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01
Stell dir eine Welt vor auf der es keine Menschen gäbe. Auf der Drachen leben würden. Eine Welt wie du sie nie gesehen hast. Wenn du dir diesen Planeten vorstellst, dann vergleiche ihn mit einem Apfel, nur rund wie ein Ball. Dort wo bei dem Apfel der Stiel hervorschaut, gäbe es auf dieser Welt einen riesigen Krater, aus dessen Mitte sich ein einzelner Felsen, wie ein dürrer Finger in den schier unendlichen Himmel erheben würde. Dieser Krater war einst der Versammlungsort aller Drachen, aber er wurde schon lange nicht mehr benutzt. Dazu hatten sich die Drachen zu sehr zerstritten. Sie wurden so wie die Teile der Welt, die sie bewohnten. Wenn der alte Versammlungsort der Stiel des Apfels wäre, so stell dir jetzt vor du würdest den Apfel in sechs gleich große Stücke zerschneiden. Das waren die grundverschiedenen Teile der Drachenwelt.
Da gab es zum einen das Land des Meeres, das einzig und allein aus Wasser bestand. Erde gab es nur an der Küste zum Versammlungsort und auf dem Meeresboden. Hier lebten die Meerdrachen, die Gegner mit einem Strahl aus Wasser angriffen.
Westlich des Landes des Wassers lag das andere Extrem, das Land des Feuers. Es war geprägt von Vulkanen und Lavaströmen. Die Luft war stickig und heiß und der Himmel immer mit den giftigen Aschewolken bedeckt, die die Vulkane in den Himmel spuckten. Hier lebten die Feuerdrachen und ihr Element war auch ihre Waffe.
Neben dem Land des Feuers lag der große Sumpf. Dieses Land war ein einziges Moorloch. Die spärliche Vegetation musste ständig gegen die Vermoderung ankämpfen. Nebel war hier die häufigste Witterung. Der Sumpf war der Lebensraum der Giftdrachen. Sie spuckten Gift auf ihre Feinde, das sie bei Kontakt schwächte. Sie versuchten ihre Feinde zu beißen, da das Gift in ihren Zähnen meist zum Tod führte.
Der große Wald lag neben dem Sumpf und war der Teil der Drachenwelt, der am dichtesten vom Leben besiedelt war. Es gab kleine Hügel, klare Flüsse und Seen, doch das vorherrschende Bild waren Bäume aller Art, größer als sonst auf der Drachenwelt. Säuredrachen hatten im großen Wald ihre Heimat gefunden. Sie besprühten ihre Feinde mit einer ätzenden Flüssigkeit, die sie tötete, zersetzte und schließlich der wartenden Erde einverleibte, die die Pflanzen des Landes nährte.
Gleich neben dem großen Wald erhob sich ein riesiges Gebirge, die Donnerberge. In ihnen tobte ein ständiges Gewitter. Die Donnerdrachen konnten diese elektrischen Entladungen nutzen, indem sie sie aufnahmen, in ihren Körpern speicherten und bei Bedarf auf ihre Feinde losließen.
Und schließlich gab es noch das Land des Eises mit seinen riesigen Bergen, die immer mit Schnee und Eis bedeckt waren. Zwischen ihnen lagen kleine Täler, mit schneebedeckten Ebenen, Wäldern und schmalen Flüssen, die in der Sonne funkelten wie Saphire. Hier lebten die Eisdrachen, stolze Geschöpfe, deren Schönheit es vermochte die Sonne zu blenden. Ihre Waffe war ihr Eisatem, der ihre Gegner zu einer Frostsäule erstarren ließ.
Einer von ihnen war gerade auf der Jagd. Sein Name war Frostklaue und eigentlich sah er aus wie alle anderen Eisdrachen. Wie die anderen seiner Art lief er auf den Hinterbeinen. Sein ganzer Körper war mit harten Schuppen bedeckt, die noch einmal durch eine zusätzliche Schicht aus Eis geschützt waren. Stacheln ragten wie Eiszapfen aus seinem Kiefer und seinem Kinn und verliefen schnurgerade entlang seines Rückgrats, wobei die Schwanzspitze, mit vier besonders langen Stacheln als zusätzliche Waffe diente. Die Augen des Drachen schimmerten wie ein See aus Kristall. Seine Schuppen waren weiß, doch wenn die Sonne auf sie fiel, funkelten sie in einem eisblauen Ton.
Der Grund weshalb er hier war, war simpel. Er hatte Hunger. Das Ziel der Begierde war eine Herde von Huftieren. Sie reichten ihm gerade mal bis ans Knie und sahen aus wie zottelige Wollhaufen. Lange und kräftige Hörner krönten ihre Köpfe. Das war ihre einzige Verteidigungswaffe. Recht praktisch gegen die meisten Raubtiere, die in diesem frostigen Land umher streiften, doch vollkommen unnütz gegen einen Drachen. Die harten Schuppen der Eisrachen konnten nicht von den Hörnern der Tiere durchdrungen werden. Das Fell der Huftiere war lang und zottelig um sie vor der beißenden Kälte zu schützen. Es reichte ihnen bis zu den Füßen, die in zwei hufartigen Zehen ausliefen. Die Herde hatte sich den Rand des Waldes als geeigneten Fleck zum grasen ausgesucht. Sie fraßen das kümmerliche Gras, indem sie die dicke Schneeschicht mit ihren Füßen wegtraten oder zogen den Bäumen die Rinde von den Stämmen. Doch so geeignet war dieser Platz nicht, wie es auf den ersten Blick aussah. Frostklaue hatte sich im Wald versteckt. Er lauerte den Tieren auf und wollte sie aus dem Hinterhalt angreifen. Derartiges Versteckspiel hätte er sicher nicht nötig gehabt, denn es hätte gereicht, aus dem Himmel herab zuschießen, eines der Tiere zu packen und wieder zu verschwinden, aber Frostklaue mochte es seine Beute zu beobachten.
Es war eine Art Spiel, bei dem er eigentlich nur gewinnen konnte. Es sei denn jemand verdarb ihm den ganzen Spaß indem er sich dasselbe Ziel wie er ausgesucht hatte und alle aufscheuchte. Dann müsste er die Herde erst wieder in den dichten Wäldern suchen und das war überhaupt nicht lustig. Daher suchte Frostklaue wachsam die Umgebung nach Artgenossen ab.
Er befand sich in einem kleinen Tal, das zwischen drei riesigen Bergen lag. In dem mittleren der drei befand sich Frostklaue's Höhle. An den Füßen der Berge lagen dichte Wälder, die vorrangig aus Nadelbäumen bestanden. In der Mitte des Tals war die Ebene auf der seine Beute graste.
Nachdem Frostklaue sicher war, dass niemand ihn jetzt noch stören konnte, wandte er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Beute zu. Die Wolltiere standen dicht aneinandergedrängt zusammen um sich gegenseitig zu wärmen. Ihr Atem stieg in dampfenden Wolken auf. Das fand Frostklaue immer wieder faszinierend. Sein Atem tat dies nie, da er sehr viel kälter war als seine Umgebung.
Jetzt war der passende Zeitpunkt gekommen. Er spannte seine Muskeln an und legte seine Flügel fest an seinen Körper, damit sie ihn nicht behinderten, während er sich einen Weg zwischen den Bäumen hindurch suchte. Tatsächlich war es für ihn wegen seiner Größe nicht einfach durch den Wald zu gehen. Vorsichtig schlich er los. Er verlagerte sein Gewicht auf die Oberschenkel um möglichst leise auftreten zu können. Er war seiner Beute jetzt schon sehr nah. Mit der Hüfte streifte er aus versehen eine Tanne.
'Nein.' dachte er noch erschrocken, aber es war zu spät. Die Tanne schaukelte leicht hin und her, was die Vögel, die sich auf ihr niedergelassen hatten überhaupt nicht mochten und deshalb aufflogen. Das warnte die Wolltierherde. Ein Tier muhte einen Warnruf und schon rannte die Herde los.
"Verdammt." zischte Frostklaue.
Das war es mit dem Versteck spielen. Er spurtete los und mähte eine Tanne vor sich nieder, die einfach nicht ausweichen wollte.
'Ihr Pech.' sagte sich Frostklaue und setzte seinen Spurt ungehindert fort. Er war ein guter Läufer. Seine Beute kam rasend schnell näher. Adrenalin schoss durch Frostklaues Körper und ließ ihn noch schneller werden. Er liebte das, daher machte er sich die ganze Mühe. Hätte er es sich einfach gemacht, wäre es nicht annähernd so spannend für ihn gewesen.
Das letzte Tier der Herde brüllte voller Angst und Panik, wusste es doch welches Schicksal ihm gleich bevorstand. Frostklaue schnappte mit dem Maul nach ihm und es gab kein Entkommen mehr. Ein letzter qualvoller Laut und das Leben des Wolltieres war beendet. Doch damit gab sich Frostklaue nicht zufrieden. Er ließ die Beute liegen und schnappte sich noch ein zweites Tier, das genauso starb wie das erste. Dann hielt er an und ließ den Rest der Herde entkommen. Mehr brauchte er nicht und wenn er alles tötete was sich bewegte, hatte er irgendwann kein Futter mehr.
Er hielt eines der Tiere mit den Krallen fest und zertrennte den Körper dann mit seinem starken Kiefer in zwei Hälften. So war es viel bequemer zu fressen. Er schlang erst die eine Hälfte der Beute hinunter und dann die andere. Genussvoll leckte er sich das letzte Blut von seinem Maul und wandte sich dann seiner zweiten Beute zu. Er nahm sie mit den Klauen auf und flog damit in den Himmel.
Er liebte das Fliegen. Der Wind strich zärtlich über seine Schuppen und seine Flügel trugen ihn wohin auch immer er wollte.
Der Flug war kurz, denn bald erreichte er seine Höhle. Er hatte sie vor vielen Jahren in den Berg geschlagen und seither war sie immer schöner geworden. Große Eiszapfen hingen von der Decke, die das Licht, das vom Höhleneingang hereinfiel, in den Farben des Regenbogens brach und an die Wände warf.
Zufrieden sah sich Frostklaue in seiner Behausung um. Alles war so wie er es zurückgelassen hatte. Er riss noch ein paar kleinere Fleischbrocken aus seiner Beute, dann ließ er die Kälte in seinem Körper aufsteigen und fror sein Futter ein. Derartig konserviert hielt sich seine Nahrung praktisch bis in alle Ewigkeit. Er packte das Tier in eine Ecke und legte sich dann nieder um satt und zufrieden einzuschlafen.


