Cover

Leseprobe

 

 

 

BRINA GOLD

 

 

 

Words & Love

 

 

Wie schreibst du Liebe?

 

 

 

Er ist so heiß wie die Bücher, die er schreibt.

 

Damiano Mantovanis Erotikthriller stürmten einst die Bestsellerlisten. Nachdem er aufgrund eines schweren persönlichen Verlustes jahrelang in der Versenkung verschwunden war, möchte er nun zurück an die Spitze. Und dabei will er sie an seiner Seite.

Carlotta schwärmt seit Jahren für Mantovani und seine Bücher. Und nun soll ausgerechnet sie mit dem attraktiven Bestsellerautor zusammenarbeiten? Das kann nicht gut gehen. Schweren Herzens gibt sie ihm einen Korb.

Doch Carlottas Zurückhaltung weckt nicht nur Damianos Ehrgeiz, sondern auch seinen Jagdinstinkt. Je mehr sie sich gegen ihn wehrt, umso mehr will er sie.

Vor allem, als er feststellt, dass ein anderer Mann ebenfalls Interesse an Carlotta zeigt.

 

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Überarbeitete Neuauflage des Zweiteilers »Ungesagte Worte« und »Mehr als Worte« von Laura Gambrinus.

 

 

Brina Gold ist das Pseudonym der Bestsellerautorin Laura Gambrinus, unter dem sie seit 2021 ihre zeitgenössischen Liebesromane schreibt. »Words & Love« führt die »Liebe am Meer«-Reihe fort, die mit »Love & lies – Mein Herz in deiner Hand« begann und mit dem vierten Teil »Love & Songs – Der geerbte Mann« fortgesetzt wird.

 

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Viel Freude beim Lesen wünschen Brina Gold und Laura Gambrinus.

 

 

 

EINS

 

 

»Damiano Mantovani? Du meinst doch nicht etwa … den Schriftsteller?« Carlottas Stimme wurde zum Ende ihrer Frage hin immer leiser.

»Doch, genau den meine ich!«, bestätigte Ambra mit einem zufriedenen Lächeln um die Mundwinkel.

»Aber … wie kommst du an ihn? Ich meine … wie lernt man so jemanden kennen – einfach nebenbei?«

»Er trainiert zusammen mit Raffaele im selben Studio und kommt regelmäßig hierher zum Essen. So hat sich das fast zwangsläufig ergeben.«

Natürlich. Insgeheim schlug Carlotta sich an die Stirn. Der mondäne Küstenort Porto Azzurro und besonders das Restaurant Stella di Mare, das Ambras Freund Raffaele betrieb, zogen alle möglichen Prominenten an. Reiche, Schöne, Berühmte. Auch solche, die es noch werden wollten oder zumindest glaubten, es zu sein.

Und erfolgreiche Schriftsteller.

Carlotta sah aus dem Fenster hinaus in die Dämmerung, um Zeit zu gewinnen und diese Information zu verdauen, die sie überraschte und emotional leicht überforderte.

Sie war Damiano Mantovani verfallen, seit sie zum ersten Mal ein Buch von ihm gelesen hatte. Immer wieder hatten seine sinnlichen Erotik-Thriller sie durch einsame Stunden oder schlaflose Nächte begleitet. Mantovanis Schreibstil war direkt und verlockend, dabei aber nie vulgär, sondern mit einem Charme, dem sie einfach nicht widerstehen konnte. Allerdings hatte sich ihre – zugegeben recht intensive – Schwärmerei für ihn darauf beschränkt, seinem nächsten Roman entgegenzufiebern und ihn auf seinen öffentlichen Profilen aus der Ferne anzuhimmeln. Nun saß sie an der Bar des Stella di Mare bei einem kühlen Drink und hatte sich auf einen gemütlichen Abend mit ihren Freunden eingestellt, aber nicht darauf, dass Ambra ausgerechnet sie dem Erfolgsautor als neue Lektorin angepriesen hatte und er sie deshalb tatsächlich treffen wollte.

Sollte sie sich darauf einlassen? Andererseits – würde sie es schaffen, Nein zu sagen? Und wie sollte sie gegebenenfalls ablehnen, ohne zuzugeben, dass sie einfach Schiss hatte, ihrem Schwarm persönlich zu begegnen?

»Erde an Carlotta – hallo?«, unterbrach Ambra ihre Gedanken. »Wo bleiben die Begeisterungsstürme? Ich dachte, ein Treffen mit deinem Idol wäre das Größte für dich?«

»Ja, irgendwie schon, aber das kommt jetzt doch ein bisschen … überraschend. Das Treffen mit meinem Idol, wie du sagst, macht mich nervös.«

»Er sucht eine Lektorin. Das ist doch dein Beruf, oder?«

»Ja, das ist es, aber wie soll ich denn ausgerechnet bei ihm mit dem notwendigen Abstand und sachlich arbeiten?«

»Ich bin mir sicher, dass du das hinkriegst.«

Zu Carlottas Erleichterung tauchte in diesem Augenblick Raffaele auf und sie blieb die Antwort schuldig. Sie beobachtete, wie er sich neben Ambra setzte. Wie die beiden sich ansahen. Er sagte etwas zu ihr, sie sprachen über die Weinkarte, doch Carlotta hörte nicht wirklich zu. In einer kleinen Ecke ihres Herzens beneidete sie die beiden. Die liebevollen Blicke, die sie tauschten, machten Carlotta schmerzlich bewusst, dass sie eine solche Beziehung noch nie in ihrem Leben gehabt hatte.

Und vielleicht auch nie haben würde.

Plötzlich gehörte die Aufmerksamkeit ihrer Freunde wieder ihr. Anscheinend hatten sie zum Schluss nicht mehr über Wein, sondern über sie und ihr Zögern gesprochen.

»Es macht keinen Sinn, sie zu drängen, Ambra«, ergriff Raffaele für sie Partei. »Wenn sie es nicht machen will, dann bringt es Damiano auch nichts.«

»Ich habe ja noch gar nicht Nein gesagt«, erwiderte sie und verwünschte ihre Unentschlossenheit.

»Was ist denn eigentlich mit ihm passiert?«, erkundigte er sich. »Ich weiß nur, dass er hier ein ziemlich zurückgezogenes Leben führt, aber ich habe ihn nie nach dem Grund gefragt.«

»Seine Frau ist gestorben«, antwortete Carlotta bemüht nüchtern, obwohl ihr die spärlichen Informationen, die das Netz damals hergegeben hatte, ziemlich nahegegangen waren. »Sie hatte Krebs.«

»Als sie krank wurde, hat er aufgehört zu schreiben«, ergänzte Ambra. »Und seitdem hat er nichts mehr veröffentlicht.«

»Was für eine Verschwendung«, murmelte Carlotta. »Geht es ihm denn jetzt wieder besser?«

»Es scheint so. Schließlich will er ja wieder arbeiten. Also - kann er kommen und selbst mit dir reden?«, hakte Ambra nach.

»Also gut. Ich kann mich ja mal mit ihm unterhalten.«

»Es ist ohnehin Zeit fürs Abendessen, vielleicht kommt er ja gleich vorbei.« Raffaele wandte sich seinem Smartphone zu.

Trotz ihres Zugeständnisses breitete sich ein mulmiges Gefühl in Carlotta aus. Sollte sie mit ihrem großen Idol zusammenarbeiten? Konnte das gut gehen?

Raffaele kam zurück und nickte zufrieden. »In einer halben Stunde ist er hier, dann könnt ihr euch in Ruhe unterhalten.«

Carlottas Puls fing an zu rasen. Bis jetzt war da noch die Chance gewesen, dass Mantovani nicht kommen würde. Jetzt aber stand sein Erscheinen tatsächlich fest.

»Du hättest mir sagen sollen, was du im Schilde führst«, grummelte sie an ihre Freundin gewandt.

»Dann wärst du sicher nicht gekommen«, konterte Ambra scharfsinnig.

»Ich hätte mich ein bisschen schicker angezogen.«

»Quatsch!«, fuhr Ambra ihr über den Mund. »Mach nicht so einen Aufstand, dein Outfit ist in Ordnung.«

Carlotta schluckte eine Erwiderung hinunter. Hätte sie gewusst, dass sie Damiano Mantovani begegnen und der Abend einen beruflichen Hintergrund haben würde, hätte sie sich offizieller gekleidet. Und sich auch ein wenig geschminkt. Und ganz sicher hätte sie vorher noch zehn Kilo abgenommen.

Und wahrscheinlich wäre sie tatsächlich lieber zu Hause geblieben, wie Ambra vermutet hatte.

Hätte sie nur wenigstens noch einmal eines seiner Bücher durchgeblättert, ehe sie hergekommen war! Ihr Alltag hatte in der letzten Zeit nicht viel Raum für Träumereien gelassen, und so fühlte sie sich reichlich unvorbereitet und hatte Lampenfieber wie vor einer Prüfung. Dabei war sie über dreißig und sollte eine solche Situation doch eigentlich locker im Griff haben. Und Mantovani würde sie vermutlich kaum über eine seiner früheren Arbeiten befragen, also warum war sie plötzlich so nervös?

Die angekündigte halbe Stunde kam ihr endlos vor und zugleich wünschte sie sich, die Zeit möge stehen bleiben. Mit schweißfeuchten Händen saß sie da und sah zu, wie das Lokal sich langsam füllte. Die Zeit war längst vorbei und Ambra kurz in Raffaeles Büro verschwunden, während Carlottas Gedanken sich im Kreis drehten.

Wie mochte der berühmte Autor in Wirklichkeit sein? Hatte er tatsächlich etwas Dämonisches an sich, wie sie es immer schon mit seinem Namen – Damiano – verbunden hatte und wie es auch einmal ein Journalist hatte anklingen lassen? Der hatte ihn damals den Erotik-Dämon genannt. Und wie sah er heute aus? Die Fotos, die Carlotta von ihm kannte, waren alle von seiner offiziellen, aber inzwischen längst veralteten Autorenhomepage oder von Wikipedia und zeigten einen dunkelhaarigen Schönling mit scharf geschnittenen Zügen und einem umwerfenden, siegessicheren Lächeln. Seit es vor einigen Jahren plötzlich und überraschend still um ihn geworden war, hatte die Website keine Aktualisierung mehr erfahren. Jetzt wollte er anscheinend wieder in die Öffentlichkeit treten.

Nervös behielt sie ständig den Eingang des Lokals im Visier und fuhr mit einem Schreckenslaut herum, als eine dunkle Stimme sie von der Seite ansprach.

»Du musst Carlotta sein.«

Hatte Mantovani den Hintereingang benutzt? Sein Erscheinen war ihr völlig entgangen.

Carlotta sah ein vom Leben gezeichnetes, aber immer noch sehr attraktives Gesicht vor sich. Der Mann, der zu diesem Gesicht gehörte, war größer, als sie ihn sich vorgestellt hatte, und besaß eine enorme physische Präsenz. Er streckte ihr die Hand zur Begrüßung entgegen. Nach kurzer Schockstarre griff sie hastig danach und schämte sich, dass ihre Finger feucht waren.

»Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte er und duzte sie ganz selbstverständlich.

Ambra tauchte gleich nach ihm auf. »Ah, du hast sie bereits gefunden.« Sie begrüßten sich herzlich wie zwei alte Bekannte, während Carlotta nervös von ihrem Barhocker rutschte.

