Hallo, mein Name ist Mystery Rose Thalia McLovely. Ich weiß, es ist ein langer und außergewöhnlicher Name und ich wurde sogar in meiner früheren Schule deswegen gemobbt, aber letzte Woche war ich mit meinen Eltern nach Elk City umgezogen. Ich hoffte, dass dort alles besser werden würde und ich auf dem Land Freunde fand, denn irgendwie hatte ich mich in der Stadt nie besonders wohl gefühlt...
Tja, aber nun war ich hier, stand vor meinem großen, gestern erst fertig montierten Wandspiegel und betrachtete mein Spiegelbild. Ich fand mich nie besonders hübsch, obwohl meine Mom immer sagt, dass ich so wundervolle ozeanblaue Augen habe, die mir bestimmt viele Verehrer einbringen.
Ich stand eine Weile bewegungslos da und betrachtete meine langen geschwungenen Wimpern und meine vollen blutroten Lippen, die kleine Stupsnase und die hohen Wangenknochen. Meine hüftlangen Haare fielen mir wie ein Strom aus flüssiger Schokolade über den Rücken. Mein Körperbau ist schlank und ich war nicht sehr groß für mein Alter. Mit meinen 16 Jahren brachte ich es auf gerade mal 1, 60 Meter, auch deswegen hatten sich die Jungs in meiner alten Schule lustig über mich gemacht. Aber das gehört ja jetzt hoffentlich der Vergangenheit an!
Mein Blick streifte weiter über meinen zierlichen Körper. An diesem Tag trug ich ein knall-pinkes Top mit einem Herzchenaufdruck, der im Licht glitzerte und funkelte wie tausend Diamanten. Dazu hatte ich violette Leggins an, die meine weiblichen Rundungen nett betonten. Flache, schwarze Chucks, rundeten mein Outfit ab. Schmuck trug ich eigentlich nicht, damit konnte ich noch nie so richtig etwas anfangen.
Schnell schminkte ich mich noch dezent mit etwas Mascara und rotem Lippenstift, warf meinem Spiegelbild einen Kuss zu und verschwand nach unten, wo Mom schon das Frühstück zubereitete.
Eigentlich war ich gar nicht so ein Mädchen, das sich so furchtbar in Schale wirft, aber heute war schließlich mein erster Tag an der neuen Schule und ich wollte – anders als an meiner letzten - einen guten Eindruck machen.
„Guten Morgen Mystery Rose! Na bist du schon aufgeregt?“, hörte ich meine Mom mit heiterer Stimme durch die Küche rufen, während sie mir Pancakes machte.
„Ja, ein bisschen…“, log ich. In Wirklichkeit war ich so aufgeregt, dass ich dachte, ich müsste explodieren. Ich konnte an nichts anderes mehr denken, als einfach nur einen guten ersten Eindruck zu machen und…
„Huch!“ In meiner Zerstreutheit hatte ich meine Kakaotasse umgeworfen und der Tasseninhalt breitete sich langsam über den Frühstückstisch aus.
„Ach Mom, das tut mir leid“, entschuldigte ich mich wehleidig.
„Ist nicht schlimm, Kleines. Ich mach das schon. Ich weiß doch, dass du etwas tollpatschig bist. Und dann noch diese Aufregung…“ Ja, die Tollpatschigkeit war quasi mein 4. Vorname und wie ihr vielleicht bemerkt habt, konnte ich auch nicht besonders überzeugend lügen.
Nach einem knappen Frühstück machte ich mich mit meiner Schultasche auf den Weg. Ich hatte mir die Route bereits gestern Abend im Internet angeschaut und wusste also wohin ich gehen sollte. Habe ich eigentlich erwähnt, dass ich einen furchtbar schlechten Orientierungssinn habe?
Da war ich zuerst noch so zuversichtlich aus dem Haus geschlendert und irgendwie hatte ich mich dann total verlaufen.
„Mist“, seufzte ich als ich mich plötzlich auf einem von Unkraut gesäumten Feldweg wiederfand, der ins Nichts zu führen schien. In der Nähe befand sich ein kleiner Wald und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mich etwas wie magisch dahin zog. Aber ich musste doch zur Schule!
