Bis jetzt hatte ich Menschen angesprochen. Nun lernte ich einen Ball anzusprechen.
„Du musst einen Enten-Po machen,“ rief meine Freundin laut.
Ich guckte mich schnell auf der Driving Range um, um mich zu vergewissern, ob jemand diesen Vorschlag gehört hatte. Hinter mir stand eine Reihe Männer im Ruhestandsalter. Niemand schaute zu mir und alle schienen konzentriert mit ihren Bällen und Schlägern beschäftigt zu sein.
Peinlicherweise baute sich Antje nun neben mir auf und machte vor, wie ihrer Meinung nach ein Enten-Po aussah.
Ich ging also ein bisschen in die Knie und streckte meinen Po raus, dann holte ich Schwung und tatsächlich flog mein Ball fast fünfzig Meter weit. So weit hatte ich es bisher nur selten geschafft.
Antje lobte mich laut und spornte mich zur Wiederholung an.
„Wir haben nur noch eine halbe Stunde. Willst Du Dich nicht auch einspielen?“, fragte ich und hoffte ein weiteres lautes Lob zu verhindern.
Antje nickte und baute sich vor mir auf dem Abschlag der Driving Range auf. Sie machte nur einen kleinen Enten-Po, doch ihr Ball flog weit und hoch. Ich bewunderte sie.
Antje hatte ich vor zwei Jahren im Krankenhaus kennengelernt. Ich musste damals früh morgens nüchtern für eine kleine Operation dort erscheinen. Vor der Anmeldung stand eine lange Schlange und ich hoffte diese umgehen zu können, weil ich schon als Privatpatient angemeldet war. Ich erntete ein paar böse Blicke und wurde wieder in die Schlange zurückgeschickt. Nur Antje lächelte, denn sie hatte offenbar die gleiche Erfahrung gemacht. Wann immer wir Wartezeiten zwischen den Untersuchungen hatten, die den Operationen vorausgingen, verbrachten wir diese zusammen.
Dabei erzählte Antje mir von ihrem früheren Freund, der Golf Pro war und ihr das Golf spielen beigebracht hatte. Innerhalb eines Jahres hatte sie sich vom Anfänger auf ein 30ger- Handicap heruntergespielt. Das würde ich nicht schaffen, denn erstens war sie damals jung und ich heute nicht und zweitens war ich nicht besonders sportlich und sie schon.
In der Gruppe, mit der ich den Platzreifekurs gemacht hatte, waren wir zu zwölft. Abgesehen von einer Schülerin und einem jüngeren Pärchen waren alle im Rentenalter und Männer. Die Männer, die wie ich, nachmittags Zeit hatten, standen nun auf der Driving Range, übten und konnten sehen, wie ich einen Enten-Po machte. Schnell stellte ich mich wieder gerade hin und nahm tüchtig Schwung. Ich verfehlte den Ball, schlug aber ein ordentliches Stück Rasen fast drei Meter weit. Der Aufprall des Schlägers auf dem Rasen sandte einen heftigen Schmerz vom Handgelenk bis zu meinem Ellbogen. Ich massierte meinen Arm und zweifelte, ob ich in nächster Zeit überhaupt noch einen Schlag mit dem Golfschläger ausführen können würde.
„Was ist?“, fragte Antje, die merkte, dass ich gar keine Bälle mehr schlug, sondern meinen Arm hielt. „Zeig noch mal einen Schlag.“
Ich biss die Zähne zusammen, legte den Ball vor mich hin, nahm Schwung und machte einen kleinen Enten-Po. „Stopp“, rief Antje. „Du wickelst Dich ja ein. Schau mal so musst Du den Schwung machen.“
„Mein Arm tut weh. Ich möchte jetzt lieber keinen Schwung mehr üben.“
„Gut, dann üben wir jetzt putten.“
Das Putting-Green lag in der Sonne und man konnte von dort auf den See hinunterschauen. Zu Antjes Erstaunen schaffte ich es die Bälle jeweils mit ein oder zwei Schlägen einzulochen.