»War ganz leicht«, lächelte er sie an. »Du hattest deine Freundin wirklich gut beschrieben.«

Ambra lächelte zufrieden zurück und Carlotta konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihre Freundin sich schon längst mit ihrem Kollegen verbündet hatte. Das konnte ja heiter werden.

»Setz dich«, forderte ihre Freundin ihn nun auf und deutete auf einen Tisch, der für vier Personen gedeckt war. »Raffaele und ich kommen auch gleich, dann können wir uns vor dem Essen noch ein bisschen unterhalten.«

Mantovani glitt auf den Stuhl gegenüber von Carlotta. »Du bist also meine neue Lektorin«, hörte sie ihn sagen und fand das reichlich vorschnell.

»Was? Nein! Also – ich meine … Darüber müssen wir erst noch sprechen, es gibt noch zu viele ungeklärte Fragen.« Keinesfalls wollte sie sich so einfach von ihm überfahren lassen.

»Tatsächlich?«, fragte er halblaut und sah sie aufmerksam an.

Carlotta bemerkte ein Netz von feinen Fältchen um seine Augen. Ob ihm aufgefallen war, dass sie eine direkte Anrede vermieden hatte? Sie schaffte es einfach nicht, ihn so aus dem Stand heraus zu duzen, wie er das ganz selbstverständlich tat. Er sprach nicht weiter, weil Ambra sich zu ihnen setzte und auch Raffaele an ihrem Tisch Platz nahm. Der Maître schenkte ihnen Wein ein und stellte eine Karaffe Wasser auf den Tisch. Carlotta beobachtete alles etwas unbehaglich und fing einen nachdenklichen Blick Mantovanis auf.

Zum Glück bestritten ihre Freunde völlig unbefangen die Unterhaltung und so brachten sie ein einigermaßen gelöstes Abendessen hinter sich. Raffaele hatte viel zu erzählen und tat das auf angenehm lockere Art. Ambra hatte ihr anfangs viel von seiner Stimme vorgeschwärmt, und Carlotta musste zugeben, dass das nicht übertrieben war. Allerdings war es nicht Raffaele, der ihr mit seinen Worten gelegentliche Schauer über den Rücken jagte, sondern Mantovani. Er klang noch tiefer und nicht so samten wie Raffaele, nicht so weich und verführerisch, besaß eher eine klassische Reibeisenstimme. Seine Gestik war faszinierend, sie starrte immer wieder wie gebannt auf seine Hände. Schöne, schlanke, aber kräftige Finger. Einen Moment lang vergaß sie alle Vorsichtsmaßnahmen und stellte sich diese Finger auf nackter Haut vor. Doch sie rief sich schnell wieder zur Ordnung.

Wenn er doch nur irgendetwas gehabt hätte, das sie auf den ersten Blick hätte abstoßend finden können! Etwas, das sie enttäuschte, das ihr missfiel. Aber da war nichts. Er entsprach nicht dem Bild, das sie sich vor langer Zeit von ihm gemacht hatte – er übertraf ihre Erwartungen vielmehr bei Weitem. Damit hatte sie nicht gerechnet und es verunsicherte sie.

Aber sie würde zu allem Nein sagen und jedem Gedanken an einen Lektoratsauftrag widerstehen, egal wie verlockend er auch sein mochte. Objektiv arbeiten würde sie mit Sicherheit nicht können, ebenso wenig wie sie eine klare Trennung zwischen ihrer privaten Bewunderung und technischer Kritik an seiner Arbeit würde ziehen können. Und wenn sie eine schwache Leistung ablieferte, wie stünde dann Ambra vor Damiano da? Der Gedanke war ihr unangenehm, auch wenn es ihre Freundschaft sicher nicht gefährden würde. Aber wie würde sie selbst dastehen, wenn sie vor dem großen Autor versagen würde?

Der Küchenchef rief Raffaele zu sich und auch Ambra erhob sich mit einer fadenscheinigen Ausrede.

»Dann könnt ihr schon mal die Einzelheiten eurer Zusammenarbeit besprechen«, meinte sie gut gelaunt, ehe sie verschwand und Carlotta mit Mantovani alleinließ.

Diese Verräterin!

»Es sieht allerdings nicht so aus, als würde es eine Zusammenarbeit geben«, murmelte er mehr zu sich selbst und musterte sie nachdenklich. Carlotta fühlte sich in die Enge getrieben und hatte ein schlechtes Gewissen. Also holte sie erst einmal tief Luft.

»Ich habe mich noch nicht entschieden«, informierte sie ihn nüchtern.

Etwas vorgebeugt, auf die Ellbogen gestützt, die Hände locker um die Oberarme gelegt, saß er da und sah sie aufmerksam an. Damiano Mantovani war unbestreitbar attraktiv – nicht auf klassische Weise, er strahlte eher etwas Melancholisches aus, analysierte Carlotta und wandte ihre Aufmerksamkeit unauffällig seinen breiten Schultern zu, die von einer abgewetzten Lederjacke noch betont wurden. Der Kontrast war frappierend – in seinem Alter hätte dieses Kleidungsstück leicht deplatziert wirken können, doch das tat es nicht.

»Was brauchst du, um dich zu einer Antwort durchzuringen?«, fragte er sachlich und riss sie aus ihren Betrachtungen.

 

Damiano sah an Carlotta Manzonis Reaktion, dass sie noch immer nicht recht wusste, wie sie reagieren sollte. Sie zögerte einen Moment und atmete dann tief aus.

»Ich möchte noch ein bisschen mehr wissen«, antwortete sie, und es klang ausweichend.

Er nickte bereitwillig. Ihre Frage war durchaus verständlich, doch was würde sie wissen wollen? Würde sie auf den Grund für seinen Rückzug zu sprechen kommen?

Er war nicht sicher, ob ihm das gefallen würde. Nach wie vor sprach er ungern mit Außenstehenden über dieses schmerzhafte Thema.

»Was genau interessiert dich?«

»Möchtest du nicht mehr über deinen Verlag veröffentlichen?«

Eine legitime Frage. Und eine sehr sachliche obendrein. »Du bist also über meine frühere Arbeit im Bilde.«

»Aber natürlich.«

Das klang so, als hätte sie tatsächlich etwas von ihm gelesen. Damiano beschloss, seine Karten auf den Tisch zu legen. »Ich war enttäuscht darüber, wie verständnislos mich mein Verlag behandelt hat, während ich privat in einer sehr schwierigen Phase steckte«, erklärte er nüchtern, ohne auf die schwierige Phase näher einzugehen.

»Ambra hat es angedeutet«, merkte Carlotta leise an und signalisierte ihm damit, dass sie über die Tatsachen informiert war. »Tut mir sehr leid.«

Hörte er Mitleid oder Mitgefühl aus ihrer Stimme? Ihr ruhiger Blick verriet ihm nicht, was sie dachte. Er nahm es hin und nickte.

»Danke«, sagte er dann sehr ruhig und gefasst. »Ja, man hat mich nach dem Tod meiner Frau vor eineinhalb Jahren nicht gerade mit Verständnis behandelt. Aber auch schon in der Zeit davor, als sie krank war, lief es nicht so, wie man es sich in einer solchen Situation wünscht. Das ist jetzt alles in allem drei Jahre her.«

»So lange schon?« Sie klang ehrlich überrascht.

»Ja, so lange schon.« Er schwieg einen Moment, betrachtete konzentriert das Glas vor ihm auf dem Tisch. Dann sprach er weiter. »Wie auch immer – ich bin an einem Punkt, an dem ich versuchen möchte, andere Wege zu gehen, es vielleicht allein zu versuchen oder über einen anderen Verlag.«

»Ah.« Carlotta nickte und im selben Moment fiel ihm auf, dass sie seine Körpersprache kopierte. Sie saß nun da wie er: auf die Ellbogen gestützt, leicht vorgebeugt, die Hände um die Oberarme gefasst.

»Außerdem«, fuhr Mantovani fort und unterdrückte ein Schmunzeln, »war mein dortiger Ansprechpartner ein Mann.« Ihr fragender Blick entlockte ihm eine Erklärung. »Ich möchte dieses Mal bereits in der Entstehungsphase wissen, wie das, was ich schreibe, auf Frauen wirkt«, erklärte er mit einem fast entschuldigenden Achselzucken. »Daher suche ich eine Lektorin, die mich schon im Vorfeld begleitet.«

»Du bleibst also bei deiner bisherigen Thematik?«

Das hatte sie schön neutral ausgedrückt. Offenbar wollte sie ihm gegenüber nicht auf seine handfeste Erotik anspielen.

Er selbst hatte damit keine Probleme. »Ja, ich bleibe explizit erotisch«, bestätigte er, »aber ich möchte auch den Thrilleraspekt verstärken.«

Sie nickte zustimmend. »Das verkauft sich mit Sicherheit. Spannung verbunden mit Sex kommt gut an. Hast du noch Blogger oder andere Kontakte von früher?«

»Nein. Ich habe die letzten Jahre so abgeschieden verbracht, dass ich nicht mal wüsste, an wen ich mich jetzt wenden sollte.«

»Das sollte kein allzu großes Problem sein. Über die sozialen Medien geht das relativ schnell und unkompliziert.« Carlotta überlegte kurz. »In Sachen Netzwerken hast du länger nichts mehr unternommen, oder?«

Er grinste freudlos. »Nein. Ich brauchte Abstand und habe wohl viel versäumt in der letzten Zeit.«

Er sah ihr an, dass sie nachdachte. Ihre Überlegungen mussten sich wie verrückt im Kreise drehen, denn sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück und fixierte ihn mit grüblerischem Gesichtsausdruck.

Er, der arrivierte Bestsellerautor, fühlte sich mit einem Mal wie ein hilfloser Junge, der bunte Bauklötze zum Spielen hatte, aber nicht recht wusste, was er mit ihnen anfangen sollte. War das für eine junge, aufstrebende Frau keine Herausforderung?

»Wollen wir ein paar Schritte gehen?«, riss er sie aus ihren Überlegungen.

Sie atmete hörbar auf. »Das können wir gern.«

Von wo Ambra und Raffaele sie beobachtet hatten, war Damiano entgangen, doch als Carlotta und er sich erhoben, waren ihre Freunde urplötzlich bei ihnen.

»Ihr wollt schon los?« Ambra klang enttäuscht.

»Damiano möchte ein paar Schritte gehen«, wiederholte Carlotta seinen Vorschlag.

 

Schweigend und mit gebührendem Höflichkeitsabstand schlenderte Carlotta neben ihrem Begleiter her die Strandpromenade entlang. Der Abend war lau und es herrschte ein buntes Treiben von fröhlichen Menschen, was sie ein wenig von ihrer inneren Anspannung ablenkte, von einer geistreichen Gesprächspartnerin war sie aber noch immer weit entfernt. Mantovani sah offensichtlich auch keinen triftigen Grund, sie zu unterhalten, und so hingen sie ihren Gedanken nach. Noch war nicht allzu viel los in Porto Azzurro, die Saison würde erst in ein paar Wochen beginnen. Nach einem etwa halbstündigen Bummel standen sie vor dem Lokal, in dem Carlotta und Ambra gefeiert hatten.

