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Inhaltsverzeichnis

8 Morgen schon
9 Weißt du, es war noch Nacht...
11 Findende Vögel
12 Zeitreisen 1
13 Foto "Weihnachtsbaum" von dieterundmarion
14 augenblicke, blassblau 1-16 (senryus)
15 Foto: "Flamenko" von irisch
17 Foto: "Stilleben im Kerzenschein" von jenzig71
19 Foto: "Kerotu" von khv24
21 Foto:"Karusselpferd" von Hofschlaeger
22 Zeitreisen 2
23 Foto: "Süße Äpfel" von kathie
24 Vom alten Jahr, das nicht gehen wollte
27 Was ich sah...
28 Wenn...
29 Foto: "Die Tür" jules jordison
30 Tankas vom Winter
31 Foto: "Im Kinder-Märchen-Wald von Joujou
34 Ich liebe sie...
36 Blassblau hat mich heute im Griff
37 Ein Zugewinn an Zeit
40 Winterliche Haikus und noch etwas:
41 Foto:"Winterwald 14" von wrw
43 Ich traf Frau Holle
44 Begegnung mit...
47 Foto: "klapperhart gefroren" von Maiha
47 Winterwege 1
48 Die blassblauen Tage sind vorbei
51 Foto: "Äste im Winter" von Maren Beßler
51 Blau
52 Am Abend weht ein kalter Wind
54 Ausgebremst
56 Foto: "Heiliger Abend von zoom123
57 Dreikönigstag
58 Nie
59 Gestern!
60 Nebelboot
60 Foto:"Boot" von Albrecht E. Arnold
62 Der Augenblick, in dem das Jahr wechselt
68 Foto: "Licht und Schatten" von Ennasil
69 Der Krug geht zur Neige
:



MORGEN SCHON


Etwas Glimmer zwischen den Stunden
und verdorrte Nadeln unter dem Baum
in dem Vögel glitzern und Sonnenkugeln
Hinter den Sekunden
zartgesponnenes Engelshaar
und Atempause den Uhren
die langsam gehen
bis sie eilen mit ihren Gaben
aus goldenen Worten und exotischen Versen
die Weisen aus dem Morgenland
um es zu segnen
das neue Jahr
mit Weihrauch und Myrrhe

und Zeit sich häutet wie eine Zwiebel




WEISST DU, ES WAR NOCH NACHT

Jene besondere Nacht mit ihrem Hauch von Ewigkeit - als der Tag sein lichtes Haupt über den Horizont schob, wie eine Riesin mit wallendem Silberhaar und dem Vollmond auf dem Scheitel - ein paar Wolken zogen südwärts und brachten vom Norden her Frost. Der Himmel färbte sich rosenrot und ich dachte noch: was wird er bringen? Verderben und Tod oder die Hoffnung auf Frühling und Neubeginn.
Da kam der Wind und flüsterte in den Zweigen, und die Amsel suchte nach Futter unter dem Apfelbaum. Das hatte ein heranwachsender Schlingel den Vögeln gestern als Weihnachtsgabe ausgestreut.
Ein paar Spatzen waren frech, sie zankten den großen Vogel, versuchten ihn zu verscheuchen. Sie, die kleinen Spatzen in Scharen mit einem einzigen Ziel - Futterplatz - schafften es immer wieder, sich einzelne Körner zu stibitzen. Während die einen die Amsel provozierten, fraßen die anderen. So bekamen alle, was sie brauchten - die Kleinen und die Großen.
Ich schaute vom Fenster her zu - hörte, was der Wind den Zweigen erzählte - die große Geschichte von Wotan und seinem Gefolge, die in den rauen Nächten zwischen Heilig Abend und Dreikönigstag ihr Unwesen treiben - sah den Vögeln beim quirligen Treiben zu und schenkte der Riesin am Horizont in ihrem Rosengarten mein allerschönstes Lächeln. Ja, ich kniepte ihr zu, während von der Küche her Kaffeeduft herrüber strömte. Ich wollte die Zeit anhalten, diesen Augenblick in die Länge ziehen und seine Essenz wie das Mark von Hagebutten bewahren.
Erstaunt stelle ich fest: es geht! Im Gehäuse meiner Gedanken, dass wie ein Haus mit vielen Räumen ist, öffne ich die Tür zum kleinsten Raum ganz oben, und da leg ich ihn ins Regal zwischen Stollen und Honigkuchen, und für die Weihnachtsmaus lasse ich ein Stück Käse da.

