Cover


1
Es ist doch immer so, das ein neues Problem genau dann auftaucht, wenn man ein anderes gerade beseitigt hatte. Davon konnte Jason Harris ein Lied singen. Er war Kriminalbeamter in Sydney. Obwohl ihm diese Stadt sehr gefiel, wusste er nicht ob er hier bleiben wollte. Früher hatte er in New Orleans, in den USA gewohnt. Später aber war er nach Sydney zu seiner Frau gezogen. Sie hatten ein eigenes Haus gehabt und sie waren eine Zeit lang glücklich. Doch schon bald hielt es seine Frau nicht mehr mit ihm aus und so gingen sie getrennte Wege.
Jason Harris war einmal ein sehr guter Ermittler gewesen, doch die Scheidung von seiner Frau hatte ihn ziemlich fertig gemacht und darunter litt auch seine Leistung bei der Arbeit. Die letzten zwei Mordfälle wurden letztendlich Kollegen übergeben, nachdem Jason sie nicht lösen konnte. Doch was ihn am meisten daran störte war, dass seine Kollegen die Schuldigen bald erkannt und gefasst hatten. Wenn es so einfach gewesen war, warum hatte er die Fälle nicht lösen können? War er schon so ein Wrack?
Jason saß auf seinem Bürostuhl und grübelte darüber.
Er war erst anfang vierzig, sollte es da mit seiner Karriere schon vorbei sein? Er strich sich über sein glattrasiertes Kinn und verwarf den Gedanken. Er musste den nächsten Fall einfach lösen, sonst war er wohlmöglich noch draußen. Sein Chef Christopher Wat hatte bereits so etwas angedeutet. Gedankenverloren nahm er ein Foto zur Hand.
Da waren er und seine Frau noch glücklich. Sie mit ihren langen schwarzen Haaren, den neckischen Augen und der attraktiven Figur. Er blonde, schulterlange Haare, graue Augen und zu der Zeit noch mit Bart. Zu ihren Füßen ihre vier Kinder. Zwei hatte seine Frau, Adele Fips, aus ihrer ersten Ehe mitgebracht. Jetzt waren ihm nur noch Ann und George geblieben.
Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken, Es war sein Partner, Joris Farel.
„Donna und Dan haben schon wieder einen Fall gelöst.“ verkündete er.
Jason seufzte schwer.
„Welchen? Den mit dem aufgehängten Säufer?“
Joris schüttelte schnell den Kopf, die Augen weit aufgerissen.
„Jason, wirst du schon senil? Das haben sie doch schon letzte Woche geklärt. Nein, es ging um das entführte Mädchen, das vergewaltigt und erwürgt wurde. Dan und Donna haben einen gewissen Chuck Grad aufgespürt und dingfest gemacht. Er hat alles gestanden. Offenbar wusste er selbst nicht so richtig was er da eigendlich tat.“
Joris setzte sich ihm gegenüber und sah seinem Partner tief in die Augen.
„Wenn wir den nächsten Fall nicht knacken, stehen wir vor unseren Kollegen dumm da.“
Jason nickte. Schon wieder klopfte es an der Tür. Konnten sie ihn denn alle nicht einfach in Ruhe lassen?
Es war Rosi, die Sekretärin des Polizeichefs.
„Entschuldigung, aber Wat bittet euch in sein Büro.“
„Bittet? Das muss wen anders betreffen. Es wäre das erste Mal das der uns zu etwas bittet.“ sagte Jason.
Rosi verdrehte die Augen und verschwand aus dem Zimmer.
„Na, dann wollen wir mal.“ sagte Jason und erhob sich.
Sie hasteten die Gänge des Police Departments entlang und gelangten bald zu dem Büro ihres Chefs. Respektvoll klopften sie an.
„Herein!“ befahl eine harsche Stimme.
Mit diesem Mann war wirklich nicht gut Kirschen essen. Er stand kurz vor der Pensionierung und glaubte sich nur von unfähigen Anfängern umgeben.
„Da sind sie ja endlich. Ich hab mit ihnen Beiden zu reden.“ begrüßte er sie.
Joris und Jason setzten sich ihrem Vorgesetzten gegenüber und harrten der Dinge, die da kamen.
„Wie euch sicher auch schon aufgefallen ist, habt ihr seit längerer Zeit keinen Fall mehr gelöst. Unfähige Leute können wir hier nicht brauchen. Solltet ihr den nächsten Fall vermasseln, versetze ich euch nach unten zur Straßenpolizei.“
Joris und Jason schluckten. Das war so ziemlich das gemeinste was er ihnen antun konnte.
„Zum Glück für euch ist gerade ein Fall eingegangen.“
Wat kramte in seinen Papieren und zog einen Zettelstapel aus dem Gewühl, das auf seinem Schreibtisch vorherrschte.
„Ein Mann namens Peter Smith wurde in seiner Wohnung an der 34th Straße ermordet. Setzt eure lahmen Hintern in Bewegung und klärt das! Der Mann ist noch keine sechs Stunden tot.“
Joris und Jason sprangen auf und machten sich sofort auf den Weg.

Das Hochhaus war leicht zu finden. Da Peter Smith im zehnten Stock wohnte benutzten die beiden den Fahrstuhl. Peters Wohnung war nicht schwer zu finden. Es wimmelte von Polizisten und einige vom Rettungsdienst waren auch da. Doch niemand durfte etwas berühren bis alle Spuren gesichert waren. Jason und Joris traten in die Wohnung. Sofort wurde den beiden klar, dass Peter nicht arm war und Stil gehabt hatte. Die Wohnung war sehr geräumig. Im Wohnzimmer entdeckten sie einen persischen Teppich und Möbel aus Rosenholz. In der ganzen Wohnung waren teure Gemälde aufgehängt. Im Schlafzimmer fanden sie schließlich die Leiche. Peter war in seinem Bett gestorben. Seine Bettdecke und seine Laken hatte sich mit Blut vollgesaugt.
„Armer Kerl.“ murmelte Joris, wie er es so oft tat, wenn sie eine Leiche fanden. Obwohl Jason diesen Job schon fast sechzehn Jahre machte, glaubte er, er würde sich nie an den Anblick von Ermordeten gewöhnen. Sein Magen verkrampfte sich.
Das nächste was ihm am Tatort auffiel war ein Geschmiere an der Wand. Jason erkannte sofort was es war, doch sein Verstand schien sich gegen diese Wahrheit zu sperren. Joris sprach es schließlich aus.
„Blut. Der Mörder hat eine Nachricht mit dem Blut seines Opfers geschrieben.“
Joris hatte Recht. Zuerst fiel es Jason schwer zu entziffern was da mit dieser makaberen Tinte an der Wand geschrieben stand, doch schließlich konnte er es lesen.
„Sprich nicht über die Wächter! Schreibe nicht über die Wächter! Mach kein Bild von den Wächtern! Nenne nicht die Namen der Wächter!“
„Verstehst du was das bedeutet?“ fragte ihn sein Partner. Jason schüttelte den Kopf. Er sah sich die Leiche genauer an. Der Mann trug noch seinen Pyjama, der jetzt voller Blut war.
„Offenbar hat ihn jemand mit einem Messer getötet.“
Er zeigte auf die Wunde in der Brust des Mannes.
„Statt auf sein Herz, hat er auf die Lunge gezielt, damit er nicht mehr schreien konnte.“
Joris nickte. Er fing an Bilder vom Tatort aufzunehmen. Jason betrachtete den Leichnam weiter. Es sah so aus, als würde sich Peter nach der Schublade seines Schreibtisches ausstrecken. Jason zog seine Handschuhe zurecht und öffnete die Schublade. Vorsichtig holte er den Inhalt hervor. Es war eine Pistole. Fachmännisch untersuchte Jason sie. Sie war noch ganz neu und nie benutzt wurden. Jason zeigte sie seinem Partner. Der zuckte mit den Achseln.
„Viele Leute haben eine Pistole.“
„Aber hatte er auch einen Waffenschein?“
Jason grübelte weiter. Alles schien auf etwas Bestimmtes hinauszulaufen.
„Vielleicht kannte Peter seinen Mörder und hat sich vorsichtshalber eine Waffe besorgt.“
„Na wenn du meinst.“ sagte Joris.

Im Police Department versuchten sie das Puzzle aus Hinweisen zusammenzusetzen. Währenddessen wurde Peter's toter Körper obduziert. Jason und Joris hatten jeden Millimeter der Wohnung durchsucht. Von der Tatwaffe fehlte jede Spur. Joris war aber unendlich stolz auf das schwarze Haar, das er gefunden hatte. Es wurde gerade untersucht. Sie waren sich ziemlich sicher, dass es vom Mörder stammte. Peter hatte braune Haare und nach Aussagen der neugierigen Nachbarn wäre niemand Peter besuchen gekommen. Jason war sich da nicht so sicher. Schließlich hatten sie auch den Mörder nicht gesehen.
„Wäre es nicht auch möglich das es eine Mörderin gewesen sein könnte?“ fragte Doug Nelson.
Er war erst neu bei der Mordkommission und Jason und Joris sollten ihm beibringen wie die Arbeit richtig auszuführen war. Doug war noch sehr jung, gerade einmal zweiundzwanzig Jahre alt und manchmal ging seine Fantasie mit ihm durch.
„Könnte doch sein. Vielleicht hatte Peter eine Affäre mit der Frau, doch dann hat sie spitzgekriegt das er verheiratet ist und voller Wut hat sie ihn umgebracht.“
Jason runzelte die Stirn.
„Nun ich möchte nichts ausschließen, aber ich glaube du hast zu viel Fantasie. Du musst dich an die Fakten halten. Frauen benutzen meistens lieber Gift oder andere todbringende Dinge, bei denen nicht so viel Blut im Spiel ist. Unser Mörder dagegen hatte gegen Blut offensichtlich nichts einzuwenden. Er hat sogar die Wand damit beschmiert. Außerdem haben Frauen oft eine sehr schöne Schrift nicht zu vergleichen mit dem Gekrakel des Mörders.“
Joris kam ins Zimmer gerauscht. Er sollte mehr über Mr. Smith herausfinden. Joris war ziemlich aufgeregt. Er legte einige Ausdrucke auf den Tisch, die anderen reichte er Jason und Doug.
„Peter hatte eine Frau namens Elene und sieben Kinder. Sie lebten in den USA in Texas. Peter war Richter und hatte im letzten Jahr ziemlich viel zu tun, aber vor einem Monat ist er plötzlich und offenbar ohne ersichtlichen Grund hier nach Sydney geflogen.“
„Vielleicht ein kleiner Urlaub.“ vermutete Doug.
„Unwahrscheinlich.“ meinte Jason.
„Wir müssen mit seiner Familie reden.“ sagte Joris.
Jason nahm den Telefonhörer zur Hand und wählte die Nummer von Peters Familie, die auf dem Ausdruck stand, doch bevor es einmal klingelte legte er wieder auf.
„Was ist?“ fragte Doug.
„Es ist nicht sehr taktvoll den Tod des Ehemannes über ein Telefonat zu erklären. Um den Fall aufzuklären müssen wir sowieso nach Texas fliegen.“
„In die Staaten?“ Doug machte große Augen.
„Nein, nach Spanien. Natürlich in die USA.“ fauchte der leicht gereizte Jason.
„Das artet ja richtig in Aufwand aus.“ sagte Joris.
Das brachte Jason auf etwas. Er grübelte vor sich hin und sagte mehr zu sich als zu seinen Kollegen.
„Reichlich viel Aufwand für einen einfachen Mord. Da muss mehr dahinter stecken. Ich glaube Peter kannte seinen Mörder. Voller Panik hat er die Vereinigten Staaten verlassen, als er merkte, dass sein Mörder ihm auf der Spur war. Ich nehme an er wollte ihn abschütteln. Vorsorglich hat er sich noch die Waffe gekauft.“
Jason kam aus seinen Überlegungen in die Wirklichkeit zurück.
„Hatte der Mann einen Waffenschein?“
„Nein.“ sagte Joris und bestätigte damit Jason's Vermutungen.
Es klopfte an der Tür und Rosi trat ein ohne eine Antwort abzuwarten.
„Der Rechtsmediziner ist mit seiner Untersuchung fertig.“ verkündete sie und verschwand wieder.

Herr Weiner begrüßte sie überschwänglich. Er war ein ältlicher, aber immer noch gutaussehender Mann mit Hornbrille und Glatze. Sein Erfahrungsreichtum war ihm geradezu anzusehen. Peter lag auf einer Metallplatte und sah aus, als ob er schliefe. Weiner hatte den Körper gereinigt. Die große Wunde in Peters Brust war nicht zu übersehen.
„Er ist durch einen Messerstich getötet wurden, richtig?“ sagte Jason zur Einleitung des Gesprächs.
Weiner lächelte nachsichtig.
„Tut mir Leid, dass ich Sie enttäuschen muss, aber die Mordwaffe war kein Messer. Es war ein Dolch.“
Jason runzelte die Stirn. Das war keine übliche Tatwaffe.
„Wie kommen Sie darauf?“
„Entschuldigen Sie mal. Ich übe meinen Beruf schon vierzig Jahre aus und da werde ich wohl wissen was der Unterschied zwischen einem Messer und einem Dolchangriff ist.“ sagte Herr Weiner entrüstet.
Jason rief rot an.
„Die Klinge eines Dolchs ist größer als die eines normalen Messers. Er wird auch anders gehandhabt, was gut durch die Verletzung zu sehen ist.“
Er zeigte auf die Wunde.
„Was mir allerdings Kopfzerbrechen bereitet ist die Tatsache, dass die Waffe seinen Körper fast schon wie Butter durchschnitten hat. Eine Rippe war dem Dolch im Weg, doch anstatt ihn abgleiten zu lassen, wurde der Knochen sauber durchtrennt. So konnte die Waffe mühelos in die Lunge eindringen. Das dürfte eigentlich nicht sein.“
Der alte Mann schüttelte ratlos den Kopf.
„Die Klinge muss aus einem sehr harten und scharfen Material bestehen. Das war kein gewöhnlicher Dolch.“
Jason konnte aus dem Ganzen nur die Erkenntnis ziehen, dass es sich um keine dahergelaufenen Mörder handeln konnte. So ein Dolch kostete sicher jede Menge Geld. Er stand vor einem Rätsel und wusste nicht wie er es lösen sollte.


2
Sie starrten alle drei auf den Bildschirm des Computers, der alle Daten durchging. Joris hatte die DNA des Haares entschlüsselt und jetzt durchging er die Datenbank. Bisher ohne jeden Erfolg.
„Das bringt doch nichts.“ klagte Doug irgendwann entnervt.
„Wenn der was findet, bringt uns das den Mörder.“ erwiderte Joris und tätschelte den Computer.
Jason hatte die Reise in die USA bereits beantragt. Seine Kinder wollte er mitnehmen. Er wollte in sein altes Haus in New Orleans zurück.

Nun standen sie vor eben diesem Haus. Die kleine Ann war gerade sieben Jahre alt, ihr Bruder neun. Ann schlang ihre Arme um einen Plüschhund, den sie gerne bei sich trug.
„Was für ein tolles Haus.“ quietschte sie und rannte darauf zu.
Jason lächelte. Er freute sich, dass seine Kinder so glücklich waren. Er hatte befürchtet ein Umzug würde sie verärgern oder von ihm distanzieren, doch offenbar freuten sie sich einfach etwas Neues entdecken zu können. Stolz führte er sie in seinem noch sehr staubigen Haus herum.
Das Wochenende hatte er frei. Er brachte das Haus auf Vordermann, die Kinder meldete er an der örtlichen Schule an und zeigte ihnen die Umgebung. Es war ein sehr schönes Wochenende. Am Sonntagabend taute er ihnen Pizzen auf, weil er wusste, dass es seine Kinder begeistern würde. Sie saßen in der Küche und aßen. Ann fragte auf einmal: „Musst du wirklich fort? Warum kannst du nicht hier bleiben?“
Jason konnte diese kleinen traurigen Augen nicht ertragen.
„Das gehört nun mal zu meiner Arbeit. Aber Morgen kommt Tante Marie. Sie bringt euch zur Schule und am Nachmittag zeigt sie euch den Zoo.“
Anns Miene hellte sich etwas auf und Jason wurde leichter ums Herz.
„Hier gibt es auch eine Chorgruppe in der Schule, so wie in Sydney. Soll ich euch anmelden?“ fragte der Vater.
„Ja.“ freuten sich die Kinder.
Ann und George waren schon in Sydney im Schulchor gewesen. Es machte ihnen große Freude und Jason mochte es, dass sie ein sinnvolles Hobby hatten.

Am Montag flog er nach Texas um mit der Frau des verstorbenen Mr. Smith zu sprechen. Jason steckte ein Klos im Hals. Wie sagt man einer Frau, dass ihr Mann ermordet wurde?
Am Flugplatz winkte ihm eine Frau zu. Als Jason sie sah, stockte ihm der Atem. Sie war eine äußerst attraktive, schwarze Frau ende dreißig. Ihre Augen strahlten ihn freundlich an und wurden etwas von ihrem schulterlangen Haar verdeckt.
Jason ging auf sie zu.
„Wer ist sie?“ fragte er sich selbst.
Doch offensichtlich kannte sie ihn.
„Hallo ich bin Kathy Brown vom FBI.“
Sie zeigte ihre Marke und schüttelte seine Hand.
„Wir haben erfahren, dass sie auch mit diesem Fall zu tun haben. Gott weiß, dass wir jede Hilfe gebrauchen können. Kommen sie mit! Dort ist ein hübsches Caffee, da erzähle ich ihnen mehr.“
Jason war total von ihr überrumpelt wurden. Er konnte ihr nur folgen und versuchen die Fassung zurückzugewinnen.
„Starr sie doch nicht so an, Dummkopf!“ mahnte er sich selbst.
Sie bestellten sich einen Kaffee und Kathy seufzte schwer. Sie schien eine anstrengende Zeit hinter sich zu haben. Jetzt erkannte er auch, dass sie dunkle Ringe unter den Augen hatte.
„Woher wussten Sie, dass ich nach Texas fliegen würde?“
„Nun, wir haben unsere Quellen. Ich werde sie zu Mrs. Smith begleiten. Ich hoffe sie sind einverstanden.“
Jason nickte.
„Ich weiß noch nicht recht wie ich es ihr sagen soll.“
Kathy blickte etwas hoffnungslos.
„Ja, wie soll man jemandem sagen, dass der Mensch, den man über alles geliebt hat kaltblütig ermordet wurde?“
„Hallo. Da sind Sie ja.“
Es war Joris. Er war schon am Samstag nach Texas geflogen und hatte sich hier frei genommen.
„Nun, dann kann es ja losgehen.“ sagte Kathy, während sich Joris setzte.
Kathy holte einige Fotos aus ihrer schwarzen Handtasche und reichte sie den beiden Männern.
„Peter war nicht das erste Opfer dieser Täter. Es gibt eine ganze Reihe von Morden dieser Art und jeden Monat werden es mehr.“
Jason sah sich die Bilder an. Eine Frau lag in einer Blutlache auf einem Teppich. Erschossen. Ein alter Mann lag erstochen auf einem Gehweg. Eine junge Frau lag tot in ihrer Badewanne. Wahrscheinlich vergiftet. Und auf vielen Fotos waren die blutigen Schmierereien zu sehen. Jason schluckte schwer.
„Die Mörder scheinen kein festes Schema zu haben. Die wurde erschossen, diese Frau vergiftet, der erstochen.“
„Glauben sie wirklich, dass es derselbe Mörder war?“ fragte Joris.
Katie nickte.
„Ich denke schon. Dieses abscheuliche Gekritzel an den Wänden spricht dafür. Und da ist noch etwas. Wissen Sie, ich habe schon viele Morde aufgeklärt. Da ging es um Rache, verletzte Gefühle oder Raub. Die Täter handelten impulsiv, wussten nicht was sie als nächstes tun sollten. Doch dieser Mörder ist anders. Er tötet bewusst. Der weiß genau was er tut. Ein Profi. Ohne Gewissen, ohne Reue.“ sagte Katie. „Ich verachte ihn.“
Sie sah auf das Foto mit dem erstochenen Mann. Jason war sich klar, dass sie den Mörder meinte und fragte sich ob es eine Verbindung zwischen Kathy und dem Mann auf dem Foto gab.
Dann riss sich die Frau aus ihren Gedanken.
„Kurz bevor Peter Smith nach Sydney reiste, wurde sein Kollege getötet. Der Mörder hat ihn aufgeschlitzt und auch die Wand hinter der Leiche beschmiert. Sehen Sie!“
Kathy reichte Ihnen ein weiteres Bild.
„Wir wissen was du getan hast Peter.“
Jason gefror das Blut in den Adern.
„Dann sind es also mehrere?“ fragte Joris.
Kathy überlegte.
„Das, oder der Mörder ist so verrückt, dass er glaubt er wäre nicht allein. Doch offenbar überwacht er oder sie die Opfer. Scheinbar müssen diese Leute sterben, wenn sie irgendetwas herausfinden.“
„Vielleicht ist es dann besser es nicht herauszufinden.“ sagte Joris kleinlaut.
Kathy rümpfte verächtlich die Nase.
„Und den Mörder machen lassen? Nein, das kommt überhaupt nicht in Frage. Wer weiß wer noch alles sterben muss.“
Eine unangenehme Stille breitete sich aus. Jason nippte an seinem Kaffee.
„Keine Sorge. Wir kriegen ihn.“

Mrs. Smith lebte in einer hübschen Kleinstadt in einem großen Haus. Immerhin hatte sie sieben Kinder und ihr Mann hatte gutes Geld nach Hause gebracht. Kathy und Jason gingen durch den gepflegten Vorgarten.
Joris hatte weitere Nachforschungen anstellen wollen und war daher nicht mitgegangen. Kathy ordnete ihr Haar und klingelte dann. Eine Frau mittleren Alters öffnete die Tür. Sie wirkte müde und kraftlos.
„Ja, was wollen Sie?“
„FBI,“ sagte Kathy und hielt ihre Marke hoch. „es geht um ihren Mann“
Elene schien erschrocken, ließ sie aber eintreten.
„Nehmen Sie doch Platz. Kinder, geht nach oben in euer Zimmer!“ sagte die Frau zu einem Jungen und einem Mädchen, die Kathy und Jason neugierig ansahen, dann aber die große Holztreppe zu ihren Zimmern emporstiegen.
„Sie wissen, dass ihr Mann nach Sydney geflogen ist?“ fragte Jason.
Elene schien etwas zu ahnen.
„Nein. Er ist aufgeregt losgefahren, hat sich schnell verabschiedet, wollte aber nicht sagen wo er hinwollte. Was ist mit ihm?“ fragte sie besorgt.
Jason biss sich auf die Lippe.
„Er .... er wurde ermordet, in seiner Wohnung.“
Elene wurde Leichenblass. Der Schock schlug über ihr zusammen, wie ein Meer, das sie ertränken wollte.
„Ich...muss einen Moment allein sein.“ sagte sie und zog sich zurück.
Jason vermutete, dass sie auf dem Weg ins Badezimmer war. Die nächste halbe Stunde saßen Kathy und er nur da und unterhielten sich leise. Dann kam Mrs. Smith zurück. Ihr Gesicht war nass von vielen Tränen.
„Wer hat es getan? Warum?“ fragte sie mit erstickter Stimme.
„Wir wissen es nicht, aber wir hoffen, dass sie uns bei der Ermittlung helfen können.“ sagte Kathy.
Elene nickte.
„Wenn das den Mörder zu seiner gerechten Strafe verhilft. Was wollen sie wissen?“
„Wie verhielt sich Peter in den letzten Wochen, als er hier war?“ fragte Jason.
Elene überlegte.
„Nun, zuerst wurde er sehr nervös. Er konnte nicht mehr richtig schlafen und blieb länger auf Arbeit. Später wurde sein Kollege ermordet. Es war schrecklich.“
Tränen rannen über Elenes Gesicht und sie rang nach Luft.
„Peter benahm sich dann geradezu paranoid und vermutete überall Gefahr. Ich habe ihn erwischt wie er eine ganze Nacht an der Fensterbank gesessen hat und einfach nur auf die Straße gestarrt hat.“
Sie zeigte zu einem großen Fenster links von ihnen.
„Ich habe ihn oft gefragt was los sei, aber er wollte es mir nicht sagen. Manchmal hat er sogar geweint. Er aß schlecht und schlief fast überhaupt nicht mehr. Ich drängte ihn immer weiter, doch er wollte mir nichts sagen. Er verlor die Fassung und schrie mich an, ich solle ihn nicht fragen, sie könnten es hören und würden uns beobachten. Ich würde nicht erfahren dürfen was ihn beunruhigte.“
„Wer sind „sie“? Hat er jemals von diesen Leuten gesprochen?“ fragte Kathy interessiert.
Elene schüttelte den Kopf.
„Nein, aber manchmal glaubte ich Peter sei verrückt geworden und dann ist er einfach weggefahren.“
Stille legte sich über sie. Jason tätschelte Elenes Hand.
„Machen Sie ihrem Mann keinen Vorwurf. Ich glaube er wollte sie schützen.“
Wie betäubt verließen sie das Haus der Smith. Jason wollte sich nicht ausmalen wie es mit dieser traumatisierten Familie weitergehen sollte.

