Prolog
Im Zustand des Traumes sieht man Dinge, die einem am Tag zuvor passiert waren, oder die sich das Gehirn, oder auch der Körper gemerkt hatte.
Doch wenn ich träumte, dann sah ich meistens Dinge, die nicht von mir selber stammten, sondern von einer Person, die sich mit mir den Körper teilte, aber weiter nichts mit mir gemein hatte.
Ich sah die Welt in hellen, fröhlichen Farben, eingebettet in einem Feld aus weißen, weichen Federn, die mich vor allem bösen schützten, ohne zu merken, dass das Böse, welches mich bedrohte, das andere 'Ich' war.
Doch ich wollte all die Dinge weder sehen noch wollte ich sie fühlen. Ich wollte nicht vor dem 'Bösen' geschützt werden.
Alles was ich wollte war frei sein. Frei von mir selbst...
Kapitel 1
„...my... wach auf... Schule...“, hörte ich eine Stimme von weit entfernt rufen.
Wieder einmal hatte ich diesen Traum gehabt. Wo alle gut zu mir waren. Sich alle um mich gekümmert hatten. In dem die Welt weiß war.
Doch trotz all des Frohsinns wirkte alles so... trostlos. Nicht richtig. Es wirkte FALSCH.
"Samy...“, hörte ich die Stimme erneut, und ich bemerkte erst jetzt, dass sie nicht gerufen hatte. Eher klang sie sanft... oder war das Trauer? „Aufstehen, du kommst zu spät zur Schule."
Langsam, geradezu zögerlich öffnete ich meine Augen, nur um in die selbigen zu schauen, welche mir voller Erwartung und Liebe entgegen starrten.
In dem kurzen Moment, in dem sich die zwei Blicke ineinander verschränkten, reagierte mein Hirn. Ich verzog mein Gesicht und hielt mir den Kopf, in der Hoffnung ihn am Platzen zu hindern.
Der Schmerz verschwand so schnell wie er gekommen war und mit seinem verschwinden kam die 'weiße' Person.
"Guten Morgen Mami", rief sie überschwänglich und sprang meiner Mutter in die Arme.
Diese seufzte und nahm sie in den Arm.
Die 'weiße' kniete auf dem Bett während sie ihre Arme um meine Mutter geschlungen hatte und glücklich lächelte. Meine Mutter lächelte auch, allerdings nicht glücklich...
"Nun musst du aber ins Bad, los! Ich mach dir dein Frühstück." Sie scheuchte 'Samy' ins Bad und diese rannte auch hell lachend los. Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, sobald Samy meine Mutter nicht mehr sehen konnte, wurde aus ihr 'Sam'. Aus weiß wurde schwarz.
"Fuck!", nuschelte ich leise und hielt mir den Kopf. Ich hörte wie meine Mom von der anderen Seite an die Tür trat und im Begriff war sie zu öffnen. Mein Kopf pulsierte immer noch leicht.
"Mom, bleib weg... es.. es geht schon", presste ich zwischen den Zähnen hindurch.
Ich hörte sie seufzen... konnte mich aber nicht dazu überwinden die Tür aufzureißen und ihr als 'Sam' in die Arme zu fallen, allein schon weil dies wahrscheinlich unmöglich für mich war. Stattdessen tat ich dass, was 'Samy' eigentlich machen wollte: Ich rannte ins Bad und begann mich fertig zu machen .
Als ich fertig war und nach unten in die Küche kam, lauschte ich erst ob meine Eltern in der Nähe waren, bevor ich den großen hellen Raum betrat, mein Frühstück und Pausenbrot von der Ablage nahm und aus dem Haus eilte.
"Weißt du Sam, ich würde sagen du hast ein Problem", sagte meine beste Freundin Jessica und sah mich an.
"Nein, wirklich?", erwiderte ich sarkastisch und biss in mein Brot.
"Ja, doch... wieso gehst du nicht mal zu einem Psychiater?"
Ich verschluckte mich fast an einem Brotkrümmel und musste so kräftig husten, dass sich Passanten, die in diesen frühen Morgenstunden mit uns auf der Straße waren, zu uns umdrehten.
"Sag mal, tickst du noch ganz richtig?", fragte ich sie ungläubig.
Sie sah mich mit großen Augen an. „Wieso denn nicht?“
Ich schaute mich um bevor ich weitersprach, damit mich auch keiner hören konnte. „Was soll ich denn deiner Meinung nach bitte schön sagen? 'Ja hey, ich heiße Samantha Scythe, wobei mein Nachname nur teilweise etwas mit meinem Job als Auftragskillerin zu tun hat. Wieso ich Sie aufgesucht habe, möchten Sie wissen? Nun... mein Problem ist, dass ich 'etwas' unter Dissoziativer Identitätsstörung leide, was sich bei Kontakt mit meinen Eltern auswirkt. Was nun genau passiert? Nun ja, ich selber weiß es natürlich nicht, aber von Erzählungen her würde ich einfach mal schließen, dass ich zu einem pink und flauschig liebendem äußerst femininem Objekt werde, welches sich wie eine 7-jährige benimmt. Wie alt ich wirklich bin? Ich bin jetzt gerade 17, aber wieso wollen Sie denn das wissen? Seit wann ich diese Krankheit nun habe? Seit ich richtig sprechen kann, das heißt... seid ich drei bin.“
Jessica musste lachen.
„Ok, vielleicht solltest du es nicht unbedingt so formulieren.“
„Nein? Wieso denn nicht? Also ich fände dieses Gespräch doch recht produktiv.“
Ich grinste unschuldig während sie sich vor lachen kaum noch halten konnte.
Ein paar Passanten schauten uns kopfschüttelnd an. Ich streckte ihnen nur die Zunge raus, nahm Jessicas Hand und rannte los.
„Jessica Stanton und Samantha Scythe, können Sie mir sagen, warum Sie zum wiederholten Male zu spät zum Unterricht erscheinen und das obwohl das neue Schuljahr gerade erst begonnen hat?“, fragte unser allseits geliebter Mathelehrer und allein schon für die Art wie er diese Frage stellte, hätte ich ihn lynchen können,... aber dafür hätte ich mir zu allererst eine Genehmigung vom Chef holen müssen und das war mir, um ehrlich zu sein, doch etwas zu mühselig.
Ich stand da, in meinen fetzigen Punkklamotten und versuchte wenigstens etwas unschuldig und reumütig drein zu schauen, was durch Tatsache, dass ich breit grinsen musste eher weniger glaubwürdig erschien
„SETZT EUCH SOFORT HIN IHR BEIDEN! UND DU SAMANTHA, GRINS NICHT SO DÄMLICH!!!“
„Oh... da ist wohl wieder einer mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden“, raunte ich und ging weiterhin grinsend zu meinem Platz am Fenster. Ein paar meiner Mitschüler kicherten leise. Sie mochten es, wie ich mich mit meinen Lehrern anlegte, wussten aber auch, dass ich mir das ruhig leisten konnte. Ich hatte, seit ich denken konnte, immer Spitzennoten, was sich keiner so wirklich erklären konnte... nicht einmal ich selber. Aber anscheinend gehörte dies einfach zu meiner Natur.
„Hi Sam“, begrüßte mich Rick, eigentlich hieß er ja Ricardo, aber wir alle hatten hier sozusagen einen Fetisch was Spitznamen, Abkürzungen und dergleichen betraf. Er deutete mit dem Kinn zu unserem Mathelehrer. „Der ändert sich auch nicht mehr oder?“
„Hey Rick. Nee, der war schon letztes Schuljahr so. Hab ich was verpasst?“
Er grinste mich schelmisch an, ich hob eine Augenbraue. Wenn das mal kein Flirtversuch war, dabei hatte ich doch gedacht, dass er schon seit langem über mich hinweg war.
„Fräulein Mint war vorhin kurz hier und hat uns gesagt, dass wir einen neuen Schüler bekommen.“
Fräulein Mint war unsere, schusselige, verdammt junge und herzensgute Klassenlehrerin, die keiner wirklich ernst nahm. Aber der neue Schüler interessierte mich. Wie der wohl so war? Mein Bauch fing vor Aufregung an zu kribbeln. Hoffentlich brachte der ein bisschen Abwechslung in dieses ewig gleiche Nest.
Mittlerweile hatte ich mich auf meinen Platz am Fenster hinter Rick gesetzt und angefangen, in meinem Heft herum zu kritzelte. Ich tat nicht einmal so als würde ich Herrn Freude zuhören und ließ meine Gedanken schweifen. Unter anderem dachte ich ,wie so häufig, darüber nach, warum ausgerechnet der jähzornigste, melancholischste und unhöflichste Mensch, den ich kennen lernen durfte, mit Nachnamen 'Freude' hieß.
Wahrscheinlich war er bei seiner Geburt vertauscht worden und eigentlich als 'Hass' oder 'Abscheu' geboren worden. Seine Eltern hatten es sicherlich nicht leicht mit ihm gehabt. Als jemand freundliches ein missmutiges Kind aufzuziehen konnte nun wirklich nicht gerade das Wahre gewesen sein. Ich bekam Mitleid mit seiner Familie.
„Wenn Samantha vielleicht so nett wäre uns zu sagen, was ihrer Meinung nach interessanter als der Unterricht sei...“, sprach mich dieses Kuckuckskind an.
Ich hatte nicht bemerkt, dass ich angefangen hatte vor mich hin zu seufzen und schaute nun überrascht auf.
„Sie wollen tatsächlich wissen, worüber ICH gerade nachgedacht habe?“, fragte ich zur Vorsicht nochmals nach, nicht, dass hier am Ende noch ein Missverständnis auftrat.
„Sonst hätte ich doch nicht gefragt, oder?“, fragte er zuckersüß. Ich wusste jetzt nicht so recht ob ich das als gutes oder schlechtes Omen deuten sollte, antwortete aber einfach mal auf seine Frage.
„Nun ja, eigentlich habe ich mich nur gerade gefragt, ob Sie vielleicht bei ihrer Geburt vertauscht worden sind und wirklich 'Freude' mit Nachnamen heißen und dann habe ich plötzlich Mitleid mit Ihrer Familie bekommen, aber wie ich sehe interessiert Sie das eh nicht, da können Sie ruhig mit ihrem Unterricht fort fahren.“ Ich schmunzelte über meinen eigenen Wortwitz, den natürlich wieder keiner verstanden hatte. Aber jetzt mal wirklich, was war an 'fort fahren' so schwer zu verstehen? Also ich persönlich hätte ja nichts dagegen gehabt wenn er einfach seine Sachen gepackt und gegangen wäre...
Doch anstatt sich von dannen zu machen, sah er mich so völlig perplex an, dass man denken könnte er hätte vergessen wie man atmete und würde gleich umkippen. Mich persönlich würde das nicht wirklich stören, aber seine arme Familie wäre vielleicht doch etwas traurig, wegen ihm oder wegen dem Geld welches sie wegen seiner Beerdigung verprassen werden müssten wusste ich zwar noch nicht, aber das war auch egal.
Ich machte also Anstalten aufzustehen und ihn irgendwie zurück zu den Lebenden zu holen, als ich plötzlich ein Funkeln in seinen Augen sah. Ein... sehr lebendiges... aber auch wütendes Funkeln.
„Ähm, alles in Ordnung Herr Freude?“, fragte ich nun doch etwas besorgt. War das nicht gefährlich, wenn bei einem so altem Mann wie ihm der Blutdruck stieg? Mir viel gerade ein, dass ich gar nicht wusste wie alt er eigentlich war... das würde ich bei Gelegenheit mal recherchieren... oder auch nicht.
Er schnappte nach Luft und erinnerte mich immer mehr an einen rot werdenden Karpfen... konnten Karpfen rot werden?
„Also wissen Sie, wenn Sie Probleme mit dem Kreislauf haben.. ich könnte Ihnen da dieses eine Mitelchen empfehlen... dass soll Wunder-“, ich wurde von seiner Unhöflichkeit unterbrochen.
„RAUS SAMANTHA! UND KOMM ERST WIEDER REIN WENN DU DARÜBER NACHGEDACHT HAST WAS DU FALSCH GEMACHT HAST!!!“
Ich wurde ernst.
„Ich werde nicht raus gehen, da ich nichts falsch gemacht habe. Ich habe lediglich auf Ihre Frage geantwortet. Schließlich wollten Sie ja unbedingt wissen was ich interessanter als Ihren Unterricht finde, wenn Sie die Wahrheit nicht ertragen können, dann fragen Sie das nächste Mal einfach nicht.“
Ich setzte mich wieder hin, verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn an. Er starrte mich immer noch völlig überrumpelt an, erwachte plötzlich aus seiner Starre und fing an völlig hektisch etwas ins Klassenbuch zu schreiben. Ich grinste, als wenn mich das erstens von meiner eins in Mathe runter kicken und zweitens mich wirklich interessieren würde.
Bis zur Pause versuchte er mich nicht mehr zu beachten und als sein Blick gelegentlich doch mal auf mich fiel, funkelte er mich böse an. Ich grinste ihn darauf immer nur fröhlich an, was ihn noch wütender machte. Es kam demnach nicht selten vor, dass er aus versehen Kreide in seiner Monsterpranke, welche andere Leute als zu groß geratene Hand bezeichnen würden, zerdrückte und er sich immer wieder neue nehmen musste.
Und dann beschwerte sich die Schule wenn der Kreideverbrauch so dermaßen hoch war. Doch ich verkniff mir ihn darauf aufmerksam zu machen. Nicht, dass er doch noch einen Kollaps bekam der Gute...
Als es endlich zur Pause klingelte, schrie Herr Freudes Äußeres geradezu nach Urlaub, dabei war das gerade mal die erste Stunde gewesen. Wie will er denn den Rest des Schultages überleben? Der Arme... nun ja nicht wirklich, aber egal.
Er ging also völlig verstört aus der Klasse und sah dabei wirklich erleichtert aus. Wahrscheinlich lag es daran, dass er sich nun die ganze Kreide von den Händen waschen konnte.
Rick rannte an mir vorbei zum Lehrertisch und schaute ins Klassenbuch.
„Boha, der hat echt was über dich reingeschrieben Sam!“, rief er mir zu. Schau mal einer an, dass hatte ich ja fast vergessen gehabt.
Ich stand auf und ging lässig rüber.
'Samantha kommt erst zu Spät zum Unterricht und stört die Stunde mit ihrem frechen Mundwerk.'
Ich fand das Wort 'Mundwerk' merkwürdig. Wer benutzte das denn überhaupt noch zur heutigen Zeit?
„Eigentlich hast du dir das selber zuzuschreiben Sam, wieso kannst du auch nie die Klappe halten“, fragte mich Jessica grinsend und knuffte mich in die Seite.
Ich knuffte sie zurück. „Er hatte selber Schuld, soll er mir eben keine rhetorischen Fragen stellen. Die versteh ich doch nie.“
Ich sah sie gespielt betrübt an und sie fing erneut an zu lachen, was mich auf den Gedanken brachte, dass sie mich eventuell für witzig halten könnte, als unsere Klassenlehrerin rein kam. Ich hasste fünf Minuten Pausen. Die waren immer so unnötig kurz...
„Setzt euch bitte hin... ähm Kinder... ähm... ich wollte mit dem Unterricht anfangen... also wenn das in Ordnung wäre...“
Ich stand da und schaute meine Klassenlehrerin entgeistert an.
„Wissen Sie Fräulein Mint, Sie sind unsere Lehrerin und es ist Ihr gutes recht mit dem Unterricht beginnen zu wollen“, sprach ich ihr aufmunternd zu, da ihr keiner wirklich zugehört hatte und sie jetzt schon traurig aussah.
Ich ging zum Lehrertisch und knallte mit einer Hand drauf.
„Haltet jetzt mal bitte alle die Klappe Leute. Fräulein Mint möchte mit der Stunde anfangen.“
Meine Mitschüler sahen mich an und bewegten sich zu ihren Plätzen. Das meine Autorität so stark war hatte ich nicht geahnt, geradezu gruselig...
„Bitte schön Madam, Sie sollten ein bisschen mehr aus sich hinaus gehen Fräulein Mint.“
Ich nannte sie gerne 'Fräulein' und mir kam es auch gar nicht in den Sinn sie 'Frau' zu nennen. Vom verhalten her könnte sie meine kleine Schwester sein! Ok... wenn man mal davon absah, dass ich gut zehn Jahre jünger war als sie...
„Ähm danke Samantha... ähm... ich... also setze du dich doch auch bitte...“
Himmel Herr Gott, wie ist die denn bloß Lehrerin geworden? Die ist ja schüchterner als ein wildes Kaninchen. Ich klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter und lächelte ihr zu, bevor ich zu meinen Platz am Fenster ging.
„Ähm... guten Morgen Schüler.“
„Moin moin Fräulein Mint“, riefen wir in unserem schönsten Singsang und lächelten aufmunternd. Welcher hirnverbrannte Vollidiot auf Morphium war auf die selten dämliche Idee gekommen, diese Frau zur Klassenlehrerin einer Gruppe pubertierender Halbstarke zu machen? Manchmal hatte ich mehr das Gefühl, dass wir ihr das Leben beibrachten und nicht umgekehrt.
„Ähm.. wie ich... also vorhin.. da hatte ich ja-“, das konnte man wirklich nicht mehr mit anhören. Es soll schon Leute gegeben haben die sich zu Tode gestottert hatten..., daher unterbrach ich sie höflich.
„Entschuldigen Sie Fräulein Mint, kann es sein, dass Sie uns den neuen Schüler vorstellen wollen?“
Sie nickte hilflos und ich sah mich dazu verpflichtet ihren Job zu übernehmen und stand auf.
„Nun meine Lieben, da der neue Schüler nicht hier drin ist nehme ich einfach mal an, dass er noch vor der Tür steht... vielleicht sollte ihn irgendwer holen?“
Meine Mitschüler konnten sich nur mit Mühe das Lachen verkneifen und nickten stumm... aber dämlich grinsend.
Ich ging also zur Tür und öffnete sie.
„Hey Neuling, wo bist du denn?“
Ich hörte hinter mir ein rascheln, drehte mich um... und glaubte meinen Augen nicht.
DAS war der neue Schüler? DESWEGEN war ich so aufgeregt gewesen? DIESE Person würde ich den Rest meiner Schullaufbahn in meiner Klasse ertragen müssen?
„Ähm und du bist...?“, fragte ich und versuchte weniger geschockt und dafür mehr freundlich zu klingen.
„Jason Butterfly.“
Ja der Name passte wie die Faust aufs Auge. So zierlich und... streberartig wie der aussah. Nur die Stimme passte nicht so ganz. Ich wusste nur nicht, was da so falsch war...
„Ähm... dann komm mal rein und stell dich vor“, sagte ich immer noch ein wenig enttäuscht und die Type dackelte mir doch tatsächlich hinterher. Ich hätte heulen können. Das schlimmste was einem Punkgirl wie mir passieren konnte. Ein 'swot' und das in MEINER Klasse! In meinem Refugium! Das sollte verboten werden. Da wollte mich doch nur einer ärgern!
Das meinten wohl auch meine Mitschüler als sie den neuen sahen. Fast allen fiel die Kinnlade runter.
„Ähm...“, sagte ich und deutete auf den Schmetterlingsheini. „Das ist... ach nee stell dich doch bitte selber vor“, sagte ich und wand mich an ihn persönlich. Er konnte sich wenigstens ein bisschen geehrt fühlen.
„Also... über mich gibt’s nicht viel zu erzählen“, fing er an und ich pflichtete ihm in Gedanken bei Genau so siehst du auch aus Alter! „Also ich heiße Jason Butterfly, ich interessiere mich für Informatik und spiele Schach.“
Das hättest du uns nicht zu sagen brauchen, das hätten wir auch erraten können.
Ich verfiel in tiefe Depressionen. Wie konnte ein einziger Mensch so langweilig sein?
„Ähm.. gibt es noch irgendetwas was du uns erzählen möchtest Mister Swo... ähm Jason... oder war das alles?“
Er schaute mich durch seine dicken Brillengläser hindurch an und erst jetzt machte ich mir die Mühe ihn zu mustern. Also hinter seiner Opa-Brille, ich konnte hier schlecht Oma-Brille sagen aufgrund des Geschlechts, verbarg er wahrscheinlich kleine, aber dafür sehr dunkle Augen. Seine blonden Haare hatte er streng nach hinten frisiert und nicht eine einzige Strähne stand ab. Er trug doch tatsächlich eine Wollweste über einem blauen Karohemd, ganz normale, gerade geschnittenen, verwaschene Jeans und so... Streberschuhe. Ja verzeiht mir, aber mir fiel in dem Moment echt nicht ein wie ich sie sonst nennen sollte, aber eins war klar: Ich konnte den Typen nicht leiden!
„Danke... Samantha... ähm... wärst du wohl so lieb... und würdest dich in... also in der Pause.“
Ich schaute verschreckt zu Fräulein Mint rüber.
„Ich soll ihm in der Pause die Schule zeigen?!? Aber ich bin doch gar nicht Klassensprecherin!“ Das stimmte nur zur Hälfte. Ich war die letzten Jahre schon immer zur Klassensprecherin gewählt worden und hatte meine Aufgabe auch gut gemacht. Und da noch nicht gewählt worden war, war ich eigentlich immer noch in meinem Amt tätig... aber das hieß doch nicht gleich dass ich mich dieser, ich sah den Jungen an,... dieser Person widmen müsse... oder?
„Das wäre... sehr lieb... von dir.“
Nur die Umstände das Fräulein Mint völlig gerührt von meiner Selbstlosigkeit war, zwang mich dazu die Klappe zu halten und einfach nur brav zu nicken.
Rick meldete sich.
„Wie wäre es wenn wir die Wahl einfach überspringen und Sam ihren alten Posten zurück geben würden?“, fragte er in die Runde. Von überall her waren zustimmende Laute zu hören und zum ersten Mal in meinem Leben verfluchte ich meine Beliebtheit.
„Das... das ist eine... eine gute Idee“, pflichtetet Fräulein Mint leise zu. „Vorausgesetzt Sam möchte das... also wenn du keine Lust hast...“
Ich seufzte. „Nee, passt schon... mach ich doch gern“, nuschelte ich und setzte mich auf meinen Platz.
„Du siehst alles andere als glücklich aus“, bemerkte Jessica am Ende der Stunde.
Ich hatte gerade im Sterben gelegen, mit dem Kopf auf der Tischplatte und schaute sie grummelnd an.
„Wärst du auch nicht, wenn du in meiner Haut stecken würdest“, grummelte ich und streckte mich.
Jessica musterte mich. „Ich finde ja nicht dass dieser Jason sooo schlimm ist. Ok er ist allen Anschein nach ein total Langweiler und Streber, aber eigentlich sieht er doch ganz süß aus.“
Ich schaute erst ihn musternd, danach sie angeekelt an.
„Also ich wusste ja schon immer, dass du sie nicht mehr alle hast, aber eben hast du den Vogel abgeschossen. Das einzige was seinen Streberlook noch komplettieren würde wäre Akne im Endstadium.“
Jessica sah mich vorwurfsvoll an. „Weißt du Sam, eigentlich kennst du den Typen doch gar nicht richtig, vielleicht ist er ja total nett.“
Ich seufzte. „Liebste, freundlichste, gütigste Jessica. Natürlich ist er nett, nett sind ja auch nur Arschlöcher.“
Jessica sah mich immer noch mit diesem anklagendem Blick an und rollte mit den Augen. „Du bist einfach zu oberflächlich Sam, wie wäre es denn, wenn du versuchst dich mit ihm anzufreunden?“
Ich schreckte auf und sah sie entgeistert an. „Ich muss mich wohl verbessern JETZT erst hast du den armen Flattermann abgeknallt. Als wenn ich, Samantha Kathrin Scythe, mich mit einem Nerd wie diesem Butterflyfutzi anfreunden würde.“
Während ich so sprach bemerkte ich nicht, dass der von mir eben genannte Butterflyfutzi hinter mir stand.
„Macht nichts Samantha Kathrin Scythe, ich kann auf deine Anwesenheit genauso verzichten wie du auf meine“, sagte er ohne Skrupel.
Das schlug dem Fass den Boden aus. Erst meinte er sich einfach in MEINE Klasse drängen zu müssen und dann dachte er, dass er einfach mir gegenüber ein freches Mundwerk haben könne? Ich mochte das Wort ‚Mundwerk‘ irgendwie, es passte zu den schrägsten Gelegenheiten perfekt in eine Konversation
„Oh... na dann... das ist mir egal!“, versuchte ich mich gleichgültig, er hob eine Augenbraue. „Wirklich!“, pflichtete ich dem vorher gesagtem bei.
„Na denn, du musst mir die Schule nicht zeigen, Jessica hat sich schon freiwillig bereit erklärt.“
Beinahe hätte ich mich an meiner eigenen Luft verschluckt... soweit dies möglich war.
„Sie hat WAS?“, fragte ich und schaute meine vermeidliche Freundin an. Ich formte mit den Lippen das Wort ‚Verräter‘ und versuchte sie beleidigt nicht mehr anzugucken, das funktionierte aber nicht ganz. Ich sprang auf und umarmte sie.
„Das ist sowas von nicht fair von dir mich mit diesem billigen Trick dazu zu bringen mich schlecht zu fühlen Jessica“, meckerte ich. Sie strich mir über den Rücken.
„Außer, dass ich absolut gar nichts gemacht habe“, versuchte sie die Schuld von sich zu weisen.
Ich schaute auf und bemerkte, dass Jason uns beobachtete.
„Hey, dass sind hier private Momente, mach wenigstens die Augen zu du notgeiler Wicht!“
Jessica lachte und drehte sich zu Jason um.
„Mach dir nichts draus Jase, Sam ist immer leicht verdreht.“
Mir schauderte es, als ich bemerkte dass Jessica es doch Tatsächlich gewagt hatte meinen Namen und dem dieses Heinis zusammen in einem Satz zu erwähnen und dann noch aufeinander folgend, lediglich durch ein Komma getrennt... was natürlich nicht genug war, wenn man so wie ich auf seine individuelle Art bestand.
Gerade als ich mich dazu äußern wollte, fing Jessica an zu reden.
„Jason und ich gehen dann mal besser los, bevor die Pause zu ende ist.“ Sie nahm seine Hand in ihre, zwinkerte mir noch einmal zu und rannte aus dem Raum.
Ich fühlte mich plötzlich so... allein gelassen und zugezwinkert. Ich wollte doch zurück zwinkern! Da ich mir irgendwie aushelfen musste, wand ich mich an mein Kritzelheft und zwinkerte dem zu, aber da das Heft nicht ganz so reagierte wie ich es mir erhofft hatte legte ich es beiseite und schwelgte in meiner Einsamkeit.
„Hey Klassensprecherin!“
Ich schaute automatisch auf.
„Ja? Was ist denn?“, fragte ich in den Raum hinein, da ich nicht wusste von wo genau die Stimme gekommen war, die mich gerufen hatte.
„Ich wollt nur schauen ob es immer noch funktioniert“, sagte Steve lachend und kam von hinten auf meinen Platz zu um sich neben mich zu setzen.
„Ob was funktioniert?“, fragte ich ihn skeptisch.
„Sobald man 'Klassensprecherin' sagt schaust du auf und wechselst in deinen 'ernsten' Modus.“
Ich wusste nicht so recht was ich darauf antworten sollte. Es war ja schon schlimm genug unter einer gespaltenen Persönlichkeit zu leiden, aber dann noch im Normalen zustand mehrere Persönlichkeiten zu haben regte mich auf.
Ich lies mir meinen Missmut nicht anmerken und grinste ihn an. „Tja, kannste mal sehen.“
Bevor er noch irgendetwas erwidern konnte was mich so richtig hätte deprimieren können, stand ich auf und ging auf den Gang.
Hier seufzte ich auf. Wieso musste ich auch immer und immer wieder an meine stärkste Schwäche erinnert werden?
„Alles in Ordnung?“, hörte ich eine mir sehr wohl bekannte Stimme fragen.
Ich schaute auf.
„Hey Miranda“, begrüßte ich das rothaarige Mädchen neben mir.
„Man bist du blass... komm mal mit.“
Sie nahm meine Hand und zerrte mich mit sich mit. Ich ließ es geschehen, denn ich wusste schließlich auch wohin wir gingen.
Auf außenstehende wirkten wir wie zwei Freundinnen die den Gang entlang liefen, doch was die Außenstehenden nicht wussten war, dass Miranda sozusagen meine Aufsichtsperson war.
Eine Aufsichtsperson brauchte ich auch. Mein Chef lies mich nicht einfach für sich arbeiten und das obwohl ich dissoziative Identitätsstörung hatte, ohne sich Gedanken oder sogar Sorgen zu machen. Obwohl ich zu einer der besten gehörte, hieß es noch lange nicht, dass ich völlig Immun gegen Anfälle bezüglich meiner Krankheit war. Und genau deshalb hatte er mir Miranda und ihre Clique an die Seite gestellt um mich zu schützen wenn ich mal wieder in Depressionen verfallen sollte, oder kurz davor war meine Maske zu verlieren...
„Also Sam, was war es diesmal?“, fragte mich Miranda schließlich, als wir auf dem Dach der Schule standen und ich nach unten auf meine Mitschüler schaute.
Mit leerem Blick folgte ich jeder noch so kleinen Bewegung. Ein brünettes Mädchen aus der siebten Klasse stand bei ihren Freundinnen und strich sich unaufhörlich die Haare aus dem Gesicht. Wahrscheinlich um die Aufmerksamkeit des blonden Jungens zu bekommen, der keine drei Meter weiter neben ihr stand und dem sie die ganze Zeit verstohlene Blicke zuwarf.
Dieses Schauspiel fand ich doch eher uninteressant, deshalb lies ich meinen Blick weiter schweifen, bis... nun ja, sagen wir mal so, ich rastete fast aus.
Da ging meine beste Freundin Jessica, mit diesem unterbelichteten Streber Hand in Hand und lachte auch noch fröhlich vor sich hin, während sie ihm unsere Schule zeigte und auf verschiedene Gegenstände deutete, nur um sie kurz darauf zu erklären.
Ich drehte mich schnell atmend wieder um und versuchte mir meine Eifersucht nicht anmerken zu lassen, doch Miranda kannte mich gut... zu gut.
„Es ist also wegen dem Neuen?“
Ich hatte schon vor langem aufgehört zu fragen, woher Miranda immer wusste was bei mir in der Umgebung geschah. Mittlerweile hatte ich herausgefunden, dass sie nicht die einzige war, die ein Auge auf mich werfen sollte. Die Organisation hatte einen ihrer Männer ins Lehrerkollegium geschläust, so viel und nicht mehr hatte ich herausfinden können. Doch ich würde schon noch herausfinden wer es war. Wobei ich wahrscheinlich Angst bekommen würde, wenn es plötzlich Herr Freude wäre... oder Fräulein Mint. Nun mal wirklich, jedes frisch geschlüpfte Schildkrötenbaby konnte sich besser verteidigen als diese Frau. Wie sollte man sich denn bei so einer Aussicht sicher fühlen?
„Ja unter anderem“, beantwortete ich Mirandas Frage und seufzte. „Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie mag ich den Typen nicht.“
Ich tippte mit meinen Fingern nervös auf der Brüstung, während ich die beiden Turteltäubchen mit Argusaugen musterte, bis mich Miranda aus meiner kleinen Versenkung der Abscheu und des Hasses herauszog und mein Verhalten kritisierte.
„Er hat dir bis jetzt nichts getan und steht auch nicht auf der Liste der gesuchten Verbrecher.“
„Wenn das der Fall wäre würde ich ihn sicher mehr mögen als jetzt“, murmelte ich.
„Ist er so furchtbar?“, fragte mich Miranda.
„Ich sag mal so viel: Langweiler, Spießer und noch mehr. Er ist die reinste Schlaftablette, bei der man schon müde wird, wenn man sie nur anschaut.“ Ich legte die Arme auf der Brüstung übereinander.