Wann immer ich will, wenn ich es brauche, nehme ich den kleinen Silberschlüssel vom Schlüsselbund, gehe die steilen Treppen hinauf bis unter den Giebel und öffne die Tür: da finde ich ihn wieder, den Augenblick.


FINDENDE VÖGEL


Schnell noch mal vorbei gerauscht
mit den Flügeln flatterlich
und im Diwan eine Weile
still gesessen und gestaunt
was die Menschen doch so treiben
wenn die Nacht zum Schlafen ruft
Sternenstaub lass ich euch hier
und vom Träumesand den Rest
flieg hinaus in meinen Baum
zu dem andren Federvieh
und deck im Nest mit Federn zu
den geraubten Glitzerkram




ZEITREISEN 1


Das neue Jahr ist noch jung. Gemessenen Schrittes geht es voran - langsam, achtsam, vorsichtig - mit diesem Blick nach vorn aus einem Kopf, der undeutlich noch - einen Heiligenschein trägt.
Zwischen die Sekunden der graublauen Tage hat etwas Sternenstaub gestreut, oder ist er aus den Zweigen des grünen Baumes gefallen, der seiner Kugeln und Kerzen beraubt nun die Nadeln verliert?
Meiner steht noch.
Ich gebe ihm eine Gnadenfrist. Und wenn ich ihn am Abend entzünde, ist es mir, als könne ich die Zeit anhalten, um in den Gedanken nach zu holen, was in der Hektik der diesjährigen Adventszeit stecken geblieben ist.
Es ist wie ein Nachreifen, um wieder mithalten zu können mit der Zeit, die spätestens wenn die Krokusse blühen wieder beginnt zu rennen, als sei der Teufel hinter ihr her und nur mit größtmöglicher Geschwindigkeit zu verhindern, dass man etwas lebenswichtiges verpasst.

Früher, als ich Kind war und es noch nicht überall Heizung gab, blieben die Christbäume bis Lichtmess stehen.





AUGENBLICKE, BLASS-BLAU 1-15







1
zwischen den zeiten
das morgen noch nicht ersehnt
bin ich ganz bei mir

2
zwischen den schichten
aus blauem seidenpapier
rosenblätterduft

3
blassblaue tage
verschwimmen im regengrau
dunkel naht die nacht

4
aus einem album
fällt ein kindlicher engel
glanzpapiersilbern

5
vergangene zeit
in alte schachteln gepackt
wehmut rührt mein herz





8



6
eine junge frau
vergilbt im schwarzen rahmen
lebendig schaut sie

7
verblasste briefe
in rotes band gebunden
erinnern mich

8
blassblaue briefe
erinnerung verborgen
blutrot gebündelt

9
blauer schmetterling
traumtänzelnd schwebst du davon
brichst mein herz entzwei

10
das alte haus lockt
mit gebrochenen farben
verblichen- voll charme







11
hinter gardinen
aus spitze – einst leinenweiß
ein ängstlicher blick

12
ein buch öffnet sich
der blick streift den einen satz
die zeit bleibt stehen

13
im see ein bild
silbergrau umrahmt- mutter
ihr blick trifft ins herz

14
zwischen sekunden
streift mich ein zärtlicher blick
erstarrung löst sich

15
ein fetzen musik
dringt an innere ohren
bilder von gestern







ZEITREISEN 2

Der Wind hatte den Föhn gebracht. Mitten im Winter berührte ein südlicher Atem meine kältegewohnte Haut mit einem zärtlichen Schauer. Die federleichte Berührung weckte etwas. Etwas schon vergessen Geglaubtes. Ein Lächeln, von einem Menschen, der einmal kurz den Weg gestreift hatte, und der meinen Namen auf so besondere Weise ausgesprochen hatte. Für einen Moment begegneten sich die Blicke zweier Augenpaare - kleine schreckhafte Tiere, fluchtbereit, aber in ihnen die Tiefe des ganzen Universums.
Kann man für immer lieben, in einem kurzen Augenblick?
Es muss Frühling gewesen sein, denn gerade öffneten sich im Garten hinter der Hecke die Apfelbaumblüten, das Gras war so grün, und das Blut in den Adern floss leicht wie ein murmelnder Bach im Gebirge.

