Lisa schaute sehnsüchtig aus dem Fenster, an dem ein paar Wolken vorbeizogen. Wie Watte sehen sie aus, dachte sie. Immer wieder erinnerten sie die weißen Gebilde an den weichen Fluff. Wie fühlt man sich wohl, wenn man da oben ist, einfach schwebt? Gibt es dort überhaupt noch Trauer?, fragte sie sich und seufzte. Wie schön es doch wäre, wenn es in erreichbarer Nähe einen solchen Ort gäbe. Aber Lisa war weit davon entfernt, keine Trauer, keine Einsamkeit oder Bedrücktheit zu spüren.
"Lisa, kannst du mir vielleicht die Antwort sagen?", drang eine Stimme zu ihr durch. Mist! Sie war so in Gedanken vertieft gewesen, dass sie die Frage ihres Musiklehrers nicht gehört hatte. Nervös strich sie sich eine Strähne ihres dichten braunen Haares aus der Stirn und blickte hilfesuchend an die Tafel. Was machten sie nochmal gerade? 'Akustik' stand da in der verschlungenen Handschrift des Lehrers. "Tut mir leid, ich war in Gedanken versunken", musste das Mädchen zugeben, da ihr wirklich nichts einfiel, was sie sagen könnte.
Kopfschüttelnd wandte sich der junge Mann um und notierte etwas in seinem Heft, aber Lisa hatte im Moment andere Sorgen. Hinter ihr ertönte leises Kichern und Flüstern, was ihr keineswegs entging. Julie und Pauline hatten die Gelegenheit ergriffen sich über die schüchterne Lisa lustig zu machen. Zum Glück ist das die letzte Stunde, dachte Lisa deprimiert. Die beiden lachten sie bei jeder noch so kleinen Möglichkeit aus. So ging das schon seid Lisa vor drei Jahren in die Klasse gekommen war. Zuerst hatte sie noch Hoffnungen, dass sich das ändern würde, doch inzwischen war auch der letzte Funken Glut erloschen.
Traurig schaute Lisa wieder aus dem Fenster. Nichts wünschte sie sich sehnlicher herbei als das Läuten der Schulglocken, das sie erlösen würde.
Nach einigen ewigen Minuten und einer Portion langweiligem Musikstoff, kam sie endlich, die Erlösung. Lisa sprang auf und huschte als erste als dem Klassenzimmer hinaus auf den Gang. An der Wand hingen einige Zeichnungen, aber sie beachtete sie gar nicht erst, sondern drückte ihre Schulsachen fest an sich und suchte sich einen möglichst schnellen Weg zur Tür. Schneller, schneller!, feuerte sie sich an. Bloß nicht langsamer werden.
Tatsächlich schaffte sie es heute, ohne die Gehässigkeiten von Julie und Pauline hören zu müssen, bei ihrem Fahrrad anzukommen. Sie legte ihre Tasche hastig in den Fahrradkorb und schwang sich in den Sattel. Bis vor einem Jahr hatte sich noch mit dem Bus fahren müssen, aber nun mit dem Fahrrad war sie endlich auf sich gestellt. Wie sehr sie doch diese stinkenden Ungetüme hasste... Sie trat kräftig in die Pedale. Der sanfte Frühlingswind blies ihr ins Gesicht, als sie von der großen Straße auf einen Feldweg abbog. Er war schon wesentlich wärmer als noch vor einigen Wochen, dennoch bekam sie eine leichte Gänsehaut. Links und rechts von ihr flogen Büsche und Sträucher vorbei und die Farben verschwammen zu einem Bunten Gemisch. Lisa merkte nicht, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Stattdessen fuhr sie einfach blind den holprigen Weg entlang. Hier war sie schon einmal gefahren, aber nur um vor ihren Klassenkameraden zu fliehen. Damals hatte sie sich bloß hinter einer Kurve versteckt und war dann nach einiger Zeit einfach nach Hause gefahren.
Heute war es jedoch mehr eine Erleuchtung gewesen, dass sie diesen Weg gewählt hatte. Vielleicht wollte sie einfach nicht nach Hause, wo sie immer und jederzeit ein Lächeln auf dem Gesicht haben, die perfekte Tochter spielen, nein sein musste. Alles super, so lautete dort ihre Lebenseinstellung.
Aber vielleicht spürte sie auch, dass diese Entscheidung ihr Leben verändern würde.
Der Fahrtwind zerzauste die braunen, sichten Haare und wehten sie dem schmalen Mädchen in das Gesicht. Obwohl sie ziemlich hübsch war, hatte sie keine Freunde, niemanden der ihr sagte, wie hübsch sie war. Stattdessen war sie ein Außenseiter. Das lag vielleicht an dem Selbstbewusstsein, dass sie nie gehabt hatte, oder daran, dass sie erst so spät in die Klasse gekommen war. Ihre Familie war umgezogen und Lisa hatte mitten im Schuljahr wechseln müssen. Schon in der alten Schule war sie nicht sonderlich beliebt, eher unscheinbar, niemandem war sie ins Auge gefallen. Doch nun, in der abseits gelegenen neuen Mädchenschule, hatte sie keine Chance gehabt, sich in die Klassengemeinschaft einzufinden. Erst recht nicht mehr, als sich einige der Schülerinnen Lisa als Opfer ihrer Hänseleien ausgesucht hatten.
Neben ihr tauchten ein paar Bäume auf der Linken Seite auf, gleichzeitig neigte sich der Weg in dieselbe Richtung. Vielleicht war das der Grund, warum Lisa nicht sah, was vor ihr auftauchte, aber vielleicht waren es auch nur die Tränen, die ihre Sicht einschränkten. Jedenfalls hatte sie keine Zeit mehr zu Bremsen und krachte aus voller Fahrt in einen großen Berg aus Stroh.
Während sie durch die Luft flog und das Gelb auf sie zu rauschte, in diesem kurzen Moment fielen ihr wieder die Wolken ein, die vor dem Klassenzimmer am Himmel trieben.
Gelbe, weiche Wolken...
Etwas verwirrt richtete sich Lisa auf. Sie strich sie die Haare aus den Augen und sah sich um. Ein Geruch stieg ihr in die Nase, der sie das Gesicht verziehen ließ. Oh nein,bitte nicht, dachte sie noch, aber ihr war schon klar, dass sie in einen Misthaufen gefahren war. Ihr Kleidung war mit Strohhalmen und Dreck bestückt und sie sah alles andere als gepflegt aus. Sie fischte ein paar Halme von ihrer Hose und aus ihren Haaren. Wo war sie eigentlich?
Der Misthaufen war an der Rückseite einer grün gestrichenen Mauer gelegen und lag im Schatten. Lisa lief vorsichtig an dem Gebäude entlang. Es musste wohl ein Bauernhof sein. Als sie um die Ecke bog, erkannte sie eine Einfahrt. Wieso ging der Weg so blöd um die Ecke? Und wieso hatte sie das nicht mitbekommen, wunderte sich das Mädchen. Inzwischen war ihre Neugierde geweckt und so trat sie in den Hof ein.
