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Kapitel 1

 

©Michelle Trieu

Lichter

Tödlicher Gesang

 

1.


E
ndlich war es soweit. Der Frühling brach an. Die Sonne strahlte mir entgegen und all die tristen Gedanken die sich im Winter angesammelt hatten waren für diesen einen Moment verschwunden. Die Bäume und Blumen blühten und ich hörte den Vögeln bei ihrem Morgengesang zu. Alles erschien heller, fröhlicher, bunter, strahlender.
Schon immer hatte ich diese besondere Anziehung zur Sonne. Sie war das Einzige was mich aus meinem schwarzen Loch zog in welchem ich ständig festsaß, wo meine Gedanken mich wieder verschlungen und wo meine Selbstzweifel nicht aufhören wollten. Ich lehnte mich aus dem Fenster, leichter Wind wehte, ich atmete ihn tief ein, schloss meine Augen und genoss die Wärme auf meiner Haut.

„Lumenia ? Bist du fertig?“ Sofort verließen mich meine Glücksgefühle und ich kehrte wieder zurück zur Realität.

„Das Frühstück ist fertig!“, rief meine Mutter von unten, oder eher meine Adoptivmutter.

„Ich bin gleich da!“, antwortete ich ihr, stieg von der gepolsterten Fensterbank und klappte das große Fenster zu.

Ich setzte mich vor meinen Schminktisch, ich schminkte mich nie, ich benutzte ihn lediglich um mich zu betrachten. Er war silbern und hatte mehrere Schubladen. Verzierungen schlängelten sich auf dem ganzen Möbelstück, er wirkte ziemlich antik und wertvoll. Ich schaute in den Spiegel.

Zwei große Augen blickten mich an. Ich hatte ein schmales, leicht rundliches Gesicht, helle Haut und eine kleine Nase. Meine hellbraunen Haare fielen in leichten Wellen über meine Schultern und endeten knapp unter meiner Brust. Alles an mir war gewöhnlich. Das einzige Besondere an mir waren meine Augen. Sie hatten beide unterschiedliche Farben. Mein rechtes Auge war Goldbraun, fast schon so hell wie ein Bernstein. Das andere war jedoch Pechschwarz. Der Arzt meinte das wäre völlig normal, jedoch käme es sehr selten vor.


Schnell bürstete ich meine Haare einmal durch, warf einen letzten Blick in den Spiegel, schulterte meine Tasche und ging runter zum Wintergarten. Bei so einem schönen Wetter aßen wir immer dort zu Frühstück.


Unser Wintergarten war ziemlich groß, von hier aus konnte man auf das weite Feld schauen das unser Haus umgab.
Leise raschelten die Blätter der Bäume im Wind. Der Boden war von weißen Kirschbaumblüten übersäht und sie leuchteten im Sonnenlicht hell auf.
Wir lebten auf dem Land und die nächste Stadt war nicht mehr als 8 km von uns entfernt.

„Guten Morgen, Schatz.", das war die zarte Stimme meiner Adoptivmutter.

„Guten Morgen Agn... Mutter." Sie lächelte mich an und stellte ein Tablett mit Aufschnitt auf den Esstisch.

Beinahe hätte ich ihren Namen Agnes ausgesprochen. Ich wusste dass sie es lieber hatte wen ich sie Mutter nannte. Zwar hatte sie es nie persönlich von mir verlangt, aber ich merkte dass sie es ein wenig verletzte wenn ich es nicht tat. Ich hatte sie noch nie als meine Mutter angesehen. So sehr ich es auch versuchte, es ging einfach nicht.

Agnes war ein halben Kopf kleiner als ich und hatte braune Augen. Für ihr Alter sah sie noch sehr jung aus, kein graues Haar war in ihren aschbraunen Haaren zu finden. Keine einzige Falte in ihrem Gesicht.

Liebevoll streichelte sie mir über meinen Kopf als ich auf einem Stuhl Platz nahm.
„Hast du gut geschlafen?"

„ Ja, ganz wunderbar.", log ich und versuchte einigermaßen überzeugend zu schauen.

Noch nie hatte ich gut geschlafen. Jede Nacht lag ich Stundenlang im Bett und meine Gedanken ergriffen mich wie ein Sturm. Wieso fühle ich mich so einsam? Warum ließen mich meine Eltern allein? Wer waren sie? Gehöre ich überhaupt hier her? Wieso existiere ich?
Das ging so lange bis ich mit Tränen in den Augen endlich einschlief. Manchmal saß ich auch die ganze Nacht am Fenster und wartete auf die Sonne.

„Ach Kind, mach nicht so ein Gesicht. Ich weiß genau das du mich anlügst.“, mit einer Mischung zwischen einem aufmunternden und besorgtem Blick lächelte sie mich an.
„Nun iss erstmal was, du musst gleich zur Schule.“, sie schob mir ein Korb mir Brötchen hin und goss mir warmen Tee in die Tasse.

„Was für ein wunderschönes Wetter!“ Mein Adoptivvater strahlte mich von der Seite an und gab mir einen Kuss auf die Haare. Das sagte Samuel jedesmal, egal ob es warm war oder in Strömen regnete. 

Samuel war Agnes' erste große Liebe, sie waren noch sehr jung als sie heirateten und es war eine Spontanentscheidung. Doch es hatte bis jetzt gehalten, mehr als 30 Jahre, jedenfalls hatte es mir Agnes es so erzählt. 

Samuel nahm auf dem Stuhl gegenüber von mir Platz und breitete seine Zeitung aus. Nur noch sein schwarzer Haarschopf lugt hervor. 

Beide behandelten mich schon immer wie ihre eigene Tochter, sie gaben mir so viel Liebe, seitdem sie mich vor 12 Jahren adoptierten. Damals erzählte mir meine Erzieherin aus dem Waisenhaus, sie hätte mich im Nachts Wald gefunden, jedoch nur weil sie ein Licht sah und nachschauen wollte woher es kam. 

Ich war in weißen Tüchern eingehüllt und das Einzige was ich bei mir hatte war eine Kette. 
Ich sah an mir runter, sie war silbergolden mit einem hellen, gelben Kristall. Vorsichtig strich ich mit meinem Finger über die feinen Verzierungen die den Stein umgaben. 
Ob sie wohl meiner Mutter gehörte? 

Ich trank den letzten Schluck Tee aus und sah an die Uhr, zwanzig vor Acht, ich musste los zu Schule. 
Agnes brachte mich noch zur Tür. 

„Pass auf dich auf, Kind.“, sie strich mir kurz über die Wange. Ich nickte, sie machte sich immer so viele Sorgen.

„Bis nachher.“, ich winkte zum Abschied und stieg auf mein Fahrrad.




Es war wie das Tor zur Hölle. Jedesmal das Gleiche. Von überall kamen Blicke die Einen zu durchbohren schienen. Immer wieder wurde man angerempelt. Immer wieder diese Stimmengewirre, die sich wie ein großer Bienenschwarm anhörten. Wortfetzen die ich nicht mehr aus dem Kopf bekam. Am liebsten würde ich laut schreien und meine Ohren zuhalten um diese Wörter zu übertönen. Wörter die einen bis ins Innerste treffen.

„Na, wen haben wir denn da?“, eine eiskalte Stimme ertönte und ein Schauer zog sich durch meinen Körper.

Nein, dieses Mal würde ich nicht darauf eingehen. Unsicher und langsam ging ich weiter. Plötzlich stellte mir sich jemand in den Weg. Zwei dunkle Augen blitzten mich scharf an.

„Glaub nicht dass du so einfach davonkommst.“, zischte es.

„Lass mich durch, Haily.“, zischte ich genervt zurück.

„Nicht in dem Ton, ja?! Das heißt: Bitte. Haben dir deine Eltern keine Manieren beigebracht? Ach ja, tut mir Leid, du hast ja gar keine.“, zynisch lächelte sie mich an.

In diesem Moment hätte ich gerne ihre blond gefärbten Haare, mitsamt ihren Extensions rausgerissen. Kaum war ich hier gab es schon das erste Problem.

„Das ist nicht witzig.“, murmelte ich, doch am liebsten hätte ich ihr ins Gesicht gespuckt.
„Lass mich einfach in Ruhe und geh deine Nase pudern.“ Ich wollte an ihr vorbeigehen, aber sie packte mich am Arm und zog mich so nah an sich, dass ihr Gesicht kurz vor meinem war. Der Geruch von Make-up stieg mir in die Nase.

„Wie wagst du es mit mir zu reden?!“, Hailys Stimme zischte nicht mehr, sie knurrte regelrecht.

Als ich ihr nicht antwortete und ihr nur stumm in die Augen blickte, packte sie mich am Kragen und zog mich ein Stück hoch. Es fiel mir schwer Luft zu holen.
Mich wunderte dass sie es nicht störte, dass einer ihrer langen, glitzernden Nägel abbrechen könnte. Auf ihren hohen Schuhen war sie fast einen Kopf größer als ich. Wir lieferten uns ein Blickduell und als ich kurz davor war ihr tatsächlich ins Gesicht zu spucken, riss uns jemand auseinander.
Ich packte mir an den Hals und rang nach Luft.

„Lass sie in Ruhe Haily!“, sagte eine laute Jungenstimme.

„Halt dich da raus Liam!“

Liam.. der Name kam mir bekannt vor. Wieder wollte mich Haily packen, aber Liam stellte sich schützend vor mich. Er war ein Kopf größer als ich. Ich sah ihn von der Seite an und erkannte sein Profil.
Natürlich! Er war Liam Laquan der Sohn des Direktors. Wie verrückt versuchte sie nach mir zu greifen. Anscheinend brachte sie es total außer Sich, dass einer der beliebtesten Jungs sich ihr wiedersetzte. Normalerweise gehorchten ihr alle und gafften ihr nach.
Sie war wütend. Und diese Wut wollte sie an mir auslassen.

Liam drehte sich zu mir um, um nachzuschauen wie es mir ging, Haily nutzte die Gelegenheit und stieß ihn zu Seite.

„Miststück!“, schrie sie, holte aus und gab mir eine Backpfeife die durch den ganzen Schulflur hallte. Alles war still. Ich sank auf die Knie.
Meine linke Wange brannte höllisch. Ich war kurz davor zu weinen. Nicht weil es so wehtat, sondern weil es mir einfach zu viel war.

„Bist du noch ganz bei Sinnen?!“, Liam kniete sich zu mir und betrachtete meine Wange. Ich schluchzte, aber es wollten einfach keine Tränen fließen. Tröstend nahm er mich in den Arm.

„Haily! Du kommst sofort mit zum Direktor!“ Ich befreite mich aus Liams Armen und sah mich um.

Eine Lehrerin stand vor der Lehrezimmertür und zeigte in die Richtung zum Büro des Direktors. Wahrscheinlich hatte sie noch mitbekommen wie Haily mir ins Gesicht schlug.

Ungläubig sah Haily zuerst die Lehrerin an und dann mich. Zorn trat in ihr Gesicht. Doch dann fasste sie sich wieder und hatte wieder ihren arroganten Blick.
Sie reckte ihr Kinn, warf ihr langes Haar über ihre Schultern und stöckelte voran. Die Lehrerin warf mir noch einen besorgten Blick zu und ging dann Haily hinterher ins Direktorat und schloss die Tür hinter sich zu.

Es gongte zur ersten Stunde. Auf einmal wurde das Gemurmel wieder lauter und ich merkte erst jetzt, dass die ganzen Schüler uns umrandeten und gespannt zugeschaut hatten. Die Anhänger von Haily verdrückten sich schnell in ihre Klassenzimmer. Auch die anderen hörten auf neugierig zu starren und liefen kreuz und quer durch die Flure zu ihrem Unterricht.

Liam stand auf und reichte mir seine Hand.

„Komm, ich helfe dir.“ Ich schaute hoch und blickte ihm zum ersten Mal in die Augen.

Sie waren eisblau und von feinen Azurblauen Linien durchzogen. Seine dunkelbraunen Haare waren nicht länger als ein Streichholz. Leicht gewellt und verstrubelt lagen sie auf seinem Kopf. Noch nie hatte ich ihn genau betrachtet. Doch jetzt wo ich es tat, kam er mir unglaublich bekannt vor. Aber woher?

Ich merkte dass ich ihn schon eine Weile angestarrt haben musste, peinlich berührt lief ich rot an.
Er lächelte und Wärme trat in seine Augen.
Schnell wandte ich meinen Blick ab und griff nach seiner Hand. Irgendwas war seltsam an seiner Haut. Sie war samtweich, als würde man über Satin streichen. Kein Mensch hatte solch eine Haut. Sie sah auch anders aus. Leichter Schimmer erschien wen er sich im Licht bewegte. Hatte er sich etwa mit Glitzerpuder...nein. 

„Bist du in Ordnung?", fragte er und riss mich aus meinen Gedanken.

Ich nickte. Wieso kümmerte er sich so sehr um mich? Das war ich nicht gewohnt. Jedenfalls nicht von Mitschülern. Es war mir unangenehm, ich wollte kein Mitleid, ich wollte nur noch weg von seiner Gegenwart.

„Vielleicht sollten wir zur Schulärztin, man weiß nie was so ein Schlag bewirken kann und auf deiner ganzen Wa-", ich unterbrach ihn.

„Nein, Danke. Wegen mir sollst du nicht deinen Unterricht verpassen. Wenn ich ein bisschen an der frischen Luft war geht’s mir bestimmt besser.“, ich zwang mich zu einem leichten Lächeln und drehte mich um.

„Aber du musst no… bis dann.“, hörte ich ihn noch sagen.
Aber ich war schon zur Schultür gestürmt und stand draußen.
Ich wollte nur noch alleine sein.

Leichte Schleierwolken bedeckten die Sonne und ließ alles ein bisschen trüb wirken. Der Geruch von frischem Gras lag in der Luft.
Eigentlich musste ich zum Unterricht, aber ich könnte die Blicke wieder nicht ertragen und es war mir ziemlich egal wenn ich Ärger bekommen würde.

Ich setzte mich auf eine Bank, umgeben von großen Bäumen, zog meine Beine an die Brust und dachte darüber nach was gerade geschehen war.
Schon mehrere Male hatte ich Konfrontationen mit Haily, aber noch nie wurde sie so wütend und noch nie ging sie so weit. Mein Verhältnis zu ihr war schon immer schlecht. Schon seit dem ersten Schultag machte sie sich über meine Augen lustig. Nur weil sie „Anders“ waren.

Was war daran so schlimm? Keiner war „Normal“. Jeder ist auf seine eigene Art Anders und das macht einen doch zu etwas Besonderem.

Mir wurde klar wie kitschig sich der Satz anhörte, doch er war Wahr. Es ist kein Verbrechen Anders zu sein, die meisten taten so, dabei war es viel besser als retuschierten Models aus Modezeitschriften nachzueifern.

Plötzlich konnte ich keinen klaren Gedanken fassen und ich fragte mich nur noch wieso ausgerechnet ich so behandelt wurde.

Ich versank mein Gesicht in meine Arme und fing an verzweifelt zu weinen. Über das was grade geschehen war und über die Trauer und Einsamkeit die ich schon so lange fühlte. Unaufhörlich liefen mir die Tränen über mein Gesicht, meine Wange brannte, aber das war mir jetzt egal. Ich war so verloren.

Nach einer Zeit hatte ich mich wieder im Griff und hörte auf. Dort kauerte ich, ins Leere blickend und schluchzend auf der Bank. Mutterseelenallein.
Es wurde heller.

Die Schleierwolken waren verschwunden, ich hob meinen Kopf, die Sonne durchschimmerte die grünen Blätter der Bäume und färbte sie Golden. Wieder merkte ich wie schön der Frühling alles machte.
Meine Wange meldete sich wieder zu Wort, dass konnte doch nicht sein dass sie so lange noch wehtat. Ich stand auf und kehrte zurück.


Zum zweiten Mal an diesem Tag betrat ich das Tor zur Hölle. Ich wollte auf Toilette um nach meiner Wange zu schauen.
Ich fragte mich, warum ich überhaupt noch freiwillig dieses Gebäude betrat.

Vor dem großen Spiegel wurde mir dann klar wieso es so brannte.
Offensichtlich hatte mir Haily mit ihren scharfen, langen Nägeln ein paar Kratzer ins Gesicht gekratzt. Sie waren nicht tief, schmerzten aber dennoch.
Naja, zur Selbstverteidigung konnte sie ihre Krallen gut verwenden.

Sanft fuhr ich mit meinen Fingern über die Wunden die quer durch meine Gesichtshälfte gingen.
Ich hoffte dass sie schnell verheilten.
Wer wollte schon mit 4 roten Striemen durch die Gegend laufen?

Schnell wusch ich mit Wasser noch meine getrockneten Tränen weg und wand ich mich zum Gehen.
Doch ich stockte, mitten in der Umdrehung.
Unter mir erschien plötzlich ein helles Licht, ich spürte eine leichte Brise und das Licht war genauso schnell verschwunden wie es aufgetaucht war.

Was war das? Kam das etwa von mir? Aus meinem Gesicht?
Nein, ich hatte mir das bestimm eingebildet. Ich wollte weitergehen, aber dann drehte ich mich doch zum Spiegel zurück.

Sprachlos sah ich mein Spiegelbild an.
Die Kratzer die mir Haily zugefügt hatte waren spurlos verschwunden. Sicherheitshalber drückte ich nochmal auf die Stelle drauf, aber tatsächlich! Sie waren nicht mehr da, es tat gar nicht mehr weh, von der einen auf die Sekunde waren sie verheilt! Wie konnte das sein? Ich musste hier weg.

Schnell ging ich aus dem stickigen Klo raus und lief jemandem direkt in die Arme.
Es war Liam. Ich trat einen Schritt zurück.
Er schaute irritiert zu mir runter doch dann lächelte er.

„Ich habe dich schon gesucht.“, er musterte mich kurz freundlich.

Sein Lächeln entfloh ihm und er guckte wie zuvor irritiert.

„Wo ist den deine Wu…“ Diesmal unterbrach ich ihn nicht, er hörte von selber auf zu reden und sein Gesicht wurde nachdenklich, doch dann schien ihm ein Licht aufzugehen und er grinste vor sich hin.

„Hast du Stimmungsschwankungen?“, platzte es aus mir raus, als er sein Mienenspiel beendet hatte.
Beinahe hätte ich meine Hand vor den Mund geschlagen.Normalerweise war ich nicht so prompt und schon gar nicht so gewagt. Irgendwas stimmte nicht, das war nicht ich!