Was fehlte in jenem Moment für ein längeres Begegnen? Ein Schlüsselwort zu inneren Räumen, der Mut oder war es die Angst vor so unbegreiflichen Nähe, die es verhinderte?





VOM ALTEN JAHR, DAS NICHT GEHEN WOLLTE

Das alte Jahr tat sich schwer, denn etwas hielt es in den verborgenen Zwischenräumen fest, als warte es darauf, dass noch etwas Wesentliches in den eingefrorenen Momenten voll erstarrter Lichter am Himmel erscheinen würde. Es wollte nicht wahrhaben, dass es Zeit war zu gehen. Im silbergrauen Bart verfingen sich lange Eiszapfen. Die ablaufenden Stunden begannen sein Blut zu gefrieren, aber wie ein störrisch gewordener alter Mann beharrte es auf dem Bleiben.
Was hielt das überreife Jahr in den Abgründen seiner abgelaufenen Zeit fest? Es war starr und schwer geworden - beladen, wie ein Holzweib im Winterwald vergangener Zeiten. Die Menschenfrau zwischen den Jahren wünschte sich nichts sehnlicher, als dass es von selbst vom Stängel brechen würde, wie eine exotische Frucht - und sie nichts weiter tun müsse, als die Hände auszustrecken, um es sanft aufzufangen.
Die Zeit stand still und die Luft zum Atmen wurde dünn - nichts ging weiter. So pflückte die Frau schließlich das Jahr , schlug es vorsichtig in Seidenpapier ein, gab ihm einen Namen und seiner Hülle die Gestirne - Sonne, Mond und Sterne - und legte es zu den anderen Jahren ins Speicherregal unter dem Dach neben die letzten Äpfel und Honigkuchen. Leichtfüßig und wie ein neugeborenes Kind lief sie die Treppe hinunter und hinaus in den Garten zu den übrig gebliebenen Hagebutten.
Sie umarmte den ersten Tag des neuen Jahres und malte mit Wunderkerzen Glückssymbole in die Nacht.
Einmal noch blickte sie sich um, sah das Licht unter dem Giebel im Speicherzimmer und bedankte sich mit einem Lächeln.
Dieser Prozess, dessen Ritual jedes Jahr gleich war - immer dieses Zaudern am Ende und das Nichtloslassenwollen - fand ein freundliches Ende, denn nur wenn etwas abgeschlossen ist, öffnen sich die neuen Dinge und beginnen ihre ersten Schritte mit der Leichtigkeit verspielter Kinder.


was ich sah
war nicht meins
fern von dir grinste ein faun
doch meins - so nah
war fremd mir jenseits der zeit
und im spiegel von morgen
auf den strassen zur ewigkeit
wachte die träumende nacht
kühl und sternenklar

im jetzt hallen schritte zu laut




Wenn nun das Leben selbst ist, wie ein altes Schloss mit tausend und einer Tür. Und durch jede Tür geht es in eine andere Welt. Jedes Fenster öffnet neue Blicke.
Im Gedankenhaus öffnen sich Türen zu unterschiedlichen Räumen. Ich kann sie betreten, die Türe angelehnt oder geschlossen lassen. Und ein roter Faden führt von Raum zu Raum in einer ganz bestimmten Abfolge.





TANKAS VOM WINTER







noch ist´s nicht so weit
alles trägt in sich die Zeit
Blühen und Reife

im wilden traum spriest es grün
und wir tanzen in den Mai

***

zwischen Frostzeiten
und weißem Schneegestöber
ein südlicher Wind

ein Duft von Rosenblüten
vermischt mit Lavendelblau




Schneeduft in der Luft
und klare schwarze Zweige
erste Flocken - weiß

hab den Winter gesehen
hinter den grauen Bergen

***

die letzten Blätter
zittern im streunenden Wind
ob sie wohl fallen

heute, zwischen den Stunden
wenn die Nacht Vergessen schenkt




ICH LIEBE SIE...

diese blassblauen Tage zwischen den Jahren.