In der Mitte des Platzes war ein rundes Beet angelegt in dem Gras in seiner vollsten Pracht wuchs. Davor standen zwei Holzbalken. Auf der einen Seite des Hofes waren Fenster und Türen eines Wohnhauses zu sehen und außerdem ein kleines Gebäude einer Tür. Auf der anderen Seite stand eine große Halle oder Scheune und ein L-förmiges Gebäude, das mit Holztüren bestückt war. Sie waren bis auf eine bei etwa zwei Dritteln durchtrennt, sodass man beide Teile unabhängig voneinander bewegen konnte.
Gerade, als Lisa sich fragte, wozu das ganze gut sein konnte, schaute etwas aus einer der Türen. Es war ein Kopf. Er war behaart, hatte spitze Ohren, einen dichten Schopf und wunderschöne dunkle Augen. Ein Pferd!
Nun ergab das ganze Sinn, die Türen und die Balken. Es waren Türen zu Boxen und an den Balken wurden die Pferde zum Putzen angebunden. Vorsichtig ging Lisa auf der Pferd zu, dass sie interessiert beobachtete. Es war ihr ein bisschen unheimlich, auch wenn es nicht allzu groß war. Vielleicht war es auch ein Pony. Aber so genau kannte sie sich da nicht aus.
"Hey du...", sprach sie es leise an und streckte die Hand nach der glänzenden Nase aus. Natürlich hatte Lisa als kleines Mädchen auch reiten wollen, aber inzwischen hatte sie den Traum eigentlich aufgegeben. Aber hübsch war das Tier trotzdem und seine Augen waren einfach wunderschön. Zum Schweben und Träumen, eigentlich..., erinnerte sie sich an ihre Gedanken aus der Musikstunde.
Das dunkel rötlich schimmernde Fell des Pferdes war samtig weich. Am liebsten hätte Lisa nicht mehr losgelassen. An Hals und Körper war das Fell länger und das Pferd hatte dichtes Langhaar. Es sah ein bisschen aus wie ein Teddy, fand Lisa. Vorsichtig guckte sie an dem stämmigen Körper vorbei in die Box. Sie war dick mit Stroh ausgelegt und mit einer Tränke und einem Trog ausgestattet. Außerdem hatte sie noch einen zweiten Ausgang, der mit Plastikstücken verhängt war. Sie waren durchsichtig und Lisa sah einen eingezäunten kleinen Auslauf.
Mehr konnte sie nicht erkunden, denn hinter ihr tauchte eine junge Frau auf, die ein Halfter und eine Kiste in den Händen hatte.
"Hallo!", sagte sie. "Wer bist denn du? Suchst du etwas?" Peinlich berührt drehte Lisa sich um. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, hier einfach so hinein zu spazieren? "Äh... Ich..." Stotterte sie leise. Die Frau lächelte und stellte die Kiste auf den Boden. "Ist schon in Ordnung. Ich nehmen mal an, du wolltest nichts kaputt machen oder so." Lisa schüttelte verlegen den Kopf. Ihr fiel immer noch nichts ein, was sie sagen könnte.
"Das ist Bjalla, eine Isländerstute. Ich wollte sie gerade putzen." Die Frau deutete auf das Pferd, das immer noch hinter Lisa auf den Hof guckte. "Ach ja, und ich heiße Shayla Wiesental, tut mir leid", stellte sich die Frau nun selber vor. Sie lächelte Lisa freundlich an. "Oh, äh, ich bin Lisa", antwortete diese endlich und merkte wie sie rot wurde. "Lisa Rechter. Tut mir leid. Sie haben ja nichts gemacht." Lisa, was redest du da schon wieder?, schimpfte sie sich selber aus. Dazu fiel ihr auch noch ein, dass sie ja in den Misthaufen geflogen war. "Oh...", brachte sie heraus und sah an sich herunter.
Shayla lachte fröhlich, wobei ihre Augen aufblitzten. Lisa fand die junge Frau sofort noch sympathischer. Sie war sich sicher, dass sie sie nicht auslachte. "Weißt du was? Du hilfst mir, Bjalla zu putzen und erzählst mir, wie du hergekommen bist und dafür gebe ich dir was anderes zum anziehen. Was meinst du?" "Okay, wenn das in Ordnung für Sie ist?" erwiderte Lisa schüchtern. Konnte sie so etwas annehmen? "Hätte ich es sonst vorgeschlagen?" fragte die Frau lachend. "Außerdem, wen Bjalla dich in Ordnung findet, dann wirst du das schon sein."
Damit drückte sie Lisa das Halfter in die Hand und zwinkerte ihr zu. Lisa drehte sich etwas ratlos um. Das musste dann wohl über den Kopf des Pferdes. Bjalla, hatte die Frau gesagt. Sie war ein Isländer. Von dieser Rasse hatte Lisa schon einmal gehört, aber so genau wusste sie das nicht mehr.
Unsicher machte sie die Tür auf. Bjalla guckte sie ruhig unter ihren dicken Haaren hindurch an. Fragend drehte Lisa sich zu Frau Wiesental um. "Sind Sie sich sicher, dass ich das machen soll? Ich weiß ja nicht, wie das geht und hatte mit Pferden noch nicht so viel zu tun..." "Du kannst 'du' zu mir sagen und ich habe ein ganz gutes Gefühl dabei, wenn du das übernimmst. Einfach über ihren Kopf ziehen. Du schaffst das, bestimmt. Bjalla ist eine ganz Brave.
Bei so viel Zuspruch blieb Lisa nichts anderes übrig, als sich Bjalla wieder zuzuwenden. "Schön still halten, Bjalla", flüsterte sie der Stute zu. Treuherzig ließ sie alles über sich ergehen und Lisa schaffte es tatsächlich, das Halfter über den Pferdekopf zu schieben. Als sie den Haken geschlossen hatte, drehte sie sich wieder um und musste lächeln, als sie in das freundliche Gesicht von Shayla blickte. So Zuhause hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt, kam ihr in den Sinn. Obwohl sie doch erst wenige Minuten davon wusste, dass hinter dieser Kurve eine junge Frau namens Shayla und ein freundliches Pferd mit dem Namen Bjalla wohnten.
