Inhalt:
6 aachener weiher
8 Klangwelten
12 Nordic Walking am Rhein
16 StadtRäume
19 Mister Nikolaus 2007
22 Stadterwachen
24 Momentaufnahme
27 StadtReise
AM AACHENER WEIHER
graue wolken fallen tief
versinken still im weiher
schwanenstart zum flug
jogger spiegeln sich rot - kurz
noch sind bäume grün
inmitten der sonntagsruhe
drängeln sich karpfen im nass
KLANGWELTEN
Ich finde menschliche Stimmen faszinierend. Wahnsinn, was sie an Emotionalität vermitteln können. Lautstärke an sich stört mich weniger, eher wenn Stimmen einen schrillen oder aggressiven Ton annehmen.
Ich wohnte in Köln mal in der nördlichen Altstadt, nahe beim Dom:
in der Nähe war die Musikhochschule, jede Menge übende Musikstudenten wohnten in der Nachbarschaft, aber auch italienische Familen, deren Mamas von oben lautstark nach ihren Kids riefen und die Türken mit ihrer orientalischen Musik. Zwischendrin Kölsche Töne.
Ein paar Schritte entfernt in der Weidengasse ist die ganze Strasse in türkischer Hand: Restaurants, türkische Alträucher, Kurmelsläden mit einem bunten Sammelsorium an Waren; und über allem der Duft von frischem Fladenbrot. Wenn ich durch diese Gasse ging, schaute ich mich vorsichtig um - da lag auch etwas Unheimliches in der Luft und hinter den
geschlossenen Türen und Fenstern.
Pänz - multikulti - gabs überall, auch streunende Katzen, die nachts im Liebesrausch maunzten und wie im Süden Vögel, die im Sommer auf dem Balkon zum Innenhof zwitscherten.
Unsere Wohnung war eine Hinterhofwohnung.
Die Mauern waren dick, schluckten die Geräusche und hielten im Sommer die Hitze draussen. Ich heizten mit Kohle.
Vor der Haustüre schlenderten abends die schon etwas abgetakelten Prostituierten und warteten auf Freier. Auch die typischen Veedelkneipen gabs in der Straße. Insgesamt eine sehr anregende lebendige Klanglandschaft, die mir tagtäglich um die Ohren brauste.
Das Stimmengewirr vermittelte sich über die zum Innenhof geöffneten Fenster. Das Veedel, etwas herunter gekommen, inzwischen teilweise restauriert hat etwas: Lebendige Urbanität und Vielfalt, und die ganze innerstädtische Kulturlandschaft lag mir zu Füßen, nur wenige Schritte entfernt.
Die Wohnung war etwas zu dunkel, deshalb zog ich nach ein paar Jahren um. ich wäre - wegen dem inspirierenden Umfeld gern dort wohnen geblieben.
Ich glaube, wenn meine Kinder aus dem Haus sind, ziehe ich wieder zurück in die Altstadt Nord.
NORDIC WALKING AM RHEIN
Unter raschelnden Bäumen
fliege ich dahin
über verschwimmenden Asphalt
auf der Hohenzollernbrücke
rattert die S-Bahn nach Neuss
während Kaiser Wilhelm der I.
stumm auf seinem Ross
schon seit ewigen Zeiten
Brückenwacht hält
auf Wegen neben dem Fluss
eile ich dem Bug aus Glas entgegen
Schokoladenmuseum
wie eine Verheißung exotischer Träume
strandet es im Rheinauhafen
daneben die geduldigen Angler
die zwinkernd den spärlichen Fang beäugen
da wo ein Turm die Drehbrücke bedient
und hinter mir immer der Dom
eine Karikatur schiebt sich vor mein inneres Auge
Karneval und schunkelnde Zwillingstürme
das ringt selbst teuflischen Fratzen
ein schiefgesichtiges Lächeln ab
die Loreley hat angelegt
wartet ungeduldig wippend am Steg
auf den Besucherstrom
Männer in Gruppen gestikulieren entspannt
da ist was passiert
weiter südlich am Rhein
ein letztes mal lockt der Sommer
mit Eiswagen und Sirenengesang
auf vielbefahrenen Straßen
und am Mittag ein kühles Kölsch
erfrischt und lockert die Sinne
unter dem unbeschreiblichen Blau
und mein Mond
ruht noch am Mittag im Schaukelstuhl
ich steige ein in die eilfertige Bahn
schweißnass und erhitzt
doch ein Lächeln für dich
schenke ich noch dem Rhein
StadtRäume
Die Stadt gleicht einer Riesin. Mit ihren vielen Fangarmen
- wie ein Oktopus -
fängt sie dich ein und in ihren Bann.
Heute Morgen - es ist September - wirkt sie ausgeschlafen. Die Runzeln im Gesicht sind galattgebügelt. Der Regen hat ihre Haare geringelt. Jung und frisch hüpft sie in bunten Plastikstiefeln durch die Regenpfützen und pfeift ein freches Gassenlied.
Im Nebel klingt alles gedämpft.