Meinetwegen kannst du erstaunt sein: für mich sind diese Tage blassblau!
Der Weihnachtsbaum geplündert und die letzten Geschenke verteilt, verzieht sich unsere Weihnachtsmaus wieder im letzten verborgenen Winkel . Wohl dem, der in den dunklen Stunden schmökernd, erzählend oder musikhörend am warmen Kamin sitzt und die letzten Spekulatius nascht. In Raureifnächten sind die wilden Reiter unterwegs. Ich lege ein paar Rumkugeln auf die Fensterbank draußen - Beschwichtigungsgesten!

Selbst hier legte sich heute Schnee über das alte Jahr.
Ruhe und Muße übernehmen das Kommando: Zeit, um zurück zu schauen, ein Jahr in Würde zu entlassen und Ausschau zu halten nach dem, was die Januarnebel noch zu verschleiern versuchen.
Uhrzeiger wandern gemächlich übers Ziffernblatt. Manchmal machen sie Rast. Zwischen zwei Lidschlägen fang ich es ein - das Augenblicksglück. Zwischen den Fingerspitzen spüre ich das warme Zittern von Federn.
Im Norden schaut ein älterer Herr zum Fenster hinaus und beobachtet, wie die Amseln letzte Hagebutten plündern und eine junge Frau malt mit Tinte Gedankenschnörkel in die Luft. Weiter östlich entzündet eine Schwester Kerzen und verabschiedet den Tag mit Glanz, und im Süden krault eine Frau ihre Katzen.
Nebenan schreibt mein kleiner Sohn seinen ersten Liebesbrief und träumt vom Großwerden. und ich, ich verfange mich in Gedanken, schicke sie auf die Reise, gut verpackt in Freundschaftswatte. Vom Elfenbeinturm starten unverzüglich meine Tauben. Als stumme Boten bewahren sie Geheimnisse gut und erreichen zuverlässig ihr Ziel.

Bald schlägt sich das neues Buch auf. Welche Färbung wird es annehmen; welchen Geruch verströmen; welche Rätsel wird es lösen, welche neu entstehen lassen?
Wie auch immer, langweilig wird es nicht, denn es ist mein Leben, und ich liebe es bunt und vielgestaltig. (Dez. 05)


BLASS-BLAU HAT MICH HEUT IM GRIFF:


Nicht seine lichte Seite, nein die Schatten - der Blues. Dabei bin ich so früh und froh aufgestanden, nach der teilweise gedankendurchwobenen Nacht, die mir den Schlaf - wie so oft in letzter Zeit - versagte.
Ich gehe mit der Schlaflosigkeit um, nutze sie, spinne Gedankennetze und vermeide sich wiederholende Gedankenschleifen.


EIN ZUGEWINN AN ZEIT

Ich habe schon viel geschafft heute, die letzte Post für dieses Jahr z. B. Der Spatziergang durch die frostige Luft machte mir Spaß. Die Sonne scheint, und plötzlich ist sie gekippt, meine Stimmung. Ich kann nicht sagen warum, nur dass ich hier sitze, traurig bin, und mir die Tränen in den Augen stehen. Das Jahr neigt sich, was wird das neue bringen?

In der Zeitung las ich heute früh, dass eine Mutter ihren fünf Monate alten Sohn an die Wand geworfen hat. Vorher versuchte sie , das Kind mit einem Messer umzubringen. Der Lebensgefährte verhinderte es. Während er das Messer in Sicherheit brachte, warf die Mutter das Kind an die Wand: das Kind überlebte schwerverletzt, die Mutter wurde in die Landesklinik eingewiesen. Das zweijährige Kind der Familie verschlief die dramatischen Vorfälle.

