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Prolog



Hätte mir irgendwer vor dem Aufstehen erzählt, dass dieser Morgen der Anfang eines verhängnisvollen Tages sei, ich hätte demjenigen kein Gehör geschenkt, oder sogar belächelt.
Doch wusste ich nicht, dass dieser Tag mein leben von Grund auf verändern sollte. Dass dieser Tag nur der Anfang war zu neuer Stärke, neuen Gefühlen, aber auch neuen Schmerzen.
Die Wahrheit schmerzt, doch muss man diese Schmerzen erleiden um etwas neues schönes zu erreichen.
Wenn mich heute jemand fragt was mein jetziges Leben von meinem alten unterscheidet, dann kann ich mit Fug und Recht 'alles' sagen und lüge damit nicht.
Die Welt in der ich gelebt hatte, war eine 'unwirkliche' eine extra für mich erstellte. Eine Welt in der ich von anderen nicht geduldet, aber auch nicht verletzt wurde. Eine Welt von allem außenstehenden geschützt und verteidigt. Doch konnte ich mich nicht aus der Welt hinaus bewegen, denn ich hielt sie für die einzige, wirklich existierende. Doch die Welt hinter dem was wir als 'normal' empfinden erstreckt sich in unzählige Gebiete. Landschaften und Gebirge, die uns einerseits vertraut andererseits aber auch fremd vorkommen. Es liegt an uns diese Gebiete zu erforschen und kennen zu lernen.
Ich tat das vor nicht all zu langer Zeit und berichte euch nun, was ich erlebt habe. Ob ihr es glaubt oder nicht und euch eure Gedanken macht, oder ob ihr es für Lug und Trug haltet, das bleibt euch überlassen. Doch eines sollte euch immer vorschweben. Es ist meine Geschichte, die Geschichte eines Mädchens welches anfangs nichts hatte und am Ende Kraft, Mut und Wissen erlangte.
Wer ich bin? Ich bin Pandria, die Erbin und amtierende Königin von Sola.


Teil 1 Die Welt hinter dem Portal

Kapitel 1



Es war ein schöner Sommertag, als meine beste Freundin Vanessa und ich beschlossen uns in der Stadt ein Eis zu holen und mit diesem dann in den Stadtpark zu gehen, um dort wie immer unter unserem Lieblingsbaum auf der Bank zu sitzen und die vorbeigehenden Spaziergänger zu beobachten und zu reden.
Die Sommerferien waren bald vorbei und ich fand die Idee es uns in den letzten zwei Wochen nochmals richtig gut gehen zu lassen verlockend. Ich wollte mich von absolut nichts stören oder nerven lassen.
Doch leider hatte ich an dieser Stelle nicht mit Vanessa gerechnet, die mir den Versuch den letzten Vorsatz einzuhalten doch recht schwer machte.
„Bitte Ivone, hilf mir! Es ist absolut furchtbar, wie konnte das nur passieren?“
Ich aß mein Eis und wusste nicht einmal Ansatzweise von was sie da eigentlich sprach.
„Was ist denn passiert?“, fragte ich, obwohl es mich im Prinzip nicht interessierte.
„Du weißt doch, dass ich mich von George getrennt habe, oder?“
Natürlich wusste ich das. Sie sprach seid Tagen von nichts anderem mehr. Ich nickte mit dem Kopf.
„Nun ja... ich habe herausgefunden, dass ihn sich diese Stephanie krallen will, von der ich dir vor kurzem erzählte habe.“
Sie hatte mir vor kurzen von einer menge Leute erzählt, die ich nicht kannte... aber ob da auch eine Stephanie dabei war, wusste ich nicht. Ich war aber anscheinend auch nicht dazu verpflichtet mich dazu zu äußern, denn Vanessa sprach ungerührt weiter.
„Dass ihn Stephanie haben will, finde ich natürlich überhaupt nicht witzig, aber ich kann ja auch schlecht zu ihm gehen und ihn fragen, ob wir es nicht doch noch mal miteinander versuchen wollen, oder?“
Zu meiner Überraschung sah sie mich doch tatsächlich an. Sie, die fast alle drei Wochen einen neuen Freund hatte, fragte mich, diejenige, die mit ihren 16 Lebensjahren nicht einen einzigen Freund noch eine Verabredung mit einem Jungen hatte, was sie jetzt mit ihrer Beziehung anfangen sollte. Welch Ironie!
„Ähm... weshalb ist es dir denn so wichtig, dass Stephanie ihn nicht bekommt?“, fragte ich und versuchte wenigstens so zu tun, als wenn ich mich mit diesem Thema auskennen würde.
Sie schaute mich verblüfft an.
„Na hör mal, würdest du etwa wollen, dass deine größte Feindin deinen Ex abbekommt? Das hat was mit Besitzrecht zu tun!“
„Besitzrecht?“ Was hatte diese Geschichte denn mit Besitzrecht zu tun? Hatte George vielleicht etwas was Vanessa gehörte, was sie aber nicht mehr bekommen würde wenn er eine Beziehung anfing? Aber was könnte diese Sache sein?
„Ja Besitzrecht Ivone, George gehört inoffiziell noch mir!“
Ich gab auf das verstehen zu wollen und legte eine fragende Miene auf. Vanessa seufzte.
„Alles klar Ivone, nochmal langsam und von Anfang an. Wann habe ich mit ihm Schluss gemacht?“
Ich dachte nach. „Vor... vier Tagen?“
Ivone nickte und leckte nebenbei an ihrem Eis, denn es hatte angefangen zu schmelzen.
„Genau vor vier Tagen, das sind weniger als sieben Tage, richtig?“
Ich nickte erneut, obwohl ich nicht einmal Ansatzweise wusste, worauf sie hinaus wollte.
„Und was sind sieben Tage?“
Ich legte den Kopf schief. „Ich würde ja sagen eine Woche, wieso?“
Vanessa grinste. „Genau eine Woche. Dies ist das Gesetz des Besitzrechtes Ivone. Nach einer Trennung gehört der Partner, welcher abserviert wurde noch genau eine Woche demjenigen, der ihn abserviert hat, damit hat also ersterer noch genau sieben Tage Zeit alles zu klären und vielleicht letzterem dazu zu bringen seine Meinung zu ändern und die Trennung zu widerrufen.“
Ich sah sie skeptisch an. Wenn mich nicht alles täuschte, dann war das Gesetz des Besitzrechtes mit der wirtschaftlichen Bestimmung der Sache zu kombinieren... ähm war ja auch egal.
„Steht das in irgendeinem Gesetzbuch?“, fragte ich Vanessa.
Vanessa unterbrach ihr Eisessen um laut aufzulachen. „Du bist so naiv Ivone. Natürlich steht das nicht in einem amtlichen Gesetzbuch, sondern im Kodex.“
'Kodex'. So was hatten wir als kleine Kinder gehabt. 'Ehrenkodex der Jungs' und 'Ehrenkodex der Mädchen'. Damals fanden wir es ganz cool damit anzugeben wenn wir dem anderem Geschlecht entgegen standen und etwas tat was natürlich total 'mädchenhaft' war.
„Ähm Vanessa? Was für ein Kodex?“
Sie belächelte mich schwach. Das war dieses armes-naives-unwissendes-Ivone-Lächeln, welches ich so hasste.
„Ein Teeniekodex für alle die in einer Beziehung sind oder waren.“
Das war ein Frontalschlag und dass wusste Vanessa auch.
„Klar dass ich ihn nicht kenne“, erwiderte ich bedrückt, sie strich mir tröstend über den Rücken.
„Och hab dich nicht so Ivone, du findest sicher schon einen der zu dir passt, schließlich bis du doch total hübsch.
Das sagte jemand, der eine Modellfigur und naturplatinblonde wallende, leuchtende Haare hatte, die bei jedem Schritt den sie machte verführerisch auf und ab wippten und ihr bis zur Taille gingen, zu jemanden mit langweiligen braunen Haaren ohne Volumen, einer blassen Gesichtshaut und Sportlerfigur. Nun ja Sportlerfigur war vielleicht etwas übertrieben, aber ich war doch schon etwas stämmiger als die zarte Vanessa, die äußerlich geradezu so wirkte, als wenn sie einen starken Jungen an ihrer Seite brauchte, der sie beschützte.
„Wenn du meinst“, stieß ich seufzend heraus, versuchte nicht weiter darüber nachzudenken und aß mein Eis auf.
Vanessa lächelte mich an und zwinkerte mir zu.
„Ich glaube das was du brauchst ist eine Gruppentreffen mit meinen Freunden, vielleicht ist ja jemand dabei der dir gefällt.“
Ich rollte mit den Augen. „Vanessa, das Problem ist nicht dass ich niemanden finde der mir gefällt, sondern, dass es auf der ganzen Welt wohl keinen Mann gibt, dem ich gefalle.“
Sie sah mich streng an. „Das stimmt doch gar nicht. Wie sagt man so schön? Auf jeden Topf passt ein Deckel.“
„Nur nicht auf meinen“, entgegnete ich säuerlich.
Sie stellte sich vor mich und sah mir direkt in die Augen, doch bevor sie auch nur den Mund geöffnet hatte, entdeckte ich etwas hinter ihr.
„Ähm... Vanessa?“, fragte ich etwas von der Rolle.
„Ja Ivone?“
Ich hielt sie an den Schultern fest. „Könntest du dich mal bitte umdrehen und mir sagen was du dort siehst?“ Ich drehte sie selbst um und sie schaute auf die Stelle auf die ich vor ein paar Sekunden selbst gestarrt hatte.
„Öhm... es leuchtet rot“, antwortete sie.
Ok, dann sah sie es auch und es war keine Lichtspiegelung die meinen Augen einen Streich spielen wollte. Hinter ein paar Sträuchern hatte es urplötzlich zu leuchten angefangen und ich wurde irgendwie von dem Licht angezogen.
„Warte Ivone!“, hörte ich Vanessa, die mir hinterher gerannt kam, nachdem sie mich stillschweigend beobachtet hatte, wie ich den Sträuchern entgegen ging.
Als wir vor dem leuchtendem Etwas standen, hätte ich darauf schwören können, dass ich es schon einmal irgendwo gesehen hatte... aber wo?
„In einem Computerspiel?“, fragte mich Vanessa.
Ich schaute erst sie und dann dieses leuchtende etwas an. Bei genauerem hinsehen erkannte man das es eine Art Tor war. Ein Tor aus rotem Licht?
„Ein Portal!“, riefen Vanessa und ich gleichzeitig und schauten uns überrascht an.
Nun da wir geklärt hatten was das war, wussten wir nicht wie wir damit umgehen sollten.
„Wie wäre es mit durchgehen?“, meine Vanessa schließlich nach einem Moment der Stille.
Ich wurde nervös. „Weiß du, ich finde dieses Rot nicht unbedingt einladen, wenn ich ehrlich sein soll“, versuchte ich diese Idee von ihr schon im Keim zu ersticken. Doch anscheinend war aus dem Keim schon längst ein Baum geworden, denn ihre Augen fingen beängstigend an zu strahlen. Ich ahnte Böses.
„Bitte sei kein Spielverderber Ivone, lass uns durchgehen, bitte!“ Vanessa quengelte wie ein kleines Kind und sah mich mit großen flehenden Augen an.
Innerlich schlug ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Äußerlich rollte ich nur genervt mit den Augen. „Oh man Vanessa. Und was ist, wenn der Ort wohin das Portal führt total gefährlich ist?“
Sie sah mich immer noch flehend an. „Oh bitte, Ivone, wann kriegt man schon die Chance auf ein richtiges Abenteuer direkt vor die Nase gestellt?“
Ich seufzte. „Das was du hast ist keine Abenteuerlust, sondern pure Lebensmüdigkeit Vanessa.“
Sie schaute auf. „Wieso denn? Findest du es nicht auch interessant? Was ist wenn wir in einer völlig neuen Welt landen?“
Ich hob skeptisch eine Augenbraue. „Und du denkst wirklich, dass wir auch nur einen einzigen Tag in einer fremden Welt überleben können?“
„Das schaffen die Helden in deinen Büchern doch auch, warum wir also nicht?“, entgegnete Vanessa.
„Wie du schon sagtest, es sind nur Bücher. Aber ich habe keine große Lust in irgendeiner Zwischenwelt abzukrepeln. Meine Mutter würde durchdrehen.“
„Ivone, du bist voll der Spießer. Mit der Einstellung kriegst du nie einen Typen ab“, stichelte Vanessa... und es klappte. DAS konnte ich beim besten Willen nicht auf mir sitzen lassen.
„Na schön, wie du willst! Aber wir gehen nur kurz durch, schauen einmal nach links und rechts und gehen dann wieder zurück. Mehr nicht, verstanden?“
„Du hast überhaupt keine Ahnung von Spaß“, nörgelte sie. „Aber ok, wenn du darauf bestehst...“
Bevor ich darauf etwas erwidern konnte, nahm sie meine Hand und zerrte mich in das Licht.
Das Gefühl, welches mich überkam als ich durch die roten Fluten ging, war überwältigend. Zum Teil warm und geborgen, zum anderen Teil aber auch aufregend und gefährlich.
Das Licht von Regenbogen brach sich auf meiner Haut und erstellte dort, wo es mit mir in Berührung kam, leuchtende Farbwellen. Ich war zu gleichen Teilen geblendet, wie auch fasziniert von diesem Schauspiel, welches meiner Meinung nach viel zu schnell endete. Wobei ich nicht direkt sagen konnte wie lange wir wirklich in diesem Universum aus Licht gewesen waren. Minuten? Stunden? Oder doch nur Augenblicke?
Ich öffnete meine Augen und es bot mir ein schier atemberaubender Anblick. Vanessa und ich standen auf einer Art Viereckigen, riesigen Plattform, welche von einer Abgrenzung umgeben war. Der Himmel über uns war durch die im Horizont langsam untergehende Sonne orange verfärbt und nur die ebenso verfärbten Federwolken komplettierten dieses wunderschöne Bild von Reinheit. Solch einen klaren Himmel hatte ich bis jetzt noch nie gesehen. Es war eine Art Himmel, die man nur von Animationsfilmen oder Träumen kannte.
Völlig verträumt fragte ich Vanessa, die ebenso überwältigt zu sein schien: „Wo, meinst du, sind wir hier?“
„Ich habe keine Ahnung, aber es ist schön“, entgegnete sie ebenso verträumt.
Obwohl wir hier auf Beton standen und dies nur selten in Zusammenhang mit natürlicher, klarer Schönheit gebracht wurde, konnte ich ihr hierbei nur beipflichten.
Ich hatte mich weiter umgeschaut und feststellen müssen, dass unser Portal verschwunden war, aber irgendwie war ich darüber nicht traurig, denn ich fühlte mich hier wohl. Was auch immer 'hier' hieß.
Langsam ging ich auf die Brüstung zu und schaute hinunter. Unter uns waren Wolken die vorbei zogen, doch zwischen ihnen konnte ich noch weiter unten Straßen und Läden erkennen.
„Vanessa? Ich glaube wir stehen auf einem Wolkenkratzer!“, rief ich erstaunt aus.
Sie sah mich mit großen Augen an. „Wirklich? Das ist ja cool, ich war noch nie auf einem Wolkenkratzer.“
Um die Wahrheit zu sagen war Vanessa bisher auch noch nicht in, geschweige denn vor einem Wolkenkratzer gewesen, aber das war jetzt auch nicht so wichtig.
Ich fragte mich gerade wie wir von diesem Gebäude heil wieder runter kommen sollten, denn ich sah nirgendwo eine Tür die zu einem Treppenhaus führen könnte, als ich plötzlich eine Explosion hinter mir hörte die mich aufschrecken ließ.
Von diesem Schreck und auch von der darauf folgen starken Druckwelle verlor ich das Gleichgewicht und als dann auch noch etwas großes silbernes schnell an mir vorbei rauschte, wurde ich mitgezogen und flog über die Brüstung.
Anders als das Wesen welches an mir vorbei geflogen war und somit das Gesetz der Schwerkraft einfach missachtete, musste ich mich dem beugen und fiel in die Tiefe, erst durch die Wolkendecke, dann dem Pflaster entgegen, immer schneller.
Im Rücken spürte ich die Wand des Wolkenkratzers an mir vorbei ziehen und der Wind schlug mir ins Gesicht. Die Todesangst wurde nur allein von dem Gefühl der wilden Freiheit in Schach gehalten, so dass ich auch nicht schrie, sondern dies alles über mich ergehen lies. Doch hatte ich mir das Ende meiner Tage etwas anders vorgestellt gehabt....
„MELISSA!!!“, hörte ich jemanden über mir rufen. Das selbe silberfarbene schillernde Wesen, welches mich vom Dach gestoßen hatte kam nun, mit an den Körper gelegten, schwarzen Flügeln auf mich zugeflogen und reichte mir eine Hand. Ohne nachzudenken schnappte ich nach dieser. Mein Selbsterhaltungstrieb hatte sich wohl doch wieder eingeschaltet.
Ich wurde von festen Armen umschlungen und ein zart männlicher Duft stieg mir in die Nase und benebelte mein Gehirn. Ich schaute auf. Das was ich die ganze Zeit als silbernden Schimmer wahrgenommen hatte, waren in Wahrheit die Haare des Jungen gewesen, der mich gerade in den Armen hielt. Nun ja, 'Junge' war etwas untertrieben. Es war ein Mann, wahrscheinlich Anfang 20, mit eisblauen Augen, geschwungenen, vollen Lippen, die zu einer strengen Linie verzogen waren und hohen Wangenknochen. Seine Haare schimmerten wie das Wasser im Sonnenlicht und umspielten seine Gesichtszüge.
Er war der schönste Mann, den ich je in meinem Leben gesehen hatte, noch schöner als irgendein Star für den Vanessa je geschwärmt hatte und Vanessa hatte schon für viele Stars geschwärmt.
„Grün?“, fragte er leise, mit einer Stimme, die sanft, aber auch machtvoll zugleich klang.
„Bitte was?“, fragte ich atemlos und bemerkte erst jetzt, dass auch er mich die ganze Zeit über gemustert hatte.
„Nichts“, entgegnete er schließlich, drückte mich fester an sich und schwebte langsam nach oben, zurück aufs Dach. Bei der Gelegenheit fielen mir seine riesigen Flügel ins Auge. Sie waren wirklich riesig und schwarz, sehr schwarz. Es war so ein samtenes, edles Schwarz welches so wie seine Haare in der Sonne leuchtete.
Am liebsten hätte ich sie ja berührt, doch ich wagte es nicht mich zu bewegen, viel lieber lies ich mich von dem Jungen in den Armen halten.
Er stellte mich neben der immer noch erstaunten und erschrockenen Vanessa ab, die von seinem Anblick aber sofort so sehr abgelenkt wurde, dass sie anscheinend keine Zeit mehr hatte sich um mein Wohlbefinden zu sorgen, ich konnte ihr das nicht verübeln.
Der Junge verschränkte seine Arme und stellte sich vor uns hin. Sein langer Pony viel ihm dabei ins Gesicht und verdeckte dabei einen Teil seines Gesichtes. „Und ihr seid?“
Vanessa ging einen Schritt auf ihn zu und lächelte ihn verführerisch an.
„Ich bin Vanessa und das ist-“, sie kam nicht mehr dazu mich ebenfalls vorzustellen, denn hinter meinem Retter war noch ein Junge mit schwarzen Haaren aufgetaucht, der ein langes, sehr scharf aussehendes Schwert in den Händen hielt und es war offensichtlich was er damit vor hatte.
Ohne nachzudenken stieß ich den silberhaarigen zur Seite, um ihn aus der Reichweite der Waffe zu bringen, beförderte mich aber dadurch selber in eben diese. Als mich das Schwert traf war es kein Schmerz den ich verspürte, sondern eher eine stechende Hitze. Meine Haut und mein Fleisch wurden sauber aufgeschnitten und ich spürte das Blut aus meinem Körper spritzen und fließen und ich hörte Vanessas spitzen Schrei, aber nicht nur das, sondern auch die erregte Stimme meines Retters.
„Nicht mal richtig zielen kannst du, du Idiot!“, schrie er den schwarzhaarigen an.
„Konnte ich wissen, dass die beiden dort stehen?“, verteidigte er sich und kniete sich zu mir hinunter. Anscheinend musterte er meine Wunde. „Wir müssen die Blutung stoppen.“
Ich schaute ihn an, mir wurde langsam schwarz vor Augen. Ich wollte gar nicht wissen wie viel Blut ich gerade verlor. Er grinste mich an. „Keine Sorge das wird schon.“ Dann wand er sich zu dem silbernen um. „Hast du Ravinja irgendwo gesehen?“
„Nein, ich rufe sie an“, hörte ich ihn entgegnen.
Langsam kam der Schmerz und ich presste die Lippen zusammen um nicht zu schreien. Der schwarzhaarige hielt meine Hand. „Tut mir wirklich leid.“
Ich versuchte zu lächeln um ihm damit zu zeigen, dass ich ihm nicht böse war, denn das war ich wirklich nicht. Auf mich wirkte er nicht wie jemand der irgendwem was böses wollte. Mein Versuch zu lächeln ging ziemlich nach hinten los und das merkte er.
„Überanstrenge dich nicht, die Schmerzen könnten gleich noch etwas heftiger werden.“
Er hatte recht, das wurden sie. Ich keuchte auf.
„Da bist du ja endlich“, hörte ich die Stimme des anderen Jungen rufen und kurz darauf die Stimme eines Mädchens.
„Tut mir leid, ich war nunmal gerade nicht in der Nähe. Wie hätte ich auch wissen können, dass ihr beiden Vollidioten einen armen, wehrlosen Passanten in Stücke hackt.“
Jemand kniete sich neben mich und schaute mich an.
„Ich hoffe es sieht nur so schlimm aus, denn wenn nicht, dann habt ihr beiden ernsthafte Schwierigkeiten.“
Ich versuchte mich aufzurichten, doch das Mädchen hielt mich fest. „Wage es ja nicht, dich auch nur einen Millimeter vom Fleck zu rühren!“, sagte sie streng und nahm meinen Arm, ich spürte einen kleinen Pieks.
„Das sollte sie erst einmal für eine Weile ruhig stellen.“
Es stimmte, mein Körper wurde taub und ich verlor langsam das Bewusstsein.
„Ich werde erste Hilfe Maßnamen ergreifen und wir bringen sie dann-“, den Rest des Satzes hörte ich nicht, denn mir wurde schwarz vor Augen.