Die beiden hatten Bjalla an einen Ring im Holzbalken angebunden und Shayla hatte Lisa gezeigt, wie man mit den Bürsten umging. Das Mädchen hatte nicht schlecht gestaunt, als sie die vielen verschiedenen Sorten begutachtete. Es gab welche mit langen harten Borsten, mit kurzen harten, aber auch mit kurzen weichen. Außerdem harte und weiche Gummibürsten und ein Teil, das an der einen Seite einen Metallhaken und auf der anderen Borsten hatte. Das war ein Hufkratzer, erklärte ihr Shayla.Bjallas Fell war voller Staub und Halmen von Stroh und Heu. Gewisse andere würden sich davor wohl ekeln, musste Lisa bei der Erinnerung an ihre Mitschülerin denken. Ihr selbst aber machte der Schmutz nichts aus, das Fell der Stute war wunderbar weich und sie konnte gar nicht anders, als zwischendurch immer wieder die Finger durch die Haare gleiten zu lassen. Da sie ja einen Deal hatten, erzählte Lisa Shayla schließlich, wie sie auf den Hof gekommen war. Dabei ließ sie allerdings Julie und Pauline, die beiden Mädchen aus ihrer Klasse aus. Sie konnte doch nicht ihre Sorgen einer fremden Frau erzählen. Doch je länger die beiden putzen, desto freundlicher fand Lisa die Erwachsene. Sie lachte über ihren Sturz in den Misthaufen, aber es war kein erniedrigendes Lachen, viel eher musste Lisa mitlachen.
Leider war Bjalla viel zu schnell sauber."Vielen Dank für deine Hilfe. Hattest du schon einmal mit Pferden zu tun?", fragte Shayla schließlich und legte sie Bürsten zurück in die Plastikbox."Nein.", musste Lisa zugeben. "Früher wollte ich immer reiten lernen, aber ich durfte nicht und so hab ich das irgendwann aufgegeben. Aber ich glaub, das war eine falsche Entscheidung." Sie lächelte und streichelte Bjallas Hals."Dafür bist du ganz schön geschickt im Umgang mit ihnen.", lobte die Frau. Dann blickte sie auf den Boden, so als würde sie überlegen. Dann holte sie erneut Luft. "Weißt du, ich will hier eine Art Gnadenhof aufbauen. Bis jetzt habe ich erst Bjalla und zwei andere Pferde. Aber ich arbeite ja auch noch und irgendwann werden es wohl mehr als die drei sein. Du ahnst gar nicht, wie viele Tiere schlecht behandelt oder zum Schlachter abgeschoben werden..." Sie warf einen traurigen Blick auf die Isländerstute. "Sie hab ich auch vorm Schlachter gerettet. Sie ist noch jung und war ziemlich abgemagert. Jemand wollte sie als Schulpferd für eine Reitschule nehmen, aber sie ist ja noch gar nicht zugeritten, also an Sattelzeug gewöhnt. Als sich dann kein Käufer fand, wollte er sie einfach nach Italien schicken. Ich war gerade unterwegs, als ich sie sah. Sie war vollkommen erschöpft, weil sie nicht genügend zu Fressen bekommen hat, aber ihre Augen, die haben geleuchtet. Da hab ich sie einfach mitgenommen... War ja auch nicht teuer, nur den Schlachtpreis musste ich bezahlen."Schockiert blickte Lisa auf die kleine Stute. Wie konnte man so etwas nur tun? Doch bevor sie etwas sagen konnte, redete Shayla schon weiter."Was ich eigentlich fragen wollte... Willst du mir vielleicht helfen? Du könntest die Pferde putzen und mit ihnen spazieren gehen und später bringe ich dir vielleicht reiten bei. Natürlich nur, wenn du willst und das mit deinen Eltern klar geht."Ungläubig starrte Lisa Shayla an. Meinte sie das ernst? Sie, Lisa Rechter, sollte ihre Pferde pflegen?"Ich äh... das... wäre wirklich toll!", antwortete sie vollkommen überrascht. Das wäre das beste, was ihr passieren könnte! Sie wohnte nur bei ihrer Mutter, daher brauchte sie ihren Vater wohl nicht zu fragen. "Ich werde meine Mutter fragen, oder wollen Sie anrufen?""Du, oder willst du anrufen. Siezen musst du mich nicht.", besserte Shayla sie lächelnd aus. "Da komm ich mir so streng und böse vor", grinste sie. "Aber wie du möchtest. Ich kann gerne anrufen."Lisa dachte kurz nach. Sie konnte es kaum erwarten, die Antwort ihrer Mutter zu hören. Bis sie Zuhause war, würde es aber noch länger dauern. Außerdem hatte sie ein bisschen Angst davor, ihr alleine gegenüber zu stehen. Und Shayla war so nett, vielleicht...Also gab sie Shayla die Nummer und diese ging ins Haus um von da aus zu telefonieren. Nervös wartete Lisa ab und vergrub die Hände in Bjallas Mähne. Das Gespräch schien eine Ewigkeit zu dauern."Na, Bjalla? Darf ich dich wohl noch öfter bürsten? Und dich vielleicht irgendwann reiten? Wenn du das willst, natürlich nur." Im Inneren war Lisa bewusst, wie blöd das klingen musste, aber als Bjalla ihr das Gesicht zuwandte und sie sanft anprustete, fühlte sie sich so verstanden wie noch nie zuvor. Es war als würde die Stute sie beruhigen wollen.
Lisa wollte gar nicht hinsehen, als Shayla aus dem Haus kam. Aber diese sagte noch gar nichts, sondern winkte sie heran. Eilig kam das Mädchen zu ihr und folgte ihr ins Innere des Hauses. Es war ein hübsches, aber schlichtes Haus. Nur einige Fotos hingen an der Wand. Auf einem davon glaubte Lisa Bjalla zu erkennen. Sie schaute aber nicht so genau hin, weil Shayla ihr schon das Telefon reichte."Hallo?" meldete sie sich."Hallo, Schatz, Frau Wiesental hat mir schon erzählt, wo du bist" meldete sich die Stimme ihrer Mutter. Gespannt wartete Lisa ab. "Ist alles in Ordnung bei dir?""Ja, klar, Mama. Was ist den jetzt mit den Pferden..?" fragte sie vorsichtig."Ich weiß nicht... Sie scheint ja sehr nett zu sein und auch verantwortungsbewusst.""Bitte, bitte, bitte, Mama, du musst dir das Pferd mal anschauen, sie hat ganz weiches Fell und Shayla ist wirklich nett!", versuchte Lisa ihre Mutter zu überzeugen. Sie bat fast nie um etwas und wenn, dann selten mit so viel Überzeugungskraft. Das fiel auch ihrer Mutter auf und so willigte sie schließlich ein. Freudestrahlend verabschiedete das Mädchen sich und schaute Shayla an. Diese reichte ihr die Hand, welche Lisa gerne annahm."Na dann werd ich dich wohl mal herumführen, damit du dich auskennst! Herzlich willkommen im Team, Lisa!"Glücklich lächelnd folgte das Mädchen ihr hinaus. Seit sie hier war, dachte sie nicht mehr an all die Sorgen, die sie sonst schüchtern und traurig wirken ließen.