Miranda musterte mich, dann seufzte sie auf und schaute auf die Uhr. „Du solltest langsam wieder zurück gehen, sonst kommst du noch zu spät.“
In dem Moment in dem sie es sagte, klingelte die Schulglocke des Nachbargebäudes.
„Ich denke du hast recht, ich geh dann mal.“ Ich schaute Miranda an. „Und danke... dass du mir hilfst.“
„Das ist mein Job Samantha.“
Ich hasste es wenn sie das sagte. Ich meine, war es denn wirklich so schwer zuzugeben, dass sie mich auch als Freundin mochte? „Jaja, ich weiß... nur dein Job“, erwiderte ich angenervt und wollte mich auf den Weg zu meiner Klasse machen, als sie weiter sprach.
„Aber ich bin mir sicher, dass sich Jessica in den nächsten Tagen wieder in den Pausen Zeit für dich nehmen wird.“
Das hoffte ich auch.
Ich hoffte vergebens. Eine Woche nachdem der Neue in unsere Klasse gekommen war, klebte sie nach wie vor an ihm wie eine Klette.
Das wäre ja eigentlich nicht so schlimm gewesen und ich sollte mich als Klassensprecherin eigentlich darüber freuen, dass Jason, als der Neue, so schnell Anklang gefunden hatte und es ist auch nicht so, dass ich nicht versucht hatte mich an diesen Typen zu gewöhnen... aber wie schon gesagt: EIGENTLICH. So lange dieses Wörtchen noch in den oberen Sätzen stehen blieb würde ich mit ihm nicht klar kommen können. Denn eigentlich sollte es doch so etwas wie Krieg und Gewalt auch nicht geben oder? Nun... vielleicht war das ein etwas harter Vergleich, aber ich hoffe doch sehr, dass ihr versteht was ich meine.
Als ich Jessica wieder einmal turtelnd, mit Jason vor unserem Klassenraum rumstehen sah, beschloss ich, dass endlich etwas geschehen musste. So konnte es doch nicht weitergehen. Ich als ihre beste Freundin war doch geradezu dazu verpflichtet sie von dieser absolut falschen Bahn abzubringen auf der sie sich dort gerade bewegte. Jessica war ein so hübsches Mädchen mit viel Humor und Freundlichkeit, die etwas besseres als diesen Streber verdient hatte.
Ich seufzte und ging zu meiner besten Freundin rüber, dabei versuchte ich Jason nicht zu beachten.
„Hey Jessica“, begrüßte ich sie mürrisch. Sie sah von ihrem Jason auf um mir einen warnenden Blick zuzuwerfen. Ich seufzte. „Hey Jason“, fügte ich grummelnd hinzu.
„Sei nicht so unhöflich Sam“, tadelte mich Jessica.
„Jaja...“, nuschelte ich vor mich hin. Dann nahm ich sie bei der Hand und zog sie von Jason weg.
„Hey Sam... was soll das?“
Ich grummelte wütend vor mich hin und beachtete die protestierende Jessica hinter mir nicht, bis ich am Ende des Ganges nach links abbog und stehen blieb.
„Kannst du mir das mal erklären?“ Meine beste Freundin verschränkte genervt die Arme und funkelte mich an.
„Mich nervt das“, warf ich zurück.
Sie schaute mich an. „Was nervt dich?“
„Das du jetzt mit diesem Jason abhängst. Ich werde total von dir vernachlässigt“, sagte ich froh darüber, das was mich schon seid Tagen beschäftigte endlich los zu werden.
Jessica verdrehte die Augen. „Ich habe dir nicht verboten dich uns anzuschließen, oder? Du bist doch diejenige die sich von uns fern hält.“
Ich traute meinen Ohren nicht. Meinte sie das ernst?
„Bitte sag jetzt nicht, dass man euch nur noch im Doppelpack bekommt“, stöhnte ich auf.
Jessica sah mich ernst an. „Wieso nicht? Ich verstehe mich richtig gut mit ihm. Er hat viel Humor, ist verständlich, klug und eigentlich sieht er auch richtig gut aus. Ich weiß selber nicht warum er sich zur Schule immer so komisch anzieht. Zu Hause hat er richtig coole Klamotten die könnten sogar dir gefallen.“
Um ehrlich zu sein bezweifelte ich stark, dass es auch nur eine einzige Sache an ihm gab die mir gefallen könnte, aber das konnte ich doch schlecht sagen oder... nun ich konnte schon, aber manchmal musste Frau sich auch in Schweigen üben können.
„Wieso versuchst du nicht einfach mal nett zu ihm zu sein?“, fragte mich Jessica.
„Ich habe es doch versucht, aber ich kann ihn eben nicht leiden. Er ist für mich wie ein Pol der mich abstößt.“
„Du bist doch der Pol der ihn abstößt Samantha.“ Oh... gar nicht gut... sie schien sauer zu werden. Sie würde mich sonst nie Samantha nennen.
„Nicht aufregen Jessica. Ich kann auch damit leben wenn du dich mit ihm triffst, solange ich da nicht mitmachen muss und dich ab und zu auch mal zu Gesicht bekomme. Schließlich bist du meine beste Freundin.“
„Aber er ist mein bester Freund und ich würde mich freuen wenn ihr beide euch vertragen könntet. Ich bin mir sicher ihr würdet euch prima verstehen.“
Langsam wurde mir das zu blöd. „Wie oft denn noch Jessica? Ich habe keinerlei Interesse daran mich mit diesem Typen zu vertragen. Ich mag ihn jetzt nicht und das wird sich auch nicht ändern, egal was du sagst.“
Jessica wurde wieder sauer. „Du bist so verdammt oberflächlich Samantha, dass glaub ich einfach nicht. Wie kannst du so dermaßen auf das Äußere einer Person achten? Das ist ein richtig kindisches Verhalten, welches du hier an den Tag legst.“
Ich verschränkte die Arme. Ich hasste es wenn man mich 'kindisch' nannte. „Wenigstens mache ich keinen auf 'barmherzigen Samariter' der alle neuen sofort unter seine Fittiche nehmen und verhätscheln muss so wie eine gewisse andere Person...“ Ok, ich gebe zu, dass war vielleicht ein bisschen übertrieben... und auch nicht unbedingt das freundlichste... aber irgendwie musste ich mich doch verteidigen.
Jessica sah mich wütend an, drehte sich um und ging davon. Beim weggehen sagte sie noch: „Du bist manchmal echt total behindert Sam.“
Ich stand da. Allein und verlassen von der besten Freundin. Hängen gelassen wegen irgendeinem Typen, von dem sie wahrscheinlich nicht mal viel wusste. Nichts hatte uns bis jetzt auseinander brechen können. Nicht einmal, als sie von meinem Doppelleben erfahren hatte, war sie von meiner Seite gewichen. Und da musste nur ein pubertierender Jüngling kommen und unsere jahrelange Freundschaft die ich mit viel Liebe gepflegt hatte war vorbei?
Als ich mir noch einmal veranschaulichte, dass Jessica und ich uns gerade gestritten hatten, wurde mir irgendwie komisch. Wie sollte ich nur den Rest des Schultages überleben?
Ich überlebte ihn nicht. Nun ja... im Mentalen sinne versteht sich. Noch lebte ich ja, ich fühlte mich nur besch.... bescheiden.
So bescheiden, dass ich mich durch den Rest des Schultages quälte, während mich Jessica mit Nichtbeachtung strafte.
Als der Schultag endlich zu Ende war schluderte ich bei den Hausaufgaben so dermaßen, das ich bei etwa der Hälfte aufhörte und mich einfach ins Bett legte.
Als meine Eltern am Abend von der Arbeit wieder zurück kamen, hatte ich meine Position nicht geändert. Ich fühlte mich wirklich scheiße. Ich hatte mich noch nie mit Jessica gestritten. Und hätte nicht gedacht, dass es wegen so etwas Banalem passieren würde.
Ich spürte wie die Tür geöffnet wurde und mein Vater, oder meine Mutter kurz hereinschauten. Ich vermied es mich umzuschauen und die Person wiederum vermied es etwas zu sagen. So lief es schon seid Jahren. Sie wollten nur schauen ob ich zu Hause war oder nicht. Noch etwas worüber ich mich aufregen konnte. Nicht nur, dass ich Stress mit meiner besten Freundin hatte, ich konnte nicht einmal vernünftig mit meinen Eltern darüber reden.
Die Tür meines Zimmers wurde wieder geschlossen und ich hörte wie die Schritte auf der Treppe langsam verklangen. Ich seufzte und setzte mich auf. Als ich auf die Uhr schaute, sah ich dass es erst acht Uhr abends war, dennoch war ich völlig erschöpft. Deswegen machte ich mich fertig zum Schlafengehen, packte nur das nötigste für die Schule ein und legte mich ins Bett.
Kapitel 2
Am nächsten Morgen, wurde ich vor meiner Mutter wach und schlurfte Müde, depressiv und schlecht gelaunt rüber ins heimelige Bad um mich frisch zu machen.
Unser Bad war so riesig, dass sich drei Leute locker darin aufhalten konnten. An der westlichen Wand war die ovale Keramikbadewanne mit Sitzfläche in der ich wahrscheinlich zusammen mit meinen Eltern platz gehabt hätte, nicht dass ich irgendeinen Wert darauf legte. An der östlichen Wand war ein riesiges Fenster, um die Morgensonne einzulassen, natürlich konnte man die Jalousien hinunter lassen. Wer badete schon gerne, wenn man wusste dass Leute rein gucken konnten? Nun ja, es sei denn man war exhibitionistisch Veranlagt... Gott, was dachte ich hier eigentlich?!?
Unsere Dusche hatten wir eine Etage weiter unten, um das idyllische Bild dieses Raumes nicht zu zerstören, dafür hatten wir genau in der Mitte des Bades zwei Waschbecken stehen, die von einem ein Meter breiten und bis zur Decke reichenden Spiegel getrennt war. Als ich mein Gesicht in eben diesem Spiegel sah, viel es mir schwer einen Unterschied zwischen mir und einem Panda zu finden. Selbst die Augenringe meiner Augenringe hatten noch Augenringe und die Tatsache, dass ich gestern Abend mein Kissen mit meinen Tränen durchweicht hatte förderte das ganze... nicht gerade zum Guten. Ergo: Neben den dreifachen Augenringen hatte ich auch noch rote, blutunterlaufene Augen und als wenn das nicht genug wäre, durfte ich dem Genuss des auf dem nassen Kissens schlafen nach kommen. Dementsprechend zerknautscht war mein Gesicht und schlecht mein Schlaf.
Ich grummelte vor mich hin, wuschelte mir durchs Haar und seufzte auf. Dies würde der schlimmste Tag meines normalen Lebens werden, das hatte ich im Gefühl.
Ich improvisierte und duschte mich schnell in der Badewanne, nicht darauf achtend, dass ich dabei das halbe Bad unter Wasser setzte. Als ich fertig war, torkelte ich, lediglich mit einem Handtuch bekleidet zurück in mein Zimmer und schielte auf meine Uhr. Meine Mutter würde in zirka fünf Minuten aufstehen und nach mir sehen.
Ich ging tief in mich und fragte mich, was nun zu tun wäre. Ich brauchte nicht lange um zu einer Antwort zu gelangen. Ich nahm einen Zettel aus meinem Block und schrieb eine kurze Nachricht die ich an meine Zimmertür klebte, dann legte ich mich zurück in mein Bett und schlief augenblicklich wieder ein. Warum ich nun geduscht hatte? Das wusste ich um ehrlich zu sein auch nicht so genau. Vielleicht wollte ich auch einfach nur meinen Kopf frei kriegen...
Als ich erneut aufwachte, war ich immer noch in mein Handtuch gewickelt, aber zu gedeckt worden. Die Sonne schien mittlerweile in mein Zimmer und signalisierte damit, dass es schon fast Mittags war. Der Unterricht würde bald enden. Ich schaute auf die Uhr die über meiner Zimmertür hing und realisierte, dass es wirklich schon Mittags war. Und um ehrlich zu sein war der heutige Unterricht schon längst zu Ende.
Ich stöhnte und stieg aus meinem Bett. Langsam schlurfte ich zur Tür und öffnete sie, dabei sah ich, dass meine Mutter mit ihrer leichten, geschwungenen Handschrift auf meine Nachricht geantwortet hatte.
Guten Morgen Mom und Dad,
ich fühle mich nicht ganz wohl, deswegen hoffe ich, dass es in Ordnung ist, dass ich mich einfach zurück ins Bett gelegt habe. Ich wünsche euch einen schönen Tag.
Eure Sam
Darunter hatte sie geantwortet:
Natürlich ist es in Ordnung mein Schatz. Ruh dich so lange aus wie du möchtest, ich werde versuchen heute früher von der Arbeit zurück zu kommen.
Deine dich liebende Mutter ♥
Ich seufzte und löste den Zettel langsam von meiner Tür.
Wie verdammt nett konnten Eltern eigentlich noch sein? Sie hatten eine Tochter die eine psychische Krankheit hatte, der es ihr unmöglich machte mit ihren Eltern zusammen zu sein und dennoch liebten sie mich. Ich hätte gerührt sein können, wenn ich nicht ein so schlechtes Gewissen gehabt hätte.
Ich ging langsam die Treppen runter und hing meinen Gedanken nach. Unter anderem fragte ich mich gerade was ich denn essen sollte, als es an unserer Haustür klingelte. Nicht daran denkend, dass ich immer noch nichts weiter als mein Handtuch um hatte, stürmte ich zur Tür. Wahrscheinlich war es Jessica, die mir die Hausaufgaben vorbei bringen und unseren Streit nur mal so nebenbei begraben wollte.
Voller Vorfreude riss ich die Tür auf und... erstarrte mitten in der Bewegung.
„Was willst DU denn hier?“, fragte ich schrill und völlig entgeistert.
Jason musterte mich von oben bis unten und grinste schelmisch. „Ich frage mich ob die Frage, in Anbetracht der Tatsache dass du mir die Tür halb nackt öffnest, berechtigt ist.“
Ich schaute an mir herunter, kreischte und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Oh mein Gott war das peinlich!
Ich lehnte mich gegen die Tür und horchte ob ich irgendwelche Schritte hörte, doch als ich nach mehreren Sekunde immer noch nichts hörte, öffnete ich die Tür erneut , diesmal nur einen Spaltbreit. Jason stand immer noch da! Lässig, seinen Rucksack über eine Schulter gehängt und mit der anderen Hand in der Hosentasche.
„Soll ich dir die Hausaufgaben hier über die Türschwelle erklären oder kann ich rein kommen?“, fragte er gelangweilt. Ich wurde wütend.
„Wieso hast du meine Hausaufgaben und nicht Jessica?“
Jason rollte die Augen. „Ich erkläre es dir erst wenn ich rein kommen darf, ich hasse es mich an der Tür zu unterhalten.“
Ich seufzte und öffnete die Tür weiter, dabei versuchte ich selbstverständlich nicht daran zu denken, dass ich fast nackt war.
„Setz dich schon mal ins Wohnzimmer ich komme gleich.“ Ich zeigte ihm wo das besagte Zimmer lag und rannte die Treppen hoch um mich in meinem Zimmer umzuziehen. Als ich wieder runter kam, in meinen besten Fetzenjeans und schwarzen Top mit einem silbernem Totenkopf darauf, hatte es sich Jason schon gemütlich gemacht und seine Unterlagen auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet. Er schaute einmal kurz auf, ließ seinen Blick aber sofort wieder auf die Zettel in seiner Hand schweifen. Was für ein Freak. Ich machte mir erst jetzt die Mühe ihn zu mustern. Seine Haare waren wie immer streng zurück gegelt, seine Augen geschützt von dieser übergroßen, altmodischen Brille und seine Klamotten... nun darauf ging ich jetzt lieber nicht ein. Sagen wir einfach, dass er wie immer total langweilig aussah, verboten Langweilig. Ich setzte mich in den Sessel ihm gegenüber und wartete darauf, dass er sich endlich dazu herab ließ mir meine Aufgaben zu erklären... oder überhaupt zu erklären warum er hier war und was viel wichtiger war: woher er überhaupt wusste wo ich wohnte! Nach dem ein paar Minuten unnötig verstrichen waren, ohne dass irgendwer von uns irgendwas gesagt hatte, räusperte ich mich lautstark um auf mich aufmerksam zu machen.
Er schaute mich nur gelangweilt an. Ich wartete darauf, dass er irgendwas sagte, aber irgendwie blieb das aus.
„Könntest du bitte auf meine Fragen antworten?“, versuchte ich mich höflich.
Jason legte den Kopf schräg.
„Du siehst ziemlich fertig aus, war das dein erster Streit mit Jessica?“
Ich schluckte. „Das geht dich gar nichts an, ich will nur meine Aufgaben, antworten auf meine Fragen und dass du so schnell wie möglich wieder verschwindest und nie wieder kommst, also bitte leg los.“ Nun... das waren nicht die freundlichsten Worte, aber ich verstand nicht wieso der Typ meinte sich in meine Angelegenheiten einmischen zu müssen.
Wir starten uns beide feindlich an. Ich würde ganz sicher nicht aufgeben so viel war klar. Nach einer Weile seufzte er auf und reichte mir einen Stapel Zettel.
„Das sind die Arbeitsblätter, die wir heute in Erdkunde, Geschichte und Chemie bearbeitet haben. Ich nehme mal an du willst nicht, dass ich sie dir erkläre?“
Ich riss sie ihm buchstäblich aus der Hand. „Nein, will ich nicht.“ Ich schaute mir die Zettel so gründlich durch, dass man sich wundern sollte warum sie unter meinem scharfen Blick nicht in winzig kleine Streifen zerfielen.
„Jessica hat mich geschickt damit wir uns vertragen können“, sagte er plötzlich in die Stille hinein. Ich sah ihm geradezu an, dass er nur auf irgendeine Gefühlsregung meinerseits wartete, doch den Gefallen würde ich ihm sicher nicht tun.
„Ah, ist ja interessant“, erwiderte ich so gleichgültig wie nur möglich und stellte mir dabei in Gedanken vor, wie ich ihn wie eine Fliege in meiner Hand zerquetschte. Tat er doch gerade so, als wenn Jessica seine und nicht meine beste Freundin war.
„Ich soll dir übrigens ausrichten, dass sie es genauso scheiße findet mit dir zerstritten zu sein wie du, dass sie sich aber erst mit dir versöhnen wird wenn du endlich über deine Oberflächlichkeit hinweg bist.“
Ich biss mir auf die Zunge um ihn nicht unhöflicherweise anzuschnauzen und ihn hochkant raus zu kicken. Ich meine wirklich kicken. Meine Trittkraft sollte man nicht unterschätzen!
„Schön dass ihr euch so wunderbar versteht“, entgegnete ich zuckersüß, dabei versuchte ich ihn nicht mit Blicken zu töten... nun wie schon gesagt, ich VERSUCHTE es. Eingebildeter Fatzke.
Jason musterte mich genau. „Da fällt mir gerade ein..:“, begann er, „Ich sollte dich auch fragen, warum du heute nicht zur Schule gekommen bist und wie es dir geht. Um ehrlich zu sein glaube ich stark, dass du geschwänzt hast. Sollte eine Klassensprecherin so etwas tun?“
„Das geht dich genauso wenig etwas an, wie alles andere auch. Ich glaube du hast deine Aufgabe nun erfüllt und willst gehen, oder?“
Er beachtete mich gar nicht, sondern sah sich um.
„Nett habt ihr es hier. Sehr hell und freundlich.“
Ich rollte die Augen. „Was dachtest du denn wie es hier aussieht?“
Er musterte mich. „Nun ja, ich hatte eher erwartet, dass es hier... mehr 'du' ist.“
Ich verstand nicht was er meinte. „Was heißt hier mehr 'ich', sollte das etwa eine Kritik sein?“
„Mehr 'du' heißt, unfreundlich, eingebildet, oberflächlich und zickig und nein, dies sollte keineswegs eine Kritik darstellen.“
Ich hörte wohl schlecht. Musste ich mich in meinem eigenen Haus beleidigen lassen?
„Ich denke nun ernsthaft, dass du gehen solltest“, sagte ich verbissen und stand auf.
Jason bewegte sich langsam und träge, wahrscheinlich um mich zu ärgern. Ich wurde langsam wütend. Ich wollte ihm gerade eine... freundlich formulierte Standpauke von wegen 'höfliches Benehmen als Gast' geben, als ich einen Hausschlüssel an der Tür hörte. Ich schaute panisch auf die Uhr. Verdammt! Ich hatte ganz vergessen, dass meine Mutter früher kommen wollte.
„Scheiße...“ Ich schaute von der Wohnzimmertür, die zur Eingangshalle führte zu Jason und zu der Treppe zu meinem Zimmer. Mir blieb wohl keine andere Wahl. Ich seufzte, sammelte alle Unterlagen und Jasons Sachen ein, nahm ihn an der Hand und rannte mit ihm nach oben. Der gute war so unvorbereitet, dass er es wohl oder übel über sich ergehen ließ.
Ich zog ihn mit in mein Zimmer und schloss hinter uns die Tür, dann suchte ich nach meinem Block und kritzelte eine Nachricht darauf.
Jason stand unbeholfen in meinem Zimmer herum, erst jetzt merkte ich, dass ich vergessen hatte, aufzuräumen. Das hieß: Überall lagen Bücher, Hefte und vor allem Unterwäsche von mir herum. Jason hatte angefangen sich umzusehen und im Moment heftete sich sein Blick auf einen weißen Spitzen-BH der über meinem Schreibtischstuhl hing.
Ich sprang auf, riss ihn vom Stuhl und schleuderte ihn in meinen Schrank.
„Setz dich auf das Bett und mach die Augen zu während ich aufräume!“, befahl ich ihm.
Erst dachte ich, dass er nicht auf mich hören würde, doch als er sich tatsächlich in Bewegung setzte und dem nachkam was ich gesagt hatte, war ich doch verblüfft.
Ich sammelte schnell alles ein und stopfte die Sachen in meinen Schrank. Ich nahm mir vor richtig aufzuräumen, nachdem der ungewollte Besucher erst einmal von dannen gezogen war. Nachdem mein Zimmer halbwegs annehmbar war, klebte ich den von mir geschriebenen Zettel außen an die Zimmertür.
Hey Mom,
ein Klassenkamerad ist hier und erklärt mir die Schulaufgaben. Er heißt Jason. Falls du irgendetwas möchtest kannst du ruhig anklopen.
„Was soll das?“, fragte mich Jason. Er hatte mich nicht mehr aus den Augen gelassen, sobald er sicher sein konnte, dass ich mit meinem improvisierten 'Aufräumen' abgeschlossen hatte. Ich drehte mich langsam zu ihm um und sah ihn an. Wie sollte ich dieses Verhalten erklären?
„Öhm... ich hab im Moment... Stress mit meinen Eltern...“, versuchte ich mich heraus zu reden, doch so ganz funktionierte es nicht. Wen wunderte es?
„Und deswegen schreibst du ihr auch Zettel?“ Er hob skeptisch eine Augenbraue und ich schrumpfte unter seinem Blick zusammen. Nun, es war zwar ein offenes Geheimnis, dass ich eine Krankheit hatte, aber keiner meiner Mitschüler wusste um was für eine genau es sich nun handelte und ich legte keinen Wert darauf, dass es gerade durch Jason seinen Umlauf machte.
Ich wollte ihn gerade mit irgendwelchen fadenscheinigen Erklärungen abspeisen, als ich hörte wie meine Mom die Treppe hoch kam und an meiner Zimmertür stehen blieb. Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Das wäre das schlimmste, was mir passieren könnte. Das Jason Butterfly mein Geheimnis herausfinden würde. Ich musste ihn los werden!
„Öhm... möchtest du nicht langsam gehen? Ich meine... es gibt doch keinen Grund mehr, dass du dich hier aufhältst, oder?“ Ich versuchte so höflich wie nur möglich zu sein, aber genau das veranlasste ihn wohl mich noch misstrauischer zu betrachten.
„Ich werde nicht eher gehen, bis du mir nicht gesagt hast was los ist“, erwiderte er und legte sich auf mein Bett. Ich seufzte. Entweder ich würde es ihm sagen und ihn los werden, oder ich würde es ihm nicht sagen und die Wahrscheinlichkeit, dass er es auch so herausfindet würde von Minute zu Minute stetig steigen. Was sollte ich nur tun?
Ich dachte angestrengt nach. Wahrscheinlich blieb mir nur noch eines zu tun...
„Du Jason?“, fragte ich vorsichtig.
Er setzte sich auf. „Ja?“
Ich schluckte. „Wie wäre es... mit einem Deal...?“
Er wurde hellhörig. „Was für einer?“
„Ich könnte... freundlicher zu dir sein... und würde Jessica auch nicht mehr vorwerfen, dass sie mit dir befreundet ist... wenn du mir einen kleinen Gefallen tust...“
„Und der Gefallen wäre?“
„Du verkrümelst dich jetzt“, sagte ich bestimmt.
Er machte sich nicht einmal die Mühe darüber nachzudenken. „Nein danke.“
Ich war schockiert. „Warum nicht?“
„Erstens lege ich keinen Wert darauf, dass du freundlicher zu mir bist und zweitens ist es so oder so Jessicas Entscheidung mit wem sie befreundet sein möchte.“
Ich traute meinen Ohren nicht. Dieser eingebildete, überhebliche, egoistische Typ brachte mich noch zur Weißglut, doch ich zwang mich dazu Ruhig zu bleiben. Leichter gesagt als getan.
Ich grübelte weiter, denn wenn man etwas von einer Person wollte, war es doch eher kontraproduktiv, wenn man der Person unhöflich gegenüber trat.
Ich öffnete gerade meinen Mund, als es vorsichtig an der Tür klopfte. Mein Körper gefror und ich blieb stocksteif stehen. Jason musterte mich, stand dann auf und ging an mir vorbei.
„Wenn du wirklich Stress mit deinen Eltern hast, dann solltest du dich mit ihnen aussprechen.“
Er hatte die Tür schon auf dem Griff.
„Nein Jason, mach die Tür nicht a...“, zu spät, er hatte die Tür schon geöffnet und vor mir stand meine Mutter mit ein Tablett in der Hand, die Hand erhoben um nochmals zu klopfen.
Mein Blick heftete sich auf sie und mein Kopf fing an unaufhörlich zu pochen. Ich hielt mir die Schläfe und knickte zusammen. Jason bemerkte das und kam vorsichtig auf mich zu.
„Alles in Ordnung Sam?“
„Ja... ich... warte... geht gleich wieder“, presste ich zwischen den Zähnen hervor. Scheiße! So etwas konnte auch nur mir passieren!
Ich hörte wie meine Mutter einen Kloß hinunter schluckte und in Begriff war das Tablett abzustellen. Aber ich wollte nicht, dass sie traurig war. Ich zwang mich dazu aufzuschauen und ihr in die Augen zu sehen. Mir war es egal wenn 'Samy' hervor kommen würde, ich wollte sie nicht noch mehr verletzen als sowieso schon.
„Mom...“, flüsterte ich.
Meine Mutter schaute erstaunt auf und unsere Blicke trafen sich für mehrere Sekunden, doch dann hielt ich es nicht mehr aus und musste weg schauen. Die ganze Zeit über hatte mich Jason gemustert. Meine Mutter schloss langsam die Tür und ging die Treppen hinunter. Ich musste mich ersteinmal beruhigen und wartete, dass dieses Pochen in meinen Schläfen nach ließ. Ich stand auf und legte mich auf meine Matratze. Ich hätte heulen können.
„Sam?...“, hörte ich Jason leise fragen.
Ich schluckte. „Ja?“ Mir war nicht danach ihn giftig anzufahren. Viel lieber hätte ich mich in Selbsthass ertränkt. Mir war es in diesem Moment so was von egal, dass mich ausgerechnet Jason so abgefertigt sah. Mir war es auch egal wenn er es in der Schule herum erzählen würde, oder wenn er mich ab heute damit aufziehen würde. Damit könnte ich wahrscheinlich leben.
Ich fing nun wirklich an zu weinen und fluchte vor mich hin.
Jason kniete sich vor mein Bett und strich mir vorsichtig über den Rücken. Damit hätte ich jetzt wirklich nicht gerechnet. Ich hatte gedacht er würde mich hassen und einfach gehen. Ich schaute überrascht auf. Er schaute mir in die Augen, dabei hörte er nicht auf mir über den Rücken zu streichen.
„Ähm... Jason? Was soll das werden?“, fragte ich ihn mit erstickter und verheulter Stimme. Mir liefen die Tränen immer noch über die Wangen. Er hielt inne und seine Augen weiteten sich erstaunt.
„Ich versuche dich zu trösten, nach was sieht es denn deiner Meinung nach aus?“, entgegnete er.
Ich setzte mich auf und versuchte zu grinsen. „Ich lasse mich doch nicht von jemanden mit Opabrille trösten. So weit bin ich nun wirklich nicht gesunken.“
Er hob eine Augenbraue. „Was genau ist eigentlich dein Problem mit mir?“
Ich grinste und schaute ihen einmal von oben bis unten an.
„Mein Aussehen?“, fragte er ungläubig.
„Ja. Und deine besserwisserische Art.“
„Letzteres kann ich vielleicht noch verstehen... aber ersteres? Findest du dich nicht ein bisschen oberflächlich.“
Ich nickte seufzend. Ich hasste es, dass ich ihm recht geben musste, denn mir viel wirklich nicht ein was ich noch an ihm nicht mochte außer... „und dass du mir meine beste Freundin ausspannst.“
Sein Kiefer klappte auf. „Das ist kindisch Samantha und das weißt du.“
Ich zuckte mit den Schultern und legte mich wieder hin. „Lass mich ich will in Selbsthass ertrinken“, nuschelte ich. Jason fing an zu lachen und ich wurde sauer. Was war denn so witzig?
„Ausgerechnet unsere taffe, unerschütterliche, starke, coole Samantha Scythe versinkt in Depressionen.“
Ich schaute auf. Versuchte er mich gerade tatsächlich aufzumuntern oder wollte er mich nur aufziehen?
„Ok... was hast du vor?“, fragte ich skeptisch.
Er stand auf und setzte sich aufs Bett. „Gar nichts. Wieso fragst du?“
Ich setzte mich auf und dachte nach. Ja, wieso war ich eigentlich so überrascht, dass er nett zu mir war? Ich seufzte denn mir wurde etwas klar. Jessica hatte recht gehabt. Ich war oberflächlich und gemein zu ihm. Ich hatte nicht ein einziges Mal versucht mich mit ihm zu verstehen. Ich hatte die ganze Zeit versucht ihn fertig zu machen. Und warum? Erstens weil ich sein Äußeres nicht mochte... und weil ich - und glaubt mir, dass gab ich gar nicht gerne zu - , verdammt noch mal eifersüchtig war. Und außer die paar Mal wo es ihm zu bunt geworden war und er meine scharfen Kritiken ihn gegenüber, die natürlich völlig aus der Luft gegriffen waren und nur seiner mentalen Vernichtung galten, gekontert hatte war er eigentlich immer recht neutral mir gegenüber gewesen. Ich stöhnte auf. Frau konnte sich aber auch völlig idiotisch und daneben benehmen, aber ich hatte es natürlich wieder übertreiben müssen.
Jason hatte meinen inneren Kampf voller Faszination mitverfolgt und grinste mich erwartungsvoll an.
„Was willst du?“, fragte ich nervös.
„Naja, einen flotten Flitzer, ein großes Haus, einen Haufen Geld, den Weltfrieden... aber eine einfache Entschuldigung deinerseits würde mir fürs erste auch reichen.“
Ich dachte nach. Würde ich mir diese Blöße geben? Würde ich laut zugeben, dass ich mich geirrt hatte und mein gesamtes, hart erarbeitetes Image zerstören?
