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1. Kapitel

Kurzgeschichte


Finley Mason Crawford´s Weg führte von Aberdeen an der Ostküste Schottlands über Dundee bis runter nach Perth, wo er sich mit seinem Restgeld was er noch hatte ein kleines Zimmer über dem Nachtclub und Motel "Man´s Last Shelter" mietete. "Na Junge, von zu Hause ausgerissen?" begrüßte ihn der Mann hinter der Bar, der Fin an einen alten Seemann erinnerte. Als Fin nichts erwiederte, blickte der Mann an ihm vorbei und grinste mit seinem halb vergoldeten Gebiss, während einer der Gäste einwarf: "Hat wohl seine Mutti verloren, der Arme." Sofort brach der Tisch hinter Fin in brüllendes Gelächter aus.

Wenn sie nur zwei oder drei Schnapsgläser weniger gesoffen hätten, dachte Fin, wäre die ganze Sache sicher nur halb so komisch. Doch im tief im Inneren wusste er, dass Alkohol nicht immer zu übermütigem Frohsinn führen musste. "Eigentlich wollte ich nur fragen, ob wohl noch ein Zimmer frei wäre, Sir?", sagte Fin mit fester Stimme. "Sicher Jungchen, aber dat gibt´s nicht für Umme.", erwiederte der graubärtige Barmann und stellte ein fertig getrocknetes Glas in das verstaubte Regal hinter sich. "Fünfzig Pfund wär´n das für ne Nacht." Fins Blick bohrte sich in den Rücken des alten Mannes. "Das geht in Ordnung." Verwundert drehte dieser sich um und betrachtete das spärliche Gepäck, das Fin bei sich trug.

Es bestand aus einem kleinen Ledertäschchen, einer Wasserbuchse und einem schwarzen Filzmantel, den Fin sich über die Schulter geworfen hatte. Alle anderen Habseligkeiten, die er von Zuhause mitgenommen hatte, wurden ihm zwei Tage zuvor gestohlen, als er sein Schlafquartier in einem abgelegenem Stadtpark aufgeschlagen hatte. So einen Fehler würde Fin nie wieder begehen. Dafür hatte er schon genug verloren. Unter dem Diebesgut war nicht nur ein Großteil seines Geldes gewesen, sondern auch sein Freischein für die Ausreise, sowie einige alte Erinnerungsstücke. Eigentlich war er im Nachhinein doch recht froh, dass er den alten Krempel nicht weiter mitschleppen musste, erinnerten ihn die alten Dinge doch zu sehr an die Vergangenheit. Aber sie im Tay zu versenken erschien ihm dann doch unangebracht.

 "Ich erlaub mir hier aber keine Sperenzchen, woll? Ich hab schon oft Erfahrung mit solchen wie dir gemacht. Junges Blut, Dreck am Hut, wie´s so schön heißt." "Doug, lass den Blödsinn! Erstensmal heißt es ´Junges Blut, spar dein Gut´, was sich der junge Mann hier auch schön zu Herzen nehmen soll. Und zweitens, gibt es in unserem Lokal schon seit Jahren ein Bett für zehn Pfund." Die mollige Frau, die ihren Kopf durch die Durchreiche zur Küche steckte und deren kratzige, aber doch freundliche Stimme, gerade ertönt war, schätzte Finley auf Mitte Fünfzig. Sie hatte beim Kochen wohl bei ihrem Gespräch zugehört und kam nun durch die Klapptür gedrängt, wobei ihr Hüftspeck im engen Kleid auf und ab hüpfte. "Ich bin immer noch alleinige Inhaberin dieses Lokals und alleine für die Preise zuständig, das weißt du aber, oder?" Doug, dessen Miene mit jedem Wort der Frau grimmiger geworden ist, widmete sich nun wieder ganz dem Polieren der Schnapsgläser und grummelte lediglich etwas Unverständliches vor sich hin. "Tut mir sehr Leid, junger Mann. Aber wir sind doch hier kein Nobelhotel... Also, zehn Pfund und sie ham die Kammer." "Das soll mir recht sein." Damit legte er das Geld auf den Tresen und steuerte die Treppe in der hinteren Ecke an.