Im Polizeirevier trafen sie auf Joris.
„Ich habe Neuigkeiten. Offenbar geht diese Mordserie rund um den Globus.“
Er zeigte auf seinem Notebook eine Weltkarte mit leuchtenden Punkten und zählte auf:
„Sydney, New York, Miami, St. Louis, Los Angeles, Ottawa, Mexiko Stadt, San Salvador, Sao Paulo, London, Manchester, Sevilla, Berlin, Hamburg, Oslo, Bern, Wien, Prag, Paris, Napoli, Tripolis, Tunis, Damaskus, Beograd, Nowosibirsk, Wladiwostok, Delhi, Nanning und Tokyo.“
Bei jeder Stadt, die Joris nannte klappte Jason der Mund weiter herunter. Seine Augen waren geweitet. Er konnte es nicht fassen. Er taumelte und musste sich setzen. Er schlug die Hände vor den Mund. Ihm war schlecht. Offenbar waren es doch mehrere oder schaffte es ein einzelner an so viele Orte zu reisen und so viele Menschen zu ermorden? Jason schwirrte der Kopf vor Fragen, auf die er keine Antwort wusste. Auch Kathy wirkte betroffen. Ihr Handy klingelte. Zuerst schien sie es nicht zu merken. Dann erwachte sie aus ihren Gedanken und ging an das Telefon. Jason sah ihr betäubt zu, konnte Kathys verwirrten Gesichtsausdruck sehen. Sie keuchte erschrocken auf, dann klappte sie das Handy zu.
„Das war einer meiner Kollegen. Er meldet zwei weitere Morde. Die Opfer sind zwei Serienmörder.“
„Wie bitte?“ fragte Joris und verlor fast sein Notebook. „Mörder ermorden Mörder? Seit wann gibt es denn sowas?“
„Kommt! Wir müssen den Tatort untersuchen.“ sagte Kathy.
Sie folgten ihr zu ihrem Minivan. Kathy war eine erfahrene Fahrerin, das sah Jason ihr sofort an.
„Was wissen Sie von den getöteten Mördern?“ fragte er.
„Sie heißen, oder besser sie hießen Aaron Parde und Adam Prde. Zwillingsbrüder. Sie haben über zwanzig Menschen umgebracht. Ihr Erkennungsmerkmal war, dass sie die Opfer vorgewarnt und der Polizei gedruckte Briefe geschrieben haben.“
Jason runzelte die Stirn.
„Außerdem haben sie die meisten ihrer Opfer vergewaltigt. Sie liebten perverse Spielchen. Wir haben sie schon lange gesucht, aber bisher nie fassen können.“
„Offenbar war unser Mörder schneller.“ bemerkte Joris.
Es war eine lange Fahrt. Kathy schlug sich wacker durch die Müdigkeit. Am nächten Tag gelangten sie nach Phoenix. Dank des Navigationsgerätes gelangten sie ohne größere Umschweife zu ihrem Ziel, ein unscheinbares Haus in einer Nebenstraße. Auch hier war schon die örtliche Polizei anwesend, die den Tatort untersuchte.
Die Möbelstücke in dem Haus wirkten wirr zusammengewürfelt. Es war zweckmäßig eingerichtet. Im Wohnzimmer befand sich ein großer Flachbildfernseher. Ein Haufen Porno Filme lag auf dem Fußboden verteilt.
Es war nicht schwer die Leiche zu entdecken. Sie war nicht zu übersehen.
„Das ist Aaron.“ stellte Kathy fest.
Der Mann hatte nur eine Unterhose an. Offenbar wollte er sich gerade frische Sachen aus dem nahen Kleiderschrank holen. Von Aarons Körper war nur noch eine blutige Masse übrig. Seine Kehle war aufgeschlitzt, ebenso Arme und Brust. Große Wunden klafften in seinem Leib und der Teppichboden schwamm vor Blut.
Sie starrten die Leiche erschrocken an. So etwas hatte Jason noch nie gesehen. Kathy schien das Gleiche gedacht zu haben.
„Haben sie schon einmal so etwas gesehen?“
Die Männer schüttelten die Köpfe.
„Der Mörder muss ziemlich wütend gewesen sein, so ein Hass.“
Sie schüttelte sich. Jason versuchte objektiv zu bleiben.
„Es scheint so, als hätte der Mörder vor ihm gestanden. Diese Schnitte sehen gut abgeschätzt aus. Vielleicht haben sie sich sogar unterhalten.“
„Sagten Sie nicht, er hätte einen Bruder?“ fragte Joris.
„Ja.“ antwortete Kathy.
Jason sah sich um. Er sah ein klaffendes Loch in der hölzernen Trennwand im Nebenzimmer. Wie auf Rollen bewegte er sich darauf zu. Holzstücke lagen überall herum. Er spähte durch das Loch und sah auf der anderen Seite einen grotesk verrenkten Körper. Das musste Adam sein. Wie sein Bruder war er tot. Knochensplitter stachen aus seinem Körper heraus. Blut klebte überall. Wände, der Boden, sogar die Decke. Aber nirgendwo stand damit auch nur ein Wort geschrieben.

Während sie auf die Ergebnisse der Obduktion warteten versuchten sie das Gesehene zu verarbeiten. Kathy und Jason unterhielten sich. Joris rief im Police Department in Sydney an und fragte, ob durch das Haar nun schon ein Täter gefunden wurde. Enttäuscht teilte er den anderen mit, das zwar die gesamte Datenbank durchsucht, aber niemand mit der entsprechenden DNA gefunden wurde.
Schließlich gingen sie zum Rechtsmediziner.
„Aaron wurde augenscheinlich aufgeschlitzt mit ....“
„einem Dolch.“ sagte Jason.
Der Rechtsmediziner sah erstaunt aus.
„Richtig.“
„Wie Peter.“ würgte Jason hervor.
„Die Waffe war sehr scharf und hart. Das Seltsame ist, dass dem Opfer die meisten Organe fehlen.“
„Wie bitte?“
Ekel stand Joris ins Gesicht geschrieben.
„Oh ja. Ihm fehlt sein Herz, die Leber und der Darm. Der Mörder muss die Teile herausgeschnitten haben. Wieso kann ich nicht sagen.“
Er ging zu Adam's Leiche.
„Den hat‘s nicht besser erwischt. Der Mörder hat ihn durch die Wand gerammt und somit seine Wirbelsäule geradezu zertrümmert. Der Körper hier ist eine einzige Fleischmasse. Eins kann ich Ihnen sicher sagen. Dem Kerl, der das angerichtet hat, möchte ich nicht begegnen.“

Abends im Hotel konnte Jason lange nicht einschlafen. Als er dann doch endlich zur Ruhe kam, plagten ihn Albträume von zerstochenen und zertrümmerten Körpern. Schweißnass wachte er auf. Er zitterte. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es vier Uhr nachts war. Er konnte nicht mehr einschlafen. Er war sich nicht mal sicher, ob das eine gute Idee wäre und so zog er sich an und machte sich bereit für die Arbeit.


3
Als er den Dienst antrat, war er erstaunt Kathy schon vorzufinden. Sie sah total erschöpft aus, doch Jason fand sie immer noch unglaublich hübsch.
„Ich konnte nicht schlafen.“ erklärte sie knapp. „Wissen Sie was mir aufgefallen ist? Es gab dieses mal keine Schrift an der Wand.“
Jason dachte nach.
„Stimmt.“ dachte er. „Vielleicht war es diesmal jemand anderes.“ sagte er, doch ihm fiel dann ein, dass es die gleiche Tatwaffe war.
Kathy schüttelte den Kopf.
„Ich habe nachgeforscht. Es ist nicht das erste Mal, dass den Opfern Organe entnommen wurden. In Berlin, Hamburg, London, und Prag war es das gleiche und dort gab es diese blutige Schrift.“
Sie gingen noch mal alle Fakten durch. Am Mittag beschlossen sie in das nächste Restaurant zu gehen.
Jason bestellte Seelachs, Kathy Lasagne.
„Ich bin ja so froh, wenn dieser Fall abgeschlossen ist.“
Sie nippte an ihrem Glas. Kathy schien ihm etwas sagen zu wollen, aber es sah so aus, als wüsste sie nicht wie sie es ansprechen sollte.
„Erinnern Sie sich noch an den alten Mann auf dem Foto?“ fragte sie schließlich.
Es dauerte etwas bis Jason nach den letzten ereignisreichen Tagen die Erinnerung gefunden hatte, die er benötigte. Er nickte stumm.
„Das war mein Großvater. Auch er arbeitete beim FBI. Er hat mir gezeigt, was Stärke bedeutet und das es wichtig sei den Schuldigen ihre Schuld vor Augen zu führen.“
Kathy wischte sich eine Träne aus dem rechten Auge.
„Er hat immer das Gute in den Menschen gesehen und versucht den Verurteilten einen Weg in ein anständiges Leben aufzuzeigen. „Jeder verdient eine zweite Chance.“ hat er immer gesagt. Auch er hatte den Fall bearbeitet. Eines Abends kam er dann aufgeregt in mein Zimmer und wollte mir etwas sagen. Ich hatte gerade mit einem anderen Fall zu tun und war gereizt, weil mich der Täter an der Nase herumführen wollte. Ich fauchte meinen Großvater an und schickte ihn weg. Am nächsten Tag wurde er ermordet. Er war gerade auf dem Rückweg von der Kirche und hatte, wie üblich, am Gemüseladen angehalten um frisches Gemüse zu kaufen. Ich kann nicht vergessen, dass das Letzte was ich zu ihm sagte so abweisend war.“
Jason sah sie mitleidvoll an. Er streckte den Arm aus und streichelte ihre Hand. Das entlockte Kathy ein zartes Lächeln und sie ergriff ihrerseits seine Hand und drückte sie.
„Ich habe zwei Kinder. Wollen Sie sie sehen?“
Er holte zwei Fotos aus seiner Brieftasche und zeigte sie Kathy um sie aufzuheitern. Kathy strahlte.
„Es ist beruhigend zu sehen, das es abseits von all dieser Gewalt noch ein normales Leben gibt.“
Sie wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht.

Nach dem Essen gingen sie zurück ins Polizeirevier. Sie waren kaum zur Tür hereingekommen, als ein noch recht junger Mann auf sie zueilte.
„Das ist Robert Kelley. Er ist ein Kollege vom FBI. Er hat mir auch von Adams und Aarons Tod erzählt.“ sagte Kathy schnell zu Jason, damit er Bescheid wusste.
Robert war etwas außer Atem und keuchte.
„Am besten ihr zwei folgt mir in mein Büro. Ich habe etwas das euch in eurem Fall sehr weiterhelfen wird.“
Überrascht schauten sich Kathy und Jason an, dann liefen sie hinter Robert her.
Während er lief erklärte er: „Wir haben einen bekannten Drogendealer namens Mark Yao beschattet und überall in seinem Haus Wanzen ausgelegt um seine Verkäufer und Käufer herauszufinden. Wir haben bereits drei inhaftiert. Keine großen Nummern, aber naja, immerhin. Aber viel wichtiger ist, Yao hatte Besuch. Ich denke es waren eure Mörder.“
Jasons Herz pochte so schnell, als wenn es ihm davonlaufen wollte. Endlich würden sie einen wichtigen Anhaltspunkt erhalten. Robert führte sie in sein unspektakuläres Büro, das so aussah wie alle anderen auch und öffnete eine Audio Datei auf seinem Computer. Zuerst war gar nichts zu hören, dann Schritte. Sie waren ruhig und kaum hörbar.
„Das ist Yao.“ klärte Robert sie auf.
Jason nickte und spitzte die Ohren.
Es klopfte an Yao's Wohnungstür.
„Wer da? Wenn du was kaufen willst, komm später wieder. Ich hab zur Zeit nichts da.“ ertönte Yao's hohe Stimme.
„Nun, eigentlich wollen wir etwas zurückhaben.“ ertönte eine selbstbewusste Stimme.
„Ähm...Leute...äh...können wir das auf ein andermal verschieben?“
Sie hörten wie Yao eilig etwas zusammenpackte, dann ging er schnellen Schrittes zur Tür. Quietschend ging sie auf, dann wieder zu. Jason vermutete, dass die Neuankömmlinge eingetreten waren.
„Eine Kamera wäre echt nicht schlecht gewesen.“ zischte Kathy Robert ins Ohr. Der blickte finster drein, sagte aber nichts.
„Scheiß Licht!“ brüllte eine kalte, wütende Stimme aus dem Lautsprecher, die die drei zusammenzucken ließ.
Sie konnten hören wie eine Pistole abgefeuert wurde und wie etwas zerbrach. Eine Stimme winselte. Jason vermutete, dass es Yao war. Die selbstbewusste Stimme sagte zu dem anderem: „Taran, es gibt so eine tolle Erfindung, die nennt sich der Lichtschalter. Schon mal was von gehört?“
Sie hörten ein Schnauben.
Dann ertönte wieder die erste Stimme. Sie klang jetzt sanft, fast als spräche sie zu einem kleinen Kind.
„Jetzt zu dir Mark. Wir haben unser ganzes Vertrauen in dich gesetzt und dir Geld geliehen, mit dem du dir hier ein kleines Drogenimperium aufbauen konntest.“
Die Stimme wurde nun laut und drohend.
„Aber du hast versagt und trotz mehrmaliger Vorwarnung nichts zurückgezahlt.“
Sie konnten hören wie etwas rumste.
„Konnte nicht zahlen...kein Geld...noch eine Chance.“ stammelte Yao.
„Du hattest schon so viele Chancen. Wir behandeln die, die uns unterstützen sehr gut, aber du weißt ja was mit den anderen passiert.“ sagte die kalte Stimme drohend.
„Ich hab kein Geld!“ schrie Yao panisch.
„Das werden wir gleich wissen.“ sagte die kalte Stimme.
„He! Aufhören!“ sagte Yao's Stimme.
Lautes Gepolter ertönte und sagte ihnen, dass Yao's Wohnung gerade auf den Kopf gestellt wurde.
„Kein Geld, hä? Und was ist das hier?“ fragte die kalte Stimme.
„Das brauch ich um die Miete zu bezahlen.“ war Yao's erregte Stimme zu hören.
„Deine Schulden an uns sind wichtiger.“
„Ihr Wichser, das könnt ihr nicht machen.“ schrie Yao aufgebracht.
„Pass auf was du sagst oder wir schneiden dir die Zunge raus!“
„Warum solche Umstände Greg? Töten wir ihn doch.“
Yao stieß einen spitzen Schrei aus und sie konnten hastige Schritte hören.
„Hier geblieben.“ erklang die erste Stimme.
Ein Schuss ließ Jason, Robert und Kathy zusammenzucken. Dann hörten sie, wie etwas Schweres auf den Fußboden fiel.
„Das wäre erledigt. Der macht keinen Pieps mehr.“ sagte die erste Stimme.
Es herrschte einen Moment Stille. Dann sagte die kalte Stimme: „Ich weiß ja nicht was du vorhast, aber ich mach mich los. In Denver hab ich ein Treffen mit Brad Plate. Und er wird sich gar nicht freuen mich zu sehen.“
Ein kaltes Lachen drang aus dem Lautsprecher.
„Ich treff mich mit Lestes hier gleich vor der Stadt. Er ist etwas mürrisch, weil er mich schon so lange nicht mehr gesehen hat.“
„Was ist denn bei euch lange?“ fragte die zweite Stimme amüsiert.
„Das letzte Mal hat er mich gesehen, als er mich vor Sydney abgesetzt hat. Bei Lestes ist es wichtig, dass ich ihm vertrauen kann, oder es kann unangenehm werden.“
Eine Tür knallte und es wurde ruhig.
Robert beendete die Datei.
„Wir müssen diesen Brad Plate sofort in Sicherheitsschutz nehmen.“ sprudelte es aus Jason heraus.
„Ich habe schon die Kollegen in Denver benachrichtigt und ich schlage vor, dass ihr Beiden euch auch auf die Socken macht. Es geht um Leben und Tod.“


4
Sie flogen mit dem Flugzeug. Es war mittlerweile Dunkel, doch Jason konnte einfach nicht einschlafen. Er hatte kurz mit seiner Familie telefoniert. Jetzt grübelte er weiter über den Fall nach.
„Was hat das alles zu bedeuten? Irgendwelche Untergrundorganisationen, die sich gegenseitig verkaufen und abschlachten? Was war das aber für eine Schrift an den Wänden? Da war von irgendwelchen Wächtern die Rede. Wächter von was? War das irgendein diabolischer Kult, der Leute, die ihnen unangenehm wurden umbrachte? Oder vielleicht Drogenabhängige, die sich noch einen zusätzlichen Kick holten? Oder einfach irgendwelche Mörder, die Selbstkontrolle nicht kannten und dachten sie könnten sich alles erlauben?“
Jason konnte diesen Berg von Fragen, der auf ihm einzustürmen drohte nicht beantworten, doch er konnte nicht anders als darüber nachzudenken. Manchmal fragte er sich ob er den richtigen Job gewählt hatte. Wäre es nicht schön ein ruhiges Leben zu verbringen? Einen geregelten Tagesablauf zu haben? Früh zur Arbeit, das tägliche Mittagessen in der Kantine, später pünktlich nach Hause, viel Zeit mit den Kindern verbringen, keine ihrer Veranstaltungen mehr verpassen und ruhig schlafen können.
Jason seufzte schwer. Aber er hatte sich für diesen Beruf entschieden. Er wollte das Kriminelle ihre gerechte Strafe erhielten und die anderen Menschen ein ruhiges Leben ohne Morde und Gewalt leben konnten.

