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Erster Schultag nach den Herbstferien, lauthals unterhielten sich die Schüler in der Klasse. Leise und unscheinbar, fast schon ängstlich, schlich sich der Lehrer durch die Tür zum Pult. Er stellte seine Tasche ab und packte seine Sachen aus. Keiner achtete auf ihn, alle redeten einfach weiter. Der Lehrer setzte sich auf den Stuhl, überprüfte die Anwesenheit der Schüler so gut es ging und versuchte die Klasse zu beruhigen. Doch keiner hörte auf ihn. Plötzlich, als ob ein innerer Schalter umgelegt wurde, sprang er mit errötetem Gesicht auf. Seine Körperhaltung änderte sich, von der ängstlichen, krummen Haltung zu einen geraden und starken. In seinem Gesicht verbreitete sich deutliche Wut. Er nahm das dicke Geschichtsbuch, holte aus und schlug damit heftig auf den Tisch. Der laute Knall hallte durch den ganzen Raum. Alle Schüler schreckten zusammen und schauten verwundert zur Tafel.
„Alle hinsetzen!“, brüllte Herr Müller.
Das laute Getrampel und das schrille Quietschen, der verschobenen Stühle, schallte durch das Klassenzimmer. Alle Augen waren auf den Lehrer gerichtet.
Etwas abseits von dem Rest der Klasse stand ein Tisch, an dem ein Mädchen gelangweit in ihrem Buch herum blätterte. Sie hatte blondes schulterlanges Haar und tief blaue Augen. Ihre Haut war etwas blass und sie machte einen zierlichen und zerbrechlichen Eindruck, jedoch war sie im Gesamtbild ein sehr schönes Mädchen.
Dieses Mädchen war ich und mein Name war Filou.
Ich war die beste Schülerin in der Klasse, ach was, in der ganzen Schule. Für mich gab es nur die Schule. Mein Zeugnis bestand nur aus lauter 1, hin und wieder mal eine 2 in Sport, einer meiner Spitznamen war Sterber, was durchaus passte, abgesehen vom klischehaften Aussehen. Jedoch hatte ich nicht viele Freunde, ehrlich gesagt keinen einzigen.

Auf einmal klopfte es, alle Blicke richteten sich auf die Tür, die sich langsam öffnete. Ein gut aussehender Junge betrat den Raum. Er war muskolös gebaut, seine braunen Haare waren etwas länger, sie hingen ein bisschen über den Ohren. Seine Haut war braun gebrannt und seine grünen Augen waren wunderschön. Er war fast das genaue Gegenteil von mir.
Auf den Gesichtern aller Mädchen erschien ein verführerisches Lächeln. Er war echt ein Traumboy.
„Entschuldigung, ich bin der Neue in der Klasse“, sagte er zum Lehrer mit einer tiefen erotischen Stimme.
„Ich habe schon gewartet, hast dich wohl verlaufen.“
Er lächelte verlegen.
„Nun gut, dann stell dich mal deiner Klasse vor.“
Er drehte sich zu seinen mit Schülern und lächelte. Jeder starrte ihn an. „Mein Name ist Alexander,aber nennt mich Alex, ich bin 18 Jahre alt und bin gerade erst hier angekommen.“
Er fügte noch weitere unwichtige Daten hinzu, bei denen ich schon nicht mehr zu hörte.
„Gut, dann such dir mal einen Platz. Ich glaub neben Filou ist noch einer frei.“
Alex wanderte durch den Raum, tatsächlich war der einzig freie Platz ausgerechnet neben mir. Er steuerte direkt auf mich zu. Ich wandte den Blick von ihm ab und blätterte weiter in meinem Buch herum. Er sollte gleich wissen, dass ich kein Interesse an ihn habe.
„Hi, wie geht’s?“, fragte er mich dennoch.
„Hallo“, sagte ich in einem deutlich unfreundlichen Ton.
Währendessen spürte ich die bohrenden Blicke von Susan, der Zicke der Klasse, in meinem Rücken. Sie war neidisch, dass Alex neben mir saß und ich genoss ihren Neid. Als es dann endlich klingelte, stopfte ich meine Sachen in meine Tasche und stand auf. An der Tür blieb noch einmal stehen und schaute zu ihm zurück. Alex schaute mir verwundert hinterher und fing dann auch an seine Sachen einzupacken. Plötzlich stand Susan vor ihm. Ich konnte hören wie sie sich unterhielten.
„Wie ich sehe hast du Filou schon kennen gelernt.“
Sie warf mir einen bösen Blick zu und ich hörte ihre Missbilligung deutlich heraus.
„Ja, sehr nett scheint sie aber nicht zu sein.“
„Nein das ist sie nicht. Und du solltest dich von ihr fern halten.“
„Wieso das denn?“
„Da du ja neu bist, kennst du ihre Geschichte nicht. Wer sich mit Filou anfreundet wird sterben. Das bis jetzt bei jedem so, der ihr nahe stand. Ihre Familie ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, nur sie hat überlebt. Sie wurde dann mit 12 Jahren von einem Ehepaar adoptiert, zu Anfang waren sie noch eine idyllische Familie, bis nach zwei Jahren die Frau verstarb. Ihr Vater vertiefte sich, aus Frust, immer mehr in seine Arbeit und vernachlässigte das Kind. Mit 15 Jahre kaufte er ihr eine Wohnung und ließ sie dort alleine wohnen. Filou war damals in starke Depressionen verfallen, verweigerte aber zu einem Psychiater zu gehen. Nanae konnte damals nicht mit ansehen wie einsam Filou war und hat sich mit ihr angefreundet. Sie wurden die besten Freundinnen, aber dann wurde sie vor zwei Jahren von einem Auto überfahren, während Filou daneben stand. Und seit dem ist Filou wieder in ihren Depressionen gefangen. Anscheinend hat sie verstanden, dass sie den Menschen nur Leid bringt, wenn sie mit ihnen befreundet ist. Lass dir eines gesagt sein, komm ihr nicht zu nahe, sonst wirst du das gleiche Schicksal erleiden.“
Alex schaute sie verstört an. Susan hatte was sie wollte, sie wollte verhindern, dass sich Alex mit mir anfreundete, weil sie ihn für sich haben wollte.
„Danke.“ War alles was er dazu sagte.
Alex stand auf, er starrte nachdenklich zu Boden. Als ich hin aus den Augenwinkeln beobachtete war mir, als sähe ich eine Träne auf seiner Wange.

Als nächstes hatte ich Physik. Ich saß in der hinteren Ecke, alle Plätze um mich herum waren frei. Wieder mal blätterte ich gelangweilt im Buch herum und machte eine abweisende Körperhaltung. Susan hatte für Alex einen Platz neben sich frei gehalten. Er lächelte sie an, ging aber an ihr vorbei und setzte sich, leider Gottes, zu mir. Verärgert starrte Susan ihn an.
„Hey“, sagte er wieder freundlich, als ob er mich heute noch nicht gesehen hätte.
Diesmal antwortete ich nicht, ich ignorierte ihn.
Wieder redete ich kein Wort, die ganze Stunde über nicht. Als es dann wieder klingelte, packte ich schnell meine Sachen, blieb jedoch stehen, denn ich hatte den Entschluss gefasst ihn zur Rede zu stellen.
„Was willst eigentlich? Du hast doch schon sicher von mir und meiner Geschichte gehört, also was willst du von mir?“
Ich spürte wie die Wut in mir hoch kam, hatte Susan ihn denn nicht abgeschreckt? Mein Körper verspannt, um den Zorn zu unterdrücken. Ich wollte ich keinen Fall die gleiche Geschichte nochmal durch leiern.
„Ich will doch nur nett sein, ich finde du könntest einen Freund sehr gut gebrauchen.“
„Ich brauch dein Mitleid nicht und deine Freundschaft genauso wenig.“
Ich drehte mich um und rannte davon.

Mir war das alles zu viel gewesen, ich hatte keine Lust mehr auf Alex. Wieso konnte er nicht verstehen, dass ich nichts mit ihn zu tun haben wollte. Die nächsten Stunden schwänzte ich und ging nach Hause, ich konnte es mir ja leisten.

Meine Zwei-Zimmer Wohnung war 45 m² groß. Wenn durch die Eingagnstür kam, stand man in einem länglichen Flur mit weißen Anstrich und Pakettboden. An den Wänden hin ein Spiegel und eine Garderobe, sowie vier Türen. Hinter der ersten Tür rechts was das blau gefliesten Badezimmer mit Standardausstattung, das heißt Toilette, Waschbecken und Dusche. Links war mein Schlafzimmer, in dem ich eine Wand dunkelrot gestrichen hatte und auch den Teppich war in der selben Farbe. Der Rahmen meines Bettes, das an der linken an der Wand stand, war aus schwarzen Metall und mit Rosen bestückt. Der Schrank der links neben der Tür in der Ecke stand war aus dunkelen Holz, gesamt hatte das Zimmer immer einen beruhigen Effekt auf mich. Das Wohnzimmer, das sich neben meinen Schlafzimmer befand, war kommplett in orange Tönen und hellen Holz gekleidet. Die Möbelierung bestand aus einer Schrankwand an der linken Wand, in dem auch ein Fernseher stand. Gegenüber an der rechten Wand stand ein Zweisitzersofa. Rechts in der Ecke war ein Eichenholzesstisch, den ich aber nur selten benutzte, da in der Küche, die sich am Ende des Flurs vorfand, ebenfalls ein kleiner Tisch stand, an dem ich normaler wiese aß. Die Küche ging um die Eckke. Die Nische die sich dadurch bildete war mit einer Theke, Herd und Waschbecken besetzt. Die Wände waren genauso wie der Flur weiß und auch der Boden bestand aus Pakett.
Die Einrichtung war nicht sehr teuer gewesen, aber ich fand sie gut.

