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Patrick weiß mehr ... woher?

 

Silke Feninger

 

 

 

 

Diese Geschichte möchte reife Jugendliche, ungefähr ab dem zehnten Lebensjahr, ansprechen.

Alle einzelnen Abschnitte sollen wichtige Lebensweisheiten auf humoristische Art und Weise vermitteln.

Die Story ist in Patricks Worten erfasst, von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt soll man sein Reifen miterleben.

Folgende Seiten stecken voller Ironie, damit das Lesen schön unterhaltsam bleibt.

 

 

 

P A T R I C K S      P O T E N T I A L

 

 

Patrick ...

... ist gerade erst zweieinhalb Jahre alt, als er an einem Morgen von seiner Mutter geweckt wird – mit der Begründung, er müsse mit Christoph in den Kindergarten. „Ki...? Was?“ Ausschweifende Fragen haben überhaupt keinen Sinn, er muss raus aus seinem gemütlich warmen Bett und wird in irgendwelche Ausgeh-Kleider gesteckt. Sein Bruder Christoph ist auch bereits aufgestanden und zieht sich an. Er macht das schon alleine, aber das ist nichts Besonderes, er kann schon fast alles, er ist ja schon groß.

Zur Relativierung muss nun gesagt werden, dass Christoph vier Jahre alt ist, sich alleine anziehen kann, sowie Dinge erledigen wie etwa das Bedienen des Radioapparates oder des Fernsehers oder das korrekte Einnehmen von Nahrung mit Messer und Gabel. Patrick kann solch einem Schauspiel, wie es sich jetzt am Frühstückstisch beispielsweise abspielt, nur mit großen, bewundernden Augen beiwohnen, aber irgendwann wird er auch so groß werden, und dann möchte er genauso geschickt sein.

Aber hier beim Frühstück spielt das zum Glück keine Rolle. Es gibt für einen jeden Kakao in je einer großen Kinder-Schlümpfe-Tasse und eine große, knusprige Semmel auf dem bunten Frühstücksteller. Und dafür benötigt man kein Besteck, denn die Semmel ist ganz einfach in die Hand zu nehmen und so zu verspeisen. Gefüllt ist sie bereits – aber das haben Wurstsemmeln, das weiß Patrick bereits ganz genau, verständlicherweise so an sich.

Nur kann Christoph seinen Teller schneller leeren, das ist einerseits gemein, denn dadurch beobachtet er seinen kleinen Bruder bei dessen Speisen-Verzehr, sobald er selbst schon fertig damit ist, mit prüfenden Blicken, aber andererseits ist diese Geschwindigkeit auch kein Wunder – bei seinem doch um so viel größeren Mund!

Auch wenn sich Patrick ständig bemüht, seine Essgeschwindigkeit der seines Bruders anzupassen, muss er immer wieder feststellen, vollkommen neidlos anerkennen, dass es ihm einfach noch an Routine fehlt. Heute darf er jedoch nicht länger darüber philosophieren, da er von seiner Mutter schon zum Fertigessen gedrängt wird, und bald darauf fährt er mit Christoph und ihr ab in Richtung Kindergarten, der glücklicherweise nur einige Häuserblocks von seiner Wohnung entfernt ist.

... im Kindergarten

Kindergarten – ein Ort, wo er in Zukunft sämtliche Vormittage verbringen soll, da seine Mutter von nun an, nach einer viereinhalbjährigen Karenzpause und aufgrund ihrer kürzlichen Scheidung, wieder ins Berufsleben einsteigen muss und einer Halbtagsbeschäftigung nachzugehen hat. Doch für Patrick stellt sich die Frage des Warums. Was hat sich denn geändert? Alles war bis zu diesem Tage gut, so wie es eben war. Christoph war vormittags weg, und er, Patrick, hatte seine Mutter, die ja schließlich ihm gehörte, für sich alleine. Weshalb schickt sie ihn jetzt plötzlich zu Fremden?

Damals hätte er diese seine Gedanken freilich nicht in Worte fassen können, aber er hätte wohl auch kaum eine für ihn zufriedenstellende Antwort darauf erhalten. Dieses war eines der ersten Zeichen der gegenwärtigen, traurigen Welt, die sich allmählich in seinem Unterbewusstsein verankerten.

