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6 Dieses Hereinwirken der Jahreszeit
8 Regen tropft
9 heute nacht hat der frühling mich besucht
10 früh in diesem jahr
11 In Sternenhände...
12 Du weißt, was ich heute sah?
13 Die Zeit hält den Atem an
16 der wind ist aufgefrischt
17 in diesen tagen 4
18 Es lichtet in Zweigen
19 Wie außen, so innen
20 alles zu seiner zeit
21 zwischen bewegung und auflösung...
22 Le pas du chat noir (Anouar Brahem)
24 Kurzlyrik vom 8. März 2009
25 der traum war seltsam abstrakt
26 Morgenimpression vom 19. März 2009
27 Für Johanna
28 rosarot, der morgen
29 lichtgrün
30 jenseits der hecken



"Dieses Hereinwirken der Jahreszeit

Fliegen sieht man eigentlich nichts, aber es piept und stimmt an und übt, der Sonntag war von der strahlendsten Wärme, meine Fenstertür stand offen bis in den Abend hinein und zum ersten Mal empfand man dieses Hereinwirken der Jahreszeit ins merkwürdig erweiterte Zimmer, das Raum von draußen her -
einnahm, statt sich, wie bisher, um die Ofenecke zusammenzuziehen.Da war schon eine von den dunkleren Vogelstimmen dabei, eine reifere, schon innerlich gesungene, die zu den anderen sich verhielt wie ein Gedicht zu ein paar Vokabeln-, wie glänzte sie zu Gott, schon, schon, wie gläubig war sie, wie von sich selber voll, eine Liedknospe noch in den Deckblättchen ihres Klanges, aber schon bewußt ihrer unaufhaltsamen Fülle, vor-seelig und vor-bang. Oder eigentlich, die Bangheit war schon völlig in ihr, der gemeinsame Schmerz der Kreatur, der sich nicht theilen läßt und der genau so ein-fältig ist, wie drüben, jenseits aller Überwindungen, die Seligkeit."

Rainer Maria Rilke: Das Rot der Rosen
an Nanny Wunderlay-Volkart, 24. Februar 1920




Ich kann es mir bildlich vorstellen, wie sich der Frühling im zarten Nebelgewand lautlos aufs Sims schwingt und leichtfüssig zum offenen Fenster hinein klettert, um in den verwinterten Raum zu springen. Sein luftiges Esprit breitet sich im Raum aus und macht ihn weit, wie auch mein Herz, dass sich ihm entgegen wiegt.
Es wird hell und licht, während plötzlich der Geruch von Holz und Grün aus dem Baum vor meinem Haus zu mir hinein getragen wird. Zweige des Apfelbaums scheinen die Mauern zu durchbrechen und mich wie ein frisches grünes Dach zu behüten. Vögel zwitschern darin um die Wette. Auch Stello Negro, mein steter Gast, der Amselmann, blinzelt mir zu mit den schwarzen Knopfaugen, die einen gelben Rand tragen. Er weiß auch ohne Gedanken, von was er singt, und wie er aus der Fülle seiner musikalischen Kehle für mich schöpfen und mein Herz berühren kann. Fern von hier antwortet das Weibchen oder vielleicht der Konkurrent im Kampf um die schönste Amselfrau.


Regen tropft und tränt
auf glitschige Planken
helles Grau hüllt den Tag
in ein lichtes Gewand
es fließt und strömt
in Baum und Strauch
schon grünt es hier und da
das Gras flüstert

ich lausche der Amsel
meinem täglichen Gast:
sie lockt den Frühling herbei


heute nacht hat mich der frühling besucht


er trug die gestalt eines grünen engels
krokus und winterling
schmückten das lange haar
sein gewand war aus schnee
etwas eis wirbelte in seinen flügeln
doch sein kuss war lebenswarm
und unter durchsichtigen füßen
erwachte die erde

er nahm mich mit
und ich sah die hecke erblühen
und versteckt darin
hinter den dornen
ein nest
darin ein blaues ei


früh in diesem jahr


tauwetter und glitschige wege
auf denen man ausgleiten kann
wenn duftveilchen
viel zu früh schon erblühen
und der krokus fast wieder schläft
im februar
wo
sind schneeglöckchen und märzbecher geblieben?
keine zeit
denn schon grünt die hecke
und heute sah ich kraniche
auf dem weg in den norden
einmal mehr spüre ich zeitbrüche
und stunden, die marathon laufen
ich komm nicht mit
und hinke einstweilen
der zeit hinter her