Jaja, ich weiß was ihr jetzt alle denkt: Na los hab dich nicht so, er ist doch eigentlich ein ganz netter Typ. Oder: Spricht denn etwas dagegen mal über deinen Schatten zu springen?
Und ich konnte guten Gewissens sagen: Ja, es sprach etwas dagegen. Nämlich mein gottverdammter Stolz!
Ich hielt ihm die Hand hin.
„Ich werde mich nicht entschuldigen, das lässt mein übrig gebliebener Stolz nicht zu, aber wie wäre es wenn wir eine Zeit des Friedens einkehren lassen?“
Er musterte erst meine ausgestreckte Hand, dann mich. „Das heißt?“
Ich stöhnte auf und rollte mit den Augen. „Ganz einfach. Ich werde versuchen netter zu dir zu sein und du hörst auf Jessica so in Beschlag zu nehmen.“
„Ich nehme sie doch gar nicht in Beschlag. Keiner hält dich davon ab dich zu uns zu gesellen. Nun ja, keiner als du selbst natürlich.“
Wieso hatte ich nur das Gefühl, dass ich dieses Gespräch schon einmal geführt hatte? Gott, wie ich Déjavus hasste!
Plötzlich spürte ich Jasons Hand in meiner. Mann hatte der Typ eine weiche Haut! Erschrocken schaute ich ihm in die Augen,... doch irgendetwas war anders. Ich sah sie mir nochmal genauer an und dann viel es mir auf. Er hatte die Brille abgesetzt und sah, oh Wunder, nicht mal schlecht aus. Das rief doch geradezu nach einem Experiment der Marke Sam-stylt-auf!
Meine Mutter war unten in Wohnzimmer... das hieß ich könnte es nicht heute ausführen... aber es gab immer noch ein Morgen.
Ein grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit, welches Jason natürlich wieder bemerken musste.
„Was heckst du aus?“, fragte er mich und hob eine Augenbraue.
„Ich? Und etwas aushecken? Wie kommst du nur immer auf solch Absurditäten.“ Ich tätschelte ganz unschuldig seine Hand. ER ließ sich jedoch nicht beirren.
„Jetzt sag es schon Sam!“
Ich schaute immer noch so unschuldig wie ein junges Kätzchen. „Darf ich morgen nach der Schule mit zu dir?“
„Sind dir beim Heulen Gehirnzellen abgestorben?“, fragte er mich besorgt drein guckend, doch ich wurde sauer. Da versuchte ich schon nett zu sein und dann... 'Nicht aufregen Sam... Ruhig bleiben Sam...' Mein Mantra wirkte. Ich lächelte ihn an und rutsche noch etwas näher zu ihm.
„Ach wie kommst du nur immer auf so amüsante Dinge. Nein viel mehr ist es doch, dass ich dich auch mal besuchen möchte. Frei nach dem Motto: Wie du mir, so ich dir.“
Er setzte sich die Brille mit einer Hand wieder auf, die andere hatte ich ja immer noch fest im Griff. Er dachte ein paar Sekunden nach. In diesen Sekunden bewegte sich keiner von uns beiden und es war absolut gar nichts zu hören... außer unseren Atem versteht sich.
„In Ordnung, warum nicht?“, sagte er schließlich und ich fing an zu strahlen. Das es so einfach werden würde hätte ich nicht gedacht. „Unter einer Bedingung“, fügte er hinzu und meine Mundwinkel fanden ihren Weg nach unten. Was für eine Bedingung konnte das sein?
Er musterte jede einzelne Regung meines Gesichtes und grinste als er die Panik in meinen Augen bemerkte. „Du musst mir sagen was du vor hast.“
Mist! Da hatte ich doch noch gehofft, er würde nicht weiter nach harken...
„Öhm... vertraust du mir etwa nicht?“, wollte ich stattdessen won ihm wissen.
„So ist es“, erwiderte er ohne weitere Umschweife.
Eins musste man ihm lassen: Er war ehrlich und direkt! So viel hatte ich über ihn schon heraus gefunden. Und obwohl er so total uncool aussah hatte er echt viel Selbstvertrauen und ließ sich nie einschüchtern. Eigentlich war er doch ein ganz netter Typ... fast schon cool... 'Halt! Stopp! Bis hierhin und nicht weiter Sam!' Wo sollte das nur enden wenn ich echt noch anfing den Typen hier sympathisch zu finden?!?
Das lag alles an diesem beschissenen Streit mit Jessica!
„Ich warte“, riss mich seine Stimme aus meinen Gedanken, dabei entzog er mir seine Hand.
„Umstyleaktionallasam“, nuschelte ich.
„Bitte was?“
„UMSTYLE AKTION ALLA SAM“, wiederholte ich lauter und auch deutlicher, als wenn ich mit einem Taubstummen reden würde.
Er sah mich ungläubig an. „Definition?“, fragte er schließlich.
Ich druckste etwas herum. Wie sollte ich ihm das auch erklären?
„Ähm... naja... Jessica hatte mal erwähnt... also... dass du eigentlich richtig coole Klamotten zu Hause herum liegen hast... und da fragt sich Frau natürlich... warum du...“
Er unterbrach meinen gestotterten Versuch mich zu verteidigen mit einem Lachen.
Ich unterbrach meine wilden Gestikulationen um ihn verstört anzusehen. Was hatte er denn jetzt schon wieder?
Ich wartete bis er sich wieder beruhigt hatte und er mir eine Erklärung liefern konnte.
„Man, sag das doch gleich. Jessica hat mir nie erzählt, dass ihr beide euch über mich unterhalten habt.“
Mir war diese Aussage aus irgendeinem Grund unangenehm. „Wir haben uns nicht über dich unterhalten“, entgegnete ich ihm, „wir sind nur irgendwie auf dich zu sprechen gekommen.“
„Ach... ja, natürlich.“ Vollstes vertrauen in meine Worte seinerseits.
„Wirklich!“, sagte ich mit Nachdruck. Ich wollte nicht, dass er noch glaubte Jessica und ich würden nur über ihn reden. Obwohl... oh mein Gott! Das hatten wir in den vergangen Wochen wirklich getan! Mir kam ein schrecklicher Gedanke in den Sinn... konnte es sein...? Nein niemals.. doch nicht in ihn... obwohl.. so abwegig war es gar nicht... oder? Ich musterte ihn. Naja hässlich war er wirklich nicht und ein ganz netter Typ ja auch, wie ich mittlerweile fest gestellt hatte. Aber so nett nun auch wieder nicht... Obwohl es natürlich erklären würde, warum ich ihn nicht mochte. Ich hatte natürlich Angst, dass er mir Jessica weg nehmen würde! Aber hatte sie sich wirklich in ihn verliebt?
„Über was denkst du denn jetzt schon wieder nach?“, fragte mich Jason, nachdem ich mehrere Minuten nichts mehr gesagt hatte und still meinen Überlegungen nachgehangen hatte.
„Ob sich Jessica vielleicht in dich verliebt hat“; antwortetet ich ohne nachzudenken. Jason stutzte und erst jetzt wurde mir klar, was ich da eigentlich gesagt hatte. „Öhm... das ist natürlich nur so ein Gedanke von mir... also sie hat mir nichts in diese Richtung gesagt oder so... nicht, dass du etwas missverstehst.“
Er seufzte und stand auf. Ich hatte ihn doch hoffentlich nicht verletzt? Nicht jetzt wo wir doch langsam anfingen uns einander zu gewöhnen. Das wäre doch total doof! Ich war total kurz davor mich wieder mit Jessica zu vertragen! Ich sprang vom Bett und ging auf ihn zu. „Also natürlich sollte das jetzt nicht heißen, dass du nicht begehrenswert bist. Ich bin mir sicher, dass es unzählige Mädchen oder vielleicht sogar Kerle gibt die voll auf dich abfahren.“
Seine Augen weiteten sich. „Sehe ich in deinen Augen auch nur annähernd bi aus?“
„Woher soll ich das denn wissen? Ich habe mich noch nicht mit deinen sexuellen Neigungen auseinander gesetzt tut mir leid“, erwiderte ich.
„'Noch nicht'?“ Er hob eine Augenbraue und sah mich amüsiert an.
„Man! Du weißt was ich meine!“, sagte ich genervt.
Jason grinste. „Meines Wissens nach bin ich hetero, nur damit du es weißt.“
Ich musste schließlich ebenfalls grinsen. „Schön, dass das auch geklärt wäre.“
Wir sahen uns an und irgendwann musste ich anfangen zu lachen. Ok, das war natürlich voll dämlich. Ich meine, vor ein paar Stunden noch hatte ich diesen Jungen gehasst und jetzt stand ich hier mit ihm in meinem Zimmer und lachte über sinnloses Zeug! Diese Welt war wirklich verrückt...
Jason schaute auf seine Armbanduhr.
„Oh... ich müsste schon längst zu Hause sein. Ich sollte mich langsam mal auf den Weg machen.“
Ich nickte. „In Ordnung. Soll ich dich noch begleiten, oder schaffst du es auch alleine?“, fragte ich ihn hinterlistig.
Er schmunzelte. „Na, so senil bin ich noch nicht, aber danke.“ Wir standen schweigend voreinander, bis er sich daran erinnerte, dass er seine ganzen Unterlagen noch einpacken musste.
„Also wir sehen uns morgen?“
Ich nickte. Ich verabschiedete mich an meiner Zimmertür von ihm. Meine Mom war immer noch unten. „Klar, schließlich bin ich morgen dran dich zu besuchen. Das lass ich mir doch nicht entgehen.“
Er sah mich bestürzt an. „Wer bist du und was hast du mit Samantha Scythe gemacht?“
Ich lächelte. „Die hat sich wahrscheinlich nur weiter entwickelt.“
Er wollte sich grinsend umdrehen, als er mitten in der Bewegung stoppte und sich nochmals an mich wand. „Außerdem ist Jessica hundert Prozentig nicht in mich verliebt. Wir sind nur sehr gute Freunde.“ Er zwinkerte mir zu, doch ich hatte mir schon ein Kissen von meinem Bett geschnappt und zielte auf sein Gesicht. Er beeilte sich damit aus meinem Zimmer zu gelangen.
Ich ließ mich rücklings nach hinten fallen uns presste mir das Kissen auf den Bauch. Man war das ein schräger Tag. Aber noch viel verblüffender war die Tatsache, dass Jason und ich anfingen uns anzufreunden!
Ich stand immer noch ziemlich verwirrt in meinem Zimmer herum, als mein Handy einen Anruf ankündigte. Als ich einen Blick auf das Display warf sah ich, dass es der 'Chef' war. 'Stimmt ja', viel es mir wieder ein. 'Ich bin ja Auftragskillerin!' Im Laufe des Tages, hatte ich das wirklich vergessen. Das war mir vorher noch nie passiert.
Ich nahm den Anruf an.
„Hey Danny!“, begrüßte ich meinen Anrufer überschwänglich und fröhlich.
„Wie oft noch, du sollst mich nicht so nennen Samantha!“, kam es mürrisch von der anderen Seite der Leitung.
Der Chef hieß eigentlich Alexander Danville, aber da ich ihn auf keinen Fall 'Chef' nennen wollte, weil dies meine Ansicht, dass man im zarten Alter von 22 diesen Titel nicht aus meinem Mund zu hören brauchte, völlig aus der Bahn werfen würde, und mir Mister Danville einfach zu lang war, hatte ich seinen Namen schlicht und ergreifend auf 'Danny' gekürzt, was er eher weniger schön fand.
„Was gibt es denn? Hast dich ja ewig nicht mehr bei mir gemeldet“, überging ich seine Rüge fröhlich. Ich hörte es an der anderen Leitung seufzen, was mich zum Grinsen brachte, es gab fast nichts besseres als Danny in den Wahnsinn zu treiben... für mich jedenfalls. Aber mir verging das Grinsen schnell wieder, als mir etwas auffiel. „Moment mal... du hast dich wirklich schon lange nicht mehr bei mir gemeldet... so lange, dass ich schon gedacht hatte du hättest mich vergessen... oder mich sogar gefeuert!“
„Ja kann sein... es gab nicht wirklich etwas für dich zu tun“, erklärte er stöhnend.
„Und warum meldest du dich ausgerechnet jetzt?“, wollte ich wissen.
„Gewöhne dir wenigstens an, deinen Vorgesetzten mit der korrekten Anrede zu betiteln.“
„Sir? Meister? Eure Durchlaucht? Hoheitliche Eminenz?“
„Ein einfaches 'Sie' würde völlig reichen.“
Ich grinste. „Aber du bist doch gar nicht weiblich!“
Die Stille, die kurzzeitig auftrat, verriet mir, dass er gerade angestrengt versuchte sich zu beruhigen. Ein Bild, welches ihn zeigte wie er sich die Schläfe massierte, tauchte in meinem Kopf auf.
„Also zurück zum Thema: Was möchtest du?“, fragte ich amüsiert.
„Komm zur Zentrale!“ Seine Stimme klang, als wenn er diese drei Wörtchen zwischen den Zähnen heraus gepresst hatte und bevor ich antworten konnte, hatte er aufgelegt.
„Und wann?“, fragte ich mich laut. Wahrscheinlich hatte ich es übertrieben... nun ja er würde es verkraften.
Ich fragte ihn per SMS noch nach der Uhrzeit und bekam auch prompt eine Antwort.
Am besten jetzt!
So liebenswert und nett wie immer. Eines Tages suche ich für diesen Typen die besten Antidepressiva die es gibt, ohne Nebenwirkungen.
Aber jetzt gab es andere Dinge, über die ich mir Gedanken machen konnte. Zum Beispiel wie ich aus dem Haus kam, ohne das meine Mutter etwas davon mit bekam.
Ich entschloss mich, mir ersteinmal meine Schuhe anzuziehen. Ich schlüpfte also in meine schwarzen Sneaker und wartete darauf, dass mir eine unglaubliche Idee in den Kopf schoss. Leider war dem nicht so.
„Auf dieses Gehirn ist aber auch nie verlass“, murmelte ich verdrießlich. 'Ok Sam, am besten du machst es auf die schlichte und einfache Methode.' Dies bedeutete meiner Mom mitteilen, dass ich mal weg müsste und erst später zurück kam. Natürlich wussten meine Eltern nicht, dass ich Auftragskillerin war, was würden sie denn sonst von mir denken. Ich würde mein Zimmer darauf verwetten, dass sie sich die Schuld dafür geben, von wegen falsche Erziehung und dergleichen.
Ich schrieb einen Zettel mit dem eben besagten Inhalt und legte ihn bereit, um ihn später an die Tür zu kleben.
Nachdem diese Formalität geklärt wäre, wollte ich mich den Vorbereitungen widmen.
Dafür wandt ich mich der Wand neben meinem Kleiderschrank zu und tastete an dieser etwas herum, bis ich einen unsichtbaren Schalter fand, diesen betätigte ich.
Mensch was war ich froh, dass meine Eltern niemals in mein Zimmer kamen wenn ich hier war, sonst würden ihnen jetzt wahrscheinlich die Augen ausfallen.
Ein mechanisches Klicken erklang und mein Schrank wurde aus der Wand heraus gefahren nur um sich zu drehen, so dass ein kleinerer Schrank plus Schaltzentrale auftauchte.
An diese Setzte ich mich und gab ein paar Befehle ein. Unter anderem löste ich damit das Schloss zu meinem fahrbaren Untersatz und zum anderen entriegelte ich damit meine Waffenkammer. Man... öhm... frau wusste ja nie...
Nachdem ich auch dies geregelt hatte ließ ich die Zentrale wieder einfahren und wollte mich auf die Socken machen, als mein Blick in den Spiegel fiel.
Mein jetziges Outfit war zwar absolut cool, aber nicht gerade passend um mich frei in einem Gebäude voller Auftragskiller zu bewegen. Also würde ich mich wohl oder übel umziehen müssen. Wieso hatte ich plötzlich das Bedürfnis genervt aufzustöhnen und mit den Augen zu rollen? Unter anderen, da dies eh keiner außer mir wahrgenommen hätte.
Ich trat nochmals an meinen Schrank und öffnete die Tür ganz. Dann stieg ich rein. Ja ich hatte einen begehbaren Kleiderschrank der nur getarnt war, habt ihr ein Problem damit?
Nachdem ich irgendein schwarzes bauchfreies Top und eine ebenso schwarze Hose raus gefischt und angezogen hatte war ich mir sicher, dass ich nichts vergessen hatte und nahm den Zettel, mit der Nachricht an meine Eltern und klebte diesen an meine Zimmertür, dann lief ich die Treppen hinab.
Während ich mit dem kleinem Schlüssel in der Hand spielte ging ich auf die Garage zu und öffnete diese heimlich. Meine Nachbarn mussten ja nicht alles mitbekommen.
Ich ging dort hin, wo das geheime Versteck war und öffnete eine unsichtbare Luke, dessen Verriegelung ich erst vor ein paar Minuten gelöst hatte.
Ich ging den Gang entlang, der stetig nach unten führte, bis ich zu einer weiteren Tür kam und diese öffnete. Ein für Normalsterbliche atemberaubender Anblick bot sich mir. An den Wänden gingen Neonstoffröhren an, welche ein ganzes Arsenal an Waffen beleuchteten.Von kleinen handlichen Wurfmessern bis großen Schießwaffen war fast alles vertreten. Und mit 'fast alles' meinte ich auch fast alles! Während andere Mädchen meines Alters Schuhe und dergleichen Sammelte hatte ich mich auf das Sammeln von Waffen spezialisiert. Natürlich hatte ich für die größeren Auch einen Waffenschein, ein bisschen Legalität muss es auch in meiner Branche geben.
An den Wänden, an denen keine Waffen hingen, waren Accessoires jeglicher Art vertreten. Von Handschuhen bis Taschen über Gürtel und Motorradanzüge. Jaja ich weiß,letzteres war kein Accessoire, aber trotzdem sehr wichtig für mich. Und das gerade jetzt. Denn mitten in dem kleinen Raum stand der Traum eines jeden Motorradfanatikers. Meine neuste Eroberung. Von den Mechatechnikern meiner Organisation aufgemotzt bis in die letzte Felge hinein.
Kohlrabenschwarz, schlitzförmige Scheinwerfer, langer Sattel, schnell wie der Blitz, leise wie eine Raubkatze auf der Pirsch, kaum Reibung und einfach nur genial.
Mein 'Thunder'! Da stand es. Wartete geradezu darauf, dass ich mich in die Schutzkleidung schmiss und mich auf ihn setze um mit ihm alle Straßen unsicher zu machen und ja, das würde ich tun, aber erst würde ich ein bisschen Packen müssen.
Ich nahm eine schwarze Umhängetasche von einen der Haken und verstaute, scheinbar willkürlich, ein paar Waffen jeglicher Art dort hinein. Ein paar kleinere Wurfmesser, Kampftaschenmesser, wobei ich die Butterflys bevorzugt benutze, meine Desert Eagle, eine 5 mm und eine 2.5 mm Pistole und diverses anderes.
Als ich fertig war, konnte ich die Tasche gerade noch so bewegen, ohne dass sie klimperte. Stolz grinste ich und zog mir meine Motorradklamotten an, in schwarz natürlich, mit blutroten Mustern, es gab nichts besseres! Natürlich hatte ich vorher den kleinen silbernen Schlüssel aus den tiefen meiner Hosentasche gefischt. Während ich mir die Tasche umhängte, ging ich langsam auf mein Baby zu und setzte mich rittlings darauf. Ich aktivierte das Zündschloss und gab etwas Gas. Langsam fuhr ich an, den Gang entlang, bis ich zu den Motorradhelmen kam. Dort schnappte ich mir den, der Farblich zu meinem Aufzug passte. Dabei sollte ich eventuell erwähnen, dass ich ca 20 Helme und die dazu passenden Outfits hatte.
[Jetzt fragen sich sicher einige von euch, ich vermute mal, dass es die ganz neugierigen und altklugen unter euch sind, die der Meinung sind, dass sich ein sechzehnjähriges Mädchen so etwas eigentlich nicht leisten dürfen könnte. Den Jenigen unter euch, die sich das wirklich gedacht haben, kläre ich natürlich auf, die anderen dürfen diesen Absatz gerne überspringen, es hat mit der eigentlich Storyline eh nicht viel am Hut. So... also nur mal zur Erklärung: Meine Waffen bekomme ich hauptsächlich von der Firma. Da diese die meisten auch herstellt ist das wahrscheinlich einleuchtend. Die ganzen technischen Accessoires und das ganze andere Brimborium von wegen technisch weiter entwickeltes Zimmer/ Haus (ja mein... öhm... unser ganzes Haus ist mit dem technischen Kram ausgerüstet) ist ebenfalls von der Firma. Im Geheimen installiert, als meine Eltern bei der Arbeit waren und es wird immer wieder aufgebessert. Wenn meine Eltern wüssten, dass sie eine der besten Alarmanlagen des Landes besaßen, würden sie wahrscheinlich große Augen machen, allein schon das wäre es mir wert bei uns einzubrechen, aber mein Chef hat es mir natürlich verboten, dieser Spielverderber! Aber zurück zum Hauptnebenthema. Also wie schon gesagt, der Großteil des ganzen Schnickschnacks was hier hängt und so weiter ist von der Firma, aber einen kleinen Teil habe ich auch selbst bezahlt... mit dem Geld welches ich von der Firma für erledigte Missionen bekomme und Leute ich kann euch sagen... es ist nicht wenig! Nun... eigentlich habe ich gelogen, wenn man sich das alles mal so ansieht ist irgendwie alles hier von der Firma... ein Teil nur durch Umwege von meiner Hand. So neben all diesen wirklich hilfreichen Zwischeninformationen die ich euch freundlicherweise zur Verfügung gestellt habe und mit denen ihr jetzt natürlich total viel Anfangen könnt und damit all eure kleinen weltlichen Probleme gelöst wären, können wir zur eigentlich Hauptstory zurück kehren. Und da ihr sicherlich vergessen habt, wie die Story vor dieser kleinen Erklärung endete, rate ich denjenigen die unter leichtem Gedächtnisverlust leiden, was ich natürlich niemandem wünsche, außer vielleicht dem Freude... öhm... also den rate ich oben einfach nochmals nachzulesen.]
Ich setzte mir den Helm auf und lies den Motor erneut an, diesmal fuhr ich bis zu der Gegenüberliegenden Wand und drückte dort einen Knopf. Wie zu erwarten war, ertönte erneut ein mechanisches Klicken und die vermeintliche Wand fuhr in den vermeintlichen Boden.. aber dazu kommen wir später...
Scherz! Der Boden war völlig normal... nur das dort vermeintliche Wände einfahren konnten. An Stelle der Wand, ich verkneife mir das 'vermeidlich' an dieser Stelle, trat nun eine lange erleuchtete Strecke, die unterirdisch verlief und zu einer Straße führte, von der ich unentdeckt zur Firma fahren konnte, was ich nun auch tun sollte, ich hatte schon genug Zeit vertrödelt und Danny ist ganz sicher alles andere als begeistert.
Ich fuhr die Strecke entlang und um mich herum leuchtete es wie ein nicht enden wollender Strom von Fasern, bis ich einige Minuten später spürte, wie sich die Maschine nach oben beugte und ich auf ein Licht zu fuhr. (Nicht DAS Licht ihr gläubigen Fanatiker!) Ich kam an einer Landstraße hervor und fuhr diese weiter, bis zur Stadt, welche zum Glück nicht weit weg war.
Unsere Firma war... oh Wunder!... hauptsächlich unterirdisch. Natürlich hätte man die Wege alle Unterirdisch dorthin führen lassen können, aber das hätte eine völlige Veränderung der Stadtkarte und das eventuelle Auffliegen unserer Firma zu Folge. So, dass man sich mit den paar unterirdischen Wegen, die nun wirklich nicht auffielen, abgefunden hatte und reichen taten sie ja nun auch. Und außerdem hatte die Organisation eine geniale Tarnung. Wer vermutete schon eine Killerorganisation unter einem gewöhnlichen Postamt?
Ich fuhr um das Gebäude herum, stieg ab, rollte mein Motorrad zum Hintereingang und holte eine schwarze Karte aus meiner Motorradjacke, diese ließ ich schnell durch den Schlitz der Tür fahren, diese öffnete sich und ein riesiger Fahrstuhl kam zum Vorschein. In diesen rollte ich mein Motorrad hinein und fuhr hinunter in den sechzehnten Stock. Das praktische an diesem Fahrstuhl war, dass er nicht nur senkrecht, sondern auch waagerecht fahren konnte. Das hieß, dass man so ziemlich jede Abteilung mit dem Teil erreichen konnte, für die Faulen unter uns, die nicht zu Fuß gehen wollten. Oder für diejenigen die irgendwas von einer Abteilung in die andere Reichen mussten und das so sperrig oder schwer war, dass man damit unmöglich durch die halbe Firma watscheln konnte.
Als ich unten ankam öffnete sich die Fahrstuhltür und ich schaute einem grummeligem Alexander entgegen.
„Wie oft soll ich dir eigentlich noch sagen, dass du dein Motorrad oben parken sollst?!?“, fragte er aufgebracht.
„Ich freue mich auch dich zu sehen Danny“; entgegnete ich und lächelte ihn keck an. Auch wenn er ein total verbissener Charakter war, musste ich zugeben, dass er nicht schlecht aussah. Sein schwarzes Haar, welches ihn an normalen Tagen für gewöhnlich ins Gesicht hing und ihm damit ein noch verwegeneres und jugendlicheres Aussehen gab als sowieso schon, hatte er heute streng zurück gegelt nur einzelne Strähnen hingen ihm ins Gesicht und betonten dabei seine markanten Gesichtszüge. Sein durchtrainierter, muskeldurchwachsener Körper war in ein Hemd, dessen obere Knöpfe geöffnet waren und einem Anzug gehüllt. Seine feine silberne Kette, die er schon seid dem Tag um den Hals trug an dem ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, lugte leicht hervor. Alles in allem war er also ein ganz attraktiver Anblick und auch die Tatsache, dass er mich mit mörderischen und leicht genervten Blicken fixierte, änderte daran nicht viel.
„Also warum sollte ich nochmal hierher kommen?“, fragte ich, während wir die Gänge entlang zu meinem Büro gingen.
„Ich habe Neuigkeiten für dich“, entgegnete mein Chef knapp. Ich stöhnte auf.
„Mensch Danny, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen und sag endlich was du zu sagen hast!“
Er holte eine Mappe hervor, die ich vorher nicht bemerkt hatte und reichte sie mir.
„Was ist das?“, wollte ich wissen und nahm sie mit einer Hand entgegen, während ich mit der anderen Hand versuchte Thunder zu lenken, was mir fast nicht ganz gelang und ich musste anhalten.
„Das sind die Daten deines neuen Partners.“
Mir wäre Thunder fast aus der Hand gefallen, als ich ihn gerade auf seinen Ständer stellen wollte.
„Bitte was?!? Mein Partner? Wer kommt denn auf so einen Mist?!“, fragte ich aufgebracht. Alle wussten doch, dass ich mit einem Partner nicht klar kam. Ich war ein Einzelkämpfer.
Danny seufzte. „Lass uns in dein Büro gehen und dort alles besprechen.“
ich war zu perplex um etwas zu entgegnen und so endete es damit, dass ich ihm schweigsam bis zu meinem Büro folgte mit Thunder als Stütze.
„Das Ding lässt du hier draußen stehen, ich will nicht, dass meine Mitarbeiter ihre Fahrzeuge mit in ihr Büro nehmen.“
Ich nickte nur stumm und tat was er wollte, während ich in Gedanken versunken meine Arbeitsfläche betrat.
Wieso sollte ich einen Partner bekommen? War ich denn nicht eine der besten Argentinnen? Hatte ich nicht bis jetzt jeden Auftrag bis zur Vollsten Zufriedenheit erfüllt gehabt? Ich setzte mich auf meinen Schreibtischstuhl und öffnete die Mappe.
Es war weder der vollständige Name und das Alter noch ein Bild von meinem neuen Partner Abgedruckt. Das einzige was ich der Mappe entnehmen konnte war, dass er männlich war, mit Nachnamen Chakram hieß und schon viele Erfahrungen in einer unserer Schwesterorganisationen gesammelt hatte. Ein paar Nebeninformationen bezüglicher seines Familienstandes und dergleichen entnahm ich, dass er nicht sehr viel älter als ich sein durfte. Aber wieso gab es nicht mehr Informationen?
„Danny, hier steht kaum etwas drinne! Willst du mich verarschen?“ Ich wurde langsam ernsthaft wütend. Danny hatte sich mir gegenüber gesetzt und musterte mich kalt.
„Ganz im Gegenteil, dein Partner hat ausdrücklich den Wunsch geäußert, dir nur die nötigsten Informationen zu übermitteln.“
„Ah und wo ist dieser ach so toll Hecht? Wann lerne ich ihn kennen? Kurz vor einer Mission, während einer Mission? Oder lasst ihr euch etwas wirklich brillantes einfallen?“
„Beruhige dich Samantha, du wirst ihn schon früh genug kennen lernen.“
Ich atmete gereizt ein und aus um seiner Aufforderung nachkommen zu können. „In Ordnung... und darf ich wenigstens erfahren wie ihr auf diese grandiose Idee gekommen seid?“
Dannys Mundwinkel verzogen sich zu einem schelmischen Grinsen. „Du bist noch jung, wir waren der Meinung, dass du vielleicht auch in deinem Arbeitsumfeld eine Stütze gebrauchen könntest der du vertraust.“
Diese Worte trugen eher negativ zu meiner Beruhigung bei. „Seid ihr noch ganz dicht? Was ist denn das für eine bescheuerte Ausrede? Falls ihr damit sagen wollt, dass ich einsam wäre habt ihr euch geschnitten. Ich habe Freunde auf die ich mich verlassen kann.“
„Samantha, du hast eine beste Freundin auf die du dich wirklich verlassen kannst und eine Gruppe von Mädchen die auf dich aufpassen damit dir nichts passiert und diese Personen sind in deinem privaten Umfeld die einzigen die von deiner Arbeit wissen und sonst hast du nur Leute die dir in ihrem jugendlichen Wahn hinterher schwärmen. Ist das wirklich eine Stütze? Mit deinen Mitarbeitern kommst du zurecht, aber eine tiefere Bindung hast du zu keinem. Du hockst wenn du hier bist in deinem Büro über Papierkram und gehst einzelne Fälle nach. Zu Missionen gehst du alleine und kehrst meistens recht angeschlagen zurück. Du hast keinen mit dem du dich absprechen kannst oder bei dem du dir Rat holen kannst außer mir und selbst das verkneifst du dir in den meisten Fällen. Und mit deinen Eltern kannst du auch nicht reden. Denkst du wir machen uns da keine Sorgen, dass eine unserer besten Agentinnen nicht irgendwann zusammenbricht?“
Ich hatte ihm die ganze Zeit stillschweigend zu gehört und fühlte mich plötzlich einsam und verlassen. Er wusste ja nicht, dass ich mich mit meiner einzigen besten Freundin gestritten hatte. Und erst jetzt spürte ich, dass er mit allem was er gesagt hatte recht behielt. Miranda und ihre Clique waren wirklich nicht mit mir befreundet, auch wenn ich immer versucht habe es mir einzureden. Sie sollten auf mich aufpassen... wie Miranda schon gesagt hatte: Es war nur ihr Job. Und die anderen? Sie rannten mir hinterher weil sie mich cool fanden, aber keiner von denen kannte mich wirklich. Und keiner von denen hatte sich bis jetzt die Mühe gemacht, mich näher kennen zu lernen.
Ich seufzte verbittert auf.
„Ok, du hast recht. Ich bin einsam, na und? Bis jetzt bin ich ganz gut alleine klar gekommen! Ich habe meine Missionen bis zur vollsten Zufriedenheit erfüllt und nicht ein einziges Mal irgendwelche Spuren hinterlassen! Ich brauche keinen Partner!“, sagte ich verbissen.