Er hatte keine Lust auf sinnloses Gefasel und war ein Mann der Tat. Außerdem sehnte er sich nach einem Bett auf dem er die Füße hochlegen und sich ausruhen konnte. Er war schon am Fuß der Treppe angelangt, als die Köchin noch rief: "Wird wohl noch was frei sein, schaun´se sich einfach um." Während Finley die Treppe hochging, spürte er die Blicke der Gäste hinter sich. Vermutlich dachte mancher von ihnen, dass sie ihn schon einmal gesehen haben. Auf einem Fahndungsfoto. In der Zeitung. Vor fast drei Jahren. Obwohl er im Laufe der Zeit eine Art zweite Haut bekommen und viele Momente wie diesen schon erlebt hatte, fühlte Finley, wie ihm kalter Schweiß den Rücken hinunterrann.

Oben angelangt, blieb er erstmal stehen. Vor ihm erstreckte sich ein langer, schmaler Gang. Die holzvertäfelten Wände vermittelten ein Gefühl von Wärme und ließen den jungen Mann augenblicklich aufatmen. Bis er hier in Perth einen anständigen Job gefunden hatte, musste er wohl erstmal mit dieser Unterkunft Vorlieb nehmen. Ihm war bewusst, dass er gerade nur für eine einzige Nacht bezahlt hatte. Mit seinem letzten Geld. Aber bisher ließ ihn das Schicksal nicht im Stich. Gerade als er die erste Klinke drücken wollte, kam eben aus diesem Zimmer ein Mädchen heraus, gekleidet in weiß mit dreckigen Handtüchern unter dem Arm.

"Oh, entschuldigen Sie, Sir." Kein Problem, dachte Finley, schwieg jedoch und starrte das Mädchen an. Alison. Das war das erste, was er dachte. In den nächsten Sekunden konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Alles drehte sich in seinem Kopf und er stand wie erstarrt da. Das konnte nicht sein. Niemals. Das ist ein Traum. Ich habe schon wieder einen Tagtraum. Ich halluziniere. Das Mädchen hatte nur den Kopf geschüttelt, war an Finley vorbeigedrängt und bereits die Treppe hinunter gegangen, als er wieder zu sich kam.

Nein. Er drehte sich um, doch niemand war mehr da. Nein. Das ist gerade nicht passiert.

Ich muss mir das nur eingebildet haben. Wie benommen ging er den Gang hinunter, bis ihm wieder einfiel, dass er einen freien Raum suchte. Während er die Türklinken systematisch hinunterdrückte und schließlich eine sich öffnete, tauchten erneut Schwindelgefühle auf. Diese Gefühle kannte er nur zu gut. Damals, im Gerichtssaal. Da war es genauso gewesen. Vor drei Jahren. Genau an dem Tag, als Elisabeth II. in der Westminster Abbey zur Königin gekrönt wurde. Ein bedeutungsvoller Tag. Auch in Finleys Leben. Er schaffte es gerade noch die Tür hinter sich zu schließen und das Gepäck abzulegen, als er rücklings auf das harte Bett fiel. Jeden Moment werde ich durchdrehen, dachte er, oder werde einfach einschlafen und nie wieder aufwachen.

2. Kapitel

 

Es war schon hell, als Fin erwachte.

Die noch kühlen Sonnenstrahlen fielen durch die leichte, geblümte Gardine und zeichneten Muster auf den Fußboden. Er hatte gut geschlafen. Erstaunlich gut. Obwohl er gestern den schlimmsten Traum, die schlimmste Halluzination seines Lebens hatte. Er war sich nicht sicher was es genau war, aber er war sicher, dass es nicht die Realität gewesen war. Das konnte einfach nicht sein. Noch schlaftrunken stand er auf, wusch sich das Gesicht und bemerkte, dass er sich gestern gar nicht mehr gebadet hatte. Seine staubigen und verschwitzten Kleider klebten ihm am Körper. Er ließ den Blick im Raum schweifen und entdeckte eine Holztür direkt neben dem Eingang. Erleichtert öffnete er sie und fand ein kleines Badezimmer mit Wanne vor. Ungern hätte er noch nach unten in einen Gemeinschaftssalon gehen wollen, oder gar in ein Volksbad. Wenigstens diesen Luxus gab es hier.