Sein Grinsen wurde breiter.
„Nein, ich war nur bei Gedanken.“, antwortete er.

„Wieso hast du mich gesucht?“

„Nun ja, eigentlich sucht dich mein Vater, theoretisch und ich suche dich, praktisch.“, ich lächelte leicht, er erwiderte es

„Jedenfalls sollst du in sein Büro kommen. Haily will sich bei dir entschuldigen.“

„Will sie es oder muss sie es?“
Heute war wirklich was falsch mit mir. Nie zuvor war ich so frech. Das war überhaupt gar nicht meine Art, aber etwas gab mir das Gefühl stark zu sein. Selbstvertrauen. Woher kam das nur? Liam lachte leise.

„Das ist wohl offensichtlich. Komm mit, sie warten schon.“, er deutete mit einer Kopfbewegung zum Direktorat.

Ich sträubte mich ein wenig. Ich wollte mir keine gezischte und falsche Entschuldigung von Haily anhören und sie schon gar nicht annehmen.

Liam klopfte an der Tür seines Vaters und drückte die Klinke runter.
Wir traten in einen großen Raum. Die ganzen Möbel bestanden aus dunklem Holz. Große Regale voll mit Akten und Büchern bedeckten links und rechts die Wände. Deckenhohe Fenster erleuchteten den Raum.

Vor ihnen saß Herr Laquan unser Direktor auf einem gepolsterten Drehstuhl.
Haily saß auf einem Stuhl schräg gegenüber von ihm und blickte mit zusammengepressten Lippen auf den dunkelroten Teppich.

„Guten Morgen Lumenia. Hoffentlich geht es dir besser?“, freundlich lächelte mich Herr Laquan an.
Er sah Liam überhaupt nicht ähnlich. Wahrscheinlich kam er mehr nach seiner Mutter.

Ich nickte.
„Ja, mir geht es schon viel besser.“

„Das ist gut.“, er schaute mich ein wenig erleichtert an und wandte sich dann an Haily.

Er wechselte von väterlich, freundlichem zu einem eiskalten Blick. Haily bemerkte seine Blicke von der Seite und schrumpfte noch ein kleines Stückchen mehr, zusammen.
Sie biss sich auf die Unterlippe und sah auf ihre Hände, die sie nervös bewegte.

„Haily steh bitte auf.“, sagte Herr Laquan streng.

Haily gehorchte, schob den Stuhl zurück und trat nun vor mich, immer noch auf den Teppich starrend.
Noch nie zuvor hatte ich sie so gesehen. Selbst in den schlimmsten Lagen in die sie kam reckte sie arrogant ihr Kinn. Wahrscheinlich hatte der Direktor ihr eine saftige Strafe aufgebrummt.
Geschah ihr Recht.

„Jetzt entschuldige dich bei Lumenia für deine Dummheiten.“ Jetzt war ich mal gespannt.

Endlich hob Haily ihren Kopf, sie sah mich an und plötzlich war sie nicht mehr in der leicht geduckten Haltung. 
Wie ausgewechselt stand sie mir Gegenüber wie eh und je.
Ihr Blick war allerdings nicht arrogant, eher so als würde sie mir gerne mit einem Revolver so oft es ging in den Bauch schießen. Ihre Augen blitzten gefährlich.

„Einen Dreck werde ich tun!“, schrie sie fast.

Verblüfft schaute ich sie an.
Ich konnte es kaum glauben, sie hatte sich tatsächlich dem Befehl unseres Direktors wiedersetzt.
Auch die Augen von Liam und der Lehrerin, die Haily erwischte, weiteten sich.
Nur Herr Laquan stand langsam auf. Sein Gesicht wurde grimmiger, er stütze sich auf seinem Tisch und beugte sich vor.

„Lumenia, du darfst nach Hause gehen. Frau Galene und Liam begleiten dich nach draußen. Ich werde wohl noch ein Wörtchen mit Haily zu reden haben.“, sagte er ruhig.

Wir drei nickten. Bevor mich Liam jedoch sanft aus dem Zimmer schieben konnte, drehte ich mich nochmal zu Haily um.
Ihr Gesicht war wieder arrogant, aber man konnte ihr die Angst aus den Augen ablesen.



Frau Galene ging mit uns noch bis zum Flur, verabschiedete sich von uns und verschwand wieder in das Lehrerzimmer.
Ich stand nun ganz allein mit Liam draußen. Wieder war mir seine Gegenwart unangenehm. Um nicht wieder vor seinen Augen rot anzulaufen wollte ich mich bedanken und schnellstmöglich nach Hause.

„Du hast geweint, nicht wahr?" Ich starrte ihn an. Woher wusste er das?
Auf der Toilette waren meine Augen kaum noch rot.

„Warum fragst du?"

„Deine Augen tränen noch.“

Ich berührte meinen unteren Wimpernkranz und spürte, dass er ein wenig feucht war.

„Über ein Schlag ins Gesicht kann man sich ja auch nicht wirklich freuen…“, murmelte ich.

Liam erwiderte nichts und sah mir stumm ins Gesicht.

„Lumenia…“, fing er vom Neuen an, „Ich weiß wie du dich fühlst. Ich weiß wie es sich anfühlt ausgegrenzt zu werden, wie schlimm es sein kann. Dieses Gefühl niemandem vertrauen zu können und diese Einsamkeit.“

Das brachte mich aus meiner Fassung.
Was wollte er damit bewirken? Etwa mich rumkriegen?
Ich hatte heute mit ihm das erste Mal gesprochen und nicht einmal 1 Stunde danach fängt er an über seine Gefühle zu sprechen!
Darüber, dass er weiß wie ich mich fühle! Er machte mich unglaublich wütend.

„Du brauchst mir gar nichts über meine Gefühle zu erzählen! Du kennst mich gar nicht! Woher willst du denn wissen wie ich mich fühle? Das Gefühl von Einsamkeit kennst du doch gar nicht! Du hast deinen Vater, deine Mutter! Die ganze Schülerschaft bewundert dich! Du bist immer von Menschen umgeben! Was weißt du schon?!“, meine Stimme hallte über den ganzen Schulhof.

Es kam noch nie vor das ich jemanden so sehr angeschrien hatte.
Aber irgendwas war in mir explodiert. Ich fühlte mich befreit.
Dennoch konnte ich meine Tränen nicht zurückhalten und ich fing vor seinen Augen an zu weinen.

„Lumenia, ich wollte nur-“ Er griff mit seinen Händen nach mir und wollte mich in den Arm nehmen, doch ich wich ihm aus.

„Fass mich nicht an.“, keifte ich.

Schnell lief ich zu meinem Fahrrad.
Mit Tränen verschleierten Augen fuhr ich davon.
Nur weg von hier. Weg von ihm. So schnell ich konnte.
Als könnte ich meinen Gefühlen entfliehen.

 

 

Kapitel 2

 

2.

 

Langsam schlug ich meine Augen auf. Dunkelheit umgab mich. Nur durch das geöffnete Fenster erstrahlte ein leichtes blaues Licht, der die Konturen der Möbel beleuchtete. Als sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten, realisierte ich das ich in meinem Zimmer war. Nachdem ich wutentbrannt nach Hause gefahren war, bin ich sofort in mein Zimmer gestürmt und hatte die fragenden Blicke meiner Adoptiveltern ignoriert.

Agnes kam mir gleich nach, um zu schauen wie es mir ging. Als sie mein mit Tränen überschwemmtes Gesicht sah, fragte sie nicht weiter nach und umarmte mich einfach. Danach brachte sie mir warmen Tee aufs Zimmer, tröstete mich ein wenig und ließ mich dann in Ruhe. Den ganzen restlichen Tag hatte ich im Zimmer verbracht, mich gegen Abend fertig gemacht, mich dann erschöpft ins Bett gelegt und sofort eingeschlafen.

Ich schloss meine Augen um wieder einzuschlafen, dabei hörte noch ein wenig den Grillen und einer Eule zu, als ich plötzlich die warme weiche Matratze nicht mehr unter mir spürte. Tastend suchte ich nach ihr, aber unter mir war Nichts! Unwissen drehte ich meinen Kopf zur Seite und sah nach unten. Sofort bereute ich es und mir entfuhr ein Schrei. Ich schwebte! Mitten in der Luft, über meinem Bett.

„Ach du Sch…!“, ich zappelte herum, in der Hoffnung ich würde wieder in meinem Bett landen. Das Einzige was ich bewirkte, war das ich stark hin und her schwankte.

Agnes kam in mein Zimmer gestürzt. „Was ist passiert Lumenia?!“, sie blieb in der Türschwelle stehen und starrte mich entgeistert an.

Auch Samuel hielt an und sein Unterkiefer klappte nach unten.

„W-Was passiert hier?!“, fragte ich entsetzt.

Doch dann spürte ich einen starken Luftzug unter mir und ich landete wieder in mein weiches Bett. Erleichtert ließ ich mein Kopf sinken. Mein Herz wollte nicht mehr aufhören gegen meine Brust zu schlagen. Ich atmete ein und aus. Meine Adoptiveltern waren immer noch geschockt und wie versteinert stehen geblieben.

„Was ist grade passiert?“ fragte ich.

Beide fassten sich wieder und hatten einen neutralen Gesichtsausdruck. Sie hockten sich vor mein Bett.

„Was meinst du, Lumenia?“, Agnes legte ihren Kopf schief und lächelte leicht. Das Lächeln erreichte ihre Augen nicht, stattdessen sah ich Besorgnis in ihnen. Ich setzte mich aufrecht hin.

„Wie, was meine ich? Du hast das doch grade selbst gesehen!“

„Du hast nur schlecht geträumt, kleines.“, mischte sich nun Samuel ein.

„Aber das war doch kein-"

„Wir sind alle ein wenig müde Lumenia. Komm leg dich hin und schlaf weiter.“ Damit verschwanden die Beiden aus meinem Zimmer und ließen mich verzweifelt zurück.

Das konnte doch nicht sein! Ich hatte mir das doch nicht eingebildet! Das war kein Traum! Dafür war er zu real. Ich schwebte mindestens 1 Meter, haltlos über meinem Bett! Nichts war um mich herum und ich hatte doch eindeutig gespürt wie ich mit meinem ganzen Gewicht in meinem Bett federte. Außerdem hatten mich meine Eltern doch noch gesehen! Wieso taten sie so als wäre nichts passiert?
Zuerst heilte meine Wange wie aus dem heiteren Himmel und jetzt das!

Vollkommen überfordert wühlte ich mich aus meinem Bett und lief ins Badezimmer. Dort klatsche ich mir kaltes Wasser ins Gesicht um wach zu werden und einen klaren Kopf zu bekommen. Ich sah in mein Spiegelbild. Hundertprozentig. Das war kein Traum.                        

Erschöpft ging ich zur Richtung meines Zimmers, doch als ich an dem Zimmer meiner Adoptiveltern vorbeiging hörte ich sie noch sprechen. Leise lehnte ich mich an die Tür. Ich konnte nicht alles hören, aber ein paar Wortfetzen nahm ich trotzdem auf.

„Du weißt….grade passiert ist.“, ertönte eine Männerstimme.

„Vielleicht….einmaliger….-tscher?“, antwortete eine leicht ängstliche, weibliche Stimme.

Ein Seufzen. „Agnes, Lumenia…..nicht….hierher. Sie muss…..und….weg von hier.

„Aber….erst 16, noch…..früh für Magie.“

„Sie ist anders….klar werden…ihre Kräfte…..stark.“

„Und wenn…..-nehmen? Sie……..keine Sicherheit!“

„……da Sicher. –r Laqu- …..schützen. Das Internat...Jahrtausende. Wissen… tun ist.“

„Aber-“, Samuel unterbrach sie und wurde etwas lauter.

„Agnes! Wir können sie nicht mehr hier behalten! Du weißt genau dass es nicht geht! Sie werden erzürnt sein wenn sie erfahren dass sie so weit ist! Wir können sie nicht für uns beanspruchen! Sie gehört ins Internat. Versteh das doch.“

„Ich werde sie vermissen.“, wimmerte Agnes.

Ich fasste es nicht. Beide hatten sich eindeutig über mich unterhalten. Sie wollten mich nicht mehr. Sie wollten mich auf ein Internat schicken. War ich so eine schlechte Tochter? War diese Liebe, die sie mir so lange gaben, nur vorgespielt? Sie waren das Einzige was ich noch hatte und jetzt wollten auch sie mich loswerden. Ein unglaublicher Schmerz entstand in  meinem Herzen. Wieso lief heute alles falsch.


Als hätten sich meine Beine verselbstständigt liefen sie so schnell sie konnten in mein Zimmer. Dort ließ ich mich auf mein großes Himmelbett fallen und ließ meinen Tränen freien Lauf.

Nach etlichen Fragen die durch meinen Kopf gingen, versuchte ich mich damit abzufinden. Ich meine, was hielt mich hier? Meine Adoptiveltern wollten mich nicht mehr. In der Schule hatte ich niemanden. Auch die Nachbarskinder mieden mich. Rein gar nichts würde ich vermissen. Rein gar nichts hielt mich. Ich würde diesen Ort, voll mit schlechten Erinnerungen, nicht mehr sehen müssen. Es wäre besser. Für mich. Für alle.


Der nächste Morgen verlief anders als sonst. Die Atmosphäre war angespannt. Alle saßen wir still da und Samuel räusperte sich mehrmals. Ob sie wohl mitbekommen hatten dass ich sie belauscht hatte?

„Lumenia, dein Direktor hatte uns gestern angerufen und uns darüber informiert was gestern passiert war.“, fing Samuel an. Ich nickte.

„Es scheint als würdest du nicht gut zurechtkommen und… Herr Laquan hatte vorgeschlagen, dass du vielleicht die Schule wechseln könntest. Etwas außerhalb wo du ein bisschen auf neue Gedanken kommst.“

„Ihr wollt mich loswerden, nicht wahr?“, murmelte ich und stocherte mit einer Gabel in Salat.

„Nein, Lumenia. Wir dachten nur es wäre besser für dich. Ein Neuanfang sozusagen.“, meinte Agnes.

„Sapientia Deus ist ein sehr schönes Internat. Herr Laquan hatte es uns höchstens empfohlen. Sie werden dir Sachen beibringen die du auf anderen Schulen nie lernen würdest.“ Sapientia Deus? Hörte sich ein wenig spanisch an.

Irgendwie beschlich mich das Gefühl das Liam etwas damit zu tun hatte. Dieser Mistkerl. Ich war immer noch stinkwütend auf diesen… eingebildeten Arsch.

„Was meinst du Lumenia? Es wäre wirklich das Beste für dich. Findest du nicht auch?“, erwartungsvoll blickten sie mich beide an. Na klar sie hofften das ich zustimmte. Damit ich endlich weg wäre und sie ihre Ruhe vor mir hätten. Aber ich hatte es ja bereits beschlossen.

„Wenn ihr meint dass es das Beste ist…dann gehe ich.“ 
Eigentlich wollte ich sie noch zappeln lassen, aber das wäre nur Zeitverschwendung gewesen.

Erleichtert atmete Agnes aus und kam zu mir rüber gerannt.
„Wir werden dich vermissen Lumenia. Du sollst auf keinen Fall denken, dass wir dich nicht mehr hier haben wollen!“ Ob sie das Ernst meinte? Sie umarmte mich ganz fest und fuhr fort, „Ganz im Gegenteil! Wir wollen das du glücklich bist Lumenia und das wirst du dort auch. Das verspreche ich dir!“  

„Ich werde euch auch vermissen, Mom.“ Agnes schluchzte ganz fürchterlich auf und drückte mich noch fester an sich.
Samuel lächelte mir aufmunternd zu, sah aber zugleich auch unglaublich erschöpft und traurig aus.
Tröstend streichelte er über Agnes‘ Rücken und sie ließ mich los. Laut schniefte sie in ein Taschentuch das Samuel ihr gereicht hatte.

„Wann wird es denn losgehen?“, fragte ich.

„Morgen.“, antwortete Samuel.

„Morgen schon? Dann fangen doch die Osterferien an.“

„Die Schuljahre sind dort anders eingeteilt und du wirst nicht direkt in den Schulalltag gehen. Sie geben dir dort Zeit um dich an den neuen Ort einzugewöhnen.“, er lächelte „Es ist ein unglaublich großes Internat, da kann man sich schon mal verlaufen.“, lachte er.

„Bist du auch auf dieses Internat gegangen?“, interessiert sah ich ihn an. Er nickte zögernd.

„Dort habe ich damals deine Mutter kennengelernt.“

„Es war Liebe auf den ersten Blick.“, Agnes schaute zu ihm auf und strahlte übers ganze Gesicht. Beinahe hätte ich angefangen zu weinen.

Noch nie zuvor hatte ich so ein liebevolles Paar gesehen. Beide ergänzten sich wunderbar und sie waren so harmonisch. Sie waren immer so fürsorglich zu mir gewesen und dafür war ich ihnen unglaublich Dankbar. Ich würde sie wirklich unglaublich vermissen.

 


Diesmal war es schlimmer. Überall wurde ich von Dunkelheit umhüllt. Ich konnte kaum die eigene Hand vor meinen Augen erkennen, dennoch bemühte ich mich nicht über jemanden zu stolpern und wenigstens ins Treppenhaus zu gelangen.

An unserer Schule war Stromausfall. Alle wirbelten leicht panisch um mich herum. Der große Eingangsflur war so überfüllt, dass selbst das Licht des weit geöffneten Schultors es nicht schaffte den Flur einigermaßen zu erleuchten. Warum waren in diesem verdammten Flur auch keine Fenster? Einige fanden es ziemlich lustig. Ein paar Mädchen fingen fröhlich an zu quietschen weil ein paar Jungs sie „ ausversehen“ angegrapscht hatten. Wohin, wollte ich nicht unbedingt wissen.

Ich verdrehte meine Augen und versuchte mir einen Weg zum Treppenhaus zu bahnen.  Plötzlich rempelte mich jemand großes an und ich wäre wahrscheinlich gnadenlos auf den Boden geknallt und übertrampelt worden, wäre ich nicht gegen jemand anderes gestoßen, der mich Augenblicklich festhielt.

„Huch, aufpassen wo du hinläufst.“ Ich wusste sofort zu wem diese amüsierte Stimme gehörte. Liam. Wem auch sonst. Schnell befreite ich mich von seinen Armen und sah in sein Gesicht. Fröhlich blitzen mich seine Augen an.

„So sieht man sich wieder, wenn man es so sagen kann.“ Seine perfekten, weißen Zähne strahlten mir, selbst bei dieser Finsternis, entgegen.