Während Antje zur Toilette ging, genoss ich den schönen Blick von einem Strandkorb aus, der genau zu diesem Zweck in der Nähe des Grüns aufgestellt worden war. Ich schloss die Augen und war einen Moment glücklich. Alles war, wie es sein sollte. Deshalb wollte ich Golf spielen. Damit ich hier sitzen konnte und den Gänsen auf dem glitzernden See zuschauen konnte, wenn ich wollte.
„Auf. Wir müssen zum Abschlag,“ beendete Antje meine Auszeit. Am Abschlag warteten zwei Herren.
„Wann schlagen Sie ab,“ fragte Antje.
„Unsere Startzeit ist um zwölf.“
„Unsere auch,“ freute sich Antje.
„Wir haben uns gerade dazu gebucht.“
„Aber…“, setzte ich an.
„Wie schön,“ unterbrach mich Antje.
Die beiden Herren stellten sich als Klaus und Karl vor und wünschten ein schönes Spiel, bevor sie zum Abschlag gingen. Bei beiden landete der Ball nach dem ersten Schlag nahe am Grün, wie auch bei Antje. Mein Ball hatte sich dagegen nur wenige Meter fortbewegt. Während ich meinen Ball mit kleinen Schlägen in die Nähe des ersten Lochs brachte, schlossen die anderen Bekanntschaft. Das setzte sich bei den folgenden Bahnen so fort und nach dem neunten Loch sank ich völlig erschöpft auf eine Bank.
„Willst Du schon aufhören?“, fragte Antje.
„Ich bin völlig erschöpft und in meinem Arm habe ich gar kein Gefühl mehr, denn er ist nur noch Schmerz.“
Antje schaute mich besorgt an.
„Soll ich Dich zum Clubhaus begleiten,“ fragte sie.
Ich schaute sie erstaunt an. Was gab es da zu fragen? Wir hatten uns doch jetzt eine Pause auf der schönen Sonnenterrasse des Clubhauses bei einem Wein oder Bier mehr als verdient.
„Wenn es Dir nichts ausmacht, würde ich die Partie gern noch zu Ende spielen. Ich komme dann gleich ins Restaurant nach,“ meinte Antje.
Die Herren nickten und alle begaben sich zum nächsten Abschlag. Da ich noch nie zuvor so viele Bahnen gespielt hatte, wusste ich nicht genau, wie ich zum Clubhaus zurückkommen sollte. Ich ging einfach los und wurde schon nach zehn Minuten von einem mit karierten Hosen und dazu passender Mütze gekleideten Herrn angeschrien.
„Sind Sie lebensmüde? Sie laufen mitten durch die Bahn.“
„Wie komme ich denn zum Clubhaus,“ fragte ich.
Der Mann wies mir den Weg und ermahnte mich aufzupassen, ob jemand auf der Bahn sei und im Zweifel auf dem Weg zu warten, bis die anderen Golfer passiert wären.
Ich biss die Zähne zusammen und marschierte so schnell wie möglich den beschriebenen Weg. Auf der Terrasse des Clubhauses fand ich einen schönen Platz, von dem man hinunter auf das achtzehnte Loch schauen konnte. Ich bestellte mir einen großen Radler, lehnte mich entspannt zurück und versuchte den schmerzenden Arm und die schmerzenden Füße und Hände zu vergessen. Ein gewaltiger Knall erschreckte mich.
Einige hundert Meter entfernt unten auf der Bahn stand ein Mann und rief „Fore“, um zu spät davor zu warnen, dass er seinen Golfball gegen die Brüstung der Restaurantterrasse geschossen hatte. Ich rückte von der Brüstung ab. Ein Mann vom Nachbartisch klärte mich auf: „Das passiert öfter. Deshalb ist dieser Tisch auch meistens frei.“
Während ich mich noch von dem Schreck erholte und einen anderen Platz suchte, sah ich schon wie sich Antje mit Klaus und Karl dem letzten Loch näherte. Ihr Ball landete aus großer Entfernung direkt auf dem Grün und sie brauchte dem Ball nur noch einen Stups zu geben, damit er in Loch fiel. Die Leute von der Terrasse applaudierten ihr. Kurz darauf erschienen die Drei mit strahlenden Gesichtern im Restaurant und setzten sich zu mir an den Tisch.
