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Der Paradiesplanet


Kristy sah in den von Sternen übersäten wundervollen Nachthimmel und ließ dessen Schönheit auf sich wirken. Sie lag, alle Vier von sich gestreckt, im saftigen, grünen Gras und genoss den Moment. Das Mädchen war umgeben von den Menschen, die ihr am Meisten bedeuteten. Links neben ihr lag ihr jüngerer Bruder Kevin. Er war jetzt fast fünfzehn und Kristy fragte sich wo er eigentlich noch hin wachsen wollte. Er maß jetzt schon fast eins achtzig. Allerdings war das vielleicht auch gut so, denn wenn er kleiner gewesen wäre, würde seine Fettleibigkeit sicher noch mehr auffallen. Rechts von Kristy lag ihre beste Freundin Dalia. Sie war dünn und ausgesprochen hübsch. Ihr Gesicht war absolut makellos und ihre langen, seidigen blonden Haare schimmerten jedes Mal wenn Licht auf sie fiel. Sie nutzte das gerne aus um bei anderen Eindruck zu schinden. Dann warf sie ihr Haar hinter sich und ließ es wie eine Wolke um sich herum flattern.
Kristy seufzte. Manchmal fand sie ihre beste Freundin schon sehr eingebildet. Aber was hieß hier überhaupt beste Freundin? Sie war ihre einzige Freundin. Zusammen mit ihr und Kevin war sie aufgebrochen um abseits der Stadt nach einem ganz besonderem Beerenbusch zu suchen. In der Kolonie gab es Nahrung in Hülle und Fülle, sofern man sich um das Anbauen kümmerte, aber nichts war vergleichbar mit den Sanotbeeren, die sehr schmackhaft waren. Matt Ahlin, eher ein Bekannter als ein Freund, hatte ihr im Austausch gegen ihr altes Fahrrad verraten wo einer dieser Sträucher stand. Matt war der allseits bekannte Streuner der Kolonie. Sie war sich sicher, dass er jeden Zipfel ihres Landes in und auswendig kannte.
Kristy setzte sich auf und ging an den Rand des Sees, an dem sie lagerten. Das Kristallklare Wasser war so rein, dass sie ohne Bedenken davon trinken konnte. Sie schöpfte ein paar Handvoll Wasser. Es schmeckte vorzüglich. Das Mädchen beobachtete wie sich die Ringe, die sie auf der Wasseroberfläche hinterlassen hatten, auflösten und die Oberfläche sich glättete. Obwohl es dunkel war, konnte sie ihr Spiegelbild im Mondlicht erkennen. Sie war eine kleine, nett aussehende Sechzehnjährige mit einigen Pfunden zu viel auf den Rippen, aber es war noch nicht so weit, als dass sie sich als dick bezeichnet hätte. Sie hatte Sommersprossen überall in ihrem Gesicht, das von wallenden orangeroten Locken umrahmt wurde.
Plötzlich spürte sie einen Stoß von hinten. Kristy stürzte nach vorn und landete mit einem lauten Platschen im Wasser.
„Haha, ausgetrickst.“ lachte Kevin hinter ihr.
„Na warte du.“
Kristy rappelte sich auf und bespritzte ihn spielerisch mit Wasser.
Dalia verdrehte pikiert die Augen.
„Ihr benehmt euch wie Babys.“
Kristys Gesicht verdüsterte sich. Die ausgelassene Stimmung war zerstört.
„Man wird ja wohl noch seinen Spaß haben dürfen.“
„Vielleicht sollten wir einfach weitergehen.“ schlug Kevin diplomatisch vor.
Wie immer versuchte er allem Ärger aus dem Weg zu gehen. Ganz unrecht hatte er jedenfalls nicht, schließlich wollten sie ja auch irgendwann einmal ankommen. Sie gingen weiter und Stunden später, die Sonne hatte sich bereits vom Horizont geschält, erreichten sie das Ziel ihrer Reise, ein einzelner, aber beachtlich großer Beerenstrauch. Die kleinen Beeren waren dunkel lila und als Kristy gierig danach griff erfüllte sie tiefe Freude. Endlich bekam sie diese Delikatesse mal wieder zu essen. Die Süße explodierte förmlich in ihrem Mund. Selig grinsend standen die Drei an dem Strauch und naschten immer mehr Sanotbeeren. Plötzlich hielt Kristy inne. Sie hatte etwas bemerkt. Sie waren hier am Rand ihres Landes. Dort, gleich neben einem gluckernden Bach, verlief die Grenze. Sie war durch einen niedrigen Steinwall zu erkennen. Ganz in der Nähe sah sie zwei Atrons. Denn die Menschen waren auf diesem Planeten nur zu Gast. Eigentlich gehörte er den Atrons, einem hochentwickelten Volk. Von der äußeren Form her sahen sie den Menschen sehr