Auf dem Hof gab es etwa 20 Boxen. Davon waren die meisten Paddockboxen und nur vier ohne Auslauf. Bei diesen war es bis jetzt noch nicht möglich gewesen, Paddocks zu bauen. Die kranken Tiere sollten in diesem Trakt untergebracht werden, weil er abgeschieden von den anderen und direkt neben dem Haus lag. Von den Paddockboxen waren bisher nur drei bewohnt. In einer davon stand Bjalla, die Isländer Dunkelfuchsstute. Shayla erklärte Lisa, dass man Pferde mit rotem Fell Fuchs nannte. Da Bjallas ein dunkles Rot hatte, war sie ein Dunkelfuchs.Eigentlich leicht zu merken, fand Lisa.Außerdem gab es noch das Shettlandpony Mister Blue und den Warmblüter Lotusherz. Mister Blue war Weiß-Grau gescheckt und ziemlich klein. Seine Mähne und sein Schweif waren etwas verkümmert, da er an Sommerekzem litt. Wegen der Insekten kratzte er sich im Sommer immer wieder. Shayla hatte darum seine Mähne abgeschnitten."Wenn es wärmer wird, bekommt er dann eine Ekzemerdecke auf, dann geht das schon." Shayla streichelte dem Pony zuversichtlich den Hals. Mister Blue schloss genussvoll die Augen, als sie ihn vorne an der Brust kraulte. Das war seine Lieblingsstelle.Lotusherz war ein Brauner, das hieß rotbraunes Fell und Schwarzes Langhaar. Langhaar, so nannte man Mähne und Schweif des Pferdes. Das kurze Fell hieß Deckhaar. Außerdem hatte Lotusherz eine schmale Blesse, also ein weißes Abzeichen auf dem Kopf. Lotusherz war eigentlich lieb, aber er verstand sich nicht mit Bjalla. Da mit Mister Blue aber alle beide klarkamen, stellte Shayla das Pony abwechselnd zu den größeren auf die Weide. Im Moment war er bei Lotusherz, da Bjalla ja noch in der Box war.
Zu dem Hof gehörte zudem noch ein weitläufiges Grasland. Auf den hinteren Wiesen erntete Shayla Heu für die Fütterung. Das war billiger als gekauftes. Die Wiesen, die näher am Hof lagen waren in verschieden große Weiden unterteilt. Damit nicht eine vollkommen abgegrast wurde, gab es so viele. Alle paar Wochen kamen die Pferde auf eine neue Koppel. "Später will ich ein paar von ihnen mit Sand aufschütten, damit die Pferde auch bei schlechtem Wetter raus können ohne wie Wiese zu zerstören. Die Paddocks sind auch mit Sand. Aber da muss ich leider noch ein bisschen sparen", meinte die Hofbesitzerin zwinkernd.
Die beiden gingen wieder zurück auf den Innenhof, wo Shayla dem Mädchen die Futter- und gleichzeitig Sattelkammer zeigte. Hier wurden Getreide, Putzzeug und anderes Zubehör aufbewahrt. An einer Wand waren ein paar Sattelhalter angebracht, aber bis jetzt besaß Shayla erst einen Sattel und einen Longiergurt. Der Sattel war für Lotusherz, der Longiergurt passte auch Bjalla."So, und dann haben wir noch die Halle. War eigentlich eine Scheune, aber ich habe neuen Belag aufgeschüttet, jetzt kann man da mit den Pferden arbeiten. Aber Heu und Einstreu sind da immer noch", erklärte Shayla weiter.In der Halle war der Boden mit Sand bedeckt. Nur in einer Ecke waren ein paar Ballen aufgestapelt und Säcke lehnten an der Wand. Es war größtenteils schattig, aber durch ein paar Fenster hoch oben fiel Licht. An der Decke hingen außerdem Lampen. Shayla zeigte Lisa die Ballen."Das Stroh kommt eigentlich in alle Boxen, aber kranke Pferde dürfen manchmal nichts fressen, dann wird mit Spänen eingestreut." Sie deutete auf die Säcke. "So. Das war's. Jetzt kennst du dich aus und kannst herkommen wann immer du willst.""Das wird dann wohl oft sein", strahlte Lisa. Sie konnte immer noch nicht so ganz glauben, dass sie hier helfen durfte.
Es war inzwischen schon spät und so verabschiedete sich das Mädchen und fuhr nach Hause.
Morgens schwang sich Lisa auf ihr Rad um in die Schule zu fahren. Die Sonne schaute hinter ein paar Wolken hervor, aber trotzdem zog das Mädchen frierend den Reißverschluss der Jacke weiter zu. Langsam begann im Garten das Gras zu sprießen und sie freute sich schon auf die wärmeren Zeiten, die dieses Grün voraussagte. Als sie gestern nach Hause gekommen war, musste sie immer noch strahlen. Ihre Mutter hatte sie lächelnd begrüßt und endlich hatten sie nicht mehr bloß so tun müssen, als sei alles in Ordnung. Während Lisa erzählt hatte, was sie gelernt hatte und von den Pferden und von Shayla, war die Situation sie ganze Zeit entspannt gewesen.Wahrscheinlich deshalb fuhr Lisa heute voller Energie und Hoffnung zur Schule. Heute würde sie sich nicht ärgern lassen.
Tatsächlich nervte das Gerede des Mitschülerinnen heute weniger, als all die Tage zuvor. Lisa lächelte in sich hinein, als Julie und Pauline verwirrte Blicke tauschten. Lisa schien wie ausgewechselt, ganz ruhig und sogar fröhlich. Den ganzen Tag verpasste sie keine Frage und ließ den Mädchen so keine Chance, sich über sie deswegen lustig zu machen. Und selbst die langweiligste Stunde überstand sie, indem sie eine kleine Dunkelfuchsstute in ihr Heft malte...
Als die letzte Stunde vorbei war, eilte sie zu ihrem Rad, aber nicht weil sie weg von ihrer Klasse und der Schule wollte. Naja, schon ein bisschen, aber sie wollte nicht fliehen. Sie hatte ein Ziel vor Augen.
Als Lisa auf den Hof bog, stand ein Pick-Up neben dem Haus. Lisa wunderte sich nicht weiter, sie vermutete, dass er Shayla gehörte. Vielleicht war er gestern in der Werkstatt gewesen oder so ähnlich. Sie stellte ihr Rad neben das Auto. Hier konnte sie es bestimmt lassen.Sie war jedoch etwas unsicher, was sie jetzt tun sollte. Klar, Shayla hatte ihr gesagt, was sie tun konnte, aber trotzdem hatte sie Angst, etwas falsch zu machen. Sie blickte sich suchend nach der jungen Frau um. Als sie niemanden finden konnte, beschloss sie auf die Weide zu gehen um Lotusherz und Mister Blue kennen zu lernen.
