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Das Drachenei
Kira sah in die aufgehende Sonne, die über den Hügeln in der Nähe von Gartet aufstieg. Sie war ein sechs jähriges Mädchen mit langen schwarzen Haaren, die sie zu einem Zopf geflochten hatte. Kira konnte sehr gut klettern und saß drei Meter hoch in ihrem Lieblingsbaum. Das sie herunterfallen und sich etwas brechen könnte kam ihr nicht in den Sinn. Für ihr Alter war sie sehr aufgeweckt, mutig und neugierig, zu neugierig.
“Kira komm runter von dem Baum! Ich will dir noch auf wiedersehen sagen, bevor ich gehe.“
Das war Kira's Vater. Sein Name war Marek. Kira war vom Baum runtergeklettert und rannte auf ihren Vater zu, der sich mit einem Bein aufstützend, hingekniet hatte und seine Tochter mit offenen Armen empfing. Kira drückte ihren Vater fest und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. Wenn Kira bei ihrem Vater war hatte sie nie Angst, auch wenn er ihr Abends manchmal Geschichten erzählte, in denen grässliche Orks, Feuer speiende Drachen oder gemeine Trolle vorkamen.
„Warum must du wieder fort?“ fragte Kira traurig.
Marek sah in Kira's braune Augen und sagte:„Ich und meine Leute sollen nach Bretonia kommen. Es ist sehr wichtig. Aber keine Sorge, meine Kleine. Ich werde bald zurück sein.“
Vater und Tochter drückten sich noch einmal und dann ging Marek auf sein Pferd zu, das wenige Meter von ihnen entfernt graste. Es war ein Schimmel, der einen braunen Sattel trug und an dem viele Taschen für Proviant und anderen Dingen befestigt waren. Kira's Vater saß auf und winkte seiner Tochter zu.
“Und das du deiner Mutter und deinem Bruder keinen Ärger machst.“
„Das werde ich nicht. Komm bald wieder nach Hause!“
Kira winkte ihrem Vater zu, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte.

Kira wohnte mit ihrer Familie in Gartet. Gartet war eine Burg mit einer Stadt hinter ihren Befestigungsanlagen. Für den Krieg war diese Stadt nicht gebaut wurden, aber wie alle Burgen hatte sie dicke Mauern, Wachtürme und Soldaten, die die Burg beschützten. Die Soldaten, die Wache hielten, ließen Kira ohne Federlesen durch. Es kam oft vor, dass sie alleine aus der Burg ging. Und so wunderten sie sich nicht. Kira kannte jeder, da doch ihr Vater ein sehr angesehener Ritter und der Lord der Burg war. Kira's Mutter gefiel es überhaupt nicht, wenn sie alleine durch die Gegend stromerte. Es beruhigte sie etwas das sie mit Lennard befreundet war. Lennard war ein Junge, der ungefähr in Kira's alter war. Er hatte braune kurze Haare und war sehr vorsichtig, aber auch klug. Kira hatte ihm den Spitznamen Lenni gegeben. Sie war gerade auf dem Weg zu dem Haus von Lenni's Eltern. Sie klopfte als sie ankam. Wennig später öffnete Lenni die Tür um nachzusehen wer geklopft hatte.
„Hallo Lenni. Hast du Lust auf ein Abenteuer?“ fragte sie.
„Ja, aber ich muss erst meine Eltern fragen ob ich darf.“
Und schon trippelte er davon. Kira hörte Stimmen und kurz darauf war Lenni wieder da.
„Ich darf.“ sagte er nur.
Und schon verließen beide Gartet in Richtung Westen. Sie durchquerten ein kleines Wäldchen und ließen einen Hügel hinter sich. Sie waren eine halbe Stunde gelaufen als Lenni sich beklagte, dass er nicht mehr weiterlaufen könne.
„Na gut, dann machen wir eben eine Pause.“ sagte Kira und ließ sich ins grüne Gras plumpsen.
Im Sternenthal war das Gras überall grün, was wahrscheinlich, so dachte Kira, mit den vielen Wasservorkommen hier zu tun hatte. Kaum dreihundert Meter weiter weidete eine Chetno Herde. Diese Wesen sahen aus wie Widder. Sie hatten jedoch Mähnen und Schweife wie Esel und statt Hufe besaßen sie drei hufartige Zehen. Sie waren friedliche Pflanzenfresser, die in der Wildnis lebten. Man konnte sie jedoch auch wie Schafe als Haustiere halten.
Auf einmal erzitterte der Boden und ein ohrenbetäubendes Gebrüll setzte an. Kira und Lenni sahen am Himmel einen hellen Flammenstrahl. Lautes Getrampel sagte den Kindern das sich die Chetno Herde erschrocken hatte und jetzt das Weite suchte.
„Das kann nichts gutes bedeuten.“ rief Lenni Kira zu, der fast schreien musste, damit Kira ihn hören konnte, denn ein weiteres Brüllen ließ ihre Ohren dröhnen.
„Wer weiß was das ist.“ sagte Lenni mit ängstlicher Stimme.
„Das werde ich schon herausfinden.“sagte Kira und lief in die Richtung aus der, der Lärm zu kommen schien.
„Haben dich alle guten Geister verlassen?“ rief Lenni ihr noch nach. Er wollte aber auch nicht alleine auf der Ebene zurück bleiben und rannte Kira hinterher. Kira lief auf einen Hügel zu, der mit Bäumen und Büschen bewachsen war und schlüpfte ins Unterholz. Lenni folgte ihr. Die Kinder waren so schnell gerannt, dass sie keuchten, doch statt Luft zu holen stockte ihnen der Atem. Nur einen Kilometer entfernt waren drei Drachen in einen Kampf verwickelt. Zwei schienen zu der selben Art zu gehören.
Vom Hügel hatten sie einen guten Blick auf das Kampfgetümmel. Als Kira ihre Stimme wiederfand rief sie aufgeregt:“Ich glaub's einfach nicht. Drei Drachen. Wer kann schon von sich behaupten einen Drachen gesehen zu haben?“
„Vielleicht deshalb weil sie es dann niemanden mehr erzählen konnten. Lass uns verschwinden!“ sagte Lenni und seine Stimme war voller Furcht.
„Die sehen uns doch gar nicht.“ sagte Kira, die die Gefahr in der sie schwebten völlig außer Acht ließ.
„Drachen haben sehr scharfe Augen.“ entgegnete Lenni.
„Die sind viel zu sehr damit beschäftigt zu kämpfen, außerdem haben wir Gegenwind. Sie können uns also auch gar nicht riechen. Also sag mal,was sind denn das für Drachen? Du kennst dich doch so gut aus nicht wahr?“
Lenni fühlte sich geschmeichelt und wurde rot.
„Die beiden, die in der Luft fliegen sind Toron Flügeldrachen. Über die ist bekannt, dass sie nur zwei Beine haben. Ihre Forderläufe sind Flügel. Sie sind gute Flieger, aber auf dem Boden kommen sie nur unbeholfen vorwärts.“
„Vielleicht fliegen sie deshalb die ganze Zeit, aber wieso fliegt der andere nicht?“
„Sieh mal Kira, die Toron Drachen haben seinen Flügel völlig zerfetzt.“
Die Toron Drachen stürzten sich jetzt auf den Drachen mit dem verletzten Flügel. Nur mit Mühe konnte er sie von sich abhalten. Lenni schien den ersten Schrecken überstanden zu haben und so plapperte er munter weiter, stolz mit seinem Drachenwissen angeben zu können.
„Der mit dem verletzten Flügel heißt Stirk Drache. Sie wachsen sehr schnell. Schon nach fünfzehn Jahren sind sie ausgewachsen.“ Während er sprach brach ein Flammeninferno zwischen dem Stirk und den zwei Toron Flügeldrachen los.
Die Toron Drachen waren Dreimeterzwanzig groß und hatten eine Flügelspannweite von neun Metern. Sie waren von grüner Farbe und hatten einen Zackenkranz um den Hals. Der Stirk Drache war zweimeterachtzig groß und acht Meter lang. Seine Flügelspannweite betrug acht Meter. Er ging auf vier Beinen, war rot und sein Körper war, vor allem auf dem Rücken mit Stacheln übersät.
Der Stirk Drache ging jetzt zum Gegenangriff über. Er biss und schlug wild um sich und brachte es zustande einen der Toron Drachen auf den Boden zu werfen.
Sofort sauste der andere Toron Drache auf den Stirk zu und schlug seine messerscharfen Zähne in den Nacken des Stirk. Stirk und Toron Drache brüllten auf, denn in der Eile des Gefechts hatte der Toron Flügeldrache völlig vergessen auf die Stacheln des Stirk's zu achten. Der Stirk hieb mit den Klauen nach den Toron aus, doch die waren schon wieder in der Luft und griffen ihn jetzt mit geballter Kraft an. Als einer der Toron Drachen seine Zähne in der Gurgel des Stirk vergrub,war dessen Schicksal besiegelt. Mit einem verzweifelten letzten Feuerball spuckend ging der Drache zu Boden. Kaum das der Besiegte tot war stürzten sich die beiden Sieger auf den einst so starken Drachen um sich an dessen Fleisch zu laben.
Die Kinder konnten nicht mehr hinsehen. Plötzlich drehte sich der Wind. Ein Toron schnüffelte.
„Oh nein, sie können uns riechen.“sagte Lenni.
„Bloß weg hier“riefen die beiden wie aus einem Mund.
Sie rannten los ohne zu wissen ob sie verfolgt wurden oder nicht. Kira sah sich um ob ein Toron Drache die Verfolgung aufgenommen hatte, aber sie sah keinen Drachen. Da sie nicht nach vorne sah, bemerkte sie den Hang vor ihr nicht. Sie rutschte aus und kullerte den Hang hinunter. Mit einem Plumpsen kam sie auf. Noch etwas benommen sah sich Kira um. Wie sie jetzt bemerkte, war sie in ein Nest gefallen. Ein ziemlich großes Nest. Es war aus großen und kleinen Ästen gebaut wurden. Am anderen Ende des Nestes lag ein Ei. Es war so groß wie Kira's Kopf und dunkelrot mit hellroten Flecken. Das Ei lag in einem Häufchen Asche, die ,als Kira die Hand darüber streckte, noch Wärme aufsteigen ließ.
„Kann es sein“dachte Kira „das dies ein Drachennest mit Drachenei ist?“
„Kira. Wo bist du?“rief jemand.
„Lenni? Ich bin hier unten.“
Und Kira konnte gleich darauf Lenni sehen, der zu ihr hinunter spähte.
„Geht es dir gut?“ fragte er besorgt, als er sah, dass sie voller Dreck war.
„Mir gehts gut, ich bin nur schmutzig, weil ich den Hang hinunter gerutscht bin. Jetzt komm her! Ich will dir etwas zeigen und brüll nicht so! Die Drachen könnten uns hören.“sagte Kira.
Lenni stolperte den Hang hinunter.
„Was willst du mir denn zeigen?“fragte er als er fast da war.
„Sieh mal!“ sagte Kira und deutete auf das Ei. Sie lächelte.
„Sieht aus wie ein Drachenei, nicht war?“
Lenni klappte der Mund auf.
„Ein echtes Drachenei.“ nuschelte er.
Kira hob es auf und betrachtete es genauer. Es war sehr schön und seine Oberfläche war glatt wie ein polierter Edelstein. Lenni war sehr nervös.
„Leg es wieder zurück! Wenn uns die Drachenmutter sieht sind wir dran. Wir sollten hier so schnell wie möglich verschwinden.“
Kira jedoch erwiderte: „Und was ist wenn die Mutter des Eies jetzt da draußen tot auf dem Feld liegt? Ich denke sie wollte nur ihr Nest verteidigen.... Du Lenni, wir können das Ei nicht hier lassen. Andere Tiere würden es bestimmt aufknacken und fressen.“
„Oh, tolle Idee.“ sagte Lenni sarkastisch. „Und wie stellst du dir das vor? Es fällt ja überhaupt nicht auf wenn ein sechs jähriges Mädchen mit einem Drachenei herumspaziert. Die Wachen von Gartet würden es dir schneller abnehmen als du ungerecht sagen kannst. Außerdem würden es dir deine Eltern sowiso nicht erlauben.“
„Ich hab auch gar nicht vor es nach Gartet zu bringen. Es gibt hier in der Nähe einen kleinen Spähturm, der seit Jahren nicht mehr benutzt wird. Papa hat ihn mir bei einem Ausflug gezeigt. Er ist gar nicht so weit von hier entfernt, fünfhundert Meter vielleicht. Komm mit!“
Und Kira nahm das Ei und wickelte es in ihr Oberteil ein damit es warm blieb. Lenni seufzte tief, dann folgte er Kira die schon durch das Unterholz schritt.

Eine halbe Stunde brauchten die beiden bis sie den Turm erreicht hatten. Er war nicht besonders groß, war aus Stein gebaut und jetzt schon sehr alt. Efeu rankte sich den Turm empor und das runde Dach hatte einige Löcher. Es gab auch eine kleine Aussichtsplattform. Auch sie war nicht besonders groß, dafür aber intakt.
„Komm jetzt!“ sagte Kira, die vorangeeilt war. Lenni keuchte und schnaufte hinter ihr her als sie die Treppe zur Tür heraufging. Die Tür war aus Eisen und Kira musste sich ganz schön anstrengen um sie zu öffnen. Immerhin musste sie auch auf das Ei Acht geben. Der Innenraum im Turm bot nicht viel Platz. Es passte nur eine morsche hölzerne Wendeltreppe hinein. Als sie die zwanzig knarksenden Stufen erklommen hatten fanden sie sich in einem ungefähr sechs Meter im Durchmesser betragenden Raum wieder. Licht drang aus den Löchern im Dach herein. Die Fenster hier oben waren winzig, gerade so groß das man etwas sehen konnte. Der Boden war aus Stein und in der Mitte des Raumes gab es eine Feuerstelle. Außerdem lagen hier noch zwei Hocker und eine Schüssel aus Zinn. Einige zerrissene und mottenzerfressene Decken verschimmelte hier auch.
„Und nun?“ fragte Lenni. „Was machen wir jetzt?“
Kira war auch ein wenig ratlos. „Ich weiß überhaupt nicht wie sich Drachen um ihre Jungen kümmern. Du etwa?“
„Nein.“ gestand Lenni „Aber mein Vater arbeitet in der Bibliothek von Gartet. Ich bin sicher das ich dort etwas nützliches finden werde. Ich suche morgen mal.“
Sie wickelten das Ei in alle Decken, die sie finden konnten und legten es dann in eine Schüssel. In den nächsten Stunden beratschlagten Kira und Lenni was nun zu tun war. Am Ende kamen sie zu dem Schluss das sie das Ei behalten und alles erdenkliche tun wollten, damit es dem Drachenbaby gut ging.
„ Es wird bald dunkel. Gehen wir besser nach Hause bevor wir noch Ärger bekommen.“sagte Lenni.
Kira stimmte ihm zu und bevor sie aus der Tür ging sah sie noch einmal zum Ei.


Eierrätsel
Am nächsten Morgen machte sich Kira in aller früh auf den Weg zu Lennard.
„Aber bleib heute nicht so lange weg wie gestern!“ hatte Kira's Mutter Kari gesagt.
Kira konnte in der Nacht gar nicht ruhig schlafen. Hatte Lennard etwas gefunden? Ging es dem Drachenei gut? Kira beschleunigte ihren Schritt. Es war noch früh am morgen und nicht sehr viele Leute durchliefen die Straßen von Gartet.
Kira klopfte an die Holztür von Lennards Elternhaus. Lennards Vater öffnete. Er sah noch etwas müde aus, aber als er sah wer da geklopft hatte, rief er gleich Lennard zu sich. Dann schlurfte er wieder ins Haus zurück.
„Hast du etwas herausgefunden?“ wollte Kira wissen.
„Ich habe dieses Buch gefunden.“sagte Lenni stolz.
Er hielt ein altes in grün eingebundenes Buch hoch, auf dem stand: „Dracheneier und -aufzucht.“
„Gut können wir jetzt gehen?“ fragte Kira aufgeregt.
Sie wollte unbedingt zum Ei zurück.
„Ich denke schon.“
Lennard lief ins Haus zurück und verabschiedete sich von seinem Vater.
„Seid aber immer auf der Hut!“ mahnte sie der Vater.
Und schon rannten sie die Straßen von Gartet entlang. Es dauerte nicht lange und sie hatten der Burg den Rücken zugekehrt.
„Ich kann es gar nicht erwarten zum Drachenei zurückzukommen.“
„Ich auch. Ich musste ganz schön lange suchen bis ich das Buch gefunden habe. Ich habe herausgefunden, dass es ganz schön gefährlich ist einen Drachen aufzuziehen. Einige Arten lassen es gar nicht zu und fressen ihre Pfleger.“ sagte Lenni während sie gingen.
„Hoffentlich ist unserer nicht so einer.“ sagte Kira.
Bald kam der alte Turm in Sicht. Sie stießen die Eisentür auf und sausten die Treppe hinauf. Oben angekommen schaute Kira nach dem Ei. Sie setzten sich auf die Hocker und Lenni schlug das Buch auf. Er suchte ein Ei im Buch, das genauso aussah wie das, dass Kira jetzt in ihren Armen hielt. Als er es gefunden hatte sagte er: „Das ist tatsächlich ein Stirk Ei.“
Er las die Passage aus dem Buch zu dieser Drachenart vor: „Stirk Drachen leben ausschließlich in der Wildnis. Sie sind weder zu aggressiv noch allzu gutmütig. Eine Aufzucht ist nicht sehr empfehlenswert, da es dabei schon zu einigen Todesfällen gekommen ist. Sollte man es dennoch versuchen, wäre es günstiger es bereits im Ei zu pflegen. Die Drachenmütter entzünden ein Feuer und legen das Ei in es hinein. Warme Asche ist auch geeignet.“
„Ich weiß noch als ich das Ei gefunden habe lag es auch in warmer Asche.“ sagte Kira.
„Also müssen wir jetzt ein Feuer machen?“ fragte sie.
„Ich denke schon, aber wird man es nicht merken wenn aus einem alten Turm Rauch aufsteigt?“ fragte Lenni besorgt.
„Ach was. Komm! Wir suchen Feuerholz.“
Sie packten das Ei wieder in die Zinnwanne und verließen den Turm. Da der Turm im Wald stand mussten sie nicht lange suchen bis sie abgeknickte Zweige gefunden hatten. Bald darauf kamen sie in den Turm zurück und entfachten ein kleines Feuer. Ganz behutsam legten die Kinder das Ei ins Feuer.
„Und du bist dir ganz sicher, dass das so gemacht werden muss?“ fragte Kira.
„Ja. Ganz sicher, so stand es ja im Buch.“ sagte Lenni so als wenn man nicht an einem Buch zweifeln könnte.
Kira war noch etwas nervös.
„Ich hab Angst um den Drachen. Könnte ja sein das wir es verbrennen.“
„Ach was. Die Drachenmütter machen es doch genauso “ entgegnete Lenni.
„Na wenn du meinst.“
Kira beruhigte sich etwas. Die nächste Zeit starrten sie in die Flammen und dachten nach. Plötzlich fragte Kira: „Gibt es viele Drachen die man zähmen kann?“
„Ich glaube nicht. Man kann Drachen nicht einfach einfangen wie Pferde. Drachen können nur aus Eiern großgezogen und an Menschen gewöhnt werden. Im Buch wird am meisten von der Aufzucht der Gsurus Drachen berichtet.“
Er schlug das Buch wieder auf und suchte eine bestimmte Seite. Als er sie gefunden hatte las er vor: „Die Gsurus Drachen sind zur Aufzucht am besten geeignet. Es hat sogar Fälle gegeben, in denen sich wilde Drachen dieser Rasse den Menschen anschlossen, was für Drachen sehr ungewöhnlich ist. Diese Drachen sind sehr gesellig. Anders als die meisten anderen Drachen vereinsamen sie wenn sie lange alleine sind. In der Wildnis leben sie in Rudeln. Sie werden in Burg Hohenwall gezüchtet. Die Gsurus gewöhnen sich leicht an Menschen und vertrauen ihnen, wenn sie lange mit ihnen zusammen leben. Missbraucht man aber ihr Vertrauen kann dies böse enden. Die Gsurus Drachen gelten als einzige Drachen, die sich reiten lassen und die geflogen werden können. Das bei anderen Drachen zu versuchen wäre töricht, weil Drachen im allgemeinen sehr stolz sind und es für sie eine Schande ist einen Menschen auf sich reiten zu lassen.“
Kira sagte erstaunt: „Ich wusste gar nicht das Drachen Menschen gegenüber so misstrauisch sind.“
„Drachen sind ja auch keine Haustiere wie Hunde und Katzen.“ sagte Lenni stirnrunzelnd.
„Ja ich weiß.... Lenni? Woher weißt du eigentlich soviel? Egal was für eine Frage ich habe, du hast immer eine Antwort parat. Wie kommt das?“ fragte Kira neugierig.
„Ach weißt du, ich lese viel. Weil mein Vater in der Bibliothek arbeitet, habe ich immer genügend Lesestoff.“ sagte Lennard verlegen.
Sie unterhielten sich noch lange bis die Sonne schon tief am Horizont stand. Kira überraschte es, dass sie so viel Geduld hatte und so lange still sitzen konnte. Das Feuer war nun schon fast erloschen.
„Das ist nicht schlimm. Die Asche ist immer noch warm genug.“ meinte Lennard. Sie machten sich auf den Heimweg. Kira schwahnte schon übles. Sie hatte ihr Versprechen früher nach Hause zu kommen nicht eingehalten. Als sie nach Hause kam dämmerte es bereits und ein Donnerwetter brach los.
„Wie konntest du nur schon wieder so lange von zu Hause fortbleiben? Du hast mir doch versprochen früher nach Hause zu kommen.“
Kira's kleiner Bruder Korem saß am Tisch und aß sein Abendessen. Korem war zwei Jahre jünger als Kira, hatte ebenfalls schwarze Haare und braune Augen und er fragte interessierst: „Warum darf Kira nicht so lange weg bleiben?“
Kari fluchte immer noch und antwortete doch etwas zu barsch als das sie es eigentlich wollte: „Weil es außerhalb der Mauern von Gartet viele Gefahren gibt. Die kommen vor allem Nachts heraus. Und nur auf der Hut zu bleiben reicht nicht. Kira, du musst mir versprechen, dass du nur noch in der Nähe von Gartet spielst und das du zu Hause bist, wenn die Sonne tief steht! Bleib nur noch wenige Stunden weg! Das wird das Beste sein und jetzt setz dich an den Tisch und iss zu Abend!“
Kira holte ihr Gewissen ein. Ihr war mulmig im Bauch, denn alles was ihre Mutter gesagt hatte, war bis aufs Wort wahr. Die anderen Kinder liefen nie weit von Gartet weg. Aber im Gegensatz zu Kira trauten sie es sich nicht. Stumm setzte sich Kira an den Tisch. Es gab Grießbrei zu essen. Korem hatte seinen Teller schon fast leer geputzt. Er bewunderte seine Schwester, weil sie so viel Mut hatte. Der Junge verkroch sich meistens schnell unter der Bettdecke, wenn der Vater bei seinen Geschichten zu den gruseligen Stellen kam und Kira immer noch gebannt lauschte. Aber er war keinesfalls ein Angsthase und fast so neugierig wie seine Schwester. Kari, Kira's Mutter wusch Wäsche und redete vor sich hin.
„Mami, wann kommt Vati nach Hause?“ fragte Korem, den Mund voller Grieß.
„Ich weiß nicht. Er hat noch keine Brieftaube geschickt.“ sagte Kari jetzt wieder mit sanfter Stimme.
Als sie aufgegessen hatten gingen Kira und Korem in ihr gemeinsames Zimmer. Dort legten sie sich in ihre Betten und schliefen sehr bald ein.
Am nächsten Morgen, als die Sonne gerade aufging, wachte Kira auf weil sie etwas auf der Bettdecke spürte. Das Kätzchen von Kira's Familie tapste über die Bettdecke um sich schließlich in Kira's Kissen einzukuscheln. Ihre zweite Katze lag bereits an Kira's Fußende und schnurrte zufrieden. Beide Katzen gehörten der Familie um das Haus von Mäusen frei zu halten.
„Na ihr.“ sagte Kira und kraulte die Katzen.
Korem war aufgewacht und aus dem Bett gesprungen. Sogleich fing auch er an die Katzen zu streicheln. Kira zog sich an und ging zum Frühstück. Es gab Pflaumenbrot. Kari sagte am Frühstückstisch: „Heute Morgen hab ich einen Brief von eurem Vater bekommen. Wahrscheinlich kommt er in einer Woche nach Hause.“
„Ich freu mich schon.“ sagten Korem und Kira wie aus einem Mund. Als sie das Frühstück beendet hatten, wollte Kira schon gehen, aber vorher sagte Kari noch: „Denk an dein Versprechen!“
Sie wedelte mit dem Zeigefinger vor Kira's Nase herum.
„Ja.“ sagte Kira knapp.
Dann sauste sie aus dem Haus und wenig später war sie mit Lenni auf dem Weg zum Versteck ihres Dracheneis.

In den nächsten Tagen wechselten sich Kira und Lennard öfters mit der Eipflege ab, damit ihre Eltern keinen Verdacht schöpften. Das Ei brauchte immer ein neues Feuer, damit das Drachenbaby bald schlüpfte. Sie blieben nie länger als drei Stunden von Gartet weg, denn keines der beiden Kinder hatte Lust sich Vorträge über gutes Benehmen von ihren Eltern anzuhören. Kira konnte es oft kaum abwarten zum Ei zu kommen. Die Tage an denen sie zu Hause bleiben musste, weil Lenni schon beim Ei war, flossen zäh dahin. Diese Tage nutzte Kira vor allem zum nachlesen über Drachen. Obwohl sie erst sechs Jahre alt war, konnte sie recht gut lesen. Sie hatte das Lesen von Lennard gelernt, der es wiederum von seinem Vater gelernt hatte. Kira's Vater, Marek war sehr überrascht gewesen, als sie ihm das erste mal aus Büchern vorlas. Marek hatte gedacht sie würde das Lesen frühestens mit sieben erlernen. Er selbst hielt es für nicht besonders wichtig und tat es nicht wenn es nicht unbedingt sein musste.