Kapitel 2




Die Schwärze, die mich in die Bewusstlosigkeit getrieben hatte, brachte mich aus dieser auch wieder heraus. Oder wenigstens fing ich langsam wieder an meinen Körper zu spüren, dumpf zwar und kaum existent, aber immerhin fühlte ich so viel um zu wissen, dass ich nicht gänzlich tot war. Aber desto mehr ich mich spürte, umso schwerer viel mir das Atmen. Ich wusste nicht einmal ob ich überhaupt wirklich atmete. Wie spürte man das Atmen? Wie spürte man etwas, das man seid dem ersten Moment auf Erden völlig automatisch getan hatte? Trotz meiner tauben Nervenzellen, die sich anfühlten als hätte man mir eine Überdosis an Morphium injiziert, versuchte ich mich auf die einzelnen Glieder meines Körpers zu konzentrieren und sie nach meinem Willen zu bewegen. Erst später realisierte ich, dass Stimmen um mich herum erklangen. Ich hatte jetzt damit gerechnet, dass sie in meinem Kopf auftauchten und mir zu verstehen gaben, dass ich nun völlig durchgeknallt war, aber ich wurde enttäuscht.
Es war mehr so, dass die Stimmen mir verdeutlichten, dass ich mich anscheinend in einem Raum befand. Ich versuchte mich auf meine Umgebung zu konzentrieren, was mit geschlossenen Augen ein recht schwieriges Unterfangen war. Wo genau war ich? Meiner Unterlage nach zu urteilen in einem Bett? Etwas schweres, warmes lag auf mir, vielleicht eine Decke? Mein Kopf schien auf ein Kissen gebetet zu sein. Also war dies ein Krankenzimmer? Nein, dafür roch es hier nicht nach Destillationsmittel. Also begrenzte ich mich darauf, dass ich mich allen Anschein nach in einem Zimmer befand, welches ein Bett beinhaltete. Ein Schlafzimmer?
„Sie kommt langsam zu sich.“
Diese Stimme war ganz eindeutig weiblich und mir ganz nah. Langsam versuchte ich die Augen zu öffnen.
Eine breit grinsende Vanessa starrte mir entgegen. Für genau zwei Sekunden blieb es völlig still im Raum. Mein Gehirn arbeitete, dann...
„AHHHH!!!“, schrie ich und sprang auf, was aus mehreren Gründen eher kontraproduktiv war. Mit meinem Bewusstsein kamen auch meine Gefühle wieder und sämtliche Glieder und Muskeln meines Körpers taten mir weh, aber nicht nur die. Mit den Gefühlen kamen auch die Erinnerungen und in diese Kategorie gehörte auch der Grund, warum ich wahrscheinlich hier gelegen hatte. Meine Wunde schmerzte dermaßen, dass ich erschrocken auf keuchte. Aber neben diesen winzigen körperlichen Lappalien fühlte sich Vanessa in ihrem Stolz verletzt.
„Es freut mich ja, dass du wieder bei Bewusstsein bist, was nach drei Tagen auch wirklich Zeit wurde, aber dennoch bin ich kein so grässlicher Anblick bin, dass du uns die Ohren ab schreien musst.“
Ich ging auf ihren Tadel nicht ein, sondern griff zwei Begriffe auf, die sie mir in ihrem Redeschwall entgegen geschleudert hatte.
„Drei Tage? Wir? Wo bin ich hier eigentlich?“
Vanessa rollte erst mit den Augen und hüpfte aus meinem Blickfeld. Dies ärgerte mich aus mehreren Gründen. Unter anderem, weil ich ihr mit dem Kopf folgen musste, nur um zu sehen, wie sie sich bei dem silberhaarigen Jungen einharkte, der mich wohl schon die ganze Zeit gemustert hatte. Wieder verschwendete ich wertvolle Sekunden in denen ich nichts hätte tun können, indem ich ihn genau in Augenschein nahm. Ich erinnerte mich nicht mehr an das, was er bei unserer letzten Begegnung getragen hatte, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass es etwas geben sollte in dem er besser aussah als in diesen verwaschenen, dunklen Jeans und diesem schwarzem Hemd. Und wenn das doch möglich war, dann wollte ich nicht dabei sein um das zu überprüfen. Ich mochte meinen Hormonspiegel so wie er war. So ruhig und ausgeglichen.
„Nachdem du langsam von uns davon vegetiert bist, und ja das war vor drei Tagen, haben wir, dazu später, dich in sein Schloss befördert.“
Vanessa deutete mit einem Lächeln auf meinen Gegenüber. Ich erkannte das typische Vanessa Lächeln, welches männliche Normalsterbliche in der Regel in sabbernde und willige Sklaven verwandelte. Aber anscheinend hatten wir hier keinen Normalsterblichen vor uns und an seiner Männlichkeit wollte und konnte ich nicht zweifeln. Jedenfalls blieb sein Blick kühl... nun eher unterkühlt.
„In seinem Schloss... Schloss... SCHLOSS?“ Mir wurde jetzt erst Bewusst welche Ausmaße ein solches Gebäude gegenüber einer normalen Stadtvilla hatte. Wer war er, dass er in einem Schloss leben durfte und konnte? Wie ein Adeliger sah er nicht aus, aber was wusste ich schon großartig vom Adel? Es konnten ja nicht alle in Anzügen durch die Weltgeschichte spazieren.
„Ja sein Schloss, weißt du unser lieber Demyan ist ein waschechter-“
Ich sollte nicht erfahren ein waschechter was Demyan nun war, denn er unterbrach Vanessa mit einer zurück gehaltenen bis nicht vorhandenen Höflichkeit.
„Wie fühlst du dich?“
Ich schaute ihn mit großen Augen verblüfft an. Hatte er mich wirklich gerade nach meinem Gemütszustand gefragt?
„Äh... ich würde sagen... gerädert“, antwortete ich zögernd.
„Ravinja wird gleich kommen und sich um dich kümmern.“
Aus einem mir unbekannten Grund konnte ich mich über seine Worte nicht freuen. Er schien sich nicht wirklich Sorgen um mich zu machen, dafür war seine ganze Erscheinung zu kalt. Seinem Wortklang nach zu folge, hätte er mich ebenso gut nach dem Wetter fragen können. Oder der Baumbevölkerung des Schwarzwaldes. Er hatte eine distanzierte Haltung, auch wenn Vanessa neben ihm in ihrer Schwärmerei für ihn aufging. Was hatte dieser Mann erlebt um so kalt zu werden?
Ich spürte, dass echte Neugier in mir aufstieg. Plötzlich wollte ich alles von ihm wissen und ich meine wirklich alles. Wenn er es in diesem Moment zugelassen hätte und ich mich in der nötigen körperlichen Verfassung befunden hätte, hätte ich mich mit ihm in ein Turmzimmer begeben, lediglich mit ein paar Kerzen und Streichhölzern bewaffnet und hätte mir von ihm seine gesamte Lebensgeschichte erzählen lassen.
Gerade, als ich dieses melancholische wie auch romantische Bild vor Augen hatte, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Und zwar von keinem geringerem als meinem Angreifer, der freudestrahlend die Tür zu dem Zimmer aufriss und ein lautes 'Hallo' in den Raum warf, als sein Blick auf mich fiel. Ich wusste nicht, was er in meinem Blick sah. Angst war es wahrscheinlich nicht, eher Verwirrung?
„Ahhh, wie ich sehe ist unsere Patientin endlich wach?“ Strahlend wie eine tausend Watt Glühbirne kam er auf mich zu und nahm meine eiskalte Hand in seine.
Ich fühlte mich auf mehrere Arten überrumpelt.
„Ähm... hallo?“, erwiderte ich leise.
„Du schüchterst sie ein“, erklang eine gleichgültige Stimme, hinter dem schwarzhaarigen und ausnahmsweise kam mir diese sofort bekannt vor.
„Ravinja?“, fragte ich ohne großartig nachzudenken.
„Ja?“, erwiderte die Stimme und dunkelbraune Augen starrten mich hinter dem Rücken des Irrens an. Diese wunderbar dunklen Augen, dessen Iris von goldenen Fasern zerrissen wurde, waren der Blickfang eines zarten, schmalen Mädchengesichts mit einer zierlichen kleinen Nase und vollen, sinnlichen Lippen. Volle, rot-braune, wellige Haare umspielten dieses und ließ sie zum Teil kindlich, aber aufgrund des Ponys auch streng wirken.
Ich war geradezu fasziniert von dieser absoluten reinen Schönheit, die so viel klarer als die von Vanessa zu sein schien.
„Es freut mich, dass du endlich wach bist Ivone“, sagte das Mädchen mit einer Stimme einer zwanzig Jährigen. In dem Moment, wo ich ihre Lippen sich zu dem Klang ihrer Stimme bewegen sah, reifte sie vor meinen Augen und aus dem jungen Mädchen wurde eine junge Frau.
„AHH, ich hab mich noch gar nicht vorgestellt“, viel es dem Jungen plötzlich ein.
„Du wirkst zerstreut mein Lieber.“ Noch eine junge Frau betrat den Raum. Groß und schlank war sie und gehörte von ihrem Aussehen her ganz eindeutig zur Kategorie 'Vanessa', aber ihre Augen- wie auch ihre Haarfarbe und ihre Gesichtszüge waren denen Ravinjas nicht unähnlich. Ich nahm stark an, dass sie Ravinjas ältere Schwester war.
Ich schaute mich um. Plötzlich wirkte dieser Raum überfüllt, aber im positiven Sinne. Ich war verwirrt, keine Frage, aber irgendein Umstand brachte mich dazu in lautes Gelächter auszubrechen, was dazu führte, dass meine Wunde schmerzte und dass fünf Augenpaare sich verdattert in meine Richtung bewegten und dort zum Stillstand kamen.
„Tut mir... mir leid“, keuchte ich, nachdem ich mich beruhigt hatte und mir unauffällig die pochende Seite hielt. „Es ist nur... irgendwie...“ Ich wusste nicht was ich sagen sollte, allein schon weil ich selbst nicht wusste was mich so erheiterte.
„Das Morphium hat angeschlagen“, sagte die bis jetzt noch namenlose Frau.
„MORPHIUM?“, fragte ich entsetzt. Ich war unter Drogen gesetzt worden?!?
„Hör auf sie aufzuregen Serida“, tadelte Ravinja sie.
„Morphium?“, fragte ich erneut, nur diesmal ruhiger.
Ravinja wand sich lächelnd an mich. „Natürlich nicht Ivone. Ich verwende selten so primitive Dinge wie Drogen um meine Patienten ruhig zu stellen, wobei es bei dir vielleicht gar nicht so schlecht gewesen wäre, so wie du gezuckt hast, als ich dir die Wunde genäht habe.“
Ich wollte gar nicht erst an das Blutmassaker denken und lenkte meine Gedanken in friedlichere Gefilde. Blumenwiesen zum Beispiel, eigneten sich für gewöhnlich hervorragend dafür.
„Jetzt hast DU sie aufgeregt“, warf der schwarzhaarige schadenfroh ein.
Da es mich persönlich angriff, dass ich seinen Namen noch nicht herausgefunden hatte, reichte ich ihm meine Hand.
„Ivone mein Name, freut mich“, sagte ich direkt und schaute ihn fordernd an. Er starrte erst meine blasse Hand, dann mich an und ein beunruhigendes Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.
„Rikyu, angenehm.“ Er nahm meine Hand in seine, dabei musste er sie erst von meiner anderen entfernen, die jetzt eine angenehme Temperatur hatte. Mir kam das ganze doch recht irreal vor.
Ich merkte erst nach ein paar Sekunden, dass er meine Hand noch immer fest in seiner hielt und mich musterte.
„Das ich dich angegriffen habe tut mir übrigens leid“, sagte er. Ich lächelte ihn an, was ihn zu verunsichern schien.
„Naja, ich lebe noch. Und alles was nicht umbringt macht härter, oder?“ Ich zwinkerte ihm zu.
„Du bist merkwürdig“, entgegnete er kurz angebunden.
„Danke, dafür renne ich nicht durch die Gegend und steche wehrlose Passanten ab“, warf ich zurück und hob eine Augenbraue.
„Ich dachte es wäre erledigt.“
„Habe ich nie behauptet.“
Wir lieferten uns einen Blickduell der Superlative. Wo waren die Scheinwerfer und das große Publikum, wenn man es brauchte?
Nach gefühlten Stunden räusperte sich jemand neben uns.
„Habt ihr es dann?“, fragte Serida grinsend und legte Rikyu einen Arm um die Schulter. Dieser wand sich an Demyan.
„Sie ist ihr wirklich ähnlich Bruderherz.“
Bruder? Die beiden waren blutsverwandt? Gab es das denn? Aber was nicht minder wichtiger war-
„Wem bin ich ähnlich?“
„Niemandem“, fuhr mich Demyan an und ich zuckte zusammen.
Welche Laus war dem denn über die Leber gelaufen? Ich spürte, dass es nicht sonderlich schlau wäre weiter zu bohren.
„Ihr seid Brüder?“, fragte ich stattdessen und hoffte, dass dies ein leichter verdauliches Thema war.
„Das hat man uns als Kinder erzählt und da wir auch ganz zufällig am selben Tag von der selben Frau geboren worden sind, wird das wohl auch stimmen“, beantwortete Rikyu meine Frage, nachdem er seinen Bruder skeptisch beäugt hatte.
„Ah... mhhh... ok?“, war das einzige was ich dazu sagen konnte. Ihr werdet es mir nicht glauben, aber ich wurde erneut müde.
Ravinja wand sich an die herum Stehenden.
„Ihr geht jetzt am besten. Ivone hat sich meiner Meinung nach genug angestrengt und schließlich muss ich mich um ihre Wunde kümmern.“ Bei letzterem warf sie dem ungleichen Geschwisterpaar einen bösen Blick zu, bevor sie sich zu mir kehrte.
„Es könnte etwas weh tun, ich hoffe du wirst mir nicht allzu böse sein?“
„Ach wo... ich bin hart im Nehmen und so gut wie unverwüstlich“, entgegnete ich und hoffte, dass sie die Panik in meinen Augen nicht sah. Ich hatte nicht gelogen, ich war wirklich so gut wie unverwüstlich, nur hasste ich Schmerzen wie die Pest!
„Na dann gehen wir lieber mal. Bis später Ivone“, Rikyu lächelte mich entschuldigend an, während er mit Serida im Schlepptau den Raum verließ. Demyan ging ganz ohne Abschiedsworte und Vanessa rannte ihm aufgebracht hinterher, kurz bevor sie die Tür geschlossen hatte, schaute sie nochmal herein.
„Man sieht sich Süße.“ Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu und verschwand kichernd.
Ich hob meine Augenbraue leicht, teils aus Verwirrung und teils weil sich Vanessa benahm wie ein pubertierender Teenager.
„So ist sie schon die ganze Zeit, falls das der Grund ist, weswegen du so irritierst guckst“, mischte sich Ravinja in meine Gedanken ein.
„Auch“, gab ich zu.
Ravinja lächelte leicht. „Da ist noch mehr, oder?“
Ich schaute in ihre offenen, freundlichen Augen. „So wie ich Demyan einschätze ist er von ihr genervt. Ich wäre es an seiner Stelle“, gab ich zu und runzelte die Stirn. War es fair von mir, dass hinter Vanessas Rücken zu jemanden zu sagen, den ich nicht kannte? Wobei ich nur meine Meinung zum Ausdruck brachte. Dennoch hatte ich ein schlechtes Gewissen. „Aber Demyan wirkt auf mich auch ziemlich miesepetrig“, warf ich deshalb schnell hinten ran.
Ravinja schmunzelte. „Da hast du wohl recht. Es ist schon ziemlich lange her, dass ich ihn wirklich mal gut aufgelegt erlebt habe. Die meiste Zeit verbringt er damit sich mit Rikyu zu bekämpfen.“ Sie seufzte traurig und ich fühlte mich gezwungen etwas zu sagen.
„Vielleicht ist das nur eine Phase und jeder streitet sich mal mit seinen Geschwistern... auch wenn nicht in solchen Ausmaßen.“ Ich musste an den Kampf auf dem Wolkenkratzer denken. Rikyu hatte versucht Demyan mit einem Schwert anzugreifen! „Öhm... ist Rikyu psychopathisch?“, wollte ich nun verunsichert wissen.
Ravinja sah mich erstaunt an. „Wie kommst du denn darauf?“
„Er rennt mit einem riesigen Schwert durch die Gegend? Er versucht seinen Bruder in aller Öffentlichkeit einen Kopf kürzer zu machen... er... er ist verdammt freundlich.“ Diese Tatsache brachte mich ins Stocken. Sollte ich nun Angst vor Rikyu haben, oder nicht?
Ravinja lachte leise. „Weißt du, es ist bei den Beiden völlig normal, dass sie sich gegenseitig mit Waffen angreifen. Sie sind sich ebenbürtig und bis jetzt hat noch keiner von beiden es geschafft den anderen ernsthaft zu verletzen. Außerdem gibt es immer noch Serida und mich, um die beiden im Zaum zu halten.“
Ich schaute sie mit großen Augen an. Während ich mich an die letzten Augenblicke vor meinem Zusammenbruch erinnert hatte, ist mir eine noch viel interessantere Erinnerung in den Sinn gekommen.
„Korrigiere mich bitte, wenn ich mich irre, aber kann es sein, dass Demyan fliegen kann?“ Irgendwie fühlte ich mich schon in dem Moment in dem ich das fragte recht unbeholfen. Viel überraschender war es allerdings als Ravinja nur lächelnd nickte.
„Einer der Eigenschaften eines gefallenen Engels“, entgegnete sie und meine Augen weiteten sich noch ein Stück mehr.
„Gefallener Engel?“ Ein Engel war nun nicht wirklich das, was ich mit Demyan in Verbindung bringen würde. Ich hatte eher mit,... ich weiß nicht... gut aussehender Serienheld, Modell... jedenfalls irgendwas in dieser Richtung, gerechnet. „Gefallener Engel?“, fragte ich erneut. „Also das mit Gott und allem drum und dran?“
„Nein, das ist das, was ihr Menschen unter 'gefallener Engel' versteht, hier ist es lediglich ein Wesen, welches aus der Verbindung zwischen einem Engel und einem Dämon entsteht.“
Meine Augen weiteten sich verblüfft.
„Dämonen? Engel? Ist das nicht... unmoralisch? Rein religiös gesehen, meine ich jetzt.“
„Auch das, was du unter 'religiöser Moral' verstehst ist hier anders als bei euch auf der Erde. Und auch einen Gott haben wir hier in diesem Sinne eigentlich nicht.“
Sie hob meine Decke an und ich erkannte, dass ich ein weißes, langes Nachthemd trug. Ich hoffte inständig, dass entweder sie, oder Vanessa es mir angezogen hatte, auch mit Serida könnte ich leben, solange es nicht im Beisein der männlichen Wesen geschehen war.
Ich versuchte mich weiterhin vom Kommenden abzulenken.
„Du redest die ganze Zeit von 'hier' und 'auf der Erde', dürfte ich denn erfahren wo ich hier eigentlich bin?“ Im Nachhinein fand ich es recht beängstigend mit welch einer Ruhe ich die ganzen Informationen aufnahm. Vielleicht hatte es doch etwas gutes, dass meine Mutter ausgerechnet Fantasiebuchautorin war.
„Oh, entschuldige mein Versäumnis. Du bist hier in Luney“, antwortete sie, während sie vorsichtig mein Hemd hoch zog und sich meine Wunde, oder doch eher Narbe, anschaute. Sie war erschreckend lang.
„Luney? Was ist Luney denn genau?“, fragte ich weiter und hoffte, dass ich Ravinja damit nicht allzu sehr nervte.
„Luney ist, anders als die Erde kein Planet, sondern eher ihre Parallelwelt. Wenn man Luney von außen sehen könnte, würde man sie wahrscheinlich mit einer Ellipse vergleichen. Einer Ellipse die von mehreren Säulen gestützt wird und diese wiederum von schwarzen Löchern getragen werden.“
Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass die Vorstellung, dass schwarze Löcher irgendetwas trugen, einfach absurd war. Außerdem erinnerte mich das alles so sehr an Terry Pratchetts Scheibenwelt.
„Öhm... streichen wir das mit den schwarzen Löchern und gehen zurück zu dem teil mit der Parallelwelt. Wie darf ich mir das vorstellen? Und wieso kann man Luney nicht von außen sehen?“
Ich musste an die Erde denken. An den blauen Planeten, der mitten in der Milchstraße vor sich hin dümpelt.
„Weil Luney im wahrsten Sinne des Wortes unendlich ist“, erwiderte sie schlicht und fing an, an meiner Narbe herum zu hantieren. Ich biss die Zähne zusammen.
„Achso... unendlich... ja... warum nicht?“ Ravinja schaute von ihrer Arbeit auf und sah das riesige Fragezeichen, was meine Miene wieder spielte.
„Es würde keinen Sinn machen nach den Grenzen von Luney zu suchen, ganz einfach, weil du vorher sterben würdest, bevor du die Grenzen erreicht hast, oder du verlierst dich im Nichts und kommst an deinem Ursprungsort wieder heraus.“
„Magisch“, murmelte ich.
Ravinja schmunzelte, während sie erbarmungslos weiter zupfte. Das konnte ihr doch nicht wirklich Spaß machen?
„Ja, Luney ist in der Tat eine magische Welt. Und jene die hier die Magie befehligen haben in der Regel auch sehr viel Macht.“
Ich nahm alles zurück, was ich vorhin über die Scheibenwelt gesagt hatte. Bei Terry wirkten die Magier nicht gerade sonderlich Macht beherrschend. Aber ich hatte bis jetzt auch nur ein Buch der gesamten Buchreihe gelesen. Vielleicht sollte ich mich irgendwann mal daran machen, auch die anderen Bände zu lesen.
„Haben Demyan und Rikyu auch Machtpositionen?“ Allen Anschein nach hatten sie magische Kräfte, also konnte man doch, rein logisch gedacht, daraus schließen.
„Ja, denn beide gehören zur mächtigen Königsfamilie Lightwood. Die Familie Lightwood regiert schon seid Urzeiten die eine Hälfte Luneys, doch leider ist sie fast gänzlich ausgestorben. Demyan und Rikyu sind die einzigen beiden Überlebenden.“
Ich keuchte auf, als Ravinja einen ganz hartnäckigen Faden zog. „Die... die Hälfte? Wie soll das funktionieren, wenn Luney unendlich groß ist?“
Ravinja lachte. „Das ist eine interessante Frage. Eine der vielen interessanten Fragen, die die Geschichte Luneys aufwirft.“
Sie hatte plötzlich einen geheimnisvollen Glanz in den Augen.
„Du solltest jetzt etwas schlafen Ivone. Ich nehme an, dass deine Wunde fast vollständig verheilt sein wird, wenn du wieder aufwachst. Dafür habe ich mit 'magischen Mitteln' nach geholfen.“
Ich lächelte leicht und war überrascht, dass ich gar nicht überrascht war, dass sie auch ein magisches Wesen war. Was hatte ich auch erwartet? Hatte denn nicht schon ihre Erscheinung etwas übermenschliches?
„Danke Ravinja.“ Ich spürte, dass ich sie mochte. Sehr sogar. Und ich merkte, wie in mir der Wunsch wuchs, dass wir irgendwann mal Freundinnen werden könnten.
„Da gibt es nichts zu danken Ivone. Ruh dich nur genug aus. Ich werde dir später etwas zum Anziehen hin legen und wenn du dich frisch machen möchtest, kannst du das Bad in meinem Zimmer benutzen. Es liegt links schräg gegenüber diesem hier.“
Ich lächelte sie an und verkniff mir eine erneute Danksagung. Ravinja war wirklich nett. Und das zu einer vollkommen Fremden!
Sie schloss leise dir Tür hinter sich und ich seufzte auf. Ich spürte, dass dies alles doch ziemlich viel auf einmal war und ich ging all die Informationen nochmals durch, die sich in mein Hirn gesaugt hatten, wie Wasser in einen staubtrockenen Schwamm.
Ich war also mit Vanessa in unserem Park spazieren gegangen, wir hatten ein Portal gefunden und weil wir gerade nichts besseres zu tun hatten sind wir natürlich gleich durch gerannt. Dann fanden wir uns auf einem Wolkenkratzer wieder, auf dem ich dann von Rikyu angegriffen wurde, aus versehen, weil er eigentlich seinen Bruder treffen wollte der blöder weise vor mir stand und ich ihn zur Seite stoßen musste. Danach wurde ich also von Ravinja versorgt. Wurde wieder wach und habe die anderen kennen gelernt. Bis hierhin ist ja alles noch recht normal. Wenn man mal den Teil ausließ, dass Demyan mich fliegend

