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Verhext in den Chef

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

 

Copyright: Dana Savannah, 2016, Deutschland

Bild und Bildrechte bezogen über www.depositphotos.de

 

Impressum:

R.O.M Autorenclub, R.O.M. logicware, Pettenkoferstr. 16-18, 10247 Berlin

 

Alle Rechte liegen bei der Autorin.

 

 

Kapitel eins

 

Kapitel eins

 

“Tu es nicht, Sandy”, ermahnte ich mich in Gedanken. “Behalte die Kontrolle.” Aber da ich in einer überfüllten U-Bahn auf dem Weg zur Upper East Side eingequetscht neben einem massigen, leicht stinkenden Mann saß, war ich versucht, meine manipulierenden Kräfte einzusetzen. Und damit meine ich, physisch Gegenstände zu bewegen, also, vielleicht den Sitz ein wenig breiter zu machen.

Alle Hexen und Zauberer, die ich kannte, hatten ein spezielles Naturtalent, zusätzlich zu der Fähigkeit, Zaubersprüche auswendig zu lernen. Und die Manipulation war mein Talent – ich konnte kleine Dinge wie die Tinte auf einem Stück Papier verändern oder auch große Dinge wie eine Mülltonne verschieben.

Aber laut des Zauberer-Gesetzbuches müssen wir unsere Magie geheim halten und dürfen ‘normale’ Menschen nicht wissen lassen, dass Hexen existieren. Dies war eigentlich kein Problem für mich, außer, wenn ich frustriert, nervös oder panisch wurde. Und einen solchen Zustand erreichte ich, als mir der Mann neben mir einen misstrauischen Blick zuwarf.

Ich spürte die Energie in meiner Magengrube kitzeln. Das Gefühl wurde stärker, stieg heiß meinen Rücken hinauf und brach in einer Energiewelle aus meinen Augen heraus, die die Kante meines Sitzes fokussierten. Normalerweise waren meine Augen dunkelblau, aber wenn ich zauberte, wurden sie für eine Sekunde goldfarben.

Im nächsten Moment zog die Energiewelle durch meinen ganzen Körper, und unter meinem rechten Bein konnte ich spüren, wie der Sitz sich nach außen hin weitete. Nun konnte ich weiter zu der Metallstange am Ende der Sitzreihe rutschen.

Natürlich waren die meisten viel zu beschäftigt, um die Veränderung zu bemerken, aber der dürre Künstlertyp, der sich an der Stange festhielt, runzelte die Stirn, als er fühlte, dass der Plastiksitz nun sein Bein berührte. Zum Glück hielt die U-Bahn nun, und er stieg aus – ich war in Sicherheit.

Nach zwei weiteren Haltestellen stieg ich auch aus und lief die drei Blocks bis zum Goodies Café, wo meine beste Freundin Rachel als Konditorin arbeitete. “Hi Sandy.” Sie strahlte mich durch ihre riesige stylische Brille an, als ich zur Theke ging. “Ich bin in zehn Minuten fertig.” Sie brachte mir schnell den Caffé Latte und den Minifruchtkuchen, den ich bestellt hatte, und lief dann zurück nach hinten, um die Küche weiter aufzuräumen.

Ich saß am Fenster des Cafés und aß meinen Kuchen – jeden Samstag kam ich her, wenn Rachel Feierabend machte, und wir gingen zusammen aus. Meine beste Freundin und Mitbewohnerin hatte sich in den Kopf gesetzt, geeignete Männer für uns zu finden, da wir beide seit einem guten Jahr Singles waren. Jeden Samstag suchte sie eine neue In-Bar für uns aus. Und so gingen wir zu Open-Mic-Nights in Hipster-Cafés oder in pulsierende Nachtclubs.

Als das Café schloss, war es fast viertel nach zehn, und wir verabschiedeten uns von der älteren Besitzerin Betsy, die nun den Kassenabschluss machte. “Wow, du siehst toll aus, Sandy. Ist das ein neues Oberteil? Die Farbe passt super zu deinen Haaren”, sagte Rachel und pfiff durch die Zähne, als wir auf die Straße traten, um ein Taxi heranzuwinken. Ich sah an meinem engen violetten Pullover herunter, der einen kleinen Ausschnitt hatte. Ich fand, dass ich in dem Outfit und mit meinen goldroten Haaren, die nun in Wellen über meinen Rücken fielen, recht gut aussah.