„Na klasse! Ganz toll Mystery! Du machst bestimmt einen tollen Eindruck, wenn du am ersten Tag zu spät kommst!“, tadelte ich mich selbst und warf vor Ärger meine Tasche zu Boden. Mit verzweifeltem Gesichtsausdruck schaute ich in die Gegend und entdeckte plötzlich, nahe am Waldrand einen dunklen Schatten, der sich von den übrigen Bäumen abhob. Zuerst dachte ich, es handelte sich um einen grasenden Wapiti, aber dafür schien das Wesen zu groß zu sein. Ich war neugierig und auf einmal wusste ich, dass nicht der Wald mich wie magisch angezogen hatte, nein, es war dieses seltsame Wesen.
Da ich es sowieso nicht mehr rechtzeitig zur Schule schaffen würde, beschloss ich meiner Neugier zu folgen und mir das Tier von der Nähe aus anzusehen. Es hatte mich wohl noch nicht bemerkt, denn es stand noch immer an derselben Stelle im Schatten der hohen Bäume.
Vorsichtig machte ich ein paar Schritte und erkannte plötzlich, dass dieses Wesen ein Pferd sein musste. Die schwarzen Borsten glänzten voll Schweiß im blassen Morgenlicht und seine wallende Mähne tanzte wie in einem wilden Takt hin und her.
„Wow, ein echtes Wildpferd“, dachte ich und blieb stehen um es noch weiter beobachten zu können. Das Pferd aber musste mich bemerkt haben, es fuhr zu mir herum und ich bekam den Schreck meines Lebens. Das war gar kein Pferd, sondern etwas ganz anderes! Da wo der Kopf eines jungen Hengstes gesessen hätte, befand sich ein menschlicher Oberkörper!!! Der muskulöse Oberkörper eines äußerst gut aussehenden jungen Mannes! Ich war geschockt und mir entwich ein spitzer Schrei.
„Ah! Ein Monster!“, kreischte ich und wollte weglaufen, doch ich konnte nicht, die Angst lähmte mich. Ich musste Träumen! Ja genau, das alles war nur ein Traum! Wach auf, Mystery! Leider war es kein Traum.
Der Pferdemann mit den langen schwarzen Haaren, die ihm über seine kräftigen Schulterblätter fielen, wie ein Umhang aus dunklem Samt, sah mich ebenso verwirrt an, wie ich ihn wohl angeglotzt haben musste.
„Was macht ein Mensch in dieser Gegend?“, fragte er mit einer tiefen männlichen aber auch zugleich so sanften Stimme. Ich war noch immer wie gelähmt, irgendwie konnte ich meine Augen nicht von dem prächtigen, vor Schweiß glitzernden Brustmuskeln des Mannes lösen.
„I… Ich bin Mystery und ich suche die Elk City School“, brachte ich mit trockener Stimme hervor, „und was machen Sie hier? W… was sind Sie überhaupt…?“ Mir wurde auf einmal ganz komisch. Ich war hin und hergerissen zwischen Faszination und Furcht. Einerseits wirkte dieses Wesen ungeheuer anziehend und total schön, andererseits war es auch ein bisschen unheimlich und vor allem: Unnatürlich!
„Ich bin Caleb Ke Vín Saerynmar! Und ich wäre eigentlich gar nicht mehr hier, aber wie du siehst, habe ich hier ein kleines Problem.“
Er deutete auf seinen linken Vorderhuf. Als ich daraufhin an Calebs kräftigen Vorderläufen herunter schaute, erkannte ich plötzlich, was er damit meinte: Sein Bein war knapp über dem Huf in eine Bärenfalle geraten. Der Ärmste musste wohl da hineingetreten sein und jetzt kam er nicht mehr vom Fleck.
„Ich kann dir helfen!“, schlug ich vor und beugte mich zu Calebs mächtigen Hufen herunter. Mit etwas Kraftaufwand schaffte ich es, die Bärenfalle auseinanderzuziehen und seinen Vorderlauf zu befreien. Dort wo die Falle sich um sein Bein geschlossen hatte, zierte eine Wunde seine makellosen tiefschwarzen Borsten.
„Aua, das sieht böse aus!“, sagte ich, schaute Caleb traurig an und zugleich blieb mir die Luft weg. Dieser Mann oder was auch immer er war, sah einfach so verdammt gut aus, dass mir jedes Mal der Atem stockte, wenn ich in seine undurchdringlichen smaragdgrünen Augen sah…
„Das ist nichts“, erwiderte Caleb mit fester Stimme und schüttelte noch einmal sein glänzendes Haar. „Du hast mir geholfen Mystery, dafür danke ich dir. Wenn du möchtest, kann ich dich zu deiner Schule bringen!“
„Echt!?“ Ich war ein wenig erstaunt über dieses Angebot, aber ich war auch neugierig und habe ich schon erwähnt, dass dieser mysteriöse Caleb einfach zum Knutschen gut aussah?
