INHALTSVERZEICHNIS
6 Einst war mein grüner König groß
8 Die vergessenen Worte...
13 Wir rennen hinaus
15 In die Seele haben sich Sterne geschlungen...
17 Im Schneckenhaus
19 Was aber wird der Fürst des Meeres...
20 Aus ozeanischen Tiefen 2
23 Das Meer in dir
24 Aussen und Innen
26 Meduse erzählt
31 Nach langer Zeit
33 In der Nacht fuhr ich zur See
Einst war mein grüner König groß
der heimliche Held
abgelegter Mädchenträume
trug keine Krone aus Gold
sein Land waren die Worte
tiefe Sprachwelten
die Wellen und Ufer rubinroter Meere
Abgründe und Gletscherspalten
Landschaften aus Traum und Wunsch
bevor ich meine Sprachräume eroberte
tauchte er tief
einem Froschkönig gleich
auf den Grund meines stillen Sees
sein Atem war lang
er fand regenbogenfarbige Spiegelsilben
die in der Sonne glänzten wie ein Kaleidoskop
und barg sie für mich
ich nahm die gefundenen Worte
und webte seidene Sprachteppiche daraus
mit der Zeit ist er klein geworden
und müde
mein grüner König
geschrumpft
aber noch ist Zauber da
manchmal
verliert sich ein magischer Faden in meinen Zeilen
und dann bekommen Gedanken Flügel
1.
Die vergessenen Worte versteckten sich bei den Sternen . In der Nacht ließen sie sich vom Himmel fallen und sanken auf den Grund des rubinroten Meeres. Der grüne König erwachte von einem Klirren. Er staunte über das farbige Licht in seinem Reich, das nicht von den mondmatten Perlen und Muscheln her rührte. Er war allein. Weder seine vielgestaltige Geliebte, noch die kleinen Fische, die ihn sonst stets umschwärmten, waren zu erblicken. Wo waren seine acht Töchter. Es war still. Kein silberhelles Kichern war vom Schloss her zu hören. Vielleicht hatte das neue Licht ihnen Angst eingeflößt und sie vertrieben. Er raufte sich die Haare und versuchte zu verstehen, setzte sich auf, nahm seinen Dreispitz und versuchte das Licht zu fangen, doch es entzog sich. Schließlich ruderte er mit seiner starken Rückenflosse eine große Runde um sein Reich. Überall dieses Licht.
Er stand vor einem Rätsel. Was war geschehen. Etwas wie Angst runzelte ihm die Stirn.
Noch nie in seinem langen Leben hatte der grüne König sich mit Angst geplagt. Traurig fragte er sich, ob es wohl das Älterwerden sei, das ihm nicht nur seine Vitalität raubte, sondern auch die optimistische Grundhaltung, die ihm bisher zeitlebens eigen war.
Natürlich spürte er schon eine Weile, dass die Kräfte langsam nachließen und er viel lieber zu Hause auf dem grünen Algensofa saß, als zu den Grenzen seines Landes zu schwimmen, um sein Gebiet zu schützen. Dazu hatte er ja auch eine gut ausgebildete Armee aus Spähern, Kundschaftern und Diplomaten. Und die Weisen seines Ozeans verwandelten sich regelmäßig in Meeresschaum und gelangten so, wohin auch immer sie wollten.
Der Dreispitz hing schon lange verrostet am Haken und diente nur noch zum Einfangen verlorener Worte.
Zum Glück waren die Zeiten friedlich und die Nachbarländer mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Sieben der acht Töchter des grünen Königs waren längst erwachsen und mit der eigenen Brut beschäftigt. Die vielen kleinen Nixen, Seejungfern und Wassermänner hielten sie ganz schön auf Trapp. Diese Kinder waren recht anstrengend und dazu sehr anspruchsvoll.
Nun, kleine Prinzen und Prinzessinnen müssen eine Menge lernen, schließlich hängt von ihnen ab, wie es den Bewohnern Ozeaniens in den nächsten Jahrzehnten gehen wird. Da sind viele Dinge zu bedenken, und es braucht nicht nur einen gut trainierten Körper, sondern auch einen klaren Kopf und einen gelassenen Geist.