ähnlich, aber sie waren fast drei Meter groß und ihr gesamter Körper war mit Schuppen bedeckt, die in verschiedenen Farben variierten. An Händen und Füßen hatten sie Krallen. Schuhe trugen sie nicht, aber dafür meistens recht klobig aussehende Anzüge, die aus biegsamen Leichtmetall bestanden. Die Männer trugen auf dem Kopf farbenprächtige Kämme, Frauen hatten dagegen zwei lange Hörner am Hinterkopf. Demzufolge mussten das dort zwei Männer sein. Der eine hatte schillernd grüne, der andere braunorangene Schuppen. Sie diskutierten in ihrer zischenden Sprache, dann zeigte der Braunorangene zu den Menschen hinüber, genauer gesagt, er zeigte auf Kevin und der andere vollführte eine ruckartige Geste mit dem Kopf. Als Kristy noch ein kleines Mädchen gewesen war, hatte sie immer Angst vor den Atrons gehabt. Vielleicht, so überlegte sie, wegen deren Erscheinung. Ihre Eltern hatten ihr ein ums andere Mal erklärt, dass von diesem Volk keine Gefahr ausging. Im Gegenteil sie sorgten für sie. Die Menschen lebten erst seit zweihundert Jahren auf diesem Planeten. Vorher hatten sie auf einer Welt namens Erde gelebt. Die letzten Jahre dort waren richtig schlimm gewesen. Ein verheerender Krieg drohte die gesamte Bevölkerung auszulöschen. Doch die Atrons waren ihre Rettung. Sie nahmen einige von ihnen in ihrem Raumschiff mit, um ihnen einen Neuanfang zu ermöglichen. Die Menschen auf der Erde bekriegten sich weiterhin und als der Konflikt vorüber war, lebte keiner mehr. Die Oberfläche der Erde war durch die Waffen der Menschen unbewohnbar geworden. Von ehemals über zehn Milliarden Menschen gab es nur noch etwas mehr als eine Million. Es waren diejenigen, die die Atrons in ihrem Raumschiff mitgenommen hatten. Sie flogen zu ihrem Heimatplaneten zurück und gaben den Menschen einen Teil von ihrem Land. Damals waren es einhundert Kolonien und Kristy hatte gehört, dass es mittlerweile schon wesentlich mehr waren. Die Atrons sorgten vorbildlich für die Menschen. Sie bauten für sie die Kolonien auf und sorgten dafür, dass es ihren Gästen an nichts mangelte. Es gab reichlich Nahrung. Überall standen Obstbäume. Es gab große Gemüsegärten. Rund um die Städte befand sich ertragreiches Ackerland. Die Landschaft war wunderschön und fruchtbar. Überall pulsierte es vor Leben. Die menschlichen Siedler nannten ihre neue Heimat den Paradies Planeten. Damit sie ihre Umgebung nicht zerstörten, so wie sie es vormals auf der Erde von den Menschen gesehen hatten, zeigten die Atrons ihnen wie sie effizient erneuerbare Energie produzieren und leben konnten ohne ihre Umgebung dauerhaft zu schädigen. Das fremde Volk wurde von den Menschen verehrt. Oftmals nannten sie die Atrons ihre Retter. Die Mauer dort an der Grenze war nicht das wirkliche Hindernis. Was ihr Land tatsächlich begrenzte war ein Kraftfeld. Die Atrons sagten, es sei dazu da sie vor den wilden Tieren des Planeten zu schützen. Die Menschen waren dafür sehr dankbar. Jedes Land, das ihnen zugeteilt wurde, hatte in etwa die Größe von Island. Es gab mehr als genug Platz und so störte sich niemand daran, dass er ein Land nicht eigenmächtig verlassen durfte. Wer es dennoch wollte konnte mit dem jeweiligen Fürsorger des Landes sprechen. Das war ein Atron, der den Menschen jeglichen Wunsch von den Lippen las. Dazu gehörte auch, jemanden von einer Kolonie in eine andere zu lassen.
Jetzt wo Kristy genauer hinsah, erkannte sie, dass der Atron mit den grünlich schimmernden Schuppen ihr Fürsorger war. Jaw hieß er. Nun kamen die beiden Atrons auf sie zu. Sie durchliefen die Barriere einfach und Kristy vermutete, dass ihre Anzüge ihnen das ermöglichten. Die drei jugendlichen Menschen sahen ihnen gespannt entgegen.
„Guten Morgen. Was für ein wunderschöner Tag und du Kevin kannst dich besonders glücklich schätzen.“
Kristy war immer wieder erstaunt wie Jaw es schaffte den Namen jedes einzelnen Kolonisten zu wissen. Er breitete seine Arme aus wie ein Vater, der seinem Sohn ein besonders großes Geschenk mitgebracht hat.