“Dankeschön”, sagte ich lächelnd, als wir in das Taxi stiegen, das für uns angehalten hatte. “Dir ist aber schon klar, dass ich keinen Typen finden will, weil ich eigentlich schon einen gefunden habe? Es ist zwar etwas heikel, sich an den Chef ranzuschmeißen, und genau genommen verstößt es auch gegen die Firmenregeln.” Rachel gab dem Taxifahrer Anweisungen und wandte sich dann wieder mir zu.

“Dein heißer japanische Chef? Den kannst du nicht haben, darum geht es ja gerade – deswegen müssen wir unbedingt einen anderen Kerl für dich finden. Und…” Ich hob meine Hand, um sie zu unterbrechen, während das Taxi im Zickzack durch die vollen Straßen in SoHo fuhr. “Erstens ist er nur halber Japaner, weil sein Vater Amerikaner ist. Und zweitens, na ja …” Ich hatte kein wirklich gutes Argument, fuhr aber trotzdem fort. “Ich will ja gar keinen anderen – ich will Fion.”

Kindisch schob ich meine pink bemalte Unterlippe vor. Ich schwärmte tatsächlich für den neuen Projektmanager, meinen Chef, der in der Kunst- und Konzeptabteilung von Stellar Marketing, Inc. arbeitete. Er sah gut aus, war groß und hatte ein bisschen was von einem Nerd. Aber leider hatte er keine magischen Kräfte und war außerdem mein Vorgesetzter. Mit ihm auszugehen, würde bedeuten, ihm früher oder später von meinen magischen Kräften erzählen zu müssen. Mit ihm zusammenzukommen war also ein doppeltes Tabu, was die Sache natürlich nur noch spannender machte.

Zehn Minuten später hielten wir vor dem unkonventionellen Café namens Ground Up im hippen SoHo in der Nähe von der NYU, südlich der Houston Street. Heute Nacht durften Gäste ihre Musik und Poesie präsentieren, und obwohl es voll war, fanden Rachel und ich Plätze auf einer Couch mit drei Sitzen nahe der niedrigen Holzbühne. Neben uns saß ein junger Mann.

Wir holten uns Vanille-Scones und Cappuccino, um uns aufzuwärmen. Obwohl es erst Mitte September war, war es draußen bereits kühl. Rachel nahm einen Bissen von ihrem Scone, schüttelte ihren dunkelblonden Bob und rückte ihre Brille zurecht, um sich umzuschauen – oder besser gesagt, um nach potenziellen Freunden Ausschau zu halten. Sie war groß und gertenschlank, was mich immer wieder überraschte, denn sie war schließlich Konditorin – wenn ich in diesem Beruf arbeiten würde, würde ich wahrscheinlich fünfzehn Kilo zunehmen.

Während sie die Menge absuchte, beobachtete ich den Mann auf der Bühne mit hochgezogener Augenbraue – er sprach ein Gedicht, dass Angst und Bitterkeit ausdrückte. Ich verstand nicht alles, was der leicht füllige Mann mit dem Bart sagte, aber es schien so, als hätte gerade jemand mit ihm Schluss gemacht und ihm das Herz gebrochen. Rachel und ich zuckten zusammen, als er am Ende einen Klagelaut ausstieß. Zum Glück war er nun fertig, und eine junge Frau sang ein fröhliches Lied und spielte dazu Akustikgitarre.

*****

Vierzig Minuten später, nach einer bunten Mischung aus guten und weniger guten Darbietungen, wurde eine fünfzehnminütige Pause angekündigt. Rachel sah auf meine noch halb volle Tasse hinunter und warf mir dann einen schelmischen Blick zu. “Soll ich den nochmal für dich aufwärmen?” Ich verengte meine Augen. “Rach, du weißt doch, dass du deine Kräfte nicht …” Ich sah mich schnell um, um sicherzugehen, dass uns niemand hörte. “… in der Öffentlichkeit einsetzen darfst. Auch wenn ich weiß, dass du das in der Bäckerei ständig tust.” Scherzhaft hob ich meinen Zeigefinger, um sie zu ermahnen.