„Das hat Spaß gemacht,“ freute sich Antje.
„Du spielst toll,“ lobte sie Klaus. „Du hattest sogar zwei Birdies. Wollen wir am nächsten Wochenende nicht wieder eine Runde spielen?“
Antje schaute mich an.
„Ohne mich,“ beschied ich sie. „Ich muss mich erst mal erholen. Aber Du kannst gerne spielen.“
„Mal sehen,“ meinte Antje daraufhin.
„Hier hast Du meine Karte. Melde Dich, wenn Du Lust auf eine Runde hast.“
Antje nickte und steckte die Karte ein.
„Ich habe heute viel zu viele Putts gebraucht,“ jammerte Karl. Er schaute auf seine Score-Karte. An der 8, der 9 und der 11 habe ich jeweils erst nach drei Putts eingelocht, dabei habe ich diese Löcher auch schon öfter Par gespielt. Ich weiß nicht, woran es liegt.“
Verständnislos schaute ich Karl an. Aus meiner Sicht hatte er super gespielt.
„Das große Golfgeheimnis,“ lächelte Antje. „Niemand weiß, warum man manchmal toll und dann wieder nicht so toll spielt.“
„Ich werde dieses Geheimnis lösen,“ gab sich Karl entschlossen. „Ich habe mir einen Fitness-Tracker gekauft und kann nun genau nachvollziehen, ob ich nach schlechtem Schlaf, zu viel Essen oder zu wenig Trinken schlechter spiele.“
„Wird dabei auch das Bio-Wetter berücksichtigt,“ fragte ich unschuldig.
„Wie meinst Du das?“
„Na zum Beispiel Pollenflug, herannahendes Gewitter oder Südwind.“
„Hm, der witterungsbedingte Zustand der Bahnen wird bei Turnieren berücksichtigt, aber Bio-Wetter…? Dazu müsste man eine spezielle Golf-App haben, wo alle diese Faktoren individuell berücksichtigt werden könnten, so dass man seine echte Spielstärke messen kann.“
„Na, ich glaube bis es so eine App mal gibt, heißt es für mich erst mal üben.“
Karl schaute mich nachdenklich an und suchte dann im App-Store seines Handys nach Golf-Apps.
Klaus erklärte: „Karl ist Programmierer und ich fürchte, Du hast ihn nun auf eine Idee gebracht, die ihn für die nächsten Wochen vom Golf-Spielen abhalten wird.“
„Dafür wird er dann vielleicht wissen, warum er nicht so gespielt hat, wie er spielen wollte.“
Klaus lächelte: „Es muss auch Geheimnisse geben.“
Heute spiele ich das erste Mal mit Ulla und Horst aus meiner Anfängergruppe. Beide spielen schon länger und besser als ich. Horst kennt die Regeln gut und hat viele Ratschläge an sich selbst und andere, wie man besser spielen könnte. Ratschläge an sich selbst begleitet er mit einem anfänglich laut ausgerufenen „Scheiße“; Ratschläge an andere mit „Das war schon ganz gut, aber…“. Ulla ist ehrgeizig, aber eigentlich sucht sie Kontakte zu anderen Menschen. In der Hierarchie der Golfer möglichst weit oben zu stehen, ist für beide wichtig, obwohl sie sagen, dass sie nur zum Spaß spielen und es gar nicht wichtig ist, wie gut sie spielen.
„Verdammte Sch…,“ ruft Horst als sein Ball vom Abschlag aus direkt in eine Baumgruppe fliegt.