„Du wurdest auserwählt in die Atlas Kolonie umzuziehen. Sie passt viel besser zu deinen Ansprüchen. Es wird dir dort viel besser gehen.“
Kevin war ganz aus dem Häuschen. Er strahlte breit und Kristy hatte die Befürchtung, dass er dem Fürsorger am liebsten um den Hals gefallen wäre. Es geschah oft, dass jemand aus der Kolonie ausgesucht wurde, um in eine andere zu wechseln. Alle Kolonien waren verschieden und die Atrons, die erklärten sie wüssten genau welche die Beste für die Ansprüche eines bestimmten Menschen waren, wählten dann einige Glückspilze aus, die in eine besser für sie geeignete Kolonie umziehen durften. Kristy fragte sich immer warum jemand das überhaupt mitmachen sollte. Es war wunderschön in diesem Land. Hier war die eigene Familie. Warum sollte sie von hier weg wollen? Kevin hatte ihr dann immer gesagt, dass sie das vermutlich deshalb so sehe, weil sie bereits in der für sie perfekten Kolonie lebte. Trotzdem war Kristy jetzt misstrauisch. Sie hatte als Kind panische Angst vor den Atrons. Das war vorbei gegangen, aber ein tief sitzendes Misstrauen war geblieben. Sie fragt sich warum die Atrons ihnen überhaupt halfen. Normalerweise verlangte jemand doch immer eine Gegenleistung für seine Hilfe. War es nicht so? Aber soweit sie sehen konnte bekam das Volk nichts von seinen Gästen zurück. Sie boten ihnen Nahrung, Medikamente, Sicherheit, Energie und was bekamen sie als Gegenleistung? Nichts. Das erschien Kristy äußerst merkwürdig. Doch wann immer sie am Tisch ihrer Eltern darauf zu sprechen kam, erklärten diese, dass das ungerechtfertigtes Misstrauen sei. Die Atrons waren einfach ein freundliches und hilfsbereites Volk. Sie solle nicht immer alles so negativ sehen.
„Ich schlage vor wir fahren in die Stadt um deine Sachen zu packen und dich von deinen Eltern zu verabschieden.“ erklärte Jaw, die Freundlichkeit in Person.
Bei dem anderen Atron glaubte Kristy, aber einen gierigen Ausdruck im Gesicht zu erkennen, oder bildete sie sich das nur ein? Jaw holte ein Fahrzeug der Atrons heran. Es sah sehr aerodynamisch aus, bot innen aber ausreichend Platz für die Passagiere. Es gab keinen Fahrer. Jaw erklärte dem Computer was ihr Ziel war und das Fahrzeug setzte sich selbstständig in Bewegung. Sie waren sehr schnell. Die Strecke, die Kristy und die Anderen gestern zurückgelegt hatten, schaffte die Maschine in wenigen Minuten. Schon konnten sie die Stadt, eine Ansammlung von gemütlich aussehenden Häusern, in der Ferne sehen. Das Fahrzeug wurde langsamer, als sie das Stadttor erreichten, auf dem die drei Worte standen, deren Säulen das gesellschaftliche Leben in der Kolonie war. Liebe, Sicherheit und Wohlstand.
Sie erreichten Kristys und Kevins Elternhaus. Der Junge war gar nicht zu bremsen. Er sprang aus dem Fahrzeug und rannte wild rufend auf das Haus zu.
„Klar, jetzt kann er rennen.“ dachte sich Kristy schlecht gelaunt.
Sie konnte sich ihre Stimmung selbst nicht erklären. Sollte sie sich nicht für ihren Bruder freuen? War sie etwa neidisch? Oder war da noch etwas Anderes? Misstrauisch musterte sie die Atrons, doch wenn sie etwas im Schilde führten verbargen sie es gut. Schon kamen ihre Eltern aus dem Haus. Es gab viel Aufregung und auch die Nachbarn kamen herbei um Kevin zu beglückwünschen. Kristy und Dalia setzten sich in das frische, grüne Gras, das vor dem Haus wuchs und beobachteten die Szenerie. Dalia war ganz offensichtlich neidisch.
„Warum wurde gerade Kevin ausgewählt? Was hat er, was ich nicht habe?“
Kevin hatte währenddessen flugs eine Tasche mit seinen wichtigsten Sachen zusammengepackt. Für Abschiede blieb leider nie viel Zeit. Er umarmte mit tränennassem Gesicht seine Eltern. Kristy fragte sich, ob es Tränen der Trauer oder der Freude waren. Vermutlich war es beides. Schließlich stand er auch vor ihr und strahlte auf sie herunter.
„Ich werde dich nie vergessen Kristy. Schade, dass wir zwischen den einzelnen Kolonien keine Nachrichten hin und her schicken können.“
Er seufzte.
„Ach was, mach dir nichts draus. Ich bin sicher, dass du schnell Freunde finden wirst.“ versuchte seine Schwester ihn aufzumuntern.
„Ja und vielleicht kommst du ja auch eines Tages nach.“ sagte Kevin, aber sie beide wussten, dass das nicht ernst gemeint war.
Kristy's Platz war hier. Es war die perfekte Kolonie für sie. Kevin drehte sich um, ging auf die Atrons zu und stieg in das Fahrzeug. Seine Mutter hatte zu schluchzen begonnen, während ihr Vater versuchte sie zu beruhigen, indem er ihr die Schulter tätschelte. Irgendwann war die Zeit gekommen, in der die Kinder das Elternhaus verließen, das wussten auch die Eltern. Aber warum ging es so schnell? Kevin winkte ein letztes Mal, dann setzte sich das Gefährt in Bewegung und verließ die Stadt. Kristy spürte ein schmerzhaftes Stechen in ihrem Herzen. Ihr war als hätten die Atrons ihren Bruder gestohlen.


