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Introduction und Inhalt

Elvi Mad

Aletta und der Sonnyboy

Nello kann keine Frau lieben

 

 

Chacun de nous possède une musique d'accompagnement intérieure. Et si les autres l'entendent aussi, cela s'appelle la personnalité.

Gilbert Cesbron

Kein Zweifel, er hatte auf Femina geschaltet
und ver­suchte sie anzubaggern.
Aletta stoppte ihn harsch: „Bist du verrückt geworden?
Sag mal, du spinnst wohl. Hör sofort auf damit,
sonst ist es vorbei mit unserer Freundschaft.“
Nello war es ersichtlich peinlich. „Entschuldigung,
Entschuldigung, Aletta. Ich weiß nicht,
wie das passieren konnte, irgendwie so automatisch.
Das kommt nie wieder vor, das verspreche ich.
Du bist eben eine schöne Frau.
Das lässt sich nicht übersehen.“ erklärte Nello.
„Trotz schöner Frau, das war die erste und
letzte Warnung. Eine weitere wird es nicht mehr geben,
dann sind wir geschiedene Leute.“
Aletta noch mal warnend.

 

 

Aletta und der Sonnyboy - Inhalt

Aletta und der Sonnyboy 4

Wetterfühligkeit 4

Sonnyboy 4

Einheitliches Leben 5

Eigenständiges Leben 5

Einsamkeit 6

Nello und Mira 6

Keine Freundin für Nello 7

Piano und Violine 8

Nellos Eltern 9

Besuch bei Wicherts 9

Vorspiel 10

Aletta und Mira 10

Italienischen Mentalität 11

Wiederkehr 12

Nellos Freundin? 12

Weihnachten 13

Mondnacht 14

Aletta zu Hause 14

Musik in der Natur 15

Beziehungsfragen 16

Kommunikative Liebkosungen 16

Die Signora und ihr Lausbub 17

Festgestellt, dass wir uns lieben 18

Musikalische Herausforderung 18

Musikalische Gebete 19

Bettgeschichten 19

Matinee 21

Klavier für Nello 21

Tiefe musikalische Begegnungen 21

Frau Wicherts Freundin 22

Essen wie in Frankreich 23

Italienurlaub mit Aletta 23

Der Stern leuchtet wieder 24

 

Aletta und der Sonnyboy

Ein Kommilitone hat offensichtlich trotz miesesten Herbstwetters immer gute Laune. Aletta will wissen wieso.

Wetterfühligkeit

 

Wie könnte man sich nicht über das Wetter beklagen. Es ist zu heiß, zu kalt, zu nass, zu trocken, aber jeder kennt diese Menschen, die sich als wetterfühlig bezeichnen. Der Luftdruck ist es da primär, der sie stört. Den einen ist er zu hoch, den anderen zu niedrig. Obwohl Humanmediziner es abstreiten, dass die Höhe des Luftdrucks sich biologisch auf irgendwelche menschlichen Lebenspro­zesse auswirken könne, hält man an der Einschätzung und dem Sprachge­brauch fest. Man fühlt sich eben nicht jeden Tag gleich, und wie soll man die Unterschiede schon besser und einfacher erklären als mit dem Wetter. Tatsäch­lichen Einfuss kann das Wetter unabhängig vom Luftdruck aber schon ausüben. Wenn im Sommer am azurblauen Himmel die Sonne alles gleißend erleuchten lässt und die Farben zum strahlen bringt, strahlt sie auch in dein Gemüt. Und die trostlosen Tage im Herbst? Alles, was du an Tristesse, an Trübsinn kennst können sie in dir hervorlocken, diese grau-regnerischen Tage, an denen es gar nicht richtig hell zu werden scheint. Du träumst vom Mittelmeer und warmen Stränden, aber es hilft nichts. Das Wetter zwingt dir seinen Blues auf. Es ist die Realität, die dich umgibt und die dein emotionales Empfinden bestimmt. Mit Träumen hast du keinen Zugriff darauf.

 

Sonnyboy


Aletta kannte so etwas nicht. Außer an solchen entsetzlichen Tagen im Herbst hatte sie nie Anflüge von Trübsinnigkeit. Sie studierte Physik und machte ein Praktikum. Daran nahm auch ein Kommilitone teil, der Nello hieß. Wenn sie ihn morgens sah, schien der graue Himmel fortgeblasen. Sie konnte sich nicht er­klären, woran es lag. Sie hatte nichts mit ihm zu tun. Sympathisch fand sie Nello schon. Wenn sie mit ihm sprach, war er immer zu Scherzen aufgelegt und er schien eine Psyche zu haben, die gegen diese äußeren Einfüsse resis­tent war. Sie schafften es nicht, seine Mimik ins Mürrische zu verformen und seine Mundwinkel tiefer hängen zu lassen. Ein Sonnyboy? Aletta fragte ihn ein­fach mal. „Nein, ich bin traurig.“ sagte er, der aus einer anderen westfälischen Kleinstadt stammte, „Ich habe Heimweh. Wenn ich morgens das Gesicht mei­ner Schwester nicht sehe, geht es mir nicht gut. Weißt du, sie ist zwei Jahre jünger als ich, und wir haben uns, solange ich denken kann, immer innig ge­liebt. Wir fehlen uns jetzt, jeden Morgen. Ich rufe sie immer schon vor der Schule an und dann geht es mir besser. Stürme, Regen, Schnee und graue Wolken, was ist das gegen die Sonne, die dich aus dem Herzen eines dich lie­benden Menschen bescheint. Das andere sind alles materielle Äußerlichkeiten, aber zu wissen, dass du geliebt wirst, ist eine Kraft, die alles übersteigt.“ er­klärte es Nello.


Einheitliches Leben


Aber sie wurde doch auch geliebt, sinnierte Aletta. Uli, ihr Freund, liebte sie doch, aber der machte an solchen Tagen kein anderes Gesicht. Wenn sie ihn angelächelt hätte, hätte er zurück gelächelt, aber an ihren Emotionen, hätte das nichts geändert. Ob ihre Eltern sich morgens anschauten, und dann ging die Sonne auf? Wohl eher nicht. „Ist was?“ würde ihr Vater fragen, wenn ihre Mutter ihn direkt anschaute. Es musste etwas anderes sein, was Nello gemeint hatte, oder er hatte sich einfach etwas zusammen geflunkert. „Zu wissen, dass du geliebt wirst, ist eine Kraft, die alles übersteigt?“ Wann und wo hatte Aletta diese Kraft denn je gespürt? Aber bei den Babys war das doch schon so. Wenn die Mutter sie anschaute, waren sie glücklich. Ihr Blick vermittelte Zutrauen, Sicherheit, Liebe pur. Das spürten sie schon in den ersten Tagen. Wo blieb es später? Verlor sich die Fähigkeit, beim Anblick einer geliebten Person Glück zu empfinden. Nicht ganz, sie trat aber nur noch selten auf. Zum Beispiel, wenn man beim Besuch die Großeltern erblickte oder wenn man nach einer Klassen­fahrt Mami wieder sah. Am nächsten Morgen spielte das keine Rolle mehr. Aber sie war doch die gleiche, deren Anblick gestern in dir Freudengefühle ausgelöst hatte. Nur dass du sie heute morgen sahst, war Routine, kein Platz um Gefühle der Freude zu entwickeln. Du trafst Lina, deine Freundin. Du mochtest sie sehr. „Hey, Lina.“ Sagtest du, wie üblich. Du hättest dich doch freuen müssen. Deine Mimik hätte erkennen lassen müssen, dass es dich glücklich stimmt, Lina zu treffen. Aber darauf kam dein Alltag nicht. Er hielt dein Leben von dir fern. Subsumierte alles im technologisierten, routinehaften Tagesablauf, dem gehör­test du. Er ließ dich deine Empfindungen und Gefühle nicht erkennen. Er nahm dir dein einheitliches Leben, oder zumindest große Teile davon. Ja, mehr Leben ins Leben bringen wollte Aletta, mehr von dem, was alle Menschen unabhängig von allen Sozialisationen und Kulturen in sich tragen, leben wollen, das gehörte dazu und möglichst viele Selbstverständlichkeiten und Rituale vermeiden.


Eigenständiges Leben


Nur genau so lebte sie nicht. Sie hatte sich alles einfach so unreflektiert entwi­ckeln lassen. Kriminell hätte es schon nach ihrem feministischen Selbstbild sein müssen, aber sie war auf der Schule schon mit Uli befreundet und da war man ohne jegliche Reflexion und Diskussion nach der Schule einfach zusammen ge­zogen. Natürlich wollte Aletta ein selbstbestimmtes Leben führen, nur wie das auszusehen hätte, daran war noch kein Gedanke verschwendet worden. Es war ja auch praktisch und angenehm so. Uli war immer da. Sie konnten vieles zu­sammen regeln, besprechen und unternehmen. Wie ein Ehepaar hatte sie schon mal gedacht, aber dann auch nicht mehr weiter. Wie ihr Leben, das sie leben wollte, konkret jeden Tag aussehen sollte, wusste sie nicht, doch da wür­de es auch anderes geben, mehr künstlerisch Kreatives. Ihr Geigenspielen be­deutete ihr schon sehr viel, aber da war auch noch mehr, dass sie anregte, und um das sie sich bislang nicht gekümmert hatte. Sie liebte ihre Kamera und konnte wundervolle Bilder machen, aber mit Fotographie als Kunst hatte sie sich nicht beschäftigt. Schmuck gefiel ihr und vor allem die Kreationen junger Modedesigner und -designerinnen. So würde das bald alles völlig verschwun­den sein, und sie hätte sich selbst zur reinen Fachidiotin gemacht, zumal das Studium wirklich äußerst viel verlangte. Was sie in der Schule gemacht hatten, kam ihr gegenüber den Anforderungen des Studiums wie Kinderei vor. Aber Aletta erlebte es eher als Herausforderung, denn als quälende Last. Und wenn sie abends raus ging, etwas unternahm, selbstverständlich alles mit Uli. Es war ja bequem und angenehm, aber ihre Kontakte und die Kontaktsuche engte es ein. Nein, als eigenständiger Stern in diesem Universum würde sie leben müs­sen, wenn sie ein Leben führen wollte, wie ausschließlich sie es sich vorstellte und das sich gegenüber ihrem bisherigen ändern sollte.


