Elvi Mad
Annie und Dominique
in Schottland
Neue Freundschaft am Caledonian Canal
Erzählung
Le coeur a ses raisons que la raison ne connaît point.
Dominique hob ihren Kopf mit dem vom Küssen
leicht erröteten Gesicht und verkündete
mit leicht erstauntem Unterton: „Annie, mir gefällt das,
mir gefällt das sehr gut.“ und die immer noch ein wenig
schlaftrunken wirkende Annie meinte nur:
„Lass uns nochmal, Dominique.“
Nachdem sie sich dreimal intensiv und lang
geküsst hatten, fragte Dominique: „Annie,
was machen wir hier eigentlich?“
„Woher soll ich das wissen. Ich bin doch noch gar nicht
richtig wach. Ich merke nur, dass es
ein sehr schönes Gefühl macht, und nicht nur im Mund.“
reagierte Annie und versuchte sich
näher an Dominique zu kuscheln,
die jetzt neben ihr auf dem Bett lag.
Annie und Dominique in Schottland - Inhalt
Annie und Dominique in Schottland
Prolog 4
Schottlandtour 4
Tour mit Marianne und Dominique 5
Freundinnen 6
Dominique 6
Dominiques Familie 7
Dominiques Trennung 7
Neue Beziehung? 9
Mariannes Liebe 9
Mariannes Familie 10
Mariannes Rückblick 11
Mariannes Trennung 11
Nachwirkungen 12
Allein im großen Haus 12
WG Pläne 13
Im neuen Haus 14
Neues gemeinsames Leben 14
Neues Glück 15
Neue Energien 15
Steh auf! Das Frühstück wartet. 16
Kleine Feier mit Betrachtungen 17
Crazy 19
Verändertes Leben 19
Epilog 21
Annie und Dominique in Schottland
Macht, Sieg, Schlachten, Gewalt, Kampf, Mord und Tyrannenherrschaft darum dreht sich alles in Schottland. Zumindest sah Shakespeare es so. Doch er ließ seinen Helden repective Antihelden Macbeth auch von Hexen beraten. Macbeth und Lady Macbeth leben nicht mehr. Sie wurden schon millionenfach auf tausenden von Bühnen in aller Welt umgebracht. Und auch das Schloss in Inverness steht nicht mehr. In Schottland ist es ruhig geworden, die einzigen Kämpfe die stattfinden, sind die Higland Games und stehen unter der Schirmherrschaft der englischen Königin, die dort sogar vorübergehend zu wohnen pflegt. Was ist aus Schottland geworden? Worüber sollte Shakepeare heute schreiben? Ob ihm nichts anderes übrig bliebe, als ein ergreifendes Drama über Aufstieg, Tyrannei und Untergang von Nessy zu verfassen? Doch es gibt eine Hoffnung. Im Sommer, wenn Nessy gerade den Höhepunkt seiner Tyrannis über die Löcher in den Newspapers der Welt auskostet, wollen die Hexen zurückkommen. Nicht drei, sondern nur zwei. Was sie vorausahnen, welche Bilder sich ihnen offenbaren und was ihr Handeln bestimmt, wird sich zeigen. Jedenfalls wollen sie in Inverness ihr Werk beginnen.
Drei Wochen Schottland. Im Sommer sollte es ja auch schon mal Tage ohne Regen geben. Marianne suchte sich ad hoc den Urlaub aus, für den sie sich im Moment am stärksten begeistern konnte. In Schottland und Irland war sie noch nie gewesen, außer in Dublin einige Tage, auf den Spuren James Joyces. Es war aber schon mehrere Jahre her, und stand zu ihrem jetzigen Schottlandtrip in keiner Beziehung. Früher hatte sie immer an Trekking Touren teilgenommen, aber jetzt war sie der Ansicht, auf die wenig komfortablen Bedingungen neben den körperlichen Herausforderungen verzichten zu können. Städtetouren hatte sie mehrfach gemacht. Die Sightseeings, die Atmosphäre, die Verbindungen zur Geschichte hatten sie schon fasziniert, aber das organisierte Touristenambiente und vor allem auch die geringen Aktivitäten waren nicht nach ihrem Geschmack. Nur immer schauen und sich beeindrucken lassen? Wenn sie zurück kam, hatte sie den Eindruck, in einem Film gewesen zu sein, aber nichts erlebt zu haben. Urlaub sollte für sie ein Erlebnis sein, sie wollte sich selbst in anderen Zusammenhängen erfahren, wollte aktiv sein, wollte ihren Körper spüren, wollte neue soziale Erfahrungen machen, Menschen kennenlernen, in aktiven Zusammenhängen und nicht bei der gemeinsamen Betrachtung eines Monuments. Sie hatte schon mehrfach an Wandertouren teilgenommen. Ihre erste Tour in den Cevennen hatte ihr so gut gefallen, dass für sie feststand, ähnliches anderswo wiederholen zu wollen. Jetzt sollte es mit einem Besuch von Macbeth in Inverness beginnen und parallel zum Caledonian Canal an den vielen Lochs vorbei drei Wochen quer durch Schottland führen. Abschluss bildete ein Besuch der Hebrideninsel Sky. Von allem schon mal ein wenig gehört und in Reiseführern orientiert hatte sich Marianne, aber ihre gespannte Vorfreude galt weniger der Hoffnung am Loch Ness etwas entdecken zu können, als dem Erleben der Landschaft und des Lebens in den kleinen schottisch Orten. Vielleicht würde es sie ja faszinieren, würde sie hinterher Whisky bevorzugen und dicke selbstgestrickte Pullover tragen wollen. Sie hatte Lust auf den Urlaub.
Man übernachtete in kleinen Unterkünften, Bed-and Breakfast Häusern, und auch in Iverness wohnte man nicht im Kingsmills sondern einem schlichten kleinen Hotel. Dominique Bergmann, der Name war Marianne schon beim einchecken aufgefallen, aber von Bergmanns war die Welt voll, ein Allerweltsname eben. Trotzdem musste sie auch in Inverness noch darüber grübeln. Dominique hieß ja schließlich nicht jede Frau Bergmann. Sie schraubte ganz tief in ihren Hirnwindungen nach, dachte an ihre Studienzeit und früher, aber alles ergebnislos. Es ließ ihr keine Ruhe, sie wollte sie fragen, auch wenn es ihr leicht unangenehm war. „Ja, sie sind Ärztin, nicht wahr? Ich war mal vor vielen Jahren mit meinem Sohn bei ihnen in Behandlung. Dass sie es sein könnten, habe ich auch schon am Flughafen vermutet. Ich hätte sie bestimmt noch darauf angesprochen.“ antwortete Frau Bergmann. Dass sie beide aus Münster kamen, erzeugte ein angenehmes, vertrautes Empfinden von Gemeinsamkeit, und nach wenigen Minuten der Information über ihre jeweiligen persönlichen Identitäten, war man sich einig, dass man füreinander Marianne und Dominique war. Caledonian Canal und Schottland waren schnell vergessen. Wie in einer Kneipe in Münster saß man spannend und lachend erzählend bei dem eigentlich ungenießbaren teuren Wein, den der Allroundportier bis spät in die Nacht immer wieder nachschenken musste.
„Ich glaube, ich werde gleich den ersten Tag nicht überstehen, Annie. Aber du wirst mich dann sicher auffangen, oder kannst du nur Kinder?“ begrüßte Dominique Marianne scherzhaft zum Frühstück. Seit der Nacht war Marianne für Dominique zu Annie geworden. Beide waren sich einig, dass Marianne ein schrecklicher Name sei. Ihre Kinder nannten sie Anne. Am schlimmsten fand sie, dass die meisten Leute sie selbstverständlich 'Majanne' nannten, wenn sie ihren Namen aussprachen. Dominique war der Ansicht, dass Anne für ihre Kinder eine schöne Kurzbezeichnung für Marianne sei, aber hier in Schottland brauche sie eine englische Version. 'Maryann' gefiele ihr nicht, 'Annie' klinge auch ein wenig forscher und frecher. Bevor sie etwas unternahmen, sorgten sie dafür, dass die Unterkunftslisten geändert wurden, sodass Dominique und Annie immer gemeinsam in der gleichen Unterkunft übernachten konnten.
