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Eine hohe Sonne scheint mir auf den Rücken, will mir Nacken und Hinterkopf verbrennen. Ich höre die Brandung rauschen, die Wellen lecken im Rhythmus der See an meinen Füßen, meinen Hosenbeinen. Meine Hände fühlen einen groben, nassen, schweren Sand, in den sich meine Fingerspitzen krallen, und ich weiß, dass auch mein Gesicht halb im Sande liegt und ich mag die Augen nicht öffnen. Also liege ich an einem Südseestrand und habe offensichtlich den Schiffbruch überlebt, der meine erste, teuer bezahlte Pazifikreise krönen sollte, Pechvogel, der ich bin. Immer schon war. Immer ich.
Das kleine, feine, im Internet angepriesene Kreuzfahrtschiff war, aus der Nähe betrachtet, ein ziemlich alter Eimer. Der Sturm in seiner Heftigkeit kaum vorhersehbar. Mein Aufenthalt in der kleinen, allzu leicht kenternden und sich öfter überschlagenden Rettungsinsel einsam und grauenhaft und mehr als anstrengend. Und schier endlos, es wurde Nacht und Tag und wieder Nacht im fetzentreibenden Unwetter auf dem Ozean. Schließlich der absolute Schiffbruch auf den Klippen oder Korallen, die meine aufblasbare Schutzhülle in kurze, kleine Stücke rissen und meinen Körper der schäumenden Brandung überantworteten und mich schließlich doch noch fast zum Ersaufen brachten.
Gestrandet. An den Strand gespült von offenbar wohlwollenden Wellen. War das jetzt Pech oder Glück? Ich habe überlebt, scheint mir. Robinson fällt mir ein. Zu Recht, aber das weiß ich da noch nicht. Mir scheint, ich sollte mich nun bald erheben und einen Platz im Schatten suchen, die Sonne brennt so sehr, aber ich fühle mich völlig kraftlos. Einen Moment noch, denke ich. Nur noch mich sammeln. Nur noch ein paar tiefe Atemzüge. Nur noch einen Augenblick...
Ich drücke mich endlich hoch, auf „alle viere“ und höre mich schwer ächzen dabei. Die Augen öffnen. Es ist heller Tag, aber das wusste ich ja, spürte ich ja schon wegen der drückenden Sonnenhitze im Rücken. Sand. Weißer, schöner Bilderbuchstrandsand. Wenn ich den Kopf hebe, sehe ich irgendwas mit Grün und Vegetation und beginne nun dort hin zu kriechen, mich zu schleppen, die paar –zig Meterchen. Mein Anzug ist noch nass genug, um mit dem Sande diese elendige, gewichtige Verbindung einzugehen, die mir die Bewegung noch schwerer macht. Ich brauche auch nicht lange nachzuspüren, um festzustellen, dass meine Schuhe weg sind, meine Socken verwandeln sich in stetig wachsende nasse Sandsäckchen. Neue, teure Schuhe. Und Salzwasser – und das schöne, dunkle Leder - nein, nicht dran denken.
Buschwerk, ein Baum, eine Palme wohl. Schatten. Ich rolle mich auf den Rücken, lehne mich an den Stamm. Sehe das Meer. Unschuldig blau. Mäßiger Wind, Sonne, weiter draußen Felsenklippen, an denen sich noch recht hohe Wellen brechen, undeutlich zu erkennen. Meine Brille ist natürlich auch weg. Klasse!
Wellen. Dünung. Sagt man Dünung dazu?
Urlaub unter Palmen. Scheißdreck!
In mir drin verspüre ich Hunger. Ja. Aber vor allem Durst! Meine Zunge ist raspeltrocken, wahrscheinlich habe ich, dort im Sande liegend, fortgesetzt nur durch den Mund geatmet. Oder Sand in der Nase? Ich fühle mich noch immer völlig kraftlos. Verdursten werde ich. Hier im Schatten. So wird es wohl werden. Mein Anzug ist hin. Der linke Ärmel vollkommen zerrissen, der Hemdsärmel auch. Da ist auch Blut. Eine Wunde am Arm. Brennt. Die Uhr ist weg. Und auch der Manschettenknopf! Der schöne, der vom Großvater.
Der Manschettenknopf! Meine Kehle drückt und ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen treten, der schöne Manschettenknopf! Der rechte ist noch da, aber was soll mir ein einzelner? Heulen. Resigniert schließe ich die Augen und lasse meinen Geist wegdämmern.


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Drei Tage dauert das Unwetter an. Endlich ist Ruhe und ich kann meine Hütte verlassen, mal sehen was der Sturm mir so nützliches angespült hat.
Langsam steige ich zum Strand runter. Es liegt wieder viel Treibholz herum. Da glitzert was an einem Stamm, ein Manschettenknopf! „Was soll ich damit?“ denke ich mir, stecke ihn aber ein. Ein Stück weiter liegt eine Rettungsinsel. Hoffentlich ist die ergiebiger. Fünf Pakete Notrationen, ein Verbandskasten mit Kopfschmerztabletten, die kann ich brauchen. Sogar Nähzeug ist dabei, was die so alles in Rettungsinseln packen. Ich schleife die Rettungsinsel den Strand hoch und hole die Sachen dann später, erst mal weiter schauen.
Auf einmal dringt ein vertrautes aber ewig nicht gehörtes Geräusch an mein Ohr. Jemand weint. Wie lange habe ich das nicht mehr gehört. 2 oder 3 Jahre? Wie lange lebe ich eigentlich schon hier? Ich weiß es nicht. Seit ich damals mit meinem Segelboot hier gestandet bin und alles das gefunden habe was ich immer gesucht habe ist Zeit für mich relativ geworden. Kein Stress mehr wegen dringender technischer Zeichnungen oder Termine mit unzufriedenen Kunden. Ich war Architektin, nein, ich bin Architektin, nur hier kann ich die Häuser entwerfen wie sie mir gefallen, auch wenn ich sie wohl nie bauen werde. Aber meine Gedanken schweifen ab. Vorsichtig nähere ich mich dem Weinen. Mir entfährt ein: „Oh Gott!“ Da liegt jemand unter den Palmen. Langsam nähere ich mich ihm. Das Weinen erstirbt. Es ist ein Mann, er scheint verletzt zu sein. Sein Arm ist blutig. Vorsichtig setze ich mich neben ihn und spreche ihn an: „Hallo, ich bin Jasmin und lebe seit längerem hier auf der Insel. Wie kommst du hier hin? Was willst du auf einer Insel?“ Er schaut mich verwundert an und ich denke: „Was rede ich für einen Unsinn?“

Ich schrecke hoch aus meinem grüblerischen Halbschlaf, als ich eine Stimme höre, die mich anspricht. Wie? Was? Jasmin? Insel?
Rettung!
Ein Mensch, eine Frau erkenne ich durch meine blinzelnden Augen im Gegenlicht. Mit der Hand versuche ich die Sonne abzuschirmen, so gut es geht. Sie ist sonnengebräunt, hat lange, dunkle Haare und ja, wenn mich meine Sinne nicht trügen, hat sie mich eben angesprochen. Auf deutsch! Jasmin.
Ich sage, nein ich krächze mehr: „...was zu trinken! Bitte!“



Er hat Durst. Ich öffne die Wasserflasche und befeuchte ein Tuch mit Wasser. Ich weiß noch zu gut wie es bei mir war, durstig wie irre und dann zuviel Wasser getrunken, das will ich ihm nicht antun. Also werden erst mal nur die Lippen nass gemacht trinken kann er später dann ein wenig. Das wichtigste ist erst mal ihn hier weg zu bekommen, bevor die Mittagshitze richtig zuschlägt.

Hervorragend, es ist wie im Märchen, die Frau hat eine Wasserflasche dabei, aber sie gibt sie mir nicht, macht mir ein Tuch nass, das tut gut.
„Einen Schluck nur...“ höre ich mich betteln. Nur den Mund anfeuchten, das wäre so schön. Mühevoll versuche ich mich ein wenig hochzustemmen und greife in Richtung Flasche.



Verflixt jetzt will er die Flasche haben, aber gut, dass er noch so schwach ist. Ich gebe etwas Wasser in meine hohle Hand und lasse es langsam zwischen seine Lippen laufen, Tropfen für Tropfen. Mir ist klar, dass es eine Qual für ihn ist, nur so ist es besser für ihn. „Ob er laufen kann?“ frage ich mich in Gedanken.

Das Wasser ist lauwarm, das sie mir aus der Hand in den Mund einflößt, aber es belebt mich. Genug erst mal, um mich ein wenig aufrechter hinsetzen zu können. Ich deute mit dem rechten Arm auf das Meer und sage nur: „Schiffbruch.“ Und lasse den Arm kraftlos wieder fallen. „Vor zwei Tagen ungefähr.“ Die Frau nickt nur. Sie sieht auch einigermaßen abgerissen aus und hatte sie nicht etwas von einer Insel gesagt? Nicht, dass wir hier Robinsons Schicksal teilen sollen. Also frage ich sie: „Waren Sie etwa auch auf der ‚Fortunata’?“
Nee, Quatsch, denke ich sofort, die lebt doch hier, hat sie gesagt. Und wie hieß sie doch gleich? Ich sage: „Entschuldigung, aber ich habe mir Ihren Namen nicht gemerkt...“



„Ich heiße Jasmin und lebe schon länger hier. Wir sollten jetzt versuchen, hier wegzukommen, bevor die Mittagshitze zuschlägt.“ antworte ich. Nur mir ist nicht klar wie das gehen soll. Er sieht aus als würde er keine fünf Meter laufen können und meine Hütte liegt gut zwei Kilometer von hier weg und wir müssen den Berg hinauf. „Meinst du wir schaffen es, wenn ich dich stütze?“ frage ich ihn. Mir graust davor aber es muss sein.

Ich stehe mühevoll und ächzend auf und versuche einen Schritt zu gehen, aber das wird nichts, denn ich verhaspele mich mit meinen halb mit Sand gefüllten Socken und komme sofort wieder zu Fall. Die Frau, Jasmin, ist ebenfalls aufgestanden, kann mich aber nicht halten. Mit verlegenem Grienen streife ich die blöden Socken von den Füßen und stemme mich erneut hoch. Mir ist schwindlig, aber ich stehe. Die Frau ist groß, größer als ich, scheint mir. Sie fasst mich unter der rechten Achsel und gibt mir Stabilität. Das tut gut. „Es könnte gehen“, sage ich, „das Gehen.“



Ich muss mir das Lachen verkneifen, aber es sieht auch zu komisch aus, wie er versucht zu gehen. Er stolpert umher wie ein kleines Kind. Ohne seine Socken geht es. Dann werde ich ihn mal stützen. Er ist kleiner als ich und hat einen Wohlstandsbäuchlein, der wird hier schnell verschwinden. 2 km liegen vor uns, wobei ich das Gefühl habe das ich ihn mehr trage, als er geht. Wir werden wohl öfters Rast machen müssen.

3




Wenn ich beschreiben sollte, wie lange wir gegangen sind, was heißt gegangen, geschleppt, ich habe mich geschleppt und sie hat mich geschleppt, angestrengt, mehr schlecht als recht; wenn ich also sagen sollte, wie lange, ich weiß es nicht. Irgendwie endlos. Und immer wieder ausruhen zwischendurch, wo sie mir dann kleine Schlucke aus ihrer Wasserflasche zu trinken gab. Winzige Portiönchen, weil das angeblich besser für mich sei. Und immer wieder weiter schleppen. Und dann auch noch bergauf, zu ihrer Hütte, wie sie sagte.
Jetzt liege ich völlig entkräftet unter einem Baum im Schatten und warte ab. Ich kann die Hütte der Frau sehen, sie hat sie auf einem kleinen Felsplateau errichtet, Flechtwerk und Blätterdach, sieht aus, wie mit Sachverstand gemacht. Aber ich komme da so erst mal nicht hin, denn ich müsste einen zirka fünf Meter breiten Graben auf einem dicken, alten, schräg darüber gefallenen Baumstamm überwinden. Das schaffe ich nicht allein und auch zu zweit würden wir vermutlich abstürzen. Jetzt muss ich also abwarten, Jasmin ist rüber und wollte sich um Wasser und etwas zu Essen kümmern. Ich könnte immer noch ein ganzes Fass austrinken und dazu einen kompletten Hammel verschlingen, so fühle ich mich, aber ich weiß ja, es würde mir vermutlich schlecht bekommen. Während wir uns den endlosen Weg über den Strand und durch den Busch schleppten, hat sie nicht viel geredet, war auch so anstrengend genug. Und auch ich konnte eigentlich nur berichten, dass ich mit diesem vermaledeiten Kreuzfahrtschiff, der „Fortunata“, Pech hatte, weil das Ding untergegangen ist. Und dass ich mit einer Rettungsinsel hierher getrieben wurde. Sie hat gesagt, sie hätte die Reste der Rettungsinsel am Strand in übernächsten Bucht entdeckt. Und ich solle besser die Klappe halten und laufen, verdammich! Zum Erzählen wäre noch sehr viel Zeit, denn diese Insel hier wäre wohl unbewohnt und wir kämen auch auf absehbare Zeit nicht von hier weg. Super Aussichten.
Sie lässt sich Zeit in ihrer Hütte. Oder sie muss erst was zu Essen fangen, kann ja sein? Oder Pflücken oder so?
Ich überlege, ob ich den Baustamm, diese Brücke zur Hütte womöglich auf allen Vieren überqueren könnte. Besser mutig gekrochen als schlecht gelaufen. Sie, diese Jasmin, das lange Fräulein, ist da flinken Fußes rüberbalanciert, tänzerisch fast. So was könnte ich nicht, auch nicht, wenn ich im Vollbesitz meiner ganzen körperlichen Kräfte und Behändigkeit wäre. Ich bin ein Stadtmensch, nicht gemacht für die Natur und deren Bedingungen; ich bin Finanzbeamter und kein Drahtseilclown. Ich bin auch nicht dafür gemacht, in enger Gemeinschaft mit jemandem auf engem Raum zu leben. Mein inzwischen gut fünfzigjähriges Leben habe ich mir zu Hause als Einzelgänger in aller Anonymität der Großstadt eingerichtet, nach einigen anfänglichen Versuchen nun auch schon seit vielen Jahren ganz bewusst unbeweibt und glücklich. Ich bin auf dieser Insel hier, mit einer einsamen, jungen Frau, ungefähr so fehl am Platze, wie eine Makrele auf einem Apfelkuchen.
Oh je, das Wort Apfelkuchen hätte ich lieber nicht denken sollen, das zieht mir gleich den Magen zusammen. Hoffentlich kommt das lange Jasminchen bald wieder. Es ist bestimmt schon über Mittag. Die Sonne ballert von oben und ich kann mich wenigstens glücklich schätzen, im Schatten unter diesem Baum liegen zu können, auf einer Art Polster von so großblättrigen Farnpflanzen oder so, das die Frau mir auf die Schnelle zurechtgerupft hat. Ich liege bequem und doch etwas unentspannt, weil ich um mich herum lauter ekliges Spinnengewürm argwöhne, das sich womöglich für mich interessiert. Jasmin soll kommen, denke ich, ich habe Hunger und Durst!