Als Jason und Kathy im Gebäude des FBI in Denver ankamen war Mr. Plate bereits unter Personenschutz. Zurzeit befand er sich in einem geräumigen Büro umgeben von zwei gut ausgebildeten und bewaffneten FBI Leuten, dazu wurde das ganze Gebäude videoüberwacht. Keine Maus kam hier ungesehen durch. Kathy nahm die Angelegenheit sofort in die Hand und versuchte den äußerst verängstigten Mr. Plate zu beruhigen. Der Mann sah für Jason nicht nach jemandem aus der leicht die Nerven verlor. Offenbar war Mr. Plate Lehrer in einem Karate Kurs und schien sich durchaus zur Wehr setzen zu können. Er war so groß und kräftig wie ein Ochse, was seinen verängstigten Zustand noch ungewöhnlicher aussehen ließ.
„Hier, trinken sie erst mal einen Tee.“ sagte Kathy und bot ihm einen Pfefferminz Tee an. Brad Plate nickte, verschüttete aber die Hälfte des Inhalts, als er die Tasse nahm, weil seine Hand so zitterte. Dann stellte er die Tasse auf dem nahen Schreibtisch ab, offenbar war er sehr froh sie los zu sein.
„Sie sind hinter mir her, nicht wahr? Sonst würden ihre Leute mich nicht beschützen, aber das können sie nicht. Sie werden mich kriegen.“
Seine Stimme wurde immer schriller und schließlich brach sie.
„Keine Sorge. Sie sind hier vollkommen sicher. Es gibt sehr viele hochqualifizierte Sicherheitsleute und außerdem Überwachungsgeräte.“ versuchte Kathy ihn zu beruhigen.
Brad schüttelte den Kopf, als wenn er das ernsthaft bezweifelte. Auch die Sicherheitskräfte wirkten angesichts des aufgelösten Brad leicht nervös. Jason hoffte, dass Kathy recht hatte.
„Wer sind „sie“? Von wem reden Sie?“ fragte Jason.
Brad zitterte.
„Sag ich nicht. Ich hätte nie auch nur darüber nachdenken dürfen, dann säß ich jetzt nicht in diesem Schlamassel.“
„Sie sind hier sicher. Niemand wird ihnen etwas antun. Sie können uns alles erzählen.“ versicherte ihm nun auch Jason.
Brad stöhnte. Dann schien er all seinen Mut zusammenzunehmen.
„Nun ich denke es ist nun sowieso zu spät. Ich hoffe nur sie können das hier nicht mitkriegen, denn sonst sind sie in ernsthafter Gefahr.“
Er zögerte kurz. Kathy sah ihn aufmunternd an.
„Ich hatte einen Freund, sein Name spielt keine Rolle. Er steht sowieso in keiner Datenbank. Er hatte erst vor kurzem seinen Job hingeschmissen und in seinem Fall war das kein einfaches Ding, weil er nicht gerade einer öffentlichen Firma angehörte. Jedenfalls hat er die Grundsätze seines Arbeitgebers nicht länger mit seinen moralischen Vorstellungen vereinbaren können und der Betrieb war sowieso ziemlich angeschlagen. Wir verstanden uns gut, spielten gerne zusammen Schach. Als wir uns wieder einmal zu einem Match verabredet hatten und ich gerade auf dem Weg zu ihm war ... ich war gerade im Treppenhaus, hörte ich wie er schrie. Ich stieß die Tür auf und...“
Er schluckte schwer. Tränen rannen geräuschlos über sein Gesicht.
„Da sah ich seinen Mörder über ihm stehen, einen blutigen Dolch in der Hand. Er hat ihn einfach umgebracht.“
Brad schlug die Hände vors Gesicht und fing hemmungslos an zu schluchzen.
Kathy tätschelte etwas hilflos seine Schulter. Jason wusste nicht was er sagen sollte. Wer waren diese Mörder, dass sie einem solchen Koloss angst einjagen konnten? Kathy und Jason warteten bis sich Brad etwas beruhigt hatte, dann fragte Kathy sanft: „Und dann ist der Mörder weggelaufen?“
Brad nickte. Er hatte aufgehört zu weinen und sah sie nun mit blutunterlaufenden Augen an.
„Wie hat er ausgesehen?“
„Das weiß ich noch ganz genau. Er war sehr dünn, sah irgendwie halb verhungert aus, hatte schwarze Sachen an und ebenso schwarze kurze Haare, aber seine Augen...“
Er schluckte hörbar. „...ich habe nie solche Augen gesehen, sie waren strahlend grün und er sah mich mit einem solchen Ausdruck von Hass an, dass ich es fast körperlich spüren konnte. Ich hatte vorher nie solche Angst wie in diesem Moment.“
Es herrschte einen Augenblick Stille.
„Er hat im Dunkeln gestanden, nur das Licht aus dem Flur hat alles beleuchtet. Wissen sie... ich male gerne und ich wusste nicht wie ich das alles verarbeiten sollte, da hab ich angefangen zu malen. Dieses Bild hatte sich so sehr in meinen Kopf eingebrannt, dass es nicht schwer war es abzumalen. Es war fast fertig. Heute früh, als ich in meine Wohnung kam, war davon nur noch ein Haufen Asche übrig. Er war da gewesen.“ sagte er mit gequälter Stimme.
„Wer ist er? Wissen Sie das?“
Brad schüttelte den Kopf.
„Hat ihr Freund etwas in der Richtung gesagt?“ bohrte Jason weiter.
Abermals nur Kopfschütteln. Jason seufzte schwer. Plötzlich flackerten die Lampen, dann erloschen sie. Jason hörte wie der eine vom Personenschutz am Lichtschalter fummelte. Nichts passierte. Auch der Computer am Schreibtisch war aus.
„Verdammt, Stromausfall.“ fluchte Jason.
„Er ist da.“ wimmerte Brad.


Kathy und Jason waren auf dem Weg zur Zentrale um zu sehen was los war. Kathy hatte glücklicherweise eine Taschenlampe dabei, so dass sie etwas sehen konnten.
„Komisch, eigentlich sollte das Notstromaggregat anlaufen.“ bemerkte Kathy.
Als sie im Hirn des Gebäudes angelangten, fanden sie auch nur ratlose Gesichter vor. Jemand war bereits auf dem Weg zum Sicherungsschalter um zu sehen was los war.
„Wissen Sie was passiert ist?“ fragte Jason den hiesigen Chef.
„Keine Ahnung. Auf einmal ist der Strom ausgefallen, aber das ist kein Problem. Ich bin mir sicher, dass wir das in Null Komma Nix wieder hinkriegen.“
Im Moment konnten Jason und Kathy nur warten. Hier würden sie auf dem laufenden bleiben.
„Brad hat den Mörder gesehen.“ sinnierte Kathy.
Sie hatte sich auf einer Bank niedergelassen. Jason zog sich einen Hocker heran.
„Komisch, oder? Ich dachte diese Typen mögen es zu töten. Wieso hat er Brad am Leben gelassen?“ fragte Jason. „Er wusste doch, dass Brad damit zur Polizei gehen könnte.“
Kathy's Stirn legte sich in Falten.
„Vielleicht war es ihm egal. Ich glaube der Mörder ist ziemlich arrogant. Wahrscheinlich dermaßen überheblich zu glauben wir würden ihn nicht kriegen. Das ist mir schon einmal passiert. Wir hatten ihn schnell gefasst. Das ist für uns sicher zum Vorteil.“ sagte Kathy bestimmt.
„Kann doch aber auch sein, dass es ihm Leid tat und er nicht noch jemanden umbringen wollte.“
Kathy schnaubte verächtlich.
„Diese Ungeheuer wissen doch gar nicht was Reue ist.“
Jason schwieg. Er fügte die Informationen, die Brad ihnen mitgeteilt hatte dem großen Haufen in seinem Gehirn hinzu und versuchte dieses Puzzle zu vervollständigen. Es gelang ihm nicht. Diese angespannte Atmosphäre um ihn herum war nicht gerade der ideale Ort um nachzudenken. FBI Mitglieder standen überall und unterhielten sich nervös. Es lag etwas Bedrohliches in der Luft. Auch Jason spürte es und er wünschte sich, dass das Problem mit der Elektrizität bald behoben sein würde.
Das schallende Geräusch von Schüssen ließ ihn hochschrecken. Zuerst verstand er nichts. Zwei weitere Schüsse. Diesmal konnte er sie orten. Sie kamen vom Flur. Er hastete zur Tür, schlug sie auf und stürmte auf den Gang hinaus. Neben ihm Kathy, ein halbes Bataillon FBI Kollegen hinter ihnen. Jemand vom Sicherheitsdienst rannte gerade an ihnen vorbei seine Pistole noch in der Hand, die er während des Laufs nachlud. Jason konnte im Schein der Taschenlampen am Ende des Ganges gerade noch etwas um die nächste Ecke entschwinden sehen. Er handelte schnell und stürzte dem Mann nach. Kathy hatte Mühe schritt zu halten.
Als sie in den nächsten Gang stürzten sahen sie den Sicherheitsmann ratlos dastehen. Offenbar hatte er den Killer verloren. Kathy und die anderen vom FBI suchten mit den Lichtkegeln ihrer Taschenlampen den Gang ab. Es war so still. Sie hörten rein gar nichts. Und es machte es noch unheimlicher, denn Jason reichte es entschieden in einem dunklen Gang mit einem Mörder zu sein ohne zu wissen wo er sich befand.
Ein Lachen durchbrach die Stille. Es war ein kaltes Lachen, dass Jasons Nackenhaare aufstellte und ihm wie Eis durch die Venen kroch. Sie konnten nicht bestimmen woher er kam. Es schien durch den ganzen Flur zu hallen.
Dann sagte Jason: „Die Lüftungsschächte.“
Sofort schoss jeder der eine Waffe hatte auf die graue Metallabdeckung über ihnen. Dann machten sie eine Pause um festzustellen ob sie getroffen hatten. Doch das Lachen setzte wieder an, schraubte sich zu einem wahnsinnigen Laut hoch und erstarb dann. Jason konnte hören wie der Mann tief Luft holte. Und dann hörte er eine kalte, harte Stimme höhnisch sagen: „Ist das alles was ihr könnt? Was ist? Habt ihr Angst vor der Dunkelheit?“
Jason konnte sich vorstellen wie der Mörder schmunzelte.
„Er verspottet uns.“ sagte Jason überflüssigerweise.
Kathy sah ihn entnervt an.
Dann hörten sie, wie der Mörder anfing zu singen. Es war eine andere Sprache. Jason verstand nicht was er da sang, aber es hörte sich sehr bedrohlich an.
Dann wurde es auf einmal wieder ruhig.
Sie warteten auf eine weitere Reaktion ihres Ziels.
Nichts.
„Was macht er?“ flüsterte Kathy.
„Keine Ahnung. Vielleicht wartet er, weil er nicht weiß was er nun mit uns anfangen soll.“ antwortete Jake.
Langsam ging die Gruppe den finsteren Gang entlang. Ihre Lichtkegel ließen den sterilen Raum gespenstisch und unwirklich erscheinen. Der Mörder könnte jeden Moment um die Ecke springen und sie angreifen. Jake lief ein Schauer über den Rücken.
„Keine Spur von ihm.“ bemerkte einer vom FBI, als sie am Ende des Ganges waren.
Ein furchtbarer Schrei durchschnitt die Stille. Er drückte auf ihre Ohren und brach dann ab, als hätte jemand die Stromverbindung zu einem Radio gekappt. Kurz darauf folgte ein Schuss.
„Brad!“ keuchte Jason und er rannte los. Sie hatten ihn ganz vergessen, dabei sollte er doch geschützt werden. Er hastete die Flure entlang, war nicht mehr weit entfernt, höchstens zwei oder drei Gänge. Er konnte laute Stimmen vor sich hören, dann wieder einen quälenden Schmerzensschrei, der in ein gurgelndes Geräusch über ging. Jason flog praktisch durch den letzten Gang, die Waffe in der Hand, bereit auf den Killer zu schießen. Die Tür zu dem Zimmer, in dem sie Brad zurückgelassen hatten, stand offen. Er konnte nichts sehen. Es war völlig finster.
Kathy's keuchender Atem näherte sich und mit ihr kam das Licht. Der kleine, künstliche Lichtspender enthüllte das gesamte Ausmaß dieses Grauens. Links und rechts neben der Tür lagen die beiden Sicherheitsleute, tot. Brad saß immer noch auf seinem Stuhl. Sein Bauch war aufgerissen, legte den Blick auf sein Inneres frei und das Blut floss in einem stetigen Quell auf die Erde. Seine Augen waren zu einem unvorstellbaren Entsetzen aufgerissen. Für ihn kam jede Hilfe zu spät.
Jason war übel. Er übergab sich in den nächststehenden Mülleimer und war froh, als endlich alles raus war.
„Keine Spur vom Killer. Sucht jeden Winkel des Geländes ab!“ befahl Kathy ihren Leuten. Jason hörte Fußgetrappel und wusste, dass sie gehorchten. Er wischte sich mit einem Taschentuch das letzte Erbrochene von seinem Mund und stand dann zitternd auf. Mühsam drehte er sich zu Kathy. In ihren Augen stand die gleiche Furcht geschrieben wie in seinen.


5
Endlich gab es wieder Licht. Der Mörder konnte nirgendwo gefunden werden. Die letzten Stunden hatte Jason zusammen mit Kathy in ihrem Büro gesessen. Sie hatten nichts gesagt. Ihr Verstand bemühte sich immer noch zu verstehen was passiert war. Der Obduktionsbericht hatte sie schließlich in die Gegenwart zurück geholt.
„Dem einen vom Sicherheitsschutz wurde das Genick gebrochen, der andere erschossen. Brad wurde mit etwas großem und scharfem aufgeschlitzt.“ gab Kathy, die den Bericht vor sich liegen hatte auskunft.
Jason schluckte. Er wusste nicht, ob er das heute noch aufnehmen konnte.
„Alles ist so unwirklich. Wie konnte er hier ungesehen hereinkommen?“ fragte er schließlich.
Kathy schüttelte nur den Kopf.

Am Nachmittag trafen Joris und auch Doug ein. Joris hatte weiter recherchiert und teilte ihnen mit, dass es nicht das erste Mal war, das der Strom ausfiel kurz bevor jemand ermordet wurde. Das FBI bestätigte ihre Theorie. Der Mörder hatte die Stromleitung gekappt.
„Er wollte, dass es dunkel ist. Ich nehme an, er wollte uns verwirren.“ sinnierte Jason.
„Na, das ist ihm ja auch gelungen.“ sagte Kathy mürrisch.
Joris warf seine Frage ins Gespräch: „Aber wie hat er selber sehen können?“
„Nun, ich hab jedenfalls nicht gesehen, dass er eine Taschenlampe dabeihatte. Wahrscheinlich hätten wir ihn dann ohne Schwierigkeiten gefunden.“ sagte Jason.
„Vielleicht hatte er ein Nachtsichtgerät?“ überlegte Kathy laut.
Jason dachte darüber nach, aber seine Instinkte, auf die er sich immer hatte verlassen können, protestierten dagegen.
„Irgendetwas in mir spricht dagegen.“ erklärte er.
Sie schwiegen. Plötzlich schien Kathy etwas einzufallen. Sie rief Robert Kelley an und sagte ihm er solle ihnen die Audio Datei herüberschicken, die er ihnen vor kurzem gezeigt hatte. Wenig später hörten sie erneut wie Yao von den Mördern besuch bekam.
„Unser Mörder ist dieser Taran. Er hat ja auch angekündigt, dass er Brad umbringen will.“ erklärte Kathy.
„Und er hat auch dort das Licht ausgeknipst.“ fügte Jason hinzu.
„Das Licht erschossen trifft es wohl eher.“ meinte Kathy.
„Hey.“ sagte Doug und seine Kollegen konnten sehen wie er schon wieder eine seiner abstrusen Theorien ausbrütete.
„Vielleicht ist er ja ein Vampir.“
Die anderen sahen ihn verdutzt an.
„Doug, es ist jetzt nicht die Zeit für alberne Scherze.“ sagte Jason wütend.
Doug wollte sich verteidigen.
„Was ist? Ich füge nur die Fakten zusammen: Der Mörder ist unglaublich grausam, mag Blut und Dunkelheit und hasst Licht.“
Jason schnaubte verächtlich.
„Moment, Moment.“ sagte Joris und hielt Jason davon ab den jungen Doug zurecht zu stauchen.
„Vielleicht hat Doug gar nicht so unrecht.“
Das brachte ihm einen verdutzten Blick aller Anwesenden ein.
„Kann doch sein, dass dieser Taran ein Rollenspieler ist, das er wirklich glaubt er wäre tatsächlich ein Vampir.“
Das hörte sich in Jasons Ohren schon logischer an. Es kam öfters mal vor, dass sich Mörder vorstellten sie wären irgendetwas dunkles und mächtiges. Jason hatte sogar einmal einen Mörder getroffen, der der Meinung war, er wäre ein Werwolf, also war der Gedanke Taran hielte sich für einen Vampir gar nicht so abwegig.
„Na gut, ich denke es schadet nicht, wenn wir dem nachgehen.“

Die nächsten Tage verbrachten sie damit irgendetwas über Taran herauszufinden. Es fand sich nichts im Internet, so gründlich Joris auch recherchierte. Jason fand auch nichts in den Polizeiakten, auch wenn er nicht dachte, dass Taran eine weiße Weste hatte. Doug war es, der ihnen schließlich etwas lieferte.
„Ich hab einen Metzger gefunden, der ihn wohlmöglich gesehen hat.“ sagte Doug aufgeregt, kaum, dass er ins Zimmer gestürzt war.
„Na schön, sehen wir uns das mal an.“ sagte Jason zerknirscht.
Wer war hier schon länger Ermittler Doug oder er? Warum hatte dann Doug vor ihm etwas herausgefunden?

Sie fuhren zu dem Metzgerladen, der ziemlich schäbig aussah und zeigten dem dortigen Meister des Fleischerbeils ihre Marken. Der große, kräftige Mann schien geradezu begierig darauf zu sein ihnen seine Beobachtung mitzuteilen.
„Also vor zwei Tagen, ja, da kam dieser Kerl hier rein. Als ich ihn sah, lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken.“
„Wie hat er ausgesehen?“ fragte Jason.
„Dazu wäre ich ja gleich gekommen.“ sagte der Metzger beleidigt von Jasons Ungeduld.
„Er hatte schwarze Klamotten, schwarze kurze Haare und trug eine Sonnenbrille. Er war ziemlich blass, obwohl die Sonne in den letzten Tagen mich fast in ein Spiegelei verwandelt hätte.“
Er rümpfte die Nase.
„Und er stank furchtbar. Hätte unbedingt ein Bad gebraucht. Roch nach Schweiß, Dreck und Blut.“
„Blut?“ fragte Kathy skeptisch.
„Ja, Blut, glauben sie mir, ich weiß wie Blut riecht. Jedenfalls hatte ich eine Scheißangst vor ihm. Er hat zwar nichts Bedrohliches gemacht, aber seine ganze Erscheinung war so...“
Er brach ab und schüttelte sich. Jason bemerkte, dass der Mann eine Gänsehaut bekam.
„Jedenfalls wollte er Fleisch haben. Er sagte, es sei ihm egal was es war, Hauptsache es war roh und blutig.“
Jason sah wie Kathy angeekelt den Mund verzog.
„Dann fragte er mich, ob ich auch Tierblut da habe. Ich sagte: „Ja, wir schlachten teilweise noch selber, weil das ein alter Familienbetrieb ist.“ Ich konnte sehen wie er sich über die Zähne leckte.“
Der Metzger schüttelte sich noch einmal.
„Er wollte vier Liter Blut und fragte mich dann noch nach einem Liter Leitungswasser.“
„Leitungswasser?“ fragte Joris verwirrt.
Jason kam das auch seltsam vor. Kurz nach dem der Mörder Blut bestellt, will er Leitungswasser?
„Jedenfalls hab ich ihm alles gegeben. Er hat erst mal umständlich in all seinen Taschen rumgewühlt, dann sein Geld gefunden und bezahlt.“
Der Metzger machte eine Pause. Dann sprach er aufgeregt weiter.
„Kaum war er weg, da packte mich die Neugier. Ich wollte wissen, was der Kerl als nächstes machen würde. Schließlich trifft man sowas ja nicht alle Tage.“ versuchte er sich zu rechtfertigen.
„Er war mir zwar unheimlich, aber meine unstillbare Neugier siegte. Ich sah ihn noch um den nächsten Block verschwinden und bin hinterhergegangen. Und dann...“
Der Mann starrte sie mit großen, hervorquellenden Augen an.
„...sah ich ihn in dieser dreckigen, dunklen Gasse stehen und er trank das Blut aus einer Flasche. Einfach so, als wäre es Limonade oder sowas.“
„Sind sie sich sicher?“ fragte Jason, zutiefst ungläubig.
„Todsicher. Das Blut lief ihm ja noch übers Kinn. Er trank wie einer, der am verdursten ist. Als er die Flasche absetzte, leckte er sich über die Lippen und sah mich dann an. Ich konnte seine Augen wegen der Sonnenbrille nicht sehen, aber der Rest seines Körpers zeigte mir ganz deutlich, dass er gar nicht erfreut war, dass ich da war und ihn gesehen hatte.“
„Und dann?“ fragte Doug atemlos, als der Metzger nichts weiter sagte.
Der Metzger zuckte mit den Schultern.
„Ist er um die nächste Ecke gelaufen und verschwunden.“

Als sie den Laden verließen, stieß Doug ein triumphierendes „Ha.“ aus.
„Was hab ich euch gesagt? Der Täter ist ein Vampir.“
Er freute sich ungemein.
„Nicht zu früh freuen. Wir wissen immer noch nicht wo dieser Typ jetzt steckt.“
Sie stiegen in den Wagen und fuhren zurück ins Police Department. Dort trugen sie noch einmal alle Fakten zusammen. Joris versuchte aus den Tatorten ein logisches Schema herauszufinden. Er verband die Städte, in denen die Täter zugeschlagen hatten miteinander und versuchte irgendeine versteckte Symbolik aus den entstehenden Figuren herauszufinden.
Ohne Erfolg.
Am Abend beendeten sie den Arbeitstag ohne irgendwelche Erfolge erzielt zu haben.
„Die spielen mit uns. Sie sind unglaublich dreist. Es war für diesen Taran scheinbar überhaupt kein Problem in eine FBI Festung einzudringen und dort ungestört einige Menschen zu ermorden.“
Jasons Stimme enthielt leisen Sarkasmus. Das fiel Kathy auf und sie versuchte seine Worte abzuschwächen.
„Das ist gerade ihre Schwachstelle. Sie überschätzen sich. Irgendwann werden sie irgendeinen dummen Fehler begehen und dann haben wir sie.“
Jason seufzte.
„Ich bin total fertig. Ich werd in mein Hotel gehen und schlafen, falls das nach dieser Geschichte überhaupt möglich ist.“
Kathy sah ihm mitfühlend nach, als er zur Tür hinausging.

Wie befürchtet konnte er nicht schlafen. Er wälzte sich hin und her und als er dann doch endlich schlaf fand hatte er wieder einen Albtraum. Er träumte von dunklen Gängen und einem blutsaugenden Vampir.
Erschrocken fuhr er hoch. Er war schweißnass. Dann bemerkte er was ihn geweckt hatte. Sein Handy klingelte.
„Wer kann das sein?“ fragte er sich.
„Jason Harris.“ meldete er sich.
„Na wie gefiel dir das gestrige Blutbad?“
Die Stimme kicherte. Es war so kalt und unheimlich, dass Jason die Nackenhaare zu Berge standen. Er war wie gelähmt. Er kannte diese Stimme.
„Greg?“ fragte er.
Eine lange Pause.
„Ja.“
Jason überhörte den verwunderten Unterton nicht.
„Soll sich dieses Ungeheuer ruhig wundern, woher ich seinen Namen kenne.“ dachte er.
„Was wollen Sie?“ fragte er dann ins Handy.
Sein Zorn schwang deutlich in seiner Stimme mit.
„Ich will dir nur den Tipp geben nicht weiter herumzuschnüffeln. Mr. Ozer ist bereits tot.“
„Wer?“
Greg lachte leise.
„Jason, du enttäuscht mich. Dein gesprächiger Metzger. Hast du ihn schon vergessen? Oder hast du dir nicht einmal die Mühe gemacht sein Namensschild zu lesen? Wie auch immer. Der hat sein letztes Fleisch verkauft. Lassen Sie die ganze Sache einfach fallen oder es müssen noch mehr Menschen sterben.“
Ein Piepen sagte Jason, dass Greg aufgelegt hatte.