Einsamkeit


Uli gefiel das überhaupt nicht, er sah seine Zukunft und es machte ihn traurig, aber er musste einsehen, dass Alettas Absicht nicht zu ändern und zu beein­flussen war. Die versicherte immer wieder, dass sich doch zwischen ihnen und an ihrer Beziehung nichts ändere, nur müssten sie sich eben jetzt treffen, wenn sie zusammen sein wollten. Natürlich änderte sich etwas, vieles. Der warme Uli war einfach da gewesen, in ihrem Bett, immer, unabhängig von dem was sie vorhatte. Jetzt war er nie mehr da, niemand war da. Aletta war allein, jeden Abend und jeden Morgen. Wenn sie nach Hause kam, war Uli da. Unab­hängig davon ob er gelächelt hatte oder nicht, es hatte ein gutes Gefühl ge­macht. Jetzt war niemand da. Sie war allein. Sie überlegte, ob sie verkannt habe, was Uli ihr bedeutet hätte, es auch einfach unter den Bereich des Alltäg­lichen eingeordnet habe. Oder war es gar nicht mal so sehr Uli, sondern das grässliche Alleinsein, zu dem die Alternative mit Uli verbunden war. Sie sprach darüber mit Freundinnen und Bekannten. Die einen verstanden sie gut, konn­ten ihre Situation nachempfinden, andere waren der Ansicht, es sei ein Gewöh­nungsprozess, während wieder andere die Meinung vertaten, sie werde es zu schätzen lernen, dass sie selbständig für sich alles entscheiden könne, und nicht permanent jemand da sei, den sie berücksichtigen und bei ihren Aktivitä­ten mit einplanen müsse. Bei Uli war es vielleicht so gewesen, aber mit einer anderen Frau in einer WG zusammen leben, darin sah sie eine Perspektive, die sie sich bunt ausmalen konnte.


Nello und Mira


Aletta meinte, dem, was Nello gesagt hatte, näher gekommen zu sein. Sie freute sich ja auch an jedem Wochenende, wenn sie nach Hause kam und ihre Mutter sah. Aber anrufen, jeden Tag, dazu drängte es sie nicht. Wirkte denn der Kontakt mit seiner Schwester jeden morgen wie der Anblick des Gesichts der Mutter auf ein Baby? Dann mussten sie doch schon über irgendwelche be­sonderen Rezeptoren verfügen, die den anderen Erwachsenen fehlten. „Ja, selbstverständlich ist das glaube ich nicht.“ meinte Nello als Aletta noch mal nachfragte, „Aber das ist eine längere Geschichte. Wenn du sie hören willst, kann ich sie dir wohl erzählen, aber nicht hier.“ Man traf sich im Café und Nello erzählte, was er von seinen Eltern wusste. Er sei wohl seit der Geburt tief be­eindruckt gewesen von diesem neuen Menschen, habe Mira, seine Schwester bewundert, bestaunt und geliebt. Als ob er mit zwei Jahren empfunden habe, dass es seine Aufgabe sei, dafür zu sorgen, dass diesem neuen jungen Menschen nichts Unangenehmes widerfahre und er immer glücklich sein könne. Und Mira scheine dies von Anfang an als Baby erkannt zu haben. Schon mit wenigen Wochen habe sie, wenn beide neben ihrem Bettchen standen, zu Nello und nicht zu ihrer Mutter geschaut. So sei es eben das ganze Leben durch geblieben. Sie beiden seien sich gegenseitig die wichtigsten Menschen auf der Welt. Ihre Beziehung habe sich wahrscheinlich in den wachsenden Gehirnen der Kinder spezielle Areale geschaffen, die heute keinen Einflüssen von außen mehr zugänglich seien. „Ja, die Liebe zwischen einer Mutter und ihrem Kind, auf einer ähnlichen Grundlage wird es basieren und sicher empfinden wir so intensiv füreinander. Mira hat mal erzählt, dass sie sich ängstlich immer stärkere Sorgen um mich gemacht hätte, als bei ihrem USA Aufenthalt die Zeit unseres Telefontermins überschritten war. Dabei funktionierte einfach die Leitung nicht, sonst hätte sie ja meine Eltern erreichen können. Aber das fällt der hysterischen Mutter nicht auf.“ erzählte Nello. „Das ist ja wie im Märchen, Nello. Bei Bruder und Schwester denke ich immer an meine Freundin. Für die könnte die Welt so schön sein, wenn es diesen Bruder nicht gäbe. Das ist mein Bild von Bruder und Schwester, permanenter Streit und Zank. Dass es auch so etwas wie eure Idylle geben kann, war für mich einfach nicht denkbar.“ antwortete Aletta.


Keine Freundin für Nello


„Ausschließlich Idylle ist das für mich auch nicht.“. meinte Nello. Weil es auch lästig sei, dachte Aletta. Sie fragte aber doch noch mal nach. „Ach“ stöhnte Nello und schaute sinnierend zum entfernten, gegenüberliegenden Fenster. „Na ja, es hat eben auch negative Konsequenzen.“ wollte Nello es lapidar abtun. Er musste es ja nicht sagen, aber jetzt interessierte es Aletta doch näher. „Und die wären?“ fragte sie. „Ich kann keine Freundin finden.“ erklärte Nello. „Muss alles so sein wie bei deiner Schwester, ja?“ versuchte Aletta sich verständnis­voll einzufühlen. „Nein, ich will überhaupt keine.“ so Nello. „Überhaupt kein In­teresse an anderen Frauen?“ fragte Aletta. „Doch sehr ich finde Frauen wun­dervoll und wunderschön. Wenn es sie nicht gäbe, müsste man die große Flut wieder bestellen.“ Nello darauf. „Kontaktschwierigkeiten hast du, oder?“ fragte Aletta nach, und Nello lachte laut auf. „Nein, nein, weißt du, Aletta, es ist so. Ich lerne eine Frau kennen, wir kommen uns näher, mögen uns und wollen ge­meinsam ins Bett. Alles ist wunderschön, aber am anderen Morgen will ich von der Frau nichts mehr hören, will nicht wissen, wer sie ist, will nichts von ihr er­fahren, will nichts weniger als einen persönlichen Kontakt mit ihr.“ erklärte Nel­lo. „One-Night-Stands hast du, und mehr willst du nicht, keinesfalls mehr.“ meinte Aletta dazu. „Das ist ein hässliches Wort. Ich mag es nicht. Das hört sich an wie, zum Ficken treffen und noch ein bisschen länger zusammen blei­ben. Aber wenn eine Frau mit dir spricht, denkt sie doch nicht daran, mit dir Sex haben zu wollen.“ äußerte sich Nello. „Sondern?“ wollte Aletta wissen. „Sie will dich als Mann erleben. Gefallen daran finden mit dir zu flirten. Es kribbelnd weiter zu entwickeln, will spielen. Natürlich will sie im Bett auch Sex, aber da gibt es noch hundert andere Bedürfnisse. Viele Männer interessiert das nicht, aber ich liebe es genauso wie die Frau selbst, die Liebesnacht zu einer Symphonie mit mehreren Sätzen und einem fulminanten Schlusscrescendo werden zu lassen.“ stellte Nello es dar und Aletta schmunzelte. So hatte sie noch nie empfunden. Bei ihr hätte man es eher mit einem immer ähnlichen erregenden Bauerntanz vergleich können, der mit Kochlöffeln gespielt wurde und letztlich zum Höhepunkt führte. Mit den wundervollen Klängen ihrer Violine hatte sie Sex noch nie assoziiert. Aletta versuchte es zu sortieren: „Für die Liebe hast du also deine Schwester und für's erotische deine sinfonischen Nächte mit fremden Frauen. So wirst du es also immer halten.“ „Nein, um Himmels willen, auf keinen Fall. Ich leide doch darunter. Nur ich kann es nicht, ich weiß doch nicht wie. Meine Schwester ist die einzige, die davon weiß. Sie spielt schon jeden Tag ein wenig aus Beethovens Variationen für mich. Es sei wie ein Gebet, das irgendwann Wirkung zeigen müsse.“ stellte Nello dar. „Zum Therapeuten wirst du müssen, sonst wird sich da nichts ändern.“ meinte Aletta. „So sehe ich es auch.“ bestätigte sie Nello.


„Aber sag mal, was spielt deine Schwester denn, Klavier.“ fragte Aletta. „Nein, das spiele ich. Sie spielt Geige. Das ist das zweite, fast genauso schlimme Übel. Jeden Tag haben wir zusammen gespielt. Ich bin ganz gut, und jetzt ver­kalken meine Finger. Nein es ist etwas anderes. Ich sollte eigentlich Piano stu­dieren und hätte es beinahe sogar geschafft, und da kann man nicht nur am Wochenende spielen. Das ist zu wenig. Da baust du ab.“ Aletta wollte mehr wissen, aber Nello meinte, das sei eine andere Geschichte, da müsse man sich noch mal treffen. Ein Termin wurde vereinbart.