Warum hört, sieht, spürt keiner frühzeitig die Hilferufe einer kranken Mutter am Ende ihrer Kräfte? Warum verlangt alle Welt, das Mütter immer glücklich zu sein haben? Warum wird immer noch verkannt, dass nicht wenige Mütter nach der Geburt eines Kindes in eine psychische Ausnahmesituation geraten und dringend Hilfe brauchen? In der Großstadt Köln gibt es in der Alteburgerstrasse - psychiatrische Tagesklinik - gerade mal drei Betten für solche Mütter.

Eine Familie:
ein schwer verletztes Baby, eine psychisch kranke Mutter; ein Zweijähriger, der mit dem Familienzuwachs und dem plötzlichen Fehlen der Mutter klar kommen muss; ein Vater, der nicht alles verhindern konnte.
Dieser Familie kann man nur vorsichtige und behutsame Helfer wünschen.

Ich würde so gerne mit solchen Menschen arbeiten, weiß, dort wäre ich richtig; aber im Augenblick weiß ich ja nicht mal wirklich, wann und wie ich je wieder arbeiten kann. Da marschieren sie auf, die Schatten, haben eine gut ausgeleuchtete Bühne gefunden für ihr makabres Spiel. Ich sehe ihnen zu. Sie plustern sich auf - wie Vögel an Raureiftagen im Winter - versuchen mir Angst zu machen.

Bevor sie zu groß werden, lasse ich den samtroten Vorhang fallen und schreibe mir meine Befindlichkeit von der Seele (Jan. 06)


WINTERLICHE HAIKUS UND NOCH ETWAS!







schau auf dem Zweig dort
hockt sie, die schwarze Amsel
aufgeplustert, es friert schon

***

der Himmel dunkelt
es schweigen Sterne von fern
und am Fenster nah

***

es legte die nacht
ein tiefblaues samtkleid an
und schmückt es silbern

***
nie singt die amsel
im winter frühlingslieder
es ist noch nicht Zeit




ICH TRAF FRAU HOLLE

am verwitterten Tor
hing ein Flicken
hängen geblieben am Holz
lichtet er Wintertage




BEGEGNUNG MIT...

Im Traum spaziere ich durch einen langen Flur. Auf beiden Seiten Türen, dazwischen an den Wänden - Gemälde - beleuchtet und angestrahlt. Alle Türen sind geschlossen, nur die eine nicht, ganz am Ende des Korridors.
Ich schau hinein.
In einem abgenutzten Sessel sitzt eine kleine alte Frau.
Sie strickt an einem bunten Strumpf.

Sie blickte auf und lächelte mich an:
"Komm herein!" sagte sie mit tiefer angenehmer Stimme.
"Ich bin Frau Holle, und du kommst gerade recht."
Ich trete ein in den Raum, der nach Schnee duftet und Rosen und nähere mich dem Sessel.
Die alte Frau duftet nach reifen Äpfeln und frischem Brot . Sofort erinnere ich mich an die große Küche meiner frühen Kindertage und fühle mich geborgen.
"Willkommen in meinem Reich. Ich habe schon auf dich gewartet."
spricht sie.
"Aber wieso?" frage ich
"Ich besitze keine blutige Spindel und alle Brunnen sind längst ausgetrocknet."
"Trotzdem, ich habe gerade auf dich gewartet, denn der Strumpf ist fast fertig. Ich muss nur noch den Frostrand mit den weißen Flocken abnadeln"
erwidert sie sanft.
"Muss ich nicht keinen Apfelbaum schütteln auf der Wiese? Wartet kein Brot, um aus dem Backofen gezogen zu werden?"
"Nichts ist mehr so, wie es einst war", spricht Frau Holle ernst,
"doch die Märchen bleiben und ihre botschaft wirkt auch in tausend Jahren noch. Ich strickte die alten Märchenworte in den Strumpf ."
"Warum?" frage ich erstaunt.
"Du wirst den Strumpf mitnehmen in deine Welt, ihn den Menschen zeigen und mit ihnen aus seinen Mustern neue Märchen stricken."

Über meine Augen legt sich warmer Nebel, und meine Glieder werden weich, bis ich ganz entspannt auf dem Dielenboden niedersinke.