In Sternenhände lege ich den milchigen Mond
der verlassenen Wintertage
Vollkommen rund, ein matter Spiegel
der vor dir schwebt
wenn Seelenfinger weibliche Tastaturen zum Klingen bringen
Dur-Klänge dem Himmel entgegen fiebern
und im Moll ein dunkles Sterben liegt
Einsam, der weiße Schwan, der über den stillen See gleitet

Wenn im Fensterkreuz Grün lockt
und Kraniche sich auf den Feldern sammeln
Weht der Duft österlicher Tage


Du, weißt du was ich heute sah, als ich wieder einmal mit der S-Bahn von Nord nach Süd fuhr?
Unter einem bleifarbigen Himmel, auf dem vereinzelt rosige Flicken saßen, trugen die Bäume Schleier. Besonders die biegsamen Birken sahen aus wie junge Bräute, die beginnen, sich für den Liebsten zu schmücken und dabei das Tanzbein schwingen. Und zwischen den alten verrotteten Gleisen ein einzelner Stamm mit zarten weißen Blüten im Geäst, wie eine Wolke aus Schnee.


Die Zeit hält den Atem an

"Lasst mich bitte allein, und kommt mir nicht zu nah."
sprach der Baum mit der Wolke aus Blüten in den Zweigen zu den alten Gleisen.

Die Gleise knarrten ein wenig und säuselten mit dem Wind, ließen sich nicht beirren und summten leise ein Lied:

"Du wirst schon sehn
wirst schon sehn
schon sehn
sehn!"

"Seit still, ihr stört mich beim Träumen."
schimpfte der Baum, der den Kopf in den Wolken trug.

Im Schienenstrang wisperte es furchtlos:

"wir gehen weiter,
immer weiter, wohin der Weg uns führt
weiter, wohin der Weg uns führt
wohin der Weg uns führt
der Weg uns führt
Weg uns führt
uns führt
führt."

Da spreizte ein Spatz seine Flügel, gerade hatte er am Boden nach Krumen gepickt und mit seinen Freunden eine Amsel verscheucht. Sie war ziemlich frech und flog in den Baum, dass die Blüten nur stiebten und pickte zwischen den Zweigen.

"Ach kleine Müsch," lächelte die Verzauberte mit ihrem Blütenhelm, " jetzt bin ich aus den Träumen gepurzelt."

Und die Gleise glitzerten , weil ein Sonnenstrahl ihnen Licht gab.

"Es bleibt, so muss es sein
bleibt, so muss es sein
so muss es sein
muss es sein
es sein
sein"


er wind ist aufgefrischt
und hat mit kühlen fingern
den himmel frei gelegt
unter den sternen
erwachen verträumte gärten
leise säuseln die blätter
noch ganz versteckt
und ein vorwitziger dorn
streckt sich dem wehen entgegen
und die rosen
ich ahne schon den feinen duft


in diesen tagen 4


wie kleine sonnen
blinzeln blütenköpfe gelb
aus wintermüdem gras
in den hecken wispert es wieder:
ein neuer ton zum alten lied
der zwischen zweigen
wie ein vogel zwitschert
und leise knackt
dort im gebüsch


Es lichtet in Zweigen
versilbert spiegelt See Blau
Perlenkätzchen, wie Tau
tropfen in Himmel
zart noch scheint mir der Frühling
ein Mädchen voll Anmut
mit einem Versprechen nach mehr


Wie außen, so innen!

Immer, nicht nur in diesen Tagen, trage ich meine persönliche Karwoche mit mir herum. Innere Gräber sind zu betrauern, bevor sich unter neuen Erdschichten neues Leben regen kann und sich mit Ostern das Versprechen von Wachstum durch zunehmende Wärme und Licht erfüllt.
Doch bevor etwas wächst braucht es Tränen oder Regen, damit die Verhärtungen aufweichen können.
Ich schaue zum Fenster hinaus. Allmählich legt sich der Regen und es wird heller.


alles zu seiner zeit


ich dachte heute
dass ich wohl
oder nein
noch zu früh
zwar schüsseln blüten gen himmel
und malen kraniche
abgezirkelte einsen ins blau

aber

noch ist strumpfhosenzeit
mahnt die mama
und palmkätzchen nicht geweiht
warten vor ostern
auf eierbunt
im frischen moos


