muss ich bemerken, dass sie mich ganz bewusst, von mir bis jetzt unbemerkt und geschickt in eine Zwickmühle geritten hat: Entweder, ich verbünde mich mit ihr – was ja offensichtlich das ist, was sie plant – und tue, was sie sagt, oder ich bleibe allein und sterbe, wenn mich meine Gegenüber nicht sogar eigenhändig töten würde – am besten noch mit meinen eigenen Waffen, an die ich in meinem jetzigen Zustand nicht herankomme, geschweige denn, sie benutzen könnte.
Mir bleibt keine andere Wahl: „Na gut, ich mach ’s.“

Ein siegreiches Lächeln zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab.
Aber alles, was sie dazu sagt, ist: „Du bist kooperativ, schön“.

Ich stelle fest, dass ich ihre Art etwas seltsam finde. Verschlossen, aber trotzdem irgendwie offen. Auch glaube ich nicht, dass ich schon mal jemanden gesehen habe, der so klar denkt und so manipulierend sein kann wie sie.

Da kommt mir ein anderer Gedanke, den ich, auch wenn es riskant ist, sogleich ausspreche: „Aber meinen Distriktpartner werde ich nicht töten“ Nicht, nach allem, was passiert ist und wir Beide zusammen nach Hause können.

, füge ich in Gedanken hinzu.
Ich sehe kurz an ihrem Blick, dass ihr diese Einschränkung gegen den Strich geht, aber sie hat sich schnell wieder unter Kontrolle und zeigt das, für sie anscheinend übliche, durchtriebene Grinsen.
„Nun gut“, meint sie, „Einschränkungen machen ein Spiel erst interessant“

Dann entsteht eine etwas längere Pause, in der sie weiterhin vor sich hin grinst, mein Kopf erschöpft zurück auf das Kissen in dem Schlafsack sinkt und ich mich frage, wie sie es schaffen konnte, mich so schnell so stark zu manipulieren, dass ich sogar auf ein Bündnis eingehe. Ich weiß gar nicht so genau, wie mir geschehen ist. Doch irgendwie stecke ich jetzt in dieser Sache drin und das nur durch einen simplen, kurzen Wortaustausch.

Dann unterbricht 5 die Stille, die bisher nur durch das Knistern des Feuers gestört wurde: „Wenn wir uns verbünden, sollten wir den Namen des anderen kennen.“
Auf ihre indirekte Aufforderung hin, mich vorzustellen, kann ich nur leise meinen Namen antworten. Mit einem Mal bin ich total erschöpft, das gerade eben war einfach zu viel auf einmal.
„Ich bin Zora.“, meint sie. „Du solltest dich jetzt ein wenig ausruhen, Clove, du siehst nicht gut aus.“
Bevor ich mich fragen kann, warum sie auf einmal wieder so freundlich ist, bin ich schon eingeschlafen.


Der nächste Morgen beginnt mit schlimmen Kopfschmerzen. Ich fühle einen Verband um meinen Kopf, den Zora angebracht haben muss. Ich kann immer noch nicht fassen, wie sie es geschafft hat, mich zu einem Bündnis zu bringen. Aber ich werde mitspielen, bis ich wieder stark genug bin, um sie zu töten. Währenddessen ist es sicherlich nicht dumm, zu zweit nach Tributen zu suchen - es verspricht größere Chancen auf Erfolg, da Zora bewiesen hat, dass sie mit absoluter Sicherheit nicht dumm und ziemlich geschickt ist.

Ich setze mich auf und blicke mich um. Der Regen wurde durch strahlenden Sonnenschein abgelöst, während das Stück Himmel, das ich durch die Öffnung des Füllhorns sehen kann, von einem schönen hellblau ist. Das Feuer, an dem Zora gestern noch saß, ist gelöscht und meine Verbündete liegt zusammengekauert daneben und schläft, während sich ihre Brust immer im gleichen Rhythmus hebt und senkt. Bereits gestern waren mir ihre Augenringe aufgefallen. Sie wird wegen mir mindestens eine Nacht durchgemacht haben, wenn nicht sogar zwei.

Bisher scheint uns niemand entdeckt zu haben, doch ich denke trotzdem, es ist an der Zeit, dass wir unseren Standpunkt wechseln. Bei unserem momentanen körperlichen Zustand können wir uns keine Risiken erlauben.
Mir fällt auf, dass unser Bündnis, obwohl wir es erst ein paar Stunden zuvor geschlossen haben und das auch nicht ganz ohne unfaire Zusätze, mir bereits in Fleisch und Blut übergegangen ist. Dass ich so denke, als wäre dies hier tatsächlich eine richtige Allianz, obwohl ich bereits Pläne schmiede, wie ich Zora am geschicktesten töten kann.

Ich halte etwa zwei Stunden Wache, als Zora sich rührt. Kurz blickt sie sich um, als müsste sie sich orientieren.
„Guten Morgen“ Ich möchte es nicht, aber ich klinge verärgert. Ich sollte einfach auf gut Wetter machen, dass sie mir vertraut. Aber ich kann nicht ganz verdrängen, wie sie mich zu diesem Bündnis gezwungen hat, auch wenn ich so eine bessere Chance bekomme, sie zu töten.
„Wie lang bist du schon wach?“, fragt sie. Wirklich wach klingt sie noch nicht. Mit etwas Glück hat sie den unfreundlichen Ton gar nicht mitbekommen.
„Etwa zwei Stunden lang“, antworte ich ihr und stelle glücklicherweise fest, dass ich schon viel versöhnlicher klinge.
Als Antwort nickt sie nur, dann blickt sie kurz nach draußen, offenbar um am Stand der Sonne in etwa abzuschätzen, wie spät es ist.
„Was hältst du von Frühstück?“, fragt sie dann.
Sei freundlich! Sei freundlich!

„Ziemlich viel!“ Ich bringe sogar ein Grinsen zu Stande, das sie erwidert. Dann gehen wir zu unseren Rucksäcken, um zu sehen, was wir noch essbares haben.

Wir teilen uns unsere gesamten Vorräte zum Frühstück. So bekommt jede einen halben Apfel, den Zora noch hatte, während ich die letzten Reste meiner Kräcker beisteuern kann. Mehr haben wir beide nicht und das bereitet mir Bedenken.
Unsicher wende ich meine Apfelhälfte in der Hand, obwohl alles in mir danach schreit, hineinzubeißen.
„Sollten wir uns das Essen nicht etwas besser einteilen?“, überlege ich laut.
„Wir holen uns heute was Neues“, sagt Zora.
„Und wie?“, möchte ich wissen.
„Das siehst du, wenn es soweit ist“, sagt Zora und wendet sich mit einem süffisanten Grinsen ihrem Apfel zu. Ich verdrehe die Augen, bin mir aber sicher, dass ich keine andere Antwort bekommen werde.
******************
Kurz noch ein paar Dinge zum Schluss:
Wie ihr sicher bemerkt habt, habe ich mich bei Fuchsgesicht alias Zora sehr an die Beschreibungen im Buch und an meine eigene Vorstellung gehalten. Aus dem Film habe ich so gut wie nichts übernommen.
Zudem denke ich, dass ich Fuchsgesichts Charakter ziemlich anders wie die meisten und auch die Macher des Films interpretiert habe. Im Buch ist „durchtrieben“ das Einzige, was Katniss als ihre Charaktereigenschaft glaubt, wenn ich mich nicht ganz irre. Das habe ich übernommen und noch etwas extremer widergegeben. Diesen manipulierenden Charakterzug habe ich selbst noch hinzugefügt, aber sobald sie und Clove sich etwas näher kommen, werden auch noch ganz andere Seiten an Zora zum Vorschein kommen. ;)
Und nun noch etwas zu Zoras Namensgebung: „zorra“ ist spanisch für Füchsin, ich habe dies dann in „Zora“ abgewandelt. :) Soweit also zu meinen Gedanken bezüglich Fuchsgesicht. ^^ Vielleicht hat das hier ja doch den einen oder anderen interessiert ...

AE: Machmal ändern sich Dinge schnell - zu schnell


Vorsichtig bewegen Zora und ich uns durch das Dickicht, nahe der Stelle, an der 12 mir und meinen damaligen „Verbündeten“ die Jägerwespen auf den Hals gehetzt hat.
Nachdem wir beide unser Frühstück beendet hatten, hatten wir unser weniges Gepäck gerecht auf unsere beiden Rucksäcke aufgeteilt und das Füllhorn verlassen.

