Sex sells
Seit einigen Jahren bemühe ich mich nun darum, als Literat Fuß zu fassen oder besser noch den Fuß eines
Verlegers zu fassen zu bekommen, sodass ich ihn mit einem japanischen Spezialgriff auf den Rücken werfen kann.
Dann setze ich mich auf seinen Bauch und gebe ihn erst
wieder frei, wenn ich ihm alle meine Geschichten vorgelesen habe. Im Traum hat sich der Verleger schließlich unter Atemnot dazu durchgerungen, meine Bücher rauszubringen und mir einen Vorschuss angeboten.
Den benötige ich dringend, denn für kreatives Schreiben braucht man bekanntlich viel Muße und Zeit. Man muss flanieren gehen, sinnieren, die Arme hinter den Rücken verschränken und man muss vor allem vermeiden zu arbeiten, denn das zerstört die Kreativität. Und Arbeit zu vermeiden, kostet bekanntlich viel Geld. Zu träumen dagegen kostet
gar nichts.
»Lebe deinen Traum«, versprach mir dann auch eine sympathische Werbestimme, zog an einer Zigarette und verschwand hinter einem Waschmittel, weil sie von Mainzelmännchen verfolgt wurde.
»Holà, na das ist ja mal eine Ansage und ein Aufruf«, dachte ich und sprach es laut zu mir selbst. Natürlich zu mir selbst, denn Schreiberlinge sind ja bekanntlich ganz allein, damit sie niemand vom Schreiben abhält. Schreiben ist schließlich
ein selbstzerfleischender und ungemein grausamer, von
ewigen Zweifeln erschütterter Prozess, so hört man. Bei mir ist das nicht der Fall. Aber das liegt wohl daran, dass ich mehr damit beschäftigt bin, Arbeit zu vermeiden als tatsächlich zu schreiben.
Aber mit dem Nimbus eines Schreiberlings ist das sozial eher akzeptiert als wenn ich allen einfach die nackte Wahrheit ins Gesicht schreien und mich dazu bekennen würde, dass ich vor allem faul bin.
Für Umzüge werde ich erst gar nicht mehr angerufen, denn alle meine Freunde wissen, dass ich an den Tagen, an denen sie umziehen, meistens einen »Flow« habe, bei dem man mich nicht stören sollte. An Umzugstagen von Freunden schreibe ich immer sehr viel. Mindestens aber kritzele ich an diesen Tagen Käsekästchen auf unerledigte Telefonrechnungen.
In einem Anflug von Aktionismus habe ich mich nach dem
Ende des Aufrufs in der Werbesendung aufgemacht, meinen Traum tatsächlich zu leben.
Vor den Toren des Verlagshauses von Kiepenheuer und
Witsch habe ich auf den Verleger gewartet oder nach seiner Lektorin Ausschau gehalten. Ich saß dort, auf der anderen Straßenseite auf einem Klappstühlchen,
hatte mir eine Thermoskanne mit Tee, eine Decke
für die Nacht und ausreichend Lakritzschnecken mitgebracht und wartete ein paar Tage. Dann geschah etwas, mit dem ich nie in meinem Leben und schon gar nicht in meinen Träumen gerechnet hatte. Herr Kiepenheuer und Witsch kam am vierten Tag durch
die kleine Eingangspforte, überquerte die traßenseite und ging schnurstracks auf mich zu.
Ich prustete in den Tee vor Erstaunen und sah mit meinem vollgespuckten Pullunder und den, von Lakritzschnecken ganz schwarzen Zähnen, nicht mehr ganz so easy sexy und überlegen aus, wie ich es mir für unser erstes Verlegertreffen gewünscht hätte.
»Sagen sie mal, kann es sein, dass sie Autor sind und darauf hoffen, mich aufs Kreuz zu legen, um mir eine Zusage für das Verlegen ihre Buches aus dem beinahe gebrochenen Kreuz zu leiern.«
In diesem sehr magisch anmutenden Moment dachte ich
noch kurz darüber nach, auf die Schnelle eine Sekte zu
gründen oder VHS-Kurse in Telepathie abzuhalten. Ich bin mit einem erstaunlichen Potenzial für Transzendenz ausgestattet, wie mir scheint.
Aber ich stammelte ihm nur ein kurzes »genau« entgegen.