All das wusste der grüne König, denn sein Geist war klar wie das Wasser aus der verborgenen Quelle unter dem gläsernen Thron seines Spiegelschlosses. Von seinem grünen Sofa aus schaute er weise in seine Welt hinein.
Er sah seine Enkelkinder wachsen, mit den Seepferdchen spielen und in die Schule im Korallenriff gehen.
Manchmal leistete ihm seine vielgestaltige Geliebte, die zauberhafte Hexe Immergrün, Gesellschaft. Wie keine andere seiner hundert Frauen verstand sie es, ihn mit immer neuen Geschichten aus seiner Versunkenheit und den Grübeleien über das Alter heraus zu holen. Die kleine Marielena, ihre gemeinsame Tochter und sein jüngstes Kind durfte der Seeharfe sphärische Klänge zu entlocken.
"Vielleicht" dachte der alte König, "sollte er abdanken und einen neuen König bestimmen."
Die modernen Zeiten sind schwer zu verstehen.
"Morgen will ich mich mit der Hexe Immergrün beraten, denn sie versteht die Zeichen der Zeit besser als ich."
flüsterte er den kleinen Fischen zu, die neonbunt um ihn herum schwirrten und noch keine Ruhe geben wollten.
"Ich will versuchen zu schlafen, denn der Morgen ist nicht mehr weit. Und wer weiß, vielleicht löste ein Traum das Rätsel um die seltsame Atmosphäre, die mich heute so erschreckt."
Wir rennen hinaus
und springen durch Pfützen
wir fragen den Wind
ob er uns verweht
oder vielleicht
versteckt hinter den Hecken
Siebenmeilenstiefel
zwei Paar
wir werden ihn fangen
mit Netzen umschlingen
der windigen König
wird zappeln gleich einem Fisch
und nicht entwischen
Oh, mir verschlägt es die Sprache
ich bin perplex
es ist der Grüne König ohne Land
der am Grund kein Gold sucht
sondern die Worte
2.
In die Seele hatten sich Sterne geschlungen während der Mond hinter den Wolken verschwand. Ich hielt die Worte in der Hand, die sich gebärdeten wie kleine Kinder, die noch die Wahrheit sprechen.
Sie entschlüpften mir und gaben den Sternen ihre Sprache zurück. In ihrem Lied lag etwas unverfälscht Klares und die bittersüße Sehnsucht nach dem Leben selbst. Es kam zurück aus den Zeiten vor der Zeit, und es liegt in ihnen der erste Funke eines Feuers; das kühle Fächeln des Windes; das Rot unverbrannter Erde und das Wispern und Raunen einer Quelle tief unter dem Gletscher.
Was fange ich an mit diesem Lied, dass mich zu den Wurzeln zurück kehren lässt? Ich folge den Tönen bis auf den Grund des Meeres, wo in Neptuns Reich kleine Fische im Korallenriff spielen und der Wassermann auf seine vielgestaltige Geliebte wartet.
IM SCHNECKENHAUS
Licht dringt ins Schneckenhaus
schimmerndes Perlmutt
flutet regenbogenfarbig
spiralig sich wendelnde Stufen
immer tiefer hinein
in den Schmerz
bohren sich Korkenzieherwinden
Fern ein wogendes Rauschen
von Wellen und Wind
lockt meerweit
springende Delphine sprühen Silber
Walgesang strandet im Ohr
füllt wache Sinne mit
Urzeitenahnen
Durch den Ozean der Seele
schwimmt ICH - herzgesteuert
zu den Sandbänken
verblichener Knochen
Klageweiber stimmen ein
in den Abgesang
der ungelebten Tage
3.
Was aber wird der Fürst des Meeres zu den neuen Liedern sagen, die der Wind in die Korallenwälder weht; zu den machtvollen Gesängen, die mit dem Schaum der Wellen in alle Welt ausströmen; was zu den girrenden Zischellauten die Huckepack auf den Algen reiten?
