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Leseprobe

 

 

 

BRINA GOLD

Kiss & Taste – Herzhaft verführt

 

 

 

 

Prickelnd wie Prosecco, verführerisch wie ein Sommertag am Meer

 

Eigentlich will Autorin Ambra in dem mondänen Strandlokal an der Adria für ihr neues Buch recherchieren, doch der Restaurantbesitzer Raffaele Cavalieri raubt ihr mit seinen Launen den letzten Nerv. Aber leider ist er auch äußerst attraktiv.

Daniele, ein sonniger Blondschopf aus Raffaeles Küchenteam, liegt Ambra bereits vom ersten Tag an zu Füßen. Sein jungenhafter Charme lässt ihren Widerstand schnell schmelzen wie Eis in der Sonne. Trotzdem fühlt Ambra sich mehr und mehr zu seinem Chef hingezogen. Den wiederum kann sie aber offensichtlich nicht beeindrucken.

Ihre eigenen widerstreitenden Gefühle stellen Ambra auf eine harte Probe. Als sie schweren Herzens beschließt, ihre Recherche vorzeitig zu beenden, ist ausgerechnet Raffaele derjenige, der sie bittet, zu bleiben.


 

*********


Brina Gold ist das Pseudonym einer deutschen Bestsellerautorin für historische Romance, unter dem sie ihre zeitgenössischen Liebesromane schreibt. »Kiss & Taste« wurde 2015 erstmals unter dem Titel »Fünf-Gänge-Menü zu Glück« veröffentlicht und führt die »Liebe am Meer«-Reihe fort, die mit »Love & Lies – Mein Herz in deiner Hand« begann und mit »Words & Love – Wie schreibst du Liebe?« fortgesetzt wird.


Viel Freude beim Lesen wünscht Brina Gold.

 

›‹

Eins

 

»Ich habe jemanden gefunden, der dir helfen könnte«, verkündet Lara und klingt sehr zufrieden. »Er ist ein bisschen … reserviert, aber das braucht dich ja nicht zu stören. Im Grunde ist er ein feiner Kerl, nur manchmal vielleicht etwas launisch.«

»Ach, das macht nichts. Ich will ja nur ein paar Informationen und bin dann auch schon wieder weg! Was sollte ich noch über ihn wissen?«

»Raffaele Cavalieri ist prämierter Koch und führt ein Lokal in Porto Azzurro an der nördlichen Adria, das Stella di Mare. Alessandro hat ihn bereits angerufen und mit ihm gesprochen. Wenn du möchtest, kannst du morgen dort mit deinen Recherchen anfangen.«

Sie nennt mir die Adresse und eine passende Unterkunft gleich mit dazu.

»Fantastisch, Lara, damit habt ihr mir einen großen Gefallen getan.« Meine Dankbarkeit kommt von Herzen.

»Kein Problem, Alessandro hat das gern gemacht!«

»Grüß ihn von mir – er hat was gut!«

Sie lacht leise ins Telefon. Im Hintergrund höre ich Kinderstimmen. »Du kannst uns in einem deiner nächsten Bücher mal lobend erwähnen, das soll ja sehr wirkungsvolle Werbung sein«, sagt sie.

»Versprochen.«

Lara kenne ich seit ungefähr zwei Jahren. Die gebürtige Deutsche ist mit einem Italiener verheiratet, ich habe sie zufällig bei den Recherchen zu einem meiner Bücher getroffen. Ihr Mann Alessandro war erfolgreicher Hotelier, ehe sich fast die gesamte Familie aus dem Betrieb zurückgezogen und einen kleinen Landgasthof mit Fremdenzimmern eröffnet hat. Daher sind die beiden natürlich meine erste Adresse gewesen, um neue Kontakte in der Gastronomiebranche zu knüpfen.

Jetzt bin ich neugierig und möchte wissen, wer sich freundlicherweise von einer fremden Autorin in die Karten – oder besser, in die Töpfe – gucken lässt, und werfe meine Suchmaschine an.