„Natürlich, so ein hübsches Mädchen wie du es bist, sollte nicht allein über einsame Wege wandern. Komm, sitz auf, ich bringe dich zur Schule!“ Ich schluckte schwer. Ich sollte aufsteigen? Und hatte er mich grade hübsch genannt? Ich spürte wie mir die Röte ins Gesicht stieg und zauderte ein wenig. Ein nervöses Kichern entwich mir und ich musste mir die Hand vor dem Mund halten. Caleb knickte unterdessen mit seinen Vorderläufen ein, sodass ich bequem auf seinem Rücken Platz nehmen konnte. Er schenkte mir einen auffordernden Blick und lächelte mich frech an.
„Traust du dich etwa nicht, mit einem Zentauren zu reiten?“
„D… Doch…. Schon“, trotzte ich mit zittriger Stimme. Wie er mich so ansah, verspürte ich plötzlich das Gefühl geborgen und in Sicherheit zu sein. Ja, irgendwie war er es, der mich wie magisch anzog und in dessen Gegenwart ich mich sonderbar gut und wohl fühlte.
Ich fasste mir ein Herz und stieg auf den kräftigen Rücken des Zentauren. Meine Hände legte ich etwas verlegen an Calebs Hüften und dann begann der tollste Ausritt meines Lebens!
Ich kannte das Gefühl auf einem Pferd zu sitzen gut, da ich in meiner alten Stadt oft und gerne zum Voltigieren gegangen war. Aber auf Caleb zu reiten, war irgendwie anders. Sein samtiges Haar wurde vom Wind nach hinten gewirbelt und um schmiegte meinen zierlichen Körper, es kitzelte mich im Gesicht aber irgendwie war es ein angenehmes Gefühl. Ich spürte Calebs harte Bauchmuskeln unter meinen Fingern und die Frage, ob dies nun ein Traum war oder nicht, rückte immer mehr in den Hintergrund. Ich wollte einfach nur nahe bei diesem wundervollen Wesen sein, welches so geschmeidig über die Felder galoppierte, dass es fast aussah als würde er auf Wolken dahingleiten. Er mochte zwar den Körper eines wilden Hengstes haben, aber sein Geruch war durch und durch menschlich, er roch nach Moschus und frischem Schweiß. Wie hypnotisiert inhalierte ich Calebs Duft, welcher wie ein Aphrodisiakum für mich war. Er roch männlich, nicht so wie die albernen Jungs aus meiner alten Schule, die allesamt gerochen hatten als wären sie ein Becken mit Deodorant gefallen… Ja, Caleb war ein Mann; und was für einer! Ich spürte wie sich eine angenehme Hitze in meinem Unterleib ausbreitete.
So glitten wir dahin und ich vergaß fast, warum Caleb mich auf seinem Rücken trug, bis die Elk City School in Sichtweite kam. Na klar, ich musste immer noch zur Schule!
Caleb stoppte und ich wäre in Gedanken versunken fast von ihm heruntergefallen. Im letzten Moment klammerte ich mich fest an seinen harten Körper um das Gleichgewicht zu halten.
„Weiter kann ich dich nicht bringen. Dort neben den Reihenhäusern ist deine Schule!“, erklärte er mit seiner rauen Stimme und deutete nach vorn.
„Danke“, sagte ich knapp und versuchte einigermaßen elegant abzusteigen, was mir natürlich nicht gelang. Caleb verkniff sich ein leises Lachen.
„Ich danke, dir hübsche Mystery!“, erwiderte er und nickte mir freundlich zu. Ich wollte noch etwas sagen, dieses Wesen konnte mich doch nicht ohne eine Antwort hier stehen lassen, aber ich brachte kein weiteres Wort mehr heraus. Was war nur mit mir los? Mir wurde das Herz schwer, als ich spürte, dass Caleb jetzt wieder für immer aus meinem Leben verschwinden würde. Da hatte er sich auch schon umgewandt und galoppierte schnell wie der Wind davon.