Ich saß nun zu Hause auf dem Sofa und versuchte mich auf ein Buch zu konzentrieren, vergeblich. Alex schwirrte mir durch den Kopf. Ich schüttelte mich, um ihn zu vergessen.
Lautes Gepolter aus dem Treppenhaus, erregte meine Aufmerksamkeit und ließ mich Alex für einen Moment vergessen. Ich fragte mich, was da wohl los sei.
Ich eilte zur Tür und schaute neugierig hinaus. So wie es aussah zog jemand in der Wohnung nebenan ein. 4 schweißnasse Männer trugen gerade ein blaues Sofa die Treppe hinauf. Hinter ihnen erschien plötzlich Alex, der einen großen Karton hoch schleppte.
„Was machst du denn hier?“, schrie ich ihn an.
„Filou, an so eine Überraschung“, sagte er nicht wirklich überrascht, „falls du es noch bemerkt hast, ich ziehe hier ein.“
„Und wieso?“
„Na weil hier eine günstige Wohnung frei. Sag nicht du wohnst hier neben an?“
Der Sarkasmus in seinen Worten sprang mir förmlich entgegen. Ich antwortete ihm nicht, sondern drehte mich um und schlug die Tür hinter mir zu.
„Verdammt!“
Ich war so sauer, mir war danach etwas zu zertreten, jedoch ich konnte mich, zum Wohle meiner Einrichtung, wieder beruhigen.
Die ganzen Tage danach ging ich ihm weiter aus dem Weg und würdigte ihn keines Blickes. Er war stets nett zu mir und wartete sogar vor der Schule an der Haustür, damit wir zusammen zur Schule gehen konnten. Doch ich ignorierte ihn stets und ging immer an ihm vorbei, jedoch folgte er mir immer, wie ein treuer Hund. Langsam, aber sicher, ging es mir echt auf die Nerven, des Öfteren war kurz davor ihn wieder anzuschreien und ihn klar zu machen, dass er mich in Ruhe lassen sollte, zu meinem Bedauernd war dann doch zu schüchtern um es ihm an den Kopf zu werfen. Teils war ich aber auch erschrocken über mich selbst, solche Wutanfälle, überhaupt solche Gefühle, hatte ich schon lange nicht mehr.

Es klingelte an meiner Tür. Ich lag zu Hause im Bett und krümmte mich vor Schmerzen. Ich war krank, hatte die Grippe.
Wieder klingelte es an meiner Tür, ich befahl meinem Körper sich zu bewegen, aber nur sehr langsam schienen meine Befehle in meinen Gliedmaßen anzukommen. Schleppend ging ich auf die Tür zu. Alles drehte sich, ich musste mich an der Wand festhalten, damit ich nicht umkippte. Zu meiner Freude ich erreichte noch heil die Tür.
Ich öffnete sie einen Spalt, knallte sie aber sofort wieder zu, als ich Alex erblickte.
Es klingelte noch einmal, widerwillig öffnete ich die Tür abermals einen Spalt.
„Was willst du?“, fragte ich mit heiserer Stimme.
„Ich wollte dir nur die Hausaufgaben vorbei bringen.“
Er reichte mir ein paar Blätter durch den Türspalt. Ich riss sie ihn aus der Hand und knallte die Tür wieder zu, wobei ich Alexs Finger nur knapp verfehlte. Mühsam kroch ich zurück ins Bett. Die ganze Wohnung war verdunkelt, nur ein paar Lichtstrahlen kamen durch die Vorhänge durch. Es ging mir wirklich miserabel, das hohe Fieber machte mir schwer zu schaffen, ich konnte mich kaum auf den Beinen halten.
Als ich mich gerade wieder in die Decke kuschelte, klingelte es abermals an der Tür. Ich wusste schon wer es war und mein Hass auf Alex entfachte wieder. Ich schleppte mich aus dem Bett und torkelte zur Tür.
Wieso konnte er mich nicht einmal jetzt in Ruhe lassen. Ich riss die Tür auf und schrie: „Hau endlich ab!“ Doch im Flur war keiner, man hörte nur den Hall meines Schreis. Ich schaute mich um, dann wandte ich mein Blick auf den Boden. Ein Päckchen stand direkt vor meinen Füßen.
„Von wem das wohl sein mag?“, fragte ich mich sarkastisch.
Ich hob es auf und brachte es in die Küche. Das helle Licht der Halogenlampe bereitete mir Kopfschmerzen. Ich kniff die Augen zusammen, die Helligkeit war ich im Moment nicht gewöhnt.
Das Packet war mittelgroß, ich fragte mich, was wohl drin sein mag. Aber ohne mir weiter den Kopf darüber zu zerbrechen, was meine Kopfschmerzen ungemein steigerte, machte ich es auf.
Ich stutzte, im Packet waren eine silberne Thermoskanne und ein Teddybär mit einem
Herzen in der Hand, auf dem „Gute Besserung!“stand.
„Wie kommt er nur auf solche Ideen?“
Mit gierigen Zügen schlürfte ich den Tee, der, meiner Meinung nach, Pfefferminztee war. Zu dem Zeitpunkt verfluchte ich meine gute Kinderstube, denn ich hatte gelernt mich immer zu bedanken, selbst wenn ich die Person nicht mochte. Ich fand Höflichkeit wurde überbewertet.
Also nahm ich den Teddy in den Arm und kroch zu Alex hinüber. Ich hatte Schwierigkeiten den Klingelknopf zu treffen, alles drehte sich, dennoch nach unzähligen Versuchen hatte ich schließlich doch einen Glückstreffer.
Das Klingeln in meinen Ohren klang so dumpf, dass ich dachte, ich stünde 30 Meter entfernt. Ein verwunderter Alex öffnete mir die Tür. Ich machte einen Schritt auf ihn zu.
Aber das Letzte woran ich mich noch erinnern konnte, war das Gefühl zu fallen, denn alles vor meinen Augen wurde schwarz.

Ich riss die Augen auf und starrte auf eine, mir unbekannte, weiße Decke. Ich schrecke hoch und schaute panisch umher. Ich war im Krankenhaus. Erst jetzt drang mir das schrille Piepsen des EKGs ins Ohr. Auf dem Tisch neben meinem Bett saß Alexs Teddybär.
„Bist du endlich aufgewacht?“
Ich folgte den Klang der Worte zu Alex, der in der Ecke saß und mich besorgt anschaute. Plötzlich schossen mir die Kopfschmerzen wieder hoch, stöhnend legte ich mich zurück ins Kissen. Alex stand auf, stellte sich neben das Bett und schaute auf mich herab.
„Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Mit einer Grippe ist nicht zu spaßen. Du hättest im Bett bleiben sollen.“
„Wer hat denn dauernd an meine Tür geklingelt?“
Abermals stieg Wut in mir auf, das war ich gar nicht gewohnt von mir.
„Tut mir leid.“
Verlegen lächelte er mich an, aber seine Augen blieben davon unberührt.
„Aber wieso hast du denn an meiner Tür geklingelt?“
„Ich kann dich zwar nicht leiden“, und das war ehrlich gemeint, „aber ich wollte mich bedanken. Natürlich nur aus purer Höflichkeit.“
„Und dabei hast du dich überanstrengt und bist mir in die Arme gefallen.“
Ich wurde rot beim Gedanken in seinen Armen zu liegen.
„Wie bin ich eigentlich hierhergekommen?“
„Ich hab natürlich den Krankenwagen gerufen. Es war echt knapp, deine Temperatur war 41°C. Du wärst mir beinahe abgekratzt.“
Mein Herz fing heftig an zu pochen, beim Gedanken daran ich wäre gestorben, wahrlich wäre es glücklich bei dem Gedanken.
„Und wenn schon, wäre doch egal gewesen.“
„Was redest du da?“
„Ich habe sehr viel Leid ertragen müssen, fast jeder Mensch den ich je geliebt habe ist tot, ich bin des Lebens leid, auch wenn ich noch so jung bin.“
„Erzähl doch nicht so einen Blödsinn. Du solltest dir mal selbst zuhören, du bist gerade erst 18, dein ganzes Leben liegt noch vor dir und du willst jetzt schon sterben.“
Ich habe nicht gesagt, dass ich mich gerne umbringen würde, aber wenn ich sterben würde, aus irgendeinem Grund, dann wäre das doch egal. Keiner würde mich vermissen, keiner würde um mich trauern, denn alle die es tun würden sind schon tot.“
„Ich würde um dich trauern.“
„Du kennst mich doch kaum.“
Sein brennender Blick ließ mich unbehaglich fühlen und seine Hartnäckigkeit ließ mich wütend werden, aber ich schluckte meine Wut herunter. Ich konnte ihm nicht mehr in die Augen schauen und starrte stattdessen aus dem Fenster. Ich legte eine kalte abweisende Maske auf und leerte meinen Blick.
„Es wäre besser, wenn du jetzt gehst.“
Ich sah, dass Alex protestieren wollte, aber er zögerte. Er drehte sich um und verließ den Raum, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Ich blieb alleine zurück, wieder mal alleine. Aber an die Einsamkeit hatte ich mich schon gewöhnt. Jedoch schossen mir die Erinnerungen an Nanae durch den Kopf und ich fing an zu weinen. Alex war Nanae ungewollt ähnlich.