»Du lächelst. Das erste Mal übrigens an diesem Abend.«

Erstaunt wandte sie sich um. »Tatsächlich?«

»Ja. Bist du immer so ernst?«

»Na ja, meistens. Und heute Abend bin ich noch dazu ein bisschen nervös«, gestand sie.

»Das brauchst du nicht«, meinte er. »Bisher haben meine Lektoren immer mich zerlegt, nicht umgekehrt!«

»Deine Lektorin bin ich ja auch nicht«, hörte sie sich selbst mit viel zu abweisender Stimme sagen.

»Und genau darüber reden wir jetzt. Komm!« Er fasste sie sanft am Ellbogen und bugsierte sie ins Lokal. Die kaum spürbare Berührung seiner Hand empfand Carlotta als geradezu elektrisierend und sie war froh, als er sie drinnen gleich wieder losließ. Sie fanden einen Platz am Ende der Theke und setzten sich.

»Warum hast du eben draußen gelächelt?«, fragte er. »Leugnen gilt nicht, ich habe es genau gesehen. Du hast das Lokal erkannt und dann gelächelt.«

»Ich leugne es ja gar nicht.«

»Also?« Er konnte offensichtlich sehr hartnäckig sein.

»Ich war letzten Herbst mal abends mit Ambra hier.«

»Das muss ein lustiger Abend gewesen sein.« Sein Blick war offen und freundlich, als er ihr Gesicht musterte, als wäre dieser Abend wie ein Kinofilm darauf zu sehen.

»War er auch. Wir waren beschwipst, ich meine: Ich war ziemlich angeheitert.«

Er schmunzelte. »Womit habt ihr euch denn so beschwipst?«

»Mit Mojitos.« Unwillkürlich musste Carlotta wieder grinsen bei der Erinnerung.

»Dann müssen jetzt auch welche her – unbedingt. Du lächelst viel zu selten.«

»Für mich nicht«, warf sie eilig ein. »Heute einen alkoholfreien Cocktail, bitte.«

Er nahm es mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis und wandte sich zum Kellner hinter dem Tresen. Carlotta war froh, dass er in diesem Moment ihre Verblüffung nicht erkennen konnte. Er wollte sie lächeln sehen? Glücklicherweise fasste sie sich wieder, noch ehe er sich zu ihr umdrehte, und begegnete seinem Blick scheinbar gelassen. Als dann endlich die Drinks vor ihnen standen, gehörte seine ganze Aufmerksamkeit wieder ihr, wie sie unbehaglich feststellen musste.

»Also, wie war das nun? Warum willst du nicht für mich arbeiten?«

»Ich habe noch nicht endgültig abgesagt«, korrigierte sie ihn penibel.

»Du hast aber auch noch nicht akzeptiert«, gab er zu bedenken. »Was lässt dich zögern? Wenn du weitere Fragen hast, immer heraus damit.«

»Ich habe noch nicht so viel Erfahrung, speziell in deinem Genre, und möchte keine Zusage geben, die ich dann vielleicht nicht halten kann.«

»Irgendwann fängt jeder mal damit an, Erfahrungen zu sammeln. Es ist schließlich noch kein Meister vom Himmel gefallen, und für deine Freundin Ambra arbeitest du schließlich auch und lektorierst ihre Romane. Ich bin der Freund ihres Freundes. Also bin ich genau genommen auch dein Freund«, argumentierte er mit einem spitzbübischen Grinsen. »Ist das kein triftiger Grund für eine Zusammenarbeit?«

Seine markanten Lachfalten vertieften sich, doch sonderbarerweise machte ihn das keineswegs älter, im Gegenteil. Dieses Lächeln ließ sein Gesicht geradezu aufleuchten.

»Für Ambra arbeite ich, obwohl sie meine Freundin ist, nicht, weil sie es ist«, klärte Carlotta ihn auf. »Freundschaftliche Beziehungen sind bei einer solchen Arbeit eher kontraproduktiv, sie könnten den sachlichen Umgang mit Kritik behindern. Das geht selten gut und man riskiert im schlimmsten Fall die Freundschaft dabei. Ich glaube außerdem, du solltest dir jemanden suchen, der deine früheren Arbeiten nicht so gut kennt wie ich und daher unvoreingenommen herangehen kann.«

Wie sehr das an den Haaren herbeigezogen klang, konnte sie selbst hören, aber eine bessere Ausrede wollte ihr gerade nicht einfallen. Mantovani stutzte und konzentrierte sich dann auf seinen Drink. Er legte den Strohhalm neben sein Glas, prostete ihr zu und nahm einen tiefen Schluck. Carlotta zog heftig an ihrem Halm, als er sie nun sehr eindringlich ansah und dabei sogar den Kopf ganz leicht zur Seite neigte.

Schließlich setzte er sein Glas wieder ab und wischte mit einer sehr bedächtigen Bewegung über die Kondenswasserperlen. »Du kennst meine Bücher wohl besser, als ich dachte?« Es klang mehr wie eine Feststellung als eine Frage.

»Ja«, sagte Carlotta nach kurzem Zögern. »Ziemlich gut.« Dummerweise klang ihre Stimme belegt. Sein Blick ging ihr durch und durch.

»Du wirst rot«, bemerkte er leise. »Waren sie denn wirklich so schlimm?«

Schlimm?

»Nein, das nicht gerade, aber … sie waren eher … also …« Plötzlich brach ihr der Schweiß aus.

»Anregend?« Seine Augen ließen sie nicht mehr los, blieben an ihren Lippen hängen, seine Stimme wurde leiser. »Hast du meine Bücher … anregend gefunden?«

Und jetzt? Sagte sie Nein, dann wäre er möglicherweise beleidigt, und es wäre auch noch schlichtweg gelogen. Sagte sie hingegen Ja, dann wusste er, dass er sie unweigerlich am Haken hatte. Sie steckte in einer Zwickmühle.

»Mit Lektorat allein ist es ja nicht getan«, wich sie aus. »Du solltest dir einen PR-Profi suchen. Du brauchst einen neuen Internetauftritt, einen Twitter-Account, ein Facebook-Profil, musst auf Instagram präsent sein, und du brauchst außerdem eine gut durchdachte Marketingstrategie.«

»Wovor hast du solche Angst?«

»Hier geht es nicht um Ängste«, widersprach sie betont ruhig. »Ich treffe meine Entscheidungen nur gern, ohne dass man mich dazu drängt.«

»Du hast recht«, lenkte er überraschend ein. »Das ist sonst nicht meine Art.«

Sie warf ihm einen schiefen Blick zu. »Warum tust du es dann bei mir?«

Er überlegte einen Moment. »Ich weiß von Ambra, dass du gut bist in deinem Job«, sprach er dann bedächtig weiter. »Und wenn du nicht nur lektorieren, sondern auch noch alles andere übernehmen möchtest, wäre mir das umso lieber. So, wie ich dich einschätze, gleichst du deine angeblich mangelnde Erfahrung mit Engagement und Enthusiasmus locker aus, das ist etwas, das man nicht unterbewerten sollte. Ich bin zwar leider seit einer Weile aus dem Geschäft, aber manche Dinge verlieren ihre Gültigkeit nie. Außerdem – ein Nein war für mich immer schon eine Herausforderung.«

Nicht nur, dass er keinen ihrer Einwände gelten ließ – er verwandte sie auch noch gegen sie.

»Hast du denn keinen Agenten?« Gerade noch erinnerte sie sich an eine weitere Möglichkeit. Trotzdem half es nichts, denn seine Antwort machte ihre kleine Ausflucht sofort zunichte.

»Auch von ihm habe ich mich getrennt. Damals war ich einfach zu enttäuscht von allem und jedem.«

Konnte und wollte sie sich tatsächlich auf Damiano Mantovani einlassen? Konnte sie trotz persönlicher Vorlieben arbeiten und Leistung bringen?

»Besteht denn nicht die geringste Chance, dass du es dir noch anders überlegst?«, fragte er mitten in ihre Zweifel hinein.

»Ich weiß nicht …«

Wie würde es ihr ergehen, wenn sie über längere Zeit hinweg persönlichen Kontakt zu ihm halten musste? Wie oft hatte sie ihn in ihr Bett gewünscht, ihn in ihr Leben hinein fantasiert, sich an seine Seite geträumt? Und nun sollte sie für ihn arbeiten? Mantovani war bis zu seinem Rückzug ins Privatleben ein Star gewesen. Vielleicht nicht mit Millionen kreischender Fans, aber mit einer enorm großen, begeisterten Fanbase. Und dieser anerkannte Schriftsteller wollte ausgerechnet sie als Lektorin? Er konnte an jedem Finger zehn Literaturstudentinnen haben, die sich um den Job reißen würden, weil er eine prominente Position im Lebenslauf darstellen würde. Er konnte gute und absolut professionelle, etablierte Lektoren haben. Und er brauchte tatsächlich dringend einen Agenten …

Sie sah, wie er den Kopf senkte und in sein Glas starrte.

»Das ist wirklich schade.« Er klang leise, bedauernd, und sah sie immer noch nicht an.

Dieses Aufgeben irritierte Carlotta fast noch mehr als sein Drängen. Dagegen konnte sie ankämpfen, das stachelte ihren Trotz an, aber diesem enttäuschten Eindruck, den er jetzt gerade vermittelte, hatte sie nichts entgegenzusetzen. Sie fühlte sich beinahe so, als hätte sie ihn bei etwas Wichtigem im Stich gelassen.

Ehe ihre Vernunft wieder das Ruder übernahm, hörte sie sich losplappern. »Nur Lektorat. Und zwar dann, wenn du komplett fertig bist, vorher nicht. Zwei Durchgänge. Du schickst mir dein Skript per Mail, ich bearbeite es und schicke es dir zurück. Für alles andere solltest du dir wirklich einen Profi suchen.«

Er sah sie an, als wäre sie gerade vom Mond gefallen. »Ich hatte mir die Zusammenarbeit persönlicher vorgestellt.«

Carlotta zwang sich zu einem coolen Schulterzucken. »Mehr kann ich nicht für dich tun. Ich bin weder für Werbung noch für Websites zuständig. Nur für den Text.«

»Ich dachte eher an ein begleitendes Lektorat und fand gerade die Tatsache, dass du nicht weit entfernt wohnst, so passend – wir könnten uns regelmäßig zu Besprechungen treffen, immerhin habe ich lange nichts geschrieben und muss mich erst wieder einarbeiten. Und natürlich müsstest du das alles nicht umsonst machen.«

Dass ein Damiano Mantovani ein Kindermädchen brauchte, weil er wieder zu schreiben anfing, konnte Carlotta sich nicht vorstellen. Sein Drängen machte sie aber aus zwei Gründen nervös: Zum einen hatte er recht damit, dass eine intensive Zusammenarbeit, durchaus effektiver und auch fruchtbarer sein konnte als die von ihr vorgeschlagene. Zum anderen wollte sie nicht den Eindruck erwecken, als ginge es ihr ausschließlich um den finanziellen Aspekt. Unbestreitbar stellte er sich eine ziemlich exklusive, zeitaufwendige Betreuung vor. Das wiederum lief ihren eigenen Vorstellungen absolut zuwider. Einen Kompromiss wäre sie eingegangen, doch sie wollte nicht so für ihn arbeiten, wie er sich das vorstellte. Wollte es gar nicht erst versuchen. Es war schon dumm genug von ihr gewesen, ihm überhaupt entgegenzukommen, aber es wäre ein unverzeihlicher Fehler, auf seine Forderungen einzugehen. Er wollte mehr? Das sollte er sich anderswo suchen.