„Das wird nicht mehr so oft vorkommen.“ Gott sei Dank.

„Wegen den Osterferien?“  

„Nein, ich wechsle die Schule.“  

„Trotzdem bin ich mir sicher dass wir uns wiedersehen werden.“, lächelte er, „Ich schwöre es!“, bei diesen Worten fingen die Lichter wieder an zu leuchten und fast alle seufzten erleichtert auf.

Ich wand meinen Blick wieder zu Liam. Feierlich hatte er seine Hand zum Schwur gehoben und eine gespielte, ernste Miene aufgesetzt. Ich musste mich zusammenreißen um nicht zu grinsen.

„Idiot.“ Es sollte sich genervt anhören, aber es war mehr kläglich.

„Hey, immerhin bis du Dank mir nicht hingefallen und elendig übertrampelt worden.“, unschuldig hob er seine Arme.

Er hatte Recht, dank ihm war ich gestern nur mit ein paar Kratzern davon gekommen. Ansonsten hätte ich jetzt wahrscheinlich überall Blutergüsse und ein blaues Auge, jetzt hatte er mich auch noch davor gerettet als Schulflurmatsch zu Enden.  Meinen Wutanfall hatte Liam anscheinend vergessen, oder er fand es nur halb so schlimm und ließ sich nichts anmerken.

Hatte ich mich für seine Hilfe überhaupt richtig bedankt? Nicht wirklich glaube ich. Schuldgefühle überkamen mich. Auf einmal war es mir unglaublich peinlich wie ich mich gestern verhalten hatte. Um meine Verwegenheit zu überspielen, fragte ich ihn was jetzt eigentlich mit Haily passieren würde.  

„Nun ja, mein Vater hatte versucht sich mit ihr zu Unterhalten und ihr zu erklären das es Folgen haben wird das sie sich ihm wiedersetzt hat, dann wurde sie richtig wütend und hat sich anscheinend ein paar deftige Beleidigungen einfallen lassen. Das hat dazu geführt, dass Haily jetzt der Schule verwiesen wurde.“
Ich starrte ihn ungläubig an.

Zwar hätte ich Haily sowieso nie wieder in ihre Visage sehen müssen aber trotzdem war ich überglücklich darüber.  Es geschah ihr so recht!
Und das hatte ich alles irgendwie Liam zu verdanken.

„Liam es… was gestern passiert ist-“

„Es braucht dir nicht leid zu tun Lumenia.“, fast schon liebevoll lächelte er mich an.
„Ich meine, du warst gestern bestimmt sehr überfordert mit der Situation und musstest alles einmal rauslassen. Ich nehme es dir nicht übel. Keine Sorge, ich kann deine Reaktion sogar ganz gut nachvollziehen.“

„Dennoch Danke. Für alles.“ Er lächelte mich an wie nie zuvor.

„Kein Problem.“

 

Leichte kühle Seide umschmeichelte meine Haut. Chiffon und Tüll breiteten sich um mich herum aus. Goldene Ornamente blitzten im Sonnenlicht fröhlich auf. Vorsichtig glitt ich mit meinen Fingerkuppen über den weißen Stoff und drehte mich einmal um die Achse.

„Du siehst wunderschön aus, Kind!“, Agnes sah mich überglücklich an. „Es sieht aus als wäre es für dich gemacht!“, sie hielt mich an den Schultern und drehte mich noch einmal.

Vor Freude quietsche sie auf und ich hätte Gedacht das sie gleich anfängt zu weinen, aber sie hielt sich zurück.

„Die jungen Burschen können sich freuen so ein hübsches Mädchen an ihrem Internat begrüßen zu dürfen.“, pflichtete Samuel bei und lachte.

Verlegen wandte ich den Blick ab und sah in den großen Wandspiegel im Flur.
Das Kleid sah wirklich aus wie für mich gemacht. Ich habe immer selten Kleider getragen, aber das hier war das Schönste das ich jemals gesehen hatte. Es war weiß, bodenlang, ärmellos und rückenfrei. Unter der Brust hatte es Verzierungen wie bei meiner Kette und der gelbe Kristall war ebenfalls vorhanden.
Meine Adoptiveltern hatten es extra für mich anfertigen lassen.

Gleich nach der Schule hatten sie es mir in einer großen Box überreicht. Sie meinten es wäre ein nachträgliches Geschenk für meinen Geburtstag. Ich bin vor etwa einer Woche 16 geworden. Groß gefeiert habe ich nicht, mit wem auch? Agnes hatte mir allerding einen großen Kuchen gebacken von dem ich grade mal ein und ein halbes Stück abbekam weil Samuel den Kuchen regelrecht verschlungen hat. Meine Adoptivmutter konnte aber auch fantastisch Kochen und backen, deswegen konnte ich es ihm nicht verübeln. Ich hätte sowieso nicht mehr geschafft.

„Du musst dich für die Abreise fertig machen Lumenia. Immerhin geht es schon Morgen los. Wenn du das Kleid ausgezogen hast sag mir Bescheid, ich packe es dann sorgfältig für dich ein, man weiß ja nie wofür man es gebrauchen kann?“, sie zwinkerte mir zu und verschwand dann mit Samuel zusammen runter zur Küche.

Ich betrachtete mich noch eine Weile im Spiegel. Mir gefiel es einfach zu gut. Ich fühlte mich wirklich wohl darin und am liebsten hätte ich es nicht mehr ausgezogen. Perfekt umschling es meine zierliche Figur. Es hatte irgendwas Magisches an sich. Ich drehte mich um, um den Ausschnitt am Rücken zu betrachten.

Ich erschrak. Ein goldbraunes, kreisrundes Wappen prang über meinem Becken!  Es war mindestens so groß wie meine Faust und hatte alle möglichen Schriftzeichen und Ornamente in sich. Wenn ich mich bewegte schimmerte es golden. Das war vorhin aber noch nicht da! Sonst wären Agnes und Samuel sofort Aufmerksam darauf geworden!  

Ich versuchte es wegzuwischen, vergeblich. Ich hatte ein Tattoo! Wenn man davon sprechen konnte. Woher kam das? Wann hätte ich mir das den machen sollen? Ich war noch nie betrunken und generell blieb ich Alkohol fern. Es war grade aus dem Nichts aufgetaucht! Dennoch war es wunderschön. Was war in letzter Zeit bloß mit mir los?

Ich bekam Angst das meine Adoptiveltern es vielleicht sehen könnten und rannte schnell in mein Zimmer, darauf achtend dass das Kleid nicht zerreißt. Ich zog mich um und versuchte mich zu beruhigen. Das mit dem Tattoo würde sich schon irgendwie klären lassen.

Agnes kam nach oben und half mir dabei meinen Koffer zu packen. Das lenkte mich ein wenig vom Tattoo ab. Ich hatte nicht viel, aber genügend. Also reichte ein Mittelgroßer Koffer aus. Den meisten Platz nahm mein Kleid ein, welches Agnes in eine Art Kleidertüte gepackt hat damit es geschützt war.

Morgen würde ich Agnes und Samuel für eine Weile nicht wiedersehen. Was bestimmt seltsam sein wird, da ich sie jeden Tag um mich herum hatte. Ob es wirklich so schön dort war? Hoffentlich wird dort alles besser, so wie es Agnes mir versprochen hatte. Große Angst hatte ich nicht mehr, ich war auf alles vorbereitet. Morgen würde es losgehen. Ein Neuanfang.

 

 

 

 

 

Kapitel 3

3.

 

Große Tore stellten sich mir in den Weg. Hohe Wände versperrten mir meine Sicht und das Einzige was sie freigaben waren meterhohe Palasttürme die majestätisch in den blauen Himmel ragten. Die Sonne ließ das weiße Gebäude noch strahlender wirken als es war. Silberner Stuck verzierte die Türme. Mein Nacken tat schon vom Starren weh.

Es war unglaublich. Von hier, sah es so aus als würde der Palast zwei Fußballplätze belegen. Wer hätte gedacht, dass sich so etwas enormes Mitten in einem abgelegenen Wald befand? Ich nicht. Darauf war ich definitiv nicht vorbereitet. Natur, wohin das Auge reichte. Schon vor den Mauern sprießten Blumen aller möglichen Arten und Farben. So was sollte eine Schule sein? Es sah aus wie aus einem Märchen.

Bestimmt gingen hier nur die Superreichen hin. Wieso ausgerechnet ich wohl hindurfte? Agnes meinte, dass Herr Laquan gut mit dem Direktor befreundet sei und ihn von mir überzeugt hatte.  Allerding hatten meine Noten auch was dazu beigetragen. Denn obwohl ich mich nie wirklich angestrengt hatte, war ich immer Klassenbeste gewesen. Für die anderen war es ein nächster Grund um mich fertig zu machen.

Doch jetzt war ich weit weg von ihnen. An einem der schönsten Orte die ich jemals gesehen hatte. Wie der Ort hier hieß, wusste ich nicht. Ich fühlte ein leichtes Kribbeln in meiner Bauchgegend. Ich freute mich schon alles zu erkunden. Hier würde alles besser werden. Hier würde ich einen Neuanfang beginnen.

„Es ist wunderschön.“ Ich drehte mich zu meinen Eltern um.

„Schöner als in meiner Erinnerung.“, murmelte Agnes und blickte zu den Türmen hinauf.

„Hier fängt dein neues Leben an, kleines. Es werden aufregende Zeiten.“ Samuel  zog mein Gepäck aus dem Kofferraum.

„Genieß sie, Lumenia.“ Agnes kam auf mich zu und streichelte über meine Wange. Ich merkte an ihren glasigen, braunen Augen dass sie sich bemühte nicht schon wieder zu weinen.

„Kommt ihr denn nicht mit rein?“ „Nein, Liebling. Wir dürfen dieses Gebäude seit unserem Abschluss nicht mehr betreten. Hier gehen viele, hochangesehene Persönlichkeiten hin. Deswegen werden auch hohe Sicherheitsmaßnahmen getroffen.“, sie seufzte.

Also hatte ich recht mit den Superreichen. Ob auch Stars dabei waren? Hoffentlich würden die arroganten Schnösel unter ihnen mich in Frieden lassen.

Samuel überreichte mit meinen schlichten schwarzen Koffer und Agnes klammerte sich an ihm fest als würde sie jeden Moment umfallen.


Ich ließ mein Gepäck stehen und drückte Agnes nochmal ganz fest. Sie fing sofort an zu schluchzen und erdrückte mich beinahe. 


„Oh Kind! Pass auf dich auf! Wir werden dich so vermissen!“, schniefte sie.

Ihre Tränen liefen unaufhörlich. Samuel schlang seine Arme um uns beide und hob uns ein Stück vom Boden auf, als wären wir ein Leichtgewicht. Für einige Monate würde ich nicht mehr sehen. Ich werde beide so sehr vermissen. Wahrscheinlich gaben wir grade ein total kitschiges Bild ab, wie aus Familiendramen, aber zum Glück war keine Menschenseele hier draußen. Widerwillig ließen sie mich los. Agnes nahm meine Hände.

„ Denk dran Lumenia, du bist was ganz Besonderes.“ Ich nickte. Damit wand ich mich von ihnen ab und nahm mein Gepäck in die Hand.

Ich fixierte das silberne Tor und ging auf es zu.
Als ich nur noch einen halben Meter Abstand hatte, öffnete sich plötzlich ein Mechanismus mitten in den Ornamenten, die die Torhälften zu verbinden schienen. Mit knatternden Geräuschen klappten Engelschwingen auseinander und gaben einen faustgroßen, durchsichtigen Diamanten zur Schau. Meine Augenweiteten sich. Das war der größte Edelstein den ich je gesehen hatte.

Ein heller Ton erklang und ein Lichtstrahl bildete sich vor dem Diamanten, der direkt auf meine Halskette schien. Mein Kristall fing an zu leuchten. Ich spürte eine starke Energie die die Luft umhüllte. Eine leichte Brise streichelte über mein Gesicht. Tausende Farben nahm der Strahl an bevor er dann bei einem Goldton aufhörte.  Einige Zeit verharrte er so, wieder hörte ich einen Klang, der Strahl löste sich auf und die Energie war verschwunden.

Die Ornamente am Tor schlängelten sich auseinander und ließen mir freien Eintritt. Was ich dann sah blendete mich regelrecht. Ein riesiger Vorgarten in den schönsten Grüntönen breitete sich vor mir aus. Breite Wege aus weißem Marmor bahnten sich durch Blumenbeete, Bächen, Flüssen, Brunnen, Statuen und vielem mehr. Erstaunt trat ich ein und konnte meine Blicke kaum abwenden.

Als ich die Schwelle betrat fühlte ich mich für einen Moment schwerelos, seltsam. Ich sah zum Schulgebäude und vergaß das Gefühl sofort.

Es war noch größer als ich dachte. Mindestens zehn Stockwerke gab es. Überall waren riesige Fenster und Pflanzenranken die sich um den weißen Palast verteilten. Davor gab es noch einzelne, kleinere Gebäude die ebenfalls wunderschön anzusehen 

„Herzlich Willkommen auf dem Sapientia Deus Internat! Ihnen scheint der Anblick zu gefallen, nicht wahr?“, ertönte eine freundliche männliche Stimme.

„Es ist überwältigend.“, flüsterte ich beinahe und sah ihm ins Gesicht.

Er war einen halben Kopf größer als ich und etwas zierlicher als es für Jungen eigentlich üblich war. Ein Paar Sommersprossen zierten seinen Nasenrücken. Hellbraune Haare standen leicht gegellt von seinem Kopf ab, seine grünen Augen funkelten mich freundlich an und er sah noch ziemlich jung aus, nicht älter als 17.

Eine weiße Strumpfhose bedeckte seine Beine, darüber trug er eine dunkelrote Kniehose aus Samt. Passend dazu hatte er noch eine dunkelrote Weste und ein weißes Hemd was bis zu den Ellenbogen ging und ordentlich in die Hose gesteckt wurde. Er sah ziemlich freundlich aus. Ungewohnter Kleidungstil, aber jeder wie er will.

„Ich bin Nevio, einer der vielen Boten hier an der Schule. Steht’s zu diensten. “, Nevio machte eine kleine Verbeugung.

„D-Du arbeitest hier?“

Er nickte und lachte.
„So reagieren die meisten. Glaub mir, ich bin älter als ich aussehe.“, er lächelte fröhlich vor sich hin und packte meinen Koffer am Griff.

„Ich werde ihnen bei ihrem Gepäck helfen und sie zu ihrer Gefährtin führen Miss…“

„Asbirg, Lumenia Asbirg, aber bitte nennen sie mich Lumenia.“ Asbirg war nicht mein wirklicher Nachname. Er gehörte Agnes und Samuel. Plötzlich fielen mir die beiden nochmal ein und ich drehte mich zu ihnen, um noch einmal zu winken, doch das Tor war wieder verschlossen. Ein kleiner Stich ging durch mein Herz.

„Nun denn, Miss Lumenia, dann machen wir uns mal auf den Weg zu ihrer Gefährtin. Sie wartet schon.“ Nevio schritt voran.  

„Zur meiner Gefährtin? Bedeutet das nicht Geliebte?“

„In diesem Fall nicht, sie ist eine Art Helferin oder auch Freundin die ihnen hilft sich hier zurecht zu finden. Ich bin sicher sie werden sich gut verstehen.“ 

Wer sie wohl war? Ich hoffte inständig, dass sie keine zweite Haily war. Der Gedanke an sie ließ mich erschaudern.

Doch weitere Gedanken konnte ich nicht mehr an Haily verschwenden, denn plötzlich fühlte sich mein Körper an als wäre er komplett eingeschlafen. Energie durchströmte mich. Überall kribbelte es stark. In den Armen, meinen Beinen, meinem Bauch und in jedem meiner einzelnen Finger. Ich spürte es in jeder Zelle meines Köpers. Ein Ruck ging durch mich durch und auf Anhieb hörte es auf.

Entrüstet blieb ich stehen starrte meine Hände an.

„ Alles in Ordnung, Miss?“, Nevio blieb ebenfalls stehen und sah mich fragend an.

„Ja, nichts passiert.“

„Gut, falls sie sich nicht wohl fühlen, sagen sie mir einfach Bescheid. Ich bringe sie dann auf der Stelle zum Krankenzimmer.“

„Danke, aber das wird nicht nötig sein.“ Er nickte und fuhr fort.

„Ihre Gefährtin ist schon vor ca. 1 Monat hier an der Sapientia Deus angekommen. Deswegen kennt sie sich schon aus. Auch wenn der Unterricht für sie noch nicht stattgefunden hat.“

„Wieso war sie denn schon so früh bereits hier?“

„Das wird sie ihnen bestimmt besser erzählen können.“, hörte ich ihn wie durch einen Schleier sagen. Als wäre ich unter Wasser und Nevio würde vom Land aus auf mich einreden. Auch vor meinen Augen sah ich alles verschwommen und ich taumelte.

„Miss?“ Ich konnte nur schwer erkennen das Nevio jetzt direkt vor mir stand.

Verzweifelt versuchte ich die Schleier wegzublinzeln, doch es ging nicht. Die Geräusche um mich herum verstummten. Wieder taumelte ich stark. Meine Schultern wurden gepackt. Dunkelheit umfasste mich. Wieder hatte ich das Gefühl von Schwerelosigkeit.



Ich nahm leise Stimmen wahr. Als würde man die Lautstärke aufdrehen. In meinem Kopf dröhnte es. Langsam spürte ich meine schweren Gliedmaßen wieder und ich bewegte meine verkrampften Finger ein Wenig. Super, meinen ersten Schultag verbrachte ich damit Ohnmächtig zu werden. Bin ich das überhaupt geworden?

Okay, entweder war ich jetzt Tot und weiß nicht was auf mich zukommt, oder ich rieche jeden Moment Desinfektionsmittel. Dachte ich mir und versuchte meine Augen zu öffnen, aber sie wollten nicht. Ich roch auch kein Desinfektionsmittel. Verdammt.

„Sie ist schwach. Das ist der Grund.“, vernahm ich eine männliche Stimme zu meiner Rechten. Sie klang ziemlich spöttisch. Warte! Redete er über mich? Ich bin schwach und das ist der Grund wieso ich gestorben bin?

„Ihr Körper war nicht auf diese Kraft vorbereitet. Das ist der Grund!“, kam es ruhig, aber dennoch fauchend zurück. Das war eindeutig eine weibliche Stimme.