Es war nun fast ein halbes Jahr her, seit Kevin verschwunden war. In der Kolonie ging alles seinen gewohnten Gang. Fast alles. Kristy konnte nicht aufhören an ihren Bruder zu denken. Sie war aufgewachsen mit der Gewissheit, dass das was geschehen war, normal war. Jedes Jahr wurden fast Einhundert aus der Kolonie in eine andere verlegt. Warum gingen ihr dann so viele Gedanken durch den Kopf? Aber es ging nicht anders. Sie konnte sich der Vermutung nicht erwehren, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Wenn so viele gingen, warum kamen dann nur so wenige in ihre Kolonie von woanders dazu? War ihre Kolonie so unpassend für die meisten Menschen, das einfach nur sehr wenige ausgesucht wurden? Kristy hatte das keine Ruhe gelassen. Sie war in der Stadt umhergestromert und hatte Neuankömmlinge nach dem Grund für ihren Umzug befragt. Doch keiner war hierhergekommen, weil die Kolonie passend für sie gewesen wäre. Sie waren der Liebe wegen gekommen. Es kam öfters vor, dass Menschen aus einer Kolonie unter den Menschen, die sie kannten, niemanden fanden mit dem sie eine Familie gründen wollten. Auch hier boten die Atrons Hilfe an. In jedem Rathaus einer Stadt gab es mehrere Computer, die ein Programm beherrschten, dass alle alleinstehenden Personen aus einer Kolonie anzeigte. Kristy fand, dass diese Einrichtung zwar interessant war, aber keine wirkliche Grundlage für eine Beziehung hergeben konnte. Über die Personen waren nur allgemeine Daten wie Geburtsdatum, Wohnort, Größe, Gewicht, Bildungsstand und Beruf bekannt. Es gab noch ein Foto des Menschen, aber es war nicht möglich sich mit demjenigen zu unterhalten. Woher sollte man da wissen ob der Andere überhaupt zu einem passte? Trotzdem gab es einige, die es wagten. Die Atrons regelten die Umsiedlung und boten auch an, jemanden in seine Kolonie zurückzuschicken, sollte die Beziehung nicht funktionieren. Bisher hatte Kristy nie jemanden zurückkommen sehen. Hieß das, alle Beziehungen glückten? Als sie den Datenbestand durchsuchte fiel dem Mädchen auf, dass sie ihren Bruder nirgendwo finden konnte. Sehr merkwürdig. Zwar wurde nur jeder, der Erwachsen war eingestellt und das hieß hier ab vierzehn, aber Kevin hatte dieses Alter doch schon letztes Jahr erreicht. Voller Fragen im Kopf kehrte Kristy nach Hause zurück. Dort traf sie auf ihre ältere Schwester Mathilda. Ohne sich dafür zu schämen konnte Kristy behaupten, dass ihre große Schwester die faulste Person war, die ihr je untergekommen war. Mathilda war stark übergewichtig. Sie liebte es zu kochen und vor allem das Essen dann auch zu genießen. Das hieß allerdings nicht, dass sie nicht auf ihre Weise hübsch gewesen wäre. Wenn sie glücklich war, strahlte ihr Gesicht heller als die Sonne und sie hatte ein herrliches Lachen, das niemand vergaß, der es einmal hörte. Alles in allem wäre Mathilda eine liebenswerte Person, wenn da nicht ihre Faulheit gewesen wäre. Sie schleppte sich gerade die Treppe zu ihrem Zimmer hoch und schnaufte bei jedem Schritt laut. Kristy kam ein Gedanken von einem Menschen, der beschwerlich einen hohen Gipfel erklomm in den Sinn. Endlich hatte Mathilda ihr Ziel erreicht. Sie ließ sich schwerfällig auf ihr Bett fallen, dass unter dem plötzlichen Gewicht mit lautem Knarren protestierte. Mathilda japste nach Luft, als hätte sie Schwerstarbeit hinter sich. Kristy war ihr ins Zimmer gefolgt und setzte sich auf ihren durchgesessenen ledernen Stuhl.
„Hallo Mathilda. Gibt es etwas Neues?“
Ein breites Lächeln erschien auf Mathildas dickwangigem Gesicht.
„Oh ja. Ich hab es vorhin schon Vater und Mutter erzählt. Ich schätze jetzt kannst du es auch wissen. Ich bin schwanger.“
Sie strahlte noch mehr und ein inneres Leuchten kam zum Vorschein. Kristy bekam große Augen.