Rachels besonderes Talent war es, Dinge aufzuwärmen und abzukühlen, was im Café äußerst nützlich war. Sie musste immer nur aufpassen, dass sie nichts in Flammen aufgehen ließ oder mit Eis bedeckte. Sie starrte auf den Cappuccino, der nun zugegebenermaßen wirklich kalt war. Bevor ich noch etwas einwerfen konnte, sah ich Rachels schokoladenbraune Augen funkeln und ihre beiden Zeigefinger kreisen. Dann fühlte sie mit der rechten Hand an der Tasse, ob der Kaffee warm war.

Ich warf ihr einen mahnenden Blick zu. “Rachel, ganz im Ernst, was ist denn, wenn dich eine andere Hexe sieht und dich meldet?” Ich hatte gut Reden, denn erst heute hatte ich ebenfalls meine Zauberkräfte in der U-Bahn eingesetzt. “Ach, komm schon.” Sie verdrehte die Augen und lächelte. “Ich war so unauffällig, das hätte nicht mal eine Hexe bemerkt. Aber nun sollten wir uns auf wichtigere Dinge konzentrieren – jetzt in der Pause ist der perfekte Zeitpunkt, um sie anzusprechen.” Sie deutete mit dem Kopf auf zwei Typen, die allein an der Bar standen.

Einer war groß und dunkelhaarig, der andere war durchschnittlich groß und hatte gelocktes braunes Haar. Beide schauten zu uns herüber. Ich unterdrückte ein genervtes Seufzen – eigentlich war ich gar nicht in Flirtlaune. Das war eher etwas für Rachel, und manchmal war sie viel zu offensichtlich für meinen Geschmack. Aber dennoch stand ich auf und folgte ihr zu den beiden jungen Männern.

Der Dunkelhaarige hatte ein ziemlich gutes Lied auf seinem Keyboard gespielt und dazu über das lebhafte Stadtleben gesungen. Rachel ging geradewegs auf ihn zu – sie war mehrere Zentimeter kleiner als er, was gut war, wenn man bedenkt, dass sie mit ihren 1,79 Metern viele Männer überragte. “Hey, das war ein super Lied – mir gefällt deine Stimme.” Er grinste sie an, und bevor er antworten konnte, reichte sie ihm die Hand. “Ich bin Rachel, und das ist meine Freundin Sandy.”

Der dunkelhaarige Typ grinste nun noch breiter, während er ihre Hand schüttelte. “Schön, dich kennenzulernen, Rachel – und Sandy.” Er sah mich kurz an. “Ich bin Mark, und das ist Roger.” Er deutete auf seinen Freund, der ebenfalls breit grinste. Er war attraktiv, hatte grüne Augen und ein freundliches Lächeln. Aber er war nicht Fion.

Zwanzig Minuten später saßen wir alle gemeinsam an der Bar und unterhielten uns, während die Auftritte weitergingen. “Weißt du was, Sandy?” Roger wandte sich mir zu. Mark und Rachel flirteten mittlerweile ganz offensichtlich miteinander. “Ich will eine hippe, punkige Version von dem Abba-Lied Super Trooper spielen, und mir fehlt noch eine weibliche Stimme – hast du Lust?” Ich wurde kreidebleich, und es fühlte sich an, als hätte jemand ein Stück Kohle in meinen Magen gelegt.

Obwohl ich mich ganz locker mit Personen unterhalten konnte und auch in Meetings auf der Arbeit nie nervös wurde, hatte ich immer unglaubliches Lampenfieber, wenn ich auf eine Bühne musste. Allein der Gedanke daran, vor all den Menschen singen zu müssen, ließ mein Herz schneller schlagen. Und immer wenn ich nervös wurde, so wie zuvor in der U-Bahn, setzte ich instinktiv meine magischen Kräfte ein.