Nur die scheppernden Geräusche von Metall auf Asphalt klingen spitz und grell in meinen Ohren. In der Altstadt werden gerade die Kölschfässer verladen.
Ein Türke steht vor seinem schmalen Lokal - packt den Einkauf vom Großmarkt aus - mindestens zehn riesige weiße Kohlköpfe im Netz - zähle ich, und die gleiche Menge Gemüsezwiebeln, ein Knoblauchzopf und eine ganze Bütt voll Mohrrüben.
Sicher alles aus der nahen Ville zum Großmarkt in Köln gekarrt.
Im Lied der Riesin plätschert der Rhein - eine Schiffshupe und das Tuckern der Motoren von Verladeschiffen klingt mit.
Fröhliche Gelassenheit strahlt die Riesenkrake aus.
Es ist meine Stadt, und gerade erst beginne ich, ihr die Geheimnisse zu entlocken.Für mich verfügt sie mit ihren Alltagsspuren über den vielschichtigen Reiz der nicht mehr ganz junger Frauen. So sind wir fast schon Zwillingsschwestern - die Stadt und ich - so, wie ich mich selbst noch besser kennenlernen möchte, so will ich auch sie entdecken und mich mit ihr verschwistern.
MISTER NIKOLAUS 2007
sein anzug hat sieben taschen
jede vollgepackt mit kleinen bunter päckchen
flach - nicht auftragend
darin der kick, das manna, bunte träume schenkend und manische energie
vergeßdochpillen und ... er sieht gut aus
mit feingeschnittenem gesicht
und himmlisch - diese so ungemein schmeichelnde stimme
sie kommen zu ihm, die kleinen hausfrauen mit nebenjob und gestylten nägeln
für einen hauch von mondäner welt
mit dem apetit aus den hochglanzprospekten der prominenz
die jungs von der strasse, so cool und voll neugier
er imponiert
und das mädchen von nebenan
dass nachts nicht schlafen kann, weil es früh seine träume verlor
er ist ein smarter kerl, spielte sein spiel gekonnt
weiß die "damen" zu nehmen
jeder gibt er was sie sucht
als schaue er durch sie hindurch mitten in die seelenlandschaft hinein
sehend, was sie selbst nicht sieht
trägt selbstnutzen davon
und das zierliche mädchen von nebenan
ich kannte sie schon, als sie noch in den windeln lag
heute sah ich sie von weitem
an der alten fabrik
papageienbunt, auf dem strassenstrich
STADTERWACHEN
lautlos gleitet
im schatten der nacht
wem der wind flügel schenkt
verschluckte tage
in die ein KAUM stille haucht
unfassbar
bevor der morgen
dem grau der stadt rouge auflegt
und in der blauen stunde
die letzten bordsteinschwalben
in ihre traurigen betten steigen
und ein vergessenes mädchen
zwischen rinnsteinen
nach verlorenen worten sucht
siehst du sie?
sie trägt das herz im gesicht
geöffnet wie ein seltenes buch
und in ihrer unschuld
gleicht sie dem ersten schnee
MOMENTAUFNAHME
Dieser Taxifahrer heute, 77 Jahre alt und scheinbar fit wie ein Turnschuh, zumindest psychisch und geistig - erzählte gern, konnte gut reden, Oktoberwaage, seit 51 jahren fährt er durch die Weltgeschichte, erst als Fernfahrer, dann als Krankenwagenfahrer und jetzt schon lange immer noch als Taxifahrer - er kennt seine Zunft und die Tricks - 25 Prozent Geschäftrückgang in der letzten Zeit, allgemein - nun den Leuten sitzt das Geld nicht mehr so locker - wie gut, sagt er, dass er Deutscher ist:
"Sie glauben gar nicht wieviele Leute an den türkischen Wagen vorbeigehen, weil sie einen deutschen Fahrer haben wollen, kann man doch verstehen, oder?"
Fahrerinnen, nein die fahren abends fast gar nicht mehr, mussten ja unterschreiben, dass sie auf eigene Verantwortung unterwegs sind - abends - wegen der Überfälle. Er kennt sich noch aus im Gegensatz zu seinen älteren Kollegen, die Straßennamen vergessen und keine Schleichwege mehr kennen und finden und überhaupt. Er erzählt weiter, scheint dankbar zu sein fürs Publikum:
"Ich sprach gerade mit dem Fahrer dort vor der Klinik über einen ehemaligen Arbeitskollegen - 70 - jetzt hat er Alzheimer und kennt niemanden mehr - aber am schlimmsten waren immer die Fahrten zum Mildred-Scheel-Haus - Hospiz - da bleiben die Menschen nicht lange, Endstation.
Ich war noch dabei als die Frau Scheel das Hospiz einweihte. die hat ja damals nicht gewusst, dass sie mal an dieser Krankheit sterben wird. Und sauber sei es dort, unwahrscheinlich und die Schwestern so besonders nett.
Es ist 16 Uhr und er seit 5 Uhr früh in Köln unterwegs- ist seine letzte Fahrt für heute. Müde? Nee müde sei er nicht, das mache ihm alles nichts aus. Er wird ein S tück größer, als ich ihn vorsichtshalber auf siebzig schätze - seltsam, auf der Hinfahrt war der Fahrer auch schon etwas älter und hatte leichte Orientierungsschwierigkeiten.