Tatsächlich finde ich ein paar interessante Informationen über Raffaele Cavalieri. Nach einer früheren Tätigkeit in einem von Alessandros Nobelhotels hat er im Ausland einige Preise und Medaillen abgesahnt, einen Michelin-Stern abgelehnt – ich schaue genauer hin, aber ich habe tatsächlich richtig gelesen: abgelehnt! – und seit seiner Rückkehr der regionalen, bodenständigen Küche zu neuem Glanz verholfen. Dafür hat er die Ehrenbürgerwürde des sehr exklusiven Küstenortes bekommen, in dem er sich niedergelassen hat. In Porto Azzurro verkehren seit ein paar Jahren besonders gern Leute, die sehr viel Geld haben, aber nicht sofort zeigen wollen, was sie besitzen.

Ich finde ein Foto und klicke es an, um es zu vergrößern. Cavalieri ist ein markanter Typ.

Dunkle Augen und Haare, Dreitagebart. Er sieht sehr ernst drein, fast abweisend. Ein Artikel der Boulevardpresse bezeichnet ihn als Womanizer. Der altmodische Begriff Frauenschwarm würde es wohl auch tun. Jedenfalls sieht man ihn angeblich nie zweimal hintereinander mit derselben Dame ausgehen, wenn er bei seiner äußerst knapp bemessenen Freizeit überhaupt einmal irgendwo außerhalb seines Restaurants gesehen wird.

Auch auf dem nächsten Bild macht er ein finsteres Gesicht und blickt abweisend in die Kamera. Einen Moment lang habe ich den Eindruck, er würde mir direkt in die Augen sehen, aber der Augenblick verfliegt.

Wie sagte Lara noch vorhin am Telefon? Er habe Launen? Für mich hat er eher etwas von einem Finsterling, aber das stört mich nicht. Mein Kontakt zu Cavalieri wird flüchtig bleiben.

Schön ist, dass ich vor Ort recherchieren kann und das Vergnügen habe, ein paar Tage an der Adria zu genießen – in der beginnenden Nachsaison, wenn der größte Trubel bereits abgeflaut sein dürfte. Wegen der Unterkunft melde ich mich in Eldas B&B und buche für sechs Tage, das sollte genügen. Elda, falls sie es selbst ist, bestätigt mir auf Anfrage, dass ich jetzt, gegen Ende des Sommers, problemlos verlängern kann, wenn ich möchte.

Nachdem ich meinen kleinen Koffer gepackt habe, setze ich mich noch mit einem Glas Wein auf den Balkon. Das Örtchen Bertinoro, in dem ich lebe, liegt malerisch in den Ausläufern der Abbruzzen und ist berühmt für seinen Blick über die Ebene bis hin zur Adria. Meine Wohnung, die ein echter Glücksfall ist, weil ich relativ wenig Miete bezahle, liegt an einem Hang ein kleines bisschen außerhalb und bietet als Extra noch einen umwerfenden Fernblick. Am liebsten sitze ich mit meinem Laptop hier draußen, sofern es das Wetter erlaubt, und schreibe, aber heute Abend lasse ich das Arbeitsgerät in seiner Tasche und versuche bewusst, mich zu entspannen und auf die nächsten Tage einzustimmen. Und irgendwie freue ich mich auf diese Abwechslung von meinem Schreiballtag.

 

Der nächste Tag begrüßt mich mit Morgennebel, der zu Füßen unserer Hügel unten in der Ebene liegt. Das ist immer wieder ein faszinierender Anblick.

Allerdings behindert der Nebel meine Sicht, weshalb ich viel länger brauche, und so parke ich später als geplant das Auto vor meiner Pension und checke ein. Das Haus ist alt, empfängt mich mit stuckverzierten Decken und geradezu kitschigen Kronleuchtern, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen. Cremefarbene Wände mit weiß abgesetzten Zierleisten, Chiffonvorhänge in zartem hellblau und plüschige, aber ausgeblichene Teppiche machen den Eindruck, als sei das Ambiente aus der Zeit gefallen. Hier fühle ich mich schlagartig wohl. Signora Elda, die Pensionswirtin, ist eine süße, weißhaarige Dame, die hinter ihrem Empfangstresen sitzt und aus dünner weißer Baumwolle Spitzendeckchen häkelt. Sofort fühle ich mich an meine eigene Großmutter erinnert. Wie süß!

