Table of Contents
Liebe unerwartet - Emma
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Epilog
Impressum
BRINA GOLD
Liebe unerwartet
Teil 2 – Emma
Liebe unerwartet – Emma
Davide, erfolgreicher Geschäftsmann und ehemaliger Womanizer, kann nicht fassen, dass Emma ihn verlassen hat. Vor allen Dingen mit ihrer Begründung hat er seine liebe Not. Er unternimmt so einiges, um sie und seine Liebe zu ihr zu vergessen. Das erweist sich jedoch als schwieriger, als er gedacht hat.
Emma versucht, in der Arbeitswelt jenseits von Davides Einfluss Fuß zu fassen, und bekommt tatsächlich eine zweite Chance, aber je besser sich ihre Karriere entwickelt, umso schlechter fühlt sie sich. Und als eine schlimme Nachricht sie erreicht, muss sie alles in Frage stellen, was sie bisher für richtig hielt.
Prickelnd und romantisch, humorvoll und mit einer Prise Drama – der neue Liebesroman von Brina Gold. Nach einer Idee aus dem Jahr 2013.
Kapitel 1
Emma
Wie ein Stein hatte Emma die ganze Nacht durchgeschlafen und nicht mal gemerkt, dass Nino nach Hause gekommen war und sie zugedeckt hatte. Erst am Morgen waren ihre Lebensgeister zurückgekehrt und mit ihnen auch die Sorgen, denn Nino stand zu seinem Wort und verweigerte ihr weiteres Asyl. Da ließ er sich auch nicht erweichen.
»Sei vernünftig«, legte er ihr nahe, als sie protestieren wollte. »Was soll dir in deiner Wohnung schon passieren? Er wird dir wohl kaum die Tür eintreten und wenn, rufst du eben die Polizei!«
Also kehrte Emma in ihre Wohnung zurück. Sie hatte ohnehin noch einige Dinge zu erledigen, ehe sie sich voll und ganz einer neuen Zukunft widmen konnte. Dazu gehörte zum Beispiel, sich eine neue Handynummer zu besorgen, da sie das eine Telefon an Davide zurückgegeben hatte und ihre alte Nummer nicht mehr benutzen wollte. Sie wollte eine Nummer, die er nicht kannte.
Das nächste Problem, das sie lösen musste, war ihre Flexibilität. In der nächsten Zeit würde sie wohl verstärkt mobil sein müssen, was bedeutete, dass sie ein Auto brauchte. Da sie bisher in der Stadt gearbeitet hatte, war sie darauf nicht angewiesen gewesen, doch das würde sich nun wahrscheinlich ändern.
Sie seufzte, doch dann rief sie widerstrebend ihren Vater an.
»Ciao Papà, ich bin’s!«
»Emma! Was ist denn passiert?«
»Ach, eigentlich nichts«, antwortete sie ausweichend. Die Aussicht, ihren Eltern alles erklären zu müssen, war nicht besonders reizvoll. Warum hatte sie Davide auch unbedingt eben erst mit nach Hause nehmen müssen! »Sag mal, steht zufällig noch das alte Auto in der Garage, das du eigentlich verkaufen wolltest?«
»Ja schon. Warum?«
»Ich bräuchte es für ein paar Tage. Aber wirklich nur vorübergehend. Und … kannst du mich vielleicht fürs nächste Wochenende abholen?«
Wie erwartet, herrschte einen Moment Stille am anderen Ende der Leitung. Aber auf ihren Vater war Verlass.
»Ja, natürlich hole ich dich ab! Sag mir, wann und wo, das kriegen wir schon hin!«
Emma atmete auf. »Danke, du bist ein Schatz! Ich fahre mit dem Zug bis Imola. Könntest du mich dort am Bahnhof aufsammeln? Und sag Mamma nicht, warum ich komme, das erledige ich dann schon selbst.«
»Ist gut!«
Auch wenn ihr Vater sicher vor Neugier platzte, ließ er es sich nicht anmerken, wie Emma dankbar registrierte. Bis Freitagnachmittag hatte sie nun also Zeit, noch ein paar Dinge zu regeln und zu organisieren. Sie musste unbedingt mit Nino besprechen, was sie alles für ihre Bewerbungen benötigte. Nach all den Jahren im ›warmen Nest‹, wie er es genannt hatte, war sie ziemlich aus der Übung. Aber zuerst einmal würde sie die Zeit genießen und sich ins Nachtleben stürzen, ein paar unbeschwerte Abende mit alten Freunden verbringen, vielleicht ein wenig flirten und tanzen, sie würde … nichts dergleichen tun, stellte sie seufzend fest.
Sie war ausgelaugt und müde. Die Liaison mit Gandolfo hatte sie viel Kraft gekostet. Wie sollte sie ausgelassen feiern gehen, wenn sie sich kaum aufraffen konnte, morgens aus dem Bett zu kriechen? Lustlos und mit großer Anstrengung besorgte sie sich ein Telefon und erledigte die nötigsten Einkäufe.
Die meiste Zeit jedoch verbrachte sie im Halbschlaf auf ihrem Sofa und zappte durch das Fernsehprogramm. Eigentlich hatte sie sich immer vorgenommen, mehr zu lesen oder ein paar Ausstellungen und Museen zu besuchen, wenn sie mal dafür Zeit fände, doch gerade konnte sie sich zu nichts aufraffen.