Marianne hatte hatte sich vorgestellt, den leicht melancholischen Touch der Berge mit tiefhängenden Nebelschwaden und die dunklen Wasser der Lochs einsam wandernd erfassen zu wollen. Dazu kam es allerdings überhaupt nicht. Lachend und sich angeregt unterhaltend bewältigten Dominique und Marianne die Tagesetappen. Was sie gemeinsam redeten und das Verhalten der jeweils Anderen bildeten den Schwerpunkt ihrer Betrachtungen. Die leichte schottische Tristesse hatte keine Chance sich ihnen zu vermitteln. Sie fanden schon interessant, was sie sahen, aber relevanter als die Erklärungen des Tourleiters, waren ihre Stellungnahmen die sie untereinander tauschten. Dass sie immer zusammen waren, und zu den anderen Teilnehmern nur geringfügig Kontakt hatten, fiel ihnen gar nicht auf, und die anderen nahmen an, dass sie ein Paar seien, dass gemeinsam die Tour gebucht hätte. Die kleinen Unzulänglichkeiten in den oft rustikalen Unterkünften störten sie nicht, gemeinsam scherzten sie darüber und genossen ihr English Breakfast, das sie immer dem manchmal auch angebotenen Continental vorzogen. Dominique meinte, dass sie zu Hause so etwas vor der Schule gar nicht runter bekäme. Da trinke sie meist nur zwei Espresso, ein Glas Milch und ein Glas Orangensaft, aber hier könne sie auch mit Genuss Spiegeleier und sogar Würstchen zum Frühstück essen. Annie solle sich als Ärztin doch mal zu diesem Phänomen äußern. Doch statt ernsthafter Erklärungsversuche bekam Dominique unsinnig alberne Erläuterungen zu hören. Beide kicherten, und so scherzten und lachten sie sich durch die nicht wenig anstrengenden zwanzig Tage ihrer gemeinsamen Tour.
Dass sie in Münster auch weiterhin in Kontakt bleiben wollten, war selbstverständlich. Beiden war klar, dass sie nicht nur gemeinsam schöne Urlaubstage verbracht hatten, sondern dieses Erlebnis sie eigentlich schon in der ersten Nacht in Inverness zu engen Freundinnen hatte werden lassen. Warum man sich so gut verstand, Lust daran hatte mit der anderen zu reden, zu scherzen und zu lachen, konnte sich keine von beiden erklären. Es war einfach da gewesen, schon kurz nach der Begegnung, dieses Empfinden, dass man sich mochte, dass man auf der gleichen Wellenlänge lag, das man die andere besser verstand, als was ihre verbalen Informationen vermittelten. Man hatte das Empfinden, keine Rolle spielen, nicht die Frau Mangold oder die Frau Bergmann darstellen zu müssen. Es war ein Gefühl von Unbeschwertheit, von Freiheit, das man sich gegenseitig vermittelte. Ungezwungen, wie unter Schulfreundinnen fühlte man sich, und hatte Lust an gemeinsamen Albernheiten. „Annie, das war mein schönster Urlaub für mich. So happy war ich noch nie. Für mich zählt das viel, viel mehr als alles, was wir gesehen haben.“ verabschiedete sich Dominique bei der Umarmung am Flughafen, bevor sie mit ihrem Sohn zu dessen Auto ging.
Dominique war Lehrerin an einer berufsbildenden Schule, einem Berufskolleg. Sie unterrichte dort Deutsch und Geschichte/Politik. Lehrer oder Lehrerinnen für allgemeinbildende Fächer genossen ein weniger hohes Ansehen als die sich hochqualifiziert wähnenden Fachkollegen, und ebenso verhielten sich die Schülerinnen und Schüler. Deutschunterricht war für den angehenden KFZ-Mechaniker eine lästige Pflichtveranstaltung, obwohl er kaum in der Lage war, halbwegs vernünftige Texte zu formulieren und gut lesbar zu Papier zu bringen. Ein 'hartes Geschäft' nannte es Dominique, zumal die Umgangsformen der Schüler von allgemein üblichen Formen der Höflichkeit oft kaum tangiert schienen. Trotzdem war sie nicht verhärtet, hatte sich kein autoritäres Gebaren zugelegt, versuchte nicht ihre Dominanz zur Schau zu stellen. Sie hatte immer versucht, mit ihrer Vertrauen erweckenden Freundlichkeit das Ansehen der Schülerinnen und Schüler zu gewinnen, und es war ihr auch gelungen. Die Schüler fühlten sich von ihr verstanden und ernst genommen, und Dominique meinte: „Das ist in jedem tief verwurzelt, wie schön's bei Mutti war. Auch wenn sie's vergessen haben, aber empfinden können sie's alle noch.“
Bei ihrem Mann schien sich das anders verhalten zu haben. Sie hatten sich während des Studiums kennengelernt. Er war Ingenieur für Maschinenbau gewesen und hatte dann weiter studiert. Natürlich waren sie heiß verliebt ineinander gewesen, und Dominique meinte den tollsten Mann der Welt gefunden zu haben. Sie bewunderte seine Kenntnisse und sein Verständnis von Dingen aus ihr bislang unbekannten Welten. Nur im Laufe der Jahre war diese Bewunderung verblasst, es hatten sich andere Prioritäten entwickelt. Sie war Cheforganisatorin des Haushalts und Basisstation für die Kinder. Was sie gelernt hatte und dem ihr Interesse galt, fand kaum noch Berücksichtigung. Sie liebte ja die Kinder und alles was damit zusammenhing, aber sie merkte auch, dass ihr etwas Entscheidendes fehlte. Gerhardt, ihr Mann war in der Schule oder musste sich darauf vorbereiten. Was er zu erzählen hatte, berührte Dominique immer weniger. Als ob sie anstandshalber zuhöre, so kam es ihr häufig vor. Was sie bewegte, schien ihn nicht zu interessieren. Er lobte sie zwar immer für ihre aufopfernden Tätigkeiten, aber Dominique erschien es formal, als ob er sich nur anständig verhalten wolle. Über Themen, die sie persönlich interessierten aus Literatur, Kunst, Musik etwa, hatte sie mit Gerhardt nie reden können. Zu Anfang hatte es sie gar nicht gestört, es waren ja ihre Bereiche, und manchmal hatte Gerhardt ihr auch interessiert zugehört. Sie kannte sich ja auch in seinen Fachgebieten nicht aus und konnte sich nur etwas von ihm erzählen lassen. Jetzt verspürte sie aber einen großen Mangel und ein starkes Bedürfnis danach. Sie hatte auch keine anderen Zusammenhänge, in denen Literatur, Kunst, Kultur Thema waren. Mit anderen Mamis ging's immer nur um die Kinder und ihre realen oder vermeintlichen Probleme. Ab und zu ging sie mal mit einer Freundin ins Theater, ins Kino, ins Konzert oder eine Ausstellung besuchen, aber der Kontakt war auch nicht sehr innig und die Freundin wirkte immer gestresst von Beruf und Familie.