Nach zwei Tagen konnte ich wieder nach Hause, sollte aber dennoch das Bett hüten.
Der Herbst war inzwischen voll im Gange. Die bunt gefärbten Blätter lösten sich von den Bäumen, der starke Wind wirbelte sie durch die Luft. Es war schön anzusehen, aber mir gefiel der Herbst trotzdem nicht. Die Tage wurden dunkler und das Wetter schlechter. Die Umwelt wurde grau und kalt. Der einzige Trost für mich in dieser Zeit, war das Tanzen der Blätter im Wind.
Als ich die Haustür öffnete, kam mir ein starker Windstoß entgegen. Meine Haare wirbelten umher, ich musste sie erst mal einfangen, bevor ich meine Augen öffnen konnte. Das erste was ich sah war er

. Er stand am Gartenzaun und wartete auf mich. Seine Haare waren vom Wind ebenfalls völlig durcheinander, aber es schien so, als ob der Wind nichts böses wollte, die Blätter tanzten nur so um ihn herum, es sah so aus als wollten sie ihn auffordern mit zumachen. Seine nahezu perfekte Schönheit passte nur allzu gut in dieses Bild, diese Augen, die in der Ferne etwas zu suchen schienen. Unglaublich!
Dann bemerkte er mich und wandte seine Augen auf mich. In seinen, vorher noch traurigem, Gesicht breitete sich jetzt ein unglaublich süßes Lächeln aus.
Was dachte ich da eigentlich?. Fing ich etwa an ihn zu mögen?
Bevor ich auch nur einen Schritt machen konnte, musste ich mich aus seinem Bann befreien. Ich schloss die Augen und dachte an Nanae, riss mich zusammen und marschierte los.
Ich ging geradewegs auf ihn zu. Hatte aber nicht die Absicht ihn zu beachten. Er sollte ruhig glauben, dass ich auf ihn zu käme.
Mit nur einigen Zentimetern Abstand ging ich an ihm vorbei. Ich sah, dass sein Lächeln aus seinem Gesicht verschwand. In dem Moment tat er mir schrecklich leid. Ich glaubte es selber nicht, aber ich hatte Mitleid mit ihm.
War ich wirklich zu hart zu ihm gewesen?
Ich beschloss ihm ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken und blieb kurz hinter seinem Rücken stehen.
„Guten Morgen“, seufzte ich.
Mit geschärftem Blick beobachtete ich ihn. In seinem Gesicht spielten sich verschiedene Ausdrücke ab, bis es bei einem erneuten Lächeln stehen blieb. Auch ich musste ein bisschen lächeln, es war ungewohnt, denn es war wirklich ehrlich gemeint. Um ihn aber keine allzu großen Hoffnungen zu machen, marschierte ich weiter. Jedoch spürte ich seinen verwunderten Blick in meinen Rücken. Dann raffte er sich zusammen und rannte mir hinter her.
Die Entscheidung, ihn etwas Zuneigung zu zeigen, bereute ich schnell. Denn ganzen restlichen Tag redete er auf mich ein. Manchmal schenkte ich ihm ein offenes Ohr, aber meisten wiederum versuchte ich ihn auszublenden, um mich auf andere Sachen zu konzentrieren. Er redete über völlig belanglose Dinge, ab und zu stellte er mir eine Frage, auf die ich nicht antwortete, aber das schien ihn nicht groß zu stören. Immer mehr Worte drangen aus seinem Mund, es kam mir vor wie ein unendlicher Wasserfall, der nicht aufhören wollte zu fließen.
Und ich bereute es noch mehr, die ganzen nöchsten Wochen lang wich er nicht von meiner Seite und sabbelte mir weiter hin das Ohr voll. Das Einzige was ich amüsant daran fand war, dass er so eine enorme Ähnlichkeit mit Nanae hatte, jedoch schmerzte diese Feststellung auch sehr. Doch in seiner Gegenwart füllte ich mich gut. Die schwarzen Löcher in meinem Herz, die sich seit Nanaes Unfall dort hinein gebrannt hatten, schienen nicht mehr so stark zu schmerzen, wenn er neben mir stand und auf mich einredete.
Dennoch freute ich mich auf die Wochenenden. Zwei Tage Auszeit wären mir wohl noch vergönnt. Meine Ohren brauchten jetzt nur Stille, bevor sie wieder voll gequatscht werden konnten. Tja, flasch gedacht.

Am Samstagmorgen klingelte es an meiner Tür. Ich lag im Bett und war noch in der Tiefschlafphase, doch das Klingeln wollte einfach nicht aufhören. Schließlich riss ich mühsam meine Augen auf, schmiss meine Decke zur Seite und rollte mich langsam aus dem Bett. Während dessen erhaschte ich ein Blick auf den Wecker.
Es war halb neun. HALB NEUN!
Jetzt wurde ich rasend. Was fällt ihm ein mich um diese Zeit an einem Samstagmorgen aus dem Bett zu klingeln. Ich stapfte zur Tür und donnerte sie auf.
„Hast du eigentlich mal auf die Uhr geguckt?“
Er konnte mal wieder nur grinsen.
„Der frühe Vögel fängt den Wurm“, gab er von sich und sah über meine schlechte Laune hinweg.
Ich wäre ihm am liebsten an die Kehle gesprungen, atmete jedoch zur Beruhigung einmal tief durch. Stattdessen schaute ich ihn so finster an, dass er vor Angst zurück schreckte.
„Ich bin aber weder ein Vogel

, noch esse ich irgendwelche Würmer

.“
Da kam sein Grinsen wieder zurück.
„Ich wollte dich ja auch nur zum Frühstück einladen.“
„Kein Interesse“, brummte ich und knallte die Tür zu.
Wieder klingelte er. Ich drehte mich um, riss abermals die Tür auf
„Was?“, schrie ich ihn an.

Nur einige Minuten später saß ich in der Küche von Alex. Verschlafen schaute ich mich um. Fast alles sah genauso aus wie bei mir, nur die Farbe stimmte nicht.
„Wie bin ich hier her gekommen?“
Angestrengt versuchte ich mich zu erinnern wie das passieren konnte. So früh am Morgen funktionierte mein Gehirn noch nicht so richtig.
„Ich riss die Tür auf und schrie <<Was?>>. Dann hast du meinen Arm gepackt und mich über deine Schulter gelegt. Ich trommelte auf deinem Rücken rum und schrie, dass du mich runter lassen sollst. Dann hast du mich auf diesen Stuhl gesetzt“, rekonstruierte ich die letzten paar Minuten und redete dabei eigentlich mit mir selbst, aber Alex beteiligte sich anscheinend gerne am Selbstgespräch.
„Gut erkannt. Und es tat ziemlich weh. Du hättest nicht so grob sein sollen.“
„Selbst schuld“, erwiderte ich und schnitt eine Grimasse. „Und außerdem nennt man so was Entführung.“
Er lachte. „Du bist gerade mal 10 Meter von deiner eigenen Wohnung entfernt.“
„Wie weit man verfrachtet wurde ist nicht so wichtig. Du hast mich gegen meinen Willen mitgenommen und du lässt mich wahrscheinlich auch nicht mehr so leicht gehen.“
„Erst wenn du aufgegessen hast.“
Er stellte mir einen Teller mit Brötchen und Rührei vor die Nase, auf dem Tisch standen vielerlei Varianten, wie ich meine Brötchen belegen konnte. So viel konnte ich niemals essen. Ungläubig starrte ich ihn an.
„Wenn ich das alles aufessen soll, kannst du lange warten.“
Wieder lachte er los. „Keine Angst, ich hab Zeit.“
Ich wollte das hier so schnell wie möglich hinter mich bringen und stopfte das ganze Essen in mich hinein. Die Quittung dafür bekam früh genug, nachdem ich den letzten Bissen herunter geschluckt hatte drohte ich zu platzen.
„Wie kommst eigentlich darauf um diese Uhrzeit an meiner Tür zu klingeln?“
„Ich wusste nicht ob du eine Frühaufsteherin bist und bevor ich dich verpasse, dachte ich mir, etwas früher vor deiner Tür zu stehen als man es sonst machen würde.“
Welcher normale Mensch steht an einem Samstagmorgen um halb 9 auf.
„Damit du eins weißt, morgens an meiner Tür zu klingeln kann tödlich enden, denn um diese Zeit ist meine Laune immer am schlechtesten.“
„Gut, hab ich mir gemerkt. Das nächste Mal klingele ich erst um 9 bei dir“, sagt er mir einem unverschämten Lächeln.
Das konnte nicht sein ernst sein. Ich warf ihm einen bösen Blick zu.
„War nur ein Scherz“, antwortete er schnell, um mich zu besänftigen.
Meine Laune hatte sich immer noch nicht gebessert. Immer wieder vielen mir ungewollte die Augenlider zu.
Gestern Nacht war es ziemlich spät geworden, zu lange habe ich vorm Buch gesessen. Aber generell war mir das Einschlafen schon immer schwer gefallen. Jedes Mal wenn es in meinem Zimmer dunkel war und ich wach in meinem Bett lag, kamen mir die Erinnerungen hoch. Die Erinnerungen an meine Familie und an Nanae. Sie quälten mich, sie rissen große schwarze Löcher in mein Herz und drohten es ein zu saugen. Die Schmerzen waren meist unerträglich. Ich kauerte mich dann immer zusammen und schlang meine Arme um meine Brust, weil sie sonst in sich zusammen fallen würde. In diesen Momenten weinte ich immer, ich konnte es nie verhindern. Meistens ging es Stunden so. Es endete erst wenn mir vor Erschöpfung die Augen zufielen und sich meine verkrampften Arme sich langsam von meiner Brust lösten und sich entspannten. Aber die Ruhe blieb nicht lange. Nachts plagten mich die schlimmsten Albträume.
Am Wochenende versuchte ich das Einschlafen so weit wie möglich hinauszuzögern, denn es war jedes Mal wieder eine neue schreckliche Erfahrung. Eigentlich hoffte ich immer, dass ich während des Lesens oder beim Fernsehen in den Schlaf fiel, aber das kam nur äußerst selten vor.
Als Alex dann schließlich kein Unterhaltungsstoff mehr einfiel, ging ich wieder in meine Wohnung zurück. Leise schloss ich die Tür hinter mir, ich kämpfte mit aller Kraft gegen die Müdigkeit an. Irgendwie musste ich eine Beschäftigung finden. Einschlafen wollte ich auf keinen Fall, keinen Albtraum.
Schließlich fiel mir auf, dass es dringend mal wieder Zeit war, die Wohnung auf Vordermann zu bringen. Manche Ecken waren ziemlich verdreckt. Ich holte das verstaubte Putzzeug aus meinem Wandschrank im Flur und schrubbte wie verrückt die ganze Wohnung. Das Resultat konnte sich blicken lassen, überall blitzte es vor Sauberkeit. Eigentlich interessierte mich das Aussehen meiner Wohnung nur relativ wenig, wichtiger war dass das Putzen seinen Zweck erfüllte und mich vom einschlafen abhielt.

