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Heimkehr

HEIMKEHR

von

KARL GLANZ

 

 

Bald bin ich zurück. Vor einigen Stunden bin ich in Nairobi, Kenia, gelandet. Jetzt sitze ich im Bus, ungeduldig, warte darauf, dass der Bus endlich abfährt. Ich bin ungeduldig, kann es nicht erwarten bis der Fahrer kommt, den Motor startet und wir abfahren. Du kannst dir nicht vorstellen wie ungeduldig ich bin. So lange habe ich dich nicht gesehen. Du warst noch klein, als ich euch verlassen habe, jetzt bist du sicher gewachsen und vielleicht wirst du mich nicht mehr erkennen. Es war zu lange, dass wir keinen Kontakt hatten. Wenn du mich erkennen würdest, dann würde mich das freuen! Aber ich erwarte es nicht, ich weiß, dass es zu viel ist, was ich verlange. Lass mich träumen. Ich habe oft von dir geträumt, als ich in der Fremde war, fast jeden Tag, hab mich immer gefragt, was du so machst, spielst du mit deinen Freuden oder bist du krank? Ich hatte immer Angst, dass es dir nicht gut gehen würde. Das hat mich auch beunruhigt, dass ich oft wach gelegen bin und an dich gedacht habe. Beruhigt war ich erst nachdem wir telefoniert hatten, da wurde mir immer versichert, dass es dir gut geht. Da war ich dann beruhigt.

 

Es fehlen noch einige Leute. Die lassen sich aber zeit! Gut, der Bus fährt erst in zehn Minuten ab, so steht es auf dem Ticket, da muss ich mich noch in Geduld fassen. Wie auch immer, bald werde ich bei dir sein und dann können wir uns in die Augen sehen.

 

Der Schaffner geht mir auf die Nerven, was der herum schreit! Er kommt sich so wichtig vor. Der Fahrer ist wichtig, der Schaffner kommt nicht mit, der bleibt hier in der Stadt zurück, es ist nicht notwendig, dass er mitkommt, der Bus bleibt nur einmal stehen, und das muss er auch, denn der Weg ist weit, 6 Stunden Fahrt. Am Busbahnhof sind viele Leute, meist junge Leute, die müssen zurück zur Schule, Universität. Die Ferien sind vorbei, die Arbeit beginnt wieder. Der Fahrer kommt, sieht sich um, noch sind einige Plätze nicht belegt, er ruft etwas dem Schaffner zu, der sieht sich auch um, zuckt mit den Schultern. Der Fahrer geht wieder. Noch ist es Zeit. Er wird sich scher noch ausrasten wollen. Diese Fahrt ist nicht einfach, weder für den Fahrer noch für die Passagiere. Die letzten Passagiere kommen. Sie sitzen sich. Der Schaffner prüft noch einmal alles nach. Alle Passagiere sind da und sie sitzen auf ihren angewiesen Plätzen. Der Fahrer kommt, setzt sich hinter sein Steuerrad. Er startet den Motor. Jetzt geht es endlich los. Lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet. Ich komme dir immer näher. Noch fährt der Bus nicht, noch steht er, der Motor läuft. Ein Bus fährt in den Bahnhof ein, da ist kein Platz zum vorbeifahren, wir müssen warten. Langsam schleicht der Bus an uns vorüber. Es ist ein großer Bus, nicht ein so kleiner, indem ich sitze. Hier gibt es nur neun Plätze. Ich sitze ganz hinten. Der Bus fährt an. Der Weg ist frei. Langsam fährt er über den holprigen Weg. Die Straße ist nicht gepflastert, spitze Steine stehen aus dem Boden. Aber das ist nicht der einzige Grund warum der Bus langsam fährt, Leute laufen vor dem Bus über die Straße, manche kommen ganz plötzlich von geparkten Bussen hervor, da muss er bremsen. Eine schreckliche Fahrt beginnt. Ich kenne den Weg, kenne die Straße, ich weiß, was auf uns zukommt. Die Menschen hier nehmen es leicht, sie wissen, dass sie in Gottes Hand sind. Wenn sie überleben, wenn sie während der Fahrt sterben, es war Gottes Wille. Sein Wille geschehe, amen! Nach etlichen Minuten, erreichen wir schließlich das Tor. Der Nachmittagsverkehr rollt, es noch nicht der normale Wahnsinn, noch rollt der Verkehr, in einer Stunde steht hier alles und die Luft wird durch die Auspuffgase vergiftet. Ein Markt ist da, auf der Straße, behindert die Fußgänger. Weiße Gesichter vom dauernden Abgase einatmen. Der Bus reiht sich im Verkehr ein. Zuerst langsam, dann immer rascher ziehen die Häuser vorüber. Zum Glück gibt es nicht viele Kreuzungen, meist sind es Kreisverkehre, trotzdem muss der Bus anhalten. Bald werden die Häuser weniger, wir nähern uns der Stadtgrenze. Polizeikontrolle! Wir bleiben stehen, der Fahrer steigt aus, hat einen Zettel in der Hand. Er gibt ihm einen Polizeibeamten, da sehe ich noch einige andere stehen, mit Maschinenpistolen. Der Fahrer kommt, wir werden durch die Sperre durchgewunken. Für was es diese Kontrollen gibt, dass weiß nur der Teufel. Alle sind hier korrupt, es gibt nur wenige die nicht korrupt sind. Jeder betrügt, wird betrogen, es ist hier wie ein Sport. Die haben hier eine neue olympische Disziplin erfunden. Deshalb machen diese Kontrollen überhaupt keinen Sinn, denn wer weiß schon ob dieser Polizist korrupt ist oder nicht? Es darf angenommen werden, dass er es ist.