Alles, was ich aus Zora herausbekommen hatte, war, dass ich nach dem Mädchen aus 12 Ausschau halten, sie mich aber nicht entdecken lassen sollte. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass wir uns etwas zuessen suchen, vielleicht jagen gehen, aber nicht, dass wir nach den anderen Tributen suchen. Nun, vielleicht will sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ganz dumm ist das jedenfalls nicht.

Ich hänge meinen Gedanken nach und bemerke, dass ich keine Ahnung habe, wer tot ist und wer noch lebt. Denn einer mehr war tot, als ich am Fest verletzt wurde. Nur wer? Ich habe das Gefühl, als hätte ich die entscheidende Stelle eines guten Films verpasst. Ich weiß nur sicher, dass Zora, das Mädchen aus Distrikt 12, nach dem ich sonst ja nicht Ausschau halten sollte, und ich am Leben sind. Am schlimmsten ist, dass ich keine Ahnung habe, was mit Cato passiert ist. Hätte Zora es mir gesagt, wenn er tot wäre? Ich sehe sie kurz von der Seite an. Ich weiß es nicht.
Kann ich ihr überhaupt in irgendeiner Sache trauen? Auch darauf weiß ich keine Antwort.

Doch schließlich bleibt mir keine Wahl, als sie einfach zu fragen, was passiert ist. Dafür bin ich einfach zu neugierig und sie will doch, dass ich die anderen Gegner ausschalte, oder?

„Zora, wer ist eigentlich noch am Leben?“, frage ich. Ich glaube, das ist das erste, was wir beide seit über einer Stunde gesagt haben. Sie scheint sich auch nicht so gerne zu unterhalten. Da haben wir etwas gemeinsam.
Sie muss nicht lange überlegen: „Du, ich, Thresh, ...“
„Thresh?“
„Der Junge aus 11“
Hm, hätte ich mir eigentlich denken können. Blöder Idiot! Es ist allein seine Schuld, dass ich höllische Kopfschmerzen habe.
„Katniss aus 12 und dein Distriktpartner“, beendet Zora ihre Aufzählung.
Ich halte es kaum für möglich, dass man mir die Erleichterung darüber, das Cato lebt, nicht ansieht und spüre, wie meine Wangen leicht heiß werden. Um davon etwas abzulenken, frage ich: „Und der Junge aus 12?“
„Peeta? Der ist an dem Tag gestorben, an dem das Fest war. War wohl recht schwer verletzt. So sah es zumindest aus, als ich die beiden aus 12 am Fluss beobachtet habe“
„Cato hatte ihm das Bein aufgeschlitzt“ Eigentlich möchte ich ihre Aussage damit nur bestätigen, doch als ich Catos Namen ausspreche, verspüre ich einen kurzen, schmerzhaften Stich. Wem mache ich hier eigentlich was vor? Ich vermisse ihn. Sehr sogar. Und das ist nicht gut, weil es eine Schwäche ist.

Ich weiß, dass Zora es bemerkt – keine große Kunst. Aber sie lässt es sich nicht anmerken, was ich ihr hoch anrechne. Um das Thema zu wechseln, fragt sie: „Ist das Armband da eigentlich deine Erinnerung an Zuhause?“
Jetzt laufe ich wirklich rot an. Sie kann ja schlecht wissen, dass es Cato war, der es mir geschenkt hat.
„Ja, das war ein Geschenk“, antworte ich und hoffe, dass es unbestimmt genug klingt.
Zora merkt, dass Gespräche über mich zu nichts führen und sie lenkt die Konversation geschickt auf sich selbst: „Ich habe auch ein Armband als Erinnerung“, meint sie, schiebt die rechten Ärmel von Jacke und Bluse hoch und zeigt mir ein bronzenes Armband mit einer Feder als Anhänger. Woher hat sie so was? Sie stammt aus einem äußeren Distrikt, sie müsste arm sein und dürfte sich so was nie und nimmer leisten können.
„Woher hast du das?“, frage ich.
Mit dem Daumen streicht Zora vorsichtig über den filigran gearbeiteten Anhänger.
„Meine Tante ist die Frau des Bürgermeisters. Sie hat mir das Armband geschenkt, nachdem ich bei der Ernte ausgewählt wurde. Die Feder soll für Freiheit stehen“ Am Ende des Satzes bricht ihre Stimme und ich erkenne, dass sie das hier ganz im Gegensatz zu mir überhaupt nicht gewollt hat. Dass sie lieber zuhause geblieben wäre, als in die Spiele zu ziehen.
Ich möchte irgendetwas nettes, aufbauendes sagen, habe darin aber so gut wie keine Erfahrung und bin deshalb froh, dass sie mich gar nicht erst zu Wort kommen lässt: „Clove, ich weiß, du siehst das etwas anders als ich, aber ich wollte das hier nie. Ich fand es schlimm genug, mir jedes Jahr ansehen zu müssen, wie Jugendliche aus meinem Distrikt, die ich vielleicht sogar gekannt habe, hierher mussten und andere, die das genauso wenig wollten, töten mussten. Und jetzt bin ich selbst hier drin und tue genau das selbe, habe dich sogar gebeten, mir dabei zu helfen. Weißt du, wie mich das fertig macht?“
„Zora, ich habe dich nicht gezwungen, dich mit mir zu verbünden. Und wenn du nicht damit fertig wirst zu töten, hast du hier keine Chance. Das sind die Regeln, daran kann man nichts ändern, so traurig es für dich klingen mag.“
„Wahrscheinlich hast du recht“, murmelt sie.

Und so schweigen wir wieder. Jede hängt ihren Gedanken nach und meine wandern zu Cato. Wie ist es ihm in den letzten Tagen ergangen? Weiß er, dass ich noch lebe und wenn ja, sucht er nach mir? Ich hoffe es. Denn die Sehnsucht wird größer, mit jedem Schritt, den ich tue und dass ich so an ihm hänge, gefällt mir nicht.

Eine Kanone bringt uns beide zurück in die Wirklichkeit.
„Wer, glaubst du, war das?“, frage ich Zora. Die Sorge um Cato füllt mein komplettes Denken. Bleib ruhig!

, befehle ich mir selbst. Er kann auf sich aufpassen! Er war der beste im Training! Er ist auf alle Fälle noch am Leben!


Aber es hilft nichts und Zoras Antwort macht es auch nicht gerade besser: „Es könnte grundsätzlich jeder gewesen sein.“ Sie scheint mir die Sorge anzusehen. „Es wird bald dunkel, dann wissen wir es.“
Es wird bald dunkel.

Diese Stelle aus Zoras Satz und mein knurrender Magen erinnern mich daran, dass ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen habe und dass wir heute eigentlich etwas Essbares beschaffen wollten.
„Zuessen haben wir nichts mehr, oder?“, frage ich.
Zora sieht fast amüsiert aus: „Du hast schon wieder Hunger?“
Schon wieder?

Wir haben seit Stunden nichts gegessen!“
„Ach, Zuhause gibt es manchmal tagelang nichts zu essen.“
„Bei dir

zuhause vielleicht“, murmele ich.
„Clove, kann es sein, dass du gerade ziemlich down bist?“
„Hm“ Darauf kann ich nichts anderes antworten, weil sie recht hat.
Zora lacht. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du echt witzig bist?“
Ich kann sie nur anstarren. „Natürlich nicht!“
„Na ja, bei dem Gesicht, das du immer ziehst, ist das kein Wunder“ Sie grinst mich frech an.
Ich verdrehe die Augen. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du richtig nervig sein kannst?“, gebe ich zurück.
„Mehrmals“, antwortet sie, immer noch nicht ganz ernst, aber auch nicht mehr so wie vorher.
„Kann ich mir denken“
„Dankeschön“

Dann wird endlich die Hymne eingespielt und unterbricht uns. Zora und ich setzten uns an den nächsten Baum und schauen nach oben. Nachdem das Wappen des Kapitols ausgeblendet wird, erscheint der Junge aus 11. Ich atme hörbar aus. Lange machen es meine Nerven nicht mehr mit, von Cato getrennt zu sein.
Verdammt! Jetzt sei mal nicht so abhängig von ihm! Selbst wenn er stirbt, musst du diejenige sein, die gewinnt!