Ich bringe meine Sachen aufs Zimmer, nehme mir allerdings nicht mehr die Zeit zum Ausräumen. Ich habe wegen des Nebels Zeit verloren und will nicht ausgerechnet am ersten Tag zu spät kommen. Also mache ich mich zu Fuß auf den Weg ins Restaurant. Vor der Eingangstür bleibe ich kurz stehen und betrachte mit kritisch zusammengekniffenen Augen das Gebäude.

Auf den ersten Blick strahlt das Stella di Mare etwas aus, das mich nicht besonders anspricht: Kühle und eine gewisse Distanziertheit. Das wirkte auf den Bildern nicht so. Natürlich liegt das Lokal direkt am Strand und natürlich ist es ein hypermodernes Gebäude, schneeweiß gestrichen, mit blitzenden Edelstahlgeländern und spiegelnden Glasflächen. Gemütlich ist für mich definitiv was Anderes, aber ich muss mich hier weder wohlfühlen noch den Geschmack des Besitzers teilen.

Gerade will ich das Lokal betreten, als die Tür von innen aufgerissen wird und ich mit der herausstürmenden Gestalt zusammenpralle. Meine Tasche geht dabei zu Boden.

»Uff – geht’s noch?«, platze ich heraus. »Kannst du nicht aufpassen?«

Ich bücke mich danach und kratze dabei versehentlich eine Hand, deren Besitzer dieselbe Idee im selben Moment hatte wie ich. Er zuckt zurück, ist aber trotzdem schneller als ich und hebt meine Stofftasche auf.

»Danke«, murmle ich etwas versöhnlicher und richte mich auf. Woraufhin ich geradewegs in zwei dunkle, tief liegende Augen sehe. Der Mann, der zu diesen Augen und dem finsteren Blick gehört, mustert mich wortlos mit gerunzelter Stirn und hält mir die Tasche entgegen. Ich nehme sie ihm ab und starre ebenso unverhohlen zurück.

Das ist er also!

Dank der Fotos und der unverkennbar grimmigen Miene, die er auch im wirklichen Leben zur Schau trägt, erkenne ich Raffaele Cavalieri sofort. Und – wie peinlich! – ich habe ihn spontan geduzt wie einen alten Bekannten.

»Sie sollten vielleicht Ihre Tür entspiegeln lassen, damit man von draußen sieht, was da auf einen zukommt«, schlage ich mit einem verlegenen Schulterzucken und nun auch in der gebotenen Form vor. »Ich konnte Sie überhaupt nicht erkennen.«

Warum nur bekommt er den Mund nicht auf, sondern starrt mich immer noch an?

»Ich bin Ambra Maestri. Alessandro Ronaldini hat den Kontakt zu Ihnen hergestellt. Ich recherchiere für ein Buch …« Ich strecke ihm verunsichert die Hand entgegen.

Er starrt einen Moment lang auf meine Finger, dann schüttelt er sie zögerlich, als wäre das eine für ihn ungewohnte Geste.

»Wir können ruhig beim Du bleiben«, meint er gelassen und lässt meine Finger wieder los. »Ich bin Raffaele.«

Und in diesem Augenblick stockt mir unwillkürlich der Atem.

Diese Stimme!

Kein Foto dieser Welt hat mich darauf vorbereitet, dass dieser Mann eine Stimme wie Samt und Seide hat. Eine Stimme wie eine Liebkosung, die in mir das Bedürfnis weckt, die Augen zu schließen, mich für den Rest dieses Tages zurückzulehnen und nur noch zuzuhören. Selbst wenn dieser Kerl die Steuergesetze herunterlesen würde, würde mir auch das noch eine Gänsehaut bescheren.

Ich klappe meinen Mund wieder zu.

»Alles in Ordnung?«, fragt er und mustert mich mit erhobenen Brauen.

»Ja klar, alles in bester Ordnung!«, versichere ich eilig und würde mir am liebsten selbst in den Hintern treten dafür, dass ich mich so dämlich aufführe. »Ich bin hoffentlich nicht zu spät!«

»Zu spät wofür?«

»Weiß nicht. Für den Mittagsservice vielleicht?« Ich zucke die Schultern. Schließlich kenne ich mich mit Uhrzeiten und Schichtplänen in einem Restaurant absolut nicht aus.