STADTREISEN
Ich steige in die S-Bahn, Bahnhof Mülheim ein. Sie wird mich in 25 Minuten in den Kölner Norden fahren, wo ich lebe, alles grün ist und relativ ruhig. Rundherum ein Durcheinander verschachtelter Häuserblocks, Armenviertel - heruntergekommen und schmutzig und dazwischen Geschäfte - es ist laut, denn die Frankfurter Strasse ist vielbefahren und führt mitten durch das Viertel. Imbissstuben multikulturell, verblichene Cafes und Stadthausfassaden aus der Gründerzeit. Frisch renoviert sprechen sie von den "besseren Leuten". Mit Mülheim verbindet mich viel, wie überhaupt mit allen eher vergammelten Stadtteilen in Köln . Meine Klienten leben meist dort. Es gibt hier noch heruntergekommene Wohnobjekte ohne Bad und Heizung. Familien mit vielen Kindern leben dort. Alkoholiker an allen Ecken, Drogentreffpunkte, Kleinkriminalität. Von irgend etwas muss Mensch ja leben. Harz IV reicht hinten und vorne nicht. Überall Ratten und soviel Schmutz. Die Menschen, die dort leben, haben keine Hoffnung mehr. Sie geben die Hoffnungslosigkeit weiter an die Kinder, die sich selbst überlassen auf verdreckten langweiligen Spielplätzen spielen. Sie sehen verwahrlost aus. Warum sich anstrengen? Hat doch eh alles keinen Sinn. Selbst die Arztbesuche werden vermieden. Ein- bis zweimal pro Woche kommt der Lebensmittelwagen in die Siedlung und verteilt kostenlos an die Bewohner, was in den Geschäften und auf den Märkten übrig blieb, nicht mehr verkauft wurde - schließlich gibt es Verfallsdaten. Das Gedränge ist groß und es wird gerecht nach Liste verteilt.
Aber eigentlich wollte ich von dieser Frau um die Vierzig sprechen, die ich sah und beobachtete, als ich auf der Querbank im hinteren S-Bahn -Waggon Platz nahm:
Sie saß mir gegnüber in die Ecke gequetscht. Vor ihr lagen drei oder vier Plastiktüten mit Papieren und Zeitschriften. Aus einer schaute ein paar Schuhe heraus. Auf dem Schoß hielt die Frau einen Schlafsack. Ihr zartes Gesicht zuckte. Wollte sie lachen oder weinen. Sie wirkte verzweifelt, so wie jemand, dem grade das Leben in Stücke zerbricht und der nicht weiß wohin. Hat sie keine Wohnung mehr? Ihre Kleidung ist sauber und die Haare wirken frisch frisiert. Aber das Gesicht wirkt ein wenig verlebt, zeigt Spuren von Erschöpfung und Stress. Ist in den Flaschen, die sie bei sich trägt, und aus denen sie ab und zu trinkt, nur Mineralwasser? Wo will sie hin? Bei der Fahrkartenkontrolle kann sie einen Fahrausweis nicht vorliegen. Sagt mit klarer Stimme, sie habe ihn verloren, nennt eine Adresse in Düsseldorf. Ein verwaschener Reisepass mit Eselsohren wird aus einer Tasche gefischt, die Personalien aufgenommen. Die 40 Euro muss sie nicht sofort bezahlen. Sie wird unbehelligt bis Neuss fahren. Neuss ist Endstation!
Ich kann nicht wegschauen, der verzweifelte Kampf in ihrem Gesicht macht aufmerksam, zwischendurch redet sie mit sich selbst, dann weint sie in sich zusammen gesunken. Drei Sitze weiter holt ein Mann, russischer Abstammung, ein Taschentuch aus seiner Tasche und reicht es ihr ohne Worte. Der Frau neben mir, Russin, ist anzumerken, wie unangenehm ihr das Gegenüber ist. sie wirkt irritiert und ist mit Säugling und dem heranwachsenden Sohn, der später dazu steigt, abgelenkt. Ich schaue die Frau gegenüber an, fasziniert auch von dem raschen Wechsel zwischen Licht und Schatten in ihrem hellen Gesicht - sie weicht dem Blick aus, scheint völlig mit sich selbst beschäftigt, so als sei sie nicht hier, sondern aus der Zeit gefallen. Was kann ich tun? Nichts! Zur Kenntnis nehmen, registrieren, mich berühren lassen, den Schmerz fühlen, darüber schreiben.
Es ist leicht, all das zu verdrängen, wenn man am Stadtrand in halbwegs geordneten Verhältnissen lebt.
Texte: Fotos: JanWal
Fotobearbeitung: Angelika Röhrig
Alle Rechte an Text und Bildern liegen bei JanWal und Angelika Röhrig
Tag der Veröffentlichung: 16.01.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch widme ich meinem Mann und den Kindern und allen Kölnern
Lieber JanWal, ich danke dir herzlich für die wunderbaren Kölnfotos!