Piano und Violine


Nello berichtete, dass seine Eltern total kulturvernarrt seien, und sie nicht er­tragen könnten, dass er Physik studiere. Er habe im Grunde gar nicht damit gerechnet, die Prüfung für Piano bestehen zu können. „Es gibt heute so eine Unmenge von ganz hervorragenden Pianisten, dass du schon ein Horowitz sein musst, um überhaupt die Aufnahme zu bestehen. Dass ich es beinahe ge­schafft hätte, werte ich als ganz tolle Anerkennung. Da bist du auf einem Le­vel, dass du ohne tägliches Training nicht auskommst. Und das gibt’s einfach nicht. Ich habe ja immer mit Mira zusammen gespielt. Das gibt es jetzt auch nicht mehr, an keinem Tag in der Woche.“ bedauerte Nello. „Und was habt ihr gespielt?“ erkundigte sich Aletta. „Nicht schlecht.“ bewertete sie Nellos Antwor­ten. „Ich spiele ja immer solo. Zweimal habe ich erst mit Orchester gespielt. Aber wie willst du das auch anders machen?“ „Einen Bruder haben, der Klavier spielen kann. „Du musst mal an einem Wochenende mit zu uns kommen. Dann kannst du mit Mira Geige und mit mir Klavier spielen.“ antwortete Nello und Aletta lächelte. Sie unterhielten sich noch länger über Musik und Weiterkom­men. Nello wollte den Termin für ihr nächstes Treffen ausmachen. „Wozu?“ er­kundigte sich Aletta. „Na wir könnten dann die Details und den Termin bespre­chen, wann du mit zu uns kommst.“ erläuterte Nello. Aletta schaute konster­niert. Sie hatte es mehr für eine scherzhafte Bemerkung gehalten. „Und was soll ich da?“ wollte sie wissen. „Das habe ich doch gesagt, Aletta. Mira und meine Eltern würden sich bestimmt sehr freuen.“ Nello darauf. Aletta überleg­te. Eigentlich kannte sie Nello ja gar nicht, nein, sie wusste ja sogar sehr viel von ihm. Deswegen sollte sie ja nicht zu ihm nach Hause mitkommen. Dabei ging es ja um Musik und das interessierte sie schon. Sie wollte ja auch eigene neue Kontakte knüpfen. Warum sollte sie sich also nicht darauf einlassen. Ein nächster Termin wurde ausgemacht.


Nellos Eltern


Nello bereitete Aletta darauf vor, was sie erwarte. Seine Eltern seien absolute Kulturfreaks und italophil. Die Mutter sei Übersetzerin und übersetze italieni­sche und spanische Belletristik. Sein Vater leite die Deutschlandvertretung ei­ner kleinen italienischen Firma. Das sei aber im Grunde nur sein Nebenjob, er sei in allen möglichen deutsch-italienischen Organisationen und Verbänden ak­tiv, und man habe ihn zum italienischen Honorarkonsul ernannt. Diese Pizza- und Espressowelt, mit der hätten sie nichts zu tun, sie lebten in italienischer Geschichte und Kultur und der sonstigen Kultur natürlich auch. Wenn Mira jetzt auch noch so etwas wie Mathe oder Chemie studiere, würde sie das sicher um­bringen, aber Mira tendiere schon zu Kulturgeschichte. Musik habe sie für sich schon ausgeschlossen. Sie habe auch keinen Freund, aber das könne Aletta ja mit ihr klären. Diskussionen über Kultur? Na ja, dass sie im italienischen Be­reich nicht bewandert sei, könne ihr ja niemand verübeln, aber ansonsten fühl­te Aletta sich auch sehr schwach besaitet. In klassischer Musik hatte sie natür­lich den Überblick, aber sonst? Belletristik vielleicht ein wenig, aber bildende Künste zum Beispiel? Tabula rasa. Sie wollte bis zum Besuch eifrig die Feuille­tons lesen.


Besuch bei Wicherts


Auf der Fahrt empfand Aletta doch schon eine interessiert freudige Spannung. Überlegte noch mal, von welchen kulturellen Events sie berichten könne und fragte Nello nach weiteren Details zu seinen Eltern. An der Kaffeetafel wollte sie etwas von einer Ballettpremiere in Hamburg erzählen. „Du spinnst, Aletta. Was soll das denn. Willst hier den Affen machen. Wozu. Du selbst bist wertvoll genug. Du musst nichts vorspielen. Wenn du Wicherts, Nellos Eltern, nicht pas­sen solltest, ist das ihr Problem.“ sinnierte Aletta. „Nein, die Geige ist mir schon äußerst wichtig, aber Musik studieren und sein Leben als Violinistin ver­bringen, das wollte ich nicht. Mein Kopf kann auch noch etwas anderes. Da bin ich stolz drauf und es macht mir Spaß. Das ist meine feministische Leistung.“ erklärte Aletta und lächelte. Das musste sie näher erläutern. „Ja, dass die Mäd­chen besser sind in der Schule, wird von vielen immer noch mit der Begrün­dung erklärt, sie seien eben folgsamer, fleißiger und machten die Hausaufga­ben immer genau und gewissenhaft. Quatsch ist das, absoluter Quatsch. Die Mädels checken's einfach schneller und besser und sonst nichts. Aber das kann die Herrenwelt nicht ertragen. Dass ich die beste der Klasse in ihren ange­stammten Bereichen von Mathe und Physik war, ist somit auch ein Sieg übers Patriarchat.“ erklärte Aletta und lächelte. „Bravo, genau,“ unterstützte sie Frau Wichert und zu ihrem Mann gewannt, „Das müsst ihr euch einfach mal hinter die Löffel schreiben.“ „Trotz der geringeren Hirnmasse?“ zweifelte der scherzend. „Da ist noch viel mehr, mein Lieber, was Frauen besser durchschauen und erkennen. Das müsst ihr schlicht akzeptieren.“ fügte Frau Wichert hinzu und Aletta ergänzte: „Es ist doch auch schon was, wenn sie schön lieb sind.“ Da konnten die beiden Männer auch nicht umhin zu lachen. Sie habe überlegt, ob sie nicht Französisch studieren solle, das hätte ihr sehr gut gefallen. Nach ihrem Frankreichaufenthalt habe sie sich sowohl als Französin wie auch als Deutsche empfunden, aber sie sei der Ansicht, dass Physik ihre Kapazitäten mehr fordere, und deshalb habe sie sich dafür entschieden, auf Lise Meitner zu studieren und sich den Nobelpreis nicht wegnehmen zu lassen. Die Herzen aller gehörten schon beim Kaffee Aletta. Lustig, pfiffig war sie, schien sehr intelligent und verfügte über weitreichende Kompetenzen.


Vorspiel


Mann wollte sie spielen hören. Fantastisch! Ein freudiger Schein legte sich auf die Gesichter der Zuhörer. Nach einem Applaus meinte Mira. „Super, da bin ich noch lange nicht.“ und Frau Wichert wollte wissen, ob sie öfter Auftritte habe oder alles nur für's eigene Gemüt sei. „Jetzt nur noch für mich.“ antwortete Aletta, „Aber es ist mehr als das fertige Hören. Es ist ja ein manchmal wochen­langer Prozess, der sowieso nur mir und meiner Lehrerin gehört. Ich denke schon, dass ich nicht schlecht bin, aber für Auftritte da will man die Violinistin im Orchester hören, und da gibt es bei mir nichts.“ „Oder mit einem Pianisten.“ ergänzte Nello völlig ernst. „Wir werden zusammen die Kreutzersonate spie­len.“ und die anderen waren amüsiert. „Jetzt will ich sie aber auch mal von euch beiden hören.“ forderte Aletta Mira und Nello auf. „Herrlich, wunder­schön.“ kommentierte Aletta das Spiel der beiden. „Jetzt du.“ forderte Mira sie auf. Obwohl Aletta keineswegs damit rechnete, es zu können, versuchte sie's. Nach kurzem Versuch brach sie ab und erklärte lachend: „Wie soll das denn ge­hen? Ich soll das einfach so vom Blatt ins Blaue spielen können? Gib mal etwas Leichteres. Nein, das nicht, das ist Babykram“ als sie schließlich etwas Passen­des gefunden hatten, probierten die beiden es noch einmal. Es klappte. Aletta strahlte. Morgen oder heute Abend wieder, aber jetzt wollte Nello sich erst mal selbst einspielen.


Aletta und Mira


Aletta und Mira verzogen sich in Miras Zimmer und fachsimpelten noch ein we­nig über Violinenfragen. Dann wollte Mira wissen: „Sag mal, Aletta, befasst du dich näher mit feministischen Angelegenheiten?“ „Nein, ich denke nur, dass es einige Dinge gibt, die man als Frau schon wissen und im Hinterkopf haben soll­te. Wie du dich als Frau siehst, was ist das für ein Bild? Von wem hast du es dir angeeignet? Wer hat es kreiert? Alles Männer. Männer besetzen nicht nur die besser dotierten Posten, sie besitzen die Meinungsmacht. Chefredakteure, Leit­artikler alles Männer. Nicht jeder bildet sich frei seine Meinung, unsere Meinung ist nicht neutral, sie ist eine Männermeinung. Wenn deine Mami dich als kleins­tes Baby anschaut, dann hat sie andere Assoziationen als bei Nello. Dann sieht sie ein Mädchen, ihr Bild von einem Mädchen, und das wirkt sich auf dich aus. So geht es dein ganzes Leben weiter bis zu dem Pauker, der meint, du kannst kein Mathe, weil du ein Mädchen bist, und dann glaubst du es von dir selber. Diese Meinung, wer wir Frauen sind, bzw. wer man als Frau ist, ist keine Frau­enmeinung. Das sollte frau nicht vergessen.“ erklärte sich Aletta. „Du bist doch eine Feministin.“ meinte Mira und lachte. „Aber das ist gut, sehr gut. Ich weiß viel zu wenig davon. Ich habe gedacht, wir wären da nicht so persönlich von betroffen. So ein infantiler Schwachsinn. Wir werden da noch viel drüber re­den, ja.“ „Aber sag mal.“ drängte es Mira, „Hast du eigentlich einen Freund? Nello wusste es nicht.“ „Ich weiß es auch nicht.“antwortete Aletta, „Ich dachte, ich hätte einen. Ich habe ihn einige Male abgewimmelt, als er kommen wollte, und seitdem höre ich nichts mehr von ihm. Vier Jahre waren wir zusammen und haben gedacht, wir liebten uns. Mit Liebe hatte das überhaupt nichts zu tun. Es war praktisch, bequem und angenehm, sonst nichts. Wer musst du sein, dass du vier Jahre lang so etwas nicht merkst und einfach mitmachst. Aber das wird es in meinem neuen Leben nicht geben. Davon musste Aletta natürlich erzählen. Lachend und scherzend gestalteten sie es weiter aus, und Mira hatte viele Vorschläge dafür, was auch noch ins eigenständige Leben ge­höre. „Und bei dir, wie sieht es da mit einem Freund aus?“ fragte Aletta. Mira hob die Augenbrauen zu einem bedenklichen Gesicht. „Was soll ich damit?“ er­klärte Mira und platzte laut lachend los. „Ich brauch das nicht, ich brauch kei­nen m'accompagner monsieur, wie das üblich ist und wie du es von dir erzählt hast. Dann brauch ich später mein Leben nicht wieder zu ändern. Nein, weißt du Aletta, ich spüre nix, hab gar kein Verlangen nach einem Mann für Sex. Die­ses ganze Trallala mit dem ersten Mal und so, das find' ich albern. Wozu soll ich einen Mann gebrauchen. Männer für Einfühlsamkeit und Zärtlichkeit? Dass ich nicht lache. Männer stinken.“ Jetzt hatten beide wieder etwas zu lachen. Nein, zu Frauen habe sie keinen Draht. Sie ginge davon aus, dass sie irgend­wann mal jemanden kennenlerne, den sie als Menschen toll fände und lieben könne, und wenn's dann eben ein Mann sei, sei das auch egal oder vielleicht sogar schön. Aber da dränge sie im Moment nichts.