„Oh.“ machte sie und kam sich gleichzeitig sehr dumm vor. „Herzlichen Glückwunsch.“
In der Kolonie war es das Normalste von der Welt mit achtzehn Jahren ein Kind zu bekommen. Unter Jugendlichen galt, trotz des offiziellen Erwachsenwerdens mit vierzehn, nur der als Erwachsen, wer schon Geschlechtsverkehr hatte. Die meisten Jugendlichen wollten deshalb so schnell wie möglich Sex haben um als Erwachsen zu gelten. Da Verhütungsmittel allerdings verboten waren führte das unausweichlich dazu, dass Schwangerschaften die Regel waren. Zuerst hatten die Menschen gegen dieses Verbot, das die Atrons ausgesprochen hatten, rebelliert, aber das Heimatvolk hatte erklärt, das Verhütungsmittel gegen ihre Religion seien. In ihrem Volk waren Kinder ein großer Segen, denn sie waren nicht so fruchtbar wie Menschen. Das ließ in ihren Augen Verhütungsmittel überflüssig erscheinen. Bei Menschen sah dies allerdings anders aus. Trotzdem erklärten die Atrons, dass wenn sie weiter ihre Gäste bleiben wollten, sie ihre Kultur akzeptieren müssten. Die Menschen fügten sich. Ohnehin war Kinderreichtum, vor allem in den Anfangsjahren, nicht unerwünscht gewesen. Es hatten etwa eine Millionen Menschen überlebt, wenn da ein paar Kinder mehr auf die Welt kamen, konnte das doch nur gut sein. Mittlerweile war es vollkommen normal sieben oder acht Kinder zu haben. Die Atrons boten den Müttern eine schmerzfreie und sichere Geburtshilfe an. Sie besaßen Medikamente, die das ermöglichten. Das Gastgebervolk war was dieses Thema betraf überaus zuvorkommend. Jede Schwangere konnte rund um die Uhr auf die Hilfe von Schwestern und Ärzten zugreifen. Sie mussten nur durch ein Kommunikationsgerät Verbindung aufnehmen und die Atrons waren wegen jedem noch so kleinen Ziepen zur Stelle. Außerdem hatten sie eine Regelung erlassen, die besagte, dass Schwangere, ab dem bekannt werden der Schwangerschaft nicht mehr zu arbeiten brauchten und umsonst verköstigt wurden. Das sei zum Wohle des ungeborenen Kindes. Kristy vermutete, dass die Atrons dies so handhabten, weil es in ihrer Kultur so veranlagt war. Trotzdem fand sie es übertrieben. Mathilda war da anderer Meinung.
„Jetzt muss ich nicht mehr arbeiten.“
Sie grinste schelmisch.
„Ich habe mir sogar schon überlegt, einfach mehrere Kinder zu bekommen. Dann muss ich sehr lange nicht mehr arbeiten. Die Geburt ist ja sowieso schmerzfrei. Also warum nicht?“
Kristy hob eine Augenbraue. Mathilda war mit ihrer Aussage nicht die Einzige. Kristy hatte schon von einigen Frauen gehört, die es ähnlich handhabten. Sie wurden immer wieder schwanger. Manche hatten schon fünfzehn Kinder zur Welt gebracht. Sie sahen es ähnlich wie Mathilda. Wer schwanger war musste nicht arbeiten und warum überhaupt auf Sex verzichten? Die Geburt war ohnehin risikolos und wer das Kind anschließend nicht wollte, konnte es an die Atrons übergeben. Sie hatten eine Stiftung zur Adoption von Menschenbabys gegründet. Sie erklärten, dass viele ihrer Familien trotz intensiven Bemühungen kinderlos blieben und so doch noch zu Babys kamen. Unter den Menschen war dies ein kritischer Punkt und oftmals heiß diskutiert. Wer gab schon freiwillig sein Baby her? Doch abgesehen von schiefen Blicken und verständnislosem Kopfschütteln kam es zu keinen weiteren Reaktionen.
„Du hast so was schon geplant? Bekomme doch erst mal dieses Baby und sieh dann weiter.“ riet Kristy ihrer großen Schwester.
Mathilda lächelte nur wohlwollend.
„Wer ist überhaupt der Vater?“ wollte ihre kleine Schwester nun wissen.
Mathildas Lächeln wurde nun glückselig. Sie kramte ein Bild aus einer ihrer Schubladen des Nachtschränkchens neben ihrem Bett und gab es Kristy. Darauf war ein attraktiver, junger Mann, mit blondem, lockigen Haar und strahlend blauen Augen zu sehen.
„Erik ist der Vater.“
Mathilda seufzte schmachtend.
„Wow.“ entfuhr es Kristy.
Sie konnte Erik wegen seines arroganten Gehabes zwar nicht leiden, aber sie wusste wie sehr ihre Schwester schon immer von ihm geschwärmt hatte. Das sie es nun geschafft hatte ihn zu erobern beeindruckte sie.
„Und … ähm ...“ setzte Kristy an.
Sie gab das Bild zurück und wurde auf einmal puterrot im Gesicht.
„Wie war es denn eigentlich?“
Mit es, meinte Kristy Sex. Sie selbst war noch Jungfrau. Obwohl sie sich sehr für dieses Thema interessierte fand sie, dass es noch etwas zu früh dafür war. Vor allem wenn sie daran dachte dann ein Kind zu bekommen. In der nächsten Stunde schilderte Mathilda ihrer kleinen Schwester ganz genau wie das mit dem Sex nun eigentlich war. Kristy fand, dass es, so wie es sich anhörte, das Schönste von der Welt sein musste. Kurz bedauerte sie die Erfahrung selbst noch nicht gemacht zu haben, sagte sich dann aber, das es früher oder später schon noch dazu kommen würde.