Ein paar Sekunden stand ich noch da und schaute ihm traurig hinterher, dann aber schüttelte ich meinen Kopf und machte mich wieder auf den Weg zu meinem ursprünglichen Ziel. Die Uhr zeigte erst halb 10, also kam ich erst eine Stunde zu spät. Vielleicht zeigte der Lehrer ja Erbarmen mit mir, weil ich neu war.
Nachdem ich mich beim Sekretariat nach der Raumnummer erkundigt hatte, fand ich schnell den Weg zu meiner zukünftigen Geschichtskurs. Vorsichtig klopfte ich und trat peinlich berührt ein.
„Du musst Mystery sein“, ertönte eine helle Stimme die zu der Dame am Lehrerpult gehörte, „wir haben schon auf dich gewartet. Du kommst ein bisschen spät…“
„Hallo… Ja das stimmt. I…ich habe die Schule nicht direkt gefunden“, stammelte ich. Einige Mädchen, dessen weibliche Reize einem direkt ins Gesicht zu springen schienen, kicherten leise und ich spürte, wie ich rot wurde. Diese Situation war mir furchtbar unangenehm und ich wollte mich bloß so schnell wie es ging, irgendwohin setzen und in der Masse untertauchen. Dass in diesem Moment alle Augen auf mich gerichtet waren, war einfach furchtbar. Dabei wollte ich doch einen GUTEN Eindruck machen…
„Ist schon in Ordnung, Liebes. Ich bin Miss Nike und ich bin für den Geschichtsunterricht zuständig“, stellte sie die Dame mit beruhigender Stimme vor, „nimm doch erst einmal Platz und versuche dem Unterricht zu folgen. Ich habe deinen Mitschülern schon erzählt, dass du neu bei uns bist.“
Dankend kam ich der Bitte von Miss Nike entgegen und setzte mich neben einen rothaarigen Jungen in der zweiten Reihe.
„Hi“, zischte dieser mir zu und ich erwiderte seine verlegene Begrüßung halbherzig. Ich war noch immer etwas durch den Wind, was die Geschehnisse heute Morgen betraf. War das wirklich passiert? War ich auf einem Zentauren zur Schule geritten?
Je mehr ich daran dachte, desto verschwommener wurde die Erinnerung daran. Langsam bekam ich schon Kopfschmerzen vom Grübeln und ich konnte kaum dem Unterricht folgen.
Als sich plötzlich die Klassentür öffnete und jemand keuchend eintrat, hätte ich fast einen Herzinfarkt bekommen, so sehr war ich in meine Gedankenwelt versunken.
„Ah Kevin! Wo warst du denn schon wieder?!“, tadelte Miss Nike den eingetretenen Jungen, welcher mich mit seinem schwarzen Haar und den grün leuchtenden Augen total an Caleb erinnerte. Sein Blick traf den meinen und er musste unwillkürlich lächeln. Er war völlig in schwarz gekleidet, von seinem dunklen Shirt bis über seine kurzen Shorts bis zu seinen Chucks, das war wohl seine Lieblingsfarbe…
„Es tut mir leid, Miss Nike, ich habe verschlafen“, verteidigte er sich mit einem verschmitzten Lächeln und sah nun wieder mich an.
„Na gut… Setz dich einfach. Das ist übrigens unsere Neue. Ihr Name ist Mystery“, erklärte Miss Nike und wies geradewegs auf mich.
„Hallo!“, sagte Kevin an mich gewandt und die Mädchen, die eben noch so über mich gekichert hatten, schmolzen bei seiner süßen Stimme dahin. Kevin machte sich zu seinem Sitzplatz in der letzten Reihe auf. Irgendwie hatte ich das Gefühl diesem Jungen schon einmal begegnet zu sein, er wirkte so vertraut und mich durchfuhr schon wieder ein ganz warmes Gefühl, ähnlich wie es bei Caleb gewesen war. Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Das konnte nicht sein… Doch als Kevin mit großen Schritten an mir vorbeiging, bemerkte ich die frische Wunde an seinem linken Bein!
„Hey, Mystery, träumst du?“ vernahm ich eine Stimme neben mir. Benebelt drehte ich mich um und blickte auf eine Hand, die vor meinem Gesicht auf und ab wedelte. Sie gehörte zu dem rothaarigen Jungen, der neben mir saß.
„Ach, Entschuldigung“, gab ich aus meinen Überlegungen gerissen, leise von mir, „was war?“
Er wirkte amüsiert über meine Abwesenheit und grinste breit.