Lotusherz stand heute alleine auf einer Koppel, während Mister Blue und Bjalla die Köpfe zusammen steckten. Der Warmblüter beachtete sie nicht weiter, aber die beiden Ponies hoben neugierig die Köpfe. Lisa schlüpfte unter dem Zaun durch und lief auf sie zu. Wenn sie zuerst zu Mister Blue ging, konnte sie auch Bjalla begrüßen. Kaum war sie angekommen, hatte sie auch schon zwei neugierige Nasen an sich. Bjalla schob ihren Kopf in Lisas Gesicht, während Mister Blue ihre Kleidung untersuchte. Kichernd streichelte das Mädchen den Ponies die Köpfe. Bjalla schnaubte, Mister Blue hingegen ließ sich nicht beirren und biss in Lisas Jacke. Empört schob sie den Ponykopf beiseite. "Du Schlingel! Dass das nicht zur Gewohnheit wird. Das schmeckt doch sowieso nicht", schimpfte Lisa ihn sanft. "Du hast dir deinen Titel nicht verdient. Ich glaube, ich nenne dich lieber nur Blue. Das ist sowieso schöner und kürzer."
Nachdem sie Bjalla und Blue ausgiebig gestreichelt hatte, wollte sie zu Lotusherz gehen. Gerade war sie aus der Ponykoppel heraus, als sie jemanden auf dem Hof sah. Eine blonde Frau stieg in den Pick-up und fuhr vom Hof. Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Dann war das wohl doch nicht Shaylas Auto gewesen. Aber was wollte die Fremde hier? Sie drehte sich zu dem Braunen Warmblüter um. Er graste immer noch, ohne sie zu beachten. Sie konnte auch noch später zu ihm gehen, sagte sie sich und lief zurück auf den Innenhof.
Dort fand sie Shayla, die gedankenversunken in Richtung Tor blickte. Erst als Lisa neben ihr stand, bemerkte sie das Mädchen."Oh, Hallo!", begrüßte sie sie. Lisa lächelte schüchtern und erwiderte den Gruß."Ich hoffe es ist okay, wo mein Rad steht...",fragte sie anschließend. "Ja, klar! Da stört es nicht", antwortete Shayla. "Hm", machte sie nachdenklich. "Das eben war eine Vertreterin des Tierschutzvereins. Sie hat uns etwas mitgebracht."Lisa blickte sie fragend an. Auch wenn das sicher nichts gutes hieß, machte sie das 'wir' stolz."Ich glaube, du solltest dir das ansehen." Damit führte sie Lisa ins Haus.
Sie lagen im Wohnzimmer in einer Kiste, die mit einem dunkelroten Tuch abgedeckt war. Lisa war zuerst verwirrt, denn es kam kein Laut aus der Box. Doch dann hörte sie es. Ein winziges Fiepen, leise Atemzüge. Ihre Hand flog ihr ins Gesicht und ihr Mund klappte auf.Das kann doch nicht wahr sein, dachte sie noch.Aber ihre Befürchtung bewahrheitete sich, als Shayla das Tuch hochhob und die winzigen Hundewelpen zum Vorschein kamen. Sie hatten die Augen kaum geöffnet und bewegten sich fast nicht, so kraftlos waren sie. Es waren vier Stück. Eines war schokoladenbraun, zwei schwarz und eines gefleckt. "Frau Hessing vom Tierschutzverband hat sich in der Kiste gefunden. Sie wurden einfach am Wegrand ausgesetzt...", berichtete Shayla leise. "Sie haben im Tierheim keinen Platz und auch keine Zeit um solche kleinen Welpen aufzuziehen.""Wie kann man nur so grausam sein...", fragte Lisa. Den Mensch, der Welpen das angetan hatte, würde sie persönlich zu Grund und Boden stampfen. Solche wehrlosen, lieben, unschuldigen Geschöpfe konnte man doch nicht einfach aussetzten, oder?Shayla schüttelte traurig den Kopf. Sie dachte wohl ähnliches wie Lisa.Sie deckten die Kiste wieder zu und gingen in einen anderen Raum.
"Ich weiß nicht, wie ich sie alleine versorgen soll.... Darum hatte ich gehofft, dass du mir helfen würdest. Es sind doch bald Ferien, oder nicht? Natürlich nur, wenn du willst", fragte Shayla das Mädchen."Natürlich will ich! Wie könnte ich auch nicht?", antwortete dieses entrüstet. Übermorgen würden die Osterferien beginnen und sonst hatte es nie etwas zu tun gehabt, also konnte es sich auch um die Welpen kümmern.Shayla lächelte. Auch wenn sie Lisa erst seid gestern kannte, hatte sie nichts anderes erwartet.
Sie beschlossen, dass Lisa mitkommen würde, um spezielle Milch für die Welpen zu kaufen. Dann konnte die Tierärztin, die diese verkaufte ihr erklären, wie man sie anrührte. Darum würde sich dann das Mädchen kümmern müssen, da Shayla keine Ferien bekam. Sie machten sich gleich auf den Weg, Shayla hatte ihr Auto in einer Garage stehen.Auf der Fahrt rief Lisa bei ihrer Mutter an und berichtete ihr davon. Zu ihrer Überraschung hatte sie gar nichts dagegen, wenn ihre Tochter bei der Pflege der Hunde half.Die Tierärztin war nett und beschrieb genau, wie die Milch angerührt wurde und wie viel jeder Welpe bekommen sollte. Außerdem ordnete sie an, die Welpen herzubringen, sobald sie stark genug waren. Die nächsten zwei oder drei Tage sollten sie sich jedoch ausruhen. Außerdem zog sie in Betracht, eine Hündin dazu zu holen, als Ziehmutter. Das käme aber auf das Alter der Welpen an, meinte sie.
Zurück auf dem Hof machten sich Lisa und Shayla sofort daran, etwas von dem Milchpulver anzurühren. "Wieso ist es so wichtig, dass die Hunde wenn sie klein sind eine Ziehmutter bekommen?", fragte Lisa Shayla."Hm. Damit sie gut sozialisiert werden, glaube ich. Und die Mutter bringt ihnen eben alle wichtigen Dinge bei, die sie so nicht von alleine wissen würden."Sie füllten die Milch in vier kleine Flaschen."Ich hoffe sie nehmen sie an", sagte Shayla mit besorgtem Gesicht.Aber darüber hätte sie sich nicht sorgen müssen. Alle vier Welpen stürzten sich hungrig auf die warme Milch. Lisa nahm sich zuerst den braunen Hund auf den Schoß und bot ihm eine Flasche an. Er begann sofort daran zu lecken und nahm den Sauger schon nach kurzer Zeit ganz in das kleine Mäulchen. Lisa huschte ein seliges Lächeln aufs Gesicht. Auch die anderen drei tranken ohne Probleme aus den Flaschen.Einer der schwarzen Welpen war ein Rüde, alle anderen Hündinnen. Lisa gefiel die schokoladenfarbene am besten und es schien, als habe sich sofort eine Sympathie zwischen den beiden entwickelt. Plötzlich fragte sich das Mädchen: "Willst du sie dann wieder abgeben?"Shayla lachte und streichelte dem Rüden den Kopf. "Naja, das hat ja noch Zeit", entschied sie zwinkernd.