Wunderlicher Weise hatte Alex sich den ganzen Tag nicht mehr blicken lassen. Hat er es aufgegeben, nach dem heutigen Morgen? Wohl kaum.
Plötzlich schreckte ich auf. Wieso interessierte es mich, ob sich Alex um mich kümmerte?
Ich schüttelte den Kopf und verwarf den Gedanken.
Leider war die Wohnung blitze blank und meine Beschäftigung vorbei. Draußen war es schon dunkel geworden. Aber es war noch früh am Abend. Was sollte ich nun tun?
Ich musste unbedingt eine neue Ablenkung finden. Da kam mir der rettende Einfall. Ich rannte in die Küche und riss die Kühlschranktür auf. Kalte Luft kam mir entgegen und ließ mich erzittern. Doch zu meiner Enttäuschung gab es nichts womit man kochen konnte und die Geschäfte hatten schon alle schlossen. Meine grandiose Idee zerfiel in tausend Stücke und hinterließ ein Nichts. Minuten lang stand ich in der Küche, während mich der Schmerz auffraß.
Seit wann interessierte ich mich eigentlich fürs Kochen? Wieso war ichdarüber so traurig gewesen?
Erst jetzt bemerkte ich wie die Müdigkeit wieder zurück kam und die Oberhand über meinen Körper gewann. Automatisch schlenderte ich ins Schlafzimmer und ließ mich aufs Bett fallen.
Der Tag war ziemlich schnell vorüber gegangen, fast zu schnell. Es war fast zu einfach, wie leicht ich mich durch Kleinigkeiten ablenken ließ.
Ohne dem üblichen Vorspiel, fielen mir die Augen zu und ich schlief ruhig ein. Aber auch wenn mir der größte Teil der Schmerzen erspart blieb, so wurde ich doch von meinen Albträumen heimgesucht.

Es war einer der Schlimmsten, den ich je hatte. Er war neu.
Ich hockte auf den Boden. Alles war dunkel, man konnte nicht mal die Hand vor Augen sehen. Ich hatte furchtbare Angst.
Denn wenn es irgendetwas gab, was ich fürchtete, dann war es die Dunkelheit. Sie hielt mir direkt vor Augen, wie einsam ich war. Die Löcher, die durch die schrecklichen Ereignisse meiner Vergangenheit in mein Herz gerissen wurden, brannten dann immer fürchterlich. Außerdem erinnerte ich mich dann immer an die Unfälle, wo ich meist Augenzeuge gewesen war.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich dort saß, gefühlt war es eine Ewigkeit. Ich schlang meine Arme um die Beine und kauerte mich zusammen. Das Atmen fiel mir schwer. Die Dunkelheit drohte mich zu erdrücken. Einzelne Tränen liefen mir über die Wangen. Ich verfiel in eine Art Trance. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr, er bewegte sich keinen Zentimeter. Ich glaubte ich lag im Sterben. Doch plötzlich erschien ein helles Licht. Ich schaute hinauf, im Licht war eine Person. Alex!
Er kam auf mich zu geschwebt. Seine Wärme erfüllte meinen ganzen Körper. Mein Atem kam wieder und die Schmerzen verschwanden. Er füllte mein Herz mit Liebe.
Er reichte mir die Hand, automatisch bewegte sich mein Arm und nahm sie, und hob mich in seine Armen. Gemeinsam sonnten wir uns im Licht. Ich drückte ihn so fest ich konnte, denn er sollte nicht wieder gehen.
Doch, oh Schreck.
Anscheinend drückte ich zu fest, denn ich zerfiel in meinen Armen zu Asche. Auf einmal kam Wind auf, die Asche umspielte mich in ihm. Noch einmal erfüllte sich mein Körper mit Wärme, um im nächsten Moment wieder zu verschwinden. Der Wind trug die Asche davon und ließ mich zurück. Auch das Licht verschwand langsam. Ich fiel zu Boden. Die Wärme erlosch nun ganz und wurde von einer bitteren Kälte abgelöst. Meine Muskeln verkrampften und mein Atem blieb wieder aus. Die Löcher in meinem Herz vergrößerten sich und vereinten sich einem großen Loch. Die Schmerzen wurden unerträglich und schlimmer als je zuvor.

„Nein!“, schrie ich, als ich aufwachte.
Hastig schaute ich mich um und erkannte, dass ich in meinem Bett lag. Draußen war es noch dunkel, es musste also früh am Morgen gewesen sein. Ich hielt Ausschau nach meinen Weckern, aber er stand nicht an seiner gewohnten Stelle. Vermutlich hatte ich ihn während meines Traumes einmal durch mein Zimmer geschleudert.
Ich stand also auf und schlenderte zur Küche und zur nächsten Uhr. Es war 3 Uhr.
„5 Stunden geschlafen, viel zu wenig für einen Sonntagmorgen“, stöhnte ich.
Aber schlafen wollte ich auf keinen Fall mehr. Ich wollte keinen Albtraum mehr. Also machte ich mir erst mal einen Kaffee, um nicht doch wieder einzuschlafen.
Die Bilder des Traums schossen mir immer wieder durch den Kopf. Ich wollte auf keinen Fall, dass Alex so etwas erlitt. Er war so eine nette Person, die so ein Ende nicht verdient hatte. Ich hatte ihn nicht verdient.
Seit dem Tod von Nanae glaube ich nämlich verflucht zu sein, weshalb ich auch keinem Menschen mehr zu nahe kam.
Ich muss sein Schicksal ändern, um jeden Preis. Auch wenn das heißen mag, dass wir nicht befreundet sein können.
Ich schauderte, also hegte ich wohl doch irgendwelche Gefühle für ihn.
Es war eine Entscheidung, die mir nicht leicht gefallen war. Sie schmerzte sehr. Mein Inneres rang mit sich selbst. Mein Verstand wollte es unbedingt, aber mein Herz hing an Alex. Er hat es nach langer Zeit wieder richtig zum Schlagen gebracht. In seiner Nähe fühlte ich keinen Schmerz. Er füllte die Löcher in meinem Herzen.
Doch im Moment fühlte es sich an, als sie noch weiter aufrissen. Aber was war denn dieser Schmerz, im Gegensatz zum dem Schmerz, den ich fühlen werde, wenn Alex sterben sollte.
Von da an entschied ich ihn ernsthaft aus dem Weg zu gehen. Auch wenn es mein Herz komplett zerreißen würde.
Plötzlich drang ein lautes Knurren durch den Raum, wie das eines Hundes. Ich schreckte zusammen und Blick um mich. Doch es fand seinem Ursprung bei mir. Mein Magen grummelte lauthals. Ich drehte mich zum Kühlschrank. Er war immer noch genau so mager gefüllt wie gestern Abend. Ich nahm einen Joghurt. Ich war es nicht gewohnt Hunger zu fühlen, das Knurren kam mir fremd vor. Essen tat ich meistens nicht sehr viel, weshalb auch mein Kühlschrank größtenteils leer war. Doch Alex brachte mein ganzes Leben durcheinander. Ich wollte auf einmal Sachen machen, für die ich mich früher nie interessiert hätte. In seiner Gegenwart fühlte ich mich immer so gut.
Jedoch heute musste ich mich von ihm fernhalten, damit meine Entscheidung nicht doch ins Wanken kam. Ich musste irgendetwas zu tun haben. Aber zu Hause wollte ich im Moment auch nicht bleiben. Ich rannte in mein Zimmer und suchte mir bequeme Sachen heraus. Leise schlich ich mich aus meiner Wohnung. Ich wollte Alex nicht auf mich aufmerksam machen, auch wenn es erst halb 4 war, ich wusste ja nicht was, er mit früh aufstehen meinte.
Am Gartentor steckte ich mir mein MP3-Player ins Ohr und drehte die Musik auf die lauteste Stufe, so war es mir unmöglich meine eigenen Gedanken zu hören.
Kein Mensch war auf den Straßen zu sehen. Da es schon Ende Herbst war, lagen die Temperaturen unter 0. Um mich aufzuwärmen, joggte ich einmal die Straße rauf. Aber am Ende wollte ich noch nicht aufhören. Also joggte ich durch den Park. Aber auch dort wollte ich nicht aufhören. Ich hatte das dringende Bedürfnis zu laufen. Ich ging diesem Drang nach und joggte quer durch die halbe Stadt. Ich wunderte mich, so viel Ausdauer hätte ich mir selber nicht zu geschrieben. Denn Sport war eigentlich nicht mein Ding.
Als ich nach 3 Stunden wieder heim kehrte war ich fix und fertig. Der Schweiz lief mir nur so herunter. Leise schlich ich mich wieder zurück in meine Wohnung.
Ich warf meine nassen Sachen in die Waschmaschine und ging duschen. Das Wasser hatte auf die heißeste Stufe eingestellt. Es brannte mir beinahe die Haut weg, Aber der Schmerz verhinderte, dass ich nachdachte.
Und nun?
Was konnte man an einem Sonntagmorgen um 7 Uhr machen?
Ich warf mich aufs Sofa und schaltete den Fernseher an. Um diese Uhrzeit lief nur Schrott. Ich entschied mich fürs Kinderprogramm. Es lenkte mich am besten ab, hirnlose kleine Zeichentrickfiguren, die auf den Bildschirm herum tanzten. Still starrte ich darauf. In meinem Kopf spielte sich eine gähnende Leere ab. Es war eine Art wacher Schlaf. Ich hatte zwar meine Augen geöffnet, war auch bei bewusst sein, aber ich verfiel in eine Trance, um mich herum war ein dichter Nebel.
Es klingelte an der Tür.
Wie spät ist es? Halb 10?
Die Zeit war sehr schnell vergangen. Ich schaltete den Fernseher aus und kauerte mich auf dem Sofa zusammen.
„Verschwinde ... verschwinde!“, flüsterte ich, als mir klar wurde, dass er