„Ich habe gesagt: Ich bin übrigens Gary und dass du einen echt netten Eindruck machst!“
„Äh ja.. Tue ich das?“ Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Mit den Gedanken war ich immer noch bei Caleb am Waldrand. Gary musste wohl gemerkt haben, dass mir im Moment nicht nach einer Unterhaltung war und Miss Nike warf uns auch schon einen kritischen Blick zu, also beendeten wir unser Gespräch und ich versuchte mich auf den Unterricht zu konzentrieren.
Als es zur Pause läutete, ging ich als eine der Ersten hinaus. Ich brauchte dringend frische Luft.
„Mystery!“, hörte ich eine vertraute Stimme hinter mir herrufen, es war Gary. Innerlich seufzte ich, drehte mich aber mit einem Lächeln um.
„Ich hab gedacht, wir könnten uns vielleicht nach der Schule treffen und ich könnte dir ein bisschen die Stadt zeigen, da du ja neu bist.“ Als er mit mir sprach trat er nervös von einem Fuß auf den anderen, doch in diesem Moment rauschte Kevin an mir vorbei und rannte mich dabei fast um.
„Hey!“, beschwerte ich mich aufgebracht und rieb mir die zurückgeschleuderte Schulter, „Pass doch auf!“
„Pass selber auf!“, kam es bissig zurück und Kevin verschwand um eine Ecke.
„Mann, der Kerl hat echt keine Manieren!“, zischte Gary, der sich inzwischen neben mich gestellt hatte.
„Ist der immer so schlecht drauf?“, erkundigte ich mich missmutig, da ich zunächst davon ausgegangen war, dass Kevin ein netter Kerl sei.
„Ja, ein richtiger Miesepeter! Gibt sich nur mit den ganz coolen Leuten ab, alle anderen behandelt er wie Dreck.“ Gary stieß vor Empörung die Luft aus und schnitt eine Grimasse, die seinen Unmut zeigte.
„Verstehe…“ Plötzlich erinnerte mich Kevin überhaupt nicht mehr an Caleb. Um ehrlich zu sein, war ich mir zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr sicher, ob es Caleb überhaupt gegeben hatte. Vielleicht hatte mein Gehirn mich auch einfach nur an der Nase herumgeführt. Aber wie war ich dann zur Schule gekommen? Mir war als könnte ich die schwarzen Borsten noch immer unter meinen Fingern spüren. Ein Schaudern durchlief mich und ich schüttelte mich unwillkürlich.
„Alles in Ordnung?“ fragte Gary und ich nickte schnell. Diese seltsame Begegnung würde ich auf jeden Fall für mich behalten, sonst würde ich am Ende noch für verrückt erklärt werden.
„Treffen wir uns in der Mensa? Ich muss nur noch kurz ein paar Unterlagen kopieren…“, fragte er. Ich nickte ihm abwesend zu und folgte dem Strom an Schülern.
Wenig später irrte ich mit meinem Tablett in der großen Mensa umher und war etwas unschlüssig. Ich hoffte noch darauf, einem bekannten Gesicht zu begegnen. Dieser Gary schien ganz nett zu sein, aber ich konnte ihn nirgends entdecken. Meine Augen schweiften durch die große Halle. Es war direkt klar, wo die Beliebten saßen und wo man sich lieber nicht hinsetzen sollte, wenn man dazugehören wollte. Ich schwankte in meiner Entscheidung. Bei den Cheerleadern war noch ein Platz frei, aber die Mädchen an dem Tisch sahen auch alle ganz schön oberflächlich aus. Und so war ich nun mal nicht. Aber wäre es nicht unklug, sich gleich an seinem ersten Tag ins Aus zu schießen? Meine ozeanblauen Augen erheischten den schwarzen Schopf von Kevin. Er erinnerte mich immer noch an den Pferdemensch von heute Morgen. Nachdenklich starrte ich ihn an. Umso mehr Zeit zu der Begegnung mit Caleb verging, umso sicherer wurde ich mir, dass mein kreatives Gehirn mir einen Streich gespielt haben musste. So etwas gab es einfach nicht und selbst wenn, wieso sollte sich so ein Wesen dann ausgerechnet mir gegenüber zeigen? Ich war schließlich niemand besonderes. Nur ein ganz einfaches Mädchen. Eins, das nicht mal wusste, wo es sich in der Cafeteria