Zuhause stürmte Lisa auf ihr Zimmer und schmiss die Schultasche in eine Ecke. Es war inzwischen spät und sie hatte Hunger. Und sie brannte darauf, ihrer Mutter von den heutigen Ereignissen zu erzählen. Was sehr verwunderlich war. Normalerweise behielt sie alles, was sie dachte für sich und hatte auch nie das Bedürfnis, etwas zu sagen.Ihre Mutter saß im Arbeitszimmer am Schreibtisch und blätterte in einem Buch. Als Lisa ins Zimmer schaute, blickte sie auf und nahm die Brille ab. Dann lächelte sie. Und Lisa lächelte zurück.Es waren warme, freundliche Lächeln.Lisa schien als würde das Zimmer aufblühen und die Sonne plötzlich heller durch die Fenster scheinen. Vielleicht war ja auch nur eine Wolke in dem Moment aufgerissen, aber es hatte etwas magisches."Hast du Hunger?", fragte ihre Mutter und Lisa nickte immer noch lächelnd. Die beiden gingen in die Küche und Lisa begann von den Welpen zu erzählen.Die ganze Zeit über war Lisa froh, ihre Mutter zu haben und sie war wie eine Freundin für sie. Nicht der fremde Mensch, den sie so oft erlebt hatte.
Nach dem Essen ging Lisa auf ihr Zimmer. Es war relativ groß, aber nur spärlich mit Möbeln bestückt. Gerade mal ein Bett, ein Schrank, eine Kommode und der Schreibtisch standen in dem Raum. Um den freien Platz zu füllen, lag ein großer Teppich auf dem Boden. Auch wenn es vielleicht wenig Möbel für einen so großen Raum waren, besaß Lisa einen großen Schreibtisch. Auf ihm könnten sich locker vier Welpen Platz, kam es dem Mädchen in den Kopf. Sie musste schmunzeln. Sie hätte nie gedacht, so tierverrückt zu sein. Die Pferde und die Welpen gingen ihr einfach nicht aus dem Kopf. Lisa versuchte für die Schule zu lernen und ihre Hausaufgaben zu erledigen, aber mehr als ein paar Zeichnungen brachte sie nicht zustande. Diese Zeichnungen stellten - natürlich - kleine Hunde und Ponies dar. Seufzend stand Lisa nach einer Weile wieder auf. So würde das sowieso nichts. Also konnte sie auch etwas spazieren gehen.
Einige Tage später war es endlich so weit. Die Ferien begannen! Lisa konnte es kaum erwarten sich um die Welpen zu kümmern. An den vorherigen Nachmittagen war sie sofort auf den Hof gefahren um sich um die Kleinen zu kümmern. Jetzt hatte sie endlich mehr Zeit. Nachdem sie dass okay von Ihrer Mutter hatte, durfte sie den ganzen Tag dort bleiben, solange sie versprach genügend Essen mitzunehmen und auch das Trinken nicht zu vergessen. Lisa hatte es nicht lassen können, die Augen zu verdrehen. Ihr Mutter machte sich auch immer Sorgen. Aber eigentlich war sie dankbar, da sie nie angenommen hätte, dass sie so lange auf dem Hof bleiben durfte.
Während sie jetzt auf ihrem Fahrrad den Feldweg entlangraste, strahlte sie übers ganze Gesicht. Sie musste aber aufpassen, den Mund nicht zu weit aufzumachen. Sie hatte keine Lust, Insekten zu verschlucken.Inzwischen kam es ihr merkwürdig vor, wie sie es geschafft hatte, in den Misthaufen zu fahren. Selbstsicher lenkte sie das Rad um die Kurve und brachte es auf dem Hof zum Stehen.Shayla brachte gerade Lotusherz in den Stall, begrüßte das Mädchen aber mit einem Winken. Lisa folgte ihr, da sie nicht unhöflich sein und einfach ins Haus gehen wollte.
"Wie geht es ihnen?", fragte sie, nachdem sie die Hofbesitzerin begrüßt hatte."Alles in Ordnung soweit, denke ich", beruhigte sie diese lächelnd. "Aber du kannst gerne rein gehen und dich selber überzeugen."Lisa strahlte sie an und drehte sich um. Mit wehenden Haare lief sie über den Hof und öffnete sie Haustüre. Die Welpen immer noch im Wohnzimmer untergebracht. Damit sie nicht wegliefen, schloss Shayla immer die Tür. Am Anfang waren sie Kleinen noch viel zu schwach, aber schon langsam schienen sie sich zu erholen und streckten ab und zu die kleinen Schnauzen aus der Kiste. Lisa strich jedem der kleinen Hunde sanft über den Kopf, aber der schokoladenbraunen Hündin schenkte sie zwei Streicheleinheiten. Die Kleine war zu ihrem absoluten Liebling geworden und hatte schon jetzt einen Festen Platz in ihrem Herzen. Zum Glück ging es den Welpen wirklich gut.Lisa nahm die Wärmflasche aus der Kiste und füllte sie mit neuem Wasser. Sie sollte den Hunden die Wärme schenken, die ihnen sonst die Mutter gab. Ganz alleine, die armen Dinger, dachte Lisa. Naja, immerhin Shayla und sie hatten die Welpen ja, aber Lisa wusste, dass das etwas anderes war. Sie beschloss Shayla nachher nach der Ziehmutter zu fragen.
Nachdem sich Lisa um die Welpen gekümmert hatte und sie friedlich schliefen, ging sie hinaus um Bjalla zu suchen. Sie stand mit Blue auf einer der Koppeln und blickte dem Mädchen neugierig entgegen. Lisa begrüßte sie fröhlich und strich ihr durch das Fell. "Vielleicht darf ich dich ja putzen, wenn die Welpen noch schlafen", murmelte sie. Sie mochte die Stute sehr und verbrachte liebend gern Zeit mit ihr. Sie versank ein wenig in Gedanken, sodass sie nicht merkte, dass sich auch Blue von hinten näherte. Er stieß ihr in den Rücken, sodass sie fast umfiel. "Hey! Das gehört sich aber nicht!" Aber als Lisa das Pony weiter ausschimpfen wollte, blinzelte er sie so lieb durch seinen Schopf hindurch an, dass sie Lächeln musste. "Du bist unglaublich, Blue", rügte sie ihn sanft.