02
Als Frostklaue aufwachte wusste er zuerst nicht was ihn geweckt hatte. Dann hörte er das Rauschen großer Flügel. Jemand näherte sich seiner Höhle. Ein tiefes Grollen wand sich Frostklaues Kehle empor. Wollte ihm da jemand sein Territorium abspenstig machen? Er spannte seine Muskeln an und machte sich für einen Kampf bereit. Prüfend sog er die Luft mit den Nüstern ein. Ein bekannter Geruch stieg ihm in die Nase. Ein anderer Eisdrache landete gerade an der Höhlenöffnung. Es war Eiszahn. Er bewohnte das benachbarte Territorium zusammen mit seiner Gefährtin Frostschimmer.
"Hab ich dich geweckt?" fragte Eiszahn.
"Ja." schnaubte Frostklaue.
Er reckte sich und spannte kurz seine Flügel um seine Muskulatur zu lockern, doch trotzdem blieb er leicht angespannt. Eiszahn kam öfters bei ihm vorbei um ihn zu besuchen, öfter als Frostklaue lieb war. Frostklaue empfand die Besuche als nervig. Die beiden Drachen verstanden sich nicht besonders gut und manchmal hatte Frostklaue das Gefühl Eiszahn käme nur vorbei um Streit anzufangen.
"Was ist los?" fragte Frostklaue gereizt.
Eiszahn betrat seine Höhle ohne um Erlaubnis zu bitten. Er sah sich kurz um.
"Nett hier, du könntest mal wieder aufräumen, diese Knochen hier sehen nicht besonders gemütlich aus."
Frostklaue schnaubte verächtlich eine Wolke feiner Eiskristalle aus.
"Ich bin gekommen weil ich dich warnen wollte. In letzter Zeit wagen sich immer mehr Donnerdrachen in das Land des Eises."
Seine Augen funkelten. Eiszahn war nicht gerade für seine Freundlichkeit anderen Drachenarten gegenüber bekannt. Tatsächlich war es bei den Drachenarten so, dass jede Art für sich blieb. Freundlicher Kontakt zu Angehörigen anderer Drachenarten war verboten und wurde nicht gern gesehen. Vorurteile und Streit erzeugten Zwietracht und generell misstrauten sich die einzelnen Rassen gegenseitig.
Sie waren so ... anders.
Frostklaue sah dies nicht so. Er meinte, dass es auf den Drachen und nicht auf die Rasse ankam. Er hatte ein Geheimnis und seine größte Furcht war, dass jemand es erfuhr, besonders jemand wie Eiszahn, der gegen alles und jeden war was kein Eisdrache war.
"Donnerdrachen im Land des Eises?" fragte Frostklaue skeptisch.
"Ja. Erst heute haben Frostschimmer und ich einen aus unserem Territorium vertrieben. Er war so dreist in unserem Revier zu jagen. Wir haben sofort angegriffen und ihm eine Lektion erteilt. So schnell kommt der nicht zurück. Frostschimmer hat es ihm ordentlich gegeben."
Frostschimmer war eine Kämpfernatur. Sie liebte es anderen ihre Kraft und ihr Geschick im Kampf zu demonstrieren. Noch mehr als Eiszahn achtete sie akribisch darauf, das niemand ihr das Revier streitig machte. Selbst Eisdrachen auf Besuch attackierte sie und verwehrte ihnen jeglichen Zutritt zu ihrem Territorium. In der Beziehung zu Eiszahn war sie ganz klar die Dominante. Frostklaue überlegte ob Eiszahn vielleicht deshalb so oft zu Besuch kam.
"Warum sollten die Donnerdrachen in das Land des Eises eindringen?" fragte er.
Eiszahn kratzte sich mit seiner rechten Mittelkralle das Kinn.
"Frostschimmer und ich glauben, dass es in den Donnerbergen nicht mehr genug Futter gibt und sie deshalb immer weiter in unser Land eindringen."
"Ich glaube nicht, dass es ein paar Wolltiere wert sind dafür Blut zu vergießen."
Eiszahn brüllte so laut, dass die Eiszapfen der Höhle klirrten.
"Du kannst sie ja in deinem Revier jagen lassen. Tatsache ist aber, dass wenn man ihnen einen Zweig lässt, sie bald den ganzen Baum haben wollen. Wenn wir alle so denken würden wie du, würden wir sehr bald verhungern. Ich sage: Jagen wir sie von unserem Land. Sie haben die Donnerberge. Sie müssen mit dem zurechtkommen was sie haben." schnappte Eiszahn.
Damit wirbelte er herum und stapfte zum Ausgang der Höhle. Dort breitete er seine Flügel aus und machte sich auf den Weg nach Hause. Frostklaue schüttelte den Kopf. Natürlich wollte auch er nicht verhungern und er wollte sein Territorium auf jeden Fall behalten, aber er war der Meinung, dass es besser wäre sich gegenseitig zu helfen, statt sich zu bekämpfen. Schließlich konnten auch die Eisdrachen mal in eine brenzlige Situation geraten und dann war es gut wenn jemand da war, der noch eine alte Schuld abzutragen hatte.
Mit dem Maul brach er einige Eiszapfen von der Decke und saugte das Wasser aus ihnen heraus. Er spähte aus seiner Höhle um sicherzugehen das Eiszahn weg war. Er war das Letzte was er jetzt brauchte. Nicht jetzt wo es um sein Geheimnis ging. Frostklaue erhob sich in die Luft und flog nach Osten, in die entgegengesetzte Richtung von Eiszahn's und Frostschimmer's Revier, um es nicht durchqueren zu müssen. Er wollte es umfliegen und dann nach Westen fliegen. Frostklaue fand, dass der Umweg die Mühe wert war, wenn er an die aggressive Frostschimmer dachte.
Sein eigenes Revier hatte eine recht beachtliche Größe und es lebten so viele Tiere hier, das er noch nie hungern musste. Ein derart attraktives Territorium zog andere Drachen wie magisch an. Die meisten waren junge Eisdrachen, die gerade die Höhle ihrer Eltern verlassen hatten und jetzt allein zurechtkommen mussten. Die waren leicht zu vertreiben, da es ihnen meist noch an Kraft und Erfahrung fehlte. Manchmal waren es aber auch ältere Drachen, die ihr eigenes Territorium durch einen jüngeren und stärkeren Kontrahenten verloren hatten. Sie waren gefährlich. War ihnen Frostklaue doch meist an Kraft überlegen, nutzten sie ihre reichliche Kampferfahrung. Doch bis jetzt hatte er sie noch alle fernhalten können. Er wusste das seine Überlebenschancen deutlich sanken, wenn er kein eigenes Territorium hatte. Manchmal teilten sich auch mehrere Drachen ein Revier. Das erhöhte zwar den Schutz des Gebietes, aber der Nachteil war, dass die Beute geteilt werden musste.
Frostklaue flog schnell. Die Berge glitten unter seinen Flügeln dahin und er kam zum Rand seines Territoriums. Er hielt an und sah sich nach einem geeigneten Landeplatz um. Er fand einen hohen dünnen Felsen, der wie ein Baumstamm aus dem Gebirge ragte. Als er sich auf ihm niederließ, erbebte der Fels unter seinem Gewicht. Frostklaue sah sich um. Weit und breit kein anderer Drache. Um an sein Ziel zu gelangen musste er das Revier eines anderen Drachen durchqueren. Der würde ihn zweifellos als Eindringling vertreiben wollen.