»Vergiss es, das mache ich nicht«, erklärte sie entschieden und stand auf. »Lassen wir das. Danke für dein Angebot und den Drink, aber ich muss jetzt gehen. Ciao.«

Sie wollte die Bar verlassen, doch Mantovanis Stimme hielt sie zurück.

»Bitte, Carlotta, warte!«

Zögernd drehte sie sich wieder zu ihm um. Er hatte in einer resignierten Geste beide Hände gehoben und sah sie eindringlich an.

»Ist ja schon gut, ich habe verstanden. Ich komme mit, lass mich nur noch schnell zahlen, okay?«

Carlotta nickte und wartete, bis er die Rechnung beglichen hatte. Dann ging sie forsch voraus und verlangsamte ihre Schritte erst, als die Tür hinter ihnen zufiel. Kühle Luft umfing sie, und sie straffte die Schultern.

 

»Was soll ich sagen«, murmelte Damiano, als er zu ihr aufgeschlossen hatte. »Ich habe die Akquise wohl etwas übertrieben.« Womit er sicherlich gelinde untertrieb. Er war aufdringlich gewesen, das sah er ein.

»Wohin gehen wir jetzt?«, versuchte er noch zu retten, was möglich war. Carlotta Manzoni berührte etwas in ihm, das schon sehr lang nicht mehr lebendig gewesen war, und er hatte absolut keine Lust, sich jetzt schon von zu verabschieden.

»Wir?« Sie sah ihn mit einem Ausdruck an, als hätte er ihr wer weiß was vorgeschlagen, also antwortete er lieber nichts darauf.

»Ich gehe zurück ins Stella und verabschiede mich von Ambra. Was du vorhast, weiß ich nicht.«

»Autsch. Das war deutlich.«

»Anders verstehst du es ja offensichtlich nicht.«

»Ist ja schon gut. Ich habe es übertrieben, aber – können wir trotzdem wieder Frieden schließen?«

Misstrauisch sah sie ihn an. »Wenn du das ernst meinst und nicht mehr weiter bohrst, dann schon«, lenkte sie ein.

Er nickte erleichtert. »Gut, ich sage nichts mehr. Ist das okay?«

Carlotta nickte und ging friedlich neben ihm her, bis sie wieder an Raffaeles Lokal ankamen. Die meisten Gäste waren schon weg, und Ambra und Raffaele machten sich gerade fertig zum Gehen.

»Hey, ihr zwei.« Ambra griff nach ihrer Handtasche und sah Carlotta überrascht an. »Schon wieder da?«

Sie zog es vor, keine Antwort zu geben, und Damiano zuckte betreten mit den Schultern.

»Ich habe leider auf Granit gebissen«, gab er zu. »Carlotta ist sehr hartnäckig, und sie hat abgelehnt.«

»Im Ernst?« Ambra sah sie an, als könne sie es nicht glauben.

»Im Ernst«, bestätigte Carlotta. »Das kann nicht klappen, deshalb lasse ich es besser sein.«

»Bist du sicher?«

Sie antwortete nicht. War sie doch nicht so sehr von ihrer eigenen Aussage überzeugt, wie sie sich den Anschein geben wollte?

»Wollen wir noch etwas trinken gehen?«, fragte Raffaele, der den kurzen Wortwechsel zwischen den beiden Frauen nicht mitbekommen hatte.

»Also – ich bin dabei.« Damiano sah Carlotta mit stummer Aufforderung im Blick an.

»Ich passe.«

»Willst du wirklich nicht noch bleiben? Du kannst jederzeit bei uns übernachten, stimmt’s, Raffaele?« Ambra machte einen letzten Versuch, doch als Carlotta trotz Raffaeles zustimmenden Nickens hartnäckig blieb, gab sie nach. Die beiden kannten sich offensichtlich gut genug. »Also schön, wenn du meinst. Aber weißt du was? Komm doch einfach nächstes Wochenende wieder. Und dann stellst du dich gleich darauf ein, hier zu übernachten, okay?«

Lachend vermied Carlotta, den Vorschlag sofort abzulehnen, küsste ihre Freunde zum Abschied auf beide Wangen und streckte ihm selbst die Hand entgegen.

Er ignorierte sie. »Ich bringe dich«, sagte er knapp.

»Nicht nötig«, wiegelte sie ab.

»Wo steht dein Auto?«, fragte er, als sie aus dem Lokal auf den Bürgersteig traten. Auf keinen Fall würde er sich abwimmeln lassen.

»Hier – direkt vor der Tür.«

Er sah, dass sie sich angesichts seiner entgleisten Gesichtszüge ein Grinsen verbeißen musste, aber er begleitete sie konsequent die zehn Meter bis zu ihrer kleinen Karre.

»Bist du wirklich sicher, dass du noch fahren kannst?«

»Ich habe nur ein bisschen Wein getrunken beim Abendessen«, erinnerte sie ihn. »Alles andere war alkoholfrei.«

»Ja, das schon«, gab er zu. »Aber bist du denn nicht müde?«

»Nicht besonders. Und nachts Auto zu fahren macht mir nichts aus.«

Er war nicht wirklich überzeugt. »Aber warum hast du es so verdammt eilig?«

»Ich wollte nur auf ein Abendessen mit Ambra herkommen. Dass es um dich und deine Arbeit gehen würde, wusste ich vorher nicht. Ambra hatte es vorher nicht erwähnt. Sie wusste, ich würde sonst vielleicht gar nicht kommen.«

Betroffen starrte er sie einen Moment an, ehe er sich zu einer Antwort imstande fühlte. »Das tut mir aufrichtig leid, Carlotta. Ich wusste ja nicht, dass du mir so ablehnend gegenüberstehst. Wenn ich das geahnt hätte, dann wäre ich niemals so aufdringlich gewesen und …«

»Nein, das ist es nicht«, unterbrach sie ihn. »Ich lehne dich nicht ab.«

»Nun ja, wie auch immer.« Er machte eine unschlüssige Drehung in Richtung Straße und fuhr sich mit einer nervösen Handbewegung durchs Haar. »Entschuldige, wenn ich dir mit dem Lektorat auf die Nerven gegangen bin.«

»Kein Problem«, sagte sie heiser. »Ich kann mich schon wehren, wenn ich etwas wirklich nicht machen will.«

»Ja, gut so.« Er lachte nervös auf. Nun wurde es wirklich Zeit, sich von ihr zu verabschieden. Deutlicher konnte eine Abfuhr nicht sein.

Carlotta war wohl zu demselben Schluss gekommen, denn sie wandte sich um, schloss das Auto auf und warf ihre Handtasche auf den Beifahrersitz. Dann drehte sie sich mit einer entschlossenen Bewegung zu ihm und streckte ihm zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten die Hand zum Abschied entgegen.

»Also dann – danke für den netten Abend. Hat mich gefreut, dich kennenzulernen.«

»Gern geschehen«, antwortete er mit belegter Stimme. »Komm gut nach Hause, und vielleicht treffen wir uns ja mal wieder.« Mehr fiel ihm im Moment nicht ein.

»Ja. Vielleicht.«

Einen Moment lang sah es so aus, als wollte sie noch etwas sagen, aber sie tat es dann doch nicht. Daher ließ er ihre Hand los und trat einen Schritt zurück. Carlotta stieg ein, schloss die Tür, winkte ihm noch einmal zu und ließ den Wagen an. Dann war sie fort.

 

 

ZWEI

 

 

Den Samstagmorgen erlebte Carlotta wie in Watte gepackt. Nach einer unruhigen Nacht mit wirren Träumen zwang sie sich am frühen Vormittag endlich dazu, aufzustehen, und haderte auch während eines flüchtigen Frühstücks noch mit ihrer Entscheidung des vergangenen Abends.

Wenigstens das Lektorat hätte sie versuchen können. Aber je mehr sie darüber nachdachte, desto klarer kehrte ihre Überzeugung zurück, dass es eben doch besser gewesen war, sich nicht darauf einzulassen.

Es war richtig gewesen so.

Punkt.

Trotzdem spürte sie eine unerklärliche Unruhe. Automatisch erledigte sie die nötigsten Einkäufe und Hausarbeiten. Und dann, nachdem sie es sich den ganzen Tag verboten hatte, konnte sie nicht mehr länger widerstehen, ging zu ihrem Bücherregal und zog wahllos einen Mantovani heraus.

Neugierig las sie den Titel.

Süchtig nach dir

Sie konnte sich noch daran erinnern, als das Buch herausgekommen war. Es war wochenlang auf Top-Platzierungen in allen Bestsellerlisten gewesen, war hochgelobt und viel geschmäht worden, hatte aber niemanden kalt gelassen. Willkürlich schlug sie es an irgendeiner Stelle auf und begann zu lesen.

Es war die Szene, in der der Held seiner Angebeteten einen Lamborghini schenkte, um sie von der Aufrichtigkeit seiner Gefühle zu überzeugen. Der Protagonist war eine etwas spröde Figur, erinnerte sie sich. Ein Mann, unfähig, seine Gefühle in Worte zu fassen, der beinahe daran scheiterte, dass er seiner geliebten Partnerin die drei Zauberworte nicht sagen konnte. Daher versuchte er mit allen nur möglichen Mitteln, sie zu überzeugen, obwohl er sie des Mordes an ihrem ersten Ehemann verdächtigte.

Carlotta ließ ihre restliche Hausarbeit liegen – morgen war schließlich auch noch ein Tag – und verzog sich mit einem Glas Saft und dem Buch auf die Terrasse. Einmal mit der Lektüre angefangen, konnte sie nicht mehr aufhören.

Wieder einmal versank sie in Damianos eindringlichen Worten. Die Bilder, die er mit seiner Sprache zeichnete, erstanden so plastisch vor ihren Augen, als würde sie einen Film ansehen, der sie mehr und mehr ins Geschehen zog …

 

Er sah sie an. Der feine weiße Sand, in dem sich ihr makelloser Körper rekelte. Ihre perfekten Apfelbrüste, ihre Nippel wie Kirschen auf einem Bett aus Sahne.

Ein kühler Wind strich über seinen erhitzten Körper und ließ die Palmen leise rascheln.

»Warst du’s?«, fragte er leise.

Sie drehte sich zu ihm, ließ die Fingerspitzen über seine Brust gleiten. Winzige Sandkörner rieben über seine Haut.

»War ich was?«, schnurrte sie.

Er nahm ihre Hand, ein wenig unsanft. Sie sah ihn erstaunt an.

»Hast du Mario umgebracht?«

Mit einer geschickten Drehung schwang sie sich auf ihn, umschloss seine Mitte mit ihren glatten Schenkeln. Seine Lust erwachte aufs Neue, und er stöhnte zwischen zusammengebissenen Zähnen.