»Nein, keine Sorge. Ich wollte gerade frühstücken. Kommst du mit?«

Er dreht sich um und geht davon, ohne sich zu vergewissern, ob ich wirklich mitkomme. Ich gebe mir einen Ruck und haste hinter ihm her.

Cavalieri hat es offensichtlich eilig, er schaut sich kein einziges Mal nach mir um. Ich habe Lust, umzukehren und in seinem Lokal auf ihn zu warten, aber die Wahrheit sieht so aus: Ich habe das Frühstück ausgelassen und einen Bärenhunger. Und da ich nicht weiß, ob und wann ich später Gelegenheit zum Essen haben werde, schlucke ich meine Irritation hinunter und folge ihm mit zusammengebissenen Zähnen.

Vor einer kleinen, unscheinbaren Bar macht er Halt und wendet sich zu mir um.

»Was möchtest du?«

»Einen Latte macchiato und eine Brioche, bitte!«, bestelle ich mein gewohntes Frühstück.

»Setz dich inzwischen.« Er nickt vage in Richtung Terrasse, auf der ein paar Tische stehen, und geht hinein, um zu bestellen.

Ich suche mir wahllos einen der etwas wackeligen Plastiktische aus, die wohl eine bekannte Speiseeisfirma gesponsert hat, da ihr Logo die bereits leicht verwitterte Tischplatte ziert. Bei diesen Tischen muss ich immer aufpassen, dass ich nicht gegen eins der Beine stoße – sie sind sehr instabil, und ich habe schon mal einen von dieser Sorte zum Umkippen gebracht, als ich aufstand. Mit allen Getränken darauf. Das brauche ich so schnell nicht wieder, also falte ich vorsichtig meine Beine zusammen und setze mich so an die kleine Balustrade, die zur Seeseite hinschaut, dass ich erst wieder aufstehen muss, wenn das Frühstück beendet ist.

Dann kommt Cavalieri wieder und setzt sich mir gegenüber. Einen Moment lang mustert er mein Gesicht.

»Du schreibst also Romane.«

»Ja. Und?«, platze ich heraus. So wie er das sagt, klingt es, als wäre Schreiben eine unseriöse Tätigkeit.

Er lacht leise und kaum hörbar, doch dieses Lachen streicht wie eine Berührung über meine Haut. Meine Nackenhärchen sträuben sich, eine Gänsehaut zieht ihre Spuren über meine Unterarme und meine Verwirrung wächst.

»Kein Und. Ich bin nur neugierig – schließlich kommst du aus diesem Grund zu mir, oder nicht?«

Ich erwidere tapfer seinen Blick. »Ja, allerdings.«

»Aber?« Um seine dunklen Augen herum zeichnet sich ein Netz von Fältchen ab und sein voller Mund verzieht sich leicht, wodurch sich links ein tiefes Grübchen offenbart.

»Aber das klang mehr nach einer versteckten Botschaft als nach einer einfachen Frage«, folge ich seiner Aufforderung und gebe ihm Antwort.

»Welche Botschaft soll ich denn deiner Meinung nach darin versteckt haben?«, forscht er mit leichtem Kopfschütteln.

Er klingt ehrlich neugierig und ich bin mir plötzlich nicht mehr sicher, ob ich mir den Unterton nicht doch vielleicht nur eingebildet habe. Aber nun habe ich A gesagt und muss auch B sagen.

»Vielleicht die, dass Kochen wichtiger ist, als zu schreiben, oder dass Männer sowieso alles viel besser können, auch Bücher schreiben. Oder dass ich zu jung bin, um darin gut zu sein. Eins davon. Oder vielleicht sogar alles zusammen!«

Da eine Bedienung gerade unser Frühstück bringt, wartet Cavalieri mit seiner Antwort noch etwas ab. Als das Mädchen weg ist, lehnt er sich in seinem Stuhl zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und sieht mich mit einem eindeutig amüsierten Lächeln an.

»Also«, beginnt er, und seine Stimme klingt nun ein bisschen wie ein Reibeisen. »Ich sehe weder das eine noch das andere so, wie du vermutest, aber … du kannst sicher nicht abstreiten, dass die meisten Literaturpreise an Männer verliehen werden.«

Kann ich tatsächlich nicht. Außerdem wundere ich mich so sehr über seine Argumentation, dass eine schlagfertige Antwort darauf erst einen Atemzug später bereit ist.