Seine Laune bessert sich nicht als Ullas Ball kurz vor dem Grün landet.
Auch mein Ball landet nach vielen Annäherungsschlägen endlich dort. Dann helfen wir Horst suchen.
„Was steht auf Deinem Ball,“ fragt Ulla.
„HP“, antwortet Horst.
„Oh, dann ist dies nicht Dein Ball. Toll, ich habe einen Ball gefunden. Den nehme ich nachher beim Spiel über das Wasser. Und da ist ja noch einer und noch einer.“
Während Ulla strahlte, schaute Horst immer missmutiger. Hinter einem Busch sah ich etwas. Ich bückte mich und versuchte es mit dem Schläger aus dem Gebüsch herauszuschlagen.
Horst trat hinter mich. „Warte. Wenn das mein Ball ist, muss ich erst überlegen, was ich tue.“
Ich schaute ihn verständnislos an. Musste man nicht immer überlegen, was man tut. Konnte man einen Ball, der im Strunk eines Busches saß, anders spielen als ihn zunächst herauszunehmen?
Ulla kam hinzu: „Ist das Dein Ball?“
„Ich weiß es nicht.“
Ulla nahm den Ball aus dem Busch. Horst protestierte nicht. Sie warf den Ball auf das Fairway und sagte. „Es steht HP drauf. Vielleicht ist es ein Mulligan?“ Dabei schaute sie Horst verschmitzt an.
Horsts schlechte Laune war wie weggeblasen. Mit einem eleganten Schlag beförderte er den Ball auf das Grün und lochte mit dem nächsten Schlag ein. „Par“, rief er glücklich.
„Was ist ein Mulligan?“, wollte ich wissen.
Unwirsch schüttelte Ulla den Kopf. Sie wollte offenbar Horst bei Laune halten.
„Erklär ich Dir später.“
Die nächsten Bahnen verliefen nach dem gleichen Muster. Ulla und Horst schlugen nahe zum Grün und ich plagte mich mit vielen Annäherungsschlägen ab, während sie sich ausruhten und unterhielten. Kein Wunder, dass ich im Gegensatz zu Ihnen am neunten Loch wieder völlig erschöpft war.
„Ich höre auf, spielt Ihr noch weiter“, fragte ich.
„Du hast doch super gespielt, dafür, dass Du erst vor ein paar Wochen Platzreife gemacht hast. Versuch noch die nächsten neun Löcher zu spielen. Es sind auch welche dabei, die einfacher sind als die ersten neun,“ versuchte Horst mich zu ermutigen.
„Außerdem gibt es einen sensationellen Ausblick auf den See von den letzten beiden Löchern und wir laden Dich noch auf einen Radler ein, wenn Du durchhältst.“
Ich gab mich geschlagen und bedingte mir aber aus, jederzeit aufzuhören, wenn es mir zu viel wurde.
Doch Horst und Ulla konzentrierten sich nun auf mich. Jeder Schlag wurde mit Lob oder Tipps begleitet und tatsächlich brauchte ich bei Loch 14 nur einen Schlag bis aufs Grün.
„Tod am Stock“, rief Horst.
„Wenn Du ihn jetzt einlochst, hast Du einen Birdie,“ strahlte Ulla mich an.
Der Ball lag direkt neben der Fahne. Das Loch war nicht zu verfehlen. Als ich einlochte, brachen Horst und Ulla in Jubel aus.
„Hey, ein Birdie. Das ist super. Glückwunsch.“
Der Erfolg gab mir Auftrieb und ich spielte die nächsten Bahnen passabel.
Beim Absacker im Clubrestaurant wurde ich von allen Seiten für meinen Birdie beglückwünscht und genötigt doch zur Feier des Tages eine Runde auszugeben.
Das tat ich gerne, denn obwohl ich den Schlag gar nicht so spektakulär gefunden hatte, war doch die allgemeine Anerkennung sehr wohltuend.