hinsetzen sollte. Eines der anderen Mädchen ging so dicht an mir vorbei, dass es mich am Arm streifte. Ich stolperte vor mich hin und versuchte mein Gleichgewicht zu finden. Ich muss zugeben, ich hatte auch ziemlich ungünstig im Weg rumgestanden. Das Tablett in meinen Händen geriet furchtbar ins Wanken und ich befürchtete schon die Suppe und den Wackelpudding über mich zu verschütten. Warum hatte ich mich auch nur dafür entschieden? Ich kannte doch meine Schusseligkeit zur Genüge! Doch für diesmal gelang es mir, bald wieder zu einem sicheren Stand zurückzukehren. Es war zwar etwas von der Suppe verschüttet worden, aber es war weder auf mir noch – was fast noch schlimmer gewesen wäre an meinem ersten Tag! – auf dem anderen Mädchen gelandet. Jenes hatte sich nun vor mir aufgebaut. Drei andere standen wie zu ihrer Unterstützung leicht versetzt hinter ihr. Ich schaute etwas ängstlich von der einen zur anderen. Sie alle sahen mich alles andere als freundlich an und mir wurde angst und bange. Was sie wohl von mir wollten? Noch hatte ich doch gar nichts getan!!! Ich war ja gerade erst mal ein paar Stunden an dieser Schule, also konnte ich mir kaum schon was zu Schulden gekommen haben lassen. Die drei hinter der platinblonden Anführerin hatten die Arme verschränkt, sie selbst hatte sie in ihre schmale Hüfte gestemmt. Sie sah wirklich aus wie ein blonder Männertraum, erst recht, weil sie in einer hautengen Cheerleader-Uniform steckte, in den Schulfarben gelb, violett und weiß. Sie hatte wirklich eine fantastische Figur, obwohl ich mir den Gedanken nicht erwehren konnte, dass sie auch ein wenig künstlich aussah. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass alles an ihr echt war. Viel wahrscheinlicher war es, dass ihr Dad ein gut verdienender Schönheitschirurg war, der es auch seiner Tochter erlaubte, sich unter das Messer zu legen. Ihr glattes, helles Haar umrahmte ihr puppenartiges Gesicht. Natürlich hatte sie ihrer Haarfarbe einer Tube Chemie zu verdanken. Ihre Nase wirkte viel zu gerade, als dass sie so gewachsen sein könnte, ihre Lippen einen Tick zu voll, aber das konnte auch an dem halben Fläschchen rosa Lipgloss liegen, welches sie darauf verteilt hatte. Ihre Haut wirkte makellos, aber wenn man ganz genau hinsah, dann merkte man, dass ganz schön viel Make-Up darauf gespachtelt worden war. Der Hautton passte auch nicht eins zu eins zu ihrem Solarium gebräuntem Körper. Ihre blass-blauen Augen waren von Unmengen Mascara und Lidschatten umrandet und funkelten mich böse an. Ohne zu wissen, was ich getan haben sollte, senkte ich beschämt den Blick. Dabei glitten meine Augen an dem Grund vorbei, welcher sie wohl bei allen Männern gut ankommen ließ, künstlich hin oder her: Ihre übergroßen Brüste sprangen schon fast aus dem Oberteil. Ihr Dekolletee wölbte sich großzügig und eine Modeschmuckkette verschwand darin, deren Anhänger wohl so mancher Mann gerne gesucht hätte. Wenn nicht gar alle. Ich selbst war mit meinem guten C-Körbchen, das auch ohne BH ganz passabel aussah immer recht stolz gewesen, aber gegen diese Doppel-D konnte ich einpacken!
„Ich bin Mandy“, stellte sich das Püppchen vor, aber sie sah nicht so aus, als sei sie auch an meinem Namen interessiert, „Das sind Tracy, Trish und Tina.“ Mit dem Daumen nach hinten zeigte sie auf ihre Begleiterinnen, die ihre Lippen schürzten und mich ziemlich abschätzig von oben bis unten musterten. Sie kannten mich nicht mal wirklich und machten sich bereits ein Bild von mir. Mein Kopf blieb gesenkt. Meine schokoladenbraunen Wellen fielen mir etwas vors Gesicht und ich hoffte darauf, dass sie mich ein wenig vor ihren giftigen Blicken schützen konnten.