»Solange die meisten Jurymitglieder männlich sind, wird sich daran auch nichts ändern.«

»Zu denen gehöre ich aber nicht.« Er lächelt schief. »Ich schätze Frauen, und zwar unabhängig von ihrem Beruf. Wenn hier also jemand Vorurteile hat, dann bin das vielleicht nicht ich.«

Gerade komme ich mir vor wie eine überspannte Zicke. »Sieht so aus«, sage ich und wippe verlegen mit dem Fuß.

»Außerdem wäre es hilfreich, wenn ich wüsste, was du gerne in Erfahrung bringen möchtest.«

»Das wäre es für mich auch«, rutscht mir spontan heraus. »Aber das weiß ich eben selbst nicht so genau. Ich weiß momentan nur, dass meine beiden Hauptfiguren in der Gastronomie tätig sind, aber ich kann noch nicht sagen, was konkret passieren wird. Meistens beantwortet sich diese Frage während der Recherche.«

Wieder sieht er mich einen Atemzug lang wortlos an. Dann nickt er. »Sobald du es weißt, sag Bescheid! Bis dahin kannst du mir bei der Arbeit zusehen und wenn du etwas genauer wissen willst, fragst du eben.«

Das ist ein guter Anfang. »Okay. Und was ist aktuell deine Arbeit? Im Internet habe ich gelesen, dass du nicht mehr selbst kochst. Stimmt das?«

»Nein, das ist Quatsch. Aber ich habe natürlich einen Küchenchef, der mir zur Hand geht und das umsetzt, was ich vorgebe. Unsere Philosophie ist ja die Küche der kurzen Wege mit regionalen Produkten – also möglichst wenige Kilometer zwischen Hersteller und Verbraucher.«

»Das bedeutet, dass ihr nur in der näheren Umgebung einkauft? Keine Importware, keine Zutaten, die lange Wege hinter sich haben und all so was?«

»Ja, genau. Soweit das möglich ist. Immer geht das ja auch nicht, aber bei den grundlegenden Zutaten schon.«

»Und wenn es aber für ein bestimmtes Gericht kein regionales Produkt gibt?«

Er schmunzelt. »Das ist die Kunst an dem Ganzen. Dann muss ich das Rezept abändern, bis es dieses Produkt nicht mehr braucht.«

»Aha«, mache ich und beiße endlich in mein Hörnchen.

Das tut er auch.

»Ach, noch was«, nuschelt er mit vollem Mund, ehe er schluckt und weiterspricht. »Ich sagte dir ja schon, du kannst mich jederzeit alles fragen, was du wissen willst.«

»Ja. Aber?« Misstrauisch setze ich mein Glas ab. Als sich an seinem rechten Mundwinkel das zweite Grübchen zeigt, sehe ich mich in meinem Unglauben bestätigt.

»Ob du darauf Antwort bekommst, ist eine andere Sache.«

Diesmal erhellt ein richtiges Lächeln für einen Augenblick das finstere Gesicht und verschafft mir eine Ahnung davon, wie dieser Mann aussehen könnte, wenn er nicht ständig so übellaunig dreinschauen würde: umwerfend gut!

Unwillkürlich verziehen sich meine Mundwinkel nach oben. »Verstanden«, sage ich.

Er nickt zufrieden und schiebt sich den Rest seiner Brioche in den Mund.

Schweigend esse ich ebenfalls auf. Gut, dass sich die Stimmung wieder entspannt hat. Was war da vorhin nur in mich gefahren? Vor mir sitzt ein vollkommen Fremder – nicht Alex, mein machohafter Exfreund, der von meinen romantischen Ergüssen, wie er es nannte, nichts hielt, sondern nur darüber gespottet und gelacht hat. Hier muss ich mich und meine Bücher nicht verteidigen – zumindest nicht bis zum Beweis des Gegenteils!

»Gibt es irgendwelche Uhrzeiten zu beachten?«, frage ich schließlich, nur um etwas zu sagen.