Abends beim Einschlafen murmelte ich glücklich „Tod am Stock.“
Eine Woche später spielte ich wieder mit meiner Anfängergruppe. Diesmal hatten die Anfänger jeweils einen Begleiter im Flight, der ein einstelliges Handicap hatte und uns Tipps geben sollte. Ich spielte wieder mit Ulla und Horst sowie mit Cordula, einer Anfang-zwanzigjährigen Blondine. Unser Begleiter war Martin. Während wir auf unseren Abschlag warteten, rauchte Martin und notierte sich unsere Namen auf einer Scorekarte.
„Super“, lobte Martin, nachdem ich mit meinem Abschlag nahe ans Grün gekommen war.
Danach spielte ich aber noch in den Bunker und lochte erst nach drei Putts ein.
Martin konzentrierte sich jetzt auf Cordula, die jung und schlank war und einen Put weniger als ich gebraucht hatte.
Für die nächsten sechs Bahnen fühlte ich mich unsichtbar. Martin gab vor allem Horst und Cordula Tipps. Ulla und ich waren nicht in seinem Fokus. Das gab uns Zeit, uns zu unterhalten. Vorsichtig tasteten wir uns aneinander heran. Ulla war eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die ihren Mann nach wiederholten Seitensprüngen verlassen hatte. Sie strahlte Selbstbewusstsein aus.
„Und möchtest Du hier einen neuen Mann kennenlernen,“ fragte ich sie.
Ulla schnaubte.
„Ich habe von Männern erst einmal die Nase voll. Außerdem ist hier auch nichts dabei.“
Martin gebot uns zu schweigen, denn Horst wollte seinen Abschlag machen und sollte dabei Ruhe haben.
Ulla schnaubte noch einmal. Als sie dran war, legte sie einen fantastischen Abschlag hin.
Wir bejubelten sie und sie zwinkerte mir zu. Offenbar hatten die Emotionen, die bei ihren Erzählungen über ihren treulosen Mann aufgestiegen waren, ihr zusätzliche Power gegeben.
„Deine Bewegung war jetzt kraftvoll und harmonisch. Versuche sie in Dein Muskelgedächtnis einzuspeichern,“ lobte Martin. „Du musst Deine Brustmuskeln trainieren, dann kommst Du weiter.“
„Brustmuskeln,“ prustete Ulla. „So was habe ich nicht.“
Ulla und ich schmunzelten in uns hinein.
Mein nächster Abschlag war nur mäßig, doch Martin lobte auch mich.
Als Letzte schlug Cordula ab. Es war eine Freude ihr dabei zuzusehen. Ihr schlanker Körper bewegte sich harmonisch und ihr blonder Pferdeschwanz wiederholte die Schwungbewegung. Wie hypnotisiert schauten wir ihr zu. Sie war ein Naturtalent.
„Toll, Cordula,“ bewunderte Ulla sie. „Hast Du jetzt erst angefangen, Golf zu spielen?“
„Ja, ich habe letzten Monat meine Platzreife gemacht. Allerdings habe ich auch früher schon einmal gespielt und dann fünf Jahre nicht.“
„Warum nicht?“, fragte Ulla.
„Ich war krank,“ antwortete sie kurz.
„Wie schön, dass Du Dich so gut erholt hast,“ bemerkte Martin. „Hast Du früher noch einen anderen Sport getrieben?“
„Ja, Hockey“.
„Das erklärt Deinen kraftvollen Schlag und Dein Ballgefühl. Du wirst uns Männern noch das Fürchten lehren,“ lächelte Martin.
Die Blicke von Martin und Horst sahen nicht sehr furchtsam aus. Cordula schien sie nicht wahrzunehmen und machte sich auf den Weg zu ihrem Ball. Als wollte sie einen Ausgleich für das ihr zuteil gewordene Lob schaffen, bewunderte sie anschließend häufig Ullas und meine Schläge und alle bewunderten wir die Schläge von Horst.
