Cover

Ich sammle Bäume und finde Namen für sie.
Am Stamm halte ich mich fest.
Unter ihrem Blätterdach bin ich geborgen.
Der Wind säuselt und singt in den Blättern.
Sie schenken mir Kraft.
Die Welt tritt zurück.



Darf ich vorstellen? Das ist Linda Lou, vermutlich eine Schwarzpappel.

Sie steht in einem kleinen Park in der Innenstadt zwischen nördlichem Stadttor und Rhein.
LindaLou´s Blätter sind herzförmig und pappelleicht. Der Rand ist leicht gezahnt.
Wenn ich mich an einer bestimmten Stelle - mit Blick auf den Teich - an seinen Stamm lehne ist es, als sei der Stamm für meine Körperproportionen gemacht. Schön angelehnt kann ich ganz entspannt auf das Wasser schauen, in dem sich blau und grün spiegelt.





An einem wundervollen Vormittag besuchen wir LindaLou, den alten Baum im kleinen Park zwischen Rhein und Altstadt Nord. Ein Frevler hat in der Borke vom mächtigen Stamm seine Zigarette ausgedrückt. Während ich mir das vorstelle, empfinde ich Schmerz. Wut steigt in mir hoch. Wie kann man so etwas nur tun?
Wie gehen Menschen mit ihren Mitgeschöpfen um?
Der Stamm ist so dick, dass ihn drei Paar Arme nicht umfassen können.
Jetzt werde ich mir einen kleinen Mittagsschlaf gönnen.
In meinen Ohren klingen die Domglocken noch. LindaLou hört sie jeden Tag.





An einem Donnerstag im Sommer



Ich habe einen Termin in der Nähe vom kleinen Stadtpark, in dem am Ententeich LindaLou ihren Platz verteidigt. Ich bin, wie sich herausstellt eine Stunde zu früh - Kalenderirritationen - und beschließe die Zeit bei dem Baum zu überbrücken. Das Wetter ist windig, nicht zu warm, der Boden noch etwas feucht.
Ich beschließe auf der Erde zu sitzen und mich an den Stamm zu kuscheln. Ich gehe dreimal um den Baum herum, bis ich die Stelle gefunden habe, an der sich bequem sitzen lässt. Zum Glück findet sich in meiner Tasche nicht nur der MP3-Player, auf den ich am Vortag die "Oneness Chakra Meditation" aufgespielt habe, sondern auch eine Einkaufstasche aus Plastik, die mir als Unterlage dient.
Der Platz, auf den ich mich niederlasse, ist sehr bequem, fast wie für mich gemacht. Während ich noch die Ohrhörer einstöpsle und mich auf den gekoppelten Musik.und Baumgenuss einstimme, schau ich mir das gemächliche Leben rund ums Wasser an.
Ich bin schon ganz ruhig und eingestimmt. Die Blätter rauschen. Im Rücken habe ich den Stamm. Die Musik löst starke Resonanzen in mir aus und über den Rücken spüre ich, wie die Resonanzen im Stamm ihr Echo finden. Ich frage mich - wenn Schwingung Blockaden im Menschen lösen kann, heilt sie dann auch Bäume?
Zwischen Aum und Ram kommt Wind auf. Für einen Augenblick wirkt alles sehr bewegt. Linda Lou scheint mit der Baumgruppe gegenüber zu kommunizieren. Drüben stehen nah beieinander Ahorn, Platane und Kastanie.





Beim nächsten Spaziergang ein paar Tage später werde ich plötzlich wissen, dass auch diese Bäume einen Namen erhalten müssen.
Was mir auffällt: LindaLou hat eine Aura, die einen geschützten Bereich um sie herum schafft. Ich bin glücklich, dass ich in ihren inneren Bezirk eintreten darf. Tauben, Enten, Menschen, Hunde, die vorübereilen, für einen Moment stehen bleiben oder um den Baum herum tollen, übertreten einen bestimmten Abstand nicht. Auch der Mann, der gegenüber auf einer Bank sitzt, einen Joint raucht und immer wieder zum Baum herüber schaut, bleibt auf Abstand, als er geht.
Als ich nach fünfundvierzig Minuten meinen bequemen Platz verlasse, bin ich total entspannt und in Balance.
Es gab einen Moment, zwischen Om und Ram, da fuhr plötzlich ein heftiger Wind durch die Bäume. Pappelsamen und Blätter segelten schwerelos zum Wasser. Die Zweige aber gestikulierten so heftig, dass ich einen Moment so etwas wie Angst verspürte. Windunabhängig betrachtet sah es aus, als kommuniziere LindaLou mit drei gegenüberliegenden Bäumen: Kastanie, Platane und Ahorn.
Noch etwas ist mir aufgefallen. ganz nah bei mir und dem Baum spazierten ungestört Tauben, legten sich Enten zum Mittagsschlaf zurück, tollten, den Baum umrundet zwei freundliche Hunde vorbei. Erstaunlich dass sich die Lichtreflexionen vom Wasser im Pappellaub spiegelten.





Wieder ein Stückchen weiter gekommen. Ein klärender Gedanken von außen, den ich annehmen kann und der mir weiter hilft. Nur noch ein kleines Stückchen ohne Zögern voran - der Weg stimmt - mein Freiraum wächst. LindaLou hat mich verstanden und mich wohltuend umarmt.





Übrigens, dat LindaLou ist en echt kölsches Mädchen. In der Veedelskneipe trinkt sie gern ein Glas Kölsch, und auch ein paar mehr. Sie ist standfest, lieb, mütterlich und kann einiges ab. So manchen Möchtegern-Supermann hat sie schon unter den Tisch getrunken.
Die kölsche Mundartgruppe "Bläck Föös" hat ihr ein musikalisches Denkmal gesetzt: "Leev Linda Lou"
Ich finde, meine Baumfreundin trägt ihren Namen zu Recht.


Impressum

Texte: Bild&Text: Angelika Röhrig
Tag der Veröffentlichung: 10.04.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Diese Buchreihe ist clara c. gewidmet, die mich dazu inspirierte. Vielen Dank, Clara!

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