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Was soll das nur werden ich schleppe diesen alten Sack von einem Stadtmenschen in meine Hütte. Naja so ganz ist er noch nicht da ob er es je schafft auf mein Plateau zu kommen. Es ist sicher vor den wilden Tieren die hier leben, da es ja nur über den Baumstamm zu erreichen ist. Aber jetzt erst mal überlegen was gebe ich ihm zu essen Braten wird nicht das wahre sein für seinen Magen am besten ich nehme etwas Brot mit und noch Wasser. Soll ich von dem wilden Honig etwas mitnehmen oder verträgt er das noch nicht. Ich hasse diese Stadtmenschen, aber er wird sich umstellen müssen, oder er geht hier unter. Ich hoffe nur er spielt nicht den Helden und macht irgenden einen Unssinn während ich weg bin, wenn ich bedenke anstatt seine Kraft fürs leufen zu sparen fängt er an zu erzählen wie her her gekommen ist.
Männer einfach unmöglich!
Verflixt ich muss noch zur Quelle frisches Wasser holen, und ich bin so müde. Warum kann er kein athletischer Mann sein, der mich mehr unterstützen konnte auf dem Weg hier hoch. Aber jetzt erst schnell zur Quelle. Ich muss lachen, was wird das wenn er einmal Wasser holen muss, die einzigste Trinkwasserquelle ist am anderen Ende meines Palteaus in der Steilwand zum Meer. Ich stelle mir vor wie er da in der Wand hängen wird, wie eine Fliege im Spinnennetz hilflos und ängtslich. Ob ich ihm Bescheid sage das ich zur Quelle muss? Ach Quatsch, der Typ ist so KO der wird schon liegen bleiben. Erwin was für ein Name ein richtiger Opaname. Meine Gedankken springen hin und her, die ganze Situation verwirrt mich. Was wird werden, das Leben alleine war so schön und jetzt habe ich das Gefühl als wäre eine Schlange in mein Paradies eingedrungen. Ich muss mich konzentrieren und mich aufs Wesentliche beschränken, der Rest wird sich klären. So das Seil und den Eimer nehmen und ab zur Quelle das dauert bestimmt 20 Minuten bis ich zurück bin, aber es muss sein.

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Eben bin ich so beim darüber Nachsinnen, dass die Frau meine Lagerstätte ungefähr so aus Blättern und Zweigen zusammengebaut hat, wie das die großen Menschenaffen zu tun pflegen, jedenfalls hatte ich so was mal im Fernsehen gesehen, da knackt es hinter mir im Busch und grummelt auch irgendwie so komisch, dass mir augenblicklich die Nackenhaare hochstehen.
Ein Tier, ein Viecht, ein Bär oder Löwe oder...!
Im Nu bin ich auf den Füßen, sehe mich ängstlich um, erkenne aber nichts. Die ollen Menschenaffen bauen ihre Nester in Bäumen, geht es mir durch den Kopf, sicher vor Raubgetier. Ich stehe hier wie mitten in des Ungeheuers Futternapf. Obwohl, Löwen oder Bären sind auf einer Pazifikinsel eher unwahrscheinlich, aber was weiß ich schon von der Natur? Was immer sich da durchs Gebüsch knackt und schnauft, ich habe keine, überhaupt keine Lust, das jetzt zu erforschen, ich will weg hier.
Langsam schleiche ich mich in Richtung Baumbrücke, nur hier keine wilden Tiere auf mich aufmerksam machen. Nichts zu sehen im Busch. Vielleicht ja auch irgend ein friedliches Wesen, was sich da bewegt hat? Aber eben nur vielleicht.
Ich glaube, wenn ich mich rittlings auf den Baumstamm setze und mich dann Zug um Zug aufwärts schiebe, könnte ich den Weg zum Plateau schaffen, wo sich ja doch hoffentlich keine wilden Tiere aufhalten. Ich erklettere also ganz vorsichtig die angestrebte Sicherheit, bemühe mich, so wenig wie möglich nach unten zu sehen. Die Schlucht sieht nicht besonders tief aus, aber zugewachsen von allerlei Grünzeug und was sich auf dem Grunde dieses Graben so aufhalten mag, möchte ich besser gar nicht erst wissen. Zentimeter für Zentimeter rutsche ich über die raue Borke des Baumstamms. Mein guter Anzug wird die Kletterei nicht schadlos überstehen, so viel ist sicher. Noch ein Stück und noch ein Stück und immer noch ein Stück vorwärts, bin gleich drüben. Gleich geschafft, da höre ich ein schallendes Lachen. Schön, eine richtige Heldenfigur werde ich nicht abgeben hier auf dem Baumstamm, aber der Grund für so viel Heiterkeit möchte ich nun auch nicht sein. Jasmin ist also wieder da und lacht. Lacht mich aus. Na prima. „Lachen Sie nicht! Helfen Sie mir! Bitte!!“


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Ich komme von der Quelle zurück und was muss ich sehen? Dieser Idiot rutscht auf seinem Hintern über den Baumstamm und hinter ihm steht Rocko, mein Rehpinscher, und knurrt ihn an. Ein Bild für die Götter. Er hat Angst vor so einem kleinen Hund! Das kann ja lustig werden mit ihm. Egal, was ich versuche, je näher ich den Beiden komme, desto stärker wird mein Verlangen, zu lachen. Als ich am Ort des Geschehens bin, kann ich nicht mehr, ich pruste los. Er schaut mich entsetzt an und bittet auch noch um Hilfe, das verschlimmert meinen Lachkrampf nur. Ich versuche tief durchzuatmen, langsam beruhige ich mich und bringe ein gepresstes: „Schau mal!“ hervor. Langsam dreht er sich um und starrt Rocko an. „Was ist das denn?“, fragt er. Ich bringe ein: „Mein Hund.“ heraus und bekomme den nächsten Lachkrampf. Oh je, was gibt das noch? Als ich mich endlich beruhigt habe, strecke ich ihm meine Hand entgegen, um ihm endlich auf mein Plateau zu bekommen.

Irgendwie haben wir es geschafft, er ist auf meinem Plateau. So, jetzt erst mal sehen, dass er was trinkt und ein wenig isst, bevor er mir noch ganz umkippt, ich habe keine Lust ihn bis zur Hütte zu schleppen.

Menno, der isst ja nicht, der schlingt wie ein wildes Tier, gut das ich nicht soviel mitgenommen habe. Rocko steht auf dem Baumstamm und beobachtet ihn misstrauisch. Ich gebe ihm ein Zeichen und er kommt zu mir. „Rocko das ist Erwin.“, stelle ich ihn vor, „der lebt jetzt bei uns.“ Vorsichtig nähert sich Rocke Erwin und schnuppert an ihm, schüttelt den Kopf und geht hoch erhobenen Hauptes in Richtung Hütte. Na das gibt was mit den beiden Kerlen.

„Los, den Rest schaffen wir zwei jetzt auch noch bis zur Hütte, da kannst du dich hinlegen“, sage ich und versuche Erwin hoch zuziehen. Boah, ist der schwer, das wird mir erst jetzt bewusst. Eigentlich müsste ich die Fallen kontrollieren, ob ich was gefangen habe, aber nein, ich schlage mich hier mit diesen Idioten rum.

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Ich liege bequem auf einem Lager aus geflochtenen Matten, über mir erkenne ich ein Blätterdach, und draußen, vor dieser Hütte, in der ich eben aufgewacht bin, scheint schönes Wetter zu sein. Vogelgekreisch. Ich fühle mich ausgeschlafen, wie lange nicht, ausgeruht, ein wenig hungrig und ich muss mal aufs Klo. So weit der gemütliche Teil meines Erwachens. Jetzt aber holt die Erinnerung auf: Schiffbruch, Insel, Strand, Dschungel, die Frau, Jasmin, Felsplateau, Baum, Untier!
Wie sie mich ausgelacht hatte, weil ich vor Schiss vor diesem Dackelvieh ausgerissen war. Bitte! Was weiß denn ich von der Wildnis? Schön und gut, ich werde nicht die vorteilhafteste Figur abgegeben haben da auf dem Baum, da sei ihr das Lachen gegönnt. Wer den Schaden hat...
Was heißt Schaden, sie hat mich ja gerettet, hat mir so Brot und Honig zu essen gegeben und Wasser und ich durfte mich schließlich in ihrer Hütte hinlegen. Ich muss reichlich lange geschlafen haben, glaube ich.
Und jetzt sollte ich aufstehen und aufs Klo – na oder doch wenigsten in die Büsche. Ob die Frau draußen ist? Ich könnte sie fragen, 'Gnädigste, wo wäre hier das Bad?'. Sage ich Sie oder Du zu ihr? Ich glaube ja, ich habe sie aus der Gewohnheit heraus mit Sie angesprochen und sie hat schlicht Du zu mir gesagt. Was sagen die Benimmregeln auf einsamen Inseln? Ach was, es wird sich finden, denke ich und will einigermaßen gut gelaunt aufspringen, halte aber doch inne. Der Hund! Gestern hat sein Frauchen ihm ja erklärt, dass ich jetzt mit dazu gehöre, aber hat er das auch verstanden? Ich bin nicht unbedingt gut auf Hunde zu sprechen und ich glaube, das wissen die Viecher auch ganz genau.
Ich tappe auf allen Vieren vorsichtig zum Hütteneingang und sehe mich, was auch sonst, diesem Köter gegenüber. Der schnüffelt, niest, trampelt mit den Vorderhufen und wedelt unentschlossen mit dem Schwanz. Reckt die Nase vor. Nee, ein Dackel ist das nicht, dieser hier hat keine Schlappohren. Wir scheinen beide zu überlegen, wer nun mehr Angst haben sollte...
Ich bewege mich zaghaft ein Stück nach vorn, der Hund quittiert es mit Gekläff, stößt sich mit den Vorderpfoten immerzu vom Boden ab, um sofort wieder auf den ausgestreckten Armen (haben Hunde Arme?) zu landen, während er aufgeregt mit dem hochgestellten Hinterteil wackelt. Fressen wird er mich nicht, dazu scheint er mir nun doch zu klein, aber beißen wohl schon. Oh, ich kann Hunde nicht leiden!
Das wütende Gebell dieses kleinen Scheißers hat aber nun wohl seines Frauchens Aufmerksamkeit geweckt, die eben von was-weiß-ich-woher auftaucht, um mich neuerdings zu retten.
„Rocko, aus!“, ruft sie, „lass Erwin in Ruhe, der spielt jetzt nicht mit dir!“ Dabei lacht sie wieder mal.


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Die beiden ein Bild zum schießen Rocko fordert ihn zum Spiel auf und er macht ein Gesicht als würde Rocko ihn im nächsten Moment umbringen. „Na, ausgeschlafen?“ frage ich ihn. „Ich dachte du würdest gar nicht mehr munter, aber ich denke mal 3 Tage Schlaf reichen erst mal? Wenn du dich frischmachen willst, das Bad ist hinter der Hütte. Ich mache inzwischen was zu essen.“ Mit diesen Worten gehe ich an ihm vorbei und muss grinsen schon lange hat kein Mann mehr zu meinen Füßen gelegen. Da es Abend ist schneide ich Braten auf und kalte Klöße in Scheiben, zwar nicht wie bei Muttern zu Hause sondern eben ala einsame Insel. Ich höre ihn im Bad rumoren, ob er es abreißt?
„Kommst du zurecht oder brauchst du Hilfe?“ rufe ich rüber.