Was wollte sie eigentlich mit Gerhardt? Er sorgte für's Einkommen, sie wohnten zusammen, aber zusammen leben taten sie nicht. Außer den Kindern schienen sie keine Berührungspunkte mehr zu haben. Ihr Leben kam Dominique nicht trübsinnig vor. Nur war es überwiegend eine Wiederholung der üblichen Rituale. Die Kinder brachten Leben und Abwechselung,und machten Dominique Freude, aber wo sie selber war, die Dominique, die sie vor Verliebtsein und Family gewesen war, konnte sie nicht ausfindig machen. Sie hatte es ja gewollt, hatte sich darauf gefreut, wusste auch, dass es Umstellungen mit sich bringen würde, aber dass sie sich selbst aufgeben und in dem Familylife untergehen sollte, hatte sie nicht geahnt. Sie wollte es auch nicht, wollte es heute nicht, wo sie sich dessen bewusst geworden wurde. Sie wollte wieder arbeiten. Jetzt besuchten beide Kinder das Gymnasium, und es müsste relativ einfach sein, alles entsprechend zu organisieren. Ihr Mann sah es ganz anders. Was es letztendlich war, das ihn zu so heftigem Widerstand veranlasste, wurde Dominique auch nicht richtig klar. Wahrscheinlich zerbrach damit seine Vorstellung von der trauten Familie, in der das Oberhaupt für das erforderliche Kleingeld sorgt und die Mutter sich um die Versorgung der Kinder und den Haushalt kümmert. Sehr konservative Ansichten hatte Gerhardt oft schon. Aber das ist ja nicht selten der Fall, dass sich nach außen aufgeschlossen und fortschrittlich gebende Menschen mit emotional sehr konservativen Empfindungen zeigen. Dominique hatte es schon öfter erfahren müssen, und machte dafür verantwortlich, dass Gerhardt von der Studentenbewegung an den Uni's und unter den Jugendlichen nur als Beschäftigter im Betrieb erfahren und keineswegs damit sympathisiert hatte. Sie war ihm aber argumentativ völlig überlegen und konnte ihn, wenn auch nicht immer überzeugen, so doch sein Einverständnis erlangen. Dass er mit Dominiques Berufsabsichten nicht einverstanden war, führte jedoch zum ersten Mal zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen beiden. Dominique, zu der Streit und heftige Worte überhaupt nicht zu passen schienen, war entsetzt darüber mit welcher Impertinenz er sich anmaße, darüber befinden zu können, ob sie arbeiten dürfe. Wahrscheinlich habe er sie schon immer als ein Objekt in seiner Familie betrachtet, über das er zu entscheiden habe. Widerlich sei es zu erfahren, wie ihr Mann, den sie einmal geliebt habe, ihre Persönlichkeit respektiere. Ein Gebaren wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten lege er an den Tag. Sie sei nicht nur entsetzlich wütend, sondern es stimme sie auch maßlos traurig, wenn sie seine Einstellung hören müsse. Dass so ein offener Streit möglich wurde, basierte auch darauf, dass sie im Grunde schon lange getrennte Leben lebten, auf unterschiedlichen Gleisen fuhren, die keine Berührung mehr miteinander hatten, ein Gedanke an ihre Beziehung bei keinem mehr positive oder freudige Emotionen wecken konnte. Der Streit war eigentlich nur ein Sichtbarwerden dieser Situation. Bis zum Abitur der Kinder würde sie es noch ertragen, hatte Dominique mit sich ausgemacht, aber schon viel früher wurde es ihr unerträglich. Sie konnte Gerhardt nicht mehr ausstehen. Wenn er wider einen dieser dämlichen Thriller las oder in seinen geliebten Maschinenbaukatalogen blätterte, hasste sie ihn. Es bereitete ihr Unbehagen, mit ihm am Tisch zu sitzen und ihn reden zu hören. So konnte es nicht weitergehen. Dominique machte ihm klar, das sie es nicht mehr wolle und auf einer Trennung bestehe. Sie hatte sich vorher alles genau überlegt, wie sie es sich vorstellte und konnte sich nach langen Gesprächen und Feilschen um einzelne Positionen gegenüber Gerhardt letztendlich damit auch durchsetzen. Auch wenn Dominique eine sanft wirkende, freundlich milde Frau war, beeinflusste sie das nicht in der konsequenten Durchsetzungskraft ihrer für sie gültigen Vorstellungen.
Mittlerweile studierten Dominiques Sohn und ihre Tochter längst. Sie war achtundfünfzig Jahre geworden und unterrichtete immer noch. In dem Haus, das zwar nicht üppig groß war, aber doch für die ganze Familie gereicht hatte, lebte sie seit Jahren allein. Ihre Kinder besuchten sie häufig, und ab und zu kam jemand aus der Verwandtschaft sie mal für ein-zwei Tage besuchen. Geschwister hatte sie keine. Den tatsächlichen Grund, warum sie in einer für die Nachkriegszeit ungewöhnlichen Ein-Kind-Familie aufgewachsen war, hatte sie nie erfahren. Dabei hatte sie sich so oft Geschwister gewünscht, am liebsten wenigstens eine Schwester. Ihre Eltern hatten ihr tröstend erklärt, dass sie so die einzige sei, die alle Vorzüge genießen könne und sie mit niemandem teilen brauche. Das traf allerdings zu. Sie hatte schon den Eindruck, das ihre Mutter und auch ihr Vater sie sehr liebten und Freude daran hatten, ihr eine glückliche Kindheit zu bereiten. Wenn später über die Verlogenheit der bürgerlichen Kleinfamilie als Keimzelle des Kapitalismus gesprochen wurde, ließ Dominique das für ihre Eltern nicht gelten. Vielleicht rührte ihre Sanftheit und Feinfühligkeit ja auch daher, dass sie so eine behütete Kindheit gehabt hatte, mit schroffem, rauen und harten Verhaltensweisen nicht konfrontiert worden war und in den Armen von Papi oder Mami immer Schutz vor Unliebsamkeiten erfahren konnte.
Dass sie allein war, störte sie nicht. Einen neuen Partner finden? Damals als sie sich getrennt hatten, war sie noch jünger, aber mit zwei Kindern, wer hätte das denn gewollt. Es stellte auch kein Problem für sie dar. Die Trennung von Gerhardt empfand sie als große Erleichterung, wozu sollte sie sich da jetzt mit etwas Neuem belasten. So war es einfach selbstverständlich für sie geworden, dass sie allein ihr Leben lebte. Irgendein Bedürfnis oder Verlangen nach einem Mann konnte sie nicht verspüren. Ob es Nachwirkungen der Erfahrung mit Gerhardt waren? Sie wusste es nicht. Es interessierte sie aber auch nicht. Wenn andere es ansprachen, meinte sie, doch jetzt zu alt zu sein, aber sie hatte selbst keine Lust, sich um Derartiges zu bemühen. Es bedeutete ihr nichts.
Marianne lebte auch allein und hatte sich vor mehreren Jahren von ihrem Mann getrennt. Sie war Oberärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, arbeite in der Pädiatrischen Klink und befasste sich hier fast ausschließlich mit Kinderpneumologie. Ihren Mann hatte sie damals gemeinsam mit den Kindern rausgeworfen. Er war Diplom Ingenieur für Elektrotechnik. Während eines Praktikums im Krankenhaus hatte sie ihn damals kennen gelernt, als seine Firma etwas zu reparieren hatte. Er hatte lustige und witzige Bemerkungen gemacht, und Marianne war bei ihm stehen geblieben. Ob sie nicht mal zusammen einen Kaffee trinken sollten, oder ob ihr Freund etwas dagegen habe. Marianne fand alles lustig was er sagte. Natürlich trafen sie sich zum Kaffee. Aus der Bekanntschaft wurde eine Freundschaft, und Marianne war total verliebt in ihren süßen Kurti. Marianne hatte noch nie mit einem Mann geschlafen, obwohl sie schon über zwanzig war. Nicht dass sie prüde gewesen wäre, oder es für die Hochzeitsnacht aufbewahren wollte, es hatte sich einfach keine Situation ergeben, in der sie Lust dazu gehabt hätte. Sie hatte zwar Freunde gehabt, aber wenn sie anfingen, ihr unter der Wäsche zu fummeln, war es ihr unangenehm. Sie hatte die Jungs zwar gemocht, aber nicht so sehr, dass sie Lust dazu verspürt hätte, mit ihnen zusammen nackt im Bett zu liegen. Sie empfand sich nicht als sexuell lustlos oder desinteressiert. Gewusst hätte sie schon gern, wie es wäre und sich anfühlte, aber die Situation, die Atmosphäre musste für sie stimmen. Es einen Jungen an ihr machen lassen, obwohl sie selbst gar kein Verlangen danach verspürte, so etwas kam nicht in Frage. Bei Kurti war es anders. Sie freute sich auf ihn und hatte Lust mit ihm zu balgen. Kurti hatte auch nie versucht an ihr rumzufummeln. Er hatte sie immer nur im Gesicht, am Hals oder über dem T-Shirt gestreichelt. „Soll ich dir mal dein Hemd ausziehen?“ hatte Marianne ihn ein wenig verlegen gefragt. Kurt hatte gelächelt und zustimmend genickt. Nachdem sie Kurts Brust ein wenig gestreichelt und liebkost hatte zog sie sich selber T-Shirt und BH aus und rieb sich an Kurt, der jetzt allmählich aufzuwachen schien und selbst aktiv wurde. So wurde Kurt Mariannes erster Mann. Warum das bei ihm anders war, als bei ihren früheren Freunden, konnte Marianne nicht sicher bestimmen. Sie hatte das Empfinden, dass Kurt ihr näher war, dass die Distanz fehlte, während ihr die früheren Freunde immer noch eher als andere, ein wenig fremde Menschen erschienen waren, auch wenn sie sie nett fand und gut leiden mochte.