»Und wenn?«, murmelte sie an seinem Ohr. »Was würde das ändern?«

 

Carlotta ließ das Buch sinken und starrte vor sich hin. Bei der Lektüre der Ideen, mit denen der Romanheld seine Liebste überzeugen wollte, hatte sie sich unwillkürlich gefragt, wie viel wohl vom echten Damiano Mantovani in dieser Romanfigur stecken mochte. Oder wie viel überhaupt von ihm in seinen Büchern zu finden war. Müsste sie ihn kennen, wenn sie seine Bücher nur mit dem richtigen Auge lesen würde? Oder gab es nichts von ihm in den Sätzen, die er schrieb? Brachte nicht jeder Schriftsteller Teile seiner Persönlichkeit in seine Arbeit ein?

Da sie zu keinem Schluss kam, begnügte sie sich wieder damit, sich von der Geschichte unterhalten zu lassen. Als sie mit dem Buch endlich fertig war, dämmert es bereits. Sie bereitete sich einen Imbiss zu, dann setzte sie sich mit dem nächsten Buch an den Tisch und aß nebenbei. Anschließend machte sie es sich mit einem Glas Rotwein auf der Couch bequem und las weiter.

Warum eigentlich hatte sie schon so lange keinen Mantovani mehr gelesen? Sein Stil und seine Sprache waren wunderbar, die Darstellungen des Liebesaktes für einen Mann außerordentlich geschmackvoll und sensibel. Natürlich waren die expliziten Szenen inzwischen längst nicht mehr provokativ, doch immer noch anregend, und Carlotta spürte auch dieses Mal wieder das bekannte Prickeln, als sie atemlos die Beschreibung einer erotischen Verführung verfolgte. Dabei hatte sie diese Stelle bestimmt schon ein Dutzend Mal gelesen, wenn nicht öfter. Der Charme nutzte sich nicht ab, der Reiz verpuffte nicht.

Vor ihrem inneren Auge schob sich das Bild des Autors vor sein Werk. Der Protagonist trug mehr und mehr Damiano Mantovanis Züge, während die verführte Dame ihr selbst immer ähnlicher wurde. So war es ihr auch früher schon gelegentlich ergangen, nur dass sie damals natürlich kein so deutliches Bild ihres Idols vor Augen gehabt hatte wie nach der Begegnung mit ihm. Nun kannte sie seine Stimme, wusste, wie sich sein Händedruck anfühlte, wie seine Augen sie anblickten und wie er sich bewegte. Sie wusste sogar, wie er roch.

Aber noch etwas Anderes stellte sie mit einigem Befremden fest, dabei war es natürlich nur logisch: Sie las ihre Lieblingsbücher zum ersten Mal mit den Augen einer Lektorin. Vor dem Hintergrund dessen, was ihr Damiano Mantovani erst am Vorabend verraten hatte, war das ein besonders befremdliches Gefühl. Carlotta ertappte sich dabei, wie sie anfing, die knisternden Szenen zu zerpflücken, genauer unter die Lupe zu nehmen, sie nach typisch männlichen oder typisch weiblichen Formulierungen zu überprüfen. Ein kleiner, schmerzender Knoten wuchs dabei in ihrem Bauch, wenn sie sich bewusst machte, dass sie das für Mantovani künftig professionell hätte tun dürfen. Sie hätte es sein können, die als Erste seine Texte zu Gesicht bekommen, als Erste erfahren hätte, was er sich ausgedacht, wovon er vielleicht geträumt hatte.

Dann rief sie sich wieder zur Raison – ihre Absage war absolut richtig gewesen. Vielleicht hätte sie im Zuge einer Zusammenarbeit sogar mitbekommen, wie er wieder eine neue Partnerin fand und diese dann in seine weiteren Geschichten einarbeitete. Das hätte sie vielleicht nur schwer ertragen.

Irgendwann weit nach Mitternacht – sie hatte auch das zweite Buch in einem Rutsch durchgelesen – tat der Wein schließlich seine Wirkung, und ehe sie am nächsten Morgen mit Rückenschmerzen erwachte, raffte sie sich lieber auf und ging zu Bett.

 

Das anhaltende Klingeln des Telefons holte sie aus dem Tiefschlaf. Kurz blinzelte sie, kniff aber die Augen sofort wieder zu, als ein verirrter Sonnenstrahl von einem Fenster im Haus gegenüber reflektiert wurde und sie blendete. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Halb neun. Wer um alles in der Welt wollte so früh an einem Sonntagmorgen etwas von ihr?

»Hmm?« Mehr brachte sie als typischer Morgenmuffel vor dem ersten caffè nicht heraus.

»Carlotta? Bist du das?« Eine Männerstimme, die sie nicht zuordnen konnte.

»Ja, hier ist Carlotta. Wer spricht denn da?«

»Hier ist Damiano. Damiano Mantovani. Du erinnerst dich? Wir haben uns vorgestern Abend bei deinen Freunden Ambra und Raffaele kennengelernt.«

»Ja – ja, ich erinnere mich natürlich. Ich meine … so eine Überraschung …« Blitzartig saß sie kerzengerade im Bett. Ihr Herz hämmerte und ihre Handflächen fingen an zu schwitzen.

Woher hatte Damiano Mantovani ihre Nummer?

»Habe ich dich geweckt? Das tut mir leid.«

»Ach, macht nichts. Ich habe nur ziemlich lange gelesen gestern Abend.«

»Tut mir wirklich leid«, wiederholte er und klang tatsächlich zerknirscht. »Soll ich später noch mal anrufen?«

Das würde es nur unwesentlich besser machen, also wehrte sie ab. »Nein, schon gut. Was …«

Gerade noch rechtzeitig stoppte sie sich. Was willst du? war wohl nicht die feine Art. Aber was sollte sie ihn sonst fragen? Was kann ich für dich tun? Das hatte er ihr vorgestern schon gesagt und es klang außerdem zu geschäftsmäßig.

»Was gibt es denn?« Zum Glück war ihr das noch eingefallen.

»Also, ich habe vor, heute einen kleinen Ausflug in die Hügel der Romagna zu machen, und Ambra deutete an, dass du gar nicht weit von da wohnst, wo ich hinfahren möchte.«

Hatte er so einen Satz jemals in einem seiner Bücher geschrieben? Jeder Lektor hätte ihn dafür in der Luft zerrissen. Ein Schmunzeln zupfte an Carlottas Mundwinkeln. Die Nummer hatte er von Ambra, dieses Rätsel wäre demnach gelöst. Blieb noch die Frage: Was hatte sein geplanter Ausflug mit ihr zu tun?

»Wohin fährst du denn?«

»Nach Brisighella. Du wohnst doch da in der Nähe, oder?«

In der Nähe von Brisighella war eine leichte Untertreibung – sie wohnte am Hang genau vor dem Ortsschild.

»Ja, das stimmt«, antwortete sie vorsichtig.

»Nun, ich dachte, wenn du Lust haben solltest, könnten wir uns ja vielleicht treffen und gemeinsam zu Mittag essen. Was meinst du?«

Damiano Mantovani wollte mit ihr essen? Nach der Abfuhr von vorgestern Abend? Das war erstaunlich.

»Okay«, meinte sie dann bemüht lässig. »Das geht. Bis zum Mittagessen dürfte ich vorzeigbar sein.«

Er lachte leise ins Telefon. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du so lange brauchen wirst, um vorzeigbar zu sein. Wann treffen wir uns?«

»Sagen wir halb zwölf?«

»Gut. Dann haben wir noch locker Zeit für einen Aperitif. Ich reserviere uns einen Tisch. Ist dir das recht?«

»Klar. Wunderbar.« Mein Gott – war sie eigentlich immer so geistlos, wenn sie mit berühmten Autoren telefonierte? »An dem kleinen Park im Zentrum, mit dem Kriegerdenkmal in der Mitte, da ist eine Bar, das Angolino d’Oro – dort warte ich auf dich, okay?«

»Okay. Dann sehen wir uns um halb zwölf dort.«

»Ja, fein, um halb zwölf also«, wiederholte sie lahm.

»Bis dann, ich freue mich.«

Noch ehe sie sich von staunendem Erschrecken erholen und ihm antworten konnte, hatte er auch schon aufgelegt. Carlotta starrte mit hochgezogenen Augenbrauen das Telefon an. Schließlich mahnte sie sich dazu, die Stirn wieder zu entspannen, und sprang endlich aus dem Bett. Die Zeit drängte, sie hatte viel vor bis kurz nach elf.

 

Damiano war zu früh. Während er wartete, haderte er mit sich und seiner Hartnäckigkeit. Was ihn antrieb, verstand er selbst nicht genau, doch abgesehen von der Tatsache, dass Carlotta für ihn mehr erotische Ausstrahlung besaß als die meisten Frauen, denen er in den letzten Jahren begegnet war, hatte sie noch etwas an sich, das ihn reizte. Ihre unterkühlte Art, ihre Ablehnung forderten vermutlich seinen Ehrgeiz heraus. Anders konnte er sich die Anziehung, die sie auf ihn ausübte, nicht erklären, zumal sie mit ihren dunklen Haaren und Augen gar nicht in sein eigentliches Beuteschema passte.

Und doch hatte er sich in der letzten Nacht auf eine Weise nach ihr gesehnt, die ihm beinahe den Atem geraubt und feuchte Träume beschert hatte. Mit einem solchen Begehren hatte er nicht gerechnet und es erschreckte ihn selbst.

Immer wieder sah er nervös auf die Uhr. Würde Carlotta überhaupt kommen? Zwar hatte sie zugesagt, aber das musste nicht heißen, dass sie die Verabredung tatsächlich einhalten würde.

Insgeheim schloss er mit sich eine Wette ab.

Wenn Carlotta ihn tatsächlich versetzen würde, dann würde er sie sich aus dem Kopf schlagen. Käme sie aber, sah die Sache völlig anders aus und er würde versuchen …

»Ciao Damiano, entschuldige die Verspätung. Wartest du schon lange?«

Ihre Stimme riss ihn aus seinen Träumereien. Da hatte er nur einen Augenblick nicht aufgepasst, und schon stand sie vor ihm wie aus dem Boden gewachsen.

»Nein«, schwindelte er und ärgerte sich über seine raue Stimme. »Ich bin auch gerade erst angekommen. Ciao, Carlotta.«

Sehr förmlich schüttelte sie ihm die Hand. Aber immerhin – sie war tatsächlich da.

»Setz dich doch. Was trinkst du?«

»Prosecco.«

Damiano bestellte Prosecco für sie beide, und als sie saßen, musterte er sie mit seitlich geneigtem Kopf. »Du bist durchaus vorzeigbar«, nahm er den Faden ihres Telefonats noch mal auf, da ihm nichts anderes einfiel, um das Eis zwischen ihnen zum Schmelzen zu bringen. »Schön, dass du es einrichten konntest, dich mit mir zu treffen.«

»Oh, aber gern. Dein Anruf hat mich nur ziemlich überrascht.«

»Wirklich?« Natürlich hatte er das. Es hatte ihn ja auch selbst überrascht, dass er nicht in der Lage gewesen war, ihre Abfuhr als solche zu akzeptieren. Trotzdem bohrte er weiter. »Warum das?«

»Na ja.« Sie sah verlegen zur Seite und beobachte ein junges Pärchen mit Kinderwagen, das Kurs auf den Park gegenüber dem Lokal nahm. »Ich dachte eigentlich, du würdest nach meiner Absage nichts mehr mit mir zu tun haben wollen.«

»Dann wäre ich aber ein sehr schlechter Verlierer, meinst du nicht?«

»Ich weiß nicht – wie ein Verlierer siehst du ja nicht gerade aus.« Die Prosecco-Kelche kamen, sie prosteten einander zu und tranken. »Was verschlägt dich hierher?«

Er zuckte lächelnd mit den Schultern. »Nichts Bestimmtes. Ich wollte einfach nur raus, weißt du? So viel flacher Meeresspiegel verlangt manchmal nach einer hügeligen Abwechslung.« Diese krasse Lüge würde sie ihm sicher nicht abnehmen. Es war doch sonnenklar, dass er nur ihretwegen hier war.