vor dem sicheren Tod gerettet hatte.
Nun, es ging ja noch weiter. Also ich war in einer Parallelwelt der Erde, die unendlich groß war. Demyan und Rikyu gehörten zu einer alten Königsfamilie und sie und Ravinja und wahrscheinlich auch Serida beherrschten Magie.
„Oh Gott... ich werde verrückt“, stöhnte ich und zog mir die Decke über den Kopf.
Aber wenn ich wirklich verrückt wäre, hieß das doch, dass ich mir das alles nur zusammen fantasierte, das wiederum würde bedeuten, dass ich bald wach werden würde, in meinem eigenen Bett auf der Erde liegen würde und unsere Haushälterin mir Frühstück gemacht hatte. Das hieß auch, dass meine Mutter sich keine Sorgen zu machen brauchte, weil ich seid Tagen nicht nach Hause gekommen war.
Aber wenn das alles nicht das Ergebnis meiner Hirngespinste waren, dann durfte ich mit einer völlig aufgelösten und verzweifelten Mutter bei meiner Rückkehr rechnen. Wieso musste ausgerechnet ich mit einer so überfürsorglichen Mutter gesegnet sein. Nun, wahrscheinlich würde sich jede Mutter Sorgen um ihre 16-jährige Tochter machen, wenn sie einfach spurlos verschwindet und sich drei Tage lang nicht meldet, aber dennoch. Ich wäre glücklicher, wenn meine Mutter etwas lockerer wäre. Vielleicht nicht so locker wie Vanessas Eltern, denen so ziemlich egal war, was ihre Tochter gerade trieb, aber so viel, dass ich das Gefühl hatte, dass sie mir vertraute und endlich einsah, dass ich anfing selbstständig zu werden.
Ich seufzte erneut. Am besten ich klärte das mit den anderen ab, sobald ich wieder fit war. Das war das Einzige was ich im Moment tun konnte.
Ich spürte wie mich die Müdigkeit übermannte und schloss langsam die Augen, ein paar gefühlte Minuten später, war ich eingeschlafen.




Kapitel 3




Als ich meine Augen zum zweiten mal öffnete, leuchtete mir das orangene Licht der untergehenden Sonne entgegen. Wahrscheinlich war es schon später Nachmittag und sicher warteten die anderen darauf, dass ich endlich wach wurde.
Vorsichtig setzte ich mich auf und stellte überrascht fest, dass meine Wunde kein bisschen schmerzte. Zur Probe streckte ich mich ausgiebig und hörte meine Gelenke knacken. Es wurde wohl langsam mal Zeit, dass ich mich etwas bewegte.
Ich stieg aus dem Bett und ordnete die Bettdecke, dann wand ich mich dem Raum zu und nahm mir ersteinmal Zeit diesen genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Problem war nur, dass es nicht viel zum unter die Lupe nehmen gab. Der Raum war dermaßen unpersönlich eingerichtet, dass ich mich an die Zimmer von Jugendherbergen erinnert fühlte. Aber ich fühlte mich hier nicht unwohl. Es war mehr so, dass ich nicht sonderlich überrascht war.
Die Zimmerwände waren in einem hellen Beige mit abwechselnden weinroten Mustern gehalten. Die Möbel waren gänzlich in verschiedenen Terrakottatönen. Das einfache Bett aus Mahagoni stand an der westlichen Wand, genau unter dem Fenster, also war es kein Wunder, dass ich die Abendsonne abbekam, was mich aber nicht im Geringsten störte. An der östlichen Wand, dem Bett also gegenüber, stand ein Schreibtisch und ein Stuhl aus Kiefernholz. Über der Stuhllehne war Kleidung für mich vorbereitet worden und beim näher gehen, was auf wackligen Beinen geschah, sah ich, dass ein Zettel auf dem Tisch lag. Ich las erst den, bevor ich mich den Klamotten widmete.



Liebe Ivone,

stand dort in einer sehr femininen, leicht geschwungenen Schrift,


ich hoffe, dass du bald wach wirrst. Wir warten unten im Gemeinschaftssaal auf dich. Den erreichst du, indem du, nachdem du die Treppen nach unten gegangen bist, in den Gang nach rechts abbiegst und diesem folgst, bis du zu einem Wappen kommst, auf dem ein roter Bär umgeben von fünf goldenen Pentagrammen abgebildet ist. Nachdem du an diesem Vorbei bist, musst du in den schmalen Gang auf der linken Seite abbiegen, dann müsstest du an eine große, hölzerne Tür kommen. Falls du dich verlaufen solltest, was ich nicht annehme, wird Rikyu dich schon wieder finden. Vielleicht kommt er dir auch entgegen.