Dass die Freundschaft zwischen Marianne und Kurt eine unzertrennbare Dauerfreundschaft wurde, die schließlich in die Ehe mündete, und zwei Kindern das Leben schenkte, musste zwar nicht zwangsläufig so erfolgen, war aber eine fast selbstverständliche Konsequenz. Marianne war trotz der vielen Arbeit, die sie hatte - sie wollte ihre Beschäftigung nicht aufgeben und die Facharztausbildung nicht abbrechen – nicht nur zufrieden, sondern fühlte sich rundum glücklich. Dass sich etwas in ihrer Beziehung ändern könnte, schien ihr undenkbar. Trotzdem wurde ihr Leben mehr oder weniger zum gewöhnlichen Alltag, in dem auch Kurt keine beglückende erneuernde Erscheinung mehr war. Es war Routine. Marianne nahm es gar nicht so wahr. Sie war immer beschäftigt. Kurt kam eines Tages vom Hausarzt und meinte, er habe Depressionen, sei ihm gesagt worden. Tatsächlich hatte es vermehrt Tage gegeben, an denen er, der Spaßmacher der Familie, nicht so gutgelaunt war, sondern es vorzog sich brummig zurückzuziehen. Jetzt war klar, dass es seine Depressionen waren. Alles Zureden, wie unverantwortlich es sei, wenn er keinen Facharzt aufsuche, wies er zurück. Dort würde er nur mit Bewusstseins verändernden Pharmaka vollgestopft, das wolle er nicht. Er wolle er selber bleiben. Es wurde immer Rücksicht auf ihn genommen, weil er ja krank war und seine Depressionen hatte. Marianne erschien es schon manchmal leicht sonderbar. Wenn ihm irgendetwas nicht zusagte, bekam Kurt seine Depressionen. Sie hatte ihm schon mal gesagt, dass es so nicht weiter gehe, und sie darauf bestehe, dass er einen Therapeuten aufsuche. Sie wollte ihm auch Kontakte zu Spezialisten in der Uni vermitteln, aber alles ohne Erfolg. Der kranke Kurt war zu einer erheblichen Belastung geworden, für die ganze Familie. Die Kinder hatten sowieso kein besonderes Verhältnis zu ihrem Vater. Um mit ihnen Quatsch zu machen, war er akzeptiert, aber sobald es um etwas Ernsthafteres ging, war ausschließlich Marianne zuständig. Sie genoss ihr Vertrauen, Kurt nicht.
Marianne weinte oft. Alles Glück dieser Welt hatte sie sich erhofft und zu Anfang ja auch die Erfüllung gesehen, aber jetzt erschien es ihr wie eine Ruine. Den Kindern ging's ja gut, aber sonst gab es kein glückliches Leben mehr. Es erinnerte sie an ihre Mutter, die sie auch oft weinend erlebt hatte. Sie hatte geweint, weil sie Angst hatte,den Ansprüchen nicht genügen zu können, sich allein überfordert fühlte, nicht wusste wie sich in Zukunft alles entwickeln würde. Ihr erträumtes und erwartetes glückliches Leben hatte sie nur für wenige Nachkriegsmonate erleben können. Ihr Mann auf den sie so lange hatte warten müssen, war wenige Monate nach dem Krieg plötzlich an einem Schlaganfall verstorben. Drei Kinder hatte sie. Eins kurz vor dem Krieg, eins während des Krieges bei einem Urlaub und eins nach dem Krieg gezeugt. Beim Tod ihres Mannes war sie schwanger gewesen. Ihr Mann war Studienrat aber sie kam von einem Bauernhof, hatte nichts gelernt außer Hauswirtschaft. Bei der Ausbildung hatte sie den Studenten kennengelernt und sich in ihn verliebt. Sie wollte auf ihn warten, bis er mit dem Studium fertig würde. Einen Bauern, wie es üblich gewesen wäre, wollte sie auf keinen Fall heiraten. Das hatte sie schon als kleines Mädchen beschlossen, aber nie daran gedacht, wie es anders gehen sollte. Sie war das Lieblingsmädchen ihres Vaters gewesen, der unglaubliche, lustige Geschichten erzählen konnte. Nicht das, was er als Bauer machte, interessierte sie, sondern sie saß gern abends in der Stube bei ihm, ließ sich etwas erzählen oder saß einfach neben ihm, wenn er las. Was es bedeutete, dass er Fontane, Balzac und Flaubert las, konnte sie als kleines Mädchen nicht erfassen, aber die anderen Erwachsenen wohl auch eher nicht. Jetzt saß das kleine süße Mädchen allein bei einer geringen Witwenpension mit drei kleinen Kindern in einer fremden Stadt und weinte. Nein, zurück nach Hause auf den Bauernhof wollte sie nicht. Sie wollte die Kinder im Sinne ihres Mannes erziehen. Mariannes Mutter war zwar liebevoll und zärtlich gewesen, sie konnte auch ausgelassen fröhlich sein, nur hinter allem stand eine gewisse Unsicherheit und Angst. Ihre beiden Geschwister hatten Phasen mit psychischen Problemen durchzumachen, sie schien davon verschont geblieben zu sein. Die Situation bei ihr zu Hause damals und das was sie jetzt erlebte waren durch nichts vergleichbar, beides erschien ihr aber wie ein angefressenes Leben, eine Existenz bei grauem Novemberwetter. Es ließ sie nicht unbeschwert lachen und fröhlich sein. Sie hätte es gern geändert, nur eine Möglichkeit dazu konnte sie nicht erkennen.
Als sie Sachen in die Reinigung bringen wollte und in den Taschen nachfühlte, ob sie leer waren, fand sie in Kurts Anzugtasche einen Zettel. Wenn es einfach weißes Papier gewesen wäre, hätte sie ihm keine Beachtung geschenkt, aber er war ockerfarben mit Maserung und mit einem handschriftlich verfassten Text beschrieben. Was sie las, wollten ihre Augen nicht fassen. Eine Dame Bea äußerte darin ihre Sehnsucht nach Kurt, ihrem Schatz und Liebsten, dass ihr Bett schon ganz warm sei und auf ihn warte und schenkte ihm tausend heiße Küsse. Marianne wusste gar nicht ob sie es eher absolut komisch finden oder es für eine unverschämte Frechheit halten sollte, dass der Depri-Störenfried ja ganz offensichtlich eine Freundin hatte. Dass es ihr weh tat, weil ihr Kurt sie mit einer anderen betrog, dass sie sich für verletzt hielt, weil er ihr Vertrauen und ihre Zuneigung missbrauchte, derartige Empfindungen kamen in ihr nicht auf. Sie hielt es einfach für den Gipfel der Unverfrorenheit, und dass seine ganzen Depressionen nur Show gewesen waren, wurde ihr schlagartig klar. Er hatte einfach öfter zu vielem keine Lust mehr gehabt und hatte es als Depressionen deklariert. Sie hasste diesen Typen, noch mehr hasste sie ihn als er lapidar erklärte, er liebe Bea eben, da könne man nichts gegen machen, und wohl davon auszugehen schien, sein Leben hier einfach so weiterführen zu können. „Du bist hier verschwunden, aber sofort. Wir wollen dich hier nicht mehr sehen, die Kinder ebenso wenig wie ich. Keinen Tag können wir deine Anwesenheit länger ertragen. Sieh zu, wo du bleibst, es ist mir absolut völlig gleichgültig, nur hier nicht.“ hatte Marianne Kurt klar gemacht. Als er noch anfing, erklären zu wollen, dass er ein Recht habe, hier zu wohnen, kamen auch noch die Kinder dazu und beschimpften ihn sehr heftig.