»Wenn ich mich nicht ganz und gar vertue, dann sind sie auch der, der uns jeden Tag sein Manuskript in die Hauspost gibt und auch schon in dieser nachgemachten Uniform von UPS vor mir stand, habe ich recht?«
»Ja, wissen sie, Herr Kiepenheuer und Witsch, es ist nicht so ganz einfach heutzutage, an einen Verleger ranzukommen. Ich bitte sie um ein bisschen Verständnis für meine missliche Lage. Es ist nämlich so. Ich bin faul und will vor allem nicht arbeiten müssen und da habe ich mich dazu entschlossen, Autor zu werden. Aber langsam verliert mein Umfeld den Glauben an mich, sie geben mir keinen Kredit mehr, verstehen sie?«
Natürlich musste ich mit dem Schlimmsten rechnen,
aber ein väterlich zärtlicher Blick berührte meine Seele und mit einem sanften Ton in der Stimme fuhr er fort:
»Es ist so … ihre Geschichten sind ähem… wie soll ich es sagen? Sie sind einfach nicht … also sie sind eigentlich ... Ach! Ich sag ihnen jetzt etwas, über das sie nachdenken sollten. Und das sollten sie vielleicht zu Hause tun. Und wenn sie schon mal da sind, dann können sie sich ja auch gleich etwas anderes anziehen und sich mal über den Zahn putzen. Sie sehen unappetitlich aus und riechen zu streng
nach Lakritz.«
Um mich herum stiegen plötzlich weiße Tauben auf und in Zeitlupe rannten Menschen Händchen haltend, küssend
und lachend an mir vorbei. Eine Gondel fuhr langsam über die Nord-Süd-Fahrt und der Gondoliere pfiff ein wunderschönes Lied.
»Nun«, fuhr Herr Kiepenheuer und Witsch fort, »was ich
ihnen eigentlich sagen wollte, ist Folgendes: Ihre Geschichten sind einfach nicht erotisch genug, darüber sollten sie mal nachdenken. Sex sells. Sie brauchen mehr Sex.«
Auch Herr Kiepenheuer und Witsch schien mit einem beträchtlichen Potenzial zur Transzendenz ausgestattet zu sein, denn nichts an meinem Äußeren hätte ihm das verraten können. Ich fiel auf den Boden vor ihm, streichelte ihm über den Schuh und klappte meinen Stuhl zusammen. Auf dem Nachhauseweg dachte ich darüber nach, dass Sex sells. Am darauf folgenden Samstag zog einer meiner besten Freunde, Klaus, um. Ich schulde ihm noch eine Kleinigkeit, ein paar Tausend Euro vielleicht, aber als er anrief, musste
ich ihm leider eine Absage für den Transport seiner Wohnzimmergarnitur erteilen. An meinem Küchentisch sitzend, hatte ich begonnen eine besonders schmutzige Geschichte zu schreiben, eine, die vor Sex nur so trieft und die sich gut verkaufen lässt. Allerdings wird sie einen besonders dicken und wasserfesten Umschlag benötigen, so sehr trieft sie vor Sex und Sex und Sex und Sex sells – das war mir sofort
klar, als Herr Kiepenheuer und Witsch es mir gesagt hatte.
Ich werde also ab sofort nur noch erotische Literatur
schreiben. Hier nun der Anfang meines ersten erotischen Romans, den ich für Herrn Kiepenheuer und Witsch sowie ein zukünftiges Millionenpublikum schrieb. Sie hatte lange Haare, richtig lange Haare. Sie hatte überall richtig lange Haare, und wenn ich überall sage, dann meine ich auch überall! Ich sah sie in diesem kleinen schmutzigen Waschsalon sitzen, zwinkerte ihr zu und sah sofort die Feuchtigkeit in ihrem Blick. Ich zahlt für beide Maschinen, und als unsere Leibchen fertig geschleudert waren, folgte sie mir, wie ein Lämmchen seinem Schäfer folgt. Sie krallte beim Überqueren der Straße ihre Nägel in meinen Nacken, und zu Hause angekommen, verwandelte sie meine sorgfältig aufgeräumte Wohnung in ein Sodom und Gomorra in Minidom-Format. Aus ihren glänzenden
schwarzen Stiefeln quollen lange Haare, und in einer hohen Geschwindigkeit entledigte ich mich meines Schnellficktrainingsanzugs und dem sündhaft teuren Body, den ich an diesem Tage trug. Meine Exfreundin hatte ihn bei mir vergessen, und all die andere Unterwäsche lag noch in dem Plastiksack vom aschsalon. Frische geschleuderte Leibchen für die nächsten Tage. Ich würde sie brauchen, das war klar.
Ich zog ihr die schwarzen Stiefel von den behaarten Beinen, zog ihre Strümpfe aus und sog an ihrem rechten großen Zeh, bis er ganz trocken war.
Tag der Veröffentlichung: 19.09.2010
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