Wie oft wurde uns im Trainingscenter eingebläut, in der Arena keine tieferen Bindungen zuzulassen? Wie oft ermahnten sie uns, sich auch zuhause möglichst nur auf sich selbst zu verlassen, damit wir gleich für die Arena genügend abgehärtet sind und nicht vom Training abgehalten werden? Ich hätte mich besser an beides gehalten. Denn jetzt ist es zu spät und von daher ist das hier wahrscheinlich sogar die gerechte Strafe.
Wer nicht hören will, muss fühlen.

“, wiederhole ich leise den Spruch, den Enobaria, wenn sie es war, die uns trainiert hat, am liebsten verwendet hat. Jüngere und Schwächere meinten dann immer, sie wäre „grausam“ oder „gemein“, aber ich fand es gerecht. Sie hat es nur gut gemeint, hat uns dadurch ebenfalls abgehärtet und dazu erzogen, immer sein Bestmögliches zu geben.
„Hast du was gesagt?“, fragt Zora.
„Ist egal“, antworte ich.

Die Nacht verbringen wir zwischen drei Sträuchern und ich halte die erste Wache. Der Tag war anstrengend und ich spüre die bleischwere Erschöpfung. Normalerweise macht mich so ein Lauf nicht dermaßen fertig - dafür habe ich meine Ausdauer zu lange trainiert - aber nach über zwei Wochen Arena habe ich zahlreiche Verletzungen, die sich bemerkbar machen und ich habe mich zwei Tage lang nicht bewegt. Ich sehe erst zu Zora, die in ihrem Schlafsack liegt und ruhig schläft, dann zum Mond hoch. Ich werde noch mindestens eine Stunde lang Wache halten müssen, dabei würde ich so gerne schlafen. Und bisher ist während keiner Wache etwas passiert, also warum sollte sich das jetzt ändern? Langsam aber sicher sackt mein Kopf zur Seite auf meine Schulter.


„Clove? Verdammt, Clove

, wach auf!“ Zoras Stimme klingt schriller als sonst. Panisch.
„Was ist denn los?“, frage ich schläfrig. Ein seltsames, bedrohliches Zischeln ertönt und ich schlage die Augen auf, werde sofort wach. Uns gegenüber haben sich zwei überdimensionierte Schlangen aufgerichtet, beide mit riesigen Giftzähnen ausgestattet. Schlangenmutationen, schießt es mir durch den Kopf.
Normalerweise denken sich die Spielmacher für jede Arena neue Mutationen aus, doch Schlangen setzen sie häufig ein, da sich die meisten Tribute vor ihnen fürchten. Und zu diesen Tributen gehört Zora wohl auch.
„Verdammt!“, rufe ich ebenfalls, hechte zur Seite, kurz bevor die eine Schlang ihren Kopf an die Stelle schlägt, an der ich kurz zuvor noch gelegen habe. Ich ziehe eines meiner besten Messer.
„Was sollen wir denn jetzt machen?“, schreit Zora vollkommen aufgelöst und weicht dem Gift aus, das die andere Schlange nach ihr spuckt.
„Bleib ruhig!“, befehle ich ihr. Als sie im Trainingscenter gezeigt haben, wie man Mutationen bekämpft, war das die erste und wichtigste Regel.
„Wie denn?! Dann bringen sie mich um!“ Die Augen meiner Verbündeten sind glasig vor Entsetzen.
Ich schleudere das Messer nach der Schlange, die zuvor mich attackiert hat. Es hinterlässt eine blutige Wunde, doch es macht der Mutation wenig aus. Sie wird nur noch aggressiver.
„Mit ruhig bleiben meinte ich nicht, dass du dich nicht mehr bewegen sollst! Versuch, ihnen nicht zu zeigen, dass du Angst hast!“, schreie ich Zora zu.
Ich kann jetzt nicht auf sie achten, denn ich muss die Mutationen im Auge behalten. Jetzt spuckt die verletzte Mutation Gift nach mir. Ich habe keine Beweise dafür, aber ich wette, man ist sofort tot, wenn man davon getroffen wird.
Ich ducke mich unter der Attacke weg und schleudere ein zweites Messer an die selbe Stelle wie vorher. Das Viech stößt ein noch bedrohlicheres Zischen wie zuvor aus und stößt seinen Kopf wieder nach mir, klar mit der Absicht, seine Fangzähne in mich zu rammen, während die andere Schlange wieder auf Zora losgeht. Ich rolle mich zur Seite und ziehe ein drittes Messer, das ich auch nach der Schlange werfe. Es bleibt stecken, allerdings nicht ganz genau da, wo ich es hinhaben wollte.
Nun stecken also schon drei Messer in der Mutation und das Blut fließt nur so aus den Wunden, obwohl die Messer einen Großteil sogar noch zurück halten. Sie wird es nicht mehr lange machen.
Clove?!

“ Bevor ich die Mutation endgültig töten kann, hält Zora mich mit ihrem Schrei auf.
Ich wirbele zu ihr herum. Sie liegt am Boden, die andere, immer noch unverletzte Schlange über sich, die wieder und wieder mit ihren Fangzähnen nach ihr schlägt. Zora schafft es jedes mal auszuweichen, doch dann schließt die Mutation kurz ihr Maul. Ich erkenne die Absicht sofort. Das Gift. Zora wird trotz aller Geschicklichkeit keine Chance haben!
Ich renne auf die Schlange zu, mein längstes Messer in der Hand, doch es ist zu spät. Das Viech trifft sie genau in ihrem Gesicht.

Für einen Moment rührt sich nichts. Die andere Mutation, die sich vorher noch in Qualen gekrümmt hat, liegt ruhig da, tot, ich bin in der Bewegung erstarrt. Die Mutation über Zora regt sich kurz nicht und Zora ist für einen Moment gelähmt. Dann geht ein Zucken durch ihren Körper und sie beginnt zu Husten und zu Würgen. Meine Starre löst sich und ich stürze mich auf die Schlange, trenne ihr mit einem gezielten Stoß den Kopf ab.

Dann renne ich zu Zora, die sich gerade übergibt. Als sich ihr Magen kurz darauf beruhigt hat, geht ein zweites Zucken durch ihren Körper und daran, wie sie das Gesicht verzieht und wie sich einzelne Tränen aus ihren Augen zwängen, erkenne ich, dass sie große Schmerzen haben muss.
Ich kann nichts für sie tun, das weiß ich.
„Zora?“, flüstere ich.
„Clove? Bist du das?“ Ihre Stimme klingt gepresst, so als würde sie nicht richtig Luft bekommen.
„Ja“, hauche ich und greife nach ihrer Hand. Eine neue Schmerzenswelle geht durch ihren Körper und sie schreit leicht auf.
„D-das Armband!“ Jedes Wort scheint sie enorme Anstrengung zu kosten.
„Was ist damit?“, frage ich.
„Nimm es!“ Mit letzter Kraft hält sie mir ihren rechten Arm hin. Ich zögere kurz.
„Das kann ich doch nicht annehmen ...“
„Nimm es!“, ihre Stimme klingt fordernd, „Bitte“
Schließlich öffne ich den Verschluss des Armbandes und mache es mir um.
„Ich werde darauf aufpassen“, verspreche ich ihr.
„Danke“, haucht sie, dann bewegt sie sich nicht mehr und der letzte Druck, den sie auf meine Hand noch ausgeübt hat, verschwindet. Die Kanone wird abgefeuert.
Für einen kurzen Augenblick bin ich schon wieder erstarrt. Dann streiche ich ihr mit einer mechanischen Bewegung die Haare aus dem Gesicht. Meine Augen werden leicht feucht und mir wird bewusst, dass ich es schon wieder getan habe, dass ich eine Bindung mit einem Menschen, der sterben muss, zugelassen habe. Vorsichtig beuge ich mich zu ihr hinunter und küsse sie auf die Stirn.
„Mach ´s gut“, flüstere ich.
Dann wende ich mich von ihr ab, hole mein Gepäck und gehe, ohne mich noch mal umzublicken.

Der Gedanke, dass sie noch leben würde, wenn ich nicht eingeschlafen wäre, lässt mich nicht mehr los. Sie hätte so oder so sterben müssen, aber sie hätte einen weniger qualvollen Tod verdient gehabt. Vorsichtig streiche ich über den Federanhänger an dem Armband, das sie mir gegeben hat. Ich hätte sie jetzt gerne noch an meiner Seite, doch ich bin allein. Wieder allein. Und ich komme zu der Erkenntnis, dass sich Dinge manchmal schnell ändern – zu schnell.