Das ist Golf, dachte ich. Man gönnt sich Bewunderung für den anderen und man bekommt mehr Bewunderung als in sonst einer Situation im Leben, wo diese Bewunderung viel angebrachter wäre.
Mit gutem Gefühl beendeten wir die Runde und dankten uns wechselseitig für das schöne Spiel.
Martin fragte Cordula, ob sie Trainerstunden nähme. Sie verneinte.
„Das solltest Du aber. Du hast Talent und könntest es weit bringen.“
Cordula nickte, ging aber nicht weiter darauf ein. Sie verabschiedete sich nach dem 18. Loch schnell und verschwand.
Wir anderen nahmen noch einen Drink auf der Terrasse.
„Cordula hat wirklich Talent,“ griff Martin das Thema wieder auf. „Es wäre schade, wenn sie nichts daraus machte.“
„Schade für wen?“ frotzelte Ulla.
Martin rollte mit den Augen. „Für sie selbst natürlich.“
„Vielleicht sind die Stunden zu teuer,“ schlug ich vor.
„Meinst Du?“ fragte Martin. „Sie sieht nicht gerade arm aus.“
„Arm sehen meist nur die ganzen Reichen aus und das mit Absicht,“ dozierte Ulla.
„Ich könnte sie umsonst unterrichten,“ überlegte Martin.
„Umsonst ist nur der Tod,“ frotzelte Ulla weiter und fing sich einen bösen Blick von Martin ein.
„Was ist eigentlich ein Mulligan?“, lenkte ich ab, denn Ulla hatte es mir entgegen Ihrem Versprechen immer noch nicht erklärt.
Martin schaute mich kritisch an. „Wo hast Du das denn gehört?“
Ulla und Horst blickten zunächst alarmiert und dann hinaus aufs Grün.
„Mulligan bedeutet Betrug,“ dozierte Martin. „Betrug an sich selbst und an allen anderen Golfspielern.“
Ich sah ihn fragend an.
„Mulligan bedeutet, dass ein Schlag regelwidrig nicht gezählt wird. So verschaffen sich manche Spieler ein niedriges Handicap, das sie dann aber auf dem Platz nicht einlösen können.“
„Warum muss man ein Handicap auf dem Platz einlösen. Ist es nicht nur für einen selbst wichtig?“
Ulla kicherte. Horst schaute interessiert auf die Tischdecke.
„Viele versuchen sich schnell herunterzuspielen und ein niedriges Handicap zu haben, um Zugang zu bestimmten Plätzen und Turnieren zu erhalten. Wenn sie dann ein nominell niedriges Handicap haben, es aber im Spiel gar nicht erreichen, halten sie die anderen Spieler auf und verderben Ihnen das Spiel.“
Ich nickte.
„Viele wollen ein niedriges Handicap haben, um besser angesehen zu sein. Besonders die Männer,“ ergänzte Ulla.
„Aber was ist, wenn ich ein Handicap ehrlich erworben habe und dann lange Zeit nicht spielen kann, zum Beispiel, weil ich beruflich zu sehr eingespannt bin. Dann spiele ich doch mein Handicap auch nicht mehr.“
Martin seufzte. „Das ist ein Problem. Aber es kommt nicht so oft vor, wie die ärgerliche Schummelei. Zudem spielen die „Unterbrecher“ meist auch so, dass sie andere möglichst wenig stören.“
„Was passiert denn, wenn jemand beim Mulligan ertappt wird,“ fragte ich und schaute Horst an.
„Derjenige und die anderen, die die Schummelei als Zähler gedeckt haben, können disqualifiziert werden.“
„Wie gut, dass ich das noch nie erlebt habe,“ bemerkte ich mit einem kleinen Lächeln. „Ich hatte den Begriff in der Umkleide gehört. Da hatte wohl jemand, jemand gesehen, der einen Mulligan gespielt hat.“
„Ich kenne Mulligan nur als schottischen Whisky,“ behauptete Horst, ohne rot zu werden.