„Ich finde mich schon zurecht, Junge Frau“, sage ich und gehe zu ihr hin. „Darf ich denn jetzt auch 'Du' sagen?“
Was schneidet sie da? Das sieht ja geradezu verführerisch aus. „Ah“, sage ich, „Fleisch, sehr gut. Sollte ich wissen, von welchem Tier das stammt?“



„Eigentlich hättest DU mir ja das du anbieten sollen, aber hier verlieren sich mit der Zeit viele der üblichen Konventionen. Darum muss ich dich fragen ob du mir böse bist deswegen, oder muss ich Fragen: ob sie mir böse deswegen?“
Ich drücke ihm Teller und Besteck in die Hand. „Ach das Fleisch ist so ein ähnliches Tier wie bei uns die Wildschweine.“

Upps, Wildschwein, groß und wehrhaft und böse, geht es mir durch den Kopf und lässt mich augenblicklich stammeln: „Äh..., nein..., ja..., Jasmin..., du..., gerne.“
Teller und Besteck, na bitte. Komfortschiffbruch. Aber das hier riecht ausgezeichnet, das sage ich ihr auch.
Und außerdem, schon kauend: „Nur der Neugier wegen, die Schweine schießt du? Fängst du?
Lockst du in Fallen? Ich stelle mir das nicht ungefährlich vor.“



„Diese Viecher fressen für ihr Leben gerne Bananen und damit locke ich sie in eine Falle, kannst mir ja beim nächsten helfen,“ sage ich ihm, wobei ich ein Grinsen unterdrücken muss, der und diese Monterschweine, „ dann ist es vielleicht einfacher.“ Ich glaube selber nicht an das gerade gesagte, aber er muss lernen zu überleben ich kann nicht für uns alleine sorgen.

Ohgott, das meint sie hoffentlich nicht im Ernst, ich soll ein Schwein totmachen? Erwin, der Wildtöter? Nie, ich bin der, der Spinnen lebendig fängt und draußen wieder aussetzt. Ich glaube sogar, dass sie mich entsprechend einschätzt, denn sie lächelt so ein bisschen spöttisch.
Ich versuche, ein bisschen abzulenken und sage: „Schmeckt aber gut!“ Tut es auch, ehrlich.
Dann frage ich: „Wie hat es dich eigentlich hierher verschlagen? Und besteht denn eine Chance, von dieser Insel irgendwie auch wieder wegzukommen? Ich bin, glaube ich, nicht so der Insel-Typ.“



Toll er lenkt vom Thema, habe ich mirs doch gedacht. Aber warte Freundchen dich bekomme ich dran. „Ich bin mit meinem Segelboot vor 3 Jahren oder so hier gestrandet und seit dem lebe ich hier. Also eine große Chance sehe ich nicht das uns einer hier findet.“ Wenn er wüsste das ich nachdem er endlich in der Hütte war und schlief sofort runter zum Strand bin und den Peilsender in der Rettungsinsel zerstört habe. Vielleicht war es ein Fehler jetzt sitze ich mit ihm hier fest, aber ich will noch nicht zurück in die „Zivilisation“, noch lange nicht.

„Ohgott, gestrandet", sage ich und vergesse das kauen, "wie Robinson. Dieser Film fällt mir da ein, der mit Tom Hanks. Kennst du den noch? Wo der mit dem Flieger abtürzt?"



„Du meinst wohl 'Verschollen'? Gibt wohl wenige, die den nicht kennen. Aber so ganz stimmt der Vergleich ja nicht, wir haben uns und brauchen keinen Volleyball", antworte ich ihm, "oder wartet auf dich auch eine Verlobte, beziehungsweise eine Frau?"


„Verschollen, ja, so hieß der wohl." Satt und zufrieden lehne ich mich zurück. „Auf mich wartet zu Hause nur mein Dienstherr. Das Finanzamt. Sonst niemand, nein." Gottchen, ja, so ist nun mal mein Leben.



„Das ist aber langweilig wie sich das anhört," antworte ich ihm. Da war mein Leben wohl interessanter.

„Langweilig?“ Ich sehe sie an. Schüttele mit dem Kopf. „nein, ich..., nein, eigentlich nicht langweilig. Das ist eben mein Leben, alleinstehend, glücklich, immer beschäftigt. Die Arbeit, der Garten und der Gartenvorstand, zu dem ich gehöre, der Posaunenchor der Kirche, meine Hobbies, ich gehe in Konzerte, lese viel – das ist doch alles nicht langweilig, finde ich.“



Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen, was für eine Trantüte. Ist der 50 oder 90 Jahre alt? „Na, für meine Begriffe ist es langweilig. Ich bin Architektin und habe so manches Haus entworfen, dazu kam der Sport wie Tennis, Turmspringen und Fussball. Aber wir sollten die Zeit jetzt nicht unnütz verstreichen lassen es gibt viel zutun bevor der nächste Sturm aufzieht."

„Sturm? Was für Sturm? Ist das gefährlich?"




„Noch schlimmerer wie der der dich mir angespühlt hat.“

Jasmin macht mir bedeutungsvolle Gesten. Taifun, Orkan, was weiß ich? Ich frage ganz verschüchtert: „Was können wir tun? Was soll ich machen? Können wir was machen?“



„Wir müssen Nahrung sammeln und Feuerholz", sage ich "vor allem aber Fleisch und Fisch fangen und trocknen!"

Oh je, ich bin so schön satt und träge. Ich frage: „Jetzt gleich? Es muss doch schon Abend sein, die Sonne geht langsam unter, scheint mir.“



„Genau das ist die richtige Zeit zum Fischen und Jagen."

'Jagen!', denke ich, 'Schweine!'
Ob sie sich darüber im Klaren ist, dass ich ihr wohl keine große Hilfe sein kann? Ich könnte ja Früchte sammeln, vielleicht. Aber nicht abends, Früchte sind nicht nachtaktiv, soweit ich weiß. Jasmin hat derweil Teller und Besteck in die Hütte gebracht und erscheint wieder mit dem deutlichem Willen, jetzt, genau jetzt loszuziehen. Was bringt sie da für Gerätschaften heraus aus der Hütte?
Na, sie wird es mir wohl bald erklären, denke ich mir und brumme nur: „Na dann, Waidmanns Heil.“


9




Die Nacht ist sternenklar und kühl und ich sitze vor Jasmins Hütte auf einem Stein. Ich konnte nicht einschlafen und habe also beschlossen, wieder aufzustehen und Jasmin in der Hütte allein zu lassen. Soll sie schlafen, sie hat sich's bestimmt verdient, hat es ja sicher auch schwer genug mit mir.

Ich bin nicht müde. Na, wenn ich auch drei Tage lang durchgeschlafen haben soll, wie sie sagt. Kein Wunder, alles in mir ist durcheinander. Ich sehe in den Sternenhimmel und kraule selbstvergessen dem Hund die Ohren und der genießt es und erst, als ich mir dieser Handlung bewusst werde, erschrecke ich ein bisschen. Der Hund merkt es und stupst mich fast wie beschwichtigend mit der Nase an: „Weitermachen.“

Mistvieh, denke ich, Kampfratte! Aber na schön, er soll seinen Willen haben. Wir sind ja jetzt Freunde. Bitteschön.

Nach dem Abendessen war Jasmin der Ansicht, wir müssten dringend Fische fangen, eines Sturmes wegen, den sie voraussagte und der nun aber so ganz und gar nicht kam, im Gegenteil. Es ist absolut windstill jetzt. Vielleicht hat sie es ja auch nur behauptet, um mich zum Fischen zu animieren. Angeln. Es soll Leute geben, die für ein solches vergnügen Geld ausgeben, für mich völlig unverständlich. Ich war als Kind ein paar Mal mit meinem Vater zusammen angeln, ewig ist das her. Und richtig Spaß hatte ich schon damals nicht daran, hab die Stimme meines alten Herrn noch im Ohr: „So musst du die Rute halten – und den Wurm immer über den ganzen Haken, dass der Fisch den nicht sehen kann – und immer ordentlich anhauen, wenn einer beißt, dass er nicht wieder loslassen kann.“ Und Kescher und Eimer und Wurmbüchse und Rucksackhocker – oder hieß das Hockerrucksack? Vierzig Jahre ist das her.

Jasmin und ich beim Angeln. Wie schön, wie romantisch, Abenddämmerung und Sonnenuntergang am Meer, Kitschpostkarte pur.

Natürlich ist sie Angelprofi, was auch sonst. Sie kann ja alles besser, als ich. Außer vielleicht die Steuererklärung, aber die braucht sie ja hier nun wirklich nicht.

Erst waren wir unten am Strand (nachdem wir den vermaledeiten Brückenbaum überquert hatten, schwierig, schwierig!), wo Jasmin und ich dann im flachen Wasser stehend mit einer Art feinmaschigem Netz einen kleinen Schwarm Fischchen eingekreist hatten, die wir zum „Beködern“ (was für ein Wort!) verwenden konnten. Danach sind wir auf eine Klippe geklettert und haben geangelt. Die Haken und die Schnur hatte sie wohl noch von ihrem Segelboot, der Rest war alles Eigenbau. Vier ziemlich große Fische haben wir gefangen (ich drei, sie einen!), sie gleich an Ort und Stelle geschlachtet (igitt!) und dann hat sie auch schon wieder zum Aufbruch gedrängt, weil nämlich, später ginge der Mond unter und im Finstern käme ich nie und nimmer über den Baum – was dann auch wirklich... - na ja, Jasmin hatte wohl wieder allen Grund zum Lachen. Morgen im Hellen werde ich mal versuchen, dem Baum einigermaßen aufrecht zu passieren. Wenn meine Füße das zulassen. Die haben sich ganz schön beschwert wegen der Kletterei auf der Klippe. Barfuß. Jasmin hat ja so komische selbstgebastelte Bastschuhe. Ich glaube, solche sollte ich auch tragen, meine Füße sind nicht gemacht für Inselklippen.

Inzwischen hat sich der Mond vom Himmel verabschiedet. Der Hund scheint zu schlafen. Am Boden, hier auf dem Plateau, ist es stockfinster. Aber dafür bildet der Himmel ein Bild, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe, Sterne über Sterne und von einer Klarheit... Das ist schöner, als jedes Feuerwerk. Unwillkürlich denke ich an ferne Welten da draußen. Und komme auch sogleich wieder auf den Boden der Gegebenheiten zurück – das hier ist ja wohl ferne, fremde Welt genug für mich.

Müde oder nicht, ich werden wieder in die Hütte kriechen und versuchen, zu schlafen. Komm mit, Rocko!

Eine Sternschnuppe huscht über den glitzernden Himmel. Was wünschen, schnell...





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Nun lebt Erwin schon ein halbes Jahr bei mir auf der Insel. Was für eine chaotische Zeit, nichts, aber auch gar nichts habe ich in den ersten Wochen wieder gefunden. Alles hat er umgeräumt, weggeräumt, hin- und hergeräumt, nur um mir seine Auffassung von Ordnung beizubringen. Er hat nie begriffen, dass bei mir alles nach Funktionalität geht.
Was haben die Töpfe auf einem Regal zu suchen, das sich auf der gegenüberliegenden Seite der Kochstelle befindet? Aber etwas Wichtiges hat er gelernt, er kann angeln, ich kann ihn alleine losschicken. Ich muss heute noch lachen, wenn ich daran denke, wie er sich bei seinen ersten Angelversuchen angestellt hat. Mittlerweile muss ich ihn stoppen, denn so viele Fische wie er heranschleppt, kann man unmöglich essen und eine Großfamilie plane ich mit IHM garantiert nicht.
Dann die erste Jagd nach den Schweinen - so wie er sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hat, habe ich schnell eingesehen, dass er dazu nicht zu gebrauchen ist.
Woran ich mich wohl nie dran gewöhnen werde, ist sein Schnarchen. Ich kann verstehen, dass er Junggeselle ist, denn jede normale Frau geht laufen, wenn er zu sägen beginnt. Nur, wohin soll ICH laufen? Die ganzen Herbststürme haben mir weniger den Schlaf geraubt als sein Schnarchen!
Was mich jedoch am meisten stört, ist, dass er ein Kopfmensch ist und theoretisch viel schafft, von mir aber die Umsetzung verlangt - ICH bin ja schließlich die praktisch Veranlagte. Technisch bis ins letzte Detail ausgeklügelte Dinge - nur eben hier nicht einsetzbar, da uns das Material fehlt. Dann sitzt er wieder stundenlang herum und grübelt, wie man seine Ideen in die Tat umsetzen könnte, mit dem Material, das wir zur Verfügung haben.
Irgendwann kommt er dann an und hat alles so umgeplant, dass es umsetzbar ist, aber die Arbeit bleibt an mir hängen. Der einzige Vorteil von allem ist, dass er eine schöne Figur bekommen hat und der Bauch weg ist. Und zu guter Letzt hat er auch noch gelernt, sich die Schuhe selbst zu zu machen.
Das Beste aber war Weihnachten. Ich hatte kein Geschenk für ihn, bis mir durch Zufall der Manschettenknopf in die Finger fiel, und da sein Hemd ja nur einen Ärmel hat, passte es ja. Woher sollte ich denn wissen, dass es seiner war? Er hat sich aber dennoch gefreut wie ein kleines Kind. Ich bekam die Konstruktionspläne für ein Windrad geschenkt. War irgendwie klar, dass was Praktisches von ihm kam. Silvester haben wir draußen gesessen und die Sterne beobachtet ... für mich gibt es nichts Schöneres.
Aber wenn ich ehrlich bin, langsam geht er mir auf den Geist... Ich will meine Insel wieder nur für mich haben. Ob ich das Notsignal seiner Rettungsinsel reparieren soll? Aber dann müsste ich ihn überreden, dass er mich nicht verrät. Ob er sich daran hält? Ich weiß es nicht und das macht mir Angst. Ich will noch lange nicht zurück!
Nächste Woche hat er Geburtstag! Bis dahin werde ich versuchen, den Notrufsender wieder zusammen zu bauen und ihn fragen, was wäre, wenn wir gefunden würden.