03
Frostklaue erhob sich von seiner Aussichtsplattform in den Himmel. Er wollte es unbedingt vermeiden vom Inhaber des Territoriums gesehen zu werden. Es blieben ihm zwei Möglichkeiten. Entweder er flog so hoch, dass er über der Wolkendecke flog und so von unten nicht zu sehen war oder er flog sehr tief, so tief, dass ihn die Berge vor neugierigen Blicken schützen würden. Letztere Möglichkeit war riskanter aber weniger anstrengend, da er von den Aufwinden, die vor den Bergen hochstiegen profitieren konnte. Dennoch entschied sich Frostklaue für die erste Möglichkeit. Es war zwar viel anstrengender so weit oben zu fliegen, doch es war äußerst unwahrscheinlich, dass ihn dort jemand entdeckte.
So schlug Frostklaue energisch mit den Flügeln und flog in einem steilen Winkel nach oben. Der weiße Dunst, der wie Watte aussah, kam immer näher bis Frostklaue ihn durchstieß und sich plötzlich in einer völlig anderen Umgebung wiederfand. Von den verschneiten Bergen war nichts mehr zu sehen. Alles bestand nur noch aus weißem Flaum, der wie ein weißes Meer dahin wogte. Die Luft hier oben war sehr dünn. Es reichte zum fliegen, aber Frostklaue wollte extreme Manöver lieber nicht in Betracht ziehen. Hier oben hatte er keinen Orientierungspunkt. Doch er flog diese Strecke nicht zum ersten Mal und wusste wie lange er ungefähr fliegen musste um das fremde Territorium zu durchqueren.
Irgendwann hatte Frostklaue aber doch jegliches Zeitgefühl verloren. Um zu sehen wie weit er gekommen war, musste er die sichere Wolkenschicht verlassen. Es war so als würde er durch die Wasseroberfläche tauchen, als er mit dem Kopf voran durch die Wolkendecke stieß. Unten sah er, dass er gerade die letzten Ausläufer der Berge passiert hatte. Er hatte es geschafft. Er hatte das fremde Revier durchquert ohne gesehen zu werden. Frostklaue seufzte erleichtert. Das Gebiet, das jetzt noch vor ihm lag, gehörte zur Grenze und hatte keinen Besitzer. Frostklaue konnte jetzt wieder tiefer fliegen und seine Kräfte schonen.
Die letzten Hügel flachten ab und machten einer scheinbar endlosen Ebene aus Schnee Platz, in der es offenbar überhaupt nichts gab.
Frostklaue gähnte. Er war jetzt schon mehrere Stunden unterwegs und ihm wurde es langsam langweilig. Endlich wich die schneebedeckte Ebene dem Packeis, das die Grenze zum Land des Meeres bildete. Frostklaue flog schneller. Er war jetzt nicht mehr weit von seinem Ziel entfernt. Die ersten Eisberge und Eisschollen kamen in Sicht. Wachsam suchte der Eisdrache die Umgebung ab. Er setzte schließlich zur Landung auf der letzten Eisscholle an, die er sehen konnte. Er streckte die Beine aus, um den Stoß des Aufpralls abzufangen. Der Drache schlug ein letztes mal schwach mit den Flügeln, um die Muskulatur zu lockern, dann faltete er sie zusammen. Ein tiefer Seufzer entrann sich Frostklaues Kehle. Geschafft.
"Da bist du ja endlich."
Frostklaue machte erschrocken einen Luftsprung. Als seine Füße erneut das Eis berührten, knirschte es unheilverkündend. Frostklaue drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.
Ein großer, blauer, gehörnter Kopf ragte aus dem Wasser und musterte ihn. Er schien zu schmollen.
"Ich dachte schon du würdest gar nicht mehr kommen."
Frostklaue legte den Kopf schräg.
"Mir war nicht klar das ich so spät dran bin. Ich habe jegliches Gefühl für die Zeit verloren."
Der andere Drache lachte.
"Es ist Nachmittag."
Natürlich wusste Frostklaue wen er da vor sich hatte. Es war ein Meedrache und nicht irgendein Meerdrache sondern seine Freundin Taifun. Sie hatten sich das erste Mal getroffen als Frostklaue gerade die Höhle seiner Eltern verlassen hatte und auf der Suche nach einem eigenen Revier war. Ziellos streifte er durch das Land und kam irgendwann zur Grenze, wo er Taifun sah, wie sie auf einer Eisscholle lag. Keiner der beiden hatte bisher jemanden von einer anderen Drachenart gesehen und sie waren neugierig aufeinander. So kamen sie ins Gespräch und wurden schließlich Freunde. Doch die meisten anderen Drachen waren weit weniger aufgeschlossen und würden ihre Freundschaft als Verrat an der eigenen Rasse bezeichnen. Dennoch riskierten es die beiden sich immer mal wieder zu treffen.
Wie alle Meerdrachen hatte Taifun einen langen und eher schmalen Körperbau, nicht ganz unähnlich einer Schlange. Von allen Drachenarten waren die Meerdrachen die längsten und sie waren fast so hoch wie Eisdrachen, obwohl sie auf vier Beinen liefen. Die Flügel, die aus ihren Schultern wuchsen waren nicht sonderlich groß. Meerdrachen waren keine guten Flieger. Es war schon schwierig genug für sie einfach in der Luft zu bleiben, komplizierte Flugmanöver und stundenlanges Fliegen waren von vornherein so gut wie unmöglich. Auch auf dem Land waren sie nicht die schnellsten. Ihre eher kurzen Beine waren nicht zum rennen geeignet. So kam es das Meedrachen in der Luft und an Land eher behäbig, fast schon tolpatschig aussahen wenn sie sich fortbewegten. Doch im Wasser machte ihnen keiner etwas vor. Sie schlängelten sich schneller durch das nasse Element als jedes andere Lebewesen. Tagelang konnten sie ihre Luft anhalten und es war für sie daher kein Problem auf dem Meeresgrund zu schlafen. Ihre Körper hielten einen erstaunlich hohen Druck aus, so das sie selbst in der Tiefsee auf Nahrungssuche gehen konnten. Auf dem Kopf trugen sie drei Hörner. Zwei am Hinterkopf und eines auf der Nasenspitze mit dem sie Eis aufbrechen konnten.
Taifun war noch ein recht junger Meerdrache und manchmal war sie etwas übermütig, aber auch ein wenig eitel was ihr Aussehen betraf. Sie hatte tiefblaue Augen, die stets wach dem nächsten Abenteuer entgegen schauten, und sanft schimmernde hellblaue Schuppen.
"Was ist los? Willst du da jetzt ewig rumstehen wie ein zahnloser Opa? Lass uns was unternehmen." sagte Taifun aufgekratzt.
"Und was?"
Frostklaue fiel absolut nichts ein was sie unternehmen könnten.
"Ich wollte dir schon immer mal meine Höhle zeigen."
Frostklaue runzelte die Stirn.
"Aber sie liegt doch sicher unter Wasser."
"Na wo sonst? Aber du kannst doch schwimmen. Und du kannst tauchen." sagte Taifun.
Sie war ganz aufgeregt und schwamm ungeduldig hin und her. Tatsächlich konnte Taifun nicht lange bewegungslos verharren und war immer in Bewegung.
Natürlich konnte Frostklaue schwimmen.Sicher weit schlechter als Taifun, aber für einen Eisdrachen machte er sich wirklich gut. Bei einigen ihrer Treffen hatte Taifun ihm die Welt unter Wasser gezeigt, aber sie waren immer in der Nähe der Grenze geblieben. Um zu Taifuns Höhle zu gelangen, mussten sie fremdes Territorium durchqueren und davon hatte Frostklaue heute die Nase voll. Taifun hatte versucht ein Revier an der Grenze zu erhaschen, aber die jetzigen Besitzer waren sehr stark und verstanden sich als Beschützer des Landes des Meeres, daher hatte Frostklaue seine Zweifel ob es eine gute Idee wäre Taifun's Behausung einen Besuch abzustatten. Diese Bedenken äußerte er auch seiner Freundin gegenüber.
"Ach was, sei kein Frosch. So wie ich die Langweiler kenne schlafen die den ganzen Tag und strecken nur den Kopf aus der Höhle um ein paar Fische zu fangen." sagte Taifun.
"Ich weiß nicht, immerhin haben sie dieses Territorium zu dritt und wenn uns auch nur einer sieht ...." Frostklaue ließ den Rest des Satzes unausgesprochen.
Taifun tauchte ins Wasser ab. Zuerst dachte der Eisdrache sie wäre beleidigt und hätte sich schmollend auf dem Meeresgrund zusammengerollt, doch plötzlich bewegte sich das Eis unter Frostklaues Füßen. Taifun kippte die Eisscholle einfach um!
Frostklaue registrierte das zu spät, brüllend platschte er ins Wasser. Als er wieder auftauchte spuckte er Wasser und rang nach Luft. Taifun kicherte.
"Kommst du jetzt mit oder nicht?"
Sie tauchte ab und überließ ihm die weitere Entscheidung. Frostklaue schnaufte und tauchte ihr hinterher.