Der Wecker klingelt. Ich liege in meinem Bett unter den schneeweißen Laken. Durchs Fenster lichtete es schon. Ich sehe den Strumpf neben mir liegen.





WINTERWEGE 1

Wind bläst
durch unsichtbare Ritzen
kühl
im Aufflauen ein Hauch Rosa am Himmel
es atmen Baumriesen
zum silberhellen Singen im Ohr




DIE BLASSBLAUEN TAGE SIND VORBEI

Ich bin traurig, denn diesmal waren sie überschattet. Ich konnte sie nicht wirklich genießen. Kaum im neuen Jahr gelandet, ist über die Hälfte des Januars schon wieder vorbei. Das Neue zeigt sich von seiner grieselgrauen Seite und glänzt als kühldistanzierte Eiskönigin,
die mich mit spitzen Pfeilen bedroht. Traf ein Splitter ihres Zauberspiegels mein Herz? Warum sonst ist mir so unglaublich kalt. Eine derartige Kälte in mir - sie gleicht einem Gletscher - kannte ich bisher nicht. Selbst die altehrwürdige Wärmflasche plus Daunendecke kommt nur langsam gegen sie an.
Für mich ist diesmal wirklich Winter, nicht nur draußen, auch innen in mir selbst. Als sollte ich für immer verstehen und begreifen, welches Wesen der Winter wirklich trägt:

Der Winter ist ein alter zorniger Mann. Sein Gang ist beeinträchtigt, der Rücken schon krumm. Er droht mit knotigen Wurzelstöcken. Die Augen sind scharf, wie die eines Adlers. Ihnen entgeht nichts. Drahtige Bartstoppeln zieren sein Kinn.
Die weise Alte legt die Hand an ihre Stirn und schaut zum Fenster raus - schmunzelt und lächelt kopfschüttelnd über seine grantigen Beschwörungen - die Drohgebärden. Sie humpelt ihm hinterher, legt beschwichtigend ihre streng nach Kräutern riechende Hand auf seine Schulter, schaut ihm tief in die eingesunkenen Augen - mit diesem besonders machtvollen Blick Sie ist ihm ebenbürtig Sein Grollen verschreckt sie schon lange nicht mehr.
“Komm Alter,” sagt sie, ” spar deine Kraft, der Frühling kommt eh. Was soll das motzige Aufbegehren. Ich sehe weit und breit keine Höllenhunde. Am Ende holst du dir nur einen Hexenschuss, und ich darf dich pflegen. Da haben wir beide doch besseres zu tun - oder?”
Dabei rasselt sie laut mit den kleinen Knöchelchen in ihrem Lederbeutel, und aus dem Fenster des zugefrorenen Hauses dringt Kerzenlicht aus Totenschädeln. Blitzschnell hat sie ihn umfasst und gemeinsam gleiten sie - sich gegenseitig stützend - über das Eis. Noch jenseits des Gebirges hört man das gruseliges Totengräberlachen?

In der Zwischenzeit gruben sich tiefe Furchen in meine forterstarrten Felder in ihrem Lehmbraun. Schwarz streckt die Kastanie ihre Zweige ins schmuddelige Weiß, hält den Stürmen stand. Wenn doch wenigstens Schnee fallen würde, um alles zu verpacken in Watteweich, bis das Totengräberlachen nur noch gedämpft zu mir herüberdringt.
Aber was sehe ich da? Die Knospen des Apfelbaums sind schon verdickt, Winterjasmin hat kleine gelbe Sonnenblüten geöffnet, und die Vögel wirken wie aufgescheucht. Ach schau her, unter der Hecke stecken die ersten Krokusse ihre grünen Spitzen durch die Erde, und ja, meine Kastanie verändert ihre Farbe: Schwarz wandelt sich zu Braun. Im Haus duften vorgezogene Narzissenblüten. (Jan. 06)





blau
die kulisse
für eingefrorene bühnenstücke
im schattenlicht agierten urzeitkönige
erhaben