»Mittags öffnen wir um zwölf und abends um sieben. Das Personal kommt jeweils eine Stunde vorher, wenn du mit meinen Leuten essen möchtest, dann sei um elf oder um sechs da. Ansonsten sage ich dir, wenn ich dich nicht brauchen kann. Ach ja, noch etwas. Wenn es richtig rundgeht, kann der Ton in der Gastronomie ab und zu auch mal rauer werden. Wenn du das nicht verträgst, dann bleibst du in diesen Zeiten meiner Küche lieber fern.«

»Okay.« Das habe ich schon mal irgendwo gehört, also überrascht es mich nicht weiter.

»Lenk mein Personal nicht von der Arbeit ab. Wir gehen zwar in die Nachsaison, aber das heißt nicht, dass wir nichts zu tun hätten. Und verdreh meinen Köchen nicht den Kopf, versalzene Suppen schaden meinem Ruf.«

Wenn das ein Kompliment gewesen sein soll, dann ist es reichlich schief geraten. Ich entscheide, nicht näher darauf einzugehen.

»Ist gut.« Als ob ich das vorhätte! Einen zackigen Ton hat er drauf, aber anders funktioniert das wohl nicht. Nur dass ich nicht zu seiner Küchenbrigade gehöre. Dennoch verkneife ich mir einen Kommentar zu dieser Ermahnung.

Cavalieri nimmt die Sonnenbrille vom Revers seines kurzärmeligen Sommerhemds und setzt sie auf. Seine Miene bleibt undurchdringlich, verliert durch die dunkle Brille allerdings sonderbarerweise etwas von ihrem finsteren Ausdruck. Es sind die Augen, die ihn so düster wirken lassen. Diese tiefliegenden, dunklen Augen, die kein Lächeln zu kennen scheinen.

»Können wir dann?«.

»Ja. Klar.«

Er ist schon wieder drei Schritte voraus. Hastig trinke ich aus und haste los.

Und das, wo ich Männern normalerweise nicht hinterherlaufe!

Zwei

 

Cavalieri bleibt unterwegs wortkarg, und das ist mir nur recht. So habe ich Zeit, ein wenig über mein unreifes Verhalten zu reflektieren. Was ist da vorhin nur in mich gefahren? Auf die Frage nach meinen Romanen reagiere ich selten so aggressiv. Ein wenig schäme ich mich für meine ungehaltene Reaktion, aber es zu thematisieren und mich dafür zu entschuldigen, würde die Sache jetzt sicher nicht besser machen. Also halte ich lieber den Mund.

Zurück im Stella di Mare, folge ich Cavalieri in die Küche. Dort duftet es bereits vielversprechend. Überall blitzt und blinkt sauber poliertes Kochgeschirr. Auf einer großen Gasflamme steht eine überdimensionale Kasserole, aus der es dampft. Der Mann, der mit einer weißen Kochmütze auf dem Kopf vor ihr steht, rührt mit einem Kochlöffel, so lang wie mein Arm, unermüdlich darin um. Von rechts ertönt das Klappern von Porzellan, dort stapelt eine Frau mittleren Alters weiße Teller aufeinander und schichtet sie um. Etwas weiter links hackt ein dunkelhaariger Teenager Grünzeug auf einem Schneidebrett. Das Messer ist so riesig, dass mir schon vom Zusehen mulmig wird. Und im Rücken des Umrührers steht einer, der mit Hingabe einen ziemlich großen Fisch filetiert. Neben ihm hackt ein anderer gerade eine rote Zwiebel und im angrenzenden Kühlhaus, dessen Tür offensteht, rumort es.

Sie unterhalten sich und lachen. Von uns nimmt keiner Notiz, bis Cavalieri in die Hände klatscht. »Ragazzi, hört mal kurz her!«

Schlagartig verstummt jedes Gespräch. Er schaut in die Runde. Fünf, nein sechs Augenpaare ruhen zunächst aufmerksam auf seinem Gesicht, doch das eine oder andere gleitet schnell und verstohlen zu mir herüber.

»Das ist Ambra. Sie recherchiert für ein Buch und sammelt Informationen über die Arbeit in der Gastronomie.« Er wirft mir einen schnellen Seitenblick zu, doch ich denke nicht daran, einzuhaken. »Wenn sie etwas wissen möchte, seid höflich und zuvorkommend und beantwortet ihre Fragen. Außer, sie versucht, an unsere Geheimrezepte zu kommen.«

Alle lachen, ich aber staune. Er kann auch mit Humor? Ehe ich mich wieder gefasst habe, stellt er mich der Truppe vor.