Von was für eine Kraft redete sie? Die Kraft des Todes? Da ich nicht wusste was auf mich zukommen würde ließ ich meine Augen lieber geschlossen.  

„Sieh sie dir an, so zierlich und gewöhnlich wie sie ist, wird sie wohl kaum mehr Kraft haben als eine Fee.“, antwortete er gelassen. Eine Fee? Ich war sichtlich verwirrt.  

„Man kann allein am Aussehen doch nicht erkennen wie stark sie ist. Fühlst du nicht ihre Aura? Was für ein oberflächlicher Mensch bist du?“

„Nun hört doch auf zu streiten, Kinder!“, sagte eine tadelnde Frauenstimme.

„Es sollte dir eine Ehre sein, dich mit mir in einem Raum zu befinden, Schattenmädchen.“, spottete er ohne auf die Frauenstimme einzugehen.

Schattenmädchen? Was war das denn für eine Beleidigung? Ich hatte ihn noch nicht einmal gesehen und trotzdem war er mir zutiefst unsympathisch.

Ich sollte mich geehrt fühlen mich mit einem arroganten Arschloch in einem Raum zu befinden? Alles klar.“, Sarkasmus tropfte nur so aus ihrer Stimme.

„Sie ist wach.“, stellte das Arschloch fest anstatt dem Mädchen zu antworten.

Wie bitteschön hatte er das gemerkt? Jemand nahm mich an der Hand und strich vorsichtig eine Haarsträhne aus meinem Gesicht.

„Du brauchst keine Angst zu haben, Liebes. Bald wird es dir besser gehen.“, meinte die Frauenstimme zart und irgendwie erinnerte sie mich an Agnes.

Vorsichtig öffnete ich zuerst mein linkes Auge um zu schauen wer die ganze Zeit geredet hat.
Ich lag seitlich auf einem Bett mit geblümter Bettwäsche. Durch große Fenster flutete Licht in den Raum der mich kurz blendete. Eine dunkle Silhouette mit breiten Schultern stand vor ihnen.

„Sie hat schwarze Augen. Was hat ein Dämon hier zu suchen?“

Würde sich mein Körper sich nicht anfühlen als wäre ich Tausende von Kilometern gelaufen, und mein Hals nicht staubtrocken sein, wäre ich schon längst aus dem Bett gesprungen und hätte ihm einmal so richtig die Meinung gegeigt. Was bildete sich der Kerl ein mich Dämon zu nennen?

„Aber, aber. Nicht jeder der schwarze Augen hat ist ein Dämon und ich bin mir sicher, dass Nevio das gemerkt hätte. Außerdem wäre sie gar nicht durch das Tor gekommen. “

Das Arschloch schnaubte daraufhin nur noch.

„Hör nicht auf ihn Liebes. Er meint es nicht so.“ Die liebe Frauenstimme war mir ganz nah und nun wo ich mich an das Licht gewöhnt  hatte öffnete ich auch mein rechtes Auge.

Schräg unter mir saß eine ältere Frau auf einem Hocker. Sie sah ziemlich kleinwüchsig aus und hatte ganz viele Lachfältchen um ihre braunen, glänzenden Äuglein. Graue Strähnen durchzogen ihr braunes, hochgestecktes Haar. Sie lächelte mich freundlich an. Vorsichtig richtete ich mich auf.

Der Raum war voll mit Gemälden die in antiken Bilderrahmen stecken. Zur meiner Linken standen noch 3 andere Betten. Ansonsten gab es nur 2 große Regale die voll mit Bücher und Medikamenten waren. Also lebe ich noch.

Gegenüber von mir war eine Tür und links daneben stand ein Mädchen.
Sie hatte voluminöse, glatte, schwarze Haare die ihr bis zum Becken gingen. In ihnen hatte sie eine große Pilotenbrille, die ganz viele stachelige Nieten hatte. Sie trug ein schlichtes weißes Shirt und eine durchlöcherte Jeans. Ein langer Mantel umhüllte ihre perfekte Figur. Auch ihr Gesicht war wirklich schön. Volle Lippen, schmale Nase und gelb-grün leuchtende, mandelförmige Augen. Da war etwas anders an ihren Pupillen. Nur konnte ich es von hier aus nicht erkennen.

Sie hatte ein langes Schwert in ihrem Gürtel stecken. Wofür brauchte man heutzutage ein Schwert? Außerdem spielte sie mit einem Dolch in der Hand und warf ihn in der Luft herum als wäre er aus Plastik. Insgesamt machte sie einen furchteinflößenden, kalten Eindruck, aber irgendwie auch einen mysteriösen. Sie lächelte mich an was irgendwie nicht zu ihr passte. Ich merkte aber, dass es ein echtes Lächeln war und lächelte zurück.

Ich wollte fragen was passiert ist und wo ich hier war, als das Arschloch sich wieder zu Wort meldete.

„Warum zur Hölle ist ihr anderes Auge golden?“, fragte er spöttisch.

Ich drehte mich zu ihm und starrte ihn schockiert an. Er hatte sich vom Fenster gelöst und stand jetzt vor dem Bett.

„L-Liam?“

Was zum Teufel hatte der hier zu suchen?
Am  letzten Schultag hatte er zwar geschworen, dass wir uns wiedersehen werden, aber schon am nächsten Tag? Hatte er mich verfolgt? Und wen er jetzt auch auf dieses Internat geht?
Außerdem, wieso hat er so spöttisch von mir geredet? Gestern war er ganz anders so… freundlich.

Das Arschloch auch bekannt als Liam schürzte angewidert seine Lippen.

„Verwechsle mich nie wieder mit diesem Nichtsnutz. Mein Name ist Lucio Laquan.“

„Also bist du Liams Bruder?“

„Zwillingsbruder.“, Lucio zog eine Grimasse als würde es ihm gar nicht gefallen das sie miteinander verwandt sind.

Ich dachte immer Liam wäre ein Einzelkind gewesen. Warum die beiden wohl auf verschiedene Schulen gingen? Naja, so wie Lucio grade von ihm geredet hat, scheint es nicht so als würden sie sich sonderlich verstehen.
Beim genaueren betrachten fiel mir auf das er dunklere Haare hatte als Liam, fast schon schwarz und seine Augen waren zwar auch eisblau, aber sie hatten einen starken grünen Schimmer.

Ein starker Schmerz zuckte in meinen Schläfen und unterbrach meine Gedanken. Stöhnend ich legte mich wieder hin.

„Was ist mit mir passiert?“

„Anscheinend hast du deinen ersten Magiestrom bekommen. Einen ziemlich starken und dein Körper konnte dem nicht standhalten.“, antwortete die Frau.

„Einen… was?“

„Magiestrom.“

„Du weißt nicht was das ist?“, fragte das Mädchen mit dem Dolch überrascht.

„Natürlich weiß sie das nicht, immerhin ist sie ein dummes Dämon.“, das Arschloch sah mich an als wäre ich ein fetter Käfer. Das hatte er nicht gewagt!

Abrupt setzte ich mich senkrecht hin damit er nicht mehr so auf mich herabblicken konnte.

„Halt bloß deine Klappe, Mr. Arrogantes-Arschloch!“, fauchte ich.

Er hielt sich wohl für ganz toll. Am liebsten hätte ich ihm seinen Kopf abgerissen. Er sah Liam unglaublich ähnlich, aber vom Charakter her war er genau das Gegenteil.

„Oho, da haben wir wohl einen ganz frechen Dämon erwischt.“, Lucio grinste mich unverschämt an.

Der Kerl war doch echt unglaublich.

„Hör gefälligst auf mich Dämon zu nennen!“

Er neigte seinen Kopf leicht und setzte eine gespielte unschuldige Miene auf. „Bist du den keines?“

„Nein! Ich bin ein normales Mädchen! Und ich hab zufälliger weise einen Namen! Lumenia!“

Lucios Grinsen verschwand. „Warum hat er ein gewöhnliches Mädchen an unserem Internat aufgenommen?“

„Weißt du nicht was du bist, Lumenia?“, verwirrt sah mich die kleine Frau an.

„Wie was ich bin?“

„Was für ein Wesen bist du?“ Was sollte diese Frage?

„Na, ein Mensch.“

„Ach Göttchen, Agnes hat dich nicht aufgeklärt was?“ Woher kannte sie Agnes?
„Nun Lumenia, es gibt abgesehen von Menschen und Tieren noch andere Wesen. Fabelwesen, die aus den unzähligen Romanen und Filmen die du kennst. Sie existieren alle und sogar mehr. Das hier ist ein Internat ausschließlich für diese magischen Wesen. Also wundert es mich, dass man dich so unwissend hierhergeschickt hat.", erklärte sie mir.

Okay, wo war hier die Kamera?

Kapitel 4

4.

 


Eine mächtige Aura umgab mich. An allen Seiten gab es etwas Neues zu entdecken. Langsam lief ich mit ihr durch die Flure. Sie waren riesig, größer als es von außen erschien. Überall waren deckenhohe Fenster, die alles hell durchschienen. Die Böden waren aus glänzendem weißem  Mamor. Säulen ragten aus dem Boden und gaben der  Decke Halt. Alles hier war in Weiß gehalten. Wunderschöne Muster verzierten die Wände. Der Direktor hatte keine Kosten und Mühen gescheut.

Endlich konnte ich mir meine Beine etwas vertreten. Sie waren vom Liegen schon ganz steif geworden. Erst zwei Stunden nachdem ich aufgewacht war, hatte mir die Heilerin Claudia, erlaubt das Krankenzimmer zu verlassen. In der Zeit haben wir uns lange unterhalten.

Es ist wahr, Fabelwesen existieren. Sagen, Märchen, Legenden in denen von übernatürlichen Wesen die Rede ist, sie sind wahr. Einhörner, Vampire, Elfen und noch so viele mehr, es gab sie alle.
Inzwischen hatte ich mich schon etwas damit abgefunden. Dennoch musste mich oft vergewissern das ich nicht träumte.

Die ganze Zeit hatte ich Claudia ausgefragt, bei der Frage ob Vampire wirklich wie tausende Diamanten glitzern, musste sie komischerweise lachen. Übrigens funkeln sie nicht, wozu eigentlich auch?

Ebenfalls hatte ich gefragt warum ich ausgerechnet auf diesem Internat war. Claudia meinte, dass der Direktor auf keinen Fall einen Menschen auf dem Internat annehmen würde.
Also bedeutete dass das ich kein Mensch war.

Das würde auch die seltsamen Dinge erklären die in letzter Zeit passiert waren. Auf die Frage was ich war, hatte sie leider keine Antwort, da ich grade erst in das Alter gekommen war wo man seine Kräfte erlangt.

Normalerweise wird man gleich als das Wesen geboren, mit all seinen Merkmalen und Kräften. Da ich auf der Menschenwelt aufgewachsen bin, war das anders. Sie meinte dass ich magische Kräfte habe, das konnte sie in meinem Blut erkennen.  
Lucio hatte bei jeder Frage immer nur verächtlich geschnaubt. Was hatte er eigentlich dort zu suchen? Nach einer Zeit hatte ich angefangen ihn nicht mehr zu beachten. Was er wohl für ein Wesen war? Ob Liam auch ein Fabelwesen ist? Vielleicht sehe ich ihn ja noch? Oh Gott warum denke ich jetzt über ihn nach?

Jeder normale Mensch wäre ausgeflippt wenn er erfahren hätte das man kein Mensch ist. Aber bei mir war es anders.
Magisches hat mich mein ganzes Leben schon begleitet. Innerlich habe ich schon immer an Magie geglaubt. Damals hatte mir Agnes ganz viele Geschichten über Fabelwesen erzählt.  Wahrscheinlich mit Absicht.
Immer wenn ich sie gefragt hatte, ob sie wahr wären, hatte sie nur mit „Wer weiß, Kind.“ geantwortet.

Sie war selber auf diesem Internat. Warum hatte sie mir nie davon erzählt? Oder mich wenigstens darauf vorbereitet, was mich hier erwarten würde? Was sie wohl ist? Vielleicht eine gute Fee? Das würde perfekt passen.
So viele Fragen schwirrten mir durch den Kopf. Würde ich jetzt nicht zwischen all den Wesen herumlaufen, hätte ich das alles noch weniger geglaubt. Wunderschöne Feen, schwebten hier herum. Manche Gestalten sahen aus wie gewöhnliche Menschen. Nur dass sie die verschiedensten  Haar- und Augenfarben hatten.

Viele waren nicht da, dass lag daran das wir noch 6 Tage Zeit hatten bis der richtige Schulalltag beginnt. Bestimmt gab es hier ganz andere Schulfächer. Ich war gepannt welche.

Manche liefen in einer extremen Geschwindigkeit an mir vorbei und hinterließen nur eine ruinierte Frisur und einen Lichtstrahl der in kürze verschwand. Ob ich das auch konnte? Man konnte sich kaum satt sehen.  

Saira, so hieß das Mädchen mit dem Dolch, war meine Gefährtin und führte mich durch das Schulgebäude. Sie war wirklich freundlich, etwas kalt, aber trotzdem nett. Mit ihren vollen Lippen und ihrem Blick, sah sie aus wie Megan Fox. Vom nahen konnte ich dann auch erkennen was so anders an ihren Augen war, sie hatte Schlangenaugen. Das lag daran dass sie zur Hälfte ein Schattenwesen war.

Schattenwesen sind Dämonen sehr ähnlich, jedoch sind sie nicht so blutrünstig, aggressiv und satanisch. Außerdem waren Dämonen auf dieser Schule verboten, da sie schwer zu kontrollieren waren und sehr mächtig.
Man konnte sie an ihren pechschwarzen Augen erkennen. Warum ich wohl ein schwarzes Auge hatte? Vielleicht war ein Elternteil von mir ein Dämon, oder ein Sterblicher mit schwarzen Augen. Ich sollte nicht mehr darüber nachdenken. Was ich war, würde ich schon bald herausfinden.

Was Saira zur anderen Hälfte war wollte sie mir nicht sagen. Sie hatte Fangzähne die sie ausfahren konnte. Ob sie Blut trank? Ich fragte mich was sie alles für Kräfte hat. Sehr gesprächig war sie nicht, was ich gut fand da ich mich selber nicht wirklich gerne unterhielt. Konversationen werden mir schon nach kurzer Zeit unangenehm, besonders wenn man nicht mehr wusste worüber man reden muss und diese bedrückende Stille entstand.
Anhänglich schien sie auch nicht zu sein, ich brauchte öfters Abstand. Ich war lieber alleine.

„Wir gehen erstmal zu deinem Zimmer, die ganzen anderen Räume kannst du auch später erkunden. Es wird jetzt nichts nützen, wenn ich dir jeden Raum nenne.“, sagte Saira.

„Ich bekomme ein Einzelzimmer?“

„Das meinte Nevio.“

Wir traten aus dem Schulgebäude zum Hinterhof. Vor uns erstreckte sich ein riesiger Park, der ähnlich wie der Vorgarten der Schule war.
In der Mitte des Parks stand ein großer Brunnen. Ein weißes Gewand und Flügel ragte aus ihm. Es stellte eine wunderschöne Frau da. Wahrscheinlich ein Engel. Ihre Haare waren bodenlang und sie trug ein Medaillon mit echten Edelsteinen auf ihrer Stirn.

Aus dem Brunnen floss Wasser zu kleinen Flüssen, die sich dort umher schlängelten. Viele Bänke standen hier und einige waren schon besetzt. Weiße Bäume ließen ihre Blätter und Blüten sanft vom Wind in alle Richtungen wehen und es sah aus als würde es schneien.

„Ah, Miss Aazar, Miss Lumenia.“, Nevio verbeugte sich vor uns beiden. „Ich habe schon auf Sie gewartet. Hoffentlich haben sie sich etwas von dem plötzlichen Magiestrom erholt, Miss Lumenia?“

„Ja, es war halb so schlimm.“

Claudia hatte mir erklärt was Magieströme sind, man bekommt sie regelmäßig, zu unbestimmten Zeitpunkten. Der Körper fängt an sich umzuwandeln und verbindet sich mit magischen Kräften. Magieströme bekommt man so lange bis sich seine Kraft vervollständigt hat. Je nachdem wie stark und mächtig man ist bekommt man Magieströme über längere oder kürzere Zeit.
Mein erster war gleich so stark, dass mein Körper dem nicht Stand halten konnte. Hoffentlich würde das nicht mehr so oft passieren.

„Ich war schon öfters dabei wenn jemand einen Magiestrom bekommen hat, aber noch nie war es bei jemandem so stark! Ich hab einen richtigen Druck gespürt, so stark war er!“, seine Augen leuchteten. „Aber genug davon, ich führe sie zu ihrem Zimmer. Wenn Sie mir folgen würden.“, er deutete mit eine Handbewegung in die gegenüber liegende Richtung.

Wir überquerten mehrere kleine Steinbrücken.  Zwischen einer Reihe von Bäumen führte ein Marmorweg zu den Wohngebäuden. Ich blieb stehen.

Es waren mehrere 2 Stöckige Gebäude, die in Blocks aufgeteilt waren. Sie sahen alle aus wie moderne Apartments, ziemlich schlicht. Vorne waren Stufen die zu einer kleinen Terrasse führte. Die Eingangstüren waren aus hellem Holz und neben ihnen prang ein Schild mit der jeweiligen Hausnummer darauf.

„Die Gebäude sind letztes Jahr komplett neu saniert worden. In jedem Apartment leben zwei Personen. Es gibt 2 Badezimmer, ein Ankleidezimmer, eine Küche, ein Ess- und Wohnzimmer und ein Schlafzimmer, manchmal auch zwei.“, zählte Nevio auf.
„Sie sind alle schlicht eingerichtet damit die Schüler die Möglichkeit haben alles nach ihren Wünschen zu gestalten. Allerdings werden Sie, Miss Lumenia, ein anderes Apartment erhalten, auf Wunsch des Direktors. Es befindet sich ganz hinten und trägt die Hausnummer 24.“

„Warum will der Direktor das ich ein anderes Apartment bekomme?“

„Tut mir Leid. Das hatte er nicht erwähnt, aber ich bin mir sicher, dass es ihnen sehr gefallen wird.“, er zwinkerte mir zu, pfiff fröhlich vor sich hin und ging gezielt geradeaus.

„Apartment  24…“, murmelte Saira nachdenklich, die den ganzen Weg über still geblieben war.

Was war an dem Apartment so besonders?
Als ich davor stand wusste ich was daran so besonders war.