an der Tür stand.
Aber er verschwand nicht. 20 Minuten lang dauerte das Sturmklingeln an meiner Tür. Ich bekam schon Mitleid mit meiner Klingel. Dann war eine kleine Pause, ein Moment der Ruhe. So erholsam. Aber die Ruhe wurde kurz darauf von lautem Gepolter gestört. Nun hämmerte er gegen die Tür und rief meinen Namen.
Konnte er denn nicht einfach verschwinden? Wie lange wollte er denn noch so weiter machen? Oder würde er einfach meine Tür eintreten?
Ich hielt mir die Ohren zu, ich wollte ihn nicht mehr hören. Ich wollte ihn vergessen, aber wenn er so laut war, fiel es mir nur noch schwerer.
„Verschwinde!“, flüstere ich immer wieder.
Und endlich hörte er auf. Ich hörte wie er etwas vor sich hin meckerte und dann wie er eine Tür zu knallte. Ich huschte zur Tür und horchte hinaus.
Nichts. Er war weg. Ich riskierte einen kleinen Blick ins Treppenhaus. Keiner da. Ich schloss die Tür wieder. Langsam schlenderte ich zur Küche.
Ein Kaffee würde mir jetzt gut tun.
Mit der Tasse in der Hand, schlürfte ich aufs Sofa zurück. Den Rest des Tages verbrachte ich damit, auf das flimmernde Bild des Fernsehers zu starren. Während dessen schaltete mein Gehirn vollkommen ab.
Abends wusste ich gar nicht mehr, was ich überhaupt gesehen hatte. Diesen Tag habe ich nur so vor mich hin gelebt. Ich habe mir keine Sorgen, keine Gedanken wegen irgendetwas gemacht.
Hin und wieder klingelte Alex an meiner Tür, aber auch das blendete ich völlig aus.
Es gab absolut nichts woran ich auch nur im Geringsten denken wollte. Auch als ich im Bett lag, blieb mein Kopf leer. Keine bösen Erinnerungen, keine schlechten Vorausahnungen. Es war die ruhigste Nacht, die ich seit langem hatte. Endlich konnte ich mich mal wieder richtig ausschlafen.
Ruhig und gelassen wachte ich am nächsten Morgen auf. Kein Schrei, kein Schmerz.
Was war los?
Hab ich es endlich geschafft mein Herz zu verschließen, so dass ich keinen Schmerz mehr fühlen konnte, überhaupt keine Gefühle?
Am diesem Morgen verlief alles ganz automatisch, fast wie ein Cyborg. Ich dachte über nichts nach. Gelangweilt schaute ich auf meine Hände, die von alleine agierten. Angezogen stand ich vor der Tür.
Alex würde sicher schon am Gartenzaun auf mich warten. Ich musste ihn aus dem Weg gehen. Er war der Einzige, der meine neu erbaute Mauer um mein Herz wieder einreißen könnte. Und dann würde ich schwach werden und mich erneut mit ihm anfreunden, weil er den Schmerz mildern konnte. Aber ich wollte nicht mehr bei ihm sein und das musste ich ihm klar machen, ich musste ihm aus dem Weg gehen, ganz egal wie.
Da hatte ich den rettenden Einfall. Ich rannte in den Keller und holte mein altes, verstaubtes Fahrrad heraus. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie man dieses Teil fährt, aber wenn ich erst einmal drauf saß, würde es mir schon einfallen. Völlig außer Atem schleppte ich es aus der Haustür.
Wie erwartet stand Alex am Gartentor. Sein Blick war wieder in die Ferne gerichtet. Als er mich bemerkte, schaute er erst zu mir und warf dann einen verwirrten Blick auf das Fahrrad und dann wieder zu mir. Ich beachtete ihn nicht weiter und stieg auf das Fahrrad. Die ersten paar Zentimeter waren noch wackelig, aber dann konnte ich mich fassen und raste an Alex vorbei. Geschockte schaute er immer noch auf die Haustür. Selbst von weitem konnte ich noch aus den Augenwinkeln erkennen, dass er sich kein bisschen bewegt hatte.