Die gesamte Situation mit Davide hatte ihr so viel Energie geraubt, dass sie erst einmal neue Kraft tanken musste. Schließlich brauchte sie schleunigst einen neuen Job, denn eine lange Pause konnte sie sich finanziell einfach nicht leisten. Ihr Gehalt bei Ernesto Moda online war zwar ausreichend, aber nicht üppig gewesen, sodass sie keine großen Rücklagen hatte bilden können. Natürlich war ihr bewusst gewesen, dass ihre Tage nach der Übernahme durch die Gandolfo-Gruppe gezählt waren, doch sie hatte es immer wieder vor sich her geschoben, irgendetwas zu unternehmen.
Verdammt, warum hatte sich dieser selbstherrliche Obermacho ausgerechnet ihren Arbeitgeber unter den Nagel reißen müssen? Dabei hatte er von Mode absolut keine Ahnung.
Sie wusste selbst, dass sie ihren Model-Zenit bereits überschritten hatte, trotzdem hätte es bei Ernesto gut und gern noch ein paar Jahre so weitergehen können!
Hätte sie sich am Abend vor der Übernahme doch nur den Knöchel verstaucht oder eine Magenverstimmung bekommen, dann wäre Gandolfo nie auf sie aufmerksam geworden und sie hätte sich in Ruhe um einen anderen Job bemühen können!
Hätte, ja – hätte!
Was hatte sie sich nur dabei gedacht, sich auf eine Affäre mit diesem Mann einzulassen? Sie hätte ihrem ersten Impuls vertrauen und bei ihrer Weigerung bleiben sollen! Nun hatte sie mehr Probleme zu bewältigen als in den ganzen letzten Jahren zusammengenommen.
Sie war wütend auf ihn und auf sich selbst. Was hatte sie von einem Alphamännchen wie ihm erwartet? Hatte sie wirklich geglaubt, er würde sich an ihre Spielregeln halten und seine Dominanz im Zaum halten?
Dieser kontrollsüchtige Macho!
Ärgerlich schlug sie auf die Matratze ein, ehe sie sich mit einem resignierten Seufzer mühsam zusammennahm und zum Aufstehen zwang. Es war Freitag Mittag. Wenn sie den Zug noch erwischen und pünktlich bei ihrem Vater sein wollte, musste sie endlich ihren Hintern hochbekommen!
»Tust du mir bitte einen Gefallen?« Giorgio Santini schloss die Motorhaube des Traktors und wischte sich die schmutzigen Hände an einem Lappen ab.
Emma sah auf, stellte den Korb mit den abgezupften Lavendelblüten beiseite und stand auf.
»Was für einen?«
Seit ihr Vater sie am Vortag abgeholt und auf den Hof gebracht hatte, hatten sie die Frage nach dem Warum ihres neuerlichen Besuchs vermieden. Doch sie wusste, dass sie sich nicht ewig vor den Antworten drücken konnte.
»Könntest du für mich ins Dorf fahren und mir davon eine besorgen?« Er hielt eine leere Öldose hoch und schüttelte sie hin und her.
»Wie schnell brauchst du sie?«
»Es wäre schön, wenn du bis zum Essen wieder zurück wärst. In der Zwischenzeit kümmere ich mich um was anderes, damit werde ich heute sowieso nicht mehr fertig.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den altersschwachen Traktor, der ihn schon seit Jahren regelmäßig beschäftigte.
»Okay.« Sie klopfte sich die restlichen Blüten von den Hosenbeinen. »Dann gönne ich mir noch in Ruhe einen caffè, ehe ich wiederkomme! Und keine Sorge, bis zum Essen bin ich zurück.«
»Nimm den Jeep, der müsste eh noch getankt werden«, rief er ihr hinterher, bevor sie im Haus verschwand.
Wenig später saß Emma hinter dem Steuer des unverwüstlichen Fahrzeugs. Froh über die Ablenkung steuerte sie den Geländewagen über den ausgeschlagenen Schotterweg in Richtung Hauptstraße. Obwohl das Dorf nur wenige Kilometer vom Hof entfernt lag, hatte man abseits der befestigten Route das Gefühl, am Ende der Welt zu sein.
Plötzlich musste sie an Davide denken. Was mochte er gerade tun?
Unwillig schüttelte sie den Kopf. Was interessierte sie das noch? Das Kapitel war abgeschlossen, aus und vorbei, und hoffentlich auch bald endgültig vergessen! Sie musste sich auf ihre Zukunft konzentrieren und nach vorne blicken.
Nachdem Emma getankt hatte, fuhr sie weiter ins Ortszentrum, um das Motorenöl für ihren Vater zu besorgen. Glücklicherweise fand sie sofort einen Parkplatz in der Nähe des Ladens.
Dank der leeren Flasche, die sie vorsichtshalber mitgenommen hatte, war ihr Auftrag schnell erledigt und sie hatte noch Zeit, etwas trinken zu gehen.
Gegenüber auf der anderen Straßenseite befand sich ihre Lieblingskonditorei, deren Auslagen sie schon als Kind magisch angezogen hatten.
Da die Besitzer vor ein paar Jahren gewechselt hatten, kannte sie keine der drei Damen, die hinter der ausladenden Theke hin und her sausten, caffè und Cappuccini zubereiteten und Gebäckstücke auf Tellern drapierten oder zum Mitnehmen verpackten. Emma schmunzelte bei all dieser Geschäftigkeit und sog die Atmosphäre tief in sich ein.
Andere mochten es provinziell nennen, doch für sie bedeutete der besondere Charme der altmodischen Einrichtung viele wundervolle Erinnerungen.