Damit war für Marianne das Kapitel ihres Lebens mit ihrem ersten und einzigen Mann abgeschlossen. Faktisch stimmte es, aber in ihrer Psyche arbeitete es weiter. Sie wurde sich nie klar darüber, ob dadurch ihr Vertrauen in eine Partnerschaft mit einem Mann grundsätzlich zerstört war, ob sie, da sie so lange schon ein eigenständiges Leben geführt hatte, kein Interesse hatte, es jetzt mit jemandem zu teilen. Was es auch war, es kümmerte sie nicht. Sich um einen neuen Partner zu bemühen, dazu trieb sie kein irgendwie geartetes Bedürfnis oder Verlangen. Sie war trotz ihres Alters eine ansehnliche, elegante Frau, deren Lächeln oft etwas Schelmisch-Spitzbübisches signalisierte. Sie war eloquent charmant und konnte witzig sein. Sie wirkte attraktiv, und nicht wenige Männer hatten schon versucht, den Kontakt zu ihr zu intensivieren. Aber Marianne blockierte immer alles. Ließ sich nicht zum Essen oder ins Theater einladen, sie wollte sich nicht in irgendetwas hineinziehen lassen oder sich überhaupt damit beschäftigen müssen, ob Dr. Müller ein netter Mensch sei. Wenn sie nicht allein ging, erfolgten Theater-, Konzert-Besuche und ähnliches nur mit Kolleginnen.
Mariannes beste Freundin war natürlich seit der Schottlandtour Dominique. Sie unternahmen alles Mögliche zusammen. Manchmal verquatschten sie sich auch beim Abendbrot und es wurde spät, so dass man bei der anderen übernachtete. Mariannes Haus war sehr groß. Es kam ihr, seit keines von den Kindern mehr bei ihr wohnte, leer vor. Sie fühlte sich so nicht mehr wohl darin. Es war zwar schön, dass ihre Kinder und andere Gäste jederzeit genügend Platz zum Übernachten fanden, aber zum alltäglichen Leben gefiel es ihr nicht. Es verdeutlichte ihr immer, dass sie allein war. Sie fühlte sich nicht einsam, aber eine wohnliche, Gemütlichkeit erzeugende Atmosphäre verbreite dies große Haus ohne Leben auch nicht. Sie überlegte, es zu verkaufen und sich ein kleineres oder eine komfortable Eigentumswohnung zuzulegen, zumal der Unterhalt dieses Hauses ihr Konto ja nicht unwesentlich belastete. Die Kinder waren dagegen. Sie meinten es sei nicht nur ein Haus, sondern ihre Heimat, wo sie Kindheit und Jugend erlebt hätten, und es täte weh, wenn man es einfach veräußere. Marianne könne doch etwas vermieten, wenn ihr die Kosten zu hoch seien. Marianne hielt das nicht für möglich, da es keine getrennten Wohnbereiche gebe. Dann solle sie doch schauen, ob sie keine Bekannte oder gute Freundin habe, mit der sie quasi wie in einer WG zusammen wohnen könne. Sie habe ihnen doch so oft von ihrem Leben als Studentin in der WG erzählt und davon geschwärmt.
Marianne überlegte. Die einzige mit der sie sich das vorstellen könnte, wäre Dominique, aber die brauchte keine Wohnung, die hatte selbst ein Haus. Trotzdem wollte sie es mit ihr mal besprechen. Dominique dacht lange nach und sagte dann: „Eigentlich gar keine schlechte Idee, wir beide in einem Haus mit gemeinsamer Küche und gemeinsamem Wohnbereich. Ja, ja,“ meinte sie und lächelte, „gefallen könnte mir das schon. Wir beide morgens gemeinsam beim Frühstück, nicht schlecht. Wir haben ja schon Erfahrung. Vielleicht würden mir dann ja auch Würstchen morgens wieder schmecken, oder würde es die bei uns nicht geben? Aber Annie ich sehe nur ein Problem für mich, als Mieterin bei dir in deinem Haus, das könnte ich nicht. Versteh' das bitte nicht falsch. Es hat mit dir persönlich nichts zu tun, aber hier in diesem Haus steckt deine Geschichte, dein Leben, es ist mit deinen Erinnerungen und deinen Emotionen verbunden. Ich würde mich darin, glaube ich, nicht zu Hause fühlen können. Ich käme mir wie ein Fremdkörper, ein Implantat darin vor, ein Adjuvans zu deinem Leben. Das ist mit keinem Hauch eines Bedenkens gegen dich gerichtet. Im Gegenteil, mir bereitet die Vorstellung eines WG ähnlichen Zusammenlebens von uns beiden Freude. Ich würde es gern machen, stelle es mir eigentlich wunderbar vor, nur eben nicht ich als Mieterin in deinem für dich geschichtsbeladenen Haus. Das will ich nicht.“ „Ich wollte es ja verkaufen,“ meinte Marianne sinnierend, „aber die Kinder meinten, ich könne ihre Heimat doch nicht einfach anderen überlassen. Ich habe diese ausschließlich positiven Reminiszenzen die mit diesem Haus verbunden sein sollen nicht. Hier ist auch langsam und stetig mein Glück destruiert worden. Das hat sich auch in diesem Haus abgespielt. Für mich gibt es emotional zumindest genauso viel Gründe, es los zu werden, als es zu behalten. Hör zu, Dominique,“ erklärte Marianne eindringlich, „wessen Leben habe ich denn eigentlich zu leben, meins oder das meiner erwachsenen Kinder? Ich werde das Haus verkaufen, und wir beide werden uns etwas Anderes suchen, das für unsere Bedürfnisse in Frage kommt. Und dann werden wir zusammenziehen und Putz-, Müll-, und Abwaschpläne aufstellen. Wäre das etwas?“ Beide lachten und scherzten noch länger über die Konsequenzen, Regelungen und Komplikationen, aber die gemeinsame WG war beschlossen. Jetzt konnte Dominique nicht nach Hause fahren. Dieser Beschluss musste doch gefeiert werden.
Es zog sich alles sehr lange hin, bis sie endlich etwas gefunden hatten, das nach einigen baulichen Veränderungen ihren Vorstellungen entsprach und auch durch den Erlös beim Verkauf ihrer beiden Häuser finanzierbar war. Obwohl Marianne für ihr Haus wesentlich mehr bekam als Dominique, bestand sie darauf, dass beide zu gleichen Teilen als Eigentümerinnen im Grundbuch eingetragen wurden. Sie hatten zwei komplette getrennte Wohnungen. Dominique, die zwei Jahre jünger war, musste eine Etage höher klettern. Im Parterre lag der Küchen- und Wohnbereich und ein zusätzliches Bad sowie natürlich der Zugang zur Terrasse und zum Garten. Im Keller hatten sie nichts aufgeteilt. Jede suchte sich einfach die freien Plätze für ihren Bedarf aus. Im Dachgeschoss befanden sich noch ein größerer und zwei kleinere Räume, die gemeinsam als Fremdenzimmer genutzt werden sollten.