Später stand sie an der Umzäunung ihrer Nutztiere. Die Menschen hielten sich Uretnoks, etwas das aussah wie eine Kreuzung zwischen Rind und Schwein. Die Tiere lebten überall in den Kolonien und die Menschen hatten angefangen sie zu züchten. Sie gaben Milch und Fleisch. Kristy's Vater besaß die meisten Tiere in dieser Kolonie. Sie vermehrten sich prächtig und es wurde immer dafür gesorgt, dass sie genügend Futter zur Verfügung hatten. Dieser Aufgabe nahm sich Kristy gerade an. Sie stand in dem Gehege und schüttete eimerweise Futter in die dafür vorgesehenen Tröge. Laut röhrend kam die Herde herangestürmt und das Mädchen musste rasch beiseite treten um nicht von den Tieren umgerannt zu werden. Gierig schlangen sie alles in sich hinein. Wenn einer das Gefühl hatte zu wenig zu bekommen schrie er lautstark und schubste seinen Nachbarn weg um mehr Futter zu ergattern.
Am Zaun erschien ihr Vater, aber er war nicht allein. Er hatte einen weiteren Mann mitgebracht. Es war ihr Nachbar. Sein ältester Sohn wurde gerade vierzehn und das sollte mit einem Uretnoksbraten gebührend gefeiert werden.
„Das da soll es sein.“ erklärte er und zeigte auf besagtes Tier.
Kristy wurde auf einmal eiskalt und sie bekam eine Gänsehaut. Irgendwo hatte sie das doch schon einmal gesehen.
„Natürlich du Dummkopf. Hier kommen öfters Leute vorbei, die sich Tiere aussuchen.“ schalt ein Teil ihrer selbst sie.
Ein anderer Teil, der Skeptische, versuchte sich weiter zu erinnern und sie fand die Erinnerung.
Der Tag an dem ihr Bruder ging.
Sie drei standen an dem Bärenstrauch, als sie die Atnoks sahen, die sich unterhielten und einer zeigte auf ihren Bruder. Die unangenehme Wahrheit brach über Kristy herein wie eine Flutwelle. Trauer, Wut, Verzweiflung und Abscheu ließen jeden Gedanken in ihr verstummen. Sie ließ den Eimer fallen und rannte hinter die Büsche um sich zu erbrechen. Sie wusste jetzt, dass ihr Bruder nicht in einer anderen Kolonie war. Er war gar nicht mehr am Leben. Die Atnoks sahen sie nicht als Verbündete an. Sie waren keine Retter. Für sie waren die Menschen nichts anderes als die Uretnoks für sie. Vieh. Nahrung. Aufziehen, päppeln, schlachten.
Kristy würgte bis sie Galle schmeckte. Sie sagte sich immer wieder, dass es nicht wahr sein konnte, aber im Innersten wusste sie es besser und wenn sie so recht darüber nachdachte hatte sie es unterbewusst vermutlich schon immer geahnt. Warum lieferten die Atnoks ihnen alles was sie wollten? Warum gab es hier Nahrung im Überfluss? Warum waren Verhütungsmittel verboten? Der Grund war der, dass sie sich so gut wie möglich vermehren sollten. Je mehr Menschen umso mehr Essen würde es auch geben.
Kristy überlegte lange hin und her, doch schließlich rang sie sich durch das Thema am Abend anzusprechen. Ihre Familie war entsetzt, doch nicht weil sie die Wahrheit sahen, sondern darüber wie ihre Tochter so etwas sagen konnte. Die Atnoks hatten ihnen doch immer geholfen. Sie gaben ihnen das Paradies. Ihr Vater vermutete sie sei verrückt geworden und vereinbarte sofort einen Termin beim Doktor, der natürlich ein Atnok war. Dem wollte Kristy natürlich nichts sagen, doch ihr Vater erzählte ihm alles und der Arzt sah sie verwundert an. Er vollzog einige Gehirnscans, von denen Kristy überzeugt war, dass es nur Maskerade war und schickte sie dann nach Hause.


Zwei Tage später saß sie auf einem umgefallenen Baum am klar fließenden Bach hinter dem Haus ihrer Eltern und dachte darüber nach was sie nun mit ihren Vermutungen anfangen sollte. Aus der Stadt glaubte ihr niemand. Sie hielten sie für verrückt. Doch der nächste Augenblick bewies, dass sie damit nicht ganz recht hatte. Matt, der ihr im Austausch gegen ihr Fahrrad gesagt hatte wo sie den Strauch mit den leckeren Beeren finden konnte, gesellte sich zu ihr. Er war ein kleiner, schmaler Junge, nur einige Jahre älter als sie. Ohne Umschweife begann er zu erzählen.
„Ich weiß, alle sagen du wärst verrückt, aber ich glaube dir.“
Kristy sah ihm skeptisch in die grünen Augen. Der Junge warf seine langen braunen Haare mit einem Schlenker zurück und fuhr fort: „Mein Vater hat das Gleiche herausgefunden wie du. Für die Atnoks sind wir Nahrung. Eine Delikatesse, die es wert ist aufwändig gezüchtet zu werden. Er hat versucht es allen zu sagen, aber er wurde für verrückt erklärt. Genau wie du.“
Matt brach ab. Seine Stimme war belegt und traurig.
„Kurze Zeit später haben sie ihn geholt.“
Kristy sah ihn schockiert an.
„Heißt das … ?“
Der Junge nickte.