„Du brauchst gar nicht erst mit mir zu diskutieren junge Dame. Du bist gesetzlich Gesehen noch ein Kind und allein dafür, dass wir dich los schicken um das Leben anderer Menschen zu beenden, könnte man uns einsperren. Das ist gegen das Jugendschutzgesetz!“
„Das passiert doch alles mehr oder minder legal Danny, erzähl mir nichts. Die meisten die ich töte sind entweder gesuchte Verbrecher, oder reiche Firmenbesitzer die schon eine Menge Dreck am Stecken haben, denen man aber nichts nachweisen konnte. Theoretisch rette ich mit meinen Aktionen doch Leben.“
Dannys Augen verdunkelten sich. „Fange nicht an, deine Arbeit als spaßig zu empfinden Samantha. Du beendest das Leben eines Menschen! Das ist nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen darf.“
Ich schluckte. Diese Worte von ihm kamen mir erschreckend bekannt vor und ich wusste auch woher. Als ich der Organisation vor gut sieben Jahren beigetreten war, hatte mir der damalige Firmenchef zu Anfang eine Moralpredigt erster Klasse gehalten. Ich konnte mich selbst jetzt noch an den genauen Wortlaut erinnern, obwohl ich damals gerade mal zehn Jahre alt war.
„Samantha, es freut mich, dass wir dich hier bei der 'Contra Dicio' begrüßen dürfen. Mit deiner Unterschrift hast du dich dazu bereit erklärt allen Regeln dieser Firma bis zum letzten zu folgen und das Geheimnis mit in dein Grab zu nehmen.
An dieser Stelle habe ich ihn verdutzt angesehen. Mit Zehn Jahren denkt man für gewöhnlich noch nicht an so weitreichende Dinge wie den Tod nach. Ich denke an dieser Stelle wurde mir erst wirklich bewusst wie ernst die ganze Sache eigentlich war.
Eins solltest du aber wissen kleine Samantha: Dies ist kein Spaß, du darfst niemals vergessen was du hier eigentlich tust. Das du nach deiner Ausbildung das Leben anderer Menschen beenden wirst. Das du dies ohne Befugnis tun wirst. Keiner hat das Recht anderer Menschen Leben auszulöschen und wenn du daran gefallen finden solltest, werden wir dich aus der Organisation verbannen und vielleicht, wenn es zum Äußersten kommen sollte, auch eliminieren müssen!“
Damals hatte ich selbstverständlich nicht wirklich verstanden was er da zu mir gesagt hatte, aber nach der Zeit war es mir immer klarer geworden. Übersetzt hieß es: Wenn du zum unbändigen, blutsüchtigen Killer wirst, werden wir dich zum Schutze und Wohl aller töten müssen!
Ich seufzte auf.
„Ich verstehe was du sagen willst und ich kann dich beruhigen, dass ich niemanden umbringe, von dem ich nicht persönlich überzeugt bin, dass er illegalen Machenschaften nachgeht. Es sei denn der Auftrag kommt vom Staat persönlich.“
Danny hob skeptisch eine Augenbraue. „Obwohl auch der Staat manchmal zu illegalen mitteln Greift?“
Ich lachte. „Sag das bloß nicht laut, mein Lieber.“
Er knurrte verärgert. Er hasste es wenn ich vertraut mit ihm umging, das Duzen gefiel ihm ja schon nicht, aber wie schon gesagt, mir war es egal. Während ich ihn unschuldig angrinste viel mir auf, dass ich gar nicht mehr sauer auf ihn war. Ich seufzte.
„Nun gut, du hast gewonnen. Ich werde mir diesen 'Partner' mal ansehen, aber wenn ich auch nur einen Makel an ihn finde oder ich ihn unsympathisch finde, wird dieses Projekt sofort gestoppt, einverstanden?“
Danny überlegte. „Nun... anscheinend ist es das Äußerste zu dem ich dich bitten kann, wenn wir schon über deinen Kopf hinweg entscheiden... und da ich nicht denke, dass du mit deinem neuen Mitarbeiter nicht klar kommen wirst nehme ich deinen Kompromissvorschlag an.“
Er schlug in meine ihm hin gereichte Hand und schüttelte sie mit einem kräftigen Griff.
„Nachdem wir das also auch geklärt hätten... wolltest du noch etwas bestimmtes von mir? Wenn nicht, würde ich gerne nach Hause.“
„Ja... es gäbe da etwas... aber das erzähle ich dir beim nächsten Mal, wenn wir uns treffen.“
Ich schaute ihn verwirrt an, fragte aber nicht nach. Manchmal war schweigen wirklich Gold und in diesem Fall wahrscheinlich sogar Platin. Denn ich hatte es im Gefühl... dass das, was er mir nicht sagen wollte, alles andere als witzig war.
Also verabschiedet ich mich ohne viele Worte von ihm, verließ gemeinsam mit Thunder das Gebäude und düste nach Hause um noch einmal so richtig zu relaxen.
Kapitel 3
Kennt ihr dieses Gefühl, wenn ihr am Morgen eure Augen aufschlagt und intuitiv wisst, dass der Tag eine große Überraschung für euch bereit hält? Nicht? Macht nichts, ich kannte das Gefühl bis heute auch nicht.
Ahnungslos wie ich war stand ich wie jeden Morgen auf und machte mich fertig für die Schule. Zusätzlich packte ich noch ein paar Pflegeprodukte und Accessoires für den Nachmittag ein. Schließlich hatte ich vor aus Jason eine annehmbare Persönlichkeit zu machen.
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Jessica mich abholen würde und ich hatte mich auch nicht geirrt. Wäre ja auch ziemlich sinnlos sauer auf mich zu sein und mich dennoch abzuholen, obwohl es gar kein so großer Umweg von ihrem Haus zu meinem Haus war.
Völlig motiviert und voller Elan schritt ich die Straßen entlang und grinste jeden der mir entgegen kam breit an, was nicht selten zu überraschten bis fragenden Blicken in meine Richtung führte. Aus einem mir unbekannten Grund war ich dermaßen guter Lauen, dass ich mich sogar auf Mathe in der zweiten und dritten Stunde freute. Ich nahm mir sogar spontan vor heute mal freundlich zu Herrn Freude zu sein!
Kurz: Ich war eine geballte wandelnde Portion Optimismus!
„Ok... was ist los mit dir?“, fragte mich Rick. „Hast du dem Freude ein rohes Ein in den Schuh gelegt?“
„Ich bin kein Huhn und kann demnach keine Eier legen“, erwiderte ich ohne ihn weiter zu beachten. Meine gesamte Aufmerksamkeit galt dem kleinem brünettem Mädchen welches auf ihrem Platz saß und eine Diskussion mit Jason führte. Geradewegs ging ich auf die beiden zu, doch als ich vor den beiden stand verpuffte mein gesammelter Mut und ich konnte nur dämlich herum stehen.
Irgendwann ließ sich Jessica dazu herab ihre Unterhaltung zu unterbrechen und mich aus den Augenwinkeln erwartungsvoll anzuschauen.
„Ähm... hey ihr beiden“, murmelte ich. Jaja von wegen voller Elan. Mir war das ganze total peinlich und dieser Umstand wurde garantiert nicht davon gemildert, dass sich ein paar meiner Mitschüler zu mir umdrehten und das Szenario gespannt verfolgten.
Jessica hatte ihren Kopf jetzt ganz in meine Richtung gedreht.
„Wieso warst du gestern denn nicht da?“, fragte sie schließlich.
Wenn es etwas gab was sie gut konnte, dann war es mich zappeln zu lassen!
„Öhm... mir ging es irgendwie nicht so gut...“, gab ich betrübt zu.
„Oh du Arme... was hattest du denn?“ Ihr Ton hätte sachlicher nicht sein können. Damit machte sie jedem Geschäftsmann alle Ehre!
Ich schluckte. „Ach... mir war etwas flau... nichts ernstes... aber Jason war ja so nett mir die Aufgaben rüber zu bringen...“ Ich spürte die Blicke die zwischen mir und Jason hin und her schwenkten. Ja ich spürte auch die plötzlich aufgekommene Stille. Ja, ich bemerkte auch, dass sich Jessicas Augen kaum merklich weiteten! Mensch, so interessant war mein Leben nun auch wieder nicht!
Meine noch-beste Freundin stand auf und kam auf mich zu. Wir standen mehrere Sekunden voreinander und sahen uns nur an, dann nahm sie mich plötzlich in den Arm.
„Ich bin so stolz auf dich Sam“, sagte sie lächelnd. Ich wusste mit dieser Reaktion nicht wirklich viel anzufangen, aber anscheinend waren zwei Mädchen die sich umarmten doch nicht so spannend, denn die anderen hatten sich wieder von uns abgewandt und gingen ihren eigenen Gesprächen nach.
Selbst als mich Jessica längst wieder los gelassen hatte stand ich immer noch leicht verwirrt da.
'What just happened?', ging es mir durch den Kopf und mich hätte es nicht gewundert wenn plötzlich ein riesiges Fragezeichen über dem Selbigen aufgetaucht wäre.
„Ich bin verwirrt“, gab ich schließlich zu.
Jessica strahlte mich an und ich wurde an eine tausend Watt Glühbirne erinnert.
„Jason hat mir natürlich erzählt wie es gestern bei dir lief und ich bin so stolz, dass du über deinen Schatten gesprungen bist. Ich wusste doch, dass ihr beide euch verstehen würdet.“
Ich wusste nicht ob ich peinlich berührt, sauer, oder einfach nur gleichgültig fühlen sollte, deshalb entschied ich mich dafür alles gleichzeitig zu sein.
„Öhm... ja... also... wie kommst du Kartoffel eigentlich dazu Jessica alles zu verraten?!? Obwohl... ist ja auch egal.“
Ich wagte es nicht mich umzuschauen, denn auch so wusste ich, dass mich sehr viele musterten. Man war das peinlich. Stocksteif machte ich mich auf den Weg zu meinem Sitzplatz und als ich mich ersteinmal auf ihm nieder gelassen hatte, fand ich plötzlich das Interesse an der Oberfläche der Tischplatte. Waren da schon immer so viele Kerben?
'Nun wollen wir doch Vernünftig werden', sagte ich zu mir selbst. 'Was ist denn eigentlich so schlimmes passiert? Du hast dich doch anscheinend wieder mit Jessica vertragen' 'Ja und alle hielten mich für Geisteskrank, da ich jetzt auch noch mit Jason abhing', entgegnete ich mir selbst. Was ja schon krank genug war. Reichte es denn nicht Schizophren zu sein? Musste ich jetzt auch noch Selbstgespräche führen?
Am Rande meiner merkwürdigen Ich-Konferenz bekam ich nur noch mit wie unsere Englischlehrerin den Raum betrat, die Stunde sich hinzog und es irgendwann zur Pause klingelte.
Nach einer fünf Minütigen Pause, in der sich meine körperlichen Aktivitäten immer noch auf das herum Sitzen und Löcher in die Luft Starren beschränkte, kam Herr Freude grummelnd und schlecht gelaunt wie eh und je in den Raum gerauscht und ließ seine Tasche theatralisch auf das Lehrerpult fallen. Nach nicht einmal fünf Sekunden ließ er seinen Blick auf mich fallen. Wir beide warteten darauf, dass der andere irgendetwas sagte, wobei ich keine Lust hatte mich großartig mit ihm anzulegen. Das verblüffte ihn dermaßen, dass er ein 'Guten Morgen' in den Raum warf und sich seinen geliebten Mathematikformeln widmete.
Die Mathestunde wurde aus mehreren Gründen langweilig. Erstens, Mathe konnte bei einem Lehrer wie ihm nicht anders als der totale Gähner sein. Zweitens: Ich hielt die ganze Stunde über die Klappe. Nicht einmal die provozierende Frage, ob ich meine Zunge verschluckt hatte, befreite mich von meinem Schweigen. Hatte ich mich etwa ohne es zu merken, dazu entschlossen in Enthaltsamkeit, zu leben, was das in den Wahnsinn Treiben meiner Mitmenschen betraf? Nein, ganz sicher nicht. Ich war nur immer noch Mental verwirrt.
Es gab mehrere Gründe warum 20 Minuten Pausen so gar nicht toll waren. Der Hauptgrund weshalb ich diese Pause nicht mochte, war das Leute zu mir herüber kommen konnten um mich mit unnötigen Fragen zu Löchern. Wie zum Beispiel Cindy, die natürlich wissen wollte, was Jessica mit ihrem Kommentar von wegen Jason und mir gemeint hatte.
Meine Antworten vielen ziemlich knapp aus:
„Nein, wir sind nicht zusammen.“
„Ja, er war gestern bei mir.“
„Nein, wir hatten kein Schäferstündchen.“ Igitt!
„Ja, er ist ganz in Ordnung.“
„Natürlich sieht er aus wie ein Spießer.“
Während ich versuchte in diese Antworten so wenig Informationen wie möglich zu stecken, fragte ich mich innerlich, wann sie sich endlich vom Acker machen würde, als Rick angekrochen kam.
„Hey Sam, stimmt es, dass du jetzt mit diesem Jason befreundet bist? Ich hatte immer eher das Gefühl, dass du ihn nicht ab kannst, aber wenn du ihn jetzt doch magst, dann muss er doch eigentlich ganz cool sein und ich könnte...“
Ich entschloss mich ihm nicht weiter zuzuhören, stand auf und ging aus der Klasse. Ja ich weiß, ich nahm es nicht so genau mit der Höflichkeit.
Ich ging in Richtung der Sanitären anlagen, als ich an einer Tür vorbei ging, die sich urplötzlich öffnete und eine Hand zog mich hinein. Das ging alles so schnell, dass ich ersteinmal meine Gedanken sammeln musste, bevor ich mir die Mühe machte meinen Gegenüber zu mustern.
„Oh, ihr seid es“, sagte ich nach ein paar Sekunden.
Jessica grinste mich an. „Sorry, dass ich vorhin so laut war. Jetzt musst du dir diese nervigen Fragen antun.“
Ich massierte mir die Schläfe. „Passt schon. Ich kenne schlimmeres.“ Oh ja, das tat ich.
„Zum Glück musst du nur noch zwei Stunden durch halten.“
Stimmt... ich hatte ganz vergessen, dass wir heute nur vier Stunden hatten.
„Ganz sicher, dass du heute noch mit zu mir willst? Irgendwann musst du dir sonst noch Gerüchte zwischen dir und mir anhören.“
Jason hob besorgt eine Augenbraue. Wie hatte ich diesen Kerl nur hassen können? Er fing sogar an sich Sorgen um mich zu machen. Ich wusste nicht ob ich das süß finden sollte, oder nicht, dennoch lächelte ich, bis er weiter sprach.
„Das wäre nicht gut für mein Image.“
Meine Mundwinkel fingen an zu zucken. „Nachdem ich mit dir fertig bin, kannst du dir dein jetziges Image sonst wo hin stecken. Aus dir wird ein ganzer Kerl gemacht mein Lieber“, sagte ich herausfordernd.
Wir funkelten uns gegenseitig an, bis Jessica sich seufzend zwischen uns stellte.
„Leute, kriegt euch wieder ein. Bist du dir ganz sicher, dass ich nicht zu kommen brauche Jase?“
Ich hob fragend eine Augenbraue. Warum wollte Jason nicht, dass Jessica auch kam. Er warf mir kurz einen streng Blick zu, den Jessica nicht sah. Ich hielt einfach mal den Mund.
„Du wolltest doch, dass sich Sam und ich annähern, das funktioniert doch am besten, wenn wir alleine sind. Oder bist du da anderer Meinung?“
Jessica lächelte ihn an. „Natürlich nicht, mach was du für richtig hältst.“
Nein, sie stand nicht auf ihn. Deshalb sah sie auch nur so aus, als würde sie ihm gleich um den Hals springen.
Ich stöhnte auf. Na Klasse! Meine beste Freundin hatte sich in ein solches Individuum verliebt!
Hey, nur weil ich anfing ihn zu mögen, hieß es noch lange nicht, dass ich solch eine Beziehung auch tolerieren musste. Da musste ich doch als beste Freundin ein Machtwort sprechen.
„Jessica, wenn du ihn so anlächelst könnte man denken du stehst auf ihn“, klärte ich sie auf, nur um ihre Reaktion zu testen. Überraschender war es, für Jason und mich gleichermaßen, dass sie rot wurde! Nun... dass machte mir jetzt doch Angst.
„Hahaha... wie du nur immer auf so etwas kommst Sam! Du bist ja so witzig.“ Völlig energisch klopfte sie mir auf den Rücken und lachte. Doch der Blick den sie mir darauf folgend zuwarf konnte nur 'Halt die Klappe' bedeuten.
„Öhm... ja... war nur ein Witz“, versuchte ich mich hoffnungslos aus der Affäre zu ziehen.
Es war ganz sicher nicht schlau mich kurz nach unserer Versöhnung gleich wieder mit ihr zu streiten. Am besten, ich würde ihr jetzt in allen Lebenslagen zustimmen.
Gott konnten Frauen kompliziert sein!
„Wollen wir einen auf Mission Possible machen und uns auffällig unauffällig über den Schulhof schleichen, oder meinst du wir sorgen auch so für genügend Aufmerksamkeit?“
„Letzteres und jetzt schau nicht so belustigt, ich laufe Gefahr mein Image in den Dreck zu ziehen und das nur, um Jessica einen Gefallen zu tun.“
Jason grinste immer noch. Ich musste ziemlich mit mir ringen, um ihm keine runter zu Hauen und die Schuld irgendeinem unschuldigem Schwein in die Schuhe zu schieben. Wobei Schweine meines Erachtens nach eher selten zu Schuhen griffen.
„Sei nicht so bissig Sam“, rügte mich Jessica lächelnd und boxte mir in die Seite. Verstand einer dieses Mädchen...
So kam es, dass wir drei lachend und labernd durch die Straßen gingen und ich musste zugeben, dass es mit Jason echt witzig sein konnte. Seine sarkastische, leicht bissige Art war wirklich erfrischend. Und er hatte einen wunderbaren Sinn für schwarzen Humor. Und sein Äußeres würde ich auch gleich aufmotzen. Alles in Allem konnte aus ihm wirklich noch ein würdiger Freundschafts-Kandidat werden.
An der Kreuzung, an der Jessica uns beide verlassen musste, gab sie uns beiden jeweils noch einen Kuss auf die Wange und winkte uns beim Gehen zu.
„Aufgeregt?“, fragte mich Jason nach ein paar Minuten, in denen wir über belangloses Zeug geredet hatten.
„Nein, eigentlich nicht. Wieso? Gäbe es einen Grund?“, erwiderte ich und musterte ihn von der Seite.
„Du lernst meine Familie kennen.“
Ich grinste. „Du hast Geschwister?“
Er grinste zurück. „Wie kommst du darauf?“
„Nun ja, wenn deine Familie nur aus dir und deinen Eltern bestehen würde, hättest du doch sicher 'Du lernst meine Eltern kennen' gesagt. Daher nehme ich an, dass deine Familie Größer ist.“
„Ja stimmt, sie ist größer, aber ich habe keine Geschwister. Meine Großeltern wohnen zusammen in unserem Haus.“
Ich lächelte. Leider bin ich nie dazu gekommen meine Großeltern kennen zu lernen. Die Eltern meines Vaters waren schon gestorben und die Eltern meiner Mutter wollten mit uns nichts zu tun haben. War wahrscheinlich auch besser so. Ich kannte nicht viele Leute die eine psychisch geschadete Auftragskillerin in ihrer Familie willkommen heißen würden.
„Habt ihr eine Art Familienbetrieb?“, wollte ich wissen.
„Nicht ganz....“ Jason hielt sich knapp und ging auf einen schwarzen Wagen zu, der am Straßenrand parkte. „Den Rest des Weges fahren wir mit dem Auto. Mein Haus liegt etwas abseits der Stadt.“
Ich schluckte und nickte. „Ok?“
„Haus?“, fragte ich und schaute den langen Weg bis zur Villa hoch.
„Willkommen bei mir zu Hause“, entgegnete Jason schlicht und öffnete das Tor mit Hilfe einer Zahlenkombination.
Es war ein Wunder, dass mir die Augen noch nicht aus dem Kopf gefallen waren. Und ich hatte gedacht, dass unser Heim groß sei.
„Was, zum Henker, sind deine Eltern von Beruf?“, fragte ich leicht hysterisch werdend.
„Meinem Großvater gehört ein Konzern, ich weiß aber auch nicht so genau, was er da so macht.“
Ich war geradezu sprachlos. So ungefähr hatte ich mir meine Traumvilla immer Vorgestellt. Ein großes weißes Gebäude mit hohen Fenstern inmitten einer grünen Parkanlage mit einer langen, gepflasterten Auffahrt. Jason passte in dieses Bild ungefähr so viel rein, wie ein Nilpferd zwischen Ballerinas!
Ich war mitten im Tor stehen geblieben und glotzte mit offenem Mund vor mich hin. Jason seufzte und kam extra nochmals zurück nur um mich an die Hand zu nehmen und mit zu zerren.
„Wieso hast du nie gesagt, dass deine Familie reich ist?“, fragte ich.
„Hätte es einen unterschied gemacht? Gemocht hättest du mich eh nicht. Außerdem wollte ich meine Freunde nicht wegen der Größe meines Kontos sondern wegen meines Charakters haben.“
Das klang so vernünftig und weise, dass ich nichts weiter dazu sagen konnte.
„Ist das auch der Grund, warum du in so völlig verkorksten Klamotten durch die Gegend tuckerst?“, fragte ich ihn, als wir endlich an der 'Haustür' angekommen waren.
Er zwinkerte mir zu. „Rate mal.“
Er schloss dir Tür auf und uns begrüßten eine Reihe von Hausmädchen, die in der Eingangshalle standen und alle im Chor „Willkommen junger Herr.“ sagten. Ich kam mir vor wie in einem Film. Hätte mich Jessica nicht vorwarnen können?
„Jessica war nicht mit mir hier“, antwortete er auf die Frage und ich glaubte, dass ich sie laut gestellt hatte. „Ich hab dir die Frage angesehen“, sagte er knapp.
„Raus aus meinem Kopf!“, zischte ich, doch er lachte nur und ging an den Mädchen vorbei, die ihr Haupt gesenkt hatten. Man war mir das peinlich!
Ich rannte ihm schnell hinterher und versuchte die schier atemberaubende Größe des Gebäudeinneren nicht zu beachten.
Wir gingen die Treppe hoch, die der Eingangstür gegenüber lag und auch alles andere als klein war. Das hier erinnerte mich an das Innere eines Schlosses!
Nachdem ich den ersten Schock erfolgreich über dir Runden gebracht hatte und wir in seinem 'Zimmer' saßen, konnte ich die vielen Fragen einfach nicht mehr herunter schlucken.
„Jason?“ Ich erschrak als ich meine eigene Stimme in diesem großen Raum hörte. War da etwa ein Schall? Automatisch rückte ich näher an Jason heran. Dieser schien belustigt.
„Ja, Samantha? Was möchtest du?“
Ich massierte meine Schläfe um meine Gedanken zu Ordnen. 'Nun mal ruhig mit den jungen Pferden Sam. Du sitzt hier, in einer riesigen Villa, vor einem Typen den du bis gestern nicht ausstehen konntest... Versuch es als völlig normal anzusehen und beruhige dich wieder.'
Nach meinem inneren Versuch mich zu beruhigen atmete ich einmal tief ein und aus und schaute Jason wieder an.
„Warum wolltest du nicht, das Jessica mitkommt und was hast du vorhin gemeint, als du sagtest, dass sie nicht hier gewesen sei, als sie dich besucht hat?“
Der Glanz in Jasons Augen veränderte sich und er fing an zu grinsen.
„Was dachtest du denn, wie sie reagieren würde wenn sie das alles hier sehen würde? Über mein wahres ich Bescheid wüsste?“
Ich zog eine Augenbraue hoch.
„Wie meinen?“
Er stand ohne weitere Erklärungen auf und ging auf eine seiner Zimmerwände zu, an dieser drehte er sich wieder zu mir um.
„Liebste Samantha Scythe, du unterschätzt mich. Warte hier.“
So wie er an dieser Wand stand konnte ich nicht anders als ihn einfach nur cool zu finden und das in seinen Klamotten! Aber was wollte er jetzt vor dieser Wand?
Diese Frage wurde mir in der nächsten Sekunde beantwortet. Er drückte einen Knopf, den ich bis jetzt nicht bemerkt hatte und ein Durchgang öffnete sich in der Wand.
Diese Villa war also nicht nur riesig, sondern auch High-Tech-Mäßig voll ausgerüstet? Man was waren seine Eltern von Beruf sag mal? Büroangestellte ganz sicher nicht.
Nachdem Jason durch den geheimnisvollen Eingang getreten war und sich die Wand hinter ihm wieder geschlossen hatte, saß ich völlig ahnungslos und verwirrt auf seinem Drehstuhl herum und fragte mich nach dem 'wie' und 'was'.
Ich saß mehrere Minuten lang völlig bewegungslos auf ein und der selben Stelle und hatte meine Sinne geschärft. Wieso nur hatte ich das Gefühl, dass gleich irgendetwas geschehen würde, mit dem ich nicht gerechnet hätte?
Plötzlich fing mein Handy an zu klingeln und stocksteif zog ich es langsam aus meiner Hosentasche um auf dem Display zu lesen, dass es mein 'Chef' war.
„Ja, Sam hier?“, meldete ich mich.
„Wann lernst du dich endlich korrekt zu melden Samantha?“, kritisierte Danny sofort.
„Ja ich freue mich auch von dir zu hören, schon ewig lange her“, erwiderte ich, ohne auf seinen Vorwurf einzugehen.
„Wir haben uns gestern erst gesehen“, entgegnete mein Telefonpartner.
„Achso... stimmt ja. Da kannst du mal sehen wie schnell die Zeit vergeht... aber was möchtest du denn?“, fragte ich ihn.
„Ich wollte nur nachschauen, wie es dir so geht, aber anscheinend geht es dir ganz wunderprächtig... wir sehen uns.“
Noch bevor ich nachfragen konnte, was er damit meinte und warum zum Henker er das Wort 'wunderprächtig' benutzte, hatte er aufgelegt.
Ich seufzte und klappte mein Handy zusammen.
Plötzlich aktivierte sich mein siebter Sinn und ich sprang von der Matratze. Keine Sekunde zu früh, denn an der Stelle, an der ich vor nicht einmal ein paar Sekunden gesessen hatte stach ein Messer in die Matratze.
Ich war genau eine Zehntel Sekunde völlig verwirrt. Was zum Henker sollte das werden? Hatte Jason mich hierher gebracht um mich zu erdolchen? Na der würde mich noch kennen lernen! Eine 'Scythe' erdolcht man nicht so einfach! Sie startet einen blutigen Gegenangriff!
Sobald er aus dieser Wand wieder heraus gekommen war, viel es mir wieder ein. Wie lange konnte man eigentlich in so einer Wand stecken?
Ich beschloss mich in diesem Zimmer nach weiteren Fallen umzusehen und so ganz Nebenbei herauszufinden woher das Messer kam und natürlich mehr über Jason zu erfahren.
Nach weiteren Minuten in denen ich fast von einem Pfeil, einem Speer und einem Langschwert erstochen worden war bekam ich doch leicht klaustrophobische Zustände, das würde mir zu meiner Schizophrenie noch fehlen.
Ich wurde von Sekunde zu Sekunde immer mehr von Mordgelüsten überschüttet und so ziemlich alle richteten sich an meinen Gastgeber, wo blieb dieser eigentlich?
Ich ging an die Wand und klopfte mehrere Male gegen, bis ich die hohle Stelle fand.
Ein diabolisches Grinsen zierte mein Gesicht, bei dem Gedanken, was ich Jason so alles antun würde, sobald ich ihn ersteinmal in die Finger bekommen hatte.
Ich suchte gerade nach diesem mysteriösen Knopf, als sich der Durchgang öffnete und eine Gestalt in einem langen, schwarzen Mantel zum Vorschein kam.
Es hatte mehrere Gründe, warum ich völlig fassungslos den Mund zum Sprechen öffnete und ihn tonlos wieder schloss.
Erstens war diese Person ganz eindeutig männlich. Zweitens waren die Klamotten, welche die Person unter dem Mantel trug nicht nur absolut geil, sondern auch noch stylisch und richtig sexy und drittens: diese Person war niemand anderer als Jason!
All meine Mordgedanken waren verpufft und stattdessen versuchte ich nicht lauthals in schwärmerisches Seufzen zu verfallen.
„Öhm... was ist das?“, fragte ich, sichtlich nach Fassung bemüht.
„Komm her.“ Selbst seine Stimmlage hatte etwas verführerisches und erst jetzt schaute ich ihm ins Gesicht. Seine Brille hatte er abgesetzt und seine Haare fielen ihm lässig und cool ins Gesicht. Was ich durch seinen üblichen Style nicht erkennen konnte war, dass er knallrote Strähnchen in seinem blonden Haar hatte, was nun natürlich ganz und gar nicht mehr nach Streber aussah.
„Jason?“, fragte ich immer noch fassungslos. Das konnte nicht Jason sein! Diese Person verursachte bei mir Herzklopfen verdammt!
„Ja?“, fragte er und wand sich so zu mir um, dass sein Pony ihm von den Augen viel. Ein schelmisches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Meine Beine wurden zu Wackelpudding.
„Was ist dort drinne mit dir geschehen?“, fragte ich und versuchte meine Ich-bin-voll-nicht-von-dir-fasziniert-Stimme einzusetzen.
Er nahm meine Hand und zog mich durch den Eingang. Wir gingen einen langen Gang entlang und ich war so benebelt, dass ich an nichts anderes denken konnte, als an unseren Atem und unsere Schritte welche in diesem schmalen Gang wieder hallten.
Wir kamen an einer Tür an, die zu einem riesigen Raum führte, dessen Wände von Waffen jeglicher Art geschmückt war. Sein Waffenarsenal war sogar weitläufiger als mein eigenes und ich war schließlich die Auftragskillerin von uns beiden... denke ich jedenfalls. Wo wir schon bei dem Thema waren.
„Wozu brauchst du die ganzen Waffen?“, fragte ich.
Er hatte sich einen Koffer geschnappt und angefangen ein paar seiner besten Stücke dort hinein zu verstauen.
„Was denkst du wofür ich sie brauche, Honey?“
„Na das frage ich dich doch“, erwiderte ich gereizt, doch er beachtete mich schon nicht mehr, stattdessen zog er die Plane von einem Motorrad, welches ich bis jetzt nicht bemerkt hatte. 'Sam konzentriere dich! Der Typ hat versucht dich umzubringen und du bist so benebelt von deiner Schwärmerei, dass du nicht einmal mitbekommst, wie er dich um den kleinen Finger wickelt.'
Ich hatte so was von recht! Wie konnte ich nur so unaufmerksam sein? Das war doch sonst nicht meine Art. Ich gab mir innerlich eine schallende Backpfeife und fasste mich wieder.
Ich wich ein paar Schritte zurück und ging in Kampfposition.
„Halt! Bevor ich mit dir auf ein Motorrad steige, will ich wissen was hier abläuft und vor allem, warum du so viele fliegende Waffen in deinem Zimmer hast. Ist dir schonmal der Gedanke gekommen, dass Besucher daran verunglücken könnten?“
Der absolut coole Jason seufzte auf. „Mensch Sam, ich sagte doch bereits, dass ich es dir hier nicht erklären kann und will. Erstens würdest du es nicht glauben und zweitens ist das Ambiente auch nicht unbedingt das beste.“
Ich zog eine Augenbraue hoch. Was meinte er denn damit? Das Ambiente stimmte nicht? Ich sah mich um. Also ich fand es doch wunderbar um irgendwelche geheimen Dinge auszutauschen. Diese ganzen Waffen, metallenen Wände und die Bildschirme welche in diesen Wänden eingelassen waren luden doch geradezu dazu ein Busenfreundschaft mit dieser zwielichtigen Person zu schließen. Ja, ich glaube wenn er mich ließe und mich nicht gegen meinen Willen in Richtung des Motorrads zerren würde, würde ich anfangen über all meine kleinen Frauengeheimnisse zu tratschen.