AM ABEND WEHT EIN KALTER WIND

Jenseits der Bäume, wo der Weg sich hinauf auf einen kleinen Hügel schlängelt, weht es eisig. Unter dem Gebüsch hat sich der Raureif gehalten. Ein komisches Gefühl durch das gefrorene Gras zu stapfen: es knirscht und fühlt sich beim Auftreten unangenehm dumpf an. Der Fuß verliert leicht den Halt. Der Weg führt mich zum See, über den das Abendrot seine Feuerfarben gemalt hat. Es ist hier windstill. Ich suche mir einen Platz im Schutz von drei Weiden, die am Ufer schon lange ihren Platz behaupten und krieche unter ihre hängenden Zweige, die wie ein Dach sind ohne Schindeln. Ich warte auf den Moment, in dem sich der Himmel entschließt, mir die blaue Stunde zu schenken - kurz nachdem das Licht hinter dem Horizont verschwindet. Ich halte den Atem an - der bis gerade kleine Rauchwölkchen zwischen die Äste blies, berauscht von der Schönheit dieses magischen Moments.
Schnell wird es dunkel. Zum Glück liegt in meiner Manteltasche eine Taschenlampe. Es ist für eine weile unheimlich.
Plötzlich ein Geräusch, ein Knistern im übrig gebliebenen trockenen Laub - Flügelflattern und das Schilpen eines aufgeschreckten Vogels, den ich im Zwielicht nicht erkennen kann. Etwas streift meine rechte Hand: weich, Fell, sehnig; eine schwarze Katze blickt mich mit Neonaugen an. Ich lache und entspanne. In der Zwischenzeit sind die Sterne erwacht. Ich stehe auf, gehe zum Saum des Wassers, staune, wie die Sterne sich spiegeln heute - und denke, was wäre wenn die Sterne, meine Geschwister, nun einfach vom Himmel gefallen wären, um mir vom Grund des Sees ihr Leuchten zu schicken?
Sie wären so nah, dass man sie aus der Tiefe pflücken und heraufholen könnte. Auch frage ich mich, wie ein solcher Stern sich wohl anfühlen würde?
"Unverbesserlich," schimpfe ich mich lachend aus,"immer diese verdammt spinnerten Ideen.
Nun, wer eine Spindel zu benutzen weiß, der spinnt halt gerne.



AUSGEBREMST


geglitten über asphalt - eisregen am vormittag
und dieser baum, der plötzlich so schief steht
und gestern ein mann in den besten jahren
der das leben nicht mehr ertrug
der sich selbst aus dem leben gebremst hat
damit
- vielleicht - seine familie überleben kann
und die frau in langenfeld
die nicht mehr weiß, was sie vorgestern tat
gedanken am rande
zwischen winter und frühlingserwachen
und die taube die starr im garten liegt
und doch zwischen den sekunden
ein lächeln - glücksmomente
von dem, dessen seele man liebt
der nah ist nach langer zeit
dazu der duft nach kaffee aus der küche
und im backofen ein nährendes brot







DREIKÖNIGSTAG


Es war der neue Tag, der die Zeit wieder ins Lot brachte.
Wie ein Versprechen vom Licht erschien schon am Morgen die winterliche Sonne am Januarhimmel und schickte mit dem Wind eine Ahnung vom Frühling. Der Himmel trug Seidenblau. Das Jahr hatte seine ersten Schritte getan und dabei den restlichen Ballast vom alten abgeschüttelt.
Und da ist der Stern, den die Sternsinger in der Stadt von Tür zu Tür tragen.
Sie zeichnen die Türen und segnen das Haus, und ihr Spruch wirkt wie ein Mantra.
Noch lange sehe ich ihnen hinterher. Der Stern der Sterne, wie nah ist er mir noch?’
Seine lichtbringende Symbolik wirkt in mir nach.
Jedes Jahr wiederholt sich die Magie:
die Feste überstanden, etwas Glanz zwischen verdorrten Tannennadeln, ein Geschenkpapierfetzen und Gebäckdosen, die sich allmählich leeren, sprechen von der hohen Zeit.