04
Während sie das feindliche Territorium durchquerten, machte sich Frostklaue fortwährend Gedanken. Ständig fürchtete er sie würden entdeckt werden. Taifun würde sicher glimpflich davonkommen. Bei ihm sah das allerdings anders aus. Außerdem fragte er sich wie lange er wohl im Notfall die Luft anhalten konnte, war allerdings nicht besonders erpicht darauf es auszuprobieren. Auf dem Weg zu Taifuns Höhle holte er drei mal Luft, auch dann, wenn es eigentlich noch gar nicht nötig gewesen wäre. Er wollte auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.
Taifuns Revier lag nicht so weit von der Grenze entfernt wie sein eigenes. Als sie das Gebiet seiner Freundin erreichten, fiel ihm ein dicker Eisklumpen vom Herzen.
Taifuns Höhle lag in einem Unterwassergraben. Seepflanzen versperrten die Sicht auf den Eingang und ohne die Hilfe seiner Freundin hätte er das große Loch in der Wand sicher übersehen. Ein großer und breiter Gang führte in den Unterwassergraben hinein.
Taifun sah kurz zu ihm und sagte: „Da wären wir. Hoffentlich gefällt es dir.“
Sie schwamm voran in den Gang hinein. Er war so breit, dass auch Frostklaue, der nicht so schmal war wie ein Meerdrache keine Probleme hatte. Er malte sich gerade aus was wohl passiert wäre wenn er steckengeblieben wäre. Wie peinlich.
Der Gang war sehr lang. Frostklaue fragte sich warum sich Taifun solche Mühe gegeben hatte. Sie hätte ihre Höhle auch wenige Meter nach dem Eingang anlegen können.
Den Grund erfuhr er als sie ihr Ziel erreichten. Frostklaues Kinnlade fiel herunter, doch schnell klappte er sein Maul wieder zu als viel zu viel Salzwasser in seinen Rachen eindrang. Es schmeckte scheußlich. Doch der Geschmack war schnell vergessen als er seine Aufmerksamkeit wieder auf Taifuns Höhle richtete. Das Erste was auffiel war, dass sie sehr geräumig war. Hier hätten sicher acht Meerdrachen Platz gefunden.
In einer Ecke gab es eine Erhöhung auf der Taifun offenbar immer schlief und von der sie den Eingang gut im Blick hatte ohne selbst gesehen zu werden. Überall an den Wänden wuchsen Korallen und Frostklaue fragte sich warum. Es war nicht gerade hell hier drin, obwohl seine Drachenaugen ein buntes Licht reflektierten, dass überall aufblitzte.
Frostklaue schüttelte den Kopf, kniff die Augen zusammen und versuchte zu erkennen was es war. Taifun kicherte amüsiert angesichts seines Mienenspiels. Sie schlängelte sich weiter in die Höhle und bedeutete ihm ihr zu folgen. Jetzt sah er, dass ganze Massen dieser Lichter in der großen Höhle verstreut waren. Mal hatte Taifun sie zu kleinen Bergen aufgetürmt, dann lagen sie wieder einzeln oder sie hatte sie in Mustern angeordnet. Und jedes Licht hatte eine andere Farbe. Frostklaue hatte noch nie solche Farben gesehen, da wo er herkam war im Grunde alles weiß. Die einzigen Farben waren das Blau des Himmels, das matte Grün der Nadelbäume wenn er den Schnee von ihnen fegte und das Braun der Stämme oder das Fell der Wolltiere. Diese Lichter hier aber waren in so vielen Farben gehalten. Da gab es rubinrot, zitronengelb, grasgrün, orangerot und zartrosa.
Taifun führte ihn zu einem der Lichtberge und als er näher kam erkannte Frostklaue, dass es lauter Perlen waren.
„Es sind Leuchtperlen.“ erklärte Taifun ihrem staunenden Freund.
„Sie stammen von Leuchtmuscheln, die in der Tiefsee leben. Auch ihre Perlen leuchten. Wenn ich Lust habe schwimme ich dorthin um die Perlen zu sammeln, dann bringe ich sie her. Sie sind so schön.“
„Und die Korallen?“ fragte Frostklaue.
„Was soll mit ihnen sein? Die wachsen von allein. Naja, sie sind auch sehr schön.“
„Aber ich dachte sie brauchen Licht?“
„Es ist eine spezielle Sorte, die kein Licht braucht solange sie eine andere Energiequelle hat. Sieh mal!“
Sie zeigte ihm einige dampfende Schlote, die aus den Wänden ragten und warmes Wasser herein trieben. Die Korallen klebten förmlich rund um diese Öffnungen.
„Deshalb habe ich meine Höhle auch hier angelegt. Ist dir noch nicht aufgefallen wie schön warm es hier ist?“
Jetzt wo sie es sagte fiel es auch Frostklaue auf.
Die Lichter hatten ihn so sehr beschäftigt, dass es ihm vorher nicht bewusst geworden war.
Doch von schön warm konnte bei ihm keine Rede sein. Seiner Meinung nach war es sehr heiß, fast drückend und so schön die Korallen und die Lichter auch waren, konnte er es sich wegen der Hitze nicht vorstellen hier zu leben.
Er brauchte die klirrende, klare Kälte.
„Und, wie findest du es?“ fragte Taifun und war ganz gespannt auf seine Antwort.
„Es ist sehr schön, aber ein bisschen zu warm für meinen Geschmack.“ sagte er ehrlich.
„Wenn du meinst und du deine Gletscherspalte besser findest.“
Sie schnaubte einen Schwall Wasser aus und war eingeschnappt.
Frostklaue fühlte sich schuldig. Sie hatte doch nur hören wollen wie wundervoll es war und er hatte ihr gleich die Laune verderben müssen.
„He, so hab ich das nicht gemeint. Es ist wirklich wunderschön und wie du das alles aufgebaut hast, alle Achtung.“ versuchte er sich zu entschuldigen.
Er näherte sich Taifun, die sich in eine Ecke verzogen hatte.
„Tut mir leid.“ entschuldigte er sich.
Taifuns Kopf drehte sich zu ihm und ein freches Grinsen huschte über ihr Gesicht. Mit ihrem kräftigen Schwanz fegte sie ihn von den Beinen und der völlig überrumpelte Frostklaue fiel auf den Boden. Taifun legte ihren schmalen Körper über seine Brust so das er nicht mehr aufstehen konnte.
„So, und jetzt warte ich bis du geschmolzen bist.“ sagte sie keck.
Frostklaue lachte und bewarf sie mit einigen Leuchtperlen.
„Du bist so ein Spinner.“
„Spinnerin, bitte schön, wenn es das Wort überhaupt gibt.“
Sie alberten noch ein wenig herum, bis Taifun ganze Massen von Wasser mit ihren Nüstern einsog. Es sah fast so aus als würde sie schnüffeln.
Sie sah ziemlich besorgt aus.
„Besser du gehst. Ich rieche Sturmflut vom Revier nebenan und er mag keine Fremden. Komm! Schnell!“
Sie schoss in den Gang und jetzt wo seine Freundin so besorgt war hämmerte auch Frostklaues Herz wie wild vor angst.


