„Hallo?“
„Hallo. Hier spricht Max. Na, wie geht’s?“
„Wer spricht bitte?“
„Bist du am Telefon auch so frech?“
„Wie bitte? Wer spricht hier?“
„Max.“
„Ich kenne keinen Max. Tut mir leid, Sie haben sich wohl verwählt.“
„Hast du die Nummer 0664/3113857?“
„Ja.“
„Und ist dein Name Melanie?“
„Ja.“
„Dann bin ich wohl doch nicht falsch verbunden.“
„Woher haben Sie meine Nummer?“
„Du hast sie mir vor 5 Minuten im Chat gegeben, liebe Melanie.“
„In welchem Chat? Ich war in meinem Leben noch nie in einem Chat. Sind Sie ein Freund von Hubert? Kenne ich Sie?“
„Ich bin´s, Max. Wir haben eben ziemlich lange in einem Separée im myLove-Chat miteinander geplaudert.“
„Hat Ihnen Hubert meine Nummer gegeben?“
„Wer ist Hubert?“
„Mein Ex-Mann. Er hat schon öfters meine Telefonnummer irgendeinem Bekannten oder Arbeitskollegen von mir gegeben, seit wir geschieden sind.“
„Ich kenne keinen Hubert. Wir haben drei Stunden miteinander im Chat-Raum verbracht. Du heißt Melanie, hast mir deine Nummer gegeben und jetzt kennst du mich nicht mehr?“
„Wer bist du? Bist du Karl? Andreas? Sag es mir, ich finde das nicht witzig.“
„Hör mal, ich habe keine Ahnung, wer dein Ex-Mann ist. Ich bin auch kein Freund oder Bekannter von deinem Ex. Kann es sein, dass ich mit ihm gechattet habe und er mir deine Nummer gegeben hat?“
„Ich weiß nicht, ob ich dir glauben soll. Aber ja, das wäre eine Möglichkeit.“
„Willst du mich auch nicht auf den Arm nehmen?“
„Ich habe eher das Gefühl, dass ihr mich veräppeln wollt.“
„Wen meinst du mit ihr?“
„Na, Hubert und du.“
„Nein. Ehrlich. Ich habe keine Ahnung, wer Hubert ist. Ich gehe davon aus, dass er sich als Melanie ausgegeben hat. Und ich bin drauf reingefallen. Im Chat ist es leicht, sich als jemand Anderes auszugeben. Du hast mir sogar Fotos von dir geschickt. Oder wer auch immer das war, der sich als Melanie ausgegeben hat.“
„Das Schwein verschickt meine Fotos im Internet? Ich glaub es nicht.“
„Soll ich sie dir schicken? Damit du mir glaubst. Beziehungsweise damit wir überprüfen können, ob es sich wirklich um deine Fotos handelt.“
„Damit ich dir glaube? Du kannst ja trotzdem ein Freund von Hubert sein, der von ihm meine Fotos bekommen hat.“
„Das stimmt. Aber ich kenne ihn nicht. Bitte glaube es mir einfach. Ich nehme an, dass dein Ex-Mann in der Gegend herum chattet und sich für dich ausgibt.“
„Warum sollte er das machen?“
„Das darfst du mich nicht fragen. Hast du eine Ahnung?"
"Ich nehme an, er will mich einfach ärgern, weil ich ihn verlassen habe."