Überstürzt zog sich Jason an und fuhr zur Zentrale. Gleich nachdem er zu Kathy ins Büro gestürmt war erzählte er was eben passiert war. Er wunderte sich noch nicht einmal darüber, dass sie schon so früh hier war. Sie hörte ihm aufmerksam zu, dann nickte sie.
„Die Leiche wurde gerade eben erst gefunden.“
„Aber warum das Ganze? Warum musste er sterben?“
Jason lief aufgeregt im Zimmer auf und ab.
„Das liegt doch auf der Hand.“ sagte Kathy geduldig. „Wir sollten etwas nicht erfahren. Etwas das mit den Mördern zu tun hat und umso mehr wir herausfinden, umso schwieriger wird es.“
„Wenn das so ist, müssen wir alles daran setzen dieses Geheimnis herauszufinden.“ sagte Jason und hielt in seinem auf und ab gehen inne.
„Was denn für ein Geheimnis?“ fragte Kathy.
Ein spöttisches Lächeln lag auf ihren Lippen.
„Sie würden keine Menschen umbringen, wenn es nicht etwas Wichtiges wäre, das niemand erfahren darf. Ich nehme an, es hat etwas mit diesen Wächtern zu tun.“ überlegte er.


6
Auch in den nächsten Tagen kamen sie nicht voran. Schließlich erklärte Jason, dass er ein paar Tage frei nehmen wolle, um seine Kinder zu besuchen. Kathy fragte ihn sogar, ob sie mitkommen könnte. Jason war überrascht und verunsichert, aber Kathy brauchte jetzt Menschen um sich herum und sie hatte keine Familie mehr.
Als sie im Flugzeug waren unterhielten sie sich. Kathy rätselte immer noch über den Fall.
„Bitte können wir diesen Albtraum eine Zeit lang vergessen?“ fragte Jason.
Er wollte nicht mehr daran denken.
„Tut mir Leid.“
Kathy wirkte betroffen.
„Wer hat eigentlich auf Ihre Kinder aufgepasst, während Sie weg waren?“ wechselte sie das Thema.
Jason schmunzelte.
„Marie, meine Schwester. Und wir sind außer Dienst. Können wir uns da duzen?“
Kathy lief rot an und nickte. Sie faszinierte ihn. Sie war so stark, aber gleichzeitig auch so einfühlsam. Plötzlich platzte es aus Jason heraus: „Warst du je verheiratet?“
Kathy lief schon wieder rot an, dunkler noch, als das vorherige Mal.
„Nein. Ich denke meine Arbeit steht mir im Weg. Viele fühlen sich unwohl bei dem Gedanken, dass der Partner ständig mit Mord und Totschlag zu tun hat. Ich hatte schon lange keine Beziehung mehr.“
„Ich verstehe.“ sagte Jason und es waren nicht nur leere Worte.
Er wusste sehr gut was Kathy meinte. Er hatte auch schon sehr lange keine Beziehung mehr gehabt. Die Scheidung von seiner Frau hatte ihn sehr mitgenommen. Aber er wollte eine neue Frau finden. Er wollte nicht den Rest seines Lebens allein verbringen und er hasste den Gedanken, dass seine Kinder ohne eine Mutter aufwachsen sollten. Sie sahen ja schon ihren Vater so wenig. Doch in den letzten Monaten hatte er einfach keine Zeit gehabt nach einer zukünftigen Partnerin ausschau zu halten.

Als sie in New Orleans ankamen, fuhren sie gleich zu Marie um Ann und George abzuholen. Die Kinder waren ganz aus dem Häuschen.
„Kinder, das ist Kathy. Sie ist eine sehr gute Freundin.“
Kathy lächelte und schüttelte Jasons Nachwuchs und seiner Schwester die Hände.
Sie fuhren zu Jason nach Hause, wo es etwas staubig war, weil in letzter Zeit niemand aufgeräumt hatte. Kathy erbot sich gleich beim aufräumen zu helfen, obwohl Jason versuchte sie davon abzubringen. Es war ihm selbst peinlich wie es bei ihm aussah. Kathy ließ sich nicht beirren, packte den Staubsauger und legte los. Jason putzte die Fenster und selbst Ann und George halfen indem sie abstaubten. Jason war unglaublich stolz auf seine Kinder. Am Abend blitzte das ganze Haus.
Kathy schlug vor, dass sich die Kinder das Abendessen aussuchen durften, weil sie so gut geholfen hatten. Ann und George bestimmten daraufhin, dass es zu Mc Donalds gehen sollte.
Es war ein schöner Abend und sie machten sich Pläne was sie in den nächsten Tagen machen könnten.

Die folgenden Tage schafften es diesen grausigen Fall aus Jasons Gedanken zu vertreiben. Das lag an verschiedenen Punkten. Erstens war er so froh bei seinen Kindern zu sein, dass er gar nicht anders konnte, als glücklich zu sein. Sie bedeuteten ihm alles. Zweitens waren sie in den nächsten Tagen so beschäftigt, dass er gar keine Zeit hatte an seine Arbeit zu denken. Sie waren bei der Chorprobe von Ann und George, im Schwimmbad, in verschiedenen Museen, im Vergnügungspark und im Stadtpark wo sie picknickten. Drittens Kathy. Sie war einfach toll. Sie lachte immerzu und wirkte fast wie ein Teil der Familie. Die Kinder freuten sich, dass sie da war. Sie war nicht so ernst wie Tante Marie und spielte mit ihnen. Jason ging das Herz auf, wenn er sie zusammen mit seinen Kindern sah und er stellte fest, dass er dabei war sich in Kathy zu verlieben. Er fragte sich ob es ihr ähnlich ging wie ihm.

Sie aßen gerade zu Abend. Kathy hatte Lasagne gekocht und es war wohl die Beste, die Jason je gegessen hatte. Das Telefon klingelte. Es war Joris.
„Ihr müsst sofort herkommen. Es hat wieder einen Mord gegeben. Dieses Mal in Detroit.“

Als sie am Tatort ankamen waren Doug, Joris und viele Mitarbeiter vom örtlichen Raub und Morddezernat schon da. Einen von ihnen kannte Jason, ein alter Freund, Andrew Wilkenson.
„Hallo Jason, wusste gar nicht, dass du auch kommst und das muss Kathy Brown sein, von der man so viel hört.“ begrüßte Andrew sie.
Der Mord war wieder einmal sehr blutig. Das Opfer, Jakob Stoddard, Mitglied der örtlichen Polizei war im Treppenflur geköpft wurden. Es sah aus wie im Schlachthaus. Der Mörder hatte wieder die gleiche blutige Nachricht an der Wand hinterlassen wie in Sydney.
„Es gab jemanden, der den Mörder gesehen hat. Ein älterer Herr, der hier in der Nähe wohnt. Er hat einen Mann aus dem Haus kommen sehen. Der Beschreibung nach, war er Anfang dreißig, schwarzes Haar, schwarze Kleidung, braune Augen, dünn, aber muskulös und das wichtigste, mit Blut vollgespritzt.“
„Das ist unser Mann.“
Kathy nickte.
„Also war es Taran?“ fragte Joris.
Kathy schüttelte den Kopf.
„Brad sagte Taran habe strahlend grüne Augen. Das muss dieser Greg gewesen sein.“
„Offenbar war es ihm ziemlich egal, ob er gesehen würde oder nicht. Er ist am helllichten Tag einfach so in ein Haus gegangen und hat seinem Opfer im Treppenflur den Kopf abgeschlagen. Das ist ja wie in einer dieser Fernsehserien.“ sagte Doug staunend.
Jason verdrehte die Augen.
„Typisch Doug.“ dachte er sich.
„Na schön. Immerhin wissen wir wer dieser Mörder ist. Nur warum hat er ihn getötet und wo ist Greg jetzt? Ich glaube nicht, dass es bei diesem Mord bleiben wird.“ sagte Andrew.
„Jakob wusste irgendetwas. Etwas, dass er nicht wissen durfte. Habt ihr schon seine Wohnung durchsucht?“ fragte Jason.
„Nein, bis jetzt noch nicht. Wir waren noch mit der geköpften Leiche beschäftigt.“ gab Andrew zu.
„Dann wird es aber höchste Zeit.“
Jason marschierte schnurstracks in Jakob Stoddard Wohnung. So wie er es vermutet hatte, war sie vollkommen verwüstet.
„Greg hat irgendetwas gesucht.“
Jason sah sich um, wühlte mal hier und mal da. Plötzlich fiel sein Blick auf den Mülleimer. Er zog ein halb verbranntes Tagebuch heraus.
„Bingo!“
Jason durchblätterte es. Die letzten Seiten fehlten ganz, der Rest war nur noch schwer oder gar nicht mehr zu lesen.
„Das kommt bitte zur Spurensicherung!“ wies er Doug an.
Jason lief im Zimmer auf und ab. Er dachte fieberhaft nach.
„Wenn man es von dieser Perspektive betrachtet ist es eigentlich ganz logisch.“
„Was?“ riefen die anderen gleichzeitig.
Jason lief noch immer auf und ab und sagte dabei: „Nun, da gibt es diesen Kult, Untergrundorganisation, Geheimbund, wie auch immer, genannt: Die Wächter. Ich weiß nicht was sie bewachen, aber so bald jemand etwas über sie oder vielleicht auch über das was sie bewachen mitbekommt werden sie hellhörig. Brad hat Taran gemalt, Jakob hat etwas in sein Tagebuch geschrieben und Peter hat etwas seinem Kollegen erzählt. Und sie mussten alle sterben.“
Halt! Moment.“ unterbrach Joris ihn. „Wenn sie nicht wollen, dass jemand etwas von ihnen weiß, warum schmieren sie dann immer dieses Gefasel an die Wand, damit es auch ja jeder mitbekommt?“
Darauf wusste Jason auch eine Antwort.
„Ich glaube es soll so eine Art Warnung sein. Überleg doch mal! Diese Morde sind doch schon jetzt überall in den Nachrichten. Auf dem Weg hierher, habe ich zwei Berichte im Radio über diese Morde gehört. Es soll alle, die etwas über die Wächter wissen daran erinnern den Mund zu halten, oder sie würden sterben so wie alle bisherigen Opfer. Wer nichts von den Wächtern weiß, kann mit der Nachricht nicht viel anfangen, aber eigentlich steht alles da.“ erklärte Jason und er rezitierte die makabre Nachricht: „Sprich nicht über die Wächter! Schreibe nicht über die Wächter! Mach kein Bild von den Wächtern! Nenne nicht die Namen der Wächter!“
Kathy sah ihn fragend an.
„Na, hab ich doch schon gesagt.“ erklärte Jason etwas genervt. „Peter hat es seinem Kollegen erzählt, er hat also über die Wächter gesprochen, das sollte er nicht und er wurde ermordet, Jakob hat über sie geschrieben. Auch das war verboten und er musste sterben und Brad hat einen sogar gemalt und auch er wurde ermordet. So lange die Mitwisser also alles für sich behalten, geschieht ihnen nichts. Erst dann wenn sie sich jemandem anvertrauen oder dies vorhaben ändert sich das. Deshalb hat Taran Brad auch nicht umgebracht, nachdem er gesehen hatte wie er seinen Freund ermordet hatte. Er hat ihm noch eine Chance gegeben, die allerdings hinfällig war, als er das Bild malte.“
„Stop! Stop! Stop!“ bremste ihn Kathy.
„Wenn wir nicht die Namen der Mörder benutzen dürfen, haben wie diese Regel dann nicht schon längst gebrochen? Wir haben ihre Namen schon sehr vielen Kollegen erzählt.“
„Hm...“ überlegte Jason. „Ich weiß auch nicht. Vielleicht weil ein Name nicht so etwas Eindeutiges ist wie ein Bild. Es gibt sicher Millionen von Gregs auf der Welt.“
„Und wie passen die Parde Brüder in das Puzzle? So weit ich weiß, haben die nichts verraten.“ sagte Kathy.
„Das weiß ich auch nicht. Vielleicht hatte es einen anderen Grund. Da gab es auch keine Schrift an der Wand.“ sagte Jason.
Er hatte aufgehört hin und her zu gehen.
„Das nächste was wir tun müssen ist, herauszufinden mit wem Jakob darüber vielleicht gesprochen hat. Er oder sie schwebt in großer Gefahr, weil jetzt die betreffende Person im Zielvisier steht.“ erklärte Jason
Die anderen nickten. Sie hatten verstanden und machten sich sofort an die Arbeit.


7
Das Handy klingelte. Kein Name war auf dem Display zu sehen. Jason drückte den grünen Knopf und hielt sich das Mobiltelefon an sein linkes Ohr.
„Hallo Jason.“
Jason sog die Luft hörbar ein. Es war Greg.
„Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt, als ich sagte du solltest aufhören herumzuschnüffeln. Als du zu Ann und George zurückgekehrt bist, dachte ich du hättest verstanden.“
Jasons Herzschlag setzte ein paar Mal aus.
„Sie wissen von meinen Kindern?“ fragte Jason verängstigt.
„Nein.“ dachte sich Jason. „Das kann doch nicht wahr sein.“
„Natürlich weiß ich von ihnen. Sie können ja wunderbar im Chor singen.“
Er lachte amüsiert.
„Wirklich brave Kleine. Du musst unglaublich stolz auf sie sein. Also, ich schlage dir was vor. Du lässt die Finger von dem Fall und deinen Kindern passiert nichts.“
„Sie schmieriger Scheißklumpen!“ brüllte Jason ins Telefon.
In ihm war nichts als Wut und angst. Tränen trübten seine Sicht. Seine Kinder waren seine Welt, wenn ihnen etwas zustoßen würde, könnte er sich das nie verzeihen.
„Das ist genau der Grund warum ich keine Kinder habe. Sie machen so manipulierbar.“
Greg lachte und legte auf.
Jason schluckte. Doch das brachte nichts. Er hatte immer noch einen Klos im Hals. Jason überlegt was er tun sollte. Er musste jetzt stark sein. Für Ann und George. Er rief am Flughafen an und bestellte gleich den nächsten Flug für New Orleans. Dann rief er bei Kathy an.
„Kathy, bist du das?“ rief er gehetzt in das Telefon, während er seine Brieftasche in die Jacke stopfte und sich die Schuhe anzog. Schon rannte er raus in den Flur.
„Ja, was ist los? Ist alles in Ordnung?“
„Nein. Greg ist hinter Ann und George her. Ich muss sofort zu ihnen. Ermittle weiter, hörst du? Du musst auf jeden Fall weitermachen, damit das alles so schnell wie möglich ein Ende hat.“
Dann legte er auf. Kathy klingelte ihn noch ein paar Mal an, aber er reagierte nicht. Er stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch und wollte nicht, dass sie ihn so hörte. Er war schon mit einem Taxi auf dem Weg zum Flughafen. Jetzt begann ein Rennen gegen die Zeit.

Der Flug zog sich Jasons Meinung nach endlos hin. Er stürmte, kaum dass das Flugzeug gelandet war, auf den Ausgang zu und erkämpfte sich das erstbeste Taxi. Er brüllte den Taxifahrer an er solle einen Bleifuß aufs Gaspedal setzten und versprach ihm ein großzügiges Trinkgeld, wenn er so schnell wie möglich fuhr.
Als er zu Hause ankam, rannte er die Einfahrt hoch. Wenn sie nicht hier waren, waren sie vielleicht bei seiner Schwester. Die Tür flog auf und er rannte ins Wohnzimmer und rief: „Ann? George?“
Stille.
Seine Nerven lagen blank.
War Greg schneller gewesen?
„Dad.“ jauchzten Ann und George und kamen auf ihn zu gerannt.
Jason traten Tränen in die Augen. Er hob seine Kinder auf die Arme und drückte sie. Er war so erleichtert wie noch nie in seinem Leben.
„Ich bin so froh euch zu sehen.“
Ann lachte und George sagte: „Toll. Du bist da. Wir haben deinem Freund nicht so richtig geglaubt, als er sagte du würdest heute kommen.“
Jason wurde Leichenblass.
„Mein Freund?“
Er setzte seine Kinder auf dem Boden ab.
„Ja, er hat uns von der Schule abgeholt und nach Hause gefahren und gesagt, wir sollten so lange hier warten bis du da bist.“ sagte Ann.
„Oh nein.“ dachte Jason.
Kalter Schweiß brach aus all seinen Poren. Sein Mund war trocken. Er schluckte mühevoll.
„Aber hab ich euch nicht gesagt, ihr sollt nicht zu Fremden ins Auto steigen?“
Seine Kinder waren erschrocken über seine plötzliche Wut. Seine kleine Tochter versuchte sich zu verteidigen.
„Aber er hat doch gesagt, dass ihr zusammen arbeitet und er hat sich dein Auto geliehen. Weißt du nicht mehr, dass du es ihm geliehen hast?“
Ann standen Tränen in den Augen.
Jason schämte sich. Er durfte seine Wut nicht an seinen Kindern auslassen. Sie konnten für das alles doch gar nichts.
„Ist gut. Aber versprecht mir, dass ihr zukünftig nur noch mit Leuten mitfahrt, die ihr gut kennt!“
Er kniete sich zu seinen Kindern.
„Hat er euch etwas getan?“ fragt Jason besorgt.
George runzelte die Stirn, Ann riss die Augen weit auf.
„Aber nein Papi. Er war ganz nett. Kuck mal, das hat er mir geschenkt.“
Ann zog ein geschnitztes Holzpferd, etwa von der Größe einer Butterschale, aus ihrer Tasche. Jason nahm es und drehte es in den Händen. Er wusste nicht was er davon halten sollte.
„Wartet hier!“ wies er seine Kinder an.
Er durchforstete das ganze Haus nach Greg oder irgendeiner Nachricht von ihm.
Nichts.
Er brachte Ann und George in ihre Betten und sah ihnen beim Einschlafen zu. Dann ging er in die Küche und vergrub das Gesicht in den Händen.
Das Telefon klingelte. Es war Kathy.
„Alles ok?“
„Ich weiß nicht. Ann und George geht es gut, aber Greg war hier. Er hat sie von der Schule nach Hause gefahren. Er hätte ihnen jederzeit etwas antun können. Das war eine Warnung an mich.“
Einen Moment herrschte Stille.
„Willst du aus dem Fall aussteigen? Ich hätte dafür vollstes Verständnis.“
Jason dachte einen Augenblick nach.
„Nein. Ich liebe meine Kinder über alles, aber wenn ich jetzt aufgebe, gebe ich Greg praktisch einen Freibrief zum morden. Ich ... ich muss jetzt einen Moment allein sein.“ erklärte Jason und beendete das Telefonat.
Jason stand langsam auf und ging aus dem Haus zu seinem Auto, mit dem Greg seine Kinder abgeholt hatte. Jason stieg ein. Der Schlüssel steckte. Jason suchte, aber auch hier fand er keine Nachrichten. Das Handy klingelte.
„Sicher Joris, der wissen will was los ist.“ dachte er.
Jason drückte sich das Handy ans Ohr.
„Ich hoffe du hast jetzt verstanden.“ sagte Greg mit einer beunruhigend sanften Stimme.
„Wie konnten Sie nur!“ fauchte Jason.
„Ich dachte wir stehen uns nahe genug um uns zu duzen. Ich hasse dieses ganze Gesieze. Viel zu unpersönlich, findest du nicht auch?“
„Ich will aber nichts mit Ihnen zu tun haben?“
„Hmm...und warum bearbeitest du dann diesen Fall? Tust du das denn noch, oder hat dir die Geschichte heute die Augen geöffnet?“
„Ich lasse mir nicht drohen. Diese Morde müssen ein Ende haben.“
Greg sagte nichts. Er wartete was Jason als nächstes sagen würde.
„Warum haben Sie Ann das Pferd geschenkt?“
Gregs Stimme wurde beunruhigend freundlich. Das passte so gar nicht zu einem Killer wie ihm.
„Nun, Ann und George sind Kinder und in der Regel freuen sich Kinder über Geschenke. Eigentlich wollte ich für George einen Löwen machen, aber ich hatte noch so viel anderes zu tun. Du hast mir außerdem noch nicht so richtig auf meine Frage geantwortet.“
„Ja! Ich werde den Fall weiter bearbeiten. So lange bis ich Sie habe.“
„Dein letztes Wort?“
„Ja.“
„OK. Von mir aus.“
Greg legte auf.
„Das war zu leicht.“ stellte Jason fest.

Jason blieb noch ein paar Tage bei seinen Kindern. Kathy organisierte einen ganzen Trupp Sicherheitspersonal vom FBI. Jason war ihr so dankbar. Jetzt waren Ann und George sicher. Er wies die Kinder an keine Dummheiten zu machen und sagte ihnen, dass sie den Sicherheitskräften vertrauen konnten. Zum Abschied drückte er sie noch einmal. Das Herz tat ihm weh, als er sie verlassen musste.

In Detroit fuhr er sofort zu Andrew ins Raub und Morddezernat. Joris und Kathy waren auch da.
„Hallo Jason. Das ist Paul Knosel. Er war ein Freund von Jakob Soddard. Wir haben ihn gerade unter Personenschutz gestellt.“ erklärte Joris.
Kathy sah ihn mit einem fragenden Blick an. Jason wusste was sie fragen wollte: Zu Hause alles ok? Jason nickte in ihre Richtung, dann wandte er sich Paul zu. Paul war ein großer, schlaksiger, junger Mann, vielleicht Anfang zwanzig und er war nicht gerade der schönste. Er hatte schiefe Zähne, ein Pockennarbiges Gesicht und einen Silberblick.
„Also Paul,“ setzte Kathy ihre Fragestunde fort. „wir möchten dir gerne helfen, aber bevor wir das können, musst du uns helfen. Hat Jakob dir irgendetwas von Wächtern erzählt?“
Paul sah sie einen Moment an. Jason mochte es nicht wie er sie ansah, fast als wollte er sie mit seinen Blicken verschlingen. Seine Augen blieben ihm viel zu häufig an Kathy's Oberweite hängen.
„Oh ja.“ sagte er schließlich.
Paul zwinkerte Kathy schelmisch zu.
„Jakob war ziemlich aufgeregt, als er mir davon erzählte. Ich persöhnlich halte seine Story für maßlos übertrieben.“
„Was ist passiert?“
„Naja. Jakob war gerade auf Streife, als er eine Schießerei hörte. Er lief in eine Gasse und sah wie sich ein Haufen Männer die Hölle heiß machten. Diese Wächter oder wie Sie die nennen waren nur zu dritt, die andere Gruppe war viel größer. Keine Ahnung, so genau hat mir das Jakob nicht gesagt. Jedenfalls haben die drei mit den anderen kurzen Prozess gemacht. Was ich an der Geschichte aber am coolsten fand...“
Ein Schuss zerriss die Luft, Blut und Gehirn spritzte und Paul viel vom Stuhl.
Jason stürzte zum Fenster. Er konnte niemanden sehen. Für Jason war natürlich klar, wer der Täter war. Greg.
Paul war augenscheinlich tot. Die Kugel hatte seinen Kopf durchschlagen.
„Ein Scharfschütze.“ bemerkte Joris.