Wo blieb er denn nur?
Der Unterricht hatte schon längst angefangen. Er würde doch nicht schwänzen, nur wegen mir?
Aber da öffnete sich die Tür und ein völlig atemloser Alex kam herein.
„Entschuldigung“, sagte er zum Lehrer, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
Er ging auf meine Ecke zu. Erst als direkt vor mir stand schaute er mir in die Augen. Ich wich seinem stechenden Blick aus er hatte einen vorwurfsvollen Ausdruck.
Anscheinend bemerkte er erst jetzt, dass ich meinen Tisch ausgetauscht hatte. Anstatt eines normalen Doppeltisches, hatte ich nun einen Einzeltisch für mich alleine. Seine Augen riss er vor Entsetzen weit auf. Ich hoffte er hatte es endlich kapiert.
Er war sauer und das spürte ich.
Er schaute sich an einem anderen Platz um und ging endlich.
Währen der Stunde hatten sich unsere Blicke immer wieder getroffen. Immer wieder sagte ich mir nicht hin zusehen, aber ich hielt mich nicht dran.
Seine Augen waren mit Trauer, Verständnislosigkeit und Wut gefüllt. Gut, er war wütend auf mich. Genau das wollte ich doch erreichen. Aber dennoch gefiel es mir nicht.
War es der Schmerz in meiner Brust oder meine feuchten Augen, die mich störten?
Der Unterricht war ätzend langweilig. Selbst als ich versuchte mich darauf zu konzentrieren, schweiften meinen Gedanken immer wieder ab. Immer wieder huschten sie zu Alex.
Und dann stand er da, direkt vor mir und mustere mich aufmerksam.
„Was willst du?“, schnauzte ich ihn an.
Er brachte keinen Ton raus und starrte mich nur an. Ich beachtete ihn nicht weiter und drängte mich an ihm vorbei. Im schnellen Schritt flüchtete ich aus dem Klassenzimmer.
Während der Pause versteckte ich mich in einer kleinen Ecke des Schulgebäudes, nur damit er mich nicht entdeckte. Doch da stand er wieder vor mir und starrte mich an.
„Lass mich in Ruhe!“
„Was ist los?“
Seine Stimme war so sanft und ruhig, dass sie auf mich einen entspannenden Effekt hatte.
Auf einmal konnte ich mich nicht mehr zurück halten, meine feuchten Augen brachen aus. Er nahm mich zum Trost fest in seine starken Arme.
„Was ist los?“
Nein! Genau das wollte ich doch nicht. Er war mir viel zu nahe, ich drängte ihn weg.
„Fass mich nicht an!“
„Warum bist du heute so abweisend?“
In seiner Stimme konnte ich Besorgnis heraus hören, wieso war er um mich besorgt?
„Das bezieht sich nicht nur auf heute.“
„Und wie lange wird das anhalten?“
Er verstand es einfach nicht, war er wirklich so dumm? Oder wollte er es nicht verstehen?
„Auf Ewig! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Ich hasse dich! Ich habe dich die ganze Zeit gehasst! Verschwinde endlich!“, warf ich ihn an den Kopf.
Im nächsten Moment tat es mir Leid, so etwas zu sagen. Das hatte er nicht verdient, ich war eine grausame Person. Seine sonst so freundlichen Gesichtszüge veränderten sich zu einem traurigen Ausdruck.
„Wenn du noch sauer bist, wegen dem Wochenende, dann tut mir das schrecklich leid. Es wird nicht wieder vorkommen.“
„Das Wochenende ist mir scheiß egal. Du sollst dich einfach von mir fern halten. Lass mich in Ruhe! Verschwinde aus meinem Leben!“
Er blickte starr auf mich, aber seine Augen waren nicht auf mich gerichtet, sie schauten durch mich hindurch, in die Ferne gerichtet. Er war mit seinen Gedanken woanders. Meine bitteren Tränen wollten einfach nicht aufhören zu fließen.
„Wenn du das so willst.“
Er ließ mich zurück in der dunklen Ecke. War es wirklich so einfach? Ein paar verletzende Worte und er ließ mich allein?
Jedenfalls war es doch genau das, was ich wollte. Meine Gefühle zu ihm waren unwichtig.
War die Pause eigentlich schon immer so lang gewesen? Ich hatte das Gefühl sie würde nie vergehen, doch ehrleichter hörte ich das ertönen der Schulglocke. Ich musste mich jetzt zusammen reißen, wenn ich mich ihm jetzt so deprimiert zeigte, hätte er gewonnen. Er würde wieder zu mir kommen und mich trösten.
Mit gleichgültiger Miene betrat ich den Klassenraum. Die Blicke der Anderen, die auf mir ruhten, waren mir egal. Meine Augen waren auf Alex geheftet, der gelangweilt im Buch blätterte und mich keines Blickes würdigte.
Woher kannte ich das bloß?
Er zeigte keinerlei Interesse mehr an mir. Die Nachricht war also angekommen. Ich ließ mich auf meinem Platz fallen, den Blick immer noch auf Alex gerichtet. Unbewusst lief mir eine einzelne Träne über die Wange. Ich spürte wieder den Schmerz im meinem Herz, den ich schon langsam anfing zu vermissen, und die Löcher, die mich verschlangen. Ich zitterte am ganzen Körper und drohte wieder in meine Trance zu fallen.
Aber wieso? Hier war keine Dunkelheit, die sonst immer diese Gefühle hervor rief.
Nicht hier! Nicht jetzt!
Ich musste mich beruhigen. Ich formte meine Hände zu Fäusten und rammte meine Fingernägel in meine Handflächen. Der Schmerz holte mich wieder näher an die Realität heran, aber ließ mich nicht aufwachen. Ich war gefangen zwischen der realen Welt und meiner Trance.
„Filou geht’s dir nicht gut? Du siehst ja noch blasser als sonst aus. Alex hat dich wohl fallen lassen, was?“
Die spottende Stimme konnte nur von Susan kommen. Eigentlich hätte ich sauer werden sollen, aber in dem Moment war ich ihr dankbar. Ihre schrille Stimme war es, die mich aus meinem Gefängnis befreit hatte.
Ich atmete einmal tief durch und seufzte.
„Ich wüsste nicht was es dich angeht?“
In solchen Momenten konnte sie einen nicht in Ruhe lassen.
„Nun werd doch nicht gleich zickig.“
„Lass mich einfach in Ruhe. Meinetwegen kannst du Alex haben. Ich war sowieso nie an ihm interessiert.“
Susan grinste und man konnte deutlich ihre schiefen Zähne erkennen. Sie war eigentlich ein schönes Mädchen, bis auf ihre Zähne. Als sie merkte dass ich sie anstarrte, verschwand das Lächeln sofort und sie ging zu Alex. Er empfing sie mit einem freundlichen Lächeln. Ungehindert plapperte sie auf ihn ein, er hatte sichtbar kein Interesse in dem was Susan sagte, jedoch schien sie es nicht zu bemerken, sie redete ohne Punkt und Komma. Hin und wieder nickte Alex und gab ein Laut von sich, wenn Susan ihn mal eine Frage stellte, sie wartete aber nicht auf seine Antwort, sondern fing sofort wieder mit dem Gerede an. In den ersten paar Sekunden dieser einseitigen Unterhaltung schaute er sie noch aufmerksam an, als er aber merkte, dass seine Beteiligung nicht gefragt war, wandte er desinteressiert den Blick ab. In diesem Moment hätte ich gerne gewusst was er dachte.
Ein lauter Knall bebte durch den Raum. Alle Blicke wandten sich zum Ursprung, zur Tür. Ein äußerst hochnäsiges Mädchen stellte sich ausdrucksvoll vor die Klasse. Ihre Schönheit reichte fast an meine heran, jedoch stellte sie ihre deutlich zur Show. Auf den Gesichtern der Jungs spielten die süßesten Ausdrücke, jeder versuchte sie zu beeindrucken und auf sich aufmerksam zu machen, alle, außer Alex. Er warf ihr einen flüchtigen, desinteressierten Blick zu und widmete sich dann seinen Fingern zu. Es störte dem Mädchen deutlich, dass Alex ihr keine Aufmerksamkeit schenkte. Zielstrebig ging sie auf ihn zu und beugte sich über den Tisch.
„Hi, ich bin Katja. Ich bin neu auf dieser Schule, vielleicht könntest du mir nachher alles zeigen?“
Sie versuchte so verführerisch wie möglich zu reden und zu lächeln.
„Moment mal! Siehst du nicht, dass wir uns unterhalten“, protestierte Susan gegen die Übernahme von Alex.
Keiner von beiden, weder Alex noch diese Katja, achtete auch nur darauf was Susan sagte. Katja rückte näher an Alex ran und man sah wie in Susan die Wut aufstieg. Auch ich wurde wütend, Eifersucht durchflutete meinen Körper. Dieses Gefühl war mir fremd, aber ich konnte es auch nicht abschalten.
„Hallo, ich bin Alex. Und leider muss ich dich enttäuschen mit der Führung kann ich dir auch nicht weiterhelfen, ich bin auch gerade erst neu auf dieser Schule, du musst dir wohl
jemanden anders suchen“
Ich stieß ein kleines „Ha“ aus. Der Triumph war mein.
Katja wich einen Schritt zurück, sie konnte nicht glauben, dass Alex sie abgewiesen hatte. Jedoch sie hatte auch schon die richtige Antwort parat.
„Auch gut, dann erkunden wir eben die Schule zusammen.“
Schnell drehte sie sich um und ging zum Lehrer, der gerade zur Tür herein kam. Alex wollte ihr noch etwas sagen, aber sie hörte ihm nicht mehr zu.
Es war mir unergründlich warum ich eigentlich eifersüchtig war, ich wollte ihn doch gar nicht. Er konnte lieben wen er wollte. Das war nicht meine Angelegenheit. Aber warum störte es mich dann, wenn andere Mädchen um ihn herum waren? Warum gefiel es mir nicht wenn andere Mädchen um ihn warben?
Er war nun mal sehr hübsch und hatte einen guten Charakter. War doch klar, dass er bei den Mädchen sehr beliebt sein würde.
Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Seit langer Zeit war jemand mal wieder nett zu mir und ich warf ihm böse Wörter an den Kopf. Da ist doch klar, dass er nicht mehr mit mir befreundet sein will und sich mit anderen Menschen zu wand.
Aber war nicht ich es, die nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte?
Es war doch gut für ihn, dass er sich mit anderen abgab, so war sein Leben gesichert. Ich habe gerade erst erreicht, dass er mich in Ruhe ließ und jetzt ging er mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich musste ihn vergessen, so war es besser für uns beide. Also musste ich mich damit zu Frieden geben.
Auf einmal fühlte ich mich so schwach. Die Bilder vor meinen Augen verschwammen leicht, wodurch mir schwindelig wurde. Der heutige Tag war zu viel für mich gewesen. Ich ging auf den Lehrer zu und musste aufpassen nicht umzukippen. Sofort als er mich ansah, war die Besorgnis in sein Gesicht geschrieben.
„Filou, geht’s dir nicht gut?“
Er packte mich bei meinen Schultern, als er merkte, dass ich wackelig auf den Beinen war.
„Nicht wirklich, er wäre schön wenn ich nach Hause gehen und mich etwas ausruhen könnte.“
„Natürlich, Alex....“
„Schon in Ordnung, ich schaff das schon alleine, ich brauche Alex nicht.“
Ich merkte nicht, dass Alex in Hörweite war und mitbekam wie ich über ihn redete.
„Ich schaff das schon alleine.“
„Bist du sicher?“
„Ja, kein Problem.“
„Wenn du dir wirklich sicher bist.“
Ich holte meine Sachen und taumelte aus dem Raum.
Der Weg nach Hause gestaltete sich schwieriger als gedacht. Ich war fast orientierungslos und musste mich am Fahrrad fest krallen, um nicht umzufallen. Dennoch schaffte ich es irgendwie vor meiner Haustür zu landen. Die nächste Hürde war das Schlüsselloch zu treffen, aber auch dies bewältigte ich irgendwie. Ich ließ alles stehen und liegen und schleppte mich die Treppe hinauf. Erschöpft ließ ich mich aufs Bett fallen und schlief sofort ein.
Auch wenn mir die Torturen des Einschlafens erspart blieben, suchten mich wieder die altbekannten Albträume heim.
Ich riss die Augen auf. Wie lange hatte ich geschlafen?
Es kann jedenfalls nicht sehr lange gewesen sein. Draußen war noch genauso so hell, wie ich nach Hause gekommen war.
Ich hievte mich aus dem Bett, mir war immer noch schwindelig. Ich fasste mir an die Stirn, sie war glühend heiß. Ich war wieder krank, dennoch ich wollte nicht im Bett bleiben. Ich zog mir bequeme Sachen an und trotte in die Küche.
„Mist! Jetzt habe ich mein Fahrrad draußen stehen lassen. Aber darum kümmere ich mich später.“
Ein paar Toaste könnte ich wohl essen, ohne sie gleich wieder auszukotzen. Ich schaltete das Radio an. Es liefen gerade die Nachrichten, es war alles genau wie immer.
Die Politik versagte, die Wirtschaft ging den Bach runter und hier und da wurden Menschen auf brutale Weise ermordet. Mich würde es nicht wundern, wenn demnächst ein Krieg ausbrechen würde.
Aber wie spät war es eigentlich? Ich suchte die eine Uhr im Raum und drehte mich einmal um meine eigene Achse, wobei ich mich festhalten musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Die Uhr zeigte kurz vor 10.
Komisch, das war doch völlig unmöglich. Ich war doch erst um viertel nach 11 nach Hause
gegangen. Die Uhr musste falsch gehen. Ich ging ins Wohnzimmer zur nächsten Uhr. Aber auch dort war es kurz vor 10. Wurde ich jetzt langsam verrückt oder paranoid? Ich rannte zurück in die Küche. Im Radio würden sie sicher gleich erwähnen welcher Tag heute war.
Es war Dienstagmorgen. Ich hatte einen ganzen Tag verschlafen.
Aber ich war doch gar nicht so müde. Ich hatte doch am Vortag ausgeschlafen, wie konnte ich da noch müde sein?
Plötzlich überkam mich eine elende Übelkeit, ich beeilte mich noch rechtzeitig die Toilette zu erreichen. Den Rest des Nachmittags lag ich neben dem Klo auf den kalten Fliesen des Badezimmers. Ich hätte doch lieber nichts essen sollten.
Abends ging es mir wieder soweit gut, dass ich mich wieder vom Boden erheben konnte. Ich nahm mir ein Eimer und kroch zum Bett. So elend ging es mir schon lange nicht mehr. Mit jedem Herzschlag dröhnte mein Kopf umso mehr. Mein ganzer Körper war ein einziger Schmerz.
Unter Tränen bat ich um Erlösung. Und bekam diese auch, als ich endlich vor Erschöpfung einschlief.
Als ich wieder aufwachte ging es mir schon viel besser. Die Übelkeit war verflogen. Dennoch war ich noch nicht wieder gesund. Die Kopfschmerzen hämmerten immer noch im Rhythmus meines Herzens, auf meiner Stirn hätte man ein Ei braten können.
Mühsam stand ich auf und latschte in die Küche. Mit frischem Tee und einer Wärmflaschen kuschelte ich mich wieder runter meine Decke.
Es war so ätzend langweilig. Nichts konnte man machen. Ich lag in meinem Bett in meinem dunklen Schlafzimmer und starrte an die Decke.
Schließlich rollte ich mich wieder aus dem Bett nahm Tee, Wärmflasche und Decke und taumelte ins Wohnzimmer. Ich ließ mich auf Sofa und rollte mich da zusammen. Der Fernseher tat zwar nicht meinen Kopfschmerzen gut, aber wenigstens verflog die Langeweile.
Irgendwann während des Tages fielen mir auch wieder die Augen zu.