„Ja. Sie werden dich auch bald holen, aber ich habe da etwas parat. Für den Notfall.“
Er streckte ihr ein kleines Fläschchen mit kristallklarer Flüssigkeit entgegen.
„Was ist das?“ wollte das Mädchen wissen.
„Ein Gegenmittel falls sie dich betäuben. Ich hoffe du wirst es nicht brauchen, aber ...“
Er brach ab. Mit zittrigen Fingern nahm Kristy das Geschenk an.
„Komm mit! Ich kann dir zeigen was mein Vater sonst noch deswegen aufgeschrieben hat.“ erklärte Matt.
Kristy hörte ihn kaum. Ihr war übel. Der Schock, dass sie vielleicht schon bald in die Finger der Atnoks kam saß noch zu tief.
„Nun komm schon!“ drängte Matt.
Sie gingen auf dem schnellsten Weg zur Stadt zurück. Die beiden Jugendlichen wollten gerade hinter einer Baumgruppe hervortreten, da hielt Matt Kristy zurück.
„Halt!“
Er wies auf die Stadt.
„Da sind Atnoks. So viele habe ich zuletzt gesehen, als sie meinen Vater mitgenommen haben.“
Er sah Kristy ängstlich an und sie wusste was das zu bedeuten hatte. Sie wurden bereits gejagt. Entsetzt drehten sich die Beiden um und rannten so schnell sie konnten weg. Zuerst ziellos, dann übernahm Matt die Führung. Kristy wusste nicht warum sie ihm einfach so ihr Schicksal in die Hand gab. Vielleicht weil sie im Unterbewusstsein dachte, dass er sich besser als jeder andere im Land auskannte. Sie hätte, geschockt wie sie war, vermutlich keine vernünftige Entscheidung getroffen. Matt schlug die Richtung zu einigen Bergen ein.
„Wenn wir dort eine Höhle erreichen sind wir erst einmal in Sicherheit. Ihre Sensoren können uns durch das dicke Gestein hindurch nicht orten.“
„Aber was dann?“ fragte Kristy verzweifelt. „Wir können ja nicht bis zum Ende aller Tage in den Höhlen bleiben.“
Matt drehte sich plötzlich zu ihr herum. Sie wäre fast mit ihm zusammengeprallt. Als sie ihm ins Gesicht sah, bemerkte sie, dass er genauso aufgewühlt und verängstigt war wie sie selbst.
„Sehe ich so aus, als hätte ich das schon öfters durch?“ fuhr der Junge sie an.
Seine Weggefährtin zuckte überrascht zusammen und wich ein paar Schritte zurück. Matt sah so aus, als hätte er sich soeben über sich selbst erschrocken.
„Es tut mir Leid. Ich bin nur durcheinander. Eben war noch alles in Ordnung und plötzlich klopft der Tod an die Tür.“ sagte er ohne sie anzusehen.
Kristy nickte. Sie wusste was er meinte. Einvernehmlich setzten sie ihren Weg fort. Als sie gerade über eine Wiese gingen, hörten sie ein näher kommendes pfeifendes Geräusch. Einen kurzen Moment sahen sich Matt und Kristy an. Jegliche Farbe wich aus ihren Gesichtern. Das waren die Fahrzeuge der Atnoks. Obwohl sie wussten wie ausweglos ihre Situation war, versuchten sie zu flüchten. Sie hetzten durch ein kleines Laubwäldchen in der Hoffnung dort sicher zu sein. Es war ein schreckliches Gefühl gejagt zu werden.
„Schnell! Nimm das Gegenmittel!“ rief Matt Kristy zu.
In all der Aufregung hatte das Mädchen die Flasche fast vergessen. Jetzt entkorkte sie das Gefäß und kippte das Gebräu mit einem Mal hinunter. Es schmeckte widerlich, am liebsten hätte sie es wieder hervorgewürgt, aber sie konnte sich noch daran hindern. Als sie zu ihrem neuen Freund sah, erkannte sie, dass er ein eigenes Fläschchen leerte. Jetzt lauschten sie auf ihre Verfolger. Es war nichts weiter zu hören außer dem leichten rauschen der Blätter im Wind.
„Vielleicht sind sie einfach vorbeigefahren.“ erklärte Matt, aber sie beide wussten, dass er sich an Strohhalme klammerte.
„Es hilft ja nichts. Wir müssen nachsehen was los ist.“ sagte Kristy und ihr eigener Mut erstaunte sie.
Hinter jedem Gebüsch Deckung suchend schlich sie an den Rand des Waldstücks. Es schien alles in Ordnung zu sein. Sie ging noch einen vorsichtigen Schritt weiter und die Falle schnappte zu. Sie hatten nur auf sie gewartet. Ein lauter Knall ertönte. Kristy fühlte einen stechenden Schmerz in der Brust. Noch bevor sie auf dem Boden aufschlug verlor sie das Bewusstsein.