„Das kann doch nicht sein. Einer nach dem anderen wird umgebracht und wir können überhaupt nichts tun.“ jammerte Joris.
„Wir müssen mehr über Greg herausfinden. Seine Gewohnheiten, seinen Wohnort, irgendwas mit dem wir ihn drankriegen können. Bis jetzt jagen wir nur Rauch.“ erklärte Kathy.
Doug kam gerade ins Zimmer gestürzt.
„Jason, da will dich einer sprechen.“
„Wer?“ fuhr Jason zu seinem jungen Schützling herum.
„Keine Ahnung, irgend so ein Typ.“
Bei dieser genauen Beschreibung verdrehte Jason die Augen.
„Er hat sich mir nicht vorgestellt.“ verteidigte sich Doug. „Jedenfalls will er dich sehen. Du sollst allein hinkommen.“
„Wohin?“ frage Jason misstrauisch.
„Zum Restaurant an der 24th Straße, das gleich an der Straßenkreuzung.“
„Da willst du doch nicht hingehen, oder?“ sagte Kathy und hielt Jason am Arm fest.
Jason sah ihr in die Augen. Die Wärme, die er dort fand, ließ sein Herz glühen.
„Es ist ein öffentlicher Ort. Ich glaube nicht, dass mir etwas passiert.“
„Und wenn es Greg ist?“
„Dann ist das wohl der beste Weg mehr über ihn herauszufinden.“
Jason streichelte ihre Hand. Kathy umarmte ihn. Das tat ihm unendlich gut.

Tatsächlich war Jason aufgeregter als er vor Kathy hatte zugeben wollen.
Wenn es jetzt tatsächlich Greg war, was sollte er dann tun? Versuchen ihn festzunehmen? Mit ihm reden? Er hatte keine Ahnung.
Er betrat das Restaurant. Ein wahrer Koloss von Mann winkte ihm aus einer Ecke. Zögernd ging Jason zu ihm. Er musterte den Mann. Er war sehr groß, sicher fast zwei Meter und seine Arme glichen Baumstämmen. Er trug ein weißes T-Shirt, das sich um seinen Muskelbepackten Oberkörper spannte. Seine blonden Haare hatte er militärisch kurz geschnitten, so dass sie nur wenige Zentimeter lang waren. Seine blauen Augen strahlten wie Saphire. Er trug am linken Arm eine Sportuhr und am rechten ein Adler Tato.
Jason hielt vor dem Tisch an. Neben diesem Kerl sah Jason geradezu zerbrechlich aus. Der Mann reichte ihm eine seiner tellergroßen Hände.
„Hallo. Ich bin Arnold. Ich weiß wer Sie sind und ich muss mit ihnen reden. Es geht um ihre laufenden Ermittlungen.“
Jason setzte sich und wartete.
„Ich weiß wie verbissen Sie an der Lösung des Falls arbeiten, aber ich rate ihnen: lassen Sie das Ganze fallen. Legen Sie die Geschichte zu den toten Akten und Schwamm drüber.“
Jason wurde zornig.
„Wollen Sie mir drohen? Hat Greg Sie geschickt? Sie können ihm ausrichten, dass mich nichts, wirklich überhaupt nichts in meinen Ermittlungen aufhalten kann.“
Arnolds Augen verengten sich.
„Das war keine Drohung, sondern ein guter Rat. Sie riskieren nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Freunde und ihrer Familie, wenn Sie nicht aufhören. Sie wissen ja gar nicht, was ich alles aufs Spiel setze, weil ich jetzt hier bin und sie schützen will. Wenn mir auch nur ein falsches Wort über die Lippen geht bin ich tot.“
Jason überlegte. Vielleicht wollte dieser Mann ihm wirklich helfen. Sicher wusste er mehr über diese Geschichte als er.
„Dann kennen Sie Greg?“
„Naja, eher flüchtig. Ich gehöre nicht gerade zu den Personen, die sich gerne in seiner Nähe aufhalten.“
„Weiß er, dass wir jetzt hier sitzen?“ fragte Jason angespannt.
„Ich weiß nicht, das kommt ganz drauf an, was er sonst noch zu tun hat. Zur Zeit ist das wohl eher wenig. Ich glaube also schon, dass er jetzt irgendwo in der Nähe ist und uns beobachtet. Für ihn ist das hier alles nur ein Spiel. Mit Sicherheit weiß er, dass ich hier bin. Ich kann von Glück reden, dass es Leute gibt, die sich für mich einsetzen, auch wenn ihr Einfluss Grenzen hat. Sie sehen also was mein Kommen für einen Aufwand hat.“
„Sie wollten mich also treffen um mich vor Greg zu warnen?“
Arnold rieb sich das Kinn.
„Vor Greg ... und vor den anderen.“
„Den anderen Wächtern, meinen Sie? Greg ist also einer von diesen ... Wächtern?“
Arnold schien sich sehr unwohl in seiner Haut zu fühlen. Beinahe befürchtete Jason er würde auf der Stelle aufstehen und verschwinden.
„Naja, was glauben Sie?“
Jason sah ihn schief an.
„Ich glaube, dass er einer ist.“
Arnold gab keine Regung von sich, aber in seinen Augen glaubte Jason lesen zu können, dass er Recht hatte.
„Wer sind diese Wächter?“
Arnold schien zu überlegen wie viel er ihm sagen sollte.
„Wächter ist nur einer der Namen, die sie haben. Es gibt viele Bezeichnungen für sie. Wenn ich sie beschreiben soll...hm... ein Haufen Diebe und Mörder. Die Gesetze sind ihnen egal. Sie tun praktisch was ihnen gefällt und was sie für richtig halten. Und das gefällt mir nicht. Ich glaube, dass es immer eine gewisse Ordnung geben sollte. Aber man sollte sich nicht mit ihnen anlegen. Sie sind Meister im töten und ... im Überleben.“
Jason dachte kurz nach.
„Sie sagten Gesetze sind den Wächtern egal. Heißt das, dass Greg die Gesetze absichtlich bricht?“
Arnold wehrte die Frage mit einer Handbewegung ab.
„Nicht absichtlich, sie sind ihm einfach egal. Ich meine, was kann ihm schlimmstenfalls passieren?“
Arnold sah Jason an und der sah irritiert von dieser Frage zurück.
„Nun, dass er eingesperrt wird.“
Arnold zuckte abwertend mit den Schultern.
„Dann bricht er eben wieder aus. Für jemanden wie ihn ist das kein Problem.“
Jason runzelte die Stirn. Er konnte sich nicht vorstellen wie Greg das anstellen sollte.
„Nun, bei den vielen Menschen, die er ermordet hat, könnte man auch die Todesstrafe noch einmal überdenken, das ist jedenfalls meine Meinung.“
Arnold machte ein Gesicht, als wenn Weihnachten vorverlegt wurde.
„Oh interessant. Was wollt ihr machen? Die Todesspritze? Oh, da wär ich gern dabei, das würde ich zu gern sehen, aber halt...vielleicht doch lieber nicht. Ich bin lieber nicht in der Nähe wenn Greg wütend wird und wie ein Berserker alle umstehenden umnietet. Oder vielleicht der elektrische Stuhl? Das könnte sogar funktionieren, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass Greg so schön hübsch angeschnallt bleibt.“
Arnold hing noch eine Weile seinen Gedanken nach.
„Nun, was ich eigentlich sagen wollte ist, dass das vollkommen egal ist. Diese Ermittlungen bringen überhaupt nichts. Es ist vollkommen sinnlos gegen die Wächter angehen zu wollen.“
„Ich werd aber nicht einfach aufgeben. Die vielen Menschen, die sie ermorden...“
Arnold blieb stumm, offenbar wollte er dazu lieber nichts sagen.
„Warum heißen diese Wächter überhaupt Wächter? Was machen sie? Haben sie irgendeine Aufgabe? Bewachen sie irgendetwas?“
Arnold wiegte seinen Kopf leicht hin und her. Wieder einmal schien er abzuschätzen wie viel er sagen konnte.
„Hm...Ich kann ihnen nur einen Teil dazu sagen, andernfalls werde ich, Sie und alle denen Sie es sagen mit zweihundert prozentiger Wahrscheinlichkeit umgebracht. Also nun ja, wenn man es so sieht gehören sie dazu.“
Jason verstand rein gar nichts.
„Wo dazu?“
Arnold rieb sich wieder das Kinn.
„Ich versuch es anders zu formulieren. Im Prinzip verdanken Sie es den Wächtern, dass sie jetzt hier sitzen und mit mir erzählen können. Diese Morde mögen ein Widerspruch in ihrer Aufgabe sein, aber sie bezeichnen das als Kollateralschäden. Nun ja, ich denke ich habe schon mehr als genug gesagt. Wenn ich so weitermache verplappere ich mich noch. Aber ich hoffe der ganze Aufwand hat sich gelohnt und sie lassen die Geschichte ruhen.“
Arnold stand auf und stapfte aus dem Restaurant. Jason blieb noch einen Moment sitzen. Er war sich nicht sicher, ob dieses Gespräch mehr Fragen aufgeworfen, als beantwortet hatte.


8
Jason erzählte Kathy, Andrew, Joris und Doug alles was Arnold ihm gesagt hatte.
„Also ich weiß nicht.“ meinte Joris. „Ich glaube eher, dass Greg diesen Typen geschickt hat. Ein paar Schauergeschichten dazu, damit du den Schwanz einziehst und die Sache ist gegessen.“
„Wär möglich.“ sagte Jason, aber er war sich da gar nicht so sicher.
Erst jetzt merkte er, dass er zitterte. Dieser Fall hatte ihn doch mehr mitgenommen, als er zugeben wollte.
„Ich schlage vor wir kümmern uns erst einmal weiter darum herauszufinden mit wem Paul über Jakobs Geschichte geredet haben könnte.“
Die anderen nickten und Joris, Andrew und Doug verließen das Büro.
Jason stand am Fenster und starrte hinaus auf die Straße. Er war so fertig. Er wusste nicht was er noch tun sollte.
Plötzlich spürte er wie ihn jemand umarmte. Es war Kathy. Sie küsste ihn von hinten auf die Wange und flüsterte: „Nicht aufgeben.“
Jason lächelte und Kathy lächelte zurück.
Dieser Augenblick war so vollkommen, dass Jason sich wünschte, er würde nie zu ende gehen. Aber natürlich ging er vorbei. Kathy ließ ihn allein, damit er in Rühe grübeln konnte.
Er wusste nicht wie lange er schon am Fenster gestanden hatte, als sein Handy klingelte.
„Der schon wieder.“ sagte Jason zu sich selbst, als kein Name auf dem Display erschien.
„Na, hattest du ein nettes Pläuschchen mit Arnold? Bist jetzt sicher viel schlauer als vorher. Du fragst dich bestimmt, ob ich ihn geschickt habe, um dich von deinen Ermittlungen abzuhalten. Irrtum. Ich will gar nicht mehr, dass es aufhört. Dafür ist es viel zu unterhaltsam. Es ist einfach viel zu witzig wie ihr herumrennt und irgendwelche verkorksten Thesen anstellt. Das ist besser als jede Sitcom.“
Er lachte ins Telefon.
„Soll das heißen, das ist alles nur ein Spiel für Sie?“ herrschte Jason Greg an.
„Ironischer weise bist du es, der es zu einem Spiel gemacht hat. Vorher war es zwar auch sehr interessant, aber jetzt ist es eher so etwas wie eine Art Hobby von mir.“
Er lachte wieder.
„Sie sind geistesgestört, wissen Sie das?“
Greg ging nicht darauf ein.
„Und wie läuft’s mit Kathy? Hast du sie schon rumgekrigt?“
Jason antwortete nicht. Er hatte den veränderten Ton in Gregs Stimme wahrgenommen. Die letzten zwei Sätze wirkten aufgesetzt und passten gar nicht in Gregs sonst so lockeren Ton. Jason meinte auch eine Spur von Nervosität zu hören. Er wusste aber nicht, ob er sich das nur einbildete.
„Das geht Sie überhaupt nichts an.“ knurrte Jason ins Telefon und legte auf.

Der nächste Tag brachte wenig Gutes. Jason betrat gerade Kathy's Büro. Sie steckte bis zum Hals in Arbeit, schien aber recht gut gelaunt.
„Gut, dass du kommst. Ich glaub, ich weiß wem Paul etwas erzählt haben könnte. Er hatte keine Familie, keine Freunde, aber ab und zu ging er in einen Puff in der Innenstadt. Er war Stammkunde einer gewissen Scarlett Hays. Sie könnte etwas wissen.“
„Na dann machen wir uns mal auf den Weg und suchen diese Scarlett.“ sagte Jason und hielt Kathy die Tür auf.
Ein aufgeregter Doug stürmte hinein.
„Ach, dann wisst ihr das von Scarlett Hays schon?“
„Was denn?“ fragten Jason und Kathy im Chor.
„Sie hat's erwischt.“

Sie fuhren geradewegs zu besagtem Freudenhaus. Viele Polizisten waren schon da und sicherten das Haus ab. Als sie sich nähern wollten, mussten sie sich erst durch eine große Menschentraube drängeln, die um das Haus herumstand. Offenbar hatte diese Geschichte schon die Runde gemacht.
„Tja, das wird wohl nicht gerade gut fürs Geschäft.“ bemerkte Joris.
Dafür fing er sich einen strengen Blick von Kathy ein. Sie betraten das Gebäude und gelangten schließlich in einen großen Raum mit einer Art Empfangsschalter an der eine viel zu stark geschminkte Frau etwa mitte zwanzig stand. Sie besah sich ihr Make-up in einem Handspiegel und kaute Kaugummi. Manchmal strich sie sich die schwarzen Haare aus dem Gesicht um zu sehen wie es wirkte.
Heute waren sie nur zu viert. Andrew war nicht mitgekommen. Daher übernahmen Jason und Kathy die Führung.
„Mordkommission.“ „und FBI.“ ergänzten sie sich.
„Können Sie uns sagen was hier vorgefallen ist?“ fragte Kathy.
Die Frau, die offenbar hier arbeitete, klappte ihren Spiegel zu, kaute aber weiter ungerührt Kaugummi.
„Das kann ich Ihnen sagen, Schätzchen. Ich bin übrigens Sonja. Naja, die gute alte Scarlett wurde umgebracht.“
„Sie scheinen ja nicht gerade mitgenommen.“ bemerkte Doug.
„Ich hab schon so viel in meinem Leben mitgekriegt Bübchen, da kann mich das auch nicht mehr erschüttern.“
Jason runzelte die Stirn.
„Na gut, wir sehen uns erst die Leiche an und kommen dann später wieder um Fragen zu stellen.“
„Von mir aus.“ sagte Sonja teilnahmslos.
Sie gingen eine Treppe hoch und fanden ohne Schwierigkeiten den Tatort. Der war tatsächlich ziemlich kuschelig eingerichtet. Die Wände waren in warmen Tönen gehalten und es gab ein riesiges Bett. Das einzige Fenster stand weit offen. Schon das fand Jason ungewöhnlich.
„Vielleicht ist Greg da durch abgehauen.“ dachte Jason.
Für ihn war sofort klar, dass Greg der Übeltäter war. Er schrieb das seinem guten Instinkt zu. Scarlett lag neben dem Bett auf dem Boden. Sie wies keine erkennbaren Wunden auf, aber ganz offensichtlich hatte Greg ihr das Genick gebrochen. Abgesehen vom etwas unordentlichen Bett, sah es hier recht aufgeräumt aus. Es gab keine Anzeichen für einen Kampf. Auch die Schrift an der Wand fehlte.
„Vielleicht war es gar nicht Greg?“ überlegte Kathy.
„Hm...“ machte Jason nur.
„Also ich vermute mal es lief so...“ erklärte Joris. „Greg wollte mal ein bischen Spaß und kam deshalb hierher. Er hat mit Scarlett geschlafen, konnte sich aber nicht beherrschen und hat sie umgebracht.“
„Möglich, aber vielleicht auch nicht.“ sagte Jason.
Er untersuchte Scarlett genauer. Sie trug schwarze Dessous, die kaum etwas Haut von ihrem Körper verdeckten. Sie war eine sehr schöne Frau. Natürlicher, nicht so stark geschminkt wie Sonja.
„Also so werden wir nie schlau aus der Geschichte. Wir müssen Sonja fragen was sie gesehen hat.“ erklärte Jason.
Als sie zu Sonja kamen war die gerade damit beschäftigt ihre Zähne in ihrem Klappspiegel zu betrachten. Diesen ließ sie wieder zuschnappen, als sie die vier bemerkte.
„Da sind Sie ja wieder.“ sagte sie.
„Wir wollten fragen, ob Sie den Täter gesehen haben.“
Sonjas Augen leuchteten.
„Oh ja. Ich glaube den werde ich nie vergessen können, hoffe ich zumindest.“
Jason sah Kathy an und sie runzelten beide verwundert die Stirn. Kathy schnalzte ungeduldig mit der Zunge und sagte: „Versuchen Sie ihn möglichst genau zu beschreiben.“
„Gerne.“
Sonja schloss die Augen und entspannte sich.
„Das beste Wort um ihn zu beschreiben ist sexy. Naja, jeder hat natürlich seinen eigenen Geschmack, aber mir ist nie ein Mann begegnet, der ein solches Verlangen in mir entfacht hat. Groß und stark. Muskulös, aber nicht so Hulk mäßig, eher sehnig. Breite Schultern, perfekt zum anlehnen.“
Sonja seufzte sehnsüchtig.
„Und sein Gesicht. Braune wunderbare Augen, selbst sie wirkten stark und entschlossen. Sein Gesicht, sehr kantig und schwarze, kurze und ziemlich ungestylte Haare hatte er. Außerdem trug er ein blaues T-Shirt und Jeans.“
Sonja öffnete die Augen und war geradezu enttäuscht sie vier zu sehen. Jason war froh, dass sie mit ihren Schwärmereien endlich am Ende war. Ihm war schon schlecht geworden.
Das konnte unmöglich Greg sein. Dieses diabolische Monster, das Leute aufschlitzt, erschießt oder den Kopf abschlägt. Es passte so gar nicht zu dem Bild, das er sich von ihm gemacht hatte. Vielleicht war es jemand anders gewesen. Vielleicht hatte dieser Mörder gar nichts mit ihren Ermittlungen zu tun.
„Hat er gestunken?“ fragte Kathy.
Sonja riss schockiert die Augen auf.
„Nein, überhaupt nicht. Ich kann nicht genau sagen wonach er gerochen hat, aber es war sehr anziehend.“
„Was hat er getan nachdem er das Gebäude betreten hat?“
Sonja kicherte mädchenhaft.
„Naja, er kam rein und hat sich erst mal umgesehen. Irgendwie stand sein Verhalten total im Gegensatz zu seinem Erscheinungsbild. Er war ganz offensichtlich ziemlich nervös, fast schon ängstlich, irgendwie hilflos. Das war so süß.“
Sie giggelte. Jason verdrehte die Augen.
„Ich weiß auch jetzt noch nicht, warum er überhaupt hierhegekommen ist.“
Sie kicherte.
„Naja, ist ja eigentlich klar, aber ich meine, der hätte sicher keine Schwierigkeiten jemanden fürs Bett zu finden.“
„Können wir mal zum Punkt kommen?“ fragte Kathy genervt.
„Naja, er kam hierher zu mir und lief tiefrot an. So süß. Er fragte nach Scarlett. Ob sie Zeit für ihn hätte. Und er wollte nur sie, keine andere.“
Sie kicherte schon wieder und schien gar nicht mehr aufhören zu wollen.
„Hätte Scarlett keine Zeit gehabt, dann hätte ich mich um ihn gekümmert und er hätte nicht mal was zahlen brauchen. Also ich sag euch, wenn ich den noch mal wiedersehe...“
„Er ist ein Mörder!“ zischte Kathy.
Sonja zuckte mit den Schultern.
„Und? Da wäre er hier nicht der Erste.“
Sie schwieg einen Moment, dann hatte sie den roten Faden wiedergefunden.
„Jedenfalls hab ich ihm die Zimmernummer genannt und er hat sich auf den Weg gemacht. Scarlett habe ich mit der Sprechanlage bescheid gegeben.“
„Das ist interessant.“ unterbrach Jason sie.
„Naja, man drückt einen Knopf und dann kann man durchsprechen.“ erklärte Sonja überflüssigerweise.
Jason beachtete sie gar nicht weiter. Er ging zurück zum Tatort, die anderen im Schlepptau. Nur Sonja blieb dort wo sie war und widmete sich wieder ihrem Aussehen. Jason fand die Sprechanlage schnell. Sie befand sich gleich neben der Tür, wo auch ein Stuhl stand.
„Theoretisch können die Mädchen so unten Bescheid geben, wenn es Schwierigkeiten gibt, aber diesmal ging wohl alles zu schnell. Scarlett konnte die Distanz zwischen dem Bett und der Tür unmöglich so schnell zurücklegen. Greg war sicher schneller.“

Die Gerichtsmedizinerin hatte sie gerade rufen lassen um ihre Ergebnisse mitzuteilen. Jason war doch ziemlich überrascht.
„Ich habe Spuren fremder DNA in ihrer Mundhöhle gefunden. Sie stimmt mit der DNA des Haares das sie in Sydney gefunden haben überein.“ sagte die Gerichtsmedizinerin.
„Dann war es also Greg.“ sagte Joris.
„Halt, heißt das, dass der Mörder die Frau geküsst hat?“ fragte Kathy dazwischen.
„Möglich, oder sie hat ihn geküsst, das lässt sich schlecht feststellen. Das mal dahingestellt. Jedenfalls hatten sie keinen Geschlechtsverkehr.“
Joris schüttelte den Kopf.
„Das ergibt überhaupt keinen Sinn, wenn er nicht mit ihr schlafen wollte, hätte er sie genauso gut überall sonst ermorden können. Also wieso da, wenn er nicht mit ihr Sex hatte?“
Jason sagte nichts. Er sah sich nur die Leiche an und versuchte ihr Geheimnis zu lüften.
„Es kann doch sein, dass es so war: Greg hat sich einigermaßen zurechtgemacht, damit er nicht gleich wieder aus dem Puff flog. Bisher hatten alle, mal abgesehen von Sonja, von den Wächtern immer in etwa so gesprochen. Schwarz gekleidet, furchteinflößend, ungepflegt und stinkend. Wenn Greg sich halbwegs in Schale geworfen hat, kann es ihm durchaus ein zivilisiertes Aussehen verliehen haben. Die Farbe Schwarz wirkt meistens abweisend und manchmal auch gefährlich, vor allem wenn der Rest der Erscheinung stimmt. Sonja sagte, Greg habe an dem Tag ein blaues Shirt und Jeans getragen. Das ist schon mal wesentlich weniger furchteinflößend und wenn er sich gewaschen hat, stank er auch nicht. Dazu hat er noch ein bisschen Theater gespielt, er sei ja so nervös, bum, schon ist er eine ganz andere Person. Wenn uns diese Geschichte eins gelehrt hat, dann, dass Greg ein Profi ist. Er hat sie alle an der Nase herumgeführt. Dann kam er zu Scarlett ins Zimmer um sie umzubringen. Sie wusste ja nicht, dass er ein Mörder ist und hat gedacht, er wäre ein Kunde wie jeder andere auch und dann hat er sie umgebracht.“ erklärte Jason.
Das hörte sich eigentlich recht zusammenhängend an. Seine Kollegen waren überzeugt.
„Aber warum war diesmal keine Schrift an der Wand?“ fragte Kathy.
Jason strich sich übers Kinn.
„Ich glaube er war ziemlich in Eile. Vielleicht hatte er Angst, man könne ihn erwischen. Er ist aus dem Fenster gesprungen.“
„Sicher? Das war im ersten Stock.“ gab Doug zu bedenken.
Jason zuckte mit den Schultern. Er war jedenfalls überzeugt von seiner Theorie. Immerhin konnten sie nun schon eine Menge über Greg in Erfahrung bringen.