Langsam öffneten sich meine Lider. Die Kopfschmerzen waren fast weg. Es war Nacht. Das flimmernde Licht des Fernsehers erhellte den Raum. Anscheinend hatte ich ziemlich stürmisch geschlafen. Die Kanne mit dem Tee lag auf den Boden und ein großer Fleck hatte sich auf dem Teppich verbreitet.
„Oh Mist!“
Schnell holte ich Lappen und Spülmitteln, aber der Fleck wollte nicht weg, egal wie heftig ich schrubbte.
„Wieso tue ich das eigentlich? Den Fleck würde nie jemanden außer mir zu Gesicht bekommen. Bis jetzt war noch nie jemand bei mir zu Besuch gekommen und das wird sich auch nicht ändern, also ist es doch egal, oder?“ Also legte ich das Putzzeug wieder.
So wie es aussah war der schlimmste Teil meiner Krankheit vorüber. Ich setzte mich zurück aufs Sofa und schaute mir noch weiter Sendungen an. Schlafen konnte ich jetzt nun wirklich nicht mehr, in den Letzten Tagen hatte ich mehr als genug im Bett verbracht.
Die ganze Nacht machte ich durch, bis mir die aufgehende Sonne ins Gesicht schien. Ich musste meine Augen zusammen kneifen. In dem grellen Licht machten sich doch wieder die Kopfschmerzen bemerkbar. Ich zog die Gardinen zu und hockte mich auf Couch. Ich schlang meine Arme um meine Beine und legte meinen Kopf zwischen meine Knie.
Mir war klar geworden wie langweilig mein Leben eigentlich war. Ich hatte keine Freunde, keine richtige Familie, nicht mal ein Haustier mit dem ich reden konnte. Dem ich mein Herz ausschütten konnte. Zu gern hätte ich jemanden, der mir zuhörte und mir einen Rat geben konnte. Aber ich war allein.
„Was ist aus mir geworden?“
Ich gab mal eine Zeit, in der ich eine fröhliche, nette Person gewesen war. Was konnte mich nur so verändern, ich erschrak.
„Wie konnte ich nur so dumm sein und es vergessen? Wie konnte ich die letzten Sekunden von Nanae vergessen?“
Ich vergaß den schrecklichsten Augenblick in meinem Leben. Wie ich gemütlich mit Nanae an der Straße spazieren ging. Wir haben uns einfach nur unterhalten. Dann zog sie an meiner Hand und wollte die Straße überqueren. Sie drehte sich um, damit wir uns weiter unterhalten konnten. Und dann... und dann... kam das Auto. Sie war nur einige Zentimeter von mir entfernt. Aber das Auto erwischte sie gerade in dem Moment, wo ich noch hinter den parkenden Autos versteckte und meine Freundin auf die Straße sprang. Blut überströmt stand ich auf der Straße und starrte auf ihren leblosen Körper. Panik breitete sich in meinem Kopf aus. Ich konnte mich nicht bewegen, konnte nicht atmen, konnte nicht glauben was passiert war. Ich fiel auf die Knie und sah auf meine Hände. Was hatte ich nur wieder angerichtet. Ich war ihr Todesurteil. Wäre ich nicht gewesen wäre an diesem Tag nie auf dieser Straße gewesen und dieses Auto hätte sie nicht angefahren. Ich schrie. Tausende von Tränen kamen an diesen Tag aus meinen Augen. Es war so schlimm, dass ich nichts mehr sehen konnte. Ich wischte sie aus meinen Augen, aber es kamen immer wieder neue und es wollte einfach nicht aufhören.
Dann ging alles ganz schnell. Ein Krankenwagen kam vorbei. Zwei Sanitäter kamen auf mich zu. Sie redeten, aber ich konnte sie nicht hören. Mit weit ausgerissenen Augen starrte ich sie an. Ich konnte sie nicht richtig erkennen wegen den Tränen, aber es waren zwei Männer, so viel konnte ich sagen. Sie hoben mich hoch und schnallten mich auf einen Stuhl im Wagen fast. Nanae legten sie auf die Liege und schoben sie in den Krankenwagen hinein. Anscheinend war sie noch nicht ganz tot. Mit aller Mühe versuchten sie Nanae am Leben zu erhalten. Irgendjemand kümmerte sich auch um mich und untersuchte mich auf Verletzungen. Ich schenkte dieser Person keine Beachtung, mein Blick war allein auf Nanae gerichtet. Sie starrte an die Decke, zeigte keinerlei an Reaktionen. Doch dann bewegten sich ihre Lippen. Sie rief nach mir.
„Filou! Filou, wo bist du?“
Und obwohl es das leiseste Geräusch im Wagen gewesen sein musste, drang ihre Stimme deutlich zu mir vor, als ob sie schreien würde. Ich machte mich vom Stuhl los und warf mich zu ihr. Ich nahm ihre Hand und schaute in ihre blassen Augen.
„Ich bin hier, Nanae. Hörst du mich. Hier bin ich!“
Doch ihre Stimme verstummte, sie lächelte nur und schloss die Augen. Dann hörte ich nur noch ein einziges Piepen.
„Nein! Nanae! Verlass mich nicht! Bitte, rede mit mir!“, schrie ich verzweifelt, aber Nanae blieb stumm. Die Sanitäter drängten mich vom Tisch weg und versuchten sie zu reanimieren, aber es war vergeblich. Nanae Herz schlug nicht mehr, es würde nie wieder schlagen.
An diesem Tag fasste ich ein Entschluss. Ich schwor mir nie wieder auch nur eine Person an mich heran zu lassen. Nie wieder würde ich so einen Verlust verspüren, weil nie wieder jemand eine solche Bedeutung für mich haben würde. Von nun an wollte ich alleine sein, bis zum Tod und darüber hinaus.