Ravinja



Ich runzelte die Stirn. Wie viele Gänge hatte dieses Schloss? Nun ja, es war ein Schloss, was hieß, dass es wahrscheinlich nicht gerade klein war.
Ich drehte mich um und widmete mich dem Stuhl und den Kleidungsstücken auf ihm. Es kam eine hautenge dunkle Jeanshose mit braunen Nähten und einem dazugehörendem braunem Ledergürtel, der mit kupferfarbenen Knöpfen verziert war. Das Top war blütenweiß und hatte auf der einen Seite Spagettiträger auf der anderen allerdings einen schulterfreien, ab dem Ellbogen weit anliegende Ärmel, dem Bischofsärmel nicht ganz unähnlich, nur etwas stylischer.
Das waren Klamotten, die ich normalerweise nie so bewusst ausgewählt hätte. Normalerweise trug ich auch das, was ich zufällig gerade aus meinem Schrank gefischt hatte. Demnach war mein Kleidungsstil manchmal etwas eigenwillig. Es sei denn Vanessa hatte in meinem nicht gerade kleinen Schrank herum gestöbert und suchte mir ein Outfit zusammen...
Ich nahm die Anziehsachen auf den Arm und verließ mein Zimmer um bei Ravinja zu duschen. Doch als ich in den Gang hinaus trat, traf mich erst einmal der Schlag.
Zu erst: Der Flur war hell, sehr hell, sehr groß und sehr rund.
Über die weißen Wände schlängelten sich hellblaue Blumenmuster, die so ineinander verschnörkelt waren, dass man schon bald den Überblick verlor, wenn man sich zu sehr auf sie konzentrierte. Auf dem Boden und an der Decke waren jeweils zwei Achtsterne aufgemalt, von denen die einen vier Ecken jeweils nur beim anderem Stern stark ausgeprägt, die anderen aber eher blass waren.
Der Raum war verwirrend und symmetrisch aufgebaut. Zu meiner Linken zeigte sich eine riesige Wendeltreppe, die in das Geschoss unter mir führte, zu meiner Rechten, der Treppe gegenüber, befand sich eine weitere, die in de Stock über mir führte. Es war fast so, als würde der Flur als Plattform zwischen diesen beiden Geschossen fungieren. Alle Türen sahen ziemlich gleich aus und ich hatte das Gefühl, dass ich mich allein schon hier verlaufen könnte.
Wenn allein schon dieser Gang so groß war, wie sah dann erst der Rest des Schlosses aus?
Ich ging auf die Tür zu, die mir Ravinja beschrieben hatte und hörte, wie meine Schritte in dem leeren Raum widerhallten. Mir lief es kalt den Rücken runter.
Als ich die Tür zu Ravinjas Zimmer öffnete blieb ich auch hier mit offenem Mund stehen.
Ihr Zimmer war riesig, fast doppelt so groß wie das, in dem ich geschlafen hatte. Mitten im Raum stand ein großes Futonbett, in dem fünf ausgewachsene Menschen Platz gehabt hätten, wenn nicht mehr als die Hälfte der Liegefläche mit Büchern belegt gewesen wäre. An der linken Wand standen zwei riesige Schränke aus Eichenholz Das eine war ein Bücher- und das andere ein Kleiderschrank, deren Türen weit offen standen und entblößten, was ich nicht für möglich gehalten hatte. Das war kein normaler Kleiderschrank, das war der Eingang zum Kleiderparadies, umgangssprachlich auch 'begehbarer Kleiderschrank' genannt. Neben der Tür stand ein Schreibtisch, ebenfalls mit Büchern, aber auch mit Schreibutensilien belagert. Über dem Schreibtisch hing ein kleines Medizinschränkchen. Das einzige was ihr und mein Zimmer gemeinsam hatten, waren das Beige der Wände, aber bei ihr waren die Wände beige und rot und hatten Muster in verschiedenen Brauntönen.
Hinter dem riesigen Bett war eine weitere Tür, die wohl ins Badezimmer führte. Diese steuerte ich an und öffnete sie. Sofort fühlte ich mich in einen Regenwald versetzt. Oder auch einen normalen europäischen Mischwald. Auf jeden Fall war es grün, sehr grün. Überall waren Regale von denen Pflanzen ihre langen Triebe hingen ließen. Die Luftfeuchtigkeit war ziemlich hoch und es roch nach nasser Erde und Rinde.
Ich atmete tief ein und ließ mein Nachthemd von den Schultern gleiten, nachdem ich die Duschkabine aus dem ganzen Grün identifiziert hatte. Das war wie duschen in der Natur und ich fühlte mich sehr wohl. Ich schäumte mich mit Ravinjas Kräuterduschgel ein und aktivierte dann die Tropendusche. Das war ein herrliches Gefühl. Ich hätte stundenlang in diesem Raum verbringen können. Wenn im Hinterkopf nicht meine wartenden Gastgeber herum geschwirrt wären, hätte ich das aller Voraussicht nach auch getan. Aber gerade weil sie ziemlich präsent waren, schaltete ich die Dusche aus und trocknete mich ab. Nach einiger Zeit hatte ich auch Das Badezimmerschränken gefunden, indem Ravinja ihre Cremes verstaute. Das alles wirkte auf mich recht surreal. Ich stand mitten in einem natürlichen Wasserparadies und cremte mich ein!
Nachdem ich fertig war nahm ich mir noch etwas Zeit mich weiter umzuschauen und musste erstaunt fest stellen, dass dieser Raum entweder ziemlich groß war, oder mit Hilfe von... erm... 'magischen Hilfsmitteln' erweitert wurde, denn ich konnte keinerlei Wände entdecken!
Nachdem ich meiner Meinung nach genug Zeit vertrödelt hatte, suchte ich meine Klamotten zusammen und nahm sie gefaltet wieder mit in mein Zimmer. Ich konnte froh sein, dass ich mir gemerkt hatte wo es war.
Nachdem ich mit allem fertig war, rannte ich die Treppe nach unten und war erstaunt, wie viele Stufen diese hatte. Rikyu, Serida, Demyan und Ravinja müssten wahnsinnig sein, wenn sie sich das wirklich jeden Tag antaten. Und einen Fahrstuhl gab es anscheinend auch nicht. Nun, vielleicht hatten sie ja ihre eigene Art der Problemlösung entwickelt.
Leise und mit bedächtigen Schritten ging ich den langen Gang aus Ravinjas Beschreibung entlang und war geradezu fasziniert von all den Mustern, die sich auf dem Boden und der Decke ausbreiteten. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass sich das Farbmuster auf dieser Etage etwas von der oberen unterschied. Anstatt blaue Muster waren es hier rote, die sich über die gesamte Wand zog. Es war eine sehr eigentümliche Kombination. Dieses hitzige, düstere blutrot, auf dem schneeweißen, unschuldigen Hintergrund. Und das was oben auf der Plattform der Achtstern war, war hier eine Triskele. Das gab mir nun doch zu denken. Nicht das ich auf diesen ganzen Okkultismuskram und dergleichen abfuhr. Aber als Tochter meiner Mutter wurde man geradezu damit beworfen und der Versuch sich dagegen zu wehren endete nur damit, dass die Bombardierung unnötiger Informationen in diese Richtung an Schärfe zunahm.
Während ich meinen Gedanken nach ging, bemerkte ich, dass ich fast an dem Wappen vorbei gelaufen wäre. Ich wand mich um und schaute es mir an. Es war genauso wie Ravinja es beschrieben hatte und sonderlich spannend fand ich es nicht, dennoch zog mich irgendetwas daran in seinen Bann. Ich war derart fasziniert davon dieses fünfeckige Stück schwarzen Holzes anzustarren, dass ich weder hörte noch spürte, wie sich jemand von hinten an mich heran schlich. Erst der warme Atem neben meinem Ohr und das gehauchte 'Buhhh~' löste mich aus meinem hypnoseartigen Zustand. Ich schreckte auf und hielt mir die Brust, unter der mein Herz dermaßen stark schlug, dass ich meinen könnte es wollte aus meinem Körper entkommen. Ich drehte mich zu dem Ursprung meiner momentanen Verfassung um.
„Gott Rikyu!“, keuchte ich, „Du hast mich vielleicht erschrocken.“
Der junge Mann stellte sich gerade hin und grinste mich schelmisch an. Erst jetzt sah ich, wie groß er eigentlich war. „Und du erst“, entgegnete er. „Ich dachte echt du wärst zu Stein geworden, so starr standest du da. Ich wollte mich nur versichern, ob du noch lebst.“
Ich hob eine Augenbraue, nur um anschließend mit den Augen zu rollen. Normalerweise hatte ich es nicht so mit Leuten, die ich gerade erst kennen gelernt hatte und erst recht nicht wenn diese Leute männlich waren und dann auch noch wie dieses Exemplar so verdammt gut aussahen. Aber allem Anschein nach, machte genau dieses Exemplar eine Ausnahme von dieser Regel. Ich wusste noch immer nicht, was ich von ihm halten sollte. Gefährlich war er sicherlich nicht, aber er hatte etwas... sagen wir mal... respektables an sich, dennoch konnte ich es mir nicht verkneifen ihm in den Arm zu boxen und einfach an ihm vorbei zu gehen, als wenn wir alte Freunde wären.
„Du hast doch einen Knall“, sagte ich lachend. Er schaute erst seinen Arm an, der kurz davor von meiner Faust attackiert worden war, und dann mich an, nur um mir daraufhin zu folgen und zurück zu boxen.
„Ok, Spaß bei Seite. Wir haben uns gefragt wo du steckst und ich wollte mich gerade auf den Weg machen dich zu holen“, erklärte er nun wirklich etwas ernster.
Ich wurde rot. „Ich wurde... aufgehalten... von Ravinjas... ähm Badezimmer?“ Ich betonte das letzte Wort wie eine Frage, da ich mir nicht sicher war, ob man zu einem Raum ohne Wände wirklich 'Zimmer' sagen konnte.
Rikyu betrachtete mich erst erstaunt, wobei sich unsere Blicke kreuzten und ich erkannte, dass seine Augen orangerot waren. Wie züngelnde Flammen. Und als er anfing zu lachen, während er die große, verzierte Tür, oder eher Tor, zum Gemeinschaftssaal öffnete, leuchteten sie geradezu. Ich schaute schnell weg und betrat den großen Raum.
Sofort fühlte ich mich ins alte Mittelalter zurück versetzt. Die Wände dieses doch recht großen Raumes hatte eine Holzvertäfelung und wurde von unzähligen Kerzenlichtern erleuchtet. Überall hingen Trophäen oder Orden und Auszeichnungen, Gemälde und Kunstwerke kamen auch nicht zu knapp. Eine weitere Tür führte mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Hinterhof. Mitten im Raum stand ein riesiger, klobiger Holztisch, vor denen ebenso klobige Stühle standen. Insgesamt zwanzig an der Zahl. Vier von denen waren im Moment besetzt, wobei die drei Gruppen recht weit voneinander entfernt saßen. Ich sagte mit Absicht drei Gruppen, denn es war klar, dass Vanessa so sehr an Demyan klebte, dass man der Meinung hätte sein können sie sei im Begriff über ihn her zu fallen. Ich fragte mich, warum sie sich nicht gleich auf seinen Schoß setzte, doch als ich seinen Blick sah war ich doch ganz froh, dass sie es nicht tat. Ich mochte sie und wollte sie noch etwas länger lebend haben.
„Hey du Schlafmütze, wie geht es dir?“, rief mir Serida zu und grinste mich an. Unsicher hob ich meine Mundwinkel zu einem Lächeln.
„Ganz gut, nehme ich an“, erwiderte ich. Rikyu schob mich in den Raum und zog mich zum Tisch hin, nur um mich neben Ravinja zu setzen und sich selbst neben Serida nieder zu lassen.
Vanessa hob ihren Kopf.
„Hey Süße. Freut mich dich wieder fit zu sehen.“ Sie zwinkerte mir zu.
„Was hast du erwartet?“, entgegnete ich feixend. Das war einer unserer Insider. Mittlerweile war es so, dass sich Vanessa nicht mehr wirklich Sorgen um mich machte, da sie wusste, dass ich so gut wie unverwüstlich war. Entweder hatte ich einen verdammt guten Schutzengel... oder einfach nur verdammt viel Glück. Ich tippte eher auf letzteres. Jetzt wo ich wusste, dass Engel hier nicht unbedingt Leben beschützten sondern sich auch gerne mal gegenseitig die Köpfe einschlugen. Mein Blick wanderte automatisch zu den Brüdern.
„Du riechst gut“, hörte ich eine Stimme neben mir. Ich schaute Ravinja auf und kratzte mich schuldig hinter dem Kopf.
„Ja... tut mir leid, dass ich mich bei dir einfach so bedient habe.“
Ravinja winkte ab. „Kein Problem, schließlich habe ich es dir doch angeboten. Es freut mich, dass du es angenommen hast.“
Wir kamen langsam ins Gespräch und nach ein paar Minuten war ich so locker, dass ich die Anwesenheit der anderen fast völlig ausblendete und nur noch Ravinja und mich war nahm. Das war ein unglaubliches Erlebnis. Noch nie habe ich mich einer Person so verbunden gefühlt. Sie war ernster als ich und wahnsinnig intelligent. Ich konnte mit ihr über Dinge reden, bei denen ich bei Vanessa meistens auf taube Ohren oder gar Desinteresse stoß. Doch Ravinja beantwortete meine Fragen mit einer Geduld, die ich nicht für möglich gehalten hatte. Aber auch sie stellte mir viele Fragen. Wie es auf der Erde war. Was ich in der Schule lernte. Was für Sprachen es auf der Erde gab. Ich konnte nicht all ihre Fragen beantworten, dass war klar, aber es machte mir Spaß ihre Miene zu beobachten, die sich nach jeder neu erwirtschafteten Information änderte. Ich wusste nicht wie viel zeit vergangen war, aber irgendwann wurden wir von Serida unterbrochen.
„Hört mal ihr zwei, es freut mich ja zu sehen, dass ihr euch so gut versteht, aber möchtest du Ivone nicht was zu essen anbieten Ravinja? Bedenke, dass sie seid drei Tagen keine Nahrung zu sich genommen hat.“
Als Serida diese Worte ausgesprochen hatte, merkte ich, dass sie recht hatte. Aber was noch viel verwunderlicher war, ich hatte absolut keinen Hunger, aber dafür war ich durstig. Ravinjas Augen weiteten sich.
„Oh du meine Güte. Du hast recht, wie hatte ich das nur versäumen können.“ Sie wand sich an mich. „Was möchtest du denn essen Ivone?“
Ich wurde wieder nervös. Ich hasste es so direkt nach meinen Bedürfnissen gefragt zu werden.
„Um ehrlich zu sein, habe ich eher Durst als Hunger“, antwortete ich.
„Natürlich, warte ich hole dir was zu trinken.“ Kaum hatte sie das ausgesprochen, war sie weg. Damit hatte ich nicht gerechnet und erstaunt aber auch verwirrt schaute ich auf ihren Platz, nach wenigen Sekunden war sie allerdings wieder da und hielt mir ein Glas Wasser hin. Die Wasserflasche in ihrer anderen Hand stellte sie auf den Tisch.
Als sie meinen Gesichtsausdruck sah, lachte sie. „Ich sagte doch, dass Luney eine magische Welt ist. Hier trink“
Ich nahm das Glas und nippte leicht daran. „Danke.“
Rikyu, der mich die ganze Zeit still beobachtet hatte, sprang plötzlich auf und streckte sich. „Ich weiß ja nicht wie es euch so geht, aber mir wird langweilig. Wie wäre es wenn wir einen Ausflug machen?“ Er schaute seinen Bruder spitzbübisch an, dieser erwiderte den Blick genervt. Es war wirklich interessant wie unterschiedlich die beiden waren, obwohl sie sich bei genauerem Hinschauen sehr ähnlich sahen. Nur ihre Farbmuster waren unterschiedlich. Rikyu hatte eine feurige Farbe, die sein ungezügeltes, leicht chaotisches Wesen zum Vorschein brachte, doch Demyan war kalt. Und das bei allem was er tat, selbst wenn er nur saß wirkte er unterkühlt. Seine eisblauen Augen und silbernen Haare, die im Licht leuchteten wie vom Sonnenlicht bestrahltes Wasser waren sicherlich nicht unerheblich für diesen Effekt. Sie waren wie Ying und Yang. Zwei völlige Gegensätze.
Erneut wurde ich aus meinen Gedankenströmen gerissen. Diesmal war es etwas kleines, schneeweißes, dass an mir vorbei rauschte und genau auf Demyan zusteuerte. Der nur kurz überrascht eine Augenbraue hob, bevor ihn das Geschoss auch schon traf und freudig aufbellte.
Es bellte auf? Ich schaute nochmal genauer hin und erkannte einen winzigen, kleinen Hund der mitten auf dem Tisch hockte und Demyan mit großen, strahlenden Augen ansah. Ich konnte nicht sagen was es für eine Hunderasse war. Ein Chiwawa konnte es schoeinmal nicht sein, dafür hingen die Ohren zu sehr, außerdem hatte es einen langen, bauschigen Fuchsschwanz. War es vielleicht ein Mischling? Es war egal, denn trotz allem war es verdammt niedlich.
„Oh Gott wie niedlich“, keuchte ich in der Sekunde, in der Vanessa verschreckt aufsprang und sich kreischend hinter Demyan stellte.
Ich musste schmunzeln. Vanessa hatte keine Angst vor Hunden, aber sonderlich mögen tat sie die Tiere auch nicht. Sie nannte sich selber immer gerne den Schildkrötentyp, weil Schildkröten die einzigen Tiere waren, bei denen sie nicht befürchten musste verletzt zu werden, ich war bis jetzt noch nicht auf die Idee gekommen, dass dem nicht unbedingt so war. Lieber ließ ich sie im Unwissendem.
„Yumi, komm her“, sagte Demyan leise und breitete seine Arme nach dem kleinen Hund aus. Dieser schaute sich um, bis sein Blick auf mich fiel. Freudig hechelnd kam sie auf mich zu gehechelt und sprang mir auf den Schoß. Ich konnte nicht anders, ich musste ihm einfach über das samtig weiche Fell streichen.
„Hallo, wer bist denn du?“, fragte ich lächelnd, während sich Yumi(?) auf meinen Schoß auf den Rücken gelegt hatte, so dass ich ihren Bauch kraulen konnte.
„Yumi, dass ist Demyans blutrünstiger und äußerst gefährlicher Dämonenhund“, antwortete Rikyu, der aussah, als müsste er sich das Lachen verkneifen.
„Dämonenhund?“; entgegnete ich skeptisch. Ich konnte an dem kleinen Fellballen auf meinem Schoß absolut nichts dämonisches Erkennen. Außer die kleinen roten Striemen unter ihren grünen Augen. Langsam hob ich sie hoch und schaute sie an. Ich machte den Fehler und zog sie so nah an mich heran, dass sich unsere Nasenspitzen fast berührten. Diese Chance nutzte sie und leckte mir mit ihrer kleinen rosanen Zunge einmal quer übers Gesicht. Natürlich kitzelte das und ich musste kichern.
„Da scheinen sich zwei gefunden zu haben“, kommentierte Serida das Geschehen grinsend, während Yumis Besitzer mich mir erhobener Augenbraue musterte. Ich starrte zurück und bemerkte, dass Vanessa mich ungläubig ansah.
„Ist was?“, wollte ich von ihr wissen.
Sie schüttelte nur leicht den Kopf. „Nein, es ist nur... als Yumi mich das erste mal gesehen hat, bellte sie fast das gesamte Schloss zusammen und knurrte mich an.“
Ich lachte, was dazu führte das Vanessa beleidigt die Stirn runzelte. „Tiere spüren es wenn du Angst hast Vanessa, es ist klar dass Yumi auf dich reagiert hat. Wenn du ihnen zeigst, dass du dich nicht fürchtest, dann reagieren sie auch ganz anders.“
Meine Freundin legte eine fragende Miene auf, doch ich winkte ab. Demyan sah mich immer noch mit dem selben, mich nervös machenden Blick an.
„Yumi“, sagte er schließlich leise. Diesmal gehorchte die Hündin und rannte zu ihm herüber. „Möchtest du einen Ausflug machen“, fragte er sie, als sie vor ihm hockte. Siel bellte freudig auf. „Dann wäre das auch entschieden.“ Er warf seinem Bruder einen überheblichen Blick zu und widmete sich dann wieder dem, was er die ganze Zeit auch schon getan hatte. Still dasitzen und mich beobachten.
Mir wurde unbehaglich und ich war unglaublich froh darüber, dass Serida aufsprang, zu mir herüber rannte, meine Hand nahm und mich erst vom Stuhl und dann aus dem Saal in den Hinterhof zerrte.
„Das wird lustig, das verspreche ich dir jetzt schon“, rief sie ausgelassen und drehte sich mit mir im Kreis. Ich musste lachen als uns beiden so schwindelig wurde, dass wir zusammen auf die Wiese plumpsten. Von hier unten sah das Schloss geradezu gigantisch aus, aber ich schaute in den orangeroten Himmel und die Federwolken.
„Es ist wirklich schön hier“, sagte ich nach einer Weile, in der Serida und ich einfach nur nebeneinander gelegen haben und ich den Hinterhof, Schrägstrich, riesigen Garten, gemustert hatte.
Überall hingen reife Früchte von den unzähligen Obstbäumen auf der linken Seite und Sommerblumen verströmten ihren zarten Duft.
„Natürlich ist es schön hier. Die Lightwoods sind für ihren Faible für Perfektion und ihren Sinn für Ästhetik bekannt“, antwortete Serida.
Das erinnerte mich an meine Mutter. Sie war eine wahre Perfektionistin. Ich seufzte auf.
„Meine Mutter macht sich sicher Sorgen um mich.“
Ich war überrascht als Serida mich angrinste. „Macht sie sich nicht. Darum haben wir uns schon gekümmert.“