Von nun an ist Patrick also selbstständig. Erst ungefragt in die Welt gesetzt und jetzt in dieser auch noch alleine gelassen. Sehr gerne würde er sich nun an seinen großen Bruder klammern, diesen als einen beschützenden Schild benützen, aber irgendwie fehlt ihm dazu doch das nötige Vertrauen. Ist es aufgrund der bisher nur sehr spärlich vorhandenen Nähe oder einfach eine grundsätzliche Frage der etwas mangelnden Sympathie? Wahrscheinlich liegt es einzig und allein am vorherrschenden Altersunterschied, an der traurigen Tatsache, dass zwischen diesen beiden Persönlichkeiten zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinerlei sinnvolle Kommunikation möglich ist. Wenn es nach Patrick ginge, sollte sich einfach nichts ändern!

Sein Leben verlief ja bisher wunschgemäß, an der Hand seiner fürsorglichen Mutter, in der gewohnten Umgebung, völlig gefahrlos! Christoph war von Anfang an kein Vorbild für Patrick sowie auch kein hilfsbereiter Freund oder lieber Spielkamerad, da dieser bereits eigenen, vollkommen anderen Interessen nachging als sein kleiner Bruder. Schließlich hat er eine Menge großer Freunde aus dem Kindergarten, den er seit einiger Zeit, ungefähr einem Jahr, besucht. Dort habe er, seinen Aussagen zufolge, sehr viel Neues gelernt und erlebt sowie wichtige Beziehungen zu Leuten seines Alters geknüpft. Und diese heißt es zu pflegen, aber ohne das lästige Beisein von Patrick, leider sei er – nach Angaben von Christoph zumindest - noch nicht reif genug dafür. Natürlich wird Patrick bei dem Gedanken, in den Kindergarten gehen zu müssen, von regelrechter Angst heimgesucht. Nur allzu gerne wüsste er, wie er sich dort in Zukunft zu verhalten haben werde, da er von Christoph augenblicklich ständig zu hören bekommt, dass er, der Kleine, noch nicht in den Kindergarten passt, weil er einfach viel zu klein, schwach und zu unklug sei. Sollte er nun so tun, als ob er das gleiche Wissen und die gleichen Möglichkeiten wie sein Bruder hat, oder solle er auf die ihm Überlegenen, das heißt auf die bereits älteren Kinder im Kindergarten, offen und ehrlich zugehen und versuchen, sich nach und nach Kenntnisse von denen anzueignen? Wenn er diese verzwickte Lage auch noch so gerne so lang als möglich vor sich hergeschoben hätte, kommt nun doch der Augenblick, wo die Kindergartentür vor ihm zum ersten Mal geöffnet wird, und er ungedeckt in die Arena geschickt wird.

Während er in seinen Gedanken verloren tapfer Fuß vor Fuß setzt, erblickt er eine fremde Frau, die ihm entgegen tritt. Mit solch einem breiten Lächeln, das er noch nie zuvor gesehen hat. Helle Augen, die ihm regelrecht entgegenblitzen und Haare, die ihn aufgrund der Helligkeit und der Länge völlig fremd sind. Ein seltsames Gefühl erfüllt ihn nun – ist das schlichte Sympathie, Hoffnung auf unerwartet nette Gesellschaft im Kindergarten oder einfach eine für ihn neue Form von Freude? Soeben hat Patrick das Vergnügen, Bianca, die Betreuerin seiner Kindergartengruppe, kennenzulernen. Und so eine angenehme, ruhige Stimme! Ja, mit ihr würde er sehr gerne seine kommenden Vormittage verbringen.