Sie stellte sich in die Warteschlange und als sie an der Reihe war, wählte sie aus dem üppigen Angebot vier lecker aussehende Törtchen aus, die ihr wohl einige Tage Enthaltsamkeit einbringen würden. Daher entschied sie sich auch gegen einen Cappuccino und setzte sich mit einem caffè und den süßen Stückchen an einen der kleinen Tische im Nebenzimmer.
Neugierig sah sie sich um. In der Nähe saß ein turtelndes Pärchen und Emmas Gedanken schweiften automatisch zu Davide, worüber sie sich maßlos ärgerte, denn es gab tatsächlich Wichtigeres, worüber sie sich den Kopf zerbrechen sollte.
Sie holte tief Luft und nahm einen kleinen Schluck des herrlich kräftigen Gebräus.
Wie lange sollte das nun so weitergehen? Davide war allgegenwärtig. Jetzt hieß es doch eigentlich, ihre weiteren Schritte zu planen. Außerdem musste sie dringend eine Strategie entwickeln, wie schnellstens bei einer Agentur unter Vertrag kam.
Aber was, wenn alle ihre Bemühungen umsonst waren? Nein, das durfte keinesfalls passieren. Stirnrunzelnd stocherte sie in ihrem Quarkschnittchen herum.
»Das gibt aber böse Falten!«, ertönte plötzlich eine männliche Stimme vor ihr und Emma sah überrascht auf. »Ich war mir erst nicht sicher, aber du bist es tatsächlich!«
»Tommaso! Was machst du denn hier?« Überrascht sprang sie auf und schloss ihren Cousin fest in die Arme. Wie lang hatten sie sich schon nicht mehr gesehen? Das musste letztes Weihnachten gewesen sein. Dank ihres vollen Terminplans schaffte sie es meist nur zu den wichtigen Familienfeiern. Das würde sich jetzt hoffentlich auch wieder ändern. Tommaso war wie ein Bruder für sie und sie vermisste die langen Gespräche mit ihm sehr.
»Ich arbeite nebenan, schon vergessen?«
»Fast.« Sie deutete einladend auf den Stuhl ihr gegenüber. »Hat dir mein Vater verraten, dass ich hier bin?«
Sie warf ihm einen strengen Blick zu, den er mit einem spitzbübischen Grinsen quittierte, das seine Augen aufleuchten ließ.
»Nein, ich habe gerade das Schaufenster dekoriert und dich reingehen sehen. Da wurde mir bewusst, dass ich dringend einen caffè und ein Törtchen brauche!«
»Du siehst wirklich ziemlich unterzuckert aus.« Emma lachte auf. Ihn schickte wirklich der Himmel.
»Siehst du! Aber natürlich konnte ich mir auch nicht die Gelegenheit entgehen lassen, dich mal wieder zu sehen. Schließlich hast du den runden Geburtstag meiner Mutter wegen eines wichtigen Shootings verpasst, und dich nur einmal im Jahr zu treffen, ist mir eindeutig zu wenig.«
Auch wenn er es sicher nicht böse gemeint hatte, versetzte es ihr dennoch einen Stich. Die Familie war ihr immer heilig gewesen, doch seit sie als Model arbeitete, hatte sie viel weniger Zeit und einiges verpasst.
Ihr Cousin musste wirklich unterzuckert sein, denn nachdem Tommaso einen caffè lungo und ein Sahnetörtchen bestellt hatte, schnappte er sich ihre Gabel und schob sich genüsslich ein Stückchen ihres Quarkteilchens in den Mund. Seufzend verdrehte er die grauen Augen, die den ihren sehr ähnlich waren, und eine Strähne seiner kurzen blonden Haare fiel ihm in die Stirn.
Unweigerlich musste Emma lächeln und musterte ihn neugierig, während er noch einen Bissen von ihrem Teller stibitzte. Er trug eindeutig das Erbe der Familie Santini in sich, das angeblich von irgendeinem fernen Vorfahren stammte, der vor Generationen aus dem Norden gekommen und geblieben war.
Er war schon früher ein Mädchenmagnet gewesen und hatte regelmäßig die Köpfe ihrer Freundinnen verdreht. Doch mittlerweile nutzte er jede freie Minute, um zu surfen oder Beachvolleyball zu spielen, wobei er seinen großen, braungebrannten und sichtbar muskulösen Körper vor den Frauen am Strand perfekt in Szene setzen konnte. Und nicht nur dort, wie sie feststellte, als die junge Bedienung ihm seine Bestellung brachte und ihn unverhohlen anflirtete. Doch Tommaso ging nicht darauf ein, bedankte sich und wandte sich wieder Emma zu.
»Was zum Teufel machst du eigentlich hier?« Er nahm einen Schluck von seinem caffè und sah fragend an. »Müsstest du nicht an der Seite von diesem Top-Manager auf irgendwelchen wichtigen Partys oder Veranstaltungen glänzen? Ich hab die Bilder in den Zeitschriften gesehen, die bei meiner Mutter herumliegen.«
»Erinnere mich bloß nicht daran«, stöhnte Emma.
Er lachte. »Was denn – schon wieder vorbei?«
»Gott sei Dank, ja! Er fing an, mich als sein Eigentum zu betrachten und …«
»… und das sollte man bei Frauen klugerweise vermeiden – ich hab mal so etwas Ähnliches gelesen«, beendete er grinsend ihren Satz. »Aber mal im Ernst, das hast du doch gar nicht nötig, oder? Ich habe eh nicht verstanden, was das zwischen euch war. Ein Leben als schmückendes Beiwerk an der Seite eines Kerls wie Gandolfo? Entschuldige, aber das bist doch nicht du!«
Sie senkte ihren Blick und nickte stumm. Ihre Kehle fühlte sich mit einem Mal an, als hätte sich eine unsichtbare Schlinge darum gelegt. Tommaso griff über den Tisch nach ihrer Hand und drückte sie aufmunternd. »Hey, Kopf hoch, du weißt, ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst. Leider muss ich wieder zurück in den Laden, aber du hast ja meine Nummer.«
Emma erwiderte sein Lächeln dankbar. Sie wusste, dass das nicht nur leere Worte waren.