„Wie habt ihr das angestellt?“, wollte ich wissen.
„Vanessa ist mit Hilfe eines Portals auf die Erde gegangen und hat dir und sich selber ein bombenfestes Alibi und eine Woche Zeit verschafft. Nun... von dieser Woche sind zwar nur noch vier Tage übrig, aber immerhin.“
Ich schaute nachdenklich in den Garten. Also hatte ich ein Problem weniger um das ich mich kümmern musste, aber so richtig befreit fühlte ich mich dennoch nicht.
Mit den Augen folgte ich einem Schmetterling, der sich nicht weit von uns auf eine Blume gesetzt hatte um sich von ihr zu nähren, bis Yumi aus dem Gebäude hinaus rannte um den kleinen Flattermann zu jagen. Ihr folgten die anderen vier.
Serida stand auf und half mir auf.
„Es geht gleich los, komm mit.“ Sie und Ravinja gingen mit mir zu Yumi und warteten auf Vanessa und die anderen beiden.
Plötzlich kam ein heftiger Wind auf und Yumi blieb stocksteif stehen. Ihr Anblick beruhigte mich.
„Was ist mit ihr?“, wollte ich wissen.
„Abwarten“; hörte ich Rikyus Stimme über mir.
Vor meinen Augen fing Yumi plötzlich an zu wachsen und ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht verängstigt war, als mir ein fast vier Meter hohes Ungetüm gegenüber stand.
Yumi schaute mich aus riesigen und dunklen Augen an.
'Ok... du brauchst keine Angst zu haben Ivone!' Ich versuchte mir Mut zuzusprechen, ging langsam auf den riesigen Hund zu und hob meine Hand. Yumi behielt mich genau im Auge und senkte ihren Kopf so, dass ich ihr über die Schnauze streicheln konnte.
„Jetzt kann ich dich nicht mehr 'Kleine' nennen“, meinte ich und grinste.
„Und du bist doch merkwürdig“, sagte Rikyu hinter mir und hob mich hoch.
„Warum das denn?“; wollte ich wissen.
„Du stehst vor einem ausgewachsenem Dämonenhund und hast nichts besseres zu tun als dich darüber zu beschweren?“
Er sprang mit mir auf dem Arm auf ihren Rücken. Die gesamten vier Meter! Aber wunderte mich das? Ich denke nicht, viel zu sehr war ich von seinen Worten abgelenkt.
„Ich lasse mich von Äußerlichkeiten nicht ablenken. Schließlich ist die kleine Yumi immer noch in diesem... sehr großen... und äußerst angsteinflößendem Körper verborgen... oder?“ Etwas verunsichert deutete ich auf den weißen Körper unter uns, dabei viel mein Blick auf die anderen. Als ich Vanessa sich hinter Demyan verstecken sah, fing ich an zu lachen.
„Also brauchen wir auch keine Angst zu haben. Habe ich recht Vanessa?“, zog ich meine zitternde Freundin auf. Sie lächelte mir verbittert zu.
„Haha, du bist so witzig Ivone“, warf sie ironisch zurück. Mein Grinsen wurde immer breiter und auch Ravinja und Serida sprangen auf das Tier drauf. Demyan wartete darauf, dass Vanessa sich beruhigt hatte und nahm sie dann, so wie vorher Rikyu mich, auf den Arm um sie kurze Zeit später neben mir wieder runter zu lassen.
„Und was machen wir jetzt?“ Ich schaute gespannt in die Gruppe.
„Was wohl? Einen Ausflug“, antwortete Serida und schnippte mit ihren Fingern, daraufhin fanden wir uns in einem Sattel wieder. Aber was für einer?
Er war oval und hatte eine rundumlaufende Lehne, außer am Kopfende. Dort waren Schnüre für den Reiter (?) in den Sattel eingelassen. Wahrscheinlich dienten dieser der Lenkung.
Ich wollte gerade Nachfragen, wie sie sich das vorstellten, als Yumi los lief und es eine Erschütterung gab, die mich von den Füßen riss und ich umfiel.
Ich rappelte mich wieder auf, überging das Gekicher um mich herum und spürte wie wir immer schneller wurden und Yumi immer seltener den Erdboden berührte, bis wir schließlich ganz in der Luft waren. Also machten wir wirklich einen Ausflug. Ich hoffte mal, dass die hier nicht alles wörtlich nahmen...
Wir flogen einmal um das Schloss herum und erschrak vor der massigen Größe, auf die ich nicht im Geringsten vorbereitet gewesen war.
„Es ist wirklich sehr groß, oder?“, hörte ich Rikyu neben mir fragen.
Ich schluckte und wusste nicht so recht, was ich erwidern sollte.
„Es ist... atemberaubend“, meinte ich schließlich, nicht ganz sicher ob dies nun ein Kompliment war, oder nicht. Rikyu zwinkerte mir zu.
„Da hast du wohl recht.“
Diesmal antwortete ich ihm nicht, sondern schaute erstaunt über die Sattellehne, auf die Landschaft unter uns. Während ich so ins Staunen vertieft war viel mir etwas ein.
„Und das ist Yumis... andere Form?“, fragte ich in die Runde.
„Ihre entriegelte Form, ja“, antwortete Ravinja und setzte sich zu meiner Linken, an meiner rechten saß bereits Rikyu. „Es wäre recht auffällig wenn wir Yumi die ganze Zeit in dieser Größe herumlaufen ließen. Manchmal müssen wir diskret sein, deswegen verriegeln auch Rikyu und Demyan, und natürlich auch Serida und ich, ihre natürlichen Formen und sehen aus wie Menschen.“
Diese Aussage musste ich nun doch verarbeiten und insgeheim hatte ich auch Angst. Wie sahen die vier in ihren natürlichen Formen aus? Auch wenn es vielleicht sehr Oberflächlich von mir war: Ich hatte etwas Panik davor, dass sich Rikyu und Demyan als insgeheim unattraktiv entpuppten!
Ich schielte zu Rikyu rüber, der dass spürte und griente.
„Keine Angst, ich werde nicht in eine schrumplige Backpflaume verwandelt. Lediglich meine Flügel kommen zum Vorschein.“
Ich wurde einerseits rot, weil er den Grund zu meiner Angst so leicht heraus gefunden hatte, aber andererseits war ich auch erstaunt. Dann hatte ich die beiden ja schon in ihrer magischen Gestalt gesehen. Also würde mich diesbezüglich nichts mehr überraschen können. Das war doch mal positiv.
Ich ließ meinen Blick und auch meine Gedanken wieder schweifen, während wir dem Horizont entgegen flogen.
Der Wind wehte mir mein Haar ins Gesicht und ich fing an zu lächeln. Es war einfach traumhaft schön hier über den Wolken, geradezu romantisch.
„Gefällt es dir?“, wollte Ravinja nach einer Zeit wissen.
„Ja, es ist echt schön und sehr entspannend“, antwortete ich wehmütig. Dies alles war so nostalgisch. „Irgendwie fühle ich mich richtig wohl, wie daheim“, hauchte ich. Aus den Augenwinkeln erkannte ich wie Rikyu und Demyan, der uns mit Vanessa in den Armen gegenüber saß, Blicke tauschten.
„Es freut mich, dass du dich hier so wohl fühlst.“ Ravinja legte mir eine Hand auf den Schoß. „Aber du brauchst nicht so traurig zu gucken deswegen.“
Ich lächelte verwirrt. „Tut mir leid, es ist nur alles so merkwürdig“, versuchte ich zu erklären.
„Soll ich dich von deinen Gedanken ablenken?“
Ich musterte sie fragend.
„Na, ich dachte du würdest gerne etwas über das Königshaus Lightwood erfahren?“
Meine Augen weiteten sich. Es gab nichts, was ich besser fand als alte Geschichten. Absolut gar nichts!
„Ja... natürlich, aber wäre das nicht... öhm...“ Ich schaute verunsichert auf die beiden Brüder, die so taten, als wären sie in einem hitzigem Gespräch vertieft.
„Ach, mach dir keine Sorgen, ich würde es dir nicht erzählen wenn die beiden etwas dagegen hätten“, meinte Ravinja, nachdem sie bemerkt hatte was mein Problem war. Das beruhigte mich sehr.
„Ok... also wenn es wirklich in Ordnung geht, dann würde ich wirklich gerne etwas mehr erfahren.“
Ravinja setzte sich in einen Schneidersitz und begann zu erzählen, während sich mein Blick in die unendlichen Weiten des Sternenhimmels verlor und ich versuchte mir alles so gut es ging bildlich vorzustellen.
„Ursprünglich war Luney in zwei Königreiche geteilt, die eine Hälfte beherrschte eine Königsfamilie die jetzt leider ausgestorben ist und von der ich dir später erzählen werde, wenn der Bedarf besteht.“ Ich nickte, als ich bemerkte, dass sie mich ansah, dann erzählte sie weiter. „Und die andere Hälfte beherrschten die Lightwoods. Damals waren die Lightwoods eine große Familie die sich im nördlichen Luney verteilt hatten und sich die Herrscherrechte teilten. Aber das war nicht der einzige Grund warum alles harmonisch lief. Du musst wissen, dass die Erde damals sehr eng mit Luney verbunden war und die Erdbewohner wie es ihnen beliebte nach Luney kommen konnten, genauso auch umgekehrt. Dafür sorgte die Königsfamilie Auralei. Dieser Name setzt sich aus den Hebräischen Begriffen für Licht und Nacht zusammen. Und genau das sollten sie darstellen. So wie das Asiatische Jing und Jang versuchte diese Familie das Gleichgewicht der Welt zu erhalten.“
Ich unterbrach sie kurz um die Informationen besser aufnehmen zu können. Dass es so viel parallelen zwischen Luney und der Erde gab wunderte mich nicht mehr sonderlich. Ravinja erzählte weiter.
„Die Familie Ligtwood trug ihren Teil dazu bei um den Frieden der beiden Welten zu gewährleisten. Denn die Lightwoods bestanden aus starken Kriegern, die ihr Wissen von Generation zu Generation in der Familie weiter gaben um die Welt, aber auch das andere Königreich beschützen zu können. Doch eines Tages wurden ein paar Menschen aufmüpfig und fingen an uns magische Wesen für das was wir waren und konnten zu beneiden und zu verachten. Sie fingen Kämpfe mit uns an und verloren diese natürlich, irgendwann verlangten sie von uns sich von der Erde fern zu halten und ihnen ihr eigenes kleines Reich zu lassen. Sie töteten magische Wesen ohne mit der Wimper zu zucken und versuchten die Herrscherfamilien zu stürzen. Die Torhütern der Auraleis, die das Weltenportal zwischen Erde und Luney bewachen sollte fühlte sich gezwungen diese Menschen auf die Erde zu verbannen und zwar für immer.“
Ich hatte ihr still zugehört und ließ dies alles auf mir wirken. Warum waren wir Menschen nur so Streitsüchtig?
„Was ist dann passiert?“, wollte ich wissen.
„Nun, die restlichen Menschen die hier in Luney waren, blieben auch hier und irgendwann wurde das Portal nur noch so selten benutzt, dass es porös wurde und es schließlich zusammen fiel. Dadurch verlor die Torhüterin einen Teil ihrer Kraft und Luney fiel in ein Ungleichgewicht. Die Lightwoods mussten wieder für Frieden sorgen und dabei sind viele ihrer Männer und Frauen gefallen. Luney befand sich vor einem Zusammenbruch und so war die Königsfamilie Auralei dazu gezwungen ihre schützende Macht dazu einzusetzen die Säulen Luneys zu erhalten. Dabei starb sie fast aus. Nur einen einzigen Nachfolger hatte es noch gegeben, aber der war sicherlich auch gestorben.“
Meine Augen weiteten sich gespannt. Das war besser als jede Fantasystory, die ich je gelesen hatte!
„Wieso ist dieser Nachfolger sicherlich schon gestorben? Steht es denn nicht fest?“
In diesem Moment schaute Demyan zu uns herüber und gab Ravinja mit einem Blick unmissverständlich zu verstehen, dass sie diese Frage lieber nicht beantwortete. Ravinja ließ sich dadurch zwar nicht einschüchtern, lächelte mich aber entschuldigend an.
„Wir sind nicht hier um über die Auralei zu reden, tut mir leid Ivone, dass hatte ich versäumt. Möchtest du stattdessen mehr über die Lightwoods erfahren?“
Teils war ich enttäuscht darüber, dass sie mir nicht mehr über die Auraleis erzählte, denn es interessierte mich wirklich, aber die Aussicht etwas von Demyans und Rikyus Vorfahren zu erfahren war natürlich auch nicht schlecht.
„Erzähl bitte weiter“, forderte ich Ravinja höflich auf und begab mich in eine gemütlichere Position, während der Abendhimmel immer röter wurde und die Sonne dem Ende des Tages entgegen ging. Die Abendwinde wehten mir durchs Haar und kühlten sanft mein Gesicht. Ich hatte mich wirklich schon so lange nicht mehr so ausgeglichen und... völlig befreit gefühlt.
„Nun, sagen wir so: Die Lightwoods sind ebenso so gut wie ausgestorben, um nicht zu sagen, dass Rikyu und Demyan die einzigen Überlebenden sind.“
„Was ist denn mit ihren Eltern geschehen?“, flüsterte ich geradezu, als ich mir vorstellte wie einsam sich die beiden fühlen mussten. So ganz auf sich allein gestellt... Auch wenn sie Serida, Ravinja und Yumi hatten.
„Ihre Mutter, Seraphina Lightwood starb, als die beiden noch recht jung waren an einer Krankheit“, antwortete Ravinja erschreckend gefasst und sachlich. „Und da ihr Mann Rakyes es ohne sie nicht aushalten konnte, vermachte er seinen Söhnen das gesamte Lightwoodvermögen und stürzte sich in die Dunkelheit.“
Ich fragte mich ob 'sich in die Dunkelheit stürzen' ein Synonym für 'sich dem Alkohol hingeben' war, als Ravinja es mir erklärte.
„Die Theorie dieser Tat ist recht simpel. Man zaubere sich ein schwarzes Loch, springe hinein und hoffe, dass das Loch voller Ungeheuer und grausiger Gestalten war. Nur die praktische Ausführung war etwas komplizierter, schließlich kann sich nicht jeder einfach mal so ein schwarzes Loch herbei zaubern, ohne die Welt zu gefährden. Vorher musste man einen mächtigen Bannkreis errichten, damit sich das Nichts nicht ausbreiten konnte.“
Es war irgendwie erschreckend mit was für einer, für Lehrer sehr typischen, Stimme Ravinja das alles erzählte. Als würde sie nicht über den Tod eines gebrochenen Mannes, sondern über den Ernteverlauf in den Südstaaten reden.
„Also... ist er jetzt tot?“, fragte ich, gar nicht so sicher ob ich die Antwort auf diese Frage überhaupt hören wollte.
„Nun, in der Regel überlebt man einen solch dramatisch inszenierten Tod nicht, aber natürlich könnte es auch sein, dass er lebend im Nichts herum schwirrt und in seine Einzelteile zerlegt und wieder zusammen gefügt wird.“
Mir schauderte es bei der Vorstellung und ich kauerte mich zusammen.
„Habe ich dir Angst gemacht?“, wollte Ravinja nun doch leicht erschrocken wissen.
„Nein... nein es ist nur so... ich weiß nicht. Das alles hier ist so neu für mich und der Gedanke immer wieder zerteilt und zusammen gesetzt zu werden scheint mir auch nicht gerade erquickend.“
Ravinja runzelte die Stirn. „Verzeih mir, ich vergaß, dass du noch so jung bist und noch dazu ein Mensch...“
Ich legte meinen Kopf schief. „So viel älter als ich bist du auch nicht“, wand ich ein.
Meine Gesprächspartnerin lächelte. „Oh wenn du wüsstest. Selbst Demyan und Rikyu sind bereits 546 Jahre alt.“
Verblüfft musterte ich die beiden Brüder. „Sie haben sich echt gut gehalten“, war mein Kommentar zu der Sache und ich war selbst erstaunt mit welch einer Fassung ich die Informationen aufnahm.
Ravinja und Serida, die das Gespräch mitverfolgt hatte, lachten und Vanessa, die auf Demyans Schoß eingeschlummert war, schreckte auf.
„Hey Ivone schau mal!“, rief Rikyu plötzlich zu mir herüber und winkte mich heran, damit ich zu ihm kam. Nachdem ich langsam zu ihm rüber gekrabbelt war, deutete er grinsend nach unten. Ich folgte dem Wink und mir blieb die Luft weg, als ich das Bild sah, welches sich unter uns darbot: In dem Licht der schon fast untergangenen Sonne spiegelte sich ein langer Fluss, der uns den Weg zu deuten schien und leuchtete silbern auf. Um den Fluss herum schwirrten feenähnliche Kreaturen, die in einem Reigen davon schwirrten. Und dieses leuchtende Spiel inmitten der Dunkelheit der Erde! Es war wirklich wunderschön. Bis mir etwas eigenartiges auffiel.
„Sag mal... korrigiere mich, wenn ich mich irre, aber flüchten die Gestalten dort unten vor Yumi?“ Ich wusste selbst nicht genau, wie ich darauf kam, dennoch erschien es mir fast so.
Verblüffter war ich, als Rikyu antwortete: „Sie wären auch selten dämlich, wenn sie es nicht tun würden! Du hast Yumi als verspielten kleinen Welpen kennen gelernt, aber in Wahrheit ist sie ein blutrünstiger Dämonenhund.“
Irgendwie konnte ich mir das nicht so richtig vorstellen. Wie konnte Yumi irgendwem etwas böses tun?
Rikyu bemerkte mein fragendes Gesicht und lächelte mir aufmunternd zu. „Mach dir nichts daraus, ich denke mir, dass du sie schon in einem echten Kampf sehen müsstest um das zu glauben.“
Dankbar grinste ich zurück, dafür das er so alt war konnte er doch recht charmant sein... oder lag das gerade an seinem Alter? Ich gab zu, dass ich dies nun doch recht verwirrend fand...
„Lust auf etwas Unterricht?“, fragte mich Rikyu und riss mich aus meinen gerade begonnenen Gedanken.
Leicht verängstigt erwiderte ich seinen Blick, als er das sah fing er an zu lachen und legte mir locker einen Arm um die Schulter. Das war nun wirklich etwas befremdlich. Noch nie war ich einem männlichen, menschlich aussehendem Wesen so nahe gekommen! Außer meiner Mutter hatte ich keine anderen Verwandten und die Jungen meines Umfeld machten, seid ich denken konnte, einen weiten Bogen um mich.
„Keine Angst, ich denke du wirst es interessant finden. Ich werde dir nämlich jetzt mal etwas Biologieunterricht mit dem Titel 'Luneys Bevölkerung' geben.“
Ganz verstand ich zwar nicht auf was er hinaus wollte, aber ich lauschte ihm konzentriert und mit weit geöffneten Augen.
„Also es gibt, wie du sicher weißt, unzählige verschiedene Arten von Wesen hier und Luney und de prächtigsten kommen des Nachts hervor. Aber was lernt uns die Natur aus verlockenden, schönen Dingen?“
Ich dachte kurz nach. „Schöne Dinge haben die Angewohnheit gefährlich zu sein?“ Ich war mir nicht ganz sicher woher das nun kam, aber umso stolzer war ich als Rikyu diese Antwort als richtig wertete.
„Genau, also solltest du dir eins merken solange du hier bist: Am besten gehst du allen schönen Dingen aus dem Weg, wenn du nicht weißt was es ist.“
Ich wollte gerade einwerfen, dass ich Ravinja und Serida dann theoretisch auch aus dem Weg gehen müsse, da ich nicht wusste was sie waren. Als ich Ravinja vorhin gefragt hatte, lächelte sie nur geheimnisvoll, wollte es mir aber nicht beantworten.
„Verstanden“, entgegnete ich stattdessen und schaute wieder über den Sattel. Andere, grünhäutige Wesen liefen in den Feldern herum. „Und was sind das für welche?“
„Die da unten im Feld? Das sind Feldkobolde, die in den grünen Kleidern, zirka hundert Meter weiter sind Wiesenelfen. Man unterscheidet diese beiden Existenzen vor allem an der Körperstatur. Die Wiesenelfen haben meist eine zierlichere.“
Ich war wirklich zufrieden mit seiner Antwort und er schien auch nicht Müde zu werden weitere meiner manchmal recht merkwürdigen Fragen zu beantworten. So ging es eine ganze Weile weiter, auch wenn Rikyu zwischendurch zu seinen Freunden hinüberging und mit ihnen tuschelte, kam er wieder zu mir zurück um mir mehr über seine Welt bei zu bringen.
Irgendwann aber war ich aber zu erschöpft um weiterhin enthusiastisch seinen Worten folgen zu können und wir legten eine Denkpause ein.
Als ich mich umschaute viel mir auf, dass die Nacht nun fast gänzlich über uns gekommen war. Der Vollmond vergoss sein silbernes Licht über Yumi, was sie ebenfalls silbern leuchten ließ. Derweil sah es so aus, als wenn die letzten Sonnenstrahlen der Sonne, die im Begriff waren gänzlich vom Horizont verschluckt zu werden, einen erbitterten, aussichtslosen Kampf gegen den Mond starten zu wollen. Irgendwie bekam ich Mitleid mit der verlierenden Instanz.
Als ich etwas im Nacken spürte drehte ich mich um und sah, dass Demyan seinen Blick auf mich geheftet hatte. Ich war versucht mein Gesicht wieder in die andere Richtung zu drehen, damit er nicht sah, wie ich errötete, entschied mich dann aber seinen Blick zu erwidern. Mehrere Sekunden gab keiner von uns einen Laut von sich, bis es ihm wohl zu langweilig wurde und er seinen Blick in den Himmel schweifen ließ. Ich tat es ihm gleich und gemeinsam sahen wir, wie die Sonnenstrahlen ihren letzten Kampf des Tages verloren.