Es hatte mindesten 4 Stockwerke und war 5-mal so groß wie die anderen Apartments. Pflanzen rankten sich an den Seiten des weißen Gebäudes hinauf. Eine halbkreisförmige Plattform aus, wer hätte es gedacht, weißem Marmor bildete die Terrasse, die man durch wenige Stufen erreichen konnte.
Die Eingangstür war rund wie ein Torbogen, aus milchigem Glas und mit goldenen Ornamenten verziert. Neben ihr hing eine goldene 24.  

Hinter den großen Panorama Fenstern hingen weiße transparente Vorhänge, die die Sicht ins Apartment verschlossen. Meine Kinnlade klappte runter.

„Da drin soll ich wohnen?“

„Gefällt es Ihnen nicht, Miss Lumenia?“, fragte mich Nevio leicht geschockt.

„N-Nein, das ist es nicht, es ist wirklich wunderschön. Nur wieso kriege ich so ein großes Apartment?“

„Wie gesagt, der Schulleiter bestand darauf. Sie können sich wirklich glücklich schätzen, Miss.“

„In diesem Apartment dürfen normalerweise nur die höchst angesehenen Gestalten leben.“, Saira starrte die Fassade hinauf.

„Das ist bisher sehr selten vorgekommen.“, nickte Nevio. „Kommen sie, Miss. Von Innen wird es Ihnen noch viel besser gefallen.“

Wir stiegen die 4 Stufen zum Plateau hoch und stellten uns vor die Eingangstür. Nevio holte eine silberne Brosche hervor in dem ein weißer Kristall eingelassen war.

„Hier bitte, Miss Lumenia. Ihr Schlüssel.“, er überreichte mir die runde Brosche.

Verdutzt starrte ich den kalten Klumpen in meiner Hand an. Das sollte ein Schlüssel sein?

„Drücken Sie mit ihrer Fingerspitze auf den Kristall.“

Der Edelstein war rund hatte aber trotzdem scharfe Kanten, als wäre er grob heraus geschlagen worden. Unwissend presste ich meinen Finger darauf und zuckte gleich wieder zurück. Blut rann aus meinem Zeigefinger und der Stein war ganz damit beschmiert.

Wie ein Schwamm, sog der Kristall die rote Flüssigkeit ein, die scharfen Kanten waren verschwunden und er fing an zu leuchten.
Die zwei Eingangstüren klappten auf und ließen Einblick in einen großen Raum.

„Muss ich mir jetzt jedesmal den Finger verwunden damit die Tür aufgeht?“, fragte ich leicht gereizt und starrte auf meinen Finger.

„Nicht doch, Miss.“, schmunzelte Nevio.

„Es war ein Art DNA-Test, nur Sie können die Türen mit diesem Schlüssel öffnen, Sicherheitsmaßnahme.“, jetzt schaute er neugierig auf meinen Finger. „Ihre Heilfähigkeiten sind erstaunlich!“

Tatsächlich, mein Finger war vollkommen geheilt, nur ein wenig getrocknetes Blut klebte daran. Deswegen also waren meine Schrammen, die mir Haily verpasst hatte, so schnell verschwunden.

Heilfähigkeiten. Ich hatte sie wahrscheinlich bekommen als mein Körper mit Magie in Verbindung trat. Das war wirklich faszinierend.

„Hat jedes… magische Wesen Heilkräfte?“

„Die meisten, bei dir sind sie aber überaus schnell.“, mit einer Handbewegung deutete er uns einzutreten.

Wie alles andere an dieser Schule war auch der Innenraum des Apartments in Weiß gehalten. Naja, von Apartment konnte man nicht mehr reden.Es war mehr ein Haus für eine 5 Köpfige Familie.

Hier war es auch eindeutig moderner eingerichtet, als in dem Schulgebäude. Ein paar Topfpflanzen gaben allem einen grünen Farbtupfer. Ich entdeckte meinen Koffer der gleich neben der Tür stand.

Gegenüber der Eingangstür waren links und rechts zwei  Schränke, aus dunklem Holz eingelassen, die die ganze Wand einnahmen. Zwischen ihnen führte eine breite Treppe hinauf zum nächsten Stockwerk. Wieder glänzte mir ein weißer Boden entgegen.

Wenn man die Treppen empor stieg konnte man von der 1. Etage auf das Erdgeschoss, wo wir uns grade befanden, herabblicken. Hier befanden sich ein kleines Badezimmer, ein Wohnzimmer, eine Küche, ein Esszimmer, ein Freizeitraum und ein Wintergarten, der mich an mein zu Hause erinnerte.

Wieder sehnte ich mich nach Agnes und Samuel, aber bei dem Gedanken an sie dachte ich auch wieder an diese Traurigkeit den ich an diesem Ort besonders stark empfand. Hoffentlich würde das hier anders werden.

Ich versuchte mich auf mein Neues zu Hause zu konzentrieren und sah mich im Wohnzimmer um. Hier stand ein großes cremeweißes, L-Förmiges Ledersofa mitten im Raum. Daneben eine passende Récamiere. Auf dem Boden lag ein schwarzer kuscheliger Teppich, wodrauf ein Couchtisch aus Glas stand.

Gegenüber dem Sofa stand ein riesiger Flachbildschirmfernseher, der mich wirklich beeindruckte, obwohl ich nie fernsah. Hinter dem Fernseher erstreckte sich ein großes Fenster, welches von transparenten Vorhängen bedeckt wurde.

Das Wohnzimmer war mit Esszimmer und Küche verbunden. Die Küche war mit hochmodernen Geräten ausgestattet und es gab sogar einen kleinen ausklappbaren Fernseher im Kühlschrank eingebaut.

Nevio wollte uns zuerst die Zimmer im 2. Stock zeigen, weswegen wir die anderen Räume erstmal unentdeckt ließen. Eine Treppe im Wohnzimmer führte uns weiter nach oben.

In dieser Etage befanden sich 2 Schlafzimmer, ein Badezimmer und ein Arbeitszimmer. Dieses Haus war eindeutig zu groß für eine einzige Person, weshalb ich bei Gelegenheit fragen würde ob Saira nicht auch hier wohnen könnte, natürlich nur wenn sie auch wollte.

Ihr Gesicht zeigte keine Mimik die auf Bewunderung deuten konnte, eher als wäre das alles völlig gewöhnlich. Vielleicht stamm sie aus einer sehr reichen Familie?

Nevio hörte nicht auf davon zu erzählen wann das Gebäude errichtet wurde und was alles für Maßnahmen gezogen wurde um das Haus beinah komplett neu zu sanieren. Er drückte die Klinke einer Tür runter, die zu einer der insgesamt 3 Schlafzimmer führte.
Doch sie blieb verschlossen.

„Mhh, komisch, eigentlich müssten alle Türen offen sein. Vorhin waren noch Reinigungskräfte hier um alles sauber zu machen.“, murmelte Nevio und rüttelte noch ein paar Mal an der Tür.

„Nun ja, dann hol ich später einen Schlüssel für das Zimmer, einen Zauber könnte ich nicht anwenden, da die Tür anscheinend mit einem verriegelt wurde und ich weiß nicht welchem.“, er zuckte entschuldigend mit den Schultern.

Schade, ich hätte gerne gesehen wie ein Zauber abläuft. Vielleicht brauchte man einen Zauberstab oder murmelte irgendwelche Sprüche. Auch die Tür zum 2. Schlafzimmer war verschlossen.

„Sehr seltsam.“, Nevio starrte angestrengt auf die Tür und wand sich dann ab.

Die Türen zum Badezimmer und zum Büro, waren zum Glück nicht verschlossen. Im Badezimmer war eine Luxusbadewanne mit Drüsen. Die Dusche hatte einen riesigen Regenduschkopf. Bestimmt war es wirklich angenehm darin zu duschen. An der Ecke stand ein großes Regal, das voll mit Pflegemitteln und Handtüchern gefüllt war. Zwei große ovale Waschbecken waren in einer Art Podest eingelassen.

Das Büro war ziemlich schlicht gehalten und nicht sonderlich groß. Es gab ein Regal mit mehreren Büroutensilien und ganz vielen Büchern, ein großen Schreibtisch aus Glas, wodrauf eine Lampe stand und gleich daneben ein Laptop.  

„Dann führ ich Sie erstmal in das 3. und Letzte Geschoss. Die Schlafzimmer werden wir später besichtigen.“

„Eine Frage.“, sagte ich eilig. „Könnte Saira vielleicht mit mir hier wohnen? Dieses Haus ist viel zu groß für mich alleine. Natürlich nur wenn du willst.“, ich wand mich zu Saira.

„Da fragst du noch? Natürlich, ich würde gerne hier wohnen.“, lächelnd sah sie mich an und dann wieder Nevio.

„Wenn sie es so wünschen, Miss. Das stellt kein Problem dar. In welchem Apartment leben sie derzeit, Miss Aazar?“

„Nummer 16.“

„Gut dann werde ich jemanden beauftragen Ihre Sachen für Sie zu packen.“

„Danke, das ist nicht nötig. Ich mag es nicht wenn man in meinen Sachen wühlt. Ich packe schon selber.“, damit stieg sie die Treppen wieder hinunter und kurz danach hörte ich die Eingangstür.

„Bestimmt ist das Schlafzimmer oben offen.“, meinte Nevio und deutete mir ihm zu folgen.

Ich hoffte inständig dass es nicht verschlossen war. Ich war noch nicht wirklich vom Magiestrom erholt und das Einzige was ich momentan wirklich wollte war, mich auf das Bett zu schmeißen und ein kleines Schläfchen zu halten.

„Nevio? Was tust du hier?“, fragte eine raue, männliche Stimme.

Abrupt drehten wir uns um. Die Tür des ersten Schlafzimmers war weit geöffnet und auf ihrer Schwelle stand Lucio. Mir stockte der Atem.

Er hatte nur eine Boxershorts an und seine Haare standen in alle Richtungen ab. Ich musste mir leider eingestehen, dass er unverschämt gut aussah. Er hatte es schwer seine Augen offen zu halten, wahrscheinlich war er grade erst aufgestanden, doch als er mich entdeckte, leuchteten mir seine grün-blauen Augen entgegen und wurden zu Schlitzen.

„Und wieso ist die Dämonin hier?“

 

Kapitel 5

 

 

5.

 

Innerlich brodelte es in mir, aber ich ließ es mir nicht anmerken. Ich wusste wieso er hier war und ich erschauderte, wenn ich nur daran dachte, ausgerechnet er. Das war es dann wohl mit „Ein neues und besseres Leben beginnen“. Wenigstens war ich ihm nicht ganz alleine überlassen.

Obwohl ich glaubte, dass Saira sofort wieder verschwinden würde, wenn sie mitbekommt, dass er sich hier eingenistet hat. Im Krankenzimmer hatten die sich ununterbrochen gestritten und wären sich beinahe an die Gurgel gegangen.

Nevio starrte ihn geschockt an, nicht weil er nur Boxershorts anhatte, sondern weil er mich Dämonin genannt hatte, was hier anscheinend eine schlimme Beleidigung war.

„Lucio! Lumenia ist doch keine Dämonin! Das würde man ganz sicherlich spüren!“, meckerte Nevio.

Lucio stöhnte genervt auf und rieb sich an seiner Schläfe, als würden wir ihm die schlimmsten Kopfschmerzen bereiten.

„Warum seid ihr hier.“, fragte er nochmal ruhig.

„Um Lumenia ihr neues Heim zu zeigen.“

„Das ist nicht dein Ernst, Nevio! Das ist das Haus mit dem höchsten Rang! Sie darf gar nicht hier sein. Schick sie woanders hin.“, knurrte er.

Ich hasste es wie er von mir redete als wäre ich gar nicht anwesend.

„Raidon hat es so angewiesen und du weißt, dass man ihm nicht wiedersprechen soll.“

Nevio duzte ihn? Und Raidon war anscheinend der Direktor.

„Was hat er sich dabei gedacht? Wieso ausgerechnet sie?“

„Lumenia ist besonderer als es den Anschein hat, Lucio. Sie braucht höchsten Schutz.“

„Du weißt was ich bin, Nevio?“

Er schüttelte bedauernd den Kopf.
„Leider nicht, Sie haben keine bestimmten Merkmale, die darauf hinweisen könnten und Ihre Aura ähnelt nicht im Geringsten jemand anderem, Miss. Aber wenn unser Direktor Raidon besonders auf eure Sicherheit besteht und euch hier wohnen lässt, muss es schon was heißen.“

„Und wie finde ich raus was für ein Wesen ich bin?“

„Wenn eure ersten Fähigkeiten erschienen sind, Miss.“

„Was für Fähigkeiten?“

„Hey!“, unterbrach uns Lucio wütend.

Er kam mir näher und stellte sich bedrohlich vor mich.

„Solange du erstmal hier wohnst, was bestimmt nicht lange andauern wird, möchte ich dir ein paar Regeln klarstellen. Erstens, ist diese Etage für dich tabu. Du darfst ihn nur verwenden um nach oben und unten zu gelangen. Zweitens, wird hier nicht rumgeschnüffelt. Drittens, machst du hier Unordnung, räumst du es auf. Viertens, lässt du mich gefälligst in Frieden.“, seine Augen funkelten gefährlich.

Ich schnappte nach Luft.
„Erstens, wer gibt dir das Recht mir Regeln aufzustellen? Das ist nicht dein eigenes Haus. Zweitens, warum sollte ich rumschnüffeln? Drittens, wenn ich Unordnung in meinem Zimmer mache, hat es dich nicht zu interessieren. Viertens, ich lasse dich in Frieden, wenn du dasselbe tust. Denn lieber lebe ich auf der Straße, als mich mit dir abgeben zu müssen!“, wütend tippte mit meinem Finger auf seine Brust.

Der Zorn trat aus seinem Gesicht und plötzlich grinste er.

„Na, das hätten wir ja geklärt. Nevio führ sie nach draußen.“, er wand sich ab und machte Anstalten wieder in seinem Zimmer zu verschwinden, doch dieses Mal schnappte Nevio nach Luft und hielt ihn auf.

„Das werde ich auf keinen Fall, Lucio! Dein Onkel hat mir den Befehl gegeben sie hierher zu geleiten. Er hat entschieden sie hier wohnen zu lassen und damit ist die Sache erledigt! Wenn du dagegen bist dann sag das Raidon!“, seine Sommersprossen tanzten auf seiner gerümpften Nase.

„Das werde ich auch!“, knurrte Lucio und knallte seine Zimmertür zu.

Nevio atmete tief aus und seine Gesichtszüge entspannten sich wieder. Dieser Kerl brachte wirklich jeden zur Weißglut selbst mich und den, eigentlich immer, höfflichen Nevio.

Normalerweise wäre ich sofort freiwillig wieder ausgezogen. Doch diesen Triumpf wollte ich Lucio nicht gönnen. Außerdem war das Haus viel zu schön.

„Glaubst du Raidon wird seine Meinung ändern und ich muss woanders hin?“

„Ach was, Sie müssen sich keine Sorgen machen. Raidon lässt sich nie was einreden, auch nicht von seinem eigenem Neffen. Bestimmt wollen Sie sich jetzt erholen. Wenn sie mir folgen würden.“, er ging auf die Treppe zu.

„Nevio?“ Er drehte sich um und sah mich an.

„Ja bitte?“

„Du kannst mich ruhig duzen. Ich mach es ja auch und mir ist es ein bisschen unangenehm wenn jemand mich siezt.“ Sein Gesicht strahlte.

„Wenn S- du es so wünscht Lumenia. Gerne doch!“, ihn schien es sichtlich zu freuen.

Immer noch grinste er fröhlich und stieg mit mir die Treppen hoch. Von hier oben konnte man durch ein rechteckiges Loch, mitten im riesigen Flur, auf die Etage von Lucio schauen.

Hinter uns befand sich ein riesiger Wandspiegel zwischen zwei Deckenhohen Fenstern. Vor dem einen, standen zwei weiße Sessel mit einem kleinen runden Tisch. Gegenüber der Treppe und rechts von uns waren zwei Türen, die rechte führte zum Badezimmer.

Im Badezimmer war gegenüberliegende Wand komplett aus Glas und direkt vor ihr stand eine große, weiße, eckige Badewanne deren Rand schwarz war. Von oben sah sie aus wie ein Bilderrahmen mit Wasser gefüllt. Man konnte sie durch ein paar Stufen erreichen.

In der linken Wand waren große rechteckige Schlitze, worin man Handtücher, Pflegemittel und sonstiges, aufbewahren konnte. In der Ecke stand die gleiche Dusche wie unten und die Waschbecken auf der rechten Seite, waren ebenfalls die gleichen.  

Misstrauisch sah ich aus dem großen Fenster. Links waren wir nur von weißen Bäumen umgeben und Rechts befanden sich die anderen Apartments. Von dort aus konnte ganz leicht hier raufschauen.

„Darum musst du dir keine Sorgen machen. Das ist spezielles Glas, man kann nur rauschauen. Von Draußen sieht es wie eine normale Wand aus.“, erklärte er mir. Gott sei Dank.

Im Schlafzimmer, das bestimmst das größte war, waren die gegenüberliegende und rechte Wand wieder, komplett aus Glas und wurden von schönen Vorhängen bedeckt. Vor der rechten Wand stand ein riesiges, verschnörkeltes Himmelbett wo mindestens 3 Personen drauf Platz gefunden hätten über dem Bett hing ein transparentes Tuch, auf dem eine Lichterkette lag.

In der linken Ecke am Fenster, standen ein Sofa und ein Sessel. Davor ein Plasmafernseher und ein Tisch.  Ansonsten gab es hier noch einen Schreibtisch mit Regal. Doch eines der schönsten Dinge hier im Raum war die Decke.

An ihr hing nämlich ein Kronleuchter, dessen weiße Kristalle mit entgegenfunkelten. Um ihn herum waren ganz viele kleine Lichter in der Decke eingebaut, die wahrscheinlich den Sternenhimmel darstellen sollten.

An der linken Wand befand sich eine Tür die zum Ankleidezimmer führte. Es standen 3 Schränke mit Schiebetüren drin und ein Regal für Schuhe. Mit meinen Sachen konnte ich wahrscheinlich grade mal einen halben Schrank füllen.

„Es ist perfekt! Aber wo soll Saira schlafen? Ich bin mir sicher, dass sie nicht bei Lucio unten schlafen will.“

„Na da.“, Nevio zeigte in Richtung Bett, aber da stand nicht mehr eins, sondern zwei und es sah genauso aus wie das andere.

„Wow, hast du das grad dahin gezaubert?“ Er nickte.