»Ich muss auch los, bin schon ziemlich spät dran«, erklärte sie, griff nach ihrer Tasche und folgte Tommaso zum Tresen.
»Lass, ich lade dich ein«, wehrte er ab, als sie an der Kasse nach ihrer Geldbörse greifen wollte. »Ich bin zwar kein reicher Geschäftsmann, aber das kann ich mir noch leisten.«
Emma quittierte die Bemerkung mit einem gespielt finsteren Blick und er lachte amüsiert.
»Wie gesagt, ruf mich an, wenn du Hilfe brauchst. Grüße deine Eltern von mir. Ciao Emma, wir sehen uns!« Er küsste sie zum Abschied auf beide Wangen und überquerte dann eilig die Straße.
»Liebe Grüße von Tommaso. Ich habe ihn zufällig im Ort getroffen«, sagte Emma, als sie zu ihrer Mutter in die Küche kam, nachdem sie ihrem Vater das Motoröl gebracht hatte.
»Tommaso? Wie geht es ihm? Wir haben ihn auch schon eine Weile nicht mehr gesehen« Fabrizia Santini stand am Herd und war mit den Vorbereitungen für das Mittagessen beschäftigt.
»Ganz gut, denke ich. Appetit hat er zumindest«, sagte Emma und schmunzelte beim Gedanken an die Mengen an Kuchen, die ihr Cousin in sich hineingeschaufelt hatte. Für sie hätte so eine Schlemmerorgie einige Sporteinheiten und Fastentage bedeutet.
»Schön, aber sag mal, willst du mir nicht endlich sagen, was eigentlich los ist? Du weißt, wir haben dich immer gern bei uns, aber irgendetwas stimmt doch nicht mit dir. Wozu brauchst du auf einmal ein Auto? Hat das etwas mit Davide zu tun? Warum sprichst du nicht von ihm? Er machte so einen sympathischen Eindruck, als ihr zusammen bei uns wart.«
Emma schüttelte ungehalten den Kopf. »Das mit Davide war nur eine flüchtige Romanze. Ich hätte ihn gar nicht erst mitbringen sollen. Anscheinend dachte er, weil er nun meine Eltern kennt, kann er daraus einen Besitzanspruch ableiten, aber so läuft das bei mir nicht. Und das Auto brauche ich, weil ich mich beruflich umorientieren muss. Weil Ernesto Moda online aufgekauft wurde, läuft mein Vertrag aus. Mit einem Fahrzeug bin ich einfach flexibler!«
»Ach Kind, ich will doch nur, dass du glücklich bist.«
Emma gab keine Antwort, sondern polierte hingebungsvoll die Gläser, als hinge ihr Leben davon ab.
»Ich mag nicht darüber reden, Mamma. Wir passen einfach nicht zusammen und deswegen war eine Trennung nur konsequent.«
Ihre Mutter quittierte die ausweichende Antwort mit einem traurigen Kopfschütteln. Emma stellte die blitzeblanken Gläser auf den Tisch und verließ ohne eine weitere Reaktion die Küche. Sie wollte sich nicht erklären und rechtfertigen müssen, schließlich war sie erwachsen. Schwungvoll lief sie die Stufen zu ihrem Zimmer hinauf und schloss seufzend die Tür hinter sich.
Wieso ging ihr das Thema Davide nur so nah? War sie mittlerweile in einem Alter, in dem man Trennungen nicht mehr so leicht wegsteckte?
Seufzend zog sie das Smartphone aus ihrer Hosentasche und setzte sich aufs Bett. Um auf andere Gedanken zu kommen, rief sie Nino an. So konnte sie ihm gleich auch ihre neue Handynummer übermitteln, doch leider ging nur die Mailbox ran.
»Hallo Nino, ich bin’s, Emma. Ich wollte dich fragen, wie es dir geht und dir meine neue Nummer schicken, über die du mich ab sofort erreichen kannst. Melde dich doch bitte bei mir, falls es Neuigkeiten gibt. Ich bin wegen eines Autos bei meinen Eltern. Bis bald und mach’s gut.«
Schade, dachte sie, sie hätte gern mit ihm geplaudert. Seit ihrem widerwilligen Abgang aus seinem Loft am Dienstagnachmittag hatten sie sich nur noch einmal kurz gesehen, weil sie es kaum geschafft hatte, sich von ihrer Couch zu lösen. Jetzt musste sie abwarten und hoffen, dass er sie zurückrufen würde, was bei Nino nicht unbedingt selbstverständlich war.
Inzwischen ärgerte sie sich darüber, dass sie ihn nicht über sein Gespräch mit Davide ausgefragt hatte. Er hatte ihr ja praktisch eine Steilvorlage geliefert, doch vor lauter Anspannung hatte sie den Ball nicht aufgenommen. Blöd! Jetzt nagte die Neugier an ihr.
Frustriert ließ sie sich in ihr Kissen fallen. Wieder beschlich sie dieses unbehagliche Gefühl, das sie gelegentlich ergriff, seit sie am Montagmorgen in der Personalabteilung ihre Kündigung abgegeben hatte. Allerdings konnte sie sich dessen Ursache nicht wirklich erklären.