Genug der Feste, wird es nun Zeit, sich wieder dem Alltag zu widmen. Der Stern der Sterne leuchtet wohl in uns allen. Es liegt an uns, ob wir sein Licht hinaus tragen in die Welt


NIE


ging eine stunde verloren
gesammelte sichten
schichten sich hinter verschränkten fingern
ausschnitte, in gedankenalben sortiert
und mein herz dazwischen?
es lernt mit der sehnsucht fliegen!




Gestern!

War es gestern zwischen den Stunden, in denen der Himmel unerwartet aufriss? Ein Aufatmen ging durch die Welt, schwer erst und tief, immer leichter werdend, bis der Bach mir sein silberhelles Murmeln schenkte und das verbliebene Rostlaub messingfarben aufleuchtete. Im glitschigen Laub der Wege hier und da - kantig und spitz - silbergrauer Schiefer.
Plötzlich war es Frühling mitten im Winter, und ich atmete durch - befreit - als berge sich in den dunklen Nachrichten eine lichte Botschaft, die von Wende sprach, von Ausbruch. Und ich umarmte den Himmel, spiegelte mich im Bach, tanzte mit dem Wind.
Das Aufleuchten in meinen Augen hätte dir verraten müssen, dass ich niemals aufgebe. Und später in der hohen Kathedrale mit den vollkommenen Glasfenstern fand ich Ruhe und eine winzige Nische, um bei mir zu Hause zu sein.


NEBELBOOT


es liegt ein boot im stillen hafen
und ist bereit für botenfahrten
in ferne zeiten
die getrennt durch dichte schleier warten
und dir vom neuen künden







DER AUGENBLICK, IN DEM DAS JAHR WECHSELT...


ein Moment
in dem alles möglich
nichts unmöglich erscheint

die Sekunde
in der Zeit stehenbleibt
an Uhren Zeiger verharren

der Augenblick
der alle Farben sammelt
im See der Möglichkeiten

die Stunde
zwischen Tag und Nacht
wenn Gefühle Macht besitzen




Weißt du, es klingt alles nach Abschied und Beenden - nicht mehr Sommer und noch nicht Winter - etwas im Niemandsland.

Ich habe das Buch "Alice im Wunderland" nie gelesen, kenne etwas davon nur aus zweiter Hand, aber sie muss im zeitlosen Niemandsland gewesen sein.

"Was ist Zeit," fragt Marie und lässt sich in die zeitlichen Zwischenräume fallen.
"Was ist Zeit?" fragt Lea, und träumt sich zurück an jenen warmen Nachmittag an der Autobahn.
"Was ist Zeit?"
schreit Leander gegen den Wind und stürmt den Wellen entgegen, um die Zeit einzufangen.
"Was ist Zeit?"
fragt Knut sich schon lange nicht mehr. Er verliert sie einfach in den italienischen Nächten.
"Was ist Zeit?" fragt sich auch Olga, und zählt an den Fingern ab, wieviele Jahre es nun sind, die sie fern ihrer Heimat lebt und sie träumt von meterhohem Schnee.


Ich habe gestern - in meinen Gedanken - in deinem Cafe mit Blick auf das Meer an dem kleinen runden Tisch gesessen, Caffe`und Brioche bestellt - mich gefragt, was wohl Genueser auf ihrem Brioche essen - genauer gesagt, es mir vorgestellt - und an dich gedacht, während ich Olga zum Leben erweckte und darüber nachsann, wer sie ist, und was die Zeit aus ihr gemacht hat. Verrückt!


NICHTS GEHT VERLOREN

du wirst alles mit nehmen
jeder einzelne augenblick
wird same sein
und gesät
am rande der nomadenwege wachsen
ein bunter wald
weit über den rahmen hinaus
in wüste und meere hinein

manches braucht nur zeit, um wirkung zu entfalten







Der Krug geht zur Neige
das alte Jahr zu Ende
So fülle ihn neu
den irdenen Krug
mit gewürztem Wein
nähre den Geist
pflege und hege das Junge
damit seine Fülle
sich den Sinnen erschließt




Impressum

Texte: cover: "Boot" Albrecht E. Arnold Hintergrund: "Hintergrund 159" von Alchemie alle Fotos findest du auf: www.pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 31.12.2008

Alle Rechte vorbehalten

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