»Kann ich mir vorstellen«, antwortete sie höflich, ohne durchscheinen zu lassen, ob sie ihm Glauben schenkte oder nicht. »Ich hingegen sehne mich ab und an nach mehr Weite im Blick.«

»Dann kannst du ja jederzeit Ambra und das Meer besuchen, nicht wahr?«

»Ja, gelegentlich tue ich das auch. In letzter Zeit allerdings nicht mehr so oft. Ich habe viel zu tun.«

Er nickte. »Deine Arbeit.«

»Genau.«

Sie tranken Prosecco, plauderten und umkreisten einander vorsichtig. Damiano war darauf bedacht, nicht über seine Bücher zu sprechen, und sie wollte das Thema offensichtlich auch nicht auf den Tisch bringen. Beide ließen nichts Persönliches verlauten. Damiano erzählte von einem Ausflug, den er im vergangenen Jahr unternommen hatte – viel kam er in der letzten Zeit ja auch nicht herum.

»Wohin gehen wir zum Essen?«, fragte Carlotta schließlich mit einem raschen Blick auf die Uhr.

»Ich habe im ›La Cava‹ reserviert. Angeblich isst man da sehr gut. Kennst du es?«

»Ja, aber ich bin sehr selten dort.«

»Also weißt du, wo es ist«, stellte er zufrieden fest und stand auf. »Dann muss ich nicht lange suchen.«

»Nein, musst du nicht«, bestätigte sie ihm. »Warst du eigentlich schon mal hier?«

»Ja, einmal, aber das ist lange her. Dabei ist es wirklich schön hier«, lobte er und sah sich um, während er ihr die Straße entlang durch das Ortszentrum folgte. »Hier müsste es irgendwo sein. Ah, da – der Eingang mit den beiden Olivenbäumen daneben.«

Carlotta, die auf eine einladend geöffnete, weiße Holztür zusteuerte, stutzte. »Ich dachte, du warst hier noch nie?«

»War ich auch nicht.« Er blickte neugierig an der Fassade des Hauses hoch. »Aber als ich anrief, um den Tisch zu reservieren, beschrieb man mir so den Eingang.«

Der Besitzer empfing sie an der gläsernen Tür des Windfangs. Im hinteren Teil des Lokals war ein schöner Zweiertisch für sie gedeckt. Der gesamte Raum mit Ausnahme des Eingangsbereichs war aus dem massiven Fels geschlagen, der über dem Ort aufragte und auf dessen Spitze der Uhrturm thronte. Weiter hinten am Ende des Gastraums öffnete sich eine natürliche Kaverne, die bis weit nach oben in den blanken Felsen führte. Die Höhle war eindrucksvoll ausgeleuchtet.

Damiano nickte anerkennend. »Wenn man nur halb so gut isst, wie man sitzt, dann war das hier ein guter Tipp.«

Zugleich mit den Speisekarten brachte man ihnen zwei Aperitifs, dann herrschte für einen Moment Stille, während sie das Angebot begutachteten. Es gab Hausmannskost nach Art der Romagna, auf das Edelste verfeinert, was bedeutete, dass gebratenes oder geschmortes Fleisch, breite Bandnudeln und gefüllte Teigtaschen nicht fehlen durften. Ebenso wenig die unvermeidliche Polenta und Piadine, das typische Fladenbrot.

»Was hältst du vom Menu del Territorio?«, fragte er unschlüssig.

Carlotta blätterte zurück. »Ist das nicht ein bisschen viel?«

»Ach, das schaffst du schon. Du musst ja auch nicht alles aufessen«, ermutigte Damiano sie.

Es brauchte nicht viel, Carlotta zu überreden. Das gefiel ihm. Eine Frau, die gutes Essen genießen konnte, versprach auch in anderen Dingen ein Genussmensch zu sein.

Sie begannen mit einer kleinen Aufschnittplatte, dann ging es weiter mit zweierlei Nudelgerichten, setzte sich fort mit Kalbsbäckchen und Lammkoteletts und endete bei Schokoladenmousse. Sie plauderten währenddessen unentwegt. Damiano fand es erstaunlich, wie viel zwei Menschen reden konnten, die sich gerade erst kennengelernt hatten.

Sie erwies sich als kultiviert, gebildet und sehr belesen, da hatten sie einen gemeinsamen Nenner gefunden: ihre Liebe zu Büchern. Sie tauschten sich aus über alte und neue Bestseller, ihre Vorlieben und Abneigungen in der Literatur, gaben jeweils ihre Meinung zu den üblichen Klassikern zum Besten und verrissen schamlos die verschiedenen Verfilmungen erstklassiger und weniger guter Bücher. Ein Satz ergab den anderen, ein Thema zog das nächste nach sich. Die Atmosphäre war entspannt, sie lachten viel. Um sie herum füllte sich das Lokal, und langsam leerte es sich auch wieder. Dass nur noch sie vor ihren Gläsern und Kaffeetassen saßen, fiel ihnen erst auf, als der Wirt mit einem freundlichen Lächeln nach weiteren Wünschen fragte. Da wachten sie auf und bezahlten – nicht ohne Damianos Zusicherung, bald wiederzukommen.

Das war natürlich nur eine Floskel gewesen, hatte nichts zu bedeuten, aber es ließ für einen Moment den Wunsch in ihm aufflackern, dass es tatsächlich wahr sein möge. Schon sehr lange hatte er sich nicht mehr so gut unterhalten. Im Gegensatz zu ihrer ersten Begegnung empfand er die Stimmung als locker und ungezwungen. Natürlich verbot er es sich, weiter in sie zu dringen, daher schien auch Carlotta sich zunehmend zu entspannen. Auf dem Rückweg zu seinem Auto überlegte er fieberhaft, wie er die Abfahrt hinauszögern konnte. Dann hatte er die zündende Idee.

»Lust auf eine kleine Kletterpartie?«, fragte er und deutete mit dem Kopf in Richtung Uhrturm.

»Mit dem vollen Bauch?«, gab sie scheinbar entsetzt zurück, doch ihr Grinsen sah danach aus, dass sie vermutlich nachgeben würde.

»Wir gehen es langsam an, okay?«

»Okay.«

»Hast du die Stufen eigentlich schon mal gezählt?«, wollte er wissen, während sie eine schmale, schattige Passage durchquerten, die an der Eselsstraße vorbeiführte und sich als Pfad weiter zum Uhrturm hinaufschlängelte.

»Nein, noch nie.«

»Aber du bist sicher schon öfter da oben gewesen, oder?«

»Stimmt, ich gehe immer wieder mal hinauf.«

Je weiter sie nach oben kamen, desto stiller und langsamer wurden sie. Es war sehr warm, und langsam kam er außer Atem. Wie mochte es Carlotta ergehen?

Er hielt inne und drehte sich um, doch sie hatte noch nicht zu ihm aufgeschlossen. Er hatte wohl ein zu hohes Tempo angeschlagen.

»Kannst du noch oder sollen wir eine Pause machen?«

»Es geht schon«, wehrte sie ab und grinste sichtlich verlegen zu ihm hoch, doch ihr schwerer Atem strafte die lässige Antwort Lügen. »Nur diskutieren wäre jetzt etwas schwierig.«

Er lachte. »Müssen wir ja auch nicht.«

Als er sich umdrehte, um weiterzugehen, griff er nach ihrer Hand und zog sie mit sich. Carlotta ließ es zu. Damiano vermied es, sich umzusehen, um ihre Miene zu studieren, doch es fühlte sich verdammt gut an, ihre warmen, trockenen Finger zwischen den seinen zu spüren, und ein Anflug von Sehnsucht ließ ihn für einen kurzen Moment aus dem Tritt geraten. Leider kam ihnen schon nach ein paar Schritten jemand entgegen, und der Weg bot nicht mehr genug Platz, um nebeneinander zu gehen. Mit Bedauern ließ er es zu, dass sie ihre Finger aus seinem sanften Griff befreite.

 

Je näher sie der Hügelspitze mit dem malerischen Uhrtürmchen kamen, desto schmaler und steiler wurde der Pfad. Carlotta war froh darüber, denn das Risiko, dass Mantovani sie erneut berühren könnte, verringerte sich auf natürliche Weise, und sie ließ sich absichtlich etwas zurückfallen. Die Treppenstufen hatten eine unangenehme Tiefe, waren zu lang für einen einzigen Schritt, das zwang sie zu einem ihr fremden Gehrhythmus. Damiano mit seinen langen Beinen schien das nichts auszumachen.

Mit gesenktem Kopf trottete sie weiter und prallte unvermittelt gegen ihn.

»Tut mir leid«, sagte er. »Der Ausblick hat mich abgelenkt.«

»Entschuldige.« Ihr hastiger Schritt rückwärts kam zu spät, sie hatte ihn bereits gespürt und einen Hauch seines herben, maskulinen Aftershaves eingeatmet. Verdammt, sein Duft gefiel ihr.

Er selbst hatte von ihrer kurzzeitigen Verwirrung offensichtlich nichts bemerkt, sondern genoss in Ruhe die Aussicht. Fast waren sie an dem kleinen Turm angekommen, der malerisch mit seinen großen Zifferblättern an allen vier Seiten auf der Hügelspitze thronte. Vor der letzten Biegung stand eine hölzerne Bank, hier ließ Carlotta sich aufatmend fallen. Kurz darauf gesellte sich Mantovani zu ihr und setzte sich neben sie. Der Moment der Nähe, den sie vorhin verspürt hatte, war vorüber, und sie konnte ihm unbefangen entgegensehen. Auch er atmete nun etwas schneller, aber er war bester Laune.

»Es war wirklich eine gute Idee, diesen kleinen Ausflug zu unternehmen«, meinte er und nickte zur Bekräftigung seiner Aussage.

»Das finde ich auch«, gestand sie.

Er wandte sich zu ihr und schenkte ihr ein offenes Lächeln. »Ja, wirklich schön, dass du Zeit hattest. Wie lange lebst du eigentlich schon hier?«

Das war die erste persönliche Frage, seit sie sich kannten. Und trotzdem fühlte sie sich eher unpersönlich an, was Carlotta aufatmen ließ.

»Seit ungefähr fünfzehn Jahren. Das kleine Häuschen, in dem ich wohne, hat mir meine Großmutter vererbt.«

»Sie lebt also nicht mehr – wie schade für dich.«

Eine Gruppe Spaziergänger, die direkt vor ihnen vorbeiging, ließ sie mit einer Antwort warten. Dann, als die plappernde und plaudernde Horde vorübergezogen und in dem kleinen Gebäude schräg oberhalb von ihnen verschwunden war, zog sie es vor, erst gar nicht mehr auf ihre Großmutter zurückzukommen.