Die Frage nach dem Namen
Einige Tage vergingen. Es war Abend und Kari, Kira und Korem aßen stumm das Abendessen. Das Haus, in dem Marek's Familie lebte, hatte vier Zimmer. Ein Zimmer für Marek und Kari, eins für die Kinder, einen Waschraum und einen Raum, der gleichzeitig als Küche und Wohnzimmer diente. Es klopfte an der Tür und niemand anderer als der Vater der Familie trat fröhlich ins Zimmer. Kira und Korem sprangen sofort auf und fielen ihrem Vater um den Hals. Auch Kari war aufgestanden und gab Marek glücklich einen Kuss. Als sich die Familie begrüßt hatte, setzten sich alle an den Tisch und aßen zu Abend. Kira und Korem, die ihr Essen bereits verzehrt hatten, bestürmten ihren Vater mit Fragen, ob er irgendwelchen interessanten Geschöpfen begegnet war und was er denn eigentlich in Bretonia getan hatte. Marek sagte nur, dass es geheim und für so kleine Ohren auf keinen Fall bestimmt sei. Nach dem Abendessen mussten die Kinder ins Bett. Kira konnte gar nicht einschlafen, so glücklich war sie. Sie mochte ihren Vater sehr und freute sich, dass er endlich wieder da war.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber Kira konnte nicht mehr schlafen. Sie zog sich an und beschloss in der Küche etwas zu essen zu suchen. Korem schlief noch tief und fest. Kira konnte ihn deutlich schnarchen hören, obwohl er immer behauptete nicht zu schnarchen. Lächelnd dachte sie daran und wollte schon die Zimmertür öffnen, als sie Stimmen hörte. Kira öffnete die Tür einen Spalt, der gerade groß genug war um hindurchlinsen zu können. Sie konnte gerade ihre Mutter und ihren Vater sehen, die am Tisch saßen und erzählten. Marek sagte gerade: „... und sie schlafen noch? Ganz sicher? Ich möchte nicht, dass sie davon erfahren und Angst bekommen.“
Kari nickte. Kira musste ihre Ohren spitzen um ihre Eltern reden zu hören. Doch sie verstand das Meiste was ihr Vater daraufhin sagte. Marek sprach jetzt sehr leise.
„In Bretonia hat der junge König Airen einen Rat einberufen an dem auch alle Hauptmänner, Grafen und Bürgermeister der Burgen und Städte vom Königreich teilnehmen sollten. König Eisenfaust mobilisiert seine Truppen und unser König vermutet einen Angriff. Es darf nicht zu einem Krieg kommen. König Airen mahnte uns zur Wachsamkeit und befahl uns ihm sofort Meldung zu erstatten falls wir angegriffen werden sollten. Zum Glück ist das Sternenthal ein ziemlich abgelegener Ort. Durch unser Bündnis mit den Elfen werden sie uns wahrscheinlich nicht so schnell angreifen und lieber auf einen günstigen Moment warten. Ich erzähle dir das alles damit du auf der Hut bleibst. Ich möchte nicht das euch etwas geschiet.“
Kira ließ die Tür zu ihrem Zimmer leise zugleiten. Dann legte sie sich rücklings auf ihr Bett und dachte nach. Das was ihr Vater eben gesagt hatte stimmte sie sehr nachdenklich und machte ihr Angst. Sie fürchtete einen Krieg. Sie wusste nicht wie es sein würde. Sie hatte von vielen Kriegen gehört, aber es war etwas ganz anderes einen erleben zu müssen.
König Airen war der Herrscher über weite Teile vom Westen Kantara's, dem Land das Bretonos hieß. Die Elfen lebten im Sternenthal, das zu Bretonos gehörte. Sie machten dem König kein Land streitig. Im Gegenteil, die Elfen waren ihre Verbündeten. Außer König Airen gab es noch die Könige Malik und Achnen.
Sie hatten ihre Gebiete in der Mitte von Kantara, dem Gebiet namens Toron. Malik's Reich erstreckte sich hoch im Norden, während Achnen sein Volk im Süden regierte. Kira wusste nicht sehr viel über sie, nur das sie sich, wie ihr Vater ihr gesagt hatte, für neutral hielten und sich gegenseitig bekriegten. Und dann gab es da noch König Eisenfaust. Er regierte das Land der Schatten, den Finsterwinkel. Nur wenige hatten König Eisenfaust von Angesicht zu Angesicht gesehen, aber es war von ihm bekannt, dass er seine Untertanen unterjochte. Es hieß, dass er der grausamste Tyrann der Geschichte war. Bei diesem Gedanken war Kira froh im Sternenthal zu leben.
Eine ganze Weile lag Kira noch da und dachte nach, dann stand sie auf und ging in die Wohnküche. Kari deckte gerade den Tisch für das Frühstück. Marek saß im Sessel vor dem Kamin und las einen Bericht, den der Unteroffizier angefertigt hatte und der beschrieb was in den letzten Tagen geschehen war.
„Oh, du bist ja schon wach.“ sagte Kari
„Wecke bitte auch deinen Bruder, damit wir essen können!“
„Gut.“ sagte Kira trocken und ging ins Kinderzimmer zurück um ihren Bruder zu wecken.
Kurze Zeit später saßen sie alle am Tisch und aßen.
„Und was ist in letzter Zeit hier passiert?“ fragte Marek die Familie.
„Nichts besonderes.“ sagten Korem und Kira wie aus einem Mund. Kira wollte nicht, dass alle etwas von dem Drachen erfuhren. Sie wusste nicht wie sie reagieren würden. Nicht einmal ihrem Vater wollte sie etwas sagen, obwohl sie ihm sonst immer alles erzählte. Nein. Es sollte ein Geheimnis bleiben. Nach dem Essen stand Kira auf und sagte: „Ich gehe zu Lenni. Ich bin bald wieder da.“
„Denk an dein Versprechen!“ erinnerte ihre Mutter sie.
„Ja.“ murmelte Kira.
„Darf ich mitkommen?“ fragte Korem.
„Äh, nächstes mal Korem. Aber ich muss mal was wichtiges mit Lenni besprechen.“ sagte Kira und ging aus dem Haus.
Kira mochte ihren Bruder sehr und hatte ihn gerne um sich, aber sie wollte Lenni erzählen was sie heute früh gehört hatte. Kira war sich nicht sicher, ob ihr Bruder schon alt genug war um ein Geheimnis für sich zu behalten. Andererseits tat es Kira aber auch Leid ihren Bruder so auszugrenzen.
'Naja, nächstes mal.' sagte sich Kira.
Als Kira an Lennard's Haus ankam ging die Tür auf und Lennard kam heraus.
„Oh, ich wollte gerade zu dir. Gehen wir zum Turm?“
„Ja.“ sagte Kira. „Ich muss dir aber noch was erzählen.“
Als sie Gartet verlassen hatten berichtete Kira alles was sie gehört hatte und fragte nach Lennard's Meinung.
„Das gefällt mir gar nicht.“ sagte er.
„Es ist ja auch ein sehr ernstes Thema. Ich wundere mich nicht, dass mein Vater Korem und mir nichts sagen wollte.“
Sie diskutierten auf dem ganzen Weg von Gartet bis zum Turm darüber. Lennard wusste auch nicht viel mehr als sie über die Könige und ihre Reiche. Er wusste aber, dass es westlich der Drakenberge ein Gebiet gab, dass von keinem König oder einer Königin regiert wurde.
Als sie den Turm sehen konnten fingen sie an zu rennen, weil sie unbedingt schnell bei dem Ei sein wollten. Sie stießen die Tür des Turms auf, stürmten die Treppe hinauf und sahen dann das Ei an seinem Platz in der Feuerstelle liegen.
„Ich habe gestern noch einmal ein Feuer gemacht. Es ist noch Holz da.“ sagte Lenni und deutete auf einen Haufen Äste, die neben einem der Hocker lagen.
Sofort entfachten sie ein kleines Feuer, das aber nur eine halbe Stunde brannte. Dann erlosch es und die Asche wärmte nun das Ei wie eine Decke. Lenni und Kira wollten schon neues Holz holen, als das Ei sich bewegte. Doch eigentlich war es mehr ein Rütteln als eine Bewegung. Erstaunt gingen die Kinder näher heran um sich das ganz genau anzusehen. Auf einmal bekam das Ei feine Risse und es knackte laut.
„Es schlüpft.“ flüsterte Kira.
Das Ei ruckelte heftig, während es immer mehr Risse bekam. Dann stieß eine kleine Schnauze ein Loch in die Eischale und der Drache erblickte das Licht der Welt. Kira half dem kleinen Drachen sich aus dem Ei zu befreien. Der Geschlüpfte schüttelte die letzten Eischalen von sich und ließ dann ein leises Quietschen ertönen. Das Drachenbaby war kaum größer als eine gewöhnliche Schildkröte, hatte jedoch schon Flügel, die es entfaltete und die Stacheln und Hörner seiner Art. Der Eizahn mit dem es die Eischale durchstoßen hatte war abgefallen. Neugierig sah der kleine Drache Kira an und sie lächelte zurück.
„Vielleicht hält es dich für seine Mutter.“ überlegte Lennard. Vorsichtig, ganz vorsichtig streckte sie die Hand nach dem jungen Stirk aus. Der Drache blieb ruhig. Kira killerte ihn sanft unter dem Kinn und der Drache quietschte vergnügt.
„He, es ist kitzlig.“
„Es ist tatsächlich ein Stirk Drache.“ Lennard holte sein Buch heraus und durchblätterte es.
„Hier steht, dass die weiblichen Drachen beim Eischlupf eine Hörnerlänge von einem Zentimeter haben, die männlichen zwei.“ Kira betrachtete die Hörner auf dem Kopf des Drachen. Sie waren noch sehr weich.
„Und? Was ist es?“ fragte Lennard.
„Ich habe kein Maßband dabei, aber es sieht mehr als ein Zentimeter aus.“
„Es ist ein Junge.“ rief Lennard wie die Hebammen bei der Geburt eines Menschenbabys wenn es ein Junge war. Der kleine Drache sah sich im Raum um. Er versuchte zu gehen. Das klappte recht gut.
„Du musst ihm noch einen Namen geben!“ sagte Lennard.
„Es ist dein Drache.“ fügte er hinzu.
Kira überlegte lange. Der kleine Drache schien auf seinen Namen zu warten.
„Ich werde ihn Aron nennen. Der Name gefällt mir sehr. Na, was meint ihr beiden?“ sagte sie, doch sie klang endgültig.
„Ja, der gefällt mir auch.“ sagte Lennard und wollte Aron streicheln. Aron schnappte nach Lenni's Fingern.
„Lass das Aron! Das ist Onkel Lenni.“ sagte Kira.
„Er ist so niedlich.“ sagte Kira.
„Ja, aber wer weiß wie lange noch.“ meinte Lennard während sie zusahen wie Aron mit seinen Eierschalen spielte.


Das Geheimnis
Acht Jahre später war es schon wie selbstverständlich zu Aron, der immer noch im Turm wohnte, zu gehen. Die Eltern von Kira und Lennard wussten noch immer nichts von dem Drachen, denn die beiden hatten das Geheimnis gut gehütet. Weil Aron sehr viel Fleisch zum fressen benötigte, baten Kira und Lennard Marek ihnen das Jagen beizubringen. Kira's Vater war sehr erstaunt, dass die Kinder mit solchem Eifer an die Aufgabe heran gingen. Wenn er wüste....
Kira und Lennard waren jetzt vierzehn Jahre alt. Kira trug ihre Haare immer noch zu einem Zopf gepflochten und Lennard hatte immer noch seinen klugen Blick. Korem, Kira's Bruder war nun zwölf Jahre alt. Kira hatte auch ihm nichts von Aron erzählt. Korem war ein bisschen traurig, dass Kira ihn nie zu ihren Entdeckungstouren, wie sie es nannte, mitnahm. Sie sagte es sei zu gefährlich für ihn. Korem dachte, dass sie ihm nichts zutraute und er versuchte ihr immer wieder zu zeigen das er kein Angsthase war. Kira nahm ihn zwar meistens bei richtigen Ausflügen mit, aber die meiste Zeit war sie ja eben doch bei Aron. Es fiel ihr nicht leicht ihn anzulügen.

Heute waren Kira und Lennard wieder auf dem Weg zu Aron.
„Wer weiß wie lange er noch in den Turm passt.“ sagte Lennard als sie beide vor dem Gebäude standen.
„Wie lange wer noch in den Turm passt?“ fragte auf einmal eine Stimme hinter ihnen.
Lennard und Kira wirbelten herum und sahen Korem, der ganz unschuldig hinter ihnen stand.
„Immer schleicht ihr euch los. Ohne mich. Ich will auch dabei sein.“
Kira dachte eine weile nach, dann flüsterte sie Lennard ins Ohr: „Wollen wir es ihm nicht sagen? Ich halte diese Geheimniskrämerei nicht mehr aus und er ist alt genug es für sich zu behalten.“
Lennard nickte.
„Einverstanden. Korem du darfst es wissen, wenn du uns hoch und heilig versprichst niemandem etwas zu sagen.“ sagte Kira zu ihrem Bruder.
„Ich schwöre.“ sagte Korem feierlich.
Und schon öffneten die drei die Tür und gingen die Treppe hinauf.
„Korem das ist Aron. Aron das ist mein Bruder Korem.“ sagte Kira lächelnd und ohne Umschweife.
Korem sah dem Drachen mitten in die Augen und fiel dann bewustlos auf den Boden.
„Sehr erfreut, aber du musst dich nicht gleich auf die Erde schmeißen.“ dröhnte Aron mit seiner tiefen Bassstimme.
Aron war jetzt schon einen Meter und fünfzig Zentimeter hoch und hatte eine Länge von fast vier Metern. Wenn er seine Flügel ausbreitete stießen sie an die Innenmauern des Turms. Nachdem Kira und Lennard erfahren hatten, dass man Drachen die menschliche Sprache beibringen konnte, fingen sie sofort an mit ihm zu üben. Hier und da vermachte er sich noch manchmal, aber es ging besser als sie erwartet hatten.
„Das ist also dein Bruder von dem du mir erzählt hast.“ wandte sich Aron an Kira.
„Genau, das ist Korem.“ sagte Kira, die auf der Aussichtsplattform stand und den Wald um sich herum betrachtete.
Alles blühte, denn es war Frühling. Kira sog die frische Luft genüßlich ein.
„Hoffentlich erholt er sich bald. Ich will ihn unbedingt kennen lernen.“ meinte Aron.
„Das lässt sich machen.“ sagte Kira, ging zu Korem und schüttelte ihn.
„He, aufwachen Korem! Du bist nicht im Bett.“
„Häh? Was? Wie?“
Korem kam langsam zu sich.
„Bitte friss mich nicht.“ flehte Korem den Drachen auf Knien an.
„Warum sollte ich dich fressen? Sag mal benimmst du dich immer so komisch?“
„Häh? Das heißt du frisst mich nicht?“
„Du hast es erfasst.“ sagte Aron.
„Kira wie kommt der Drache hierher?“ fragte Korem seine Schwester.
„Nun, wir haben sein Ei gefunden und ihn dann großgezogen.“ antwortete Lennard für Kira.
„Und wie lange ist das jetzt her?“ stammelte Kira's Bruder, immer noch mit einem ängstlichen Blick auf Aron.
„Acht Jahre.“
Kira grinste. Sie war stolz darauf, dass sie und Lennard es geschafft hatten einen richtigen Drachen acht Jahre lang großzuziehen. Aber Aron war noch lange nicht ausgewachsen. Das würde noch mindestens sieben Jahre dauern.
Korem fragte neugierig: „Aber der Drache konnte doch nicht die ganze Zeit im Turm bleiben. Er braucht doch Bewegung, oder etwa nicht?“
„Ach Korem, wir sind in den umliegenden Wald gegangen. Und Aron weiß auch ganz genau was er darf und was nicht. Nicht war Aron?“ sagte Kira stolz.
„Jaja, ich weiß schon. Nicht alleine aus der Turm gehen und keine Menschen anknabbern.“
„Richtig, aber es heißt dem Turm, Aron.“ berichtigte Kira ihren Schützling.
„Du brauchst wirklich keine Angst zu haben.“ sagte Aron, der Korem's ängstlichen Blick bemerkte.
Aron hatte noch nicht viele Menschen gesehen. Erst drei und alle standen hier im Raum. Korem beruhigte sich etwas.
„Wann gehen wir mal wieder in die Wald?“ fragte Aron und legte den Kopf schräg.
„Das heißt den Wald. Wie oft soll ich es dir denn noch sagen?“ „Entschuldigung, das ist aber auch schwierig, immer heißt das anders, erst der Turm, dann dem und dann den.“
„Du lernst es schon noch. Wahrscheinlich gehen wir morgen. Denn es ist jetzt schon wieder sehr spät. Bald dämmert es.“ sagte Kira besorgt.
Die letzten acht Jahre musste sie sich oft mit ihrer Mutter über das Thema Pünktlichkeit unterhalten.
„Wenn du willst kannst du ja morgen auch mitkommen Korem.“ schlug Kira vor.
„Das wär toll.“ jauchzte Korem und sprang auf und ab wie ein Springball.
„Aber du darfst niemandem von Aron erzählen!“ mahnte Lennard. „Ich schwöre das ich niemandem etwas erzählen werde.“

Am nächsten Tag gingen Kira und Korem zum Lernkreis. Dort lernten die Kinder vom siebenten bis zum sechzehnten Lebensjahr alles was in Kantara wichtig war und was sich noch als nützlich erweisen könnte, vom Lesen und Schreiben, bis hin zu den verschiedenen Kreaturen, die in Kantara lebten. Jeden Tag konnte man in diesem Kreis zwei Stunden lernen. Es gab keine verschiedenen Klassen, da nur die wenigen Kinder von Gartet hier lernten. Der Lernkreis war in der Nähe des Marktplatzes von Gartet zu finden. Da man hier unter freiem Himmel saß konnte nur bei gutem Wetter gelernt werden. In der Mitte des Kreises stand ein hoch aufragender Felsen, in der eine Karte von Kantara eingemeißelt war. Um die steinerne Karte herum gab es große Baumstümpfe und Steinbrocken, auf die sich die Kinder setzen konnten.
Als Korem und Kira ankamen, sahen sie unter den anderen Kindern auch Lennard. Sogleich liefen sie zu ihm und begrüßten ihn, dann setzten sie sich nebeneinander auf drei Felsen und legten ihr Lehrbuch, dass sie unter dem Arm getragen hatten,
auf ihren Schoß. Das dicke Buch beeinhaltete alle Themen, die sie hier behandelten. Als der Lehrer erschien, ein Mann im mittleren Alter mit braunem Haar namens Tegrell, wurden alle still.
„Guten morgen Kinder.“ begrüßte er alle. „Wir kommen am besten gleich zum Unterricht. Letzte Stunde haben wir über Greife gesprochen. Rufus sag uns was die Unterschiede zwischen Berggreifen und Waldgreifen sind!“
Ein hochaufgeschossener Junge mit orange braunem Haar stand auf und erzählte: „Berggreife sind größer als Waldgreife. Sie haben den Oberkörper, die Klauen und die Flügel eines Adlers und den Unterkörper eines Löwen. Berggreife können aufrecht stehen und sie leben im Gebirge. Waldgreife hingegen leben im Wald und sind kleiner, als ihre in den Bergen lebenden Artgenossen. Sie haben den Kopf und die Flügel eines Adlers. Der Rest des Körpers ist von einem Löwen. Im Gegensatz zu den Berggreifen stehen Waldgreife immer auf vier Beinen.“ dann setzte sich Rufus wieder hin, anscheinend sehr zufrieden mit sich, weil er es wusste.
„Sehr gut Rufus.“ lobte der Lehrer.
„Damit ist das Thema über Greife vorbei und wir nehmen uns das nächste große Thema vor. Drachen.“ sagte Lehrer Tegrell.
Kira war ganz aufgeregt. Lange hatte sie darauf gewartet, dass sie noch etwas mehr über Drachen erfahren könnte. Sie sah Lennard und Korem an und es schien ihnen ganz genauso zu gehen. „Erst einmal etwas Grundwissen über Drachen. Drachen sind große echsenähnliche Wesen. Einige laufen aufrecht auf zwei Beinen, andere auf allen vieren. Die meisten Arten haben auch Flügel. Die großen Zähne der Drachen sind sehr gefährlich. Außerdem haben sie scharfe Klauen und manche Arten haben Hörner oder Stacheln. Die meisten Drachen sind dazu fähig Feuer zu speien. Einige können sogar Eis, Gift oder Säure spucken. Es ist sehr schwer Drachen zu zähmen. Es besteht immer die Gefahr das ein Drache seinen Pfleger angreift oder tötet. Oft ist nur eine Aufzucht aus dem Ei möglich. Bisher wurden nur einige Arten gezähmt. Fast alle Drachen leben in der Wildnis. Die Gsurus Drachen lassen sich am einfachsten zähmen. Sie lassen sich sogar fliegen. Es ist allerdings etwas ganz anderes als wenn man ein Pferd zähmt. Es ist mehr eine Art Partnerschaft, in der Mensch und Drache gleichgestellt sind. In Burg Hohenwall werden einige Gsurus Drachen darauf trainiert mit Menschen zu leben. Es ist nicht bekannt das sich eine andere Drachenart fliegen lässt.“
Im Lernkreis war es totenstill. Alle waren gespannt auf mehr.
„Gut. Nun werden wir uns die einzelnen Drachenarten vornehmen. Wir beginnen am besten mit dem größten, grausamsten und gefährlichsten Drachen. Dem Finsterdrachen.“
Ein Raunen ging durch den Kreis. So ziemlich jeder anwesende wusste etwas über die Finsterdrachen. Sie waren besonders durch ihre Mordlust und Aggressivität bekannt.
„Schlagt bitte die Seite einhundertsechsundachtzig eures Lehrbuches auf!“ forderte sie der Lehrer auf.
Abgesehen von einer Menge Text prangte ein Bild des Drachens unten auf der Seite. Kira betrachtete das Bild genauer. Der Drache war, abgesehen von seinen blutroten Augen, nachtschwarz. Er hatte am ganzen Körper Streifen, die sogar noch dunkler waren als sein übriger Leib. Er stand auf zwei Beinen und hatte große Klauen. Stacheln verliefen vom Kopf bis fast ans Ende seines Schwanzes. Auch an seinem Kiefer ragten Stacheln hervor. Seine Schwanzspitze hatte die Form eines Drachenvierecks. Ein leichter Schauer lief Kira über den Rücken, als sie sich vorstellte diesem Drachen zu begegnen.
„Also möchte jemand lesen?“ fragte der Lehrer.
Korem meldete sich sofort. Dann las er vor: „ Der Finsterdrache hat eine Größe von ungefähr sieben Metern, genau kann dies allerdings nicht gesagt werden, denn natürlich ist es sehr schwierig einen Drachen zu messen, da man jeden Moment getötet werden kann. Seine Flügelspannweite beträgt achtzehn Meter. Er ist fünfzehn Meter lang und wiegt in der Regel fünfeinhalb Tonnen. Trotz seiner Größe kann man diese Drachen in der Dunkelheit kaum erkennen, da sie es verstehen sich zu verstecken und ihrer Beute aufzulauern. Sie sind Einzelgänger und sehr aggressiv. Finsterdrachen haben einen starken Durst nach Blut und meistens töten sie um ihn zu stillen. Sie haben einen sehr heißen Feueratem. Schon wenn man von den Flammen eines jungen Finsterdrachen getroffen wird, wird man für immer gebrandmarkt sein. Ausgewachsene Finsterdrachen sind in der Lage Eisen mit ihrem Feueratem zu schmelzen. Da er zu seiner Größe ein relativ leichter Drache ist, ist er ein guter Flieger, auch wenn er nicht so wendig ist, wie kleinere Arten. Diese Drachen leben meist in Bergen und kahlen Ebenen. In der Vergangenheit waren sie oft an Kriegen beteiligt. Nicht nur weil sie einen Anteil an der Beute wollten, man glaubt, dass es ihnen einfach Spaß macht zu töten. Sie greifen für gewöhnlich alles an was ihnen in die Quere kommt und auf dem Weg zum nächsten Schlachtfeld brennen sie jede Stadt nieder, die sie überfliegen.“
Eine Grabesstille herrschte im Lernkreis.


Nach zwei Stunden im Lernkreis gingen Kira, Korem und Lennard nach Hause, weil sie keine Lust hatten ihre Lehrbücher den ganzen Tag mit herumzuschleppen. Danach trafen sie sich vor den Toren von Gartet wieder. Korem war schon ganz aufgeregt und als sie später schon ganz in der Nähe des Turms waren, fing er an zu rennen.
„Warte!“ rief Kira, aber Korem war schon zu weit vorausgelaufen als das er sie hören konnte. Notgedrungen mussten Lennard und Kira Korem hinterher rennen. Als sie am Turm ankamen stießen sie die Tür auf und rannten die Treppe rauf. Völlig außer Puste standen sie dann alle drei keuchend vor Aron.
„Was ist los? Ist jemand hinter euch her?“ fragte Aron sofort.
„Nein.“ keuchte Kira. „Wir wollten nur schnell hier sein.“
„Jetzt gehen wir aber äh in den Wald richtig.?“ fragte Aron.
„Ja. Gut, du hast es endlich gelernt.“ lobte Kira den Drachen. „Gehen wir jetzt endlich?“ fragte Korem aufgekratzt.
„Na da hat sich aber einer verändert.“ meinte Aron.
Sie gingen die Treppe runter. Die Kinder vorneweg. Für Aron war es ziemlich eng auf der Treppe. Kira, Korem und Lennard kamen ohne Schwierigkeiten durch die Tür, aber als Aron versuchte hindurchzugehen, blieb er plötzlich stecken.
„Verflixte Tür.“ fluchte Aron.
Er war zu breit für sie. Seine angeklappten Flügel waren im Weg. „Du bist seit dem letzten mal ziemlich gewachsen.“ sagte Lennard und musste beim Anblick des hilflosdreinblickenden Drachen lachen.
„Lach nicht! Hilf mir lieber!“ brummte Aron.
Es dauerte ewig bis Aron im Freien war. Seine Schrammen betrachtend, schnaubte der Drache: „ Das kann ja heiter werden wenn ich erst wieder versuche zurück in den Turm zu gehen.“
„Ersteinmal bist du draußen.“sagte Lennard. „Kannst du eigentlich Feuer speien?“ fragte Korem neugierig.
„Noch nicht so wirklich.“ meinte Aron verlegen.
Es war ihm etwas peinlich, dass er noch kein Feuer spucken konnte.
„Du wirst es schon noch lernen. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.“ versuchte Kira ihn zu trösten.
„Versuch es mal!“ forderte Korem den Drachen auf.
Aron schnaufte und schnaubte, aber das einzige was er zustande brachte waren einige Fünkchen und viel Rauch.
„Na das ist doch schon ganz gut.“ meinte Korem.
Sie machten sich auf den Weg in den umliegenden Wald. Als sie schon fünf Minuten unterwegs waren fragte Korem den Drachen: „Und kannst du schon fliegen?“
„Schon lange. Ich bin ein sehr guter Flieger.“ brüstete sich Aron. „Allerdings kann er nur bei Nacht und Nebel fliegen, sonst könnten ihn die Leute sehen.“ meldete sich Kira zu Wort.
„Fliegen bei Nebel ist gar nicht so einfach.“ sagte Aron. „Ich brauch jetzt was zu beißen. Entschuldigt mich Leute.“
„Aber verlass den Wald nicht und lass dich von niemandem sehen!“ rief Kira ihrem Schützling nach.
„Du hörst dich schon an wie Mama.“ kicherte Korem.
Kira war erstaunt.
„Wirklich? Das war mir gar nicht bewusst.“
„Ich find es so toll mit euch und Aron hier draußen zu sein. Jetzt weiß ich warum du immer so lange fortwarst, Kira. Aron ist so interessant und das Feuer speien wird er früher oder später schon noch lernen.“ sagte Korem begeistert.
„Weißt du Korem, ich glaube innerlich weiß Aron wie er Feuerspucken kann. Er hat nur zu wenig Selbstvertrauen.“ sagte Lennard.
Sie gingen noch eine Weile, bis sie zu einem hochaufgeschossenen Nadelbaum kamen. Dort ließen sie sich ins weiche Moos fallen.
„Hier warten wir immer auf Aron wenn er jagen geht.“ erklärte Kira und Lennard fügte hinzu: „So weiß er immer wo wir sind und muss uns nicht ewig suchen. Das war ein guter Einfall von Kira.“
„Das finde ich auch. Guckt mal was ich hier habe!“
Aron kam aus einigen nahen Büschen herausgestapft. Zwischen seinen Fängen befand sich ein totes Chetno. Der Drache ließ das tote Tier zu Boden fallen. Dann legte er sich auf den Bauch und fing an zu schmausen.
„Also ich glaube daran muss ich mich erst noch gewöhnen.“ sagte Korem und verzog das Gesicht.
Ein goldener Schimmer durchbrach das Blätterwerk und landete auf einem nahe liegenden Ast. Es war ein Vogel, etwas größer als einen Meter, der aufgeregt kreischte und wild mit den Flügeln schlug. Er war von unnatürlicher goldener Farbe und auf seinem Kopf ragte ein gekrümmtes Horn auf.
„Das ist ein goldener Göttervogel.“ stellte Lennard fest.
Viele Menschen in Kantara glaubten, dass sie Boten der Götter, an die sie glaubten, seien und die Menschen vor Gefahren warnen. Der Vogel kreischte immer noch und schlug aufgeregt mit den Flügeln, dann hob er ab und flog so rasch davon wie er gekommen war.
„Das hat nichts gutes zu bedeuten. Am besten wir kehren sofort nach Gartet zurück.“ sagte Kira.


Rettung in letzter Minute
Kira, Lennard, Korem und Aron eilten zurück zum Turm. Es dauerte ewig, eh Aron es schaffte sich durch die Tür zu quetschen. Dann verabschiedeten sich die Kinder von dem Drachen und sprinteten, so lange ihre Kräfte es ihnen erlaubten, zurück nach Gartet. Völlig außer Atem standen sie alle drei dann vor dem großen Eingangstor der Burg. Die Mittagssonne ließ sie mächtig schwitzen.
„Was ist denn los Kinder?“ fragte der wachhabende Soldat sie.
„Kann ich bitte meinen Vater sprechen? Es ist sehr wichtig.“ keuchte Kira.
„Naja gut, ich sag ihm Bescheid.“
Dann verschwand der Wachmann in Gartet. Wenig später kam er in Begleitung von Kira's Vater zurück.
„Was ist denn los? Ihr seid ja völlig außer Atem.“ sagte Marek. „Am besten ihr kommt erst einmal in die Wachstube.“
Sie betraten Gartet und kletterten an einer, an der Innenwand befestigten Strickleiter auf die Burgmauer. Im Gänsemarsch liefen sie auf der Mauer entlang bis sie zu einem der Türme der Burg kamen. Hinter einer stabilen Eisentür kam ein kleiner Raum zum Vorschein. Es gab nur ein kleines Fenster, einen Schrank, einen Tisch und einen wackeligen Stuhl. Auf dem Tisch lagen die letzten Berichte. Marek schloss die Tür und fragte seine Tochter ruhig: „Also, was ist denn so wichtig, dass du mich jetzt unbedingt sprechen musst?“
„Also Lenni, Korem und ich waren im Wald“ begann sie „und da haben wir einen goldenen Göttervogel gesehen. Er war sehr aufgeregt. Ich denke er wollte uns vor irgendetwas warnen.“
Trotz dieser Botschaft strahlte Marek vollkommene Ruhe aus.
„Du hast Recht. Vielleicht ist es eine Warnung. In der Vergangenheit haben uns die Göttervögel oft gewarnt. Aber für wen war die Warnung? Woher sollte denn der Göttervogel wissen wo du wohnst, Kira? Vielleicht gab es ja auch irgendwelche Gefahren im Wald in dem ihr wart, vor denen euch der Vogel warnen wollte. Aber um sicherzugehen werde ich alle verfügbaren Männer auf ihre Posten schicken.“
Eine lange Pause trat ein.
„Am besten ihr geht jetzt zu eurer Mutter!“ sagte Marek zu Kira und Korem.

Aber keines der Kinder ging nach Hause, als sie im Stadtteil der Burg ankamen. Stattdessen gingen sie in eine alte Scheune, in der Marek seinen Kindern das Kämpfen mit dem Schwert zeigte. Natürlich benutzten sie keine echten Schwerter, sondern nur welche aus Holz. Lennard ließ sich auf einen Strohhaufen fallen, die es hier zu genüge gab und sah zu wie Kira und Korem mit ihren Holzschwertern übten. Lennard konnte nicht sehr gut mit den Übungswaffen kämpfen und verlor andauernd gegen die Kinder des Hauptmanns. Aber im Umgang mit dem Bogen war er um längen besser als Kira und Korem.
„Au.“ schrie Korem als er vor Kira's Holzschwert nicht rechtzeitig auswich. „Das wird ein blauer Fleck.“ meinte Korem bestimmt.
„Du musst besser aufpassen!“ sagte Kira ruhig.
„Na wieder beim Üben?“ kam eine Stimme vom Scheunentor her.
Die Stimme kam von einem Mädchen, dass ungefähr im selben alter wie Kira war. Sie hatte langes blondes Haar, blaue Augen, die strahlten wie Saphire, und ein hübsches Gesicht. Sie war hoch gewachsen und sehr dünn. Sie war die Tochter eines reichen Kaufmanns hier in Gartet, hieß Loena und Kira fand, dass sie arrogant war.
„Wann benimmst du dich endlich wie ein richtiges Mädchen?“ fragte Loena mit einem scharfen Ton in der Stimme.
„Was ist falsch daran was ich mache?“ fragte Kira schroff zurück.
„So bekommst du nie einen Mann.“ meinte sie. „Außerdem ist das ganze Kampfzeug Männersache.“
Loena wedelte abwertend mit der Hand als wolle sie eine Fliege verscheuchen. Zähneknirschend fragte Kira: „Warum sollten Mädchen und Frauen nicht dasselbe können wie Jungs und Männer?“
Die Tochter des Kaufmanns lachte.
„Und wer kocht dann das Essen, arbeitet auf den Feldern, wäscht die Wäsche, näht und passt auf die Kinder und Alten auf?“
Eine Stimme von draußen rief Loena's Namen.
„Oh, das ist mein Vater. Naja üb mal schön weiter wenn du glaubst das es dir etwas bringt. War amüsant mit dir zu plaudern. Tschau.“
Dann verschwand sie hinter dem Tor.
„Oh man, wie ich die hasse.“ schrie Kira und schlug mit ihrem Schwert nach einem Holzfass.
Korem brachte sich vorsichtshalber vor ihr in Sicherheit.
„Hör nicht auf die dumme Pute, Kira! Die weiß doch bestimmt nicht einmal wie ein Schwert aussieht.“ versuchte Lennard Kira zu beruhigen.