Wahrscheinlich war es die Angst vor der Zukunft, dem Ungewissen, das sie beschäftigte. Das hatte mit Davide nichts zu tun.
Am Montag würde sie endlich durchstarten können, Bewerbungen schreiben und herumtelefonieren. Eine ganze Woche hatte sie verloren, nur weil sie lethargisch auf dem Sofa gelegen und sich geärgert hatte. Jetzt hätte sie sich dafür am liebsten selbst in den Hintern getreten.
Nächste Woche würde sie durchstarten, nahm Emma sich vor und rollte sich auf der Seite ein …
Am nächsten Morgen piepte ihr Handy.
Es war eine Nachricht von Pavone. Kurz und prägnant.
Montag früh pünktlich um neun Uhr bei mir.
Typisch Nino, dachte Emma und atmete erleichtert auf. Wenigstens hatte er sich bei ihr gemeldet, auch wenn der Befehlston in der Nachricht nicht zu überlesen war. Zumindest war nun ein Anfang gemacht und sie konnte sich nun voll und ganz auf ihre Karriere konzentrieren.
In der Küche saßen ihr Vater und ihre Mutter schon am gedeckten Frühstückstisch. Gut gelaunt setzte sie sich zu ihnen und während sie sich gemeinsam für den Tag stärkten, erzählte ihre Mutter vom letzten Abend. Niemand brachte Davide ins Spiel oder stellte irgendeine unangenehme Frage, ganz im Gegenteil. Emma genoss die folgenden Stunden mit ihren Eltern sehr. Am späten Nachmittag reichte Giorgio ihr schließlich die Autoschlüssel und mit langen Umarmungen verabschiedeten sie sich voneinander.
»Denk dran, wir sind immer für dich da, egal, was passiert«, sagte ihr Mutter noch, dann stieg Emma ins Auto und fuhr langsam davon. Durch den Rückspiegel sah sie, wie ihr Vater den Arm um seine Frau gelegt hatte und sie ihr nachwinkten.
Sie stellte das Radio an, um nicht wieder in Grübeleien zu versinken. Jetzt hieß es, sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Morgen würde sie damit beginnen, ihr Leben wieder in Ordnung zu bringen, das würde ohnehin nicht so einfach werden.
Etwa eine Stunde später parkte sie das Auto unweit ihrer Haustür, überquerte die Straße, kramte den Schlüssel aus ihrer Tasche – und erstarrte.
»Kiki! Was machst du denn hier?«
Das junge Mädchen, das sie auf den Stufen erwartet hatte, sprang auf und fiel ihr stürmisch um den Hals.
»Hallo Emma, es ist so schön, dich endlich wiederzusehen!«
»Kiki, du erwürgst mich ja!« Sie lachte und erwiderte die Umarmung mit der gleichen Herzlichkeit. Schließlich löste sich Emma von ihrer Freundin und schob sie auf Armeslänge von sich. »Gut siehst du aus!«
Über das zarte, blasse Gesicht huschte ein Leuchten. »Verdanke ich nur dir!«
»Ach was! Jetzt komm erst einmal mit rein. Du musst mir alles erzählen.«
Kiki schnappte sich ihre Tasche, dann betrat sie nach Emma den Flur.
»Ich dachte, du kämst erst in vier Wochen nach Hause«, meinte Emma, als sie die Treppen zu ihrer Wohnung hochlief.
»Das war ursprünglich der Plan, aber dann hatte ich doch bessere Erfolge erzielt als erwartet, und so haben sie mich letzte Woche schon entlassen. Aber bei meinen Eltern halte ich es nicht mehr aus.«
»Oh je. Lass mich kurz duschen, dann hör ich mir die ganze Story an. Mach es dir in der Zwischenzeit bequem, du weißt ja, wo alles ist.«
Eilig schälte sie sich aus ihren Kleidern und sprang unter die Dusche. Im Handumdrehen hatte sie sich frisch gemacht und setzte sich mit noch feuchten Haaren zu Kiki, die ihnen beiden bereits eine Tasse Tee aufgebrüht und es sich in einem der Sessel gemütlich gemacht hatte.
»Und jetzt raus mit der Sprache, was ist los?«
Kiki war aus der Drogenreha entlassen worden, weil die Ärzte einhellig der Meinung gewesen waren, sie hätte es geschafft. Vergangene Woche war sie daher zu ihren Eltern zurückgekehrt, sich dort aber wie in einem Gefängnis vorgekommen.