 

Die Fahrt geht weiter. Wir sind auf der Autobahn, die entweder erst gebaut wird oder ausgebessert wird. Schnell kann nicht gefahren werden, dass gibt mir Gelegenheit die Umgebung zu betrachten. Die Leute werfen ihren Müll auf die Straße. Das ist kein schöner Anblick und sicher auch kein angenehmer Geruch. Es gibt keine Müllabfuhr, also wohin mit all dem Mist? Eine Müllhalde nach der anderen. Und die Menschen leben darin. Im Zentrum der Stadt, da war zwischen den Fahrbahnen ein Kanal. Gesehen hab ich ihn nicht wirklich, aber da sind nackte Kinder umhergesprungen, nass und fröhlich. Offenbar gibt es dort einen Abfluss, da wird darin gebadet. Was für ein Leben! Unwillkürlich frage ich mich, wie dieses Land funktioniert, dass überhaupt etwas funktioniert? Darauf kann es nur eine Antwort geben: weil alles korrupt ist, deshalb funktioniert auch einiges. Die Korruption treibt die Wirtschaft, wer Handel betreibt, weiß, was er zu tun hat. Eine Hand wäscht die andere und beide Hände da Gesicht. Erst kürzlich wurde der ehemalige Präsident verurteilt, er hatte sich Land angeeignet ohne dafür den rechtmäßigen Preis zu zahlen. Der Staat funktioniert, weil die ganze Politik korrupt ist. Jetzt wird es ein neues Geld geben, das wird damit begründet, dass damit die Korruption bekämpft werden soll. Damit wird nichts erreicht. Schwarzgeld wird mit dieser Aktion wieder rein gewaschen. Profitieren tun wieder die Korrupten. Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken.

 

Noch sind wir nicht in der Ebene. Wir biegen ab, jetzt beginnen die Serpentinen. Der Verkehr ist stark, ein Lastwagen nach dem anderen, sie alle schleichen sich den Berg hinunter und hinauf. Der Buslenker fährt einige Zeit hinter ihnen her, es gibt kaum Gelegenheit zum überholen. Die Sicht wird von den vielen Kurven behindert. Der Bus beschleunigt, setzt zum überholen an, da ist ein Überholverbot, was dem Buslenker gar nicht interessiert. Wir sausen bei einigen Lastwagen vorüber, bevor sich der Bus wieder einreiht. Nicht zu spät, von der nächsten Kurve keucht ein Lastwagen durch die Kurve. Kein Hupen, kein Schimpfen, gar nichts. Das ist normal. Wir sind doch alle in Gottes Hand. Am Füße des Berges ist eine Stadt, dort zweigt die Straße ab. Wir fahren nach Westen, dass hat einen Vorteil, denn die meisten Lastwagen fahren nach Norden. Die ersten 42 Kilometer liegen hinter mir. Die Fahrt bis zu dieser Abzweigung hat 1 1/2 Stunden gedauert. Jetzt machen es sich die Passagiere gemütlich. Einige klappen die Sitzlehne zurück, machen die Augen zu, versuchen zu schlafen. Einen wirklichen Schlaf gibt es nicht, dafür wird man zu oft durchgerüttelt. Die Straßen sind voller Löcher, oft werde ich fast aus dem Sitz geschleudert. Ein Wunder das nichts bricht. Am Straßenrand ausgebrannt, zerstörte Fahrzeuge. Da gibt es nichts mehr zu holen! Alles was noch zu verwenden war, wurde schon ausgebaut.