Kapitel 4



Am späten Abend fing ich an zu frösteln. Mittlerweile war es vollends dunkel und der Mond ließ seine Pracht, die einem Flutlicht gleich kam, über den Himmel fließen.
„Ist dir kalt?“, fragte mich Ravinja fürsorglich und nahm mich in den Arm um mich zu wärmen.
„Danke, aber ich hätte daran denken müssen mir eine Jacke mit zu nehmen“, sagte ich peinlich berührt. Es kam nicht oft vor, dass ich von Leuten umarmt wurde und irgendwie war es mir unangenehm. Das merkte Ravinja und lächelte.
„Wir sind gleich da, gedulde dich noch ein bisschen.“
Ich runzelte die Stirn. Wo genau war ihrer Meinung nach 'da'? Alles was ich unter uns erkennen konnte waren die dunklen Umrisse eines riesigen Waldes, also konnte sie nicht das Schloss meinen, außerdem konnte ich mich auch nicht erinnern, dass wir umgekehrt hätten.
„Bitte legen sie ihre Sicherheitsgurte an und machen sie sich bereit für die Landung“, sagte Serida grinsend, während wir auf etwas zusteuerten was von hier oben wie eine Lichtung aussah. „Wir wünschen allen Passagieren die hier absteigen noch einen angenehmen Abend.“ Mit diesen Worten sprang die Hobbyflugbegleiterin auf und stützte ihre Hände in die Seite um sich auf ihren Absprung vorzubereiten.
Ich fand es interessant, wie standhaft sie bei diesem Abflugswinkel stehen konnte.
Doch meine Verwunderung währte nicht lange, denn der kühle Wind zwang mich dazu mich näher an Ravinja zu kuscheln. Wieso war sie nur so warm?
Ich hatte keine Zeit mich nach dem Wunder ihrer Körpertemperatur zu erkunden, denn schon landeten wir auf der Lichtung und alle machten sich zum Abstieg bereit. Yumi landete, ihrer Körpermasse trotzend, sanft auf der Wiese und wieder nahm mich Rikyu auf den Arm und sprang hinunter. Ravinja landete nahezu schwebend neben mir und Serida machte einen Salto in der Luft bevor sie grinsend landete. Ich musste lachen, was für eine Angeberin!
Demyan landete mit Vanessa auf dem Arm hinter uns und ließ sie langsam ab. Sofort nahm sie seine Hand und schaute erwartungsvoll in die Runde.
„Was genau wollt ihr uns denn zeigen?“, fragte sie lächelnd.
„Lass dich überraschen“, erwiderte Rikyu, nahm mich an die Hand und nahm Kurs auf das dichte Unterholz zu unserer rechten. Serida und Ravinja waren uns dicht auf den Fersen und Vanessa, die Demyans Hand hielt, bildete mit ihm die Nachhut. Ein bisschen fühlte ich mich wie auf einer Entdeckungstour.
Wir gingen immer tiefer in den Wald hinein, bis von der Lichtung, wo wir Yumi stehen gelassen hatten, nichts mehr zu sehen war. Es war stockdunkel und unheimlich und ich war mir sicher die ganze Zeit am schreien gewesen zu sein, wenn Rikyu meine Hand nicht so fest gegriffen hätte. Im Nachhinein bekam ich ein schlechtes Gewissen.
„Meinst du es ist in Ordnung Yumi allein zu lassen?“, fragte ich fast flüsternd, doch Rikyu lächelte nur.
„Was habe ich dir vorhin erklärt? In diesem Wald ist Yumi mit die größte Gefahr und keiner wird sich an sie heran schleichen oder gar angreifen, glaub mir.“
Das beruhigte mich nur zu einem kleinen Teil. Ich konnte mir noch immer nicht vorstellen, dass Yumi so gefährlich sein sollte.
„Und auch wenn sie nichts zu fürchten braucht... fühlt sie sich nicht einsam?“
Nun war es an Ravinja zu kichern. „Mach dir mal keine Sorgen um sie und schau lieber nach vorne, denn wir sind gleich da.“
Ich war kurz davor erneut zu fragen, was sie mit 'da' meinte, doch ich beherrschte mich. Ich sollte mich überraschen lassen? Das konnte ich!
Wir betraten eine andere Lichtung, die in etwa so viel mit der anderen gemein hatte, wie die tiefste und dunkelste Stelle des Ozean mit einer Südseeinsel.
Vor uns breitete sich ein riesiger See aus, der von einem Wasserfall erzeugt wurde. Von dem See mündete ein Fluss in das Unterholz des Waldes. All dies wurde vom Mondlicht durchflutet und leuchtete auf eine gruselige, aber dennoch schöne Art auf.
Doch dieses Naturspektakel war nicht unbedingt das, was meinen Blick so fesselte.
Im See, unter dem Wasserfall und in den Gräsern tummelten sich die schönsten und reinsten Wesen die ich jemals gesehen hatte. Ihre Körper waren schlank und wirkten zerbrechlich und auch ihre Gesichter wiesen zarte Züge vor. In einer unmenschlichen Eleganz bewegten sie sich fort und tanzten und spielten miteinander. Und auch wenn ich die Sprache nicht verstand in der sie kommunizierten, waren ihre Stimmen unvergleichbar sanft und doch berauschend.
Irgendwas verlangte von mir, dass ich zu ihnen ging und mich in ihre Reihen eingliederte, doch da gab es noch etwas anderes, etwas stärkeres, was mich davon abhielt. Langsam liefen mir die Tränen über die Wange und ich konnte mir nicht erklären woher sie kamen.
„Was sind das für Wesen?“, fragte ich erstickt.
„Mondscheinelfen“, antwortete Rikyu leise. Ich zwang mich dazu meinen Blick von ihnen zu lösen und sah ihn an.
„Wieso sind sie so schön und machen mich traurig?“
„Sagtest du nicht, dass nicht alles so ist wie es scheint? Ich wollte dir ein Beispiel geben. Wenn du auf diese Wesen triffst und sie dich in ihren Fängen haben, dann kannst du nur beten, dass sie dich sofort töten“, erklärte mir der schwarzhaarige Sachlich und versuchte etwas Witz in die Sache zu bringen, doch seine Worten wiegten mehr.
„Soll das heißen, dass sie einen foltern?“, fragte ich erschrocken, bemüht nicht panisch zu werden.
„Das, oder schlimmeres.“
Ich konnte mir nicht vorstellen was schlimmer war als ein schmerzhafter Tod, aber die Chance nachzufragen, auch wenn ich sie sicher nicht genützt hätte, wurde mir genommen als hinter uns plötzlich irgendetwas in Bewegung kam.
„Nichts da Prinzessin! Hier geblieben!“, zischte Serida und ich sah, wie sie die völlig emotionslose Vanessa festhielt. Mit völlig erstarrter Miene war sie in Begriff gewesen auf diese furchtbaren Kreaturen zu zu gehen.
„Was ist mit ihr?“, fragte ich besorgt und riss mich von Rikyu los um sie in den Arm zu nehmen.
„Etwas was völlig normal ist. Sie ist in deren Bann. Mich wundert es nur, dass du anscheinend völlig immun dagegen bist. Spürst du denn nicht das Verlangen zu ihnen zu gehen?“
Ich musterte ihn und spürte, dass das Verlangen sehr wohl da war.
„Doch, aber irgendwas zügelt diesen Drang, komm wir bringen Vanessa hier weg. Ich mag sie nicht so sehen.“ Immer noch besorgt musterte ich meine Freundin. So leer und willenlos war sie wirklich kein schöner Anblick.
Rikyu zuckte mit den Schultern und ging vor. Ich nahm Vanessa an die Hand und versuchte sie mit mir zu ziehen, doch irgendwas lähmte mich, sobald ich sie berührt hatte. Ein elektronischer Schock durchzuckte meinen Körper und ich wäre fast zusammen gebrochen, wenn mich eine starke Hand nicht gestützt hätte.
Ich schaute auf und mein Blick traf auf Demyans.
„Sie haben uns entdeckt, wir müssen schnell hier weg“, sagte er und warf Vanessa über seine Schulter, während er meine Hand nicht los ließ. Ich atmete keuchend auf.
„Was war das?“, fragte ich nervös.
„Sie wollten dich vom Gehen abhalten. Komm, sonst werfen sie schwerere Geschütze auf.“
Wir rannten nahezu durch den Wald und es war schwer für mich nicht zu straucheln und mit seinem Tempo mitzuhalten. Aber er hielt meine Hand auch so fest, dass ich mich nicht aus ihr befreien konnte um selbstständig zu laufen. Das störte mich auf verschiedene Weisen.
Als wir endlich wieder auf der Lichtung ankamen, an der wir Yumi allein gelassen hatten und die anderen warteten, musste ich als erstes nach Luft schnappen, wobei Demyan völlig unberührt Vanessa von seiner Schulter ließ. Ihr Blick klärte sich allmählich wieder und etwas verstört blinzelte sie in den Wald hinein.
„Himmel! Was war das denn?“, fragte sie noch etwas benebelt.
„Ich denke mal, du bist den menschlichen Gelüsten auf den Leim gegangen“, antwortete Serida lächelnd. Vanessa sah sie verständnislos an.
„Verstehen muss ich das nicht, oder?“, wollte sie schließlich wissen, nachdem sich keiner bereit zu erklären schien es ihr näher zu erläutern.
Wir alle schüttelten den Kopf und machten uns lediglich daran, so schnell wie möglich auf Yumi zu steigen. Langsam fand ich es ziemlich erbärmlich von Rikyu hin und her getragen zu werden...
„Und wie fandest du es, außer dem kleinen störenden Umstand so im Allgemeinen?“, wollte der junge Mann neben mir wissen und grinste mich mit glänzenden Augen an.
„Beängstigend“, antwortete ich, doch als ich sah, dass der Glanz aus seinen Augen zu weichen schien, sprach ich weiter. „Aber auch sehr spannend und interessant. Ich dachte bis jetzt, dass es sowas wie diese Wesen nur in Büchern gibt, aber ich war nicht sonderlich erschrocken, als ihr mir das Gegenteil berichtet hattet. Um ehrlich zu sein, habe ich eher das Gefühl, dass dieses Wissen zu mir gehört.“
Sein Grinsen wurde breiter und er legte völlig enthusiastisch seinen Arm um meine kühle Schulter. Die andere steckte ja in dem Ärmel, auch wenn mich das nicht unbedingt wärmte.
„Freut mich, wenn wir dir etwas Heimatgefühl geben konnten. Schließlich bist du ziemlich weit von zu Hause entfernt.“
Ich nickte traurig. Irgendwie fing ich an meine Mutter zu vermissen. Sie würde Bauklötze staunen, wenn ich ihr das alles erzählen würde... aber würde ich es überhaupt tun können? Oder würde sie mich für völlig verblödet halten?
Nun, ich hatte ja noch etwas Zeit, bevor ich mir über so etwas Gedanken machen musste.
„Und wie gefällt es euch sonst so hier?“, fragte Serida Vanessa und mich, doch ich war die einzige die ihr zuhörte, denn Vanessa erzählte Demyan gerade wie die Bälle bei uns in der Schule abliefen. Da hatten sich ja zwei gefunden! Aber ich freute mich für Vanessa. Vielleicht war Demyan genau der Mann, den sie brauchte um etwas bodenständiger zu werden. Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, wie er sich Nachts raus schlich um zu irgendwelchen Partys mit seiner Freundin zu gehen und danach wilden Orgien bei zu wohnen. Wahrscheinlich würden sie eher gemütliche Abende zu zweit haben.
„Mir gefällt es wirklich sehr gut hier. Auch wenn ich die letzten Tage ziemlich unzulänglich war, haben mir die letzten Stunden sehr viel Spaß gemacht und ihr seid wirklich sehr freundliche Gastgeber, vor allem, da ihr eure Gäste kaum kennt.“ Ich wurde etwas nervös und hoffte nichts falsches gesagt zu haben, aber Rikyu und Serida lachten nur.
„Nun wir mögen dich eben“, sagte Ravinja über das Gelächter hinweg und rollte über ihre Schwester die Augen. Ich wurde rot. Es war schön von ihnen gemocht zu werden, allein weil mir diese Personen in dieser kurzen Zeit ebenfalls sehr ans Herz gewachsen waren. Ravinja umarmte mich.
„Meinst du wir könnten Freunde werden?“
Ich lächelte und entgegnete: „Ich dachte das wären wir längst.“
Darauf erwiderte keiner etwas, aber das war auch nicht nötig. Ravinja und ich saßen eingehakt nebeneinander und redeten über alles mögliche. Ich hätte nicht gedacht, dass das nach dem Nachmittag möglich war, aber wir fanden immer wieder etwas über das sich reden ließ. Auch Serida und Rikyu beteiligten sich hin und wieder an unseren Gesprächen. Nur Vanessa und Demyan waren etwas abgeschnitten, was ich persönlich doch etwas schade fand.
Der Umstand, dass wir nun schneller flogen als am Nachmittag, ermöglichte es uns schneller am Schloss zu sein und dafür war ich dankbar, denn mittlerweile war ich wirklich fast zu Eis gefroren. Nur wunderte ich mich woran das lag. Da es den anderen allem Anschein nach recht gut ging, selbst Vanessa, was mich die Tatsache ausschließen ließ, dass es daran lag, dass ich ein Mensch war, verwunderte es mich doch sehr.
Sanft landeten wir im Hinterhof des Schlosses und Rikyu machte Anstalten mich wieder auf den Arm zu nehmen, doch ich lehnte dankend ab.
„Den Absprung werde ich wohl gerade so noch hinkriegen“, begründete ich uns grinste keck.
Obwohl er etwas überrascht schien, ließ er mir meinen Willen und ich nahm Anlauf um von Yumis Rücken zu springen. In der Schule hatten wir eine Einheit in der wir lernten, wie man am besten nach einem hohen Sprung landete, oder sich abrollte. Aber abrollen wollte ich mich nicht und deshalb versuchte ich so sicher wie möglich zu landen.
Im Bewusstsein, dass Rikyu mich beobachtete, nahm ich Anlauf und sprang ab. Überraschenderweise machte ich einen recht großen Bogen in der Luft und um die Balance zu halten breitete ich die Arme aus. Für eine kurze Zeit wehte mir der Wind durch das Haar und ich musste lächeln. Das war ein unglaubliches Gefühl!
Ich landete und war mir sicher, dass ich mich nicht zu schämen brauchte, dies bestätigte mir Rikyu nachdem er, wesentlich eleganter als ich, neben mir landete.
„Der Sprung war gar nicht mal so schlecht für einen Menschen“, neckte er mich und nahm mich an die Hand um mich zu den Schlosstoren zu zerren.
Kurze Zeit später sauste Yumi in ihrer kleinen Version an uns vorbei. Ich wunderte mich, wo sie den riesigen Sattel hatte stehen lassen...
Während wir liefen, wurden mir mehrere Dinge klar. Erstens: Das war einer der aufregendsten, schönsten und lehrreichsten Tage, die ich je erlebt hatte. Zweitens: Ich hatte es irgendwie geschafft mich selbst zu behaupten, auch wenn ich nicht wusste wie ich das angestellt hatte und warum ich so fühlte. Drittens: Irgendein Teil von mir fühlte sich unbändig in diese Welt gezogen und wollte hier gar nicht mehr weg. Und viertens: Ich hatte wohl die fantastischsten Freunde die sich ein Mädchen der Erde nur wünschen konnte und ich freute mich riesig darüber. Also kurz: Mir ging es so gut wie schon seid langem nicht mehr.

Die anderen vier waren vorgegangen und hatten sich im Gemeinschaftsaal verteilt. Ravinja stand an der Tür und wartete auf uns, Demyan lehnte an eine Wand und Vanessa nahm ihn für sich ein und Yumi hatte es sich unter dem Tisch gemütlich gemacht.
„Hey Leute!“, rief Serida in die Stille hinein. „Lasst und doch zusammen Baden gehen, zum näheren Kennenlernen. Das wird sicher lustig!“ Sie war dermaßen guter Laune, dass sie, während sie sprach, stark gestikulierte. Mir fiel nur die Kinnlade hinunter.
„Wir alle?!?“, fragte ich entgeistert. Der Gedanke an ein gemeinsames Bad war doch recht gewöhnungsbedürftig.
„Quatsch natürlich nur die Mädchen... wobei Rikyu sich wahrscheinlich nicht lange von dir bitten lassen würde.“ Sie warf ihrem Freund einen vielsagenden Blick zu, doch der schnalzte nur mit der Zunge und fing an zu lachen.
„Mit dir gehe ich ganz sicher nicht Baden. Lieber erhänge ich mich“, entgegnete er, ließ mich aber los.
Irgendwie fand ich es witzig wie sie sich gegenseitig anstachelten.
„Das ist eine gute Idee“, warf Ravinja dazwischen, bevor sich die zwei noch irgendetwas antun könnten. Es wurde Augenblicklich still im Raum.
„Bitte was?“, wollte die angesprochene wissen.
„Ich stimme dir zu. Wir Mädchen sollten uns Zeit nehmen uns bei einem gemütlichen Bad kennen zu lernen.“
Offenbar kam es nicht oft vor, dass Ravinja Serida zustimmte, dementsprechend überrascht war diese auch.
„Na wenn das so ist“, sagte sie, nachdem sie überlegt hatte, ob Ravinja sie nur ärgern wollte, „kommt Mädels ich zeige euch unser Bad, während Ravinja Wechselkleidung für euch raus sucht, bis wir euch etwas neues gekauft haben... wie wäre es wenn wir morgen shoppen gehen?“
Einstimmiges stöhnen von ihren drei Mitbewohnern war zu hören und selbst Yumi schien verängstigt aufzuhorchen.
„Darüber reden wir noch“, sagte Ravinja schlicht und verschwand daraufhin. Serida sah ihr beleidigt nach, bis ihr Blick auf Vanessa und mich fiel.
„Nun kommt, wir haben nicht ewig Zeit.“ Sie nahm meine Hand und zupfte an Vanessas Ärmel. „Ja auch du wirst dich wohl oder übel von deinem Lover trennen müssen.“ Vanessa sah ihn sehnsüchtig an, doch er, oh wunder, verzog weiterhin keine Miene. War das denn überhaupt noch normal? Ich hatte schon Leichen gesehen, die mehr Lebensfreude und Emotionen ausstrahlten als er!
Auch Serida hatte es sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht mich an der Hand durch die Gegend zu zerren. Ich hoffte, dass es nicht zum Mannschaftssport ausartete...
Vanessa rannte hinter uns her und versuchte mitzuhalten, dabei machte es ihr Serida nicht gerade einfach.
„Warum rennst du denn so?“, fragte ich, nachdem unser Weg uns durch viele Gänge geführt hatte. Mittlerweile hatte ich aufgegeben zu erraten wie groß das Schloss war. Ich würde es eh nie erraten können.
Irgendwann standen wir vor einer riesigen Tür mit vielen Mustern und Verzierungen. Auf mich wirkten diese wie ein abstraktes Abbild badender Nixen.
„Hier ist es, der im Entspannungsbereich liegende Stolz des Schlosses“, erklärte Serida stolz, als wenn sie für die Entstehung dieser Abteilung zuständig gewesen wäre... wahrscheinlich war dem sogar so.
Theatralisch öffnete sie die riesigen Flügeltüren und eine warme Dampfwolke kam uns entgegen. Als diese sich aufgelöst hatte kam etwas zum Vorschein, dass einem Badehaus in nichts nachstand.
Eine ganze Halle voll Wasserbecken in allen Formen und Größen. Verschiedene Badegewürze machten das ganze zu einem Erlebnis der Geruchssinneszellen. Es gab nur eine Frage die ich mir stellte: „Wieso zum Teufel habt ihr ein halbes Badehaus in diesem Schloss?“
„Aus Lust und Laune?“, versuchte Serida zu erklären, merkte aber schnelle, dass ich ihr das nicht abkaufen würde.
„Nun gut, die meisten dieser Wasserbecken sind mit Heilkräutern versehen und dienen der Genesung und Entspannung, aber ich bediene mich manchmal auch nur aus Langeweile oder zum Vergnügen dieser Bäder und glaubt mir, danach werdet ihr euch wie neu geboren fühlen.“
Sie zwinkerte uns zu, nur um dann weiter zu gehen. „Kommt mit. Da hinten sind die Umkleideräume.“
Obwohl ich gedacht hatte, dass mich nichts mehr überraschen konnte, verblüffte mich der Anblick der von Serida genannten 'Umkleideräume' nun doch.
Ich hatte damit gerechnet, dass ich einen Raum voller Schließfächer und Holzbänke vorfinden würde. So wie es in unserem Schwimmbad auf der Erde üblich war. Aber stattdessen breitete sich ein halber Regenwald vor mir aus. Stark erinnerte es mich an Ravinjas Badezimmer und ich war mir sicher, dass sie hier hieran nicht ganz unschuldig war.
Ja es waren Holzbänke, auf denen man sich ausbreiten konnte, aber aus Naturholz und sicherlich aus einem Stück aus einem Baumstamm gearbeitet. Und Schließfächer waren es im eigentlichen Sinne auch nicht. Eher waren es durch Holzwände getrennte Staumöglichkeiten für die eigenen Kleider und was man sonst noch so am Leib trug.
Während ich noch staunend in das grüne und braune Naturwirrwarr vor mir starrte, hatten Vanessa und Serida bereits begonnen sich auszuziehen. Nach kurzem Zögern folgte ich ihrem Beispiel. Ich schämte mich meiner Nacktheit nicht meines Körpers wegen, schließlich waren wir ja alle Frauen, sondern eher, weil ich im Gegensatz zu den anderen beiden doch recht unterentwickelt schien.
Beschämt musste ich feststellen, dass ich die beiden Frauen wegen ihrer Körper beneidete und erwischte mich dabei, wie ich meinen Körper mit ihren verglich. Obwohl ich wusste, dass meine Oberweite etwas gewachsen war, wurde mir vor Augen geführt, dass ich deren Standard niemals erreichen würde.
„Was stehst du da herum und starrst Löcher in die Luft?“, rief Serida lachend zu mir herüber und rannte an mir vorbei. „Lass uns baden gehen.“ war das letzte was ich von ihr vernahm, bevor ein lautes plätscherndes Geräusch erklang, was mich der Annahme sicher werden ließ, dass sie im hohen Bogen in eins der Bäder gesprungen war.
„Mensch Serida, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht in die Bäder springen sollst?“, hörte ich Ravinja schimpfen und kurze Zeit später stand sie persönlich vor uns.
„Hier habe ich Handtücher für uns und Nachthemden für euch zwei.“
Vanessa und ich bedankten uns freundlich bei dem Mädchen und warteten darauf, dass auch sie sich ihrer Kleidung entledigt hatte, bevor wir zurück in das große Bad kamen.
„Na da seid ihr endlich“, rief uns Serida grinsend zu, die sich eben noch auf dem Wasser hatte treiben lassen.
„Ja da sind wir endlich“, entgegnete ihr Schwester und ließ sich langsam ins Wasser gleiten. „Ahh wie herrlich“, seufzte sie lächelnd.
Vanessa und ich folgten ihr und auch ich musste zugeben, dass Ravinja recht hatte. Ich fühlte mich Augenblicklich viel entspannter und schloss genießerisch die Augen.
Dann schwamm auch ich ein paar Züge und als ich die großen Steine am gegenüber liegendem Beckenrand sah, die sich vom Beckenboden nach oben auftürmten steuerte ich diese an und legte mich auf einen von ihnen, der unter Wasser war, drauf.
„Das macht so eine Ravinjalein viel zu prüde für so etwas“, hörte ich Seridas Stimme gedämpft durch das Wasser sagen.
„Du weißt, dass du mich nicht so nennen sollst“, beschwerte sich Ravinja. Ich musste lächeln. Fast hatte es den Anschein, als wenn die beiden Schwestern nur da waren um sich zu streiten. Aber ich war mir sicher, dass dem nicht so war.
Als ich eine Bewegung neben mir spürte, öffnete ich die Augen.
„Darf ich mich zu dir gesellen?“, fragte Ravinja mich und mir war klar, dass sie mir wirklich die Wahl ließ. Doch natürlich hatte ich nichts dagegen und so setzte sie sich neben mich und mit einem leichten Stechen in der Brust musste ich feststellen, dass auch sie mit einem wunderschönen, zarrten Körper gesegnet war.
„Wie geht es dir?“, fragte sie mich. Während sie zusah wie Vanessa und Serida über die neusten Modetrends unserer beider Welten redeten. Da hatten sich anscheinend zwei gefunden.
„Wunderbar. Dieser Tag war so erstaunlich und ich habe so viele neue Eindrücke gewonnen und noch dazu so viel gelernt und...“ Ich stockte und spürte wie ich langsam rot anlief. Ravinja musterte mich mit hochgezogener Augenbraue was ihre zarten Züge noch mehr untermalte.
„Nun ja... ich freue mich, dass ich so tolle Freunde dazu gewonnen habe“, flüsterte ich peinlich berührt, doch mein Gegenüber lachte nur.
„Du bist ein tolles Mädchen Ivone. Da ist es doch klar, dass wir dich sofort ins Herz geschlossen haben.“
Ich errötete noch mehr. Solch ein Kompliment hatte mir außer meiner Mutter bisher noch niemand gegeben. Ich schwenkte schnell auf ein neues Thema.
„Ich finde es unglaublich wie ihr fünf in einem so gewaltigen Schloss leben könnt.“
Ravinja wurde ernst. „Rikyu, Serida und ich leben nicht hier. Das ist ganz und gar Demans Schloss in dem er mit Yumi lebt.“
Ich setzte mich überrascht auf.
„Ganz alleine mit Yumi?“
Sie nickte. „Ja, er weigert sich zu uns zu ziehen und beharrt darauf hier zu bleiben, bis er sein Ziel erreicht hat.“
Ich dachte darüber nach. Was konnte sein Ziel sein?
„Er wartet hier auf einen alten Bekannten, mit dem er noch eine Rechnung offen hat“, beantwortete sie meine stumme Frage und somit war das Thema beendet.
„Weißt du Ivone, es ist nicht so, dass ich dir nicht gerne mehr darüber erzählen würde, aber es ist Demyans Geschichte und die wird er dir schon selber erzählen müssen, denn weder ich, noch irgendwer anders hat das Recht dazu“, versuchte sie sich zu entschuldigen, doch ich winkte lächelnd ab.
„Das verstehe ich Ravinja und deshalb bohre ich auch nicht weiter nach. Nur finde ich die Vorstellung so völlig alleine in so einem großen und leeren Gebäude zu leben irgendwie traurig. Jeder den ich kenne würde entweder wahnsinnig werden oder völlig vereinsamen.“
„Woher willst du wissen, dass er noch nicht wahnsinnig geworden oder vereinsamt ist?“, fragte sie mit einem düsteren Gesichtsausdruck und einer Stimme, die mich erzittern ließ.
Aber sie hatte recht. Woher sollte ich das wissen?
Wir saßen mehrere Minuten still nebeneinander, bis Serida angeschwommen kam und uns nass spritzte.
„Hey ihr zwei! Es ist keine Zeit zum Trübsal Blasen.“ Sie zog uns beide ins Wasser und tauchte mich unter. Das konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen und so brach eine Wasserschlacht aus, die mich meine düsteren Gedanken schnell vergessen ließ.