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Heute ist wieder mal einer von den schöneren Tagen, das Wetter ist ruhig, wenn auch nicht eben richtig sonnig, aber das ist mir ganz recht so. Ich sitze auf meiner Klippe und angele. Vielleicht ist „Klippe“ auch nicht der richtige Ausdruck. Mir kommt das Gebilde vor, wie eine vor tausenden von Jahren im Meer erstarrte Lavazunge. Die Insel wird sicher mal vulkanischen Ursprungs gewesen sein und dann, bei einem letzten Ausbruch, lief das flüssige Gestein an dieser Stelle ins Wasser und erstarrte sofort. Gewaltiges Zischen. Man stelle sich das vor.
Na schön, das ist ewig her, da passiert nichts mehr. Tektonische Ruhe.
Ich sitze gern hier und angele, auch wenn Jasmin das nicht so ganz passt. Die mag langsam keine Fische mehr. Trotzdem muss ich ja dann und wann einen Fang mitbringen, sonst denkt sie noch, ich bin faul. Okay, stimmt ja auch, im Grunde gehe ich zum Angeln, weil ich dabei so schön meine Ruhe habe. Die habe ich hier. Oben immer: Erwin, dies muss, Erwin, das muss. Ich gebe ihr ja sogar recht, aber manchmal gehe ich ihr in letzter Zeit auch ein bisschen aus dem Wege. Meine Einzelgängernatur eben.
Rund ein halbes Jahr bin ich jetzt mit ihr auf dieser Insel. Das weiß ich, weil ich einen recht präzisen Kalender ausgearbeitet habe. Ich glaube, ihr wäre es fast egal gewesen, welches Datum wir so haben. Kein Wunder, nach so einer langen Zeit auf der Insel. Aber mich hatte es gestört, nicht genau zu wissen, welcher Tag gerade ist. Also habe ich gründlich die Zeit rekapituliert und einen genauen Kalender angefertigt. Und ich habe eine Art Sonnenuhr angefertigt, da kann ich spätestens am Frühlingsanfang überprüfen, ob meine Rechnung richtig war. Aber ich bin überzeugt davon. Und Jasmin freut sich offenbar nun auch an meinen Berechnungen, haben wir doch dadurch Weihnachten und Silvester begehen können.
Weihnachten. So der ganz große Romantiker bin ich ja auch nicht, aber ein bisschen wehmütig wurde mir doch schon. Sie hatte einen Manschettenknopf für mich, aber nicht nur irgendeinen – genau den, den ich anfangs auf der Insel verloren glaubte, den vom Großvater! Den hatte sie gefunden. Ich war ja so glücklich.
Leider hatte ich kein Geschenk, ich habe ihr, quasi symbolisch, die Konstruktionspläne für das Windrad gewidmet, das mit ein bisschen Geschick eine Art Schöpfwerk antreiben könnte, um das Quellwasser über Röhren oder Rinnen zu unserer Hütte leiten zu können.
Was mir noch Sorge macht, ist meine – unsere Kleidung. Mein Hemd wird immer fadenscheiniger und die Anzughose kannst du fast ganz vergessen. Ich bin ja von Hause aus nicht ganz ungeschickt mit Nadel und Faden, aber lange wird das nichts mehr. Ich habe jetzt die Hosenbeine unterhalb der Knie abgeschnitten, damit ich wenigstens ein paar Stücken Stoff für Flicken habe; das Sakko wollte ich noch nicht auftrennen, das hängt hübsch in der Hütte auf dem (selbstgeschnitzten) Bügel.
Man könnte sich, wenn man das hier liest, natürlich fragen: Ein Mann, eine Frau, allein auf einer Insel...? Aber in dieser Hinsicht gab es bis jetzt keine noch so kleine Annäherung. Ich glaube ja, Jasmin hält wohl nicht so viel von Männern. Na, und ich bin ja sowieso nicht der Charmeur vor dem Herrn. Und 20 Jahre älter sowieso. Es ist eigentlich auch ganz gut so. Wir kommen recht vernünftig miteinander aus. Naja, sie beschwert sich manchmal, dass ich schnarche. (Ich? Nie!) Vielleicht sollte ich mir ja eine eigene Hütte bauen, ein Stück weg von ihrer – wenn sie mir hilft dabei, so richtig doll geschickt bin ich immer noch nicht als Handwerker. Ist besser geworden, aber noch nicht gut genug für Jasmin.
So, zwei Fische reichen für heute. Ich werde mal wieder aufs Plateau gehen, ich glaube, ich bin heute dran mit Wasser holen. Das ist auch so eine elende Kletterei dort zur Quelle. Ich hasse das. Wenn wir nur das Windrad bauen könnten, aber mit dem Material, das wir hier haben? Schwierig.


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Langsam kommt Erwin über den Baumstamm, in der Hand seinen Fang.
„Hallo Erwin. Na, warst du erfolgreich? Ich muss mal was mit dir bereden“, empfange ich ihn. „Was wäre eigentlich wenn wir gefunden würden? Du weißt, dass ich nicht, noch lange nicht, zurück will. Daher habe ich mich ja bisher nicht so richtig darum gekümmert, etwas zu machen in Richtung Signalfeuer oder ähnliches. Ich kann mir aber vorstellen, dass du zurück in dein normales Leben willst!“
Ich rede ohne Unterlass während ich die Fische putze und sie fürs Abendessen zubereite. „Könntest du dir vorstellen die Insel zu verlassen, und mich und Rocko zu verschweigen in diesem Fall? Oder muss ich dann mitgehen oder Angst haben, dass du jemanden informierst, über mich und mein Leben hier?“
Mein Magen zieht sich zusammen vor Aufregung, aber ich rede weiter, lasse ihn nicht zu Wort kommen aus Angst vor seiner Antwort. So nebenbei bereite ich unseren Wildwuchssalat vor.
Wildwuchssalat, eine Worterfindung von Erwin, habe ich früher nie gehört.
„Ich bin einfach noch nicht reif, um die Insel zu verlassen. Vielleicht denken alle auch, dass ich nicht mehr lebe und haben sich ihr Leben ohne mich eingerichtet. Wer sollte mich auch vermissen? Mein Chef? Bestimmt nicht. Mein Verlobter? Der hatte genug Weiber, denen er nachlief, und die ihm nachliefen. Meine Eltern? Die haben, als ich anfing Architektur zu studieren, den Kontakt abgebrochen. Naja, vielleicht meine beste Freundin, aber es sind jetzt über drei Jahre und wie heißt es so schön: Aus den Augen aus dem Sinn.“
Ich decke draußen den Tisch, während Erwin auf einem Baumstumpf hockt und mich beobachtet. „Sonst gibt es wohl niemanden, der mich vermissen könnte. Also warum soll ich zurück in den Zwang? Ich habe hier alles was ich brauche, Essen, Trinken und meinen Rocko. Naja und zur Zeit auch dich.“ Klang das jetzt etwas genervt? „Was will ich mehr vom Leben? Sommer, Sonne, Strand und Freiheit?“ Ich setze die Teller etwas hart auf den Tisch und beende meine Ansprache mit dem Satz: „Mensch, nun sag auch mal was, Erwin!“

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Jetzt bringt sie mich aber doch ein bisschen durcheinander mit ihrer Rede. Was soll das heißen: „Wenn wir gefunden würden, ...werden würden?“ ach egal. Heißt das, es gibt einen Weg in die Zivilisation und sie hat den mir verschwiegen?
„Meinst du, du könntest Kontakt zur Welt aufnehmen, wenn du nur wolltest?“, frage ich. „Satellitentelefon oder so?“
Sie zuckt nur unverbindlich mit den Schultern und sagt: „Hypothetisch nur...“
Ich bin..., ja, was bin ich? Sprachlos bin ich. Was soll ich dazu jetzt sagen?
„Die Ansprache“, sage ich, „muss ich wohl erst mal verdauen. Am besten ich gehe Wasser holen.“
Also schnappe ich mir Seil und Eimer und mache mich auf den Weg zur Quelle.
Gefunden werden würden – wenn wir nun gefunden werden würden... Das war bisher etwas, was Jasmin kategorisch ausgeschlossen hatte. Ihr Boot, ich hatte ein paarmal danach gefragt und sie hat immer nur ausweichen geantwortet: das wäre weg. Unwiederbringlich, ja. Na, habe ich gesagt, aber das Wrack, wenn man's auch nicht reparieren könnte, da wären vielleicht noch ein paar brauchbare Teile dran. Irgendwas, was ich als Achse für mein Windrad-Schöpfwerk verwenden könnte. Auf so einem Boot gibt es doch Rollen und was-wei-ich, alles Sachen, die man gebrauchen könnte. Neenee, das Boot ich weg, mindestens 30 Meter tief auf dem Grund, nichts zu machen, oder könne ich vielleicht so tief tauchen, hä?
Nix Windrad. Womit ich auch schon bei der Quelle und damit quasi beim Thema wäre. Ich muss mich jetzt mit dem Seil sichern, das ich oben über einen Felsvorsprung lege und mir um den gertenschlanken (haha) Leib wickele und an dessen zweitem Ende der Eimer angebunden wird. Dann lässig rüberschwingen zu Vorsprung Nummer Zwei, dort hübsch festhalten und den Eimer nach unten baumeln lassen und das Wasser damit auffangen, das aus einer Felsspalte rund drei Meter unter mir und gut 25 Meter über dem Abgrund heraussprudelt. Bei dem Blick nach unten wird mir immer noch jedes mal schwindlicht..., aber was muss, das muss.
Oder wir werden gefunden, ja? Dann gibt’s Wasser wieder überall auf der Welt aus der Leitung oder, noch besser, aus wunderbar kristallenen Karaffen. Wasser, mit Kohlensäure versetzt. Scheibchen Zitrone. Zivilisation.
Nach Hause, nach Hause! (Triumphale Heimkehrermusik, rattattatamm!)
Nach Hause, Neubrandenburg, Finanzamt! (Der Tonabnehmer knarrzt quer über die Platte und Ruhe ist...)
Mein Leben zu Hause sei langweilig, hatte sie mal gesagt. Sagen wir mal, langweiliger als hier schon, so auf die Dauer. Oder?
Wie immer genehmige ich mir einen schönen großen Schluck Frischwasser, wenn ich wieder festen Boden unter den Füßen habe. Eimer sowieso zu voll. Schwappt über.
Jetzt nochmal, die Übung, mit dem zweiten Eimer.
Eimer hat sie, Töpfe hat sie, Teller hat sie, Besteck hat sie, alles hat sie, was auf dem Boot war. Nur das Boot soll weg sein, 30 Meter tief... Sogar eine Schere hat sie, damit kann ich wenigstens meinen Bart kurz halten, denn Rasierzeug hat sie keins.
Gut. Jetzt also wieder zurück zur Hütte mit den vollen Eimern. Und zurück zum Thema.
Wollen wir mal überlegen, was mich jetzt, nach einem halben Jahr Abwesenheit, zu Hause erwartet:
Mein Arbeitgeber hat sich mit der Mitteilung meines Verschollenseins zügig abgefunden. Erwin Sondermann, Friede seiner nassen Asche. Irgendwer im Gartenvorstand wird sich in der Zwischenzeit gründlich in den Arsch gebissen haben, weil er die verdammten Finanzen übernehmen musste. Der Posaunenchor... - ja was, die finden auch einen anderen.
Die Erben? Eigentlich gibt es nur einen Cousin, den ich mindestens 30 Jahre nicht gesehen (und auch nicht vermisst) habe. Der könnte meine Eigentumswohnung und das Sparvermögen erben. Wenn ich für tot erklärt werde. Wie lange dauert so was? Keine Ahnung.
WILL ich eigentlich hier wieder weg? Jasmin ist eine schöne, junge Frau. Ich könnte vor sie hin treten und sagen: „Lass es, ich möchte hier bleiben, ich vermisse nichts von meinem alten Leben.“ Und sie fällt mir um den Hals und ruft hochbeglückt aus: „Erwin , das habe ich mir sooo gewünscht...“
Quatsch.
Sie hat mir das gesagt, weil sie mich zu gerne los werden möchte. Das ist es. Erwin, wie wär's, du wirst gefunden (und wenn's mit Trick 17 B wäre), und du sagst keinem, dass es mich noch gibt auf der bösen, bösen Welt, die kann mich nämlich mal. Und du mich auch, langsam.
Als ich zurückkomme, ist sie nicht zu sehen. Wird die Fallen kontrollieren, schätze ich. Also setze ich mich in unser „Wohnzimmer“ und warte, was weiter passieren wird.
Sie will mich loswerden. Das ist es.
Ist gut. Ich bin bereit. Lass uns zum Finale kommen.