„zwischen bewegung und auflösung liegt der vollkommene augenblick, in dem alle dinge zusammen singen – himmel, meer, sand, erde, blut. ihr lied nennt sich erblühen.“ Ralph H. Blum – Runenweisheit


Es summt, zirpt und singt in mir - alles in Aufruhr und Bewegung heute.
Aufbruch auch in den belebten Gesichtern der Menschen. Sie eilen, als wollten sie dem Frühling entgegen laufen. Überall wachsen mir treibhausvorgezogene Hyazinthen, Osterglocken und Krokusse entgegen. Das Bedürfnis nach Grün und Bunt scheint groß zu sein. Die Auslagen und Angebote der Geschäfte bieten es in rauen Mengen an.
Um den Frühling zu begrüßen und herauszufordern, kaufte ich mir gestern vier neue Kaffeebecher – geblümt in schönen Pastellfarben. Fast hätte ich mich auch noch an dem gelben Osterhasen aus Porzellan vergriffen. Schließlich kaufen die Menschen sich einen Hauch von Frühlingsahnen, wo es noch nicht wächst, und wenn der Winter schon zu lange andauert. Wie schön es wäre, endlich den dunklen Wintermantel wegzuhängen, um weniger eingemummelt mehr Figur zu zeigen. Die Nasen strecken sich dem Himmel entgegen, so als könnten sie noch nicht glauben, aber es duftet - eindeutig - nach Grün und Gras und diesem ganz speziellen Frühlingsgeruch.
Am liebsten würde ich Pinsel und Farben kaufen und alle Wände grün und gelb, hellblau und rosa streichen.
Zwischen zwei Atemzügen, in einem ganz vollkommenen Augenblick innerer Ruhe - in diesem Tal dazwischen - tanzen in meinen Ohren die Töne über das Klavier, während die Oud Moll spielt und das Akkordeon, melancholisch noch, zu vermitteln versucht zwischen Tastenhüpfern und und Saitenschwereleid

Le pas du chat noir - (Anouar Brahem)

Die Oud stapft mit schweren und müden Schritten über den festgestampften Schnee, während die Tasten des Klaviers von Stein zu Stein über einen munteren Bach hüpfen – das Akkordeon hält sie zusammen – den scheidenden Winter und den herannahenden Frühling. So kommt es mir jedenfalls heute vor.

Fast höre ich hinter den Schichten der Zeit das Perpendikel-Geschwinge von Großmutters Standuhr im alten Haus. Hin und her pendelt es, gibt den Takt vor - und dazwischen - ausgependelt für den Bruchteil einer Sekunde - dieser vollkommene Augenblick, in dem die Zeit stehen bleibt und alles möglich erscheint.


Kurzlyrik vom 8. März 2009

und Regen fällt in Silberfäden
aus graubewölkten Schleierhimmeln
nichts lässt heut Blau durch Ritzen blitzen
***
es hoben Schleier sich vom Wolkengrau
und legten frei das Himmelsblau
wie Seide leuchtet nun der lichte Tag
 ***
ein kurzer Blick ins Frühlingsblau
gewährte mir der Himmel heute
jetzt schließen sich die Schleier wieder
und Regen fällt in Silberfäden
aus graubewölkt
***
Wolkenschiffe gleiten
auf himmlischen Ozeanen
mit aufgerichteten Segeln von Ost nach West
auf windigen Wegen hinein in die Nacht
Schwänen gleich mit ihren lichten Flügeln




der traum war seltsam abstrakt. er bestand aus farben, die auf weißes papier tropften. jeder farbtropfen war mit einem eigenen klang verbunden. das blatt füllte sich mit bizarren blüten, die ineinander verliefen, stengel und blätter verflochten und mit einander verschmolzen, während sie gleichzeitg eine dem ohr vernehmbare melodie in den wind schrieben. ich schaute von oben auf das geschehen und ließ mich von der melodie einwickeln, wie in einen kokon aus seide, dem zum schluss, bevor ich ganz eingesponnen war, die gesamte palette frühlingshafter düfte entströmte.


Morgenimpression am 19 März 2009


groß wie ein Riese
noch kahl
legt sich der Baum als Schatten
ins frühlingsgrüne Gras
Erste Gänseblümchen
schmücken die verzweigten Arme
und eine Amsel hüpft
ein Grashälmchen im Schnabel
wie auf einem Steg
über den Stamm
hast du das Licht gesehen
Gertrude
zwischen den langen Schatten?
Und den kleinen Hund, so wuselig
der sein Beinchen hebt
am Bordsteinrand?