Kapitel 5



„Ah, war das lustig, das sollten wir öfter machen.“ Serida war richtig gut gelaunt und zeigte uns das, indem sie Pläne machte, wie wir die letzten gemeinsamen Tage verbringen konnten. Vanessa klang sich ein, indem sie vorschlug, dass wir zusammen shoppen gehen konnten, diese Idee fand Serida nicht verachtenswert.
„Es ist so lange her, dass ich das letzte mal in der Hauptstadt war“, meinte sie und schien in Gedanken zu schwelgen.
Wir vier verließen die Umkleidekabine angezogen und mit Handtüchern um unseren Köpfen.
„Das letzte mal war vor vier Tagen Serida, an dem Tag an dem wir auf Vanessa und Ivone trafen, falls du dich erinnerst“, wand Ravinja seufzend ein. Vanessa und ich wechselten amüsierte Blicke.
„Aber damals hatte ich keine Gelegenheit die Mall heimzusuchen“, entgegnete Serida schmollend.
„Ihr habt eine Mall?“, fragte Vanessa erstaunt.
„Die größte die du je sehen wirst Baby!“, entgegnete Serida aufgeregt und schon waren die beiden in erneut in ein Gespräch vertieft. Ravinja und ich lächelten uns an und gingen still nebeneinander, hinter den beiden, her.
„Du interessierst dich also auch nicht für so belanglose Dinge wie Markenkleidung?“, riss mich Ravinja irgendwann aus dem Schweigen heraus.
„Nein“, antwortete ich schmunzelnd über ihre Wortwahl. „Ich bin eher der langweilige Typ und ein richtiger Bücherwurm. Wahrscheinlich würde ich alle Markenkleidung dieser Welt rechts liegen lassen und dafür alle Bücher enthaltenden Einrichtungen heimsuchen, wenn es Vanessa nicht gäbe.“
„Da haben wir einiges gemeinsam, falls Serida ihren Willen wirklich durchsetzen sollte und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es schafft, dann entführe ich dich in meine Lieblingsläden.“
Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mich darauf nicht freute.

„Hey ihr vier“, begrüßte uns Rikyu, am Fuße der großen Treppe stehend. Neben ihm stand sein Bruder mit verschränkten Armen und musterte die Wände, als wenn er sie vorher noch nie gesehen hatte.
„Hey ihr zwei“, entgegnete Serida ebenso fröhlich und grinste ihn an, dies brachte ihn dazu über ihre gute Laune nachzudenken.
„Du willst in die Stadt gehen“, schloss er schnell und die angesprochene nickte langsam, dafür aber breit lächelnd. Rikyu schluckte und suchte Hilfe bei uns anderen.
„Das könnt ihr nicht zu lassen. Demyan und ich dürfen dann wieder als Packesel herhalten!“
Doch wir zeigten nur wenig Mitleid. Ravinja meinte sogar zu dem Ganzen gar nichts sagen zu müssen.
„Ich bringe dich ins Bett Ivone, sicher bist du müde.“
Ich war überrascht, als ich merkte, dass sie recht hatte.
„Du brauchst gar nicht so überrascht zu sein, wenn man mal bedenkt, dass du heute Morgen noch mit einer fast zwanzig Zentimeter langen und fünf Zentimeter tiefen Wunde in deinem Bett lagst und kaum in der Lage warst dich zu bewegen.“
Erschrocken musste ich zugeben, dass sie völlig recht hatte. Dafür, das sie mit dem gerade geschilderten nicht falsch lag, ging es mir aber erstaunlich gut, mehr als gut sogar...
„Na komm schon mit.“ Ravinja nahm mich an die Hand und anstatt mit mir die Treppe hoch zu gehen, spürte ich ein merkwürdiges Verziehen meines Körpers. Alle meine Farben verschwammen vor meinem Auge und als ich endlich wieder klar sehen konnte, fand ich mich in der vertrauten weißen Umgebung des kreisrunden Flurs des zweiten Stocks wieder.
„Was war das denn?“, fragte ich erschrocken und ließ Ravinjas Hand los.
„Ich bin mit dir teleportiert. Das heißt, dass ich mit dir innerhalb einer Zehntel Sekunde den Raum gewechselt habe.“
„Wow“, flüsterte ich, immer noch leicht benebelt. Das hatte sich erschreckend merkwürdig angefühlt.
Sie lächelte mich an und umarmte mich dann. „Ich wünsche dir eine schöne Nacht Ivone. Wir sehen uns morgen, dann bringe ich dir auch Kleidung vorbei.“
„Danke Ravinja, ich wünsche dir auch eine beruhigende Nacht.“
Meine neue Freundin grinste mich an und machte sich dann auf den Weg in ihr Zimmer.
Als ich die Tür zu meinem Zimmer öffnete, sah ich als erstes die Veränderung, die dieses durchgemacht hatte. Die Wände waren gestrichen und auch die Möbel waren viel geräumiger. Aber ich hatte weder die Lust noch den Nerv mir alles genauer anzugucken, denn die Müdigkeit machte sich in meinen Gliedern breit. Gähnend schlurfte ich dem Himmelbett entgegen und ließ mich in die weichen Kissen fallen. Nach nur wenigen Augenblicken war ich lächelnd eingeschlafen.

Als ich am nächsten Morgen meine Augen aufschlug war ich nicht nur guter Laune, sondern auch voller Energie. Ich hätte sofort aufspringen können in den Hinterhof hinaus und Luftsprünge oder wilde Hetzjagden mit Yumi machen können. Aber ich hielt mich zurück und streckte mich vorerst um mir darauf den Schlaf aus den Augen zu reiben. Dann tat ich das, wozu ich am vergangenen Abend nicht mehr in der Lage gewesen war. Ich sah mich in meinem neu umgeräumten Zimmer um und stellte fest: Das es nicht nur umgeräumt war. Es war völlig neu möbliert!
Das Bett aus Mahagoni war durch ein helleres Himmelbett mit blauen Seidenvorhängen ausgetauscht worden und an der östlichen Wand, dem Bett also gegenüber stand ein riesiger weißer Schrank zwischen dessen Türen ein Ganzkörperspiegel eingelassen war. Auf magische Art brach sich das bisschen Licht in dem Zimmer in dem Spiegel so, dass der Raum gleich viel heller wirkte. Ich fragte mich, ob das logisch gesehen überhaupt möglich war...
Auch der einfache Schreibtisch samt Stuhl waren durch helle, freundliche Möbel ausgetauscht worden und der neue Bürostuhl lud geradezu zum Sitzen ein. Ich nahm mir vor, dem nach zu gehen, nachdem ich die neue Tür in dem Raum näher gemustert hatte. Nicht nur die Tür versteht sich, sondern auch das was dahinter war.
Nach dem öffnen der Tür wurde schnell klar, dass es sich hier um ein Badezimmer handelte. Aber was für eins! Der ganze Raum war in verschiedenen Meerestönen gehalten. Von blau bis grün war alles dabei und nur die Einrichtungen stachen in einem perlmutenen Weiß heraus. Hier wurde mein Geschmack also genau wie im Schlafzimmer genau getroffen!
Als ich die Handtücher im Badezimmerregal sah konnte mich nichts mehr halten. Ich streifte mir mein Nachthemd vom Körper und bestieg die riesige Duschkabine. Als ich die selbe Regenwalddusche wie bei Ravinja entdeckte stieg meine Vorfreude fast ins unermässliche.

Frisch geduscht und entspannter als vorher betrat ich, nur in einem Handtuch bekleidet, mein Schlafzimmer und ließ mich aufs Bett fallen.
„Ist das herrlich!“, seufzte ich glücklich und streckte mich. Ich hätte mich kugeln können vor Glücksgefühlen. Überschwänglich sprang ich wieder auf und rannte zu dem Schrank, dessen Türen ich schwungvoll aufriss. Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Alle Fächer waren gefüllt mit Kleidung. Ich suchte mir ein leichtes Sommerkleid heraus und schlüpfte hinein. Auch die passenden Sandalen waren schnell gefunden. Als ich mich im Spiegel betrachtete fand ich, dass ich ausnahmsweise mal großartig aussah... nur die Haare, die immer noch nass waren und schlaff hinunter hingen störten das Gesamtbild. Ich meinte mich zu erinnern, dass im Bad auch ein paar Haarpflegeprodukte samt Föhn, Glätteisen und Lockenstab zu finden waren.
Nach weiteren dreißig Minuten hatte ich es irgendwie geschafft meine langweiligen Haare zu einer ansehnlichen, zusammengesteckten Frisur zu verwandeln und zarte Locken umspielten mein Gesicht. Ich fing an zu lachen und tänzelte durch den Raum, bis mich ein zartes Klopfen aus meiner Euphorie riss.
Ich rannte zur Tür, öffnete sie überschwänglich und umarmte die etwas überrumpelte Ravinja.
„Ich wünsche dir auch einen schönen guten Morgen“, sagte sie schließlich, nachdem sie den ersten Schock erfolgreich hinter sich gebracht hatte.
„Danke“, ich lies sie los und schaute ihr lächelnd und erwartungsvoll in die Augen, so hatte auch sie Zeit mich zu mustern.
„Du siehst echt gut aus, hast du etwas besonderes vor?“, wollte sie plötzlich lachend wissen.
Ich winkte ab. „Ach Quatsch! Mir war nur so danach mich schick zu machen. Irgendwo musste ich meine überschüssige Energie schließlich hin packen.“
Ich zog sie in die Mitte des Flurs und wirbelte sie herum, irgendwann brachen wir dann doch keuchend und lachend ineinander.
„Oh ja“, sagte sie nach Luft schnappend, „ich verstehe was du meinst. Diese Energie sollte wirklich in irgendwas gepackt werden. Ich fürchte mich ja geradezu davor dich zu fragen, ob du etwas essen möchtest.“
Ich warf ihr einen fragenden Blick zu.
„Na so wie du gerade drauf bist, brauchst du ganz sicher keine Energie gebenden Mittel.“
Wir sahen uns eine Weile still an und fingen dann an zu lachen, als wir uns wieder beruhigt hatten viel mir etwas auf.
„Wo sind denn die anderen? Müssten sie bei dem Lärm den wir machen nicht schön längst hierher gestürmt kommen?“
Ravinja wurde wieder ernst. „Die sind schon früh am Morgen losgezogen und soweit ich weiß, schläft Vanessa immer noch den Schlaf der Gerechten.“
Ich kicherte, wenn Vanessa das gehört hätte, dann hätte sie nur mit den Augen gerollt und Ravinja grinsend die Zunge hinaus gestreckt.
„Wenn das so ist... dann lass uns doch essen gehen. Auch wenn du es mir nicht glaubst, ich habe Hunger.“ Ich grinste sie schelmisch an.
Ravinja spielte mit und sah mich erschrocken an. „Ich komme aber nicht dafür auf, wenn du in deinem Elan irgendetwas zerstörst!“
„Musst du auch nicht. Komm“ Ich nahm sie an die Hand und wollte los laufen, als wir uns auch schon unten befanden.
„Daran gewöhne ich mich noch“, murmelte ich verwirrt. Ravinja lächelte mich an und machte sich daran mir etwas zum Frühstück zu zaubern. Wahrscheinlich im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie brauchte keine Zehn Minuten und der Tisch war voller Leckereien, bei deren Anblick mir das Wasser im Munde zusammen lief. Zwei Kannen mit Tee und Kaffee verströmten ihren üblichen Duft und ich fühlte mich einfach wohl.
„Guten Appetit, würde ich dann mal sagen“, meinte Ravinja, die sich bereits hingesetzt hatte und gerade dabei war ihr Frühstücksei zu köpfen. Schnell tat ich ihr gleich und wir unterhielten uns, während ich mich durch all die verschiedenen Brotbelege und Aufstriche aß.
Wir aßen dermaßen entspannt und ruhig, dass wir gar nicht merkten wie schnell die Zeit verging. Nachdem sich das Sättigungsgefühl nach zwanzig Minuten bei uns gemeldet hatte, bleiben wir sitzen und unterhielten uns über dieses und jenes und verstanden uns von Minute von Minute besser. Mit leichten Gewissensbissen musste ich feststellen, dass ich mich mit ihr besser unterhalten konnte als mit Vanessa, die ja immerhin meine beste Freundin war!
„Und was hast du heute noch so vor?“, fragte sie mich schließlich und nahm noch einen Schluck von ihrem Tee. Ich weiß nicht woran es lag, aber weder der Kaffee, noch der Tee waren bisher kalt geworden, obwohl wir seid einer Stunde in der Küche saßen. Nun gut, dass ich nicht wusste woran das lag, war sicherlich gelogen, aber befremdlich war es dennoch.
„Weiß ich noch gar nicht, um ehrlich zu sein“, beantwortete ich nachdenklich ihre Frage. „Ich hatte vielleicht vor mir draußen ein schattiges Plätzchen zu suchen und einfach nichts zu tun.“
Rvainja musterte mich. „Wie fändest du es wenn ich dir ein paar meiner Bücher ausleihe und und wir es uns bei selbst gebackenen Kuchen gut gehen lassen?“
Obwohl ich diese Idee mehr als nur Einladend nahm, zwang mich meine gute Erziehung dazu abzulehnen. „Das wäre wirklich wunderbar, aber ich kann dir nicht so viel Arbeit aufbürden, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen.“
Ravinja schmunzelte über mein ernstes Gesicht. „Du brauchst wirklich kein schlechtes Gewissen zu haben. Das ist für mich keine Arbeit glaub mir. Entspanne einfach und fühle dich wie zu Hause.“
Ich hob eine Augenbraue. „Das könnte schwer werden, wenn man mal den Umstand nicht vergisst, das mein trautes Heim hier drei mal rein passen könnte.“
Sie verschränkte ihr Arme und musterte mich amüsiert streng. „Du weißt was ich meine und nun los komm mit. Meine Bücher warten darauf von dir inspiziert zu werden.“
Ich leistete ihrem Befehl lachend folge. „Ich kann es kaum erwarten.“
„Will ich auch hoffen, ich habe extra Fantasytitel für dich heraus gesucht.“
Ich fragte mich gerade, was man gerade in Luney unter Fantasy verstand, als mir etwas auffiel. „Woher weißt du, dass ich Fantasybücher lese?“
Sie sah mich an, als könnte sie nicht glauben wie ich das Offensichtliche nicht erkennen konnte. „Vanessa hat uns ein bisschen was über dich erzählt, als du weggetreten warst.“
Etwas an der Art wie sie das sagte hätte mich stutzig machen sollen, tat es aber nicht. Viel mehr war ich abgelenkt von der Frage, wie ich darauf nicht hatte kommen können.
Also gingen wir in ihr Zimmer und immer noch war ihr Bett voll gestellt mit Büchern.
„Liest du die alle gerade?“, wollte ich ungläubig wissen.
Ravinja schaute auf ihr Bett. „Nein, aber ich habe noch vor sie zu lesen.“
„Na dann wünsche ich dir gutes Gelingen“, murmelte ich gedankenversunken. Bisher hatte ich immer angenommen, dass ich eine unübertroffene Leseratte war, aber man wurde schließlich immer mal wieder eines Besseren belehrt.
Sie lachte. „Danke, werde ich brauchen wenn ich sie wirklich alle noch in den nächsten drei Monaten durch haben möchte. Hier sind übrigens die Titel, die ich vorhin ansprach. Ich hoffe ich habe halbwegs deinen Geschmack getroffen.“ Sie grinste von einem Ohr zum anderen und zog anscheinend wahllos das ein und andere Buch heraus, um es mir in die Arme zu drücken. Mir viel sofort auf, dass sie meinen Geschmack perfekt getroffen hatte. Ich liebte dieses Mädchen von Sekunde zu Sekunde immer mehr. Wie konnte es sein, dass mich ein Mädchen aus einer anderen Welt so gut verstand? Ich mich einem Mädchen, dass so viel älter war als ich so verbunden fühlte?
„Ich würde schon sagen, dass du nicht ganz fehl gegriffen hast“, nuschelte ich lächelnd. Sie erwiderte dieses, nahm sich selber ein Paar Bücher heraus, holte mehrere Decken und einen Picknickkorb aus einem Fach in ihrem Schrank, griff nach meiner Hand, und einen Augenblick später fand ich mich unten im Gemeinschaftssaal wieder.
In meinem Kopf summte es leicht.
„Ja, ich gewöhne mich noch daran“, sagte ich wie vorhin nur mit mehr Nachdruck in der Stimme.
Ravinja lachte leise. „Nimm dir da mal nicht zu viel vor. Menschen sind unsere Magie halt nicht gewöhnt.“
„Sagst du“, hörte ich eine vertraute Stimme hinter mir. Ich wand mich um und sah Vanessas blonden Haarschopf an der Tür. Sie selber hing daran, lässig an den Türrahmen gelehnt.
„Du bist wach“, stellte ich grinsend fest, ging auf sie zu und nahm sie in den Arm.
„Nein, ich schlafwandele“, konterte sie lachend.
Ich stimmte ein und fühlte mich einfach nur gut.
„Was habt ihr beiden hübschen denn vor?“, fragte Vanessa, nachdem wir ihr bei ihrem Frühstück Gesellschaft geleistet hatten. Sie war etwas pikiert gewesen, zu erfahren, dass wir schon gegessen und sie nicht geweckt hatten.
„Uns in die Gärten setzen, lesen und Kuchen essen.“
Meine blonde Freundin schaute mich aus großen Augen an.
„Das sagst du mir, nachdem du zugelassen hast, dass ich mir so den Bauch voll schlage?!“, rief sie aufgebracht und ließ die Brötchenhälfte, an der sie bis eben noch genüsslich genabbert hatte achtlos auf den Teller fallen.
Ich schmunzelte, denn wusste ich ganz genau wie sehr Vanessa Torten und Kuchen liebte, ihr ihre Figur aber wesentlich wichtiger war.
„Ich denke mal nicht, dass es sonderlich schädlich ist, wenn du einmal nicht jede einzelne Kilokalorie zählst Vanessa. Und morgen wirst du doch alles, was du dir heute anfutterst, beim Einkaufen los.“
Sie kräuselte ihre Stirn und dachte kurz über mein Worte nach, sah wohl ein, dass ich recht hatte und biss nochmals herzhaft in das arme Brötchen hinein.
„Ich denke mal, dass ich dir vertrauen kann“, meinte sie kauend und ich musste lächeln.