Ich riss mich aus meinen Erinnerungen. Das war alles schon ein paar Jahre her, dennoch hatte ich die Bilder noch deutlich im Gedächtnis.
Ich beschloss mein Fahrrad nicht länger warten zu lassen, aber wahrscheinlich war es bereits geklaut. Schließlich hatte ich es unabgeschlossen vor der Haustür stehen lassen. Ich zog mir einen warmen Pulli über und ging zur Haustür. Ich streckte meinen Kopf hinaus. Kalter Wind blies mir um die Ohren. Aber mein Fahrrad war nicht da. Anscheinend wurde es doch geklaut. Aber vielleicht war auch jemand so nett gewesen und hatte es in den Keller gebracht. Ich zwang mich dazu, nicht an diesen einen bestimmten Namen zu denken.
Ich ging runter in den Keller. Er war mir immer ungemütlich vorgekommen, so dunkel und kahl.
Und tatsächlich, er hatte mein Fahrrad hier runter gebracht, jedoch hatte er es mitten im Gang stehen lassen. Jeder im Haus hatte im Keller einen kleinen Raum zur Verfügung und da schob ich auch mein Fahrrad wieder hinein. Ich schloss die Tür wieder ab und drehte mich um. Dann machte es nur noch PLING und es wurde stockdunkel.
„Mist. Jetzt sind auch noch die Lampen kaputt.“
Ich tastete mich an der Wand entlang. Bis zur Eisentür, die ins hell erleuchtete Treppenhaus führte, war es noch ziemlich weit.
Im Keller war keine einziges Fenster, ich konnte meine Hand vor den Augen nicht sehen.
Ich kam gerade zwei Meter weit, da kam er wieder, dieser Schmerz. Die Schläge meines Herzen pulsierten durch meinen Körper und mit jedem Schlag wurde der Schmerz umso größer. Er zwang in die Knie. Ich zitterte, konnte nicht mehr weiter gehen. Das Atmen viel mir schwerer. Ich kippte um. Ich machte mich ganz klein. Umklammerte meine Beine. Ich wollte auf keinen Fall in die Löcher hinein gesaugt werden. Die Dunkelheit erdrückte mich. Mein ganzer Körper fühlte sich schwer an. Mein Atem wurde immer lauter und schwerer.
Wie lange würde das wohl anhalten? Würde ich mich jemals daraus befreien können? Wie lange würde es dauern bis mich jemand hier unten fand? Aber sie würden zu spät kommen. Ich ahnte schon, dass ich nicht mehr lange zu leben hatte. Atmen konnte ich nun gar nicht mehr. Und auch der Rhythmus meines Herzens wurde langsamer. In nicht allzu langer Zeit würde es dann ganz aufhören zu schlagen.
Konnte ich jetzt endlich Erlösung finden? War das das Ende meiner Qualen oder erst der Anfang vom Ganzen?
Mein Kopf war voller Fragen, auf die ich keine Antwort kannte.
Ich gab die Hoffnung schon völlig auf. Doch da erschien ein Licht am Ende des Ganges. Und eine Person war zu erkennen. Aber war das nun die Realität oder war ich schon tot. Aber dann würde doch keinen Schmerz mehr fühlen oder? Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.
Nein, es muss ein Engel gewesen sein. Seine liebliche, sanfte Stimme rief meinen Namen, immer und immer wieder. Es klang so als ob er panisch war, ich wollte ihn beruhigen, aber ich bekam kein Wort aus meiner Kehle, sie war zugeschnürt. Dann verlor ich das Bewusstsein.
Ich öffnete meine Augen und starrte an eine dunkle weiße Decke. Ich war in meinem Bett, aber wie war ich dahin gekommen?
Ich setzte mich auf. Da war jemand, er saß neben dem Bett auf einen Stuhl. Es war ein Junge, mit hellbraunen Haaren, brauner Haut und meiner Meinung nach wunderschön. Es dauerte einen Moment bis mir einfiel, dass ich ihn kannte, dass sein Name Alex war und dass ich ihn eigentlich nicht bei mir haben wollte.
So leise wie möglich rutschte ich aus dem Bett und schlich in die Küche. Wie war ich hierhergekommen? Das letzte woran ich mich erinnern konnte war die goldige Stimme des Engels, der panisch nach mir rief. War das alles nur ein Traum oder träume ich immer noch? Vielleicht war ich ja schon tot und dies war alles nur meine Erinnerung.
Ich schenkte mir einen Tee ein und hörte auf einmal ein Kreischen, dass aus meinem Schlafzimmer kam. Dann stürmte ein völlig angst erfüllter Alex zu mir in die Küche.
Er blieb vor mir stehen, nahm meine Schultern in seine kalten Hände und musterte mich aufmerksam. Gelassen schaute ich ihn in die Augen.
„Hi“, sagte ich in einer unbesorgten Stimme.
„Hi? Mehr hast du nicht zu sagen? Weiß du eigentlich was für einen Schreck du mir eingejagt hast?“
Er nahm mir die Tasse aus der Hand und zerrte mich zurück ins Bett.
„Du ruhst dich gefälligst aus wenn du irgendetwas brauchst, dann fragst mich, verstanden?“
„Was machst du für einen Aufstand?“
„Ich dachte du würdest sterben. Du lagst da im dunklen Keller und rührtest dich nicht, außerdem schnapptest du nach Luft. Du warst bleich und kalt. Dein Puls war schwach. Ich hätte beinahe einen Krankenwagen gerufen. Aber ich war glücklich, als du dich wieder beruhigt hast, während ich dich auf den Arm nahm. Was hast du eigentlich da unten gesucht?“
„Ich hab nach meinem Fahrrad gesucht.“
Seufzend setzte er sich auf den Stuhl und reichte mir wieder meine Tasse Tee. Ich schlürfte daran.
„Ich wollte sowieso nochmal mit dir reden“, brachte er nach ein paar Minuten der Stille heraus.
„Ich wüsste nicht über was wir uns unterhalten sollen.“
„Genau deswegen wollte ich mit dir reden. Ich will jetzt einen triftigen Grund erfahren, warum ich dich in Ruhe lassen soll und warum du mich hasst. Falls ich irgendetwas getan oder gesagt habe, was dich verletzt hat tut mir das unheimlich leid. Nur bitte verzeih mir.“
„Es liegt nicht an dir, es ist meine Schuld.“
„Warum?“
Ich schlang meine Arme um meine Beine und legte den Kopf auf meine Knie.
„Vor 2 Jahren habe ich einen sehr wichtigen Menschen verloren, ich will nicht dass sich das wieder holt. Ich will mich an meine Schwur von damals halten.“
„Was für einen Schwur?“
„Dass ich nie wieder jemand an mich heran lasse. Dass ich nie wieder einen solchen Schmerz fühlen werde, wenn ich jemanden verliere. Ich glaube nicht dass mein Herz das nochmal aushalten würde.“
„Wow, das ist hart.“
„Und deswegen sollst du mich in Ruhe lassen. Zum Wohl deiner und meiner.“
„Nur weil du einen schwachsinnigen Schwur hast, muss ich mich ja nicht daran halten.“
„dann stell dich aber darauf ein, dass du bei mir gegen eine Wand läufst.“
„Das werden wir ja sehen.“
Er sprang vom Stuhl auf und wollte gehen. Ich hielt ihn am Ärmel fasst. Innig schaute ich ihn in die Augen.
„Bitte“, flehte ich ihn mit zitternder Stimme an
„Hast du eigentlich mal in den Spiegel gesehen? Denn was du darin erkennen wirst, ist eine traurige, einsame Person, die, wenn sie so weiter macht, noch zerbrechen wird. Ich will nicht, dass du dich selbst kaputt machst, denn eigentlich bis du eine sehr nette Person. Die so was nicht verdient hat.“
Wir schauten uns die Augen. Sein finsterer Blick sagte mir, dass er es ernst meinte. Ich
schloss die Augen.
„Dann bitte, lass mich jetzt nicht allein. Ich habe das Bedürfnis mit jemanden zu reden.“
Sein Blich veränderte sich und wurde fröhlich, fröhlich über dass ich endlich aufgab. Er setzte sich zurück auf den Stuhl und wartete. Vielleicht hatte er ja recht und sollte diesen Schwur vergessen, vielleicht.
„Gut dann rede mit mir. Vielleicht könntest du ja anfangen was das vorhin im Keller zu bedeuten hatte.“
Ich überlegte einen Augenblick. Konnte ich dieser Person wirklich vertrauen? Sein stechender Blick bejahte diese Frage von alleine. Und so erzählte ich ihm alles, meine innigsten Gefühle, meine Geheimnisse, obwohl ich diese Person kaum kannte.
Die ganze Zeit saß er ruhig neben mir auf den Stuhl und sagte nichts, er zeigte keine Reaktionen. Zwischendurch dachte ich schon, dass ich ihn so gelangweilt habe, dass er eingeschlafen sei. Aber jedes Mal wenn ich zu hin schaute, lag sein wachsamer Blick auf mir. Verlegen huschten meine Augen wieder zurück, zurück in die Vergangenheit. Es tat wirklich gut mit jemanden zu reden. Es war so als ob eine große Last von meinen Schultern genommen wurde. Alex war wirklich nett, indem er meine Geschichte über sich ergehen ließ. Nach langer Zeit war ich endlich zum Ende gekommen und wir beide saßen nur stumm da. Ich traute mich nicht etwas zu sagen. Er wusste nun alles über mich und dieses Gefühl war mir fremd. Ich hatte keinem mehr vertrauen oder etwas anvertrauen können. Er sah mich mit anderen Augen. Er achtete nicht auf die Schale, die ich zum Schutz errichtet hatte. Er erkannte mein Innerstes. Er entdeckte das zerbrochene Mädchen, dessen Wunden niemals heilen würden. Und dennoch versuchte er dieses Mädchen zusammen zuflicken.
„Ich hatte ja keine Ahnung wie traurig dein bisheriges Leben war“, unterbrach er die Stille.
„Hast du denn keine Angst, dass er dir nicht genauso ergehen wird?“
„Ich habe es dir schon einmal gesagt, aber ich sage es dir gerne noch einmal: Ich glaube nicht an Flüche oder derartiges.“
Dazu hatte ich nichts mehr zu sagen. Wenn er es eben so wollte, aber er sollte sich dann später lieber nicht beschweren.
„Du brauchst keine Angst zu haben, wenn ich irgendwann mal sterbe, dann wird es sicherlich nicht deine Schuld sein.“
„Woher willst du das wissen?“
„Ich weiß es einfach.“
Wieder wurde s still. Dieses Mal starrte Alex ins Leere und ich musterte ihn aufmerksam.
Wie konnte er sich nur so sicher sein?
Sanft lächelte er mich an, wie das eines Engels, der er für mich ja auch war, ein Schutzengel. Er strich mir meine Haare aus dem Gesicht und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
„Ruh dich aus, am besten du schläfst noch ein bisschen. Wir sehen uns morgen in der Schule.“
Er erhob sich in einer eleganten Bewegung vom Stuhl und ging hinaus, ich hörte noch wie er die Wohnungstür schloss. Ich befolgte seinen Rat, kuschelte mich unter die Decke und schlief mit einem warmen Gefühl in der Brust ein.
Als ich am nächsten das Klassenzimmer betrat, starrten alle mich an. Ich war mal ein paar Tage nicht da gewesen, macht das so viel aus? Jeder wurde mal krank, das war doch ganz normal.
Oder war es wegen meines neuen Outfit? Statt der blasen Bluse und einfachen Jeans, trug ich heute mal eine Jeans mit schönen Rautenmuster, dazu ein knall rotes Top und eine schwarze Sweatshirt-Jacke mit Herzchen-Muster. Na gut ich gebe zu, dass das schon ein krasser unterschied ist, aber ich hatte einfach mal Lust auf etwas Anderes. Und ich dachte mir ein bisschen Farbe wäre doch nicht schlecht. Vielleicht stand mir dieses Outfit auch einfach nicht, aber nach meinen Geschmack sah es gut aus.
Ich schaute mich im Klassenzimmer um, wohl schaute ich nach ihm, aber er war noch nicht da. Ich hatte mich auch schon gewundert, dass er nicht wie sonst am Gartenzaun auf mich gewartet hatte. Wo war er denn nur?
Auf einmal drängelte sich eine Person an mir vorbei und setze sich an meinem Tisch. Es war das neue Mädchen, Katja hieß sie doch. In einer fließenden Bewegung ließ sie sich auf meinem Stuhl sinken. Empört ging ich zu ihr.
„Ich glaub du sitzt auf meinem Platz.“
„Tja, jetzt ist es nicht mehr dein Platz. Such dir ein anderen Kleines.“
Kleines? Was fiel ihr ein? Ich war kurz davor sie vom Stuhl zu reißen.
„Guten Morgen Filou“, erklang eine, mir wohl bekannte, Stimme hinter mir.
„Hallo Alex“, erwiderte ich erfreut.
„Einen wunderschönen guten Morgen“, begrüßte ihn Katja, als vom Stuhl aufsprang und sich an Alexs Arm klammerte.
Verwirrte sah er mich an, aber ich konnte nur mit den Schultern zucken, denn ich wusste genauso wenig was das von Katja sollte.
„Alex, könntest du ihr bitte erklären, dass dies hier mein Platz ist.“ Denn auf mich schien sie ja nicht zu hören.
„Tut mir leid, ähm, Filou, richtig? Ich war nun mal zuerst hier, also such dir gefälligst einen anderen Platz.“
Hilfesuchend schaute ich Alex an, aber der sah mir nur flehend zurück.
„Komm lass sie doch diese eine Stunde neben mir sitzen.“
Fluchend und schockiert beugte ich mich Alexs Willen und setze mich auf den letzten freien Stuhl.


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Tag der Veröffentlichung: 06.05.2010

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