"Woher kommst du?“
„Aus dem Burgenland.“
„Ich komme aus Salzburg, damit dürfte sich die Frage nach meiner Glaubwürdigkeit wohl nicht mehr stellen.“
„Vielleicht lügst du?“
„Vielleicht lügst auch du?“
„Du hast recht. Ich glaube dir, dass du meinen Ex-Mann nicht kennst. Ich versuche es jedenfalls mal zu glauben. Ich bin nur wütend, dass er so was macht. Es reicht ihm anscheinend nicht, dass er meine Handynummer im Bekanntenkreis herumreicht. Nein, jetzt gibt er sie schon wildfremden Menschen aus dem Internet. Das ist ja krank. Ich werde ihn anrufen und die Hölle heiß machen.“
„Man kann ihm vorwerfen, was man will, aber er hatte Geschmack.“
„Wie meinst du das?“
„Ich meine, falls die Fotos wirklich von dir sind.“
„Das kann ich dir nicht beantworten.“
„Du hast jedenfalls eine sehr nette Stimme, unbekannte Frau.“
„Soso, habe ich das. Wie sehe ich denn aus - auf den Fotos?“
„Attraktiv. Rassig. Sexy.“
„Haha. Das könnten ja wirklich meine Fotos sein. Ich bin Halb-Ungarin.“
„Wirklich?“
„Ja! Mein Ex-Mann sagte immer, in meinem Blut fließe feuriges Gulasch, haha.“
„Ich kann verstehen, was er meinte. Ist er auch gebürtiger Ungar?“
„Er ist gebürtiger Wiener. Bei ihm trifft schales Wiener Schnitzel wohl eher zu als feuriges Gulasch.“
„Haha. Du bist ja böse.“
„Nein, das bin ich nicht.“
„Ich mag deine Stimme wirklich. Du klingst sympathisch.“
„Du weißt wohl sehr gut, was eine Frau hören will. Ich werde jetzt aber dennoch dieses Gespräch beenden und Hubert zur Rede stellen. Ich finde das eine bodenlose Frechheit.“
„Da gebe ich dir Recht.“
„Was habt ihr miteinander geschrieben?“
„Alles mögliche. Es ging jedenfalls dann am Schluss schon ziemlich heiß bei „uns“ zu, um ehrlich zu sein. Würde ich es Flirt nenne, wäre das wohl maßlos untertrieben.“
„Dieses Schwein.“
„Er kann jedenfalls sehr gut weiblich schreiben. Das muss man ihm lassen.“
„Haha. Na warte, der kann sich von mir was anhören.“
„Findest du meine Stimme auch nett?“
„Ja. Aber darum geht es jetzt nicht.“
„Warum denn nicht? Du kannst deinen Ex ja auch noch morgen zur Rede stellen und jetzt mit mir noch ein bisschen plaudern, oder? Ich finde es jedenfalls irgendwie witzig. Ziemlich schräg, aber witzig. Mal was anderes. Findest du nicht?“
„Hm. Irgendwie hast du Recht.“
„Ich finde die ganze Sache sogar recht spannend.“
„Na ja, jetzt übertreib mal nicht. Schick mir bitte diese Fotos. Ich möchte wissen, ob er es wirklich wagt, Bilder von mir herumzuschicken.“
„Gib mir deine Adresse.“
„Kann ich dir auch wirklich vertrauen?“
„Ehrenwort.“
„Was soll´s. Schick die Fotos an mel.k@hotmail.at“
„Jetzt gleich?“
„Ja, wann denn sonst? Du darfst mich in zehn Minuten wieder anrufen.“
„OK, Chefin.“
„Witzbold. Bis gleich.“
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„Hallo.“
„Hi.“
„Ja, das sind meine Fotos. Er hat sie gemacht, als wir noch zusammen waren.“