Als sie die Scheune verließen dämmerte es bereits. Sie hatten sich ihre Pfeilköcher umgehängt und hielten ihre Bögen in der Hand. Lennard kannte einen abgelegenen Ort in Gartet an dem man in Ruhe üben konnte. Korem hatte seinen Bogen erst vor kurzem an seinem zwölften Geburtstag bekommen und deshalb war er noch nicht sehr geübt im Bogenschießen. Kira meinte immer, dass er alles treffe nur das eigentliche Ziel nicht. Als sie schon auf dem halben Weg zu dem Ort waren, an dem sie immer übten, fing es an hektisch zu werden. Männer mit Waffen eilten ohne ein Wort zu sagen an ihnen vorbei.
„Was ist denn los?“ fragte Kira einen vorbei rennenden Soldaten.
„Ein Soldat auf dem Ostturm hat gesagt, dass er etwas gesehen hat, möglicherweise Feinde.“
Dann rannte er weiter Richtung Ostmauer.
„Wollte uns der Göttervogel vor diesen Gefahren warnen?“ fragte Korem, der versuchte seine Angst zu verbergen.
„Bestimmt.“ sagte Lennard.
„Am besten wir überzeugen uns selbst.“ rief Kira ihnen zu und rannte los. „Warte Kira! Das kannst du doch nicht machen! Das ist viel zu gefährlich.“ schrie Lennard ihr nach.
„Wir können sie doch nicht alleine gehen lassen.“ meinte Korem bestimmt. Lennard seufzte.
„Passen wir auf, dass sie sich nichts tut.“
Sie folgten Kira so schnell sie konnten. Kira war derweil schon an einer Strickleiter auf die Ostmauer geklettert. Sie stand ganz in der Nähe des Turms. Die vielen Soldaten, die hier standen kümmerten sich nicht um sie. Sie waren zu sehr mit dem beschäftigt, was da auf sie zukam. Kira konnte in der Ferne nur drei in der Luft fliegende Punkte ausmachen, die aber rasch näher kamen. Wie der wachhabende Soldat überhaupt etwas sehen konnte war dem Mädchen ein Rätsel. Hätte sie nicht gewusst das sie nach Osten sehen musste um etwas zu entdecken, hätte sie bestimmt nichts bemerkt. Langsam bekamen die Punkte Umrisse. Was waren das wohl für Geschöpfe? Riesige Vögel? Drachen? Und eine neue Frage, die Kira keine Ruhe geben wollte drängte sich ihr auf: wollten sie angreifen?
„Waldgreife.“ rief der Soldat oben auf dem Turm so laut, dass es alle hören konnten.
Lennard und Korem standen inzwischen neben Kira und starrten auf die immer näher kommenden Greifvögel. Nun flogen sie über festen Boden und nicht mehr über den riesigen Cantansee, der sich etwas entfernt im Osten und im Norden von Gartet ausbreitete.
„Wie ist die Lage?“ fragte Marek, der eben die Strickleiter erklommen hatte. Ein in der Nähe stehender Soldat erstattete rasch Bericht.
„Drei berittene Waldgreife nähern sich der Burg. Es ist noch unklar ob es sich um Feinde handelt.“
Marek trat an den Rand der Mauer und sah angespannt auf die Waldgreife. „Sollen wir schießen, Hauptmann?“ fragte der Soldat.
Marek überlegte eine Weile.
„Nein. Wir schießen erst, wenn sie versuchen uns anzugreifen. Ich will nicht der Auslöser für einen Krieg sein.“
Vorsichtshalber spannten alle Soldaten ihre Armbrüste und Bögen, auch Marek. Man konnte die Anspannung förmlich knistern hören. Kira reichte es. Sie wollte nicht nur rumstehen, während die anderen ihr Leben dafür geben würden die Burg zu schützen. Sie spannte ihren Bogen und als wenn sie wüsten was Kira dachte, taten die beiden Jungen es ihr nach. Die Greife waren jetzt nur noch sechshundert Meter von der Burgmauer entfernt. Kira konnte jetzt Männer auf dem Rücken der Waldgreife sehen. Sie saßen auf einem Sattel und hatten Armbrüste oder Bögen in der Hand. Noch fünfhundert Meter. Die Greife hatten mindestens die Größe eines Mannes. Ihre gefiederten Flügel schlugen kraftvoll durch den Wind. Noch dreihundert Meter. Der Krieger, der den mittleren Greifen ritt, spannte seinen Bogen und schoss. Der Pfeil flog sirrend durch die Luft, genau dahin wo Marek stand. Kira's Vater konnte ihm gerade noch rechtzeitig ausweichen und gab dann den Befehl zum Angriff. Sofort schwirrten Pfeile und Bolzen durch die Luft. Doch die Waldgreife waren geschickt und wichen immer wieder aus. Nur einige der Bolzen und Pfeile trafen auch wirklich ihr Ziel. Kira dachte fast gar nicht nach. Nur eines ging ihr ständig durch den Kopf: schießen, neuen Pfeil einspannen, schießen.... Die Angst kämpfte immer mit. Bisher hatte sie kaum getroffen.
Schreie füllten die Luft. Sie gehörten den Männern auf der Mauer, die getötet oder verwundet wurden. Marek schoss gezielt und traf einen der Krieger, der nun von seinem Reittier fiel. Schreiend stürzte er hinunter auf den Boden und starb. Die anderen beiden Krieger auf ihren Reittieren schossen unablässig weiter. Jedesmal wenn die Soldaten auf der Mauer neue Geschosse einspannen mussten, griffen die Waldgreife an und packten die Männer mit ihren Krallen und Schnäbeln, dann ließen sie sie in die Tiefe fallen. „Konzentriert euer Feuer auf den linken Greifen!“ schrie Marek durch den Lärm hindurch.
Sofort schwenkte Kira ihren Bogen herum und tat ihr bestes um die Burg zu verteidigen. Auch Lennard und Korem taten was sie konnten. Ein Pfeilhagel ging auf den linken Waldgreifen los, der sich schließlich seinen Schmerzen beugte, mit einem letzten Kreischen aufhörte mit den Flügeln zu schlagen und samt Reiter zu Boden stürzte. Doch obwohl einer der Greife und zwei der Reiter besiegt waren, verschlechterte sich die Lage für die Verteidiger von Gartet dramatisch. Der Pfeilhagel der Soldaten schwächte ab, denn es gab nicht mehr viele, die in der Lage waren die Burg zu schützen. Als Kira wiedereinmal einen neuen Pfeil einspannte, kam einer der Waldgreife in ihre Richtung und versuchte sie mit ihren Krallen zu packen. Kira konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen, aber für den Mann, der neben ihr gestanden hatte war es vorbei.
„Wir können die Stellung nicht mehr lange halten.“ rief der Unteroffizier Marek zu.
Gerade in dem Moment, in dem alles aussichtslos schien, ertönte ein lautes Brüllen und einer der überraschten Waldgreife wurde von einem Flammenstrahl, den Aron spie verbrannt. Die Soldaten von Gartet, Hauptmann Marek eingeschlossen, waren mehr als überrascht. Kira, Korem und Lennard johlten, so glücklich waren sie ihren großen Freund zu sehen. Aron flog meisterhaft in der Luft und spuckte auch noch Feuer.
„Er hat sein Selbstvertrauen gefunden.“ rief Kira begeistert.
Der letzte Waldgreif sah seinen Kampfgefährten verbrannt auf der Erde aufschlagen. Zorn funkelte in den Augen des Greifen und er ging auf den Drachen los. Aron tauchte nach unten ab und schwang sich dann wieder empor. Jetzt war es Aron, der Angriff. Er biss und kratzte nach seinem Feind, aber der Greif wich seinen Angriffen aus. Der Feuerkraft des Drachen hatte der Greif jedoch nichts entgegenzusetzen. Verkohlt krachte der letzte Greif auf die Erde. Immer noch voller Angst und Verblüffung wichen die Soldaten zurück, als Aron auf der Burgmauer, neben Kira, Korem und Lennard landete.
„Du warst großartig.“ riefen sie alle auf einmal aus.
„Habt ihr gesehen? Ich hab Feuer gespuckt.“ frohlockte der Drache.
„Ich hab irgendwie gespürt, dass du in Schwierigkeiten bist und bin sofort losgeflogen um dir zu Hilfe zu kommen. Ach übrigens hat der Turm jetzt ein Loch im Dach.“
„Ach vergiss mal den Turm. Du hast uns gerade alle gerettet. Du bist ein Held.“ rief Kira.
Im Hintergrund sah sie ihren Vater der fragte: „Kira? Könntest du uns bitte einiges erklären?“


Der Botschafter
„Äh Vati, das ist Aron.“ sagte Kira nervös.
Sie wusste nicht wie ihr Vater die Offenbarung aufnehmen würde.
Langsam trat Marek näher an den Drachen heran.
„Sie müssen Kira's und Korem's Vater sein. Ich bin sehr erfreut sie kennen zu lernen.“ sagte Aron mit seiner tiefen Bass Stimme, während er sich zum Hauptmann umdrehte.
Korem, Lennard und Kira mussten sich ducken, damit sie Aron's Stachelschwanz nicht ins Gesicht bekamen.
„Was läuft denn so?“ fragte der Drache locker.
Etwas verdutzt antwortete Marek: „Also bis heute Mittag war noch alles in Ordnung.“
Auch die anderen Soldaten schienen langsam zu begreifen, dass Aron kein Feind war und näherten sich vorsichtig um Aron zu bestaunen. Aron hatte in seinem ganzen Leben noch nie so viele Menschen gesehen und schien geradezu fasziniert zu sein. Fast alle Menschen von Gartet waren zur Ostmauer gekommen, um den Verletzten zu helfen, die Toten fortzuschaffen und um Aron zu sehen. Viele Menschen in Gartet hatten noch nie, nicht einmal aus der Ferne einen Drachen gesehen.
„Also Kira, dürfte ich ein paar Antworten verlangen?“ fragte Marek, als er vor sie trat.
„Also ....“ begann Kira. „Vor acht Jahren haben Lenni und ich, Aron's Ei gefunden und angefangen ihn großzuziehen.“ sagte Kira. „Und...“
„Und eigentlich ist Aron Kira's Drache. Ich habe nur geholfen ihn zu erziehen.“ plapperte Lennard dazwischen.
„Nun hör mal Lennard! Was heißt denn hier „nur geholfen ihn zu erziehen“? Ich kenne kaum einen Menschen, der einen Drachen aufgezogen hat, ohne gefressen zu werden. Das war eine große Leistung.“ sagte Marek zu Lennard.
Aron legte verwundert den Kopf schräg.
„Am besten erzählst du deiner Mutter und mir alles ganz ausführlich! Und du kommst auch mit Lennard!“ sagte Marek.
Inzwischen war auch das letzte bisschen Sonnenlicht hinter dem Horizont verschwunden. Der Hauptmann und die drei Kinder kletterten die Strickleiter hinunter und als sie unten ankamen rief Kira, Aron zu, dass er ihnen folgen solle. Mit einem großen Sprung landete Aron neben dem kleinen Grüppchen. Dann liefen sie alle fünf durch die Straßen von Gartet, auf Marek's Haus zu. Aron lief neben Kira her und freute sich wie ein kleines Schulkind, das Ferien hat. Auf halbem Weg zum Haus trafen sie auf Kari, Kira's und Korem's Mutter.
„Ich wollte gerade zu dir kommen. Ich habe gehört das wir angegriffen wurden....ein Drache.“ rief sie dann und fiel in Ohnmacht.
„Jetzt weiß ich wo du das her hast.“ sagte Aron zu Korem.
Es dauerte eine Weile bis Kari wieder zu sich kam.
„Alles in Ordnung Mutti.“ flüsterte Kira, die sich zu ihrer Mutter hinuntergebeugt hatte.
Trotzdem war die Mutter von Kira und Korem noch sehr verängstigt.
„Ich verspreche, dass ich ihnen nichts tun werde.“ versicherte Aron hoch und heilig.
„Wo kommt der her?“ fragte Kari an ihren Mann gewandt.
„Das wird uns Kira erzählen, wenn wir zu Hause sind. Die Straße ist doch ein denkbar schlechter Ort für derlei Gespräche.“
„Und dort drin wohnt ihr?“ fragte Aron erstaunt, als sie das Haus erreichten. Das einzige Bauwerk, das der Drache gesehen hatte, bevor er nach Gartet kam, war der Turm gewesen.
„Ja. Aron. Da drin wohnen wir.“ sagte Kira, die bei dem Anblick von Aron's verdutzten Gesicht lachen musste.
„Besser du steckst nur den Kopf durch die Tür! Du wirst bestimmt nicht rein passen.“ meinte Lennard.
„Außerdem ist es ziemlich eng da drin.“ sagte Korem.
Die Menschen betraten das Haus und Aron tat wie Lennard ihm gesagt hatte. Während nur sein Kopf ins Haus lugte, lag sein restlicher Körper draußen auf der Straße.
„Das ist ein komisches Gefühl.“ raunte der Drache.
Kari beobachtete den Drachen mit einem scharfen, skeptischen Blick. Sie misstraute ihm.
„Was ist das alles?“ fragte Aron, der auf die vielen Gegenstände im Raum deutete.
„Das sage ich dir später. Meine Eltern wollen jetzt bestimmt eine Erklärung von mir hören.“ sagte Kira, während sie sich zu den anderen an den Tisch setzte.
„Genau so ist es, Mädel.“ sagte Marek.
Schließlich fing Kira an zu erzählen und sie wurde nur von Lennard, der gelegentlich etwas hinzufügte und Kari, die sich manchmal erstaunt mit der Hand gegen den Mund schlug oder den Kopf schüttelte unterbrochen. Sie erzählte alles in allen Einzelheiten. Wie sie Aron's Ei gefunden hatten, es ausbrüteten, ihn aufzogen und ihm die menschliche Sprache lehrten. Als sie fertig war, war sie schon ganz heiser und die Mitternachtsstunde war vorbei. „Warum hast du uns nie etwas gesagt?“ fragte der Herr des Hauses.
„Ich wusste nicht wie ihr reagieren würdet.“ erklärte Kira schüchtern und ein bisschen verlegen.
„Hast du nicht einmal daran gedacht, was dir alles hätte passieren können?“
Betreten starrte Kira einen Brandfleck auf dem Tisch an.
„Daran hast du nicht gedacht, wie ich deinem Schweigen entnehmen kann.“ schimpfte Kari aufgebracht.
„Nun ist es so wie es ist und lässt sich nicht mehr ändern. Und schließlich müssen wir Aron danken. Er hat uns vorhin alle gerettet.“ gab Marek zu bedenken.
Kira war jetzt ganz still und auch Korem, Lennard und Aron gaben keinen Ton von sich. Sie alle schienen auf das Urteil der Eltern zu warten.
„Nun ja Kira, vor allem für dich wird es in der Zukunft nicht leicht werden. Aber darüber sprechen wir ein anderes Mal. Es ist schon tiefste Nacht und es ist höchste Zeit ins Bett zu gehen.“ schloss Marek und verlieh seinen Worten mit einem langen Gähner Nachdruck.
„Und wo soll Aron schlafen?“ meldete Kira sich jetzt wieder zu Wort.
„Er kann in der alten Scheune schlafen, in der wir immer kämpfen üben. Ich werde ihn gleich hinbringen. Und jetzt ab ins Bett mit euch.“ sagte Marek und ging aus dem Haus.

Die nächsten Wochen waren sehr interessant für Aron. Kira zeigte ihm ihre Welt in allen Einzelheiten. Aron lernte viele neue Wörter z.B. Kamin, Teller, Löffel, Gasse, Händler, Markt, Soldat, Hauptmann, Lernkreis, Buch, Bibliothek und viele mehr. Auch für die Kinder war es eine schöne Zeit. Besonders für Kira und Lennard, die aus Aron's Existenz kein Geheimnis mehr machen mussten. Die anderen Kinder aus Gartet beneideten sie maßlos, denn wer kann schon behaupten einen Drachen als Freund zu haben? Die Scheune war das neue Heim von Aron. Das Stroh war als Lager für ihn genau richtig und vor allem hatte sie ein großes Tor. Marek verbot allen Bewohnern von Gartet, die nichts mit dem Drachen zu tun hatten, die Scheune zu betreten. Wer es dennoch tat wurde bestraft. Aron selbst störten die Leute nicht. Er freute sich wenn er mehr über die Menschen und ihre Gewohnheiten herausfinden konnte. Aron genoss es auch bei Sonnenschein zu fliegen. Das sei tausendmal schöner als bei Nebel zu fliegen, meinte er einmal zu seinen kleinen Freunden. Alle vier erkundeten jetzt immer mehr die Umgebung von Gartet und wenn sie einfach mal einen Tag faulenzen wollten, setzten sie sich an den Rand des Cantansee's in die Sonne. Manchmal konnten sie Fische sehen, die aus dem Wasser und gleich wieder hinein sprangen. Doch so sehr sie sich auch anstrengten, wenn sie dort am Seerand saßen, sie konnten niemals, nicht einmal bei dem klarsten Wetter, die Greifenberge auf der anderen Seite des See's erkennen. Selbst Aron konnte mit seinen scharfen Augen keine Berge entdecken. Dafür war der See einfach viel zu groß. Es war ein komisches Gefühl am Horizont nur die Wellen des Wassers zu sehen, aber sie kannten es nicht anders. Bei der Gelegenheit lernte Aron auch gleich das Schwimmen. Seine Flügel waren nicht nur zum fliegen, sondern auch für das Schwimmen geeignet und oft gingen sie alle zusammen baden, wobei sie immer auf Aron's Stacheln acht geben mussten. Jeder hatte schon einige Kratzer und Schrammen davongetragen. Doch niemand gab Aron dafür die Schuld.
„Er kann ja auch nichts dafür, dass er aussieht wie ein Nadelkissen.“ meinte Kira einmal.
Sie beachteten immer, dass sie am Rand des See's badeten. Dort wo es noch nicht so tief war, denn keiner konnte sagen, was im Cantansee alles lebte. Man erzählte sich, dass in diesem See Flussdrachen lebten. Die Wochen vergingen bei den ganzen Vergnügungen sehr schnell.

An einem milden, sonnigen Morgen hatten sie sich alle wiedereinmal vor den Toren von Gartet verabredet. Die Kinder und der Drache beratschlagten was sie heute tun könnten. Die beiden Wachen, die vor dem Tor standen versuchten ganz uninteressiert auszusehen. Später kam Marek zu ihnen.
„Guten Morgen. Ich habe vor ein paar Tagen einen Brief bekommen, in dem steht, dass heute ein Botschafter aus Bretonia hierher kommt. Ich vermute, dass er über den Angriff vor zwei Wochen reden möchte. Ich möchte das ihr euch benehmt während er da ist.“
Interessiert fragte Korem: „Woher weiß er denn, dass wir angegriffen worden sind?“
„Ich habe einen Brief nach Bretonia geschickt. König Airen wünschte sofort Meldung zu erhalten, falls wir angegriffen würden.“ antwortete der Vater. „Was ist denn?“ fragte Kira Aron, der in den Himmel schaute.
„Da kommt etwas auf uns zu.“ berichtete der Drache.
„Wo?“ riefen Lennard, Kira und Korem.
Auch Marek und die beiden Wachmänner schauten gen Himmel.
„Es kommt aus nordwestlicher Richtung.“ erklärte Aron ruhig den umstehenden.
„So? Dann ist es eher unwahrscheinlich das es ein Feind ist.“ sagte Marek.
Kira konnte nur einen Punkt in der Ferne ausmachen.
„Was ist es?“ fragte Korem neugierig.
„Sieht aus... wie ein geflügeltes Pferd....Nein. Doch kein Pferd. Oder?... Es ist zur Hälfte Pferd. Der hintere Teil. Der vordere sieht aus wie der eines Vogels. Wie der eines Adlers.“ sagte Aron während das Objekt näher kam.
„Vielleicht ein Hippogreif?“ fragte Lennard.
„Was es auch ist, es trägt einen Reiter.“ meinte der Drache.
„Der Bote?“ kam es vom Hauptmann.
Das Objekt war jetzt nur noch einen halben Kilometer entfernt und es war eindeutig ein Hippogreif. Anders als die Waldgreife waren die Hippogreife freundlicher zu den Menschen. Sie lebten in den Ebenen von Bretonos und sie ließen sich recht leicht zähmen. Sie hatten eine Größe von ungefähr einenmetersiebtzig und ein Gewicht von rund einhundert kilogramm. Sie wurden oft als Flugtiere genutzt.
Der Hippogreif war jetzt ganz nah. Er landete ein Stück vor ihnen und galoppierte den Rest, bis er vor ihnen stand.
„Guten Tag. Mein Name ist Wollon und ich bin der Bote aus Bretonia. Unser König schickt mich.“ sagte der Mann kurz nachdem er vom Hippogreifen abstieg.
Der Hippogreif trug einen Sattel und wirkte bei Aron's Anblick sehr nervös.
„Guten Tag. Ich bin der Hauptmann von Gartet.“ sagte Marek.
„Sehr erfreut.“ sagte der Bote.
Marek stellte Wollon Kira, Korem und Lennard vor, die der Bote freundlich begrüßte.
„Und dies ist also Aron, nicht wahr?“ fragte der Bote.
„Richtig.“ sagte der Stirk.
„Oh Kira, du hast ihm die menschliche Sprache gelehrt. Reife Leistung.“ sagte Wollon.
Wollon war in Leinen gekleidet. Er hatte blonde Haare und wässrige blaue Augen. Der Bote war klein und dünn und trug einen Umhang, auf dem das Wappen von Bretonos zu sehen war: ein orangener Phönix auf gelbem Grund. Kira kam er vor wie ein Diplomat. Schüchtern fragte das Mädchen: „Woher wissen sie, dass ich Aron aufgezogen habe?“
„Der Hauptmann hat in seinem Brief geschrieben, dass der Angriff auf Gartet durch einen jungen Stirk Drachen vereitelt wurde, den seine Tochter und ihr Freund aufgezogen hätten. Um ehrlich zu sein: zuerst habe ich das nicht geglaubt. So etwas hätte ich nicht für möglich gehalten.“ sagte Wollon.
„Aber wie sie sehen können ist es doch möglich.“ sagte Marek.
„Wo fand der Kampf statt?“ fragte Wollon.
„Auf der Ostmauer. Kommen sie! Ich zeig es ihnen.“ sagte Marek. Vom Kampf war nicht mehr viel zu sehen. Die Pfeile und Bolzen wurden entfernt und die Leichen wurden auf dem Friedhof begraben, der südlich von Gartet lag. Nur der verbrannte Boden, auf dem neues Gras angefangen hatte zu wachsen, erinnerte an den Kampf. Als sie ankamen begann Marek sofort damit von dem Kampf zu berichten. Der Botschafter hörte aufmerksam zu. „Ihr habt also auch die Burg verteidigt, soso.“ sagte der Botschafter zu Kira, Korem und Lennard gewandt.
Bildete sich Kira das ein oder huschte tatsächlich ein Lächeln über Wollon's Gesicht? Sein Hippogreif war jedenfalls emsig damit beschäftigt auf dem Acker nach Mäusen Ausschau zu halten. Da wagte sich eine Maus aus ihrem Mäuseloch und schnapp hatte der Greif das Mäuschen gepackt.
„Wie viele Soldaten wurden getötet, verletzt und wie viele sind bei bester Gesundheit?“ fragte der Botschafter ernst und sachlich.
Marek überlegte kurz, dann antwortete er: „Es gab acht tote, sechzehn Verletzte und siebzehn Unversehrte, die hier stehenden eingeschlossen.“
Wollon wirkte betroffen.
„Es gibt da noch eine sehr wichtige Sache, die wir besprechen müssen, aber das will ich nicht hier draußen bereden. Es geht um Aron und Kira.“ sagte Wollon.
Kira war verwirrt. Es gab etwas über Aron und sie zu besprechen? Sicher, ein Drache war kein Wesen das man alle Tage sieht, aber man wollte ihr ihren großen Freund doch nicht wegnehmen, oder? Noch nie in ihrem Leben hatte sich jemand von außerhalb um sie geschert. Auch Marek wirkte etwas besorgt.
„Gehen wir in mein Haus.“ sagte er.
„Einverstanden.“ meinte Wollon.
Aron, Kira, Lennard und Korem waren sehr gespannt was der Bote Kira und Aron zu sagen hatte. Der Hippogreif des Boten wurde in den Stall gebracht, wo er versorgt wurde. Als sie alle ins Haus traten, begrüßte Kari den Botschafter gastfreundlich. Sie setzten sich alle an den Tisch, weil jedoch Korem und Lenni keinen Platz mehr hatten, holten sie sich zwei Hocker. Aron lugte wieder zur Tür herein. Als dann alle Platz gefunden hatten, fing der Botschafter an zu erzählen. Dabei sah er Kira eindringlich an.
„Der König persönlich war sehr an dem Brief interessiert, den Marek geschrieben hatte. Der Angriff macht ihm große Sorgen. König Airen war aber sehr erstaunt, dass es einem Kind gelungen ist einen Drachen großzuziehen.“
„Das hab ich aber auch nur geschafft, weil Lenni mir geholfen hat.“ sagte Kira.
„Hör mal Kira! Es ist eine große Leistung von euch beiden, dass ihr Aron aufgezogen habt.“ fuhr Wollon fort. „Ich komme am besten gleich auf den Punkt. Der König will euch alle drei sehen. Aron, Lennard und dich.“
Der Bote sah Kira tief in die Augen. Kira war sprachlos. König Airen, König über ganz Bretonos wollte Lennard, Aron und sie sehen. Auch Lennard und Aron waren baff. Lennard und Kira hatten Aron alles über König Airen erzählt was sie wussten.
„Alles was ich weiß ist, dass er euch ein Angebot machen will. Was das für eins ist weiß ich auch nicht.“
Marek und Kari waren ganz still. Kari standen Tränen in den Augen, ihre Tochter sollte fort von ihr. Bretonia war so weit weg.
„Hauptmann. Euch will König Airen auch sehen. Es gilt zu beratschlagen was jetzt zu tun ist.“
Marek nickte stumm.
„Werdet ihr auch kommen?“ fragte der Bote an Lennard, Aron und Kira gewandt.
Die drei sahen sich gegenseitig an, dann stimmten sie zu. So gern Kira auch hier in Gartet war, sie wollte auch einmal etwas anderes von der Welt sehen und Abenteuer erleben.
„Gut. Ich werde mich sofort aufmachen und dem König Bericht erstatten. Ich hoffe wir sehen uns wieder.“
Mit diesen Worten stand er auf und nachdem Aron den Weg freigegeben hatte, ging er zur Tür hinaus. Sie alle saßen stillschweigend am Tisch.
„Wie weit ist es nach Bretonia?“ durchbrach Kira die Stille.
„Etwa drei Wochen, wenn wir reiten und nichts dazwischenkommt.“ antwortete der Vater.
„Am besten wir treffen die Vorbereitungen. Morgen werden wir losziehen.“ sagte er weiter.
„Schon morgen?“ kam es von Lennard.
„Ja. Wir sollen so schnell kommen wie es geht und wie schon gesagt wird es drei Wochen dauern bis wir in Bretonia ankommen.“
Dann meldete sich Korem zu Wort: „Vati, kann ich auch mit?“
„Nein. Du bist noch zu jung und wir können eure Mutter doch nicht alleine zu Hause lassen.“
Kari war ganz still. Doch dann brachte sie zwischen zwei Schluchzern hervor: „Musst du wirklich gehen, meine Kleine?“
„Ja. Der König höchstpersöhnlich will Aron, Lenni und mich sehen. Ich kann es immer noch nicht so recht glauben. Mir wird schon nichts passieren und so klein bin ich nun auch nicht mehr.“ versuchte Kira ihre Mutter zu trösten.
„Ich verspreche, dass ich auf sie aufpassen werde.“ pflichtete Marek bei.
„Suchen wir uns schon ein paar Pferde aus.“ meinte das Oberhaupt der Familie dann.
Und so marschierten Marek, Aron, Lennard und Kira zu den Ställen von Gartet. Nur wenige Menschen in Gartet besaßen selbst ein Pferd. Diejenigen, die kein eigenes besaßen konnten sich hier für ein wenig Geld eines leihen. Wenn die Soldaten von Gartet jedoch Pferde brauchten um ihre Arbeit zu verrichten, konnten sie sich kostenlos Pferde ausborgen und da Marek der Hauptmann der Burg war, war es kein Problem auch für Lennard und Kira zwei Pferde umsonst zu bekommen. Aron blieb draußen, während die anderen in den Stall gingen. Als sie den Stall betraten roch es sofort nach Heu und natürlich nach Pferd.
„Na los, sucht euch welche aus!“ sagte Marek lachend.
Warum er lachte wurde Kira sofort klar. Es gab mehr als vierzig Pferde hier und fast dreißig davon waren Leihpferde. Nach langem suchen hatten sie sich zwei herausgepickt. Lennard hatte sich für ein graues entschieden und Kira fand ein dunkelbraunes toll.
„Das ist Maremo. Er ist ein sehr ausdauernder Läufer. Gute Wahl.“ sagte Marek, als er sich das Pferd, das Lennard sich ausgesucht hatte, ansah. „Und das ist Camargo. Er ist weniger ausdauernd, aber sehr schnell.“ „Werden wir die Pferde überhaupt führen können?“ fragte Lennard.
„Ich versichere euch, dass die beiden leicht zu handhaben sind.“ sagte Marek.
Dann ging er seinen weißen Hengst Ando aus seiner Box holen. Während die Kinder versuchten sich mit ihren Pferden vertraut zu machen, rief Marek nach zwei Soldaten, die hier Wache schoben. Sie mussten aufpassen das niemand ein Pferd stahl. Doch das geschah so selten das es sehr langweilig war und die Wachen hatten mühe die Augen offen zu halten.
„Hey Tharja, Urka. Kommt her!“ rief der Hauptmann so laut das die Müdigkeit im Nu wie weggeblasen war.
Die Wachen eilten sogleich zum Hauptmann.
„Was gibt es?“ fragten sie zackig.
„Ich soll morgen nach Bretonia reiten. Ihr scheint mir als Gefolgsleute genau richtig zu sein. Da kommt ihr mal aus Gartet raus. Morgen früh halb acht geht es los.“ rief ihnen der Hauptmann zu.
Es gab keine Diskussion und bald hatten sich alle um ihre Pferde gekümmert. Den Rest des Tages verbrachten sie größtenteils damit ihre sieben Sachen zu packen.
Am Abend ging Kira nocheinmal mit Aron zum Cantansee, wo sie sich hinsetzten und über den See schauten, während die Sonne langsam unterging.
„Ich werde Gartet sehr vermissen.“ sagte Kira leise.
„Aber sicher bist du genauso gespannt auf die Welt da draußen wie ich.“ meinte Aron.