05
Wie ein Eiszapfen im freien Fall schoss Taifun aus dem Gang ins Freie und mahnte Frostklaue, der nicht so schnell schwimmen konnte wie sie, zur Eile.
Schnell schwamm sie auf die Oberfläche zu.
„Du musst schleunigst von hier weg. Sobald du die Oberfläche durchbrochen hast, musst du losfliegen. Wenn sich ein Meerdrache außerhalb des Wassers aufhält sieht er dich zwar, aber das ist jetzt auch egal. Hauptsache du kannst hier verschwinden.“
Es war gar nicht Taifuns Art dermaßen panisch zu reagieren und das machte Frostklaue angst. So schnell er konnte schwamm er der Wasseroberfläche entgegen.
Er spürte einen Wasserschwall unter sich und plötzlich einen furchtbaren, stechenden Schmerz in seinem linken Bein.
Als er nach unten sah blickte er in die Augen eines riesigen, wütenden Meerdrachen. Er hielt ihn mit seinen langen, spitzen Zähnen fest, die seine Panzerung durchdringen konnten.
Frostklaue wollte wütend aufbrüllen, aber nur ein paar Luftblasen verließen seinen Rachen.
Er versuchte freizukommen, aber der Meerdrache hatte sich eisern in sein Bein verbissen.
Taifun hatte bereits gemerkt, dass er zurückgeblieben war und als sie sah was geschehen war wurde sie fuchsteufelswild.
„Lass ihn sofort in Ruhe Sturmflut, oder du bekommst es mit mir zu tun.“
Sie schoss herab wie ein Falke auf eine Maus.
Sie war zwar kleiner und leichter gebaut als der ältere Meerdrache, aber als sie ihn rammte gab es ein Krachen, das sich anhörte als wären zwei Eisschollen aufeinandergeprallt.
Sturmflut fauchte gereizt, doch Frostklaue war frei.
Er strebte der Oberfläche entgegen und endlich durchbrach er sie und war an der Luft. Schnell schlug er mit den Schwingen, doch sie waren nass und wollten ihn nicht so einfach in die Luft heben, wie er es gerne hätte.
Endlich flog er los, doch es strengte ihn sehr an.
Der Eisdrache schlug kräftig mit den Flügeln um die Nässe abzuschütteln und voranzukommen.
Als er zurück sah konnte er einen Kopf aus dem Wasser auftauchen sehen und es war nicht Taifun.
Sturmflut zielte und spuckte einen Strahl Wasser, den er unter Hochdruck abfeuerte.
Es war ein Volltreffer.
Das Wasser traf auf Frostklaues rechte Flügelseite. Es verletzte ihn nicht, doch wo es seine Flügelmembran getroffen hatte, fühlte sich das Gewebe taub an. Sein Gleichgewicht, um das er sich schon zuvor schwer bemühen musste, war dahin.
Er stürzte ab.
In den Ozean, wo Sturmflut auf ihn wartete.
Kaum war er unter der Wasseroberfläche, da schrammten schon Sturmfluts Krallen über seine Schuppen. Und er war nicht mehr allein.
Sturmfluts Reviergenossen hatten sich dieser Jagd angeschlossen. Wie wild schnappten sie nach dem Eisdrachen. Doch kampflos würde Frostklaue nicht aufgeben.
Er packte einen der Meerdrachen im Genick und zerfetzte ihm den Nacken.
Auch Taifun war wieder da. Sie versuchte ihm zu helfen. Sie hatte sich in den Rücken von einem der beiden anderen Meerdrachen verbissen, der versuchte sie mit Drehungen abzuschütteln, doch sie blieb an ihm hängen wie ein Tintenfisch an seiner Beute. Doch Strumflut sah sich das nicht lange an.
„Verräterin!“ zischte er und rammte sie mit voller Wucht gegen den Schädel. Sie verlor das Bewusstsein und glitt hinab in die Tiefen des Meeres.
Frostklaue fragte sich wie schwer sie verletzt war. Doch sicher würde sie sich wieder erholen und schließlich konnte sie sehr lange die Luft anhalten.
Er hatte jetzt eigene Probleme. Taifuns Ablenkung hatte ihm nur einige Sekunden Zeit geschenkt, die ihn nicht wesentlich näher an die Wasseroberfläche gebracht hatten, weil er sich den dritten Meerdrachen vom Hals halten musste.
Doch jetzt waren auch die anderen beiden wieder da und setzten ihm zu.
Frostklaue versuchte sich zu wehren und er hieb mit den Klauen nach ihnen und versuchte sie mit den Zähnen zu fassen.
Doch seine Bewegungen wirkten wie in Zeitlupe. Er war eindeutig gehandikapt.
Das hier war das Element der Meerdrachen. Sie hatten den Heimvorteil. Seine harten Schuppen bewahrten ihn aber vor tödlichen Verletzungen. Das erkannten auch die drei Meerdrachen und sie änderten ihren Plan.
Sturmflut verbiss sich von hinten in sein rechtes Bein, von wo aus Frostklaue ihn nicht mit seinen Krallen und Zähnen erreichen konnte, dann zog er ihn in die Tiefe.
Sein Ziel war nicht länger ihm tödliche Verletzungen zuzufügen. Er würde ihn ertränken.
Frostklaue erkannte was sein Feind vorhatte und in panischer Verzweiflung strampelte er mit allen Gliedmaßen um frei zu kommen. Die anderen beiden Meerdrachen schwammen um ihn herum und schnappten mit ihren nadelscharfen Zähnen nach ihm. Sie rissen ihm den Leib auf. Bald färbte sich das Wasser rot von seinem Blut.
Angst beherrschte Frostklaues Herz. Schon merkte er wie seine Luftreserven schwanden. Wenn er nichts unternahm würde er jämmerlich ertrinken.
Er beschloss alles auf eine Karte zu setzen ohne zu wissen ob es überhaupt funktionieren würde.
Er ließ die Kälte in seinem Inneren aufsteigen und entließ sie dann durch sein geöffnetes Maul. Ein Eisstrahl schoss auf einen der Meerdrachen zu. Völlig überrascht reagierte er zu spät. Der Eisstrahl traf seinen Arm und breitete sich von dort auf weite Teile seines Körpers und des umliegenden Wassers aus und alles erstarrte zu Eis. Gequält kreischte der Drache auf. Der schwere Eisklotz zog ihn in die Tiefe und der Meerdrache konnte nichts dagegen tun.
Frostklaue nutzte die Verwirrung seiner Gegner aus und riss dem zweiten Meerdrachen mit den Zähnen die Gurgel auf. Nebenbei trat er mit dem Fuß, den Sturmflut immer noch festhielt aus und konnte sich schließlich befreien. Er trat noch einmal nach und schließlich spürte er wie er mit seinen harten Eisschuppen auf einen gehörnten Schädel traf.
Dann schwamm er los, ohne noch einmal zurückzublicken.
Die Wunden, die ihm die Meerdrachen zugefügt hatten, pochten schmerzhaft und sein geschundener Körper protestierte unter der Anstrengung die Frostklaue ihm abverlangte, doch es scherte ihn nicht. Nur ein Wille beherschte seine Gedanken.
Er wollte Leben!
Sein Kopf durchbrach die Wasseroberfläche und er schnappte gierig nach Sauerstoff.
Wieder schlug er unter höchster Anstrengung mit den Flügeln um von hier weg zu kommen.
Endlich war er in der Luft.
Er sah noch einmal nach unten um zu sehen ob die Meerdrachen wieder versuchen würden ihn abzuschießen, aber die Wasseroberfläche war ruhig.
Er flog noch höher um außer Schussweite zu sein.
Frostklaue fragte sich besorgt wie es Taifun ging. Doch er konnte nichts für sie tun, in diesem Zustand würde er nur als aufgequollener Kadaver im Ozean enden, wenn er versuchen würde ihr zu helfen.