Die Einrichtung, bis man endlich das Gefühl hatte, jetzt richtig hier zu wohnen, zog sich hin, aber es war schon jetzt ein wunderbares Erlebnis, immer jemanden zu haben, der einem Hilfestellung leisten, den man bei Problemlagen konsultieren und der einem mit selbst unbekannten Tips aushelfen konnte. Und das war zudem noch die beste Freundin. Wie schön, aufregend, angenehm und lustig das Gegenteil von Alleinleben sein kann, merkten die beiden in ihrer, wie sie es nannten 'Altweiber WG' vom ersten Tag an. Es waren mehr als schöne Erlebnisse, die Sonne eines neuen Sommers schien ihr Leben zu vergolden. Sie wohnten schon fast ein Jahr zusammen und Marianne meinte beim Abendbrot: „Dominique, ich habe mir das gar nicht ausmalen können, was es bedeuten würde, wenn wir beide zusammenlebten. Mir war schon klar, das es mit uns beiden alten Hexen schön würde. Wir kannten uns ja, mochten uns gern und hatten in Schottland und auch sonst viel Spaß miteinander. Mögliche Konflikte waren für mich nicht vorstellbar. Ich wusste aber nicht, was es mir bedeutet, dass immer der dir mir liebste Mensch für mich da ist. Von dem du weißt, dass er dir immer zuhören wird, nie irgendetwas Abschätziges über dich denken kann, zu dem du größtes offenes Vertrauen haben kannst und mit dem du gemeinsam lachst und Freude hast. Das ist immer da, das ist dein Alltag, den du erlebst, und das tut so unendlich gut. Ich habe so ein Leben noch nicht gehabt. Es ist ein neues, wunderbares Leben für mich. Nach meinem Empfinden kann das Paradis bestimmt nicht viel schöner sein. Unser Leben macht mich außerordentlich glücklich. Ich hätte nie damit gerechnet, dass ich so etwas noch erleben würde, allein schon weil ich gar nicht wusste, dass es so etwas geben kann.“
Dominique lächelte, die beiden schauten sich intensiv an, und dann erklärte Dominique: „Ich seh' das auch so, wir wollten etwas machen, das uns nicht schlecht gefiel und wussten gar nicht, dass wir das große Glück gewonnen hatten. Ich muss immer daran denken, dass ich meinte, glücklich zu sein, als ich allein lebte. Irgendwie war ich es ja auch wohl. Ich verstehe heute nicht, dass ich kein Bedürfnis nach etwas Anderem hatte. Wahrscheinlich weil ich es nicht kannte oder weil ich eine Vorstellung davon für unsinnige romantische Spinnerei gehalten hätte. Nur das Bedürfnis nach einem engen, tiefen, vertrauensvollen Kontakt zu einem anderen Menschen muss doch in jedem vorhanden sein. Dass du es unterdrücken kannst und dich trotzdem auch ohne glücklich wähnst, ist mir ein Rätsel. Aber es muss ja wohl gut funktionieren. Nicht nur bei mir damals, ich bin eher der Ansicht, dass die wenigsten Menschen eine derartig tiefe persönliche Beziehung haben wie wir, außer wahrscheinlich Kinder zu ihrer Mutti.“ Ob Dominique es denn so sähe, dass sie beide gegenseitig für einander in gewisser Weise eine Art Mutterolle spielen würden, wollte Marianne noch wissen. Und dann diskutierten sie den ganzen Abend über persönliche Beziehungen von Menschen untereinander, worauf sie basierten und wodurch und wann die Grundlagen gelegt würden, was Liebe eigentlich bedeute und vor welchem Hintergrund die Beziehung von Mann und Frau zu sehen sei. Sie verloren sich dabei in unendliche Tiefen, bis der Weinkonsum eine weitere ernsthafte Diskussion allmählich mit immer häufigeren unernsten lächerlichen Beiträgen zu dirigieren schien. Als sie bei dem Versuch zu ergründen, worin denn die tieferen Ursachen zu sehen seien, die sie gemeinsam gleichzeitig zu diesem Schottlandtrip motiviert haben könnten, und dabei nur ständig neue alberne Vorstellungen deklamierten, beschlossen sie, ins Bett zu gehen.
Es war auch eine der herausragenden neuen Erfahrungen, dass man sich ständig über bedeutsame Themen aus Politik, Kunst und Kultur unterhalten konnte. Wann hatte es das je für eine von ihnen gegeben. Genderdiskussionen, wer von beiden hätte die je mit ihrem Man führen können. Sie meinten, sich in eine Welt haben drängen zu lassen, die zu ihrer allmählichen Verblödung führen sollte. Warum hatten sie nicht schon mit fünfundzwanzig beschlossen, ein anderes Leben zu suchen, als sich von der Liebe zu einem Mann und der Familie abhängig zu machen. Wissen hätten sie es eigentlich beide gekonnt, aber sie hatten sich dann doch für ein Leben nach ihnen emotional vertrauten Mustern entschieden und keine naheliegende Alternative gesehen. Marianne und Dominique fühlten sich nicht nur wohl in ihrer engen persönlichen Beziehung, das gemeinsame Leben gab ihnen auch neue Energien, ließ sie aufblühen und aktivierte sie. Mit Annie habe sie zum ersten Mal das Empfinden, ein eigenes unabhängiges starkes Leben, ihr Leben führen zu können, und Marian, Dominiques Sohn, war der Ansicht, sie seien Revoluzzer Ladies geworden, aber im Grunde habe das ja in seiner Mom immer schon irgendwie dringesteckt.
An einem Samstagmorgen weckte Dominique Marianne zum Frühstück. Noch halb schlafend blinzelte sie Dominique an und versuchte ein zartes Lächeln. „Süß siehst du aus mit deinen wilden offenen Haaren und deinem Schlafgesicht. Ich könnt' dir tausend Küsse geben, meine Liebe.“ meinte Dominique. „Und warum tust du's nicht?“ krächzte Marianne halb wach mit dunkler Schlafstimme. Dominique schaute sie lächelnd an. Es war ja nichts Ungewöhnliches, dass sie sich küssten, meistens zum Abschied oder zur Begrüßung. Dominique küsste Annie zuerst auf die Stirn, dann auf ihre Schlafaugen, ihre Nasenspitze bekam auch einen Kuss und dann küsste sie sie auf den Mund. Annie formte mit ihren Lippen einen richtig vorstehenden Kussmund, das taten sie sonst nicht, wenn sie sich küssten. Dann berührten sich nur ihre Lippen leicht. Ihre Gesichter blickten sich beim Küssen lächelnd an, Annie öffnete vorsichtig ihre Lippen und ließ ihre Zungenspitze über Dominiques Lippen streichen, die öffnete auch ihren Mund und touchierte mit ihrer Zunge Annies. Sie hielten inne und schauten sich mit fragenden Augen an, aber Annie zeigte ein zufriedenes Lächeln und Dominique gefiel es auch. Aus dem ersten vorsichtigen gegenseitigen Berühren der Zungenspitzen wurde langsam ein immer intensiveres Küssen. Dominique hob ihren Kopf mit dem vom Küssen leicht erröteten Gesicht und verkündete mit leicht erstauntem Unterton: „Annie, mir gefällt das , mir gefällt das sehr gut.“ und die immer noch ein wenig schlaftrunken wirkende Annie meinte nur: „Lass uns nochmal, Dominique.“ Nachdem sie sich dreimal intensiv und lang geküsst hatten, fragte Dominique: „Annie, was machen wir hier eigentlich?“ „Woher soll ich das wissen. Ich bin doch noch gar nicht richtig wach. Ich merke nur, dass es ein sehr schönes Gefühl macht, und nicht nur im Mund.“ reagierte Annie und versuchte sich näher an Dominique zu kuscheln, die jetzt neben ihr auf dem Bett lag. Sie hatten zwar öfter auch über gleichgeschlechtliche Liebe und sexualpolitische Einstellungen dazu gesprochen, aber sie selbst blieben dabei außer Betracht. Dass die emotionale Zuneigung zwischen ihnen auch eine körperliche Entsprechung haben könnte, war nicht vorstellbar und wurde nie in Erwägung gezogen. Dass so etwas nicht zutreffen konnte, galt für beide unhinterfragt als Selbstverständlichkeit. Jetzt waren sie durch spielerischen Anlass zu intensivem gegenseitigen Küssen gekommen, das ohne erotisch sexuelle Note nicht denkbar war. Sie waren erstaunt über sich selber. Die mit ihrem Kopf auf Dominiques Schulter liegende Annie bettelte in einer Mischung aus Schlaftrunkenheit und Schmusebedürfnis: „Dominique, kannst du mich nicht ein bisschen streicheln?“ „Ich weiß nicht ...“ sagte sie noch, brach den Satz ab und begann Annie im Gesicht zu streicheln. Annie smilte und genoss Dominiques Finger, die ihre Falten nachzeichneten, sanft über ihre Augenbrauen und Lider strichen, sie am Ohr kitzelten und leicht den Hals massierten, den Annie mit angehobenem Kinn Dominique darbot. Die hob allmählich ihre Finger von Annies Haut. „Nicht aufhören, mach weiter, bitte, Dominique.“ bettelte die. Dominique war es keinesfalls unangenehm, Annie zu streicheln, im Gegenteil es gefiel ihr gut, aber das war es ja gerade, was sie verunsicherte. „Ach ist doch egal, wir können doch machen, was wir wollen, was uns gefällt. An welchen Unsinn denke ich denn eigentlich.