Der Beginn der Reise nach Bretonia
Früh am Morgen als die Sonne aufging, standen sie alle sechs bereit vor dem Tor in Gartet. Marek studierte eine Karte von Kantara, die auf einem Tisch lag. Tharja und Urka standen auch dabei und alle drei der Soldaten überlegten welcher Weg wohl der geeignetste sei. Die Stallwächter trugen grob geschmiedete Schwerter und einfache Bögen. Auch Marek trug einen Bogen auf dem Rücken und an dem Gürtel befestigt trug er ein scharfes Breitschwert. Marek schien eine Route gewählt zu haben und rief dann Lennard und Kira zu sich, auch Aron kam herbeigestürmt.
„Nehmt das!“ sagte Marek und hielt ihnen zwei Kurzbögen und zwei große Dolche hin.
„Ihr habt schon einige Erfahrung im Umgang mit Bögen, aber da ihr noch nie echte Schwerter für den Kampf benutzt habt, müssen diese Dolche reichen. Nur für den Fall das wir angegriffen werden oder irgend etwas dazwischenkommt.“
Ohne viel Aufhebens zu veranstalten traten sie ihre Reise an. Aron, der neben Camargo lief grinste breit, was bei ihm sehr merkwürdig aussah. Tatsächlich waren alle bestens gelaunt, selbst Tharja und Urka, die den Schluss bildeten. Marek, der an der Spitze ritt, ließ sich etwas zurückfallen, bis sein Pferd die selbe Geschwindigkeit hatte wie Camargo und Maremo, die Pferde von Kira und Lennard. Der Hauptmann zeigte ihnen die Route.
„Zuerst werden wir nach Auenstedt reiten, unsere Proviantrationen reichen zwar lange, aber ich will auf Nummer sicher gehen. Von Auenstedt werden wir nach Burg Hohenwall weiterreiten und dann geht es weiter nach Bretonia.“
„Wie lange dauert es bis wir nach Auenstedt kommen?“ fragte Kira.
„So etwa fünf Tage.“ antwortete Marek.
„Aron. Wenn es dir recht ist steige bitte in die Luft. Von dort oben hast du einen viel besseren Überblick. Dann siehst du ob sich möglicherweise Feinde nähern und kannst uns warnen.“ meinte der Hauptmann.
„Das ist eine gute Idee.“ sagte Aron und erhob sich in die Lüfte.
Voller Ehrfurcht beobachteten Tharja und Urka, wie der Drache mit den Flügeln schlug und aufstieg. Sie hatten den größten Respekt vor Aron. Aron stieg immer höher, bis er etwa zehn Meter über ihnen mitflog und mit scharfen Augen die Umgebung überwachte. Gelegentlich ließ er einige Funken aus seinem Maul stieben. Dies tat er nun nach seiner neu erworbenen Fähigkeit oft. Offenbar war er sehr stolz Feuer spucken zu können. Sie hatten in Gartet immer aufpassen müssen das nicht irgend etwas auf einmal durch Aron Feuer fing, denn der Drache konnte diese neue Fähigkeit noch nicht so recht kontrollieren.
Die Reise verlief recht ruhig, gelegentlich sahen sie einige Chetno's, die in Herden durch das Land streiften. Die kleine Gruppe aus Gartet bevorzugte es durch das offene Gelände zu reisen.
„Das ist sicherer, da man mögliche Feinde frühzeitig sieht.“ meinte Marek.
Kira gefiel die Reise dermaßen, das sie gar nicht wollte das sie aufhörte. Sie fühlte sich vollkommen sicher, mit Aron, der hoch oben über sie wachte. Abends schlugen sie jedesmal ihr Nachtlager auf und irgendeiner, der drei Soldaten aus Gartet hielt Nachtwache. Manchmal löste sie auch Aron ab. Der Drache schien überhaupt nicht müde zu sein. Morgens verschwand er manchmal um Nahrung zu suchen. Er schnappte sich meistens ein Chetno, das er dann genüsslich verschlang. Satt kam er dann zum Lager der Menschen zurück. Auch mit den Pferden gab es keinerlei Schwierigkeiten.
An einem Nachmittag dann, konnten sie endlich Auenstedt sehen. Kurz vor der Stadt landete Aron neben Camargo, der sich etwas erschreckte. Während sie in der Stadt waren sollte Aron auf dem Boden bleiben und keinesfalls Feuer spucken. Der Drache lenkte schon genug Aufmerksamkeit auf sich. Sie gingen eine Marktstraße entlang, wobei sie ihre Pferde bei dem Gedränge, das hier herrschte, am Halfter führen mussten und kauften Proviant für die weitere Reise. Dabei begafften alle Leute im Umfeld Aron, der keine Schwierigkeiten hatte voran zu kommen, denn alle Leute vor ihm sprangen vor Angst zur Seite wenn er kam. Kira hatte noch nie so viele verschiedene Menschen gesehen. Einige hatten Kopftücher auf und redeten in einer Sprache, die Kira nicht verstand. Andere Leute hatten sich dicke Fellmantel um die Schultern geschlungen. Anscheinend kamen diese Menschen aus dem Norden Kantara's. Bei einem Marktstand für Kräuter und Heilmittel konnte Kira sogar einen Elfen erspähen. Von dieser Rasse hatte sie bislang nur gehört. Er war sehr schlank und seine Arme und Beine wirkten neben den ganzen Menschen feingliedrig. Seine langen blonden Haare fielen ihm über den Rücken. Der Elf bewegte sich mit einer solchen Anmut, wie Kira sie vorher nur bei Katzen gesehen hatte.
„Auenstedt ist eine der wenigen Städte in die die Elfen regelmäßig zum Handeln und tauschen kommen. Meistens verlassen sie den Mondwald nicht“ flüsterte Marek Kira ins Ohr, der ihrem Blick gefolgt war.
Als sie alles gekauft hatten lotste Marek sie aus der Marktstraße heraus zu einem dreistöckigen Gebäude, das recht ordentlich aussah.
„Das ist die Herberge „zum weißen Adler“. Hier übernachte ich immer mit meinen Leuten, wenn ich auf dem Weg nach Bretonia oder zurück nach Hause bin. Günstig und ordentlich. Das findet man nicht oft.“ erklärte der Hauptmann.
Sie banden ihre Pferde an einen Pfahl, der draußen vor der Herberge stand. Sie mussten erst fragen ob Zimmer frei waren, bevor sie die Pferde in den Stall der Herberge bringen konnten.
„Aron, würdest du bitte auf die Pferde aufpassen?“ fragte Marek den Drachen, der ständig umherschaute um ja nichts von dem geschäftigen Treiben der Menschen zu verpassen.
„Gern, ich pass eh nicht durch die Tür.“
Der menschliche Teil der Reisegruppe trat in das Haus. Marek dirigierte die anderen zu einem Tresen, hinter dem ein großer, bulliger Mann mit blondem Schopf und Schnurrbart stand.
„Hallo Hulbiurn. Lange nicht gesehen. Irgendwelche Neuigkeiten?“ fragte der Hauptmann.
Als der Besitzer der Herberge Marek sah trat ein breites Lächeln auf sein dickwangiges Gesicht.
„Hallo Hauptmann. Ja. Allerdings. Gerüchten zufolge hat man einige Orkarbeiter in der Nähe von Sumpfenheim gesehen. Die sollen ja da bleiben wo der Pfeffer wächst. Hab schon genug Scherereien. Erst neulich kam wieder so ein Tölpel, der mich doch tatsächlich berauben wollte, aber dem hab ich die Meinung gesagt, dass ihm hören und sehen verging. Und dann war da noch....“
Während Hulbiurn von seinen neuesten Ereignissen berichtete und Marek dann noch von dem Angriff auf Gartet erzählte, sahen sich Kira und Lennard im großen Raum um. Hinter der Theke stand ein Holzschrank mit Glastüren, in dem sich alle möglichen Arten von Krügen, Tellern und Schüsseln befanden. Rechts neben der Theke führte eine gewundene, hölzerne Treppe nach oben in den zweiten Stock. Der Fußboden bestand aus Holzlatten aus Eiche und im ganzen Raum standen Tische mit Stühlen, die zum hinsetzen einluden. Die großen Fenster der Herberge ließen viel Licht in das Zimmer, sodass der Raum sehr hell und Gastfreundlich aussah.
„...also seid ihr auf dem Weg nach Bretonia. Na da habt ihr ja noch mal Glück gehabt. Zwei Zimmer sind noch frei und die Pferde könnt ihr auch in den Stall bringen.“ sagte Hulbiurn schließlich.
Marek wirkte etwas verlegen.
„Eine Sache wäre da noch.... Wir haben einen Drachen dabei. Weißt du wo der sich zur Nachtruhe niederlassen kann?“
Als der Herbergsbesitzer Marek's Worte hörte klappte sein Mund auf und seine Augen weiteten sich.
„Einen Drachen?“ fragte er als er seine Stimme wiederfand.
„Wenn du mir nicht glauben willst, komm vor die Tür, da steht er und passt auf die Pferde auf.“ erklärte Marek.
Schon nach wenigen großen Schritten war der Herbergsbesitzer an der Tür und stieß sie auf. Als Hulbiurn Aron sah, schlug er die Hände zusammen und sagte nur: „Allmächtiger.“
Aron schaute sich um, den suchend der gemeint war. Als er niemanden finden konnte, dem der Ruf gegolten haben könnte, wandte er sich wieder Hulbiurn zu, der ihn von oben bis unten musterte und ihn so genau betrachtete, als wollte er sich jede von Aron's Schuppen ins Gedächtnis einbrennen. Dann ging er um den Drachen herum, um ihn sich von allen Seiten anzusehen. Aron legte den Kopf schräg.
„Ist was?“ fragte er ohne eine Antwort zu erwarten.
Als Hulbiurn zu Kira und den anderen kam und Aron immer noch begeistert anstarrte sagte Marek: „Das ist Aron. Meine Tochter Kira und ihr Freund haben ihn aufgezogen.“
Hulbiurn drehte sich zu den Kindern und klopfte ihnen auf die Schultern.
„Bei meiner Ehre das habt ihr nicht besser machen können. Hut ab.“
Dann wandte er sich wieder an Marek.
„Leider habe ich kein Zimmer durch dessen Tür er passen würde. Ich befürchte er muss im Stall schlafen.“
„Würde dir das etwas ausmachen?“ fragte Kira ihren großen Freund.
„Nein. Ganz und gar nicht. Ställe finde ich toll. Da hab ich viel Platz.“ sagte Aron entzückt von dem Angebot.
Hulbiurn sagte eilig: „Ich werde dafür sorgen, dass es dir an nichts mangelt.“
Nachdem sie die Pferde in die Ställe des Gasthauses gebracht hatten, beschlossen sie sich Auenstedt ganz genau anzusehen. Sie wollten erst am nächsten Morgen aufbrechen und es war erst später Nachmittag. Aron wollte unbedingt mitkommen, weshalb sie in den engeren Gassen aufpassen mussten niemanden zu verletzen. Dort herrschte ein wildes Gedränge und so ziemlich jeder musste ganz schnell irgendwohin. Als sie vor der Kirche der Stadt standen, die ein schwarzes Dach hatte und mit ihren kunstvoll aus Stein gehauenen Statuen prächtig anzusehen war, fragten Urka und Tharja Marek um Erlaubnis einige eigene Wege erledigen zu dürfen. Marek bahnte sich mit Lennard, Kira und Aron einen Weg zum Alchimisten der Stadt.
„Weshalb gehen wir da jetzt eigentlich hin?“ wollte der Drache wissen.
Marek kramte in einer seiner Taschen und holte ein leeres Glasfläschen hervor.
„Das hier...“ erklärte er „... ist ein verbrauchter Heiltrank. Sie stellen verbrauchte Kraftreserven schon nach kurzer Einnahmezeit wieder her. Je nachdem von wem und mit welchen Zutaten er gebraut wurde, stellt er unterschiedlich viel Energie wieder her. Wenn du allerdings nicht erschöpft bist und ihn trinkst erzielt der Trank keine Wirkung und du hast ihn umsonst benutzt. Das schlechte an dem Trank ist allerdings, dass er einen hohen Preis hat. Doch sie sind wirklich sehr nützlich. Besser man hat einen vorrätig.
Der Alchemist Bordo macht gute Heiltränke, das kann man unter anderem auch an seinen Preisen sehen. Der reinste Wucher.“
Marek verzog das Gesicht. Endlich und nach vielen Schubsereien, erreichten sie einen Springbrunnen, der die Form eines Fisches hatte. Gegenüber stand auf einem Aushängeschild von einem schmucken Haus: „Bordo's Elixiere für jegliche Gebrechen und Schwächen“.
Aron blieb als einziger draußen und wartete. Als Kira eintrat erblicke sie ein Zimmer, das voll gestellt war mit Regalen, die alle möglichen Essenzen, Elixiere und Extrakte enthielten. Es gab so viel zu sehen, dass sich Kira gleich zwei Augen mehr wünschte. Unter der Decke hingen verschiedene Kräuter und Pilze, die zum trockenen aufgehängt wurden. In einer Ecke des Raumes stand ein Buchständer auf dem ein aufgeschlagenes Buch lag, das Trankzutaten enthielt. Auf einem der beiden Tische im Raum stand eine präparierte Harpyie. Das war ein hybrides Wesen, das den Oberkörper einer Frau und den Unterkörper sowie Flügel eines Vogels hatte. Der andere Tisch war ein Alchemietisch wo Reagenzgläser, Becher und sonstige Alchemieutensilien geordnet in einer Reihe standen. Vor dem Tisch stand ein glatzköpfiger, dürrer Mann, der mit einer langen Hose, einem kurzärmligen Oberteil und einer braunen Schürze bekleidet war. Der Mann schüttelte gerade ein Reagenzglas, dessen Inhalt jetzt von Blau zu Giftgrün wechselte. Der Alchemist drehte sich zu seiner eben eingetroffenen Kundschaft um und sagte mit einer öligen Stimme: „Sie wünschen?“
„Einen neuen Heiltrank bitte.“ sagte Marek und gab Bordo den leeren Heiltrank zurück, den er vor langer Zeit bei ihm gekauft hatte.
„Kommt sofort.“ sagte Bordo mit seiner schleimigen Stimme.
Während er einen Trank aus einem seiner Regale holte sahen sich die Kinder ganz genau um. Kira war an ein Regal geraten, das mit roten, gelben,grünen, braunen und blauen Tränken gefüllt war. Wozu diese Tränke gut sein mochten konnte Kira nicht einmal erahnen. Der Alchemist Bordo kam mit einer Flasche zurück, die der glich die Marek zurückgegeben hatte. Der einzige wesentliche Unterschied war das diese Flasche mit einer roten Flüssigkeit gefüllt war. Als Bordo vor Marek stand sagte er gelangweilt: „Das macht einhundertvierzig Goldstücke.“
Marek brauste auf: „Was? Letztes mal waren es doch hundert. Das ist reinster Wucher.“
Bordo entgegnete: „Die Preise steigen halt mein Lieber und wenn es dir zu teuer ist gehst du halt zu einem billigeren Alchimisten. Die verkaufen zwar nur Ramsch, aber...“
Plötzlich fiel Bordo's Blick auf Aron, der durch das Fenster in das Haus spähte.
„Ein Drache. Gehört er zu euch?“
In Bordo's Gesicht war Ehrfurcht zu erkennen, aber in seinen Augen spiegelte sich eine fast wahnsinnige Gier.
„Ja, er gehört zu uns. Wieso, ist irgendetwas nicht in Ordnung?“
Marek konnte sich schon denken worauf der Alchemist hinauswollte.
„Ich schlage euch ein Geschäft vor. Der Drache gibt mir einen seiner vielen Zähne und ihr bekommt dafür drei Heiltränke.“
Bordo rieb sich voller Gier die Hände. Marek überlegte.
„Ich denke das sollten sie ihn selber fragen.“
Also gingen die vier Menschen aus dem Haus und Bordo fragte den Drachen was er von dem Geschäft halte. Aron sah etwas unschlüssig aus.
„Also, ich trenne mich wirklich nur sehr ungern von einem meiner Zähne...“
„Morgen wird dir, an seiner Stelle, ein neuer gewachsen sein. Das ist bei euch Drachen so, fällt ein Zahn aus, wächst ein weiterer nach.“ unterbrach ihn der Alchemist.
Kira trat an Aron heran und flüsterte: „Wenn du das nicht willst, musst du es nicht machen.“
„Doch ich will es. Ich werde es tun.“ erklärte Aron, der überflüssigerweise beweisen wollte das er zu etwas nützlich war.
„Gut, warte hier, ich bin gleich zurück.“ sagte Bordo, der Aron's Worte gehört hatte und für kurze Zeit in seinem Haus verschwand. Als er wieder kam, hielt er ein großes und dickes Metallstück in seinen Armen.
„Wenn du in etwas zu hartes beißt, wie dieses dicke Metallstück, bleibt dein Zahn darin stecken, denn er löst sich dann vom Kiefer.“
Da einer seiner Eckzähne einer der wenigen Zähne war, die so ziemlich alleine in seinem Maul wuchsen, probierten sie es bei seinem linken. Bordo hielt das Metallstück in Aron's offenen Rachen.
„Jetzt beiß zu!“ kommandierte Bordo.
Aron biss und ließ das Metallstück kurze Zeit später mit einem ohrenbeteubenden Brüllen, das über die halbe Stadt wehte, wieder los. Aron sah zu dem Metallstück, in dem zwei Eckzähne, der obere und untere linke, steckten. Da der Drache etwas aus dem Maul blutete gab Bordo ihm etwas von einer gelblichen Mixtur, die die Blutungen stoppte. Kira legte, um Aron zu beruhigen, eine Hand auf seinen schuppigen Hals. Aron zitterte und atmete schwer. Der Alchemist zog mit allen seinen Kräften die zwei Drachenzähne aus dem Metallstück und sagte: „Wenn ich alle beide behalten darf kriegen sie sogar sieben Heiltränke.“
Er wandte seinen Blick keine Minute von den Zähnen ab und er schien sie nie wieder aus seinen Händen legen zu wollen. Marek sah zu Aron, der nickte und schlug dann in Bordo's Hand ein.


Auenbach
Als Kira am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich ausgeruht und frisch. Sie rieb sich die letzten Überbleibsel des Schlafes aus den Augen und blickte dann zufrieden durch das Herbergszimmer. Das Bett in dem sie saß war aus Tannenholz gefertigt und die Bettdecke bestand aus einem Schafsfell. Es war eine Dublette von dem Bett in dem Lennard schlief. Dieses stand an der gegenüberliegenden Wand. Der Boden des Zimmers war, genau wie Decke und Wände, aus Weidenholz gebaut. Ein kleiner Schrank in der Ecke verschönerte das Zimmer, genau wie das Bild, auf dem ein Ritter zu sehen war, der gegen zwei Harpyien kämpfte und das über dem Schrank hing. Das Zimmer war sauber und roch angenehm nach Holz. Kira hatte sich hier gleich wohl gefühlt. Im Nebenzimmer hörte man das Marek, Tharja und Urka ebenfalls schon wach waren. Kira stand auf und trat an das einzige Fenster im Raum. Das Mädchen blickte hinaus auf die belebte Straße und wunderte sich wie lange sie geschlafen hatte. Die Sonne im Osten strahlte über die Dächer und erweckte mit ihrem hellen Schimmer alles zu neuem Leben. Kira dachte an Aron und wollte ihn im Stall besuchen. Schnell zog sie sich an, ging hinunter in den Eingangsbereich und dann in den Stall. Aron schlummerte in einem riesigen Strohberg.
„Zum Glück“ dachte Kira „hat er nichts anbrennen lassen.“
Sie setzte sich neben ihren großen Freund. Wenig später wachte Aron auf. „Dachte ich es mir doch das ich etwas gehört habe.“ sagte der Drache und schmunzelte.
„Und wie geht es dir?“ fragte Kira, noch etwas besorgt wegen der Zahnentnahme vom Vortag.
„Sehr gut und dir?“
„Bestens. Mach bitte mal das Maul auf!“ sagte Kira.
Als Aron das Maul öffnete konnte Kira zwei nachwachsende Zähne sehen. „Sieht gut aus.“ sagte Kira.
„Oh ja, ich habe mich auch schon gewundert wie schnell das nachwuchst.“ bemerkte Aron.
„Nachwächst.“ berichtigte Kira.
Aron wirkte verlegen und sagte eine Zeitlang gar nichts mehr. Kira zwirbelte gedankenverloren einen Strohhalm zwischen ihren Fingern. Sie mochte Aron's Gesellschaft. Es hatte oft etwas sehr beruhigendes und vertrieb eventuell vorhandene Sorgen. Aron hob plötzlich den Kopf und schnupperte.
„Ich glaube du solltest ins Haus gehen. Es gibt Frühstück.“
Nun sog auch Kira die Luft ein. Abgesehen von dem Stallgeruch, roch es nach frisch gebackenem Brot. Plötzlich bemerkte sie wie hungrig sie war, stand auf, putzte sich das Stroh ab und fragte Aron: „Soll ich dir etwas holen?“
„Nein Kira, lass mal! Ich habe keinen Hunger, aber ich glaube ich steh jetzt auch auf und beobachte die vorbeigehenden Leute. Ich find es immer so witzig wie alle wie aufgescheuchte Ameisen durch die Gegend eilen und versuchen schnellstmöglich ihre Wege zu erledigen.“
Aron gluckste und stand auf. Das Stroh fiel von seinem Körper auf den Boden. So verließen die beiden den Stall und Kira ging ins Haus, während Aron sich nahe der Wand der Herberge niederkauerte und sich interessiert umsah. Es war ein schönes Frühstück. Das Brot war schön weich und auch noch warm. Außerdem gab es Pflaumenmus, Käse und sogar Wurst. Gestärkt verließ die kleine Reisegruppe die Herberge „zum weißen Adler“, nachdem sie bezahlt und sich höflich von Hulbiurn verabschiedet hatten.
„Beehrt mich bald wieder!“ rief ihnen der Herbergsbesitzer noch nach bevor sie in der Menge verschwanden.


Am Nachmittag erreichten sie einen großen Wald, der sich neben, vor und hinter ihnen erstreckte soweit das Auge reichte.
„Das ist der größte Wald, den ich je gesehen habe.“ erklärte Kira.
Marek lachte, hatte er doch schon weitaus größere Wälder in seinem Leben gesehen.
„Das ist der Wald von Auenbach und, im vergleich zu anderen Wäldern, die auf der Karte von Kantara eingezeichnet sind, relativ klein.“ sagte Marek.
„Na, wie hat es euch in Auenstedt gefallen?“ fragte der Hauptmann seine Tochter, ihren Freund und den Drachen.
„Schön war es dort.“ riefen die Befragten im Chor.
Kira fand, dass es die schönste Stadt war, die sie je gesehen hatte. Zugegeben, es war auch die einzige richtige Stadt, die sie je gesehen hatte. Gartet hatte zwar eine Stadt hinter den Mauern, aber dennoch war Gartet eine Burg mit allem was dazu gehörte. Sonst hatte Kira noch einige Dörfer und Bauernhöfe gesehen, die sich in der Nähe von Gartet befanden.
Sie ritten, beziehungsweise Aron flog, den ganzen Tag entlang des Waldes. Als sie am Abend ihr Lager aufschlugen fragte Kira ihren Vater: „Würden wir nicht schneller in Burg Hohenwall sein, wenn wir durch den Wald gehen würden? Der Weg erscheint mir kürzer.“
„Der Weg ist zwar kürzer, aber es würde dennoch länger dauern. Im Wald kann man sich leicht verirren und ich hab keine Lust ständig zu überprüfen ob wir auf dem Weg in die richtige Richtung sind. Abgesehen davon könnten Gefahren im Wald lauern. Wir sind zwar im Land unseres Königs das heißt aber nicht das wir hier vollkommen sicher sind.“
Kira gab sich mit dieser Antwort zufrieden und lehnte sich an Aron, wobei sie auf seine Stacheln aufpasste, damit sie sich nicht verletzte. Die Nacht war ruhig und Sternenklar. Sie hatten keine Probleme einzuschlafen.