Italienischen Mentalität


Mira und Aletta unterhielten sich noch über Schmuck und Schmuckdesign als sie zum Abendbrottisch kamen. Frau Wichert schwärmte von italienischem Schmuck und Aletta meinte, dass sie dazu geteilter Ansicht sei. Es gebe durch­aus wundervolle Designer, aber man habe auch wenig Hemmungen, ins all zu Üppig, Protzige zu kommen. Frau Wichert bestätigte Aletta lächelnd und mein­te die kulturgeschichtlichen Hintergründe der italienischen Mentalität dafür er­klären zu können. „Sag mal, Mami, hast du mich eigentlich direkt nach der Ge­burt anderes angeschaut als Nello?“ wollte Mira wissen und man entwickelte es in einer von ständigem Lachen begleiteten Diskussion dorthin, dass ihre eigene Mutter schon direkt bei ihrem Auf-die-Welt-kommen mit ihrer Unterdrückung als Frau begonnen habe. Lustig war es bei Tisch und Mira, Aletta und Nello wurden gebeten, doch nachher noch etwas zu spielen. Musik dominierte natür­lich alles, aber auch ansonsten hatten Aletta und Mira unendlich viel zu bespre­chen. Völlig vertraut empfand es Aletta, als ob sie eine alte Bekannte von Wi­cherts sei und in Mira eine neue Freundin gefunden habe.


Wiederkehr


Als Aletta sich am Sonntagnachmittag verabschiedete, meinte Frau Wichert: „Bis nächste Woche.“ Aletta stutzte. „Wieso?“ fragte sie. „Ja, du kommst doch nächstes Wochenende wieder, oder hat es dir nicht gefallen bei uns?“ meinte Frau Wichert. „Doch sehr, herzlichen Dank nochmal dafür, aber ich kann mir doch nicht einfach ein ganzes Wochenende frei nehmen, ich muss arbeiten.“ Aletta darauf. „Aber Nello macht das doch auch.“ Frau Wichert noch mal „Und der ist ein Junge. Der checkt es nicht so schnell.“ fügte sie noch lächelnd an. „Aletta, das kannst du mir doch nicht antun, mich einfach hier allein sitzen las­sen. Ich hatte mich schon gefreut und war selbstverständlich davon ausgegan­gen, dass du kämst.“ klagte Mira. „Darf ich hoffen?“ lächelte Frau Wichert Alet­ta an. Die lächelte zurück, und das hieß 'Ja'. Auf der Rückfahrt überlegte Alet­ta: Am nächsten Wochenende würde es ja wieder so verlaufen, man erwarte, dass sie am nächsten Wochenende wiederkomme. Für die nächste Zeit würde sie damit rechnen müssen, ihre Wochenenden bei Wicherts zu verbringen. Das gefiele ihr schon, jedes Wochenende in dieser neuen Familie, mit den freundli­chen Menschen, mit den musikalischen Anregungen und vor allem mit Mira, die sie sehr gern hatte und schätzte, und mit der sie sich wundervoll verstand. Aber sie würde vieles in ihrer Organisation umstellen müssen. Sie habe kaum freie Zeit, außer ein paar Stunden meinte sie. Mal für's Kino, mal fürs TV, mal für einen Spaziergang. Alles müsse durchforstet und neu organisiert werden, beschoss sie und lächelte in sich hinein.


Nellos Freundin?


Aletta hatte schon mehrere Wochenenden bei Wicherts verbracht, als es ihr auf der Rückfahrt so sonderbar erschien, wie Nello plötzlich redete. So weich schmeichelnd klang es. Kein Zweifel, er hatte auf Femina geschaltet und ver­suchte sie anzubaggern. Als er dahin gekommen war, von Dessous zu reden, stoppte Aletta ihn harsch: „Bist du verrückt geworden? Sag mal, du spinnst wohl. Hör sofort auf damit, sonst ist es vorbei mit unserer Freundschaft.“ Nello war es ersichtlich peinlich. „Entschuldigung, Entschuldigung, Aletta. Ich weiß nicht wie das passieren konnte, irgendwie so automatisch, wahrscheinlich. Das kommt nie wieder vor, das verspreche ich. Du bist eben eine schöne Frau. Das lässt sich nicht übersehen.“ erklärte Nello. „Trotz schöner Frau, das war die erste und letzte Warnung. Eine weitere wird es nicht mehr geben, dann sind wir geschiedene Leute.“ Aletta noch mal warnend. Es war still. Keiner sagte mehr etwas. Aletta war nicht nur wütend auf Nello, sie war auch traurig. Als erniedrigend und entwürdigend empfand sie es, dass Nello so mit ihr umgehen wollte. War sie im Grunde doch nur eine fremde Frau für ihn? Nein das glaubte sie trotz allem nicht. Aber wie kam er denn dazu. War 'Mann' allein der Grund? Sollte er mal seinen Testosteronspiegel senken. Selbstverständlich wäre es vor­bei, wenn er so etwas nochmal mache, aber es war ja nicht nur Nello. Diese Wochenenden würde es nicht mehr geben. Traurig dachte sie daran, das verlieren zu können und es wurde ihr jetzt deutlich, wie viel es ihr gab. Da gehörte alles zu ihrem Leben und nichts zum technologisierten Alltag. Als eine immense Bereicherung für sich sah sie diese Wochenenden. 'Freundschaft' hatte sie gesagt. Mit der sei es vorbei. Hatte Aletta das einfach so geplappert, oder war es das, was sie und Nello verband? Überlegte Aletta. Natürlich, was sollte es denn sonst sein, wenn sie beide Lust daran hatten, die Wochenenden gemeinsam bei Nellos Eltern zu verbringen. Wäre Nello dann ihr Freund? Sie sah es für sich schon so, aber Nello der konnte das doch gar nicht. Dessen einzig mögliche Freundin war doch seine Schwester. Und Aletta schmunzelte.


Weihnachten


Am Heiligabend fuhr Aletta erst zu Wicherts. Dort sollte es eine vorgezogene Bescherung geben und anschließend wollte Aletta am Abend zu ihren Eltern fahren. Mira bekam ein Collier aus Alettas Schmuckkunstschmiede. Aletta ent­schuldigte sich, sie habe es letztendlich nur so machen können, wie es ihr ge­fiel. Wenn sie Miras Geschmack nicht getroffen habe, könne sie da leider nichts dran machen. Mira war begeistert. Das sei ihr schönster und wertvollster Schmuck. Der wertvollste werde es ihr ganzes Leben lang bleiben, weil darin die Verbundenheit zwischen Aletta und ihr läge, und die sei an Wert durch die teuersten Klunker der Welt nicht zu überbieten. Nello meinte es wirke edel und erfordere ein großes Dekolleté. Schlichte Grazie, vermittle es, meinte Frau Wi­chert, und Frische, die den Eindruck vermittle, dass die Trägerin den Frühling erwarte. Frau Wichert erhielt Les Fleurs du Mal von Charles Baudelaire in fran­zösischer und italienischer Sprache. Die beiden hatten sich mal darüber unter­halten und Frau Wichert kannte die Gedichtsammlung nicht. Herr Wichert be­kam eine frische Neuausgabe von Goethes Italienreise. Möglicherweise hatte er schon zehn, aber diese konnte er noch nicht haben. Für Nello gab's ein Album in elfenbeinfarbenen Ziegenledereinband mit Fotos von ihm in allen Situatio­nen. Im Labor, wie er vorm Institut sein Fahrrad abschloss, wie er mit erhobe­nen Zeigefinger beim Essen am Tisch dozierte und vieles mehr. Die meisten zeigten jedoch Impressionen von ihm am Klavier allein und gemeinsam mit Mira. Die überwiegende Anzahl der Situationen hatte Nello gar nicht mitbekom­men oder er hatte sie vergessen. Lange schaute er sich jedes Bild an, bis seine Mutter sagte: „Nello, Aletta hat es dir geschenkt, du kannst es dir jetzt immer anschauen, und wir wollen es auch ausführlich betrachten.“ Er blätterte noch rasch ein paar Seiten weiter und klappte es zu. „Wundervolle Fotos,“ sinnierte Nello, „aber was hatte Aletta bewegt, sie zu machen. Ihn die ganze Zeit über, fast seit Beginn ihre Kennenlernens mit der Kamera zu begleiten. Ihn, nicht ihre Freundin Mira oder seine Mutter. Was sie wohl dabei empfinde, woran sie wohl denke, wie sie ihn wohl sah? Dass sie ihn mögen musste, könne sie nicht bestreiten, aber das wusste er ja auch so und es beruhte auf Gegenseitigkeit. “ Frau Wichert erklärte, das Geschenk für Aletta sei ein Geschenk der ganzen Fa­milie. Alle hätten sich daran beteiligt, weil sie der Ansicht seien, dass sie so et­was unbedingt brauche. Aletta sah es und konnte es nicht fassen. Eine HiFi Au­dioanlage für sie. Sie kannte die Anlage nicht, aber wusste, dass sie sich von dieser Firma nie etwas würde zulegen können. „Nein, das kann nicht sein. So etwas für mich, für meine Hallen. Nein, das ist einfach Wahnsinn.“ So redete sie ständig. Ihr Gesichtsausdruck wusste nicht, ob das Gesicht lachen oder vor Freude heulen solle. Herr Wichert und Nello installierten sie schnell notdürftig, damit man sie auch wenigstens mal hören könne. „Fantastisch,“ kommentierte Aletta die ersten Klänge eines Violinkonzertes. „Das klingt ja besser als das Original.“ Aletta umarmte jeden, küsste ihn dabei auf die Wangen und sagte „Danke.“ Nello küsste sie nicht. Sie hielten nur ihre Wangen aneinander. Dann stoppte Aletta, lächelte ihn schelmisch an, gab ihm einen Stups auf die Nase und sagte dabei: „Danke, mein Lieber.“ Die Umarmung mit Mira wollte nicht enden, weil Aletta wusste, dass nur von ihr die Initiative dazu ausgegangen sein konnte, denn nur mit ihr hatte sie über ihr grässliche derzeitige Anlage gesprochen und dass ihr das Geld für eine bessere, andere fehle. Nach Lösung der Umarmung schauten sich die beiden Wissenden an. „Freundinnen eben.“ meinte Mira und lachte.