Trotz dieser Vorfreude sieht er aber immer noch nicht ein, dass ihn seine Mutter jetzt wird verlassen müssen. Wie soll er sich denn ohne sie in seinem zarten Alter zurechtfinden? Äußerst verunsichert und verängstigt sehnt sich Patrick, hier in der Eingangshalle stehend, wohl nach einer warmen, anschmiegsamen Hand, die ihn in die Höhle des Löwen führt. Dabei handelt es sich um die Räumlichkeiten, in denen sich die vielen, großen Kinder aufhalten, die den Kindergarten schon seit längerer Zeit besuchen. Erfreulicherweise scheint Bianca Patricks geheimen Wunsch sehr genau erahnt oder seine ängstlichen Blicke richtig gedeutet zu haben, da sie ihm beschützend ihre Hand reicht und ihn in den großen Spielsaal führt.

Hübsch sieht es dort eigentlich aus – hell und bunt ist es, das hat fast eine Ähnlichkeit mit seinem Zimmer zu Hause. Und Spielsachen gibt es dort, soweit sein Blickfeld reicht! Bausteine, Bälle, Fahrzeuge, Malstifte, Karten, Bilder und viele andere lustige Dinge, die er noch nie zuvor gesehen hat. Ziemlich unterhaltsam scheinen die meisten dieser Gegenstände zu sein, denn alle Kinder wirken sehr amüsiert. Und Spielen ist schließlich sein Metier, da kann ihm keiner etwas vormachen, in diese Runden wird er somit passen, davon ist Patrick überzeugt. Er muss nur irgendwo Zugang zu einer Spielvariante finden, also sich einen Platz in einer der vielen einzelnen Spielecken suchen, aber er sieht leider sofort, dass beinahe alle schon besetzt sind. Gegen all diese Großen anzukämpfen würde Patrick klarerweise allzu schwer fallen und wäre vermutlich ein vollkommen falscher Weg, da es bestimmt aussichts-, da ja chancenlos, ist. Dennoch muss sich Patrick etwas Gutes einfallen lassen, um hier Spielkameraden zu finden. An die Möglichkeit, dass, umgekehrt, jemand auf ihn zugehen werde und ihn zur Teilnahme an irgendeiner Spielaktion einladen werde, denkt Patrick erst gar nicht. So beschäftigt wirken alle, derart vertieft in ihre Angelegenheiten. Was wäre in der jetzigen Situation also das Vernünftigste? Hilfe, ich bin alleine, finde mich nicht zurecht.

Mögen die meisten es auch nicht für möglich halten: es gibt doch noch Engel – oder einfach nur Augenblicke, in denen Menschen durch einen glücklichen Zufall aus ihren persönlichen Miseren befreit werden. In Patricks Fall ist es Bianca, die den kleinen Burschen hilflos inmitten der Spielhalle verloren dastehen sieht. Sie hat ihn doch wirklich vergessen, ist einfach davon ausgegangen, dass die Dinge ihren geregelten Verlauf nehmen werden; im konkreten Fall, dass Patrick in einer Spielrunde aufgenommen wird und dadurch versorgt ist. War wohl etwas blauäugig von ihr, dieses blinde Vertrauen in einen heilen Ablauf des Weltgeschehens, muss sich Bianca selbst eingestehen. All diese Kreaturen sind eigene Persönlichkeiten, die sich nicht wahllos – Stein an Stein – an- beziehungsweise zueinander fügen lassen. In ihrer Wunschvorstellung sah sie Christoph, sich um seinen kleinen Bruder kümmern und ihn in die Welt der Großen einführen. Nur traurigerweise denkt dieser gar nicht daran, auf einmal Babysitter zu spielen, schließlich muss er hier im Saal seinen Mann stehen und mit den anderen mithalten können. Er hatte es auch schwer, sich seinen Platz, sein Ansehen zu erkämpfen. Warum sollte er nun seine dadurch erlangten Privilegien nicht weiterhin genießen können und sich im Beisein Patricks vielleicht wieder irgendwo unterordnen müssen? Keine Frage – wenn Patrick nicht die gleichen Qualitäten und Möglichkeiten wie er aufweist, soll er gefälligst selbst sehen, wie er weiterkommt und wie er sich die Stunden hier um die Ohren schlägt. Er ist zum Glück beschäftigt.