„Wollen wir mal fragen, ob sie den hier haben,“ schlug Ulla vor.
„Ich muss nach Hause,“ sagte Horst und stand auf. „Habt noch einen schönen Abend.“
„Leider muss ich auch gehen,“ sagte Martin und folgte Horst zur Kasse.
„Die haben bloß Angst, dass sie den teuren Whisky bezahlen müssen. Ich bestelle uns jetzt eine Runde, wenn Du magst. Natürlich auf meine Rechnung.“
Selbstverständlich hatten sie Mulligan und er schmeckte mir ausgezeichnet. Wir tranken auch noch anderen Whisky, indem wir uns die Gläser teilten. Ulla wurde mir immer sympathischer.
„Auf das Muskelgedächtnis!“, prosteten wir. „Vor allem auf die Brustmuskeln.“
Golf schien mir als ein Spiel, das viel Demut verlangt. Bei unseren Runden machten wir für die schlechten Schläge gerne das Wetter, den schlechten Rasenschnitt durch die Greenkeeper, wenig nützliche Trainerstunden oder das Gequassel der Mitspieler beim Abschlag verantwortlich. Dies taten wir immer mit Ironie, die dem Wissen entsprang, dass niemand außer aus selbst verantwortlich war.
Daneben haben Männer ihre Rituale, die sie benötigen, um unter sich die Hierarchie festzustellen. Eines dieser Rituale ist es, Demütigung mit öffentlicher Strafe zu verstärken.
Wir spielten wieder in unserer Anfängergruppe. In meinem Flight war Kurt, ein humorvoller Mann Ende Sechzig, Lena, eine Frau im mittleren Alter, die gerade ihre Scheidung durchfocht und Gert, ein Anwalt, der nur noch von Ferne seine angestellten Anwälte beaufsichtigte und ansonsten mit seinen Immobiliengeschäften angab.
Kurt schlug als erster ab und sein Abschlag missglückte. Der Ball kam kurz nach dem Damenabschlag auf. An Loch eins hatten dies leider viele gesehen, so dass ein Mulligan nicht in Frage kam. Gert hätte es auch nicht zugelassen, denn schon brüllte er laut: „Eine Lady“.
Es scheint wohl schon eine Strafe für einen wackeren Golfspieler zu sein, mit einer „Lady“ verglichen zu werden und damit zu schwach für einen schönen männlichen Abschlag. Genderdiskussionen haben beim Golf offenbar noch nicht Einzug gehalten.
Einen so kurzen Ball gespielt zu haben, ist nicht nur peinlich, weil man es besser nicht geschafft hat, sondern auch, weil man mit einer Lady verglichen wird. Immerhin ist der Damenabschlag immer etliche Meter näher zum Loch als der Herrenabschlag. Die Schmach wird auch dadurch öffentlich gemacht, dass der Spieler einer Lady eine Lokalrunde ausgeben muss.
Kurt nickte nur kurz und beschied Gert nun dran zu sein.
Gert spielte seinen Ball mittig auf das Fairway. Auch wir anderen schlugen gut ab und alle lochten mit akzeptabler Schlagzahl ein.
Vier Bahnen weiter wiederholte sich das Unglück. Diesmal verunglückte der Abschlag von Gert und der Ball landete im Rough neben dem Abschlag.
Gert meinte gleich, es sei unwahrscheinlich den Ball dort wiederzufinden und spielte einen provisorischen Ball.
Gert und Kurt machten sich nach den Abschlägen intensiv auf die Suche nach Gerts verlorenem Ball.
Lena raunte mir indessen zu: „Den können sie nicht finden, er ist schon in Gerts Hosentasche.“
Tatsächlich sah die Hosentasche ziemlich ausgebeult aus. Doch ich hatte vorher nicht darauf geachtet, wie ausgebeult sie war.