»Versteh mich nicht falsch, ich bin ihnen für alles sehr dankbar, aber sie glauben, sie müssten mich in Watte packen und vierundzwanzig Stunden am Tag auf mich aufpassen. Das nimmt mir einfach die Luft zum Atmen, das halte ich unmöglich aus!«
Emma lachte und nahm einen Schluck Tee. »Oh, das kann ich mir lebhaft vorstellen! Möchtest du vielleicht eine Weile hier bei mir wohnen?«
»Ist das dein Ernst? Das wäre fantastisch und natürlich nur, bis ich wieder etwas Eigenes gefunden habe. Was ist eigentlich mit deinem Handy los? Ich wollte dich anrufen, aber ich kam nie durch, daher bin ich einfach hergekommen.«
»Ich habe eine neue Nummer. War leider nötig. Ist aber eine längere Geschichte. Jetzt bist erst einmal du wichtig. Ich bin froh, dass es dir endlich wieder gut geht.«
»Das bin ich auch! Allerdings muss ich mir dringend einen Job suchen, sonst muss ich womöglich doch wieder zu meinen Eltern zurück. Dir schulde ich ja auch noch eine ganze Menge Geld!«
Emma seufzte und winkte ab. »Ach Kiki, das soll jetzt nicht deine größte Sorge sein. Übrigens, ich habe morgen früh einen Termin mit Nino und ...«
»Nino Pavone?«, unterbrach Kiki sie mit ungläubig hochgezogener Augenbraue. »Ich dachte, ihr hättet keinen Kontakt mehr?«
»Hatten wir auch nicht, aber das gehört ebenfalls zu der langen Geschichte.«
»Hey, ich habe viel Zeit, sie mir anzuhören, schließlich bin ich momentan arbeitslos.«
Emma lachte bitter auf. »Das bin ich derzeit auch. Na schön, du hast gewonnen, aber wäre es möglich, dass wir unser Gespräch in die kleine Trattoria an der Ecke verlegen? Ich habe einen Riesenhunger.«
»Einverstanden!«
Bevor sie das kleine Lokal betraten, schaute sich Emma unauffällig um. Sie hatte keine Lust, Davide zufällig über den Weg zu laufen, doch glücklicherweise war er unter den anwesenden Gästen nicht auszumachen. Sie dirigierte Kiki an einen Tisch in einer ruhigen Ecke und nachdem sie sich gesetzt und etwas bestellt hatten, begann sie zu erzählen.
Es war spät, als Emma ihre Schilderung schließlich beendet hatte.
»Wow, da hattest du ja einen richtig dicken Fisch an der Angel! Ich habe schon gehört, dass dieser Gandolfo unverschämt gut aussehen soll. Sein Ruf eilt ihm voraus.«
»Oh, ja!«, seufzte Emma abwesend und blickte verträumt ins Leere.
»Wenn man dich so hört, könnte man meinen, du wärst noch immer in ihn verliebt«, kommentierte Kiki und zwinkerte ihr frech zu.
Emma schwieg einen Moment. »Na ja … ja. Wahrscheinlich. Aber dummerweise passen seine Dominanz und Rücksichtslosigkeit überhaupt nicht in mein Leben.
»Stimmt, das konntest du noch nie leiden?« Kiki nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und sah Emma über den Rand hinweg sinnierend an.
»So ist es!« Emma verschränkte ihre Arme demonstrativ vor der Brust. »Drum bin ich froh, wieder allein zu sein und mein Leben selbst zu bestimmen. Jetzt muss ich nur noch einen Job finden, dann kann ich wieder rundherum zufrieden sein. Deswegen treffe ich mich morgen mit Nino.«
»Sag mal«, begann Kiki zögernd, »meinst du, dass er vielleicht auch irgendetwas für mich tun könnte?«
Emma sah sie einen Moment lang prüfend an. »Bist du sicher, dass du schon wieder so weit bist, dich diesem Stress und Druck auszusetzen?«
»Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen, Emma, ich muss arbeiten! Wenn ich nur untätig herumsitze, komme ich womöglich auf dumme Gedanken. Natürlich wäre es mir lieber, ich könnte etwas Anderes machen, auch wenn ich dabei weniger verdienen würde, doch irgendetwas muss ich tun. Ich kann und darf nicht einfach nur zu Hause herumsitzen und Däumchen drehen.«
Nachdenklich sah Emma sie an.
»Okay, ich rede mal mit Nino. Aber ich kann dir nichts versprechen. Seine Erfolgsprognose war schon für mich niederschmetternd.«
»Kein Problem«, entgegnete Kiki seufzend. »Mir ist schon bewusst, dass sie sich nicht um ein abgehalftertes, labiles und stressanfälliges Ex-Model mit meinem Lebenslauf schlagen werden.«
»Jetzt mach aber mal einen Punkt!« Sanft strich Emma über die weichen roten Locken ihrer Freundin. »Du bist wunderschön, schöner als je zuvor! Du bist ein ganz seltener Typ Frau. Sie werden sich alle um dich reißen, glaub mir!«
Kiki lächelte schwach. »Du hast aber auch nichts von deinem Charme eingebüßt, weißt du? Wenn ich nicht so verdammt hetero wäre, könnte ich mich glatt in dich verlieben.« Sie nahm einen weiteren Schluck aus ihrer Tasse und suchte erneut Emmas Blick. »Schade, dass die Geschichte mit deinem Lover so enden musste. Ich hätte ihn wirklich gern mal kennengelernt!«
Emma schnaubte leise, gab aber keine Antwort. Obwohl es ihre ureigenste Entscheidung gewesen war, stellte Davide noch immer ein heikles Thema für sie dar.
Kiki griff über den Tisch und drückte sanft ihre Hand. »Hey, Kopf hoch, das wird schon wieder. Jetzt bin ich ja da und passe auf dich auf!«
Wie sich am nächsten Morgen herausstellte, war Pavone im Gegensatz zu Emma in der letzten Woche sehr aktiv gewesen. Nach nur wenigen Telefonaten hatte sich bereits herausgestellt, dass die Bedenken, die sie beide bezüglich Emmas Möglichkeiten gehegt hatten, unbegründet gewesen waren. Es gab durchaus Agenturen, die Interesse an ihr hatten; von einigen waren sogar bereits Infomaterial und Vertragsentwürfe gekommen. Emma konnte es kaum fassen, als Nino die Unterlagen vor ihr ausbreitete.