“Oh, wow”, stotterte ich. “Das hört sich aber spannend an – ich habe noch nie eine Punkversion von einem Abba-Lied gehört. Aber ich bin nicht nie beste Sängerin und …” Rachel hörte genau in diesem Moment auf, mit Mark zu flirten und mischte sich ein. “Sandy, soll ich mitsingen? Das wär' doch bestimmt lustig!” Ich warf ihr einen warnenden Blick. Rachel versuchte immer, mich aus der Reserve zu locken, besonders, wenn es um mein Lampenfieber ging. Sie war der Ansicht, dass ich endlich darüber hinwegkommen sollte.

Aber auch wenn sie die besten Absichten hatte, konnte sie sich als extrovertierte Person einfach nicht vorstellen, wie ich mich fühlte. Und ganz abgesehen davon ahnte sie nicht, dass ich kurz davor war, meine Kräfte einzusetzen. “Nein, besser nicht.” Ich warf ihr wieder einen vielsagenden Blick zu. “Ich bleibe hier und jubele dir zu.” Ich zwang mich zu einem Lächeln und sah wieder zu Roger hinüber. Nun erklang die Stimme des Moderators: “Und als Nächstes hören wir Rogers Version von Super Trooper.” Er stand auf, griff nach seiner Gitarre, die er an die Theke gelehnt hatte, legte mir eine Hand auf die Schulter und schob mich sanft Richtung Bühne. “Komm schon, ihr könnt beide mitsingen.”

Ich verkrampfte mich innerlich, während ich die heiße Energie in meinem Magen aufflammen spürte. Nein, Sandy – reiß dich zusammen … du musst dich diesmal zurückhalten.”

 

Kapitel zwei

Kapitel zwei

 

Ich fühlte es in meinen Augen – die Energie schoss aus mir heraus, als ich die Saiten der Gitarre anstarrte und seine Hand abschüttelte. Peng – zisch! Drei der Gitarrensaiten rissen, schnellten in die Höhe und rollten sich auf. Roger blickte auf seine Gitarre hinab und sah dann mich mit einer Mischung aus Schrecken und Bestürzung an.

Ich stand wortlos da und spürte die Blicke einiger anderer im Rücken, darunter auch Marks. Dann fühlte ich, wie mich jemand am Arm antippte, und Rachel zischte mir zu: “Zeit zu gehen.” Sie zog mich hinter sich her, und ich stolperte Richtung Tür, wobei ich Roger einen entschuldigenden Blick zuwarf.

*****

“Ich hab' dir doch gesagt, dass ich nicht auf die Bühne will. Aber nein, du musstest mich ja wieder bedrängen. Und jetzt schau, was passiert ist!” Ich warf Rachel einen vorwurfsvollen Blick über den Küchentisch zu, als wir wieder in unserer Zweizimmerwohnung, fünf Blocks von der Bar entfernt, angekommen waren. Wir lebten in SoHo.

“Locker bleiben”, sagte sie, während sie sich umdrehte und nach einem Zimtmuffin griff, den sie nun vor mir auf dem Tisch platzierte. Dann starrte sie ein paar Sekunden lang auf das Gebäck, ihre Augen glitzerten, und das Teilchen war warm. “Du machst dir viel zu viele Sorgen.” Rachel hatte mich nach dem Zwischenfall mit der Gitarre zwar schnell aus dem Ground Up geschoben, aber war schnell zu ihrer entspannten Grundhaltung zurückgekehrt. Sie blickte konzentriert in meine verengten Augen und dann auf meinen Muffin. “Na los, iss – das ist meine neue Kreation – danach fühlst du dich bestimmt besser.”

Ich gab nach und biss ein Stück von dem Muffin ab. Dabei atmete ich tief aus, um meine Nerven zu beruhigen. Vielleicht hatte sie recht, und ich neigte wirklich dazu, überzureagieren. Nicht viele Leute hatten mitbekommen, dass die Saiten gerissen waren, und allerhöchstens Mark und Roger hatten meine Augen funkeln sehen. Ich war immer noch aufgewühlt von der Tatsache, dass ich fast auf die Bühne gemusst hätte und nun doch wieder meine Zauberkräfte eingesetzt hatte. Ich hasste dieses Gefühl, denn ich konnte einfach nichts gegen den Impuls tun.