Als Fin sich fertig gewaschen und gekleidet hatte, verstaute er sein Gepäck in dem schmalen Schrank an der Wand, verschloss ihn sorgfältig und steckte den Schlüssel ein. Sicher war sicher. Da fiel ihm ein, dass er für das Zimmer gar keinen Schlüssel bekommen hatte und beeilte sich nach unten zu kommen. Schon am Geländer der Treppe angekommen, vernahm er aus dem Speisesaal laute Rockabilly Songs. Wer hörte denn schon zum Frühstück solche Musik? Die Antwort offenbarte sich ihm, als er unten auf die Wanduhr sah.

12:30 Uhr.

Wie hatte er so lange schlafen können? Kopfschüttelnd trat er in den überfüllten Raum und sah sich um. Um diese Uhrzeit war vermutlich am meisten los, denn es waren so viele Leute da, dass kein einziger Stuhl mehr frei war und die Luft schon ganz stickig. In der hinteren Ecke saßen einige Herren und rauchten Zigarren, während sie sich gelangweilt unterhielten. Direkt vor ihm hatten sich Biker breit gemacht, ihre Kappen auf den Tisch gelegt und das Motoröl auf ihre Servietten geschmiert. Zwischen den Tischen liefen Kellnerinnen geschäftig umher und nahmen Bestellungen auf.

Geradewegs ging Finley auf den Tresen vorne zu und musste sich dafür unhöflich an ein paar Leuten vorbeidrängen. Doch das war im momentan völlig egal. Er musste größte Vorsicht walten lassen und wenigstens das wenige Hab und Gut, was er noch besaß, schützen.

"Good Morning, Sweetheart!" begrüßte die Köchin von gestern ihn mit einem eigenartigen schottischen Dialekt. Heute scheint sie wohl etwas besser gelaunt zu sein, sagte Finley sich und lächelte statt etwas zu sagen. "Ich hab ´n schönes Zimmer oben gefunden, nur leider fehlt mir der Schlüssel. Es ist Raum 201." "Ach, entschuldigen Sie vielmals. Das hab ich wohl im ganzen Stress gestern völlig vergessen. Warten Sie einen Augenblick!" Von wegen., dachte sich Finley, Weil es gestern ja auch so voll hier war. Jeder hier will mich kleinkriegen, das hab ich schon lange gewusst. Aber ich habe gelernt damit umzugehen und mich zu verteidigen. Das wichtigste ist vor allem höflich zu bleiben und die anderen etwas Besseren zu lehren. "Kein Problem Ma´am.", sagte er stattdessen. Die Frau verschwand in einer kleinen Kammer neben der Küche und Finley nahm sich die Zeit sich genauer umzusehen.

Das Lokal schien wirklich beliebt zu sein, trotz der staubigen Regale und verschmierten Fenster. Finley hatte wesentlich bessere Lokale besucht, wenn man bei diesem hier überhaupt von einem Lokal sprechen konnte. Seine Eltern und er hatten fast jeden Tag auswärts gegessen, wenn ihre Köchin gerade mal außer Haus war. Und dann sind sie in äußerst noble Restaurants gegangen und haben die feinsten Speisen der Stadt kosten dürfen. Bei dem Gedanken an seine Eltern wurde Finley etwas unwohl zu Mute. Ein leises Gefühl der Schuld beschlich ihn. Er hatte sich schon häufig Vorwürfe gemacht, weil er seine Eltern einfach verlassen hatte. Aber eigentlich war er ihnen nichts schuldig gewesen und sie haben ihn vermutlich auch schon während seiner Haftszeit nicht vermisst.

 "So, bitt´schön, ihr Schlüssel. Bleiben´se jetzt eigentlich noch länger als diese eine Nacht, sonst bräuchten´se den Schlüssel ja gar nicht mehr." Ja, das war natürlich wahr. Und jetzt hatte er sich ganz schön in was hineingeritten. Geld für eine weitere Nacht oder sogar länger hatte er nicht übrig. Irgendwie musste er sich ja noch über Wasser halten. "Ähm...Das muss ich mir noch überlegen, Ma´am. Mal sehen. Ich würd nur gern noch was hier essen."Na, wenn das so ist, dann brauchst du dich nicht zu zieren, was zu bestellen. Keine Angst, der böse dreinblickende Mann von gestern, auch bekannt als mein grimmiger aber liebevoller Ehemann, ist heut´ nicht da. Der is´mit ´n paar Kumpels weg. Also, such dir einfach ´n freien Platz und lass es dir schmecken." Wieso mussten ihn eigentlich alle wie ein kleines Kind behandeln? Er würde zwar erst in ein paar Monaten volljährig sein, jedoch konnte man ihm das doch nicht sofort ansehen. Oder war etwa auf seine Stirn geschrieben: Ich bin erst siebzehn, allein unterwegs und hab jede Menge Dreck am Stecken?