Die ersten Sonnenstrahlen weckten sie. Müde und verschlafen streckte Kira sich und lehnte sich zu Aron zurück. Als sie nach hinten fiel wachte sie schlagartig auf. Aron war verschwunden.
„Wo ist Aron?“ fragte sie Lennard, der sich verschlafen die Augen rieb. Lennard sah sich um und sagte dann, genauso aufgeregt wie Kira,: „Aron ist weg. Hat wer Aron gesehen?“
Tharja schüttelte den Kopf und Urka sagte: „Wir haben alle geschlafen. Aron wollte wache halten.“
„Er darf seinen Posten doch nicht einfach so verlassen! Er hätte uns Bescheid geben müssen!“ rief der Hauptmann erzürnt.
„Vielleicht hat er etwas gesehen was gefährlich sein könnte und wollte es vertreiben.“ überlegte Kira laut. „Hoffentlich ist ihm nichts passiert.“
Bei dem Gedanken das Aron etwas zugestoßen sein könnte lief es ihr kalt den Rücken hinunter. Doch ihre Sorgen waren unbegründet, denn wenig später hörten sie Flügelschläge und Aron tauchte am Himmel auf, putzmunter und unverletzt, ein lebloses Chetno in den Klauen. Als er landete warf er das tote Tier vor die Füße der Männer und sagte gut gelaunt: „Früchstück.“
Marek brauste auf: „Du hast deinen Wachposten verlassen weil du etwas für das Frühstück fangen wolltest? Aron wo hast du nur deinen Kopf? Du hättest uns doch Bescheid geben müssen! Ein Feind oder sonst etwas gefährliches hätte uns im Schlaf überraschen und uns alle töten können.“
Aron wirkte betreten. Er scharrte mit seinem linken Vorderfuß auf dem Boden herum und hatte den Blick gesengt.
„Ich wollte,“ fing er an „dass es eine Überraschung ist. Es tut mir leid.“
Kira tätschelte seinen Hals.
„Schon gut Aron, aber nächstes mal sagst du uns Bescheid.“
Aron nickte etwas schwerfällig.
„Er hat es ja nur gut gemeint.“ wandte sich Kira jetzt an ihren Vater.
„Vieles ist gut gemeint und führt zu Verderben.“ sagte Marek mit einer Schärfe in der Stimme, die allen Anwesenden einbläute so etwas nicht wieder vorkommen zu lassen.
Nachdem sich alle wieder beruhigt hatten, bereiteten sie das Frühstück. Während Urka das Chetno essfertig machte, suchte Tharja Feuerholz zusammen und Lennard und Kira holten Wasser vom nahen Bach für die Pferde. Marek und Aron hielten solange Wache. Nach dem Essen sattelten sie die Pferde und setzten ihre Reise fort.
Gegen Mittag erreichten sie einen großen Fluss, der etwa zwanzig Meter breit war.
„Das ist der Auenfluss. Wir müssen eine Stelle finden wo er nicht allzu tief ist, damit wir mit den Pferden hinübergelangen...“
„Vielleicht könnte ich die Pferde hinübertragen?“ unterbrach Aron den Hauptmann.
„Ich fürchte ein ausgewachsenes Pferd ist doch noch etwas zu schwer für dich.“ sagte Marek, der sich freute das der Stirk Drache mitdachte.
„Dort, Hauptmann.“ rief Urka, der vorausgeritten war.
Er zeigte auf eine schmale Schneise im Fluss, wo das Wasser kaum einen Meter tief schien und die von Felsen, die aus dem Wasser ragten, gesäumt war.
„Gut, die Stelle nehmen wir.“ sagte Marek und richtete sich dann an Aron: „Aron, bitte flieg über den Fluss und such eine Straße! Sie dürfte nicht weit vom Fluss entfernt sein. Händler benutzen sie um ihre Waren von einem Dorf zum nächsten zu befördern.“
„Gut, dann flieg ich mal los.“
Und schon war Aron auf dem Weg zum anderen Flussufer. Wenig später war er dort angelangt und flog weiter geradeaus, bis er nicht mehr zu sehen war. Lennard, Kira, Marek, Urka und Tharja stiegen von ihren Pferden ab, damit es denen leichter fiel im Wasser voranzukommen.
„Passt auf! Manchmal kann die Strömung sehr stark sein.“ erklärte Kira's Vater.
So führten sie die Pferde watend den schmalen seichten Unterwasserpfad entlang, wobei sie auf die Steine unter der Wasseroberfläche achten mussten. Manchmal stolperten sie, fingen sich jedoch gerade noch rechtzeitig um nicht in das kühle Nass zu stürzen. Aron war immer noch nicht zurück. Vielleicht war die Straße doch weiter weg als Marek gedacht hatte. Das andere Ufer war durch die dort stehenden Bäume sehr schattig. Sie waren dort fast angelangt als fünf zerlumpte Männer hinter einigen Felsen hervorsprangen und ihre, schon etwas rostigen, Schwerter zückten.
„Banditen.“ knurrte Marek, jedoch so leise, dass nur Lennard, Kira und seine beiden Soldaten es hören konnten.
„Das ist ein Überfall. Gebt uns alles was ihr habt, dann passiert euch auch nichts. Wenn ihr euch weigert holen wir uns was wir wollen eben mit Gewalt.“ rief ihnen der vorderste Bandit zu.
„Kira wenn ich los sage rennst du mit Lenni in den Wald! Renn so schnell du kannst und lass die Pferde hier! Es würde zu lange dauern sie aus dem Wasser zu bekommen.“ flüsterte ihr Marek zu.
Kira gab die Botschaft an Lennard weiter, während Marek mit kräftiger Stimme sagte: „Wie könnt ihr es wagen Soldaten des Königs anzugreifen? Zieht eure Waffen Männer dieses Pack werden wir schon verjagen! LOS!“ Kira und Lenni warfen sich in die Fluten und schwammen, etwas entfernt von den Felsen, auf das Ufer zu, während Marek, Urka und Tharja ihre Schwerter zogen und sich auf die Banditen stürzten. Die Banditen waren etwas überrascht, griffen die Soldaten aber gleich an. Kira und Lennard schwammen so schnell wie noch nie in ihrem Leben, achteten nicht auf das Schwerterklirren, sondern konzentrierten sich ganz auf das Schwimmen.
„Sabin, renn den Bälgern nach! Sie dürfen nicht entkommen!“ rief einer der Banditen.
Daraufhin löste sich einer aus dem Knäuel der Kämpfenden und rannte Kira und Lennard nach, die das Ufer erreicht hatten und in den Wald liefen. Kira rannte so schnell sie konnte, ihr Herz hämmerte wild. Zusammen sprangen die Kinder über Wurzeln und liefen zwischen die Bäumen des Waldes und versuchten ihren Verfolger abzuschütteln. Sie würden ihre Dolche erst gegen den Banditen verwenden, wenn es keine andere Möglichkeit mehr für sie gab.
„Na wartet, ich krieg euch noch ihr frechen Gören.“ rief der zerlumpte Mann hinter ihnen laut keuchend.
„Gut er ist schon etwas erschöpft. Vielleicht sind wir ihn dann bald los.“ überlegte Kira, während sie zwischen den Bäumen umherhastete.
Kaum drei Minuten später fiel ihr Verfolger zurück, gab aber noch nicht auf. Kira erspähte zwischen den Bäumen eine Höhle, deren Öffnung groß und dunkel war.
„Verstecken wir uns in der Höhle!“ sagte Kira zu ihrem Freund, der neben ihr lief.
Lennard, der wie sie selbst laut schnaufte, nickte und sie lenkten ihre Schritte in die Richtung der Höhle. Dort angelangt verbargen sie sich hinter großen Geröllblöcken. Kira lugte vorsichtig hinter ihnen hervor, um zu sehen wie der Bandit, der sie verfolgt hatte, reagieren würde. Dieser kam gerade zwischen den Bäumen hervor und blieb überrascht stehen, weil er Kira und Lennard nicht mehr sehen konnte und nicht wusste wohin er gehen sollte. Rasch sah er sich um und als er nichts entdecken konnte blickte er eine Zeitlang in die Lichtstrahlen, die zwischen den Blättern der Bäume hervorbrachen.
'Vielleicht überlegt er, ob er uns weiter suchen soll.' dachte Kira.
Der Bandit zuckte mit den Schultern, steckte sein Schwert weg und trabte den Weg zurück den er gekommen war.
„Puh, das war knapp.“ sagte Lennard, als er sich sicher war, dass der Bandit verschwunden war.
„Das kannst du laut sagen.“ gab Kira ihm recht.
Erst jetzt sahen sie sich in der Höhle um. Viel gab es nicht zu erkunden, Steine, Dunkelheit. Aber was war das? Etwas großes, dunkles stand in einiger Entfernung in der Höhle. Neugierig betrachteten es die Kinder. Es rührte sich nicht.
„Was ist das?“ fragte Kira und näherte sich langsam diesem Ding.
„Ich weiß nicht so recht. Scheint so etwas wie eine Statue zu sein.“
Das kam dem was sie da sahen schon recht nahe. Dieses Gebilde war etwa so groß wie sie, hatte die Form eines Geschöpfes mit Flügeln als Vorderläufen und muskulösen Beinen. Es hatte einen sehr kurzen Schweif und der Kopf dieses Wesens war äußerst absonderlich. Es hatte große Ohren, kleine Augen, eine Nase, die an ein Schwein erinnerte und Fell im Gesicht, das einer Art Bart gleichkam.
„Warum sollte jemand hier eine Statue hinstellen?“ fragte Kira.
Lennard zuckte mit den Schultern. Kira fasste das Gebilde vorsichtig an und betastete es.
„Es ist sehr warm. Viel zu warm für Stein.“ stellte Kira fest und berührte prüfend den Fels dahinter.
Kira erschrak plötzlich und wich zurück, denn dieses Ding hatte sich kurz bewegt.
„Was war das?“ fragte Kira.
„Was?“ erwiderte Lennard die Frage.
Offenbar hatte er nichts bemerkt. Ganz plötzlich und schneller als man kucken konnte brach der Steinmantel ab und ein sehr lebendiger Gargoyle kam zum Vorschein. Wütend kreischte er. Anscheinend hatten Kira und Lennard seinen Schlaf gestört. Zornig schlug das Geschöpf mit den Flügeln nach den Menschen, die es als willkommene Mahlzeit ansah. Kira zog ihren Dolch und stieß ihn in den rechten Flügel des Ungetüms. Die Klinge prallte ab, denn die dicke Steinhaut schützte den Wasserspeier vor derlei Angriffen. Die einzige Folge der Attacke war, dass der Gargoyle nun noch rasender wurde.
„Weg hier.“ kreischte Lennard panisch und zog Kira am Arm nach draußen.
Aber so leicht würde sich der Wasserspeier seine Beute nicht nehmen lassen. Etwas ungelenk folgte er den Kindern nach draußen.
„Machen wir das wir hier wegkommen.“
Kira's Stimme zitterte. Blindlings rannten sie los. Kaum das er aus der Höhle war schwang sich der Gargoyle in die Luft. Da er recht klein war, hatte er keine größeren Schwierigkeiten ihnen zu folgen. Nur manchmal behinderten ihn die Bäume beim fliegen.
„Er ist direkt hinter uns.“ schrie Lennard.
Kira's Gedanken rasten.
„Irgendwie müssen wir ihm doch entkommen können.“
Ihr Herz schlug schnell und laut wie ein Trommelwirbel.
„Er hat uns bald eingeholt.“
Ein lautes Kreischen untermauerte Lennards Befürchtung. Kira und Lennard hechteten zwischen den Bäumen entlang und als sie gerade über einen besonders großen, umgefallenen Baumstamm gesprungen waren, drehte sich Kira nach ihrem Verfolger um. Er war weg.
„Wo ist dieses fliegende Vieh?“ fragte Kira Lennard, kurz nachdem sie stehen geblieben war.
Lennard kam kurz darauf ebenfalls zum stehen, als er bemerkt hatte, dass der Gargoyle verschwunden war.
„Juhu, wir haben ihn abgehängt. Es wurde ihm anscheinend zu dumm.“
Lennard machte einen Luftsprung. Kira schöpfte erleichtert Atem. Nach einer kurzen Pause gingen sie weiter und bald schon standen sie vor einem neuen Problem.
„Wo sind wir bloß? Ich glaube wir haben uns verirrt.“
„Oh nein.“
Sie seufzten.
„Ob wir hier wieder rausfinden? Der Auenwald ist riesengroß. Wir werden elendig verhungern. Hätten wir doch mal unsere Bögen mitgenommen, aber da gab es ja die Banditen. Wir werden sterben.“ jammerte Lennard.
„Das du auch immer so positiv bist.“ sagte Kira sarkastisch.
„Sieh mal! Ein Bach.“
Sie zeigte auf ein Bächlein, das sich zwischen Gräsern auf einer nahen Lichtung entlangschlängelte.
„Wenigstens müssen wir nicht verdursten.“
Kira grinste und die beiden rannten auf den Bach zu. Gierig schöpften sie Wasser und tranken. Es schmeckte herrlich und erfrischte ungemein. Plötzlich hörten sie Flügelrauschen und ein schrilles Brüllen. Der Wasserspeier war wieder da, offensichtlich hatte er bloß darauf gewartet, dass sie auf eine Lichtung gingen, wo er freies Flugfeld hatte.
„Wir sind ihm direkt in die Falle gegangen.“ flüsterte Kira zitternd.
„Zurück in den Wald!“ rief Lennard und sie rannten los.
Der Gargoyle ließ sich genau zwischen ihnen und dem Wald nieder und versperrte ihnen den Weg.
„In die andere Richtung!“ hauchte Kira, aber kaum waren sie losgeeilt, da versperrte ihnen der Wasserspeier wieder den Weg.
Ein fieses Fauchen entrang sich seiner Kehle und erwartungsvoll leckte er sich mit der Zunge über die Zähne. Da ertönte über ihnen ein lautes Brüllen und unvermittelt stürzte sich Aron auf das gefährliche Wesen. Schon bald hatte sich ein Knäuel aus dem Drachen und den Gargoyle gebildet, die sich bissen und traten und wild Flügelschlagend versuchten über ihren Gegner die Oberhand zu gewinnen. Der Gargoyle war in Sachen Kämpfen viel erfahrener als der Drache, der das ausglich in dem er ihm mit seinem Feueratem einheizte. Verärgert riss sich der Wasserspeier bald darauf von Aron los und flog, da er einige Verletzungen hatte, mit einigen Schwierigkeiten davon, um sich nach weniger gut beschützter Beute umzusehen.
Die Kinder waren immer noch etwas geschockt. Kira ließ sich erleichtert in das Gras plumpsen.
„Den Göttern sei dank bist du gerade gekommen. Dieses Vieh hatte sich sicher schon überlegt wie es uns am besten auffrisst.“
„Wo kommst du überhaupt her?“ fragte Lennard.
„Nun, als ich die Straße gefunden hatte, flog ich zurück zu den anderen, sie hatten gerade irgendwelche Banditen in die Flucht geschlagen. Marek trug mir auf euch zu suchen. Wie ich sehe seid ihr dem Banditen, der euch verfolgt hat entkommen, aber dafür diesem fliegenden Ungetüm in die Ähm ... Flügel gelaufen. Was war das überhaupt für ein Ding?“
Er sah die Kinder fragend an. Da sich Kira denken konnte, dass Lennard es wusste, blickte auch sie ihn an. Sie wurde diesesmal enttäuscht.
„Keine Ahnung.“ sagte Lennard, der sich rücklings ins Gras gelegt hatte.
„Die Frage ist die, wie kommen wir wieder zurück zu den anderen?“ fragte Kira verzweifelt.
„Ich schätze mal das dieses Bächlein früher oder später im Auenfluss mündet. Wir folgen ihm einfach.“ erklärte Aron.


Die Ebene
Zum Glück behielt Aron Recht und bald trafen sie auch auf Marek, Urka und Tharja und alle waren froh die anderen zu sehen.
„Hat euch Aron noch gefunden, ja?“ scherzte der Hauptmann.
„Wir wurden von einer Bestie aus Stein verfolgt.“ berichtete Lennard atemlos.
„Aron ist gerade noch rechtzeitig aufgetaucht. Eine Minute später und dieses Vieh hätte sich unsere Überreste aus den Zähnen gepult.“ fügte Kira hinzu.
Aron schwellte die Brust vor Stolz.
„Was war das denn für ein Wesen?“ wollte Marek nun wissen.
Kira, Lennard und Aron erzählten wild durcheinander und ergänzten sich gegenseitig.
„Bei Skarion.“ sagte Marek und schickte ein kurzes Gebet zu dem Gott des Lichts.
Er war zutiefst erschrocken als er hörte wie dieses Wesen aussah.
„Das war ein Gargoyle, auch Wasserspeier genannt. Das sind Wesen der Finsternis. Eigentlich leben sie im Finsterwinkel. Es ist kein gutes Zeichen, dass sie sich jetzt sogar schon bis hierher vorwagen.“
Marek dachte über den Kurzbericht der Kinder nach und sagte dann: „Dieser Gargoyle befand sich wohl in einer Art Starre. Ich habe gehört das diese Wesen in einen Scheintoten Zustand fallen können um Energie zu sparen und sich dadurch auch sehr schnell von Verletzungen heilen können. Ihr habt es wohl geweckt und daran erinnert auf Futtersuche zu gehen.“
Erst jetzt fiel Kira wieder ein, warum sie eigentlich geflüchtet waren.
„Ich nehme an, dass diese Banditen nicht wiederkommen?“
„Wir haben es ihnen ordentlich gegeben. Du hättest sie sehen sollen, sie konnten genauso gut laufen wie drohen.“
Marek brach in schallendes Gelächter aus.

Wenig später erreichten sie die Handelstraße. Sie führte direkt in die weite Ebene vor ihnen.
„Wenn wir uns immer Richtung Norden halten, kommen wir früher oder später in Burg Hohenwall an.“ sprach der Hauptmann gut gelaunt.
Aron kreiste über ihnen und hielt unablässig Ausschau nach Gefahr. Er fürchtete der Wasserspeier könnte noch in der Nähe sein. Als der Abend anbrach suchten sie sich einen guten Lagerplatz, an dem sie übernachten konnten. Ein Feuer war schnell entzündet, das Essen kurz darauf fertig zubereitet und verspeist und allein Aron schienen die Anstrengungen des Tages nicht berührt zu haben.
„Aufstehen ihr Schlafmützen! Der frühe Vogel fängt den Wurm“ weckte Aron die Gesellschaft.
Es wurde gerade hell und alle waren noch ziemlich müde.
„Ist es wirklich schon Zeit?“ gähnte Lennard.
„Wer hat dir denn den Spruch gesagt?“ erkundigte sich Kira.
„Lenni.“ sagte Aron kurz angebunden.
„Was denn? Es ist doch war.“ erklärte Lennard, der sich gerade genüsslich streckte.
„Aber musstest du ihn gerade Aron sagen? Kein Wunder, dass er uns für Siebenschläfer hält.“
Kira machte es ausgesprochen Spaß sich über etwas so unwichtiges zu streiten, hingegen empfand es Lennard einfach nur als lästig. Den ganzen Tag ritten sie auf der Straße dahin und es gab nichts weiter zu sehen als die Straße und die grasbewachsene Ebene um sie herum. Wiedereinmal konnte Kira Camargo und die anderen Pferde nur bewundern, wie sie es schafften den ganzen Tag zu laufen und auch noch die Menschen und das ganze Gepäck zu schleppen. Während der Reise über die Ebene veränderte sich ihre Laufordnung so gut wie gar nicht. Marek ritt vorne, während die beiden anderen Soldaten ihnen den Rücken deckten und die Kinder in der Mitte reiteten. Aron flog über ihnen her. Menschen sahen sie fast gar nicht, nur hin und wieder begegneten sie einem einsamen Reiter oder einem Händler, der seine Waren an die umliegenden Dörfer verkaufen wollte. Doch egal wem sie auch begegneten, sie alle warfen neugierige Blicke auf Aron, der sie erwiderte. Sie waren nun schon anderthalb Wochen unterwegs und Kira musste oft an ihr zu Hause denken, obwohl ihr die Reise gut gefiel. Es war eben etwas völlig neues für sie auf einer so langen Reise zu sein. Aron war wohl der bestgelaunteste in der Gruppe. Die meiste Zeit in seinem Leben hatte er in einem engen Turm zugebracht. Die große Ebene, die sie durchquerten, machte ihm klar wie groß die Welt war und ab und zu fragte er um Erlaubnis, die Gruppe kurzzeitig verlassen zu dürfen um die Umgebung zu erkunden. Währen der Reise über die Ebene waren Lennard und Kira ganz begierig auf Erlebnisse von Marek, die er während seiner anderen Reisen nach Bretonia gehabt hatte. Da auch Tharja und Urka schon viel in ihrem Leben erlebt hatten, hörten Kira und Lennard auch ihnen gespannt zu. Die Geschichten waren fesselnd und die Kinder fieberten richtig mit und waren manchmal enttäuscht, dass sie so schnell zu Ende waren.

An einem sonnigen Nachmittag konnten sie die kleinen Häuser eines Dorfes in der Ferne sehen. „Das ist Anobeb. Ein kleines beschauliches Dorf, das Burg Hohenwall mit Nahrungsmitteln versorgt.“ erklärte ihnen Marek.
„Sind die Menschen dort gastfreundlich?“ fragte Kira interessiert.
„Oh ja.“ fing Marek an. „Einmal lud mich sogar eine Familie zum Mittagessen ein. Wirklich sehr nette Menschen.“
Er hing eine Weile seinen Gedanken nach und sagte dann: „Bis Burg Hohenwall dürfte es nicht mehr weit sein. Höchstens einen Tagesmarsch. Urka, wie sieht es mit unserem Proviant aus?“
Marek wandte sich zu dem Soldaten um, der in einer Tasche kramte, die seinem Pferd umgehängt worden war.
„Bis nach Burg Hohenwall reicht es noch, aber wenn wir bis nach Bretonia damit auskommen wollen müssen wir knausrig sein.“
„Ich bin nur knausrig wenn es sein muss. In Burg Hohenwall sind Lebensmittel immer recht teuer. Ich sage wir kaufen hier neues Proviant!“
Wie Marek gesagt hatte waren die Menschen hier sehr freundlich, alle grüßten die Reisenden und hatten genug Zeit für einen kleinen Plausch. Die Häuser waren zwar nicht die schönsten und das Dorf war nicht das größte, aber den Menschen schien es gut zu gehen. Neben der Arbeit gab es noch genügend Zeit für einen kleinen Schwatz. Kinder spielten auf den Straßen Banditen und Miliz. Wachen oder Soldaten gab es keine, was hieß, dass sich die Bauern selbst verteidigen mussten. Allein Aron wurde etwas misstrauisch beäugt. Offenbar fürchteten die Leute der Drache könnte sich an ihrem Vieh vergreifen.
„Er ist ein netter Drache. Er stielt kein Vieh.“ beteuerte Kira ein ums andere mal.
Die Menschen waren davon nicht so ganz überzeugt, woraus Kira schlussfolgerte, dass sie schon einmal Tiere an einen Drachen verloren hatten. Marek hatte bald einen Bauern gefunden, der ihm Lebensmittel verkaufen wollte.
„Alles mit viel Mühe hergestellt. In der Stadt schmeckt doch alles schon etwas angefault, aber bei mir ist alles noch frisch und dazu ist es noch preiswert.“ sagte der Bauer.
Er hatte eine kräftige Statur, den Ansatz einer Glatze und einen etwas zahnlosen Mund. Seine Augen strahlten eine gewisse Wärme aus und er lächelte breit.
„Was haben sie denn da?“ erkundigte sich der Hauptmann.
Der Bauer zählte die Lebensmittel an seinen Fingern ab. Kira beschloss sich das Dorf mal genauer anzusehen und streifte ziellos durch die Gegend. Aron hatte sich verdrückt um zu jagen und Kira fragte sich gerade was er jetzt wohl mache, als sie eine kleine piepsige Stimme neben sich fragen hörte: „Bist du das Mädchen mit dem Drachen?“
Sie wandte sich um und sah ein kleines Mädchen, halb so groß wie sie selbst, mit blonden Zöpfen und einer Zahnlücke im Mund.
„Ja. Er ist mein Freund. Wieso fragst du?“
Die Kleine stand hibbelig da und schaffte es schließlich Kira eine Antwort zu geben: „Mein Bruder Timessie wollte mir nicht glauben, dass ein Drache im Dorf ist. Ich wollte nur mal fragen ob du mir vielleicht helfen könntest ihm zu sagen, dass ich Recht habe.“
Die Kleine wartete gespannt auf Kira's Reaktion.
„Wie heißt du denn? Ich bin Kira.“
„Lucie. Kannst du ihm sagen, dass ich Recht habe?“ wiederholte sie ihre Frage.
„Du hast nicht Recht.“
Ein kleiner Junge im selben Alter wie das Mädchen kam zu ihnen gelaufen und stellte sich direkt vor seine Schwester.
„Du hast noch nie einen Drachen gesehen, du bist eine Lügnerin“ sagte Timessie.
„Hab ich wohl.“ entgegnete Lucie.
„Hast du nicht.“
„Hab ich wohl.“
„Nein.“
„Doch.“
„Nein.“
„Doch.“
„Niemals.“
„Oh doch.“
So stritten die zwei Geschwister noch eine Weile und es wäre sicher noch in einem Gerangel ausgeartet, wenn nicht Aron hier gelandet wäre. Seine Flügel schlugen mächtig durch den Wind und verursachten bei jedem seiner Flügelschläge ein lautes flappendes Geräusch.
„Was ist denn hier los?“ fragte er, als er landete und schließlich seine Flügel zusammenklappte, während Lucie und Timessie noch stritten.
Ruckartig hörten sie mit ihrem Gezänk auf und stießen aus: „Es ist ein echter Drache.“
Sie rissen Augen und Münder auf und konnten es kaum glauben.
„Na was dachtet ihr was ich bin? Ein Kaninchen im Schlafanzug?“
Aron lachte über seinen eigenen Witz, was sich bei seiner tiefen Stimme etwas merkwürdig anhörte.
„Ich hab's dir ja gesagt.“
Lucie stieß einen triumphierenden Schrei aus und drehte sich einmal um sich selbst. Ihr Bruder sah betreten zu Boden.
„Na gut, du hast Recht.“
Dann lief der Junge davon. Lucie lief hinter ihm her und trietzte ihn.
Die Nacht verbrachten sie in Anobeb. Sie schliefen in einer leerstehende Hütte und hatten vor am nächsten Morgen weiterzureisen.