»Ehe du dich entscheidest«, er wedelte mit einem dezent bebilderten Flyer vor ihrer Nase herum, »solltest du dir auf jeden Fall noch das hier ansehen!«
»Was ist das?« Sie nahm ihm die Broschüre aus der Hand und betrachtete sie stirnrunzelnd. Die Fotos darauf waren sehr elegant. »LVB? Wie …«
»Sprich es so aus: ElleVuBi! Kommt von LaVeraBellezza – die wahre Schönheit. Das ist eine ziemlich ungewöhnliche Agentur, auf die ich eher zufällig gestoßen bin. Wie du sicher weißt, hat sich in den letzten Jahren in der Modebranche einiges geändert. Das ist eine der Agenturen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, etwas zu ändern, weshalb sie ganz bewusst vom üblichen Modeltyp abweichen und nur noch Mädchen oder reifere Frauen vermitteln, die normalgewichtig sind.«
Emma sah ungläubig auf. Natürlich gab es gelegentlich Debatten, wenn junge Frauen an den Folgen von Magersucht und Unterernährung starben. Allerdings war sie davon ausgegangen, dass es wie immer laufen würde: Erst waren alle entsetzt und schrien nach Änderungen, doch wenn es an die Umsetzung gehen sollte, wartete man ab, bis sich die Gemüter wieder beruhigt hatten, und ging zum Tagesgeschäft über. Dass die Protestwelle wirklich Früchte getragen hatte, überraschte sie positiv. Schon lange war ihr der von der Branche geforderte Magerwahn ein Dorn im Auge gewesen.
»Könntest du dich für den Gedanken erwärmen, ein paar weitere Kilos zuzunehmen?«, war daher Pavones Gretchenfrage an Emma. »So schwer dürfte dir das doch nicht fallen, oder? Der Trend entwickelt sich zwar langsam, aber stetig. Meiner Meinung nach ist er kaum noch umkehrbar.«
Emma zögerte und verkniff sich einen Kommentar auf seine spitze Bemerkung. »Und was, wenn das Experiment schiefgeht?«
»Dann suchst du dir endlich einen Ehemann und lässt ihn das Geld für dich verdienen!«
Sie hatte schon zu einer deftigen Erwiderung angesetzt, als sie das freche Grinsen auf Ninos Gesicht bemerkte. Für diese Art von Späßen konnte sie derzeit nun wirklich nicht viel Humor aufbringen!
»Ach komm schon, jetzt lach doch mal. Was soll schon passieren? Zur Not nimmst du wieder ein paar Kilo ab und suchst dir Aufträge, bei denen es ausschließlich um dein Gesicht und nicht um deinen Schwabbelpopo geht!«
»Und was rätst du mir?« Die unverschämte Bemerkung zum Schluss überhörte sie absichtlich.
»Dass ich das noch einmal erleben darf! Du fragst mich um Rat?«
»Nino! Wieso musst du ausgerechnet jetzt so nachtragend sein?«
»Bin ich nicht. Dennoch verschafft es mir eine gewisse Befriedigung, die du mir ruhig gönnen könntest!«
»Wenn du es unbedingt brauchst. Trotzdem hätte ich gern deine ehrliche Meinung!«
»An deiner Stelle würde ich es wagen.«
Sie holte tief Luft. »Gut, dann werde ich es dort mal versuchen. Wo sitzt die Firma genau?«
»In Monselice, also gerade mal eine Autostunde von hier entfernt. Einfach nur die Autobahn in Richtung Norden.«
»Sehr praktisch.« Emma war noch nicht hundertprozentig überzeugt, aber bisher hatte sie sich immer auf Ninos Urteil verlassen können, daher entschied sie, ihm auch in diesem Fall zu vertrauen. »Okay, ich versuche es!«
»Sehr schön, dann rufe ich eben dort an.« Kurz darauf hatte er noch in derselben Woche für sie einen Vorstellungstermin vereinbart. »Am Mittwochnachmittag um halb fünf, damit wäre das dann auch geklärt. Jetzt sollten wir allerdings dringend zusehen, dass wir deine Unterlagen vervollständigen. Außerdem solltest du noch weitere Termine vereinbaren.«
»Sag mal«, begann sie etwas später vorsichtig, »wäre es vielleicht möglich, dass du auch eine Agentur findest, die Kiki unter Vertrag nimmt?«
»Kiki?« Nino starrte sie mit erstaunt hochgezogenen Augenbrauen an.
»Ja, sie ist aus der Reha entlassen worden und wird ein paar Tage bei mir wohnen.«
»Ist sie denn schon so weit?«
»Ich denke schon. Auf mich macht sie einen gefestigten Eindruck und sie sagt, sie braucht dringend eine Beschäftigung. Wahrscheinlich würde es mir in ihrer Situation auch so gehen.«
Pavone schien nachzudenken. »Bestell ihr erst mal liebe Grüße von mir, ja?«, meinte er schließlich nach einer kurzen Pause. »Und sag ihr, ich werde sehen, was sich machen lässt. Natürlich kann ich auch ihr nichts versprechen!«
»Das weiß ich. Vielen Dank, du bist ein Schatz!«
Zufrieden und mit knurrendem Magen verließ sie am späten Vormittag sein Loft. Das war besser gelaufen, als sie erwartet hatte. Sie sprühte regelrecht vor guter Laune, daher beschloss sie, für sich und Kiki noch etwas zu essen zu besorgen, bevor sie nach Hause fuhr.
Als sie den Wagen parkte, bildete sie sich ein, Davide zu sehen, der die Straße zu ihrer Wohnung entlangging, und ihr Herz raste los. Sie musste ein paar Atemzüge lang in ihrem Auto sitzenbleiben, bis sie sich vergewissert hatte, dass sie sich irrte, ehe sie endlich aussteigen konnte.