*****

Ich war auf dem Weg zum Montagmorgen-Meeting und wenig motiviert. Ich hielt vor der Tür des Konferenzzimmers bei Stellar Marketing an. Es befand sich in der vierten Etage eines Bürogebäudes nicht weit entfernt vom Empire State Building. Nachdem ich meine hellgrüne Bluse und den grauen Rock glatt gestrichen hatte, atmete ich tief durch und trat ein.

Es war nur das wöchentliche Meeting der Kunstabteilung, aber ich war wie immer nervös, weil auch Fion da sein würde. Mit meinem Blick suchte ich den ovalen Tisch ab, während ich mich auf einem Stuhl ganz am Ende niederließ. Fion saß auf der anderen Seite, ebenso wie mein bester Bürofreund Ricardo, zwei ältere Kollegen, Gary und Pete, eine junge Praktikantin von der NYA namens Molly und meine Kollegin Shauna. Sie war wie ich Ende zwanzig und meine Erzrivalin. Aufgrund ihrer Dickköpfigkeit gerieten wir ständig aneinander, und zu allem Überfluss schien sie es ebenfalls auf Fion abgesehen zu haben, der erst vor einem Monat begonnen hatte, hier zu arbeiten.

Shauna sah mich mit ihren blauen Katzenaugen an, die einen auffälligen Kontrast zu ihrem schwarzen kurzen Haar bildeten. Ich reckte mein Kinn in die Höhe, während sie mich einen Moment lang weiter anblickte und konzentrierte mich ganz auf unseren Chef am anderen Ende des Tisches. “Morgen, Sandy.” Seine tiefe Stimme ließ meinen Namen irgendwie sexy klingen. “Lassen Sie uns anfangen.” Er reichte ein Blatt mit der Agenda herum. “Er sieht umwerfend aus, aber er ist immer so ernst”, flüsterte mir Ricardo zu, der neben mir saß. Er stieß mir sanft mit dem Ellbogen in die Seite und sah mich mit seinen freundlichen braunen Augen an. Ricardo teilte meine Begeisterung für Fion, obwohl er einen mehr oder minder festen Freund hatte.

Ich nickte und lächelte, während Fion fortfuhr. Es stimmte: Unser Chef war intelligent, verständnisvoll und ein wirklich talentierter Künstler, aber er war so professionell, dass er oft ein wenig steif wirkte. Ich fragte mich, wie er wohl war, wenn er nicht arbeitete. Ob er sich je lockerer gab? Ich wusste, dass seine Mutter Japanerin und sein Vater Amerikaner war, er aus Brooklyn stammte und angeblich am Wochenende in der Amateurliga Baseball spielte.

Abgesehen davon hatten wir keinerlei persönliche Informationen über Fion. Ich sah ihn wehmütig an; der Agenda hatte ich nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Er war groß, sehr schlank, aber durchtrainiert, hatte glatte dunkelbraune Haare und wunderschöne grünbraune Augen, die von dichten schwarzen Wimpern umrahmt wurden.

Mein Blick wanderte von seinen Augen über seine markanten Wangenknochen bis hinunter zu seiner vollen Unterlippe, während er sprach. Auf einmal wurde mir klar, dass er aufgehört hatte zu reden und dass Ricardo mir unter dem Tisch vorsichtig gegen die Wade trat. Schnell richtete ich meinen Blick von seinem Mund zurück auf seine Augen, die mich durch seine Brille hindurch geradewegs ansahen. Genau genommen waren alle Augen im Raum auf mich gerichtet.

“Tut mir leid, was haben Sie gesagt?” Meine Stimme klang schrill. Ich versuchte, die Energie in meinem Magen zu ignorieren. Ich konnte unmöglich, im Meeting zaubern. Fion sah ein wenig verärgert aus, aber es lag auch noch etwas anderes in seinem Blick – war es Belustigung? “Ich habe gefragt, ob Sie mir helfen könnten, unsere Präsentation für die neuen Lernspielzeuge, die Musikkissen, für Tech Toys zu halten.”