„Du hast dich sehr undeutlich ausgedrückt, als du von 'Gärten' sprachst“, warf ich Ravinja vor, die mit einem Picknickkorb voller Törtchen, Torten, Kuchen und Getränken in der Hand neben mir herging, während wir uns unseren Weg durch Obstplantagen und Waldteile erkämpften.
„Nun ja, es sind Obstgärten. Ich hatte nicht gedacht, dass ich das extra erwähnen müsste“, verteidigte sie sich, so unschuldig wie ein kleines Kind.
Vanessa war genauso erstaunt wie ich und konnte nur verwirrt von links nach rechts schauen.
„Ravinja, das hier ist kein Garten sondern ein Wald. W-A-L-D. Etwas wo viele Pflanzen auf engen Raum stehen und der matschige Boden die Schuhe ruinieren“
Ich musste über Vanessas entsetzten Blick lachen, als sie ein schmetterlingähnliches Wesen auf einem der Bäume sah. Das Insekt war so lang wie die Länge von der Spitze meines Mittelfingers bis zu meinem Handgelenk und die Flügelspannweite entsprach pro Flügel in etwa zwanzig Zentimeter pro Flügel. So etwas hatte ich, eher in den Tropen erwartet, oder in den sogenannten Schmetterlingshäusern, in die ich mich nie wagen würde, weil ich eine höllische Panik vor Raupen hatte.
„Auch das sind Obstgärten. Hier züchtet Demyan Waldfrüchte. Er versucht den natürlichen, klaren Geschmack dieser beizubehalten, und nur ihre Größe zu ändern.“
Ich stutzte. Es war mir völlig unmöglich mir Demyan als Hobbygärtner oder sogar als Hobbygenforscher vorzustellen. Für mich waren solche Menschen immer Personen, die in Gummistiefeln und grünen Latzhosen mit einer kleinen grünen Gießkanne von A nach B rannten, mit Pflanzen sprachen und diese dabei gossen. Ich hoffe, es ist jedem klar, warum Demyan in dieses Bild einfach nicht hinein passen wollte.
„Wie weit ist er denn, in seiner Züchtung?“, fragte ich, eher aus Höflichkeit, auch wenn ich es nicht ganz uninteressant fand.
Ravinja fing an zu schmunzeln. „Er übertreibt ein bisschen.“
„Wie meinst du das?“, wollten Vanessa und ich wissen. Es war klar, dass sich auch Vanessa dafür interessierte, weniger wegen den Pflanzen, versteht sich.
Ravinja machte einen einfachen Schwenker mit ihrer Hand und hielt uns diese mit nach oben deutender Handfläche hin. Auf ihrer Hand lag eine kleine weiße Frucht mit schwarzen Punkten, die einer Erdbeere von der Form her nicht ganz unähnlich sah, nur, dass die Kerne in einem geschwungenen Muster auf der Fruchthaut lagen.
„Diese Frucht nennt sich Balanca und ist sehr typisch für unsere heimischen Wälder. Sie ist auch äußerst Nahrhaft und sehr gesund und vitalisierend.“
Wie schnell man doch in eine Stunde Pflanzenkunde rutschen konnte.
„Ja und weiter?“, wollte ich nun, dank der erwachten Neugierde, doch wissen.
„Wie ihr sehen könnt, ist sie relativ klein“, versuchte uns Ravinja auf das Offensichtliche aufmerksam zu machen.
„Nun ja, sie hat halt die Größe einer gewöhnlichen Walderdbeere“, warf ich ein.
Ravinja schien einzusehen, dass weder Vanessa noch ich etwas außergewöhnliches an dieser Frucht fanden, außer ihre Farbe und seufzte resigniert.
„Ihr seid, in der Tat kein unterhaltsames Publikum.“
„Tut uns leid“, erwiderte ich verblüfft.
Ravinja erwiderte nichts und machte erneut diese schwenkende Handbewegung. Diesmal hielt sie uns die gleiche Frucht nur in sehr viel größer vor die Nase. Aus der Walderdbeere wurde eine Kokosnuss.
„Das ist auf jeden Fall das, was Demyan im Eifer des Gefechts entstanden lassen hat.“
Vanessa und ich waren gleichermaßen erstaunt wie auch verwirrt. Das passte nun definitiv nicht in mein Bild von Demyan, was auch immer ich ein Bild von einer Person haben sollte, mit der ich bis jetzt, wenn überhaupt, eine Hand voll Wörter gewechselt hatte.
Dennoch hatte ich ihn bis jetzt nicht für jemanden gehalten, der so maßlos übertrieb. Irgendwie fand ich diese Eigenschaft sehr niedlich und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Sanft ließ ich mir von Ravinja die Frucht in die Hand geben. Sie war schwerer als sie aussah und hatte vor allem eine sehr viel stabilere Beschaffenheit, als erwartet. Urplötzlich fand ich es faszinierend.
„Alles in Ordnung Ivone?“, fragte mich Ravinja? Wir hatten während unserer ganzen Unterhaltung unseren Weg fortgeführt, ohne, dass ich es gemerkt hatte. Es beunruhigte mich nun doch etwas, dass meine Beine wohl auch ohne mein Zutun gut zurecht kamen.
„Jaa... schon... warum fragst du?“
„Du schaust die Frucht nun schon seid einer geraumen Zeit stillschweigend und lächelnd an.“
Geraumen Zeit? Ich sah mir meine Umgebung nun genauer an und musste erschrocken feststellen, dass ein hübsches, helles Apfelwäldchen den düster verhangenen Bäumen abgelöst. Vanessa ging ein paar Meter vor uns und stierte auf die Äpfel. Sicher hatte sie Angst, dass einer auf ihren Kopf fallen würde.
„Ohh... Tatsache, habe ich gar nicht bemerkt“, musste ich, weiterhin leicht konfus, gestehen.
„Und?“ Die Brünette sah mich weiterhin aus großen Augen von der Seite an und mir fiel siedentheiß ihre Ursprungsfrage wieder ein.
„Ich musste mir eingestehen, dass ich gerade eine sehr niedliche Eigenschaft an Demyan gefunden habe“, gab ich peinlich berührt zu.
Ravinja musterte mich ungläubig. „Demyan und niedlich? Dies sind nun wahrlich zwei Begriffe, die ich in dieser Zusammenführung nicht in einem Satz vermutet hätte.“
„Ja, oder? Ich fand es genauso verblüffend.“ Sie und ich starrten uns mehrere Sekunden aus großen Augen äußerst verwundert an und lachten dann los. Das alles nahm plötzlich eine sehr absurde Wende.
„Was gibt es denn da zu lachen?“, rief uns Vanessa entgegen? Sie stand vor einer Lichtung, die sie den Rücken zugewand hatte und schaute uns mit erhobener Augenbraue an, während wir weiter auf sie zugingen.
„Mhh... nichts wichtiges“, meinte ich schmunzelnd. Ich hatte jetzt nicht den Nerv mit Vanessa über Demyan zu reden. So wie ich sie kannte, würde sie es schaffen dieses Thema ins Unendliche zu ziehen und ich für meinen Teil hatte eigentlich geplant meinen Nachmittag in Bücher zu setzen.
Doch sie schien nicht so, als wenn sie großartig auf meine Pläne Rücksicht nehmen wollte, denn auch ohne meine Hilfe schaffte sie es auf ihn zu sprechen zu kommen.
Aber zum Glück kam sie erst auf ihn zu sprechen, nachdem wir die unglaublich helle und sonnendurchflutete Lichtung betreten hatten und Ravinja ihre Torten auf einer Picknickdecke ausgebreitete hatte. Das hieß, ich konnte essen, während ich Vanessa zuhörte wie sie sich gespielt über Demyan ausließ.
„Er will mir auch nie sagen, was er denkt und lässt sich immer alles aus der Nase ziehen“, fing sie an und schaute schockiert auf das große Stück Torte, dass ich mir genommen hatte um mir ein Stück mit der Gabel in den Mund zu schieben.
„Keine Sorge Vanessa, die Torten machen nicht dick“, beruhigte Ravinja sie. „Serida würde mir den Kopf abreißen, wenn ich Kalorienbomben kreieren würde.“
Das schien Vanessa um einiges zu beruhigen, mir persönlich war es egal. Die Torte schmeckte sehr gut und das war für mich alles was zählte. Leider kam ich nicht dazu Ravinja meine Aufwartungen zu machen, denn Vanessa sprach schon weiter. Wenigstens konnte ich jetzt weiter essen, ohne, dass sie mir die ganze zeit auf den Teller starren würde.
„Und auch so ist er sehr geheimnisvoll, aber gerade das macht ihn so toll. Wie er einen immer ansieht. So völlig unbeteiligt und unnahbar. Er ist so cool.“
Ravinja und ich tauschten Blicke und ich rollte mit den Augen, was Vanessa zum Glück nicht mitbekam. Viel zu sehr war sie in Lobeshymnen für Demyan aufgegangen. Ravinja schmunzelte leicht, doch als Vanessa meinte, dass Demyan wohl voll die 'krasse' Vergangenheit gehabt haben müsse um so unterkühlt zu werden wurde sie ernst.
„Wenn du wüsstest“, murmelte sie und machte mich damit hellhörig.
„Wenn sie was wüsste?“, wollte ich nun wissen.
Ravinja lächelte verkrampft. „Nicht so wichtig.“
Ich runzelte die Stirn. Ravinja würde mich nicht so offensichtlich anlügen, wenn es nicht ernsthafte Gründe dafür geben würde, da war ich mir sicher. Aber ich sah auch ein, dass ich da nicht nach bohren durfte, anders als Vanessa. Bei aller Liebe und Freundschaft, sie war der nicht gerade der feinfühligste Mensch den ich kannte.
„Wieso? Was ist denn mit ihm passiert?“ Sie bekam große Augen und die Tatsache, dass sie Ravinja wirklich mal Aufmerksamkeit schenkte, machte das ganze zu einer Sensation erster Klasse.
„Vanessa, ich glaube nicht, dass Ravinja darüber reden -“, wollte ich einwenden, doch Ravinja unterbrach mich.
„Nun, vielleicht sollte ich es euch erzählen“, meinte sie, zu niemanden spezifisch.
„Öhm... Ravinja, das musst du wirklich nicht“, meinte ich versöhnlich.
„Auch wenn ihr es mir nicht glauben werdet. Demyan war mal ein sehr offener und freundlicher Mensch“, fing Ravinja an zu erzählen und hinterging meinen Versuch sie davon abzuhalten einfach. Dabei hatte ich es doch nur für sie getan, aber ich war natürlich selber zu neugierig um meine kläglichen Versuche weiter auszuführen.
„Öhm... wie hatte er sich dann so verändern können?“, fragte ich vorsichtig.
Sie schaute verträumt und sehr düster blickend auf. „Dazu muss ich euch die Vorgeschichte erzählen.“
Wir deuteten ihr, dass sie sich keinen Zwang antun solle und sie sprach weiter.
„Also, vor ungefähr 100 Jahren fing das ganze Desaster an. Damals lebten Demyan und Rikyu noch zusammen im Schloss ihrer Eltern und verstanden sich ziemlich gut. Auch von der Gesellschaft waren sie noch hoch geschätzt und alle wollten sie mit den Herrschern von Luney befreundet sein. Doch nur wenige schafften es wirklich ihre Sympathie zu gewinnen. Serida und ich gehörten zu diesen wenigen.“
Ich konnte ihr nicht ansehen ob sie über diese Tatsache großartig erfreut war oder ob sie dem ganzen mit einer gewissen Gleichgültigkeit gegenübertrat. Bei ihr konnte ich mir gut letzteres vorstellen.
„Und es gab noch zwei andere, die diese Sympathie ihr eigen nennen konnten“, erzählte Ravinja ruhig weiter. Es war einfach fesselnd wie sie erzählte. Man konnte nicht anders als ihr zuhören zu wollen. Ich wagte nicht sie zu unterbrechen und selbst Vanessa schaute sie ganz gebannt an.
„Ein mächtiger Dämon namens Midan und die letzte Thronfolgerin der Auralei mit Namen Melissa waren Demyans engste Verbündete, oder sogar viel mehr seine besten Freunde, schon als sie noch Kinder waren.“
Ich musste mich augenblicklich fragen, mit wie viel Jahren man als Dämon, oder was auch immer, nicht mehr als 'Kind' zählte.
„Midan hatte für Demyan mehr eine Bruderrolle, als Rikyu und Melissa war... nun ja, sie war Demyans erste und einzige große Liebe. Doch leider wollte das Schicksal es so haben, dass sie nie von seinen Gefühlen erfuhr und sie sich in Midan verliebte, so wie auch dieser sich in sie. Demyan konnte nur mit halben Herzen das Glück der beiden teilen und als sie sich verlobten brach für ihn das erste Mal eine Welt zusammen und es sollte nicht das letzte Mal sein. Viele Jahre gingen ins Land. Midan und Melissa waren verheiratet und lebten im Schloss der Auraleis, besuchten Demyan aber sehr oft, so wie dieser die, denn trotz gebrochenen Herzens mochte er beide immer noch und er liebte Melissa auch immer noch sehr.“
Ich musste schlucken. Auch wenn ich noch nie geliebt habe war ich doch schon oft genug verliebt um Demyans Gefühle zum kleinsten Teil verstehen zu können, denn leider war es so, dass die Kerle in die ich mich bis jetzt immer verliebt habe leider auf meine beste Freundin Vanessa abgefahren waren. Diese Tatsache fand ich ja nun schon verletzend genug, aber natürlich machte ich Vanessa keine Vorwürfe, schließlich konnte sie ja nichts dafür. Ich bekam mit, wie Ravinja weiter erzählte und hörte wieder zu.
„Vor gut 50 Jahren wurde Demyan aber von seiner Gefühlswelt abgelenkt, indem nämlich eine große dunkle Macht, von der keiner so genau wusste woher sie kam, Luney zu zerstören drohte. Alle Wesen unserer Welt die über magische Kräfte verfügten schlossen sich zusammen um dem Einhalt zu gebieten, doch leider war das Böse viel zu mächtig. Auch Demyan, Rikyu Serida und ich kämpften für unsere Welt und Melissa und Midan unterstützen uns mit ihren Streitkräften. Midan fragte Demyan allerdings irgendwann, ob dieser sich nicht als Leutnant seiner Garde aufstellen lassen wollte. Erklären tat er es damit, dass Demyan es wahrscheinlich schaffen würde seinen Männern in dieser schweren Stunde Mut zuzusprechen, denn Demyan war damals ein guter Redner und eine sehr herzige und vertrauensvolle Person. Natürlich konnte Demyan seinem besten Freund diesen Wunsch nicht abschlagen und er kämpfte an Midans Seite für Luney, so dachte er zumindest, denn es stellte sich heraus, dass Midan der Ursprung allen Übels war. Er machte sich die Macht der Familie Auralei zu Nutze um Luney zu zerstören und der alleinige Herrscher beider Länder zu werden. Doch als Demyan dies herausfand war es schon zu spät um zurück zu kehren. Viel zu weit war er schon vorgerückt, Luney zu zerstören, ohne es zu merken und er fand weder den Mut aufzuhören noch hatte er eine Chance, denn eines war ihm klar: Würde er Midan verraten und fliehen wäre Melissa in Gefahr. Diesen Gedanken konnte er nicht ertragen und so wurde er unfreiwillig freiwillig eine Spielfigur auf Midans Schachbrett. Rikyu, der damals noch nicht herausgefunden hatte was sein Bruder wusste, dachte, Demyan wäre von sich aus auf die böse Seite gewechselt und er bekämpfte ihn mit allem Zorn und jeder Verachtung die er hatte. Dies zerriss Demyan im Inneren und er fing an sich zu verändern. Er wurde verbissen und lebte in sich gekehrt, denn er brachte es nicht über sich den Verrat seines besten Freundes irgendjemanden zu erzählen. Doch irgendwann hielt er es nicht mehr aus und er versuchte bei Melissa auf Gehör zu stoßen, doch wie nicht anders zu erwarten glaubte sie ihm nicht. Sie wollte einfach nicht wahrhaben, dass ihr geliebter Mann Schuld für das Leid von tausenden, sogar Milliarden von Menschen war. Als sie jedoch merkte, dass Demyan sie nicht angelogen hatte, war es zu spät. Vor gut 16 Jahren war sie von heute auf morgen einfach so spurlos verschwunden. Auch wenn dies der Auslöser für Demyans endgültigen Absturz in die ewige Verdammnis war, hatte es ein Gutes. Er konnte sich endlich gegen Midan stellen und auch endlich sah Rikyu ein, dass sein Bruder nicht halb so freiwillig auf die dunkle Seite gegangen ist wie er angenommen hatte und half ihm dabei Midan zu bannen. Danach war das Schlimmste Überstanden und mit dem Verschwinden Melissas schwanden auch Midans Kräfte. Natürlich ist er immer noch sehr mächtig, nur fehlen ihn nun die Kräfte der Auraleis um sich schnell von diesem Rückschlag zu erholen, doch wir sind uns alle sicher, dass er nur darauf wartet wieder aufzutauchen. Doch all dies ist nur zweitrangig, denn das was er angerichtet hat ist schlimmer als ihr euch ausmalen könnt.“
Ich schreckte aus meiner Versunkenheit auf. Es war irritierend nach so einer Erzählung so direkt angesprochen zu werden. Mit einem Seitenblick zu Vanessa konnte ich sehen, dass es ihr nicht anders ging wie mir.
„Und...“ Ich musste mich räuspern bevor ich weitersprechen konnte. „Und seid dem ist Demyan so...“ Ich konnte nicht aussprechen was ich meinte. Ich fragte mich, ob ich ihm jemals wieder normal entgegen treten konnte.
„Ja, aber bitte, versucht ihm gegenüber normal zu sein. Er wollte sicher nicht, dass ich euch all dies erzähle und es würde ihm sicher nicht helfen wenn ihr jetzt 'verständnisvoll' wärt.“ Sie legte eine abwertende Betonung auf das Wort 'verständnisvoll'. Ich verstand was sie meinte. Sicher gab es für jemanden wie Demyan nichts schlimmeres als bemitleidet zu werden.
„Wir versprechen, dass wir in seiner Gegenwart nicht darüber sprechen werden“, sagte ich, bevor Vanessa noch irgendetwas einwerfen konnte. Sie schien nicht glücklich darüber musste aber wohl eingesehen haben, dass dies das beste war, denn sie protestierte nicht.
Wir versuchten den Rest des Nachmittages mit unseren geplanten Aktivitäten hinter uns zu bringen, doch die Atmosphäre war zu bedrückt, als das wir normal hätten weiter machen können. Als wir Abends zum Schloss zurück kehrten, hatte ich mich allerdings schon so weit gefasst, dass ich den anderen, die wohl schon seid ein paar Stunden völlig erschöpft zurück gekehrt waren halbwegs gegenüber treten konnte. Es wurde zu Abend gegessen und noch viel geredet, beziehungsweise redete Vanessa, die sich neben Demyan auf eine Couch gesetzt hatte, die aus heiterem Himmel aufgetaucht war, und sich an ihn kuschelte, viel und wir anderen taten alle so, als würden wir ihr voller Elan zuhören.
Ich für meinen Teil war ziemlich froh, als ich mich ohne Aufsehen zu erregen verabschieden und in mein Zimmer gehen konnte, bis ich im Bett lag. Es gab so viel worüber ich nachdenken musste und die Tatsache, dass Demyan immer wieder in meinen Gedanken auftauchte, machte das Ganze nicht besser. Als ich schließlich eingeschlafen war, träumte ich von blutigen Kriegen, Verrat und von einem gebrochenen Herzen...


Impressum

Texte: Das Copyright an dem Buchcover liegt bei Sue.Vahl und mir
Tag der Veröffentlichung: 29.08.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich meinen lieben Freunden und all denen, die im Begriff sind es wirklich zu lesen ;)

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