Es ärgerte sie, dass sie sich dermaßen verrückt machen ließ. Sollte das mit dieser Agentur klappen, würde sie sich definitiv nach einer neuen Wohnung umsehen und Bologna den Rücken kehren. Damit wäre definitiv ein Schlussstrich gezogen und sie würde nicht Gefahr laufen, Gandolfo zufällig zu begegnen.
»Kiki, ich bin zurück. Ich habe uns etwas zu essen mitgebracht.« Aufatmend schloss sie die Wohnungstür hinter sich und streifte ihre Schuhe ab. Es waren nur noch ein paar Dinge zu erledigen, bevor sie am Mittwoch endlich andere Wege beschreiten und neu durchstarten konnte!
Es würde ein fantastischer Sommer werden, entschied Emma.
Kapitel 2
Emma
Kiki war sehr glücklich gewesen, dass Nino sich nach einer Möglichkeit für sie umhören wollte. Außerdem hatte sie Emma darin bestärkt, die Chance in der neuen Agentur zu nutzen.
»Ich drück dir die Daumen. Du rockst das, ich glaube fest an dich!«
»Danke, ich bin wirklich aufgeregt. Hoffentlich klappt es.« Emma hatte ein wenig mehr Zeit eingeplant, um sich mental auf das Gespräch einzustellen. Wider Erwarten war sie ziemlich nervös. Diese Agentur wäre eine Chance, die sie unbedingt ergreifen wollte. Sie schnappte sich ihre Tasche und vergewisserte sich ein letztes Mal, dass sie alle Unterlagen dabei hatte.
Sie stellte ihren Wagen auf einen der ausgewiesenen Parkplätze. Vor dem Gebäude blieb sie einen Augenblick stehen und atmete noch einmal tief durch. Auch wenn sie die Umgebung ziemlich irritierte, sie wollte diesen Job. Ihre weichen Knie ignorierend, straffte sie sich und schob ein wenig trotzig das Kinn vor, als sie auf den Eingang zuschritt.
Neugierig sah sie sich um. Das Ambiente war äußerst angenehm, nicht hypermodern, aber auch nicht zu gediegen. Lichtes Grau in Kombination mit einem kräftigen, aber sparsam eingesetzten Dunkelrot dominierte die Gänge und verliehen der Agentur ein elegantes Flair. Während sie bewundernd die anthrazitfarbenen Fußböden mit hellen Sprenkeln betrachtete, hörte sie die helle Stimme einer jungen Frau.
»Kann ich Ihnen helfen, Signora?«
Emma sah auf und blickte in das freundlich lächelnde Gesicht einer jungen Frau, die hinter einem großen Empfangstresen ohne unnötigen Schnickschnack oder verspielte Details saß.
»Mein Name ist Emma Santini, ich habe einen Termin.«
»Einen Moment, bitte.« Während die junge Frau leise in ihr Telefon sprach, kam Emma ein wenig näher. »Signora Santini, Sie können direkt durchgehen. Das letzte Büro am Ende des Flurs, Sie können es gar nicht verfehlen.« Bevor Emma etwas erwidern konnte, klingelte bereits das Telefon und die freundliche Empfangsdame widmete sich wieder ihrer Aufgabe.
Als sie schließlich vor der Tür zum Vorzimmer der Direktion stand, schlug ihr das Herz bis zum Hals. Eine Menge hing von diesem Gespräch ab, sie durfte sich keinen Fehler erlauben! Unsicher klopfte sie und trat ein. Die Sekretärin – vom Alter her eher der Jahrgang ihrer Mutter als ihr eigener – begrüßte sie freundlich und öffnete ihr dann mit einem herzlichen Lächeln die Tür ins nächste Büro.
»Signori«, verkündete sie mit wohlklingender Stimme, »Signora Santini ist hier!«
Staunend betrat sie den angenehm klimatisierten Besprechungsraum, dessen große Glasfront sich zu einem riesigen, gepflegten Atriumgarten hin öffnete. Zwei Männer mittleren Alters erhoben sich von ihren Sitzen, um sie willkommen zu heißen. Das mussten also die Gebrüder Franceschini sein. Nino hatte ihr einiges über die beiden erzählt.
»Sehr erfreut – Leonardo Franceschini.«
»Und ich bin Francesco, ebenfalls Franceschini.« Den grauen Haaren nach zu urteilen, schien er der Ältere zu sein. »Leider habe ich noch einen anderen Termin und muss mich schon bald verabschieden, aber ich war neugierig und wollte mir die Gelegenheit, Sie kennenzulernen, keinesfalls entgehen lassen«, fügte er hinzu und schenkte ihr ein Lächeln.
Nach der überaus freundlichen Begrüßung beruhigte sich Emma ein wenig. Sie nahm Platz und musterte die Brüder unauffällig. Die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen. Beide waren ziemlich groß gewachsen, hager und mit charakteristischen Adlernasen gesegnet, ebenso hatten sie dunkle Augen und buschige Brauen gemeinsam.
»Schön, dass Sie kommen konnten!«, eröffnete nun Francesco das Gespräch und begann mit einer kleinen Einführung in die Philosophie der Agentur, während Leonardo ihr ein Glas Wasser einschenkte.
In der nächsten halben Stunde unterbreiteten ihr die Herren die Philosophie der Agentur – wie sie von Nino bereits wusste, nur normalgewichtige und gesunde Models – und weihten sie in die Expansionspläne der Agentur ein.
»Wir waren sehr
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 26.07.2022
ISBN: 978-3-7554-1792-7
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