„Aber du hast noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt!“

„Wie gesagt, Lumenia. Ich bin älter als wie ich aussehe und nach einer Zeit lernt man Magie anzuwenden ohne jegliche Bewegung.“  

„Wann denkst du werde ich zaubern können? Werde ich das überhaupt?“

„Auf jeden Fall wirst du das können, immerhin bekommst du Magieströme und lange wird es bestimmt nicht mehr dauern.“

„Verwendet man auch Zauberstäbe?“

„Selten, das machen meist nur die, die nicht von Natur aus eine magische Quelle in sich tragen, aber das lernst du noch im Unterricht."

Eine magische Quelle… so was wie ein Geist?  Ich freute mich unglaublich darauf zaubern zu können. Davor konnte man nur davon träumen. Hoffentlich würde ich schnell lernen.

„Dann hol ich mal deinen Koffer, damit du deine Sachen auspacken kannst und dich dann ausruhst.“, er öffnete die Tür, aber ich schlüpfte vor ihm raus.

„Ich mach das schon!“, schnell lief ich die Treppen runter.

Immerhin soll man an einem Internat Verantwortung lernen und zu Hause hatte mich Agnes schon immer verwöhnt, selten hat sie mich helfen lassen und egal was ich machte ich musste beinahe keinen Finger zucken. Unten, am Treppenende angelangt, stieß ich gegen etwas Hartes, eher gegen einen Jemand.

Lucio stand komplett angezogen mit dem Rücken zu mir. Obwohl ich ihn angerempelt hatte, blieb er stocksteif stehen, als hätte es ihm nichts ausgemacht. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Ich dachte, er würde sich jeden Moment umdrehen und mich anmeckern, aber das tat er nicht.

Ich hörte ein Zischen, wie von einer Schlange. Ich beugte mich zur Seite um an Lucio vorbeizuschauen, der meine Sicht bedeckte.

Saira stand vor uns, ihre Augen wurden von dem schwarzen Glas ihrer Pilotenbrille bedeckt. Ihre Brust hob und sank sich langsam, ihr Kinn war gereckt und ihre Zähne waren gefletscht, so dass man ihre Reißzähne sehen konnte, die bedenklich lang waren.
Ihre gespaltene Schlangenzunge zischte zwischen ihnen hindurch.

Sie sah unglaublich bedrohlich aus und ihre Aura kam mir vor als hätte jemand einen dunklen Schleier darum gelegt. Ich konnte diese Spannung in der Luft fühlen, die einen zu erdrücken schien. Die nette Saira von vorhin war verschwunden.

In diesem Moment hätte ich mir gut vorstellen können das sie uns, ohne auch darüber nachzudenken, einfach mit ihrem langen Schwert in Stücke zerrissen hätten können.

„Was ist hier los, Lucio?“, fragte ich, bedacht leise zu sprechen, weil mir diese Situation nicht geheuer war.

„Schschscht.“, machte er und drückte mich, mit seiner Hand wieder hinter sich.

Bei dieser Bewegung, ging Saira einen Schritt auf uns zu und zischte noch einmal mit ihrer spitzen Zunge. Hinter ihrer dunklen Brille fing es an grünlich zu leuchten, ganz schwach. Langsam kam sie näher. Ihre Bewegungen waren der einer Schlange nicht unähnlich, elegant setzte sie einen Fuß vor den anderen, geräuschlos.Nur mein lautes Atmen war zu hören.

Lucio ging ein paar Schritte zurück und drückte mich gegen die Wand, sein ganzer Körper war an meinen gepresst und ich spürte sein Herz klopfen.  Sein herber Duft stieg mir in die Nase. Verdammt, wie konnte er so ein Mistkerl sein, aber trotzdem so gut aussehen und dazu noch gut riechen?

Am liebsten hätte ich mich jetzt selbst geohrfeigt um wieder zur Besinnung zu kommen, aber so angespannt wie Lucio jetzt war, würde jede ruckartige Bewegung Saira dazu bringen, sonst was mit uns anzustellen.  Nochmal lugte ich hinter seinem Rücken hervor, Saira stand jetzt einen Meter vor uns und strich mit Daumen und Zeigefinger über der Rand ihrer Brille.

„Das wagst du nicht, Saira.“, seine Stimme war gedämpft.

„Wer hindert mich daran?“, Sairas Tonfall gefiel mir nicht, er klang provozierend, selbstsicher und gefährlich.

„Sie werden einen Weg finden mich zu befreien, aber dich werden sie gnadenlos töten.“

„Dann werde ich es nicht zulassen, dass sie dich retten und um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich wurde noch nie besiegt.“, sie grinste, hörte auf an ihrer Brille zu streicheln, packte sie fest und machte Anstalten sie hochzuziehen.

Ich wusste nicht was passieren würde, aber ich wusste das es was schlechtes war.

„Schließ deine Augen.“, raunte er mir zu, doch ich konnte meinen Blick nicht abwenden.

Ein kleiner grünen Funken befreite sich hinter der Brille und Panik durchfuhr mich.

„Saira, hör auf!“, das war meine zitternde Stimme gewesen.

Sofort stockte sie mitten in ihrer Bewegung und ließ die Brille wieder auf ihre Nasen fallen.

„Lumenia?“, erstaunt sah sie mich an.

Die dunkle Aura um sie herum war verschwunden. Der Druck, die Panik und die Spannung ebenfalls.

„Scheiße!“, sie wand sich von uns ab und raufte ihre Haare.

Lucio löste sich von mir.

„Du solltest lernen das zu kontrollieren.“

„Wie soll ich es kontrollieren wenn du Scheißkerl mich provozierst?!“, aufgebracht lief sie hin und her wie eine Wildkatze.

„Was kontrollieren?“, fragte ich.

Saira blieb vor mir stehen und setzte ihre Brille wieder in ihr Haar. Ihre Augen waren wie immer und es passierte auch nichts.

„Meine Fähigkeit.“, sie sprach als wäre sie einen Marathon gelaufen und ihr Blick war voller Sorge.

„Deine Fähigkeit… was ist das für eine?“

„Lumenia, du weißt das ich ein Schattenwesen bin und man kann diese in unterschiedliche Rassen teilen.“

„Und die wären?“

„Es gibt sehr viele, aber hauptsächlich sind es Vampire, Sirenen und Basilisken.“

„Ba-Basilikum?“

Lucio fing im Hintergrund an zu glucksten und Nevio gesellte sich dazu. Wo hat sich der eigentlich die ganze Zeit aufgehalten? Saira blieb im Gegensatz zu den beiden ernst.

„Nein“, sie schüttelte ihren langen Haare, „Basilisken, das sind Schlangenmenschen und ich gehöre zu ihnen.“ Das wunderte mich nicht.

„Und was ist jetzt mit deiner Fähigkeit?“

„Die meisten Basilisken haben die Fähigkeit ihre Gegner, mit einem Biss zu vergiften und zu lähmen oder auch zu töten, je nachdem wie stark er ist.  Aber ich habe noch eine Fähigkeit, die es nur sehr selten gibt und ich kann sie noch nicht so gut kontrollieren.“, ihr schönes Gesicht verkrampfte sich und sah verzweifelt aus. Sie schloss ihre Augen und atmete tief aus.

„Diese Fähigkeit ist für mich wie ein Fluch, sie ist… sie zählt zu den dunklen Mächten.“

Anscheinend war das was sehr schlimmes, denn ich hätte niemals gedacht Saira jemals so aufgebracht zu sehen, obwohl ich sie erst seit ca. 4 Stunden kannte. Von Anfang an wirkte sie so gefasst. Eine kalte Schönheit die immer einen kühlen Kopf behält.

Meine Menschenkenntnisse  waren bisher immer gut gewesen. Ich wusste sofort wenn jemand, bei irgendwas, Hintergedanken hatte und vor wem ich mich besser fernhalten sollte. Nur bei Liam hatte ich mich geirrt, aber das lag mehr daran weil ich so überrascht war, wie er mit mir umgegangen ist und wenn man sein ganzes Leben lang ignoriert und schlecht behandelt wurde, war man einfach Misstrauisch.
Besonders wenn der beliebteste Junge urplötzlich nett zu einem ist.

Ich unterbrach Saira nicht und wartete einfach bis sie sich ein wenig beruhigt hatte.

„Ich kann Personen mit meinem Blick in Stein verwandeln und das ist nicht alles, deren Seelen werden in die Unterwelt geschickt und dort werden sie von Hades höchstpersönlich und seinen Gehilfen, ihr Leben lang gefoltert und gequält. Du musst wissen das Wesen wie wir Jahrtausende leben oder sogar unsterblich sind.“

Ich schnappte nach Luft. Ok, das war wirklich schlimm. Ich meine der Teufel allein war schon schrecklich, aber Hades war der Gott der dunklen Seite, des Todes und er war bestimmt nicht so harmlos wie der Hades aus dem Film Hercules von Disney.

„Es ist, als würde es mich kontrollieren wollen, deswegen trag ich auch immer zur Sicherheit meine Brille. Ebengrade hätte ich beinahe Lucio in Stein verwandelt, selbst er verdient es nicht und bei dir hätte ich mit Sicherheit auch nicht gezögert.“, sie biss sich auf ihre Unterlippe, ihre Fangzähne waren inzwischen schon eingefahren.

„Aber das hast du nicht getan, du hast aufgehört.“

„Nur weil du mich gerufen hast. Ich sollte nicht mehr hier sein und auch nicht hier wohnen. Das bring euch nur in Gefahr. Am besten ich gehe jetzt. Tut mir echt Leid, Lumenia und Lucio.“, sie ging ein paar Schritte rückwärts um Abstand zwischen mir, Lucio und Nevio zu bekommen, die hinter mir standen.

„Du kannst mich doch nicht alleine mit diesem Vollidioten alleine lassen!“, ich zeigte in Lucios Richtung und er hob grinsend seine Arme. Diese Reaktion hab ich wirklich nicht erwartet.

„Lumenia, ich s-“

„Bitte! Ich bin mir sicher, dass du es schaffst und das ebengrade war bestimmt nur ein Ausrutscher, ich meine wer kann bei ihm schon ruhig bleiben.“

„Bist du dir sicher?“ Ich nickte und sie nahm mich fest in ihre Arme. 

„Dankeschön, Lumenia. Ich habe noch nie jemanden getroffen der damit klarkam.“

„Was war denn hier los?“, Saira und ich ließen uns los und sahen nach unten.

Jemand stand unten im Wohnzimmer und hob ein paar Klamotten hoch die aus einer Reisetasche geflogen waren und über der ganzen Treppe verstreut waren. Das waren bestimmt Sairas.

Wunderschöne, eisblaue Augen blickten nach oben und strahlten mich verwirrt an, diesmal war ich mir sicher. Das war nicht Lucio, sondern Liam.

Kapitel 6

 

6.

 

„Lumenia? Sind das deine Sachen?“

Sofort tauchte ich wieder aus der Starre, in der ich tief in seinen Augen versunken war.
Mit seiner freien Hand hob er einen BH hoch und grinste mich frech an.  

Saira schnaubte und ging dann in langsamen Schritten die Treppe runter, um Liam währenddessen grimmig anzustarren und ihm den BH zu entwenden. Er lachte.

„Saira, du auch hier? Sag mir nicht das du hier wohnst.“ Sie kannten sich?

„Sie wohnt bei mir im Zimmer.“, ich ging die Stufen herab um Saira beim aufsammeln zu helfen, auch Nevio fing an umher zu krabbeln.
Wahrscheinlich war Saira vorhin so wütend gewesen, dass sie versucht hat Lucio mir der gigantischen Reisetasche zu erschlagen.

„Schön dich wiederzusehen, Lumenia.“, sagte jemand plötzlich. Liams Augen waren wieder voll mit dieser Wärme, die mir immer wieder den Atem verschlug. Ich beugte mich vor, damit meine Haare mein Gesicht verbargen.

„Das ist doch erst ein Tag her, und du scheinst gar nicht überrascht zu sein mich hier zu sehen.“, die Antwort war ein bisschen kalt gewesen, aber irgendwie konnte ich nicht anders. Auf liebevolles reagierte ich meist allergisch, bei Liebesfilmen, oder ähnlichem, hab ich immer den Drang den Darstellern eine zu scheuern, weil es so kitschig ist. Nur bei Agnes und Samuel war es anders.

Liam schien das nicht zu beirren.
„Raidon hatte es mir erzählt, er wollte sichergehen das ich nicht so ausraste wie ein gewisser Jemand.“, belustigt starrten alle Lucio an, der nur etwas knurrte, seine Arme verschränkte und sich gegen eine Wand lehnte. Er könnte mal ruhig mithelfen.

Mit der Hilfe von 4 Personen waren Sairas Klamotten in Sekundenschnelle wieder eingepackt. Saira atmete einmal tief aus und stemmte ihre Hände an die Hüften.

„Was machst du hier überhaupt, Liam?“

„Lange nicht gesehen, nicht wahr?“

„Ja, seit dem Vorfall.“, nickte Saira. Welcher Vorfall?

„Ich werde hier wohnen.“, mit seinem Daumen zeigte er in die Richtung des zweiten Schlafzimmers.

Mein Herz setzte kurz aus. Nicht weil ich mich freute. Ich würde wahrscheinlich mein ganzes Schulleben mit ihm und Lucio unter einem Dach wohnen müssen. Mit Liam hatte ich zwar kein wirkliches Problem, aber er brachte mich jedesmal in Verlegenheit und das war mir wirklich unangenehm.

„Aber-“, setzte Saira wieder an. Plötzlich weiteten sich Sairas Augen ein wenig.
„Liam, ich spüre deine Quelle!“, ungläubig blickte sie ihn an und er fing bloß wieder an zu grinsen.

„Es hat sich herausgestellt, dass es zwei Auserwählte gibt.“
Lucio grummelte leise vor sich hin. Es Interessierte mich brennend was alles Vorgefallen war.

„Liam, das ist fantastisch! Glückwunsch!“, mischte sich Nevio ein und umarmte Liam herzlich. Liam stimmte in Nevios Lachen ein.  

Auf einmal fühlte ich mich total fehl am Platz. Alle kannten sich und verstanden sich gut, abgesehen von Lucio vielleicht. Wieder erklomm mich das bestimmte Gefühl, welches mich schon mein ganzes Leben begleitet hat und versuchte mich erneut in dieses dunkle tiefe Dasein zu ziehen. Doch ich durfte es nicht zulassen. Nicht heute. Der Tag an dem alles neu beginnen sollte.

„Kommst du mit nach oben?“, Saira stand vor mir und sah mich fragend an.

Ich nickte nur. Wenn ich jetzt etwas sagen würde, könnte es passieren, dass ich die Kontrolle über mich selbst verlor und dem finsteren Monster tief in mir drin die Möglichkeit gab mich komplett anzugreifen. Die Tränen würden sich in Strömen über mein Gesicht verbreiten. Vor all den Leuten die ich neu kennengelernt habe.

Ich wollte nicht, dass sie mich schon am ersten Tag so elendig sehen. Ich wollte nicht, dass sie mich für schwach hielten.

Oben angekommen, ließ ich mich stöhnend auf einer der Betten fallen und sank in den schönen, kühlen Stoff. Die Matratze machte mir bereitwillig Platz und drückte sich sanft runter. Seufzend schmiegte ich mich an das weiche Kopfkissen und schloss meine schwergewordenen Augenlieder.

„Ruh dich ruhig aus.“, sagte die feste, weibliche Stimme von Saira. „Leider gibt es in der Cafeteria kein Mittag, aber ich mach dir später was.“

Es war erst Mittag? Obwohl es draußen noch hell war, kam mir vor als wäre es schon spät abends und gestern schien auch schon weit entfernt zu liegen.

„Nicht nötig, danke.“, murmelte ich schläfrig.

Ich hörte das Lachen der Jungs bis hier oben hin.
Liam hatte von einem Auserwählten gesprochen. Nein, von zwei.  
Er hatte damit sich und Lucio gemeint. Was hatte es damit auf sich? Wofür waren sie auserwählt? Wieso schimmerte die Haut der beiden?

Vampire waren sie nicht, denn diese hatten eine weiße Iris mit schwarzem Rand.  Das wusste ich von der Heilerin Claudia. Für mich konnte zurzeit nur Dämon infrage kommen. Aber Claudia und auch Nevio meinten, dass ich auf keinen Fall einer war. Erstens waren solche hier verboten und zweitens hätten sie es an meiner Aura gespürt.

Aber was war ich dann? Ich erinnerte mich an Nevios Aussage, dass ich keine auffälligen Merkmale hatte und mir fiel wieder das Tattoo ein. Oh, verdammt! Das hatte ich völlig vergessen. Ein wenig murrend richtete ich mich auf. Ich wollte runterlaufen, vielleicht war Nevio noch da, bestimmt war dieses goldbraune Ding über meinem Becken ein Merkmal, doch ein komisches Gefühl hinderte mich daran vom Bett zu steigen.

Es flüsterte mir zu.

„Das darfst du nicht, Lumenia.“

Erschrocken starrte ich umher, aber hier war niemand außer Saira, doch diese war mit auspacken beschäftigt und diese sanfte, melodische Stimme in meinem Kopf gehörte sicherlich nicht zu ihr.

„Sei Weise und lass es sein. Sonst wird der Tod dich ergreifen.“ Eigentlich hätte ich totale Panik bekommen müssen. Komischerweise, war Dem nicht so.

Diese schallende, weibliche Stimme, die sich wie tausend Glockenspiele anhörte beruhigte mich. Sie wärmte mich von Innen. Wie hypnotisiert hörte ich auf diese fremde und dennoch vertrauliche Stimme, die aus dem Nichts gekommen war.

Und ich tat es nicht. Ich rannte nicht herunter, um das wahrscheinlich einzige Merkmal vorzuzeigen und zu erfahren wer oder was ich war.
Stattdessen schob ich im Badezimmer einen, an der Wand angebrachten, kleinen Spiegel hinter meinen nackten Rücken um im großen Spiegel das kreisrunde Wappen nochmal genau zu betrachten. 

Eine Sonne prangt in der Mitte und ihre Strahlen schlängelten sich in alle Richtungen. Drumherum waren mehrere Kreisringe in den Schriftzeichen standen die ich nicht kannte, dazwischen waren noch Ornamente.

Es erinnerte mich an die runden Steinplatten, die man in Abenteuerfilmen sehen konnte, wenn der Held irgendwelche Sonnentempel betrat, voll mit Fallen und einem Schatz.
Was hatten diese Zeichen bloß zu bedeuten? Solche Symbole habe ich noch nie gesehen. Hieroglyphen sahen ihnen nicht unähnlich, aber ich wusste genau, dass es keine waren.