Lisa ging in den Stall, wo Shayla die Boxen ausmistete. Sie wollte schon fragen, ob sie helfen sollte, als die Frau sie bemerkte und zu sprechen begann. "Oh, gut, dass du da bist. Könntest du Blue und Bjalla putzen? Die zwei sind wirklich schmutzig. Und wenn ich schon einmal Wochenende habe, kann ich dir heute Abend zeigen, wie Longieren geht." Sie zwinkerte ihr zu. "Aber dazu muss Blue geputzt sein, also geh schon." Lisa bedankte sich und griff nach den Halftern für die beiden Pferde. Als wüssten die beiden, was das Mädchen vorhatte, standen sie schon vorne am Zaun und ließen sich brav aufhalftern und auf den Hof führen. Lisa redete mit ihnen, während sie sich immer abwechselt mit einer Bürste putzte. Blue nahm, als er nicht an der Reihe war eine Bürste ins Maul und schaute das Mädchen auffordernd an. Lisa stemmte die Arme in die Hüfte und sah ihn streng an. "Sei wenigstens heute Abend brav!" Doch dazu schüttelte das Pony nur schnaubend den Kopf.
Es dämmerte schon, als Lisa Blue neben Shayla zur Halle führte. Aber das machte nichts, da es in der ehemaligen Scheune ja Lampen gab. Blue trug einen Gurt und Zaumzeug, das vorne einen Ring hatte. Dort hatte Shayla eine Leine, die Longe, eingehängt. Außerdem hatten sie eine Peitsche dabei.
"So, pass auf. Du stellst ihn so vor dich hin", erklärte Shayla. Sie führte Blue in die Mitte der Halle und stellte sich auf seine rechte Seite. "Dann schickst du ihn hinaus, indem du sagst 'Und lauf!' und mit der Peitsche zu seiner Kruppe zeigst." Brav setzte sich das Pony in Bewegung. Lisa war ein wenig überrascht, sie hatte erwartet, dass er Blödsinn machen würde. "Jetzt muss er sich erst einmal aufwärmen, das heißt eine Zeit lang Schritt gehen." Lisa hörte aufmerksam zu, um ja nichts falsch zu machen. Nach einigen Minuten, in den Shayla dem Mädchen erklärte, sie sie Peitsche und Longe halten musste und wie Blue gehen sollte, ließ sie das Pony antraben. Blue schnaubte zufrieden und senkte den Kopf. "Das ist gut, lobe ihn wenn er das macht!", forderte Shayla auf. Sie zeigte Lisa noch ein paar Stimmbefehle, dann übergab sie ihr die Longe. Zuerst war Lisa etwas verwirrt und kam nicht mit der langen Leine zurecht, aber allmählich klappte es besser. Am Ende durfte sie Blue sogar kurz galoppieren lassen.
"Sehr schön", meinte Shayla schließlich zufrieden. Sie erlaubte Lisa, dies auch alleine zu machen, weil sie fand, dass sie das sehr gut machte. "Aber kein Springen und keine Experimente. Da will ich dabei sein", mahnte sie trotzdem. Lisa verstand sie gut, aber sie wäre auch gar nicht auf die Idee gekommen, das alleine zu tun.
Nachdem sie Blue und die anderen Pferde versorgt hatten, sahen sie wieder nach den Welpen. Die gefleckte Hündin hatte sich aus der Kiste getraut und stakste etwas unsicher durch den Raum. Shayla strich ihr liebevoll über das Köpfchen. "Ich habe mich etwas umgesehen und eine Hündin gefunden, die als Leihmutter in Frage käme. Sie soll morgen vorbei kommen", berichtete sie. Lisa schaute überrascht auf. Das war gut. Sehr gut, sogar. Shayla erzählte ihr von der Hündin, während sie die Welpenmilch zubereiteten. Sie war auch trächtig gewesen, hatte aber die Welpen verloren. Wenn sie die Kleinen aufnahm, hatten sie die beste Chance auf ein schönes Leben.
Lisa blinzelte verschlafen in das Sonnenlicht. Nanu?, dachte sie. Normalerweise fiel das Licht doch erst am Abend in ihr Zimmer. Sie sah sich genauer um. Stroh, Heu, eine Holzwand - genau! Sie lag in der Scheune und hatte auf den Heuballen übernachtet. Ein Lächeln legte sich auf das Gesicht des Mädchens.
Obwohl schon etwas Licht in Lisas Augen gefallen war, musste sie sich doch erst an das strahlende Hell gewöhnen, als sie auf den Hof trat. Sie verzog das Gesicht, grinste dann aber Shayla zu, die das Futter für die Pferde zubereitete. "Gut geschlafen?", lachte diese und schüttelte dabei ihre Haare. "Jaja... war aber wirklich bequem!"
Gemeinsam verteilten sie das Getreide und unterhielten sich währenddessen über die Welpen. Sie bemerkten zuerst gar nicht, wie ein PKW auf den Hof bog und neben Shaylas Wagen zum Stehen kam. Erst das Geräusch der Autotüre ließ sie aufblicken. "Ah, das muss Bakira sein!", meinte Shayla und lief eilig auf den aussteigenden Mann zu.Er wirkte etwas unsicher, aber lächelte freundlich und stellte sich als John Michel vor."Soll ich Bakira herausholen?", fragte er, redete aber gleich weiter. "Wir züchten selber und sie hatte schon einige Würfe, aber dieses Mal ist es leider schief gelaufen. Ich denke, dass sie die Welpen gerne aufnehmen würde. Wenn eine unserer anderen Hündinnen einen Wurf hat, kann sie sich kaum zurückhalten." Er öffnete die Kofferraumklappe und eine langhaarige, gescheckte Hündin sprang heraus. Sie sah sich aufmerksam um und wirkte nicht gestresst. Lisa war sich sicher, dass sie Bakira hieß, jemand anderes konnte wohl kaum gemeint sein. Bakira begrüßte die Fremden indem sie ihnen an der Hand schnüffelte. Dann wandte sie sich erwartungsvoll an ihren Besitzer. John Michel lächelte und wuschelte ihr durch das dichte Fell.
"Also dann...", forderte Shayla auf, ihr zu folgen und führte die Besucher ins Innere des Hauses, in den Raum, in dem die Welpen untergebracht waren. Lisa hielt gespannt die Luft an. Sie hoffte so sehr, dass die Welpen eine Chance auf ein schönes Leben hatten und Bakira sie akzeptieren würde. Und tatsächlich sah es so aus, als würde alles gut gehen. Bakira begann sofort, die Welpen zu bemuttern und die drei Menschen blickten sich erleichtert an.