Als er sich umdrehte um sich nach einem nicht vorhandenem freien Platz umzusehen, an dem er ungestört und alleine war, sah er sie wieder. Die dunklen Haare hochgesteckt und mit einer weißen Haube versehen, das rosa Cocktail Kleid voller Rüschen und gerade so knapp, dass es noch nicht als unschicklich gelten konnte. Finley hatte sie schon von hinten erkannt. Sie war gerade dabei, an dem Tisch der Krawattenträger Bestellungen aufzunehmen. Keine Frage, sie war eine Erscheinung. Und das ließen sie die meisten der männlichen Gäste auch wissen, indem sie ihr nicht nur aufmerksame Blicke schenkten, sondern auch ein längeres Lächeln als nötig zuwarfen. Dies war auf jeden Fall das Putzmädchen von gestern.

Er hatte also doch nicht geträumt. Doch es war nicht Alison. Sie hätte es auch gar nicht sein können. Das war unmöglich.

Das brünette Mädchen ging auf den nächsten Tisch zu, sodass Finley sie nun im Profil sah. Der Gang war im so vertraut. Wie konnte das sein? Alison hatte blonde Haare gehabt, goldblond, wie von der Sonne gefärbt. Und blaue Augen. Nicht so dunkel wie das Meer, nicht so hell wie der Himmel, es war ein Alison- Blau gewesen. Eine Farbe, die es in der Natur nicht gab, sondern eben nur in ihren Augen. Selbst der talentierteste Maler hätte sie nicht nachmischen können. Hatten die Augen des Mädchens gestern nicht so ausgesehen? Oder wieso hat sie ihn so an Alison erinnert? Er musste noch einmal mit ihr sprechen. Aber diesmal höflich und mit Anstand.

Bevor er überhaupt darüber nachdenken konnte, was er tat, hatte Fin sich schon an den nächstbesten Tisch neben irgendeinen älteren Herren gesetzt. Der beste Weg eine Kellnerin zu erreichen, war es ja wohl, etwas zu bestellen. Und das hatte er schließlich sowieso vorgehabt. Der Mann neben ihm schien ihn nicht weiter zu beachten. Hier war es anscheinend nicht unüblich sich neben irgendjemand Wildfremdes zu setzen, nur um überhaupt einen Platz zu bekommen.

Vor ihm auf dem Tisch lag eine Zeitung. Das war die perfekte Möglichkeit sich unauffällig zu verhalten und nebenbei die Kellnerin im Auge zu behalten, die nun immer mehr in seine Nähe kam.

 

 

 

 

3. Kapitel

  "Guten Tag, die Herren. Was darfs denn für Sie sein?"

Und wiedereinmal , ähnlich wie den Tag zuvor, setzten unerwartete Schwindelgefühle ein. Während sich Fins Magen umdrehte und seine Hände anfingen zu zittern, versuchte er mit großer Mühe die Fassung zu bewahren. Die Leute würden ihn ja für verrückt halten, wenn er sich jetzt hier so merkwürdig benahm.

Das war Alisons Stimme. Es war sie, das wusste er genau. Heute ist es wirklich eine Halluzination, anders konnte es nicht sein. Es war einfach nicht möglich, dass zwei Menschen exakt dieselbe Stimme haben konnten. Die Augenfarbe vielleicht, aber nicht die Stimme. Er starrte immernoch angestrengt auf die Zeitung, die er nun vor sich auf den Tisch gelegt hatte und versuchte seine Atmung zu kontrollieren. Finley vernahm die Stimmen seiner Tischnachbarn, die ihre Bestellungen aufgaben nur verzerrt. Er schaffte es nicht eines seiner Glieder zu rühren oder gar den Kopf zu heben. So sehr er sich auch darum bemühmte.