„Warte! Ich muss mich mental auf das kommende Vorbereiten“, wand ich ein. Jason blieb stehen.
„Was gibt es denn da Vorzubereiten?“, fragte er, ziemlich verständnislos wenn ihr mich fragst. Aber eins musste ich ihm lassen: Die Frage war gut, ich hatte nämlich absolut keine Ahnung was ich darauf antworten sollte. Diese Aussage von mir war mir einfach so raus geflutscht. Aber es ist auch nicht so, dass er ernsthaft auf eine Antwort meinerseits gewartet hätte, stattdessen zerrte er einfach weiter.
Ich hatte gerade entschlossen mich geschlagen zu geben, als mir etwas einfiel.
„Stopp, ich kann gar nicht mit dir aufs Motorrad! Ich hab keine Motorradkleidung mit mir.“
Er hielt kurz verdutzt an, schnaubte kurz und ging zu einer metallenen Wand. Der Typ hatte es aber auch mit diesen Teilen. Nachdem er einen weiteren Knopf betätigt hatte, glitt ein Stück Wand zur Seite und eine ganze Kollektion von Bikeroutfits. Der Typ dachte wirklich an alles.
„Beeil dich“, wies er mich auf.
„Erst wenn du mir erklärst wo wir hingehen!“
Er sah mir in die Augen. „Zur Firma.“
Es brauchte eine Weile bis ich verstand was er da gesagt hatte und dann noch etwas länger als ich das alles in Zusammenhang gebracht hatte.
„Zur Firma? Was soll das heißen zur Firma?“ Es konnte doch nicht sein, dass...
„Ich bin dein neuer Partner, der dir zugewiesen wurde“, erklärte er lässig und ich musste schlucken. Das konnte doch nicht wahr sein!
„Das glaube ich dir nicht, du hast einen ganz anderen Namen als mein Partner“, entgegnete ich.
Er musterte mich gelangweilt. „Sam, Sam, Sam... du enttäuscht mich. Anders als du, kann ich doch nicht meinen wahren Namen in der Schule angeben. Einmal gibt es Jason den Spießer und Langweiler, der unter furchtbaren Modegeschmack leidet und dann gibt es den Jason, den Topagenten unter den Auftragskillern. Der Puma zwischen Hauskätzchen, der dunkelste aller Schatten und dieser Jason heißt mit wahrem Namen Jason Chakram.“
Mein Mund klappte auf. Das Schicksal wollte mir da wohl einen gehörigen Scherz spielen.
„Beweise es, dass du mein Partner ist!“, forderte ich ihn, schon wesentlich weniger enthusiastisch, auf. Er seufzte schwer, Griff auf einen der Arbeitsflächen und kramte eine Profilmappe hervor. So eine die ich gestern erst in Händen gehalten hatte, mit den nicht vorhandenen Daten... von ihm?
Mit zitternden Händen nahm ich sie entgegen und erschrak. Es war eine Mappe über mich, mit all meinen Daten! Familienstand, Freundeskreis, Schule, Klasse. Selbst meine favorisierten Freizeitaktivitäten waren aufgelistet und nicht zu vergessen: Mein Steckbrief, mit dem Bild, den ich auch auf meinem Agentenausweis hatte.
Kurz: Wenn er sich das alles durchgelesen hatte, wusste er fast alles über mich! Das war furchtbar!
„Das kannst du vergessen!“, rief ich panisch. „Ich werde ganz sicher nicht mit dir ein Team gründen und dich als meinen Partner anerkennen. Das kannst du knicken!“
„Warum? Hasst du mich denn immer noch? Kannst du nicht ertragen, dass ich mich mit Jessica so gut verstehe? Willst du der einzige Killer in deinem Privaten Umfeld sein? Oder fühlst du dich hintergangen, dass ich alles über dich wusste, bevor du etwas über mich wusstest?“
Ich stutzte. Was hatte er gerade gesagt? „Wie lange wusstest du das schon? Das wir Partner werden sollen?“
Er zuckte die Schultern. „Bevor ich bei dir auf die Schule gekommen bin. Ich habe nur gesagt bekommen, dass ich einer gleichaltrigen Topagentinnen zugewiesen werde und da wurde ich neugierig. Daraufhin sind wir umgezogen und ich habe die Schule gewechselt um dich kennen zu lernen.“
„Es war also alles schon geplant gewesen?“, wollte ich wissen.
„Nicht alles“, gab er zu. „Um ehrlich zu sein, war ich Anfangs ziemlich enttäuscht von dir. Ich hatte etwas anderes erwartet. Ein zusammengekauertes Häufchen Elend. Einsam und verbittert aufgrund ihrer Krankheit und ihres Berufes. Stattdessen steht mir ein aufgewecktes, sarkastisches Mädchen entgegen. Große Klappe und immer einen Spruch auf den Lippen.Von über der Hälfte der Schüler umschwärmt und allgemeiner beim anderen Geschlecht sehr Beliebt. Selbst Jessica, deine beste Freundin konnte nichts negatives über dich berichten. Also wollte ich dich röntgen. Ich habe dich immer unauffällig beobachtet, auch als du mit Miranda auf dem Schuldach standest und uns beobachtet hast. Ich habe dich nach der Schule immer verfolgt um herauszufinden wo du wohnst, doch hast du mich mehrere Male fast erwischt. Ich frage mich bis heute, warum dir nicht der Gedanke gekommen ist, dass du verfolgt wirst, wieso dir das nicht aufgefallen ist. Ich fing an, an deinem Können zu zweifeln. Und als du Gestern nicht in der Schule warst, fing ich an mir Gedanken zu machen. Ich bat Jessica darum, dass ich dir die Aufgaben bringen dürfe. Sie hielt es für einen Versuch Frieden zwischen uns zu stiften und willigte sofort ein. Und den Rest kennst du ja.“
Ich hatte ihm bis hierhin still zugehört und angefangen zu Denken. Es war nicht so, dass ich nicht bemerkt hatte, dass ich Verfolgt wurde, eher, dass es mich nicht interessierte. Um ehrlich zu sein hatte ich die ganze Zeit auf die Person gewartet um ihr, bei Gelegenheit eine rein zu Hauen. Zum Frust ablassen und ich hatte das Gefühl, das ich dem sogleich nachkommen konnte.
„Heißt das, dass du Jessica nur ausgenutzt hast?“, fragte ich kalt.
„Soll ich ehrlich sein?“, wollte er wissen.
Ich nickte leicht zur Antwort.
„Um ehrlich zu sein ja,... anfangs, aber dann wurde sie mir sympathisch und ich merkte, dass ich sie doch sehr schätze, als Freundin.“
Ein Stich fuhr durch meinen Körper. „Sie... schätzt dich auch... allerdings mehr würde ich sagen“, entgegnete ich leise.
„Und das merkst du woran?“
„An ihrem Verhalten in deiner Gegenwart... all die kleinen Berührungen und Blicke die sie dir zuwirft“, antwortete ich. Irgendwie gefiel mir der Gedanke, dass Jessica mit ihm zusammen kommen könnte nicht.
Er kam ein paar Schritte auf mich zu und beugte sich zu mir herab, dann legte er einen Finger unter mein Kinn und hob mein Gesicht leicht an, ich hob überrascht eine Augenbraue.
„Was soll das werden?“, fragte ich ihn.
„Du brauchst dir keine Sorgen machen. Ich bin voll und ganz in meine Arbeit verliebt und außerdem werde ich mich doch meiner neuen Partnerin widmen müssen. Ich habe demnach keine Zeit für eine Beziehung.“
„Gar nichts wirst du mit deiner neuen Partnerin. Hast du schon vergessen? Die gibt es nicht.“
Ich schaute ihn wütend an, doch er seufzte nur und trat von mir weg.
„Jaja... schon klar, können wir nun trotzdem los?“ Er musterte mich ungeduldig.
Ich bis mir auf die Unterlippe und stöhnte auf.
„Nun gut... du hast gewonnen... auf auf Watson... aber könnten wir ersteinmal bei mir vorbei schauen? Ich will meine eigenen Waffen mitnehmen.“
„Wozu brauchst du sie? Und warum bin ich Watson?“, wollte er nun doch wissen.
„Trainieren, habe ich gestern schon nicht gemacht und ich muss mich doch irgendwie fit halten. Und außerdem bin ich schon Sherlock“
„Sagt wer?“
„Ich sage das. Oder siehst du daran irgendeinen Fehler?“
Er nickte bloß. „Nee.. das klingt schon einleuchtend.“ Ich meinte noch ein geflüstertes 'Wenn man in der Welt lebt' zu hören, ging darauf aber gekonnt nicht ein.
Also kamen wir dazu, dass er erst mit mir nach Hause fuhr, was sich als weniger kompliziert darstellte als anfangs gedacht. Zum einen, weil seine Familie nicht sonderlich davon überrascht schien ihn mit einem Motorrad aus seinem Zimmer und durch den Flur rollen zu sehen und zum anderen, da meine Familie nicht zu Hause war. Er schien nicht sonderlich davon überrascht zu sein, dass sich eine Schaltzentrale aus meinem Schrank entwickelte... warum sollte er auch? Schließlich hatte er sich bewegende Wände in seiner Villa.
Seine Gleichgültigkeit verschwand, als er meinen Thunder sah.
„Nicht schlecht der Specht“, kommentierte er, lässig an seine eigene Maschine gelehnt. Ich zog seinen Anzug aus und dafür einen meiner eigenen an, als ich seinen Blick sah, rollte ich mit den Augen.
„Stell dich nicht so an, ich fühle mich in meinen eigenen Klamotten eben am wohlsten!“
Er zuckte nur mit den Schultern und ließ seinen Blick über meine Waffen gleiten.
„Willst du wissen, wie ich auf meinen Decknamen gekommen bin?“, fragte er plötzlich.
„Ich nehme mal an, nicht von dem Insekt?“
Er lachte auf. „Ganz sicher nicht.“ Er nahm sich eins meiner Taschenmesser und spielte damit herum. „Von dem Messer.“
Ich schmunzelte, darauf hätte ich nun auch kommen können. Ausgerechnet mein bevorzugtes Miniwerkzeug musste ihm als Nachnamen dienen.
„Und woher hast du deinen Namen?“
Ich dachte nach. „Um ehrlich zu sein, habe ich ihn schon seid meiner Geburt. Die Familie meines Vaters heißen alle Scythe und das fand der damalige Chef so irrsinnig komisch, dass er beschloss diesen Namen auch gleich als meinen Agentennamen zu übernehmen. Wahrscheinlich hat er sich dann auch noch erhofft, dass ich meine Opfer wie mit einer Sense auf elegante Weise zu richten vermag, oder so.“
Er grinste mich an und legte das Messer zur Seite.
„Ich werde ja noch sehen ob das stimmt.“ Er sah meinen skeptischen Blick. „Beim Training“, fügte er noch schnell hinzu.
Ich schaute ihn überrascht an. „Beim Training?“
„Klar, denkst du ich lasse dich alleine trainieren? Zu zweit geht es doch viel besser.“ Er sagte das in einem so bestimmten Ton, dass ich niemals auf die Idee gekommen wäre ihm zu widersprechen. Stattdessen packte ich eifrig mein Zeig zusammen.
„Wir fahren von hier aus zur Zentrale“, erklärte ich ihm, als er Anstalten machte seine Maschine aus der Garage zu schieben. Er sah mich verwirrt an.
„Das will ich sehen.“
„Klar, fahr mir nur hinterher“, entgegnete ich, setzte mir meinen Helm auf und setzte mich auf mein Gefährt.
Er staunte nicht schlecht, als er die lange und unterirdisch beleuchtete Straße sah.
„Wow... das überrascht mich nun aber“, war sein Kommentar dazu.
„Im Gegensatz zu dir, kann ich mich nicht einfach so frei durch die Gegend bewegen. Meine Eltern und Nachbarn dürfen nichts mitbekommen.“
Ich wollte gerade losfahren, als Jason mich mit einer Frage zurück hielt.
„Wie bist du eigentlich bei der Organisation gelandet? Und wie hast du es angestellt dich anzumelden, ohne dass deine Eltern was davon erfahren haben?“
Ich schaute ihm ein letztes Mal in die Augen.
„Das ist mein Gehimnis... versuch es doch heraus zu finden.“ Ich lächelte traurig und fuhr dann los. Es gab nun mal Dinge, die er nicht wissen musste... und dieses gehörte ganz eindeutig dazu!
„Willst du es dir nicht nochmal überlegen?“, fragte mich, Danny als Jason und ich in seinem Büro saßen und diese ganze Partnergeschichte diskutierten.
„Ganz sicher nicht. Ich kann doch nicht mit jemanden zusammenarbeiten, den ich bis gestern nicht mal mochte, mit mir in die selbe Klasse geht und dann noch fast alles über mich weiß, mir es aber nicht erlaubt ist etwas über ihn zu wissen“, erklärte ich sachlich. Beide Männer sahen mich perplex an.
„Das ist dein Problem?“, wollte Jason verblüfft wissen.
„Ja klar, was dachtest du denn?“ Ich hatte nicht daran gedacht, dass ihm die völlig idiotischen Beispiele die er vorhin in seiner Waffenkammer genannt hatte ernst nahm.
„Samantha, ich bitte dich! Das kann doch nicht dein Ernst sein, an allen diesen Dingen kann man etwas ändern. Mögen tust du ihn ja nun, wir können ihn in eine andere Klasse versetzen und seine echte Akte kannst du dir bei Gelegenheit immer wieder anschauen, von uns aus auch auswendig lernen. Das sind geradezu schwache Argumente, erst recht für deine Fälle“, wand Danny ein. Ich schmollte.
„Da sprechen leider einige Dinge dagegen. Nun mögen tue ich ihn, da kann ich nichts gegen sagen, auch wenn seine Art manchmal leichte Mordgelüste in mir weckt, aber so ist das ich fast jeder gesunden Beziehung. Aber wenn er wirklich die Klasse wechselt, wird man mir vorwerfen als Klassensprecherin versagt zu haben. Schließlich ist es mein Job ihn in die Klassengemeinschaft einzuführen. Und zum Schluss: Seine Akte interessiert mich einen feuchten Dreck.“
Ich hatte die Arme verschränkt und sah aus den Augenwinkeln wie sich die beiden ratlose Blicke zuwarfen.
Mir wurde das zu blöd und ich stand auf.
„Wo willst du hin“, fragte Jason mich. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie ich mich an sein neues ich gewöhnt hatte. Dieses total männliche und absolut coole Ich. Ich seufzte, da ich genau wusste, dass ich es ab morgen nicht mehr zu Gesicht bekommen würde,mit Ausnahme der seltenen Momente in denen wir uns vielleicht hier in der Zentrale sehen würden, denn privat treffen würde ich mich mit ihm nicht mehr.
„Trainieren, du erinnerst dich?“, entgegnete ich.
„Warte ich komme mit“, rief er schnell und sprang in einem eleganten Satz vom Stuhl. Konnte man in seinem Alter schon elegant sein? Durfte man in seinem Alter schon elegant sein? Mir viel ein, dass ich noch gar nicht wusste wie alt er nun genau war. Dies fragte ich ihn, nachdem ich fertig mit umziehen war und wir uns vor den Übungsräumen trafen.
„Achtzehn, werde aber Anfang nächsten Jahres neunzehn, wieso fragst du?“
„Müsstest du dann nicht eigentlich eine Klassenstufe über mir sein?“, wollte ich wissen. Ich hatte ihn nicht auf so alt geschätzt. Er war gut eineinhalb Jahre älter als ich.
„Wir haben bei den Daten für die Einschulung ein bisschen geschummelt, also mach dich darauf gefasst, dass ich dich von deiner Position als Klassenbeste kicken werde.“ Er grinste verschlagen, während ich die Tür zu einem Raum öffnete, der mich immer stark an unsere Sporthalle erinnerte.
„Das denkst aber auch nur du, wenn ich Gefahr von deiner Seite aus spüre werde ich mit dem Lernen anfangen“, entgegnete ich lachend und musterte ihn unwillkürlich. Mein Blick war geradezu fasziniert von seinem Körperbau.
Dieser schlichte, hautenge schwarze Anzug stand ihm echt gut. Es betonte seine Muskeln, die er sonst immer unter seinen ausgebeulten Klamotten versteckte und mir bis jetzt noch nicht großartig aufgefallen waren. Nicht einmal als er sich umgezogen hatte, als wir bei ihm waren, waren sie mir so dermaßen aufgefallen. Ich scannte sein Äußeres und fand nicht einen einzigen Makel. Kein bisschen Fett zu viel, in seinem Gesicht hatte sich nicht einmal ein Muttermal oder sonst etwas verkrochen.
'Ob er wohl Narben hatte?', schoss es mir durch den Kopf. Ich hatte welche, die meisten am Arm, die wenigsten von Missionen. Als ich das mit meiner Krankheit heraus gefunden hatte und ich alt genug war damit umzugehen, musste mein Körper eine Zeit der Selbstverstümmelung über sich ergehen lassen. Diese hielt zwei Jahre lang an. Als ich zehn war drohte Jessica mir, mich in eine Nervenheilanstalt einweisen zu lassen, wenn ich nicht damit aufhören würde. Natürlich kannte sie das Wort 'Nervenheilanstalt' damals noch nicht, sondern nannte es... ich habe vergessen wie sie es genannt hatte, aber es war unmissverständlich was sie damit meinte. Und die Vorstellung auf längere Zeit von ihr getrennt zu werden, fand ich dermaßen furchtbar, dass ich mich eigenhändig dazu entschloss einen Psychiater aufzusuchen. Im Warteraum traf ich damals auf Danny, der ein großes Talent in mir sah und ein paar Wochen später wurde ich auf ein Treffen mit der Firma eingeladen, nachdem sie eine Menge über mich herausgefunden hatten. Als ich deren Angebot hörte, fand ich es damals interessant. Und eine gute Ablenkung von meinen privaten Problemen, deswegen unterschrieb ich den Vertrag, der natürlich noch nicht rechtskräftig war, bis ich ihn mit achtzehn erneut unterschreiben würde und ich hatte mir damals geschworen, dass ich es tun würde. Eigentlich hatte die Firma noch nicht vor gehabt, mich vor meinem achtzehnten Geburtstag auf irgendwelche Missionen zu schicken, sie wollten mich trainieren und aus mir eine Wunderwaffe machen, aber daraus wurde nichts, vor drei Jahren wurde ich mehr oder minder dazu gezwungen mich in eine Mission einen unserer Leute einzumischen und seid dem haben sie keinen Sinn mehr darin gesehen mich von der Arbeit auszuschließen...
„Sam? Alles in Ordnung?“ Jasons Stimme holte mich zurück ins hier und jetzt.
„Äh... ja bitte?“, fragte ich ihn, immer noch in Gedanken versunken.
„Du siehst ziemlich abwesend aus, ich habe dich nun schon mehrere Male gefragt mit was wir anfangen wollen. Aber anscheinend bist du zu sehr abgelenkt davon meinen Körper anzustarren. Gefällt dir denn was du siehst?“ Er grinste verschlagen und ich schlug nach ihm.
„Bild dir nur nicht zu viel drauf ein, ich habe schon Leichen gesehen, die geiler aussahen als du“, entgegnete ich bissig.
„Wie findest du Zeit die Leichen anzusehen, wenn du doch diejenige bist die sie entstehen lässt oder bist du etwa insgeheim eine der kranken Personen dieser Welt die auf ein Stell dich ein mit leblosen Körpern stehen?“
Ich verzog angewidert das Gesicht.
„Derjenige von uns beiden der krank ist bist ja wohl du, du Freak!“, entgegnete ich und stellte mich in Kampfposition. „Und um deine Frage zu beantworten: Ich habe die Angewohnheit mich mit ein paar Kampfübungen warm zu machen.“
Er stand immer noch lässig da. „In Ordnung, aber denk nicht, dass ich ein einfach Gegner bin.“
„Ich unterschätze meine Gegner nie“, gab ich zurück.
„Umso besser für mich würde ich sagen“, er hatte sich so hingestellt wie ich und so standen wir ein paar Minuten bewegungslos herum, bis ich ein Zucken in seinem Gesicht sah. Ich bewegte mich leicht zur Seite als er angriff und versuchte ihm mit einem gezielten Tritt in die Magengegend auszunocken, doch diesen blockte er ab und boxte nach meinem Gesicht, diesen Schlag hatte ich früh genug gesehen und wich dem aus. So ging es etwa eine halbe Stunde weiter, bis es uns beiden zu bunt wurde und wir keuchend zu dem Entschluss kamen, dass dies doch genug der Aufwärmung war.
„Und was... machen wir jetzt?“, fragte ich außer Puste, während ich einen Schluck aus meiner Wasserflasche nahm.
„Keine Ahnung, ich richte mich ganz nach deinem Trainingsplan“, antwortete er, nachdem er auch er einen Schluck getrunken hatte. Ich grinste.
„Dann wirst du dich aber an ganz schön viele meiner kleinen Eigenheiten gewöhnen müssen.“
Auf diese Entgegnung hin musste er schmunzeln. „Ich denke es gibt schlimmeres.“
„Wenn du meinst. Komm mit.“
Ich zog ihn ein paar Gänge entlang in Richtung unserer Schießübungsräume. Auf den Gängen waren ein paar unserer Mitarbeiter die mich grüßten und von mir wissen wollten, wen ich denn da im Schlepptau hatte.
„Das ist Jason Chakram. Er ist neu in unserer Organisation.“
Sie musterten ihn neugierig und flüsterten sich im Vorbeigehen etwas zu, als wir Miranda begegneten und sie ihn ebenfalls kritisch musterte konnte ich meine Frage nicht mehr zurück halten.
„Sag mal“, wand ich mich an meinen Begleiter.
„Ja?“, erwiderte dieser, scheinbar in Gedanken versunken.
„Warum starren die dich alle so an?“
Miranda, die an die Wand gelehnt herum stand und die Frage anscheinend gehört hatte, antwortete mir seiner statt.
„Weißt du denn nicht wer das ist?“, wollte sie von mir wissen.
Ich schüttelte leicht den Kopf und musterte Jason noch eindringender. Sollte er mir denn bekannt vor kommen?
„Oh man Samantha! Das war doch eine Zeit lang DAS Thema hier in der Organisation. Erinnerst du dich denn nicht an den Marinekomplott vor einem Jahr?“ Sie rollte mit den Augen und seufzte.
Natürlich erinnerte ich mich. Schließlich war das mein Fall gewesen. Wir hatten herausgefunden, dass eine kleine Terroristengruppe es geschafft hatte sich bei dem lokalen Marinetrupp einzuschleusen und planten so die Meere unter ihre Gewallt zu bekommen. Mein Job war es den Anführer dieser kleinen Gruppe ausfindig zu machen und ihn auszuquetschen, bildlich gemeint. Doch bevor ich auch nur einen Schritt in die Marinezentrale machen konnte, bekam ich die Nachricht, dass eine Person meinen Job schon erledigt hatte. Daraufhin war ich eine ganze Woche lang schlecht auf die Marine zu sprechen... aber zurück zum Thema.
„Ja ich erinnere mich“, erwiderte ich mürrisch, Jason schmunzelte.
„Also erinnerst du dich auch daran, dass da jemand war, der deinen Job vor dir erledigt hatte?“
„Ja.“ ich knirschte mit den Zähnen.
„Nun, diese Person steht neben dir“, klärte sie mich auf.
Ich tötete Jason mit Blicken und sah ihn innerlich in Flammen aufgehen, doch dieses Individuum schaute mich nur breit grinsend an.
„Gut zu wissen!“, sagte ich, während ich mich ihm zugewandt hatte, ich verabschiedete mich von Miranda und sauste dann mit großen Schritten weiter.
„Man Sam, sei doch nicht eingeschnappt. Das war doch nur eine Mission! Und ich wusste doch nicht, dass noch jemand darauf angesetzt war!“
„Das war nicht nur eine Mission, das war MEINE Mission und ich hätte sie liebend gerne alleine bewältigt!“, erwiderte ich, lauter als gedacht, denn ein paar meiner Kollegen schauten aus ihren Büros heraus und beobachteten uns fasziniert. Hatten die denn nichts besseres zu tun, sagt mal!
Jason hatte mich mittlerweile eingeholt und drehte mich zu sich um.
„Bitte Sam, das ist ein Jahr her!“
Ich streckte ihm trotzig die Zunge raus und wollte weiter pirschen, als Danny uns entgegen kam.
„Oh, da seid ihr beiden ja“, begrüßte er uns, als wenn wir uns schon seid längerem nicht gesehen hätten, dabei war es gerade mal ein paar Stunden her, dass wir aus seinem Büro gegangen waren.
„Was willst du?“, fragte ich immer noch beleidigt, er hob streng eine Augenbraue. „'Tschuldige“, murmelte ich. Es war nicht fair, dass ich meine schlechte Laune an ihm ausließ.
„Also“, er räusperte sich Fachmännisch. „Wir haben einen Entschluss getroffen“
„Öhm... wer ist 'wir'?“, wollte ich wissen.
„Die Zentrale“, erklärte er kurz angebunden. Ich nickte wissend, natürlich, wer denn sonst? „Ihr beide“, er deutete mit dem Finger auf uns, was ich erstens für eine übertrieben dramatische Geste mit fehlender Hintergrundmusik und zweitens für recht unhöflich empfand, und sprach weiter. „Werdet bei der nächsten Mission ein Team bilden und erst dann werden wir entscheiden ob ihr teamfähig seid oder nicht.“
Mir klappte die Kinnlade runter. „Das ist fies, du hast gesagt, dass ich das entscheiden darf.“
Er sah mich streng an. „Ja, aber wir haben oft genug gesehen, dass deine Entscheidungen aufgrund deiner Gefühle unzurechnungsfähig sind und deshalb übernehmen wir jetzt.“
Das war ein Schlag unterhalb der Gürtellinie. Wollte er damit sagen, dass meine Meinungen ab jetzt erst abgewogen und dann sowieso von jemandem anderen manipuliert werden würden?
„Meine Entscheidungen sind nicht unzurechnungsfähig, ich komme wunderbar mit meinen Gefühlen klar“, erwiderte ich verletzt.
„Samantha, wir beide wissen doch ganz genau, dass du dazu neigst deine kindische, schnell beleidigte Seite entscheiden zu lassen und dass du dabei so stur bleibst, dass schlecht mit dir zu verhandeln ist.“
Kritik in jeden seiner Worte. Wieso mussten wir das hier draußen, vor all meinen Kollegen besprechen? Wieso gingen wir dafür nicht in sein Büro? Hier durfte ich ja nicht einmal richtig ausrasten. Ich schluckte.
„Ich habe verstanden“, erwiderte ich und stellte mich stramm hin. „Ich werde mit Jason ein Team bilden, wenn das der Firma bei ihrer Arbeit hilft, aber verlangt von mir nichts unmögliches, ich werde mein bestes tun damit wir als Team gut fungieren, aber mehr kann ich euch nicht versprechen.“
Danny legte eine freundlichere Miene auf.
„Schön, dass du so kooperativ bist, dann möchte ich euch auch nicht weiter stören.“
Damit ging er ohne weitere Worte seinen Weg zurück zu seinem Büro.
Ich seufzte. Das ging ja mal so richtig nach hinten los.
„Alles in Ordnung?“, wollte Jason wissen.
„Ja“, entgegnete ich genervt. Mir war die Lust nach Training gehörig verdorben worden. „Ich glaube ich überprüfe nochmal meine Berichte und fahr dann zurück nach Hause.“
Jason hob eine Augenbraue.
„Dir ist schon klar, dass wir uns ein Büro teilen werden?“
Meine Augen weiteten sich. Das auch noch?!? Womit hatte ich das verdient.
„Dann komm mit“, fuhr ich ihn an und drehte mich um 180° um in die Genau entgegen gesetzte Richtung zu gehen, in der mein Büro lag.
Seine Hände lässig in den Taschen seiner Trainingshosen versunken und mit dem Mir-ist-alles-vollkommen-egal-Gesicht, trottete er hinter mir her und ließ mich in Ruhe und Frieden meine schlechte Laune ausleben. Noch eine positive Eigenschaft, die ich an ihm entdeckt hatte, was nicht zu einer Erheiterung meines Gemütes beitrug.
„Willkommen in unserem Reich“ grummelte ich mit einer Stimme, die jeden anderen der mich nicht genauer kannte, dazu veranlasst hätte vor mir reiß aus zu nehmen. Nun, natürlich nicht Jason.
Der stand da in der Tür und schaut mäßig interessiert in unser nicht gerade kleines Büro hinein.
Ich hob mit Spitzen Fingern etwas von meinem Schreibtisch auf, was sich gerade noch so als Schmierpapier identifizieren ließ, aber mit unzähligen Kaffeeflecken versehen war. Leicht angewidert ließ ich es in den Papierkorb fallen und wand mich anschließend lächelnd meinem Partner zu.
„Öhm... ja nun... vielleicht ist es nicht unbedingt der sauberste Arbeitsort, aber ich hoffe du wirst dich trotzdem wohl fühlen.
„Du solltest mal aufräumen“, kommentierte er mein künstlerisches Chaos von Kaffeetassen, Papierbergen und Waffen und umging meinen Versuch freundlich zu sein damit mehr als gekonnt. Mein aufgesetztes Lächeln bröckelte und fiel allmählich in sich zusammen.
'Immer schön ruhig bleiben Sam', mahnte ich mich.
„Ja... ich denke, dass tu ich dann auch gleich.“
Ich machte mich auf die einzelnen Zettelhaufen zusammenzulegen und nahm mir vor sie später zu sortieren. Wer dachte, dass Leben eines Auftragskiller in einer Organisation wäre einfach, der hatte sich getäuscht. Theoretisch war man Waffe der Firma und sein eigener Sekretär!
Nachdem ich meinen Schreibtisch frei geräumt hatte, wurde mir das Ausmaß der Unordnung erst bewusst. Wann hatte ich zum letzten mal meinen Arbeitsplatz sauber gemacht?!?
„Öhm... am besten du wartest hier, ich bin gleich wieder da“, entschuldigte ich mich bei Jason und machte mich auf den Weg in die Waschräume, um einen feuchten Lappen aufzutreiben. Mich hatte die Putzwut gepackt!
Nach circa 20 Minuten stand ich vollauf zufrieden in dem kleinen, nun äußerst sauberen Raum und beglückwünschte mich selbst zu dieser Glanzleistung, als ich jemand bestimmtes hinter mir kichern hörte. Verstört drehte ich mich um.
„Ist was?“, wollte ich wissen.
„Dir ist schon klar, dass ich dir auch hätte helfen können?“
Ich viel aus allen Wolken und wurde wütend auf mich selbst. Wie konnte man nur so dämlich sein? In meinem Versuch nett zu sein hatte ich doch tatsächlich nicht bemerkt, dass er mich aufziehen wollte!
„Sei froh, dass man das Büro nun wenigstens als solches erkennen kann“, entgegnete ich verstimmt und setzte mich auf meinen Stuhl, in dem Moment fiel mir ein Versäumnis auf. „Du solltest dich um eine Arbeitsfläche bemühen“, murmelte ich, während ich mich in die verschiedensten Dokumente vergrub. Unerledigte Fälle zum Beispiel.
„Diese müsste gleich ankommen“, erwiderte Jason unterkühlt und tatsächlich, keine zehn Sekunden später klopfte es an der Tür und ein niegelnagelneuer dunkler Schreibtisch wurde herein getragen, mit dem passendem Bürosessel nicht zu vergessen. Ich erwischte mich dabei wie ich vor Neid anfing zu köcheln. Ich hatte schon vor Monaten einen Antrag für eine neue Arbeitsfläche eingereicht, da meine jetzige langsam aus allen Nähten fiel... und die Type hier bekam sie sogar angeliefert! Es konnte doch nicht sein, dass er bevorzugt behandelt wurde, oder?
