Sie wacht auf. Ihre Nase zuckt ein wenig, als die Strahlen der aufgehenden Sonne darauf scheinen. Langsam öffnet sie die Augen. Sie blinzelt, hat sich noch nicht an das helle Licht der Morgensonne gewöhnt.
Was macht sie hier? Wo ist sie überhaupt?
Unter ihren Füßen spürt sie das warme Holz des Bootssteges. Es knarrt ein wenig, als sie sich aufrichtet.
Ihr Blick streift über unendliches Blau. Kaum eine Wolke bedeckt den Himmel und die Gischtkronen der Wellen glitzern in der Sonne.
Sie erinnert sich. Der Streit.
Tief saugt sie die frische Luft ein, ganz nach unten in den Bauch. Schließt die Augen, breitet ihre Arme aus und genießt den Augenblick. Dann atmet sie langsam wieder aus.
Schreie. Flüche. Drohungen.
Sie geht zum Ende des Stegs, sorgsam darauf bedacht nur nicht auf die schmalen Lücken zwischen den Latten zu treten. Setzt sich an den Rand und krempelt die Hosenbeine ihrer Jeans hoch.
Wütende Blicke. Plötzlich ein Schlag. Schmerzen.
Ihre Haut zieht sich ein bisschen zusammen, als ihre Fußspitzen das kalte Wasser berühren. Entspannt sich dann nach einer Weile. Das kühle Wasser beruhigt sie.
Tränen. „Ich hasse dich!“ Ohnmachtgefühl.
Eine Windbriese lässt ihr plötzlich Schauer über den Rücken laufen. Sie zieht ein Bein aus dem Wasser, umschlingt es mit ihren Armen und legt ihren Kopf auf ihr Knie. Am Horizont erscheint ein dunkler Punkt.
„Hau bloß ab! Ich will dich nie wieder sehen!“ Türknallen.
Mit dem linken Fuß zeichnet sie Kreise auf die Wasseroberfläche. Der dunkle Punkt kommt näher, wird größer und ist nun eher ein Strich.
Laufen. Nicht denken. Nur weg.
Der Strich wird zu einem Boot, einem Schiff. Wie viel Geld hat sie dabei? Sie wühlt hastig in den Taschen ihrer Hose, lächelt als sie fünfzig Euro findet. Es ist ihr Geld, es wird reichen.
Nie mehr zurück. Erschöpfung. Zusammenbruch.
Sie richtet sich auf, der Wind weht ihr ins Gesicht und lässt ihre Haare tanzen. Mit erhobenem Kopf sieht sie der Fähre entgegen, die bald im Hafen anlegen wird.
Es gibt nur noch sie, sie und ihre Zukunft. Ihre persönliche ganz eigene Zukunft. Sie geht vollkommen in sich auf. Genießt den Augenblick mit jeder Faser ihres Körpers.
Sie wird mitfahren. Fort.
Ein neuer Tag ist angebrochen.
Tag der Veröffentlichung: 21.05.2009
Alle Rechte vorbehalten