»Paolo, Küchenchef; Daniele, Sous Chef; Antonio, Vorspeisen und Soßen; Angelo, Desserts; Rudi, der Lehrling; und Anna, unsere Tellerfee«, zählt er Namen und Funktionen auf. Soll ich mir die alle merken? Hoffentlich nicht.

Ich winke zaghaft lächelnd in die Runde. »Hallo!« So viel geballte Aufmerksamkeit macht mich nervös.

»Ich habe Ambra bereits erklärt, dass sie uns nicht bei der Arbeit behindern soll. Wenn sie euch also im Weg steht, dann drückt ihr einen Kartoffelschäler in die Hand. Und ich will, solange sie hier ist, keine Flüche oder Kraftausdrücke hören, ist das klar?«

Ein vielstimmiges »Klar, Chef, ja … verstanden … in Ordnung … okay …!« ertönt. Er hat seine Mannschaft offensichtlich gut im Griff, aber das erwartet man ja auch in einem Profi-Gastronomiebetrieb!

Der Mann am Topf, den er als Paolo vorgestellt hat, rührt während der ganzen Zeit weiter. Ohne nachzudenken, recke ich den Hals und stelle mich auf die Zehenspitzen, um in den Topf zu spähen.

»Fängst du jetzt schon an, uns auszuspionieren?«, fragt Cavalieri übertrieben entsetzt, sodass ich herumfahre. Aber er grinst dabei, also war es tatsächlich nicht ernst gemeint.

Mit einer verlegenen Geste hebe ich beide Hände. »Tut mir leid, aber meine Neugier war einfach stärker. Berufskrankheit, nehme ich an.«

Unterdrücktes Gelächter belohnt meinen etwas schwachen Witz und ich sehe aus dem Augenwinkel, dass der Blonde, der gerade noch dem Fisch zu Leibe gerückt ist, mir belustigt zuzwinkert. Ich grinse zurück.

»Für dieses Mal bist du entschuldigt. Und ihr …« Er wendet sich an seine Crew. »… könnt gern weitermachen, die Show ist zu Ende.«

Zustimmendes Gemurmel ist die Antwort. Alle wenden sich wieder ihren vorherigen Tätigkeiten zu.

Ich folge Cavalieri zu einer Außentreppe, die auf die Dachterrasse führt. Auf dem Weg dorthin stellt er mir Pietro, den Maître, Mirco, den Barmann, Antonia, Gianna und Prisca vom Servicepersonal vor. Mir schwirrt der Kopf von so vielen neuen Namen und Gesichtern, aber ich schenke jedem von ihnen ein Lächeln.

Oben angekommen empfängt mich eine angenehme Meeresbrise. Cavalieri setzt seine Sonnenbrille wieder auf und führt mich an einen kleinen Tisch in der Nähe der Brüstung. Ich nehme Platz, halte das Gesicht in den Wind und genieße das sanfte Streicheln auf der Haut. Das leise, aber stete Rauschen der Wellen, die einen dunklen Saum auf dem hellen Sand hinterlassen, ein paar Möwen, die sich um ein Stück Beute zanken, und ein paar Touristen, die sich unter den wenigen noch aufgespannten Sonnenschirmen ausgebreitet haben – obwohl der Sommer seinen Zenit längst überschritten hat und auch das Licht schon weicher geworden ist, als es noch vor einer Woche war, herrscht noch immer Urlaubsflair.

»Hübsch ist es hier oben«, merke ich an.

»Ja, hier hatten wir schon einige schöne Abendgesellschaften«, stimmt er zu. »Jetzt wird es zwar langsam etwas kühler, aber bis vor ein paar Tagen war es hier oben immer voll.«

»Das glaube ich gern!« Ich setze nun ebenfalls die Sonnenbrille auf und sehe aufs Meer hinaus. »Es ist so friedlich.«

»Jetzt ja. Bis vor kurzem haben Urlauberfamilien dieses ruhige Paradies in einen Ameisenhaufen verwandelt.«

Ich lache. »Anders geht’s wohl nicht. – Die Leute, die ich gerade gesehen habe, war das dein gesamtes Personal?«

»Im Großen und Ganzen, ja. Je nach Bedarf kommen noch Saisonkräfte und Aushilfen dazu. Diesen Samstag haben wir eine Hochzeit, da werden noch zwei oder drei Leute zusätzlich einspringen.«

Ich ziehe einen kleinen Notizblock aus meiner Tasche und notiere mir ein paar Eckpunkte.