Für Johanna


Siehst du heut die Wolken ziehen
an dem Himmel wie gemalt
der aus Bilderbüchern stammt
Wolken fliehen Himmelsblau
schweben weiß zerfließend über ferne Horizonte
die Sonne wärmt
der Wind malt Zärtlichkeit auf wintermüde Haut
zwei Raben fliegen übers Dach
sie zanken mit den Amseln
um den besten Platz im Baum
eine kleine rote Katze
streckt das Fell dem Licht entgegen
und genießt...ganz ohne Fragen
den geschenkten Frühlingstag


rosarot, der morgen
kleine lichte wölkchen schweben über den himmel
der nicht grau sondern blaugrau erscheint
winzige blaue fenster hier und da
ein versprechen?
im traum wuchsen der hecke schon rosenblüten
ein spatz tschilpte fröhlich im gras
im liebeslied der amsel sang auch klagen
wenn in die träume sehnsucht wuchert
nach den sommerlichen gestaden 
gleitet ein schatten über die erde
und hinterlässt eine grüne spur
wenn er über den horizont springt.


lichtgrün


ich sehe die weiden am see erwachen. zarte durchsichtige schleier kleiden sie frühlingsgrün. im wind gleichen sie den bräuten, die morgen in gläsernen schuhen auf der eigenen hochzeit tanzen werden. unbeholfen und ungeschickt neigen sie - backfischen gleich - ihr haupt vor dem, was sie nur ahnen, was aber längst in ihnen fest geschrieben ist.
nichts vermögen sie zu verbergen vor neugierigen blicken. unter dem grünen flaum lassen sich die strukturen der zweige nicht verbergen. die zeit steht still für eine weile voll unschuldiger grazie, bevor das leben sie raubt und vollendet. dieses zögern noch an der schwelle, ein übergang.


jenseits der hecken

jenseits der hecken erstreckt sich das feld. über nacht haben die braunen furchen pastellfarben bekommen. der frühling schaute von oben zwischen den wolken hervor - aus einem jener winzigblauen fenster. er sah, dass es zeit ist. zaghaft noch streute er grün, und in die hecke eine handvoll rose, zwei hände weiß und viel sonnenblumengelb. selbst die tristen langweiligen genossenschaftssiedlungen am rande der stadt, wo über dem unrat zwischen den häusern die ratten spazieren gehen, sehen verzaubert aus, heute. der frühling malte ihnen hoffnungsschimmer. für einen augenblick lächeln die grauen bewohner, wenn sie hinter der gardine am fenster stehen und hinaus schauen. auf die kurzgeschorene wiese, haben sich kleine narzissen verlaufen und klingeln gelb mit ihren glocken.
ein bettler geht durch die reihen der bahn und bittet - ziemlich zitterig - um eine kleine spende. er trägt eine fahne von ungelüfteter gleichgültigkeit hinter sich her. seine augen haben längst der sternenblick verloren. die jacke, die lose um seine schultern liegt und sich aufzulösen beginnt, stammt aus achtlos beiseite geworfenen säcken zwischen den altbaukasernen. fasst vermeint mein auge winzige tierchen darin zu sichten, die emsig und geschickt die fäden auseinander drehen und so dazu beitragen den verrottungsprozess zu beschleunigen. für einen augenblick frage ich mich erschauernd, ob die jacke wohl aus lebenden tierchen besteht.
ein alter herr mit hut - sehr gepflegt - grüßt eine dame im nerz, die weiße stiefel trägt und einen gefochtenen grauen zopf, und auf der anderen straßenseite geht. sie sind am friedhofstor verabredet, das ein machtvoller engel bewacht und werden - nachdem die gräber besucht und mit frühlingsblumen geschmückt sind, im helga´s bistro auf der ecke bei kaffee und kuchen über gott und die welt reden, auch darüber, dass die enkel sich nicht mehr anstrengen mögen.
jugendliche hier und da mit stöpseln in den ohren. es ist noch früh am vormittag. ob sie schon schulfrei haben.
über allem zwitschert eine amsel, und die katze nebenan steht vor der tür und maunzt. sie will rein, denn ihr ist kalt. nur ab und zu blinzelt die sonne

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 28.03.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die dem Frühling entgegen fiebern

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