 

Hier beginnt die Ebene. Ich werde es mir nun etwas bequem machen, ich stelle die Lehne des Sessels zurück, da kann ich mich ausstrecken. Die Müdigkeit kann ich schon spüren, gleich fallen mir die Augen zu. An Schlaf ist nicht zu denken. Zu viele Gedanken schwirren mir durch den Kopf. Als ich von euch wegging, da konntest du noch nicht reden, jetzt plapperst du am Telefon wie ein Wasserfall. Zu viel Zeit ist vergangen, Zeit die verloren ist, die nicht mehr zurückkommt. Ich habe als Vater versagt, dass muss ich wohl zugeben. Ich bin von euch weggegangen, ich hätte bleiben müssen. Ich hätte dich jeden Tag sehen können, mit dir spielen, allerlei Blödsinn anstellen können. In der Fremde habe ich gearbeitet, geschuftet, damit es euch beiden gut geht.

 

Erinnern kann ich mich an die Stille in unserem Viertel. Die Kinder in der Schule, nur die drei Hühner der Nachbarin laufen gackernd herum. Ist nicht viel los. Hin und wieder bringt jemand eine Kuh, ein anderer Ziegen hinter das Haus, zum grasen. Es ist keine Weide, das Land gehört niemanden. Da hatten wir beide immer etwas zum Ansehen und du hast immer große Augen gemacht, hast dich gefürchtet, diese Furcht wurde recht rasch von Neugierde verdrängt. Oft sind wir beide auf den Stufen zu der Küche gesessen, haben den Tieren zugesehen. Mutter hat gekocht, hat uns beobachtet und gelächelt. Da war das Essen dann besonders gut. Im Sommer, wenn es warm war, sind wir zum Fluss gegangen. Du wolltest immer selber Laufen, aber bald bist du müde geworden und du hast dich tragen lassen. Bei wem wir auch vorbei gekommen sind, alle haben uns freundlich gegrüßt. Du hast gewunken, das hat den Frauen ganz besonders gefallen. Einige haben mir die Hand geschüttelt, haben gemeint, was ich doch für ein toller Vater sei. Beim Fluss haben wir uns dann an den Rand gesetzt, die Füße im Wasser. Du hast vor Freude gejauchzt und ich habe dir voller Stolz zugesehen. Da fällt mir noch eine Begebenheit ein, an die du dich sicher nicht erinnern wirst. Einmal am Nachhauseweg, da stand ein Bulle, angeleint, neben dem Weg. Ich habe mir dabei nichts gedacht, denn der Bulle stand schon öfters an diesen Platz. Wir hatten auch noch nie Probleme gehabt, aber dieser Tag war anders. Als wir an dem Bullen vorbeigingen, da senkte er plötzlich den Kopf, schnaubte wild und wollte auf uns zugehen. Sind wir gelaufen! Du auf meinen Schultern, es hat dich so durchgeschüttelt, aber du hast trotzdem gelacht. Der Ernst der Lage war dir nicht bewusst. Das war auch gut so, du sollst auch keine Angst haben, die haben schon andere für dich. Meist sind wir Vormittags weggegangen, dass Mama genug Zeit zum kochen hatte. Wenn wir zurückkamen, da war der Tisch schon gedeckt. Besonders an den Wochenenden hatte sich Mama viel Zeit genommen und den Tisch besonders schön hergerichtet. Du bist dann auf meinen Knien gesessen und ich habe dich gefüttert. Deinen Mund hast du immer ganz weit aufgerissen, wie ein Walfisch im Meer. Da haben wir schmunzeln müssen. Nach dem Essen bist du eingeschlafen, ich habe dich in dein Bettchen gelegt und zugedeckt. Deine Mutter und ich, haben dich dann betrachtet. Wir sind stolze Eltern. Stolz auf dich und wir sind auch stolz auf uns. Nicht jede Familie hat so viel Glück wie wir.

 