'Lass dir nichts anmerken, arbeite weiter, nichts anmerken lassen, weiter arbeiten, nichts anmerken lassen...“ mein Mantra beruhigte mich und ich atmete mehrere male tief ein und aus. Derweil schaltete sich meine Arbeitsmodus ein und ich wurde ganz ruhig. Langsam nahm ich meine Arbeit in Angriff, ich trennte erledigte Aufträge von denen die noch nicht bearbeitet wurden. Unterschrieb etliche Dokumente fertigte einen Stapel von Zetteln die ich weiterreichen musste. Zu guter Letzt las ich mir noch sämtliche Berichte meiner Fälle durch und dabei fiel mir ein gewisser Punkt ins Auge.
„Was soll das denn?“, nuschelte ich verwundert und las die mich verwundernde Textstelle erneut:
Der als 'Zero' bekannte Massenmörder wird weiterhin von Staat und Behörde gejagt. Jetziger Aufenthaltsort unbekannt. Zu Letzt gesichtet im 'Blue Dragon' nahe der Herrenhäuser Gärten, wo er sich mit drei Männern in schwarz traf.
Wie konnte das sein? Ich habe ihn doch höchst persönlich den Gnadenschuss gegeben?!?
Meine Hände fingen an zu zittern. Wie konnte Zero das überlebt haben? War er nicht vor meinen Augen in die Luft gesprengt worden?
Ich spürte wie mich Panik überkam. Was musste ich eigentlich noch alles tun um Zero ein für alle mal los zu werden.
„Dieser verdammte Arsch!“ Wütend sprang ich auf und wollte in Dannys Büro eilen um mich zu beschweren, als mir einfiel, dass ich ja nicht mehr alleine war. Langsam drehte ich mich an der Tür um und sah, wie Jason lässig zurück gelehnt in seinem Stuhl saß und mich musterte.
„Wohin willst du Partnerin?“
„Geht dich nichts an“, giftete ich ihn an, woraufhin sich seine linke Augenbraue nur etwas mehr erhob.
„Samantha! Du wirst diesen Raum erst verlassen wenn du dich erstens beruhigt und zweitens mir gesagt hast was los ist“, entgegne er mit einer plötzlichen Härte in der Stimme.
Ich zuckte zusammen und schluckte. Auch wenn es mir missfiel, er hatte recht. Ich musste einen kühlen Kopf bewahren.
„Ist dir der Name 'Zero' ein Begriff?“, wollte ich wissen. Meine Stimme zitterte immer noch etwas.
„Ja, der meist gesuchte und gefürchteste Massenmörder der Unterwelt.“
Ich wand mich zu ihm hin. „Hattest du schon mit ihm zu tun?“
„Des öfteren, er ist mir aber immer wieder entkommen.“
Typisch. Ich wäre auch schwer enttäuscht gewesen, wenn Zero sich von jemand anderem als mir hätte fangen lassen.
„Er lebt noch, obwohl ich ihn persönlich in die Luft gesprengt habe“, erklärte ich so nüchtern wie es mir möglich war.
Jason sah mich erst überrascht an und fing urplötzlich an zu lachen.
„Na was hast du erwartet? Du denkst doch nicht, dass er das Adjektiv 'genial' verdient hätte, wenn er sich so einfach töten ließe.“
Jetzt war es an mir eine Augenbraue zu heben. „Du hörst dich an wie ein Fan“, wand ich ein, wurde aber wieder ernst. „Das was mir persönlich aber Sorgen bereitet... oder besser: Was mir Fragen aufwirft sind diese drei Männer in Schwarz.“
„Wieso gehen wir dem nicht einfach nach?“
Ich wurde hellhörig. „Du meinst Undercover?“
„Nee, am besten du weist dich vorher noch aus.“
Ich streckte ihm grinsend die Zunge raus. „Also ist unsere erste gemeinsame Mission ein Besuch im Blue Dragon, ja?“
Er stand auf und kam langsam auf mich zu, während sein Trainingsanzug mit jeden Schritt den er tat leise raschelte.
„Würde ich sagen, am besten wir besprechen es mit 'Danny' und fahren dann nach Hause, ich habe nämlich noch ein paar Dinge zu erledigen.“
Ich grinste. Der Spitzname unseres Chefs gewann an Popularität, das fand ich gut... sehr gut sogar.
„Alles klar, lass mich nur schnell alle Dokumente die ich von der Person 'Zero' habe einsammeln und kopieren, oder du nimmst dir einen Teil mit bearbeitest ihn und ich übernehme den anderen Teil.“
Er ging zum Glück sofort auf meinen Vorschlag ein. „Letzteres, das werde ich dann heute Abend machen.“
Und somit wäre unser erster gemeinsamer Fall in Angriff genommen, wir mussten uns nur noch Dannys Erlaubnis einholen, aber ich bezweifelte stark, dass er etwas dagegen haben sollte. Er war immer wieder froh, wenn er 'Zero' an jemand anderen als sich selber geben konnte. Schließlich war es ein offenes Geheimnis, dass er und unser kleiner Schwerverbrecher tiefe, innige Gefühle füreinander hegten, die nicht unbedingt glücklichen, oder gar positiven Ursprungs waren.
Ich musste bei dem Gedanken, endlich mal wieder was mit Zero zu tun zu haben, lächeln.
Kapitel 4
Mein Morgen war... um ein uns wohl bekanntes Vampirbuch zu zitieren: recht ereignislos. Hatte ich jetzt nicht gegen irgendwelche Patente verstoßen? Na egal, man konnte mir gar nichts!
Zurück zu meinem ereignislosen Morgen. Ich stand auf, bemerkte, dass meine Eltern schon weg waren, ging duschen, frühstückte und packte meine Schultasche. All diese äußerst spannenden und weltbewegenden Aktivitäten, veranlassten mich dazu erst auf die Uhr zu schauen und dann zu bemerken, dass ich mehr als nur gut in der Zeit lag. Um nicht zu sagen, dass ich eine Stunde zu früh aufgestanden war und dementsprechend selbige zur Verfügung hatte. Also tat ich das, was Menschen zu tun pflegten, wenn sie nichts besseres zu tun hatten: Ich starrte in der Gegend herum und dabei fiel mein Blick absolut zufällig aus dem Fenster auf die Straße, auf der wahrscheinlich eher weniger zufällig mir eine nun doch besser bekannte Person stand.
'Was macht denn der hier?', fragte ich mich und hob skeptisch eine Augenbraue.
Es war nun eher unwahrscheinlich, dass ich die Antwort auf diese Frage hier oben zwischen den Bettlaken finden würde, also schnappte ich mir meine Umhängetasche und ging schnellen Schritten die Treppe hinunter, nur um kurz davor unsere Haustür aufzureißen und zu bemerken, dass Jason mittlerweile schon auf der Matte stand. Fast wäre ich in ihn hinein gerannt.
„Schon Morgens so stürmisch?“, fragte er schelmisch.
„Ich dachte dein Image würde daran leiden, wenn man uns zusammen sieht“, entgegnete ich mit einer Gegenfrage und wollte gar nicht daran denken, was unser Beisamensein für mein Image bedeuten würde. Wie ihr euch denken könnt hat er seinen absolut geilen Style vom Vortag abgelegt und seinen Prachtkörper wieder in diese ausgebeulten Klamotten geworfen. Ich seufzte auf.
„Es wird auch leiden. Die Lehrer werden auf jeden Fall denken, dass ich von dir genötigt werde mit dir abzuhängen. Wahrscheinlich werden sie mich für einen armen, fleißigen Schüler halten, der sich nicht freiwillig mit Chaoten wie dir abgibt.“
Entweder wollte er das zucken meiner Augenbraue nicht bemerken oder er konnte es nicht. Dennoch war ich klug genug nicht auf seinen Versuch mich zu ärgern einzugehen, stattdessen seufzte ich nur resigniert auf.
„Komm rein, kann ich dir irgendwas anbieten? Einen Kaffee, oder Cappuccino... der vielleicht mit etwas Kaliumzyanid versetzt ist.“ Verzeihung, das konnte ich mir nicht nehmen lassen.
„Ist es nicht illegal das bei sich zu Hause aufzubewahren?“, war seine einzige Reaktion dazu.
„Weißt du... Auftragskiller zu sein ist auch nicht gerade legal“, meinte ich, während ich Wasser für den Cappuccino aufsetzte und nein ich vergeudete meine Zeit nicht damit Gift rein zu streuen. Mit beiden Tassen in der Hand ging ich in Richtung Wohnzimmer und machte es mir auf der Couch gemütlich.
„Warum bist du nun eigentlich hier?“, wollte ich nun doch wissen.
Er setzte sich neben mich und nahm einen großen Schluck von dem heißen Getränk, mir taten die Mandeln allein schon beim Zusehen weh.
„Ich wollte dir nur noch mal in aller Ruhe erklären, wie wir heute Abend vorgehen werden.“
Ich stöhnte auf.
„Musst du schon von der Arbeit anfangen, bevor die Schule angefangen hat?“
„In der Schule werden wir wohl keine Zeit finden uns darüber zu unterhalten, nimm das doch bitte etwas ernster Samantha.“
Ich runzelte meine Stirn. „Ich nehme das total ernst, mir gefällt der Gedanke ein Kleid zu tragen nur nicht. Ich bin nicht der Typ Mensch der gerne ein Kleid anzieht und selbst wenn... sonderlich seriös werde ich mit dieser Frisur eh nicht wirken.“ Ich zupfte an meinen fransigen Haaren herum.
„Darum mach dir mal keine Sorgen, unsere Stylisten werden sich schon was einfallen lassen.“, entgegnete er schlicht. Das fand ich ja mal unfair! Ausgerechnet der Junge mit dem schlimmsten Modegeschmack den ich kannte, auch wenn das nur gespielt war, hatte hauseigene Stylisten und eine Modedesignerin als Mutter. Ich schmollte. Jason sah das und lächelte.
„Mach dir nicht zu viele Gedanken, aus dir merkwürdigen Person machen wir schon eine richtige Lady, du wirst im 'Blue Dragon' geradezu untergehen.“
Das waren ja schöne Aussichten. Ich mochte es doch aufzufallen. All diese verwirrten Blicke, ganz und gar auf mich gerichtet! Das war doch etwas was mich ausmachte und dann sollte ich in der Menge untergehen? Nun... realistisch betrachtet, war das wahrscheinlich schlauer. Der Sinn des Undercover ermitteln war ja, dass man nicht entdeckt wurde.
„Das heißt, dass ich heute Abend bei dir vorbei schaue, oder habe ich das falsch verstanden?“
„Du kannst auch gleich nach der Schule mitkommen, oder ich hole dich heute Abend ab.“
Ich überlegte. „Das werde ich in der Schule entscheiden... zu der wir am besten jetzt los gehen, sonst kommen wir zu spät und ich kann es mir nicht leisten ausgerechnet zur selben Zeit wie du zu spät zu kommen“, bemerkte ich, nach einem Blick auf die Wohnzimmeruhr.
„Stimmt ja, das geheiligte Image.“
Ich stöhnte auf, nahm ein Kissen in die Hand und bewarf ihn damit. Diese Dumpfbacke hatte dies aber schon vorausgesehen gehabt, denn zu meinem Leidwesen fing er das Wurfgeschoss mit einer für Männer verbotenen fließenden Körperbewegung mitten in der Luft. Angeber!
„Können wir dann, oder hattest du weiterhin vor Gegenstände sinnlos um dich zu werfen?“
'Ich bringe ihn um, eines Tages bringe ich ihn um!', waren meine lieblichen Gedanken an ihn und ich hoffte in diesem Moment sehr, dass er Gedanken lesen konnte. Was natürlich völlig absurd war, das musste selbst ich zugeben.
„Wir sehen uns in der Schule“, entgegnete ich schlicht und nahm meine Umhängetasche.
„Du willst mich mutterseelenallein in deinem Haus verweilen lassen?“
„Nein, ich will mutterseelenallein den Schulweg antreten, was du vor hast ist mir ziemlich egal.“
Das war die Stelle, an der ich meinen erniedrigen Blick einsetzen sollte. Das hieß ich müsste mich so groß machen wie ich konnte, ohne mich auf die Zehenspitzen zu stellen (das würde den dramatischen Effekt zunichte machen), meine Hände in die Seite stemmen und erniedrigend auf ihn herab schauen. Leider war mir dies nicht möglich, da er mittlerweile aufgestanden war und mich überragte. Hatte ich schon erwähnt, dass ich den Typen hasste? Nein? Dann nochmal: Ich hasste diesen Typ. Und nochmal laut, damit auch der letzte Idiot es mitbekam: „Ich hasse dich.“
Alle aufmerksamen unter euch, hatten mittlerweile mitbekommen müssen, dass ich den verhassten Menschen nun direkt angesprochen hatte.
„Danke für die Blumen Prinzessin.“
Ich strafte ihn mit Nichtbeachtung und ging meinem Weg, der durch die lästige Haustür unterbrochen wurde, die ich erst öffnen musste. Ob es mir mit der nötigen Dramatik gelang wusste ich nicht. Aber ich bezweifelte dies stark, allein schon durch die Tatsache, dass ich der Tür aufgrund des Fußabtreters eher entgegen flog als graziös auf sie zuzugehen. Seid wann zum Teufel stolperte ich über Fußabtreter? Seid wann stolperte ich überhaupt? War ich denn nicht mit einer übermenschlichen Körperkoordination gesegnet, die es mir ermöglichte durch einen Wald zu sprinten, ohne auch nur ein einziges mal zu straucheln?
Ich hörte das Geräusch eines amüsierten Jasons hinter mir und machte mich daran, den Abstand zwischen uns so schnell wie möglich zu maximieren.
Wie hatte ich gestern auch nur einen einzigen positiven Gedanken an ihn verschwenden können?
Die Antwort auf diese Frage war schnell gefunden und zwar in Form meiner besten Freundin Jessica. Hatte sie mir nicht all diese Flausen in den Kopf gesetzt? Von wegen er und nett. Er war eine Plage! Natürlich wusste er, dass es für mich schöneres gab, als mich mit Jessica zu streiten und deswegen verbat ich es mir ihr Gegenüber allzu unfreundlich zu ihm zu sein, doch das nutzte er schamlos aus. Zum Beispiel in der Mittagspause. Da wagte er es doch tatsächlich sich an meinem Pudding zu vergehen, ohne mich vorher zu fragen. Seine Antwort auf meinen verwirrten und erzürnten Blick war lediglich: „Der schmeckt, ich glaub die Sorte nehme ich beim nächsten Mal auch.“ Als wenn wir alte Freunde wären! Was wir ganz sicher nicht waren!
Wenigstens war ich so sehr damit abgelenkt Jason zu verachten, dass der Schultag geradezu an mir vorbei flog. Nach der neunten Stunde trafen sich Jason und ich uns mit Jessica am Haupteingang. Anfangs hatte ich mich noch darüber gewundert, warum er ausgerechnet mit mir zusammen Werte und Normen hatte, anstatt bei den Religionsleuten über Gott und die Welt zu reden (metaphorisch gemeint). Nun wusste ich es ja und es regte mich umso mehr auf. Vielleicht sollte ich zum Ende des Schuljahres wechseln? Für die Abiturprüfungen konnte der Religionsunterricht doch recht praktisch werden.
„Pass auf wohin du gehst“, hörte ich eine mir mittlerweile wohl bekannte Stimme neben mir leise sagen, was mich natürlich aus meinen Gedanken riss. Da dachte man mal ausnahmsweise an etwas vernünftiges, wie die Zukunft, und dann das.
Wütend funkelte ich meinen Nebenmann an.
„Was?“, erwiderte er breit grinsend. „Ich will nur nicht, dass du mit vollem Karacho gegen die Tür dort bretterst.“
„Jason! Die Tür ist noch gut zehn Meter von uns entfernt und ich hatte nicht vor gegen irgendetwas mit vollem 'Karacho' zu 'brettern'“, erwiderte ich angenervt.
„Schlechte Wortwahl?“, wollte er stirnrunzelnd wissen.
„Absolut“, entgegnete ich und wollte das Gespräch damit beenden, doch dann sah ich seinen erwartungsvollen Blick und gab mir einen Schubs... nun eher einen Stoß... oder doch eher einen Schuss durch eine Kanone... Ok, nun übertrieb ich.
„Jason, ich denke und hoffe, dass wir nun in einem Alter angekommen sind, in der wir der allgemeinen Menschheit zeigen dürfen und können, dass wir der korrekten deutschen Sprache mitsamt den grammatikalischen Richtigkeiten durchaus bemächtigt sind. So brauchst du auch nicht in deine Pseudo-Halbstarkensprache zu verfallen. Es hätte voll und ganz gereicht, wenn du mich darüber unterrichtet hättest, dass diese Tür dort in ihren Angeln hängt und du dir lediglich um meine physische Gesundheit Sorgen gemacht hattest.“
„Wie Ihr wollt Milady“, antwortete er schlicht
„Ich schlage dich gleich.“
„Versuchs doch.“
Wir funkelten uns an, er belustigt, ich genervt. Wie würde ich nur auch noch den Abend mit ihm überleben?
„Awwww ihr seid so süß zusammen!“, quitschte eine Stimme neben mir und ich schreckte erneut auf. Jetzt war es offiziell, irgendetwas stimmte nicht mit mir! Oder ich fing einfach an mich mit meiner ureigenen Existenz zu verbinden. Vielleicht bin ich in meinem früheren Leben ein Kaninchen gewesen? Oder vielleicht hatte ich ein Kaninchen im Familienstammbaum... ok vergessen wir das.
Jessica hatte mir vergnügt ihren Arm um die Schulter gelegt und strahlte von einem Ohr zum anderen.
„Weißt du was Sam? Es gibt echt nichts besseres, als wenn sich die zwei besten Freunde vertragen... aber wehe du spannst ihn mir aus.“ Den Rest des Satzes hatte sie mir leise zu geraunt. Meine Augen weiteten sich ungläubig.
„Oh glaub mir meine Liebste, das ist wahrscheinlich das Thema um das du dir am wenigsten Sorgen zu machen brauchst“, raunte ich zurück, in dem Wissen, dass Jason doch alles mitbekommen hatte, auch wenn er so tat, als wenn er von nichts eine Ahnung hätte. Dieser Heuchler!
Ich schnaufte und ging weiter, nachdem sich Jessica erst bei mir und dann bei Jason eingeharkt hatte.
Wir waren schon ein seltsames Trio. Der Top-Freak, die Normale und ich. Ich war auch normal... auf irgendeine verdrehte, seltsame Art und Weise... nun, nennen wir mich doch einfach Sam-like. Ist wohl einfacher für alle Beteiligten. Vor allem für die, die irgendwann eine Biographie über mich veröffentlichen wollten, wobei ich nicht verstand warum irgendwer so etwas tun sollte. War es nicht viel mehr so, dass mein Leben recht langweilig und völlig ereignislos war?
„Worüber denkst du denn jetzt schon wieder nach?“
Ich schaute die Sprecherin neben mir an.
„Warum man eine Biographie über mich heraus bringen sollte. Findest du mein Leben nicht auch irgendwie trist? Der Autor meines Lebens hatte wohl gerade eine fantasielose Phase als er oder sie mich erschuf.“
Ich runzelte grüblerisch die Stirn während Jessica neben mir lachte und selbst Jason leicht schmunzelte.
„Könntet ihr mich vielleicht mal ernst nehmen? Das beschäftigt mich nämlich“, wies ich die beiden verärgert zurecht.
„Tut mir leid, natürlich nehmen wir dich ernst... es ist nur, dass deine Gedanken... manchmal etwas zerstreut wirken.“ Ihr Gekicher straf ihren Worten Lügen. Aber was sollte ich machen? Ich hatte sie einfach zu lieb, als dass ich ihr großartig hätte wütend sein können.
Ich gab nach. „Ist ja auch egal. Ich muss nämlich jetzt auch los, hab heute noch so einiges zu erledigen.“
Ich warf Jason unauffällig einen verschwörerischen Blick zu.
„Ja? Was hast du denn heute noch so vor?“, wollte Jessica wissen, die den Blick nicht gesehen hatte. Also war sie schonmal unaufmerksamer als ich, das fand ich beruhigend.
„So einiges. Erst muss ich nach Hause, etwas essen bevor meine Eltern nach Hause kommen, meine Hausaufgaben erledigen und dann hatte ich mir vorgenommen endlich mal Ordnung in mein Zimmer zu bringen, ich finde in letzter Zeit kaum etwas wieder.“ Nervös grinsend kratzte ich mich hinter dem Ohr, um mein nicht vorhandenes schlechtes Gewissen zu unterstreichen.
„Wurde auch langsam mal Zeit. Als ich das letzte mal bei dir war, sah es aus als hätte eine Bombe eingeschlagen“, tadelte meine Freundin mich und boxte mir in die Seite.
„Dann erwähne ich lieber nicht, dass sich seid dem anscheinend nicht sonderlich viel verändert hat?“, mischte sich Jason endlich in unser Gespräch ein. Warum endlich? Nun ja, mittlerweile hatte ich mitbekommen, dass er sehr viel redete, wenn er nicht gerade in Gedanken versunken war. Und da die meisten seiner Gedanken darum kreisten mich weiter in den Wahnsinn zu treiben, war ich immer ganz froh, wenn er seine kleinen Machenschaften unterbrach um seine nervige Stimme erklingen zu lassen.
„Am besten wir beenden das Thema an dieser Stelle, ich muss echt los Leute“, unterbrach ich Jessica, die zu einem neuen Schwall an Erziehungsweisheiten angesetzt hatte.
„Nun... dann wollen wir dich auch nicht weiter stören“, entgegnete sie und blies beleidigt ihre Wangen auf, was ihr Gesicht nicht nur runder, sondern auch viel niedlicher erschienen ließ.
„Du bist einfach zu niedlich Klein-Jessi“, zog ich sie auf und machte mich lachend und winkend auf den Weg in Richtung meines trauten Heims.
Nachdem ich um die Ecke gegangen war, verschwand mein Grinsen und ich legte eine gleichgültige Miene auf. Jetzt, nach der Schule, begann der Ernst des Lebens für mich.
Ich musste meine Hausaufgaben machen, meine Sachen packen und zu Jason fahren. Meinem 'Partner'. Es war immer noch gewöhnungsbedürftig so an ihn zu denken. Wahrscheinlich würde ich ihn immer als kleinen Spießer in Erinnerung behalten.
„Womit habe ich das verdient?“, fragte ich mich laut, in dem Moment in dem mein Handy anfing zu klingeln.
„Ich hoffe du versuchst dich nicht davor zu drücken“, wurde ich auf die liebenswerte Art Dannys begrüßt.
„Falls du das Treffen mit Jason meinst, dann kann ich dich beruhigen. Ich muss nur noch ein paar Vorbereitungen treffen. Doch wenn deine Worte auf was anderes gerichtet waren, muss ich dich leider enttäuschen, da ich absolut keine Peilung habe was du meinst“; entgegnete ich genervt.
„Was ist denn mit dir los? Keine Sticheleien heute?“ Danny klang ernsthaft besorgt... wie niedlich.
„Gewöhne dich nicht daran. Wenn ich wieder gut gelaunt bin, hole ich es doppelt und dreifach nach“, entgegnete ich. „Hast du mich nur angerufen um mich an meine Pflichten zu erinnern?“
„Nicht nur, du hast auch eine Lieferung in deine Waffenkammer bekommen. Ich hoffe du freust dich darüber.“
Ich runzelte die Stirn. „Ein neues Item? Womit habe ich es verdient?“
„Wirst du schon sehen. War nett mit dir zu plaudern, aber ich muss zurück an meine Arbeit. Schließlich gibt es auch Menschen die es sich nicht erlauben können in der Schule zu faulenzen.“
Ich wollte gerade mit einer haarsträubenden Gegenargumentation beginnen, als er die Verbindung trennte. Sicher half mir das meine angespannten Nerven zu lockern! Hatte ich schon erwähnt, dass ich Jason dafür hasste?
Zirka eineinhalb Stunden und mehreren Hasshymnen auf Jason später, saß ich in seinem schwarzen Lexus IS und ich fühlte mich absolut unwohl. Noch auffälliger konnte man nun wirklich nicht durch die Innenstadt chauffiert werden. Langsam rutschte ich meinen Sitz hinunter, während Jason mich musterte. Natürlich hatte er seine Privatkleidung angelegt und verströmte seine Pheromone ungebremst in die Außenwelt und da ich gerade im Alter war, wo man für sowas sehr empfänglich ist, fühlte ich mich noch unwohler.
„Alles in Ordnung? Du siehst so versteift aus.“
„Ach?“, warf ich patzig zurück. Ich bewegte mich so weit von ihm weg, wie es hier hinten möglich war, doch sonderlich viel Platz brachte mir das nicht ein. Plötzlich wünschte ich ihn mir in seine Schulkleidung zurück. Die war nicht annähernd so gefährlich, für weibliche Individuen, wie sein momentaner Aufzug.
„Jetzt mal wirklich Samantha. Wenn du meine Gegenwart nicht erträgst, dann können wir unsere Partnerschaft auflösen, aber lass uns wenigstens diesen Fall zu Ende bringen, ok?“
Was war das? Machte er sich wirklich Gedanken um mich? Teils misstrauisch, teils völlig von den Socken sah ich ihn an.
„Das ist nicht dein Ernst!“, rief ich, etwas zu laut. Der Fahrer musterte mich im Rückspiegel. Ich schaute ihn entschuldigend an.
„Wieso sollte ich scherzen? Was habe ich davon, wenn meine Partnerin mich dermaßen verabscheut, dass ein vernünftiges Zusammenarbeiten nicht möglich ist?“
Ich wusste nicht, ob ich diese Worte mit Freude oder Wut annehmen sollte. Ich entschied mich dafür, eine fragende Miene aufzusetzen.
„Ich kann dir nicht ganz folgen“, gab ich verwirrt zu.
„Was ist daran so schwer zu verstehen? Sobald dieser Fall erledigt ist, werden wir beide getrennte Wege gehen. Vielleicht werde ich auch wieder die Schule wechseln.“
Diese Worte machten mich wütend.
„Das kannst du nicht tun du Egoist!“, äußerte ich aufgebracht. Jasons Augen weiteten sich verblüfft.
„Aber-“
Ich unterbrach ihn.
„Was soll denn Jessica machen, wenn du plötzlich gehst? Auch wenn ich es nicht billige, bist du ihr ans Herz gewachsen und ich bin mir absolut sicher, dass es ihr das selbige brechen würde, wenn du einfach so verschwinden würdest. Diese Schuld kann ich, als beste Freundin, doch nicht auf mich laden.“
Wir starrten uns eine Weile an und sagten gar nichts, dann meldete sich mein Gegenüber wieder.
„Und mich nennst du Egoist, du denkst doch auch nur an dein schlechtes Gewissen.“
Ich seufzte. „Da hast du wohl recht.“
Wieder war es still im Wagen, nur das leise Summen des Motors drang zu uns durch. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Ich für meinen Teil fragte mich zum Beispiel insgeheim, was genau ich für eine Lieferung bekommen hatte. War es der kleine Taschenlaser, den ich schon vor Monaten bei Danny angefordert hatte? Oder vielleicht... mir viel nichts anderes ein und ich zählte Danny nicht zu dem Typ Mensch, der einem aus reiner Menschenfreundlichkeit irgendetwas schenkte und vor allem nicht mir. Also... was konnte es sein? Ich platze fast vor Aufregung und Neugier.
„Kommst du Samantha? Wir sind da.“
Überrascht schaute ich auf. Tatsache, wir standen direkt vor der Villa.
„Oh, danke“, murmelte ich, immer noch leicht benebelt.
Auf das 'Willkommen junger Herr' war ich vorbereitet, aber nicht darauf, dass Jasons Eltern ebenfalls in der Eingangshalle standen und mich musterten.
„Da bist du ja wieder Sohn und dann auch noch in Begleitung einer so hübschen jungen Dame“, begrüßte uns der Herr Papa und mir wurde sofort klar, woher Jason seinen Überschuss an männlichen Hormonen hatte.
„Ähm... guten Tag“, sagte ich, leicht nervös.
„Hallo Samantha. Es freut mich dich kennen zu lernen“, meldete sich seine Mutter zu Wort.
„Die Freude ist ganz meinerseits Frau und Herr Chakram.“ Ich versuchte krampfhaft höflich zu seinen Eltern zu sein, sie konnten ja nichts für ihren missratenen Sohn. Ebenfalls bot ich ihn, ebenso höflich versteht sich, das 'Sam' an. Ich mochte es perdu nicht Samantha genannt zu werden. Warum Jason es tat wusste ich nicht, aber den mochte ich ja auch nicht, also konnte es mir egal sein.
Seine Mutter, die wirklich noch sehr jung aussah und verdammt hübsch war, lachte ein helles Lachen. „Bitte, sei nicht so förmlich. Mein Name ist Calandria, du kannst mich aber auch ruhig Candy nennen.“
Das verblüffte mich. Sie sah aus wie eine High Society Lady und benahm sich wie eine pubertierende Jugendliche. Erst recht wie sie sich an ihren Mann klammerte und ihn anstrahlte.
„Mein Name ist Armon, freut mich.“ Jasons Vater reichte mir die Hand und schüttelte sie kräftig.
„Ähm...“ Ich konnte diese Familie nur fassungslos anstarren und ausgerechnet Jason war es, der mich aus dieser misslichen Lage befreite.
„Mutter, hast du ihre Kleider bereit gelegt?“
Candy – der Name ging verdammt leicht von den Lippen!- lächelte ihren Sohn an.
„Natürlich. Ihr könnt gleich mitkommen und euch umziehen. Oder wollt ihr es euch erst gemütlich machen? Wir könnten etwas zu Abend bestellen.“
Bei Erwähnung von Nahrung meldeten sich meine menschlichen Bedürfnisse und ich bemerkte, dass ich versäumt hatte zu Hause etwas zu essen, aber das würde ich nie zugeben.
„Das wäre sehr lieb von dir. Könntest du uns rufen lassen, sobald das Essen da ist? Ich wäre gerne etwas mit Samantha alleine“, entgegnete Jason.
„Sicherlich. Was möchtet ihr? Asiatisch? Italienisch? Französisch?“
Jason sah mich eine Weile an, während ich immer noch stocksteif da stand.
„Asiatisch für uns beide bitte“, antwortete er schließlich, nahm meine Hand und zog mich in sein Zimmer, dort durfte ich es mir wieder auf seinem Bett gemütlich machen. Vorher schaute ich aber nochmal, ob nicht irgendwas aus der Decke schießen konnte, was Jason zum Lachen brachte.
„Keine Sorge. Diesmal sind alle Fallen deaktiviert. Beim letzten Mal wollte ich dich nur testen.“
„Sehr beruhigend. Wenn du das mit all deinen Besuchern machst, dann kannst du dir aber sicher sein, dass du sehr einsam sterben wirst.“
„Jeder Mensch stirbt einsam Samantha.“ Er setzte sich auf seinen Bürosessel, drehte sich zu mir um und schlug die Beine übereinander. Ich war mir absolut sicher, dass diese Bewegung auf keinen Fall sexy aussah. Kein bisschen... ok... vielleicht etwas...
„Was möchtest du jetzt gerne tun, während wir auf das Essen warten?“
Ich beäugte den Sprecher.
„Warum bist so so verdammt freundlich zu mir, wenn wir alleine sind, gehst mir aber, wenn wir unter Menschen sind, dafür doppelt so viel und oft auf die Nerven?“
Jason strich sich die Haare zurück. „Das selbe könnte ich dich fragen.“
Ich hob fragend eine Augenbraue. „Wie meinen?“
Er seufzte auf und rollte etwas näher zu mir heran. Automatisch versuchte ich etwas zurück zu rutschen. Zum Glück tat er so, als würde er es nicht bemerken und antwortete auf meine Frage.