Jemanden fragen konnte ich nicht und einen Laptop, um im Internet zu recherchieren, hatte ich auch nicht. Vielleicht würde ich etwas in der Schulbibliothek finden? Die war bestimmt riesig.

Müde war ich jedenfalls nicht mehr, sondern hungrig. Also schlurfte ich die Treppen runter zur Küche. Vielleicht gab es ja was im Kühlschrank oder ein paar Zutaten aus denen ich mir was Anständiges machen könnte.

Unten hörte ich Geschirr klappern, anscheinend hatte jemand anderes auch Hunger bekommen. Und es roch fantastisch.

Aber etwas abzubekommen konnte ich mir wohl abschminken. Mein Magen protestiertes schon knurrend, bei diesem Gedanken. Denn Lucio stand mit dem Rücken zu mir gewandt am Herd und brutzelte Steaks.

Verdammt. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Er beachtete mich gar nicht als er sich umdrehte und das saftige Stück Fleisch auf einen Teller legte. Einfach ignorieren dachte ich mir.  

Hoffnungsvoll öffnete ich den Kühlschrank. Doch da befand sich nichts mehr als Aufschnitt und ein paar Joghurts. Kritisch betrachtete ich das Innere und der verführerische Geruch stieg mir wieder in die Nase.

„Mach dir keine Mühe.“, sagte Lucio. Immer noch von mir abgewandt.

Hatte er mit mir geredet?

„Durch, Medium oder Roh?“, fragte er ruhig. Verständnislos starrte ich ihn an. Er seufzte.

„Also Roh.“

„M-Medium.“, stotterte ich.

Endlich sah er mich an, seine eine Augenbraue war hochgehoben.

„Wenn du die Kühlschranktür nicht gleich schließt, erfrieren wir alle.“, sagte er spöttisch und schmiss das nächste Stück Fleisch in die Pfanne.  

Ich schloss die Tür, ohne meinen Blick von Lucio abzuwenden, der mit der Pfanne hantierte und verschiedene Gewürze auf das Steak streute. Ich setzte mich an den Tisch, der an der Kücheninsel angebracht war. Was war dem mit dem los?

„Sag mal, du bist doch Lucio, oder?“

„Natürlich.“ Ihn schien die Frage gar nicht zu irritieren.

Schnell  stapelte er noch ein paar Kartoffeln auf den Teller. Er schob mir das duftende Steak hin und setzte sich neben mich.

„Lass dir’s schmecken.“, schon hob er sein Messer und fing an zu schneiden.

Verdattert starrte ich auf meinen Teller. Es sah aus wie aus einem Gourmet Restaurant. Wirklich erstaunlich, dass er kochen konnte. Er wirkte mehr wie ein typischer Bad Boy der alles von anderen machen ließ.

„Soll ich dir jetzt etwa jedes einzelne Stück persönlich in den Mund schieben?“, fragte er fast schon amüsiert, als ich noch nicht angefangen hatte.

Ich schnappte mir Messer und Gabel und ließ mir das Fleisch auf der Zunge zergehen. Es schmeckte unglaublich gut. Auch wenn er die Kochkünste von Agnes nicht erreichen konnte. Das ganze Essen über blieben wir still.

Als wir fertig waren, nahm er das Geschirr und spülte  ab. Wow, er machte sogar freiwillig sauber.

„Soll ich dir helfen?“

„Nicht nötig.“

„Das Steak hat sehr gut geschmeckt. Wo hast du kochen gelernt?“, fragte ich während ich aufstand. Er zeigte mir wieder seine Kehrseite. Es dauerte bis er antwortete.

„Wenn man sich weigert mit der Familie zu essen, lernt man das nach einer Zeit.“, sagte er, ohne auch eine Miene zu verziehen oder mich anzusehen.

Ich starrte auf sein Profil, dessen Aufmerksamkeit nur dem Geschirr galt.

„Du hast dich geweigert mit deiner Familie gemeinsam zu essen?“, ungläubig sah ich ihn an. Hatte er etwa ein so schlechtes Verhältnis zu ihnen?

„Das hab ich doch grad gesagt.“, stöhnte er genervt.

„Und wieso?“

„Das hat dich nicht zu interessieren.“, seine Ruhe war wieder einigermaßen eingekehrt, aber ich sah, dass er seine Kiefer fest zusammenbiss. Das war nicht gut. Ich hatte wohl einen wunden Punkt getroffen.

Mir wurde die Situation total unangenehm und ich musste das Thema wechseln. Mit beiden Ellenbogen stütze ich mich auf die Kücheninsel.

„Was für ein Wesen bist du eigentlich?“

Das hatte ich mich schon die ganze Zeit über gefragt. Seine Haut schimmerte genau wie Liams. Ganz dezent. Ansonsten hatten beide keine Merkmale wie Flügel oder so etwas. Aber vielleicht hatten sie welche? Nur versteckt.  

Ich konnte Merkmale ja eigentlich noch nicht zuordnen. Erst vor ein paar Stunden hatte ich erfahren, dass es diese Welt gibt.

Wo genau war ich eigentlich? Wir waren früh morgens losgefahren und mindesten 3 Stunden unterwegs. Ich war bereits eingeschlafen, als wir ankamen. Die Nacht war wieder kurz gewesen. An dem Wald, der dieses Internat hier umgab, konnte ich nicht erkennen wo wir uns befanden. Mit dem Auto in eine andere Welt? Vielleicht war das Schultor eine Art Portal?

Wir waren bestimmt nicht mehr bei den Sterblichen. Die hätten diesen Ort irgendwann gefunden. Komisch sie so zu nennen, Sterbliche. War ich noch sterblich? Nie vor dem Tod Angst haben zu müssen war ein seltsamer Gedanke. Oder vielleicht würde ich nur ein paar hundert Jahre leben? So lange würde ich gar nicht leben wollen. Schon allein die 16 Jahre die ich auf der Erde verbracht habe reichten mir genügend.

Das Leben ist doch einfach unlogisch. Man arbeitet hart, damit man überlebt. Und am Ende stirbt man. Wofür sind wir da? Für Hoffnung? Liebe? Diese Freude wird doch sowieso irgendwann vom Tod eingeholt. Dann war alles umsonst. Oder nicht? Ich meine jetzt wo ich in Erwägung ziehen konnte, dass ich unsterblich war. Aber was war dann der Sinn?

„Ein Auserwählter.“, riss mich Lucio aus den Gedanken. Was hatte ich ihn noch gleich gefragt? Ach ja.

„Das ist doch kein magisches Wesen?“

„Ich bin ein Wesen das noch gar nicht existiert.“, inzwischen war er fertig mit dem Abwasch. Er trocknete seine Hände ab, lehnte sich mit seinem Hintern gegen die Arbeitsplatte und verschränkte seine Arme.

„Wie das noch nicht existiert?“ Der Typ sprach auch nur in Rätseln.
Nochmals entfuhr ihm ein genervtes Geräusch. „Eine komplett neue Rasse. Ich bin der Erste einer komplett neuen Art.“

„Meinst du, dass du eine Mischung zwischen zwei Wesen bist, die es noch nicht gegeben hat?“

„Nein.“ 

Gott, diesem Kerl musste man auch jede Antwort aus der Nase ziehen.

„Aber was bist du dann?“

„Du bist ganz schön neugierig, weißt du das?“

„Das ist mein gutes Recht, Fragen zu stellen. Was würdest du tun, wenn du ganz plötzlich erfährst das es übernatürliche Wesen gibt und du dann auch noch mit ihnen zusammen leben musst?“, herausfordernd funkelte ich ihn an.

Grimmig verzog er seinen Mund.

„Na schön.“, seufzte er schließlich, „Ich we-“

Gebannt starrte er an mir vorbei.

„Onkel?“

Ich drehte mich um und ein hochgewachsener muskulöser Mann stand vor mir. Seine Haut schimmerte bronzen und seine welligen Haare golden. Die breiten Schultern wurden durch den beigen Anzug noch mehr hervorgebracht. Sein Gesicht wirkte entspannt und freundlich, obwohl es so kantig war. Ich schätze ihn nicht älter als 35, aber wahrscheinlich war er unsterblich und somit schon uralt.

„Entschuldigte falls ich einfach so reinplatze, aber ich wollte Lumenia willkommen heißen.“, freundlich streckte er mir seine Hand entgegen.
„Es ist schön dich auf der Sapientia Deus begrüßen zu dürfen, Lumenia.“

Ich reichte ihm meine Hand, die er einmal fest drückte.

Ich war mir sicher, dass dieser Mann eine enorme Kraft hatte. Genau wie Liam und Lucio hatte er eine samtweiche Haut. Also war er ein Auserwählter. 

Durch diese Auserwählten Sache war ich noch nicht ganz durchgestiegen.  Das Einzige was ich verstanden hatte war, dass man der Erste einer neuen Spezies ist.

Wieso behandelte er mich so gut? Wusste er etwa was ich war? Er hatte darauf bestanden das ich hier wohne und den höchsten Schutz bekomme.

„Ich bin auch froh hier zu sein He-“

„Du kannst mich ruhig Raidon nennen, das tun alle.“, er lächelte.

Gott sei Dank hatte er mir das Wort abgeschnitten. Seinen Nachnamen hatte ich sowieso nicht gewusst.

„Danke, dass Sie mich hier wohnen lassen Raidon.“

„Aber das ist doch selbstverständlich.“, seine bernsteinfarbenen Augen leuchteten.
„Ich würde mich gerne mit dir unterhalten, bestimmt ist dir noch Einiges unklar. Ich kläre dich ein wenig über die Schule  auf und danach gehst du zur Anprobe für deine Schulkleidung.“

Oh nein. Schuluniformen. Aber wenigstens werden mir gleich ein paar wichtige Fragen beantwortet.

„Am besten klären wir das in meinem Büro.“ Raidon löste sich vor mir in tausend leuchtende Partikel auf.

Fragend drehte ich mich zu Lucio, doch der stand gelangweilt an der gleichen Stelle und starrte ausdrucklos in die Leere, dort wo Raidon noch vorhin gestanden hatte.

Ich spürte einen leichten Luftzug und mein gesamter Körper kribbelte sanft als wäre er eingeschlafen.

„Keine Angst.“, hörte ich Raidons Stimme in meinem Kopf flüstern, bevor ich mich, genau wie er zuvor, in Luft auflöste.

 

Kapitel 7

 


„Ich hab echt genug von dieser Farbe.“, argwöhnisch blickte ich das hautenge weiße Shirt an welches an den Ärmeln mit jeweils einem breiten schwarzen Streifen verziert war und kleine silberne Stickereien hatte.

Auch am Halsbereich waren schwarz-silberne Verzierungen, alles ziemlich abstrakt gehalten.

„Ach was, man gewöhnt sich dran. Außerdem sind die schrillen Schüler hier ein Ausgleich.“, winkte Tamy ab und zupfte weiter an mir rum.

 Nachdem ich mich mit Raidon unterhalten hatte, schickte er mich zu ihr. Sie war eine Elfe, weshalb kleine Spitze Ohren zwischen ihren zu einem Zopf gebunden violetten kurzen Haaren, hervorblitzten. Ihre Augen waren ebenfalls violett. Vom Äußeren her sah sie nicht älter aus als ich, aber genau wie bei Nevio war sie bestimmt älter.

„Au!“, ich zuckte zusammen und rieb mir meinen Arm in den Tamy mit ihrer Nadel gepikst hat.

„Huups, tut mir Leid. Das wollte ich nicht.“, entschuldigte sie sich und stach die nächste Nadel in den Stoff um die Schuluniform anzupassen. So fuhr sie mit der schwarzen Lederhose fort, die komischer Weise ganz bequem war, obwohl sie so eng anliegte.

Aufrecht stellte sie sich vor mich hin und betrachtete zufrieden ihr Werk, welches aus tausend Nadeln und Markierungen mit Kreide bestand. Ich traute mich nicht einen einzigen Finger zu zucken, da mir jederzeit eine Nadel in mein Fleisch stechen könnte, deswegen blieb ich wie versteinert, mit ausgestreckten Armen, stehen.


„So, ich denk das war’s!“

„Wie bitte? Und was ist mit denen hier?“,demonstrativ wackelte ich  mit meinen Armen, darauf bedacht nicht durchlöchert zu werden. Wie sollte ich den bitte wieder daraus kommen?

„Sei doch nicht so ungeduldig.“, lachte sie und schwang ihre Zeigefinger.

Die Nadeln und Markierungen fingen an zu leuchten und lösten sich in Luft auf. Der Stoff hatte sich an faltigen Stellen zusammengezogen und jetzt schmiegte er sich perfekt an meine Haut. Erleichtert ließ ich meine Arme fallen und atmete einmal aus.

„Hättest du nicht gleich Magie verwenden können? Waren die Nadeln wirklich nötig?“

Ein fieses Grinsen erschien auf Tamy‘s Gesicht. Nein! Das war nicht ihr Ernst. Ich gab einen empörten Laut von mir. Sie hatte mich eine halbe Stunde lang gefoltert!

„So ist es doch viel lustiger!“, kam es zwischen ihrem Gekicher hervor.

Nochmals stieß ich einen ungläubigen Laut aus.

„Das war alles nur aus Spaß?“

„Bitte tu mir nichts! Bitte tu mir nichts!“, quietschte sie und rannte lachend durch das Atelier, welches vollgestopft war mit Kleidung.

Es war nicht meine Art rumzualbern, aber sie wollte es so. Sie würde dafür büßen.
Tamy war verdammt schnell und ich warf einige Puppen um, während ich versuchte sie zu schnappen. Sie zischte in unmenschlicher Geschwindigkeit umher. Grade noch so, dass ich Chancen hatte sie zu fangen.

Ich bahnte mir Wege zwischen all den Schuluniformen und Kleidungen für Angestellte. Ihr Lachen echote von allen Seiten in dieser großen Halle.

„Du kriegst mich nie!“, kreischte sie als sie zum Greifen nah war.

„Werden wir noch sehen.“, knurrte ich.

Ja, es machte mir tatsächlich Spaß. Das letzte Mal als ich so rumgetobt bin war schon lange her. Nur noch Wage Erinnerungen waren da, aber ich war mir sicher, das es zu der Zeit war, als ich noch im Waisenheim lebte.

Kurz bevor ich Tamy am Handgelenk packen konnte, löste sie sich, wie Raidon, vor meinen Augen auf.

„Hier bin ich!“, rief sie mir zu.

Ich dreht mich zu ihr um und sie stand auf einem der Schreibtische.

„Das ist nicht fair!“, brüllte ich zurück.

Woraufhin sie nur wieder lachte, dass tat sie anscheinend gerne. Sie war zu beneiden, ich wollte  auch so etwas können. Mich von Ort zu Ort in Sekundenschnelle zaubern. Raidon hatte es damit geschafft uns in sein Büro zu teleportieren, oder wie auch immer diese Kraft genannt wird. Bestimmt war es einfaches für ihn.

Er hatte mir das Schulsystem erklärt, welches sich total von allen anderen unterschied die ich kannte. Ein ziemlich diskriminierendes.

Hier gibt es in jedem Jahrgang 3 Abstufungen, ähnlich wie Gymnasium, Realschule und Hauptschule. Hier hießen sie Platin, Gold und Silber. Allerdings kommt es hier zuallererst nicht auf die schulischen Leistungen an, sondern auf die Abstammungen, Rasse und den Wohlstand. Man konnte allerdings aufsteigen, wenn man sehr gute Leistungen zeigte. Ein kleiner Lichtfunken, angesichts dieses gemeinen Systems.

Die Einteilung würde vor dem ersten Schultag geschehen. In welche ich wohl kommen würde? Jedenfalls gab es hier auch ganz andere Unterrichtsfächer. Sport gab es noch, allerdings nicht in der normalen Form, wo es darum ging verschiedene Sportarten auszuprobieren und die Schüler zu quälen.

Sondern hier ging es darum seine Kräfte und Fähigkeiten zu verwenden zu lernen wie man mit ihnen umgeht, um die Spiele zu gewinnen und zu lernen wie man überlebt und kämpft. Momentan konnte ich mir noch nicht wirklich vorstellen wofür das Kämpfen nötig war. Vielleicht lebten in dieser Welt alle in Wäldern und konnten jederzeit von Dämonen oder Feinden angegriffen werden?

Nebenbei gab es noch andere Fächer wie Latein, Gesichte und Magie. Besonders gespannt war ich auf Magie und Sport. Mathe und ähnliches schien es nicht zu geben.

Irgendwann blieb Tamy lachend auf dem Boden liegen und bekam fast keine Luft mehr.

„Okay, okay ich gebe auf.“, keuchte sie, als sie sich ein wenig beruhigt hatte. Ich stürzte mich auf sie und kitzelte sie durch.

„Und?“, fragte ich langgezogen.

„Und entschuldige das ich dich so gefoltert habe!“, krächzte sie lachend. Ich hörte dennoch nicht auf, ich war noch längst nicht fertig mit ihr.

„Und ich bin noch niemanden begegnet der so schnell lernt seine Kräfte zu verwenden!“, gackerte sie Luftschnappend.

Abrupt hörte ich auf sie zu foltern.

„Wie meinst du das, was für Kräfte?“ Tamy setze sich auf atmete tief ein und aus, versuchte sich zu beruhigen und wischte sich die Lachtränchen aus den Augenwinkeln.

„Dir ist es echt nicht aufgefallen?“, verdutzt starrte mich der lila Schopf an.

Ich schüttelte den Kopf, ich wusste überhaupt nicht was sie meinte.
Sie seufzte einmal auf und hob die Hand, um anzudeuten das ich ihr hochhelfen sollte.

„Du bist echt zu beneiden, Lumenia.“

„Das Gleiche hatte ich grad von dir gedacht.“  Und wieso war ich yu beneiden?

Sie schüttelte den Kopf.
„Glaub mir, das brauchst du nicht. Komm, wir machen deine Schuljacke fertig, diesmal ohne Nadeln.“, grinste sie frech.
„Und danach zeig ich dir mal was.“


Kaum zu glauben das sich so ein großer Platzt in einem der Räume der Schule existierte. Diese Laufbahn war mindestens so lang wie bei der Olympiade, vielleicht sogar länger. Dieser Ort sah einer Arena auch nicht unähnlich. Außer, dass hier mal wieder alles in schwarz weiß gehalten war. Aber wie war es möglich, dass sich über uns der freie Himmel befand, obwohl wir noch im Inneren der Schule waren? Tamy hatte anscheinend meinen fragenden Blick gesehen, denn sie erklärte mir, dass wir uns gar nicht mehr in der Schule befanden.