Ich war schockiert. Die Präsentationen für die Marketingkampagnen wurden normalerweise von Shauna oder Ricardo übernommen, denn sie konnten gut vor Publikum reden und waren äußerst überzeugend. Unser alter Chef wusste das, aber Fion hatte keine Ahnung, dass er gerade die schlechteste Wahl getroffen hatte. Und ich wusste, dass Tech Toys ein wirklich erfolgreiches, großes Unternehmen war. Der Geschäftsführer von Stellar Marketing hatte die Firma schon seit Jahren ins Boot holen wollen. Es stand also viel auf dem Spiel.

Ich ignorierte das leise Kichern, dass aus Shaunas Richtung kam und erwiderte: “Ach ja – die Tech Toys-Präsentation. Ich, äh … natürlich. Ich würde mich freuen, wenn ich den Vortrag mit Ihnen halten dürfte.” Warum hatte ich das nur gesagt? Wieso hatte ich nicht Ricardo vorgeschlagen? Ich war im Grunde stolz darauf, dass Fion mich gewählt hatte. Aber ich wusste ganz genau, dass das niemals gut gehen könnte.

“Wunderbar”, sagte Fion und setzte wieder seine ernste Miene auf. “Jetzt müssen wir eine hervorragende Kampagne mit einem grandiosen künstlerischen Konzept planen. Sandy, ich glaube, Sie sind eine der besten Künstlerinnen in unserem Team. Haben Sie nach dem Meeting Zeit für ein Brainstorming mit mir?” Mein Herz setzte einen Schlag aus, und wieder spürte ich ein warmes Gefühl in der Magengegend. Diesmal hatte es allerdings nichts mit der magischen Energie zu tun.

Während Fion sich wieder anderen Themen widmete, spürte ich Shaunas stechenden Blick auf mir ruhen. Ricardo drehte das Blatt mit der Agenda um, kritzelte etwas darauf und schob es mir zu, ohne mich anzusehen. Ich las nur: ‘Oh mein Gott – der heiße Chef steht auf dich!’ Ich sah ihn an und verdrehte die Augen mit einem leichten Kopfschütteln. Er war verrückt. Fion hatte mich zwar ausgewählt, um die Präsentation mit ihm zu halten und das Konzept zu besprechen, aber das hatte keine tiefere Bedeutung. Ich war, wenn ich mir diese Bemerkung selbst erlauben darf, eine der besten Künstlerinnen im Team, und das hatte Fion erkannt.

Natürlich war es etwas ungewöhnlich, mich um ein Brainstorming ohne alle anderen zu bitten … Verdammt, ich musste dringend weg von hier, bevor die Energie in meiner Magengegend außer Kontrolle geriet. “Ich bin gleich wieder da”, sagte ich eilig. “Toilette!”

*****

“Also.” Fion stützte die Ellbogen auf seinen Schreibtisch und legte die Hände zusammen. Ich saß ihm gegenüber. “Die Arbeit, die ich bisher von Ihnen gesehen habe, hat eine Menge Esprit und Ausdruckskraft. Und das ist genau das, was wir für Tech Toys und das neue Lernkissen brauchen.” Sein Gesichtsausdruck blieb neutral, aber sein Tonfall war bedeutungsvoll, ja, sogar ein bisschen Leidenschaft schwang darin mit. Derartige Gefühlsregungen verbarg er normalerweise auf der Arbeit.

Das war genau der Grund, weshalb ich mich zu Fion hingezogen fühlte, nicht nur sein gutes Aussehen. Es steckte viel mehr in ihm als man auf den ersten Blick sah. Ich war mir sicher, dass hinter seiner professionellen Fassade eine leidenschaftliche, lebhafte Person mit einer interessanten Geschichte steckte. Und all das wollte ich sehen. Ich wollte, dass er mir so vertraute, dass er sich mir gegenüber öffnete.

Aber wie sollte das gehen, wenn auch ich gegenüber nicht ich selbst sein konnte? Ich konnte ihm schließlich unmöglich erzählen, dass Hexen existierten und dass ich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 17.01.2020
ISBN: 978-3-7487-2650-0

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