AE: Wiedersehen


Ich laufe nicht mehr besonders weit, beziehungsweise kann nicht mehr besonders weit laufen. Zu bald übermannt mich die Erschöpfung, nun noch verstärkt durch den Kampf, die bleierne Müdigkeit, die zahlreichen Verletzungen und Zoras Tod. Zoras Tod ...
Überhaupt ist es das erste Mal, dass mich ein Tod trifft. Dass ich wirklich etwas dabei fühle, was in Richtung Trauer geht.
Ich habe einige Gegner beim Füllhorn ausgeschaltet, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
Der Junge mit dem lahmen Bein aus 10 ist mir zum Opfer gefallen und es hat mir Spaß gemacht.
Glimmer, Marvel und Jade hätte ich auch jeder Zeit umbringen können, ohne Probleme, genauso wie jeden anderen in der Arena auch.
Doch bei Zora war es anders. Sie war eine Verbündete, eine richtige Verbündete. Nicht das, was Marvel, Glimmer, Jade und der Knirps aus 4 geglaubt haben zu sein. Und mittlerweile bin ich mir nicht mal mehr so sicher, ob ich Zora überhaupt hätte töten können und das macht mir Angst. Denn beim Töten zu zögern, ist eine Schwäche. Eine Schwäche, die man sich in keinem Fall erlauben darf. Die den eigenen Tod unweigerlich zur Folge hat. Und den darf ich mir in keinem Fall leisten. Ich muss gewinnen.
Ich seufze und stütze mich vor Erschöpfung gegen einen Baum. In meinem Kopf pocht es stärker als je zuvor. Der Schnitt vom Kampf am Füllhorn in meinem linken Arm hat wieder angefangen zu brennen. Mein verletztes Bein schmerzt. Die immer noch nicht ganz verheilten Jägerwespenstiche jucken. Es ist eiskalt und ich zittere...
Verdammt! Jetzt reiß dich mal zusammen! Sie hätte so oder so sterben müssen und du hast auch schon schlimmere Schmerzen ertragen! Hör auf, so neben dir zu stehen und benimm dich für ein Mädchen aus Distrikt 2 angemessen!
Das ist es, was mir mein Verstand sagt. Aber mein Körper schreit danach, dass ich mich hinlegen soll und so rutsche ich langsam am Stamm des Baumes herab. Nicht mal mehr fähig, mich in meinen Schlafsack zu legen.


Ein sanftes Ruckeln weckt mich vielleicht zwei Stunden später wieder. Ich fühle, wie sich etwas unter meinen Rücken schiebt und spüre mit einem Mal den Boden unter mir nicht mehr. Vorsichtig und schläfrig öffne ich die Augen. Und blicke direkt in sein Gesicht mit den strahlend blauen Augen, umrahmt von wirren, blonden Haaren.
„Cato“, keuche ich, viel zu überrascht, um angemessen reagieren zu können.
„Hey, Clove. Sorry, ich wollte dich nicht wecken.“
Ich antworte nicht, sondern schlinge die Arme um seinen Hals, an den ich jetzt, wo er mich hochgehoben hat, viel leichter rankomme, und wir küssen uns.
Endlich habe ich ihn wieder! Endlich ist er wieder bei mir! Endlich kann ich ihn wieder küssen, ihn wieder anfassen. Endlich wieder seine Wärme spüren.

Unsere Lippen bewegen sich perfekt synchron und ein warmer Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Meine Hände graben in seinen wunderschönen blonden Haaren, während er seine Arme um meinen Bauch unterhalb meiner Rippen gelegt hat und mich festhält. Seine Finger malen kleine Kreise auf meinen Rücken, berühren die Haut aber nur ganz leicht, sodass ich eine Gänsehaut bekomme. Meine Hände wandern von seinen Haaren den Nacken herab auf seine Schultern, wo sie sich in den Ärmel seiner Jacke krallen.
Es dauert lange, bis wir uns wieder voneinander lösen können und als wir es schließlich tun, machen wir es nur, weil wir beide außer Atem sind.

Dann lässt er mich vorsichtig runter und wir belassen es nur noch bei einer innigen Umarmung.
„Schön, wieder bei dir zu sein“, flüstere ich.
Cato sagt nichts dazu, drückt mich aber noch etwas fester an sich, was mir zeigt, dass er genauso empfindet wie ich.
Kurz verharren wir so, dann fragt Cato: „Ist dir eigentlich gar nicht kalt, wenn du so ganz ohne Schlafsack schläfst?“
Ich versuche mich daran zu erinnern, warum ich ohne Schlafsack geschlafen habe. Aber die Gedanken an alles, was passiert ist, nachdem ich Zoras Leiche verlassen habe, sind undeutlich und verschwommen. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich gestern Nacht so erschöpft war, oder weil ich so benommen war.
„Doch …“
„Warum hast du ihn dann nicht benutzt?“
„Ich … ich war gestern zu müde“ Ich möchte das Ganze nicht weiter erläutern, was Cato zu spüren scheint.
„Ich schlag vor, du schläfst noch ein bisschen und ich halte Wache, okay?“
„Okay“ Die Müdigkeit kommt nun, kurz vertrieben durch das Wiedersehen mit Cato, mit voller Wucht zurück. Cato breitet seinen Schlafsack aus, in den wir zu zweit schlüpfen. Er legt den Arm um mich und zieht mich an sich.
Der Schlafsack spendet sofort Wärme und ich rutsche noch etwas näher zu Cato. Denn nun, wo er es gesagt hat, ist mir richtig kalt. Cato küsst mich auf die Stirn, fährt mit den Lippen über meine Haare, streicht mir einige Strähnen aus dem Gesicht und berührt meine Lippen wieder leicht mit seinen. Ich hätte seine Liebkosungen gerne noch länger genossen, bin aber zu erschöpft dafür. Wenige Sekunden später bin ich auch schon eingeschlafen.


Als ich aufwache, blinzele ich in die helle Nachmittagssonne, die durch das Laubdach fällt und alles in ein jadegrünes, goldenes Licht taucht. Sie malt ein gesprenkeltes Muster auf den Boden. Cato hält mich nach wie vor im Arm und blickt mich mit seinen saphirblauen Augen an. Sein Blick ist nachdenklich.

„Wer ist Zora?“, fragt er.
„Woher weißt du von … Zora?“, frage ich verwirrt. Erst jetzt merke ich, dass es mir schwerfällt, ihren Namen auszusprechen.
„Du hast im Schlaf über sie gesprochen“
Ich zögere kurz, bin mir nicht sicher, ob ich den Satz überhaupt herausbringe.
Meine Stimme zittert: „Sie … sie war … meine Verbündete.“
„Deine Verbündete? Wann das?“ Seine Stimme ist ganz sanft, hat einen tröstenden Klang, beruhigt mich etwas und meine Stimme wird fester: „In der Zeit, als wir getrennt waren. Mutationen haben sie getötet.“
Cato nimmt mich etwas fester in den Arm.
„Das tut mir leid“, flüstert er so leise, dass ich ihn gerade so verstehen kann, obwohl sich sein Mund direkt neben meinem Ohr befindet.
„Das muss es nicht“, hauche ich zurück. Er küsst mich kurz und sanft.

Für einen Augenblick bleiben wir so liegen – eng umschlungen, den warmen Atem des Anderen auf der Haut spürend, die Nähe genießend. Ich klammere mich praktisch an seinen Schultern fest, habe mit einem Mal das dringende Verlangen, ihn zu berühren und zu spüren. Nach ein paar Minuten, die mir höchstens wie ein paar Sekunden vorkommen, löst sich Cato von mir.
„Komm, Clove, wir sollten, bevor es dunkel wird, noch ein wenig nach Distrikt 12 Ausschau halten. Wenn wir sie finden, können wir endlich nach Hause.“
Widerwillig lasse ich ihn aufstehen und richte mich ebenfalls auf. Er packt unser Zeug zusammen, was aber nicht so viel Zeit beansprucht, da wir außer dem Schlafsack nur die Wasserflasche verwendet haben.
Ich greife nach seiner Hand. Ich möchte ihn nicht loslassen, möchte ihn spüren. Er drückt meine Hand kurz und ich greife noch fester zu. Das ist wenig, aber besser als nichts.