„Du hast mich in der ganzen Zeit, in der wir nun zusammen sind nicht ein einziges Mal verflucht, tust es in der Schule aber fast ununterbrochen. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen du wärst von mir besessen. Als würdest du den ganzen Tag an mich denken und dir immer wieder sagen wie sehr du mich hasst. Wenn ich dich nicht besser kennen würde, dann könnte ich mit Sicherheit sagen, dass du dir selbst etwas vorspielst. Aber gerade da ich dich nun besser kenne, kann ich mir selber versichern, dass du anders bist als normale Frauen die so etwas tun und vollkommen unberechenbar bist.“
Ich hatte bis dahin still dagesessen, ihm zugehört und nervös auf meiner Unterlippe herumgekaut. Natürlich war mir, nachdem er es laut ausgesprochen hatte klar, dass er Recht hatte. Ja, ich dachte oft an ihn. Verfluchte ihn. Wollte mir einreden, dass ich ihn hasste. Aber in einer Sache hatte er unrecht. Er war der Meinung, dass ich anders war und mir sicher nichts vormachte. Aber war das wirklich so? Und wie konnte dieses Gespräch überhaupt die Bahnen nehmen? Lieber würde ich mich ihm gegenüber völlig zum Idioten machen und ihm sagen was für ein Arsch er doch war, als mich ihm Gegenüber zum Vollidioten zu machen und ihm sagen, wie wenig er doch über mich wusste und wie wenig ich ihn vor allem verabscheute. Aber ich war unberechenbar! Und gerade das sollte mir doch dabei helfen können IHM etwas vorzumachen...
„Du Arsch“, warf ich ihm grinsend entgegen und ein Kissen hinterher, was er aber leider in der Luft fing. Blöder Agent!
Er rollte mit den Augen. „Ok, ich hab mich geirrt. Irgendwie wusste ich, dass du sowas ähnliches von dir geben würdest.
Statt wie eine beleidigte Leberwurst anzufangen zu schmollen, grinste ich nur breiter.
„Du weiß doch gar nicht, mit was du dir die Beleidigung verdient hast“, meinte ich schlicht, lehnte mich zurück, stützte mich mit der rechten Hand ab und lies meine linke lässig auf die übereinander geschlagenen Beine fallen.
Er seufzte. „Will ich es denn überhaupt wissen?“
Mein Blick wurde ernster. „Ich hoffe für dich, dass du deine Neugierde kaum noch für dich behalten kannst.“ Mein strenger Blick traf auf seinen leicht genervten.
„Oh siehst du es denn nicht? Ich kann mich kaum noch beherrschen und falle über dich, wenn du es mir nicht sofort erzählst.“
Eins musste man dem Jungen lassen: Er schaffte es auf eine verblüffende Art und Weise tatsächlich einen funken Ernsthaftigkeit in diesen ironischen Satz zu bringen, ohne das es übertrieben oder lächerlich wirkte.
„Du nennst mich 'Samantha'. Es gab schon Leute denen ich aus weit geringeren Gründen den Schädel von den Schultern gepustet habe“, entgegnete ich spitz.
„Du hast so eine Art... die ist so unglaublich feminin und liebreizend, dass mir ganz warm ums Herz wird. SAM!“
Ich lächelte. „Schluss jetzt mit der falschen Ironie Watson, was gedenkst du nun zu tun.“
„Ich dachte dir als Sherlock würde etwas einfallen“, war seine schlichte Antwort. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mich in der Rolle des Denkenden in unserer Beziehung, falsch besetzt sah.
„Wollen wir die Rollen tauschen? Darf ich dann den pragmatisch denkenden Watson spielen?“
Jason sah mich mit einem gequälten Blick an.
„Sowas nennt man in Fachkreisen auch Literaturschändung. Conan Doyle würde sich im Grabe umdrehen, bekäme er mit was du mit seinen Romanfiguren anzustellen gedenkst.“
Beleidigt verschränkte ich meine Arme und blies meinen Wangen auf.
„Wie wäre es wenn du einfach die scharfzüngige, freche und intelligente Samantha Scythe wärst und ich deinen Noch-Partner Jason Chakram abgeben würde?“
Ich tat so als würde ich dieses Angebot überdenken und lächelte dann.
„Einverstanden... unter der Bedingung, dass du das 'Noch-' streichst.“
„Du hast dich an mich gewöhnt?“ Etwas ungläubig musterte er mich, während ich mich vom Bett erhob.
„Himmel, nein! Wo denkst du hin? Ich habe nur keine Lust mir von Danny eine schlimmere Nervensäge als Partner anbinden zu lassen, nach dem ich dich erfolgreich los geworden wäre. Dann nehme ich doch lieber das was ich habe und schaue was ich damit machen kann, als von einer kleinen Pfütze in die nächste zu Springen in der Hoffnung die wäre nicht so tief und stattdessen in dieser unter zu gehen.“
„Das du so poetisch sein kannst, hätte ich dir nicht zugetraut.“
„Ich hasse dich.“
Wir beide starrten uns Minutenlang an, dann wand sich Jason ab - während ich innerlich über diesen Minisieg triumphierte – und sagte schließlich: „Du willst also, dass wir uns ins Blue Dragon schleichen und irgendwelche Typen verhören ob sie ganz zufällig einen etwas irren, aber unglaublich charmanten Jüngling gesehen haben, der irgendwas von 'Weltvernichtung' und des gleichen gefaselt hat?“
Meine Augen weiteten sich erschrocken.
„Oh mein Gott Jason! Der Plan ist genial, da fühle ich mich ja geradezu dumm gegen! Und ich wollte uns under cover dort hinein schleusen und versuchen herauszufinden ob er dort mit irgendwem Geschäfte macht und wenn ja mit wem genau und ob man durch diese Person weiteres heraus finden kann. Aber deine Version ist natürlich wesentlich direkter und durchdachter.“
Er schlug mir freundschaftlich an den Hinterkopf und sah zu mir hinab. Wieder einmal merkte ich wie viel größer er doch war.
„Du weißt wie ich das meine.“
„Mhh... ja. Ich mag es dich zu ärgern“, gab ich zu.
„Ok, dann macht es dir sicher nichts aus, wenn ich dich jetzt ärgere und in ein Kleid stecke?“
Meine Augen weiteten sich erschrocken und mein Mund klappte auf.
„Bitte was?!“, fragte ich schrill.
„Dachtest du etwa ich lasse dich so“, er deute mit einem Handschwenker auf mein Outfit, „in eine Nobelbar gehen?“
Ich wurde rot. „Nein... aber um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft, dass du dich für Einen Anzug meinerseits erweichen lassen kannst.“
Er ließ sich gar nicht erst auf eine Diskussion mit mir ein, sondern zerrte mich mit in das Arbeitszimmer seiner Mutter und plante mit ihr meinen persönlichen Untergang.
„Ich hatte an etwas schlichtes gedacht?“, erklärte er ihr gerade in einem sachlichen Tonfall, aber nicht so wie ein Sohn zu seiner Mutter spricht, sondern eher ein Kunde zum Besitzer einer angesehenen Modeboutique.
Sie ließ wieder den Blick über mich schweifen, nur diesmal war es geschäftsmännischer. Mir lief ein Schauder den Rücken hinab. Wo war ich hier nur wieder gelandet?!?
„Ich denke mal, ich kann wieder mal ein paar Kleider aussortieren, nach dem Essen kleiden wir dich an Samantha.“ Sie legte den Arm um mich und führte mich lachend aus dem Raum. Ihr Sohn folgte uns mit den Händen in den Hosentaschen. Ich fühlte mich immer mehr völlig fehl am Platz. Und dieser Zustand änderte sich am Esstisch auch nicht sonderlich. Irgendwann kam ich zu der unglaublichen Erkenntnis, dass diese Familie sie entweder nicht mehr alle hatte, oder die Eltern wirklich einfach nur verdammt freundlich waren. Das beängstigte mich auf eine merkwürdige Art und Weise.
„Und wie läuft es bei dir in der Arbeit mein Sohn?“, fragte Armon seinen Sohn, fast wäre mir die Ente aus dem Mund gefallen, doch nach einem Blick auf Jason fiel mir auf, dass er nicht einmal zusammen zuckte.
„Zero geht uns allen mal wieder auf den Nerv, aber sonst läuft es ganz gut.“
Ich fand es immer noch befremdlich, dass seine Eltern von seinem Job wussten und es allen Anschein nach sogar billigten. Was war das für eine Familie?
„Und wie bist du an diese reizende Partnerin geraten?“ Vaters Blick schweifte zu mir herüber und er lächelte mich freudig an. Nun verschluckte ich mich doch, aber diesmal an meinem Wasser. Jason klopfte mir leicht auf den Rücken.
„Nun, eigentlich war das mehr eine Fügung des Schicksals. Ich durfte mir doch damals einen Partner für die neue Organisation aussuchen und bin zufällig über ihre Akte gestolpert, ich nahm sie und fand ihren Lebenslauf ganz interessant.“
Ich wäre fast von meinem Designerstuhl gesprungen.
„Du durftest dir deinen Partner aussuchen?!? Und warum ich nicht? Ich bin doch mindestens so gut wie du!“
„Vielleicht liegt es lediglich daran, dass du ein Mädchen bist?“
Mir fiel die Kinnlade hinunter, mir fiel erst später ein, dass es nicht gerade höflich war den Sohn der Familie vor dieser anzufahren, aber in diesen Moment war mir das herzlich egal.
„Ach, du denkst also, dass mein Chef ein gottverdammter Sexist ist? Oh Gott, ich bitte dich, das glaubst du ja wohl selber nicht! Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass du da deine Finger im Spiel hattest.“ Böse funkelte ich ihn an, doch Jason sah mich nur amüsiert an. „Was ist?!“, wollte ich wissen.
„Das fällt dir natürlich wieder richtig früh ein. Klar habe ich dafür gesorgt, dass du meine Partnerin wirst. Weil ich dachte du wärst interessant, mehr nicht.“
„Und du sie hübsch findest“, hörten wir seine Mutter vergnügt quieken.
„Mutter, du weißt genau, dass ich nicht so oberflächlich bin! Ich suche mir meine Partner doch nicht nach dem Äußeren aus.“
„Genau und außerdem mag er mich eigentlich gar nicht, weil er nämlich feststellen musste, dass ich ein ziemlich dickköpfiges Ungetüm sein kann“, wand ich noch ein.
Bevor seine Mutter noch mehr sagen konnte, sprang Jason auf.
„Bist du fertig? Dann zeige ich dir jetzt mal deine Kleiderauswahl.“
„Wenigstens das darf ich mir noch selber aussuchen“, murmelte ich und stand auf.
Kapitel 5
„Was soll ich denn mit so etwas?“
Verzweifelt hielt ich ein rosafarbenes Stück Stoff in die Höhe, das in etwa die Größe eines Putzlappens hatte. Wollte mir Jason dieses Ding wirklich als Kleid andrehen?
„Das war Mutters persönlicher Favorit.“ Ja, anscheinend wollte er das.
„Hör mal Jason. Selbst wenn ich nur einen Tanga tragen würde, hätte ich immer noch mehr an, als wenn ich in das hier steigen würde.“ Ungläubig musterte ich das Etwas zwischen meinen Fingern, während Jason mich musterte.
„Bitte erspare uns den Anblick“, meinte er schließlich und drehte sich um. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht bestürzt war.
„Soll das heißen, ich sei nicht attraktiv?!?“ Ich stemmte meine Hände in die Seiten und funkelte meinen Gegenüber an, doch ihn berührte das nicht im Geringsten.
„Erspare uns den Anblick“, meinte er nur und wühlte weiter zwischen den verschiedenen Kleiderhüllen, bis er eins raus holte, was auf dem ersten Blick gar nicht mal so schlecht aus sah. Sich auf dem zweiten allerdings als ein schwarzes, mit Spitze besetztes Etwas entpuppte. Ich raufte mir die Haare.
„Das kann man ja gar nicht mit ansehen! Ich suche mir mein Kleid selber aus, raus hier.“
Ohne ihn zu Wort kommen zu lassen, schob ich ihn aus dem Raum und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Wir hatten nicht ewig Zeit und er vertrödelte das letzte bisschen davon, indem er mir absurde Kleiderwahlen vor die Nase hielt. Himmel! In seiner privaten Form hatte er doch auch einen Hammer Modegeschmack! Was war nur los mit diesem Jungen?!?
Ich wühlte Gefühlte fünf Minuten durch die Kleiderstangen und Kleiderhüllen, bis ich schließlich auf ein schlichtes, an der Taille eng anliegendes, schwarzes Kleid stieß, dass mir auf Anhieb sehr gut gefiel. Jedenfalls besser als alle anderen, sollte ich vielleicht anmerken. Schnell schlüpfte ich in den leichten, weichen Stoff und strich ihn an mir glatt. Mir viel jetzt erst auf, dass meine Beine dank des flatterigen Rockteil des Kleides recht schlank wirkten. Wenn ich jetzt noch die passenden Schuhe dazu finden würde wäre ich glücklich...
„Das hat ja ewig gedauert. Was hast du denn die ganze Zeit-“ Jason stockte, als er mich ansah.
„Meckere nicht, sondern sag mir lieber wo euer Badezimmer ist, ich muss mich noch schminken.“ Meinte ich und trippelte in meinen schwarzen Sandaletten an ihm vorbei.
„Mutters Kosmetikerin wird dich schon herrichten, aber davor hast du noch einen Friseurbesuch.“
„Wieso hat deine Mutter eine Kosmetikerin?“
„Weil sie Modedesignerin ist und jemanden braucht, der ihre Modells anschaulicher gestaltet.“ Schlichte Antwort auf ernst gemeinte Frage. Wusste Jason eigentlich, wie gut er es hatte?
Ich musterte ihn, wie er selbstsicher und mit erhobenen Hauptes vor mir her ging. Er schien sich sichtlich wohl in seiner Haut zu fühlen und warum auch nicht? Er wohnte in diesem großen Haus mit Angestellten und allem drum und dran, hatte steinreiche Eltern und verdiente sich selbst monatlich eine goldene Nase. Theoretisch würde er nie wieder arbeiten gehen müssen, denn sicherlich hatte er mittlerweile so viel Geld, dass es für den Rest seines Lebens reichte. Und psychische Störungen hatte er auch nicht, das hieß, dass er völlig unbeschwert sein Leben leben konnte.
Anders als ich. Ich musste jeden Tag darum fürchten, dass sich meine psychischen 'Probleme' derweit ausweiteten, dass ich die Kontrolle über mich selbst verlor und ich schlussendlich eliminiert werden musste. Mir wurde schwer ums Herz und ich blieb stehen. Urplötzlich fing ich an mich zu fragen, wann wohl der Tag meiner Eliminierung sein würde.
„Was machst du denn da? Ich dachte, wir hätten nicht ewig Zeit.“
Mir war gar nicht aufgefallen, dass Jason ebenfalls stehen geblieben war und mich nun etwas genervt musterte. Doch schnell wich dem ein besorgter Blick. „Alles in Ordnung?“
Ich riss mich schnell wieder zusammen. „Natürlich! Was denkst du denn? Komm schon.“
Ich ging an ihm vorbei und hoffte, dass er die Tränen in meinen Augen nicht gesehen hatte. Was musste meine sentimentale Seite auch in Momenten wie diesen zum Vorschein kommen?!? Wenn es so weiter ging, fing ich irgendwann an rosa Kleidchen zu tragen und mein Leben wie ein Märchenmusical zu gestalten. Das hieß meine Emotionen in Gesang und Tanz umzuwandeln. Ich schauderte bei dem Gedanken. Das war dann doch zu grausam!
„Mensch, jetzt hör schon auf mich so entgeistert anzustarren! Das nervt.“
Ich verschränkte meine Hände unter der Brust und funkelte Jason an.
„Tut mir ja leid, aber du siehst so verändert aus...“, meinte dieser und ihm war anzusehen, dass er - aus welchen Gründen auch immer - recht unbeholfen wirkte, während seine Eltern grinsend neben uns standen.
„Vielleicht liegt es ja daran, dass ich eine Tonne Make-up im Gesicht habe... jedenfalls fühlt es sich so an. Besonders natürlich wirkt das ganz sicher nicht mehr.“
Calandria... ich meine 'Candy' lächelte mich an. „Es ist perfekt. Du wirkst auf jeden Fall älter und reifer... nicht dass du sonst kindisch aussiehst. Du bist auch ohne Make-up wunderschön.“
Ohne dass ich es wollte, errötete ich leicht. „Ach bitte Candy, hör doch auf“, meinte ich nervös lachend.
Doch sie musterte mich streng. „Das war mein voller ernst. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass mein Sohn noch nicht versucht hat sich dir zu nähern, wo du doch sein Typ bist.“
„Mutter!“, rief Jason.
„Liebling“, meinte ihr Mann.
„Ja was denn? Ist doch so.“ Sie verschränkte ebenfalls ihre Arme. Allerdings, anders als ich, beleidigt.
„Ich glaube wir müssen los“, warf ich ein, bevor noch irgendwer irgendetwas sagen konnte.
Den Blick den Jason mir zuwarf konnte man leicht als 'Danke' interpretieren. Aber wir sprachen hier von Mr. Supersnob, demnach war ich mir sicher, dass ich mich nur verguckt hatte. Oder irgendwas hat meine Sicht gestört. Wahrscheinlich die Tonne schwarzer Tusche auf meinen Wimpern. Ich fühlte mich verdammt falsch in meinem Outfit. Ich war nur froh, dass Jason optisch zu mir passte. Seine Haare elegant zurück gegelt, so dass seine roten Strähnchen nicht mehr zu sehen waren, sein dunkelgrauer Anzug, der seine Pheromonausschüttung nur zu fördern schien. Lässig hatte er seine Hände in der Anzughose stecken. Was hatte er heute Abend noch vor? Ich bezweifelte, dass er die Bar alleine verlassen würde, wenn ich nicht dabei wäre.
Dieser Weiberheld...
Galant stieg ich in die weiße Stretchlimousine und nachdem auch Jason neben mir Platz genommen hatte konnte es los gehen.
„Was zum Henker ist das!!“
„Das, meine Liebe, ist das 'Blue Dragon'“, antwortete Jason schlicht und ging völlig entspannt auf die Eingangstür zu.
„Guten Abend Mr. Diamond. Schön, dass Sie uns mal wieder beehren.“
Mir viel fast die Kinnlade hinunter, als ich bemerkte, dass der Türsteher Jason angesprochen hatte. Und noch verblüffter war ich, als Jason völlig ungerührt antwortete: „Dies ist meine liebreizende Bekanntin Sonya Rivers.“
Wenigstens konnte ich mit dieser Information etwas anfangen. Schließlich sagte der Personalausweis in meiner Tasche nichts anderes. Mein Name war also Sonya Rivers, ich war 22 Jahre alt und ledig.
Ich reichte dem Portier die Hand und lächelte ihn verführerisch an.
„Es freut mich, dass ich nun endlich die Zeit gefunden habe dieses Etablissement aufzusuchen, schließlich hat mir Alexander schon so viel davon erzählt.“
Ich harkte mich bei 'Alexander' unter und gemeinsam betraten wir das Lokal. Nun... 'Lokal' war etwas untertrieben. Eher glich es einem Club für die oberen Zehntausend.
Es würde zu lange dauern und zu viel Platz in Anspruch nehmen die Räumlichkeiten zu beschreiben. Stellt euch einfach vor, ihr würdet in einen schummrig beleuchteten, mit Edelmöbeln ausgestatten Raum kommen, der etwas verbotenes, düsteres aber auch faszinierendes ausstrahlt und in denen sich Menschen in teuren Anzügen und Kleidern das letzte Geld mit irgendwelchen Pokerspielen aus der Tasche zogen.
Während ich leicht verloren und hilflos in der Gegend herum stand und versucht war weiblich und reif zu wirken, ging Jason zielstrebig auf einen der Tische in der hinteren Ecke zu und setzte sich, als wenn das alles hier nichts neues für ihn war. Anders als für mich schien das wirklich kein Neuland für ihn zu sein. Was zum Teufel tat der in seiner Freizeit!?!
Sicheren Schrittes folgte ich ihm und setzte mich aufreizend neben ihn.
„Du gewöhnst dich daran“; murmelte er mir unauffällig zu.
Ich zweifelte daran... stark sogar, aber das musste er ja nicht wissen, oder?
„Kann ich ihnen etwas zu trinken bringen?“; meinte ein nett wirkender Typ im Anzug, der plötzlich neben uns aufgetaucht war.
„Einen 'Captain Morgan' Spiced Gold.“ Jason... pardon, Alexander stand wohl auf deftigeres, aber was um Himmels willen sollte ich denn nehmen? Mir vielen auf die schnelle nur ein paar bekannte Drinks ein und einen 'Alexander' zu bestellen, fand ich mehr makaber als absurd.
„Einen 'Mai Tai' für mich....“, entschloss ich mich schließlich und verkniff mir das 'Bitte' an dieser Stelle gekonnt. Schließlich kannte ich den Umgangston nicht, den man in solchen Kreisen für gewöhnlich benutzte. Ich sah meine Chancen einen Job als Undercover Ermittlerin zu bekommen immer mehr schwinden.
„So, hast du schon etwas verdächtiges Entdeckt?“, riss mich Jason, Schrägstrich Alexander, aus meinen Gedanken.
Ich musterte ihn ungläubig. Wir sind gerade mal eine halbe Minute hier und da soll mir schon irgendetwas aufgefallen sein? Was dachte der Typ was ich bin?
„Also junges Fräulein, ich zeige dir jetzt mal“, meinte er gekonnt besserwisserisch. Na da war ich aber mal gespannt! Das er mich mit 'junges Fräulein' angesprochen hatte, würde ich ihm später noch heim zahlen...
„Siehst du die Frau im engen roten da am Pokertisch, neben dem etwas korpulenteren reichen Herren?“
Ich folgte seinem Blick und nickte unmerklich. „Die lässt schon seid einer geraumen Zeit ihre Hand immer mal wieder an ihren Oberschenkel wandern und denkt, dass es unauffällig wäre. Ich bin mir nahezu hundertprozentig sicher, dass der arme Mann bald schon seinen letzten Atemzug tun wird.“
Ich musterte die von ihm ins Augenlicht genommene Frau und stellte verblüfft fest, dass er recht hatte. Mensch! Wo hatte ich meine Augen.
„Und der freundliche Kellner von eben? Kurz bevor er unsere Bestellung aufnahm, hat er sich noch mit einem anderen Mann unterhalten, am besten du trinkst nichts von dem, was er dir bringt. Wobei du dein Bestelltes wahrscheinlich eh nicht vertragen würdest.“
Ich versuchte ihm unauffällig unter dem Tisch zu treten, verfehlte mein Ziel jedoch.
„Idiot“, grummelte ich, doch er lächelte mir nur vertraut zu.
„Ok, machen wir weiter junge Detektivin. Die Person, die dort in der Ecke steht und uns beobachtet-“
Langsam wand ich mich um und sah, dass wirklich eine dunkle Gestalt zu uns gewandt stand.
„-ist meine Mutter die uns beschattet und sich irgendetwas spannendes zu sehen erhofft.“
Ich fiel aus allen Wolken. Waren wir hier in einem schlechten Krimi!?
„Nee oder?“, fragte ich entgeistert.
Alexander wurde ernst. „Natürlich nicht! Mensch Sonya, was ist los mit dir?“
Ich lief rot an. „Ich bin noch nicht ganz auf meine Aufgabe eingestellt, tut mir leid.“
„Ihre Getränke. Bitte schön.“ Wieder stand dieser Kerl neben uns. Schoss aus dem Boden wie die Pilze! Wie machte er das?
„Danke, sie können gehen.“ Alexander hatte das keineswegs als Bitte ausgesprochen. Viel mehr schwang eine seichte Drohung mit in seinen Worten. Wenigstens verstand der Kellner sofort was er meinte und ging ohne ein weiteres Wort. Wie viele Seiten hatte Jason eigentlich? Zugegeben, auch ich hätte mich gerade am liebsten etwas von ihm entfernt, aber ich riss mich zusammen und blieb sitzen und um meinen Mut zu zeigen rückte ich sogar noch etwas näher heran. Er musterte mich.
„Ich habe keine Angst vor dir“, erklärte ich knapp, das verwirrte ihn noch etwas mehr, aber darauf wollte und konnte ich keine Rücksicht nehmen, denn plötzlich viel mir etwas ins Auge, dass sich ganz eindeutig mit unserem Fall in Zusammenhang bringen ließ.
Zwei in Anzug gekleidete Männer unterhielten sich miteinander und gingen dann auffällig unauffällig einander vorbei. Dann schien so etwas wie eine stille Post im Gange zu sein, denn jeder fing an mit dem Nebenmann zu tuscheln. Bis nach zirka zehn Minuten jeder das kleine Geheimnis zu wissen schien, nur Alexander und ich natürlich nicht. Aber mir lief ein kalter Schauer den Rücken hinab.
„Alexander? Irgendetwas stimmt hier nicht.“
„Ist mir auch aufgefallen. Ich denke mal, dass er Bescheid weiß.“ Alex stand auf und ging auf die dunkle Gestalt in der Ecke zu.
„Guten Abend Zero“, begrüßte er ihn. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Was war hier los?
„Mensch, habt ihr lange gebraucht um mich zu bemerken“, hörte ich Zeros gelangweilte und dennoch charismatische Stimme.
„Erzähl mir nichts“, erwiderte Jason. „Du bist erst seid ungefähr einer Minute hier.“
Zero schritt aus den Schatten und so war ich seiner entfalteten, völlig überbewerteten Männlichkeit ausgeliefert. Nein, ich fand ihn keineswegs faszinierend und würde mich nie von ihm um den kleinen Finger wickeln lassen.
„Oh, Samantha. Du hier?“
Mein Herz schlug immer schneller. Nicht in die Augen schauen Sam! Schau ihm bloß nicht in die Augen!
Diesmal hatte mein Mantra nicht den gewünschten Effekt und ich warf ihm doch einen wütenden Blick zu, der von seinem unterkühlten aber sofort gedämpft wurde. Wieso um Himmels willen hatte Zero all das, was ich an meinem wahr gewordenem Männertraum zu schätzen wusste?
Er war groß, trug meistens schwarz, oder Leder. Wusste Nietenschmuck richtig einzusetzen, war intelligent, hatte einen bissigen, sarkastischen Humor und war einfach nur unnahbar. Wenn er nicht gerade die Mensch gewordene Boshaftigkeit, Heimtücke und Kaltherzigkeit wäre... nun ja... es würde mich nicht viel halten können. Aber mein gesunder... nun halbwegs gesunder Menschenverstand sagte mir, dass ich diese Person zu hassen hatte. Und das tat ich. Ich hasste ihn abgrundtief. Aber wieso bekam ich dann jetzt den Mund nicht auf? Und warum kam er näher auf mich zu?!?
Ich erwischte mich dabei, wie ich immer weiter nach hinten ging. Erst später fiel mir auf, dass wir umzingelt waren! Wo hatte Zero seine Leute mal nicht?!?
„Süße, kleine, eingeschüchterte Sam. Wir kennen uns doch mittlerweile gut genug, dass du hoffentlich nicht immer noch Stunden brauchst um den Mund aufzukriegen. Wo ich doch weiß, dass du in deinem Privatleben beim Reden den Niagarafällen Konkurrenz machst.“
Das fand ich nun wirklich nicht erfreulich, dass er über mein Privatleben Bescheid wusste.
„Du kannst mich mal kreuzweise“, fuhr ich ihn an.
„Na geht doch.“ Er lachte kalt und stoppte einen Meter vor mir. „Kann ich denn nun auch erfahren, weshalb ihr mich mit eurer Anwesenheit beehrt. Und das auch noch zusammen?“
„Seid wir uns das letzte Mal gesehen haben, haben sich die Fronten etwas vermischt. Ich denke mal, du musst jetzt gegen die vereinte Macht von uns beiden ankämpfen mein Freund.“
Wenn Zero nicht zu den kühlen dieser Welt gehören würde, hätte er wahrscheinlich einen gewaltigen Lachanfall bekommen. Nun ok, den hatte er auch so. Es war nicht das erste Mal, dass er mich auslachte, aber das erste Mal indem Jason dabei war. Diese Tatsache half mir, mich wieder vollends in den Griff zu kriegen.
„Mensch, krieg dich wieder ein!“ Ich stützte die Hände in die Seite und funkelte ihn zornig an. Mein Blick traf auf seinen. Auch diese Szene hatten wir schon oft. Normalerweise würde ich versuchen ihn anzugreifen und total versagen. Aber Jason war hier. Hier, bei mir. Und egal wie schrecklich ich diese Erkenntnis fand: Ich fühlte mich sicher und stark mit ihm an meiner Seite. Lieber würde ich mir einen Kopfschuss geben, als dies ihm gegenüber zuzugeben.
„Bitte was?“, holte mich die sexy Stimme meines Gegenübers aus den Gedanken.
„Also wirklich. Ich hasse Leute die Lachen, ohne dass es einen Witz oder auch nur etwas ähnliches gegeben hat!“ Ha! Ich war zurück. Die coole, taffe unnahbare Samantha war aus ihrem Grab getreten um ihrem Feind Tacheles zu geben! „Und wo wir schon dabei sind: Jason hat noch untertrieben, als er sagte, dass du es nun mit uns beiden zu tun bekommst! Wir werden dich sowas von in Grund und Boden stampfen, dass dir das Hören und Sehen vergehen. Wenn wir mit dir fertig sind, darfst du aus der Schnabeltasse trink-“ Ich wurde in meiner epischen Rede gestoppt, indem Zero auf mich zu kam und seinen Finger auf meine Lippen legte. Zart zwar, aber dennoch störte es meinem geistesgegenwärtigem Ich genug, um mein Gebrabbel zu stoppen. Wenigstens konnte ich ihm noch den bösen Blick zuwerfen. Was dachte er wer er sei?!?
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass auch Jason damit alles andere als einverstanden war.
„Kleine Samantha, du redest zu viel.“
Schnurr. Zero erinnerte mich an einen dieser hinterlistigen, fetten Kater aus den Cartoonserien die ich als Kind immer gesehen hatte. Die die einem schmierig um die nackten Beine kroch. Sein Blick traf wieder den meinen, dann wand er sich zu dem immer noch zitternden Jason um. „Nun meine Lieben, am besten wir setzen uns. Wie ich sehe wird das noch ein längeres Gespräch. Möchtet ihr etwas trinken?“
Jason und ich tauschten Blicke. Konnte das wirklich sein Ernst sein? Ja, es konnte.
Ohne zu zögern ging Zero auf einen der Tische zu und schob einen der Stühle für mich Gentlemanlike nach hinten.
„Setz dich Liebes. Ich kann dir auch deinen 'heiß ersehnten' Mai Tai bestellen, wenn du willst. Denn anders als Jason bezweifle ich nicht, dass du ihn nicht verträgst. So taff wie du bist.“ Ich konnte mir nicht helfen, aber ich fühlte mich von ihm ziemlich verarscht und ernst nehmen tat er mich schon lange nicht. Ich wusste nicht ob ich ihm das verübeln sollte, wusste ich doch selber, dass ich mich in seiner Gegenwart wie ein kleines Kind benahm.
Aber das er erst seit kurzem hier sein sollte konnte ich ihm wiederum nicht ganz abkaufen... wobei... wahrscheinlich hatte ihm einer seiner Männer geflüstert was wir hier bis jetzt so getrieben hatten, also waren wir doch nicht ganz unbemerkt geblieben... war ja logisch! Wenn wir unbemerkt geblieben wären, würde ich jetzt nicht dieses absurde Gespräch mit diesem absolut heißen... öhm... ich meine natürlich nicht attraktivem Bösewicht halten.