„Diese Tür in der wir grade stehen, ist ein Portal, welches auf diesen Ort festgelegt ist.“

„Also befinden wir uns an einem ganz anderen Ort?“

„Genau, es ist ziemlich kompliziert, aber man muss das nicht so genau verstehen.“, winkte sie ab.

Als ich die Türschwelle übertrat, wurden meine schwarzen Dr. Martens ähnlichen Schulschuhe, zu schwarz weißen Turnschuhen mit einer gefederten Sohle. Die lange Lederhose kürzte sich zur einer Hotpants und die Ärmel des Shirts waren nur noch dreiviertel lang. Die Muster veränderten sich.

„So verschwendet man keine Unterrichtszeit mit umziehen. Weißt du, Sport ist das wichtigste Unterrichtsfach in unserer Welt. Jeder will der Beste sein. Außerdem macht es unglaublich viel Spaß seine Fähigkeiten miteinander zu messen.“, erklärte Tamy heiter.

Sie schnipste mit den Fingern und befand sich augenblicklich, in derselben Kleidung wie ich. Ihre Arbeitsuniform war verschwunden. Nur das die Stickereien nicht silbern waren wie bei mir, sondern golden.

Mir fiel ein, dass sie doch Angestellte an dieser Schule war. Dann müsste sie doch viel älter sein. Raidon hatte mir erklärt, dass alle Schüler erst mit 16 angenommen wurden und dass das auch ihr wahres alter war. Also nichts mit: Sieht aus wie 16 ist aber in echt 594.

„Du bist Schülerin?“

„Überrascht?“ In der Tat.
„Kann ich verstehen, eigentlich sind hier alle Angestellten mindestens über 200 Jahre alt. Aber Raidon war so nett und hat mir erlaubt hier auszuhelfen um mein Schulgeld zu bezahlen.“

Über 200! Wie alt Nevio wohl war?

„Du arbeitest hier um hier zur Schule gehen zu können? Wollen deine Eltern es dir nicht bezahlen?“

„Naja.. ehm.“ Tamy kratzte sich nervös am Hinterkopf.
„Es ist nicht leicht in einer Familie  mit 7 Brüdern zu leben und die jüngste zu sein. Aber das ist ein anderes Thema.“  

Wow, 8 Kinder. Das musste ziemlich anstrengend sein. Besonders wo sie doch das einzige Mädchen war. Ihr schien es sichtlich unangenehm zu sein darüber zu reden.

„Um ehrlich zu sein hätte mir mein Vater das Schulgeld bezahlt. Aber nicht für diese hier. Für ihn waren die Preise einfach zu hoch. Doch ich wollte unbedingt auf die Sapientia und hier bin ich! Jedenfalls macht es mir Spaß hier zu arbeiten. Ich verdiene noch extra Taschengeld und meine Brüder geben auch manchmal was dazu. Raidon hat mir hier sogar einen Chefposten angeboten, wenn ich den Abschluss habe. Ist das nicht krass? Weißt du wie viel die im Monat verdienen?! Oh tschuldige, ich rede wieder wie ein Wasserfall.“

„Kein Problem, ich höre dir gerne zu. Du scheinst viel Ehrgeiz zu haben. Bewundernswert.“

„Findest du? Ach was!“, sie schlug mir einmal kräftig auf den Arm und strahlte übers ganze Gesicht.

Ich konnte ihr gar nicht sauer wegen dem Schlag sein bei diesem Grinsekatzten-Lächeln. Sie gab einen erschrockenen Laut von sich.

„Achso! Stimmt! Wir sind ja wegen deinen Kräften hier. Beinahe vergessen!“

Sie packte mich am Arm und zog mich zum Start der Bahn. Sie bestand aus milchigem Glas, welches an der Oberfläche rau war, damit man nicht ausrutsche. Als wir sie betraten, leuchteten weiße Linien auf, die die Bahn einteilte.

„Jetzt schau genau hin.“, bat mich Tamy.

Sie stellte sich in Startposition und konzentrierte sich. Plötzlich lief sie los und hinterließ einen Lichtstrahl. Ab und zu konnte ich sie entdecken, allerdings leicht durchsichtig und die nächste Sekunde war sie wieder verschwunden. Das hatte ich schon zuvor bei einigen Schülern gesehen. Wenn es Schüler waren.

Nach geschätzten 4 Sekunden stand sie wieder neben mir. Es schien für sie gar keine Anstrengung zu sein.

„Beeindruckend, was? Die Meisten können das. Genau in dieser Geschwindigkeit  bin ich grade im Nähsaal gelaufen.“  

„Was? Aber..“

Ich hatte sie doch selbst gesehen, sie war schnell, aber nicht so schnell wie eben grade. Wie hatte ich es geschafft sie zu erreichen?

„Du bist selber so schnell gelaufen, Lumenia.“, antwortete sie auf meine Gedanken.
„Deswegen schien ich langsamer zu laufen. Manche sehen sogar alles in Zeitlupe. Du hast es ohne jegliche Anstrengung geschafft. Obwohl du doch erst letztens deinen ersten Magiestrom bekommen hast!“

Wow, das war… unglaublich!

„Ich kann auch so schnell laufen?“

Tamy nickte eifrig. „Du warst sogar noch schneller! Hätte ich keinen Vorsprung gehabt, hättest du mich wahrscheinlich sofort gefangen. War echt anstrengend, versuchen dir zu entkommen. Besonders wo man dich kaum sehen konnte. Die umgefallenen Sachen haben dich verraten.“, kicherte sie. '

Jetzt wo ich darüber nachdachte, war ich wirklich schnell gewesen und normalerweise war ich eine Niete im Laufen. Ich bekam  immer Seitenstiche und war nach kurzer Zeit aus der Puste.  

„Lass uns ein Wettrennen machen! Aber ich nehme die vorderste Startlinie und du die Hinterste.“

„Wie gemein.“

„Ach komm, stell dich nicht so an. Du scheinst wirklich nicht zu wissen wie schnell du bist!“, wieder fing sie an zu lachen und stellte sich in Startposition.

Ich tat es ihr nach, an der hintersten Startlinie, was hatte ich schon zu verlieren.

„Bereit? Auf die Plätze…fertig… los!“ Ich sah Tamy noch an mir vorbeiflitzen, da ich den Startschuss nicht richtig wahrgenommen hatte.

Schnell rannte ich ihr hinterher.

Jetzt merkte ich es. Mein Körper fühlte sich leicht an. So frei. Meine Füße bewegten sich wie von selbst und ich spürte kaum den Boden unter mir. Der Wind blies mir ins Gesicht. Alles ging wie in Zeitlupe. Von den einen auf den anderen Moment sah ich mich schon im Ziel stehen.

Nach 1 Sekunde zischte Tamy wieder an mir vorbei. Das hieß, dass ich sie eingeholt hatte. Ich lief ihr hinterher und dieses Mal konzentrierte ich mich auf jeden Moment. Bald holte ich Tamy ein und bremste meine Geschwindigkeit ein wenig.

Es sah so aus als würde sie ganz normal laufen, nur um uns herum verschwamm alles.

„Ich hab dir doch gesagt du bist schnell!“, rief sie mir zu und schenkte mir ein breites Grinsen.

„Hey, nicht schlecht, Kleines.“, vernahm ich eine tiefe Stimme von der Rechten.

Ein muskelbepackter, zwei Meter Riese lief im Rückwärtsgang neben mir her. Seine blonden Locken wehten im Gegenwind und ein kleiner Bart zierte sein Kinn. Frech grinste er mir entgegen und seine spitzen Eckzähne blitzten. Er konnte kein Vampir sein. Seine Augen waren grau mit einem Stich grün. Vielleicht hatten nicht nur Vampire diese Eckzähne?

„Du hast ein enormes Tempo drauf.“, lobte er mich.

„Lass dich ja nicht von ihm um den Finger wickeln, Lumenia!“, warnte mich die Elfe.

„Ich darf mich doch wohl vorstellen dürfen, Tamy!“ erwiderte er leicht beleidigt.

„Schöner Name übrigens, Lumenia. Ich bin Fillin und zu deiner Info: ich bin der Schnellste.“, damit drehte er sich um und lief voraus um seine Schnelligkeit zu beweisen.

„Glaub nicht das du uns abhängen kannst, Wuffi!“, brüllte Tamy ihm hinterher und gab Gas.

„Na komm schon, Lumenia! Dem zeigen wir es!“, hörte ich sie von weit hinten rufen.

Was war das den jetzt für eine Aktion? Zuerst stellte der sich vor und dann rannte er weg. Und was war das für ein Spitzname? Wuffi? Er war doch kein… Jetzt wurde es mir klar. Er war ein Werwolf! Das erklärte auch seine buschigen Augenbrauen und Kotletten. Wie zur Bestätigung hörte ich Fillin einmal aufheulen, bevor er dann grinsend an mir vorbeiraste.

Inzwischen sind beide schon mehrere Runden gelaufen, während ich mich mit einem einigermaßen normalen Tempo vergnügte. Tamy packte keuchend nach meiner Schulter.

„Schnapp ihn dir. Ich kann nicht mehr. Mein Bauch ist nur mit einem plattgedrückten Sandwich gefüllt.“

„Aber- “

„Bitteeee! Lumenia wenn du ihn nicht besiegst, steigt sein Hochmütigkeitsrang auf 100! Das darfst du nicht zulassen!“, bettelte sie verzweifelt.

Ich seufzte einmal. „Okay, gut.“

Wieder preschte Fillin an mir vorbei und ich ihm hinterher. Der schien eine ungeheuerliche Ausdauer zu besitzen. Warum tat ich das hier eigentlich?

„Du schaffst das! Ich glaube an dich! Seine Überheblichkeit liegt in deinen Händen!“, rief Tamy mir theatralisch nach.

Ich fixierte den Werwolf der noch circa 3 Meter vor mir jagte. Wieder heulte er erfreut auf.

„Vergiss es, keiner ist schneller als ich, Schätzchen!“

Seine Unterschätzung mir gegenüber spornte mich nur mehr an. Meine Beine wiegten gar nichts mehr. Nicht einmal den Gegenwind spürte ich. Es war, als würde mein Körper nicht mehr existieren um die schnellste Geschwindigkeit zu erreichen.  In einem Bruchteil einer Sekunde hatte ich ihn überholt und stellte mich demonstrativ vor ihn, so dass er anhalten musste.

Tamy hörte ich laut jubeln. Fillin lachte einmal auf und fuhr sich durch seine verwuschelten Locken.

„Respekt, Kleines. Echt Respekt. Das hat bisher keiner geschafft.“, er reichte mir seine Hand die doppelt so groß war wie meine.
„War mir eine Ehre mit jemanden wie dir zu laufen.“

Kapitel 8






Tamy grinste immer noch böse vor sich hin während sie versuchte ihm seine Niederlage unter die Nase zu reiben. Doch Fillin schlenderte nur gut gelaunt neben uns her.

„Lasst uns in die Cafeteria gehen. Ich hab einen riesen Hunger nach dem Laufen! Das Essen geht auf mich!“

„Das Essen kostet uns nichts, du Vollidiot.“, erwiderte Tamy leicht genervt, anscheinend war sie sauer weil Fillin es nichts auszumachen schien das ich ihn besiegt hatte.

„Dafür hab ich bei der Köchin einen Stein im Brett. Die steht total auf mich.“, er zwinkerte uns lachend zu.

„Sie gibt mir immer heimlich ein Stück Schokokuchen, den es normalerweise nur an Festtagen gibt.“

„Wirklich?!“, Tamy war wieder Feuer und Flamme. „Magrets Schokokuchen ist der Beste!“, schwärmte sie.

„Ich habe keinen Hunger.“ Immerhin hatte ich grade erst ein Steak.

„Trotzdem wirst du mir Gesellschaft leisten. Und du musst mindestens ein Bissen probiert haben!“, bestimmte sie.

Die Cafeteria war wie alles andere riesig. Sie war in mehrere Abteilungen eingeteilt. In drei um genau zu sein. Es gab zwei höher liegende Abteile, die man mit Treppen erreichten konnte. Die Tische waren kreisrund und um sie herum waren zwei runde Sitzbänke, die sogar eine Rückenlehne hatten und dazu noch gepolstert waren.
Diese Schule hier war purer Luxus im Gegensatz zu anderen.

Fillin und Tamy löffelten glücklich in deren Schokokuchen rum und tranken dazu Cranberry Saft, den es an der Theke massig gab. Zu meinem Bedauern, da ich das Zeug hasste. Es war viel zu süß. Aber alle hier schienen sie es zu lieben.

Die Köchin Magret hatte tatsächlich ein Auge auf Fillin geworfen. Sie war zwar viel zu alt für ihn (sah aus wie 25) aber man konnte es ihr nicht übelnehmen.
Immerhin sah er wirklich gut aus. Groß und männlich. Schönes Lächeln, schöne Augen und ein kantiges Gesicht.
Nicht nur mir und Magret schien seine Attraktivität aufzufallen. Ein paar Mädchen von anderen Tischen schafften es  gleichzeitig ihn schmachtend und mich giftig anzusehen.
Tamy hingegen, welche grad fertig mit dem Kuchen war, verschonten sie.

Ganz plötzlich wendeten alle Mädchen den Blick von mir ab und starrten auf den Eingang hinter mir. Sie fingen an hinter hervorgehaltener Hand zu tuscheln und verstohlen hinzublicken. Die Jungs, die sich bisher nur gelangweilt hatten, bekamen ein schelmisches Grinsen auf dem Gesicht.

Aus Tamy’s Nase kam ein verächtliches Schnauben. Der Werwolf legte seine Besteck zur Seite, fuhr sich über die Stirn und grummelte ein tiefes „Oh, man.“

Neugierig drehte ich  mich nach hinten und entdeckte ein schlankes, kurviges Mädchen. Wenn man noch von Mädchen reden konnte. Sie sah aus wie eine übertriebene Angelina Jolie.

Ihre rot geschminkten Lippen waren grade zu maßlos. Ihr rechter Mundwinkel war weit nach oben gezogen, zu einem verführerischen Lächeln. Rubinrotes Haar umgab ihr Gesicht. Smaragdgrüne Augen blickten sich langsam im Raum um und genossen die Aufmerksamkeit.

Wie ein Model stand sie dort, ihre eine Hand um die Hüfte gelegt, das Gewicht auf den einen Fuß verlagert. Sie erinnerte mich an Haily. Nur viel, viel schlimmer.

Ihre weiße Bluse klebte viel zu eng und zerknittert an ihrem Körper. Viele geöffnete Knöpfe ließen Einblick auf ihr hochgepushtes Dekolleté. Der Bleistiftrock war viel zu kurz. Sie schrie geradezu nach Aufmerksamkeit und Sex.

Ihr Blick hielt an unserem Tisch. Genau genommen an Fillin. Sie klimperte mit ihren Augen in seine Richtung und genehmigte uns einen Blick auf ihre weißen Zähne.

Mit trippelnden Schritten trat sie zu uns an den Tisch und warf sich mit einem gesäuselten „Hey, du.“ Auf Fillin, gab ihm zwei Küsschen links und rechts, kletterte galant über seinen Schoß und machte sich, zwischen ihm und Tamy, auf der Sitzbank breit.

Die Elfe rutschte hastig von ihrem Platzt weg und setzte sich neben mich. Schmolllippe schien es nur Recht zu sein. Sie stützte ihren Arm auf die Tischplatte und presste sich regelrecht an Fillin. Ihn schien das ziemlich zu stören, denn er starrte genervt in eine andere Richtung.

„Lange nicht gesehen. Ich habe dich vermisst.“, raunte Schmolllippe ihm zu. Ihre Stimme war dunkel und schnurrte.

Tamy gab ein genervtes stöhnen von sich. „Merkst du nicht, dass du ihn an ätzt, Charis?“

Doch Charis ignorierte sie und rückte Fillin immer mehr auf die Pelle. Dieser schaute sich inzwischen nervös um bis sein Blick an Tamy hingen blieb, er verzog sein Gesicht zu einer gequälten Maske. Der lila Schopf stutzte und blickte ruckartig zu mir.

„Tu doch was!“, zischte sie mir verstohlen zu.

„Was soll ich den bitte tun?“, fragte ich überrascht und vergaß dabei ganz, leise zu sein.

Charis beachtete uns weiterhin nicht und strich stattdessen mit dem Zeigefinger über Fillins breite Brust. Ich verdrehte die Augen. Was war das den bitte für eine Masche?

„Irgendwas! Damit sie abzischt! Das kriegst du wohl hin.“

„Mach es doch selber.“, erwiderte ich bloß.

Ich hatte echt keine Lust auf mehr Stress. Davon hatte ich heute genug. Besonders nicht mit einer wie Charis wollte ich mich anlegen. Sie war Haily Version 2.0 plus: mindestens 2 Level ups.

„Komm schon, Lumenia! Fillin und ich dürfen nichts gegen sie unternehmen! Das bedeutet sonst Ärger, aber du schon!“

„Wieso ausg-“

„Bitte!!“

Ich seufzte, Tamy konnte man einfach nicht wiedersprechen. Fillin sah uns immer noch verzweifelt an und Schmolllippe saß schon beinahe auf ihm drauf! Seinem Gesicht kam sie immer näher und murmelte ihm die ganze Zeit irgendetwas was zu.

Warum würde es Ärger geben wenn er was dagegen sagen würde? So wie es sich anhörte war es kein Ärger im Sinne von Charis meckert rum und spielt ihnen hinterhältige Streiche.

„Dann sag mir wenigsten was ich tun kann.“

„Ehm…“, Tamy schaute nervös von Fillin zu mir. „Küss ihn!“, rief sie im Flüsterton, ganz begeistert von ihrer Idee.

„Was?!“

„Na los! Keine Sorge, nur ein kurzer Kuss!“, mit diesen Worten schubste sie mich von der Sitzbank direkt auf Fillin zu.

Oh Gott was tat ich da? Ich kannte diesen Kerl kaum eine Stunde.
Okay, keine Panik. Nur ein Kuss. Nichts von Bedeutung.

„Tschuldige.“, murmelte ich ihm und Charis gleichzeitig zu, bevor ich mich herunterbeugte und meine Lippen auf seine versenkte.

Impressum

Texte: Michelle Trieu
Bildmaterialien: Michelle Trieu
Tag der Veröffentlichung: 03.05.2013

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