Wir laufen schweigend nebeneinander her und ich komme mir seltsam einsam vor, obwohl Cato mir so nahe ist. Ich blicke hinab auf unsere ineinander verschlungenen Hände. Wie viel sich in nur einem Monat ändern kann. Wenn mir da jemand gesagt hätte, ich und Cato würden uns auf diese Art lieben, ich hätte denjenigen wahrscheinlich für verrückt erklärt. Ich drücke seine Hand kurz. Er blickt zu mir und seine Mundwinkel ziehen sich ein kleines Stück nach oben. Ich erwidere das Lächeln leicht.

Wir haben die Richtung zum Füllhorn eingeschlagen und kommen in dem Moment beim See aus dem Wald, als die letzten Strahlen der Sonne für heute die ganze Arena in feuriges Licht tauchen. Mein Blick streicht über die sanften Wellen des Sees, die durch eine leichte Brise erzeugt werden.

Und plötzlich sehe ich sie. Sie hockt auf der anderen Seite des Sees, wäscht sich gerade eingehend und hält etwas in der Hand, was ich aus der Ferne nicht richtig erkennen kann. Wahrscheinlich ist es ein Lappen, oder etwas Ähnliches. Und sie sieht nicht so aus, als würde sie da schnell wieder verschwinden.
Ich drücke Catos Hand etwas fester als zuvor, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Er hebt den Blick und ich nicke in Richtung Distrikt 12. Ein fieses Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus und ich spüre, wie sich auch auf meinem Mund automatisch ein gemeiner, siegessicherer, schadenfroher Ausdruck abzeichnet. Wir ziehen uns beide in den Schatten der Bäume zurück und beginnen dann damit, den See im Dauerlauf zu umrunden. Cato ist immer ein paar Schritte vor mir.

Ich fühle mich wieder an einen Hindernislauf zurück erinnert, den wir letztes Jahr im Herbst mal für ein paar Wochen gemacht haben. Eine ein Kilometer lange Strecke mussten wir auf Zeit rennen und dabei alle möglichen Hindernisse bewältigen. Genau das tue ich jetzt auch; ich muss Bäumen ausweichen, über umgefallene Stämme springen und trotzdem auf den Boden achten, da ständig irgendwelche Wurzeln und Steinbrocken herausragen, auch wenn der mit Nadeln bedeckte, weiche Waldboden auf den ersten Blick gar nicht so aussieht. Beim Parcours damals waren es aber bei weitem nicht so viele Hindernisse gewesen.

Im Zickzack umrunde ich die Bäume, was die ganze Sache viel anstrengender macht, als wenn ich einfach die zwei Kilometer, die es bis zu Distrikt 12 vielleicht sind, rennen würde. Denn das wäre für mich nicht das geringste Problem. Cato, Len und ich, manchmal war auch Catos Bruder Kleron noch dabei, der mit mir und Len in einer Klasse ist, sind oft zusammen Joggen gegangen und da sind wir locker mal acht Kilometer am Stück gelaufen.

Halb renne, halb springe ich über eine besonders hohe Wurzel. Ich weiß nicht, ob es mir bloß so vorkommt, aber dieser Teil des Waldes scheint viel dichter bewachsen zu sein als der Rest.

Wir haben es fast geschafft und werden langsamer. Von der Anstrengung schmerzt mein verletztes Bein wieder, aber in der Aussicht, dass Distrikt 12 so gut wie tot ist und ich mit Cato hier raus kann, ist besser als jede Medizin. Wir treten gerade hinter Distrikt 12 aus dem Wald – beide mit gezückten Waffen - als ein Knurren hinter uns ertönt, ein tiefes, bedrohlich klingendes Knurren. Wir und auch das Mädchen aus 12, das uns entdeckt, wirbeln herum.

Und da springt sie hinter uns aus dem Wald. Die erste der vielen wolfsähnlichen Mutationen.

AE: Der Sieger


Gleichzeitig sprinten Cato und ich los. In Richtung Füllhorn. Dem einzigen Ort, an dem wir in Sicherheit wären. Das Mädchen aus 12 zögert kurz, dann folgt es unserem Beispiel. Ich ziehe sechs Messer auf einmal, Cato sein Schwert und Distrikt 12 legt einen Pfeil in ihren Bogen ein.

Ich schleudere zwei Messer auf einmal und treffe die Kehle eines der vielen Ungetüme, die nun aus dem Wald hinter der ersten Mutation strömen. Aber es macht dem wolfsähnlichen Monster gar nichts aus; es läuft weiter, als wäre nichts gewesen.

„Clove! Beeil dich!“, schreit Cato mir zu. Er hat das Füllhorn bereits erreicht, das Mädchen aus 12 ist nur noch ein paar Meter davon entfernt. Ich renne noch ein bisschen schneller, erreiche das Füllhorn und ziehe mich an den kleinen Unebenheiten, die das Horn aufweist, hoch.
Cato streckt mir die Hand entgegen und hebt mich die letzten zwei Meter nach oben.
„Danke!“, keuche ich. Er drückt meine Hand kurz, dann drehen wir uns beide zum Rand des Füllhorns um. Unter uns befindet sich ein Meer aus verschiedenfarbigen Pelzen, blitzenden Krallen und funkelnden Augen. Ich habe keine Ahnung, wie wir so viele Mutationen erledigen sollen, selbst wenn das Mädchen aus 12 mitmachen würde. Ich bezweifele, dass ich jemals schon mal so viele Monster auf einem Fleck gesehen habe, nicht in all den Jahren, in denen ich nun schon die Hungerspiele gesehen habe.

Das Mädchen aus 12 jagt einer Mutation zwei Pfeile in die Kehle und bringt sie damit zu Fall. Das getroffene Viech schlägt wild um sich und reißt einer anderen Mutation dabei mit seinen langen Krallen die Flanke auf. Beide gehen zu Boden, doch es sind noch so viele andere da unten, dass ich mich über diesen kleinen Erfolg so gut wie gar nicht freuen kann.
Eine andere Mutation versucht, auf das Füllhorn zu springen, doch Cato schlägt ihr mit einem gekonnten Hieb seines Schwerts den Kopf ab. Ich werfe zwar ein Messer nach dem anderen, kann mit meinen Waffen aber zum ersten Mal in meinem Leben kaum etwas ausrichten. Es ist gleichzeitig auch das erste Mal in der Arena, dass ich mir seltsam nutzlos vorkomme, als könnte ich nichts ausrichten. Und genauso ist es: Cato und Distrikt 12 könnten allein gegen die Wölfe kämpfen – es würde keinen Unterschied machen.
Doch plötzlich kommt mir eine Idee. Wenn Distrikt 12 stirbt, können Cato und ich nach Hause.
Ich packe das Messer, das ich immer noch für ihren Tod vorgesehen habe, und trete vorsichtig von hinten an sie heran, stürze mich dann auf sie und drücke sie an den Schultern auf die kalte, goldene Oberfläche des Füllhorns. Sie schreit überrascht auf. Jetzt spüre ich im Gegensatz zum letzten Mal keine freudige Erregung mehr. Einfach nur noch den Wunsch zu töten, ihr das Messer, das ich halte, in den Hals zu rammen und das Leben in ihren Augen erlöschen zu sehen.
„Noch einmal entkommst du mir nicht“, fauche ich, „Es gibt keinen Tribut mehr, der dich retten könnte.“
Sie versucht mich abzuschütteln – weit verfehlt – und ich kann an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, wie sie fieberhaft darüber nachdenkt, was sie machen könnte, um sich das Leben zu retten. Dass sie es alleine schaffen muss, ist irgendwo klar, denn weder Cato noch ich werden ihr helfen.
Dann wandert ihre Hand blitzschnell zu ihrem Gürtel, in dem das Messer, das sie mir beim Kampf am Füllhorn abgenommen hat, steckt und ich lockere reflexartig den Griff um ihre Schultern, um das zu verhindern. Sie reißt sich los und schubst mich von sich, wobei ich gefährlich nahe an den Rand des Füllhorns gerate, unter mir immer noch die Massen von Mutationen. Ich versuche so schnell wie möglich wieder näher auf die Mitte des Füllhorns zu kommen. Wieder oben sehe ich, dass Cato nun über Distrikt 12 kniet.
Ich höre, wie er leise und bedrohlich mit ihr spricht:
„ … deine kleine Schwester dazu sagen, wenn ich dich jetzt töte? Noch ein paar letzte Worte?“
Sie sieht ihn kochend vor Wut an und versucht wieder, seinem Griff zu entkommen.
„Du willst nicht? Auch gut. Dann richte deinem miesen Distriktpartner schöne Grüße aus!“
In diesem Moment hebt er nicht etwa sein Schwert, um ihr zum Beispiel den Kopf abzuhacken, sondern er steht auf und wirft sie zu den Ungetümen nach unten.
Sie schreit auf und fällt dann zwischen die unterschiedlichen Pelze der Mutationen. Angelockt durch das Fleisch stürzen die Viecher in ihre Richtung, bringen sich sogar gegenseitig um, um etwas von Distrikt 12 abzubekommen. Ruckzuck ist alles rot befleckt, blutgetränkt, aber eine Kanone ist nicht zu vernehmen, Distrikt 12`s heißere Schreie halten an. Dann ersterben sie nach einigen Sekunden und auf die kurze Stille folgt ein Kanonenschuss.