Und was - sag mir - zu den verstümmelten Silben, die klagend aus gebrochenen Herzen rieseln und sich mit dem Sand der Strände mischen?
Das gemalte Herz im Sand hat die Flut gestohlen. Wo trägt sie es hin?
Wird der Fürst hören, was die Erde ihm zu erzählen weiß mit geduldigen Engelszungen?
Was ist fähig, sein Eremitenherz zu erweichen, ihn sanft zu stimmen und ein Feuer in seiner Brust zu entzünden?
Ich traf den grünen Delphin Smaragd, meinen Freund aus einer anderen Zeit. Er flüsterte mir von den heilenden Gärten unter dem Meer und jenseits der Worte, dort wo die Stille zu Hause ist.
AUS OZEANISCHEN TIEFEN 2
auf dem Rücken
trage ich mein Haus
- wie die Wellhornschnecke -
durch spiralige Windungen
schlängle ich - aalglatt
hoch hinaus,
dorthin
wo mich keiner findet
- niemand sucht -
allein mit mir
- im Zentrum des Seins -
im Ohr das Rauschen
von Wellen und Meer
im Herzen
die Sehnsucht
nach Freiheit und Weite.
wo auch immer ich raste
- auf meinem Weg -
ich bin da
zuhause
sei Willkommen Gast
- wenn du magst -
flieg mit dem Wind
und tritt ein
DAS MEER IN DIR
und dieser Schmerz
endet er nie
mit den Gezeiten
wogt er wellenförmig ins Blut
der Wind trägt ihn weit
am Felsen
dort wo die Kormorane nisten
brechen sich Wellen
Schmerz kehrt als Echo zurück
keine Antwort bringt der Wind
das Meer heute ungewohnt glatt
spiegelt nur mich
selbst ein Lächeln erstarrt zur Maske
verflüchtigt sich zwischen Braunalgen
am Strand verlieren sich Spuren
was einmal war
verrieslt in Zeitschluchten
nur ein Hauch bleibt, ein Duft - die Essenz
haben meine Augen dich gesehen?
AUSSEN UND INNEN
Überall
suchte ich dich
außerhalb
meiner Räume
da war der Gedanke
ans Meer
als Sehnsucht
an seine Wellen
und das wogen
von Ebbe und Flut
in mir
die das Grün der Wiese liebt
und den Duft
der Kräuter im Sommer
wenn der Tag sich neigt
eine gurrende Taube
zartgefiedert und grau
warst du es
im Gedanken an die Luft
an den Flug
für den mir noch Flügel fehlen
oder fand ich dich
im Johannisfeuer
das lichterloh brannte
und dem ich mich näherte
mit Respekt
nach langer Zeit
ich war schon müde
vom Suchen
da fand ich dich
verborgen
wie eine unentdeckte Insel
in mir
MEDUSE ERZÄHLT
Einst traf ich Katharina. Sie war traurig. Ich tröstete sie und kämmte ihr kastanienbraunes Haar mit einem goldenen Kamm. So kam es, dass sie mir eine Geschichte erzählte:
"Der grüne König war manchmal ein Fisch im rubinroten Meer. Ab und zu wurde es ihm langweilig in seinem Reich am Grund des Ozeans. Er sprang hoch über den Wellen, wie ein Delphin. So sah ich ihn an jenem Tag, als ich mich entschlossen hatte, einem Ruf zu folgen, den ich in meinem Inneren gehört hatte. Ich lieh mir von den Fischern im Hafen ein blaues Boot, und segelte hinaus zu der kleinen Insel hinter dem Horizont.
Wenn ich gewusst hätte, was mit mir geschehen wird, ich weiß nicht, ob ich den Mut aufgebracht hätte, mich diesem Abenteuer zu unterwerfen.
Der Fisch und ich - unsere Blicke trafen sich und etwas schwirrte plötzlich durch die Luft: regenbogenfarbige Liebesäpfel. Da war etwas, das hatte ich noch nie erlebt. Kennst du das Gefühl, endlich nach langer Reise angekommen zu sein, und durch und durch zu begreifen und zu verstehen, was es heißt, zu Hause zu sein?