„Ist dir das unangenehm?“
„Du meinst, weil man mich darauf halbnackt sieht? NEIN, wie kommst du denn darauf?“
„Die feine Klinge der Ironie.“
„Ja klar ist mir das unangenehm. Und wie! Das kannst du mir glauben. Weniger deinetwegen, aber wer weiß, wo die sonst noch auf der ganzen Welt herumgeschickt werden.“
„Es geht mich ja nichts an, aber dein Ex-Mann spinnt.“
„Das kannst du laut sagen.“
„DEIN EX-MANN SPINNT.“
„Haha. Du Spinner. Meine Güte, was mache ich eigentlich? Warum unterhalte ich mich mit einem wildfremden Mann?“
„Vielleicht, weil es dir gefällt?“
„Hm.“
„Vielleicht findest du diese Situation auch so skurril, dass du wissen möchtest, wie es weitergeht.“
„Was meinst du, wie es weitergeht.“
„Ach, ich meine gar nichts.“
„Du bist vielleicht ein komischer Vogel. Ich sollte einfach auflegen.“
„Dann tu es doch.“
„Und wenn ich nicht will?“
„Warum willst du denn nicht?“
„Frag mich was Leichteres!“
„Woran ist das tote Meer gestorben?“
„Haha. Du bist vielleicht in Idiot.“
„Aber einer, mit dem du schon seit über einer halben Stunde telefonierst.“
„Die Telefonrechnung zahlst ja eh du, mein lieber Freund.“
„Die zahle ich in dem Fall gerne.“
„Haha. Schleimer.“
„Das habe ich nicht notwendig.“
„Meinst du? Wie siehst du überhaupt aus?“
„Was interessiert dich denn?“
„Na, alles. Na los, Unbekannter. Beschreibe dich.“
„Soll ich dir Fotos von mir schicken? Sozusagen als ausgleichende Gerechtigkeit?“
„Nein. Nicht nötig. Mir reicht das vollkommen aus deinem Mund.“
„Ich bin 31 Jahre alt, 185 cm groß, dunkler Typ, kurze Haare, schlank.“
„Hm. Genau mein Fall. Haha.“
„Ach ja?“
„Ich bin eine temperamentvolle Frau, mein Lieber. Da kann ich mit kleinwüchsigen Buchhaltertypen wenig anfangen.“
„Da bin ich ja froh, dass ich als Fotograf arbeite. Und außerdem: jetzt geht die temperamentvolle Frau ja ganz schön in die Offensive.“
„Du hast keine Ahnung, wie ich bin, wenn ich wirklich in die Offensive gehe. Der nette Herr, der meine Telefonnummer und meine Fotos so gern herumschickt, war mir jedenfalls nicht gewachsen.“
„Das klingt ja interessant. Und warum genau war er dir nicht gewachsen?“
„Das würdest du gern wissen, gell. Netter Versuch, junger Mann. Hat dir mein Ex auch verraten, wie alt ich bin?“
„39?“
„Der Mann kann ja sogar ab und zu die Wahrheit sagen. Sollte ich überrascht sein?“
„Du hast dich aber sehr gut gehalten.“
„Haha. Jetzt fängt wieder die Schleimerei an. Gut gehalten? Na hör mal, ich bin ja noch nicht sechzig. Und ich mache etwas für meine Fitness. Erzähl mir lieber mal was von dir. Hast du eine Freundin?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Bin geschieden. Habe erstmal genug von den Frauen.“
„Ach ja. Darum treibst du dich ja auch in Chat-Räumen herum und lässt dir Telefonnummern geben, stimmt´s?“
„Du hast noch was vergessen."
"Was denn?"
"Ich lasse mir auch noch Fotos schicken."