Löcher im Boden tuen sich auf, in denen die verbliebenen Mutationen verschwinden. Die frischen, immer noch blutenden Kadaver bleiben liegen.
Ich warte einen Augenblick. Wo bleiben bitte die Fanfaren, die unseren Sieg verkünden? Die uns sagen, dass wir nach Hause dürfen?
Dann schallt die altbekannte Stimme von Claudius Templesmith durch die Arena: „Ich gratuliere den letzten Konkurrenten der 74. Hungerspiele.“ Konkurrenten? „Die frühere Regeländerung ist zurückgenommen worden.“ Eine kurze Pause erfolgt, in der die gesagten Wörter langsam in mein Gehirn sickern und ich allmählich ihre Bedeutung verstehe. Das kann doch nicht wahr sein! „Und möge das Glück weiterhin stets mit euch sein.“ Ein Knacken im Lautsprecher, dann Stille. Ich starre Cato an, er starrt zurück. Und ein einziger Satz füllt mein Denken.

Ich muss die Spiele gewinnen!

Was dann passiert, geht so schnell und fast automatisch, dass ich nicht darüber nachdenken kann. Das Blut rauscht in meinen Ohren, Adrenalin wird durch meine Venen gejagt und ich fasse mein Messer, das ich immer noch halte, fester. Cato und ich fixieren uns, dann springe ich vom Füllhorn, gerade rechtzeitig, um nicht von dem Hieb seines Schwertes getroffen zu werden. Ich renne ein paar Meter rückwärts vom Füllhorn weg, um Cato im Auge zu behalten und trotzdem etwas geschützter zu sein. Er springt ebenfalls von dem goldenen Gebilde und kommt dann mit erhobenem Schwert auf mich zu. Aus den Augen blickt er mich halb warnsinnig, halb zornig an und ich beiße die Zähne wütend zusammen.
Niemand, der mit einem Schwert nach mir schlägt, kommt ungeschoren davon, damit das klar ist!
Ich schleudere das Messer und packe mir im gleichen Zug auch schon ein neues. Er weicht meiner Waffe aus und kommt näher, langsam und bedrohlich. Ich mache einen Schritt nach links und er von mir aus gesehen in die gleiche Richtung. Wir fixieren uns und laufen im gleichen Rhythmus im Kreis, wie zwei Raubtiere darauf lauernd, ob der andere den ersten Schritt macht und ziehen unsere runden Bahnen dabei immer enger. Währenddessen ist nur unser wütend keuchender Atem zu hören, sonst nichts. Auch Vögel hört man keine mehr singen.

Plötzlich macht er einen Satz nach vorne und ich tauche im gleichen Moment unter seinem Schlag hindurch, um dann ein Messer nach ihm zu schleudern. Er kann sich so weit abwenden, dass es ihn in die Schulter und nicht in den Magen trifft, aber kurz verzieht sich sein Gesicht vor Schmerz. Er zieht das Messer aus seiner Schulter, wirft es zu Boden und hinterlässt eine klaffende Wunde, die er aber nicht weiter beachtet. Sein Blick wird noch zorniger als zuvor und er holt ein zweites Mal aus. Doch jetzt schaffe ich es nicht, ganz auszuweichen und er schlitzt mir den Arm mit der fast verheilten Wunde vom Kampf am Füllhorn wieder auf. Der Schmerz, als die alte Wunde wieder aufbricht, ist so schmerzhaft, als hätte man meinen Arm angezündet und Tränen treten mir in die Augen, die ich aber wegwische. Das schürt meinen Hass. Ich muss die Spiele gewinnen! Und du hinderst mich daran!

Ich greife mir ein neues Messer. Die Wut lässt mich unvorsichtig werden und er schlitzt mir auch mein ebenfalls schon verletztes Bein auf. Dann drückt er mich zu Boden, wobei mir das Messer aus der Hand rutscht und neben mir zu Boden fällt, genau da hin, wo ich gerade so nicht hinkomme.
„Clove, ich hätte gerne zusammen mit dir gewonnen. Aber jetzt muss ich hier raus. Ohne dich.“ In seinem Gesicht, von dem ich dachte, jede einzelne Zelle zu kennen, erkenne ich nichts mehr wieder. Dieser, ich kann es nicht anders beschreiben, verrückte Blick ist mir vollkommen fremd.
„Da bist du nicht der Einzige!“, fauche ich und wehre mich gegen seine Hände, die mich niederdrücken und als ich merke, dass das nichts bringt, versuche ich, mein Messer zu fassen zu bekommen. „Nimm deine dreckigen Finger von mir! Sofort!“, schreie ich.
„Tut mir leid, aber das geht nicht“
In dem Moment, in dem er das Schwert hebt, bekomme ich mein Messer in die Finger und kann es ihm ins Herz rammen. In genau der gleichen Sekunde reißt er mit seinem Schwert meinen Bauch auf.
Noch bevor der Schmerz bei mir ankommt, werde ich in die dunkle Tiefe gerissen.


Das fast gleichmäßige Piepen eines Monitors bringt mich zurück in die Wirklichkeit. Ich spüre mehrere Schläuche in meinen Armen und als ich die Augen aufschlage, sehe ich eine Neonröhre über mir, die künstliches Licht spendet. Ich bin auf alle Fälle nicht mehr in der Arena. Aber wo genau bin ich? Ist das hier die Krankenstation?

Mit einem Schlag kommen die Erinnerungen zurück und ich kann mir nicht erklären, was in dem Moment der Regeländerung in mich gefahren ist. Aber … wenn das hier wirklich die Krankenstation ist, dann bedeutet das doch, dass Cato … Nein, das kann ich nicht glauben! Nein, bitte nicht …! Und ich bin Schuld, ich habe ihn …
Das Gesicht eines Mannes schiebt sich in mein Blickfeld und sofort zwinge ich mich dazu, alle Gedanken und Gefühle aus meinem Gesicht zu verbannen. In ein Headset murmelt der Mann etwas, aus dem ich die Worte „endlich“ und „wach“ herauszuhören meine.
Dann wendet er sich an mich. „Können sie mich verstehen, Miss Chericson?“, fragt er.
Ich nicke. Ruhig bleiben! Ganz ruhig bleiben!
„Gut, ich werde ihnen nun ein paar Fragen stellen. Beantworten sie diese bitte so ehrlich wie möglich und solange ich keine ausführlichere Antwort brauche, einfach mit ja oder nein.“ Wieder nicke ich. „Gut, haben sie noch Schmerzen? Ja oder nein?“
„Ja“
„Wo genau haben sie Schmerzen? Beantworten sie ruhig so knapp wie nötig.“
„Am Bauch und von ihnen aus gesehen rechten Arm.“
„Wir werden uns darum kümmern. Können sie sich bewegen?“
Probeweise strecke ich meine Glieder, vorsichtig wegen der Schläuche, bewege die Zehen und die Finger. Scheint alles noch zu funktionieren, obwohl die Bewegungen stark schmerzen.
„Ja“
Er geht nicht auf die Antwort ein, sondern macht einfach weiter. „Wie fühlen sie sich?“
Mir ist in etwa so, als wäre ich 50 Kilometer in einer Minute gelaufen und hätte circa eine Woche lang nicht geschlafen. Und die Sache mit Cato verursacht ein Gefühl, das mir die Kehle zuschnürt, das auf meine Brust drückt, so dass ich meine, keine Luft zu bekommen. Ich habe ihn getötet! Den Menschen, der so viel für mich getan hat! Wie konnte das passieren? Was war mit mir los?!
Aber das lasse ich bei meiner Antwort weg.
„Ich bin müde und erschöpft.“, murmele ich.
„Sie werden gleich schlafen dürfen. Aber vorher möchte ich sie darum bitten, noch etwas zu essen.“ Ich möchte nichts essen. Dazu bin ich überhaupt nicht in der Stimmung. Und ich befürchte, es könnte mir wieder hoch kommen. Aus Abscheu vor mir selbst.
Der Typ, der offenbar Arzt ist, drückt einen Knopf, woraufhin ich in eine sitzende Position gebracht werde und hält mir eine Schüssel mit Apfelmus oder so etwas ähnlichem hin. Der Geruch lässt mir Übelkeit aufsteigen, aber ich ignoriere es. Je früher ich gegessen habe, desto schneller kann ich schlafen.
Und das möchte ich. Mich nicht mehr mit den Gedanken auseinander setzten müssen. Und solange ich nicht träume, werde ich im Schlaf auch in Ruhe gelassen werden.