"Und Sie, Sir?" Fin wusste genau, dass er gemeint war, tat jedoch so, als fühlte er sich nicht angesprochen. Er musste sich erstmal fassen. Als ihn jedoch im nächsten Augenblick der ältere Mann den Ellenbogen in die Rippen stieß, zwang er sich, aufzublicken. "Oh, pardon. Ich wusste nicht, dass ich schon an der Reihe war." Sein Stimme geriet ins Stocken.

 Das Lächeln, die spitze Nase, die frechen Grübchen. Das alles nahm er mit einem Blick wahr. "Ein...ein Bier, bitte." Das war Alison, keine Frage. Doch dies war nicht die Realität. Er hatte schon oft diese Sinnestäuschungen gehabt. Pseudohalluzinationen, hatte sie der Doktor damals genannt. Zurückzuführen auf krankhafte Veränderungen des Gehirns. Damals hatte er sie fast täglich gehabt. Er hatte Stimmen in seinem Körper gespürt und auf Gemälden oder im Wasser Gesichter erkannt. Das waren jedoch unbekannte Gesichter, mehr Grimassen gewesen, nur verschwommen und sehr realitätsfern. Das war noch vor seiner Haftszeit gewesen.

Im Kloster von Westhill, westlich von Aberdeen. Eine Zeit, die noch gar nicht lange vorbei war, und an die er sich auch nicht zurück erinnern wollte.

Vielleicht hatte sich sein Krankheitsbild nun verschlechtert seit er die Arzneimittel, die ihm verschrieben wurden, nicht mehr einnahm. Er hatte es nicht mehr für nötig gehalten, weil er sich nach einiger Zeit mehr oder weniger normal fühlte. Wie konnte so etwas nur sein? Niemals hat er diese Trugwahrnehumungen so deutlich gespürt, nie hatte er bekannte Stimmen gehört oder bewusst das Gesicht eines Bekannten erkennen können.

"In Ordnung. Es könnte jedoch einen kleinen Moment dauern. Wie sie sehen: Wir haben volles Haus." Nach diesen Worten eilte sie am Tisch vorbei und verschwand in der Küchentür.

"Noch nie ne Lady gesehen, oder was?" Der Mann mit dem grauen Vollbart neben ihm kicherte wie ein Kind. Dabei flogen kleine Speicheltropen auf das Zeitungspapier. "Na, jedenfalls brauchste dir bei ihr keine Hoffnungen machen. Die Kenzie ist vergeben. Und das wird se auch immer sein." Finley rieb sich die Handflächen, versuchte ein unbekümmertes Gesicht zu machen und fragte in beiläufigem Tonfall: "Was hat die denn hier hin verschlagen? Könnte sicherlich in viel nobleren Schichten arbeiten." Hey, nun mach mal halblang, ja?! Hier gibt es immernoch das beste Rindsteak an der gesamten Ostküste. Und dazu noch nen Schnaps, den´de sonst nirgends bekommst."

Nervös fuhr sich Fin mit der Hand durch das schwarze, mittellange Haar und fixierte abwechselnd die Küchentür und die mit blauen Adern überzogenen Hände des Mannes neben ihm.

"Ich bin übrigens Scot, und du? Hab dich hier noch nie gesehen. Und glaub mir: Ich bis so gut wie jeden Tag hier." Schön, dass wir uns schon so vertraut unterhalten können, dachte Fin ironischer Weise, wischte den Gedanken jedoch sofort wieder weg. Er war hier ja schließlich nicht bei einem der geschäftlichen Komitees seiner Eltern.

"Mein Name ist Fin. Ich bin erst gestern angereist und will mir hier in der Umgebung nen Job besorgen." "Ah, bist von zu Hause weg um hier ganz groß Karriere zu machen, oder was? Mh, da kann ich dir gleich sagen, dass du hier nichts großes finden wirst. Hier kannste eigentlich nur in Bistros aushelfen, aber die sind im Moment glaub ich alle versorgt. Unten in Newburgh kannste höchstens am Hafen arbeiten. En Vetter von mir ist dort in nem Lager tätig. Kohle kriegste da aber kaum was."