Mondnacht


Über die Anlage freute sich Aletta natürlich riesig, aber das andere war das, was sie emotional tiefer, sie persönlich berührte. Sie wurde geliebt, von allen, nicht weil sie so toll Geige spielen konnte, nein, einfach so, ihre Person, und das fast vom ersten Moment an, als sie Wicherts kennengelernt hatte. Sie ge­hörte zur Familie und fühlte sich, nein, nicht geborgen, aufgehoben in der Zu­neigung der anderen. Auf der Fahrt zu ihren Eltern war alles leer und still, nur der Mond wachte. Die Menschen schienen sich alle an den Weihnachtsbäumen versammelt zu haben. Aletta spürte um sich eine Aura aus warmem Glück und sanfter Wonne. Sie fuhr nicht zu ihren Eltern, sie schwebte. Eichendorfs Mond­nacht kam ihr in den Sinn:


Und meine Seele spannte

Weit ihre Flügel aus,

Flog durch die stillen Lande,

Als flöge sie nach Haus.


Weit ausgespannt hatte ihre Seele die Flügel. Gern hätte Aletta die Augen ge­schlossen und sich träumend über die stillen Lande gleiten lassen. Als leicht entrücktes Hochgefühl hätte sie ihre Stimmungslage bezeichnet, als sie ihr Zu­hause erreichte.


Aletta zu Hause


Sie und ihre Mutter lagen sich lange gegenseitig um den Hals, und als sie sich lösten, hatte Aletta feuchte Augen. „Ich freue mich, dich zu sehen. Ich liebe dich, Mama.“ reagierte Aletta auf die fragenden Augen ihrer Mutter. Aber es kam ihr in der Tat so vor, als ob sie sich noch nie so gefreut hätte, ihre Mutter zu sehen. Ob das eher Konsequenz ihres neuen Lebens mit stärkerer emotio­naler Gewichtung oder eher ihrem augenblicklichen Entrückungszustand zuzu­schreiben war, konnte sie nicht entscheiden. Ihre Eltern waren so ausgesucht freundlich. An ihrer Wahrnehmungslage konnte das nicht liegen. Ihr Vater sprach sie an, fragte sie und lachte. So kannte Aletta ihn nicht. Selbstverständlich besuchten ihre Eltern die Kirche. Eine langweilige rituelle Pflicht war es für Aletta gewesen. Heute delektierte sie sich freundlich schmunzelnd an dem ganzen hochamtlichen Pomp und Gepränge mit seinen klanglichen Verbrämungen. Den Kinderchor hörte sie heute nicht als grässliches Gekreische, Aletta lächelte. Jedem Wort des Pastors hätte sie singend antworten können, und die Klänge der Orgel rundeten das Bild ab. Dass sie sie sonst als Folterinstrument für die Ohren und entsetzliches Schabrackengetröte bezeichnet hatte, war jetzt vergessen.


Zu Hause musste alles berichtet und besprochen werden. Das Nello und sie sehr gute Freunde seien, aber kein Paar im üblichen Sinne, ließ ihre Eltern rät­seln, aber Aletta wollte nichts näher erklären. Aletta sei immer ihr Stern gewe­sen. Sie hätten ihn immer leuchten sehen, aber es sei ihnen vorgekommen, als ob der Stern begonnen hätte, zu verblassen und im biederen Alltag zu verlö­schen. Sie hätten keine Aletta mehr erkennen können, sondern nur, dass sie sehr gewöhnlich ihre Tage verbrächte. Das richte sich nicht gegen Uli, sie hät­ten nichts gegen ihn und möchten ihn persönlich, aber Alettas Lebensstil mit ihm hätten sie für tödlich gehalten. So könne man auch kurz vorm Altersheim leben. So müsse ihr Stern untergehen. Ihr Vater habe immer Vertrauen ge­habt, dass Aletta es merke. Dass sie sich entschlossen habe, ein neues Leben in Eigenständigkeit zu führen, mache sie unendlich glücklich, und sie sähen ih­ren Stern wieder in voller Leuchtkraft. Das sei ihr wundervollstes Weihnachts­geschenk, das Aletta ihnen gemacht habe. Ihre Mutter stand auf, sie zu umar­men und zu küssen. Ihr Vater tat es auch. Breite Freude stand in Alettas Ge­sicht. Wann hatte er das getan? Als sie ein Kind war.


Musik in der Natur


Aletta besuchte in der Weihnachtszeit mit ihren Eltern noch Verwandte, fuhr dann über Münster, um einige ihrer CDs mitzunehmen, wieder zu Wicherts. Jetzt musste die Anlage genau inspiziert werden. Sie konnte damit sogar digi­tale Aufnahmen machen, aber sie hatte ja kein Mikrophon. Aletta ging sehr gern spazieren. Ihr waren die Spaziergänge mit den Eltern keineswegs als langweilig vorgekommen. Mit der Mutter konnte sie über alles reden, und der Vater, ein Biologe, konnte die Welt erklären, in der sie sich bewegten. Sie hatte nie eine Ansicht vom Wald als totes Bild mit Bäumen gehabt. Für sie war er im­mer ein Prozess, in dem alles lebte, ein Prozess, der spannend war und immer wieder neue Überraschungen bot. Aber das galt nicht nur für den Wald, son­dern für die ganze Natur, die sie lebend und in Melodien und Rhythmen erlebte. Biologie hatte sie sehr interessiert. Man hielt sie für naturwissenschaftlich be­gabt, aber Biologie sah sie viel näher am Leben, an sich selbst, an ihren Le­bensvorgängen und an ihrer Musik.


Beziehungsfragen


Nello und Aletta waren nach den Weihnachtsferien schon wieder an zwei Wo­chenenden bei Wicherts gewesen, als Nello auf der Rückfahrt fragte: „Sag' mal, Aletta, ich habe mich das schon oft gefragt, was das eigentlich für eine Art von Beziehung ist, die wir beide zueinander haben.“ In seiner Stimme lag ein leicht schelmischer Unterton. Aletta reagierte entsprechend: „Ich frage mich so etwas nicht. Da zerbricht man sich nur den Kopf und bekommt doch keine Antwort. Aber in jeder Beziehung gibt es ja zwei Partner, die gemeinsam etwas miteinander tun wollen, zum Beispiel miteinander Handel treiben. Dann hätten wir eine Handelsbeziehung.“ Nello lachte. „Was wollen wir denn gemein­sam miteinander tun?“ fragte er. „Na, du Dummerchen, das weiß du doch, wir tun es doch, du beteiligst dich doch daran.“ reagierte Aletta in diesem scherz­haften Gespräch. „Also gemeinsam Musik machen, zu meinen Eltern fahren, miteinander reden. Und was ist es dann für eine Beziehung?“ fragte Nello. „Das ist von der Qualität abhängig, von der Intention, warum man es tut.“ meinte Aletta, „Also ich mache gern mit dir Musik, nicht nur weil gemeinsames Musi­zieren schön ist, sondern weil ich es mit dir tue. Ich weiß, dass es dich auch freut und glücklich macht. Es gefällt mir, dich glücklich zu machen und zu wis­sen. Das möchte ich dir geben.“ Nello schaute kurz und meinte: „Bei mir ist das kein bisschen anders. Ich habe Lust auf dich und was wir gemeinsam tun. Es macht mir Freude. Ich empfinde es als ob eine Sonne für mich leuchte.“ „... und sie gibt dir eine Kraft, die alles übersteigt.“ fügte Aletta hinzu und lachte. Nello schaute leicht verwirrt. „Das hast du von der Liebe gesagt. Könnte es sein, dass unsere Beziehung da auch etwas mit zu tun hat?“ Aletta darauf. Nel­lo wollte ihr sofort um den Hals fallen und sie küssen. „Stop, stop, stop, wir landen in der Leitplanke.“ bremste ihn Aletta. Sie hatte das Unaussprechliche benannt und die Fesseln, die sie sich verbal für ihre gegenseitigen Empfindun­gen angelegt hatten gelöst. Bei der nächsten Abfahrt wurde die Autobahn ver­lassen und zwecks erforderlicher Stops für den weiteren Weg die Landstraße gewählt. Auch in Münster brachte sie Nello nicht erst zu sich, sondern er kam mit zu Aletta, weil die neue Lage unendlichen Gesprächsbedarf mit sich brach­te. „Aber mit ins Bett gehen das kann ich noch nicht. Da bin ich nicht frei, da schweben mir immer deine Situationen vor.“ erklärte Aletta. Mit ihr sei es doch etwas völlig anderes und habe mit den früheren Situationen nicht das Gerings­te zu tun. Jetzt würde er mit seiner geliebten Freundin ins Bett gehen. Das sei für ihn genauso neu wie für sie. Im Prinzip wolle sie ja schon, erklärte Aletta, aber sie brauche trotzdem noch Zeit, um zu einer anderen Einstellung zu fin­den.