Da ich weder den linken noch den rechten Arm heben kann, versucht mich der Doc zu füttern. Es geht mir viel zu schlecht, als dass ich mich über diese Behandlung aufregen könnte. Er führt den Löffel zu meinem Mund und ich schlucke.
In diesem Moment ist mir, als würde mein Magen kippen und ich würge. Der Arzt schafft es gerade noch, mir einen Eimer unter das Kinn zu halten, bevor ich mich geräuschvoll übergebe.
Viel hatte ich nicht im Magen und so ist es vor allem Galle, die mir hochkommt. Der bittere Geschmack im Mund ist einfach nur ekelhaft. Tränen laufen mir durch die Anstrengung die Wangen herab und ich würge, obwohl ich dazu gar nicht die Kraft habe. Nach etwa einer Minute kommt nichts mehr.
„E-entschuldigung“, murmele ich verlegen und gleichzeitig noch erschöpfter als zuvor. Der Doktor tut es mit einer Handbewegung ab und reicht mir ein Tuch und ein Glas, das ich wohl zum Mundausspülen verwenden soll.

„Sie können jetzt schlafen, Miss Chericson. Und falls ihnen nochmal schlecht werden sollte, finden sie zu ihrer linken Seite einen zweiten Eimer.“ Er betätigt wieder den Knopf, sodass ich zurückgefahren werde. Dann verlässt er den Raum und ich schlafe wenige Sekunden später ein.


Einzelne Sätze wecken mich und ich stelle fest, dass ich mich an meine Träume glücklicherweise nicht erinnere. Offenbar führen zwei Personen ein Gespräch, doch ich kann nur die eine einigermaßen verstehen, da sie offenbar schreit und außer sich ist: „Was soll das heißen ‚es geht ihr schlechter als erwartet‘?“, die Person wartet die Antwort gar nicht erst ab, „Das ist ihr Job, verdammt nochmal! Alleine für diese Aussage müssten sie gefeuert werden!“ Die andere Person antwortet etwas, das ich leider gar nicht verstehe. „Das ist mir egal, ich will zu ihr! Jetzt!“
Nun verstehe ich auch die andere Person: „Warten sie! Sie können da nicht rein …!“
„Wissen sie, wie egal mir das ist?“
Dann wird die Tür zu meinem Raum aufgerissen. Sie müssen über mich gesprochen haben. Ich blinzele überrascht. Und als ich sehe, wer da steht, bin ich vor Schreck wie erstarrt.
„Cato?!“, keuche ich, mit den Nerven völlig am Ende.
„Hey, Kleine …“
In seiner Stimme liegt eine Unsicherheit, die ich noch nie gehört habe, die einen seltsam verletzlichen Ton hat, der so überhaupt nicht zu ihm passt.

Es ist das letzte, was ich möchte, aber in diesem Augenblick fange ich an zu weinen. Heiß laufen mir die Tränen über die Wangen und ich kann nicht mal sagen, ob es ist, weil ich so froh bin, dass Cato noch lebt, weil es mir so schlecht geht, oder weil ich mich so dafür schäme, dass ich ihn angefallen, fast umgebracht habe. Ich kann nicht mehr sagen, was richtig und was falsch gewesen wäre; zu töten, wie es mir mein Leben lang beigebracht wurde oder zu beschützen, weil jemand einem wichtig ist.
Er setzt sich auf meinen Bettrand und nimmt mich vorsichtig in den Arm, tausendmal zögerlicher als sonst. Was habe ich getan?, schreit es in meinem Kopf.
„Oh, Cato, ich … Es tut mir …“
„Hey, Clove, beruhige dich. Ich bin dir nicht böse. Mir tut es viel mehr Leid. Ich hätte dich fast umgebracht, du hast dich nur verteidigt. Ich weiß gar nicht, wie ich das jemals wieder gut machen soll, wie ich das wieder in Ordnung bringen soll. Ich weiß nicht, was in diesem Augenblick los war, ich wollte einfach diesen Ding gewinnen und dabei …“

Ich ertrage seine Vorwürfe nicht länger und unterbreche ihn, indem ich meine Lippen kurz auf seine drücke, was sich extrem gut anfühlt. Kurz zögert er, dann erwidert er meinen Kuss für einen winzigen Augenblick und unterbricht ihn dann.
„Clove, eigentlich solltest du mich jetzt hassen. Ich könnte verstehen, wenn du mich nicht mehr bei dir haben wolltest, wenn du mich anschreien oder wenn du mich schlagen würdest. Doch stattdessen sitzt du hier, drückst dich an mich. Du solltest Angst vor mir haben.“
„Wie kannst du so was nur sagen? Wie könnte ich dich jemals hassen? Du hast mich angefallen, aber ich habe dasselbe gemacht. Es war also auch meine Schuld. Wir waren in diesem Augenblick beide nicht wir selbst. Wir wurden beide jahrelang darauf trainiert, die Spiele zu gewinnen. Wir können beide nichts dafür.“
„Trotzdem habe ich dich angefallen. Das …“
„Cato, jetzt halt verdammt noch mal deine Scheißklappe und hör auf mit diesen Vorwürfen! Das macht mich warnsinnig! Es macht. Mich. Warnsinnig! Kapiert?!“, mein Atem beruhigt sich etwas, „Merkst du gar nicht, wie sehr ich dich brauche? Ich würde es nicht ertragen, wenn du mich jetzt ignorieren würdest. Wenn ich noch mal allein gelassen werde, wie damals von meinem …“ Meine Stimme bricht und ich schlinge die Arme fester um seinen Hals.
„Clove, es tut mir Leid.“, flüstert er in meine Haare, „Ich lass dich nicht allein, nie. Versprochen“
„Danke, Cato. Danke“, hauche ich.

Als wir uns nach längerer Zeit aus der Umklammerung lösen, nimmt er meine Hand.
„Die ist ja eiskalt“, meint Cato, greift sich auch meine andere und hält sie zwischen seinen großen Händen, um meine etwas zu wärmen und reibt ein bisschen, um das Ganze zu beschleunigen.
Ich platze mit der Frage, die mich seit seinem Auftauchen beschäftigt, heraus: „Kannst du mir eigentlich verraten, warum du verdammt nochmal noch lebst?“
„Wie freundlich von dir“ Sein Gesicht verzieht sich zu dem Anflug eines frechen Grinsens. Der Ausdruck beruhigt mich ein bisschen, auch wenn der Ausdruck kaum mehr als ein Schatten seines Gesichtsausdrucks von früher ist.
„Du weißt, dass ich das nicht so gemeint habe“
Er drückt meine Hände vorsichtig. „Offenbar waren wir beide schon so gut wie tot. Sie konnten nicht sagen, ob sie überhaupt einen von uns beiden retten können und deswegen haben sie uns beide versucht am Leben zu erhalten.“ Das klingt zumindest ein wenig einleuchtend.
Dann beugt er sich etwas näher über mich, kommt zögerlich immer näher. Etwa einen halben Zentimeter vor meinem Mund stoppt er. So verharren wir für eine Sekunde, dann überbrücke ich die Distanz zwischen uns mit meinen Lippen und küsse ihn ganz vorsichtig und zärtlich, aber gleichzeitig auch leidenschaftlich. Ich verschränke die Arme in seinem Nacken, während er die Hände rechts und links von meinem Kopf auf dem Bett abstützt. Der Kuss wird etwas dynamischer und härter, aber es gefällt mir sehr. Und das Verlangen danach, dass wir noch einen Schritt weiter gehen, ist so stark, dass es fast weh tut. Vorsichtig wandern meine Finger zu den Knöpfen des Hemds, das er trägt. Meine Fingerspitzen berühren gerade den obersten, da unterbricht Cato den Kuss. Die Enttäuschung durchfährt mich augenblicklich.
„Aber warum nicht?“, frage ich.
„Glaub mir, Clove, ich würde sofort wieder mit dir schlafen, aber momentan geht es dir dafür noch nicht gut genug. Wenn du wieder okay bist, werden wir das sofort nachholen.“
Diese erneute Abweisung von seiner Seite aus verunsichert mich, löst in mir ein Gefühl von Einsamkeit aus.
„Versprochen?“ Ich ertrage es nicht, wenn er jetzt nein sagt.
„Versprochen.“ Dann drückt er mir kurz nochmal den Mund auf die Lippen. „Und jetzt rutsch mal. Mir ist kalt.“