9
Jason war gerade auf dem Weg in Kathy's Büro, da begegnete ihm ein Polizist, der ihm mitteilte, das ein weiterer Mord verübt wurde.
„Nicht schon wieder.“ dachte Jason und knirschte mit den Zähnen.
Kathy kam gerade hinzu. Sie sahen sich an und machten sich sofort auf dem Weg zum Tatort. Der war die hiesige Kirche. Sie standen gerade vor dem Gotteshaus, als Jasons Handy klingelte. Es war Joris, der wissen wollte was los war. Jason erklärte ihm alles was er bisher wusste und wies ihn an nach weiteren Anhaltspunkten von Greg zu suchen. Jason trat in die Kirche, voller Furcht welchen makabren Schauplatz er dieses mal sehen würde. Kathy folgte ihm. Jason ging zwischen den Bänken der Kirche entlang.
„Hier Jason.“ rief Kathy.
Sie winkte ihn zum Beichtstuhl. Schon auf dem Weg dorthin erkannte Jason, dass er schwer beschädigt war. Mit aufgerissenen Augen sah er, dass die Wand über dem Beichtstuhl mit der blutigen Nachricht der Wächter beschmiert war.
„Was für ein Sakrileg.“ dachte Jason.
Wenige Minuten später erkannte er das ganze Ausmaß der Tat. Der Beichtvater lag aufgeschlitzt auf dem Boden.
Kathy und Jason standen einige Zeit einfach nur da, fassungslos und entsetzt über diese bestialische Tat. Kathy regte sich zuerst. Sie bewegte sich weiter zur Leiche hinüber.
„Er weißt ähnliche Verletzungen auf wie Brad Plate, den Taran ermordet hat.“
Sie schwieg einen Moment und sagte dann: „Es wäre möglich, dass sie etwas gegen die Kirche oder die Religion haben.“
Jason blieb stumm. Als er den Tatort genauer untersuchte konnte er sich vorstellen was hier vorgefallen war.
„Es wäre möglich, dass jemand hier gebeichtet hat, was er oder sie über die Wächter wusste, oder bei Greg hat sich endlich sein Gewissen gemeldet und er wollte selbst beichten gehen. Und nachdem er gebeichtet hat, hat er den Beichtvater ermordet und das da hinterlassen.“
Er wies auf die Blutschrift.
Sie untersuchten noch weiter den Tatort, bis Joris und Doug eintrafen. Joris hatte einen Zeugen mitgebracht. Damit der Zeuge den Toten nicht sehen musste, gingen Kathy und Jason zum Eingang der Kirche.
„Geht es dem Beichtvater gut?“ war die erste Frage des besorgten Zeugen.
Kathy und Jason sahen sich an.
„Nun...“
„...er ist ermordet wurden.“
Der Zeuge riss entsetzt die Augen auf.
„Was? Aber wieso?“
Dem Mann versagte die Stimme.
„Er war immer so ein guter Mann gewesen, hatte für alle immer ein offenes Ohr und hat immer Trost und Hoffnung gespendet. Die Welt wird immer schlechter. Wo soll das nur hinführen, wenn das Böse selbst vor der Kirchentür nicht mehr halt macht?“
Joris räusperte sich.
„Sie sagten, Sie hätten jemanden aus der Kirche kommen sehen?“
Der Zeuge schluckte.
„Ja, ich war gerade auf dem Weg nach Hause, da sah ich zwei Männer hier herauskommen. Das war nichts ungewöhnliches, aber irgendwie waren mir die Kerle unheimlich.“
„Könnten sie die beiden Männer bitte beschreiben?“
Der Mann brauchte nicht lange zu überlegen.
„Sie sahen sich sehr ähnlich. Beide hatten sehnige Körper und schwarze kurze Haare. Sie trugen schwarze Sache und der eine eine ziemlich dunkle Sonnenbrille, obwohl es bewölkt war.“
„Danke. Sie haben uns sehr geholfen. Wir möchten nun mit den Ermittlungen fortfahren, um den Täter schnappen zu können.“
„Ich hoffe sie kriegen diese Bestie.“
Kaum hatte er die Kirche verlassen, da sagte Kathy: „Greg und Taran.“
Joris nickte.
„Hast du Greg denn nun schon einmal gefragt, ob sein Kollege ein Vampir ist?“ fragte Doug aufgeregt.
Jason stöhnte.
„Hör doch nun endlich mit dieser Vampirgeschichte auf.“
„Aber das Blut.“ hielt Doug dagegen.
Jason ignorierte ihn und Doug war beleidigt.
Jasons Handy klingelte. Ein Blick auf das Display sagte ihm, das „unbekannt“ niemand Unbekanntes war.
„Das ist er.“
Jason stellte auf Lautsprecher.
„Na, räumst du wieder hinter mir auf? Ich...“
Doch Jason wartete nicht darauf was Greg sagen wollte, er schimpfte und fluchte wild darauf los. Doug, Kathy und Joris sahen sich nur beklommen an. Als Jason schließlich völlig erschöpft den Mund schloss, rang er nach Atem.
„Sauer was?“
Gregs beinahe schon vertrautes, kaltes Lachen drang aus dem Handy. Jason fasste sich schnell. Seine Wut ließ seine Gedanken rasen. Er wollte Greg endlich schnappen und ihn ein für allemal für seine Taten bezahlen lassen.
„Du warst heute mit deinem Kumpel Taran in der Kirche nicht wahr?“
Zuerst Stille. Dann fing Greg an zu sprechen, mit einem ruhigen, sachlichen Tonfall, der Jason unter die Haut ging: „Ja, hiermit beichte ich dir, dass ich beichten war.“
Er lachte über seinen eigenen Scherz.
„Du hast also doch so etwas wie ein Gewissen.“ sagte Jason scharf.
„Wir sind ja doch beim Du angekommen, ich dachte ich hätte mich eben verhört. Hat dich mein kleiner Auftritt heute umgestimmt?“
Jason ging nicht darauf ein.
„Dein Gewissen.“
„Gewissen? Was ist das?“
Wieder lachte Greg, es kalt wie Eis.
„Ich brauche es nicht. Es hindert nur. Ich habe es mir schon vor langer Zeit abgewöhnt, aber davon verstehst du nichts. Nein. Ich war nicht beichten wegen meinem Gewissen.“
Er betonte das letzte Wort verächtlich.
„Es war eher so eine Art Gag. Es war äußerst amüsant dem Typen zuzusehen wie er meine Geschichten aufnahm. Ich denke er hatte noch nie jemanden hier, der das getan hat, was ich alles getan habe. Zuerst hat er mir hoch und heilig versichert, sein Gott würde mir verzeihen, wenn ich ihm alles beichten würde, naja, eigendlich waren es ja nur die Morde, die ich verübt habe, seit du den Fall bearbeitest.“
Jason schnaubte.
„Nur? Du hast acht Menschen ermordet.“
„Die paar, sag ich doch. Jedenfalls hat er seine Meinung offenbar geändert. Er war sehr zornig und sagte mir so einem Monster wie mir würde niemals vergeben werden und ich würde für meine Taten in der Hölle schmoren.“
„Und dann hast du ihn ermordet.“ zischte Jason.
Er war so wütend, dass er zitterte und mühe hatte sich Ruhig zu halten.
„Dachtest du ernsthaft dir würde vergeben werden? Bei dem was du alles verbrochen hast?“
„Och, eigentlich war es mir egal. Es war nur zu meiner Unterhaltung. Es war schon vorher klar, dass er sterben musste, deshalb habe ich ihn getötet.“
„Ermordet.“ korrigierte Jason wütend.
Greg lachte wieder. Jason hatte das Gefühl, dass er sich über ihn lustig machte.
„Ist mir egal wie du es nennst, für mich ist es ein Abwasch. Das Ergebnis ist, dass der Typ tot ist.“
„Dafür kommst du in die Hölle.“ fauchte Jason.
„Der arme Teufel.“ scherzte Greg. „Naja, aber jetzt mal Spaß bei seite. Ich glaube nicht an eure Religion.“
Er spuckte das letzte Wort spöttisch aus.
„Dann bist du Atheist?“ fragte Jason.
„Nenn es wie du willst. Wer keine Angst vorm Teufel hat braucht auch keinen Gott.“ lachte er.
„Du verstehst aber auch wirklich gar nichts.“ fauchte Jason.
Greg stöhnte erschöpft.
„Mir ist jetzt nicht danach mit dir über dieses Zeug zu debattieren. Den meisten Menschen fällt es schwer die Dinge zu akzeptieren, aber nichts lebt ewig, wie du zweifellos heute gesehen hast.“
Jason konnte sich bildlich vorstellen wie der Killer lächelte.
„Warum hast du ihn umgebracht? Und warum gerade hier?“
„Aus dem gleichen Grund wie bei allen anderen auch. Er wusste zu viel. Jemand hat ihm etwas gebeichtet. Jakob. Und es war mir vollkommen egal wo ich ihn umbringe, aber das hier war mal etwas anderes.“
„Du bist ein Ungeheuer.“
Jason war vollkommen fertig. Es war alles einfach zu viel.
„Ein Ungeheuer.“
Greg klang fast schwermütig.
„Ich weiß, dass mich viele so sehen, als Monster. Für mich ist das Töten normal. Aber was für mich normal ist, ist für dich nicht normal und umgekehrt. Alles ist relativ nicht wahr?“
Jason dachte fiebrig nach. Wenn er Greg dazu überreden könnte sich zu stellen, würde alles endlich ein Ende haben.
„Du willst das doch gar nicht mehr, oder? Das ewige Töten? Du kannst ein normales Leben haben. Warum machst du es dir so schwer? Warum verbaust du dir alle Chancen?“
Jason war selbst von seiner einfühlsamen Stimme überrascht.
„Ah ja, und was dann? Arbeiten, bis ich alt und klapprig bin? Eure Regeln befolgen, die einem die Luft zum Atmen nehmen? Du verstehst das nicht. Du warst nie frei. Damit meine ich wirklich frei, nicht das was du als Freiheit bezeichnest. Ich kann tun und lassen was immer mir gefällt. Es gibt niemandem der über mir steht und mir was sagen kann.“ sagte Greg geradezu euphorisch.
Jason schnaufte verächtlich.
„Das glaubst du. Das Recht gilt für alle und auch du wirst dich fügen!“
Greg schnaubte zurück.
„Du verstehst das nicht. Ich kann nicht so leben wie du. Mein Herz muss hämmern, das Adrenalin muss nur so fließen sonst werde ich vollkommen gaga.“
„Aber das ist doch schon längst der Fall.“
Weil Doug unruhig von einem Bein aufs andere trat, rollte Jason mit den Augen und fragte schließlich: „Dein Kumpel Taran ... ist der ... ein Vampir?“
Ein plötzliches Geräusch ließ Jason und die anderen zusammenfahren. Erst einige Momente später merkte Jason, dass Greg lachte, dieses mal weder kalt noch spöttisch, sondern ehrlich und klar, fast wie ein Kind.
Ein Knall sagte ihnen, dass Greg sein Telefon fallen gelassen hatte. Ungeduldig wartete Jason bis Greg endlich aufhörte, aber die Zeit zog sich wie Kaugummi. Er hatte das Telefon wieder aufgehoben und versuchte zwischen den Lachanfällen etwas zu sagen.
„Also, ... also der war heute echt der Beste.“
Er lachte noch einmal kurz.
„Der Witz des Tages ... und jetzt hab ich auch noch ein Leck.“
Sie hörten wie sich Greg über das Gesicht wischte.
„So, bin wieder da.“
Er versuchte wieder ernst zu werden.
„Ein Vampir, also das ist echt nicht schlecht. Du hast eindeutig zu viel Fernehen gesehen. Taran ist kein Vampir, er war nur zu lang allein in der Dunkelheit. Seitdem ist er etwas...anders.“
„Er war heute auch hier, nicht wahr?“
„Ja, wir haben uns hier getroffen.“
„Wie viele werdet ihr noch ermorden?“
„Also das ist wirklich unmöglich abzuschätzen, aber eins kann ich dir versichern.“
Seine Stimme wurde todernst.
„Ich werde immer töten, immer, so lange ich lebe. Es gehört für mich dazu, so wie für dich deine Arbeit.“
Eine Tür auf Gregs Seite knallte zu.
„Ich mach jetzt Schluss.“ sagte Greg.
Bevor er die Taste drückte, die das Telefonat beendete konnte Jason hören wie er sagte:
„Taran weißt du schon das Neueste? Du bist jetzt ein Vampir.“


10
Greg hatte wieder einmal alle Spuren zu seinem jetzigen Aufenthaltsort verwischt. Auch die Anrufe ließen sich nicht zurückverfolgen.
Jason saß mit Kathy zusammen in ihrem Büro und sie arbeiteten sich durch einen lästigen Stapel Formulare. Sie hatten alle Fakten und Anhaltspunkte über Greg, Taran und die Wächter als Gruppe zusammengetragen und aufgeschrieben.
„Er hat uns sein Spiel aufgedrückt. Wir müssen den Spieß wieder umdrehen, um ihn zu schnappen.“
„Auch einen Donut?“ fragte Jason sie und reichte ihr die Schachtel.
Sie schüttelte den Kopf.
„Nein. Ich mag die Dinger nicht.“
Jasons Augen blieben an ihr hängen und er träumte vor sich hin. Er genoss die Zeit, in der er ungestört mit ihr allein war. Wie so oft fragte er sich, ob sie seine Gefühle wohl erwiderte. Doch er traute sich nicht zu fragen. Er hatte Angst zurückgewiesen zu werden. Er stellte sich vor wie es wäre sie zu küssen. Jason bekam einen hochroten Kopf. Er sah von ihr weg und dann wieder zu ihr hin um zu sehen, ob sie es bemerkt hatte.
Es klopfte an der Tür. Joris trat ein. Er war ganz aufgeregt.
„Ich hab eine heiße Spur.“
Kathy und Jason sprangen von ihren Stühlen, als hätten sie ihnen einen elektrischen Schlag verpasst.
Joris führte sie in sein Büro, zu seinem Monitor. Darauf war ein Bild zu sehen. Eine Menschenmenge hatte sich um einen ältlichen Mann mit weißen Haaren und ebenso weißem Vollbart gebildet. Die meisten aus der Menge waren Reporter.
„Das ist Nicholas Cumming. Einige halten ihn für einen sehr guten Wissenschaftler, aber andere aus dieser Berufsecke halten ihn schon fast für irre. Seine Forschungsarbeiten verschlingen Unmengen von Geld, dass er sich von Sponsoren geben lässt und man hat noch nie gehört, dass es eine seiner Erfindungen auf den Markt geschafft hätten. Zurzeit arbeitet er wohl an einem Gerät, das Nahrung aus Energie herstellt.“
„Hört sich ziemlich verrückt an.“ bemerkte Kathy.
Joris vergrößerte das Bild soweit, dass sie Nicholas Gesicht deutlich sehen konnten.
„Seht mal wen wir da haben.“ Joris zeigte auf einen Mann neben Nicholas.
„Das ist Greg.“ klärte er sie auf. „Ich habe einigen unserer Zeugen das Bild gezeigt und sie haben ihn alle sofort wiedererkannt. Ihr kennt doch noch Sonja, oder? Sie wollte unbedingt wissen wo sie dieses Foto herbekommen kann.“
Er verdrehte die Augen.
Jason sah sich Greg genauer an. Obwohl er ihn noch nie gesehen hatte, sah er dem Bild recht ähnlich, dass er sich von ihm gemacht hatte. Auch die Zeugen hatten ihn gut beschrieben.
„Offenbar hat er sich als Bodyguard verkleidet.“ bemerkte er.
Greg trug einen schwarzen Anzug und eine Sonnenbrille. Er hielt sich in unmittelbarer Nähe von Nicholas auf.
„Ich glaube eher, dass er der Bodyguard von Herrn Cumming ist.“ sagte Joris.
Kathy runzelte die Stirn.
„Das ist vollkommen unlogisch. Greg ist ein Mörder. Warum sollte er diesen Wissenschaftler beschützen?“
Etwas in Jasons Gehirn fing an zu rühren. Er glaubte sich an etwas zu erinnern, aber was war es? Die Erinnerung, nach der er suchte war fast wie Wasser, dass ihm durch die Finger ran.
„Wie alt ist dieses Foto?“ fragte Kathy.
„Hm...etwa ein Jahr.“ antwortete Joris.
„Vielleicht war er sein Bodyguard bevor er sich den Wächtern angeschlossen hat. Wir wissen schließlich nicht wie lange er schon Wächter ist.“ meinte Kathy.
„Das wäre aber ein ziemlicher Kariereumschwung. Zuerst beschützt er Menschen und dann bringt er sie um.“ sagte Joris sarkastisch.
Jetzt erinnerte sich Jason wieder daran. Er sah seine beiden Mitarbeiter an und sagte: „Ich erinnere mich wieder an etwas das Arnold mir gesagt hat. Er sagte die Wächter würden ... nun ja, es hörte sich für mich jedenfalls so an, als hätte er mir sagen wollen, dass sie die Menschen beschützen.“
Kathy und Joris sahen sich ungläubig an.
„Also das sah für mich bisher nicht so aus.“ entgegnete Joris.
Jason kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe herum.
„Vielleicht ist Nicholas Cumming irgendwie wichtig für sie und deshalb beschützen sie ihn.“
Joris schüttelte den Kopf.
„Also wir werden das jedenfalls nicht herausfinden, wenn wir hier nur rumstehen und nichts tun. Ich werde zu seinem Labor fahren und nicht eher gehen, bis ich ein paar Antworten von ihm erhalten habe. Und wenn ich ihm von wegen Behinderung der Staatsgewalt drohen muss. Und ihr sucht am Besten weiter nach Greg.“ sagte Joris.