Kommunikative Liebkosungen


Sie brauchte nicht viel Zeit, um diese Einstellung zu finden. Drei Tage später erklärte sie Nello, dass sie jetzt soweit sei. Sie stellte aber ausdrücklich klar, dass sie nicht mit ihm ins Bett ginge, weil sie sexuelle Befriedigung mit Nello für angenehmer halte als alleine. Sie wolle ihre gemeinsame Liebe erleben und ihren Schlafanzug müsse sie anziehen. Als Aletta in ihrem Schlafanzug neben Nello im Bett lag, schauten sie sich an und prusteten los. Aletta zog den Schlafanzug aus und Nello kommentierte es mit: „Eine wunderschöne Frau bist du, Aletta.“ Mit einem warnenden „Nello!“ reagierte die darauf. Aletta erklärte, was es mit dem Schlafanzug für eine Bewandtnis habe und Nello erzählte et­was von seinen Kleinkindgewohnheiten. Petitessen waren es, von denen sie sich gegenseitig berichteten, aber sie sprachen es in einer anderen Sprache, leiser, mit sanfter, fast lieblicher Melodie. Alles was sie sich erzählten, war von einem Lächeln begleitet. Sie unterhielten sich nicht, sondern tauschten kom­munikative Liebkosungen aus. Dabei streichelten sie den Oberkörper des ande­ren und mussten sich zwischendurch zueinander wenden, um sich zu drücken und zu küssen. Nach langer Lovetalkzeit nahm das gegenseitige Drücken an Intensität zu. Sie verschränkten ihre Beine und Aletta nahm Nellos Hand und drückte sie fester auf ihre Brust. Die gegenseitige Steigerung der Erregung stand jetzt im Vordergrund. Aletta hatte sich fast verausgabt. Erschöpft, ver­schwitzt und wonnestrahlend lag sie neben Nello. Sie drehte sich zu ihm, legte ihren Kopf auf seine Schulter, ein Bein über seine Hüften und schlief ein. Am nächsten Morgen wollte sie gar nicht aufstehen, den ganzen Tag mit Nello schmusen und kuscheln. Der wollte aber Frühstück haben, stand auf und berei­tete es zu. Aletta stand auch auf, ihm zu helfen. Gefrühstückt wurde im Bett. Es hätte so viel zu erklären gegeben, aber die beiden sprachen kaum. Schau­ten sich nur immer wieder an und lächelten glücklich. Aletta starrte Nello an als ob sie ihren Augen nicht traue. „Nello, weißt du was? Ich bin scharf auf dich.“ sagte sie plötzlich ganz erstaunt. Sie kugelten sich vor Lachen. „Nello, ich weiß gar nicht, was das ist. Ich kenne so etwas überhaupt nicht. Woher kommt das denn? Woran liegt das denn? Aber wir machen's gleich nochmal, ja?“ erklärte sich Aletta. Das hätten sie ziemlich sicher auch ohne Alettas neu erkannten Bedürfnisse getan.


Die Signora und ihr Lausbub


Aletta meinte, dass ihre Liebe jetzt komplett sei. Sie fühle sich absolut wohl und sei super glücklich. Nichts auf der Welt, könne sie heute mürrisch stim­men. Sie könne Nello jetzt gut verstehen. Man sehe die Welt und die Dinge in ihr so, wie man sie sehen wolle. Wer von Liebe erfüllt sei, sehe die Welt ganz anders. Eigentlich hätte das für sie selbstverständlich sein müssen. Ihre Mutter habe es ihr schon als kleines Kind bei 'Eleonara' von Edgar Ellen Poe erklärt. Solange die Liebe da war, war alles wunderschön, als sie verschwand verfiel al­les und wurde trist. Die Welt ist so wie wir sie sehen, und wenn wir sie mit dem Empfinden von Liebe sehen, kann uns nichts er schüttern. Ausgelassen und übermütig alberten und balgten die beiden im Bett. Plötzlich verkündete Alet­ta: „Nello, aus mir will deine Mutter eine italienische Signora machen, bei dir sieht aber noch nichts so aus, als ob daraus mal ein Signore werden sollte.“ Wenn Nello nicht Klavier spielte oder für Physik arbeitete, schien sein Zwerchfell im­mer auf Erregung zu warten. Auch jetzt lachte er schon in Erwartung dessen, worauf Aletta hinaus wollte. „Sondern, wonach sieht es für dich aus?“ fragte er. „Ein Lausbub, ein Lausbub bist du.“ antwortete Aletta. Nello lachte, griff nach Aletta warf sie um, und wälzte sich mit ihr im Bett. „Die Signora und ihr Laus­bub? Würde das unser Verhältnis charakterisierend beschreiben?“ erkundigte sich Nello. Aletta kam sich vor wie ein Kind. Sie hätte diesen Jungen perma­nent knuffen und mit ihm balgen können, und Nello schien sich darüber zu freuen. „Lass uns aufstehen und etwas Gescheites machen, das kann auch spannend und lustig sein. Sie standen auf, bereiteten sich Kaffees und saß schweigend nebeneinander. Ein gegenseitiges Lächeln gab es, sonst brauchte man nichts, genoss einfach das Glück des Beieinanderseins.


Festgestellt, dass wir uns lieben


Mira wurde natürlich immer sowohl aus Nellos wie auch Alettas Sicht telefo­nisch auf dem Laufenden gehalten, den Eltern sagen sollte sie aber nichts. Das wollten sie selber tun. „Mama, wir müssen mal mit dir sprechen.“ meinte Nello als sie am nächsten Freitag seine Mutter begrüßten. „Worum geht’s?“ wollte die sofort wissen. „Ja, bei Aletta und mir“ begann Nello und Aletta vervollständig­te: „Wir haben nämlich festgestellt, dass wir uns lieben.“ Ein breites Grinsen legte sich auf Frau Wicherts Gesicht. „Na,“ sagte sie nur und das nicht gesag­te: „Hat ja auch lang genug gedauert.“ hatte trotzdem jeder gehört. „Mit al­lem, ihr geht auch gemeinsam ins Bett?“ wollte Frau Wichert eigentlich aus or­ganisatorischen Gründen wissen. Die die beiden griffen es auf. „Ja, selbstver­ständlich mit allem, auch mit Küssen und so.“ antwortete Aletta, „Zeig der Mama doch mal, wie der Nello seine Aletta küssen kann!“ „So.“ und Nello nahm Alettas Kopf in die Hände, aber küssen konnten sie sich nicht, weil Aletta nur lachte. Dann bog Nello Aletta wie beim Tango zur linken Seite nach hinten, wollte sie wieder küssen mit dem Kommentar: „Und so“, das gleiche nochmal nach rechts wurde von einem weiteren „Und so“ begleitet. „Es reicht, es reicht!“ stoppte die lachende Frau Wichert die Aktion. „Wie ich sehe, seid ihr beide ja schon Meister der hohen Kunst der Liebe. Werden wir in Zukunft die ganzen Wochenenden Kunststückchen und Infantiles aus der Liebeswelt gebo­ten bekommen?“ Aletta hatte schon verstanden, dass sie befürchtete, es könne nur noch geturtelt werden. „Nein, einer Signora liegt das nicht.“ antwortete Aletta, „aber Nello ist eben kein Signore.“ „Aha“ reagierte Frau Wichert mit ei­nem spannungsvollen, lachbereitem Gesicht, „sondern?“ „Er ist ein Lausbub, ein richtiger Lausbub.“ antwortete Aletta und Frau Wichert bog sich. Sie um­fasste Aletta und meinte: „Du bist köstlich meine Süße. Und, ist die Signora mit ihrem Lausbub zufrieden?“ Aletta zog nur eine breit lachend grinsende Schnute und nickte, denn eine Benennung für den Grad der Steigerungsform von 'Sehr gut' gab es nicht.


Musikalische Herausforderung


Aletta hatte ihrer Lehrerin gezeigt, was sie mit Nello zusammen spiele. „Das ist doch völlig unter ihrem Niveau. Das ist doch Zeitverschwendung. Hier versu­chen sie das mal.“ hatte sie entrüstet gemeint. Aletta kopierte die Noten für Nello und zeigte sie ihm. „Das kann ich aber auch nicht einfach so, da muss ich auch üben.“ meinte der, und das taten sie am Wochenende, während Aletta es auch in der Woche alleine konnte. Beim Abendbrot kamen sie darauf zu spre­chen, was es für Nello bedeute, dass er nur am Wochenende spielen könne. Mira enragierte sich: „Es ist ein Verbrechen. Die ganze Welt steht voller unge­nutzter Klaviere, die keiner bespielt, aber Nellos Klavier Kompetenzen verfal­len, weil er die ganze Woche über nicht spielen kann. Er hat ja auch keinen Lehrer mehr. Was soll er lernen, wenn er kein Klavier hat. Das ist unverant­wortlich und kriminell. Ihr wolltet, dass er Piano studiert, aber dass seine Künste jetzt verfallen, scheint euch überhaupt nicht zu stören.“ „Mira, bitte, kriminell ist hier nichts.“ reagierte Mutter Wichert. „Du brauchtest das unbe­dingt?“ fragte sie Nello. „Ja, sieh mal, die Aletta hätte ihre Geige in der Woche nicht. Sie hätte keine Lehrerin und könnte nur am Wochenende mal aus dem Bekannten für sich spielen. Ihr Violinenleben wäre zu Ende. Anders ist das für mich auch nicht. Ich versuche nur Bekanntes am Wochenende zu wiederholen, damit ich meinen Stand nicht verliere.“ antwortete Nello. Ja, Nello sollte in Münster ein gebrauchtes Klavier bekommen, aber dazu brauchte er auch eine andere Wohnung, in der er spielen konnte.