06
Frostklaue hatte es endlich über die Grenze zum Land des Eises geschafft.
Jetzt, wo er außer Gefahr war und sein Adrenalinspiegel wieder auf den Normalwert sank, fühlte er sich sehr schwach. Das Fliegen wurde zu einer einzigen Qual. Alle Muskeln taten ihm weh, sein Blut lief aus seinen Wunden die Schuppen hinunter und er war todmüde. Ein eindringlicher Gedanke, der nie verschwinden wollte, egal wie sehr er auch versuchte ihn abzuschütteln, flüsterte ihm ständig zu er sollte einfach aufhören mit den Flügeln zu schlagen. Nur mal eben dort unten in der Eisebene ausruhen.
Frostklaue wusste natürlich, dass das töricht wäre.
Das Gebiet dort unten gehörte niemanden. Es war Grenzland. Trotzdem zogen dort einige Drachen umher. Es waren Außenseiter, die kein Gebiet besaßen. Sie hatten es schwer. Hier draußen gab es so gut wie keine Nahrung. Es lebten Fische unter dem Eis, doch war es hier so dick, das ein durchkommen selbst für einen Drachen unmöglich war. Wolltiere verirrten sich nur in Ausnahmefällen hierher. Durch den Mangel an Nahrung waren die Drachen hier oft in keiner guten Verfassung. Sie waren abgemagert, manche sogar zu schwach zum fliegen oder Eis speien. Wer erst einmal längere Zeit hier lebte, hatte kaum Chancen wieder ein eigenes Revier zu erobern, denn dazu musste der Drache in guter Form sein. Niemand würde sein Territorium freiwillig hergeben.
Wenn Frostklaue dort unten landen würde, wäre er in großer Gefahr. Während er schlafen würde, könnte sich ein Außenseiter an ihn heranschleichen. Sie waren zwar ziemlich heruntergekommen, um Frostklaue stand es derzeit aber noch viel schlimmer. Ein Außenseiter würde ihn als Beute betrachten und töten. Kannibalismus war hier draußen keine Seltenheit.
Ein eisiger Schauer lief Frostklaue's Wirbelsäule entlang. Er schüttelte sich um den Gedanken ans gefressen werden loszuwerden.
Er musste so schnell wie möglich sein Territorium erreichen. Dort war er in Sicherheit. Doch der Weg war noch so schrecklich weit und weil er verletzt war, konnte er nicht annähernd so schnell fliegen wie beim Hinflug.
Frostklaue's Augen machten bald die ersten Berge aus. Während er sich ihnen näherte, überlegte er fieberhaft was er tun sollte. Er konnte das Territorium nicht überfliegen wie beim letzten Mal. Dazu fehlte ihm die Kraft. Er musste tief zwischen den Gletschern entlang fliegen. Die Aufwinde, die vor den Bergen hochstiegen würden ihm beim Fliegen helfen. Doch es war sehr riskant. Der Drache dem dieses Territorium gehörte würde es nicht dulden, dass sich Frostklaue in seinem Gebiet aufhielt. Eine andere Möglichkeit gab es allerdings nicht.
Frostklaue ging in den Tiefflug über. Die ersten Berggipfel kamen ihm wie eine undurchdringliche Mauer vor.
Er sank jetzt noch tiefer, so tief, dass seine Schwingen fast die Wipfel der Bäume berührten.
Wachsam hielt er nach Gefahren Ausschau.
Im Moment schien alles ruhig. Er hörte nur seine eigenen Flügelschläge. Unter ihm glitzerte ein vereister Fluss. Wolltiere standen an ihm und versuchten das Eis mit ihren Füßen aufzubrechen um zu trinken. Als die Herde Frostklaue sah, stoben sie panisch auseinander und riefen sich einander Warnrufe zu.
Frostklaue fluchte. Die Wolltiere erregten mit ihrem Spektakel viel zu viel Aufmerksamkeit. Ihr Getöse war sicher noch Kilometerweit zu hören. Frostklaue sah sich nach einer Versteckmöglichkeit um. Er entdeckte eine große Gletscherspalte. So schnell wie möglich flog er dorthin und quetschte sich in den Spalt bis er vollständig in den Schatten verborgen war. Wenig später merkte er, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Das Gebrüll der Wolltiere hatte die Besitzerin des Gebiets auf den Plan gerufen.
Sie war riesig.
Frostklaue würde ihr gerade einmal bis zur Schulter reichen. Sie landete auf einer Felsnase und überblickte das kleine Tal. Kritisch beobachtete sie die verängstigten Wolltiere. Frostklaue meinte sehen zu können, wie sie die Luft einsog um fremde Gerüche daraus zu filtern.
Sie flog los. Genau in seine Richtung.
Frostklaue hatte panische Angst. Wie viel Pech konnte er eigentlich haben? Auch wenn sie sicher nicht in den Spalt hineinpassen würde, könnte sie ihn dennoch mit ihrem Eisatem töten. Der fremde Eisdrache kam immer näher. Das Rauschen ihrer Flügel dröhnte in Frostklaues Ohren. Und dann...
flog sie einfach über ihn hinweg. Er spürte wie eine Erschütterung durch das Eis lief, als sie irgendwo in der Nähe landete. Er konnte sie schnüffeln und kratzen hören. Angespannt wartete Frostklaue ab. Die Zeit schien überhaupt nicht zu vergehen. Frostklaue fragte sich gerade ob sie ihn wohl doch noch finden würde, da hob sie wieder ab und flog davon.
Frostklaue atmete erleichtert aus. Er wartete noch ein bisschen und als er sich sicher war alles gut überstanden zu haben, kroch er aus der Spalte.
Er sah sich um.
Ganz in seiner Nähe befand sich eine Höhle. Dort hatte der andere Eisdrache wohl nach dem Fremden gesucht.
Frostklaue schüttelte sich, dann hob er ab um weiterzufliegen.