Jason, Kathy und Andrew aßen zusammen in einem Imbiss etwas zum Mittag und diskutierten wieder einmal über den Fall. Eigentlich gab es gar kein anderes Gesprächsthema mehr. Jasons Handy klingelte. Er konnte sich schon denken wer das war. Er verzichtete darauf auf Lautsprecher zu stellen, da sie sich in einer vollen Imbissbude befanden.
„Hey Jason. Weißt du schon wen ich als nächstes umbringen werde? Soll ich dir vielleicht einen Tipp geben, damit das Spiel interessanter wird?“
„Du bist so krank.“ flüsterte Jason.
Er hörte durch das Handy einen lauter werdenden Motor, dann einen zweiten und einen dritten, dazu brüllende, aggressive Musik, dann entfernten sich diese Geräusche wieder. Jason konnte nur raten, aber er vermutete, dass die Geräusche von Autos stammten.
„Ich halte mich nicht für krank. Heute habe ich einen ungewöhnlichen Artikel in der Zeitung gelesen. Es ging darum wie ein Amoklauf aufgeklärt wurde. Ein Psychiater hat gemeint, der Täter litte unter ... wie hat er gemeint ... krankhafter Aggressivität. Jetzt ist das schon eine Krankheit? Geht’s noch? Siehst du das auch so wie dieser Typ?“
Jason überlegte genau was er sagen sollte.
„Ich denke es ist krank, wenn die Aggressivität bestimmte Grenzen überschreitet, wenn es in Gewalt ausartet. So wie bei diesem Amoklauf. Seine Aggressionen haben ihm zum töten getrieben.“
Greg schnaubte verächtlich.
„Das hört sich an, als ob er keine Wahl gehabt hätte. Außerdem, was weiß du denn schon von Aggressionen? Nach dem was ich von dir erlebt habe, liegt der Teil deines Gehirns, der für das zuständig ist praktisch im Koma. Für dich ist doch schon so ein Fliegenschiss wie so ein popliger Amoklauf ein Albtraum.“
Greg schnaubte wieder.
„Die Menschen sind immer so schockiert wegen der Aggressionen, wenn irgendwo mal einer ausrastet und ein paar Leute umbringt, nur weil der seine Gefühle nicht unter Kontrolle hat. Das ist doch kein Beweis ob er nun hasserfüllt war oder nicht.“
„So? Und was dann?“ sagte Jason genervt.
Er wollte es eigentlich gar nicht wissen. Er wollte überhaupt nicht darüber sprechen, schon gar nicht mit diesem Verrückten, aber er musste Greg am reden halten, vielleicht würde er noch etwas Nützliches erfahren.
„Hm...“ Greg überlegte. „Wie kann ich es ausdrücken, damit du es verstehst? Sagen wir einfach mal der Hass und die Aggressionen sind die Suppe und die Fähigkeit sie zu beherrschen ist der Topf. Wenn die Suppe überläuft wird derjenige zum Berserker. Aber wenn man lernt seinen Hass zu beherrschen, wird man darin immer besser, im übertragenen Sinne, erhält man wieder einen größeren Topf wo wieder mehr Suppe hineinpasst und so weiter. Diese Mörder und Amokläufer, über die du täglich was in der Zeitung lesen kannst, sind nur erbärmliche Versager. Sie können das was sie an Aggressionen haben überhaupt nicht kontrollieren.“
„Ach, und du kannst das? Da hatte ich aber einen anderen Eindruck.“ sagte Jason zornig.
Greg lachte.
„Du hast ja überhaupt keine Ahnung wie es aussieht wenn ich im Blutrausch bin. Na schön, aber ich kann mich beherrschen, ich kann meinen Hass kontrollieren, naja jedenfalls meistens.“
Er lachte wieder.
„Ich habe diese Techniken über Jahre hinweg geübt und verfeinert. Natürlich mussten andere Gefühle zu Gunsten der Aggressionen ein wenig weichen, aber das sind schwache Gefühle, die ich nicht brauche oder zum Beispiel mein Gewissen. Ich hab dir ja schon davon erzählt. Aber das war nicht der Punkt auf den ich hinauswollte.“
Greg flüsterte jetzt fast. Es klang gleichzeitig euphorisch wie bedrohlich und jagte Jason einen Schauer über den Rücken und er mochte das nicht.
„Ich wollte dir eigentlich dieses unglaubliche Gefühl, diesen Rausch, beschreiben, wenn die Suppe kurz vor dem Überlaufen ist, ich mich aber noch beherrschen kann. Wenn der Hass wie süßes Gift durch meine Venen kriecht und mich stärker macht. Wundervoll. Einfach wundervoll. Es ist das schönste Gefühl, dass ich haben kann.“
Auf Greg's Seite schepperte etwas, irgendwer rief laut, doch Jason konnte nichts Genaues verstehen, dann erklang wieder das Röhren eines Motors.
„Deshalb bist du zum Mörder geworden, nicht wahr? Wegen dieser Gefühle.“
Greg blieb einen Moment still.
„Nein, deshalb nicht.“
Es gab eine lange Pause und Jason dachte schon Greg würde gar nichts mehr sagen und einfach auflegen, aber er sprach endlich weiter.
„Ich bin ein Mörder geworden, weil mir jemand eine Waffe in die Hand gab, als ich elf Jahre alt war und mir befahl ich sollte töten, oder ich würde selbst getötet werden.“
Gregs eisige Stimme ließ Jason frösteln und er musste schlucken.
„Ich werde immer ein Mörder sein, also warum soll ich mich dagegen wehren? Warum soll ich es nicht einfach genießen? Das Leben ist kurz, nicht wahr? Nichts lebt ewig.“
„Es ist falsch. Weißt du überhaupt was du für ein Leid anrichtest? Du zerstörst Leben, zerreißt Familien und alles nur weil dir es gerade so passt? Sieh dir doch mal an was du mit deinen Taten anrichtest!“
„Sie gehen mich nichts an.“ sagte Greg kalt.
„Sie gehen dich nichts an? Du hast Teile ihrer Familie getötet. Du hast nicht gesehen wie Peter Smiths Frau in Tränen ausgebrochen ist, als sie erfuhr, dass ihr Mann ermordet wurde. Und all die anderen Familien, sie alle leiden nur deinetwegen.“
„Mitleid.“ spie Greg verächtlich aus. „Pah. Mitleid macht schwach.“
„Mitleid macht uns erst zu Menschen!“ erwiderte Jason energisch.
„Ich bin also kein Mensch?“ fragte Greg amüsiert.
„Du bist ein grausames Monster.“
Greg sagte nichts.
Auf Gregs Seite wurde es unruhig.
„He Greg.“ hörte Jason leise einen entfernten Ruf.
„Warte mal einen Moment!“ sagte Greg.
Offenbar hatte er das Handy beiseitegelegt, oder er hielt es zu, aber Jason konnte immer noch etwas hören.
„Was ist denn los, Degra?“ hörte Jason Gregs gedämpfte Stimme.
Die neue Stimme war aufgeregt, beinahe euphorisch.
„He, ich bin jetzt gestört.“
Greg lachte.
„Das ist doch nichts Neues.“
Irgendjemand in Gregs Nähe gluckste. Die neue Stimme war jetzt leicht gereitzt.
„Nein, ich meine doch beim Autofahren. Ich bin jetzt in den Rang „gestört“ aufgestiegen.“
„Toll, wir sprechen uns wieder wenn du Eliminator bist. Und jetzt mach dich vom Acker und zerschrotte irgendwas, ich telefoniere gerade mit Jason.“
Jason runzelte überrascht die Stirn und versuchte das eben gehörte zu verstehen.
„So, ich bin wieder da.“ sagte Gregs Stimme, jetzt wieder klar und deutlich zu hören. „Dieses Spiel gefällt mir. Es ist irgendwie putzig wie du versuchst mir ein schlechtes Gewissen einzureden und mich aufhalten willst. Es macht das Spiel interessant. Ich geb dir einen Tipp. Ich werde heute wieder töten. Hasch mich, ich bin der Mörder.“
Dann legte Greg auf.
Jason steckte sein Handy weg und saß einfach nur da. Andrew und Kathy starrten ihn über den Tisch hinweg an. Andrew war ganz offensichtlich neugierig, Kathy besorgt. Jason kümmerte sich nicht sonderlich um sie. Seine Gedanken rasten. Er musste einen Mord verhindern, der jede Minute stattfinden konnte. Doch dazu musste er erst einmal wissen wo sich Greg jetzt befand.
„Gibt es hier in der Nähe eine Autorennbahn?“ fragte er schließlich.
Kathy und Andrew starrten ihn stirnrunzelnd an, dann sagte Andrew: „Ja, in der Nähe der Stadt gibt es eine, aber die ist zur Zeit wegen Sanierungsarbeiten geschlossen.“
„Da müssen wir hin. Wir müssen einen Mord verhindern.“


11
Andrew hatte einen Bleifuß. Er fuhr seinen Ford Focus mit über neunzig Meilen über die Straße. Der Grund dafür war Jason, der ihn zur Eile trieb.
„Was ist, wenn es eine Falle ist?“ fragte Andrew skeptisch, nachdem Jason ihnen von seinem Telefonat mit dem Killer erzählt hatte.
„Das glaube ich nicht.“ sagte Kathy. „Das ist die Chance auf die wir gewartet haben. Gregs Arroganz spielt ihn uns jetzt in die Hände. Er hält sich für unantastbar und das wird ihn aufhalten.“
Andrew parkte am Rand der Rennbahn. Jason konnte Baufahrzeuge sehen, aber er konnte keine Arbeiter finden. Ihm blieb keine Zeit sich darüber zu wundern. Er musste Greg finden. Alle drei hatten ihre Waffe in der Hand.
„Denkt daran, Greg ist vielleicht nicht allein. Bleibt wachsam!“ erklärte Jason.
Er hatte bereits Verstärkung angefordert, doch die brauchten noch etwas Zeit und die hatte Jason nicht. Seine Nerven waren angespannt wie Drahtseile. Jeden Moment war es so weit und er würde auf Greg treffen. Wie würde er reagieren? Würde er sich einfach ergeben? Jason bezweifelte das. Vielleicht hatte Andrew recht und es war tatsächlich eine Falle. Aber dieses Risiko ging Jason gern ein, wenn dafür ein weiterer Mord verhindert werden konnte. Jason hatte eindeutig genug von Gregs Spiel. Er wollte nach Hause zu seinen Kindern und von Morden wollte er nichts mehr wissen. Er hatte bereits darüber nachgedacht, den Job an den Nagel zu hängen. Aber diesen Fall wollte er noch beenden. Er war längst persönlich geworden.
Jason schlich leise voran. Er wollte Greg mit einem Überraschungsmanöver überwältigen. Er hielt seine Waffe mit beiden Händen umklammert. Er hatte sie längst entsichert und war stets bereit zu feuern. Kathy und Andrew deckten ihm den Rücken. Als sie auf der Rennbahn waren, konnten sie keine Menschenseele entdecken. Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld. Teile der Straße waren aufgerissen, weil sie saniert werden sollten. Doch Greg und seine Freunde hatten sich offensichtlich keine Gedanken über den Zustand der Strecke gemacht. Viele Autowrackteile zeugten davon, dass hier heute sehr viel los gewesen war. Absperrungen waren beschädigt, Reifen lagen über weite Teile der Anlage zerstreut, weil jemand in die Stapel gefahren war. Kleine Metallsplitter und Glasscherben bedeckten stellenweise den Boden.
Jason sah sich genau um. Er konnte noch immer niemanden entdecken.
„Vielleicht ist er schon weg.“ überlegte Kathy.
„Wir müssen herausfinden wo er jetzt ist.“
Jason näherte sich einem der zerstörten Wagen um ihn genauer zu untersuchen. Er wusste, dass er sich nur an Strohhalme klammerte, aber er hatte keine Ahnung was er sonst tun sollte. Doch er wusste, dass ihn seine Instinkte nicht im Stich lassen würden.
Das Auto war in einem miserablen Zustand. Jason war kein Mechaniker, aber er wusste, dass dieses Auto nie wieder fahren würde. Der Motorraum war komplett zusammengestaucht, eine Tür war aus seinen Scharnieren gerissen und eine Achse fehlte. Jason erkannte, dass es kein herkömmlicher Wagen war. Das Metall war grob, ohne Lack und stellenweise rostig. Augenscheinlich gehörte der Wagen zu keinem bekannten Autohersteller.
„Sieht aus, als hätten Gregs Freunde Spaß am basteln.“ bemerkte Andrew.
„So viel Aufwand nur für ein Rennen?“ fragte Kathy kopfschüttelnd.
„Mich wundert ehrlich gesagt eher, dass der Fahrer offenbar überlebt hat, oder er wurde von seinen Freunden mitgenommen. Von dem Auto ist ja nicht gerade viel übrig geblieben.“ sagte Jason.
Eine Bewegung in seinen Augenwinkeln ließ ihn herumfahren. Auch Kathy hatte es bemerkt. Jemand hechtete zum Ausgang der Rennbahn.
„Schnell!“ rief Jason und rannte los wie von Teufeln getrieben.
Er war ein hervorragender Läufer. Er kam dem Flüchtenden immer näher. Jason erkannte schnell, dass es nicht Greg war, aber sein Instinkt sagte ihm, dass der Mann etwas wusste. Der Mann blickte immer wieder panisch nach hinten und musste feststellen, dass Jason schnell aufholte. Jason stachelte sich selber an. Gleich würde er wissen wo sich Greg verkrochen hatte. Ein Energieschub ließ ihn noch einmal an Geschwindigkeit zulegen. Sein unfreiwilliger Informant stolperte und fiel hin. Jason kam wenige Augenblicke später vor ihm zum stehen.
„Keine Bewegung. Mordkommission.“
Jason hielt mit der einen Hand seinen Ausweis hoch, mit der anderen behielt er den Mann mit seiner Waffe im Visier.
„Halt! Nicht schießen!“ kreischte der Mann panisch.
Er hielt die Hände hoch zum Zeichen, dass er nicht bewaffnet war und er zitterte ängstlich. Kathy und Andrew kamen schlitternd und schwer atmend neben Jason zum stehen.
„Wer sind Sie? Und was machen Sie hier?“
„Mein Name ist Sam Vender und ich bin hier praktisch das Mädchen für alles, ich überwache die Sanierungsarbeiten und so weiter, bitte nicht schießen.“ quiekte der Mann am Boden.
„Stehen Sie auf!“ befahl Jason.
Sam erhob sich.
„Warum sind Sie weggelaufen?“ wollte Jason wissen.
„Ich will keinen Ärger haben.“
„Von wem?“
„Von den Typen, die manchmal hier sind.“ erklärte Sam.
„Volltreffer.“ dachte Jason.
„Schwarze Klamotten, unheimliche Kerle?“ hakte Jason nach.
Sam nickte eifrig.
„Was hast du mit ihnen zu tun?“
Jason wurde laut. Sam war anzusehen, dass er sehr verängstigt war. Immerhin würde er so reden.
„Ich muss dafür sorgen, dass niemand sonst hier ist, wenn sie ihre Rennen fahren. Glauben Sie mir, ich mach das nicht freiwillig. Die haben gedroht mich kalt zu machen.“
„Was wissen Sie über diese Typen?“
„Nicht viel. Keine Ahnung wer sie sind. Irgendwelche Freaks.“
„Rede weiter!“
„Naja, es hat damit angefangen, dass dieser Typ hier aufgetaucht ist. Einer von der Sorte, der man im Dunkeln lieber nicht begegnen will. Er sagte, er bräuchte eine Rennstrecke. Ich sollte die Arbeiter an dem Tag zu Hause lassen, deshalb habe mir irgendeine Geschichte für sie einfallen lassen. Ich konnte ja unmöglich die Wahrheit sagen. Der Kerl hat gesagt er würde mir das Genick brechen, wenn ich reden würde. Er war oft hier. Zuerst mit so einem Haufen Lebensmüder, die sich ein Rennen lieferten. Ich sag's ihnen, der Kerl hatte kein Problem damit sie zu verletzen. Manchmal sind sogar welche an den Verletzungen der Rennen gestorben. Einmal hat der Typ einen anderen erschossen, weil er aufgemuckt hat. Irgendwann wollte niemand mehr mit ihm fahren.“ sprudelte es aus Sam heraus.
Er schluckte ein paar Mal.
„Kann ich verstehen.“ sagte Jason. „Und weiter?“
„Später kamen dann diese anderen Kerle. Sie ähnelten sich, hatten alle schwarze Klamotten an. Ich hab sie manchmal beobachtet. Mit ihnen ging dieser Typ anders um. Wie mit Freunden, was aber nicht heißt, dass die Rennen sanfter wären. Überschläge, zerfetzte und zersplitterte Wagen. Ich hab mich oft gewundert, dass sie überhaupt noch leben. Heute waren sie auch wieder da.“
„War einer dabei, der Greg hieß?“ fragte Jason.
Sam zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung, aber der Typ, der mit den Rennen angefangen hat hieß anders. Ich hab aber gesehen wie einer telefoniert hat. Später ist er zu einem Wagen gegangen und weggefahren. Vielleicht ist das euer Mann?“
Jason riss die Augen auf.
„Ja, was war das für ein Auto?“
„Irgend so ein Teil, dass sie sich selber zusammengeschraubt haben. Ein grauer Transporter, ziemlich verbeult.“
„Danke.“ sagte Jason und er meinte es ehrlich. „Sie sollten sofort zur Polizei gehen. Sie bekommen Personenschutz.“
Sam sah überglücklich aus.
„Passen Sie auf, wenn sie diesen Freak verfolgen, ja? Das ist ein Gottverdammter Mörder.“ rief Sam ihnen nach, als die drei zum Auto sprinteten.
Kaum da angekommen gab Jason die Beschreibung des Wagens durch den Polizeifunk. Sie mussten sich beeilen. Die Zeit rannte ihnen davon. Greg könnte jeden Moment sein nächstes Opfer gefunden haben.


12
Jasons Instinkt sagte ihm, dass Greg auf dem Weg zur nächsten Stadt war. Durch den Polizeifunk hörte er wenig später die Bestätigung. Ein grauer, demolierter Transporter wurde in der Nähe der Innenstadt gesehen.
Selbst als Jason in die Stadt kam fuhr er weiter mit neunzig Meilen durch die Straßen. Rote Ampeln ignorierte er einfach. Adrenalin peitschte durch seinen Körper und verbesserte sein Reaktionsvermögen. Das brauchte er auch, denn mehr als einmal wäre er fast mit anderen Verkehrsteilnehmern zusammengestoßen.
„Da!“ schrie ihm Kathy ins Ohr. Sie zeigte aus dem Fenster.
Sie hatten den Transporter gefunden. Er fuhr langsam am Bordstein entlang, schließlich hielt er kurz an.
„Jetzt hab ich dich!“ brüllte Jason und drückte noch weiter aufs Gas.
Umso schneller er Greg verhaftete umso besser. Plötzlich beschleunigte auch der Transporter. Fassungslos musste Jason dabei zusehen wie der Wagen hundert Meter fuhr und dann in eine Menschenmenge bretterte, die sich vor einem Kaufhaus gebildet hatte.
„NEIN!“ schrie Jason.
Er raste weiter, genau auf den Transporter zu. Noch zwanzig Meter. Er spürte wie sich Kathy am Sitz festkrallte. Noch zehn Meter. Jasons Herz setzte einen Schlag aus. Aufprall. Mit einem ohrenbetäubenden Scheppern prallten die beiden Fahrzeuge gegeneinander. Gregs Transporter wurde so schwer getroffen, dass er zur Seite gedrängt wurde. Überall stoben die Menschen voller Panik auseinander. Jason wartete nicht. Er riss die Tür auf. Jetzt hatte er Greg.
„Steig aus dem Wagen, du Mistkerl!“
Er zog seine Waffe und hielt sich schussbereit. Kathy und Andrew taten es ihm nach. Von überall her hörten sie Sirenengeheul. Jason sah von allen Seiten Polizei Fahrzeuge anrücken. Es befanden sich jetzt mindestens zwanzig Polizisten vor Ort und sie alle fokussierten den grauen, zerbeulten Transporter an. Auch ein Krankenwagen traf nun ein. Die Notärzte sprangen aus dem Fahrzeug und ohne auf irgendwelche Spannungen und Konflikte zu achten, rannten sie zu den Verletzten.
Es öffnete sich die Fahrertür des grauen Transporters und Greg stieg aus.
Da war er. Er, der Mörder, der Wächter, Greg. Ganz in schwarz gekleidet, seine schwarzen Haare waren zerzaust, sein sehniger, kräftiger Körper angespannt. Er war kaum zwei Meter von Jason entfernt. Mit seinen scharfen, braunen Augen sah er sich um.
„Das ist ja ein richtiger Massenauflauf.“ sagte er und grinste schief.
„Ergib dich! Wir haben dich umstellt. Hände hoch, so, dass ich sie sehen kann!“ brüllte Jason.
Greg lächelte spöttisch und hob die von zahlreichen Narben bedeckten Arme. Offensichtlich war er unbewaffnet.
„Jetzt wo du mich hast, was willst du mit mir machen?“ fragte Greg ruhig.
„Ich werde dich verhaften. Ein Gericht wird dann entscheiden wie das Urteil für dich lautet.“ antwortete Jason.
„Meinst du wirklich, dass sie das richtige Urteil fällen werden?“
Greg musterte ihn. Jason fand, dass Greg für jemanden, der gerade von der Polizei umstellt und anvisiert wurde, viel zu locker war. Die meisten Täter wurden dann panisch.
„Warum erschießt du mich nicht?“ fragte Greg mit eisiger Ruhe.
Jason verschlug es die Sprache. Dann fasste er sich wieder uns sagte: „Das würde ich nur zu gerne.“
„Ich weiß, dass du das willst, aber warum tust du es dann nicht?“ fragte Greg weiter.
„Du musst vor einen Richter.“
Greg lachte. Um sie herum herrschte Totenstille, alle warteten was geschehen würde und dadurch hörte sich Gregs lachen noch lauter und unwirklicher an.
„Du bist jetzt der Richter. Erschieß mich!“
„Noch nicht.“ brüllte Jason.
„Erschieß mich, worauf wartest du?“
„NEIN!“
„Schieß!“ brüllte Greg.
Jason verstand die Welt nicht mehr. Beinahe hätte er tatsächlich geschossen, aber wäre das schlimm gewesen?
„Zugriff!“ befahl er den umstehenden Polizisten, während er Greg weiter anvisierte.
Die Polizisten umringten Greg mit vorgehaltener Waffe. Sie waren ihm jetzt so nah, dass sie ihn fast berühren konnten.
„Ganz ruhig!“ sagte einer und holte ein paar Handschellen heraus um Greg zu fesseln.
Blitzschnell packte Greg die Waffe des Polizisten, feuerte wild um sich und trat dem Gesetzeshüter, der ihm am nächsten war in die Magengrube. Mit der Schulter rammte er sich dann einen Weg aus dem Kreis und spurtete so schnell los wie Jason es noch nie gesehen hatte. Das alles geschah innerhalb von nicht einmal einer halben Minute. Jason konnte nicht so schnell reagieren.
„Ihm nach!“ rief er und alle hetzten Greg hinterher.
Er war unglaublich schnell. Schon war er außer Sichtweite.
„Er kann noch nicht weit gekommen sein.“ sagte Jason. „Durchsucht die Gegend!“
Er verließ sich darauf, dass sein Instinkt ihn leiten würde. Nach fünf Minuten der Verfolgungsjagd gelangten sie in einen sehr baufälligen Stadtteil, der sich an einem dreckigen Fluss entlang zog.
Mir vorgehaltener Waffe gingen sie durch die Gassen und hielten die Augen und Ohren auf. Jason war mit Kathy zusammen unterwegs. Andrew hatte die Führung über eine Gruppe Polizisten übernommen.
Jason achtete auf jedes kleine Geräusch und auf jede noch so kleine Bewegung. Alle seine Sinne waren aufs äußerste gespannt. Als er an einer Ecke stand, bekam er fast einen Herzstillstand, weil es einen riesen Lärm gab und er eine Bewegung wahrnahm. Fast hätte er geschossen, aber es war nur eine schwarze Katze, die einen Mülleimer umgestoßen hatte.
Leise pirschten sie sich weiter. Jason konnte das Wasser des nahen Flusses hören. Es dämmerte langsam und es wurde schwer noch etwas eindeutig zu sehen.
„Stehenbleiben!“ hörte Jason eine Stimme.
Es war Andrew. Jason und Kathy hasteten in die Richtung, aus der die Stimme kam. Andrew ging mit vorgehaltener Waffe keine hundert Meter von ihnen entfernt auf Greg zu. Greg hatte offenbar durch einen Sprung in den Fluss entkommen wollen. Andrew hatte ihn gestellt. Er hatte Handschellen gezückt. Greg stand stocksteif da, die Hände erhoben.
„Diesmal entkommst du nicht, Freundchen.“ sagte Andrew.
Greg drehte sich zu ihm herum, dabei geriet Jason in sein Blickfeld. Als er ihn sah grinste Greg eiskalt. Schneller als Andrew reagieren konnte, trat Greg einen Schritt auf ihn zu, griff seine rechte Hand, in der er die Pistole hielt und brach sie. Andrew feuerte die Waffe ab, aber der Schuss ging ins Leere. Die Pistole glitt Andrew aus der Hand, der laut stöhnend auf die Knie fiel. Greg griff ihn mit der einen Hand an der Schulter, mit der anderen an den Kopf und brach ihm mit einem kräftigen Ruck das Genick. Jason hörte wie es knackte.
„NEIN!“ brüllt er.
Er verlor alle Hemmungen und schoss fünfmal auf Greg. Alle Kugeln fanden ihr Ziel in seiner Brust. Der sah ihn nur aus eiskalten Augen an und fiel dann hintenüber in den Fluss.
Jason rannte zu Andrew. Er kniete sich zu seinem Freund. Er war tot. Jason umarmte ihn. Er fühlte sich elend. Warum war er nicht eher da gewesen? Tränen liefen aus seinen Augen und er weinte wie ein Kind.
„Nein, nein, das kann nicht sein.“ schluchzte er. „Nein!“ brüllte er in die Nacht hinaus.