Die Gsurus Drachen
Am nächsten Morgen verabschiedeten sie sich recht herzlich von den Dorfbewohnern. Während der weiten Reise nach Burg Hohenwall herrschte gut gelaunte Stimmung, da sie eine weitere Etappe ihrer Reise bald geschafft hatten. Aufgeregt erzählten sie sich die Neuigkeiten, die sie von den Dorfbewohnern aufgeschnappt hatten. Am späten Nachmittag dann erreichten sie Burg Hohenwall. Der Lichtenwald hinter der Burg kam ihnen nach der etwas kargen Ebene sehr lebendig vor. Lautes Vogelgezwitscher begrüßte sie und vor der Burg hatten sich einige Stadtbewohner eine Wiese gesucht um im Freien die Sonne genießen zu können und sich im Gras liegend auszuruhen. Kira und Lennard staunten wie groß Burg Hohenwall war. Sie war sicherlich doppelt so groß wie Gartet. Dieser Eindruck wurde noch von einem riesigen Turm verstärkt, der etwa um die einhundert Meter hoch war. Der Turm hatte große Plattformen an den Seiten und riesige Öffnungen. Kira fragte sich wozu sie dienten. An den Wänden des Tores hingen große Fahnen mit dem Wappen von Bretonos: ein orangener Phönix und ein gelber Hintergrund. Marek amüsierte sich über die erstaunten Gesichtsausdrücke der Kinder.
„Wartet bis ihr Bretonia seht, die Burg dort ist so riesig, dass die Luft oben ganz dünn ist. Allein der Aufstieg dauert mehrere Stunden.“
Anstatt ihre Münder zuzuklappen, drehten sie sich zu Marek und starrten ihn mit aufgerissenen Augen und Mündern an.
„Klappt den Mund zu! Was sollen denn die Leute denken?“
Die Wachen am Tor standen stramm und grüßten die Gruppe als sie näher kamen. Marek war also auch hier sehr bekannt.
„Lord Kils möchte euch sprechen. Er erwartet euch im großen Saal der Burg.“ sagte einer der Wachen, der mit einem großen Schild und einem Speer bewaffnet war.
Als sie durch die Straßen gingen stellten die Kinder fest, dass alle Wege und seien sie noch so eng, befestigt waren. Die Pferdehufe klapperten auf dem Kopfsteinpflaster und Aron's Klauen klirrten. Hier in Burg Hohenwall schien der Anblick eines Drachen schon etwas gewohnter zu sein. Zwar drehten sich die Leute zu ihm um und tuschelten aufgeregt, aber sie sahen nicht so aus, als hätten sie noch nie einen Drachen gesehen. Sie gelangten zur inneren Burgmauer, die die eigentliche Burg von den Häusern der Bürger trennte. Bald darauf gelangten sie in den besagten Saal, der groß und gut dekoriert war. Wandteppiche zierten die Wände und Rüstungen standen glänzend an den Mauern. Lord Kils saß hinter einem riesigen Tisch, der voll beladen mit Karten, Schriftrollen und sonstigen Schriftstücken war. Lord Kils war in ein Gewand gekleidet, auf dem ein orangener Phönix prangte und als er Marek, Kira und Lennard sah, erhob er sich. Aron und die beiden Soldaten waren draußen bei den Pferden geblieben. Aron hätte sowieso nicht zur Tür herein gepasst.
„Seid gegrüßt Hauptmann Marek.“
„Guten Tag, Lord Kils. Wie ich sehe steht es um eure Burg wie immer prächtig.“ sagte Marek und daraufhin sagte der Lord etwas betrübt: „Ich war sehr in Sorge um euch und Gartet, als ich von dem Angriff gehört habe. Zum Glück hat sich alles zum Guten gewendet.“
Das Gespräch dauerte etwas länger. Schließlich hieß er sie herzlich in Hohenwall willkommen und zeigte ihnen wo sie übernachten konnten. Dann führte er sie in der ganzen Burg herum. Burg Hohenwall war noch viel größer als Kira angenommen hatte. Gartet kam ihr jetzt ganz klein und bedeutungslos vor. Sie war beeindruckt von dem wohldurchdachten Straßensystem. Kein Vergleich zu Auenstedt wo alle Straßen und Gassen völlig planlos errichtet wurden waren und nur dem Ziel dienten irgendwie einen Durchgang zwischen den Häusern zu schaffen. Auch Burg Hohenwall hatte Häuser um die eigentliche Burg, doch im Gegensatz zu Gartet war klar zu erkennen das die Burg einem Millitärischen Zweck diente. Lord Kils zeigte ihnen die Orte der Befestigung, die am wichtigsten waren. Dazu gehörte unter anderem eine Kapelle und die wichtigeren Häuser, in denen angesehene Bewohner der Burg wohnten wie der Schreiber, höher gestellte Offiziere, reiche Kaufleute und Priester. Kira erfuhr, dass viele Menschen in Burg Hohenwall sehr Gottesfürchtig waren. Auch in Gartet hatte es sehr viele gegeben, die die Götter verehrten. Es waren ihrer drei: Naurion, Skarion und Arta. Kira hatte noch nie Menschen gesehen, die derart eifrig ihren Göttern huldigten. Es gab festgelegte Zeiten, zu denen die Menschen beteten und Lord Kils erklärte ihnen, dass die meisten Menschen hier den Göttern regelmäßig Opfer in Form von Wertsachen darboten. Kira selbst betete nicht sehr oft. Sie glaubte daran, dass die Götter durch ihr Handeln erkennen würden zu welchen Göttern sie gut stand und zu welchen nicht. Es war allen frei belassen in welchem Maß jeder die Götter anbetete. Jeder Gott stand für andere Dinge, die ihnen dann auch zugeschrieben wurden. Skarion war der Gott des Lichts, der Ordnung und der Gerechtigkeit. Naurion war das Gegenteil zu Skarion. Er war Herrscher über die Dunkelheit, das Chaos und das Reich der Toten. Die Göttin Arta hielt das Gleichgewicht zwischen Licht und Dunkelheit und sorgte dafür, dass keiner der beiden Götter mächtiger als der andere wurde. Sie war auch die Göttin der Natur.
Als Lord Kils und seine Besucher auf den Marktplatz kamen, war Kira erstaunt wie gut sich ihr Vater auskannte. Im Vergleich zu dem Preis, den sie für die Lebensmittel auf dem Land bezahlt hatten, waren die Preise für Lebensmittel hier reinster Wucher. Burg Hohenwall selbst produzierte keine Nahrung und war ganz auf die umliegenden Dörfer und Bauernhöfe angewiesen. Für die Bewohner von Burg Hohenwall wäre es sehr mühsam gewesen ihre Nahrung in den umliegenden Dörfern und Höfen zu kaufen, deshalb machte es ihnen nichts aus etwas mehr für ihre Waren zu zahlen. Es gab zwar das übliche Gemeckere, wie Kira hörte, aber sie wusste, dass es nichts ernstes war. Der Marktplatz wurde nun zunehmend voller, denn die Zutaten für das Abendbrot wurden jetzt gekauft. Marktschreier priesen lauthals ihre Waren an und Kira war froh, als sie diesen menschenüberfüllten Ort wieder verließen. Lord Kils hatte den Turm, der alle anderen Gebäude von Burg Hohenwall überragte, offenbar für den Schluss aufgehoben. Als die Gruppe davor stand mussten sie die Köpfe soweit in den Nacken legen das es schmerzte, um an dem Turm hochsehen zu können. Aron war hellauf begeistert. Er war wie immer guter Laune und konnte es gar nicht erwarten den Turm emporzusteigen. Er hätte zwar hochfliegen können, durch die großen Öffnungen des Turms hätte er ohne Schwierigkeiten gepasst, doch er wollte an Lord Kils Führung durch den Turm teilnehmen. Als sie durch die Tür gingen merkten sie, dass die steinerne Treppe enorm breit und steil nach oben ging, das Treppensteigen war somit sehr anstrengend. Kira hatte noch nie eine so breite Treppe gesehen, Aron konnte sie mühelos ersteigen. Der Turm bot viel Platz und hatte einen Umfang von etwa sechzig Metern. In jeder Etage gab es verschiedene Räume wie Lagerräume, Wohnräume und sogar Räume in denen Ritter mit ihren Waffen trainierten. Nachdem sie in einer Höhe von fünfzehn Metern waren, verschnauften sie kurz, was Lord Kils geschickt einfädelte, denn er wusste wie anstrengend unermüdliches Treppensteigen sein konnte, wenn man es nicht gewohnt war und er war sich sicher, dass seine Begleiter ihre Puste für den nächsten Augenblick brauchen würden. Denn jetzt waren sie an dem Ort, der Burg Hohenwall in ganz Bretonos berühmt gemacht hatte. Lord Kils öffnete eine riesige Tür und sie gelangten in einen gigantischen Raum, der den ganzen Umfang und die restliche Höhe, mindestens achtzig Meter, des Turms ausfüllte. Wie erwartet rangen Lord Kils Besucher nach Atem. Das war der Platz der Gsurus Drachen. Auf den ersten Blick sahen sie fünf grüne Drachen, die sich offenbar in ihrer Sprache hier unten auf dem Boden unterhielten. Aron brüllte vor Freude laut auf. Er hatte noch nie andere Drachen gesehen. Er freute sich wie ein kleines Kind, das Süßigkeiten geschenkt bekommen hatte. Die anderen Drachen sahen sich erstaunt nach ihm um.
Anders als Stirk Drachen standen Gsurus Drachen auf zwei Beinen. Somit hatten sie ihre Arme frei. Sie waren grün, außer ihrem großen roten Kamm, den sie auf ihren Köpfen trugen. Sie hatten keine Dornen oder Stacheln, aber wie alle Drachen hatten sie spitze Zähne und Krallen an den Händen und Füßen. Ein erwachsener Gsurus Drache konnte bis zu drei Meter dreißig hoch und zwölf Meter lang werden. Sie konnten eine beachtliche Flügelspannweite von zehn Metern erreichen und wurden in der Regel dreitausend kg schwer.
Etwas irritiert und misstrauisch sahen die Gsurus Drachen zu Aron hinüber. Kira sah sich, wie die anderen Menschen, interessiert um. Der Turm war so hoch, dass sie die Decke nicht sehen konnte. An den Wänden hingen überall Gebilde, die aussahen wie Höhlen aus natürlichem Stein. Kira konnte sich nicht vorstellen wie diese Höhlen entstanden sein könnten. Hin und wieder sah sie einen Drachen aus einer der Höhlen hervorkommen. Viele steckten die Köpfe aus ihren Behausungen oder glitten nach unten zu den anderen Gsurus Drachen. In regelmäßigen Abständen gab es in allen vier Himmelsrichtungen große Öffnungen in den Wänden des Turms. Auch hier unten auf dem Boden gab es eine. Sie zeigte die Landschaft im Osten.
Nun waren fast ein dutzend Gsurus Drachen auf den Boden des Raumes heruntergekommen. Aufgeregt brüllten sie durcheinander, einige aufgebracht, andere neugierig. Die meisten waren doppelt so groß wie Aron. Der wurde nun ziemlich nervös, da alle Drachen im Raum ihn beobachteten. Ein Drache mit einem besonders rot leuchtenden Kamm brüllte markerschütternd auf. Aron zuckte überrascht zusammen. Erst geschah gar nichts. Dann wurde es ganz still im Turm. Alle Drachen schienen auf etwas zu warten. Kira glaubte ein Geräusch zu hören, das allmählich lauter wurde. Es hörte sich an wie Flügel, die kräftig durch die abendliche Briese schlugen. Das Geräusch wurde noch lauter und dann setzte es aus. Wenig später kam eine Drachendame durch die unterste Öffnung geglitten, die größer war als alle anderen Gsurus Drachen im Turm. Stolz und majestätisch setzte sie auf und klappte ihre Flügel zusammen.
„Was machen die hier?“ fragte Kira Lord Kils leise.
„Ich weiß es nicht. Soweit mir bekannt ist, ist das hier noch nie geschehen.“ antwortete der höchste Mann der Burg.
Die große Drachendame hatte sie offenbar gehört, denn sie blickte Kira kurz an. Ihre Augen sahen Kira wissend an, dann blickte sie wieder zu Aron. Die Riesin setzte sich in Bewegung, wobei die anderen Drachen ihr respektvoll Platz machten. Interessiert ging sie um Aron herum und musterte ihn. Als sie wieder vor ihm stand stieß sie reptilische Laute aus und Aron nahm das Gespräch auf. Alle Drachen beherrschten von Geburt an ihre Sprache. Andere Lebewesen konnten diese aufgrund ihrer Komplexität nicht erlernen. Geräusche die ein Word bildeten, konnten je nach Situation und Gefühl andere Bedeutungen haben. Aber die Drachen verstanden sich in ihrer Sprache exzellent. Nach einigen Minuten war das Gespräch der beiden Drachen beendet. Das große Drachenweibchen stieß nun ein kehlig klingendes Geräusch aus, das durch den ganzen Turm hallte und alle anderen Gsurus Drachen verschwanden vom Boden, einige kehrten in ihre Höhlen zurück, andere flogen nach draußen in den Abendhimmel. Kira war überwältigt von der Stärke und Macht, die diese Wesen ausstrahlten. Aron kam langsam auf Kira zu.
„Worüber habt ihr geredet?“ fragte Kira gleich.
„Sie war erstaunt, dass die Menschen eine andere Drachenart in den Turm gelassen haben und wollte wissen wie es zu der Freundschaft zwischen dir und mir kam. Ich habe alles erzählt. Sie akzeptiert mich jetzt hier, hat mich allerdings gewarnt nichts unüberlegtes zu tun, sonst könnte das böse enden.“
„Woher wusste sie, dass wir befreundet sind?“ fragte Kira überrascht.
„Ich weiß nicht. Sie kam mir allwissend vor. Sie ist die Anführerin hier.“
Kira sah zu der Drachendame hinüber. Sie war die Einzige, die die Neuankömmlinge noch interessiert beobachtete. Kira fühlte sich unwohl. Sie mochte es nicht beobachtet zu werden.
„Habt keine Angst. Freunde der gerechten Drachen sind hier willkommen.“ sagte das große Drachenweibchen auf einmal.
Sie hatte eine tiefe Stimme, die aber dennoch wohlklingend war.
„Du kannst auch die Sprache der Menschen?“ fragte Kira überrascht.
Statt der Drachendame antwortete eine Stimme hinter ihnen.
„Viele Drachen hier beherrschen die menschliche Sprache. Verständigung ist die Basis guter Zusammenarbeit und da wir Menschen ihre Sprache nicht erlernen können, haben viele Drache sich entschieden sich unsere Sprache anzueignen.“
Ein Mann war die Treppe herauf und durch die Tür gekommen. Er war ende dreißig, hatte lange, gelockte blonde Haare und einen Bart. Er hatte einen einfachen Reiseumhang an und an seinem Gürtel war ein edles Langschwert befestigt.
„Seid gegrüßt, ich bin der Drachenreiter Otis. Das ist meine Freundin und Gefährtin.“
Er wies auf die große Drachendame.
„Ich nehme an, sie hat sich nicht vorgestellt?“ fragte Otis lächelnd.
„Man muss ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.“ war ihre Stimme zu hören.
„Ich bin Ankaris von den Lichtbergen.“
Stolz reckte sie ihre Flügel.
„Gut. Wenn ihr erlaubt könnt ihr die Führung durch den Turm fortsetzen, ich habe noch einige wichtige Dinge mit Hauptmann Marek zu besprechen.“ bat Lord Kils.
Otis und Ankaris stimmten zu und schließlich blieben von den Besuchern nur noch Kira, Aron und Lennard im Turm.
„Wie wird man ein Drachenreiter?“ fragte Kira neugierig wie sie war.
Otis überlegte kurz und sagte dann: „Auf der einen Seite kann man durch besondere Leistungen auf Wunsch als Drachenreiter ausgebildet werden. Zunächst wird der Bewerber hier in den Turm geleitet. Wenn bei seinem Auftreten ein Drache Interesse zeigt und sich bereit erklärt werden sie Drache und Reiter. Das ist eine Partnerschaft, bei der beide, Drache und Mensch die selben Rechte und den selben Rang haben. Keiner der beiden ist dem anderen untergeordnet. Außer dieser Auswahlmethode kann man Drachenreiter werden, wenn man bereits einen Drachen als Freund hat. Das kommt allerdings nicht sehr häufig vor.“
„Gibt es viele dieser Partnerschaften hier?“ fragte Lennard.
Ankaris verzog das Gesicht zu einem wölfischen Grinsen.
„Hier mehr als irgendwo sonst, mehr als die Hälfte der Gsurus Drachen hier haben einen Reiter.“
„Kommt! Wir führen euch im Turm herum. Die unteren Etagen habt ihr sicherlich noch nicht gesehen.“
„Otis. Ich werde nicht mitgehen, die unteren Zimmer sind immer sehr beengend und nicht für große Drachen gebaut wurden.“ erklärte Ankaris.
Kurz darauf flog sie aus einer der Öffnungen ins Freie.
Die unteren Räume waren sehr interessant und hätten unterschiedlicher nicht sein können. Es gab Lagerräume, in denen die verschiedenen Waffen der Ritter, die gerade nicht benötigt wurden, aufbewahrt wurden. Kira und Lennard waren erstaunt über die Vielzahl der Armbrüste, Speere, Schwerter, Äxte, Keulen, Hämmer und Bögen. Aron interessierte dies weniger, da er sich nicht extra mit Waffen ausrüsten brauchte. Otis zeigte ihnen auch die Zimmer, in denen die Drachenreiter wohnten. Die Zimmer waren geräumig, doch ein Gsurus Drache hätte kaum Platz gehabt.
„Das die Drachen aufgrund ihrer Größe nicht zu ihren Reitern kommen können ist leider ein Nachteil.“ erklärte Otis, was nur allzu wahr war.
Die Fenster waren von normaler Größe und auch die Tür war nur für menschliche Wesen erdacht, weshalb Aron draußen bleiben musste. Die Räume waren mit Wandteppichen und Gemälden mit Gsurus Drachen geschmückt. Als sie in Otis Zimmer kamen, konnten sie auf dem dort hängenden großen Gemälde Ankaris erkennen, wie sie über Burg Hohenwall flog.
„Jeder Drachenreiter hat ein Abbild von seinem Drachen in seinem Raum hängen, als Hochachtung und Respekt gegenüber ihrem Drachen. Aber jetzt will ich euch etwas ganz besonderes zeigen. Folgt mir!“
Nachdem sie den Wohnbereich der Drachenreiter hinter sich gelassen hatten, durchquerten sie einen großen Raum, in dem einige Ritter mit ihren Fern- und Nahkampfwaffen trainierten. Sie grüßten Otis und übten dann eifrig weiter. Sie kamen bald in eine kleine Kammer und dort, gebettet auf glühenden Kohlen, lagen grüne Dracheneier. Kira, Aron und Lennard eilten gleich zum nächstbesten und bestaunten es. Abgesehen von der Farbe sah es kaum anders aus als das in dem Aron einmal gesteckt hatte.
„Das hier ist so etwas wie eine Kinderkrippe für Drachen. Die meisten möchten ihre Eier selbst ausbrüten, aber wenn sie mit ihren Reitern losziehen bleiben die Eier hier. Hier hat es das Ei warm und ist sicher, beste Bedingungen um zu schlüpfen.“ erklärte Otis.
Erst jetzt bemerkten Kira und Lennard die Hitze in diesem Raum. Es war wie in einem heißen Ofen und bald schwitzten die Kinder mächtig.
„Ich nehme an du hast Aron als Ei gefunden?“ fragte Otis interessiert an Kira gewandt.
„Ja. Ich habe sein Ei im Nest gefunden. Seine Mutter war tot und ich habe es mitgenommen.“ erklärte Kira.
„Traurig.“
Der Drachenreiter machte einen wirklich sehr betrübten Eindruck.
„In der Wildnis kümmern sich viele Drachenmänchen nicht um ihren Nachwuchs und da ist es leider kein Einzelfall, dass die Eier geraubt oder die Nester zerstört werden, da die Drachenmutter auf Jagd ist oder getötet wurde. Zum Glück hast du Aron gefunden. Hier ist es meistens anders. Die Väter kümmern sich ebenso um ihren Nachwuchs wie die Mütter. Aber leider gibt es auch hier manchmal elternlose Drachenkinder, die hier ausgebrütet und dann später von anderen Drachen oder Menschen adoptiert werden. Woher wusstet ihr eigentlich wie man ein Drachenei ausbrütet?“ fragte der Drachenreiter.
Lennard sagte: „Mein Vater arbeitet in der Bibliothek von Gartet, daher konnte ich mir leicht ein Buch über die Aufzucht von Drachen besorgen.“
„Es ist bewundernswert wie gut ihr diese Aufgabe gemeistert habt. In der Regel ist es sehr schwer für Menschen Drachen aufzuziehen, da sie ganz andere Vorstellungen und Lebensweisen als Menschen haben. Dazu kommt noch das Aron kein Gsurus Drache ist. Wirklich erstaunlich.“
Otis hing sichtlich seinen eigenen Gedanken nach. Die Kinder sahen sich begeistert im Raum um, besonders Aron wollte sich jedes Ei einzeln ansehen.
„War ich wirklich mal so klein?“ fragte er seine Menschenfreunde.
„Ja, so winzig war der kleine Aron mal.“ sagten Kira und Lennard im Chor. „Kann ich kaum glauben.“ sagte Aron und betrachtete die Eier fasziniert.
„Was passiert mit den Drachen, die von Menschen adoptiert werden?“ wollte Lennard wissen.
„Ihr seid ziemlich neugierig. Soweit man sich nicht zu weit vorwagt ist das etwas gutes. Die Menschen bekommen ein Zimmer hier im Turm und die Drachen können dort so lange bleiben, bis sie zu groß dafür sind. Dann kommen sie in den oberen Teil des Turmes. Aber nicht jeder Mensch kann einfach einen Drachen adoptieren. Er muss sich als würdig erweisen.“
„Werden die Adoptiveltern später zu Reitern?“ fragte Kira aufgeregt.
„Nun,“ begann Otis „Stirk Drachen sind die einzigen Drachen, die ein solch schnelles Wachstum an den Tag legen. Die meisten Drachen und darunter auch die Gsurus Drachen sind erst nach vielen Jahrzehnten erwachsen. Große Drachenarten wie Bergdrachen sollen ein Jahrhundert benötigen bevor sie das erwachsenen Alter erreicht haben. Gsurus Drachen brauchen dafür etwa sechzig Jahre und nachdem man einen Drachen sechzig Jahre aufgezogen hat ist man selbst zu alt um ein Drachenreiter zu werden, aber manchmal kommt es vor das deren Nachkommen zu Drachenreitern werden. Da Drachen oft viele hundert Jahre alt werden ist es manchmal so, dass die Drachenreiter generationenweise von ihren Kindern als Reiter abgelöst werden. Selbstverständlich nur so lange es der Drache wünscht. Aber so bleibt der Drache viele Jahrhunderte Teil einer Familie.“
Kira war sehr erstaunt. Das es so lange Bindungen zwischen Menschen und Drachen gab, hätte sie nicht für möglich gehalten.
„Wie kam es zu ihrer Freundschaft mit Ankaris?“ fragte Kira.
„Nun,“ sagte Otis zögerlich „ich erzähle nicht jedem meine ganze Lebensgeschichte. Ich habe ohnehin schon mehr gesagt als ich eigentlich vorhatte und außerdem ist es schon spät. Ihr solltet schlafen gehen!“
Mit diesen Worten wandte sich Otis von ihnen ab und ging aus dem Zimmer, vermutlich dorthin wo Ankaris war.
„Hab ich irgendetwas falsches gesagt?“ fragte Kira Lennard.
Der zuckte nur mit den Schultern und wenig später gingen sie den Turm hinunter, durchquerten die nächtlichen Straßen und begaben sich in ihre Schlafquartiere. Obwohl Aron im Turm übernachten könnte, zog er es doch vor, in der Nähe von Kira zu schlafen.


Rätselspiele
Kira wäre gern noch länger in Burg Hohenwall geblieben und als sie ihren großen schuppigen Freund fragte, erfuhr sie, dass es ihm genauso ging, aber die Zeit drängte, sie hatten kaum mehr als eine Woche um nach Bretonia zu kommen.
„Schade. Ich wäre gern noch ein wenig hier geblieben.“ sagte sie während sie Camargo sattelte.
„Du wirst sehen, Bretonia wird dir sicher auch gut gefallen.“ versicherte ihr Marek.
Nach dem ziemlich ausgiebigen Frühstück, brachen sie auf. Etwas bedrückt sah Kira auf die Burg zurück, bevor sie hinter einigen Bäumen verschwand. Marek hatte beschlossen den Weg direkt am Lichtwald fortzusetzen.
„Wir müssen einfach nur am Rand entlangreiten, dann werden wir Bretonia schon irgendwann in der Ferne sehen.“ erklärte Marek.

Sie waren bereits fünf Tagesmärsche von Burg Hohenwall entfernt, ohne das irgendetwas aufregendes passiert war. Manchmal, wenn sich die Landschaft kaum verändern wollte und es nicht viel interessantes zu sehen gab, spielten die Kinder und Aron Rätselspiele.
„Also gut.“ sagte Lennard. „Was hat sechs Beine, läuft aber auf vieren?“
„Ich weiß es.“ kam es sogleich von Aron.
Er liebte Rätsel und in der Regel konnte er sie am schnellsten lösen.
„Das kann ich mir denken, aber weiß Kira es auch?“
Kira zermarterte sich nach der Antwort das Hirn. Sie kam einfach nicht darauf. Anders als Aron mochte sie Rätsel nicht besonders. Entnervt gab sie schließlich auf und sagte bloß: „Ach keine Ahnung, ein Käfer vielleicht, der in die Beinchen klatscht?“
Aron gröhlte laut auf.
„Was? Du bist ulkig. Dabei ist es doch besonders jetzt gerade ganz leicht.“
Aron konnte sich vor lachen kaum halten und vergaß beinahe das Gehen.
„Na wenn du so schlau bist, dann sag doch die Lösung!“ fauchte Kira.
„Na ein Pferd mit seinem Reiter.“ sagte Aron.
„Oh, stimmt.“
Kira schlug sich mit der Hand vor den Kopf.
„Na gut Kira, jetzt bist du dran.“ sagte Lennard.
Kira überlegte eine Weile und als sie einem vorbeifliegenden Vogel nachsah, fiel ihr etwas ein.
„Also gut. Zehn Vögel sitzen auf einem Ast. Wie viele sitzen noch dort wenn man einen herunterschießt?“
„Neun.“ sagte Lennard sofort.
„Nein.“ widersprach Aron. „Gar keiner mehr, weil alle gleich vor Schreck wegfliegen.“
Nun war Aron an der Reihe.
„Ha, da hab ich mal eine Nuss für euch zu knacken: Wenn du nichts siehst, siehst du sie und wenn du siehst, so siehst du sie nicht.“
„Häh, was soll das denn sein?“ fragte Lennard eigentlich sich selbst und nicht die anderen.
Eine Weile überlegten sie. Kira sagte schließlich: „Die Augenlieder.“
„Ach, du kannst deine Augenlieder sehen, wenn du nichts sehen kannst?“ fragte Aron schmunzelnd.
„Dort vorne errichten wir unser Nachtlager.“ rief Marek ihnen zu, während er nach vorn neben einer Gruppe Birken zeigte.
„Was ist denn nun die Lösung, Aron?“ wollte Kira unbedingt wissen.
„Die Finsternis.“ erklärte Aron schulterzuckend und flog los um nach Gefahren Ausschau zu halten.
„Da wäre ich ja in hundert Jahren nicht draufgekommen.“ sagte Lennard zu seiner Freundin.
Wenig später saßen sie alle am Feuer und aßen etwas Proviant. Aron brauchte nichts, er hatte erst vor kurzem gefressen. Auch die Pferde grasten in der Nähe, in respektvollem Abstand zum Drachen.
„Wie lange dauert es noch bis wir Bretonia erreichen?“ fragte Kira.
„Wir erreichen die Stadt frühestens übermorgen früh. Aber morgen können wir sie schon sehen.“ erklärte der Hauptmann.
„Wie das?“ wollte Lennard wissen.
„Lasst euch einfach überraschen.“


Die Hauptstadt von Bretonos
„Los auf die Beine, je eher wir weiterziehen, desto eher sind wir in Bretonia.“ weckte der Hauptmann sie.
Kira rieb sich verschlafen die Augen. Sie hatte gerade einen wundervollen Traum gehabt. Sie hatte geträumt sie könnte auf Aron's Rücken durch die Luft fliegen. Sie hatte sich sogar eingebildet den Wind in den Haaren zu spüren und Aron's Flugbewegungen zu fühlen. In ihrem Traum flogen sie so hoch, dass sie unter sich die Wolken sehen konnten und sie zwischen zwei Welten gefangen schienen: Dem Himmel und den Wolken.
Als sie so auf Camargo dahinritt, dachte sie noch an ihren Traum und lächelte. Auch Aron schien außerordentlich guter Laune zu sein. Er flog sehr hoch und dann legte er die Flügel an und raste waghalsig dicht über dem Boden und an den Bäumen entlang und rief: „Bald sind wir da. Ich kann die Stadt bereits sehen.“
„Wo?“ kam es gleich von den aufgeregten Kindern.
„Menschen können tatsächlich sehr schlecht sehen. Na da vorne, ihr Maulwürfe.“
Er deutete Richtung Westen.
„Freu dich nicht zu früh Aron. Es ist noch ein ganz schönes Stückchen.“ schrie Marek dem Drachen zu, der schon vorausgeflogen war.
„Wenn sie meinen.“ sagte Aron bezweifelnd.
Es sollte noch über zwei Stunden dauern, bis auch die Menschen Bretonia sehen konnten.
„Die ist ja gigantisch. Hat Bretonia keine Häuser, in denen die Menschen wohnen?“ wollte Kira sofort wissen.
„Oh doch, aber im Vergleich zu der Burg sind die Häuser winzig und deshalb sieht man sie im Gegensatz zu der Burg aus dieser Entfernung noch nicht.“ klärte Marek sie auf.
„Kann ich mir kaum vorstellen.“ sagte Lennard beeindruckt und blickte wie hypnotisiert auf das riesige Gebilde in der Ferne.
„Na du wirst es schon noch sehen.“ meinte der Hauptmann.
„Wann werden wir ankommen?“ fragte Urka.
„Ich dachte das hätten wir schon geklärt. Wenn wir die Nacht durchreiten, kommen wir morgen früh dort an. Lasst euch davon nicht täuschen.“
Marek zeigte auf die Burg. Aron landete staub aufwirbelnd neben ihnen. Die Pferde scheuten. Der Drache beachtete sie nicht und fragte: „Ist Bretonia denn nun eine Burg oder eine Stadt?“
„Beides.“ erklärte Kira's Vater.
„In der Mitte steht die Burg, hoch wie ein Berg thront sie über der sie umschließenden Stadt. Bretonia gilt als uneinnehmbar.“
Obwohl sie den ganzen Tag auf die Stadt zuritten, schien es, als würden sie ihr keinen deut näher kommen. Am Abend aßen sie während des Reitens und wie vom Hauptmann angeordnet ritten sie die Nacht durch. Kira wollte eigentlich wach bleiben, aber schon zwei Stunden nach Einbruch der Nacht, fielen ihr die Augen zu. Sie schlief an den Hals von Camargo gelehnt und wachte erst auf als jemand sie anstupste. Es war Aron.
„He Schlafmütze, wie lange willst du denn noch schlafen? Das musst du sehen.“
Müde richtete sich Kira auf. Die Sonne stand noch nicht sehr hoch am Himmel. Als sie in Richtung Bretonia sah stockte ihr der Atem. Sie waren kaum einen Kilometer von der Stadtmauer entfernt. Jetzt konnte man alles ganz genau sehen. Auch Lennard wachte soeben auf und staunte. Die Burg war das erste was sie sahen. Sie war fast unglaubliche eintausend Meter hoch. Die aufgehende Sonne beleuchtete Bretonia in ihrer ganzen strahlenden Schönheit. Die gesamte Burg war aus hellbraunem Stein gebaut und an ihren Türmen und Zinnen hingen orangene Fahnen und Banner, auf denen ein Phönix gestickt war. Um die Burg herum gab es drei Stadtmauern im Abstand von etwa zweihundert Metern. In jedem dieser Ringe standen Häuser und vor der äußersten Mauer gab es eine Unzahl von Bauernhöfen. An denen waren sie schon vorbei und standen vor der Stadtmauer. Wie üblich bewachten zwei Soldaten das Tor. Als die sahen wer da kam, ließen sie sie ein. Die Straßen, durch die sie jetzt ritten, waren durchdacht aufgebaut und folgten einem feststehenden Muster.
„Ich glaub ich habe noch nie so viele Menschen gesehen.“ entfuhr es Kira.
„Ja, in Bretonia leben etwa 137.500 Menschen. So viele wirst du wohl nirgends sonst in Bretonos zu Gesicht bekommen.“
Damit hatte Marek völlig Recht. Überall gingen die ansäßigen Menschen ihren Tätigkeiten nach, aber viele kamen herbeigelaufen um die Gruppe der Reisenden zu begrüßen.
„Bretonia hat drei Stadtmauern, die zur Burg hin höher werden. Sollte einmal der Fall eintreten, dass ein Ring der Stadt an einen Angreifer verloren geht, können sich die Verteidiger in die hinteren Ringe zurückziehen und auf die Angreifer schießen, wobei sie einen Vorteil haben, da sie höher stehen als die Angreifer.“ erklärte Marek.
Kira war erstaunt, Bretonia stellte alles was sie erwartet hatte in den Schatten. Sie waren jetzt an der zweiten Stadtmauer angelangt und wieder ließ man sie ohne Federlesen passieren. Schon jetzt musste man sich den Hals verrenken um zu der Burg hoch zu schauen.
„Ich hätte nie gedacht, dass irgendein Lebewesen dazu fähig wäre so etwas zu bauen.“ bemerkte Aron, der hellauf begeistert ob der großen Stadt und ihrer vielen Menschen war.
„Ja. Das beeindruckt wohl jeden. Es heißt es hat über einhundert Jahre gedauert, die Burg zu errichten. Die Menschen, die das Fundament legten, konnten somit leider nicht miterleben wie der letzte Stein auf den höchsten Turm, dem Turm der Magier, gelegt wurde.“
Er deutete auf vier hochaufgeschossene Türme mit roten Ziegelsteinen auf den Dächern. Während Marek sprach sah sich Kira unablässig um. Die Menschen hier machten einen glücklichen und sorgenfreien Eindruck. Es gab niemanden der Hunger leiden musste.
Abgesehen von der Burg und den Häusern, gab es eine Kathedrale, die zwar zehn mal so groß wie die Häuser war, aber nichteinmal über den Fels hinausragte, auf dem die Burg erbaut war. Es gab auch diverse Handelsgilden, Turnierplätze und mehr, alles was zu einer Stadt gehörte.
Sie hatten nun die dritte Stadtmauer erreicht. Auch hinter ihr gab es noch viele Häuser. Die Straße führte jetzt zu einer Brücke, die über dem großen Burggraben erbaut war. Kira war ganz aufgeregt. Sie wusste gar nicht wohin sie zuerst sehen sollte. Sie sah etwas von einem Turm der Burg aufsteigen, der eine Art Kuppel auf Säulen als Spitze hatte.
„Was ist das?“ fragte sie sofort.
„Ein Hippogreif.“ antwortete ihr Vater.
„Etwa so einer wie der Botschafter Wollon einen hat?“ forschte sie weiter.
„Genau. Er kam direkt von hier. Hippogreife werden in Bretonia als Reit- und Kampfgefährten ausgebildet.“
Sie ritten über die große Brücke, die etwa zwanzig Meter breit war. Das Wasser im Burggraben war erstaunlich sauber und klar. Fische schwammen darin und ab und zu sprang einer aus dem Wasser nur um gleich darauf wieder im Nass zu verschwinden.
Die Spitze der Burg konnten sie längst nicht mehr erkennen. Jetzt stieg der Weg stark an und nun erreichten sie das Burgtor, das fast zwanzig Meter groß war. Die wichtig aussehenden Soldaten, die es bewachten, öffneten es für sie und die Gruppe gelangte nun endlich in die Burg. Zuerst wanderten sie einen offenen Korridor entlang.
Die Wände waren so hoch, dass man ihr oberes Ende kaum ausmachen konnte, doch sie konnte oben den Himmel sehen. Ihre Pferde schnauften. Der unaufhaltsame Aufstieg erschöpfte sie. Doch es lohnte sich allemal. Endlich waren sie oben angelangt. Einige Stallburschen nahmen ihnen die Pferde ab. Kira erschrak als sie merkte, dass es schon Mittag war. Sie waren den ganzen Morgen geritten um hierher zu gelangen, zu einer Plattform oben auf der Burg. Sie war gute einhundertsechzig Meter breit und achthundertfünfzig Meter lang. Auch hier oben standen einige Häuser. Darin wohnten die Ehrengarde des Königs, wie Marek erklärte. Kira fand, dass sie sehr groß aussahen und dennoch war die Aussichtsterrasse so riesig, dass die Häuser kaum ins Gewicht fielen.
„Es fällt schwer zu atmen.“ meinte Lennard und holte hörbar Luft.
„Das ist die Höhenluft. Wenn es regnet merken die hier oben es zuerst.“ sagte Marek lachend.
Kira rannte zum Rand des Geländes und blickte hinunter. Sie hielt den Atem an. Beinahe wäre sie bewusstlos geworden. Sie konnte die ganze Stadt überblicken.
Von hier oben konnte sie sogar die Lichtberge sehen, die viele Tagesmärsche entfernt lagen. Bäume waren von hier oben nur als dunkelgrüne Flecken auszumachen. Etwas unter ihr befanden sich zwei große Türme.
„Was sind das für Türme?“ fragte sie ihren Vater, der zu ihr gegangen war.
„Der Rechte ist der Turm der Fußsoldaten, der Linke der Turm der Bogenschützen. Dort haben sie ihre Quartiere und ihre Übungsplätze.“
Jeder der Türme würde Platz für hunderte von Menschen bieten und doch waren sie nur ein kleiner Teil der Burg. Kira sah auch die vier Türme der Magier, die neben dem Turm der Bogenschützen aufragten. Kira drehte sich um. Die Burg endete hier in einem riesigen Rathaus. Marmorne Stufen führten zu einem fünfundvierzig Meter hohem Tor, über dem sich ein großes Buntglasfenster befand. Statuen in Gestalt von Phönixen und von der Größe des Tores umringten das Rathaus. Große längliche Fenster ließen Licht in das Gebäude, das so groß wie ein Stadtteil von Gartet war.
„Dort lebt der König.“ sagte Marek leise zu seiner Tochter. „Und er will dich sehen. Dich, Lenni und Aron.“ Er blickte Kira tief in die Augen. „Das ist eine große Ehre für euch und ich möchte, dass ihr dem König Respekt entgegenbringt. Unterbrich ihn unter keinen Umständen, egal wie wichtig das ist, was du zu sagen hast.“
Kira nickte und sie gingen auf das Rathaus zu um mit König Airen zu sprechen.