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„Wie wird das weiter gehen“, denke ich. Seit über drei Stunden laufe ich nun kreuz und quer über die Insel, nur um Erwin aus dem Weg zu gehen. Der kleine Sender des Rettungsbootes brennt mir ein Loch in meine Tasche, So kaputt wie ich dachte war er nicht, nur die Hülle war gerissen und die Batterie war raus gerutscht. Ob ich ihm beides einfach auf de Tisch lege. Er könnte dann wenn er will den Sender aktivieren. Er nervt ja manchmal ganz schön aber ich glaube ich werde unsere Streitereien und Neckereien vermissen. Wie wird es sein ohne ihn hier auf der Insel? Ganz schön ruhig, aber das will ich eigentlich doch so. Wenn er bleibt, könnte man ja auf der anderen Seite der Insel eine Hütte für ihn bauen. Dann könnte ich durch schlafen (ohne sein geschnarche) und wäre nicht immer so gereizt. Eine Nacht noch mal richtig schlafen können was gäbe ich dafür? Aber nein besser ist es wenn er geht und ich bleibe hier.
Oder?
Was mich nervös macht ist besonders die Fragerei nach meinem Segelboot. Das ist der letzte Weg, der Weg für mich wenn ich hier weg will. Wenn er wüsste das er jedes mal, wenn er Wasser holt, quasi über dem Boot ist, ich glaube er würde mich erschlagen vor Wut, zu mindestens würde er ausflippen. Das gäbe ein Geschreie.
Ich komme zurück auf mein Plateau. Er sitzt da und schaut mich an als, ja wie eigentlich? Will er blieben oder gehen?
Soll er blieben oder gehen? Ich bin mir irgendwie nicht sicher. „Hier ist der Notrufsender. Alles andere liegt jetzt in deiner Hand. Du musst nur noch die Batterie einsetzen, WENN du hier weg willst!“ Ich lege den Sender vor ihn auf den Tisch und lege mich in mein Bett. Mein ganzer Körper steht unter Anspannung. Was wird er machen? Oh diese verdammen Zweifel. Warum habe ich ihm nie den Vorschlag gemacht mit der zweiten Hütte? Ich drehe mich um und hoffe er merkt nicht was in mir vorgeht. „Du, Erwin, bevor du dich entscheidest möchte ich dir noch was sagen. Was hieltest du davon, solltest du dich entscheiden hier zu bleiben, wenn wir dann für dich eine eigene Hütte bauen?“ Ich weiche seinem fragenden Blick aus und drehe ihm so halb wieder den Rücke zu in dem ich so tue als würde ich was suchen. Verdammt jetzt wo es ernst wird kommen mir die Tränen, aber ich habe es ja nicht anders gewollt. Aber irgendwie habe ich den Kerl gern und plötzlich ist es doch ein komischer Gedanke ohne ihn hier zu leben. Mit wem lache ich dann? Wer bringt mich zur Verzweiflung? Wer hat die komischsten Ideen? „Ich will dich nicht vertreiben, auf keinen Fall, nicht das du das denkst!?!“ Habe ich das jetzt nur gedacht oder laut gesagt? Verflixte Kiste!

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Da, sieh an, sie hatte also einen Notrufsender in der stillen Reserve. Sie sagt nicht, wie lange sie den schon hat, aber sie hat ihn und präsentiert ihn mir nun. Mit der ausdrücklichen Versicherung, mich auf gar keinen Fall vertreiben zu wollen, so sagt sie. Und dann: Gute Nacht!
Da sitze ich nun vor unserer – ihrer - Hütte, kann nicht schlafen, und dieses mal ist kein Sternenhimmel zu sehen und kein Mond. Tiefe Wolken hängen über mir und ein unangenehmer Wind weht um das Plateau. Neben mir liegt der Hund zusammengerollt und grunzt im Schlaf. DEN störe ich gewiss nicht mit meinem Dasein, wir haben uns schön aneinander gewöhnt im vergangenen halben Jahr, er ist mein zutraulicher kleiner Freund jetzt und weicht mir kaum einen Schritt von der Seite.
Okay, liebe Jasmin, ich gehe. Und den Hund nehme ich am besten mit, oder was denkst du?
Na, das Theater! Nein, war nur Spaß. Behalte deinen Rocko, ich gehe aber trotzdem.
Wer sagt denn, dass das klappt mit dem Notsender? Muss doch gar nicht. Entweder, weil er nicht mehr funktioniert oder weil das Signal einfach niemanden erreicht.
Im dürftigen Licht der restlichen Glut unseres Feuers nehme ich die Batterie und setze sie in den Sender ein. Nun bitte, Schicksal, nimm deinen Lauf.
Sendet das Ding jetzt? Kein Lichtlein, kein Summen, kein Tönchen, keine Wärme, nüscht. Aber das muss ja nichts bedeuten, elektromagnetische Wellen sind nun mal nicht wahrnehmbar.
Mach doch, was du willst, du Scheißding, sende oder sende nicht, ich bin jetzt in deiner Hand.
Ich lege noch drei Stücken Holz in die Glut, beobachte das zögerliche Aufflammen. Den blöden Sender gleich hinterher?
Nein, natürlich nicht. Auf gar keinen Fall. Im tiefsten Innern spüre ich deutlich: Ich will zurück. Zurück in die Welt, in die Stadt, in die Gemeinschaft. Auch wenn ich zum größten Teil ein Einzelgänger bin und mir scheinbar nichts aus der Gesellschaft mache, ich kann doch nicht ganz ohne sie sein. Ich will Bücher, ich will Kino, ich will Fernsehen, Radio, Zeitung, Nachbarn – auch wenn ich mich mitunter über sie ärgere. Ich will das alles wieder haben und meine Arbeit und am liebsten auch noch Jasmin dazu und den Hund, ohne die Insel.
Im Auflodern des nachgelegten Holzes passiere ich den Baum, verlasse das Plateau und begebe mich an meinen Angelplatz am Wasser, den Weg finde ich auch in der Dunkelheit. Der Hund hebt nur den Kopf und sieht mir nach. Guck an, denke ich, der nimmt schon mal Abschied, wie es aussieht, bleibt am Feuer. Rocko! Was für ein Name für einen Hund! Friseure heißen so.
Im Osten zieht grau die Dämmerung auf. Der Wind hat nachgelassen, ist ein laues Lüftchen nur noch. Die See allerdings zeigt noch reichlich Bewegung. Dünung. Die Wellen rollen lang ans Ufer, brechen sich an den vorgelagerten Klippen. Das ständige Rauschen ist mir inzwischen sehr vertraut und beruhigt mich. Gut so. Und ich werde nicht auf der Insel bleiben – vorausgesetzt die Sache mit dem Sender funktioniert – ich muss nicht hier bleiben, ich will nicht hier bleiben.
Runter zum Strand. Hier irgendwo hat Jasmin mich gefunden damals. Gefunden und mühevoll aufgepäppelt. So wie man junge Seehunde einsammelt und aufpäppelt, um sie dann wieder wegzuschicken, in die Wildnis, dahin, wo sie hingehören. Erwin wird in seine Wildnis geschickt, die er Zivilisation nennt.
Am Strand lege ich mich unter ein Gebüsch und rolle mich zusammen, genau so wie vorhin der Hund. Ich will ja gar nicht auf der Insel bleiben.
Will nicht...
Will schlafen...
Ruhe haben....


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Kein Ton dringt von Erwin zu mir. Was ist los? Warum sagt er mir nicht was los ist? Bleibt er oder geht er? Verrät er uns oder nicht, wenn er geht? Verdammt ich will wissen was Sache ist! Mit Wut im Bauch stehe ich auf und gehe vor die Hütte, niemand da! Rocko liegt zusammengerollt neben Erwins Stammplatz, auf dem Tisch liegt der Notrufsender. Die Batterie ist da wo sie hingehört! Also will er weg! Aber wo ist Erwin? Als ich mich hingelegt habe war es schon dunkel und jetzt fängt es gerade an zu dämmern. Er wird doch hoffentlich nicht abgestürzt sein? Nein, er darf nicht abgestürzt sein! Ich muss ihn suchen. Schnell überwinde ich den Baumstamm und grübele wo er sein könnte. War die Angel da? Verflixt warum habe ich nicht nachgeschaut? Gehe ich zurück oder gehe ich zum Angelplatz? Ach was ich bin einmal hier unten dann gehe ich zum Angelplatz. Ich laufe den Strand entlang. Laufen? Das ist wohl mehr ein Stolpern. Himmel noch mal, ich muss besser aufpassen, wenn er irgendwo verletzt liegt darf ich mich nicht auch noch verletzen.
Der Angelplatz ist leer! Kein Erwin weit und breit! Sch..., ich bremse mich, soviel geflucht wie seit gestern habe ich die ganze Zeit noch nicht. Aber weiter: Wo ist Erwin? War er vielleicht nur Wasser holen? Oder war er gar in unserem Bad?
Ich drehe durch! Also zurück zum Plateau, fast 2 km den Berg hoch. Mist, jetzt bin ich fast selber vom Baumstamm abgeglitten, ich muss vorsichtiger sein! Ich sehe ihn nicht und Rocko pennt noch immer. Schnell einen Blick ins Bad, nichts. Dann ab zur Quelle, auch nichts. Wo kann er sein? Mal mit Ruhe nachdenken. Wo kann der Kerl sich rum treiben?
Ich habe eine Idee, vielleicht da wo ich ihn auf gegabelt habe, vor 6 Monaten.
Sind das wirklich schon 6 Monate? Mein Blick fällt auf den Kalender, seinen Kalender. Ich hasse das Ding!
Jetzt erst mal weiter suchen. Wieder runter zum Strand, heute morgen habe ich auf jeden Fall ein gutes Fitnessprogramm. Von weitem sehe ich schon die Palme, aber von Erwin keine Spur. Verdammter Mist nochmal. Ratlos setze ich mich unter die Palme, ziehe meine Beine an, schlinge meine Arme um sie und fange an zu weinen. Ob ich will oder nicht, ich muss weinen, ich fühle mich so einsam wie noch nicht mal in der Zeit als ich noch alleine mit Rocko hier lebte. Mittlerweile ist die Sonne aufgegangen und meine Gedanken wandern zurück. Hier genau hier an der Stelle lag Erwin. Mehr tot wie lebendig! Hätte ich mich doch umgedreht und wäre gegangen hätte ihn einfach liegen gelassen. Die Sonne hätte ihren Teil dazu getan und ich säße jetzt nicht hier wie ein Häufchen Elend. „Jasmin, was für Gedanken“, schimpfe ich mit mir selber. Und wieder fließen die Tränen unkontrollierbar.

17




Ich merke, dass die Sonne schon über den Horizont lugt. War ich eingeschlafen? Weiß nicht, ich bin immer noch hundemüde und beschließe also, wieder zur Hütte zurück zu gehen. Ist nun doch ein bisschen huschig hier, mich fröstelt. Komisch, wenn die Sonne hervorkommt, scheint die Temperatur immer noch mal ein bisschen abzusacken. Oder ich bilde mir das ein? Alles möglich.
Und wie ich so über den Strand laufe, sehe ich Jasmin im Sand hocken. Heult sie etwa?
„Jasmin, guten Morgen“, sage ich leise und lasse mich neben ihr nieder.


Mist, ich erschrecke mich warum schleicht Er sich so leise an. Verstohlen wische ich die Tränen weg und sage mit erstickender Stimme: „Morgen Erwin. Wo warst du? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Du kannst doch nicht einfach mitten in der Nacht verschwinden!“ Am liebsten würde ich mich an ihm kuscheln aber ich fahre direkt wieder die Krallen aus.
„Ich habe die Batterie in den Sender eingesetzt“, sage ich, „und ich konnte nicht recht schlafen.“ Als ob das eine gescheite Antwort wäre...
„Was meinst du?“, frage ich nach einer Pause, „Wird das was nützen mit dem Sender?“


Nur den doofen Sender hat er im Kopf, nichts anderes. „Ich weiß es nicht. Hat er es getan als er in der Rettungsinsel war?“ Das ich mir Sorgen gemacht habe scheint ihn nicht zu interessieren!
„Warte mal“, sage ich, „der Sender war also schon in Aktion? Auf einer Rettungsinsel? Ohne dass was passiert ist?“
Resigniert lasse ich meine Hände in den Sand fallen.
„Na dann...“ Ich drehe mein Gesicht zu ihr, sehe sie an, sie hat geweint. Das macht mich unsicher. Ich deute, vorsichtig, auf ihre Tränenspuren stammele: „Warum...?“ Sprachlosigkeit.