Für einen Menschen, der vor langer Zeit sein Zuhause verloren hat, etwas wie ein Wunder.
Der Fisch war riesengroß und verschlang mich mit einem Biss. Nichts hatte ich ihm entgegen zu setzen, denn die Liebe, die mich ihm verband, machte mich vollkommen wehrlos. Eine Liebe, die anders ist, als die zwischen Mann und Frau.
Der Biss tat nicht weh.
Eine spiralförmige Rutschbahn wie aus rosarotem Perlmutt führte mich in den inneren Garten des Fisches. Dort lebte ich eine Weile. Es ging mir gut, denn der Fisch verstand mich, wie kein anderer und nährte mich mit allen seinen gesammelten Worten. Ohne es zu wissen, hat ich schon immer darauf gewartet.
Begierig labte ich mich an ihnen, konnte nicht satt werden. Ich wuchs, und es wurde enger um mich herum. Schon bald füllte ich den gesamten Garten aus. Ein wenig später konnte ich kaum noch meine Glieder bewegen. Der Fisch verlor seine Worte. Ich lag ihm schwer im Magen, und eines Tages spie er mich aus. Ich flog durch die Luft zurück in den Hafen, wo mich keiner vermisst hatte.
Ich war ganz allein, fühlte mich verloren und konnte vor Kummer kaum atmen. So setzte ich mich in den sommerwarmen Sand, bis eine Möwe sich neben mir nieder ließ, mich tröstete. Der Schmerz brandete in mir wie Ebbe und Flut. Es wurde Nacht und wieder Tag. Als sich die Nacht zum dritten mal über mich senkte, hatte ich keine Tränen mehr. Zum Glück wurden die Gezeiten des Schmerzes um den Verlust flacher. Wäre die Möwe nicht bei mir geblieben, mir wäre das Herz gebrochen.
Das ist nun schon sieben Jahre her - eine lange Zeit - aber die Sehnsucht ist geblieben. Ab und zu gehe ich zum Strand und schaue hinaus auf die Wellen: und manchmal für einen kleinen Moment sehe ich ihn, und er sieht mich - und die Liebesäpfel fliegen - tragen trotz der Ferne eine beglückende Botschaft.
NACH LANGER ZEIT…
...ist immer noch Sehnsucht da
Gezeitengebirge flacher nun
seltener die springende Flut
doch wenn sie kommt
ab und an
und ein Ertrinken droht
schau ich dein Bild an
nehme Ton schlage ihn glatt
bis die Wogen sich glätten
und Schmerz verebbt
Konturen formen
mit Händen und Fingern
etwas fassen, dich begreifen
ein Gesicht, dein Gesicht
wieder Lächeln in den Augen
und eine klare Stirn
In der Nacht fuhr ich zur See - Marie - und warf meine Netze aus. Stunde um Stunde schaute ich in die Dunkelheit und lauschte dem Plätschern der Wellen an den Planken. Sanft schaukelte das Boot. Ich weiß nicht wie es geschah, aber diese stetigen und gleichbleibenden Geräusche versetzten mich in einen trance-ähnlichen Zustand. Die Nebel um mich herum wurden dichter - fast greifbar, umschlossen mich wie eine Zelle aus Watte.
Und plötzlich hörte ich dein Weinen, nein es war ein Schluchzen und es gesellte sich zu dem Lächeln, das ich auf dem Leuchtturm gefunden hatte und für einen Moment spürte ich deinen Atem.
Freude weckte mich aus dem Dämmerzustand: "Du lebst!" wusste ich nun. Es zappelte in meinem Netz, fast hätte ich es aus den Händen verloren.
Ich holte es ein und fand einen kleinen grünen König mit Fischschuppenschwanz, dem die Krone in die Stirn verrutscht war.
Texte: Text und Bild: Angelika Röhrig
Hintergrund: JanWal
Tag der Veröffentlichung: 04.11.2008
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