Des Königs Angebot
Die vier Wachen vor dem Tor erkannten Marek. Einer von ihnen kam gerade aus dem Rathaus und sagte: „Der König erwartet euch.“
Das Tor schwang auf und Marek, Aron, Kira und Lennard traten ein. Urka und Tharja hatten sich bereits bei ihrem Hauptmann abgemeldet und sich auf den Weg zur nächsten Taverne gemacht. Nachdem sie die ganze prachtvolle Stadt gesehen hatte, konnte Kira kaum glauben, dass sie noch staunen konnte. Ihr offenbarte sich eine riesige Halle, die komplett aus Marmor bestand. Der Fußboden war so sauber, dass sie darauf achten musste nicht auszurutschen. Eilige Diener rannten umher um ihre Herren mit allen Annehmlichkeiten zu versorgen, die sie verlangten. Einer der Elitesoldaten des Königs, er trug eine vergoldete Rüstung, einen Breitschild und ein edles Langschwert, zeigte ihnen den Weg zu dem Saal, in dem der König sie empfangen wollte. Kira fiel auf, dass hier alles übermäßig groß war. Die Fenster, die das Licht einließen, die Türen aus den edelsten Hölzern, die Räume selbst, von denen jeder höher als ein ganzes Haus war, selbst die Gänge, die die Dienstboten benutzten waren mehrere Meter breit.
Als der Elitesoldat sie in einen Zwischenraum führte, von dem alle möglichen Gänge der Dienstboten abführten, sagte er: „Geht bis ihr zu den Stufen des Raumes kommt.“
Kira verstand zuerst nicht, aber als der Soldat die große Tür öffnen ließ, wusste sie was er meinte. Der Empfangssaal war fast so hoch wie das Rathaus selbst. An der Decke befand sich eine große Glasscheibe von der Form eines Sterns. Der Saal bestand aus Marmor. Auch hier gab es die großen langen Fenster, die sie von außen gesehen hatten. Säulen schmückten die Wände des Saals und auf ihren Sockeln standen Phönixe aus Granat. An der Stirnseite des Raumes stand der Thron. Natürlich saß dort der König. Er hatte einen roten, wohlgepflegten Bart und rote, gelockte lange Haare. Er war durchschnittlich groß und entsprach vollends dem Bild, das sich Kira von einem König gemacht hatte: majestätisch und eine gewisse Macht ausstrahlend. Auf seinem Haupt trug er eine goldene Krone, in der Diamanten, Rubine, Smaragde, Amethyste und Saphiere eingelassen waren. Er trug goldbestickte Kleidung, aber sein Umhang war mit einem orangenen Phönix versehen. Kira sah auch, dass er sein sagenumwobenes Schwert trug um das sich viele Legenden rankten. Es trug den Namen Skarions Gerechtigkeit. Es wurde erzählt, dass es aus einem Metall bestand, das unverwüstlich war, und daher weder zerbrach noch schmolz oder sonstigen Schaden erlitt. Es wurde niemals stumpf. Wegen dieser Eigenschaften wurde dem Schwert nachgesagt es sei von Skarion selbst gefertigt um seinen Streiter gut auszurüsten. Niemand wusste woher es stammte, was diesen Glauben noch erhärtete. In seinem Knauf war ein großer Kristall eingebettet, der das Licht der Sonne reflektierte. Zu beiden Seiten des Königs standen seine Berater. Die Frau mit den langen schwarzen Haaren und dem hübschen Gesicht war Karessa. Es hieß es gab keine bessere Diplomatin im Lande. Der Mann war schon sehr alt und gebrechlich. Seine weißen Haare fielen strähnig über seinen Kopf. Sein Name war Tras und er war der Berater für soziale und wirtschaftliche Belange. Und natürlich gab es des Königs engsten Gefährten. Er saß auf einer goldenen Stange neben dem Thron. Es war ein Phönix. Seine Federn sahen aus wie Feuer. Sie bewegten sich, züngelten manchmal, wurden leuchtender und wieder dunkler.
Kira war fest davon überzeugt, dass seine Federn tatsächlich aus Feuer bestanden. Er sang ein melodisches Lied und schlug einmal kurz mit den Flügeln, die aufzulodern schienen.
In den Boden war ebenfalls ein Phönix eingelassen. Das Bildnis war beinahe so groß wie der Raum.
Sie gelangten zu den Stufen, die „Treppe“ wie der Elitesoldat gesagt hatte. Doch es schien tatsächlich als würden sich der König und seine Berater auf einem Treppchen befinden.
„Willkommen in Bretonia. Ich habe schon auf euch gewartet.“ sagte König Airen.
Er hatte eine klare, wohlklingende Stimme. Die Reisenden verbeugten sich.
„Ich hoffe die Reise hierher hat euch nicht zu sehr angestrengt.“
Der König stand auf, was an sich schon ungewöhnlich war und kam näher um sie zu mustern.
„Du bist Kira, nicht wahr?“ fragte er ruhig.
Er hatte ein Lächeln auf dem Gesicht.
„Ja euer Hoheit.“ sagte Kira höflich.
Als sie sich alle vorgestellt hatten, forderte König Airen Kira auf von dem Angriff auf Gartet zu berichten. Er wollte dabei genau wissen welche Rolle sie, Lennard und Aron in diesem Kampf gespielt und wie genau Aron die Greife getötet hatte. Er bat Kira dann ihm zu erzählen wie sie Aron aufgezogen hatten. Als Kira endete war sie heiser und es war Nachmittag. Der König saß wieder auf seinem Thron und überlegte. Kira war in brütendes Schweigen verfallen. Niemand wagte den König aus seinen Gedanken zu reißen.
Schließlich sagte er: „Kira, Aron. Der Kampf in Gartet hat mir gezeigt aus welchem Holz ihr geschnitzt seid. Ich möchte euch ein Angebot machen. Tretet in meinen Dienst. Ihr werdet hier in Bretonia ausgebildet und dann wird es eure Aufgabe sein für Recht und Ordnung zu sorgen. Ihr werdet zu Drache und Reiter, Gesetzeshütern, Bewahrern des Friedens und falls es zu einem Krieg kommen sollte werdet ihr für das Volk von Bretonos kämpfen, dass es dann zu schützen gilt. Euer Leben wird aufregend sein. Aber seid euch auch der Gefahren bewusst, wenn ihr mein Angebot annehmt. Wenn ihr eure Sache gut macht werdet ihr niemals Hungern müssen und das Volk wird euch respektieren und zujubeln.“
Von allem was Kira erwartet hatte, war es das gewesen wovon sie nie zu träumen gewagt hätte. Sie sollte eine Drachenreiterin werden und vor allem würde sie Abenteuer erleben, was sie schon immer wollte. Sicher, es würde hart werden, aber das würde sie gerne in Kauf nehmen. Sie wollte nicht irgendwelche langweiligen Arbeiten verrichten wie weben, kochen oder sauber machen. Sie wollte keine Arbeit, die in Monotonie ausartete, bei der sie schon am Vorabend wusste was, wie jeden Tag, geschehen würde. Sie sah zu Aron, der geradezu begeistert von dem Angebot schien, freudig mit dem Schwanz wedelte und aufgeregt die Flügel spannte. Dann sah Kira zu Lennard und ihrem Vater. Lennard war verblüfft. Ihr Vater jedoch schien etwas derartiges erwartet zu haben.
'Wieso hat er mir nichts gesagt? Vielleicht war er sich nicht sicher und wollte meine Enttäuschung nicht sehen, falls der König mir ein anderes Angebot gemacht hätte?' überlegte Kira.
„Was ist mit Lennard? Kann er auch in euren Dienst treten, Majestät?“ fragte Kira.
Der König schien ob der Frage keineswegs erstaunt.
„Wenn das sein Wunsch ist, ist nichts dagegen einzuwenden.“ sagte der König erhaben.
Aron, Kira und Lennard sahen sich an, dann sagten sie einstimmig: „Wir nehmen euer Angebot an, euer Hoheit.“

Als sie wieder in den Raum zwischen Thronsaal und Vorhalle kamen, sprang Kira jubelnd in die Luft. Sie umarmte Aron, der eine kleine Stichflamme aus seinem Maul schießen ließ. Zum Glück war der Raum so groß, dass er nichts versengte.
„Zünd hier ja nichts an!“ sagte Marek streng.
„Ach Vati, ich weiß gar nicht wie du in so einem Moment rumnörgeln kannst.“ entfuhr es Kira.
Marek setzte einen, ich weiß alles besser als du Gesichtsausdruck auf und sagte: „ Nun, es ist ja nicht so, dass ich mich nicht für euch freuen würde, aber ich glaube ihr stellt es euch viel zu leicht vor. Die Ausbildung ist kein Zuckerschlecken.“
„Zusammen kriegen wir das schon hin.“ erklärte Aron und Kira und Lennard stimmten ihm freudestrahlend zu.
„Na gut. Vielleicht habt ihr Recht. Lasst uns den Augenblick einfach genießen. Am besten wir gehen ersteinmal etwas essen.“ gab sich Kira's Vater geschlagen.

Der Speisesaal der Burg befand sich in ihrer Mitte. Kira hatte noch nie einen so großen Raum gesehen. Er war zwar nicht so hoch wie der Thronsaal des Königs, aber um etliches breiter und länger. Marek erklärte, dass fast alle Bewohner der Burg, abgesehen von den wichtigeren Leuten, die ihr Essen in ihren Räumen zu sich nehmen konnten, hier aßen. Der ganze Raum war mit Stühlen und Tischen voll gestellt. Aron rempelte diese beim durchgehen immer mal wieder um, die er dann, peinlich berührt, wieder aufstellen musste. Die größeren Tische waren für ganze Organisationseinheiten der Burg gedacht. So war es üblich, dass alle Bogenschützen einer Einheit zusammen speisten. Es gab drei Stände, an denen Essen ausgegeben wurde, da man sonst zu lange zu seinem Platz laufen musste, so dass das Essen schon wieder kalt wäre. Jeden Tag konnte man sich von drei Gerichten eines aussuchen.
Bald saßen sie an einem Tisch und ließen sich ihr Essen schmecken. Aron hatte kurzerhand einen benachbarten Tisch zur seite geschoben um ausreichend Platz zu haben. Eigentlich war es nicht üblich, dass Drachen hier aßen, aber man beschloss eine Ausnahme zu machen, da sie neu waren. Jetzt schlabberte Aron von dem Schafsblut, das ihm zwei Küchenjungen in einem großen Bottich gebracht hatten. Lennard kaute seinen Kartoffelbrei mit Würstchen und fragte den Hauptmann: „Wollte der König nicht noch mit ihnen über den Angriff auf Gartet reden? Wie jetzt alles weitergehen soll und so?“
„Ja. Die Unterredung wird heute Abend, kurz nach Sonnenuntergang stattfinden.“

Wie geplant verließ Marek die anderen kurz vor Sonnenuntergang um an dem Gespräch teilzunehmen, das wahrscheinlich das Schicksal aller in Bretonos beeinflussen würde. Aron und seine jungen Menschenfreunde hockten in dem ihnen zugewiesenen Zimmer. Es war geräumig und sie hatten alles was sie brauchten. Das Aufsehenerregendste war ein edler Wandteppich, der einen Hippogreif zeigte. Lennard lief nervös im Raum auf und ab, während Kira auf dem Bett saß und vor sich hin brütete.
„Gleich entscheiden sie darüber, ob es Krieg oder Frieden geben wird und wir können nichts weiter tun als rumsitzen und warten.“
„Wir können etwas tun. Ich habe einen Plan.“ sagte Kira mit verschwörerischer Stimme.
„Schieß los!“ sagte Aron aufgeregt.
„Als wir vorhin zum Thronsaal geführt worden sind, fielen mir einige Dienstbotengänge auf. Ich bin mir fast sicher, dass einer davon über den Saal zu der Scheibe an der Decke führt, schließlich muss auch sie gereinigt werden, damit sie das Sonnenlicht so schön reflektiert. Zu dieser Scheibe werden wir gehen. Mit etwas Glück können wir sie dort belauschen.“
„Kira bist du verrückt geworden? Du kannst doch nicht den König belauschen. Außerdem erzählt uns dein Vater sowieso alles, wenn er zurück ist.“ meinte Lennard.
„Darauf würde ich aber nicht wetten. Wie ich ihn kenne fasst er die Stundenlange Diskussion in zwei Sätzen zusammen. Ich will aber alles hören, schließlich werden wir ab jetzt für den König arbeiten, da will ich auch wissen was los ist.“
Kira blieb stur.
„Der Plan ist zwar etwas waghalsig, aber ich zeige genauso viel Interresse an dem Gespräch wie Kira. Ich werde sie begleiten.“ sagte Aron mit tiefer Brummstimme.
„Ihr seid verrückt. Ihr seid beide total durchgeknallt. Ich werde nicht mitgehen. Sie werden euch sicher erwischen. Zu so etwas verrücktes lass ich mich nicht ein. Ihr solltet froh sein, dass ihr zu Drache und Reiter ausgebildet werdet.“ sagte Lennard.
„Ist das dein letztes Wort?“ fragte Aron noch.
Lennard nickte stumm, den Rücken ihnen zugewandt.

Nun saßen Aron und Kira auf der großen Glasscheibe, die Ohren an das Glas gepresst um möglichst viel zu verstehen. Bisher hatte es nur die üblichen Begrüßungsformalitäten gegeben.
Es hatte tatsächlich einen Gang hier rauf gegeben. Als Aron sich auf das Glas legte um wie Kira zu lauschen, hatte die Scheibe gefährlich geknirscht. Für einen Moment hatte Kira geglaubt, sie würde zerbrechen.
Unten stand jetzt ein großer Tisch. Der König an der Stirnseite saß mit neun anderen Leuten an ihm. Zum einen gab es da seine zwei Berater Karessa und Tras. Dann Marek, der Stadthalter von Waldtenstedt, dessen Namen Kira nicht verstanden hatte, Lord Kils, ein anderer Lord von der Burg Frostgard mit Namen Schneefall und drei Elfen. Die Elfen waren von ihrer Königin entsandt wurden um an der Diskussion teilzunehmen. Neben den Menschen wirkten sie viel gebildeter, aber auch zerbrechlicher. Sie hießen Glundrien, Alra und Blana. Glundrien, der männliche Elf, erhob das Wort und eröffnete damit auch die Diskussion.
„Nun eigentlich hätte all das verhindert werden können. Wieso habt ihr Menschen nicht schon viel eher von dem Angriff erfahren? Die Burg Cantan wurde doch gerade deswegen errichtet, um vor feindlichen Angriffen zu warnen. Soldaten patroullieren an den Grenzen. Sie hätten die Greife sehen müssen.“
Kira merkte, dass sie diese Person nicht leiden konnte, obwohl sie sich selbst nicht erklären konnte wie die Greife ungesehen in das Land eindringen konnten. In der Burg Cantan wurden speziell zu Observierungszwecken Greifenreiter ausgebildet.
„Nun, vielleicht konnten die Feinde entsprechende Gegebenheiten ausnutzen und so ungesehen in Bretonos eindringen.“ sagte König Airen.
„Sie meinen ihren Soldaten ist ein Fehler unterlaufen.“ zeterte Glundrien weiter. „Das ist wiedereinmal ein Zeichen für die Inkompetenz der Menschen.“ fuhr er fort.
„Als wenn Elfen keine Fehler machen.“ erhob der Stadthalter von Waldtenstedt das Word.
„Bei weitem nicht so viele wie ihr Menschen. Ich kenne jedenfalls kein Sprichwort das „Irren ist Elflich“ heißt.“ sagte Glundrien.
Es drohte in einen großen Streit auszuarten. Der König erhob sich und sagte: „Nun sie müssen ja nicht mit solch „Inkompetenten“ Lebensformen wie uns diskutieren. Wir halten sie nicht auf. Dort ist die Tür.“
Er machte eine Handbewegung zu ihr hin und setzte sich wieder.
Glundrien wollte etwas erwiedern, besann sich dann aber und sagte nichts mehr. Alra sagte ihm er solle sich nun endlich beruhigen.
„Nun wie auch immer es die Waldgreife und ihre Reiter geschafft haben, sie sind ungesehen in Bretonos eingefallen und haben Gartet angegriffen. Mich würde nun aber interessieren, ob es tatsächlich Soldaten von König Eisenfaust waren, oder nur eine plündernde Bande.“
Da sie nicht schrie konnte man erstmals erkennen, welch helle und melodische Stimme die Elfen hatten. Marek sagte: „Nein. Wir haben sie genau untersucht bevor wir ihre Leichen verbrannt haben. Es waren die Soldaten von Eisenfaust. Garantiert.“
„Ich schlage vor Hauptmann Marek berichtet uns ganz genau was passiert ist.“ sagte Lord Schneefall ruhig.
Also wurde wiedereinmal berichtet was in Gartet geschehen war. Nachdem Marek seinen Bericht vorgetragen hatte grübelte jeder vor sich hin.
König Airen durchbrach die Stille: „Wichtig ist auch warum König Eisenfaust uns angriff. Es gab keine Provokation unsererseits.“
„Ich nehme an dieser gemeine Hund will einen Krieg anfangen. Er will sicher unser Land erobern.“ sagte Lord Kils.
„Da können wir uns aber nicht sicher sein. Ich schlage vor wir warten ob er nocheinmal angreift und falls das geschiet schlagen wir zurück.“ sagte Karessa ausdrucksstark.
„Was für eine großartige Taktik. Tun wir einfach nichts und warten bis wir überrannt werden.“ sagte Lord Kils sarkastisch.
„Lord Kils hat Recht. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass König Eisenfaust seine Truppen schon vor Jahren mobil gemacht hat. Er wird wieder angreifen.“ unterstützte Lord Schnefall den Burgherr von Burg Hohenwall.
„Ich stimme nicht zu.“ erwiderte die Elfe Blana. „Vielleicht hat er gesehen, dass sein Angriff nichts gebracht hat und erwägt deshalb keinen Krieg.“
Sie wurden immer lauter. Ihr Geschrei hallte in dem großen Saal wieder.
„Ruhe!“ rief König Airen.
Er war abermals aufgestanden. Seine Krone und Skarions Gerechtigkeit schimmerten im Kerzenlicht.
„Ich schlage vor wir stimmen ab. Wer dafür ist einen Gegenangriff zu starten hebt jetzt die Hand.“
Die Lords Kils und Schnefall sowie der Stadthalter von Waldtenstedt hoben ihre Hände. Sie wussten schon, dass sie ihren Willen nicht durchsetzen konnten, denn es stand drei zu sieben.
„Und jetzt heben alle die Hand, die dafür sind zu warten ob König Eisenfaust nochmals angreift!“
Alle anderen hielten ihre Hände erhoben.
„Gut somit steht fest: Wir greifen nicht an und warten auf seine nächsten Schritte. Die Diskussion ist beendet.“ sagte der Monarch.
Alle standen auf und wandten sich zum gehen. Auch Kira erhob sich. Sie streckte sich, denn ihre Glieder waren ganz steif vom liegen auf dem Glas geworden.
„Komm Aron, gehen wir. Es ist vorbei.“ flüsterte sie.
Aron stand auf, es gab ein immer lauter werdendes Knacken und dann einen ohrenbetäubendes Kracks, mit der das Glas zerbrach. Kira schrie auf als der eben noch feste Boden unter ihren Füßen zerbröselte. Wie ein Stein fiel sie immer tiefer. Um sie herum flogen die Scherben, in den Farben des Regenbogens glitzernd, mit ihr nach unten. Der Boden kam immer näher und als sie erkannte, dass sie sich das Genick brechen würde, packten sie zwei Krallen bewährte Füße um die Hüfte und hielten sie fest. Ihr Herz machte einen erleichterten Hüpfer. Die Scherben, die nun überall verstreut waren, wirbelten vom Boden auf als Aron landete. Die hochrangigen Personen, die eben noch gehen wollten, standen wie zu Eis gefroren da und starrten sie an. Kira war rot vor Scham. Noch nie war ihr etwas in ihrem Leben so peinlich gewesen.
„Oh, ähm. Hallo.“


Putzteufel
Es hatte einen ziemlichen Krawall gegeben. Die Einzigen die ruhig geblieben waren, waren Aron, Kira und König Airen. Der Herrscher über ganz Bretonia hatte sich sogar etwas amüsiert. Dennoch bekamen Aron und Kira eine Strafe auferlegt. Er würde ihnen das Geld für eine neue Scheibe von dem Lohn abziehen, den sie nach der Ausbildung erhalten würden. Außerdem sollten sie die Aussichtsterrasse vor dem Rathaus reinigen bis alles sauber war.
Am nächsten Morgen standen Aron und Kira dort wo sie sauber machen sollten und taten dies. Aron hatte nasse Lappen an den Füßen um beim gehen gleich mal zu wischen. Im Maul trug er einen Eimer, aus dem Kira ab und an ihren Lappen auswrang oder neues Wasser in ihm aufsaugen ließ um mit ihm den Boden zu wischen. Sie musste eine Kittelschürze tragen in der sich noch andere Lappen und weitere Putz Utensilien befanden. Jeder, der hier oben vorbeikam, wusste was passiert war und musste unfreiwillig lachen. Einen Drachen und seine Gefährtin beim putzen zu sehen war doch ein sehr ungewöhnlicher und komischer Anblick. Es war Kira und Aron zutiefst peinlich. Jedesmal wenn jemand lachte wurde das Mädchen rot, Aron sah man es wenigsten nicht an, da er sowieso rot war. Doch von allen lachte Lennard am meisten. Er saß in ihrer Nähe auf einem eigens dorthin gebrachten Stuhl und bekam sich nicht mehr unter Kontrolle.
„Das hat die Welt noch nicht gesehen.“ sagte er lachend und sich den Bauch haltend. „Tut mir ja wirklich leid, aber wenn man euch beide so sieht, kann man gar nicht anders....“
Er lachte weiter und kullerte sich auf dem Boden.
„Diese Schulappen, die Schürze... Haha, Aron als Eimerträger Haha....“
„Es hätte für euch viel schlimmer kommen können. Es hätte als Attentat auf den König gewertet werden können. Die Strafe wäre der Tod. Daher hätte diese Strafe hätte gar nicht milder ausfallen können. Ich hatte eigentlich erwartet, dass er euch das Recht entzieht als Drache und Reiter ausgebildet zu werden.“ sagte Kira's Vater, der sich schon Stundenlang über Kira's und Aron's Verhalten aufregte.
„Du hast da einen Fleck übersehen.“ machte er Kira darauf aufmerksam, während Lennard längst aufgegeben hatte sich zu halten und fast an seinem Lachen erstickte.
Marek ging nun um sich anderen Beschäftigungen zu widmen. Bekümmert besah sich Kira das kleine Stückchen, das sie in den bisherigen Stunden gewischt hatten.
„Das dauert Jahre bevor das sauber ist.“ beschwerte sich Kira.
„Du untertreibst, Jahrzehnte wohl eher.“ sagte Aron wobei der Eimer in seinem Maul bedenklich hin und her schwang.
Kira seufzte.
„Wenn es doch bloß regnen würde, das einzige was wir dann noch zu tun hätten, wär einmal drüberwischen.“ sagte sie deprimiert.
Aron ließ den Eimer fallen.
„Das ist es. Ich kann aus dem Burggraben Wasser holen und es hier drüberschütten. Der Dreck schwimmt dann von ganz alleine weg.“
Kira zweifelte.
„Ach ich weiß nicht ob der Burggraben sauber genug dafür ist.“
„Ts, ts, ts, Kira da leben gesunde, muntere Fische drin. Wie sauber soll es denn noch sein?“ fragte Aron.
„Na gut, aber hoffentlich bekommen wir dadurch nicht noch mehr Ärger.“ gab sich Kira geschlagen.
„Bind mir nur schnell die Lappen ab! Sie sind lästig beim fliegen.“
Nachdem der Drache von den Lappen befreit war, hob er ab um einen in der Nähe befindlichen Bottich, der als Auffangsgefäß für Regenwasser diente, zu holen. Das darin befindliche Wasser, schüttete er sofort über den Boden. Wie er vorausgesehen hatte, schwammen große Dreckteile sofort an einen anderen Platz, allerdings nicht weit, da es zu wenig Wasser gab. Aron flog die Burgmauer im Sturzflug hinunter, runter zum Burggraben, füllte dort den Bottich mit Wasser und flog wieder hinauf. Nun, da das Gefäß mit Wasser gefüllt war, war es wesentlich schwerer und Aron musste sich ganz schön anstrengen um es bis nach ganz oben zu schaffen. Dort angekommen, schüttete er das Wasser sogleich auf die Plattform.
Einige Stunden später war dort kein trockener Fleck mehr zu finden. Nun war Kira damit beschäftigt den Dreck mithilfe eines Besens von der Plattform zu entfernen. Lennard hatte aufgehört zu lachen und half ihr dabei.
Die Sonne ging unter und beleuchtete ihre an diesem Tag verrichtete Arbeit. Die Plattform hatte begonnen zu trocknen, abgesehen von kleinen Dreckflecken war dieser Ort nun sauber. Kira fegte gerade den letzten Dreck weg, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und sah sich dann nach ihren Freunden um. Sie glaubte jemanden auf den Stufen, die zum Rathaus führten, zu sehen. Kira war sehr erschöpft. Sie brauchte einige Minuten um zu erkennen wer es war. Niemand anders als König Airen kam jetzt auf sie zu. Um ihn herum flog sein Phönix. Der Phönix sah aus wie der Widerschein des Sonnenuntergangs und sang sein helles Lied. Aron war zu Kira gekommen. Er war genauso erstaunt wie sie.
„Ihr habt eure Arbeit gut gemacht, denn wie ich sehe, ist der Dreck verschwunden. Zugegeben eine etwas ungewöhnliche Methode zu putzen, aber dabei zuzusehen war sehr erheiternd und wie ich sehe hat die Strafe ihren Zweck erfüllt.“ sagte König Airen als er näher gekommen war.
„Sind sie überhaupt nicht wütend, dass wir ihre Terrasse geflutet haben?“ fragte Aron überrascht.
„Nun. Es ist zwar etwas nass, aber morgen wird es getrocknet sein. Nun zu einem anderen Thema. Ich möchte, dass ihr morgen zum Übungsplatz geht. Er befindet sich...“
Er ging zum Rand der Plattform, Kira und Aron folgten ihm und er zeigte auf ein Gelände, dass dem der Bogenschützen und Fußsoldaten ähnelte, aber auf der anderen Seite der Burg lag.
„...dort. Morgen kurz nach Sonnenaufgang werdet ihr dort mit dem Training beginnen. Ihr werdet von einem anderen Drachenreiter unterwiesen und müsst seine Aufgaben und Anforderungen nach Kräften versuchen zu erfüllen. Es wird nicht leicht für euch werden. Ihr werdet viel lernen müssen. Drachen und Drachenreiter sind Autoritäten zu denen das Volk aufblickt. Ihr müsst stets ein Vorbild sein. Seid euch eurer Handlungen bewusst, denn die Menschen um euch werden euch nach ihnen beurteilen. Ihr habt euren Lehrern zu gehorchen. Verstanden?“
„Ja, eure Hoheit.“ sagten Kira und Aron.
Der Phönix ließ sich auf einer Zinne nieder und betrachtete den Sonnenuntergang. Kira empfand jedesmal ein glückliches Gefühl wenn sie den Phönix ansah.
'Vielleicht ist der König deswegen so freundlich.' überlegte Kira.
Es tat ihr immer noch leid was geschehen war und so sagte sie: „Es tut uns leid, dass wir ihr Deckenglas zerstört haben.“
„Nun ist es einmal geschehen. Ich hoffe jedoch, dass ihr das nicht nocheinmal tut. Das neue Glas wird nächste Woche eingesetzt. Die Scherben wurden bereits beseitigt.“
Er sah Kira und Aron an, dann lächelte er.
„Ich glaube mit euch wird es noch amüsant.“