Musikalische Gebete


Am Samstagmorgen kam Mira zu den beiden, um sie zu wecken. Sie legte sich mit auf's Bett. Sie habe am Telefon ja schon gesagt, wie sehr sie sich freue, aber dass sie sich liebten, sei doch nicht neu. Weihnachten habe sie noch ge­dacht, wie sehr muss sie den Nello lieben. Habt ihr das immer unterdrückt oder euch verboten, darüber zu reden?“ „Ich weiß es im Nachhinein auch nicht mehr so genau. Irgendwie gemocht habe ich ihn wohl von Anfang an und das ist vielleicht immer mehr und stärker geworden. Aber es war auch gleich von An­fang an etwas da, das unter normalen Bekannten nicht üblich ist. Warum habe ich ihn fotografiert? Was wollte ich mit den Bildern? Dass daraus mal ein Album und Weihnachtsgeschenk für Nello werden könnte, hätte der professionellste Hellseher nicht erahnen können. Warum erzählt Nello mir, der fremden Kommi­litonin Intimitäten von sich, die nur du weißt. Ganz selbstverständlich scheint es zu sein, dass er sie mir erzählt. Normal war das von Anfang an nicht. Im Nachhinein scheint es mir so, als ob es von Beginn an so etwas wie eine auto­matische Anziehung gegeben hätte, als ob von Anfang an klar gewesen wäre, das wir miteinander vertraut wären.“ Auch seine widerlichen Frauengeschich­ten konnten da nichts dran ändern. Ich habe ihn deswegen bedauert und hätte ihm gern geholfen. Und jetzt war es einfach mittlerweile albern unter uns, es nicht zu benennen.“ erläuterte Aletta. „Und ist dein sanftes Täubchen jetzt Se­ligkeit für dich?“ woll­te Mira von Nello wissen. „Ich sag's ja, auf Mira kann man sich verlassen. Wenn sie sagt, dass ihre Gebete irgendwann helfen werden, dann wird das auch so eintreten. Mein sanftes Täubchen ist nicht nur Seligkeit für mich, sie ist die Seligkeit in Person.“ antwortete Nello und erinnerte daran, dass Mira je­den Tag für ihn 'Ein Mädchen oder Weibchen' auf der Violine ge­spielt habe.


Bettgeschichten


Natürlich küssten sich Aletta und Nello tagsüber öfter, aber teenymäßiges Ver­liebtheitsgeturtel gab es nicht. Sie mussten nicht permanent aneinander hän­gen, saßen am Tisch auch getrennt wie sonst. Nach außen hatte sich kaum et­was geändert. Sie brauchten ihr Verliebtsein nicht permanent demonstrieren. Die Singnora habe ihren Lausbub aber gut im Griff, scherzte Frau Wichert am Sonntag bei Tisch, was bedeutete, das sie das Verhalten der beiden anerkenne. In der Woche bekam Nello ein neues Bett. Mira solle entscheiden, da ihre Ge­schmäcker identisch seien. Am Mittwochabend benutzten die beiden Alettas Bett. Am Mittwoch war immer ihr gemeinsamer Abend. Sie bereiteten gemein­sam das Abendbrot zu und wollten eigentlich anschließend etwas zusammen unternehmen. So war es geplant. Die Lust, mittwochs etwas zu unternehmen war aber gleich Null. Man aß lieber etwas länger, liebte es sich bei Wein und Käse zu unterhalten und ging meistens verliebt schmusend sehr früh ins Bett. Natürlich auch um Sex zu haben, aber im Bett konnte man auch so vieles andere machen. Sich etwas anschauen, etwas lesen. Im Bett herrschte bei allem eine andere Atmosphäre. In sanfter Zärtlichkeit und liebevollem Klang geschah alles. Vielleicht musste man in der Musik leben um ihre Melodien hören zu können und zu lieben. Beide waren schon früh mit Musik konfrontiert worden. Nello war klar gemacht worden, das man nicht alles mit dem Flügel machen dürfe, dann werde er böse und mache keine schönen Lieder mehr. Seine Mutter konnte Rudimente bis zum fröhlichen Landmann. Dabei sei er angefangen zu tanzen, habe sich gekugelt vor Lachen und es immer wieder hören wollen. Eine Klavierlehrerin sei in Abständen mal vorbei gekommen, um zu schauen, ob Unterricht für ihn in Frage käme. Weil Aletta sich permanent mit ihrem Xylophon beschäftigt habe, waren ihre Eltern davon ausgegangen, dass sie wohl musikalisches Interesse haben könne. Sie seien mit ihr ins Musikgeschäft gegangen, um zu schauen, ob es auch etwas anderes für kleine Kinder gäbe. Sie habe die Violinen gesehen und sei fasziniert davor stehen geblieben. Der Ladenbesitzer habe ihr gezeigt, was für schöne Musik man damit machen könne. Alles war scherzhaft, aber der Ladenbesitzer meinte, Mädchen, die in ihrem Alter damit anfingen, seien die späteren Weltstars. Ihre Eltern hätten nicht glauben können, das es Sinn mache, sich aber doch darauf eingelassen. Vielleicht auch weil sie befürchteten, dass Aletta das Geschäft sonst nicht wieder verlassen würde, aber die kleine Violine musste bestellt werden. Sie konnte es gar nicht fassen, dass dies wunderschöne Gerät ihr persönlich gehören solle. Sie hätte die Violine am liebsten immer angeschaut, mit ihr gesprochen und sie mit ins Bett genommen. Was sie da als Kind bewegte, hätte Aletta heute gern gewusst, aber lieb und heilig war ihr das Instrument heute immer noch. Auch wenn sie früh ins Bett gingen, wurde es von selbst meistens doch später. Aber sie mussten ja am nächsten Morgen wieder fit sein. Am Donnerstagmorgen hatte Aletta immer die Sonne im Blick. Gleichgültig ob sie tatsächlich schien oder es in Strömen regnete. Ihr Körper schien die Liebe noch zu empfinden. Im Seminar saßen nur nette und freundliche Kommilitoninnen und Kommilitonen. Fiese Typen und dämliche Zicken gab es donnerstags morgens nicht.


Am Montag, Dienstag und Donnerstag begrüßten sie sich nur morgens telefo­nisch und wünschen sich am Abend alles Liebe für die Nacht. Permanent telefo­nieren wollten sie nicht, nur wenn es mal eine außergewöhnliche Information gab, riefen sie sich an. In ihre Freizeit konnte Aletta an diesen Tagen nur von Nello träumen, sich nach ihm sehen, und daran denken, dass seine Liebe auch jetzt bei ihr sei. Ihre Musik spielte sie für ihn, und wie ein Traumwind nahm er sie auf und trug sie mit sich fort. Zugegen war Nello schon, nur nicht in seiner materialisierten Form. Als imaginierter Wunsch und Traum begleitete er Aletta an diesen Tagen. Selbstverständlich wartete Aletta auf den Mittwoch und das Wochenende, aber diese drei Sehnsuchtstage gefielen ihr auch.


Matinee


Mira hatten Aletta und Nello nichts von ihrem gemeinsam geplanten Stück ver­raten. Mira hörte ja nicht zu, was die beiden gerade spielten, trotzdem hätte es auffallen können, denn sonst spielte Nello viel allein und jetzt Freitag und Samstag ständig mit Aletta. Am Samstagabend wurden die anderen damit überrascht, dass am Sonntagmorgen, direkt nach dem Frühstück eine Matinee stattfinde. Das überbot alles. Mira staunte nur. „Siehst du, ich hab's ja gesagt. Jetzt hat sie mich, überrundet sogar. Da passen Alettas und Nellos Level genau zusammen.“ erklärte sie. Mira hatte es sofort durchschaut. „So bekommen wir die Kreutzersonate vielleicht doch noch mal zu hören.“ scherzte Frau Wichert und Mira war ganz interessiert, ob sie das vielleicht auch bringen könne. Nach vielen Hilfen und Tips von Aletta, mit Unterstützung ihrer Lehrerin und endlo­sem Üben, hatte sie es schließlich drei Wochen später gebracht. Sie war un­endlich stolz und konnte gar nicht wieder aufhören zu strahlen. Aber das stellte eine Ausnahme dar und lag nicht im Rahmen des Repertoires, dass sie sonst spielen konnte, nur wenn Nello kam, musste es an jedem Wochenende wiederholt werden.


Klavier für Nello


Nello hatte endlich eine neue passende Wohnung, in der er spielen konnte, ge­funden. Jetzt wurde das Klavier gekauft. Im Vorbeilaufen klimperte Nello ein wenig auf den Klaviaturen der Klaviere. Er war nur Flügel gewohnt, zu Hause, in der Schule, bei seinem Lehrer. Nein, auf so etwas konnte er nicht spielen. Beim letzten blieb er aber stehen, ließ sich einen Hocker geben und begann zu spielen. Es sagte ihm zu. Nellos Mutter holte tief Luft und erklärte leicht ent­setzt: „Da bekommt man ja ein neues für.“ Der Patron des Geschäfts lachte und sagte ihr, was dieses Klavier neu kosten würde. Im Grunde sei es viel zu billig, aber man könne ein gebrauchtes Klavier nicht teurer anbieten. Die meis­ten Käufer seien keine Experten und etwas schlichteres könne man ihrem Sohn bei seinem Spiel doch nicht antun. „Werden wir uns einschränken müssen?“ fragte Frau Wichert ihren Mann. Sein Kopfschütteln bedeutete die Zustimmung zum Kauf dieses Klaviers.