Ich fauche ihn an: „Was weiß ich ob der funktioniert hat, ich habe ihn jedenfalls als ich ihn fand außer Betrieb gesetzt.Warum was?“ Was starrt der Idiot mich so an? Sieht er zum ersten mal ne Frau die geweint hat oder was ist los?
„Ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst, aber falls ich der Urheber deiner schlechten Laune sein sollte, dann wäre es wohl fair, mir zu sagen, wieso. Dann könnte ich versuchen, es wieder gut zu machen. Wenn ich mal erinnern darf, das mit dem Sender war doch dein Einfall.“


„Schlechte Laune? Verdammt ich liege da warte auf deine Entscheidung und von dir kommt nichts. Dann stehe ich auf um mich zu erkundigen was jetzt Sache ist und du? Du bist spurlos verschwunden. Ich habe dich gesucht, habe mir Sorgen um dich gemacht! Was wäre wenn dir was passiert wäre? Wenn du abgestürzt wärst und in irgendeiner Schlucht liegst verletzt oder …? Du lebst hier nicht alleine sondern mit mir zusammen, wann begreifst du das endlich? Du und ich als Team nicht als Einzelkämpfer“, schreie ich Erwin ins Gesicht und merke das die Tränen wieder anfangen zu laufen. „Den Sender habe ich dir nur gegeben weil ich das Gefühl habe das du nicht glücklich hier bist und wir uns doch nur dauernd streiten. Aus keinem anderen Grund, egal was du denkst!“
Sorgen gemacht hat sie sich. Und dafür diesen Aufstand. Frauen! Aber schön, ich werde versuchen einzulenken. „Jasmin, es tut mir leid, das wollte ich nicht. Dass du dir Sorgen machst. Ich war so überrascht, über den Sender. Und über die Möglichkeit von hier wegzukommen – aber die habe ich wohl überbewertet.“
Ich stupse sie ein bisschen an und lächle ihr zu und frage: „Vertragen wir uns wieder?“


Ich starre Erwin an, begreift er denn gar nichts? Tut so als wären meine Sorgen idiotisch. Männer! Ich springe auf und schreie: „Du Idiot!“ Dann laufe ich den Strand entlang und klettere über die die Felsen an der Angelstelle springe ins Wasser und schwimme in Richtung Quelle, dort schwimme ich durch die ins Wasser hängenden Pflanzen und klettere auf mein Segelboot. Mein bestgehütetes Geheimnis! Soll er doch sehen wie es ist wenn jemand spurlos verschwindet.

18




Was bildet der Kerl sich eigentlich ein. Ich renne wie doof rum und suche ihn, falle fast vom Baumstamm, heule wie ein kleines Kind wegen ihm und der meint es ist alles mit einem Stupser und einem “Vertragen wir uns wieder?“ gehalten. Bin ich eigentlich doof? Warum mache ich mir so viele Gedanken um ihn? Soll er doch verschwinden, ich bin auch ohne ihn fertig geworden. Nun kauere ich hier auf dem Deck meines Segelbootes, das ich in viel Kleinarbeit wieder repariert habe, um irgendwann, wenn ich es für richtig erachte, von hier zu verschwinden, heule rum und weiß nicht wie es weiter gehen soll. War es falsch, ihm den Notrufsender zu geben? Ich dachte ich tue UNS einen Gefallen, denn so ging es nicht weiter, ständig gab es Streitereien, keiner von uns beiden hat sich wirklich glücklich gefühlt. Fast alle körperlichen Arbeiten blieben an mir hängen, weil der feine Herr zwei linke Hände hat. Er ist der Denker und Planer. Ich muss lachen, von wegen starkem Geschlecht und so. Er gehört bestimmt nicht dazu. Na ja ein wenig ist es besser geworden mit ihm, aber ohne mich wäre der Herr bestimmt verhungert oder verdurstet. Und was ist der Dank? Nichts. Oh doch, ein Windrad, das ich mir zu allem Überfluss auch noch selber bauen muss. Das Weinen nimmt kein Ende und irgendwann habe ich mich wohl in den Schlaf geweint, denn als ich aufschaue ist es dunkel und jetzt muss ich warten, bis die Sonne aufgeht. Es wäre zu gefährlich, sich auf den Weg zum Plateau zu machen. Ich habe Hunger und Durst, aber hier sind keine Vorräte gelagert. Alles nur Schuld von Erwin. Wenn er etwas rücksichtsvolle gewesen wäre, dann säße ich nicht hier fest. Mann eben, was erwarte ich eigentlich? Aber na ja es gab auch schöne Zeiten, wie überall. Wie oft hat er mich zum Lachen gebracht, wenn ich Tiere häutete und er angewidert zuschaute. Seine Kommentare, wie das aussieht, die vergleiche die er zog, aber gegessen hat er das Fleisch.
Was wird jetzt? Das interessiert mich mehr: Funktioniert der Notrufsender oder nicht? Wird Erwin schweigen oder nicht? Fragen über Fragen. So quäle ich mich durch die Nacht versuche zu schlafen, aber immer kommen die selben Fragen und ich finde keine Antwort.
Endlich ist es hell und ich schwimme in Richtung Angelplatz, gut, Erwin ist noch nicht angeln gegangen. Also rauf zum Plateau und was trinken und essen.

19




17 Tage ist unser Streit jetzt her. Zwei Wochen und drei Tage, die Jasmin und ich kaum ein Wort miteinander wechseln. Sie macht uns beiden Essen, ich hole Wasser und sorge für Fische, aber sonst herrscht ziemlich Funkstille. Was soll ich denn sonst noch machen, entschuldigt habe ich mich ja wohl. Menschenskinder, wir sind doch nicht miteinander verheiratet. Für mich scheint ziemlich klar, sie wünscht erstens mich weit weg und zweitens sich allein und still und ruhig auf ihrer Insel.
Einen ersten Schritt zu meiner Abwanderung bin ich nun schon gegangen. Auf einer kleinen Anhöhe in der Nähe des Felsplateaus, wo sich ihre Hütte befindet, habe ich mir ein eigenes Lager eingerichtet, wo ich auch die Nächte verbringe. Das Dings als Hütte zu bezeichnen, wäre kräftig übertrieben; Frau Architektin Jasmin hat auch nur verächtlich die Nase gerümpft und gesagt: „Bitte, wie der Herr es für richtig hält“, aber zur Zeit ist das Wetter ja sehr gut und bis zur Regenzeit könnten wir uns ja wieder vertragen haben.
Mein Plan, wenn man das so nennen kann, hat aber auch noch eine zweite Seite. Meine Anhöhe, ich will es nicht gerade Gipfel nennen, bietet einen guten Überblick über das Meer. Für den Fall, dass sich nun doch irgend ein Schiff oder Flugzeug der Insel nähern sollte, weil der Notsender eben wie gedacht seinen Zweck erfüllt hätte, kann ich es zum einen gut sehen und zum anderen mein Lager, das eh mehr nach einem großen Brennholzhaufen als nach einer Hütte aussieht, kurzerhand in Brand setzen und damit auf mich aufmerksam machen. Nachts ein riesiges Feuer und tagsüber jede Menge Qualm; dafür schleppe ich fast jeden Tag bündelweise grüne Zweige nach oben.
Ich habe Jasmin meine Taktik versucht zu erklären, aber die zuckt nur scheinbar gleichgültig mit den Schultern und sagt: „Mach doch wie du denkst.“ Das ist alles.
Jeden Tag, jeden Nacht, die ich nun auf meiner Anhöhe verbringe sehne ich so irgendeinen Retter für mich herbei. Jasmin habe ich versprochen, versprechen müssen, dass ich mich meinen Rettern sofort an die Brust schmeißen werde, dass diese ja nicht auf die Idee verfallen, auf der Insel irgendwas zu suchen. Jasmin würde sich ganz einfach verstecken und abwarten, bis alle wieder weg sind. Ich habe keine Ahnung, was das soll, sie will wohl noch eine Ewigkeit hier verbringen. Ohne Besuch, ohne Gesellschaft und vor allem wohl ohne mich.

Darf ich das eigentlich? Sie hier auf der Insel lassen? Ich meine, wenn sie hier nun irgendwie zugrunde ginge, ein vereiterter Zahn kann da ja schon reichen, das wäre doch wie unterlassene Hilfeleistung? Keine Ahnung.
Nun gut, soll sie bleiben, ich hab's ja versprochen. Unwohl ist mir doch dabei.
Aber ich mache mir schon wieder unnötig Gedanken, fällt mir ein. Es ist ja überhaupt nicht gesagt, dass der Notsender Wirkung zeigt. Wäre auch fast des Guten zu viel.
In dem Falle, dass alles bleibt, wie's ist, wäre es sicher sinnvoll, doch noch mal einen Anlauf zu machen, die Friedenspfeife mit Jasmin zu rauchen.
Ach, ja, der Umgang mit der Weiblichkeit. Jahrelang von mir vermieden und hier in der Abgeschiedenheit werde ich nun doch damit konfrontiert. Mehr noch, ich soll mich bemühen, diese Frau zu verstehen. Was bleibt mir auch übrig, die nächste Regenzeit kommt gewiss, und dann stehe ich ziemlich doof da mit meiner Behelfshütte.
Hier oben wachsen so kleine weißliche Blüten, sollte ich ihr vielleicht ein Bündelchen davon bringen? Aber nicht, dass sie das falsch versteht und womöglich für eine Liebeserklärung hält...
Ach, einen Versuch ist es ja wert.



20




Mal wieder sitze ich alleine auf meinem Plateau. Das Schweigen nervt, aber was soll ich machen der Herr ist ausgezogen und lebt in einem Müllhaufen, anders kann man seine Behausung nicht bezeichnen. Er will es ja nicht anders, bräuchte doch nur mal fragen ob ich ihm helfe, aber nein dafür ist sich der Herr zu fein.
Jeden Tag koche ich für uns, gerade mal ein gepresstes Danke kommt ihm über die Lippen.
Was ist das? Keine Essenszeit und Erwin balanciert über den Stamm? Misstrauisch schaue ich ihn an. Was hält er da hinterm Rücken versteckt?
Blumen? Ich glaube es nicht! Was hat er gesagt Friedenspfeife? Warum habe ich nicht genauer zu gehört? Ich muss ihn wohl sehr verstört angeschaut haben, denn er wird verlegen. Leise frage ich ihn: „Was hast du gesagt? Ich war gerade etwas irritiert, angesichts der Blumen.“ „Ich bringe dir die Blumen als eine Art Friedenspfeife. So kann es doch nicht ewig weiter gehen mit uns! Wir sind doch Menschen und brauchen einander“, kommt von ihm. Aha, daher weht der Wind er braucht wohl meine Hilfe bei irgendwas. Dann sagt er: „Zu mindestens mit einem anderen reden sollte man doch ohne sich gleich anzugiften.“ Oh was für Töne, das hätte er schon lange haben können, aber na ja egal. Ich antworte ihm: „Von mir aus, aber zuerst brauchen die Blumen Wasser.“ Also verschwinde ich in meine Hütte und suche erst mal eine „Vase“ für die Blumen, fragt sich nur was sich dazu eignet. Mir bleibt nichts anderes übrig wie ein Trinkglas zu nehmen und es als Vase zu nutzen. Also Wasser rein, Blumen rein und auf den Tisch stellen, mich zu Erwin umdrehen und Danke sagen. Ich würde ihn ja jetzt gerne drücken, aber wer weiß was er sich dann denkt. Egal, ich gehe zu ihm, lege meine Arme um ihn und drücke ihn, dabei gebe ich ihm einen freundschaftlichen (hoffentlich versteht er das auch so) Kuss auf die Wange.
Wie geht es jetzt nur weiter mit uns?