So liegen wir lange Zeit einfach nebeneinander und genießen die Anwesenheit des anderen.
Irgendwann muss ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich die Augen öffne, ist Cato verschwunden und eine junge Ärztin sitzt auf einem weißen Stuhl neben meinem Bett.
„Ah, gut, dass sie wach sind. Wie geht es ihnen heute, Clove?“
Es überrascht mich, dass sie mich mit meinem Vornamen anspricht. Aber ich kann nicht behaupten, dass es mich stören würde.

Mittlerweile ist die Erschöpfung verschwunden und müde bin ich auch nicht mehr; immerhin habe ich in den letzten Tagen die meiste Zeit geschlafen. Auch schlecht ist mir nicht mehr, die Schmerzen sind ebenfalls verschwunden. Und so kann ich mit gutem Gewissen: „Viel besser“ antworten.
„Sehr schön. Wenn sie jetzt etwas essen, meinen sie, sie würden es bei sich behalten?“ Ich nicke und nehme ihr anschließend die Schüssel aus der Hand. Es ist wieder Apfelmus, nur mit dem Unterschied, dass mir dieses Mal nicht übel wird. Mittlerweile habe ich richtig Hunger und die Schüssel ist schnell aufgegessen, danach schaffe ich allerdings nichts mehr.

Die Ärztin macht noch ein paar abschließende Tests, misst Blutdruck, überprüft meine fast verheilten Verletzungen und sagt dann, dass ich gehen kann.

AE: Epilog


Seit den 74. Hungerspielen sind inzwischen ziemlich genau sieben Jahre vergangen, denn heute findet die Ernte der 81. Hungerspiele statt. Ich sitze neben Cato auf der großen Wiese in Distrikt 2, während die Sonne, die vom wolkenlosen Himmel prallt, mir ins Gesicht scheint. Er hält meine rechte Hand, an der ich den wunderschönen Ring trage, den er mir zur Verlobung geschenkt hat. Er ist aus reinem Silber mit einem eingefassten kleinen Aquamarin.

Wir beobachten Ruth, Pelly und Lou, die offenbar großen Spaß daran haben, mit ihrer Nichte und unserer Tochter Robin zu spielen. Alle vier haben sie ein Lächeln auf dem Gesicht, ebenso wie Kleron und Len, die dicht aneinander geschmiegt etwas abseits sitzen. Es macht mich glücklich, die Menschen, die mir mit am wichtigsten sind, so glücklich und entspannt zu erleben.

Ich blicke auf meine Uhr. Es wird langsam Zeit, uns auf den Weg zum Marktplatz zu machen. Als ehemalige Sieger müssen Cato und ich früher als die anderen bei der Ernte sein und ich möchte mich vorher noch umziehen.
Ich stehe auf: „Robin, kommst du? Wir müssen gehen!“
Sie dreht sich zu mir um. Die Sonne lässt ihre dunkelbraunen Haare leicht rötlich schimmern und ihre großen, blauen Augen blicken mich leicht verstimmt an. „Ich will aber noch nicht gehen!“, ruft sie.
„Wir müssen aber, oder willst du zu spät kommen?“
„Ich will trotzdem noch nicht gehen, Ruth hat sich gerade ein neues Spiel ausgedacht!“
Mit diesen Worten rennt sie weg. Seufzend folge ich ihr. Immer dasselbe Theater!, denke ich gefrustet.
Plötzlich ist Robin aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich sehe mich nach ihr um.
„Robin, lass den Mist und komm her!“
Sie antwortet nicht. Schließlich entdecke ich sie. Sie ist in einen der Bäume geklettert und sitzt nun auf einem der untersten Äste. An was erinnert mich diese Szene bloß?
Sofort bin ich bei ihr und sehe zu ihr nach oben: „Robin, komm sofort da runter! Willst du dir das Genick brechen?“
Sie schüttelt den Kopf, bewegt sich aber trotzdem keinen Zentimeter.
„Ich will aber noch nicht gehen!“
Das hat sie jetzt auch schon dreimal gesagt! Langsam werde ich wütend auf meine Tochter.
Ich möchte sie runterheben, kann sie aber gerade so nicht erreichen. Ihre saphirblauen Augen blitzen trotzig.
„Ich will noch nicht gehen! “, ruft sie.
„Jetzt sei nicht albern, wir dürfen nicht zu spät kommen!“
„Das ist mir doch egal, ob du zu spät kommst!“
„Ich hab dir schon mal gesagt, du sollst nicht immer so frech sein!“
„Und wenn ich es trotzdem bin?“
In dem Moment kommt glücklicherweise Cato und hebt sie herunter. Jetzt kriegt Robin ihren Raster und erinnert mich unweigerlich ein wenig an ihren Vater.
„Lass mich los!“, schreit sie, schlägt und tritt um sich, „Ich will nicht, dass ihr da hin geht! Lass mich sofort los!“
„Hör auf, so ein Theater zu veranstalten!“, meint Cato genervt, während ich sie gleichzeitig ermahne: „Robin, sei nicht so unverschämt zu deinem Vater!“
„Ich bin nicht unverschämt zu ihm, er ist unverschämt zu mir!“
Ich stöhne. Sie ist für ihre vier Jahre manchmal schon ziemlich weit und intelligent, allerdings kann sie sich dafür auch wirklich wie sonst was aufführen.
Lou kommt nun auch hinzu und Robin hört sofort auf zu widersprechen. Sie hat einen totalen Narren an ihrer Tante gefressen.
„Na komm, Robin, wir gehen jetzt zur Ernte. Soll ich dir irgendeine schöne Frisur oder etwas in der Art machen? Wenn du willst, kannst du auch ein Kleid anziehen.“, schlägt meine kleine Schwester ihr vor.
„Oh, ja!“ Robin ist sofort begeistert.
„Na, dann komm.“
Robins kleine Hand umfasst Lous größere und die beiden laufen los in Richtung des Siegerdorfes.
Cato und ich folgen ihnen mit ein paar Meter Abstand.

„Ich fasse es nicht, dass Lou mit meiner Tochter besser zurecht kommt, als ich selbst“, stöhne ich.
Cato lächelt leicht: „Nimm ´s nicht so schwer, ich weiß, dass Robin dich liebt. Und ich liebe dich auch.“
Er beugt sich zu mir hinunter und wir küssen uns kurz und leidenschaftlich.
Aber wir werden durch Pelly unterbrochen, die mit Kleron, Len und Ruth etwas weiter hinten gelaufen ist: „Wolltet ihr euch nicht eigentlich beeilen?“
Ich schaue sie ärgerlich an, bin ihr aber nicht wirklich böse. Sie hat ja Recht.
„Nur weil du momentan niemanden hast ...“
„Tja, das kann sich aber auch schnell wieder ändern“, meint sie selbstsicher und grinst mich an. Ich grinse zurück. Mittlerweile verstehen wir uns viel besser als vor meinen Hungerspielen.
„Ihr wollt heute wirklich zu spät kommen, kann das sein?“, ruft Len ungeduldig. Die anderen sind mittlerweile schon hundert Meter voraus.
„Wir kommen ja schon!“

Impressum

Texte: FanFiction zu Suzanne Collins´ "Die Tribute von Panem - Tödliche Spiele".
Tag der Veröffentlichung: 16.09.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine kleine Schwester, die mich sehr zu dieser FanFiction inspiriert hat.

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