Glücklicherweise waren damit alle gefährlichen Momente überstanden. Als er endlich sein Revier erreichte, glaubte er noch nie in seinem Leben so froh gewesen zu sein.
Er steuerte sofort auf seine Höhle zu. Erschöpft faltete er seine Flügel zusammen, legte sich in eine Ecke seiner Behausung und fiel gleich in tiefen Schlaf.


07
Frostklaue verschlief die nächsten vier Tage. Als er aufwachte hatte er schrecklichen Hunger und Durst. Glücklicherweise musste er seine Höhle nicht verlassen um seine Bedürfnisse zu stillen. Frostklaue hatte noch genug Nahrung eingefroren um die nächste Woche durchzukommen. Auch Wasser war leicht zu beschaffen. Er brach einfach einige Eiszapfen von der Decke ab und ließ sie in seinem Maul schmelzen. Während er einen Eiszapfen lutschte, überlegte er wie es Taifun gerade ging.
Er hoffte, dass sie den Kampf überlebt hatte und es ihr gut ging. Vielleicht lag auch sie gerade in ihrer Höhle und erholte sich. Er würde sie wahrscheinlich nie wieder sehen können. Ihre Artgenossen waren jetzt auf der Hut.
Frostklaue war schon wieder müde. Er besah sich seine Wunden. Sie waren sehr tief und die Narben würden ihn wahrscheinlich sein Leben lang begleiten.
Sie hatten aber bereits begonnen zu verheilen. Frostklaue war sehr froh, dass sie sich auch nicht entzündet hatten. Das würde die Heilung sehr verzögern.
Er legte sich wieder hin und schlief ein, damit sich sein Körper und sein Geist weiter erholen konnten.

Frostklaue blieb die ganze nächste Woche in seiner Höhle. Die meiste Zeit des Tages verschlief er. Wenn er wach war, stärkte er sich oder dachte nach. Mit jedem Tag, der verging, ging ihm besser, auch wenn die Sorge um Taifun blieb. Irgendwann fühlte er sich gut genug um auszufliegen. Es war keine Qual mehr für ihn, sondern tat ihm gut. Weil er keine Vorräte mehr hatte, ging er auf die Jagd.
Heute machte Frostklaue es sich nicht so umständlich wie das letzte Mal. Als er eine Herde mit Wolltieren gefunden hatte, stieß er herab und packte zwei der Tiere. Nach wenigen Bissen waren sie tot. Zufrieden schleppte Frostklaue sie zu seiner Höhle. Das eine Tier verschlang er, das andere fror er ein. Dann versank er wieder in tiefen Schlaf.

Als er aufwachte hörte er Flügelschläge und er witterte einen anderen Eisdrachen.
Es war Eiszahn. Frostklaue stöhnte und fragte sich was der schon wieder hier wollte.
„Sei gegrüßt.“
Eiszahn sah Frostklaue an und stutzte.
„Was ist denn mit dir passiert? Sieht ja schlimm aus.“
Frostklaue dachte fieberhaft nach. Er suchte nach einer Ausrede, die er Eiszahn auftischen konnte, aber darin war er gar nicht gut.
„Ein plötzlicher Windstoß hat mich erfasst und gegen eine Felszacke geschmettert.“
Eiszahn sah skeptisch zu ihm. Er glaubte ihm nicht. Das hatte Frostklaue erwartet, doch Eiszahn hakte nicht weiter nach, offenbar gab es wichtigeres.
„Die Donnerdrachen greifen uns an.“ sagte er und spannte gereizt die Flügel.
„Was?“ fragte Frostklaue erstaunt.
„Die Donnerdrachen versuchen uns aus unserem Land zu vertreiben, damit sie es für sich haben. Offenbar gibt es in den Donnerbergen nicht mehr genug Beute. Wie es aussieht haben sich dazu alle Donnerdrachen hierher aufgemacht. Frostsucher sagte mir, er habe noch nie dermaßen viele von ihnen gesehen.“
Frostsucher war der älteste Eisdrache von allen. Hatte ein Drache ein schwieriges Problem, konnte er ihn um Rat bitten. Früher war er einmal ein sehr guter Kämpfer gewesen, aber das war lange her. Dennoch war er bei den anderen Eisdrachen hoch angesehen. Niemand zweifelte daran, dass er die Wahrheit sprach.
Zorn erfüllte Frostklaue.
Hier hörte die Toleranz auf. Er würde nicht zulassen, dass die Eisdrachen aus dem Land des Eises vertrieben wurden.
Das hier war ihr Element. Ihre Heimat. Wo sollten sie sonst leben?
„Ich nehme nicht an, dass sich das Ganze mit Worten regeln lässt?“ sagte Frostklaue.
Eiszahn schnaufte verächtlich.
„Nein. Die meisten Drachen des Landes haben sich bereits an der Grenze versammelt um die Übernahme zu verhindern. Frostschimmer ist bereits dort. Du kommst doch auch? Oder hast du dich bereits so sehr mit den anderen Drachenarten verbrüdert, dass du ihnen unser Land überlässt?“
Frostklaue brüllte auf. Er fuhr hoch und kam Eiszahn gefährlich nah.
„Ich werde unser Territorium bis zum letzten Atemzug verteidigen.“