Tiefer, dumpf pochender Schmerz jagte durch ihren Kopf, als sie allmählich wieder zu sich kam. Einfach alles in ihrem Körper schmerzte und es war kalt. Sie wollte die Augen aufschlagen, aber ihre Lieder fühlten sich so schwer an. Nur noch ein bisschen liegen bleiben. Als sie jedoch langsam und allmählich wieder denken konnte und sich an die letzten schrecklichen Geschehnisse erinnerte fuhr sie jäh hoch. Wie ein verschrecktes Reh sah sie sich um und die aufgenommenen Eindrücke erschlugen sie fast. Sie lag nackt in einem kleinen Käfig, deren Gitterstäbe kalt und glatt an ihrem rechten Arm drückten. Laute Geräusche drangen von der anderen Seite zu ihr her. Ein Schaben und Klopfen, zischen und kratzen und jemand rief ihren Namen.
„Kristy.“
Ihr Kopf fuhr herum.
Matt hockte nackt in dem Käfig neben ihr. Also hatten sie ihn auch noch erwischt. Ein dicker Klos hatte sich in ihrem Hals gebildet und Tränen der Verzweiflung rannen ihr über das Gesicht. Sie hatte sich in ihrem Leben noch nie so schrecklich gefühlt wie jetzt. Gedemütigt, gefangen, hilflos und hoffnungslos. Es würde kein Entkommen geben. Bald würde sie sterben und die Atrons würden sie essen.
„Ich versuche schon seit Minuten dich wach zu bekommen.“ flüsterte Matt.
„Was ist passiert? Du sagtest doch, das war ein Gegenmittel. Warum sind wir trotzdem betäubt wurden?“ fragte das Mädchen mit erstickter Stimme.
Matt biss sich verlegen auf die Unterlippe.
„Es hat nicht so funktioniert wie ich gehofft hatte. Wie es aussieht hat es nur die Dauer verkürzt in der das Betäubungsmittel wirkt.“
„Was sollen wir denn jetzt unternehmen?“ fragte Kristy.
Ein Teil von ihr hoffte, dass ihr Freund einen Fluchtplan hatte. Egal wie der aussah. Hauptsache irgendetwas das einen Ausweg versprach, doch Matts hoffnungsloser, trauriger Blick war Antwort genug. Das Mädchen sah sich um. Überall um sie herum standen weitere Käfige mit schlafenden Menschen. Auch sie trugen keine Kleidung, aber sie waren alle nicht bei Bewusstsein. Vermutlich waren sie in dem Glauben in eine neue, bessere Kolonie zu kommen. In Wahrheit warteten sie auf die Schlachtbank. Kristy schluckte mühsam. Ihr Herz raste, als wenn es noch alle Schläge bis zu einem natürlichen Tod aufbrauchen wollte. Sie hatte Angst vor dem Tod. Wäre es das Ende? Oder würde etwas danach kommen? Manche Menschen sagten ja, es gäbe ein Leben nach dem Tod. Zu gerne würde Kristy ihnen glauben, aber etwas in ihr hinderte sie daran, ließ diesen letzten Hoffnungsschimmer am sturmgepeitschten Himmel nicht zu ihr durch.
Ein lautes Zischen und Scharren riss sie aus ihren Gedanken. Sie blickte auf und erkannte einen Atron mit rotbraunen Schuppen auf einer Erhöhung stehen. Er zischte laut und obwohl sie der Sprache dieses Volkes nicht mächtig war erkannte sie doch, das er raste vor Wut. Er zeigte mit einem krallenbewehrten Finger auf sie. Die Atrons hatten bemerkt, dass sie wach waren. Zwei von ihnen sprangen von Käfig zu Käfig und standen plötzlich vor ihnen. Sie trugen, wie alle Atrons die sie bisher gesehen hatte, die metallenen Anzüge, aber dazu hatten sie noch einen Luft undurchlässigen Helm auf dem Kopf. Mit groben Fingern griff der Atron vor Kristy durch die Gitterstäbe nach ihr. Sie versuchte sich zu wehren, aber er war viel stärker als sie. Er drückte ihr eine Maske ans Gesicht und aktivierte sie, so dass Betäubungsgas ausströmte. Kristy hielt die Luft an. Niemals wollte sie dieses Gas einatmen, aber sie wusste, dass sie irgendwann Luft holen musste. Ihr Herz hämmerte wild und Tränen verschleierten ihren Blick. Plötzlich fragte sie sich, ob ihre Tiere sich auch so fühlten kurz bevor sie geschlachtet wurden. Die Atrons handelten im Prinzip nicht anders als die Menschen auch. Plötzlich hasste sie sich selbst, weil sie ihren Tieren dies antaten, denn nun wusste sie wie es sich anfühlte. Zorn funkelnd sah sie dem Atron vor ihr in die Augen. Er blickte unbeteiligt zurück, wartete nur darauf, dass sie Luft holen musste und die Angelegenheit damit erledigt sein würde. Kristy konnte kurz ihre Tränen weg blinzeln und sie schaffte es einen Blick auf Matt zu werfen. Er war bereits bewusstlos. Schon schrie ihre Lunge nach Luft. Kristy schluckte leer, um sich vom Atmen abzuhalten, aber lange hielt dies nicht vor. Der Atemzug kam unausweichlich. Ihre Lungen füllten sich mit dem Gas. Es ließ sie noch schneller als beim letzten Mal einschlafen und dieses mal würde sie nicht wieder aufwachen.

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Tag der Veröffentlichung: 20.10.2012

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