Fin hatte keine große Lust auf unnützes Gerede. Er wollte etwas über diese Kenzie erfahren, denn auch wenn das vorhin eine Illusion gewesen war, hat sie ihn doch sehr an Alison erinnert. Mehr als gut für ihn war. "Ne, ich bin eigentlich nur auf der Durchreise und will mir ´n bisschen was dazuverdienen. Mein Ziel ist Dublin." "Ja, die Jugend hat immer ihre großen Pläne, aber am Ende gehen se dann doch lieber den einfachen Weg. Aber du, lass dir deine Pläne nicht von mir aus dem Kopf schlagen. Selbst die Inhaberin von dem Schuppen hier, hat noch ihre Träume. Die will ne Weltreise machen, stell dir das mal vor."

Das war eine gute Wendung des Gesprächs. "Ja, aber nicht alle jungen Leute haben auch wirklich einen Traum. Die meisten wollen doch nur schnelles Geld machen. Zum Beispiel die Kellnerinnen hier, die sind doch alle noch ziemlich jung, oder? Und ich glaube nicht, dass es ihr Traum ist, ihr Leben lang zu kellnern."

Scot wischte seinen Mund mit der Serviette ab, sodass er auf dem beigen Stoff einen rotbraunen Strich von der Bratensoße hinterließ. Dann lehnte er sich zurück und öffnete die Schnalle seines breiten Gürtels. "Naja, im Prinzip haben die auch alle dasselbe vor wie du. Die wollen sich n bisschen was verdienen um von hier abzuhauen. Die Kenzie zum Beispiel. Die ist schon seit fast drei Jahren hier und hat anscheinend immer noch nicht genug Geld für ihren Traum zusammen. Die hat mir mal erzählt, dass sie mit ihrem Freund abhauen will. Am liebsten nach Amerika, hat se gesagt. Na, wenn das nicht mal ´n Wunschtraum ist..."

Finley dachte an seine früheren Vorstellungen vom Leben zurück. Ganz früher, das war noch vor der Zeit mit Alison gewesen, da wollte er auch immer nach Amerika. Und als dann die ganze Sache mit Alison war, dachte er erst recht jede Sekunde daran, einfach abzuhauen und alles hinter sich zu lassen. Erst hatte er das ja auch versucht, wären da nicht die Verräter unter seinen Freunden und seine Eltern gewesen. Niemand hatte mehr etwas von ihm wissen wollen, nicht mal die, denen er am meisten vertraut hatte. Und jetzt war er hier. Hatte schon einen großen Teil von dem erreicht, was er vorgehabt hatte. Eigentlich würde er es jetzt auch durchziehen, wäre da nicht dieses Mädchen, was alle Erinnerungen zurückgebracht hatte.

"So bitteschön. Ein Bier für den jungen Herrn und einen Schnaps für Scotti." "Danke, Lindy. Da freu ich mich doch jeden Tag auf die Mittagspause nur wegen diesem guten Schnaps." Lindy warf das lange rotblonde Haar zurück und band ihre weiße Schürze ab, die voller vielfarbiger Flecken war.

"Ja, das freut mich doch, Scotti. Und besonders freu ich mich, dass ich jetzt auch Pause hab. Die andern sind ja schon alle weg. Kenzie hat ´n bisschen früher aufgehört, das macht sie aber in letzter Zeit oft. Naja, wird ihr am Ende halt vom Lohn abgezogen. Wie sie will. Dir wünsch ich noch ´n schönen Arbeitstag."

Die Kellnerin war gerade aus der Eingangstür getreten, da trank Fin den letzten Schluck seines Glases aus und stand auf. "Schön Sie... dich kennengelernt zu haben. Vielleicht sehen wir uns ja nochmal. Ich muss mich jetzt mal auf die Socken machen." Scot nickte nur mit einem breiten Grinsen im Gesicht und widmete sich wieder seinem Schnaps.

Finley ging wieder in sein Zimmer nach oben zurück und durchsuchte sein Gepäck. Wie sollte er ohne seinen Freischein an einen vernünftigen Job kommen. Jeder seriöse Arbeitgeber würde doch seinen Lebenslauf sehen wollen. Und den hatte Fin leider nicht nur mit guten Dingen füllen können. Er konnte froh sein, wenn ihn bei der Vergangenheit überhaupt jemand nehmen würde.

Niemand wollte einen Mörder bei sich anstellen.

 

Fortsetzung folgt

Impressum

Bildmaterialien: http://theglamoroushousewife.com/2013/09/1950s-fashion/
Tag der Veröffentlichung: 01.08.2015

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