08
Als Frostklaue zu den anderen Drachen seiner Art an der Grenze stieß, stieg eine große Anspannung in ihm auf. Gleich würde er wieder kämpfen müssen. Frostklaue war hin und hergerissen. Zum einen waren seine Wunden zwar schon gut verheilt, doch ganz gesund war er noch nicht, zum anderen wollte er aber auch nicht, dass die Eisdrachen aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Doch konnte es nicht noch eine andere Lösung geben, als gegeneinander zu kämpfen?
Er flog zu Frostsucher. Er war ein alter Eisdrache von ungeheurer Größe. Fast doppelt so hoch wie er ragte der Drache von seinem Felsen auf wie ein Urgestein. Lange Eiszapfen hingen von seinen Schuppen und Stacheln und ließen ihn schon fast selbst wie einen Gletscher aussehen. Frostklaue landete neben ihm und entblößte seine Kehle zum Zeichen, dass er keinen Streit suchte.
„Ich möchte genauso wenig wie du, dass wir aus unserem Land vertrieben werden, aber gibt es keine andere Lösung, als uns gegenseitig umzubringen?“
Frostsucher sah ihn skeptisch an.
„Hast du einen Vorschlag?“
Nervös schüttelte der jüngere Drache den Kopf.
„Nein, leider nicht. Ich hatte gehofft, dass du mit deiner großen Erfahrung eine Lösung hast.“
Frostsucher nickte langsam.
„Die habe ich und sie heißt kämpfen.“
Frostklaue sah ihn unglücklich an, doch er wusste, dass der alte Drache seine Meinung nicht ändern würde. So alt und erfahren Frostsucher war, so starrköpfig war er auch. Die anderen Eisdrachen verließen sich auf sein Urteil und würden ihm ohne wenn und aber folgen.
Schon näherten sich von Osten die Donnerdrachen. In der Ferne konnte Frostklaue ihr Land sehen. Dichte dunkle Wolken hingen über ihren Bergen. Ab und zu erleuchtete ein greller Blitz den Himmel. Grollender Donner folgte. Frostklaue war von der Zahl der Donnerdrachen erschüttert. Es waren viel mehr als sie. Doch die Donnerdrachen waren wesentlich kleiner als die Eisdrachen und hatten einen Körperbau der ihm zerbrechlich vorkam. Sie waren vierbeinig, hatten einen länglichen, schmalen und agilen Körper und keine besondere Panzerung. Auf dem Kopf trugen sie zwei lange Hörner, die nach hinten gebogen waren. Einzig ihr Nacken war durch kleine Stacheln geschützt. Doch dem starken Biss eines Eisdrachens würde das nicht viel entgegensetzen können. Am Schwanz trugen die Donnerdrachen einen gezackten Stachel, der sehr scharf war und zum Angriff benutzt wurde. Die Schuppenfarben der Donnerdrachen variierten von einem Sturmgrau zu Mitternachtsblau. Helle gelbe oder goldene Streifen durchbrachen den dunklen Grund ihrer Schuppen.
Ohne irgendetwas zu sagen griffen die Donnerdrachen an. Sie waren viel wendiger und schneller, als die großen Eisdrachen und umschwirrten sie wie Falken einen Adler. Frostsucher hob den Kopf und entließ seinen Eisatem auf einen nahenden Gegner. Der Drache vereiste im Flug und fiel dann wie ein Stein zu Boden. Als er auf einen spitzen Fels traf, der aus einem Gletscher ragte, zersplitterte sein Körper. Frostklaue konnte sich nicht lange damit aufhalten, die andern beim Kämpfen zu beobachten. Zwei angriffslustige Donnerdrachen griffen ihn mit gefletschten Zähnen an. Bevor Frostklaue ausweichen konnte, hatten sie sich an ihm festgekrallt und hieben ihm seine scharfen Klauen in den Körper. Mit einem schrecklichen Kreischen schabten ihre Krallen über seine Schuppen, doch sie fügten ihm keine tiefen Wunden zu, denn dafür war sein Panzer zu dick. Die nadelspitzen Zähne der Drachen waren gefährlicher. Ständig versuchten sie empfindliche Stellen zu erwischen. Frostklaue brüllte wütend auf. Er wehrte sich. Mit seinen Klauen hieb er nach seinen Feinden aus. Einen erwischte er. Mit einem lauten Krachen brach er ihm den linken Flügel und der Drache segelte wütend fauchend in die Tiefe. Der andere Donnerdrache zischte aggressiv. Ein lautes Knistern erfüllte die Luft. Frostklaue versuchte ihn zu packen zu bekommen, aber sein Gegner kletterte auf ihm herum und beschränkte ihn in seinen Bewegungen. Er hatte sich in seinem Rücken verbissen und ein plötzlicher elektrischer Stoß durchzuckte Frostklaues Körper. Für einen Moment verlor er das Gleichgewicht. Frostklaue wurde rasend. Sein Herz pochte, so als wollte es aus seiner Brust springen. Der Eisdrache spannte seine Muskeln an und setzte dann zu einem waghalsigen Manöver an. Er ließ sich wie ein Stein in die Tiefe fallen, dann drehte er sich schneller und immer schneller spiralförmig in die Tiefe. Der Donnerdrache krallte sich verbissen an ihm fest und kreischte. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er sehr verängstigt war. Er könnte sich von Frostklaue lösen, aber durch das wilde Rotieren verschwamm die Umgebung zu einer einzigen konturlosen Farbmasse. Er könnte geradewegs gegen den nächsten Felsen knallen. Adrenalin wurde durch Frostklaues Körper gespült. Jetzt war er am Zug. Er machte einen plötzlichen Ruck, in dem er seine Lage mit aufgestellten Flügeln stabilisierte. Der Donnerdrache flog wild schlingernd und um sich strampelnd jaulend nach vorn. Mit wildem Gebrüll fing der Eisdrache ihn auf und zerschmetterte seinen Körper an der nächstgelegenen Felskante.
Frostklaue atmete einmal tief durch. Dann schüttelte er sich und stieg wieder empor. Er war so tief herabgesunken, dass er gänzlich zwischen den Bergen verschwunden war. Als er zum Ausgangspunkt des Konflikts flog sah er, dass sich die Donnerdrachen zurückzogen.
„Wir haben gesiegt.“ brüllte Frostsucher triumphierend auf.
Er stand auf einem mächtigen Felsmassiv, die Flügel ausgebreitet um seine volle Größe zu demonstrieren. Als Frostklaue genauer hinsah, bemerkte er dass sein Körper mit Kratzern und kleinen Wundern übersät war. Eine gefährlich aussehende Schramme, den ein Donnerdrache ihm wohl mit seinem Schwanzstachel zugefügt hatte, zog sich von seinem Kopf bis zum Brustbein. Als Frostklaue sich weiter umsah wusste er, dass ihr Triumph teuer erkauft war. Zahlreiche Eisdrachen lagen tot zwischen den Spalten und im Schnee. Die Donnerdrachen hatte es jedoch nicht besser getroffen.

Als Frostklaue erschöpft in seiner Höhle ankam erlebte er eine Überraschung. Taifun lag zusammengerollt auf seinem Schlafplatz.
„Da bist du ja. Ich hab mir schon Sorgen gemacht.“
„Was? Wie bist du hierhergekommen?“ fragte Frostklaue perplex.
„Ja, mir geht es gut, danke der Nachfrage.“ sagte Taifun säuerlich und sah ihn verletzt an.
Frostklaue zuckte zurück.
„Es tut mir Leid. Ich hab mir große Sorgen um dich gemacht und ich bin sehr froh dich wiederzusehen. Ich bin nur so überrascht.“
Taifun stieß ein zufriedenes Brummen aus, dann wurde sie wieder ernst und sagte: „Ich wollte wissen wie es dir geht. Meine Nachbarn haben dir übel zugesetzt. Ich hätte mehr über die Konsequenzen meines Handelns nachdenken sollen.“
Sie ließ den Kopf hängen. Frostklaue konnte es nicht ertragen sie so traurig zu sehen.
„Noch einmal Glück gehabt denke ich, aber ich fürchte ich kann dich zukünftig nicht mehr besuchen.“
Er seufzte traurig und legte sich neben sie.
„Deshalb bin ich ja auch zu dir gekommen. Auch wenn ich nicht gerade erfreut bin über diese Eisspalte, die du dein zu Hause nennst.“
Unbehaglich rutschte sie mit ihren Schuppen über den Boden.
„Woher wusstest du wo ich wohne?“ fragte Frostklaue.
„Meerdrachen haben gute Nasen. Ich hab deine Wohnung erschnüffelt.“
Taifun grinste.
„Aber jetzt sag mal. Was ist hier los? Ich hatte erwartet, dass ich auf dem Weg hierher ständig Eisdrachen ausweichen müsste, aber nichts. Versteh mich nicht falsch. Ich bin sehr froh darüber, aber wie kommt das?“
Frostklaue erzählte ihr was sich heute zugetragen hatte. Taifun war zuerst erschrocken und wurde dann sehr nachdenklich.
„So geht das nicht weiter.“
„Was meinst du?“ wollte ihr Freund wissen.
Taifun sah ihn unsicher an. Offensichtlich wollte sie ihn mit ihren Worten nicht verletzen.
„Ich kann euch Eisdrachen verstehen. Ich würde auch nicht wollen, dass wir Meerdrachen aus unserer Heimat vertrieben werden. Doch ich denke nicht, dass ständige Kämpfe das Problem lösen werden.“
Frostklaue brummte zustimmend.
„Ich weiß, aber mir fällt nichts ein was sonst zu einer Lösung führen könnte.“
Taifuns Augen weiteten sich.
„Redet doch miteinander. Wenn ihr die Probleme kennt mit denen sich die Donnerdrachen herumschlagen müssen, könntet ihr ihnen helfen. Dann könnten beide Arten in ihrer Heimat bleiben.“
Frostklaue kratze sich nachdenklich am Kiefer.
„Bei dir hört sich das so einfach an. Sie würden bestimmt nicht zuhören. Außerdem werden die anderen Eisdrachen sicher nicht damit einverstanden sein.“
Taifun sah ihn mit ihren strahlenden Augen an und erklärte: „Ich habe nicht gesagt, dass es leicht wird. Zum Verständnis gibt es keine Abkürzung.“

 

 

 

 

 

Hier endet die Leseprobe. Ich bin dabei das Buch fertig zu stellen. Bitte schreibt mir, ob es euch gefallen hat.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 15.04.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle Drachenfans.

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