„Du bist ja ein ganz ein Schlimmer.“
„Woher kennst du mich schon so gut?“
„Vielleicht habe ich dich ja auch ausspioniert?“
„Ich dachte schon die ganze Zeit daran, dass du mich auf den Arm nimmst.“
„Kommst du ab und zu auch mal in das schöne Burgenland?“
„Nein, eigentlich nie. Warum? Hast du bereits solche Sehnsucht nach mir?“
„Wer weiß. Vielleicht eines Tages. Dazu müsstest du aber zuerst mal ein bisschen braver werden.“
„Das würde dich doch nur langweilen.“
„Da könntest du sogar Recht haben.“
„Schau, wie gut ich dich schon kenne. Und wie geht es jetzt weiter?“
„Das kann ich dir sagen, lieber Max. Ich bin eine ältere Dame, die ihren Schlaf braucht. Und deshalb werde ich jetzt ins Bett gehen und von schönen Dingen träumen.“
„Du kennst doch noch gar nicht meine Fotos.“
„Deine große Klappe scheint ein Markenzeichen von dir zu sein.“
„Willst du nicht noch ein bisschen mit mir weiterplaudern?“
„Nein, mein Lieber. Ich habe schon lang genug mit dir telefoniert.“
„Du bist ja streng.“
„Vielleicht bin ich noch viel strenger, als du vermutest.“
„Hm. 10 Minuten noch?“
„Haha. Nein. Aus.“
„Fünf?“
„Hab mich gern.“
„Jetzt schon? Ich kenn´ dich doch gar nicht.“
„Depp.“
„Na gut. Sagen wir halt, drei Minuten.“
„Okay. Überredet.“
„Meine Güte. Nur drei Minuten. Wie soll man da denn ein vernünftiges Gespräch führen?“
„Als ob es dir darum ginge, ein vernünftiges Gespräch zu führen. Du willst ja nur mit mir flirten.“
„Soll ich jetzt rot werden?“
„Das darfst du dir aussuchen.“
„Durch deine Zeitvorgaben bin ich jetzt so unter Zeitdruck, dass mir gar nichts mehr einfällt.“
„Das kann ich mir bei dir gar nicht vorstellen.“
„Vielleicht sollten wir doch noch auf zehn Minuten verlängern.“
„Sag mal, bist du immer so schwer abzuschütteln?“
„Nur bei interessanten Frauen.“
„Und wann findest du eine Frau interessant? Wenn sie tolle Fotos schickt?“
„Nein. Wenn ihr Ex-Mann tolle Fotos von ihr schickt.“
„Eins muss man dir lassen. Du bist nicht auf den Mund gefallen.“
„Das stimmt nicht. Also damals, als ich noch ein Kind war…“
„Haha. Ja, ein Kind. Das charakterisiert dich recht gut.“
„Danke, Mama.“
„Aber immerhin hast du mich ein paar Mal zum Lachen gebracht. Und das tat gut.“
„Lachst du denn so selten in letzter Zeit?“
„Es gab Zeiten, in denen ich mehr zum Lachen hatte, ja.“
„Da haben wir etwas gemeinsam.“
„Warum ist deine Ehe schief gegangen?“
„Die Zeit ist abgelaufen.“
„Na los, sag schon.“
„Tut mir leid. Ich habe dir zuliebe die drei Minuten ohnehin schon verlängert.“
„Jetzt tu nicht so. Erzähl schon.“
„Wolltest DU nicht ins Bett gehen, weil es schon so spät ist und du eine ältere Dame bist?“
„Genau. Eine ältere Dame, die ihren Schönheitsschlaf braucht.“
„Aber die Neugier ist ein Hund, nicht wahr?“
„Haha. Frechdachs.“
„Habe ich Recht?“
„Wenn du dann besser schlafen kannst. Ja, möglicherweise hast du Recht.“
„Möglicherweise.“
„Genau. So, mein Lieber. Ich werde jetzt wirklich schlafen gehen.“
„Darf ich dich wieder mal anrufen?“
„Hm.“
„Wie wär’s mit morgen Abend?“
„Wenn du mir von deinen gescheiterten Beziehungen erzählst, von mir aus.“
„Juhuuu! Ich wusste, dass du mich liebst.“
„Ich glaube, du spinnst noch mehr als Hubert.“
„Das kann leicht sein.“
„Gute Nacht, unbekannter Mann.“
„Gute Nacht, Melanie. Es war mir ein Vergnügen.“
„Das glaub ich dir aufs Wort. Schlaf gut. Ciao.“
„Ich wünsche dir schöne Träume. Bis morgen!“
Tag der Veröffentlichung: 11.03.2014
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