„Und wen du da gerade so angestarrt und mit deinen Augen verschlungen hast, das ist mein Mann! Verstanden?!“ Sie unterstrich ihre Worte mit einer schnippischen Handbewegung.
„Ich … ich …“, stammelte ich ein wenig und wusste gar nicht richtig, was ich sagen sollte. Ich wusste ja noch nicht einmal genau, von wem Mandy genau sprach.
„‘Ich … ich …‘ kannst du nicht mal richtig sprechen oder was?“, fragte sie mit einem gehässigen Grinsen im Gesicht und ihre Freundinnen – ebenfalls alle im Cheerleader-Outfit – gackerten los. Ich lief rot an und wollte mich am liebsten in Luft auflösen. Womit hatte ich das alles verdient?
„Also, lass deine Griffel von Kevin, capice? Wobei … wenn ich mir dich so ansehe … du hättest eh keine Chance.“ Mandy schenkte mir ein überhebliches Lächeln.
„Nicht die Bohne!“
„So ein Mauerblümchen!“, pflichteten die anderen ihr nickend bei. Ich wusste auch so, dass ich eher unscheinbar war, das mussten sie mir bei weitem nicht noch einmal auf die Nase binden. Mein ohnehin schon geschundenes Selbstbewusstsein erhielt abermals einen Knacks.
„Ich wusste nicht, dass Kevin dein Freund ist …“, begann ich zaghaft. Vielleicht konnte ich die Situation doch noch irgendwie retten. Schließlich wirkte Kevin in der Tat etwas rüde, ich hatte ihn mir ja nur wegen seiner vermeintlichen Ähnlichkeit zu meinem wundersamen Erlebnis heute Morgen genauer angeschaut. Und ich war nun wirklich kein Mädchen, dass einer anderen den Freund ausspannte, selbst wenn ich es überhaupt könnte.
„NOCH ist er nicht mein Freund. Aber das wird sich bald ändern. Also ein guter Rat: Steh mir nicht im Weg herum. Du möchtest nicht wissen, was sonst passiert.“ Die letzten Worte zischte sie mehr, als dass sie diese aussprach. Ein letztes Mal funkelte ihre hellen Augen mich an, ehe sie ihr dünnes, blondes Haar nach hinten warf und mit ihren Freundinnen von dannen zog. Sie setzten sich auf die letzten freien Plätze an dem Cheerleader-Tisch. Damit fiel diese Platzwahl für mich wohl eindeutig weg.
Deprimiert setzte ich mich an den ersten Tisch, der frei war. Meine Beine waren noch etwas wackelig und ich befürchtete, doch noch mein Tablett umschmeißen zu können. Ein dickliches Mädchen, das mir gegenüber saß, lächelte mich freundlich an. Ich erwiderte es etwas gequält. Mandys Drohung lag mir immer noch auf dem Gemüt. Wie konnte man nur so hasserfüllt sein?
„Hi, ich bin Cynthialette“, stellte sie sich vor.
„Mystery Rose“, sagte ich.
„Wow! Das ist doch mal ein toller Name!“, brachte sie erstaunt hervor. Ich lief leicht rot an.
„Ach was, ich mag ihn eigentlich gar nicht“, winkte ich ab.
„Solltest du aber!“, grinste sie mich freundlich an. Durch Cynthialettes nette Worte wurde meine Laune schon etwas besser. Vielleicht fand ich hier ja doch noch Freunde. Und da ich ja auch nicht vorhatte, mich Mandy in den Weg zu stellen, würde es diesbezüglich auch keine Probleme geben. Cynthialette und ich kamen schnell ins Gespräch. Sie erzählte mir, dass Mandy eigentlich zu allen so richtig fies war, oft auch zu ihren eigenen Freundinnen. Aber wie ich bereits vermutet hatte, so waren ihre Eltern richtig reich und damit konnte sie sich so gut wie alles erkaufen, eben auch Aussehen und Ansehen. So verging die große Pause wirklich wie innerhalb eines Wimpernschlages und wie sich herausstellte, hatte ich sogar meinen nächsten Kurs mit Cynthialette. Das war wirklich ein Glück, denn ich kannte mich mit den Raumzahlen noch nicht wirklich aus und hätte mich so gewiss verlaufen.
Tag der Veröffentlichung: 13.01.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dises Buch alle meinen Freunden di mir geholfen haben. Ganz großes THX auch an meien Betaleser Kulli und Schnucki!
Ich lieb euch :-*