21




Zwei Dinge, die mich grundlegend irritieren. Grundlegend, sage ich!
Da ist zum einen unsere Versöhnung, wenn man das mal so bezeichnen darf. Gut, ich habe ihr die Blümchen gebracht, als Friedensangebot, sie hat sich offenbar gefreut. Dann allerdings hat sie mich noch gedrückt und mir ein Küsschen gegeben; und so viel Nähe von einer Frau – von dieser Frau – hatte ich nun ganz und gar nicht erwartet. Ich war ehrlich irritiert. Jetzt reden wir zwar wieder vernünftig miteinander, aber trotzdem ist da was, was mich hemmt, in ihrer Nähe. Also bin ich bald nach dem Abendessen wieder, freundlich, aber doch geschäftig, rauf auf meine Anhöhe. Ausschau halten.
Und da begab sich nun das andere Ding: Ich sehe über das Meer, die Sonne war eben untergegangen, da sehe ich ein kleines, kümmerliches Lichtlein am Horizont. Erst nur geisterhaft blinkend, mal an, mal aus, dann aber doch stetig. Ein Schiff! Weit, weit weg.
Ich weiß nicht, wie lange ich da staunend und vermutlich offenen Mundes gestanden und geglotzt haben mag. Dann aber ging es wie ein Ruck durch meinen Körper. Rettung!
Schreiend und wild mit den Armen fuchtelnd bin ich zu Jasmins Hütte gerannt. „Ein Schiff, ein Schiff!“
Sie wollte es zuerst gar nicht glauben, ist mit mir gemeinsam wieder auf die Anhöhe. Das Licht war nun deutlich zu erkennen.
Ich sage: „Feuer! Wir müssen Feuer machen! Hast du dein Feuerzeug dabei? Wir brennen meine Behelfshütte hier nieder, das ist Holz genug, das brennt lichterloh. Wir sind GERETTET!“
Jasmin schüttelt fassungslos den Kopf. „Ich“, sagt sie, „ich will aber nicht gerettet werden. Ich will noch nicht!“
„Das Feuerzeug“, brülle ich, „hast du das Feuerzeug dabei?“
Sie hat nicht, schüttelt nur mit dem Kopf.
Ich renne wie ein Geisteskranker zu Jasmins Hütte, suche das Feuerzeug, finde es auf dem Küchenbord, wo es hingehört, renne zurück, schreie wieder: „Wir sind gerettet!“
Jasmin stellt sich mir in den Weg. Packt mich an beiden Schultern, schüttelt mich, sieht mir bannend in die Augen, dass ich fast erstarre. Ich halte die Luft an...


„Du bist gerettet, wenn du willst! Ich nicht, wenn du gehen willst dann alleine! Verflixt, entscheide dich jetzt, oder …“, schreie ich ihn an. „Du bist gerettet, wenn du willst! Ich nicht, wenn du gehen willst, dann alleine! Verflixt, entscheide dich jetzt, oder ...“, schreie ich ihn an.
'Oder...', denke ich, 'oder wie..., oder was...?'
Stück für Stück, häppchenweise geradezu, wird mir bewusst, dass ich eigentlich nur an mich gedacht hatte. Nicht nur jetzt, in diesem Moment, sonder irgendwie schon die ganze Zeit. Ich drehe das Feuerzeug in meinen Händen und frage: „Was möchtest du denn, das ich tue?“


„Tu das was du für dich für richtig hältst, aber denke daran ICH bleibe hier! Gehst du darfst du keinem von mir erzählen, für die da draußen gibt es mich nicht." Erstarrt steht er vor mir, ich hoffe er begreift was ich meine
„Es ist..., es muss sein“, stammele ich, „Entschuldige, aber ich gehöre nicht auf diese Insel. Ich muss es tun.“ Ich schiebe Jasmin behutsam zur Seite und gehe mit dem Feuerzeug zu meiner Hütte. Zünde ein Büschel trockenen Grases, das ich mir schon zu diesem Zweck zurechtgemacht hatte, an. Jasmin verlässt den Platz schweigend. Ich rufe ihr hinterher: „Natürlich verrate ich dich nicht, dein Plateau ist ja ziemlich versteckt. Dich findet keiner....“
Aber ich weiß nicht, ob sie das noch gehört hat. Die Flammen indessen fressen sich gutwillig in meinen Reisighaufen und bald schon lodert ein hohes Feuer in den Abendhimmel. Was imer das für ein Schiff ist, da draußen, ich hoffe inständig, dass es unsere Insel anläuft.


Er geht, verlässt mich! Wie blind laufe ich auf mein Plateau, greife mir Rocko und das kleine Päckchen. Ich verstecke mich in der Nähe seines Feuers und beobachte ihn. Er läuft hin und her wie ein Tiger im Käfig. Für ihn wird es besser sein wenn er geht. Ich stehe auf und gehe zu ihm. „Leb Wohl, Erwin", sage ich nehme ihn in den Arm drücke gebe ihm einen Kuss auf die Wange und das Päckchen in die Hand, drehe mich rum und laufe weg. Alles das dauert nur ein paar Sekunden.

Kommt das Schiff da nun näher? Verändert sich das Licht da draußen irgendwie? Es ist schwer zu erkennen, inzwischen ist der Himmel ganz dunkel geworden und mein Feuer lodert wie verrückt und wird auch immer noch von mir weiter mit Nahrung versehen. Hin und her renne ich, breche Zweige und ganze Äste von den Büschen und schleife sie zum Feuer. Meine Chance ist das, vielleicht meine einzige. Irgendwann kommt Jasmin und verabschiedet sich von mir. Sie hat mich wieder umarmt und mir ein kleines Päckchen in die Hand gedrückt. Fällt ihr der Abschied jetzt schwer? Soll sie doch mitkommen mit mir. Will sie ja aber nicht.
Kommt das Schiff nun näher oder nicht? Ich setze mich ins Gras und lasse das Licht nicht aus den Augen. Es bewegt sich. Es bewegt sich auf die Insel zu, ganz bestimmt. Jetzt sehe ich sogar zwei Lichter! Mehr noch! Bunte Girlanden, fröhliche Musik, muntere Menschen, Sekt fließt in Strömen und die Kapelle spielt nimmermüde einen Tango nach dem anderen...
Als ich wieder munter werde, graut der Morgen und das Schiff ist deutlich näher gekommen, hat die Insel aber noch nicht erreicht. Es ist ein größeres Küstenwachboot, glaube ich zu erkennen. Mein Feuer ist fast herunter gebrannt, also springe ich auf und schleppe wieder Holz ran, so schnell ich vermag, bis es wieder richtig brennt. Und qualmt.


Ich sitze in meinem Versteck und sehe wie das Schiff immer näher kommt, sehe wie Erwin Holz anschleppt und wie er mein Geschenk achtlos auf dem Stein liegen lässt. Er denkt immer nur an sich das ich vielleicht wenigstens wissen möchte ob es ihm gefällt daran denkt er nicht, dass ich stundenlang gesessen habe den Stein poliert und bearbeitet habe bis er so glänzte, alles uninteressant vor lauter Schiff hat er uns schon vergessen.
Ich habe Angst, wahnsinnige Angst, das er sein Wort bricht. Ich hoffe so sehr das er mein Vertrauen nicht enttäuscht. Mit einem letzten Blick zu ihm verlasse ich mein versteck, das Schiff kommt immer näher noch zwei oder 3 Stunden und es ist hier. Ich werde mir etwas Proviant nehmen und mich bei meinem Boot verstecken. Rocko könnte bellen wenn er die Fremden auf unserer Insel sieht.
Das Schiff kommt! Es kommt immer näher!
Eigentlich müssten sie mich jetzt schon im Fernglas sehen können. Ich renne wie besessen zum Strand hinunter, zu meinem Angelfelsen, springe dort herum und winke mit allem, was ich greifen kann. Sie MÜSSEN mich sehen können!
Wieder zurück an den Strand, der Sand ist hell, ich bin bestimmt gut darauf zu erkennen. Ich reiße einen gewaltigen Ast aus dem Gesträuch, schwenke den wie verrückt, rufe, schreie.
Dann die Gewissheit, sie haben mich gesehen, sie geben Lichtsignale mit dem Scheinwerfer. Erschöpft lasse ich mich in den Sand sinken. Nun kann nichts mehr schief gehen.
Gerettet.
Jasmin fällt mir ein. Sie hatte mir doch das Päckchen gegeben, aber wo habe ich es gelassen?
Das Schiff braucht noch ein Weilchen ehe es direkt bei der Insel ankern kann. Also renne ich noch mal los. Zum Plateau. Aber Jasmin ist nirgends zu sehen, der Hund ist auch nicht da. Ich hätte doch gern von ihr Abschied genommen, vernünftig, vorhin war ich ja gar nicht recht bei der Sache. Sie ist aber verschwunden, hat sich sicher schon versteckt vor den Rettern.
Weiter auf die Anhöhe. Das Feuer ist wieder ein Stück runtergebrannt, aber das ist ja jetzt nicht mehr wichtig. Das Päckchen liegt noch auf dem Stein, wo ich es vorhin vergessen habe, also nehme ich es schnell, stecke es in die Tasche und renne wieder zum Strand runter.
Das Schiff liegt ein paar hundert Meter weit draußen vor Anker. Sie trauen sich wegen der Klippen nicht weiter heran, vermute ich, aber sie haben ein Schlauchboot ausgesetzt, das genau auf den Strand zu hält.
Und ich renne ihnen entgegen, mit beiden Armen winkend, renne ins Wasser auf das Schlauchboot zu.
Ich bin gerettet. Alles wird gut.


22




Wie lange ist es jetzt her drei Monate oder vier? Erwin ist weg, hat mich verlassen, so wie jeder Mann in meinem Leben. Nur komisch ich rede ständig mit ihm, oder viel mehr ich rede und er antwortet nicht. Ich vermisse ihn und überlege ob ich mein Segelboot nehme und einfach mal schaue was er so macht. Ich muss lachen als würde er um die Ecke wohnen, mal kurz zu Besuch zu ihm. Was mich nur wundert als er hier war haben wir uns ständig gestritten und jetzt fehlt er mir an allen Ecken und Kanten. Ich habe ihn schreien hören als das Schiff näher kam und dann war auf einmal nur noch Schweigen, es war so ruhig, so still. Wir, Rocko und ich, haben noch bis zum nächsten Morgen in der Höhle verbracht bevor ich mich getraut habe sie zu verlassen, immer die Angst im Nacken das irgendwo jemand auf mich lauert, weil Erwin ihnen erzählt hat das es mich gibt. Er könnte mich ja als Verrückte hingestellt haben die man vor sich selber schützen muss. Aber nirgendwo war etwas zu sehen das Meer lag ruhig und verlassen da, so wie immer. Nirgendwo auf der Insel gab es Spuren dass sich jemand außer uns dort aufhielt. Was mich besonders traurig machte war, das ich gehofft hatte Erwin hätte zum Abschied wenigstens einen kleinen Zettel hinterlassen aber nichts, nicht das kleinste Zeichen war zu finden. Er hatte mich schon vergessen bevor er weg war. Na ja, Mann eben, aus den Augen aus dem Sinn. Aber er scheint mein Päckchen mit genommen zu haben, denn ich fand es nicht.
Nun sieht mein Leben wieder aus wie eh und je, ich lebe in den Tag, gehe angeln, jagen, hole das Wasser, liege Stundenlang in der Sonne oder ich liege da und betrachte die Sterne. Ich kann mich wieder frei und ungezwungen bewegen, muss keine Rücksichten nehmen. Nur ein Problem habe ich, mein Lager ist zu voll, ich horte Nahrung als wäre Erwin noch da.
Aber nein er ist weg und ich muss ihn auch in meinen Gedanken gehen lassen.
LEB WOHL ERWIN! MACH ES GUT EGAL WO DU JETZT BIST. ICH HOFFE DU DENKST AB UND AN AN MICH!