Shayla besprach mit John Michel, was mit den Welpen geschehen sollte und sie legten fest, dass er die Hunde mit sich nehmen würde. Er kannte sich am besten mit Welpenaufzucht aus und hatte Zuhause alles für einen Wurf vorbereitet. Lisa blickte dem Auto traurig nach, als es vom Hof fuhr. Sie hatte sich so sehr gefreut, sich um die Welpen kümmern zu können. Jetzt hatte sie nichts mehr und ihre Mutter würde ihr sicherlich nicht weiter erlauben, so lange auf dem Hof zu bleiben.Shayla spürte die Traurigkeit des Mädchens und legte ihr einen Arm um die Schulter."Es ist besser für sie", damit sagte Shayla wohl die Wahrheit. Niemand kann einen Hund besser aufziehen als ein Hund. Trotzdem blinzelte Lisa eine Träne weg. Sie wollte sich nicht selbst bemitleiden, aber sie hatte sich das so sehr gewünscht. Außerdem würde sie die Welpen vermissen.
Gemeinsam gingen Shayla und Lisa zurück zum Stall und verteilten das restliche Futter.
Einige Wochen später, der Sommer stand schon vor der Tür, stand Lisa gedankenverloren in der Stalltüre und blickte auf den Hof. Es war schon lange her, dass die Welpen abgeholt worden waren, aber sie konnte sich immer noch genau daran erinnern. Sie hatte sie gemeinsam mit Shayla ein paar Mal besucht und sie waren mittlerweile riesig. Wie ein Wirbelwind fegten die kleinen Racker durch ihren Auslauf und wenn Besuch kam, stürzten sie sich mit solche Freude auf ihn, dass einem fast die Luft wegblieb. Sie hatten außerdem spitze Zähnchen bekommen, mit denen sie an allem herumknabberten, was ihnen in die Finger kam. Bei den Gedanken an ihren kleinen Lieblingswelpen musste Lisa lächeln.
"Hallo, Lisa!" Der Ruf kam von Shayla, die sich gerade ihre Stiefel anzog. Lisa winkte ihr lächelnd zu. "Hol doch schon mal Bjalla raus." Dann verschwand die junge Frau in Richtung Koppeln.
Lisa blickte ihr kurz nachdenklich hinterher, beeilte sich dann aber die Isländerstute heraus zu holen. Sie freute sich immer wie verrückt, wenn sie etwas mit dem sanften Pony machen durfte. "Wir haben was vor, Bjalla!", begrüßte Lisa die Stute fröhlich. Diese prustete ihr mit warmen Pferdeatem Heu ins Gesicht. Das Mädchen kniff die Augen zusammen und kicherte. Kurz darauf stand Bjalla angebunden auf dem Hof, während Lisa ihr mit einem Striegel durch das weiche Fell fuhr.
Lisa war gerade fertig mit Putzen, als Shayla zurück kam. Sie führte Mister Blue und Lotus neben sich her. Im Vorbeigehen sagte sie Lisa, dass sie Bjallas Sattel und Zaumzeug holen sollte.Lisas Herz machte einen Sprung. Sie durfte Reiten! Klar, sie freute sich auch, wenn sie eines der Pferde longieren oder mit ihm Bodenarbeit üben durfte, aber das größte war es, wenn Shayla ihr Reitstunden gab.
Letzten Monat hatte sie das erste Mal Bjalla reiten dürfen. Sie konnte sich noch genau an das mulmig-aufgeregte Gefühl erinnern, als sie auf dem Rücken der hübschen Stute gesessen war. Es fühlte sich zwar ungewohnt an, aber Lisa hatte nie zuvor etwas Schöneres erlebt. Seitdem saß sie jede Woche mindestens einmal im Sattel und strengte sich an, eine gute Reiterin zu werden.
Puh, der Sattel war ganz schon schwer, Lisa hatte immer Angst, in nicht mehr halten zu können, sodass er auf den Boden fiel, aber das bis bis jetzt noch nicht passiert. Sie hob ihn vorsichtig auf den Rücken des Isländers und schob ihn zurecht, so wie sie es von Shayla gelernt hatte. Dann ließ sie vorsichtig den Gurt herunter und zog ihn leicht an. Shayla kehrte aus dem Stall zurück und legte Bjalla die Trense an. Als die verschnallt war, führte sie die Stute in die Halle."Vergiss deinen Helm nicht!", rief sie Lisa fröhlich zu. Das Mädchen runzelte die Stirn. "Brauchen wir die Longe gar nicht?", fragte sie, aber Shayla grinste nur. Also blieb Lisa nichts anderes übrig, als ihr mit dem Helm hinterher zu laufen.
Sollte sie heute etwa ohne Longe reiten? Das hatte sie bisher noch nie gedurft. Shayla sagte, sie solle erst mehr Sicherheit bekommen. Und wissen, was sie tat. Sie sah es nämlich gar nicht gerne, wenn Reiter Pferden im Maul herumzogen oder sonst grob zu ihnen waren.
Jetzt wurde Lisa aber doch wieder nervös. Was würde passieren, wenn sie es doch tat? Wenn Shayla sich in ihr getäuscht hatte? Sie wollte Bjalla doch nicht weh tun!Shayla bemerkte ihr Unsicherheit und meinte aufmunternd:"Ich bin mir absolut sicher, dass du das auch ohne Longe kannst."Lisa setzte sich den Helm auf, zog die Steigbügel herunter und schwang sich in den Sattel, während Shayla auf der anderen Seite dagegen hielt. Sie nahm die Zügel auf und atmete tief durch. Keine Panik, Lisa.
"So, dann ab im Schritt, Ganze Bahn."Das heißt außen auf dem Hufschlag herum. Leicht die Schenkel andrücken und mit der Zunge schnalzen. Perfekt. Bjalla läuft locker los. Zügel locker lang lassen, sie soll sich dehnen.
"Bei C eine Große Tour"Ein Kreis. Äußerer Schenkel leicht zurück, damit die Hinterhand aktiviert wird. Super.
"Zügel aufnehmen, bei A antraben"Ein bisschen kürzer nehmen, Spannung aufbauen. Teerab, Bjalla.
Es klappte wie am Schnürchen. Bjalla schien schon vor Lisa zu wissen, was sie machen wollte. Das Ende der Reitstunde kam viel zu schnell. Ein bisschen enttäuscht, aber strahlend, brachte Lisa Bjalla zurück in ihre Box und verwöhnte sie mit Möhren."Du bist ein tolles Pferd", murmelte sie in ihre dicke, feste Mähne.
Der Wind wehte Mädchen und Pferd durchs Haar, als sie auf dem Hügel zum stehen kamen. Die untergehende Sonne tauchte alles in ein rot-oranges Licht. Leise raschelten die Grashalme.
Das Mädchen seufzte und spielte mit einer Hand in der Mähne ihrer Stute. Das Pferd senkte schnaubend den Kopf und begann zu grasen. Das Mädchen kicherte und flüsterte, "Jaja, Bjalla, ich weiß. Kitschige Sonnenuntergänge sind nicht dein Stil.Dann zupfte sie leicht am Strick und die beiden setzten ihren Spaziergang fort.
ENDE
Tag der Veröffentlichung: 29.09.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Caius, den ich über alles Liebe.
Und für N., die mir meinen Engel auf die Erde holte.
Danke