Bogen und Schwert
Am nächsten Morgen standen Kira und Aron auf dem Übungsplatz. Er war größer als sie gedacht hatten, zwei dutzend Meter lang und breit. Am Rand des Platzes stand ein kleines Häuschen. Dort drin, so vermutete Kira, lagerten die Übungswaffen. Weiterhin befanden sich hier Ziele um das Schießen mit Fernkampfwaffen zu trainieren. Kira stach ein steinerner Sockel ins Auge und als sie ihn näher betrachtete fiel ihr auf, dass eine Sonnenuhr darauf stand. Der schwache Schatten, den die aufgehende Sonne warf, zeigte auf die sechs. Von ihrem Lehrer oder Lehrern war weit und breit noch nichts zu sehen.
„Ich frage mich was wir wohl als erstes lernen werden.“ sagte Kira.
„Ich frage mich eher, wann das Training nun endlich anfängt, wir warten schon ewig.“ murrte Aron ungeduldig.
Kira hörte auf einmal Schritte, die den Gang zum Übungsgelände herunterkamen.
„Das wird sicher unser Lehrer sein.“ dachte Kira.
„Oh, euch habe ich ja nun wirklich nicht erwartet.“ sagte Otis.
Der Drachenreiter trug heute ein einfaches Wams. Scheinbar mochte er keine ausgefallene Kleidung.
„Nun, ich wusste zwar, dass ich heute einen neuen Drachenreiter als Schüler bekommen würde, aber nicht, dass du das bist, Kira.“
„Ich bin genauso überrascht wie Sie, Sir.“ sagte Kira erstaunt.
„Ist Ankaris auch hier?“ fragte Aron interessiert.
„Ja. Du sollst zum äußersten Stadttor fliegen! Sie wartet dort auf dich und wird mit deiner Ausbildung beginnen. Beeile dich! Sie hasst es zu warten.“ erklärte Otis.
Aron schlug ein paar mal kräftig mit den Flügeln um vom Boden abzuheben, dann flog er los.
„Beginnen wir also mit deiner Ausbildung. Ich hoffe dir ist bewusst, dass du viel dafür tun musst um ein guter Drachenreiter zu werden.“
Er bedeutete ihr ihm zu folgen. Sie betraten das kleine Häuschen und wie es sich Kira gedacht hatte lagerten hier Übungswaffen. Es gab Schwerter, Äxte, Hämmer, Keulen, Speere, Bögen und Armbrüste.
„Das wichtigste Kampfgerät eines Drachenreiters ist seine Nahkampfwaffe. Für welche entscheidest du dich?“ wollte ihr neuer Lehrer von ihr wissen.
Kira besah sich die Vielzahl an Waffen. Die Äxte variierten in allen Größen und Formen. Die Hämmer sahen fast alle gleich aus. Die Keulen kamen ihr sehr grobschlächtig vor. Kira konnte sich kaum vorstellen mit einem Speer oder einer anderen Stabwaffe zu kämpfen. Auch die Schwerter unterschieden sich, ihre Klingen warfen das Licht zurück, dass durch die offene Tür drang. Kira hatte sich entschieden.
„Ich entscheide mich für den Kampf mit dem Schwert.“
„Das konnte ich mir irgendwie denken.“
Kira fragte nicht nach, was er damit meinte oder wie er darauf kam.
„Auf was willst du dich spezialisieren? Auf den Kampf mit der Einhandwaffe, oder mit der Zweihandwaffe?“ fragte Otis.
Erst jetzt bemerkte Kira wie vielseitig ihre Möglichkeiten waren.
„Was ist besser?“ fragte sie.
Otis lachte.
„Besser. Danach kann man kaum gehen. Was nützt einem eine gute Waffe, wenn man nicht damit umzugehen weiß? Jede Waffe hat ihre Vor- und Nachteile.“
„Was gibt es über Zweihänder zu wissen?“
„Nun,“ begann ihr Lehrer. „Zweihandwaffen sind immer groß und schwer. Man benötigt schon einiges an Kraft um sie gut führen zu können. Dafür können sie großen Schaden bei deinen Gegnern anrichten. Wer mit Zweihändern kämpft, kämpft aber recht langsam, wegen ihres Gewichts. Das ist, denke ich, der größte Nachteil an Zweihandwaffen. Doch wenn du einen Zweihänder als Waffe hast, wird es deinem Gegner schwer fallen deine Angriffe abzublocken.“
Kira überlegte eine Weile, ob sie sich für den Umgang mit Zweihändern entscheiden wollte. Doch bevor sie das tat, wollte sie noch wissen was Einhänder zu bieten hatten.
„Und was ist mit Einhändern?“
„Einhänder sind kleiner und leichter als Zweihänder, deshalb können sich ihre Träger im Kampf schneller bewegen. Wer mit Einhändern kämpft kann angreifen und sich dann schnell außer Reichweite des Gegners bringen. Man muss allerdings in Kauf nehmen, dass Einhänder einen nicht so verheerenden Schaden anrichten wie Zweihänder und auch nicht deren Reichweite besitzen. Nun ich denke das ist das Wichtigste was man über Ein- und Zweihänder sagen kann.“
Kira gefielen die Vorzüge der Einhandwaffe. Sie wollte im Kampf gelenkig und möglichst ungehindert durch ihre Waffe bleiben.
„Ich möchte den Umgang mit dem Einhänder lernen.“
Der Drachenreiter schien wiederum kein bisschen überrascht.
„Gut. Du wirst später ein eigenes Schwert bekommen, aber egal welches du auch trägst, hier auf dem Übungsgelände wirst du nur mit den Übungswaffen kämpfen. Die Schwerter hier wurden extra so geschmiedet, dass sie stumpf sind und so niemanden aufschlitzen können. Doch wenn du keine blauen Flecke davontragen möchtest solltest du von ihnen nicht getroffen werden. Hier...“ Er gab ihr ein grob geschmiedetes Einhandschwert und nahm sich dann selbst eins. „... mal sehen wie du damit umgehen kannst.“
Sie gingen hinaus auf das Übungsgelände und traten einander gegenüber. Das Schwert lag Kira schwer in der Hand. Sie hatte bisher nur mit Holzschwertern gekämpft.
'Wenn Einhänder leicht sein sollen, will ich mit keinem Zweihänder kämpfen.' dachte Kira etwas verunsichert.
„Fangen wir an.“ rief Otis und kam auf sie zugestürmt.
Sie wollte seinen Angriff blocken, doch er schlug ihr das Schwert mühelos aus der Hand.
„Heb es auf!“ befahl der Drachenreiter.
Jede Freundlichkeit war aus seinem Gesicht verschwunden. Jetzt ging es um ernste Dinge. Kira hob ihr Schwert auf und wartete auf Otis nächsten Angriff. Der kam sofort, doch statt wieder zu blocken, wich Kira nach rechts aus um ihn von der Seite zu erwischen. Doch Otis erkannte gleich was sie vorhatte, parierte ihren Schlag und schlug ihr das Schwert abermals aus der Hand. Wieder holte Kira sich eilends ihre Waffe und diesmal war sie es die angriff. Weil ihr das Schwert zu schwer wurde, umfasste sie es mit beiden Händen und schlug zu, doch bevor ihre Schwertspitze ihn erreichen konnte, hatte seine Waffe sie am Bauch erwischt und ließ sie zurücktaumeln. Otis stürmte wieder auf sie los, doch statt sie von vorn anzugreifen, machte er eine Drehung nach rechts und schlug zu. Instinktiv blockte Kira, das Schwert mit beiden Händen umfassend, seinen Angriff.
Otis wich zurück, nur um dann wieder vorzuschnellen und ihr seine Klinge an den Hals zu halten.
„Das reicht erstmal.“ sagte er.
Sein Atem ging ruhig. Kira hingegen keuchte.
„Ich konnte mir ein gutes Bild davon machen wie viel du kannst.“
Jetzt lächelte er wieder.
„Ich war positiv überrascht. Das ist nicht das erstemal, dass du mit einem Schwert kämpfst, nicht wahr?“
„Ich habe vorher nur mit Übungswaffen aus Holz gekämpft.“ erklärte sie.
„Nun, was mich aber sehr ärgert ist, dass du manchmal mit beiden Händen kämpfst.“
Er wirkte wieder ernst.
„Was glaubst du wohl wieso es Einhandwaffe heißt?“
Er ging zu ihr hin und wies sie an eine bestimmte Stellung einzunehmen. „Die Beine etwas auseinander, die Knie leicht gebeugt und die Schwertspitze schön nach oben, so kannst du sie sofort nach unten schnellen lassen, wenn dein Gegner kommt. Das ist deine Grundstellung. In diese Ausgangsposition wirst du immer zurückkehren! Verstanden? Wenn du erfahrener bist zeige ich dir noch andere.“
Der Drachenreiter trat jetzt hinter sie, nahm ihren Arm und sagte: „Und immer schön schwingen, schön ausschwingen lassen und nicht mitten im Streich abbrechen. Wenn du ausschwingst, kannst du den Schwung nutzen um den nächsten Streich zu beginnen. Und nicht vergessen: Für Einhandwaffen darfst du niemals beide Hände benutzen. Du wirst sehen, dass dich das bloß selber behindert. Das Schwert musst du so gebrauchen, als wäre es ein Teil von dir und nicht nur ein Gegenstand in deiner Hand. Dein ganzer Körper muss kämpfen, nicht nur dein Arm.“ erklärte Otis.
Kira versuchte sich alles ganz genau einzuprägen. Otis trainierte Kira bis von irgendwoher eine Kirchturmglocke Zwölf Uhr schlug. Sie legten eine kleine Pause ein um etwas zu essen und zu trinken.
Kaum waren sie damit fertig überprüfte Otis Kira's Fähigkeiten im Bogenschießen. Kira traf einmal in das Schwarze der Zielscheibe, die anderen dreizehn Versuche fielen sehr unterschiedlich aus. Mal schoss sie nahe der Mitte oder an den Rand, mal verfehlte sie die Scheibe. Da Kira in der Nachfolgenden Übung, in der sie dasselbe mit der Armbrust erledigen sollte, viel schlechter abschnitt, entschied sie sich letztenendes für das Training mit dem Bogen.

Müde und erschöpft ging sie nach dem Unterricht auf die Aussichtsterrasse ganz oben auf der Burg. Auch Aron kam von seinem Training zurück und Lennard lief gerade freudestrahlend aus dem Inneren der Burg. Kaum das er bei Kira war fing er an zu erzählen: „Wisst ihr was? Ich war gerade in der Bibliothek der Burg. Oh man ist die riesig. Ich hab mir natürlich sofort ein Buch geschnappt. Es handelte von den Anfängen der Magie. Später hat mich einer der Magier angesprochen und gesagt wenn ich mich so dafür interessiere könnte ich den obersten Magier fragen ob ich Magie erlernen darf. Das wär toll. Ich will gleich morgen hingehen und vorsprechen.“
Lennard war ganz aus dem Häuschen. Als er sich etwas beruhigt hatte tauschten Aron und Kira die heutigen Erlebnisse miteinander aus. So erfuhr Kira das auch Aron einige Prüfungen über sich ergehen hatte müssen. Er wurde sowohl im fliegen als auch im Feuer speien überprüft.


Drachenreiter
Der Unterricht wurde am nächsten Tag nicht auf dem Übungsgelände, sondern in einem Raum in der Burg fortgesetzt. Im Raum befanden sich mehrere Tische und Stühle und an den Wänden hingen verschiedene Illustrationen, darunter etliche Karten von Bretonos oder ganz Kantara. Kira hatte sich einen Tisch in der vordersten Reihe gesucht um jedes Wort zu verstehen das Otis sagte, der an einem Tisch saß, der ganz vorn stand. Außer Otis und Kira war niemand im Raum. Kira vermutete jedoch, dass dieser Raum eigentlich für ganze Gruppen von Schülern gedacht war.
„Nun, Kira. Abgesehen vom Praktischen Teil, musst du auch im theoretischen unterrichtet werden. Ein Drachenreiter muss möglichst gebildet sein. Er muss immer Vorbild für andere sein. Du solltest verstehen das Wissen Macht bedeutet. Dein Wissen wird dein Handeln mitbestimmen. Ich könnte dir jetzt noch den ganzen Tag davon erzählen, aber ich denke du hast verstanden.“
Er legte eine Pause ein. Kira wartete gespannt.
„Als Drachenreiter musst du sehr viel über Drachen wissen, sowohl über Drachen allgemein, als auch über die spezifischen Arten. Wir werden mit der Anatomie der Drachen beginnen.“
Er holte eine große Karte hervor auf der das Skelett eines Gsurus Drachen zu sehen war. Nachdem sie die grundlegenden Begriffe geklärt hatten, erklärte Otis Kira, dass sie sich zuerst mit dem Feueratem der Drachen beschäftigen würden.
„Hast du dich je gefragt, wie Drachen es fertig bringen Feuer zu speien?“
Der Drachenreiter wartete gespannt. Überrascht antwortete seine Schülerin: „Nein. Es war für mich ganz normal. Fische können unter Wasser atmen. Drachen können Feuer speien. Ich hab mich nie gefragt warum.“
Otis wirkte etwas enttäuscht.
„Genau darum geht es uns hier Kira. Wir wissen das etwas geschieht. Ich will dir aber versuchen zu erklären warum es geschieht.“
Er blickte sie eindringlich an.
„Mir sind drei Methoden bekannt mit der Drachen Feuer speien können. Die erste Methode, die ich dir vorstellen werde ist am weitesten verbreitet.“
Er zeigte auf den Brustkorb der Drachenskelett Zeichnung.
„Was befindet sich unter anderem wie wir wissen im Brustkorb?“
Kira musste zuerst an das Herz denken, sagte dann aber: „Die Lungenflügel.“
„Sehr richtig. Einige Drachenarten bilden jeweils eine Nebenkammer in den Lungenflügeln aus. In diesen Nebenkammern befindet sich ein leicht entzündliches Gas. Durch Muskeleinwirkungen können die geschlossenen Nebenkammern geöffnet werden und das Gas kann durch die Lunge,...“ Er fuhr auf der Zeichnung mit dem Finger entlang. „... die Luftröhre und den Rachenraum nach draußen gelangen. Dort entzündet es sich.“
Kira staunte nur.
„Diese Methode ist sehr erfolgreich. Die meisten Drachen nutzen sie.“
„Auch Aron und Ankaris?“ fragte Kira.
„Ja.“ sagte Otis knapp. „Das Gas wird eigenständig, kontinuierlich vom Körper des Drachen erzeugt. Nur wenn der Drache sehr viel Feuer speit muss er eine Pause einlegen um neues Gas bilden zu können.“
Er ließ seiner Schülerin kurz Zeit das alles zu verstehen und erzählte dann weiter.
„Die zweite Methode lässt sich schlecht an dieser Zeichnung erklären, aber dafür habe ich mir etwas besorgt.“
Er kramte in einer Schublade seines Tisches und während er das tat fragte Kira: „Warum kann man das nicht an der Zeichnung erklären?“
Ohne aufzublicken antwortete Otis: „Weil das die Zeichnung eines Gsurus Drachen ist und diese Drachen so nicht Feuer speien.“
Er hatte gefunden was er suchte; einen kleinen Drachenschädel.
„Das ist der Schädel eines Golddrachens. Sie sind sehr kleine Drachen und nutzen dieses Prinzip.“
Er reichte ihr den Schädel.
„Nun, was ist an diesem Schädel anders als an dem Schädel auf der Zeichnung?“
Kira sah sich sowohl den Schädel in ihrer Hand als auch den auf der Zeichnung genau an.
'Da gibt es viel was anders aussieht.' dachte das Mädchen. 'Etwa die Form des Schädels, oder der Kamm beim Gsurus Drachen. Aber darauf will er sicher nicht hinaus.'
Sie brauchte noch etwa eine Minute bis ihr der Unterschied auffiel.
„Der Schädel auf der Zeichnung hat zwischen der Nasen- und Augenhöhle ein weiteres Loch, der kleine Schädel hier nicht.“
Sie hielt den Kopf des Golddrachens hoch.
„Genau. Dieses Loch wie du es nennst ist bei allen Drachenarten zu finden, die nicht diese zweite Methode nutzen. Diese Löcher im Schädel werden Schädelfenster genannt. Und das Schädelfenster das du meinst ist das antorbitale Fenster. Es ist das Schädelfenster zwischen Augen- und Nasenhöhle, das statt mit Knochen mit Muskeln, Sehnen und Fleisch ausgefüllt ist, um den Schädel leichter zu machen. Ihre Wirbelsäule...“ Wieder fuhr er mit dem Finger auf der Zeichnung entlang. „... wird dadurch deutlich entlastet. Drachen, die nach der zweiten Methode Feuer speien haben diesen Hohlraum auch, aber er ist von Knochen umgeben, so das man ihn äußerlich nicht sehen kann und er ist statt mit Muskeln und Fleisch mit Flüssigkeit gefüllt. Diese ist viel schwerer als Fleisch, weshalb diese Drachenarten kleine Köpfe haben. Auch hier tritt die Flüssigkeit aus der Kammer und wenn sie ausgespien wird entzündet sie sich. Der Körper des Drachen braucht aber bedeutend länger um diese Flüssigkeit herzustellen, als das Gas, das die anderen Drachen verwenden. Aber auch hier braucht der Drache keine weiteren Zusatzstoffe um Feuer zu speien.“
Wieder legte er eine kleine Pause ein. Kira hatte alles verstanden und wartete nun interessiert auf mehr.
„Eine weitere Methode ist die von den Drachen, die meistens im Gebirge leben. Ich nenne es gern das Phosphorgestein Prinzip. Dieses Prinzip funktioniert wie folgt. Zuerst bricht der Drache mit seinen Kiefern Phosphorgestein ab. Er schluckt es im ganzen herunter. Diese Drachen haben eine ganz spezielle Magensäure, welche das Phosphorgestein zersetzen kann. Es entsteht ein brennbares Gas. Wird es ausgestoßen entzündet es sich. Drachen die diese Methode anwenden sind zum Beispiel Felsen- und Bergdrachen. Sie sind immer auf das Phosphorgestein angewiesen um Feuer speien zu können.“
Nach seinem langen Vortrag hüllte er sich vorerst in Schweigen. Dann stellte er seiner Schülerin die Frage: „Nun Kira. Weshalb wird die erste Methode von den meisten Drachen angewendet?“
Die junge Drachenreiterin grübelte einen Moment vor sich hin, dann sagte sie: „Weil es die beste ist. Die zweite Methode ist hinderlich für die Größe des Kopfes und die Flüssigkeit braucht länger um erzeugt zu werden. Die letzte Methode ist schlechter als die erste, weil diese Drachen immer von dem Phosphorgestein abhängig sind.“
„Gut Kira. Wie ich sehe hast du alles verstanden. Das war es dann erstmal für heute.“ erklärte Otis den Unterricht als beendet.

Während Kira bei ihrem Unterricht gewesen war, war Lennard in den Turm der Magier gegangen. Als er den Magiermeister bat ihm zu erlauben Magie zu erlernen, willigte dieser ein, wenn der Junge einige Prüfungen bestehen würde. Zuerst überprüfte der hohe Magier Lennards Sicht zu verschiedenen philosophischen Themen. Dann fragte er sein Allgemeinwissen ab. Als es gegen Mittag war, zog der Magier ein Buch aus dem Regal und wies den Jungen an Seite 72 im Buch aufzuschlagen, den Text zu lesen und später den Inhalt mit eigenen Worten wiederzugeben. Es war ein Zauberbuch und der Text, den Lennard lesen sollte befasste sich damit wie die Zauberei funktionierte. Lennard fand ihn schlichtweg wahnsinnig interessant und obwohl der Text mit Fachbegriffen voll gestopft war, verstand er jedes Wort. 'Ob Kira auch alles verstanden hätte?' zweifelte Lennard in Gedanken.
Seine Freundin las für gewöhnlich nur einfache Texte. Sobald die Ausdrucksweise in den Schriftstücken zu kompliziert wurde, legte sie das Buch weg und meinte davon würde man sich einen Knoten ins Gehirn machen. Nicht so Lennard. Er las und las und hätte am liebsten noch weitergelesen als der Text zu ende war, doch er erinnerte sich an seine Aufgabe ihn wiederzugeben.
„Der Text erklärt wie man Magie gebraucht. Der Magier selbst fungiert als Leiter, der die Magie, die in den verschiedenen Gegenständen, z.B Zauberspruchrollen, eingeschlossen ist, kontrollieren kann. Der Magier muss sich auf das konzentrieren was er beabsichtigt zu tun und die Zauberkraft entfesseln. Nachdem er den Zauber gewirkt hat wird sich seine Gedankenkraft oder auch Mana verringert haben. Sie kehrt jedoch nach einer Erholungspause zurück. Mächtige Magier können Magie selbst erschaffen und sie in Gegenstände einschließen.“ fasste Lennard zusammen.
Der alte Magier, dessen lange weiße Haare über seine silberne Robe fielen, ließ sich nicht anmerken ob er beeindruckt war oder nicht. Er sagte mit für sein Alter erstaunlich fester Stimme: „Gut. Da wäre dann noch eine letzte Aufgabe.“
Er zog eine Zauberspruchrolle aus seiner Robe und gab sie Lennard.
„Wirke den Zauber!“
Ein Lächeln umspielte nun kaum merklich die Lippen des Alten. Dieser Teil gehörte eigentlich nicht zur Aufnahmeprüfung, aber der alte Magier wollte diesen Burschen kleinkriegen, der scheinbar auf alles eine Antwort zu wissen schien.
Lennard blickte sich einen Moment lang in dem großen runden Raum, in dem es nichts außer Bücherregalen mit Büchern gab, um.
'Wie soll ich das machen? Ich bin hierher gekommen um genau das zu lernen. Wenn ich es schon könnte wäre ich nicht hier.'
Da Lennard immer noch nicht zauberte wurde das Lächeln des Zauberers offensichtlicher. Fieberhaft versuchte Lennard das was in dem Buch stand anzuwenden. Er schloss die Augen, konzentrierte sich auf die Spruchrolle in seiner Hand und da geschah es. Es war als würde er aus seinem Körper gerissen. Obwohl er die Augen geschlossen hatte, sah er Dinge, die um ihn herumwirbelten. Alles war in blau gehüllt und hin und wieder tauchte etwas Schemenhaftes aus diesem Nebel auf. Einmal sah er ein kleines Licht auf ihn zukommen. Instinktiv streckte er die Hand danach aus und griff zu. Schlagartig war alles vorbei. Er wurde sich wieder bewusst, das er in dem muffigen Turm der hohen Magier war und schlug die Augen auf. Er bemerkte etwas in seiner rechten Hand. Er streckte sie nach oben und öffnete sie. Heraus kam das kleine Licht. Es wurde größer und strahlte hell über Lennard.
Der Magiermeister hatte zwar aufgehört zu lächeln, hatte aber einen positiv überraschten Ausdruck auf dem Gesicht.
„Du hast alle Prüfungen bestanden. Der Unterricht beginnt morgen. Magier Dero wird dich unterrichten. Und nun geh und verschwende nicht noch mehr von meiner kostbaren Zeit!“


Beim Abendessen erzählte Lennard den anderen, dass er bei den Magiern aufgenommen wurde.
„Herzlichen Glückwunsch. Die Magier sind sehr kleinlich, wenn es darum geht jemanden in ihren Reihen aufzunehmen.“sagte Marek.
Kira und Aron freuten sich ebenfalls.
„In Zukunft müssen wir wohl aufpassen was wir sagen, sonst verwandelt er uns noch in Kröten.“ scherzte Aron.

Die Sonne war gerade erst aufgegangen. Kira und Aron standen aber schon auf dem Übungsgelände. Ankaris kündigte sich mit lauten Flügelschlägen an und als sie landete, zersauste der Wind Kira's Haare.
„Heute wirst du das erste mal auf Aron reiten.“ sagte Ankaris, die einen Großteil des Übungsgeländes in Anspruch nahm.
Kira konnte kaum glauben, dass sie richtig gehört hatte.
„Was? Ich darf auf Aron reiten?“
„Na was glaubst du denn wieso du Drachenreiterin bist?“ fragte die Drachendame schnippisch.
„Ich kann kaum erwarten dir zu zeigen wie toll fliegen ist.“ sagte Aron zu Kira.
„Damit Kira auf dir reiten kann, braucht ihr aber noch etwas.“ sagte Otis, der aus der kleinen Hütte kam, die auf dem Übungsgelände stand.
In den Armen trug er einen großen Sattel, an dem sehr lange Gurte herunterhingen.
„Die Handwerker haben die letzten Tage damit verbracht ihn anzufertigen. Aron ist der einzige Drache unter König Airen's Befehl, der kein Gsurus Drache ist, deshalb musste ein spezieller Sattel angefertigt werden.“
Er zeigte auf die Unterseite des Sattels, die aus einem Material bestand, das nachgab und sich perfekt an Aron's Stacheln anpassen würde. Otis legte den Sattel kurz hinter seine großen Stacheln, die sich über seinen Schulterblättern befanden. Die kleineren Stacheln hinter ihnen verschwanden unter dem Sattel.
„Drückt es?“ fragte Otis den Drachen.
„Nein. Es ist nur ungewohnt.“
„Kira wird aufpassen müssen, dass Aron sie nicht erdolcht.“
Ankaris wies auf die beiden Schulterstacheln. Während Otis den Sattel befestigte, erklärte er Kira die Grundregeln des Fliegens. „Der Grundsatz heißt: Einen Drachen fliegt man nicht, man fliegt immer nur mit ihm. Merk dir das. Aron fliegt, du bist nur die Begleitung. Beim fliegen musst du immer darauf achten nicht herunterzufallen. Du darfst niemals unaufmerksam sein. Ein heftiger Windstoß und du kannst aus dem Sattel geworfen werden. Aron kann dich zwar auffangen, aber bitte probiere es nicht aus. Du kannst nicht immer damit rechnen, dass dich Aron rettet. Es können Umstände eintreten in denen er das nicht kann. Weiterhin solltest du, wie Ankaris schon erwähnt hat, auf Aron's Stacheln acht geben. Ich werde dich später auch in der Wetterkunde unterweisen. Auch du musst Aufwinde und andere Wettererscheinungen erkennen. Vier Augen sehen mehr als zwei.“
Die Schlaufen und Gurte waren jetzt alle an ihren Plätzen und der Sattel saß perfekt. Kira's Herz klopfte aufgeregt, während sie ziemlich umständlich auf Aron's Rücken kletterte. Aron konnte gar nicht erwarten endlich los zufliegen.
„Gut, flieg ein paar Runden mit Kira und komm dann zurück!“ sagte Ankaris und Otis ergänzte: „Schön sachte und Kira, nicht vergessen: Einen Drachen fliegt man nicht, man fliegt immer nur mit ihm.“
Kira hatte den Satz zwar noch immer nicht ganz verstanden, aber Aron setzte sich schon in Bewegung. Kira glaubte ihr bliebe das Herz stehen als sie die Landschaft tief unter sich sah, über die sie gleich hinwegfliegen würden. Steif krallte sie sich an ihren Sattelgriffen fest.
Aron stieß sich ab um dann im Segelflug auf einer Windströmung zu gleiten. Kira war total aufgeregt, aber auch noch sehr ängstlich. Sie glitten eine Zeitlang auf der Strömung dahin.
Das Mädchen hielt sich immer noch äußerst verkrampft am Sattel fest.
'Nicht runterfallen. Nur nicht runterfallen.'
Plötzlich drehte sich Aron abrupt nach links, von der Strömung und der Burg weg.
„Jetzt zeig ich dir mal was es heißt zu fliegen.“ rief Aron, legte die Flügel an und stürzte nach unten.
„Aaah, Aron lass das!“
Aron zog sich wieder hoch.
„Du bist viel zu verkrampft. Mach dir keine Sorgen. Du fällst nicht herunter.“ Er flog einige Kurven. Kira bewegte sich jedesmal in die Gegenrichtung, weil sie glaubte herunterzufallen. Doch dann erinnerte sie sich an Otis Worte, nahm all ihren Mut zusammen und nahm sich vor in der nächsten Kurve nicht dagegenzuhalten, sondern sich Aron's Bewegungen anzugleichen.
Der Flugwind ließ ihre Haare flattern und ihre Augen tränen. Die Kurve kam. Aron hielt nach rechts und Kira lehnte sich auch nach rechts. Es funktionierte.
„Heh, das ist gar nicht so schlimm.“ sagte Kira, der es anfing Spaß zu machen. Sie johlte und jauchzte und Aron brüllte, dass es ihr in den Ohren wehtat.
„Jetzt kannst du mal einen Sturzflug machen.“
Sofort legte Aron die Flügel an, sein Kopf hing nach unten. Kira zog den Kopf ein und legte sich nach vorn. Die Häuser und der Burggraben kamen immer näher. Kira wagte es eine Hand vom Griff des Sattels zu entfernen, doch sie spürte gleich wie der Wind sie nach oben reißen wollte. Aron sank weiter, berührte mit einer Kralle das Wasser im Burggraben und stieß sich wieder nach oben.
Aron schlug oft und heftig mit den Flügeln und wurde schneller. Kira hing im Sattel und sah aufgeregt hinter sich nach unten, wie die Häuser kleiner wurden. Aron flog einen Looping und Kira wäre fast aus dem Sattel gefallen. Doch das kümmerte sie auf einmal recht wenig. Der Wind rauschte in ihren Ohren. Sie forderte Aron auf schneller zu werden und immer waghalsigere Manöver zu fliegen. Sie flogen um die Burg, die für Kira ein einziger hellbrauner Klotz in der Landschaft war, die Häuser kleine verschwimmende Punkte, die mal größer oder kleiner wurden. Wieder stürzten sie in die Tiefe, auf die Häuser zu, die immer größer wurden. Kira glaubte fast die Gesichter der Menschen, die aufgeregt nach oben sahen, ausmachen zu können, da bremste Aron kurzzeitig ab indem er seine Flügel senkrecht zum Boden hielt, dann schlug er kräftig mit den Flügeln und flog eine Schraube. Die Welt drehte sich und rotierte immer schneller. Alles war nur noch ein blaubraungrünes Farbengemisch. Kira musste den Impuls unterdrücken ihr Frühstück hochzuwürgen. Schließlich landete Aron wieder auf dem Übungsgelände und der Flug war vorbei.
Als Kira am Abend müde in die Kissen sank, dachte sie immer noch daran, fühlte immer noch den Wind in den Haaren und doch, sie glaubte zu wissen, dass ihr Abenteuer erst begonnen hatte.

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Tag der Veröffentlichung: 01.11.2010

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