23




Ha, so ist es gut! Leinen los und „Voll voraus!“ Hin zur Insel, bald sind wir da! Jasmins Insel. Einen anderen Namen hat sie nicht.
Ob Jasmin noch da ist, auf der einsamen Insel? Ob sie immer noch allein ist? Und auch bleiben will? Wir werden sehen.
Mein Boot ist eine schicke, wenn auch nicht ganz neue, hochseetüchtige Yacht und mein Kapitän ein erfahrener Seemann. Unser Kurs ist die Insel, von der ich vor gut 10 Monate gerettet wurde und mein Ziel ist es, Jasmin wiederzusehen.
Das Leben hat seine eigenen Überraschungen bereit, für jeden andere. Es lösen sich beständig Glück und Unglück ab. Wenn man sich seinem Schicksal überlässt, einfach mal so, kommen Dinge zustande, die sich einer kaum träumen lassen kann.
Und wie eigenartig sich diese sortieren lassen: Schiffbruch (Unglück), Überleben auf der Insel (Glück), Jasmin treffen (Glück), Rettung von der Insel (Glück), zu Hause Job weg (Unglück), Wohnung weg (Unglück), Ersparnisse fast weg (Katastrophe). Zu Hause fast völliger Neueinstieg in ein völlig ungewohntes Dasein (Glück? Unglück? - Chance!).
Was war passiert? Dass mein Arbeitgeber, das liebe, gute Finanzamt, meiner nicht mehr bedurfte, war ziemlich klar. Also arbeitslos. Dass mein Cousin auch ohne amtliche Bestätigung sich meines Erbes bemächtigt, war eventuell zu erwarten, aber dass sich das nicht so leicht wieder rückgängig machen ließ, weil der Dreckhund alles in Windeseile verspekuliert hatte, sah ihm zwar ähnlich, hatte mich dann aber doch überrascht.
Da saß ich nun im Nichts, buchstäblich. Kam zunächst bei einem alten Freund und Kollegen unter, der, seine Frau war ihm kürzlich weggelaufen, genügend Frust und Einsamkeit übrig hatte, um mich aufnehmen zu können.
Und dann, nach einem Kurzzeitigen Absacken in Depression und Selbstmitleid, begann ich meine unglaubliche Inselgeschichte aufzuschreiben. Das war dann der Moment, in dem sich Katastrophe und Unglück in Chancen verwandeln können. Bei mir kam dann noch das unerhörte Glück dazu, jemanden zu finden, der sich für meine Inselerzählung interessierte und sie zu vermarkten imstande war. Und nun – bin ich ein gemachter Mann! Das Buch verkauft sich wie dumm und der Verlag hat die Filmrechte auch schon an Hollywood verkauft.
Fortsetzung folgt, habe ich im Autorenvertrag unterschreiben müssen und nun bin ich also mit einer gecharterten Yacht wieder auf dem Wege zu meiner Insel, nein, zu Jasmins Insel.
Das Wort Verrat geistert mir im Kopf rum. Ich hatte Jasmin versprochen, sie nicht zu verraten, niemand durfte erfahren, dass sie auf der Insel lebt. In meinem Buch habe ich nichts über die Lage der Insel verlauten lassen, auch den Namen der Frau habe ich verändert, habe sie kurzerhand in Nora umgetauft. Das alles kann kein Verrat sein bis jetzt.
Nun fahre ich wieder zu ihr. Den Kapitän und seine zwei Besatzungsmitglieder musste ich freilich in mein Ziel einweihen, aber ich habe auch von ihnen größte Diskretion verlangt. Und sie haben sich die auch gut von mir bezahlen lassen. Ist das nun Verrat? Ich weiß es nicht.
Auf jeden Fall habe ich Geschenke für Jasmin an Bord. Alles Sachen, die sie sicher gut gebrauchen kann, auch wenn sie mich sofort wieder von ihrer Insel verbannen sollte. Praktische Freizeitkleidung, Jeans, T-Shirts, Sportschuhe, mehrere Paare, alles in bestem Wollen in Ihrer Größe angeschafft. Werkzeug, Messer, Beil, Feuerzeuge – Inventar für die Wildnis. Eine Solarwasserpumpe. Und ein Satellitentelefon. Das alles bringe ich ihr mit, wenn sie will.
Und mich auch, wenn sie will.
Der Kapitän sagt mir eben, in drei oder vier Stunden müssen wir das sein. Wenn meine Positionsangaben denn stimmen, sagt er. Die stimmen genau, die habe ich mir gleich bei meiner Rettung damals notiert.
Ich habe so oft in den letzten Monaten an Jasmin gedacht. Unsere Inselzeit war ja in meinem Leben das erste Mal, dass ich eine längere Weile mit einer Frau zusammen verbracht hatte. Auch wenn wir uns nicht wirklich nahe gekommen waren, fand ich doch, dass eine von den glücklicheren Etappen in meinem Leben gewesen ist.
Ich bin sicher, sie lebt noch und ich freue mich, sie wiederzusehen.


24




Was ist das? Sehe ich richtig eine Yacht hält direkt auf meine Insel zu? Verflixt und sie kommt genau an den Strand den ich bräuchte um in mein Versteck zu kommen. Ich verkrieche mich mit Rocko in meiner Hütte und hoffe das die Yacht schnell verschwindet. Nur gut das ich noch kein Feuer gemacht habe, das würden sie direkt sehen. Ob Erwin mich verraten hat? Wehe ihm, ich kille ihn! Wenn ich doch nicht so neugierig wäre, aber ich halte es nicht aus, ich muss schauen wer sich da auf meine Insel wagt. Ich sperre Rocko in die Hütte und nehme das Fernglas mit. Vorsichtig klettere ich auf den Baum von dem aus ich den Strand überblicken kann und beobachte die Vorgänge am Strand. Ich glaube ich spinne Erwin schleppt mit 2 Männern Kisten an den Strand. Was soll das werden? Ich verstehe die Welt nicht mehr. Was ist jetzt los?
Erwin hat mich bestimmt verraten und jetzt haben sie ihn beauftragt mich zurück zu holen. Dieser Mistkerl! Was soll ich jetzt machen?
Einerseits freue ich mich ja das er da ist, aber andererseits könnte ich ihn umbringen. Warum ist er hier? Soll ich mich trauen und an den Strand gehen oder warte ich bis er zu mir kommt. Dann wieder rum ist die Frage kommt er allein oder mit seinen Begleitern? Herr im Himmel hilf mir! Über 10 Monate habe ich mein Leben wieder gelebt und jetzt stellt er es zum zweiten Mal auf den Kopf.
Wenn ich ehrlich bin ich würde ihm am liebsten jetzt um den Hals fallen und ihn knutschen, so freue ich mich ihn zu sehen, wenn ja wenn diese anderen Männer nicht da wären. Ich überlege ob ich mir Rocko schnappe und wenn sie wieder zur Yacht fahren versuche heimlich still und leise an mein Segelboot zu kommen. Soll er doch sehen was er mit seinen Kumpels hier macht.
Das Boot legt ab und ich hetze zur Hütte, schnappe mir Rocke eine wasserdichte Tasche verstaue schnell ein paar Lebensmittel darin und laufe zum Strand. Kurz bevor ich ihn erreiche stoppe ich und beobachte ihn, nichts rührt sich nur der Haufen mit den Kisten steht da. Wie gerne würde ich einen Blick hinein werfen, aber das würde mich wertvolle Zeit kosten. Wenigstens einen Blick auf die Beschriftung werfen kann ich ja.
„Hallo Jasmin“, klingt es zwischen den Kisten hindurch. Verflixt Erwin!
Jetzt hat er mich doch erwischt. Ich presse ein „Hallo Erwin!“ heraus und starre ihn an. Was kommt nun?
Da ist sie, Jasmin. Als wäre kein Tag vergangen, seit ich die Insel verlassen habe. Steht am Strand und sieht mich an, konsterniert, wütend, wortlos. Bis jetzt noch wortlos, aber es kann nur Sekunden dauern, dass sie mit einer Schimpftirade über mich herfällt, so wie sie guckt. Ich sage also, so freundlich ich kann: „Ich freue mich auch sehr, dich wiederzusehen.“ Diese Worte lösen wenigstens bei Rocko die kleine Erstarrung, der Hund stürmt auf mich zu und begrüßt mich auf seine eigene Art.
Jasmin scheint immer noch ungehalten, fuchtelt mit den Armen durch die Luft, knurrt: „Du hast mich verraten, Erwin!“
„Aber nein, überhaupt nicht.“
Beschwichtigend gehe ich auf sie zu, versuche sie in den Arm zu nehmen. Aber sie stößt mich vor die Brust. „Ach nee, du kommst hier mit einem schmucken Boot und irgendwelchen Leuten, die jetzt notwendigerweise auch von dieser meiner geheimen Insel wissen. Kein Verrat, nein?“
„Das Boot habe ich gechartert und die Männer werden für ihre Verschwiegenheit bezahlt.“ Ich nehme Jasmin bei der Hand und führe sie zu den Kisten, lade sie ein, neben mir Platz zu nehmen und versuche, sie zu beruhigen. Ich erkläre ihr, dass ich sie nur besuchen möchte und ihr einige Kleinigkeiten in eben diesen Kisten zum Geschenk machen möchte. Und zum Beweis öffne ich eine der Kisten, von der ich weiß, dass da ein paar Flaschen Rotwein nebst Korkenzieher und Gläsern drin sind. „Ein Gläschen könnten wir uns ja genehmigen“, sage ich und gieße ein. „Um meine drei Mann Besatzung brauchen wir uns nicht weiter zu kümmern. Die treten erst wieder in Erscheinung, wenn ich sie ausdrücklich rufe.“ Dabei zeige ich ihr das Walkie-Talkie, das ich in der Jackentasche habe.
Jasmin scheint nun doch einigermaßen beruhigt zu sein. Ich erzähle ihr ausführlich, wie es mir nach meine Rettung erging und wie ich, dank unserer, nein, dank ihrer Insel zu ein wenig Reichtum gekommen war, den ich nun gern mit ihr teilen wollte. Wenn sie das denn erlaubte.
Natürlich fragte sie bald: „Ist das nun ein Besuch, weil du gerade in der Gegend zu tun hattest? Oder willst du dich fest auf meiner Insel ansiedeln, bei so viel Gepäck, das du mit dir mitschleppst? Oder schleppen lässt, von deinen Leuten. Und wohnen die dann auch hier? Das kann unmöglich dein Ernst sein!“
Ich sage: „Ich werde mich hier nur so lange niederlassen, wie du das erlaubst. Das Boot fährt sofort wieder zurück, wenn ich das anordne. Mit mir oder ohne mich. Das bestimmst du.“



25



Ich bin sprachlos, weiß nicht was jetzt werden soll. Rocko dieser Verräter liegt eng an Erwin gekuschelt und genießt die Streicheleinheiten, die er bekommt. „Oh, Erwin was soll nun werden? Ich weiß nicht wie es weiter gehen soll, ganz ehrlich ich habe dich vermisst aber..... Ja es gibt ein großes Aber. Kommen wir zwei mit einander aus, auf Dauer? Oder wollen wir uns nach einiger Zeit gegenseitig an den Hals gehen? Du weißt wie schwer es ist sich hier aus dem Weg zu gehen. Ich bin zerrissen, so wie an dem Tag als du mich fragtest ob ich wirklich alleine zurück bleiben möchte! Ich wäre damals einerseits gerne mit dir gegangen, aber was soll ich noch in dieser Welt? Bei mir wird es sicher nicht anders sein wie es bei dir war.“ Ich schaue Erwin hilfesuchend an, als hätte ich die Hoffnung das er mir etwas über die Menschen sagen kann die mal zu meinem Leben gehörten. „Ob ich damit fertig werde? Verflixt warum müsst ihr Kerle immer uns Frauen den schwarzen Peter zu schieben? Ich habe keine Lust mehr, ich will auch mal schwach sein dürfen, aber nein, das geht ja nicht! Ich MUSS entscheiden. Stunde um Stunde, Tag um Tag, Woche um Woche, seit ich hier bin.“ Ich merke wie mir die Tränen übers Gesicht laufen. Wie gerne würde ich jetzt den Platz mit Rocko tauschen! Was würde Erwin dazu sagen? Wie würde er reagieren?


Ein Weilchen schweigen wir uns an. Rocko hat nun wohl genug Streicheleinheiten abgefasst und versucht nun offenbar den Inhalt der Kisten zu erschnüffeln. Ich gieße die Gläser noch mal voll und proste Jasmin zu. Dann sage ich: „Manchmal kommt es denn eben doch anders, als man denkt. In meiner idealisierten Phantasie lägen wir uns hier selig in den Armen vor Wiedersehensglück und in der Wirklichkeit begegnen wir uns gleich mit ein paar Reibereien. In diesen Kisten hier sind verschiedene nützliche Dinge: Werkzeuge, eine Solarpumpe für Trinkwasser nebst Kunststoffrohren, Lebensmittel, ein paar Bücher, Geschirr – im Grunde alles Dinge, die auch du hier gelegentlich vermisst hast. Auch mit dabei: ein Satellitentelefon. Ich hatte mir nun gedacht, ich siedle mich hier wieder auf der Insel an, für ein Vierteljahr vielleicht. Aus dem Material der Kisten könnte ich mir eine eigene Hütte zimmern, auf der anderen Seite des Plateaus, so dass wir uns ein wenig aus dem Wege gehen könnten. Meine Leute auf dem Boot sind so instruiert, dass sie auf mein Kommando hin den Anker lichten und mit dem Boot verschwinden und sich erst wieder blicken lassen, wenn ich sie per Satellitentelefon ausdrücklich dazu auffordere. Wenn du – ja, wenn du damit einverstanden bist.“ Erwartungsvoll sehe ich ihr in die Augen.



Ich bin hin und her gerissen, zwischen meinen Gefühlen. Auf der einen Seite möchte ich gerne mit ihm hier auf der Insel leben, auf der anderen Seite bin ich neugierig auf das was in meiner „alten“ Heimat los ist. Gerne würde ich mich im Moment einfach fallen lassen und nichts denken, einfach genießen das Erwin wieder hier ist. „Wir könnten ja erst mal in meiner Hütte leben und schauen ob es funktioniert, wenn nicht ist eine zweite Hütte schnell gebaut.“, höre ich mich sagen. „Aber was anderes könnten deine Leute etwas über mein altes Leben, beziehungsweise über die Menschen aus meinem ehemaligen Umfeld heraus bekommen? Was so nach meinem Verschwinden passiert ist? Irgendwie wüsste ich doch gerne was los ist.“ Ich lächele Erwin an und rutsche ein wenig dichter an ihn. Ich möchte seine Nähe spüren, mir wird auf einmal die meine Einsamkeit der letzten Zeit bewusst. Oder ist es der ungewohnte Alkohol? Egal ich kuschele mich an ihn und genieße es einfach das er da ist. „Ich möchte gerne das du bleibst! Vielleicht sogar länger als ein Vierteljahr?“ Ich kenne mich selber nicht wieder. WO ist die Kratzbürste die ich sonst gegenüber ihm war?
„Ach und übrigens, habe ich die ganze Zeit ein Geheimniss dir gegenüber gehabt, aber das zeige ich dir morgen. Wenn du es kennst kannst du entscheiden ob deine Leute wieder her kommen oder nicht. Im Moment möchte ich einfach nur hier liegen!“

Impressum

Texte: Linda Blue & Juerk P
Tag der Veröffentlichung: 13.07.2012

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