„Hör auf sie voll zu labern Zero und komm zum Punkt. Was genau willst du von uns? Oder besser: Was hast du im Allgemeinen vor?“ Jason hatte ihn sachte zur Seite geschoben und bot mir nun den Stuhl an. Anfangs verwirrt um so viel Anteilnahme seinerseits, setzte ich mich schließlich hin und schaute gespannt in die Runde.
„Ich möchte mich nur mit meinem besten Freund unterhalten. Oder sind wir das nicht mehr, Jason?“
Jason und ich erstarrten im selben Moment. Ich aus Verblüffung und er... ja warum eigentlich?
Neugierig musterte ich ihn.
„Nein sind wir nicht“, presste er zwischen den Zähnen heraus. „Und das tut hier auch nichts zur Sache, oder?“
Zero musterte uns amüsiert. „Also weiß sie nichts davon?“
Kennt ihr diese Szenen in Filmen oder Büchern, wenn sich die Frau oder das Mädchen im Unwissenden gelassen fühlt und als erstes Fragt 'Was weiß ich nicht?' Jaaa, ungefähr so fühlte ich mich gerade, aber anders als diese ganzen... sehr 'weiblichen' Figuren unterließ ich es und starrte weiterhin in die Runde.
„Och Mensch Jason“, meine Zero gespielt vorwurfsvoll und lächelte meinem Partner über seinem Getränk hinweg an. „Du hast eine so reizende Partnerin und-“
Ich unterbrach ihn. Irgendwie hatte sich meine Höflichkeit heute wirklich verflüchtigt... ich würde sie später wieder einsammeln...
„Jetzt reicht es aber!“, meinte ich aufgebracht. Beide Männer sahen mich an. „Jetzt will ich auch mal was los werden. Erstens:“ Ich war aufgestanden um meine kommende Standpauke zu untermalen und wand mich an Jason. „Ich bin dir keineswegs böse, dass du mir etwas verheimlicht hast. Aber so etwas wichtiges hättest du mir schon sagen können Freundchen und glaube nicht, dass ich dich so ziehen lasse!“ Dann schenkte ich Zero einen Moment meiner sehr wertvollen Aufmerksamkeit. „Und zu dir Zero, heute hast du mich vielleicht wieder mal aus dem Konzept gebracht... und jaaaa ich weiß, dass du es beim nächsten Mal wahrscheinlich auch schaffen wirst... und das Mal danach...“ Irgendwie verlor meine Stimme an der nötigen Heftigkeit und ich fasste mich schnell wieder. „Aber eins lass dir gesagt sein: ich werde so lange gegen dich ankämpfen, bist du vor mir kniest und mich um Gnade anflehst, aber die wirst du nicht bekommen und dass du Jason so unter Druck setzt wird dir auch nicht helfen, weil ich nämlich anders als du vertrauen in meine Leute habe und ich Jason blind vertraue, egal was du sagst, also versuch es gar nicht erst. Sag uns einfach was du vor hast und lass uns dieses nervige Treffen auflösen, damit wir an deiner Vernichtung arbeiten können!“
Wow... ich hatte es echt geschafft dem Typen mal meine Meinung an den Kopf zu hämmern. Wenn ich sagen würde, dass ich stolz auf mich sei, wäre das noch untertrieben. Dieses Gefühl, des überlegen sein musste einfach ausgekostet werden. Aber das wurde mir nicht vergönnt. Zero schaffte es innerhalb von Sekunden meine gute Laune zu zerstören.
„Sag mal Samantha... wie geht es dir?“, fragte er zu unschuldig.
„Bitte was?“ Verängstigt musterte ich ihn.
„Nun ja, du wolltest wissen was ich vor habe... Was würdest du machen, wenn ich dir sagen würde, dass ich ein Mittel gefunden habe, dass all deine Probleme lösen könnte?“
Bevor ich antworten konnte, meldete sich Jason zu Wort.
„Nenne mir drei gute Gründe warum ich dir nicht einfach den Kopf vom Hals trennen sollte, Zero.“
Beide funkelten sich an und ich sah ein, dass hier nichts mehr zu holen war, auch wenn ich gern gewusst hätte was genau Zero nun meinte. Aber manchmal musste man einfach klug handeln und das Feld räumen. Das ich mal einen kühlen Kopf bewahren würde! Wahrscheinlich fing ich endlich an erwachsen zu werden... diese Aussicht machte mir auf mehrere Arten angst.
„Jason? Wir sollten gehen.“ Sachte zog ich ihn am Arm und hoffte, dass Zero uns gehen lassen würde. Ich war mental zu fertig um mich jetzt auch noch mit einer Schlägerei oder ähnlichem auseinander zu setzen.
„Du hast wahrscheinlich recht.“
Wir ließen Zero und seine Leute so lange nicht aus den Augen, bis wir uns sicher sein konnten, dass er keine Anstalten machen würde uns auf irgendeine Art aufzuhalten.
Als wir endlich im Wagen saßen und dem Weg nach Hause anstrebten, entspannte sich Jason etwas.
Ich hatte mir vorgenommen ihn so lange nicht anzusprechen, bis er von sich aus sprechen wollte. Es dauerte länger als ich gedacht hätte. Wir waren schon fast zu Hause angekommen, als er endlich den Mund öffnete.
„Hast du nicht irgendwelche Fragen?“, wollte er leise von mir wissen.
Ich musterte ihn, was mir durch die Tatsache, dass es im Auto ziemlich dunkel war, nicht gerade erleichtert wurde.
„Mhh... es gibt halt Dinge, die man nicht erzählen will. Ich verstehe das besser als du denkst, schließlich habe ich auch Geheimnisse vor dir“, erklärte ich und versuchte dieses düstere Thema damit zu beenden. Zum ersten Mal seid unseres Kennenlernens ging Jason darauf ein... fast. Natürlich musste er das letzte Wort für sich beanspruchen.
„Danke.“
Wenn ich nicht so Ehrgeizig wäre hätte ich mich jetzt gefreut... aber nein, natürlich musste ich Sam sein.
„Kein Problem.“
Jason grinste plötzlich. „Du musst immer das letzte Wort haben, oder?“
Ich hätte das abstreiten können, aber anscheinend hatte ich heute mal einen guten Tag. „Mhh... ja, aber ich darf das auch. Ich bin Sam.“
„Und das bist du mit allem was du hast“, kommentierte Jason und lachte.
„Sollte ich mich jetzt geehrt oder verärgert fühlen?“, fragte ich. Hoffentlich gewöhnte er sich nicht an meine freundliche, ihm gegenüber recht nette Seite.
„Mhh... ich denke... das war weder eine Stichelei noch ein Kompliment, eher eine einfache Feststellung.“
„Du... bist merkwürdig Jason und das ist auch nur eine Feststellung.“
Jason starrte mich überrascht an. „Wow, das ist das erste Mal, dass du mich mit meinem Vornamen ansprichst und mich nicht noch im selben Atemzug zu beleidigen versuchst.“
„Selbst ich kann ab und zu freundlich sein, soll man nicht glauben, was?“, erwiderte ich, ohne auf den letzten Teil seines Satzes einzugehen. Die Konfrontation mit Zero hatte mich ja wirklich zu neuen Größen anwachsen lassen.
Jason erwiderte nichts, aber er musste auch nicht unbedingt etwas sagen. Die Stille im Auto war angenehm und das leise summen des Autos trug auch seinen Teil dazu bei, dass ich so entspannt wie schon lange nicht mehr war. In der Stille fühlte ich mich Jason auf eine Art näher, die ich bis jetzt noch bei keinem hatte und störte mich nicht einmal daran. Vielleicht war das ja der Anfang einer wunderbaren, ziemlich verdrehten Freundschaft...
Kapitel 6
... Deren Feier warten musste.
Während wir nämlich gerade die traute Zweisamkeit genossen und die Straße unter unseren Reifen nur so dahin floss, meinte Danny die Stille stören zu müssen, indem er mich auf meinem Firmenhandy anrief.
„Wo bleiben die Berichte“, grüßte er grummelig wie eh und je.
„Oh, hi Danny. Ja natürlich freue ich mich von dir zu hören. Wie es mir geht? Danke, gut und dir?“
Jason grinste. Mittlerweile kannte er meine hoffnungslosen Versuche Danny auf mehr Höflichkeit zu trimmen.
„Samantha, ich meine es ernst“, knurrte mein Gesprächspartner in den Hörer.
„Ich weiß Danny, du meinst es immer ernst“, flötete ich, zu Dannys Leidwesen, gut gelaunt.
„Hauptquartier, in fünf Minuten“, brachte er heraus, kurz bevor er einfach auflag.
Ich schaute das Handy ganze fünf Sekunden still an.
„Jason?“
„Ja Sam?“, kam die antworte neben mir.
„Schaffst du es in fünf Minuten zum Hauptquartier?“
Ohne eine Antwort zu geben, gab er Gas. Ich wurde in meinen Sitz hinein gepresst, während mir die Luft aus den Lungen gequetscht wurde. Ein Keuchen entrang meiner Kehle.
Jason lachte nur. „Wir könnten ja Wetten abschließen“, meinte er schmunzelnd, als ich, sichtlich um Fassung bemüht, ihn mit den Augen langsam abfackeln ließ.
„Du bist ein Arsch, weißt du das?“
„Dafür lebe ich“, entgegnete er schlicht und grinste mich blöd an.
„Na hoffentlich nicht“, murmelte ich, und schaute aus dem Fenster, betend, dass Jason den Motor des Wagens nicht abwürgte. Hätte ich ihn nicht vorher bereits vernünftig fahren sehen, hätte ich mich in diesem Moment fragen können, wo zum Teufel er seinen Führerschein ausgegraben hatte. In dem Moment fuhr er über eine rote Ampel, um kurz darauf ein Stoppschild zu missachten. Weitere Vergehen dieser Art sollten folgen und ich konnte mich nur wundern warum uns erstens, keine Polizisten verfolgten und zweitens, ich am Ende noch lebte.
Mir schlotterten die Knie als ich aus dem Wagen stieg, den Jason mit einer einzigen fließenden, schlitternden Bewegung in eine Parklücke nahe des Postamtes manövriert hatte. Ich war mir sicher, dass er einen neuen Rekord aufgestellt hatte, denn die Parklücke war verdammt eng. Ich fragte mich, ob und wie er den Wagen da wieder hinaus bekommen wollte.
„So Jason, damit hast du das letzte bisschen Adrenalin, das ich noch hatte, verdunsten lassen.“ Ich hatte meinen Kopf aufs Autodach gelegt und versuchte mich zu entspannen.
„Stell dich nicht so an, schließlich lebst du noch und wir sind pünktlich.“ Er war lässig aus dem Auto gestiegen, ließ seine Hände in die Hosentasche verschwinden und ging zum Gebäude. Was war er wieder cool. Langsam verstand ich, was Jessica an ihm fand, auch wenn sie ihn bis jetzt nur ein paar Mal 'normal' gesehen hatte.
Zügig stackste ich ihm hinterher und zusammen gingen wir, so unauffällig wie möglich, hinter das Gebäude. Sicherlich wirkten wir auf Beobachter wie ein frisch verliebtes Pärchen, dass sich hinter dem Gebäude vergnügen wollten. Der Gedanke brachte mich zum grinsen.
„Was grinst du so?“
Ich war so in Gedanken, dass ich beinahe in Jason hinein gerannt wäre.
„Nichts“, erwiderte ich schmunzelnd, immer noch amüsiert von dem Gedanken etwas mit ihm anzufangen.
Er hob skeptisch eine Augenbraue und kam auf mich zu.
„Warum bist du so gut gelaunt?“ Er musterte mich nun genauer.
„Darf ich nicht?“ Ich starrte zurück. Irgendwie wurmte es mich, dass er meine gute Laune nicht tolerierte, oder einfach auch gut gelaunt war.
Nach kurzem Überlegen wand er sich um und betrat den geheimen Eingang zum Hauptquartier. Verblüfft schaute ich ihm hinterher. Hatte ich ihm denn nicht genug Spielraum für einen vernichtenden Konter gegeben? Für DAS Totschlagargument schlecht hin? Konnte es wirklich sein, dass Jason plötzlich zahm wurde?!?
„Willst du da stehen bleiben, oder kommst du mit rein?“, fragte mich Jason und warf kurz einen Blick über seine Schulter. Ich würde ihm verbieten müssen diesen Blick anzuwenden, während er nicht in seinen Schulkleidern steckte. Der Verführungsfaktor war einfach zu hoch und meine flatterhaften, sehr leicht zu reizenden weiblichen Hormone mussten sowieso viel zu viel ertragen.
„Da seid ihr ja endlich.“ Die stattliche Gestalt des Alexander Danville stand mit hinter dem Rücken verschränkten Händen vor einem riesigen Bildschirm und er selber würdigte uns keines Blickes.
„Was gibt’s Neues Danny?“, fragte ich und versuchte meine Laune der Stimmung im Raum anzupassen. Bedrückend und ernst.
„Zero hat uns eine Videobotschaft zukommen lassen“, kam die unerklärte Antwort prompt.
Ich runzelte die Stirn. Nun war es mir ein leichtes meine Stimmung ins Ernste umschwenken zu lassen. ich war zu sehr mit diversen Fragen abgelenkt, die in meinem Hirn Form annahmen: Hatte Zero gewusst, dass wir ihn aufsuchen würden? Und wie hatte er es geschafft mit der Organisation in Kontakt zu treten?
„Das wissen wir selber nicht, aber anscheinend hat er die Nachricht losgeschickt sobald ihr aus der Bar gegangen seid.“ Antwortete Danny überraschend kooperativ auf meine Fragen. Das war kein gutes Zeichen.
„Was sagt er denn?“ Ich wurde immer nervöser. Jason neben mir hatte bis jetzt noch gar nichts von sich hören lassen. Die Stimmung war sichtlich angespannt.
„Seht selbst.“ Danny gab einem der Techniker im Raum einen Befehl und das Video wurde abgespielt.
Der Bildschirm leuchtete kurz auf, dann wurde ein Bild sichtbar, dass Zero zeigte, wie er lässig und mit überschlagenen Beinen und einem Weinglas in der rechten Hand auf einem Stuhl saß und in die Kamera lächelte. Er fing an zu sprechen, oder sollte ich in Anbetracht seiner heiteren Stimme eher plaudern sagen?
„Hallo meine lieben Freunde von 'Contra Dicio', wie geht es euch denn so?“
Er schwenkte das rote Getränk lässig in seinem Glas, betrachtete dieses und nippte leicht daran, als hätte er alle Zeit der Welt mit seiner Botschaft heraus zu rücken. Er schien sich mehr als bewusst zu sein welche Reaktionen seine Nachricht auslösen würde. Er sprach weiter: „Ich nehme einfach mal stark an, dass die liebe Samantha und der gute Jason noch nicht wieder da sein werden, wenn ihr das Video erhaltet. Genauso sicher bin ich mir allerdings auch, dass ihr den beiden dieses Video zeigen werdet sobald sie wieder da sind.“
Ein kurzes Grinsen in die Kamera.
„Sicherlich wolltet ihr mit der Aktion in der Bar herausfinden was ich vor habe, oder irre ich mich da? Nun, was soll ich sagen? Ich will auch so vieles, der einzige Unterschied zwischen uns besteht nur, dass ich meistens auch das bekomme was ich will. Was soll man machen, ich bin halt ein Genie.“
„Eingebildeter Sack“, nuschelte irgendwer im sonst verdunkelten Raum. Ich war zu sehr abgelenkt um darauf zu reagieren.
„Aber das tut ja nun nichts zur Sache. Die Frage die man sich, beziehungsweise, die IHR euch nun stellen solltet wäre, ob ich gütig genug bin euch in meine Pläne einzuweihen und was euch das kosten wird. Aber da ihr genauso gut wie ich wisst, dass ihr so oder so keine Chance gegen mich habt, sage ich es euch einfach. Den Preis werde ich mir so bald wie möglich holen.“
Eine gekonnte Kunstpause. Er änderte seine Sitzposition, indem er nun das linke Bein über das rechte schlug. Und nochmals nippte er an seinem Getränk bevor er weitersprach.
„Ich werde, und nun haltet euch fest, das ultimative Medikament für geistig gestörte entwickeln. Und drei mal dürft ihr Raten wer mein Versuchskaninchen wird, das ihr mir natürlich sponsern werdet.“
Ich fühlte mich plötzlich angestarrt auch wenn ich wusste, dass die einzige Person im Raum die über mich Bescheid wusste weiterhin grimmig auf den Bildschirm starrte. Würde Danny mich wirklich einfach so ausliefern?
„Nun ja, über die näheren Details werde ich euch vielleicht beim Nächsten mal aufklären. Aber natürlich nur sobald die 'Zahlung' eingegangen ist.“
Er kicherte kurz über seinen eigenen schlechten Witz, bevor er mit weiterhin heiterer Stimme weitersprach.
„Bevor ich mich an dieser Stelle von euch allen verabschiede, möchte ich nur noch eine Sache los werden. Sagt doch bitte meinen beiden lieben Freunden Samantha und Jason, dass sie als Team besser daran täten ehrlich zueinander zu sein. Sonst könnte das alles noch unerfreuliche Konsequenzen haben. Tschüssi ihr Lieben.“
Der Bildschirm leuchtete weiß auf, bevor er wieder vollständig schwarz wurde und die Lichter angingen. Überall waren fragende Gesichter waren zu sehen. Außer Danny, Jason und mir schien wirklich keiner etwas mit dieser Botschaft anfangen zu können.
Ich war die erste die sich wieder rührte.
„Danny, lass mir bitte alle Dokumente, Ordner und Berichte die wir über Zero haben ins Arbeitszimmer bringen.“
Ich war fest entschlossen ihm, mit den Informationen die wir über die Jahre über ihn gesammelt haben, zuvorzukommen. Ich würde mich von ihm ganz sicher nicht zum 'Versuchskaninchen' degradieren lassen!
„In Ordnung. Du wirst in zehn Minuten alles auf deinem Schreibtisch vorfinden.“
Danny musste meinen Kampfgeist gespürt haben, sonst hätte er von mir sicher nicht so einfach irgendwelche Befehle entgegengenommen.
„Jason, du kommst mit.“
Ich zerrte meinen, immer noch in einer starre stehenden, Partner aus dem Raum durch die Gänge.
„Man, wegen dem Typen bekomme ich noch graue Haare.“ Mürrisch spurtete ich mit Jason im Schlepptau in unser Büro und schmiss mich hinter meinen Schreibtisch. Auf Stellung eines weiteren Antrags hatte ich es endlich so weit geschafft, dass auch ich endlich neue Büromöbel bekam. Überhaupt hatte ich radikale Änderungen an der Inneneinrichtung genommen. Mein Schreibtisch stand an der gegenüberliegenden Wand zu Jasons, so dass wir uns ansehen konnten, wenn wir etwas zu sagen hatten und dennoch hatte jeder seinen eigenen Platz. Auch ein paar Zimmerpflanzen hatten ihren Weg hierher gefunden und gaben dem Raum eine ganz andere, freundlichere Atmosphäre. Jason hatte sich wohl oder übel damit arrangieren müssen. Zum Glück hatten wir in etwa den selben Geschmack, was Zimmereinrichtungen betraf, weswegen der Raum in schlichten Weiß- und Schwarztönen gehalten war und nur die Pflanzen mit ihrem Grün heraus stachen.
"Was hast du vor?", weckte mich Jasons Frage aus meinen düsteren Gedanken.
Ich schaute ihn von der Seite an, während ich meinen PC hoch fahren ließ. Es dauerte nicht lange und ich konnte auf den Ordner zugreifen, den ich über Zero erstellt hatte.
"Ich weiß nicht genau was er vor hat, aber die Tatsache, dass er uns dieses Video geschickt hat, lässt nur die Möglichkeit offen, dass er WILL, dass wir es herausfinden. Und genau den Gefallen werde ich ihm dann auch tun und ich bin mir sicher, dass er Hinweise hinterlassen hat. Zero tut nichts ohne alles genau und auf den Millimeter durchdacht zu haben. Er ist uns immer zehn, nein, zwanzig Schritte voraus und macht daraus keinen Hehl. Eher genießt er diese Tatsache, aber diesmal soll es ihm zum Verhängnis werden. Ich werde mich nicht von ihn austricksen lassen."
Jasons Blick zeigte eindeutig, dass er stark daran zweifelte, dass ich es mit Zero aufnehmen könnte. Sonderlich aufbauend und unterstützend war das nicht.
"Schau nicht so, ich kann das. Schließlich habe ich ja jetzt dich", versuchte ich ihm zu schmeicheln, aber auch das ließ ihn weiter zweifeln. "Ok, was hast du?"
"Ich muss über das nachdenken was Zero zum Schluss gesagt hat." Er schaute mir nachdenklich in die Augen.
"Warum? Das war doch nur wieder einer seiner Tricks um uns nervös zu machen und uns gegeneinander aufzuspielen." Ich runzelte die Stirn und wusste nicht so recht, was es uns helfen würde Zero zu besiegen, wenn wir uns wie die kleinen Schulmädchen aus der 6. unsere Geheimnisse flüstern würden.
"Dennoch hat er recht. Dafür, dass wir zusammen arbeiten wissen wir noch viel zu wenig voneinander", beharrte er auf das Thema.
Ich versuchte leicht zu lächeln. "Aber Jason, dass ist doch das was und ausmacht. Das funktioniert und verhindert unerwünschte Interaktionen. Was willst du mehr?" Ich war aufgestanden um ihm versöhnlich die Hand auf den Arm zu legen. Er nahm diese und zog mich zu ihm herüber und kam mit seinem Gesicht meinem so nahe, dass unsere Nasen sich fast berührten. Nur noch der Schreibtisch trennte unsere Körper voneinander und plötzlich war ich über diese Tatsache ziemlich froh, denn meine Hormone meldeten sich zu Wort und mein Herz fing an schneller zu schlagen. Aus einem mir unbekannten Grund war es mir zu peinlich ihm in die Augen zu schauen. Ich versuchte mich auf einen Punkt hinter ihm zu konzentrieren, aber da er mir in diesem Moment mit den Fingern leicht über die Wange strich um mein Gesicht danach noch näher an seines zu ziehen, wurde meine Konzentration kurzzeitig abgelenkt. Allerdings lange genug um zum ersten Mal zu bemerken, was für eine Augenfarbe Jason hatte. Ein sanftes, dunkles grün auf den ersten Blick, aber beim näheren Hinschauen sah man, dass die Iris in der Nähe der Pupille immer mehr ins Graue ging. In diesem Moment fiel mir auf, dass Jasons Lippen meinen verräterisch nahe war.
"Jason... du bist zu nah."
"Kommt schon mal vor", murmelte er leise und streifte meine Lippen leicht mit seinen.
Mein Herz machte einen Satz und hörte kurzzeitig auf zu schlagen, nur um den Betrieb in doppelter Geschwindigkeit wieder aufzunehmen. Ich wusste genau was als nächstes kommen sollte und obwohl ich schon oft geküsst hatte wusste ich, dass es mit Jason etwas anderes sein würde. Er nahm mein Gesicht zwischen die Hände und schaute mir in die Augen.
Jason... mein Partner. Jason, der Typ, den ich bis vor kurzem nicht ausstehen konnte. Jason, der Typ bei dem mein Herz Sprünge machte. Jason... der Schwarm meiner besten Freundin!
Ich stieß ihn von mir und schaute ihn aus großen Augen an.
"Jason... das... das ist-"
Er musterte mich erst kurz und fing dann an zu lachen. Ich wusste nicht so recht wie ich darauf reagieren sollte und war ziemlich verwirrt.
Nachdem er sich halbwegs wieder gefangen hatte meinte er: "Dieser Blick... der ist für die Götter." Er wischte sich eine Lachträne aus den Augenwinkel und grinste mich an. Ich stand immer noch leicht neben mir und wusste die eben geschehene Szenerie nicht ganz einzuordnen.
"Schau nicht so betreten Sam und hör auf immer alles so ernst zu nehmen."
Außer dem Umstand, dass ich selten etwas ernst nahm, spürte ich, wie irgendwas in meiner Brust zog und stach.
"Öhm... du hast mich halt überrascht." Ich merkte, wie meine Wangen rot wurden und ich zwanghaft versuchte aus dieser Misere zu kommen. Jason nahm mir diese Aufgabe zum Glück ab, indem er mit den Schultern zuckte und es mit dem simplen Satz "Ist auch egal... nach was suchen wir?", abtat.
In dem Moment klopfte es an unsere Tür und ein kleiner Mann, der eine riesige Kiste in den Armen vor sich her trug und von dieser fast verdeckt wurde, kam hereinspaziert.
"Die angeforderten Daten an Miss Scythe!" Seine Stimme war hoch und sehr kratzig. Außerdem hatte er eine Eigenart das 'R' zu rollen, die ich mir noch nicht ganz einzuordnen wusste.
"Danke, Sie können den Karton hier drauf stellen." Ich deutete auf das eine Ende meines Schreibtisches und lächelte ihn dabei freundlich an. Er hatte mir schon öfter irgendwelche Bestellungen gebracht, doch bin ich bis jetzt nicht dazu gekommen zu erfahren, wie denn der gute Mann hieß und auch heute sollte ich nicht zu dem Vergnügen kommen, dieses Wissen mein Eigen zu nennen.
Er ließ mich schnell unterschreiben, damit die Organisation auch wusste, dass ich die Daten erhalten hatte und verabschiedete sich mit einem Kopfnicken.
Da Jason Anstalten machte, dass eben Geschehene einfach zu ignorieren tat ich ihm gleich und machte normal weiter.
"Nun Jason, zu deiner Frage: Wir werden einfach ALLES durchschauen und uns Notizen zu allem machen, was uns darauf bringen könnte, was genau er vorhaben könnte."
Jason hob skeptisch eine Augenbraue, erwiderte allerdings nichts, holte sich die Hälfte der Dokumente von meinem Schreibtisch ab und fing still an zu arbeiten. Um ihm in nichts nachzustehen fing ich ebenfalls an, womit wir für die nächsten Stunden beschäftigt waren.
"Noch eine weitere verdammte Passage und ich erschieße mich", stöhnte ich nach zirka 4 Stunden erschöpft auf und streckte mich.
"Du hast lange ausgehalten. Ich habe schon vor einer Stunde angefangen Karten zu spielen", meinte Jason verblüfft.
Ich schaute ihn verwirrt an. "Bitte, was?!"
Er drehte seinen Desktop so, dass ich ihn sehen konnte. Und ja, er hatte ein Fenster mit Spider Solitair geöffnet, natürlich auf 'schwer'.
"Das kann nicht dein Ernst sein!?"
Jason schaute sich abwechselnd mich und danach den Desktop an. "Stimmt, normalerweise zocke ich andere Spiele, aber ich dachte mir, dass könnte ich auch zu Hause zu Genüge tun."
Ich musterte ihn ungläubig. Dann kam mir die Erkenntnis. "Du nimmst das... nein... du nimmst mich nicht ernst."
Er legte wieder seine kühle, unantastbare Maske auf und warf mir einen Seitenblick zu, nachdem er sich wieder lässig seiner Partie gewidmet hatte.
"Wenn du es so siehst, dann widerspreche ich dir nicht."
Ich hasste es, wenn er so war. Was mich auch sofort auf 180 brachte.
"Du bist so ein Arsch Jason! Du hast absolut keine Ahnung was es mir bedeutet Zero ein Schnippchen zu schlagen. Du könntest dich als mein Partner ein bisschen für mich einsetzen!"
Jason spielte unberührt weiter. "Du willst mir ja nichts über dich erzählen."
Mir war ehlend zu mute, da er recht hatte. Darauf konnte ich nichts anderes erwidern außer: "Ich habe meine Gründe." Dann packte ich meine Sachen ein und verließ den Raum. Jason folgte mir nicht. Ich rannte die Gänge entlang und fühlte mich unverstanden.
Umgeben von Dunkelheit hockte ich auf dem Weg und bemitleidete mich selbst. "So tief bist du also gesunken Sam. Jetzt sitzt du hier vor dem Wagen des Typen, den du eben noch angeschrien hast, dass er dich nicht verstehen könne und fühlst dich beschissen."
Ich war ganze zwanzig Minuten durch das gesamte Gebäude unserer Organisation geschritten und hatte versucht wütend auf Jason zu sein, aber das hatte nicht lange angehalten, weswegen ich kurz versucht war zurück ins Büro zu rennen und mich zu entschuldigen. Allerdings wollte da mein Selbstwertgefühl nicht ganz mitmachen. Deshalb befand ich mich jetzt also in dieser erniedrigenden Situation. Ich hoffte nur, dass Jason nicht in den nächsten fünf Minuten auftauchen würde.
"Wieso überrascht es mich jetzt nicht annähernd dich hier so zu sehen, wie es sollte?"
War so klar.
Ich stand auf, drehte mich geschmeidig um und hatte einen Blick aufgesetzt, der sagen sollte, dass ich absolut nichts ungewöhnliches tat.
"Oh, hallo Jason. Dich hätte ich jetzt nicht erwartet."
Er beachtete mich nicht, sondern öffnete sein Auto mit der Fernbedienung und setzte sich vorne hinters Lenkrad. Dann öffnete er die Beifahrertür und deutete mir, ebenfalls einzusteigen. Da ich diese Szene schon zu genüge kannte, wagte ich es nicht zu protestieren.
"Vielleicht hast du recht", meinte ich nach zehn Minuten absoluter Stille zwischen uns.
"Für gewöhnlich habe ich das", erwiderte Jason schlicht und ohne Mienenspiel.
"Idiot."
Er spähte kurz zu mir herüber und als er mich schmollen sah, grinste er.
"Ok, mit was habe ich vielleicht recht?", fragte er, jetzt freundlicher. Ich fragte mich ernsthaft, warum ich nicht lieber in den Genuss kam bei mir zu Hause einzubrechen, anstatt meinen Eltern einzutrichtern ich würde bei einem Freund übernachten. Jason war es einfach nicht würdig mein Alibi zu sein.
"Ich überlege ernsthaft, ob ich es dir jetzt noch sagen will."
Jason lachte. "Och, bitte Sam. Hab dich nicht so."
Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und war ganze zehn Sekunden beleidigt, dann gab ich es doch wieder auf. Anscheinend war es mir unmöglich geworden, sauer auf Jason zu sein.
"Wir sollten mehr voneinander wissen. Vielleicht hilft es uns wirklich mehr über Zero herauszufinden, schließlich spielt er in unserer beider Vergangenheit eine gewisse Rolle."
Jason verkrampfte sich kurz und starrte wie gebannt auf die Straße.
"Ich kann dich beruhigen", meinte ich leise. "Auch ich brauche noch Zeit, bevor ich mich dir öffnen kann."
Er antwortete nicht.
"Ich gebe dir so viel Zeit wie du brauchst, wenn gegenseitig das Gleiche gilt."
Er nickte langsam. Ich legte vorsichtig meine Hand auf seine, die er lässig auf dem Steuerknüppel gelegt hatte.
"Wir halten doch zusammen, oder Jason?"
Er entzog mir seine Hand vorsichtig und erst dachte ich, er wolle mich damit abweisen, doch dann legte er seine Hand auf meine, männliche Dominanz halt, und drückte sie sanft. Ich musste an den halben Kuss im Büro denken und lächelte unwillkürlich.
"Geht doch", murmelte ich triumphierend.
"Bild dir darauf bloß nichts ein", entgegnete er, ebenso leise wie ich vorher. Wir sahen uns einen kurzen Moment lang an und fingen dann an zu lachen. Die ganze Fahrt zu seinem Anwesen nahm er seine Hand nicht von meiner und merkwürdigerweise störte ich mich kein bisschen daran.
Fortsetzung folgt...~
Tag der Veröffentlichung: 24.09.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch widme ich meinen Freunden, die es sich immer wieder antun die Früchte meiner meist völlig durchgeknallten Fantasie durchzulesen ~♥~