»Papier und Stift?«

Irritiert sehe ich auf. Skeptisch betrachtet Raffaele meinen Kugelschreiber. Schon will ich zu einer Erklärung ansetzen, doch dann überrascht er mich.

»Finde ich gut. Das kommt leider total aus der Mode, kaum jemand schreibt noch mit der Hand.«

»Du schon?« Er wollte mich nicht kritisieren?

Er verzieht einen Mundwinkel, was – wie ich inzwischen vermute – bei ihm wohl ein Zeichen höchsten Amüsements sein soll. »Oh ja. Meine Speisekarten sind alle mit der Hand geschrieben. Das macht eine persönliche Note. Ich benutze allerdings lieber einen Füller.«

»Dafür ist es zu windig hier oben. Die Tinte trocknet im Freien zu schnell ein.«

»Stimmt.« Er nickt anerkennend.

»Wie alt bist du, wenn ich fragen darf?« Was hat das eigentlich damit zu tun, dass er gern mit Füller schreibt, Ambra?

Er antwortet wie aus der Pistole geschossen, als hätte er die Frage erwartet. »Achtunddreißig. Und du?«

»Achtundzwanzig«, antworte ich ebenso spontan, ehe ich mich wieder dem Blatt Papier widme. »Und was machst du so den ganzen Tag, wenn du schon nicht selbst kochst?«

Seine Stirn runzelt sich. »Hältst du mich etwa für einen Faulpelz?«

»Äh – nein!«, wehre ich erschrocken ab. »Ich frage nur, weil ich keine Ahnung habe, was man so tut, wenn …«

»Wenn man schon nicht kocht«, vervollständigt er ironisch meinen Satz.

Ich bleibe stumm. Hilflos ziehe ich die Schultern hoch. Fettnäpfchen sind eindeutig meine Spezialität.

»Ich organisiere und verwalte den Laden. Mache den Einkauf, die Logistik, die Speisekarte …«

»Darf ich die dann mal sehen?«, unterbreche ich ihn spontan. Ist unhöflich, ich weiß, aber wenn er die schon selbst mit der Hand schreibt …

Erneut verzieht er den Mund zu seinem schiefen Lächeln. »Natürlich darfst du das. Du kannst sie auch behalten und dir an die Wand hängen, wenn du möchtest. Ich lass dir eine bringen.«

»An die Wand. Okay. Mal sehen, ob deine Schrift tatsächlich so toll ist.«

Wieder lacht er dieses leise, samtige Lachen, dann verstummt er. Da ich gerade nicht weiß, was ich sagen soll, blicke ich hinaus aufs Meer. Zum Glück kommt in diesem Moment eins der Mädchen von unten hoch und bittet ihn nach unten, bevor ich noch so eine Plattitüde über die Aussicht loswerden kann wie vorhin. Er wird am Telefon verlangt und verabschiedet sich mit einer knappen Geste.

Kaum ist er gegangen, kommen zwei weitere der jungen Mädchen angeschwirrt. Eine legt mir die Speisekarte hin. In ihren weißen Blusen und den kobaltblauen Schürzen sehen die beiden richtig schick aus. Sie öffnen die großen Sonnenschirme, rücken Tische und Stühle zurecht und decken flott und gekonnt ein. Besteck klappert, Gläser klirren ganz leise.

Währenddessen sehe ich mir die Karte an. Umfangreich ist sie nicht gerade, aber Cavalieri hat eine wirklich ausdrucksvolle Handschrift. Leider kenne ich mich damit nicht aus, Schriftexperte müsste man jetzt sein!

Ehe ich mich darin vertiefen kann, bekomme ich erneut Gesellschaft:

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 19.07.2022
ISBN: 978-3-7554-1749-1

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