Die momentane Lage bedeutet für Patrick etwas absolut Neues, Unbekanntes. Wurde er doch bis zuletzt stets von jedermann umhegt, fürsorglich versorgt und geliebt, und erntete er immer und überall Aufmerksamkeit, so muss er mit Entsetzen feststellen, dass sich nun niemand seiner annimmt und ihm den Weg weist. Woher soll er denn plötzlich wissen, wo es lang geht?

Zu seinem größten Glück hat ihn Bianca jedoch erblickt und registriert und macht sich zu ihm auf den Weg. Sie möchte ihm jetzt den Kindergarten vorstellen, er soll sich hier ja zurechtfinden. Gemeinsam marschieren sie los in Richtung Garderobe. Dort zeigt die Kindergarten-Tante Patrick einen Platz, der mit dem Bild eines Apfels gekennzeichnet ist. Daran kann er ihn immer als seinen Platz erkennen, für andere ist dieser tabu. Er muss sich also ganz fest „Apfel“ einprägen, sodass er seine Ausgeh-Schuhe, die er morgens dort stehen lassen wird, und seine Jacke wiederfindet, wenn er das Haus verlässt. Seine Mutter hat für ihn an dieser Stelle bereits Hausschuhe abgestellt, die er sogleich anstatt seiner roten Ausgeh-Schuhe überzieht. Darüber ist er eigentlich sehr froh, denn irgendwie mag er diese großen, roten Schuhe nicht, darin läuft es sich nicht besonders gut, aber es sind nun 'mal die Ausgeh-Schuhe, die er jedes Mal anziehen muss, wenn er mit seiner Mutter einkaufen geht, oder jemanden besuchen oder eben jetzt, wenn er in den Kindergarten muss. Zum Spielen hat er zum Glück bessere, weitaus bequemere Schuhe. Die Hausschuhe, die er hier zu tragen hat, sehen ein wenig komisch aus, sie sind so ungewohnt, unbekannt, naja, aber schlussendlich kein Wunder, da sie neu sind, eigens für den Kindergarten besorgt wurden.

Weiters geht es zu den Toiletten, es gibt zwei davon, eine mehr als zu Hause, und hier kann man viel besser, da weitaus niedriger, sitzen, und in den Waschraum. Auch dieser gefällt Patrick auf Anhieb, es ist sehr hell dort und er ist in einer Farbe gestaltet, die er ganz gern hat. Sie erinnert ihn an Sommer, nur kann er sie nicht so recht in Worte fassen. Außerdem gibt es hier mehrere von den Schüsseln, in denen man Wasser einlassen kann, um sich sauber zu machen, und diese sind alle weitaus tiefer angebracht als die, die er bis jetzt gesehen hat. Zu Hause schafft er es nicht, sich alleine zu waschen, weil die dazu nötigen Vorkehrungen für Große errichtet wurden. Aber hier ist das anders, so ein Glück aber auch!

Bianca führt ihn weiters in die Küche, in welcher sie ihm eine Tasse Kakao anbietet. Dazu lässt er sich leicht überreden, schließlich ist er heute schon lange auf den Beinen und fühlt sich dadurch bereits ein bisschen erschöpft. Ein gutes, warmes Getränk wird ihn mit Sicherheit wieder in Schwung bringen. In der Zwischenzeit unterhält er sich über Belangloses mit seiner neuen Freundin Bianca. Gerne führt er mit seiner Tante Small Talk. Er mag Tanten ohnehin prinzipiell sehr gerne. Stets nett, fürsorglich und spendierfreudig – wie auch Bianca, die er jetzt ganz für sich alleine hat. Aber auch die größte Tasse geht einmal zur Neige, wie auch jede schöne Situation einmal wieder zu Ende geht, und somit heißt es, aufzubrechen und die Erkundungstour fortzuführen.

Die nächste Station ist der Turnsaal. Hier sieht es fremd aus. Es handelt sich um einen großen Raum, der vollkommen leer ist, stark künstlich beleuchtet wird und dessen Boden eigenartig schimmert. Und kalt ist es da. Warum wird hier nicht geheizt? Zu Hause wäre es jetzt sicher schöner. Er ergreift Biancas Hand und dreht sich in Richtung Ausgangstür,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 22.02.2017
ISBN: 978-3-7396-9916-5

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