»Willst du den Uhrturm auch von innen sehen?«, fragte sie und machte damit bewusst einen Schnitt unter private Themen.

Damiano sah sich unschlüssig um. »Gibt’s da drin was Besonderes zu bestaunen?«

»Weiße Wände, Plakate, Poster, Informationstafeln. Weitere Sehenswürdigkeiten in der Emilia Romagna und in anderen Teilen des Mittelmeers«, zählte sie das auf, woran sie sich erinnerte.

»Keine Fresken? Alte Möbel oder so was?«

»Nichts. Das hier ist eine Rekonstruktion aus dem achtzehnten Jahrhundert und die Innenausstattung ist leider etwas nüchtern ausgefallen.«

»Dann will ich ihn auch nicht von innen sehen«, entschied er.

Ohne sich abzusprechen, standen sie gleichzeitig auf und machten sich auf den Rückweg.

»Wollen wir irgendwo noch etwas trinken?«

Carlotta warf ihm einen schnellen Seitenblick zu. Einerseits war die Aussicht, noch mehr Zeit mit Damiano Mantovani zu verbringen, wirklich sehr verlockend. Aber andererseits wurde es für sie allmählich Zeit, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr außerdem, dass es schon später Nachmittag war.

»Nein«, lehnte sie daher freundlich, aber bestimmt ab. »Ich habe noch viel zu tun heute Abend.«

»Gut.« Wieder nahm er ihr Nein auf, ohne mit der Wimper zu zucken.

Zu Carlottas Erleichterung hatte er im Gegensatz zu ihrem ersten Gespräch am vergangenen Freitag aufgehört, sie zu drängen. Mit Sicherheit hatte er Besseres zu tun, als einer einsamen Lektorin nachzulaufen. Was ein kleines Teufelchen in ihrem Hinterkopf unweigerlich zu der Frage verleitete, aus welchem Grund er sie heute eigentlich angerufen hatte. Aber sie brachte dieses hinterlistige Geschöpf mit Gewalt zum Schweigen.

Der Rückweg gestaltete sich weitaus schneller als der Aufstieg und bald hatten sie wieder die Eselsstraße und die Passage erreicht, die ins Ortszentrum führte. Etwas unschlüssig kehrten sie an ihren ursprünglichen Treffpunkt zurück.

»Wo steht dein Auto?« Heute war es an Carlotta, diese Frage zu stellen. Der Gedanke, dass er in wenigen Minuten fort sein würde, erfüllte sie mit Melancholie. Wer konnte schon wissen, ob sie ihn wiedersehen würde.

»Am Rand des kleinen Parks, wo wir uns getroffen haben«, gab er Auskunft. »Wir sind also gleich da.«

Als sie die schmale Straße hinuntergingen, fiel sein Blick auf den Eingang zu einem kleinen Laden, der auch sonntags geöffnet war. Neben den typischen Gebäck- und Brotsorten der Gegend verkaufte man dort auch eine reichliche Auswahl an hausgemachter Pasta.

»Ich liebe hausgemachte Tortellini und Tagliatelle«, verkündete Mantovani. »Komm, so viel Zeit muss sein.«

Über seine Begeisterung lächelnd folgte sie ihm in den Laden, wo er für eine ganze Armee einkaufte.

»Gibst du demnächst eine Pastaparty?«, scherzte sie. »Oder wer soll das alles essen?«

Er warf ihr einen schnellen Blick zu, den sie nicht deuten konnte, und stockte weiter seine Vorräte auf. »Das kann man alles einfrieren. Schließlich kann ich ja kaum verlangen, dass du mir jede Woche eine Ration frischer Cappelletti vorbeibringst, oder?«

Carlotta biss die Zähne aufeinander und schwieg. So wenig sie nur seine Lektorin sein wollte, so wenig wollte sie seine Pastafee sein. Natürlich hatte er das als Spaß gemeint, aber für einen Moment ging ihre Fantasie mit ihr durch. Das fehlte ihr gerade noch, dass sie ihm jeden Samstag oder Sonntag mit schmachtendem Blick seine Pasta an der Haustür ablieferte und zusah, wie eine andere Frau in seiner Küche stand, um sie zuzubereiten.

Und sie dann vielleicht auch noch großzügig zum Essen einlud – aus reinem Mitleid.

Als er bezahlte und seine Tüten an sich nahm, wandte sie ihre geballte Aufmerksamkeit von den Kühlvitrinen samt den darin enthaltenen Köstlichkeiten ab, nickte der freundlich lächelnden Matrone hinter ihrem Tresen zu und folgte Mantovani nach draußen. Sie gingen nebeneinander her zu seinem Auto, wie zwei Menschen, die irgendwie zusammengehörten. Und doch würden sich ihre Wege in ein paar Minuten unwiderruflich trennen.

Schweigend bogen sie um die Ecke, er fischte einen Schlüssel aus der Hosentasche und ein weißer Audi Avant mit Allradgetriebe blinkte zwischen den parkenden Autos. Das schicke Auto passte zu ihm. Er öffnete die rückwärtige Tür und verstaute seine Einkäufe auf dem Rücksitz, dann drehte er sich zu Carlotta um.

»Jetzt kommt die Stelle, wo der Held nach dem Auto der Dame fragt, um sie dorthin zu begleiten«, sagte er mit einem schmalen Lächeln.

»Die Dame ist zu Fuß gekommen.«

Er stutzte. »Tatsächlich? Soll ich dich nach Hause fahren?«

Entschieden schüttelte Carlotta den Kopf. Nur jetzt nicht mit ihm auf engem Raum zusammensitzen. »Nein, wirklich nicht. Ich habe festgestellt, dass mir ein bisschen mehr Bewegung guttun würde, also laufe ich. Besonders nach diesem Essen heute Mittag.«

»Ach was«, wehrte er ab, »das ist doch schon längst verdaut.«

»Glaubst du.« Solange sie auf der scherzhaften Ebene blieben, war alles gut. »Also dann – danke sehr für den schönen Tag.«

Er schüttelte ihre Hand ein wenig zu lang. »Mach es gut.«

»Ja, du auch.«

Sie trat zurück, damit er einsteigen konnte, und wartete, bis er den Wagen angelassen und aus der Parklücke rangiert hatte. Als er langsam losfuhr, winkte sie ihm noch einmal fröhlich zu und ging in die entgegengesetzte Richtung. Sie gab sich viel Mühe, sich nicht mehr umzudrehen.

Auf halber Strecke erreicht sie die SMS von einem unbekannten Teilnehmer. Ein grinsender Smiley starrte sie an. Einen Moment lang war sie ratlos, doch dann dämmerte ihr etwas und sie sah in ihrer Anrufliste nach. Tatsächlich – die unbekannte Nummer war die, mit der Damiano Mantovani sie an diesem Morgen angerufen hatte. In ihrem hektischen Aktionismus hatte sie nicht daran gedacht, die Nummer abzuspeichern und ihr seinen Namen zuzuordnen. Das würde sie zu Hause nachholen. Oder besser nicht?

Was sollte sie schon mit seiner Nummer anfangen?

 

 

DREI

 

 

Etwas später an diesem Abend rief Ambra an.

»Das war Telepathie«, begrüßte Carlotta sie. »Ich wollte mich auch noch bei dir melden.«

»Und? Wie war’s mit Damiano?«, war das Erste, was Ambra wissen wollte.

»Warum hast du ihm einfach meine Nummer gegeben, ohne mich zu fragen?«, erkundigte Carlotta sich.

»Hättest du denn Nein gesagt?«

»Kann sein.«

»Ach, du alte Schwindlerin. Hättest du nie im Leben, also hab dich jetzt bloß nicht so.« Ambra lachte unbeschwert ins Telefon. »Damiano hat mich sehr höflich danach gefragt, und da ihr euch ja bereits persönlich kennt, habe ich sie ihm eben gegeben. Also noch mal: Wie war’s?«

»Nett.«

»Nett?«

»Ja, nett. Wie soll es schon gewesen sein? Wir waren Mittagessen, danach sind wir zum Uhrturm hochgestiegen und haben ein bisschen geplaudert. Was soll sonst gewesen sein?«

Einen Moment herrschte Stille in der Leitung. »Ja, eben, was soll schon gewesen sein«, erwiderte Ambra dann ziemlich sarkastisch. »Mensch, Carlotta – raffst du eigentlich überhaupt nichts?«

»Wovon sprichst du?«

»Mach die Augen auf – er mag dich!«

»Was?«, brachte sie schließlich heiser heraus.

»Da bin ich ganz sicher. Wie hat er sich dir gegenüber denn verhalten?«

»Normal, denke ich.« Mehr fiel ihr dazu nicht ein. Aber sie war schließlich auch keine Schriftstellerin, sondern zerlegte nur die Texte anderer. Und jetzt gerade war ihr danach, Ambra, die so leichtsinnige Behauptungen machte, in ihre Einzelteile zu zerlegen. »Ach nein – da irrst du dich gewaltig. Er war sachlich, freundlich und zurückhaltend, mehr nicht. Ich hätte genauso gut auch ein Mann sein können, der zufällig in der Nähe wohnt.«

»Na – wenn du unbedingt meinst …« Ambra schien von den Ausführungen nicht überzeugt zu sein, aber sie steckte überraschend schnell zurück und beharrte nicht auf ihrer Meinung, sondern plauderte über belanglose Themen.

»Und vergiss nicht, nächstes Wochenende wieder nach Porto Azzurro zu kommen«, mahnte sie zum Abschluss. »Du hast es versprochen.«

»Ich soll das versprochen haben?«, forschte Carlotta ungläubig nach.

»Hast du, ganz sicher. Damiano hat es auch gehört.«

Schon wieder Damiano.

»Sag mal – bist du sicher, dass die Sache mit Damiano Mantovani nicht eher etwas mit dir zu tun hat als mit mir?«, fragte Carlotta ungehalten und erntete ein erheitertes Kichern.

»Schon gut, lassen wir das«, wiegelte Ambra ab. »War ja nur mein Eindruck. Kommst du nun oder kommst du nicht?«

Carlotta überlegte kurz. Es sprach nichts dagegen, sich einen netten Abend zu machen und danach den Tag am Meer zu genießen. »Also gut, ich komme. Freitagabend bin ich da, okay?«

»Willst du eigentlich immer noch nicht bei uns übernachten oder hast du deine Prinzipien inzwischen geändert?«

»Nein, die habe ich nicht geändert.«

»Dann reserviere ich dir ein Zimmer.«

»Wäre nett von dir, ja.«

»Wie sonst auch immer?«

Was bedeutete, dass sie in der kleinen Frühstückspension buchen würde, in der Ambra übernachtet hatte, als sie zum ersten Mal nach Porto Azzurro gekommen war und Raffaele kennengelernt hatte.

Den restlichen Sonntagabend verbrachte Carlotta so, wie sie ihn wohl auch vor zehn Jahren verbracht haben mochte – mit Damiano Mantovanis Büchern um sich herum. Sie stöberte mal hier und schaute mal da hinein, erfreute sich immer wieder an besonders gelungenen Wortkombinationen oder formulierte andere um. Dass sie es abgelehnt hatte, das professionell zu tun – daran dachte sie lieber erst gar nicht. Sie hatte die richtige Entscheidung getroffen.