Gert meinte großzügig.“ Ach, lass nur Kurt. Den Ball muss ich verloren geben. Die fümf Minuten Suchzeit sind schon um.“
Kurt nickte und blickte unglücklich zu dem provisorischen Ball, den Gert als Zweites geschlagen hatte und der nur wenige Meter vom Grün entfernt lag.
Lena erzählte, während wir zum nächsten Loch gingen und dort noch warten mussten bis der Flight vor uns fertig war, wie ihr „Noch“-Mann beim Golf betrog.
„Er hat stets zwei Bälle in seiner Hosentasche. Wenn ein Ball für seinen nächsten Schlag schlecht liegt, lenkt er ab, wirft den Ball aus seiner Hosentasche in eine bessere Position und sammelt nach seinem Schlag, wenn keiner mehr hinguckt, seinen ersten Ball auf.“
„Und das ist noch keinem aufgefallen,“ fragte Gert skeptisch und ohne rot zu werden.
„Vielleicht nicht. Vielleicht wollte sich auch nur niemand mit ihm anlegen. Er kann sehr unangenehm werden,“ antwortete Lena.
Gert schaute sie nachdrücklich an, als wollte er deutlich machen, dass er auch sehr unangenehm werden könne.
Kurt bekam von allem nichts mit und spielte einige Pars. Seine „Lady“ hatte er am Ende der Runde mehr als ausgeglichen und war daher guter Stimmung.
Im Clubhaus bestellte ich mir einen Radler und wartete gespannt, ob Kurt am Ende Anstalten machte, die Rechnung zu übernehmen. Er machte es nicht.
Später gingen wir zusammen zu unseren Wagen auf dem Parkplatz und Kurt sagte zum Abschied nur: „Du hast bei mir noch einen Drink gut und Lena auch. Doch so einem Schummler wie Gert, mag ich keinen ausgeben.“
Ich schmunzelte in mich hinein. Also hatte Kurt auch nur so getan als hätte er nichts von Gerts Machenschaften gemerkt.
„Sehr gern“, antwortete ich und ich freute mich wirklich.
Martin hatte uns über unsere Anfängergruppe bei WhatsApp zum Regelabend eingeladen und dabei deutlich gemacht, dass er Teilnahme erwartete. Erstaunlicherweise erschienen fast alle. Kurt meinte, es sei doch ganz gut, zu wissen, wer sein Handicap ehrlich erspiele und wer nicht. Ulla meinte, sie ginge hin, weil man da in Gesellschaft einen Drink nehmen könne. Mir erschienen beide Gründe passend und zudem wollte ich Martin nicht enttäuschen, denn immerhin setzte er sich unermüdlich für uns ein und organisierte unsere Spiele und die Begleitung durch bessere Spieler.
„Warum machen wir das alles,“ eröffnete Martin den Abend und setzte dem fröhlichen Geschwafel in der Runde ein abruptes Ende.
„Weil niemand im Club mit Anfängern spielen will. Man mag Euch nicht.“
Unsicher schauten wir uns an. So hatten wir die Sache noch nie gesehen.
„Man mag Euch erst, wenn Ihr ein Handicap unter sechsunddreißig ehrlich spielen könnt.“
Ulla, die neben mir saß, raunte: „Ja, erst dann darf man in allen Clubs der Welt spielen. Da will ich hin.“ Sie hob ihr Glas. „Lass uns darauf anstoßen.“
Wir stießen ihr Aperol Spritz und mein alkoholfreies Radlerglas ungelenk aneinander und setzten gerade zum Trinken an, als uns Martins Donnerstimme erreichte.
„Wer sich sein Handicap erschummelt, wird keine dauerhaften Mitspieler gewinnen. Im Gegenteil, er wird sich schnell isoliert wiederfinden. Also, macht nicht mit, wenn jemand regelwidrig zählt. Im Übrigen lauft Ihr Gefahr disqualifiziert zu
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 14.10.2023
ISBN: 978-3-7554-5615-5
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Allen Gänsen und Enten auf dem Golfplatz