“ beschloss sie für sich selbst und streichelte Annie weiter an Schultern, Armen und Dekolleté, allem was oberhalb der Bettdecke von Annie zu sehen war. Annie aalte sich in dem wonnigen Gefühl und zog die Bettdecke tiefer, damit Dominique auch ihre Brüste streicheln konnte. Nach erstem zarten Streichen drückte sie Dominiques Hand fester auf ihre Brust. „Ja, so ist's gut, oh Dominique.“ stöhnte Annie, und Dominique merkte, wie sie ihren ganzen ganzen Körper bewegte und leicht wand. Sie ließ ihre Hand über Annies Seite bis zum Bein gleiten. „Oh, Dominique, was machst du? Ja, es ist gut mach weiter.“ kommentierte Annie und zog Dominiques Kopf zu sich, um sie zu küssen. So ließ Annie sich von Dominique immer weiter streicheln und massieren, bis sie schließlich zum Orgasmus kam und beseelt in sich zusammen sank. Annie strahlte und Dominique schaute sie skeptisch lächelnd an. „Ich steh heute nicht mehr auf, Dominique.“ meinte Annie patzig lächelnd, „Zieh dich auch wieder aus, Dominique, und komm zu mir ins Bett. Lass uns ein bisschen kuscheln und schmusen.“ „Ich weiß nicht, Annie,“ meinte die zögerlich und Annie unterbrach sie, küsste sie und meinte: „Passiert ist es doch sowieso schon, Schatz, was hast du denn jetzt noch für Bedenken? Erklär sie mir, wenn du bei mir bist, ja.“ Dominique zog sich tatsächlich aus und kam zu Annie ins Bett. Sie umarmten sich, küssten sich und lachten. Alle Bedenken waren plötzlich verflogen, alles Zögern und alle Hemmnisse vergessen, die beiden freuten sich einfach nur und lachten. Vielleicht weil sie spürten, dass eine für sie unbewusste Barriere gefallen war, so dass sie sich erleichtert und befreit fühlten. Selbstverständlich hatte man nicht die geringsten Vorbehalte gegen gleichgeschlechtliche Liebe und Sex, nur sie persönlich zogen das für sich überhaupt nicht in Betracht. Sie liebten sich, aber das es auch sexuelle Dimensionen haben konnte, war ausgeschlossen. Jetzt hatten sie erfahren, das es anders war, dass die Lust auf die andere auch ihre Körperlichkeit mit einbezog. „Ich hab's einfach zu Anfang halb im Schlaf genossen und mir keine Gedanken gemacht, uns später hab ich mir keine Gedanken gemacht, weil das Gefühl 'Ich will es' stärker war. Danke Dominique, es war fantastisch.“ erklärte Annie ihr Empfinden lapidar und Dominique fügte hinzu: „Und ich werde mir auch weiterhin keine Gedanken machen, weil wir beide tun können, was uns gefällt. Und wenn wir Lust dazu haben machen wir's eben, und damit ist es gut.“
Sei standen doch zum Frühstücken auf, gingen anschließend aber wieder mit einem Glas Sekt ins Bett. Jetzt sei ihre Beziehung komplett meinten sie, und das müsse schließlich ein wenig gefeiert werden. „Wo war das eigentlich die ganze Zeit, Dominique? Ich dache es wäre verschwunden und fand es praktisch, aber anscheinend bleibt es ja.“ fragte Annie. „Ich denke dass die Lust, Sex genießen zu können, prinzipiell nie verschwindet. Dass du meinst, es nicht mehr zu wollen, es nicht mehr als angenehm zu empfinden oder zu brauchen, wird allein in dein Kopf gestrickt. Wenn es dir häufiger keinen Spaß gemacht hat, habitualisierst und generalisierst du es. Emotional erfreuliches Empfinden taucht bei dem Gedanken an Sex grundsätzlich nicht mehr auf. An einzelne Situationen denkst du gar nicht mehr, du kannst einfach allgemein nichts wünschenswertes mehr daran erkennen und denkst, es liegt an deinen Hormonen, an physiologischen Bedingungen, die den Verlust deiner Libido bewirkt haben. Wir schliefen ja schon ewig nicht mehr miteinander, als wir uns trennten. Hat mir nie gefehlt, wäre mir eher ein Graus gewesen. Ich mag den Mann nicht, dann ist Sex mit ihm keine Wunschvorstellung. Aber das gilt dann nicht nur für den Mann, sondern überträgt sich stillschweigend auf die Vorstellung von Sex allgemein. Erst sehr viel später, als das Bild von Gerhardt schon lange nicht mehr präsent war, habe ich auch fast durch Zufall in der Badewanne entdeckt, dass es sehr schön sein kann, sich zu streicheln. Ich dachte auch, meine Libido sei erloschen. Ich denke, es geht sehr vielen Frauen ähnlich. Aber es ist nicht die Libido, die erloschen ist, sondern das Bild, das sie im Zusammenhang mit Sex internalisiert haben, es hat keine freundlichen Farben mehr.“ erläuterte Dominique ihre Vorstellung. „Machst du's dir denn jetzt auch immer noch selber? Also ich nie. Mich motiviert nichts dazu. Ich habe gar keine Lust darauf. Mein Körper ist bar jeden sexuellen Empfindens. Nur das scheint ja doch wohl nicht ganz zu stimmen, wie wir gesehen und erfahren haben. Auf einmal ist es selbstverständlich da, es kribbelt und ich will es. Als wenn es schon immer ganz dicht unter der Oberfläche gelegen hätte, und ich habe nichts davon gewusst. Da muss ich mir meine Vorstellungen dazu auch wohl unbewusst so kurios zurecht gelegt haben, dass ich gar nichts Angenehmes dabei empfinden konnte, weil ich glaubte, dass es so wäre. Hätten wir heute vorher darüber diskutiert, würde ich dir auch erklärt haben, dass ich absolut nichts dabei empfände und hätte wahrscheinlich auch nichts empfunden. Nur Gedanken daran oder darüber waren gar nicht da. Du sagtest, du fändest mich süß, ich fühlte mich kuschelig wohl im warmen Bett und freute mich. Dann haben wir gespielt und ich hatte immer das Empfinden, ein bisschen mehr wäre noch besser. Ich erlebte einfach, wie gut es tat. Wie es mit meiner Libido aussähe, oder ob ich Lust an Sex hätte, solche Fragen existierten gar nicht. Ich hab's einfach nur als sehr schön empfunden. Es ist schon eine Krux, mit unserem eigenen Gehirn können wir uns die schönsten Erlebnisse und Erfahrungen verbauen.“ reagierte Marianne darauf. „Ja das ist ja das Verrückte. In allen Bereichen ist es so. Du hörst eine Ansicht, und sie ist in deinem Kopf. Wenn du dann selber mit der Angelegenheit konfrontiert bist, ist es dir unmöglich, sie unbefangen auf dich wirken zu lassen. Die gehörte Ansicht beeinflusst deine Wahrnehmung, dein Empfinden. Bei allen Kleinigkeiten ist das so und bei Sexuellem natürlich auch. Etwas ganz Banales zum Beispiel: Ich hatte als Kind mitbekommen, das Harzer Käse schrecklich stinken solle. Ich habe ihn selber nie gerochen, wollte ich auch gar nicht, und die Vorstellung davon, ihn essen zu müssen, löste immer schon fast Würgreflexe aus. Probieren konnte ich ihn nicht. Als ich mit über vierzig mal in einem Restaurant fragte, was das denn für leckerer Käse gewesen sei, war es natürlich Harzer. Wenn ich ihn bewusst als Harzer Käse gegessen hätte, wäre mir wahrscheinlich übel dabei geworden. Wir sind schon arme abhängige Kreaturen, aber das Schöne lernen wir ja auch so. Wenn du mir erzählst, warum was an dieser Ausstellung so faszinierend ist, bin ich mir sicher, dass ich sie mit ganz anderen Augen sehe. Irgendwo wird sich uns auch die Vorstellung eingeprägt haben, das wir beim Sex mit einer anderen Frau nichts empfinden werden, und wenn wir's gezielt trotzdem versucht hätten, wäre es auch bestimmt so gewesen. Und jetzt haben wir's einfach beim Spielen ohne zunächst an Sex zu denken erfahren und gemerkt, wie angenehm es sein kann. Es hat uns überrascht. Wir haben unsere eigenen festgefügten Ansichten überlistet und ausgetrickst. Aber zum Masturbieren, ich mach das sehr selten. Das Bedürfnis kommt, wenn ich mich in einer außergewöhnlich warmen wohligen Gefühlslage befinde, mich ganz nah bei mir fühle und Lust habe, das zu intensivieren. Dann gehe ich in die Badewanne, nehme mir ein Glas Wein mit und mache Kerzen an. Ich fühle mich sehr warm, ich mag mich, gefalle mir selbst und dazu gehört dann auch mein Körper, meine Haut und ich kann es genießen, mich zu streicheln. Dann bin ich nur ich selber und liebe mich. Ein Gedanke an andere, irgendwelche fremden Bilder oder sexuelle Phantasien tauchen dann nicht auf. Eine kleine Wohlfühlorgie mit mir selber. Aber die Situation, Stimmung und Lust dafür kommt eben nur selten vor und ist sehr störanfällig. Also es ist nicht so, dass ich denke: 'Oh, was bin ich rattig. Ich brauch's jetzt unbedingt', mit so etwas hat das nichts zu tun.“ erläuterte Dominique.