Das leichte, andauernde Grummeln in ihrer Magengegend konnte sie aber trotzdem nicht vollständig zum Schweigen bringen.

 

Am nächsten Morgen saß Carlotta um halb neun am PC und begann zu arbeiten.

Oder versuchte es zumindest.

Sie war geistesabwesend und brachte nichts zuwege, bis sie gegen halb elf aufgab und sich eingestand, dass sie sich nicht konzentrieren konnte. Die Worte verschwammen vor ihren Augen, formten andere Sätze als die, die da tatsächlich standen. Ihre Gedanken schweiften ab, sie fühlte sich unruhig und unbehaglich. In ihrem Magen kribbelte es nach wie vor, als hätte sie etwas Wichtiges versäumt. Da sorgfältiges Arbeiten an diesem Morgen ohnehin illusorisch war, tat sie, was sie mindestens einmal pro Woche tat: Sie ging Claudio besuchen, um zu frühstücken.

Er erwartete sie schon. Und das auch noch mit finsterem Blick.

Innerlich verdrehte Carlotta ungehalten die Augen, nach außen ließ sie sich nichts anmerken. Sie verdankte Claudio viel, also verfügte er bei ihr über ein sehr großes Guthaben an Geduld.

»Du kommst spät heute«, war das Erste, was er ihr entgegen brummelte, als sie sich zu ihm an den Tresen stellte.

»Dir auch einen guten Morgen.« Sie lächelte ihn entwaffnend an.

»Ja, ’n Morgen«, warf er ihr über die Kasse hinweg zu, ehe er sich zur Kaffeemaschine umwandte.

»Wird das meiner?« Sie nickte zur Cappuccinotasse, die er in der Hand hielt, und griff sich ein Hörnchen.

»Wessen denn sonst – siehst du außer dir noch jemanden, der um diese Zeit frühstückt?«

»Ich sitze schon seit drei Stunden an meinem Computer und arbeite«, prahlte Carlotta ein bisschen übertrieben. »Kein Wunder, dass mich jetzt der Hunger aus dem Haus treibt.«

Aus Protest, weil er heute besonders launisch war, nahm sie ihr Hörnchen und die Tasse und verzog sich an einen kleinen Tisch in der hintersten Ecke des Raums. Das halbe Frühstück schaffte sie ungestört, dann kam Cristina, Claudios Angestellte, aus der Küche nach vorn und übernahm Claudios Platz, der die Theke verließ.

Leider. Denn natürlich kam er schnurstracks zu Carlotta und setzte sich mit vorwurfsvollem Blick an ihren Tisch.

»Was?«, fragte sie ratlos, als er sie einfach ansah, ohne etwas zu sagen.

»Wer war er?«

»Wer war wer?« Carlotta tat unwissend, obwohl sie langsam ahnte, welche Laus ihm über die Leber gelaufen war.

»Du warst mit jemandem essen gestern.«

Carlotta stellte die Tasse ab und bereute es einen Moment lang, nicht zu Hause gefrühstückt zu haben. Andererseits – in so einem Fall war aufgeschoben nicht aufgehoben. Besser, sie brachten das schnell hinter sich. Die Welt war ein Dorf – und eine Kleinstadt war das erst recht. Natürlich war sie gestern mit Mantovani gesehen worden, nicht nur von zahlreichen Touristen, sondern auch von Einheimischen. Man kannte sich und es wurde getratscht. Hätte sie sich eigentlich denken können, sie lebte lange genug hier.

Ihr Ärger darüber verflog so schnell, wie er aufgeflammt war.

»Ein potenzieller Lektorats-Kunde.«

»Heißt das jetzt so?«

Carlotta atmete tief durch. »Claudio«, begann sie sanft, »das heißt wirklich so. Er ist Schriftsteller und sucht einen Lektor. Du erinnerst dich doch noch daran, womit ich meine Brötchen verdiene, seit du den Laden hier gekauft hast, oder?«

Claudio nickte widerstrebend. »Ja, ich erinnere mich. Und du weißt, was ich davon halte – nach wie vor.«

Ja, das wusste sie. Er hätte sie gern mit übernommen, damals, als er ihr die Konditorei abgekauft hattee. Und beinahe wäre es ihm auch gelungen, aber … Claudio war einfach nicht ihr Typ. Zu brav, zu ruhig, zu – normal eben.

»Warum kommst du nicht einfach wieder zurück?«, fragte er jetzt aus heiterem Himmel. »Du hast deinen Job super gemacht, die Leute mögen dich, obwohl du eine Kratzbürste bist, und ich …«

Carlotta unterbrach ihn hastig, ehe er etwas sagen konnte, das er dann vielleicht bereuen würde. »Ich mag meine Arbeit, Claudio. Und langsam bekomme ich Erfahrung und ein Gespür für die richtigen Kunden.«

»Wirst du für ihn arbeiten?«

Claudios Tonfall sagte ihr, dass er gern ein klares Nein von ihr gehört hätte.

»Warum nicht? Sein Geld ist so gut wie das von allen anderen auch.«

»Das war er, nicht wahr? Der, auf den du schon die ganze Zeit stehst.« Nun klang er vorwurfsvoll.

»Was?«

Noch ehe Carlotta weiter ausholen oder gar widersprechen konnte, stand er mit einer entschuldigenden Geste auf, da ein Lieferant am Tresen auf seine Unterschrift wartete.

Mit rasendem Puls sah sie ihm nach. Woher wusste er das? Nicht, dass sie ihm Rechenschaft ablegen musste, aber Claudio war einer ihrer wenigen wirklich guten Freunde, und sie wollte ihn nicht verletzen. Wenn es auch ziemlich anstrengend war, ihn ständig auf Distanz zu halten, weil er nach all diesen Jahren immer noch auf seine Chance wartete und hoffte, dass sie ihre Meinung doch ändern würde. Und vielleicht war sie ja eines Tages tatsächlich so desillusioniert und zermürbt, dass sie seinem Werben nachgab.

Carlotta musterte ihn aus der Ferne. Mit seinen verstrubbelten blonden Haaren und den dunklen Augen war Claudio auf eine unaufdringliche Art attraktiv. Zwar war er kaum größer als sie selbst und von der Statur her beinahe hager – und das als Patissier –, dafür war er eher zuverlässig und beständig als aufregend und atemberaubend. Und was Carlotta auch sagte oder tat, Claudio stand zu ihr. Könnte ihr das genügen?

In der Vergangenheit hatte es einen schwachen Moment gegeben, aber … es fehlte das Kribbeln, da waren keine Schmetterlinge, kein Herzrasen – war es so verkehrt, sich das zu wünschen? Bis letzten Freitag hätte es vielleicht sogar passieren können, dass Carlotta sich mit weniger begnügte. Aber das zufällige Treffen mit Damiano Mantovani hatte ihr wieder bewusst gemacht, dass sie mehr wollte als das hier, und ihre Schwärmerei für ihn noch einmal heftig befeuert. Natürlich rechnete sie sich keine Chancen aus, einerlei, was Ambra sagen mochte. Trotzdem war neben Mantovani schon immer jeder andere verblasst.

Claudio hatte die Lieferscheine unterschrieben und kehrte wieder an Carlottas Tisch zurück. »Und? Was ist nun – wirst du für ihn arbeiten? Stimmt doch, dass er das ist, oder?«

Wozu sollte sie ihn anlügen? Das hatte Claudio nicht verdient, zumal Carlotta ihm in einer anderen schwachen Stunde vor langer Zeit auch von ihrer Schwärmerei für Mantovani erzählt hatte. »Ja, er ist es. Woher weißt du das überhaupt?«

Ein Schnauben folgte auf diese Frage. »Carlotta! Halt mich bitte nicht für einen komplett unterbelichteten Idioten. Du hast mir mal von ihm erzählt und ich habe ihn gegoogelt.«

Sie starrte ihn an. Also hatte er selbst sie mit ihm gesehen. »Und du hast dir seinen Namen gemerkt?«

Er starrte finster zurück. »Schon mal was von Konkurrenzbeobachtung gehört?«

»Er ist keine Konkurrenz«, versuchte sie, ihm klarzumachen. »Er ist wie ein Poster oder wie ein Filmplakat – würdest du das auch als Konkurrenz bezeichnen? Dann dürfte ja keine Frau mehr auf irgendeinen Filmstar oder Sänger stehen.« Selbst sie konnte hören, wie wenig überzeugend das klang.

Claudio musterte sie skeptisch. »Hör mal«, sagte er dann, »du weißt doch selbst, wie gut wir zusammenpassen würden. Wir verstehen uns blind, haben super als Team gearbeitet und das könnten wir auch in Zukunft wieder.«

»Ach, Claudio …« Carlotta konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Er hatte dieses Register schon lange nicht mehr gezogen, sonst hätte ihre Freundschaft das nicht ausgehalten. Wollte er jetzt wieder damit anfangen? »Du weißt, dass ich dich mag, aber mehr wie einen Bruder. Und das hat nichts mit einem anderen Mann zu tun, sondern nur mit mir selbst. Das habe ich dir doch schon gesagt, und nicht nur einmal.«

Er verzog das Gesicht und nickte bedächtig. »Ja, das sagst du mir immer wieder. Es ist eben einfach schade, weißt du? Das hier ist echt …« Claudio tippte sich auf die linke Brustseite. »Nicht das da drin.« Nun tippte er mit dem Zeigefinger gegen ihre Stirn. Unangenehm berührt drehte Carlotta den Kopf weg. »Und seit du diese Arbeit machst, hast du noch mehr den Kontakt zur Realität verloren. Deine Helden werden nicht von ihren Buchseiten steigen und dich auf einem weißen Pferd entführen«, fuhr er fort.

»Jetzt kann ich mich auch erinnern, warum ich dir immer wieder einen Korb gebe«, murrte sie. »Du akzeptierst meine Arbeit nicht. Für dich ist das alles nur unrealistischer Kram, den man nicht so ernst nehmen sollte. Aber ich will das ernst nehmen, verstehst du? Und ich tue es auch. Für mich ist das eine real existierende Welt, und ich fühle mich wohl darin. Ich will es nicht anders haben, und solange du das nicht akzeptieren kannst, können wir zwei sowieso niemals mehr als nur Freunde werden.«

»Das sind doch alles nur Ausreden«, wischte er ihren Einwand beiseite. »Ich akzeptiere deine Arbeit doch.«

»Nein, tust du nicht. Wie oft höre ich Bemerkungen wie gerade eben?«

»Wieso – was habe ich denn gesagt?«

»Das weißt du genau. Wenn es nach dir ginge, würde ich hier hinterm Tresen stehen, statt Bücher zu lektorieren.«

Er brummte etwas Unverständliches, wich ihrem Blick aber aus.

»Also tu nicht so, als würdest du das akzeptieren, was ich mache, denn das tust du nicht. Und wie kann ich mit jemandem zusammen sein, der mich nur verändern will, anstatt mich so zu nehmen, wie ich bin?«

»Du drehst mir das Wort im Mund um«, beschwerte er sich halbherzig. »Du weißt genau, dass ich dich so mag, wie du

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 19.07.2022
ISBN: 978-3-7554-1750-7

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