Tiefe musikalische Begegnungen


Jetzt begann eine neue Zeit. Aletta schwänzte am Dienstag ein Seminar, denn wenn das Klavier kam, musste sie doch unbedingt dabei sein. Sie lagen sich in den Armen, küssten sich und sonnten sich im Glück. Sie spielten gemeinsam ein paar lustige Takte und mussten sich wieder umarmen. Bei ihren Mittwochs­treffen sollte es bleiben, nur jetzt eben bei Nello und zwei Stunden früher zum gemeinsamen Spiel. „Ich habe überhaupt keinen Hunger.“ meinte Aletta, die sich nach dem Spiel hatte auf's Bett fallen lassen. Mein Körper ist ganz voll, voll Musik. Er braucht nichts. Womöglich löste sich aber auch jetzt nur die Spannung, die sie den ganzen Tag erlebt hatte. Tagsüber konzentriertes Stu­dieren und beim Musizieren waren Engagement und auch emotionale Konzen­tration ihrer ganzen Person gefordert. Nello schlug vor, trotzdem etwas zuzube­reiten, entweder ändere sich dabei etwas oder man stelle es in den Kühl­schrank. Rosmarinkartöffelchen und Spiegeleier, das konnte Aletta immer es­sen. Zärtlich und verliebt erlebten sie sich jetzt schon beim Essen. Immer wie­der streichelten sie die Wangen des anderen und berührten sein Gesicht mit den Lippen. Am folgenden Mittwoch meinte Aletta: „Es ist anders geworden, Nello. Wenn wir nur gekocht, geredet und geschmust haben, war es warm, freundlich und es machte uns glücklich, jetzt empfinde ich, das die Musik etwas Tieferes in uns verbindet. In der Musik können wir nur völlig offen und ehrlich wir selber sein, und das wendet sich in uns zueinander. So können Worte gar nicht wirken. In der Musik leben wir zusammen. Deine Psyche spürt, wie sie es erfasst und wie bedeutsam es für sie ist, deshalb sind auch unsere albernen Späßchen verschwunden, wir erleben uns ernst und erfahren, wie wichtig wir uns sind.“ „Ich erfahre es auch intensiver.“ Nello dazu. „Musik berührt dich eben äußerst tief. Durch dein Spiel sagst du etwas von dir, das dein kleines Be­wusstsein gar nicht kennt. Und das Wunder ist, ich verstehe es. Tiefer können wir gar nicht miteinander kommunizieren, als durch unser gemeinsames Musi­zieren.“ „Klar,“ bestätigte ihn Aletta, „ich höre ja nicht nur die Klänge, die du erzeugst. Ich denke ja an dich, wie du empfindest, was du durch deine Art die Tasten zu betätigen zum Ausdruck bringen willst, wer du in diesem Moment bist. Ich höre die Klänge und erlebe dich, das ganze Stück über immer wieder neu und variiert. Ein tiefgreifendes Erlebnis ist unsere gemeinsame Musik für mich. Eine Erfahrung die es sonst im Alltag nicht gibt. Die mich vor allem aber die Tiefe unserer Liebe spüren lässt. Das ist völlig neu für mich. Und ich erlebe es wie ein Wunder. Ein Empfinden von Erha­benheit vermittelt sich mir und es erfüllt mich mit ernster Würde.“ „Weißt du, Aletta, am Wochen­ende bei uns sind wir ja nach dem gemeinsamen Musizieren auch sehr beson­nen. Meistens besprechen wir noch kurz etwas, aber nach Spaßigem ist uns dann auch nicht. Es fällt nur nicht so auf, weil wir dann nicht allein sind und uns mit etwas ande­rem beschäftigen.


Frau Wicherts Freundin


Am Sonntagvormittag beschäftigte sich Aletta meistens mit Frau Wichert in der Küche. Die mochte Aletta äußerst gern. Ihren Namen hörte Alletta kaum. Sie war immer nur „Meine Liebste“, „Meine Süße“ oder „Meine Hexe“, wobei „Meine Hexe“ die meiste Liebe in sich trug. Sie betrachtete sie nicht wie eine zusätzli­che Tochter, für Frau Wichert war Aletta eine sehr vertraute Freundin, die sie vielleicht gern gehabt hätte. Die gemeinsame Essenszubereitung bildete den Rahmen für ihre zentralen Konsultationen. Hier erzählte Frau Wichert viel sehr Persönliches von sich und natürlich immer wieder von Italien. Sie zeigte Aletta auch, woran sie gerade arbeitete und erklärte ihr, wo für sie die Schwierigkei­ten lägen. Mira und Nello? Nein die interessiere das nicht, meinte sie. In Wirk­lichkeit war es so, dass Aletta ihre Vertraute und die beiden ihre Kinder waren. Frau Wichert und Aletta gingen auch schon mal am Samstag gemeinsam ein­kaufen. Sie fühlten sich beide in der Umgebung der anderen äußerst wohl. Frau Wichert hörte auch gern, was Aletta von Frankreich und französischer Kul­tur erzählen konnte. Hier empfand Frau Wichert nämlich einen sträflichen Man­gel bei sich. Aber auch das Alltagsleben interessierte sie. Was heute als 'Italie­nische Küche' bezeichnet würde, sei aufgemotztes Arme-Leute-Essen, meinte sie. Aletta erklärte, dass das Essen in Frankreich mit der bei uns und auch in Italien wahrscheinlich üblichen Nahrungsaufnahme überhaupt nicht zu verglei­chen sei.


Essen wie in Frankreich


In Frankreich sei es eine Tageszeit, in der man sich wohl fühle. Das Ge­schmacksempfinden werde verwöhnt aber auch die freundliche Konversation gehöre dazu. Es käme nicht darauf an, sich nach dem Essen satt, sondern wohl zu fühlen. Es sei ein Erlebnis, das bei der Vorbereitung beginne und bei den Trauben langsam zum Ende komme. Frau Wichert ließ es sich näher erläutern. „Alle einbeziehen schon bei der Vorbereitung?“ fragte sie skeptisch. „Mira und Nello haben noch nie etwas in der Küche gemacht.“ „Aber bitte, wessen Finger die Tastatur für Liszt und Chopin beherrschen, sind äußerst geeignet für mich den Kochlöffel bei einner Bouillabaisse zu führen und den Zauberer am Pan­nenheber bei der Zubereitung eines Omletts zu geben.“ erklärte Aletta. Beide lachten und Frau Wichert meinte: „Ja, ihr kocht ja immer zusammen, das hatte ich nicht bedacht.“ Beim Essen sprach man darüber, und Mira beschwerte sich. Der Wein sei ja sehr gut, aber warum es keine Käseplatte und anschließend kein Obst gäbe, sei sowieso nicht zu verstehen. Nello und Aletta sollten Käse aus Münster mitbringen, und am nächsten Sonntag wollten die vier gemeinsam kochen. Frau Wichert hatte alles besorgt und schon vorm eigentlichen Beginn des Kochens begann Mira zu fragen. Das war zum Teil schon sehr lustig, aber es wurde gar nicht wieder ernst. Beinahe wäre das Essen nicht rechtzeitig fer­tig geworden und einiges angebrannt, weil es fortwährend etwas zu lachen gab. Anscheinend hatte Frau Wichert ihre beiden anders erlebt als sonst. Nello und Mira bekamen einen Kuss. Beim Mittagessen selbst herrschte eine völlig andere Atmosphäre. Sicher auch, weil es das Produkt aller war, aber vor allem auch, weil es nicht mit dem Verzehr begann, sondern ein Prozess war, der jetzt nur in ein anderes Stadium getreten war. So lange wie an diesem Sonntag hat­te das Mittagessen noch nie gedauert. Das Essen und seine Zubereitung wollte man ab jetzt immer nach Alettas 'französischer Art' gestalten.


Italienurlaub mit Aletta


Am nächsten Sonntag erklärte Frau Wichert sie wolle Ende August für zwei Wo­chen zu Di Lauros. Di Lauros waren Freunde von ihnen in Turin. Da würde sie Aletta gerne mitnehmen. Aletta lachte nur, aber Nello fuhr entrüstet auf: „Du spinnst wohl!“ Ja, er würde es schon vierzehn Tage ohne Aletta aushalten, aber so lange nicht gemeinsam miteinander zu spielen ginge nicht. So gern wie Aletta mit Frau Wichert zusammen war und auch allein mit ihr in Turin gewe­sen wäre, aber so lange ohne Nello, das erzeugte in ihr keine Freude. Sie un­terstützte Nello deshalb, obwohl sie es für Unfug hielt, und zwei Wochen ohne gemeinsames Musizieren keinerlei Schaden verursachen würden. Frau Wichert blickte auch skeptisch lächelnd. „Du könntest ja gerne mit fahren, Nello, nur dann ist es etwas anderes. Dann fahrt ihr beide zu Di Lauros, und ich bin auch dabei. Ich wollte aber mit Aletta zu Di Lauros. Nello versprach, Aletta und seine Mutter nur bei den Malzeiten und beim gemeinsamen Musizieren zu kennen und sonst den ganzen Tag über keine Notiz von ihnen zu nehmen. Mit der An­drohung sofort nach Hause geschickt zu werden, wenn er störe, durfte er mit­fahren.


Der Stern leuchtet wieder


Der Sommer war schon dabei, auf sein Ende zuzugehen und die grauen Tage des Herbstes, an denen Aletta Nello kennengelernt hatte, würden wieder kom­men. Trübsinn würde sie umfangen, wenn sie an einem solch Morgen zu Insti­tut radelte? Über den Gedanken konnte Aletta nur schmunzeln. Ihr Empfinden, ihre Persönlichkeit, sie selbst war eine andere geworden. Sie stutzte. Natürlich hatte sie vieles verändert, und es hatte sich vieles für sie verändert, aber ein anderer Mensch werden? Wer sie jetzt war, wie sie sich jetzt erlebte, das war sie ganz persönlich, immer gewesen, nur über lange Zeit hatte es sich nicht ausdrücken, nicht leben können. Ihre Lebensumstände hatten wie ein Schleier darüber gelegen, es bedeckt wie eine graue Wolkenschicht aus unreflektiertem, technologisiertem Durchschnittsalltag. Aletta war kein anderer Mensch geworden, nur sie konnte sich selbst, ihr eigenes Leben wieder leben und den Stern wieder leuchten lassen. Wie sie Violine spielte, darin würde es bestimmt zum Ausdruck kommen, aber das konnte sie selbst nicht hören. Das neue Leuchten reichte allein schon, um trübsinnige Gedanken fern zuhalten. Wenn Nello und Aletta sich zusätzlich morgens begrüßten, ging zudem jedes mal noch die Sonne an, deren Strahlen die alles übersteigende Kraft, zu wissen, dass du geliebt wirst, vermittelten.



FIN




Chacun de nous possède une musique d'accompagnement intérieure. Et si les autres l'entendent aussi, cela s'appelle la personnalité.


Gilbert Cesbron


Kein Zweifel, er hatte auf Femina geschaltet und ver­suchte sie anzubaggern. Aletta stoppte ihn harsch: „Bist du verrückt geworden? Sag mal, du spinnst wohl. Hör sofort auf damit, sonst ist es vorbei mit unserer Freundschaft.“ Nello war es ersichtlich peinlich. „Entschuldigung, Entschuldigung, Aletta. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte, irgendwie so automatisch. Das kommt nie wieder vor, das verspreche ich. Du bist eben eine schöne Frau. Das lässt sich nicht übersehen.“ erklärte Nello. „Trotz schöner Frau, das war die erste und
letzte Warnung. Eine weitere wird es nicht mehr geben, dann sind wir geschiedene Leute.“ Aletta noch mal warnend.


Aletta und der Sonnyboy – Seite 24 von 24

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Tag der Veröffentlichung: 08.04.2013

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