Gerade muss ich an die harte Arbeit denken die wir auf den Feldern hatten und immer noch haben. Ich sehe die Felder, an denen wir vorbei fahren, ich sehe die Menschen, wie sie sich da plagen müssen um leben zu können. Als ich wegging war es so und jetzt, da ich zurück komme, ist es ebenso. Nichts hat sich geändert oder es hat so wenig geändert, dass es kaum bemerkt werden kann. Haben wir uns abgerackert, deine Mama und ich, damit wir uns etwas schaffen konnten, es hat nichts genützt. Wir haben unter der Sonne gestöhnt, unter dem Regen, dem Schlamm, die Flut, dem Wind, aber wir haben nicht aufgegeben. Geholfen hat das natürlich nichts, wir sind arm geblieben. Trotzdem war es schön gewesen, wir waren zusammen, haben zusammen gelacht, zusammen gegessen, sind auf der Veranda gesessen, haben den Vögeln zugehört, haben über unsere Felder gesehen und haben uns gefreut, wenn die Pflanzen wieder größer geworden waren. Unsere Kleidung hat darunter leiden müssen, wir hatten immer nur die Wahl zwischen Hunger oder etwas Neues kaufen, wie Hosen, Rock, Schuhe,... Gewonnen hat meist der Hunger. Der kann ganz fürchterlich sein, so haben wir beschlossen, lieber mit unseren durchlöcherten Kleidungsstücken zu gehen, als nichts im Bauch zu haben. Wenn wir drei da so Sonntags auf der Veranda saßen, da sahen wir die Leute, wie sie in die Kirche strömten. Es ist ganz klar, warum sie das tun: Korruption. Irgendwo in der Bibel steht, du sollst nicht stehlen, aber sie stehlen alle. Das ist der Grund warum sie in die Kirche gehen, ja fast laufen, sie erwarten sich Absolution, die sie auch bekommen, denn gerade die Kirche stiehlt am meisten. Sie stiehlt die Zukunft der jungen Menschen, indem sie ihnen sagt, dass es gut ist so wie es ist. Gut ist es so überhaupt nicht, wie es ist, das weiß die Kirche sehr genau, sie möchte nicht ihre Privilegien verlieren, deshalb ist es für die Kirche gut so wie es ist. Unterstützt wird die Kirche von den Reichen, den Wohlhabenden. So lange die Kirchen voll sind, so wie jetzt, wird sich kaum was ändern. Irgendwie wird das Leben weitergehen, einigen wird es besser gehen, den meisten allerdings schlechter.

 

 

 

In die Fremde bin ich gegangen, habe Arbeit gesucht um reich zu werden. Bei uns hat man immer gesagt, alle Ausländer sind reich, geh ins Ausland und auch du wirst reich werden. Damals habe ich das noch geglaubt, heute frage ich mich, wie blöd war ich da? Offenbar sehr blöd. Es ist in der Fremde gar nicht so einfach einen Arbeitsplatz zu bekommen, wie immer behauptet wird. In Europa musst du die lokale Sprache verstehen, sprechen ist nicht so wichtig, du musst die Anweisungen deines Vorgesetzten verstehen, so machst du vielleicht etwas falsch. Da spielt auch die Hautfarbe mit. Schwarze werden nicht gerne genommen, für einen Weißen, ist jeder Schwarze ein Drogendealer. Dort, wo ein Schwarzer genommen wird, dort gibt es viel Arbeit und harte Arbeit, dafür aber wenig Geld. Mit reich werden ist da nichts. Um überhaupt leben zu können musst du Überstunden machen. Viele, viele Überstunden. Das nächste Problem ist die Wohnung. Fast ein Ding der Unmöglichkeit. Erst nach langem Suchen hatte ich eine gefunden, sehr teuer. Die Hälfte meines Verdienstes ging drauf. Die Wohnung war klein, sicher genug für eine Person. Ein Zimmer mit Küche, die Toilette am Gang. Alt und feucht war sie. Das ganze Haus hat gestunken. Die meisten Mieter waren Türken, Syrer und aus Osteuropa. Mit einigen hatte ich mich angefreundet. Einige waren ganz nett. Unter ihnen waren auch viele Gauner. Einer hat mir meinen Monatsverdienst gestohlen und der war nicht wenig, hatte ich doch eine große Anzahl Überstunden gemacht. Das tat mir weh! So habe ich beschlossen den Kontakt etwas abkühlen zu lassen. Die Polizei, die ich rief, um den Diebstahl anzuzeigen, kam zwar, nahm alles auf, war sehr an meinem Visum interessiert, an meiner Arbeitsbewilligung und meinem Dienstgeber und Dienstvertrag, weniger interessierte sie sich für den Diebstahl. Auf eine Frage meinerseits, was denn nun weiter geschehe, antwortete der Beamte lakonisch, was ich denn wolle, in einem solchen Quartier ist das ganz normal. Ein Bloßfüßiger bestiehlt den anderen. Damit sind sie gegangen. Geschehen ist dann wirklich nichts. Niemand hat sich weiter dafür interessiert.

 

 

Das Leben in Europa ist im ganzen nicht einfach. Das Leben ist teuer, nicht nur für mich, für alle. Meine weißen Kollegen jammerten auch, auch für sie ist so manches unerschwinglich. Nicht jeder Weiße wollte mit mir arbeiten. Die Vorurteile sind groß, ein Schwarzer ist immer faul, unzuverlässig und möchte immer nur essen. Nicht alle sind so, es gibt auch andere Weiße, für die zählt die Hautfarbe nicht.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 18.09.2019
ISBN: 978-3-7487-1577-1

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