Ich sitze im Cafe, der Latte Macchiato steht vor mir "Grande" Vielleicht eine neue Angewohnheit, denn sonst trinke ich den Kaffee nur schwarz, ungesüßt und ohne Milch. So ist er auch köstlich! Mo, ich denke an dich. Wenn wir demnächst irgendwann mal wieder zusammen sitzen um Seefrauengarn zu zwirbeln, dann vergessen wir die Welt im Duft von frischaufgebrühten Kaffee, wie schon so oft.
Oh, wie der Latte riecht. Kurz tauche ich mit der Zunge in den weißen Schaum ein.
Es prickelt!
Aufregend!
Dieses süße sündhafte Getränk werde ich langsam genießen und bis zur Neige auskosten. Allein die Farbe, diese Schichten in Braun und Creme. Hm! Unwillkürlich erlaube ich mir an permuttfarbene Körper auf zwerwühlten Lagern zu denken, die sich rekeln und ineinander schlingen.
Sicher haben die Götter dieses Getränk kreiert.
In den letzten Wochen verändert sich alles:
Zeit, alte Muster abzulegen, um anderes auszuprobieren.
Obwohl die Sonne scheint, ist es zu kühl, um draussen zu sitzen, also sitze ich auf einem Barhocker drinnen am Fenster. Die Sonnenstrahlen streicheln mich, tauchen mich ein in Wärme und Licht. Eigentlich geht es mit gut. Bin ich ein Lichtwesen, auch wenn da drinnen tief innen gerade etwas wieder schmerzhaft bohrt? Ich fühle mich wie eine Katze, die sich genüßlich in der Sonnen dehnt und streckt, um nur ja keinen einzigen Sonnenfunken zu verpassen.
Ich schaue den Passanten zu: Mittagszeit in der Innenstadt, keine Hektik heute, das ist selten; mir bleibt noch Zeit bis zum nächsten Termin. Hinter mir höre ich dezente Musik, die raunenden Gespräche, das Klappern von Porzellan, Kaffeemaschiene die zischen, rieche braune und schwarze Gerüche vermischt mit Aromen des Orients, bewundere die eifrigen Serviererinnen mit ihren hellen und freundlichen Stimmen, die so ganz gelassen ihren Aufgaben nachgehen.
Mit meinen Gedanken bin ich auf vielen Wegen. Auch den Körper spüre ich sehr intensiv. Dieser Aufbruch in allem: das wunderbare Gefühl, eine Frau zu sein, die sich nicht darum schert, dass sie die Fünfzig überschritten hat; das Mädchen in mir, das immer noch voller Tatendrang und Optimismus auf ganz eigene Weise die Welt verändern möchte; die alte weise Frau, die um Gelassenheit lange hat kämpfen müssen, das Weib, mit seinen Wünschen und Sehnsüchten, die noch gelebt werden wollen, die nun allmählich Worte finden; nicht zu vergessen das Kind, was spielen möchte, sie alle haben einen Bund geschlossen, und der hat Kraft.
Es hat etwas von Freiheit, tiefsitzende Verbote abzulegen, im vollen Bewußtsein eines gestandenen Lebens, endlich ja zu sagen zu allem, sich selbst die Erlaubnis zu geben, wenigstens ab und zu die Zügel abzulegen. Haben wir doch nur dieses eine Leben, und es geht viel zu schnell vorbei.
Ich wünsche mir - ja was denn? Ich sag es mit Hildegard Knef:
"Für mich solls rote Rosen regnen..." Einen roten Teppich würde ich auch nicht verachten.
Warum immer bescheiden sein, sich zurücknehmen? Ich bin eine gestandene Frau. Ab und zu einmal im Mittelpunkt stehen, strahlen und die Blicke auf sich ziehen; was ist daran verwerflich? Wünschen darf man alles, und die Wünsche dürfen groß sein, den Rahmen sprengen, unverschämt sein. Na und? Ich lache in den Kaffee hinein.
Ein Sprichwort fällt mir ein: "Bescheidenheit ist eine Zier´, doch weiter kommt man ohne sie."
Mit diesen kleinen Höhepunkten, Glanzlichtern, Premieren, da schmeckt doch der graue Alltag gleich wieder viel besser. Und danach kann man sich auch wieder bescheiden.
Und wie wunderbar der Latte Macchiato dazu passt:
er vereint das Bittere mit dem Süßen; das Dunkle mit dem Hellen; das Versprechen und seine Erfüllung; alles, was das Leben rund macht.
Texte: Titelbild: "Latte Macchiato" von Imageworld24
gefunden bei http://www.pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 02.10.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch widme ich meiner Schwester Mo, die wie ich den Kaffee liebt.