„Na, ich weiß nicht kleine Ratte. Komm her und küss mich. Ich brauch's unbedingt.“ witzelte Marianne lächelnd und die beiden älteren Frauen fielen wie Teenager lachend übereinander her. Lachten, balgten miteinander, lachten sich halb tot und bekamen sich vor Übermut gar nicht wieder ein. „Verrückt sind wir anscheinend zusätzlich auch noch gleich geworden. Annie, zwei Mütter von vier erwachsen Kindern haben Lust daran, wie Schulkinder zu toben.“ meinte Dominique, die ihr Lachen gar nicht mehr zurückhalten kannte, „stell dir vor, deine Tochter würde dich jetzt so sehen.“ „Ja und dein Sohn? Wir sollten sie mal alle einladen, es ihnen vormachen und dann ihre Bewertung einholen.“ blödelte Annie zurück. So verbrachten sie den ganzen Samstag im Bett. Schmusend, lachend, streichelnd, was ihnen gerade einfiel und wo sie Lust zu hatten. Sie freuten sich wie Kinder und waren glücklich, dass sie sich so freuen konnten. „Dominique, unsere Veränderung ist auch wie ein Orgasmus für meine Psyche. Ich empfinde mich absolut leicht und frei, als wenn es für uns keinerlei Konventionen und Festlegungen mehr gäbe, wir können uns ungehemmt in allen Formen gegenseitig genießen. Alles ist wunderbar offen und ich schwebe darin. Für meine Seele hebt es die Schwerkraft auf, und wird mich vieles entspannter und lockerer sehen lassen.“ meinte Marianne bevor sie zum Abendbrot wieder Bewegungsformen in vertikaler Körperhaltung bevorzugten.
Nach dem Abendbrot überlegten sie, wie sie den Sonntag verbringen sollten. Sonst hatte es sich immer so ergeben. Jemand hatte eine Idee, man bekam Besuch, meistens gab es irgendetwas, dass sie gemeinsam machten und sonst machte eben jede etwas für sich selbst. Aber jetzt war für beide unausgesprochen klar, dass sie noch mehr gemeinsam machen wollten. Die Nähe der Anderen war ihnen jetzt nicht nur angenehm, sie suchten sie. Sie hatten vorher auch von ihrer Liebe und tiefen Beziehung untereinander gesprochen, aber jetzt schienen sie verliebt ineinander zu sein. Sie berührten sich ständig gegenseitig, als ob sie, jetzt da sie es unhinterfragt durften, den damit verbundenen Reiz, voll auskosten wollten. Die gemeinsamen Diskussionen und gegenseitigen Informationen, das gemeinsame Scherzen und der Meinungsaustausch, das Empfinden von Geborgenheit und Vertrauen, es war alles sehr angenehm und äußert wichtig, aber jetzt bereitete es schon Freude die andere nur zu sehen und zu erleben, einfach bei ihr zu sein. Der gemeinsame Wohnraum wurde viel intensiver genutzt. Wenn Dominique las, machte sie das immer bei sich auf der Couch, da wurde sie nicht gestört. Jetzt las sie auf der Couch im Wohnraum, als ob sie auf nichts dringlicher warte, wie eine Störung durch Annie.
Es beschränkte sich bei weitem nicht nur darauf, dass sie sich jetzt zu gemeinsamem Sex im Bett treffen konnten. Die erlaubte Körperlichkeit ihrer Beziehung veränderte ihr gesamtes Zusammenleben. In der Regel schlief man immer zusammen bei Annie, außer wenn jemand allein spät nach Hause kam und die andere schon schlief. Ob man an Sex dachte oder nicht, war völlig unerheblich. Sich abends gemeinsam im Bett unterhalten und mit gute Nachtküssen schlafen legen können, sich wohlfühlend aneinander kuscheln können, morgens sich von der Partnerin wach küssen lassen können, an Wochenenden gemeinsam im Bett frühstücken können, alles wunderbare Erfahrungen, die ihnen bisher versagt geblieben waren. „Es macht ein gutes Gefühl, wenn du abends im Bett liegst, und daran denkst wie schön es ist, dass du dich mit Dominique so gut verstehst, und sie dich mag,“ sinnierte Annie, „aber bei dir im Bett zu liegen, meinen Kopf auf deine Schulter zu legen, und es mich durch deine mir übers Haar streichelnden Hände erfahren zu lassen, das ist besser, unvergleichlich viel besser.“ Sich nicht nur an den Gedanken und Eindrücken erfreuen, sondern die Zuneigung der anderen real körperlich erfahren können, schien ihre unformulierte Devise geworden zu sein. So war ihr gesamter Alltag, ihr Umgang miteinander von Körperkontakten durchzogen. Zum Frühstück gab es einen liebevollen intensiven Kuss, obwohl man sich meistens schon gegenseitig im Bett wachgeküsst hatte. Jederzeit liebkoste und streichelte man sich, auf der Couch hatte meist die eine den Kopf auf dem Schoß der Anderen liegen. Sie konnten gemeinsame Badefreuden genießen und sich über ihre alten Körper lustig machen. Sie sprachen auch in vielen Dingen anders miteinander, sprachen offen über alles, was mit ihren Körpern zusammenhing. Sie meinten es sonst auch getan zu haben, aber man hatte immer mit einem leicht distanzierenden Unterton darüber geredet. Die gesamte Welt ihres gemeinsamen Lebens hatte sich dadurch verändert. Mariannes und Dominiques Persönlichkeit war füreinander nicht mehr die gleiche geblieben. Sie sahen sich in einem neuen Licht, einem Licht, das sie wärmer, umfänglicher und leuchtender bestrahlte. Beide waren sich durch ihre neue Haltung erheblich näher gekommen und erlebten sich noch stärker verbunden als bisher.
Was sie sich bislang nicht erlaubten, hatte sich keine von ihnen vorstellen und ausmalen können. Eine unbekannte Mauer in ihren Köpfen hatte ihnen das verwehrt und jeden Blick auf das damit verbundene Glück versperrt, das die beiden Hexen jetzt in ihrer Altweiber-WG gemeinsam genießen konnten.
Machtkämpfe, Gewalt und Brutalitäten werden heute auch in Schottland nicht mehr benötigt. Sie gehörten auch wohl eher nicht zur Domaine unserer Hexen. Sie hatten Liebe, Vertrauen und Glück gesucht, wurden aber herb enttäuscht. Trotzdem wurden sie nicht verbittert und griesgrämig. Elfen müssen sie schon sein, wenn es ihnen gelingt aus einem unerfreulichen Leben das große neue Glück zu kreieren. Und darüber liebte Shakespeare ja auch Komödien zu schreiben. Damals hat er sich in die Athener Elfenszene begeben, heute würde er bestimmt den Sommernachtstraum der beiden Elfen Dominique und Marianne aus Münster thematisieren.
FIN
Le coeur a ses raisons que la raison ne connaît point.
Im
Urlaub lernen sie sich kennen,
Annie und Dominique.
Es bleibt
keine Urlaubsbekanntschaft.
Die eine wird zur besten Freundinnen
der anderen.
Gemeinsam ein neues Leben beginnen? Wie sie es
erfahren, übertrifft alle Vorstellungen.
Annie und Dominique in Schottland – Seite 21 von 21
Tag der Veröffentlichung: 09.04.2013
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