13
Jason stand an dem Grab von Andrew und dachte nach. Nicht nur über den Fall, sondern vor allem über Andrew und seine anderen Freunde Joris und ... Kathy, selbst an Doug dachte er. Er grübelte auch über sein Leben nach. Der Tod von Andrew hatte ihm gezeigt, wie schnell alles vorbei sein konnte. Kathy stellte sich tröstend neben ihn und umarmte ihn zärtlich. Er war so dankbar, dass sie für ihn da war.
Am Abend gingen sie in ein französisches Restaurant. Das Essen und der Wein schmeckten ausgezeichnet. Nach dem Essen saßen sie noch eine Weile. Zuerst schweigend, aber es war kein unangenehmes Schweigen. Es war als würden sie sich auch ohne Worte verstehen.
Dann sagte Jason mit sanfter Stimme: „Kathy, ich möchte dir gerne etwas sagen.“
Kathy sah ihn erwartungsvoll an.
„Seit wir uns kennen gelernt haben warst du immer für mich da. Du bist eine wunderbare Frau.“
Er hielt kurz inne und legte so viel Zuneigung in seine Stimme und seinen Ausdruck wie es überhaupt möglich war.
„Du bist für mich alles auf der Welt. Ohne dich kann ich nicht leben. Ich liebe dich.“
Kathy lächelte ihn an und es war so warm, dass es Jason wärmte wie ein Feuer.
„Ich liebe dich auch.“
Sie legte ihm die rechte Hand auf seine. Dann küssten sie sich.

Am nächsten Morgen weckte ihn sein Handy. Es war Joris. Er hörte sich sehr aufgeregt an, so wie ein Kind an Weihnachten.
„Du wirst nicht glauben was ich alles herausgefunden habe.“
„Du meinst über Greg? Er ist tot.“ antwortete Jason.
Joris hörte sich jetzt sehr ernst an.
„Haben die Suchtrupps seine Leiche schon gefunden?“
„Nein, aber das ist nur eine Frage der Zeit.“
„Hör zu, ich muss jetzt schluss machen. Das Flugzeug landet gleich. Hol mich vom Flughafen ab, ok?“ sagte Joris.
„Kein Problem.“ erklärte Jason und beendete das Gespräch.

Kurze Zeit später stand er am Ausgang des Flughafens und wartete auf seinen Freund. Da kam er endlich angelaufen. Er war bestens gelaunt, auch wenn er nörgelte: „Das hat wieder ewig gedauert eh ich meinen Koffer hatte.“
Sie begrüßten sich überschwänglich und gingen dann in Richtung Parkplatz.
„Nun erzähl schon! Was hast du herausgefunden?“ fragte Jason gespannt.
Joris sagte: „Ich war bei dem Wissenschaftler, diesem Nicholas Cumming zu Hause. Ich kann dir sagen, es hat mich eine Menge Überzeugungsarbeit gekostet, bis er mir was erzählt hat. Ich ging sogar so weit, dass ich ihm androhte, er würde wegen Behinderung der Behörden ins Gefängnis wandern. Dann rückte er endlich mit der Sprache heraus. Allerdings sagte er noch: „Mach dich nicht unglücklich Jungchen. Sie werden dich umbringen.“ Ich ging nicht weiter drauf ein. Er erzählte mir sehr viel. Es ist der Wahnsinn. Nicholas Cumming gehört nicht zu den Wächtern, sondern arbeitet für ihre Verbündeten. So wie Arnold. Das Bündnis steht aber auf Messers Schneide. Cumming wollte mir nicht sagen wie die Organisation heißt, für die er arbeitet, aber er sagte, dass sie die Art und Weise wie die Wächter leben nicht gutheißen. Ihre moralischen Vorstellungen seien einfach nicht vertretbar. Cummings Organisation setzt hauptsächlich auf Technologie um ihre Probleme zu lösen, aber die Wächter haben eine andere Herangehensweise. Sie verändern sich selbst um mit Problemen fertig zu werden. Sie passen sich an. Du sagtest mir doch das letzte Mal am Telefon Greg habe mit dem Töten angefangen, als er elf Jahre alt war und sich in seinem Hass immer weiter hineingesteigert. Das ist eine ihrer Methoden.“ erzählte Joris atemlos.
Er sprach aufgeregt und schnell. Jason hatte Schwierigkeiten alles aufzunehmen.
„Du meinst er hat sich absichtlich zu dem entwickelt was er ist?“ fragte Jason nach.
„Ja.“ antwortete Joris nachdrücklich. „Die Wächter töten im großen Stil. Dir ist doch sicher bekannt, dass Soldaten häufig an Störungen der Psyche leiden, wenn sie aus dem Krieg ins alltägliche Leben zurückkehren. In ihrem Kopf herrscht immer noch Krieg. Sie sind nicht mehr in der Lage ein normales Leben zu führen und müssen therapeutisch behandelt werden. Die Wächter haben dafür eine Lösung gefunden. Das Leben wie sie es leben IST für sie normal. All das Töten ist für sie nichts Außergewöhnliches. Sie kennen es nicht anders. Sie sind damit aufgewachsen. Sie wären mit einem Leben wie wir es leben schlichtweg überfordert. Sie würden es nicht verstehen, aber dadurch, dass sie so sind wie sie sind, sind sie bestens für ihre Aufgabe geeignet.“
„Und die wäre?“ fragte Jason.
„Töten.“ sagte Joris. „Und sie haben sich nicht nur psychisch, sondern auch physisch verändert. Sie sind sehr Leistungsfähig und es ist verdammt noch mal äußerst schwer sie umzubringen. Sie haben sich zum einen...“
Ein Schuss durchschnitt die Geräuschkulisse und Joris sah zu seiner Brust. Dort breitet sich ein größer werdender Blutfleck aus.
„Joris!“ schrie Jason und hielt ihn fest weil sein Freund zusammenbrach.
Eine Kugel hatte sein Herz zerfetzt. Sein Tod kam schnell. Jason konnte nichts mehr für ihn tun. Er blickte in die Richtung aus der der Schuss kam. Nicht einmal hundert Meter entfernt auf einem sechsstöckigem Gebäude stand Greg. Fassungslos sah Jason ihn an.
Wie konnte das sein? Er hatte ihn doch erschossen, aber er lebte. Greg grinste und hob seine Schusswaffe zum Gruß. Es sah aus wie ein Scharfschützengewehr, nur handlicher. Greg drehte sich um und entschwand seinem Blickfeld. Jason rannte zu dem Gebäude, aber als er dort ankam war von Greg nichts mehr zu sehen.


14
Jason saß im Polizeirevier an seinem Schreibtisch, aber er arbeitete nicht. Er hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Das sein Partner und bester Freund tot war hatte ihn in einen Schock zustand fallen lassen. Kathy hatte ihn seither getröstet. Doch sie war vor etwa einer Stunde gegangen. Sie hatte ihn nur ungern allein lassen wollen, aber sie konnte ihm Augenblick nichts für ihn tun und sie hatte nun schon seit drei Tagen kein Auge mehr zugetan. Sie musste sich dringend ausruhen. Und so saß Jason nun allein. Einige andere Polizisten waren noch im Gebäude, aber sie hatten ihre eigenen Aufgaben zu erledigen. Jason sah auf die Uhr. Es war fast vierundzwanzig Uhr. Die Zeit war für ihn bedeutungslos geworden. Hatte er heute überhaupt etwas gegessen? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Aber was spielte das überhaupt für eine Rolle? Was spielte das alles überhaupt für eine Rolle? Joris war tot, genauso wie Andrew. Wer würde der nächste sein? Jason schüttelte den Kopf. Sein Gesicht war immer noch tränennass. Er beschloss in ein Badezimmer zu gehen und sich zu waschen. Und so stand er auf und ging los.
„Wie kann Greg überhaupt noch am Leben sein?“ fragte er sich. „Ich hab ihn ganz klar erwischt.“
Er erinnerte sich was Joris gesagt hatte, kurz bevor er ermordet wurde: „Es ist verdammt noch mal äußerst schwierig sie umzubringen.“
Als Jason im Badezimmer ankam, stellte er den Wasserhahn an und ließ das Waschbecken voll laufen, dann tauchte er mit dem Kopf ins Nass. Als er wieder auftauchte schüttelte er seinen Kopf wie ein Hund, um die Nässe aus den Haaren zu bekommen. Jason nahm sich einige Papierhandtücher und trocknete sich damit ab. Er sah sich sein Spiegelbild an. Er sah furchtbar aus. Blass, müde und gehetzt. Seine Augen waren Blutunterlaufen. Er sah aus wie eine Leiche. Jason konnte sein Spiegelbild nicht länger ertragen. Er ging zurück in sein Büro. Er war gerade an der Tür, da klingelte sein Handy. Als er um den Schreibtisch herum ging und auf die Uhr sah, bemerkte er, dass es genau Null Uhr war. Wer rief zu so später Stunde an? Jason drückte den grünen Knopf zur Gesprächanahme und hielt sich das Handy ans linke Ohr.
„Hallo Jason.“
Es war Greg. In Jasons Gehirn machte es klick. Die Lethargie fiel von ihm ab wie eine alte Haut. Eine Wut, wie er sie nie zuvor gekannt hatte loderte in seinem Körper.
„Du dreckige, kleine Kakerlake, verachtenswerte Kreatur, grausames Monster, ...“
Jason wütete noch mehrere Minuten weiter.
„Bist du fertig?“ fragte Greg gelangweilt.
„Warum?“ fauchte Jason ins Mobiltelefon.
„Warum? Warum was?“ kam es von Greg.
„Warum hast du ihn umgebracht?“
„Jason, hast du es immer noch nicht verstanden? Ich mag es nicht wenn andere über mich reden. Schon gar nicht wenn es Dinge sind, die niemanden etwas angehen. Deshalb habe ich ihn getötet.“
Eine scheinbar endlose Pause trat ein. Keiner sagte etwas.
Dann erklärte Greg: „Es wird Zeit für ein neues Spiel. Vielleicht gewinne ich ja dieses Mal. Ich denke ich werde heute wieder töten.“
Greg lachte eiskalt. Jason konnte das nicht mehr beunruhigen.
„Es geht um Kathy. Wer zuerst bei ihr ist hat gewonnen.“
Jason schluckte.
„Das kannst du nicht tun!“
„Ach so? Und warum nicht? Ich kann tun was immer ich will. Das ist es was sich Freiheit nennt. Du solltest dich beeilen Jason, anstatt herumzustehen.“
Das fiel Jason in diesem Moment auch auf. Was machte er hier noch? Wenn Greg Kathy etwas antat ..., nein, Jason wollte sich das nicht vorstellen. Er musste vorher da sein. Er schnappte sich seinen Mantel und seine Waffe und stürmte aus dem Büro. Er hielt das Handy weiter an sein Ohr um zu hören was Greg jetzt vorhatte.
„Solltest du daran denken deine Kollegen zu informieren, damit sie dir helfen ... vergiss es, oder Kathy ist tot.“
Jason schluckte. Das hatte er gerade tun wollen. Doch jetzt ließ er dieses Vorhaben fallen. Stattdessen stürzte er zur Treppe und beim herunterrennen nahm er immer zwei Stufen auf einmal. Gregs Stimme drang während er die Treppe herunterrannte durch sein Mobiltelefon wie ein Singsang. Für ihn war das alles nur ein Spiel.
„Kathy. Wo könnte sie sein? Hab ich sie vielleicht schon? Ist sie in Ordnung? Ist sie sicher? Wo ist sie jetzt? Was ist, wenn sie nicht mehr in Ordnung ist? Was ist, wenn sie nicht mehr sicher ist? Wo ist sie jetzt wohl? Du hast schon so viele verloren. So viele, die du noch in deinen Erinnerungen trägst. Kannst du einen weiteren Verlust ertragen?“
Jason kam in der Garage an. Er schwitzte und zitterte. Er stieg in das Auto, dass er benutzen durfte und entschied sich zu Kathy's Hotel zu fahren. Er hoffte, dass er sie dort finden würde. Jason ließ den Motor an und suchte sich einen Weg aus der Garage. Greg schenkte er kaum Beachtung. Der Wächter hatte ganz offensichtlich Spaß daran ihn zu verunsichern.
„Denkst du deine Träume könnten noch wahr werden? Ein Leben zusammen mit Kathy? Oder wird sie heute Nacht sterben? Oder ist alles nur eine Lüge? Ist sie in Ordnung? Ist sie sicher? Wo ist sie jetzt? Was wird an diesem Tag noch alles passieren? Sind vielleicht mehrere nicht mehr sicher? Wer wird alles sterben?“
Greg lachte schallend. Jason versuchte sich aufs Fahren zu konzentrieren. Die Straße war wie leergefegt. Jason ignorierte alle Geschwindigkeitsbeschränkungen und fuhr so schnell wie er konnte. Die Ampeln blinkten nur in kurzen Intervallen, zum Zeichen dafür, dass sie ausgeschaltet waren. Jason überfuhr sie einfach. Seine Hände klebten am Lenkrad. Sein Herz hielt es offenbar nicht mehr in seiner Brust aus. Es schien, als wollte es ihm davonlaufen, schneller sein als er, weit voraus zu Kathy.
„Kathy.“ ging es ihm immer wieder durch den Kopf.
Gregs Singsang Stimme peitschte ihn weiter auf.
„Wer wird in der Mitternachtsstunde sterben? Wer kann das wissen?“
Diese zwei Sätze wiederholte Greg mehrmals, bis Jason vor Kathy's Hotel war. Sie bohrten sich tief in sein Gehirn. Als Jason im Treppenhaus war, sagte Greg: „Weiß sie überhaupt, dass sie in Gefahr ist?“
Greg stieß einen wütenden, animalischen Schrei aus, fast wie ein Brüllen und wiederholte dann wieder die Sätze.
„Ist sie in Ordnung? Ist sie in Sicherheit? Wo ist sie jetzt? Hab ich sie vielleicht schon? Was wird an diesem Tag noch alles passieren? Ist sie in Ordnung? Ist sie in Sicherheit? Wo ist sie jetzt? Oder war das alles nur eine Lüge? Wer kann das schon wissen? Was machst du, wenn es eine Lüge war? Du wirst diesen Tag nicht vergessen so lange du lebst.“
Jason war jetzt im richtigen Stock. Er hastete den Korridor entlang bis zu Kathy's Zimmer. Die Tür war nicht abgeschlossen. Sie ließ sich leicht öffnen. Jason stürmte in den Raum, blieb dann aber abrupt stehen, weil er nichts sehen konnte. Es war dunkel.
„Da bist du ja Jason.“ hörte er es gleichzeitig aus dem Handy wie auch ganz nah, hier aus diesem Zimmer.
Jason schluckte.
Er suchte nach dem Lichtschalter. Er fand ihn und das helle Licht blendete ihn kurz. Greg saß auf einem Drehstuhl am Fenster. Nun drehte er sich zu Jason herum, schaltete das Handy aus und steckte es in seine Hosentasche. Greg sah genauso aus, wie er ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Die gleichen Sachen, die gleiche harte Kühle in den Augen. Jason ließ das Handy fallen. Es war nicht mehr wichtig. Kathy war wichtig.
„Wo ist sie?“ schrie Jason.
Er zog seine Pistole und richtete sie genau auf Gregs Herz.
Greg lachte.
„Willst du mir etwa drohen?“
„Wo ist Kathy?“ wiederholte Jason wütend.
Greg grinste schief.
„Sie ist nicht hier. Hast du es nicht verstanden? Es war alles nur ein Spiel, ein Vorwand um dich hierher zu locken.“
„Dann ist sie in Sicherheit?“
„Ja.“ antwortete Greg.
Jason fiel ein Stein vom Herzen. Kathy ging es gut. Sie würde nicht sterben. Aber was war mit ihm? Wollte Greg ihn töten? Hatte er ihn deswegen hierher gelockt? Aber das würde er nicht zu lassen. Außerdem war er hier der mit der Waffe in der Hand. Greg war unbewaffnet.
„Ergib dich, oder ich schieße so lange bis du nicht mehr zuckst.“
Schneller als er gucken konnte hatte Greg eine Pistole gezogen und geschossen, genau auf Jasons Waffe. Sie flog ihm aus der Hand.
„Wie schnell sich das Blatt wenden kann, nicht wahr? Komm her!“
Er winkte ihm mit der Waffe. Greg setzte sich wieder auf den Drehstuhl. Der Stuhl stand vor einem niedrigen Tisch mit einer Sitzecke, auf der sich Jason nervös niederließ.
„Was kann ich machen? Es muss doch eine Möglichkeit geben ihn dranzukriegen.“
Der Anblick von dem, was auf dem Tisch lag riss ihn aus seinen Gedanken. Es war ein schwarzes Schwert. Kein Katana, wie es bei vielen Schwertkämpfern noch heute beliebt war, sondern ein zweischneidiger Einhänder, wie es sie früher im Mittelalter gab. Fast liebevoll strich Greg über die Waffe.
„Jeder Wächter schmiedet sein eigenes.“ sagte Greg.
Sein Blick hob sich zu Jason.
„Ich frage mich immer noch warum du den Fall nicht aufgegeben hast, als ich es dir sagte. Es hätte sich alles so viel besser für dich entwickelt. Andrew und Joris würden noch leben und du würdest glücklich mit Kathy, Ann und George leben können.“
Jason funkelte ihn wütend an.
„Du gibst mir die Schuld für ihren Tod? Du hast doch Andrew und Joris ermordet.“
„Ja.“
Greg lehnte sich lässig zurück.
„Auf jede Aktion folgt eine Reaktion.“
Jason kam das hier alles unwirklich und fremd vor. Er saß mit einem Massenmörder an einem Tisch und sie erzählten. Hatte es je etwas Seltsameres gegeben?
„Warum mussten so viele sterben? Warum tut ihr Wächter das?“
Jasons Stimme war fast ein Flüstern. Gregs harte Stimme kam ihm dagegen sehr laut vor.
„Es gibt Dinge, die besser niemand weiß. Würden sie bekannt, würde das euer und das Leben von uns Wächtern gefährden.“
„Aber einfach alle umbringen? Was soll das denn für eine Lösung sein?“ fragte Jason empört.
„Eine effektive.“ sagte Greg nur.
Einige Minuten blieben sie stumm. Jason überlegte fieberhaft wie er hier heil herauskommen sollte, verwarf aber einen irrwitzigen Plan nach dem anderen und er wurde zunehmend nervöser.
„Hier komm ich nie wieder raus.“ dachte Jason verzweifelt.
Greg musterte Jason, während er überlegte. Er atmete tief ein. Es schien, als würde er sich für etwas bereit machen.
„Mir hat unser Spiel gefallen. Es war interessant, fordernd, nicht langweilig. Ich habe es genossen wie ihr versucht habt mir auf die Schliche zu kommen. Ein unterhaltsames Katz und Maus Spiel.“
Greg hielt inne. Jason fragte sich was jetzt kommen würde. Greg fuhr mit dem Zeigefinger der rechten Hand über sein schwarzes Schwert.
„Aber die anderen möchten, dass du stirbst. Sie finden du wärst eine zu große Bedrohung. Was wäre, wenn du noch mehr herausfinden würdest? Mit Joris war es schon knapp und was wäre, wenn du damit dann an die Presse gehst?“
Jason schluckte schwer.
Greg sah ihn an. Jetzt war jegliche Kälte aus seinen Augen gewichen. Er meinte sogar fast so etwas wie Bedauern zu erkennen.
„Mir hat das gar nicht gefallen. Ich mag dich. Dieses Spiel gefiel mir, aber ... wenn ich es nicht tue, dann werden es die anderen tun. Jetzt bist du dran Jason. Jetzt wirst du sterben.“
In Jason erwachte etwas. Er glaubte zu wissen was es war. Der Überlebensinstinkt. Der einfache Wunsch zu leben. In Jason bildete sich eine Energie, die zu allem fähig war. Er stürzte sich über den Tisch hinweg auf Greg. Greg war einen Moment überrumpelt. Jason warf ihn fast um. Er griff nach Gregs Pistole und wollte sie ihm an die Schläfe halten, aber dazu kam er nicht. Er glaubte ihn hätte gerade ein Auto angefahren, so stark war die Wucht, als Greg auf ihn losstürmte. Es gab ein hässliches Knirschen und Jason fiel in sich zusammen. Die Waffe fiel ihm aus der Hand. Greg hob sie auf und hielt sie ausgestreckt vor sich. Sein Ziel war Jasons Herz.
Jason stöhnte vor Schmerz. Er konnte sich kaum aufrecht halten, stehen konnte er schon gar nicht. Seine linke Hälfte fühlte sich an wie ein brennender Haufen Nägel.
Greg zögerte.
Er konnte jederzeit abdrücken, aber er tat es nicht. Jason konnte klar sehen, dass der Wächter ihn nicht töten wollte und das war vielleicht das erste Mal seit er mit dem Morden begonnen hatte. Doch Jason war sich sicher, dass er es tun würde. Für ihn würde Greg seine Freunde nicht enttäuschen.
„Hauptsache Kathy, Ann und George geht es gut.“ dachte Jason.
Er wusste, dass er gleich sterben würde und er war bereit. Er würde nicht um Gnade flehen. Nicht vor diesem Monster. Er würde ihm diese Genugtuung nicht geben.
„Na wo ist dein Gott jetzt?“ fragte Greg.
Seine Stimme war eiskalt, wie eh und je.
Jason reckte das Kinn.
„Irgendwann wirst auch du vor deinem Schöpfer knien und um Vergebung flehen.“
Greg schnaubte amüsiert und ein frostiges Lachen entrang sich seiner Kehle.
„Wir Wächter knien vor niemandem.“
Greg drückte den Abzug. Der Schuss war das letzte was Jason Harris hörte. Dann wurde die Welt schwarz.


Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei mir
Tag der Veröffentlichung: 14.10.2011

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